KULTUR

OÖ. HEIMATBLÄTTER 2007 HEFT 3/4 Beiträge zur Oö. Landeskunde I 61. Jahrgang I www.land-oberoesterreich.gv.at I 2007 HEFT 3/4 HEIMATBLÄTTER OÖ.

61. Jahrgang 2007 Heft 3/4 Herausgegeben von der Landeskulturdirektion

OÖ. KÜNSTLERJUBILÄEN. ANALYSE – DOKUMENTATION – REFLEXION Franz Zamazal: Wilhelm Kienzls Beziehungen zu Orten in Oberösterreich (Teil II der Beitragsreihe „Wilhelm Kienzl und Oberösterreich“) 147

GESCHICHTE IN DER LANDSCHAFT Christian Steingruber: Forschungsraum Kürnberg Neue Erkenntnisse über ur- und frühgeschichtliche Bodendenkmale 165 Michael Kurz: Industriearchitektur im Salzkammergut 250 Jahre Brückentragwerk „Gosauzwang“ 191 Josef Simbrunner: Von der Befestigungsanlage zur Grottenbahn Maximilian und die Linzer Türme 202 Thomas Schwierz / Brigitte Heilingbrunner: Sakrale Kleindenkmäler im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Eine aktuelle Studie 214

MENSCHENBILDER – LEBENSBILDER Reinhold J. Dessl: Pfarrvikar P. Konrad Just (1902–1964) KZ-Priester und „Don Camillo des Mühlviertels“ 221 Herbert Bezdek: Gelehrter – „Hochverräter“ – Minister – Höchstrichter Ein Lebensschicksal in der bewegten Zeit des Vor- und Nachmärz 230 Kupferschmied, Bürgermeister, Volksdichter: Zur Erinnerung an Franz Hönig (1867–1937) 233 Harry Slapnicka: Neue Gesichter, neue Herausforderungen Heimische Karikatur in der Tast- und Testphase 236 Nachruf für Romuald Pekny 239

„objektiv subjektiv“ DAS FORUM DER MEINUNGEN Josef Demmelbauer: Vom „Geist der Zeiten“ 242

BUCHBESPRECHUNGEN 250

145 Medieninhaber: Land Oberösterreich Mitarbeiter: Herausgeber: Landeskulturdirektion Dr. Franz Zamazal Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexem- Knabenseminarstraße 33, 4040 plare) und Bestellungen sind zu richten an den Christian Steingruber Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Hirschgasse 71, 4020 Linz Camillo Gamnitzer, Landeskulturdirektion, Pro- menade 37, 4021 Linz, Tel. 0 73 2 / 77 20-1 54 77 Dr. Michael Kurz Studienzentrum Basis Jahresabonnement (2 Doppelnummern) E 2,– 4822 Bad Goisern 650 (inkl. 0 % MwSt.) Dr. Josef Simbrunner Doppelbauerweg 4, 4040 Linz Hersteller: TRAUNER DRUCK GmbH & Co KG, Köglstraße 4, 4020 Linz Dr. Thomas Schwierz Lichtenberger Straße 96, 4201 Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Kons. Brigitte Heilingbrunner Steingasse 23 a, 4020 Linz Mitterberg 10, 4491 Dr. P. Reinhold J. Dessl, OCist Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der Marktstraße 1, 4201 Gramastetten jeweilige Verfasser verantwortlich HR Mag. Ing. Herbert Bezdek Alle Rechte vorbehalten Nisslstraße 28, 4020 Linz Prof. Dr. Harry Slapnicka Für unverlangt eingesandte Manuskripte über- Stockbauernstraße 6, 4020 Linz nimmt die Schriftleitung keine Haftung HR Dr. Josef Demmelbauer ISBN 3-85393-005-0 Parkgasse 1, 4910 Ried i. I.

Titelbild: Der „Gosauzwang“, Stich von Maria Laimer. Schultes, 1809 (Beitrag Kurz)

146 Wilhelm Kienzls Beziehungen zu Orten in Oberösterreich

Von Franz Zamazal

4.1. Sein Umfeld für Leben und Schaffen

Die folgenden Zeilen zeigen die be- an Theatern gebunden. Wohl hat sie sich sondere Lebenssituation von Künstlern, nach der Eheschließung von der Bühne insbesondere eines Ehepaares, dem der zurückgezogen und trat fast ausschließ- Beruf oft nur vorübergehende Aufent- lich nur noch in Konzerten, meist mit ih- halte an einem Ort ermöglicht. rem Gatten, auf. Er bemühte sich, im Be- ruf Fuß zu fassen und erlebte dabei viele Nach der Promotion zum Dr. phil. in Absagen und ungute Erfahrungen, so Wien im Jahr 1879 öffnete sich für Kienzl dass er sich künftig intensiv der Arbeit auch der Weg zu einer akademischen an seinen Werken, insbesondere der Karriere über die Habilitation an einer Opern, widmete. Auf jeden Fall ermög- Universität. In Wilhelms Brust steckten lichten die Sommerferien Gemeinsames. aber zwei Seelen: einmal in einem gerin- geren Umfang die Wissenschaft, dann Auch als das Ehepaar in Graz ab Jän- jedoch ganz kräftig der Musiker als Aus- ner 1898 und in Wien ab 1917 sesshaft übender und Komponist. Die Entschei- wurde, führten die Verpflichtungen dung fiel zu Gunsten der Letzteren aus Kienzls als Dirigent, Interpret und Kom- und war den Eltern nicht recht, wurde ponist in viele Länder Europas. Unter aber akzeptiert. Und das bedeutete letzt- diesen Umständen ist sein Leben nur lich ein langes Wanderleben auf der Su- episodenhaft, aber um nichts weniger che nach Kapellmeisterposten und zum herzlich mit Orten in Oberösterreich Betreiben und Vorbereiten von Auffüh- verbunden: mit Linz über familiäre Be- rungen, insbesondere der Opern bzw. ziehungen, durch Theater- und Konzert- deren Uraufführung. Fixpunkt blieb vor- aufführungen sowie über einen nicht zu erst in unterschiedlicher Dauer das El- vernachlässigenden Bekanntenkreis; mit ternhaus in Graz. Als aber die Soprani- dem Geburtsort Waizenkirchen durch stin Lili Hoke in sein Leben trat, kam nahestehende Freunde über Jahrzehnte Linz als Reiseziel und Aufenthaltsort hinweg. Urlaubsorte waren Vöckla- dazu. bruck, Losenstein, Micheldorf und Kam- mer am Attersee. Wenn schon die Zeit Den Verliebten, Verlobten und Ver- für persönliche Besuche in Oberöster- heirateten war die Gemeinsamkeit oft reich nicht reichte oder das Reisen letzt- durch lange berufsbedingte Trennungen lich beschwerlich wurde – einen Brief- erschwert. Lili war durch Engagements wechsel gab es immer.

147 4.2. Seine Beziehungen zu Linz

Als Bindeglied zur oberösterreichi- schen Landeshauptstadt sind an erster Stelle Gattin Lili und die Schwieger- eltern Dr. Emerich und Anna Hoke1 zu nennen. Weiters spielten für seinen Be- kanntenkreis eine Rolle: der „Linzer Mu- sikverein“ als maßgebliche Institution mit Musikdirektor Prof. August Gölle- rich an der Spitze und die Mitglieder des „Deutschen Clubs“. Die von Kienzl am Linzer Landestheater überwachten und selbst dirigierten Aufführungen seiner Opern wurden bereits im 1. Teil dieser Beitragsreihe (Oö. Heimatblätter, Aus- gabe 1/2-07) erwähnt.

4.2.1. Kienzls erste Gattin Lili, geb. Hoke

Die wesentlichen Quellen für unsere Beschreibung der Lebensstationen der Jugendfoto Marianne Hoke (sitzend), Pauline Hoke, genannt Lili – ohne Datum. Gattin Kienzls bilden einmal die um- Foto: Oö. Landesmuseum fangreiche Autobiographie des Kompo- 2 nisten „Meine Lebenswanderung“ und Die treue Lebensgefährtin ent- dann die musikwissenschaftliche Disser- stammt der Juristenfamilie Dr. Emerich tation von Ingrid Samlicki-Hagen aus Hoke, war die Erstgeborene, kam am 1979,3 welche für die Jahre 1874 bis 1897 detailreiche Ergänzungen liefert. 1 Die Autobiographie ist dem fleißi- Im 1. Teil dieses Beitrages wurde der Familien- name einheitlich Hocke geschrieben, um die gen und über Jahrzehnte konsequenten Unregelmäßigkeiten in den zeitgenössischen Tagebuchschreiber zu verdanken, dem Publikationen zu bereinigen. Nun bleibt es aber damit verlässliches Material für das 1926 bei Hoke auf Grund von amtlichen Eintragun- veröffentlichte Buch zur Verfügung gen (Meldebüchern) und Schriftstücken, die stand. Die Wissenschafterin verwendete erst jetzt ermittelt werden konnten. 2 Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswanderung. Er- authentische Unterlagen (Tagebücher, lebtes und Erschautes, Stuttgart 1926. Im Fol- Briefe). In beiden Publikationen ist aber genden zitiert als Lebenswanderung. – Eine ge- der Künstler und Komponist die Haupt- raffte Wiedergabe des Textes bringt Hans Sitt- person; unser Anliegen war, die Gattin, ner, Kienzl-Rosegger, Wien 1953. Im Folgenden zitiert als Sittner. soweit wie möglich und ohne den Bei- 3 Ingrid Samlicki-Hagen, Die Lehr- und Wander- trag mit Details zu überladen, aus der jahre Wilhelm Kienzls (1874–1897), Phil. Diss. Versenkung hervortreten zu lassen. Wien 1979. Im Folgenden zitiert als Samlicki.

148 Briefe Wilhelm Kienzls sprechen ein- deutig für ein Engagement im Jahr 1882.5 Lili sang im Chor der Blumenmädchen von Wagners „Parsifal“, sicherlich begin- nend mit der Uraufführung am 26. Juli 1882. Kienzl besuchte als begeisterter Wagnerianer mehrere Vorstellungen – so am 13. 8. – und lernte im Anschluss daran Lili Hoke kennen.6 Von dieser Be- kanntschaft schrieb er begeistert an die Eltern nach Hause: „Diese Zeilen [d. h. die handschriftlichen Grüße] hat ein riesig lie- bes und herziges Mäderl geschrieben, welches mir mehr ans Herz gewachsen ist, als Ihr es alle glauben könntet.“7 – Später bezeichnete er sie in seiner „Lebenswanderung“ als „eine aus der ruhmbedeckten Schar der Blumenmäd- chen, eine schöne, stimmbegabte Linzerin, und machte sie zu meiner Lebensgefährtin, um mit Pauline Hoke, vierzehnjährig – dat. 6. 10. 1873. ihr 33 Jahre lang Freud und Leid zu teilen.“8 Foto: Oö. Landesmuseum Über die Folgejahre bietet die Über- lieferung keine gesicherten Aussagen. 13. Februar 1859 zur Welt und wurde am MankannsichnuraufeinenHinweis nächsten Tag in der Linzer Pfarre St. Ma- Kienzls verlassen, wenn er schreibt: Lili thias „Pauline Anna Emilie“ getauft, aber war „seit 1882 Blumenmädchen“;9 da immer Lili genannt. Über ihre Jugend ist Wilhelm bis 1888 die Parsifal-Vorstellun- nichts bekannt. Die Eltern ließen ihre gen unter Hermann Levy besucht hat,10 Gesangsstimme in Graz bei Frau Prof. lässt sich daraus folgern, dass auch Lili Weinlich-Tipka ausbilden, in München in diesen Jahren ihre Choraufgaben wurde sie von den Mitgliedern des Hof- wahrnahm. Das Wagner-Museum in theaters Kapellmeister Maier und Bayreuth überliefert nur für 1883 das Schauspielerin Amalia Schönchen un- Mitwirken im Festspielchor.11 Noch ein terwiesen.4 Unter ihrem Mädchennamen Hoke, auch Hocke geschrieben, begann die Bühnenkarriere als Sopranistin. 4 Julius Schuch, Des Meisters „Frau Lili“, in: Die erste greifbare Berufsstation – Hilde Hagen (Hg.), Festschrift zum sechzigsten noch in Begleitung ihres Vaters – war Geburtstag des Meisters Wilhelm Kienzl, Graz 1917, S. 46 f. das Mitwirken bei den Bayreuther Fest- 5 Samlicki, S. 226, Anm. 707: z. B. Brief vom 15. 9. spielen im Jahr 1882. Doch ein gewissen- 1882. haftes Erfassen dieser Verpflichtungen, 6 Ebenda, S. 172. für die in der Folge noch mehrere Jahre 7 Vgl. Anm. 5. 8 Lebenswanderung, S. 95. in Frage kommen, bereitet wegen der 9 Lebenswanderung, S. 99. nicht immer gesicherten Quellen einige 10 Samlicki, S. 180. Schwierigkeiten. 11 Danke für die freundliche Mitteilung.

149 Fixpunkt ergibt sich aus Kienzls „Lebens- in seinem engeren Geburtslande“ ein Konzert wanderung“: Lili verkörperte 1888 eine gibt und „an einer großen Oper arbeitet“.16 12 Patrizierin „in den Meistersingern“, Die Zeitung veröffentlichte die und das war wiederum eine Chorauf- ganze Vortragsfolge:17 gabe. Diese Zusammenfassung muss nach „Programm zu dem kommenden 1 gegenwärtigem Wissensstand für das Mittwoch, den 2. Mai, Abends 7 ⁄2 Uhr Auflisten der gewiss glücklichen Wo- im landschaftlichen Redoutensaale unter chen in Bayreuth reichen. Setzen wir gefälliger Mitwirkung des Fräuleins Pau- nun die chronologische Biografie fort. line Hoke und der Herren Nowak und Schober stattfindenden Konzerte: Der Parsifal-Aufführungsserie 1882 folgte für beide eine mehrwöchige Reise 1. W. Kienzl: Trio für Klavier, Violine durch Deutschland, um berufliche Kon- und Violoncello op. 13 F-moll die Her- takte zu knüpfen, dann trennten sich ren Nowak, Schober und der Kompo- vorübergehend ihre Wege; sie kehrte zu nist. den Eltern nach Linz zurück, er fuhr wie- 2. a) E. Grieg: Solveigs Lied, der nach Graz.13 b) W. Kienzl: ,Der Kuß‘, Gedicht aus dem Rumänischen, gesungen von Fräulein Pauline Hoke. Das Jahr 1883 3. W. A. Mozart: Fantasie C-moll für Klavier, Dr. W. Kienzl. Im Frühjahr, nach insgesamt fünfmo- natiger Getrenntheit, trafen sich die bei- 4. W. A. Mozart: Arie und Rezitativ der den wieder in Linz. Lili hat bei der Ge- Gräfin aus ,Figaro‘ gesungen von dächtnisfeier für Richard Wagner im Fräulein Pauline Hoke. „Deutschen Klub“, dem ihr Vater als Ob- 5. a) F. Chopin: Trauermarsch aus op. 35, mann vorstand, am 22. Februar die Arie b) W. Kienzl: Polonaise Bal masque´, der Elisabeth aus Wagners „Tannhäuser“ Klavierstücke, vorgetragen von Dr. „fein künstlerisch zur Geltung ge- W. Kienzl. 14 bracht.“ Wenige Tage später, am 28. Fe- 6. a) L. Prochazka: ,Bitterer Vorwurf‘, bruar ebenfalls im „Deutschen Klub“, b) J. Brahms: ,Wiegenliedchen‘, ließ sich Kienzl mit eigenen Werken hö- c) C. Goldmark: ,Die Quelle‘, Lieder, ren. In ihnen – so ein Zeitungsbericht – gesungen von Fräulein Pauline entdeckten wir „einenhöchstoriginellenCha- Hoke. rakter, der sich wohltuend von dem gang und ge- ben Chopinismus [sic!] in der modernen Kla- viermusik unterscheidet.“15 Konzert am 2. 12 Lebenswanderung, S. 99. Mai 1883 in Linz, Redoutensaal. 13 Samlicki, S. 226 f. 14 Tages-Post, 25. Februar 1883, S. 4. – Richard Diese Veranstaltung wurde im Ver- Wagner starb am 13. Februar in Venedig. lauf von mehr als zwei Wochen öfters in 15 Tages-Post, 28. Februar 1883, S. 3, und 4. März 1883, S. 3. der Zeitung angekündigt. Sie war ganz 16 Tages-Post, 15., 24., 27., 29. April und 1. Mai auf den Komponisten und Pianisten 1883. Kienzl ausgerichtet, der „zum ersten Male 17 Tages-Post, 27. April 1883, S. 4.

150 7. W. Kienzl: wozu ja bekanntlich bedeutende Stimmmittel a) Kahnszene op. 5, unerläßlich sind. Fräulein Hoke besitzt neben blühender Jugend eine ganz exquisite Bühnener- b) ,Kroatentanz‘ aus op. 21, scheinung; die stimmliche Befähigung zur dra- c) Seliges Waldgeheimniß op. 15, matischen Sängerin aber wird erst zu erweisen d) Serenade aus op. 15, Klavierstücke, sein. Die Klavierbegleitung sämmtlicher Ge- der Komponist. sangsnummern besorgte Herr Dr. Kienzl, wel- Karten zu Cerclesitzen a` fl. 1,50, Saal- cher übrigens ein ganz virtuoser Klavierkünstler sitzen a`fl. 1, Galerie-Sperrsitzen a`70kr., ist und nicht nur durch seine etwas allzu leb- Entre´e a` 50 kr. Sind in der k. k. Hofbuch- hafte Geberdensprache [sic!], sondern auch handlung Vinzenz Fink, Franz-Josefs- durch seine eigenartige Auffassung und die platz zu haben.“ Energie des Anschlages an Hans Bülow19 erin- nert. Das Konzert war verhältnismäßig gut be- sucht.“ Der namentlich nicht gezeichnete Bericht über die Aufführung liefert inte- Diese Ausführungen sind noch um ressante Aufschlüsse aus persönlicher einige weitere Sätze aus einem etwas an- Sicht:18 „Die scheidende Saison überraschte deren Blickwinkel zu ergänzen: „Ein aus- noch mit dem Konzert des Herrn Dr. Wilhelm erlesenes, ziemlich zahlreiches Publikum ergötzte Kienzl, welcher sich unserem Publikum als sich an den gelungenen musikalischen Schönhei- Komponist und Klavier-Virtuose vorstellte. ten. . . . Alle Nummern wurden in echt künstle- Sein Klavier-Trio, welches von ihm und den rischer Weise – wie nicht anders erwartet, exe- Herren Nowak und Schober in vorzüglicher cutiert [sic!] und fanden auch dankbarste Aner- Weise zur Geltung gebracht wurde, verräth ei- kennung“.20 nen fein gebildeten Musiker, der, wenngleich an Schumann sich anlehnend, immerhin das Be- Im Sommer reisten beide nach Bay- dürfniß hat, sich selbst auszusprechen und dies reuth, denn Lili war wieder für die Parsi- 21 auch in vornehmer Art thut. Der 2. und 3. Satz fal-Produktion engagiert. Es folgte gefielen am meisten, namentlich der 3., welcher noch ein einwöchiger München-Aufent- ein reizendes Thema ziemlich breit ausspinnt halt. Für den Herbst nahm sie ein Enga- und von bedeutender sinnlicher Wirkung ist. gement am Theater in Aachen und Ko- Eine ganz allerliebste Komposition des Konzert- blenz an. – Wilhelm sitzt allein in Graz, gebers ist ,Der Kuß‘, ein Lied aus dem Rumäni- dirigiert, komponiert und wird gegen schen. Unsere liebenswürdige Landsmännin, Jahresende 1883 als Kapellmeister nach Fräulein Pauline Hoke, sang mehrere Lieder Amsterdam engagiert. Auf der Reise und Recitativ und Arie der Gräfin aus ,Figa- dorthin gibt es in Koblenz ein Wiederse- 22 ro’s Hochzeit‘ von Mozart und bewährte sich hen mit Lili. als trefflich geschulte Konzertsängerin, deren sympathische Sopranstimme sich für gewisse Aufgaben ganz vorzüglich eignet. Nach dem, 18 Tages-Post, 6. Mai 1883, S. 5. was wir von ihr bisher gehört haben, möchten 19 Hans von Bülow (1830–1894) war ein großer wir fast behaupten, daß ihrem Naturell der Bahnbrecher für das moderne Klavierspiel. 20 Linzer Volksblatt, 5. Mai 1883, S. 2. Ausdruck des Heiteren und Neckischen mehr 21 Vgl. Anm. 11. zusagen dürfte, als jener großer Leidenschaft, 22 Samlicki, S. 230 f.

151 Das Jahr 1884 Juan“29 und Samstag 7. Mai als Valentine in G. Meyerbeers „Die Hugenotten“.30 Nach der Verlobung Anfang Jänner Im Mai machte Lili den ersten Be- 1884 wird Lili als Braut des Kapellmeis- such in Graz bei Wilhelms Eltern und er- ters auch in Amsterdam als Sopranistin regte das Missfallen der künftigen verpflichtet. Doch das Theater macht be- Schwiegermutter. Den Sommer verbrin- reits gegen Ende März bankrott, ein gen die jungen Leute in Au bei Kammer Kurzengagement führt beide ans Theater am Attersee und den Oktober wieder in von Krefeld, und dann folgen noch zwei Linz. gemeinsame Maiwochen in Linz. Wil- Lili gastiert am Linzer Landestheater helm macht hier „officielle Visiten als – angekündigt als „nur einmaliges Gast- Bräutigam“.23 Erst im Sommer in Bay- spiel“ – am 17. Oktober als Pamina in reuth und bei einem Aufenthalt in Lo- Mozarts „Die Zauberflöte“.31 senstein/ im Kreise der Hoke-Fami- Im Herbst geht sie an das Theater in lie treffen sie sich wieder. Im Herbst 1884 Reichenberg/Böhmen und kann dort geht Lili ans Theater in Ulm.24 Weihnachten gemeinsam mit Wilhelm verbringen.32

Das Jahr 1885 Das Jahr 1886

Wilhelm besucht sie in Ulm, feiert Kienzls Erstlingsoper „Urvasi“, an mit ihr im Jänner seinen 28. Geburtstag der er in den letzten Jahren fleißig gear- und findet anschließend in Linz bei Fa- beitet hatte, wurde von der Dresdner milie Hoke Unterkunft. Lili gastiert zum Hofbühne zur Uraufführung angenom- Ende der Ulmer Wintersaison dreimal am Linzer Landestheater. Ihre Auftritte werden in den Zeitungen verhältnismä- 23 Ebenda, S. 243. 25 ßig ausführlich angekündigt. In den 24 Ebenda, S. 243–246. Berichten über die Vorstellungen werden 25 Der Wortlaut der Ankündigungen ist in jeder das Können als Sängerin und Darstelle- Zeitung bis auf Kleinigkeiten gleichlautend. rin sowie die Ausstrahlung gelobt.26 Von ihrer Wiedergabe wurde abgesehen, denn aussagekräftiger sind die Besprechungen der Unerklärlich bleibt jedoch, dass die Vorstellungen. entsprechenden Theaterplakate27 sie je- 26 Wegen des Umfangs werden die Berichte im Anhang aber auch nur ausschnittsweise abge- des Mal „vom Stadttheater in Königs- druckt. berg“ (ehemals Ostpreußen) ankündig- 27 OÖ. Landesmuseum, Theatersammlung, Pla- ten. Welche Bewandtnis es mit diesem kate in Mappe 1885. Hinweis hat, muss offen bleiben, da bis 28 Tages-Post, 24. April 1885, S. 3 (Ankündi- jetzt in dieser Zeit nur das Engagement gung); 28. April 1885, S. 5 (Bericht). 29 Tages-Post, 2. Mai 1885, S. 2 (Ankündigung); in Ulm feststeht. 5. Mai 1885, S. 4 (Bericht). Die Gastspiele fanden statt am 30 Tages-Post, 5. Mai 1885, S. 3 (Ankündigung); 12. Mai 1885, S. 4 (Bericht). Samstag 25. April als Agathe in C. M. v. 31 Tages-Post, 17. Oktober 1885, S. 3 (Ankündi- 28 Webers „Der Freischütz“, Donnerstag gung); 20. Oktober 1885, S. 4 (Bericht). 2. Mai als Donna Anna in Mozarts „Don 32 Samlicki, S. 268.

152 Theaterprogramm – Linzer Landestheater, 25. 4. 1885, mit Lili Hoke als Gast. Foto: Oö. Landesmuseum

153 men, und von Reichenberg aus war es Von diesem Zeitpunkt an hat sich für Lili nicht weit, diesem Ereignis am 20. Lili von der Bühne zurückgezogen und Februar 1886 beizuwohnen. Dass sie singt, wenn überhaupt, nur noch in Kon- selbst am Tag zuvor als Elisabeth in zerten mit ihrem Gatten am Klavier, in Wagners „Tannhäuser“ einen schönen Er- Oratorien oder in eigenen Liederaben- folg erzielen konnte, blieb auch den Lin- den. zern dank einer Notiz in der Tages-Post Im Laufe der wenigen Jahre ihrer Be- nicht verborgen.33 rufstätigkeit als Opernsängerin (Sopran) Im Laufe des Frühjahrs hat es sich in hat sie u. a. folgende Partien verkör- 40 Graz entschieden, dass Kienzl beim pert: MicaelaundFrasquitain„Car- „Steiermärkischen Musikverein“ als Di- men“ von G. Bizet. Donna Anna und rektor bestellt wurde. Diese fixe Position Donna Elvira in „Don Giovanni“ von W. mit dem gesicherten Einkommen er- A. Mozart. Pamina in „Die Zauberflöte“ möglichte schließlich die Hochzeit, die von Mozart. Jungfer Anna Reich in „Die am 5. Juli 1886 in Heiligenkreuz bei Mi- Lustigen Weiber von Windsor“ von O. cheldorf, Oberösterreich, stattfand.34 Nicolai. Agathe in „Der Freischütz“ von C. M. v. Weber. Valentine in „Die Huge- Vor der Eheschließung musste sich notten“ von G. Meyerbeer. Selice in „Die Lili von einem bereits abgeschlossenen Afrikanerin“ von Meyerbeer. Aida in Engagement am Theater in Danzig lö- „Aida“ von G. Verdi. Elisabeth in „Tann- sen, was erfreulicherweise ohne Pro- häuser“ von R. Wagner. bleme vor sich ging. Über die für eine kirchliche Heirat notwendigen Formali- täten unterrichtet der im Archiv der Lin- Die Jahre 1886 bis 1890 mit Wohnsitz zer Stadtpfarrkirche erhalten gebliebene Graz Akt.35 Die Brautleute wurden in Linz36 37 und Graz, an den jeweiligen ordentli- Trotz gesicherten Einkommens ka- chen Wohnsitzen, in der Kirche verkün- men beide dem Konzertleben nicht ab- det und haben sich der Religionsprü- handen, denn zusätzliche Einnahmen fung unterzogen. In Vertretung des zu- waren immer willkommen. ständigen Linzer Pfarrers nahm Pater Ja- kob Denkgoth, Pfarrer zu Heiligenkreuz, am 5. Juli 1886 die Trauung vor. Trauzeu- 33 Tages-Post, 24. Februar 1886, S. 4 (Rubrik: gen waren Eduard Hoke, Ingenieur in „Theater, Kunst und Literatur“): „Des größten 38 Beifalles hatten sich Frl. Hoke (Elisabeth) und Linz, und Dr. Adolf Knall, Advokat in Herr Neidl (Wolfram) zu erfreuen.“ Wien. 34 Samlicki, S. 286 f. 35 Unmittelbar nach der Hochzeit Stadtpfarre Linz, Archiv, Eheakten, Nr. 51 a, aus 1886. führte die Reise über Passau nach Bay- 36 Wohnhaft Graben Nr. 3, in der Stadtpfarre. reuth. Sommerwochen verbrachte das 37 Wohnhaft Paradeisgasse Nr. 3, in der Stadt- Paar in Neu-Pernstein bei Micheldorf im pfarre. Kreis der Eltern. Die gemeinsame Woh- 38 Wahrscheinlich handelt es sich um den Onkel der Braut mit Namen Willibald Edmund (geb. nung in Graz wurde mit 14. November 1844). 1886 bezogen, und beide erfreuten sich 39 Samlicki, S. 286 f. von nun an der häuslichen Vorzüge.39 40 Vgl. Anm. 4. – Samlicki, S. 238.

154 Einige bemerkenswerte Auftritte – Weihnachtsfest 1887 wurde auch zu ei- ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in nem Konzert im Redoutensaal genützt. und außerhalb von Graz:41 Am 6. April 1889 gastierten Grazer 30. November 1886: Zum ersten Mal Kräfte am Linzer Landestheater mit der war Lili in Graz zu hören, sie sang Lieder Aufführung der Kienzl-Oper „Urvasi“, von Liszt und die Hallenarie aus „Tann- bei der Lili die Titelrolle verkörperte.44 häuser“. Beim „Steiermärkischen Musikver- Sommer 1887: Konzerttournee ein“ wurden in letzter Zeit die Arbeits- durch steirische Kurorte. umstände für Kienzl unerquicklich, und 7. März 1889: Im Wiener Wagner- in dieser Situation kam für ihn das Enga- Verein mit einigen Liedern. gement als 1. Kapellmeister nach Ham- 16. April 1889: Im außerordentlichen burg gerade recht. Er glaubte, damit Wiener Gesellschaftskonzert unter Hans seine Situation verbessern zu können; Richter mit dem Sopranpart in Bachs leider ist dies nicht eingetreten, denn „Weihnachtsoratorium“, worüber Eduard sein dortiges Wirken war nur von kurzer Hanslick eine ärgerliche Rezension Dauer.45 schrieb. 17. Mai 1889: Ausnahmsweise ein Opernauftritt: Titelpartie in Kienzls „Ur- Das Jahr 1891 vasi“ an der Grazer Oper. 4. Dezember 1889: Wagners „Wesen- Lili sollte bald nach Hamburg nach- doncklieder“ in Graz. kommen, erkrankte aber in Linz für mehrere Monate, so dass vom 19. Mai 1. April 1890: Festkonzert in Graz bis 13. September 1891 ein Kuraufent- mit Lili als „Traumerscheinung“ in halt in Lofer notwendig wurde (Muskel- Kienzls „Heilmar“. rheumatismus). Die nicht erfüllten Hoff- Einen schönen Erfolg erzielte Lili bei nungen in Hamburg hatten wieder ein einem Hofkonzert zu Bückeburg/ Wanderleben ohne eigene Wohnung Deutschland. Unvergessen bleibt der nach sich gezogen, ähnlich wie in frühe- Abend im Wiener Tonkünstlerverein, bei ren Jahren, aber nun mit dem Schwer- „mit viel Erfolg Lieder von Brahms bei dem sie punkt, sich intensiv der Komposition zu Anwesenheit des Meisters zu dessen lebhaft ge- widmen. Verständlich, dass er seinen äußerter Zufriedenheit“ 42 sang. „Freunden“ mit einer Rückkehr nach Eine Pionierleistung des Künstler- Graz keine Freude machen wollte. Daher paares bildeten die vier Grazer „Histori- reisten beide nach Linz und blieben hier schen Liederabende“, welche die Ent- vom 18. September 1891 bis 14. Jänner wicklung des deutschen Liedes mit 1892. Diese Situation nützte der Kompo- höchst stilvoll ausgeführten Gesängen nist für fleißiges Arbeiten und gab Kon- aufzeigten (26. November bis 19. De- zember 1890) und in der Fachwelt stark beachtet wurden.43 41 Samlicki, S. 108–306. 42 Lebenswanderung, S. 133. Aus demselben Zeitraum gibt es 43 Samlicki, S. 308. über Linz nicht viel zu berichten. Der Be- 44 Ebenda, S. 306. such der Schwiegereltern in Linz zum 45 Samlicki, S. 317–323.

155 Konzertprogramm – Linzer Redoutensaal (mit unrichtigem Datum, die Aufführung wurde verschoben).

156 zerte.46 Konzert am 23. November 1891, In den Ehren des Abends theilten sich noch Linz, Redoutensaal. Herr Concertmeister Emil Kühns, der durch Die Zeitung machte durch mehrere schönen Ton und edlen Vortrag die Zuhörer- ausführliche Ankündigungen47 viel Wer- schaft zur Bewunderung hinriß; ferner der bung für dieses Konzert. Erwähnt wer- Opernsänger Herr Alois Hofmann, der im den u. a. die Grazer „historischen Lieder- Monologe des Hans Sachs aus den ,Meister- abende“, Lilis Ruf als eine „hervorra- singern‘: ,Wie duftet doch der Flieder‘ und dem gende Konzertsängerin und die Erfolge darauffolgenden Dialog mit Eva, der Concert- in Wien und in der österreichischen Pro- geberin würdig zur Seite stand, sowie auch mit vinz“. Auch ein Hinweis auf Kienzls der Händel’schen Baßarie: ,Wer mag den Tag Oper „Urvasi“, die hier wiederholt mit seiner Zukunft erleiden‘, reichlichen Applaus er- Erfolg aufgeführt wurde, fehlte nicht. Als zielte. „pie`cedere´sistance“,48 d. h. als Hauptge- Eingeleitet wurde das Concert mit einem richt, werden der Monolog und Dialog Claviertrio von Dr. Wilhelm Kienzl, von ihm aus dem 2. Akt der „Meistersinger“ (Ev- selbst und den Herren Kühns und Schober in chen, Hans Sachs) hervorgehoben mit brillanter Weise gespielt.50 Uns war das Trio dem Hinweis, dass diese Szene in Linz noch unbekannt, aber wir fanden die Vorzüge „überhaupt zum erstenmal im Rahmen eines Kienzel’schen Schaffens: gefällige, leicht ver- Concertes“ vorgeführt wird. (Anmerkung: ständliche Thematik, innige Vertiefung nach der Die Linzer Erstaufführung am Theater einen, feurigen Aufschwung nach der anderen erfolgte am 27. April 1885.) Richtung, auch in diesem Trio zur Geltung ge- bracht. Jede Nummer desselben fand reichliche Der namentlich nicht gekennzeich- Anerkennung. nete Bericht in der Tages-Post (25. No- vember 1891, S. 5) lautet, etwas gekürzt Die Begleitung der Gesangsvorträge wurde wiedergegeben: von Herrn W. Kienzl in ausgezeichneter Weise „Als wir seinerzeit das Auftreten der Frau besorgt – wir gedenken hier besonders noch der Lili Kienzl-Hoke ankündigten, stellten wir dem Scene aus den ,Meistersingern‘.“ musikliebenden Publicum unserer Stadt einen erlesenen künstlerischen Genuß in Aussicht. Der Ausfall des gestrigen Abends49 hat diese 46 Ebenda, S. 323–334. Vorhersage vollkommen bestätigt. Die genannte 47 Ankündigungen des Konzertes brachte die Ta- ges-Post vom 5., 11., 13., 14., 15. und 24. No- Künstlerin hatte von jeher die Herzen echter vember 1891. Letztere Ausgabe am Abend des Kunstfreunde durch eine Eigenschaft gewonnen, Konzertes erschienen – jedoch wie damals üb- welche in aller Kunst, sei sie selbstschöpferisch lich mit dem Folgetag datiert –, brachte noch oder reproducierend, obenan steht. Durch wahre zwei ankündigende Zeilen. 48 nicht bloß scheinbare Empfindung gesellen sich Dieser Ausdruck, der Küchensprache entnom- men, bedeutet hier „im Mittelpunkt stehend“. noch dazu tüchtige Stimmmittel und eine gedie- 49 Das Konzert war ursprünglich, wie auf dem gene Schulung, sowie die Vorzüge einer schönen Programmblatt ersichtlich, für 14. November Gestalt, so ist es begreiflich, dass alles, was Frau angekündigt. Es musste aber aus uns unbe- Kienzl singt, den Stempel der Vollendung trägt. kannten Gründen auf 23. November verscho- Sie erntete demgemäß für den Vortrag ihrer Lie- ben werden. 50 Bei den Mitwirkenden Emil Kühns und Franz der und Gesänge großen Beifall und viele Her- Schober handelte es sich um geschätzte Linzer vorrufe. Kräfte.

157 Das Jahr 1892 Das Jahr 1894

Anfang dieses Jahres reisten beide Dieses Jahr stand ganz im Zeichen nach München, denn die Oper „Heilmar der Arbeit an der Oper „Der Evangeli- der Narr“ wurde am Hof- und National- mann“, welche in Linz (14. Mai bis 25. theater angenommen, die Uraufführung Mai), in Graz und Bad Aussee immer am 8. März 1892 unter der Einstudie- mehr an Gestalt gewann. Am 13. Sep- rung und Leitung des Komponisten tember war sie abgeschlossen. Man darf brachte dessen Verpflichtung als Kapell- annehmen, dass das Ehepaar in dieser meister, beginnend mit 1. September, Zeit durch berufliche Umstände allen- mit sich.51 Der Sommer gehörte dem falls nur kurz getrennt war.56 Aufenthalt in Lofer, da Lili wiederum wegen Muskelrheumatismus die Kur ge- brauchte.52 Im Herbst finden sie eine Wohnung in München, doch was so Das Jahr 1895 vielversprechend begann, währte nur ein Jahr, denn der Vertrag galt nicht Die Vorbereitungen der „Evangeli- länger.53 mann“-Uraufführung machten die An- wesenheit des Komponisten in Berlin (6. Dezember 1894 bis 29. Mai 1895) not- wendig; Wilhelm wurde dabei von Lili Das Jahr 1893 begleitet. Dem sehr großen Erfolg am 4. Mai 1895 folgte die Rückkehr nach Von München aus kamen beide zu Graz. Lili erkrankte, und der Sommer- den Ostertagen nach Linz. Mit dem aufenthalt in Alt-Aussee diente ihr auch Ende der Münchner Verpflichtung war für Solebäder. Doch ihr Gesundheitszu- wieder das „Wanderleben“ ohne feste ei- stand verschlimmerte sich mit Herzbe- gene Wohnung unausbleiblich, also ein schwerden und Atemnot. Zustand wie in früheren Jahren, aber mit dem Unterschied, dass sich der Schwer- Um weitere Aufführungen des punkt der Bemühungen noch stärker auf „Evangelimann“ vorzubereiten, zu über- die Komposition verlagerte. Den Som- wachen und zu dirigieren, unternahm mer verlebten sie in Lofer, wo sich Kienzl in der Zeit vom 23. September bis die schöpferische Initialzündung für 6. November 1895 „Opernreisen“. Wäh- die Oper „Der Evangelimann“ einstell- rend dieser Wochen blieb Lili wegen der te.54 Die nächsten Stationen waren Vöck- labruck55 und schließlich in Graz das El- ternhaus. Die Verschiedenheit des Tem- 51 Samlicki, S. 338–342. peraments von Mutter und Schwieger- 52 Ebenda, S. 352–354. tochter brachte manche Spannungen mit 53 Ebenda, S. 354–356. 54 Samlicki, S. 367. – Bereits der dritte Aufenthalt sich. Verständlich, dass das junge Ehe- in Lofer. paar eher nach Linz als nach Graz 55 Ebenda, S. 370. strebte. 56 Samlicki, S. 371 f.

158 angegriffenen Gesundheit in Linz; von tige Übersiedlung erfolgte am 8. Jänner hier hat sie Wilhelm abgeholt.57 1898, womit der sehnliche Wunsch, end- lich „wieder ein eigenes Heim“, in Erfül- lung ging.60 Lili sorgte von nun an für Das Jahr 1896 behaglichen Alltag und vorzügliche Kü- che.61 Dieses Jahr steht deutlich im Zeichen der „Evangelimann“-Aufführungen. Über die weiteren Jahre nach 1897 Während der neuerlich notwendigen „Opernreisen“ zu verschiedensten Thea- Lilis Arbeit im Haushalt wird immer tern (6. April bis 20. April und 9. Okto- mehr von Krankheit überschattet. Wie ber bis 30. November 1896) bleibt Lili bereits erwähnt, unterzog sie sich Kuren, wieder in Linz und wird anschließend kann die „Opernreisen“ ihres Gatten von Wilhelm abgeholt. Da noch immer nicht mitmachen und lebte in dieser Zeit keine fixe Anstellung für den Komponis- bei ihren Eltern in Linz. Aus Briefen Wil- ten in Aussicht war und demnach keine helms erfährt man von der Pflege und eigene Wohnung zur Verfügung stand, Fürsorge durch ihre Mutter (1891) und zog sich das Ehepaar für eineinhalb immer wieder allgemein über gesund- Jahre auf den „Brodschimpl“ in der Nähe heitliche Beschwerden (1908, 1916).62 von Graz zurück, welcher der Kienzl- Aufgrund dessen darf man annehmen, Familie seit langem als Ferienwohnung dass für Lili – wenn überhaupt – das diente. In diese Zeit fällt auch ein Besuch Konzertieren sicherlich nur noch in be- des Ehepaares in Vöcklabruck (7. Mai bis scheidenem Umfang in Frage kam. Diese 2. Juni 1896).58 Vermutung wird durch die Tatsache un- termauert, dass Wilhelm Liederabende mit eigenen Werken fortan nicht mehr Das Jahr 1897 mit ihr, sondern mit der Sängerin der Berliner Oper Emmy Destinn veranstal- Dieses Jahr hat gut begonnen. Wil- tete; die Konzerte begannen 1903 in Ber- helm feierte bei den Schwiegereltern den lin, führten durch Städte Deutschlands 40. Geburtstag in Linz und konnte sein und Österreichs – auch nach Linz – und neuestes Werk, die Oper „Don Quixote“, 1905 nochmals nach Berlin.63 auf die er große Hoffnungen setzte, vor geladenen Gästen am Klavier aufführen. Bald nach seiner London-Reise, zur 57 Samlicki, S. 403–408. „Evangelimann“-Premiere (19. Juni bis 58 Samlicki, S. 415 f. – Brodschimpl ist die Be- 10. Juli 1897), wurde diese Partitur abge- zeichnung eines Bauernhofes, nördlich von 59 Graz am Fuße des Schöckls gelegen (vgl. Sitt- schlossen. ner, S. 316). Alle bisherigen Erfolge ermöglichten 59 Samlicki, S. 433 f. es dem Ehepaar, sich in Graz niederzu- 60 Ebenda, S. 438. lassen, denn Kienzl wollte nicht mehr 61 Lebenswanderung, S. 144. 62 Österreichische Nationalbibliothek, Hand- dauernd von seinen alten Eltern getrennt schriftensammlung, Wien, Musiker-Briefe, Re- sein. Am 15. Dezember 1896 kamen die gesten. Möbel aus München, und die endgül- 63 Sittner, S. 164.

159 Gruppenaufnahme, 30. 7. 1902, beim VI. Deutschen Sängerbundfest; Kaffeejause in Kienzls Sommerwoh- nung im Anwesen „Brodschimpl“ unweit von Graz. Von links nach rechts: Julius Schuck, Heinrich Zöllner, Lili Kienzl, Dr. Ernst Descey, Wilhelm Kienzl, August Göllerich, Elli Stärck (dilettierend als Schauspie- lerin). Foto: Oö. Landesmuseum

Das Leben des Komponisten nahm hof bestattet. Für die Schwere der Krank- mit den vielen beruflichen Verpflichtun- heit spricht, dass eine Rückkehr nach gen seinen gewohnten Gang. Die Som- Wien nicht mehr möglich war. mermonate gehörten seit langem fast ausschließlich dem Aufenthalt in Bad Aussee. Im Oktober 1917, mitten im Ers- 64 ten Weltkrieg mit seiner problemati- Die „Lebenswanderung“ S. 220 nennt als To- desdatum den Allerseelentag. Lt. Auskunft des schen Versorgungslage, übersiedelte das Pfarramtes Bad Aussee ist jedoch der 3. No- Ehepaar nach Wien. vember richtig. – Vgl. Tages-Post, 5. November 1919, S. 3: „Frau Lili Kienzl †“. – Herrn Schuldi- Von einem langwierigen Leiden be- rektor Siegfried Fleck, Waizenkirchen, gebührt 64 fallen, starb Lili am 3. November 1919 für die wertvollen Hilfeleistungen herzlicher in Bad Aussee und wurde am Ortsfried- Dank.

160 Wilhelm Kienzls Dankschreiben an die Linzer Fa- milie Winkler für erwiesene Anteilnahme. Foto: Archiv der Stadt Linz

Gedenktafel für Kienzls erste Frau Lili an der Kirche von Bad Aussee. Foto: Friederike Mayrhuber

ANHANG – Berichte über Lili Hoke als Gast am Linzer Landestheater.

Aus den meist umfangreichen Berichten in den Zeitungen65 wurden nur die Abschnitte über die Sopranistin herausgehoben. Dabei werden neben den künstleri- schen Leistungen auch einige Einblicke in den seinerzeitigen Theaterbetrieb eröffnet. Mit Absicht wurden von den in Linz erscheinenden Zeitungen hier nur die „Tages- Post“ und „Linzer Zeitung“ berücksichtigt. – Sämtliche Artikel wurden vom jeweili- gen Autor weder mit Namen noch mit Kürzel gekennzeichnet. a) als Agathe in C. M. v. Webers „Der Freischütz“, in: Tages-Post, 28. April 1885, S. 5. „Vorgestern debutierte Fräulein Lili Hoke als Agathe in Webers ,Freischütz‘ mit ausgespro- chenem Erfolge. Die junge Dame, eine Linzerin, besitzt neben einer hübschen Bühnenerscheinung eine in allen Lagen gut ausgeglichene sympathische Sopranstimme von edlem Timbre und vortreffli- cher Schulung. Fräulein Hoke sang sowohl die Recitative als auch die beiden Arien im zweiten und vierten Acte mit schönem dramatischen Ausdrucke und verdiente den reichlich gespendeten Beifall in vollstem Maße . . . Ueberhaupt war die gestrige [sic!] ,Freischütz‘-Aufführung, welche Herr Kapellmeister Krones dirigierte, eine der besten in der gegenwärtigen Saison.“

65 Im fortlaufenden Text wurden kleinere Auslassungen nicht extra gekennzeichnet.

161 in: Linzer Zeitung, 28. April 1885, S. 439. „Die Oper ,Der Freischütz‘ bot ein ganz besonderes Interesse durch das Auftreten des Fräul. Pauline Hoke in der Rolle der Agathe. Fräul. Hoke besitzt eine sehr schöne, pastöse Sopran- stimme von in allen Lagen edlem Timbre, welche bei der guten Schule, dem echt künstlerischen Auf- fassungsvermögen der Sängerin die beste Verwertung findet. Die geschätzte Gastin [sic!],vom Publicum freundlich empfangen, errang einen vollständigen Erfolg und wurde im Laufe des Abends allein und im Vereine mit den anderen Trägern der Hauptpartien gewiß nahezu ein dutzendmal gerufen. Dieser Beifall galt aber nicht bloß der Linzerin, sondern vorzugsweise der Künstlerin, wel- che die echt deutsche Mädchengestalt Agathens in idealer Auffassung wiederzugeben verstand und dem schauspielerischen und musikalischen Theile ihrer Aufgabe in seltener Weise gerecht wurde. In der großen Scene und Arie des zweiten Actes entzückte sie das Publicum durch den durchgeistigten, fein nuancierten Vortrag, welchem auch die richtige dramatische Steigerung nicht abgieng [sic!], sehr schön, mit tiefer Empfindung trug sie auch die Cavatine in As-dur vor. Die Linzer haben alle Ursache, auf ihre hochbegabte Landsmännin mit Recht stolz zu sein. Die Aufführung war eine würdige. Herr Kapellmeister Krones dirigierte dieselbe mit vie- ler Umsicht, nur schien uns bei dem ,Victoria‘-Chore zu Anfang des ersten Actes, dann [bei] dem Jägerchore das Tempo etwas überhastet.“ b) Als Donna Anna in W. A. Mozarts „Don Juan“, in: Tages-Post, 5. Mai 1885, S. 4. „Fräulein Lili Hoke wagte sich über die Donna Anna, eine der gewaltigsten Sopran-Par- tien in der gesammten Opernliteratur. Die talentierte junge Sängerin sang das grandiose Recitativ vor der Leiche ihres Vaters und die ein riesiges Stimm-Materiale erfordernde ,Rache-Arie‘ mit schö- nem dramatischen Ausdrucke und temperamentvoller Leidenschaftlichkeit, so daß an ihrer eminen- ten Begabung für das dramatische Fach wohl nicht mehr gezweifelt werden kann. Ihre spätere Leis- tung, insbesondere in der Brief-Arie, fiel freilich etwas ab, das Organ klang stark ermüdet, doch ist dies mit Rücksicht auf die außerordentlichen stimmlichen Anforderungen, welche diese Partie stellt, und bei der Jugend der geschätzten Debutantin wohl begreiflich und kann uns nicht hindern, dem Fräulein zu dem schönen Erfolge auch des gestrigen Abends vom Herzen Glück zu wünschen . . . [Die Sänger der Rolle des Gouverneurs und des Masettos] boten befriedigende Leistun- gen, ebenso der Chor und das Orchester unter der Leitung des Herrn Kapellmeisters Krones. Herr Hagen, zu dessen Benefiz die gestrige Vorstellung stattfand, wurde mit einer lebhaften Beifallssalve empfangen und mit reichen Blumenspenden von dem gutbesuchten Hause ausgezeichnet.“ in: Linzer Zeitung, 6. Mai 1885, S. 471. „Die Aufführung der Oper ,Don Juan‘ litt an den Folgen einer ungenügenden Vorberei- tung. Wenn man weiß, daß dieses Riesenwerk Mozarts in wenigen Tagen studirt [sic!] werden mußte, daß einige Solokräfte in ihren Partien neu waren, dann lässt sich sehr viel erklären; derar- tige Opernvorstellungen müssen von langer Hand vorbereitet sein und dürfen nicht überstürzt wer- den. Fräulein Lili Hoke gab als Donna Anna eine neue Probe ihres schönen, vielversprechenden Talentes. Diese Partie zählt zu den größten Aufgaben einer dramatischen Sängerin. Die hohe Lage, in welcher dieselbe geschrieben ist, erfordert eine bedeutende stimmliche Kraft, und nur einer sehr

162 geschulten Sängerin kann die vollständige Bewältigung derselben gelingen. Fräulein Hoke hatte ihre Rolle richtig aufgefaßt, sie brachte dieselbe durch Erscheinung, Spiel und die gesangliche Durch- führung zur besten Geltung. Die Recitative, insbesonders die Erzählung des Abenteuers mit Don Juan, die beiden großen Arien sang sie mit dem erforderlichen dramatischen Ausdrucke, mit feiner Nuancirung, auch mangelte ihr bei der Rache-Arie nicht die nöthige Kraft. Was uns bei dieser Sän- gerin so sympathisch berührt, ist die Gewissenhaftigkeit, mit welcher sie den Intentionen des Com- ponisten gerecht zu werden sucht, was ihr bei ihrer seltenen musikalischen Begabung auch stets gelingt. Fräulein Hoke wurde im Laufe des Abends durch mehrmalige Hervorrufe und Beifall auf offener Scene ausgezeichnet.“ c) Als Valentina in G. Meyerbeers „Die Hugenotten“, in: Tages-Post, 12. Mai 1885, S. 4. „Das Gastspiel des großherzoglich badischen Hofopernsängers Herrn Oberländer brachte uns vor Schluß der Saison noch eine sehr gelungene Aufführung der ,Hugenotten‘ und eine Reprise der ,Meistersinger‘ . . . Die ,Hugenotten‘-Aufführung gewann auch noch durch die vorzügliche Besetzung der drei Frauenrollen besonderes Interesse. Die Valentine möchten wir als die beste bishe- rige Leistung des Frls. Hoke bezeichnen. Stimmlich vollkommen ausreichend, sang die begabte junge Dame diese hochdramatische Partie mit großem leidenschaftlichen Ausdrucke, geschmackvoll im Vortrage und mit vornehmer Auffassung . . ..Da auch Chor und Orchester unter Herrn Kapell- meister Floderers Direction ihre volle Schuldigkeit gethan haben, so gestaltete sich die gesamte Auf- führung zu einer äußerst würdigen.“ in: Linzer Zeitung, 10. Mai 1885, S. 488. „In Fräulein Pauline Hoke fand Herr Oberländer eine würdige Partnerin. Hatte diese vielversprechende Sängerin schon als ,Agathe‘, dann als ,Donna Anna‘ ihre Begabung für das dra- matische Fach unzweifelhaft bewiesen, so setzte sie durch ihre ,Valentine‘ den bisherigen Leistungen die Krone auf. Durch diese Leistung gieng [sic!] jener unbeschreibliche, echt poetische Zug, welcher dieselbe zu einer künstlerischen stempelt. Insbesonders haben wir des gefühlwarmen Vortrages im Duette mit Marcell zu gedenken. Im vierten Acte fand sie die richtigen dramatischen Accente und stand sowohl was Spiel und Gesang betrifft, ganz auf der Höhe ihrer Aufgabe.“ d) Als Pamina in W. A. Mozarts „Die Zauberflöte“, in: Tages-Post, 20. Oktober 1885, S. 4. „Wenn wir nun von der gestrigen Vorstellung berichten können, daß das bis auf das letzte Plätzchen gefüllte Haus der Aufführung bis zum letzten Geigenstrich mit Andacht lauschte und fast jede einzelne Nummer mit rauschendem Beifall begleitete, und wenn das Publicum das Theater in gehobener Stimmung verließ, so glauben wir, die Gesammtleistung unserer Operngesellschaft nicht besser charakterisieren zu können, als wenn wir sagen, sie hat gestern für Mozart Prosely- ten66 gemacht.

66 Proselyt bezeichnet einen „von einer Partei zu einer anderen Übertretenden“; hier im Sinne von ei- nem zu Mozart Bekehrten.

163 Auf die Einzelleistungen übergehend, beginnen wir mit dem liebenswürdigen Gaste, Fräu- lein Lili Hocke. Die ebenso jugendfrische als stattliche Dame fasste die Pamina als hochdramatische Partie, wie allenfalls die Donna Anna, auf und führte sie in dieser Auffassung entsprechenden kräftigen Linien mit Consequenz und unleugbar bedeutendem dramatischen Talente durch. Eine entschieden musikalische Natur, versteht sie Mozart ganz vorzugsweise zu singen. Ihre sympathi- sche, in der Mittellage ganz besonders ansprechende Sopranstimme, die einfache, edle Phrasierung und ausdrucksvolle Declamation vereinigten sich zu einer schönen künstlerischen Wirkung, welche vom Publicum auch durch lebhaften und verdienten Applaus gewürdigt wurde. Der Chor übertraf sich selbst und empfand nach längerer Zeit wieder einmal das süße Gefühl des Applauses. Das Orchester interpretierte die in den reinsten Schönheitslinien sich bewe- gende Mozart’sche Orchestrierung mit wahrer Pietät. Die vorzügliche Aufführung dirigierte Herr Kapellmeister Floderer, den wir zu dem höchst ehrenvollen Erfolge beglückwünschen.“ in: Linzer Zeitung, 20. Oktober 1885, S. 1091. „Fräulein Hoke, von ihrem früheren Gastspiele noch in bestem Andenken, sang die Pamina mit vieler Innigkeit und hatte Gelegenheit, ihre bedeutenden Stimmmittel zu entfalten. Die Stimme ist wirklich schön und in allen Registern ausgeglichen; auch wusste Fräulein Hoke dem Charakter der Königstochter den Anstrich zarter Jungfräulichkeit und einer gewissen Naivetät [sic!] zu verleihen. Die geschätzte Künstlerin wurde vielfach durch stürmischen Beifall und zahl- reiche Hervorrufe ausgezeichnet . . . Die herrliche Ouverture wurde von unserem Orchester mit Schwung und lobenswerter Präcision vorgetragen . . . Das Haus war sehr gut besucht.“

Anmerkung

Der dritte Teil dieser Beitragsreihe erscheint in Heft 1/2-2008 und enthält weitere persönliche sowie künstlerische Kontakte zu Linz und einigen anderen Orten in Oberösterreich.

164 Forschungsraum Kürnberg: Neue Erkenntnisse über ur- und frühgeschichtliche Bodendenkmale

Von Christian Steingruber

Die Abhandlung „Die Kürnberg- elliptische Form; Wallhöhe: 1–3 m, umwallte burg – Ur- und frühgeschichtliche Denk- Fläche: 0,5 ha. male am Kürnberg“ (2003)1 hat Impulse Archäologische Untersuchung: Söllinger (1880er- gesetzt, die diesen von der Fachwelt jahr- Jahre). Funde: Keramikscherben. zehntelang weitgehend unbetreuten For- Verbleib: Studiensammlung des Linzer Stadt- schungsraum wieder verstärkt in den Fo- museum Nordico. kus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit Lokalisation: Donauleiten. treten ließen. Exkursionen mit Archäolo- Verortung: KG , MG Wilhering, VB gen, Historikern, Geologen und anderen Linz-Land. Spezialisten erbrachten seither eine er- Die Kleine Burg, die heutzutage freuliche Reihe neuer Erkenntnisse. Ei- meist „Gugerl“2 genannt wird, ist ein el- nige Bodendenkmale, die als abgekom- liptisch geformtes Hochplateau in der men galten, wurden dank der Hinweise Donauleiten. Die in Wilheringer Urkun- von Heimatforschern lokalisiert, bei der den des 12./13. Jh. mehrfach genannte Aufarbeitung historischer Quellen kam „Burchecke“ dürfte mit der Kleinen Burg es zu einer engen Zusammenarbeit mit identisch sein.3 dem Oö. Landesarchiv, dem Oö. Lan- desmuseum und dem Museum der 1 Christian Steingruber, Die Kürnbergburg. Oö. Stadt Linz/Nordico. Heimatblätter, Heft 3/4, 57. Jahrgang, Linz 2003, Kleinere archäologische Sondierun- S. 69–114. gen an den Wallburgen „G’schloß“ und 2 Der Name Gugerl dürfte sich von Gupf, Kogel, rundlicher Hügelgipfel, herleiten. „Gugerl“ zeitigten mittlerweile ebenfalls 3 In der bekannten Literatur über den Kürnberg bemerkenswerte Resultate. Mehrere wurde die Burchecke mit der rechtwinkeligen Denkmale, die in der Abhandlung von Abzweigung des habsburgischen Wildzaunes 2003 nur kurz erwähnt worden waren „Bannwall“ im Quellgebiet des Friedgrabens, (etwa die römische Militärziegelei bei nahe dem sogenannten Dreischrankengattern, gleichgesetzt. An dieser Lagestelle ist aber bis Fall, der römische Gutshof in der Krift auf den habsburgischen Wildzaun, der im 12./ oder die St.-Achatius-Kirche in Edrams- 13. Jh. noch gar nicht existiert haben kann, kein berg), wurden unter Berücksichtigung Bauwerk feststellbar. Der einzig markante Ort neuerer Forschungsergebnisse ihrerseits im Tal des Friedgrabens, auf den die Bezeich- frisch aufgearbeitet. nung „Burchecke“ zutreffen könnte, ist die „Kleine Burg“. Offenbar war diese alte Befesti- gung schon den Klosterschreibern aufgefallen; Gugerl (Kleine Burg) mangels genauerer Kenntnisse hat man sie als „Burch“ (Burg) bezeichnet. Die „Ecke“ wie- Art des Denkmals: Ringwall, Höhensiedlung. derum lässt sich dadurch erklären, dass der Zeitstellung: Frühbronzezeit (Neuzeit). Friedgraben und somit auch der Grenzverlauf Heutiger Zustand: relativ gut. unterhalb des Gugerls seine Richtung in einem Kurzbeschreibung: urgeschichtlicher Ringwall; scharfen Winkel ändert.

165 Die an drei Seiten durch Steilabfälle zu Donau, Friedgraben und Schwarzgra- ben geschützte Lagestelle prädestinierte das Gugerl als Wehranlage. Ein Quellen- bereich im Südwesten gewährleistete zu- dem die Wasserversorgung. Dieses Hochplateau wird durch ei- nen zweifachen Ringwall gesichert. In Richtung Donautal ist der Ringwall nicht verifizierbar; stattdessen dehnt sich hier der habsburgische Wildzaun „Bann- wall“, der vom Friedgraben quer übers Gugerl in Richtung Schwarzgraben und weiter führt. Offenbar wurden beim An- legen des Bannwalles im 16. Jh. Teile des Ringwalles eingeebnet.4 Um das Rätsel der Wallanlage am Gugerl zu lösen, hatte P. Bernhard Söl- linger, Archivar im Stift Wilhering, in Gugerl: frühbronzezeitliches Henkelgefäß (Ampho- re). Foto: C. Streingruber den 1880er-Jahren eine Grabung durch- geführt, über deren Ergebnisse leider dem Friedgraben, ein Baum durch eine Sturmbö nichts bekannt ist. Die Spuren dieser ers- entwurzelt. Im Erdreich der mächtigen Baum- ten Sondierung am Gugerl sind jetzt wurzeln waren Keramikscherben enthalten, de- noch sichtbar.5 ren markanteste Stücke frühbronzezeitliche For- Im 20. Jh. wurde das Gugerl, ohne men aufweisen. jede wissenschaftliche Abstützung,6 ge- Das Gesamtgewicht der geborgenen Frag- meinhin als mittelalterlicher Hausberg7 mente beträgt ca. 3,5 kg. Darunter erwähnens- interpretiert. Bei einer Begehung im Frühjahr 2003 bemerkte der Verfasser ur- 4 Ernst Fietz meint, dass beim Anlegen des Bann- geschichtliche Tonscherben, die in einer walls „alte Wallanlagen benutzt“ wurden, insbe- Windwurfgrube zum Vorschein gekom- sondere bei der Burchecke und beim Gugerl men waren. Nach einer Begutachtung im (vgl. Fietz 1967, S. 40 f.). Dies dürfte unrichtig sein, es lassen sich im gesamten Verlauf keine Sommer 2003 durch Archäologen des Anhaltspunkte finden, wonach der Bannwall Bundesdenkmalamtes, des Museums ur- oder frühgeschichtliche Wälle zur Basis hat. der Stadt Linz und des Institutes für Ur- 5 In Benesch’ Planskizze ist die Grabungsstelle und Frühgeschichte an der Universität als „1–2“ eingezeichnet. Benesch 1910, Fig. 7, Wien verfasste Erwin M. Ruprechtsber- S. 162. 6 Menghin 1923, S. 27. Reitinger 1968, S. 475. ger (Nordico) 2006 einen Fundbericht 7 Der Begriff „Hausberg“ bezeichnet Turmhügel- über das frisch gesammelte Material, burgen aus einem künstlich aufgeschütteten den er für diesen Beitrag dankenswerter Hügel, der von einem oder mehreren Wällen Weise zur Verfügung gestellt hat: bzw. Gräben umgeben ist. Solche Anlagen ent- standen hierzulande vor allem im 11. und 12. Jh. „Im Kürnberger Wald wurde im Bereich (vgl. Dehio-Handbuch Oberösterreich, Band 1, der ,Kleinen Burg‘, des sog. ,Gugerls‘ nächst Mühlviertel, Wien 2003, S. XXV).

166 wert sind Randbruchstücke mit Knubben und Henkelansatz, solche mit horizontaler Wulst- auflage mit Einkerbzier oder mit eingestochenen Kreismotiven, das kleine Fragment eines Siebge- fäßes mit dichtem Lochbesatz (Dm der Löcher ca. 0,2 cm) und einige Wandscherben mit senkrecht eingekerbten Strichverzierungen. Ein bauchiges Henkelgefäß konnte auf ca. 1⁄3 des ursprünglichen Bestandes aus kleinen Fragmenten zusammengesetzt werden. MdsDm ca. 7,5 cm. Erhaltene Höhe ca. 17 cm. Die erwähnten Verzierungen und Formen finden Entsprechungen im Fundbestand aus der ehemaligen Lehmgrube Reisetbauer am Linzer Froschberg und vom Linzer Hauptplatz (J. Rei- tinger, Linz – Reisetbauer und St. Florian am Inn. Ein Beitrag zur frühen Bronzezeit Ober- österreichs: ArchA 23, 1958, 1–50. E. M. Ruprechtsberger, Frühbronzezeitliche Keramik vom Linzer Hauptplatz, Linz 1979). Plan des Ringwalles auf dem Gugerl (Ludwig Be- nesch, 1910). Original: Oö. Landesmuseum Ein Fragment hat allerdings keinerlei Pen- dant. Es ist dies ein flaches Bodenstück (Dm ca. 8cm)mitschrägnachobenansteigendemWan- G’schloß dungsansatz. Eine Ausbuchtung des Bodens Art des Denkmals: Wallburg, Burgstall. weist eine runde Ausnehmung auf (Dm Zeitstellung: Bronzezeit, Hochmittelalter. 0,7 cm). Funktion und Form sind derzeit unbe- Heutiger Zustand: durch rezente Forststraße kannt und wohl auch singulär. beschädigt. Kurzbeschreibung: Abschnittsbefestigung im Sämtliche Funde sind in der Studiensamm- Zwiesel Donau – Hainzenbach; Kernwerk: lung des Nordico – Museums der Stadt Linz.“ 30 « 70 m; mit 3 Wallgräben gesichert; im Vorbereich ein 4. Wallgraben. Der Fundkomplex ist jedenfalls so zu Archäologische Untersuchung: Oö. Landesmu- interpretieren, dass auf dem Höhenpla- seum (2001). teau des Gugerls eine Siedlung der frü- Funde: Keramikscherben, gebrannter Lehm, hen Bronzezeit bestanden hat. Der dop- Holzkohle, Bronzenadel. pelte Ringwall dürfte ebenso dieser Epo- che zuzuordnen sein. Die ursprünglich angenommene „jungsteinzeitliche Sied- 8 Abschließend muss man noch erwähnen, dass das denkmalgeschützte Gugerl bei Auffors- lungsstufe“ hat sich nicht bewahrheitet. tungsarbeiten im Sommer 2006 erheblich be- Ergänzende wissenschaftliche Explo- schädigt wurde. Dies ist umso bedauerlicher, als die Forstverwaltung des Stiftes Wilhering rationen sind vorgesehen, mangels an Fi- anlässlich einer Begehung im Jahr 2004 zuge- nanzmitteln aber auf unbestimmte sagt hatte, die ur- und frühgeschichtlichen Dauer verschoben.8 Denkmale des Kürnberges „zu schonen“.

167 Verbleib: Oö. Landesmuseum, Studiensamm- wo man die Zerstörung schlichtweg zur lung des Nordico, Privatsammlung Krems- Kenntnis nehmen musste, da das lehner. G’schloß nicht unter Denkmalschutz Lokalisation: Donauleiten, Mündung Hain- steht.9 zenbach in die Donau. Verortung: KG Holzheim, SG , VB Immerhin entschied man sich beim Linz-Land. Oö. Landesmuseum in Zusammenarbeit mit dem Institut für Ur- und Frühge- Die hohe felsige Kuppe östlich der schichte an der Universität Wien zur Do- Mündung des Hainzenbaches in die Do- kumentation des größeren der zwei an- nau, gegenüber Schloss , geschnittenen Wälle, welcher zugleich durchziehen mehrere mächtige Wallgrä- der innerste ist. Hierzu wurden zwei Stu- ben. Der Volksmund nennt die Lage- fen in den ca. 4,5 Meter hohen Wall ein- stelle das „G’schloß“, weil man hier seit gearbeitet, wodurch 3 Profile entstanden, jeher ein versunkenes Schloss vermutet die erfasst wurden. Dabei kamen wieder hat. urgeschichtliche (bronzezeitliche) Re- Im Sommer 2001 bemerkte der Ver- likte zutage, außerdem wurde Holzkohle fasser, dass beim Bau einer Forststraße aus unterschiedlichen Brandschichten die inneren Wälle und das Kernwerk er- geborgen. heblich beschädigt worden waren – das Die an der Basis des innersten Walls Abraummaterial wies in Hülle und Fülle entdeckte, größere Steinpackung10 lässt urgeschichtliche Tonscherben auf! Der auf eine befestigte Siedlung der Bronze- Verfasser alarmierte daraufhin das Oö. zeit schließen. Im frühen Hochmittelalter Landesmuseum und das Linzer Nordico, wurde der strategisch hervorragende Platz offenbar für den Bau einer Holz- burg wiederbenutzt. Die Verziegelung an der Krone des Walles indiziert wahr- scheinlich eine mit Lehm beschmierte, durch Kriegseinwirkung abgebrannte, Palisadenmauer. Die Funde lagern nun im Depot des Oö. Landesmuseums bzw. in der Studi- ensammlung des Nordico; eine Bronze-

9 Die Anlage der für die Denkmalpflege ungüns- tig trassierten Forststraße wurde vom Verf. in der Abhandlung 2003 (Oö. Heimatblätter, Heft 3/4) irrtümlich der Forstabteilung des Stiftes Wilhering unterstellt. Laut Fundbericht von Oliver Rachbauer, Institut für Ur- und Frühge- schichte an der Universität Wien, gehört das Waldstück der Fam. Schoißengeyr aus Wilhe- ring, die auch den Bau der Forststraße veran- Die Wallburg G’schloß. Plan von L. Benesch, lasst haben dürfte. 1910. Original: Oö. Landesmuseum 10 Freundliche Mitteilung von Oliver Rachbauer.

168 nadel (vermutlich aus der Frühbronze- dert wurde, ist noch ungeklärt. Ebenso zeit) kam in die Privatsammlung von die Frage der Datierung, zumal die Ab- Karl Kremslehner, St. Pantaleon. baumethoden von der Jüngeren Stein- Die weitere wissenschaftliche Unter- zeit bis ins Mittelalter sehr ähnlich wa- suchung bzw. die Unterschutzstellung ren. des beachtlichen Bodendenkmales Archäologische Untersuchungen „G’schloß“ sind in Aussicht genommen, gleichartiger Pingen im nahen Bayern beides konnte jedoch, wie gehabt aus fi- haben ergeben, dass man in diesen Gru- nanziellen Gründen, noch nicht realisiert ben zur Keltenzeit bzw. im Frühmittelal- werden. ter sogenanntes Raseneisenerz gewann13 – in der strengeren Auslegung des Be- Pingenfeld „In den Grüben“ griffes kein eigentliches Erz, sondern eine Absonderung von Eisen an der Art des Denkmals: Pingen. Oberfläche nasser und mooriger Ge- Zeitstellung: ur- und frühgeschichtlich. Heutiger Zustand: gut (2003), ab 2004 aufge- biete. Da der Südostabhang des Kürn- forstet und teilweise mit Holzschutt verfüllt. berges früher sehr sumpfig war (überlie- Kurzbeschreibung: ca. 60 Pingen (Schürf- fert ist der Flurname „Rosssumpf“), bzw. Entnahmegruben); Durchmesser: ca. könnte es auch hier zur Absonderung 5–10 m, Tiefe: ca. 1–3 m. Archäologische Untersuchung: ?? Funde: ?? 11 Der Begriff „Wohngrube“ entspringt einer Inter- Lokalisation: 0,5 km südöstlich des Gipfels pretation aus dem 19. Jh. und der damaligen (Kote 526 m). Vorstellung, die Menschen hätten in solchen Verortung: KG Wilhering, MG Wilhering, VB Löchern gehaust. Die moderne archäologische Linz-Land. Forschung hat ergeben, dass eingetiefte Sied- lungsobjekte immer auf Wirtschaftsbauten ver- Die Annahme des Verfassers, dass es weisen, die zwischen den oberirdischen Wohn- sich bei den trichterförmigen Gruben bauten angelegt waren. Die Deutung der Gru- ben als „Bombentrichter“ ist v. a. deshalb rund- nahe dem Gipfelplateau, die bis in die weg abzulehnen, weil diese anders aussehen jüngste Zeit als „Wohngruben“ bzw. und die Gruben bereits in einer Planskizze von „Bombentrichter des 2. Weltkrieges“ Ludwig Benesch aus dem Jahre 1910 (!) einge- missdeutet worden waren,11 um soge- zeichnet sind. 12 nannte „Pingen“ handelt,12 konnte bei Im heutigen Sprachgebrauch steht der berg- männische Begriff „Pinge“ (Binge) für einen bei Begehungen mit den Fachleuten Franz Bergbauarbeiten, meist durch den Einsturz alter Gillmayr (Nordico), Heinz Gruber (Lan- Tiefbaugruben, entstandenen Einbruchtrichter. deskonservatorat für OÖ), Hubert Press- Ursprünglich bezeichnete der Terminus jedoch linger (Metallurgische Abteilung der die Tätigkeit des „Pingens“ (= „Aufschürfens“). Voest Alpine), Erwin M. Ruprechtsber- Ein „aufgepingter“ Gangzug war eine im ober- flächennahen Bereich aufgeschürfte Ganglager- ger sowie Peter Trebsche (Institut für Ur- stätte. Unter „Pinge“ verstand man früher also und Frühgeschichte an der Universität zugleich einen Schurf, ein tagebauartiges, pri- Wien) bestätigt werden. mitives Bergwerk. Es liegen eindeutige Anzeichen für 13 Klaus Schwarz, Zur spätlate`nezeitlichen und mittelalterlichen Eisenerzgewinnung auf der primitive, tagebauartige Bergbautätig- südlichen Frankenalb bei Kehlheim. Jahresbe- keit vor. Welches begehrenswerte Mate- richt der bayerischen Bodendenkmalpflege 6/7, rial bzw. Mineral in den Pingen geför- 1965/66, S. 35–66.

169 von Raseneisenerz gekommen sein. Die ort konnte jedoch lokalisiert werden: nassen Flächen verschwanden erst mit Südwestlich der Ortschaft Aichberg er- der Anpflanzung von Fichten-Monokul- streckte sich ein bewaldeter Hangsporn, turen.14 der durch einen Abschnittsgraben Manche Wissenschafter indes deu- (Spitzgraben) vom Hinterland abgerie- ten die Pingen als Entnahmegruben, die gelt war. Für den Sachverständigen Ernst Material (etwa Lehm) zur Errichtung des Fietz stellt das Erdwerk den Überrest ei- Ringwalles bzw. von Wohnbauten liefer- ner römischen Wachtstation dar, welche ten. Der Lehm mochte dazu gedient ha- die Straße zum Wachturm am Hirschlei- ben, die Außenseite der Ringwallbefesti- tengraben zu sichern hatte; darob habe gung zu verkleiden, um ihr ein repräsen- sich die Bezeichnung „Römischer Spitz- tatives Aussehen zu geben. (Eine solche graben“ eingebürgert. Römische Funde Verkleidung konnte beim sogenannten fehlen aber gänzlich; ein 1932 im Spitz- Keltenwall am Linzer Freinberg archäo- graben gefundener Mühlstein stammt logisch verifiziert werden15). Sollte sich aus dem Mittelalter. diese zweite Hypothese bewahrheiten, Franz Brosch17 und Norbert Grab- behielte der Terminus „Pinge“ natürlich herr18 deuteten das Erdwerk als mittelal- nicht minder Gültigkeit. terlichen Sitz. Wilheringer Urkunden Eine geplante, detaillierte archäologi- von 1335 und 1357 nennen tatsächlich sche Untersuchung der Kürnberger Pin- ein ritterbürtiges Geschlecht zu Alhar- 16 gen durch das Linzer Nordico schei- ting, das hier gesessen sein dürfte. terte bislang . . . am lieben Geld.

Burgstall Aichberg 14 Freundliche Mitteilung von Altförster Leo Wie- („Römischer Spitzgraben“) ser (Leonding). Art des Denkmals: Burgstall (Hausberg) 15 Erwin M. Ruprechtsberger, Archäologiesom- Zeitstellung: Spätmittelalter. mer 1995 – Vom Linzer Raum nach Bibracte Heutiger Zustand: von Sandgrube zerstört. (Burgund). Linzer Archäologische Forschun- Kurzbeschreibung: Hangsporn mit Abschnitts- gen. Sonderheft XV, Linz 1996, S. 4. 16 graben. Erwähnenswert ist noch, dass in dem 2007 er- Archäologische Untersuchung: ?? schienenen Buch „Der Kürnbergwald“ von D. Funde: Mühlstein aus feinkörnigem Feldspat- Gelbmann die Annahme alter Bergbautätigkeit am Kürnberg heftig in Abrede gestellt bzw. so- Sandstein (Dm 87,5 cm, Dicke 13,5 cm). gar ins Lächerliche gezogen wird. Eine sachlich Verbleib: Oö. Landesmuseum (Technische fundierte Erklärung für die Entstehung der Gru- Abteilung). ben kann der Autor jedoch nicht anbieten, er Lokalisation: ca. 0,1 km südwestlich der Ort- spricht nur von „Was-Weiß-Ich-Gruben“. Da schaft Aichberg. Flurname Burgstallland. Gelbmann, wie er selbst einräumt, von Archäo- Verortung: KG Holzheim, SG Leonding, VB logie nicht viel versteht, wäre es besser gewe- Linz-Land. sen, diesen Kommentar zu unterlassen und die geplante, weiterführende wissenschaftliche Un- Das Bodendenkmal wurde ab 1932 tersuchung der Pingen nicht a priori zu diffa- durch den Bau einer Sandgrube syste- mieren. 17 Franz Brosch, Litzlburg und Lützlburg. Oö. matisch und komplett abgetragen, eine Heimatblätter, Heft 4, 1. Jahrgang, Linz 1947, S. archäologische Sondierung ist daher 289 ff. nicht mehr möglich. Der frühere Stand- 18 Grabherr 1975, S. 76.

170 Römische (?) Quellfassung Hinterbrühl Archäologische Untersuchung: Benesch (1900/01). Art des Denkmals: Fundort einer Quellfassung. Funde: Keramikscherben, Asche, Tierkno- Zeitstellung: Römerzeit (?). chen. Heutiger Zustand: durch Sandgrube zerstört. Verbleib: Burgmuseum Reichenstein f Oö. Kurzbeschreibung: Quellfassung aus Ziegelma- Landesmuseum, Privatsammlungen (die terial. Archäologische Untersuchung: ?? Funde von Benesch sind verschollen). Lokalisation: 0,8 km nordöstlich der Pfarrkir- Funde: Ziegel. che Dörnbach bzw. 0,2 km nordwestlich des Verbleib: Oö. Landesmuseum. Bauernhauses „Schneiderbauer“ (Schneider Lokalisation: Hinterbrühl, ca. 0,6 km westlich in Kürnberg). der O. Alharting. Verortung: KG Rufling, SG Leonding, VB Verortung: KG Leonding, SG Leonding, VB Linz-Land. Linz-Land Walter Aspernig kam in seiner Dis- Auch die Lagestelle dieses nicht sertation „Die Geschichte des Kürnbergs mehr vorhandenen Denkmals war, dank bei Linz“ zu dem Schluss, dass am Kürn- eines freundlichen Hinweises von Karl berg bei Wilhering kein gleichnamiges Götzendorfer (Leonding), lokalisierbar. Rittergeschlecht existiert habe; die in Zur Fundgeschichte: 1950 meldete der Wilheringer Urkunden des 12. Jh. ge- Heimatforscher Karl Karning dem Oö. nannten Kürnberger seien Bauern gewe- Landesmuseum die Aufdeckung einer sen, die auf einem Gut gehaust hätten. merkwürdigen Anlage in Alharting, ge- Die Errichtung der gleichnamigen Burg nauer in der Hinterbrühl am Fuße des wurde von Aspernig für etwa das Jahr Kürnberges, etwa 50 Meter über dem 1280 unter Konrad von Kapell angenom- vom Kürnberg herabkommenden Quiri- men; vorher hätte es weder eine Burg bach. Die Untersuchung durch den Prä- noch eine Herrschaft Kürnberg gege- historiker Franz Stroh ergab einen am ben.21 Aspernigs Auffassung war für die ehesten als Quellfassung interpretierba- lokale Heimatforschung bis in die jüngs- ren Bodeneinbau aus römischem Ziegel- te Vergangenheit offiziell verbindlich, material. Ob der Fundkomplex, der auch obwohl sich da und dort längst Zweifel Imbrices19 freigab, aus römischer oder regten. So gelangte Alois Zauner (Oö. nachrömischer Zeit stammt, konnte da- Landesarchiv) schon 1981 in einer wis- mals nicht entschieden werden.20 Die senschaftlich profunden Abhandlung zu Quellfassung ist in den 1960er-Jahren differenzierteren Resultaten.22 Fazit: be- durch die Sandgrube der Fa. Wibau lei- reits der 1140/1147 genannte Konrad der zerstört worden. von Kürnberg, der von Aspernig am Kirnberg bei Rudling23 lokalisiert wurde, Burg Kürnberg 19 Art des Denkmals: Imbrices (lat.); als Deck- oder Firstziegel Be- Erdsubstruktion einer Burg. standteil der Dachdeckung, manchmal auch für Zeitstellung: Hoch- oder Spätmittelalter. Abflussrinnen verwendet. Heutiger Zustand: mittelmäßig. 20 Jahrbuch des Oö. Musealvereines, 95. Band, Kurzbeschreibung: stark verworfene Erdsub- Linz 1950, S. 20. struktion einer mittelalterlichen Burg auf 21 Aspernig 1968, S. 44 ff. Hangsporn, im Zwiesel zweier Bäche; ovaler 22 Zauner 1981, S. 150 ff. Grundriss; Ausmaß: ca. 100 « 50 m. 23 OG. Hinzenbach, VB Eferding.

171 ist mit großer Sicherheit am Kürnberg scheint dann 1161 in einer Urkunde Abt bei Wilhering ansässig gewesen. Dieser Gebhards II. von Wilhering unter den Konrad von Kürnberg gehörte jedenfalls „kleinen ritterlichen Leuten“ auf. Nach dem niederen Ritteradel an, da der dem Aussterben der Kürnberger gegen Hochfreie Ulrich von Wilhering gewiss Ende des 12. Jh. wechselte der Sitz Kürn- keinen Bauern als Zeugen einer Kirchenschen- berg vermutlich ins Eigentum des Minis- kung ins obere Mühlviertel geholt hatte. terialen Ernst von , der sich auch Konrad saß vermutlich auf einem Her- Ernst von Kürnberg nannte. Der Ausbau rensitz, der auf dem Hangsporn nord- des Sitzes Kürnberg zur Feste erfolgte westlich des Bauernhofes „Schneider in vor 1286 unter Konrad von Kapell. Nach Kürnberg“ zu lokalisieren ist.24 Konrads Tod um 1315 ging der Besitz an Um 1155 urkundet Gerold von die Kapeller von . Diese ließen Kürnberg als Grundnachbar des Klos- Burg und Herrschaft Kürnberg durch ters Wilhering. Ein Walter von Kürnberg Pfleger verwalten. Nach dem Aussterben des letzten männlichen Kapellers um die Jahre 1406 / 07 gelangten Burg und Herr- schaft an die Liechtensteiner. 1426 wird die Burg zum letzten Mal urkundlich er- wähnt. Die Annahme des Verfassers, wo- nach die Feste Kürnberg in der Liechten- steiner Fehde25 zerstört wurde, lässt sich derzeit wissenschaftlich nicht beweisen, gewinnt aber eine gewisse Erhärtung

24 Die Annahme, an der Lagestelle der Kapel- ler’schen Feste habe ein Vorgängerbau existiert, wird durch Keramikscherbenfunde untermau- ert, die dem 11. bis 12. Jh. zuzuweisen sind (Da- tierung durch Restaurator Franz Gillmayr, Nor- dico). Ins 11. bis 12. Jh. verweisen auch die von Altförster Leo Wieser (Rufling) aufgefundenen Keramikscherben mit Bodenzeichen („Sonnen- symbole“). Der Gebrauch von Bodenzeichen verschwand im 13. Jh. 25 In dieser Fehde sagte Christoph von Liechten- stein, unterstützt durch Graf Wolfgang von Schaunberg, Kaiser Friedrich III. den Kampf an. VonseinenfestenBurgenSteyregg,Ottens- heim, Waxenberg, Reichenstein und Kürnberg aus führte der Liechtensteiner seine Kriegszüge, zerstörte landesfürstliche und passauische Be- Die Burg Kürnberg hat Ludwig Benesch 1910 eben- sitzungen und belagerte 1476/77 den Kaiser in falls in einer hervorragenden Grundrisszeichnung dessen späterer Residenz, der Burg zu Linz. Vgl. minuziös festgehalten. Fritz Mayrhofer u. Willibald Katzinger, Ge- Original: Oö. Landesmuseum schichte der Stadt Linz. Linz 1990, S. 58 ff.

172 durch die archäologischen Untersuchun- Kürnberg, „Seeberg“ und die „Mappa gen, die Ludwig Benesch schon 1901 am Geographica“desL.F.v.Rosenfelt Burghügel vorgenommen hat. Benesch entdeckte eine massive Brandschicht mit In D. Gelbmanns Buch „Der Kürn- Tonscherben, Asche und Tierknochen.26 bergwald“ (s. Fußnote 16) taucht – wie- Es kann also zumindest davon ausge- der einmal – die These auf, der authenti- gangen werden, dass die Feste im 15. Jh. sche Name der Burg Kürnberg wäre durch einen Brand zerstört wurde. „Seeberg“. Seit Müllner, Neweklowsky, Grabherr, Aspernig und Zauner sind Unverändert umstritten ist, ob Kai- sich die Burgen- und Geschichtsforscher ser Maximilian I. für sein Jagdschloss mehrheitlich darin einig, dass die Anlage Neu-Sachsenburg in Neubau Material zu allen Zeiten Kürnberg und nicht an- von der niedergebrannten Burg ab- ders hieß. Die vereinzelte „Seeberg“- zweigte. Da der letzte Rest des Jagd- Befürwortung geht im Wesentlichen auf schlosses, das sogenannte Kellerstöckl, den Heimatforscher Karl Karning aus vor einigen Jahren demoliert wurde, Leonding zurück. Dieser hatte um 1937 steht Mauerwerk für Vergleichszwecke im Oö. Landesmuseum eine alte, ver- leider nicht mehr zur Verfügung. meintlich schweinslederne Landkarte Aspernig meint, es wäre „unwahr- aufgestöbert, die am Standort der Burg scheinlich, wenn nicht überhaupt un- Kürnberg beim Bauernhof „Schneider- möglich“, dass Maximilian durch Wilhe- bauer“ ein Schloss „Seeberg“ eingezeich- ringer Untertanen für den Schlossbau net trägt. In der Meinung, das Karten- Material von der Burg wegführen ließ, werk stamme aus dem 15./16. Jh., be- sei sie doch damals (um 1518) noch im trachtete er es als seriöse mittelalterliche Besitz der Liechtensteiner gewesen.27 Quelle. Heute wissen wir, dass Karning Aspernig vernachlässigt in seinen Über- eine Karte aus der ersten Hälfte des legungen freilich die Auswirkungen der 18. Jh., und zwar die pergamentene (!) Liechtensteiner Fehde, die letztlich mit „Mappa Geographica“ des Leopold der Niederlage des Christoph von Liech- Franz von Rosenfelt vor sich hatte, in der tenstein endete. Dieser verlor um 1492 u. a. Rufling und dessen nähere Umge- den Pfandbesitz über die Herrschaft Ot- bung beschrieben werden. Die prächtige tensheim,28 ab 1512 dürfte er auch der Darstellung des Schlosses entspringt rei- Herrschaft Kürnberg mitsamt dem ner Fantasie; auf dem Hügel beim Wildbann verlustig gegangen sein; le- „Schneiderbauer“ waren im 18. Jh. nach- diglich der „Schneiderbauer“ verblieb weislich nur noch Ruinen vorhanden. (L. bei den Liechtensteinern. F. v. Rosenfelt war im Fortifikationsbau Dagegen, dass Maximilian I. die ab- gebrannte Burg Kürnberg als Material- depot verwendete, spricht umso weni- 26 Ludwig Benesch, Das Kürnberg-Rätsel. Unter- ger, als zahlreiche Entnahmegruben am haltungsbeilage der Linzer Tagespost, Linz 1901, Nr. 46–48. Burghügel emsige Steinbruchtätigkeit 27 Aspernig 1968, S. 73. verraten und sogar Grundmauern her- 28 Norbert Grabherr, Burgen und Schlösser in ausgerissen sind. Oberösterreich. Linz 1970, S. 26.

173 tätig und Kartograph in den Diensten Einsichten29 untermauert. (Benesch hatte Prinz Eugens. Ansonsten weiß man von das Erdwerk als „Sperrfeste F“30 bezeich- ihm nur wenig). net, in der Heimatforschung ist es, we- Nach vorherrschender wissenschaft- gen seiner Nähe zum heute nicht mehr licher Auffassung handelt es sich bei der bestehenden Bauernhof „Wagner am Bezeichnung „Seeberg“ um einen von Berg“, auch als „Randbefestigung Wagner der einheimischen Bevölkerung benutz- am Berg“ geläufig). ten Vulgonamen, abgeleitet von dem Erste Indizien, wonach es sich bei Höherücken südlich der Anlage. Derar- dieser Wehranlage um die 1189 urkund- tige Namensabwandlungen sind hierzu- lich genannte Burg Mühlbach handelt, lande gang und gäbe, man denke z. B. an lieferte schon der Forscher Norbert Burg Haichenbach, die im Volksmund Grabherr, doch diesem unterliefen bei nach einem nahen Bauernhof „Kersch- den Verortungsangaben erhebliche Feh- baumer-Schlössl“ heißt. (Übrige Doku- ler, weswegen der Eindruck entstand, er mente oder Publikationen, in denen der hätte eine andere Burg gemeint.31 Dank Begriff „Seeberg“ vorkommt, sind nicht der urkundlichen Erhebungen, die Alois bekannt.) Zauner für das Oö. Landesarchiv durch- geführt hat, sind zum Rittergeschlecht der Mühlbach nun neue erhellende Fak- Burg Mühlbach ten verfügbar: Art des Denkmals: Erdsubstruktion einer Burg. 1159 werden, anlässlich von Grund- Zeitstellung: (Bronzezeit), Hochmittelalter. Heutiger Zustand: durch rezente Forststraße stückstauschverhandlungen, ein Konrad beschädigt. von Mühlbach und dessen Bruder Wal- Kurzbeschreibung: Abschnittsbefestigung auf ter als Passauer Ministeriale genannt. In Hangsporn; Größe des Kernwerkes: ca. 50 « einer Urkunde des Abtes Gebhard II. 15 m; im SO ein mächtiger, doppelter Wall- von Wilhering wird Konrad dann noch- graben; im NW ein einfacher Wallgraben; mals als Passauer Ministerial angeführt. rund um das Erdwerk eine Hangstufe. Das Wilheringer Stiftsbuch von 1244– Archäologische Untersuchung: ?? 54/57 wiederum erwähnt Konrad als Funde: Keramikscherben. Verbleib: Burgmuseum Reichenstein f Oö. Ministerial der Wilhering-Waxenberg, Landesmuseum, Studiensammlung des Nor- möglicherweise gab es ein doppeltes dico. Dienstverhältnis. Lokalisation: 0,8 km nördlich der Burg Kürn- Konkret scheinen in der Grenzbe- berg bzw. 0,7 km südöstlich des Bauernhofes „Hackl am Berg“. schreibung anlässlich eines Grund- Verortung: KG Rufling, SG Leonding, VB stückstausches (zwischen dem Kloster Linz-Land. Wilhering und Pfarrer Pilgrim von Schö- nering) „Dominus Konrad von Mühl- Die Mutmaßung des Verfassers, dass die gesuchte Burg Mühlbach mit der von Ludwig Benesch 1910 entdeckten 29 Zauner 1981, S. 151 f. Die Planskizze auf S. 189 basiert allerdings noch auf den falschen Veror- Wehranlage im sogenannten Steyregger tungsangaben von Norbert Grabherr. Wald am Kürnberg-Westhang identisch 30 Benesch 1910, Fig. 13, S. 173 f. ist, wird durch jüngste wissenschaftliche 31 Grabherr 1975, S. 80.

174 bach“ sowie dessen Burg auf.32 Aus dem Auf einem Felsenkopf hoch über der Tauschvertrag, zwischen Konrad v. Donau, an einem alten Flussübergang, Mühlbach und dem Kloster zwischen thronte im 11./12. Jh. der Stammsitz der 1189 und 1201 abgeschlossen, geht her- hochfreien Herren Wilhering-Waxen- vor, dass Konrad seine Güter in Mühl- berg, die Burg Wilhering. Leider ist von bach und Kürnberg gegen Besitztümer jener bedeutenden Anlage fast nichts in „Durinstetin“ einwechselt.33 Nach er- mehr erhalten; lediglich die Erdsub- folgtem Tauschhandel taucht Konrad struktion ist noch heute, zwischen der um 1206 unter den Pfarrangehörigen Bäckerei Wilflingseder und dem Gast- von Gramastetten auf. Seine Linie er- haus „Donaualm“, in Ansätzen erkenn- baute dann vermutlich die kleine Burg bar. Mühlberg, die 1270 mit Dietmar von Auch zur Geschichte dieses Ge- Mühlberg urkundlich erwähnt wird.34 schlechtes hat Alois Zauner intensive und präzise Forschungen angestellt: Der Das Ende der Burg Mühlbach am häufig zitierte „Alram von Wilhering“ wird Kürnberg liegt im Dunkel der Ge- nur im gefälschten Stiftsbrief des Non- schichte; höchstwahrscheinlich ist die nenklosters Erla erwähnt und ist daher Feste nach dem Grundstückstausch um besser zu streichen. Als ältester Vertreter das Jahr 1200 verlassen worden.35 des Geschlechtes beglaubigt ist „Aribo de Eine wissenschaftliche Untersu- Wilheringen“, der in den Traditionen des chung und Unterschutzstellung der letz- Klosters Vornbach unter zahlreichen ten Reste von Burg Mühlbach wäre Vertretern des Formbacher Grafenge- umso wünschenswerter, als sich in die- schlechtes zusammen mit Bernhard von sem Bereich auch eine bronzezeitliche Aschach auftritt. Siedlung oder Befestigung befunden ha- Als Herrschaftssitz des Aribo gilt ben dürfte, deren Erforschung interes- Burg Wilhering, die vermutlich in der sante Aufschlüsse verspräche. zweiten Hälfte des 11. Jh. erbaut wurde (als „Castrum“ urkundlich erwähnt wird sie allerdings erst um 1146/49). Burg Wilhering Art des Denkmals: Erdsubstruktion einer Burg. 32 „ . . . et decimas quas habuit infra viam, que de Zeitstellung: (Jungsteinzeit, Römerzeit), Hoch- domo domini Chunradi de Mulenbach Schon- mittelalter. heringen descendit et ascendit de eadem domo Heutiger Zustand: Lagestelle planiert bzw. in montem Churenberc.“ UBLOE 2, 314, Nr. überbaut. 213. Zauner 1981, S. 151. 33 Kurzbeschreibung: erhaltener Kernwerksbe- O. Türkstetten, MG Gramastetten, VB Urfahr- « Umgebung. reich ca. 25 35 m. 34 Archäologische Untersuchung: Rath (1932). Burgstall 0,4 km östlich des Bauernhofs „Groß- Mühlberger“ (KG und OG Lichtenberg, VB Ur- Funde: Keramikscherben, Teller, Topfkacheln. f fahr-Umgebung). Verbleib: Stiftssammlung Wilhering Oö. 35 Die im 14. Jh. urkundlich genannten Mühlba- Landesmuseum (?). cher (1307 Hertel von Mulbach; 1322 Gunther Lokalisation: Gasthaus „Donaualm“, Bäckerei von Edramsberg und sein pruder von Mulpach) Wilflingseder. dürften nicht mehr auf der Burg im Steyregger Verortung: KG Wilhering, MG Wilhering, VB Wald, sondern auf einem Gut im Mühlbachtal Linz-Land. gesessen sein.

175 Schon Aribo dürfte nördlich der Do- Bruders Tod das Erbe zugedacht war, nau Rodungen vorgenommen haben; starb um das Jahr 1214. Der dritte Bru- diese Rodungstätigkeit wurde ab 1100 der Heinrich, ursprünglich für eine geist- von Ulrich I. von Wilhering stark inten- liche Laufbahn bestimmt und als Pfarrer siviert. So gründeten Ulrich I. und seine von Gramastetten sowie Kanonikus von Gemahlin Otilia 1110 die Pfarre Grama- Bamberg bezeugt, trat in den Laienstand stetten, die durch den Passauer Bischof über und vereinigte den Besitz der ungesäumt den Rang einer Pfarre erhielt. Griesbacher und Wilhering-Waxenber- Um diese Zeit dürften auch die bedeu- ger in einer Hand. Heinrich starb um das tenden Burgen , Rotenfels Jahr 1221. und Waxenberg errichtet worden sein. Nach seinem Tod meldeten sowohl Ulrich II. und sein Bruder Cholo II. der Bischof von Passau als auch die Ba- betrieben in Wilhering die Gründung ei- benberger Ansprüche auf das reiche nes Zisterzienserklosters, die um 1146 Erbe an. Nachdem sich beide Parteien abgeschlossen war. Etwa gleichzeitig geeinigt hatten, fiel der gesamte Griesba- verlegten die Herren von Wilhering ih- cher Besitz westlich der Großen Mühl an ren Herrschaftssitz auf die wesentlich si- das Bistum; die Herrschaft Wilhering- cherere Burg Waxenberg inmitten ihres Waxenberg ging an das Haus Babenberg Rodungsbezirkes. über. 1147 brach Ulrich II. gemeinsam mit Erwähnenswert ist noch, dass im Markgraf Ottokar von Steyr zum zwei- Jahre 1932 P. Gebhard Rath, damals Ar- ten Kreuzzug auf, von dem er nicht mehr chivar und Bibliothekar am Stift Wilhe- zurückkehren sollte. Um 1150/51 starben ring, den Kernwerksbereich der ehedem die Wilhering-Waxenberg mit Cholo II. mächtigen Dynastenburg archäologisch im Mannesstamm aus. Schon bald nach untersuchte. Dabei wurden die 1,10 bis seinem Tod dürfte Burg Wilhering auf- 1,30 Meter starken Fundamente freige- gegeben worden sein. Beim Neubau des legt. Unter einer der Grundmauern fan- Zisterzienserklosters ab 1195 wurde sie den sich die Reste einer prähistorischen wahrscheinlich als Steinbruch verwen- Feuerstätte und an Keramik neben prä- det. historischen, römischen sowie mittel- Cholos Tochter Elisabeth, die das vä- alterlichen Fragmenten ein Teller aus terliche Erbe übernahm, heiratete um dem 11./12. Jh., ferner neuzeitliche Topf- 1170 Wernher von Griesbach, einen kacheln. Allem Anschein nach war der wichtigen Vertreter des in Bayern ansäs- strategisch ausgezeichnete Standort von sigen, hochfreien Geschlechtes. Der Ehe Burg Wilhering also schon in der römi- 36 entstammten drei Söhne: Walchun, schen Epoche und davor besiedelt. Cholo und Heinrich. Um das Jahr 1209 ist jenes tragische Neolithische Werkbank Ereignis anzusetzen, bei dem Walchun, der die Herrschaft Wilhering-Waxen- Art des Denkmals: Fundstelle der Jungsteinzeit. Zeitstellung: berg übernehmen sollte, „durch einen Jungsteinzeit. Pfeil durchbohrt wurde und starb“. Cholo von Griesbach, dem nach des 36 Rath 1937, S. 472 f.

176 Heutiger Zustand: Fundstelle einplaniert; Gra- Erratischen Naturblock (Naturdenkmal nitfindling vorhanden. des Landes OÖ, Nr. 27) an der gegen- Kurzbeschreibung: ?? über liegenden Straßenseite geschehen Archäologische Untersuchung: ?? ist. Funde: Flachbeil aus Serpentin, Tierknochen, Tonscherben, Kohle, Feuersteine. Verbleib: Oö. Landesmuseum. Keltischer (?) Ziegelofen Lokalisation: 0,4 km südlich des Gasthauses Art des Denkmals: Ziegel-, Back- oder Töpfer- „Donaualm“, knapp westlich des Transfor- ofen. mators bei Unterhöf; westlicher Fahrbahn- Zeitstellung: ? rand. Heutiger Zustand: Verortung: einplaniert. KG Wilhering, MG Wilhering, VB Kurzbeschreibung: ?? Linz-Land. Archäologische Untersuchung: ?? Funde: ?? Das Denkmal zählt zur Reihe jener, Lokalisation: Unterhöf, Linzer Straße 48. die dank der Hinweistätigkeit von Josef Verortung: KG Wilhering, MG Wilhering, VB Zankerl aus Wilhering – Zeuge der ar- Linz-Land. chäologischen Grabungskampagne im Zusammenhang mit dem Bau der Efer- Die Lagestelle des nicht mehr vor- dinger Bundesstraße 1934/35 – wieder- handenen Denkmals war ebenfalls auf entdeckt werden konnten. Im Frühsom- eine Mitteilung von Josef Zankerl hin mer 2006 wurde es von Erwin M. Rup- einwandfrei zu orten. Unweit der Neu- rechtsberger begutachtet, die beabsich- mühle38 war beim Bau der Eferdinger tigte Präsentation in einer Ausstellung Bundesstraße 1935 ein alter Brennofen des Nordico unterblieb aber wegen zum Vorschein gekommen, den Ernst Transportschwierigkeiten. Fietz als keltischen Ziegelofen deutete, Zur Fundgeschichte: 1935 wurden weil man in unmittelbarer Nähe jung- während des Baues der Eferdinger Bun- eisenzeitliche Keramik (Kammstrich- desstraße (Nibelungenstraße) neben ei- ware) gefunden hatte. nem flachen neolithischen Granitfind- Fietz berichtete: „Dieser Ziegelofen ling, der offenbar als Werkbank gedient war wohl das einfachste Bauwerk, das hatte, zahlreiche Artefakte aus der sel- man sich denken kann. Es wurde einfach ben Ära geborgen, darunter ein Flachbeil eine Kammer aus dem gewachsenen to- aus Serpentin, Tierknochen, Tonscher- nigen Erdreich heraus gestochen, so dass ben, Kohle und mehr als 200 Feuersteine drei Seiten eine natürliche Wand hatten. (Silexabsplisse).37 Die Fundstätte ist Wie die vierte Seite aussah, konnte leider beim Straßenbau einplaniert worden, nicht mehr ermittelt werden, da diese der Granitfindling wurde jedoch auf An- Untersuchung den Straßenbau zu sehr regung von Ernst Fietz an den westlichen Fahrbahnrand verfrachtet, wo man ihn 37 Ernst Fietz, Auf dem Weg zum römischen Zie- noch heute sehen kann. gelofen bei Wilhering. Oö. Heimatblätter, Heft Empfehlenswert wäre die Aufstel- 1/2, 29. Jahrgang, Linz 1975, S. 61. 38 Die Neumühle stand westlich des Hauses Lin- lung einer Informationstafel, damit das zer Straße 48; sie wurde in den 1950er-Jahren Denkmal nicht versehentlich demoliert abgebrochen. Der letzte Müllner war Josef Zan- wird, wie es leider mit dem sogenannten kerl.

177 aufgehalten hätte. Jedenfalls muss der Epoche geborgen, die anschließend dem Ofen lange benützt worden sein, weil Oö. Landesmuseum (Francisco-Caroli- das umgebende wandbildende, tonige num) gespendet wurden. Rechtzeitig vor Erdreich durch die Ofenhitze ca. 70 cm Fertigstellung der Eferdinger Bundes- hart gebrannt war.“39 straße erkundete P. Gebhard Rath die Die moderne Archäologie hegt Stätte noch einmal und konnte dabei die Zweifel an Fietz’ Interpretation; die Kel- Mauerreste einer großen römischen Mi- ten hatten noch nicht die Kenntnisse, litärziegelei der II. italischen Legion, be- Ziegel zu brennen.40 Wahrscheinlicher stehend aus gewölbten Zweikammer- ist eine Herkunft aus späterer Zeit, oder öfen sowie Verwaltungsgebäuden, freile- es handelte sich um einen Back- bzw. gen. Töpferofen. Die Einplanierung schließt Unter den hoch bedeutenden Objek- wissenschaftliche Untersuchungen leider ten – bronzene Münzen, Schlüssel, Mes- auch in diesem Fall aus. serfragmente, Fibeln – fanden sich auch zahlreiche Dachziegel, teilweise mit den Stempeln „AL“ und „Ursicinus“ verse- Römische Militärziegelei bei Fall und hen.41 Der Betrieb der Ziegelei ist daher der „Ziegelbrief“ ins 4. Jh. und somit in die Zeit datierbar, Art des Denkmals: Fundort einer Militärziege- da auch der Wachturm am Hirschleiten- lei. graben im Kürnbergwald erneuert Zeitstellung: Römerzeit(4.Jh.n.Chr.). Heutiger Zustand: Lagestelle planiert bzw. wurde. überbaut. Das sicherlich bemerkenswerteste Kurzbeschreibung: Militärziegelei, bestehend Stück war eine rechteckige Ziegelplatte aus Zweikammeröfen und Verwaltungsge- (34 « 26 cm), die als Baumaterial gedient bäuden. hatte und auf der vor dem Brennen vier Archäologische Untersuchung: Rath (1934–35). Zeilen eines briefähnlich formulierten la- Funde: Münzen, Schlüssel, Messerfragmente, teinischen Textes eingekratzt worden Fibeln, Dach- und Mauerziegel, „Ziegel- brief“, etc. waren. Weitere Zeilen unter dem Text Verbleib: Privatsammlung Rath (verschollen), waren nur mit pseudo-inschriftlichen Leondinger Stadtmuseum, Turm IX (Leih- Zeichen gefüllt. (Außer dem „Ziegel- gabe des Oö. Landesmuseums), Gipsmodell brief“ barg Rath eine mit dem AL-Rund- eines Ziegelofens im Oö. Landesmuseum. stempel der Auxiliares Lauriacenses sig- Lokalisation: 0,8 km östlich der O. Fall; Bru- dermühlsiedlung, Mühlbachbrücke. 39 Verortung: Ernst Fietz, Auf dem Weg zum römischen Zie- KG Schönering, MG Wilhering, gelofen bei Wilhering. Oö. Heimatblätter, Heft VB Linz-Land. 1/2, 29. Jahrgang, Linz 1975, S. 61. 40 Zu diesem verschwundenen, wie- Eine gewisse Ausnahmestellung nimmt der hallstattzeitliche Fürstensitz Heuneburg (bei derum aufgrund der Angaben J. Zan- Sigmaringen, Baden-Württemberg) ein, der kerls genau lokalisierten Denkmalkom- durch eine Mauer aus – allerdings – luftge- plex gibt es eine interessante Neuinter- trockneten Lehmziegeln geschützt war. Diese pretation, doch zunächst gerafft die Lehmziegelmauer wurde vermutlich durch ei- nen südländischen Festungsmeister errichtet Fundgeschichte: Schon in den 1880er- (vgl. Konrad Spindler, Die frühen Kelten. Stutt- Jahren hatte man in der Flur „Alte Burg“ gart 1983, S. 69 f.). zahlreiche Gegenstände aus römischer 41 Rath 1937, S. 479 f.

178 aus) erfahren: ich war mit der Livia zusam- men!“ Folgt man dieser aktuellen Interpre- tation, enthielte der „Ziegelbrief“ weder Fluch- noch Zaubersprüche, vielmehr die profane Privatkritzelei eines in der Militärziegelei Beschäftigten.44 Nach Abschluss der Rath’schen Gra- bungsaktivitäten (1935) beseitigte das Projekt „Eferdinger Bundesstraße“ Teile der römischen Anlage endgültig. Bei der Errichtung von Wohnhäusern in den 1960er-Jahren wurde die Ziegelei erneut angeschnitten, eine Gelegenheit, die J. Zankerl noch zahlreiche weitere Funde bescherte. Zuletzt, vor wenigen Jahren, wurde von Siegfried Frenzel noch eine römische Scheibenfibel (Tierfibel) ge- borgen.45 „Ziegelbrief“ und Ziegelplatte, als unersetzliche archäologische Zeug- nisse lange in der Privatsammlung von Leider verschollen: der römische „Ziegelbrief“ aus Gebhard Rath aufbewahrt, sind nach dem Mühlbachtal. Originalfoto: Oö. Landesmuseum dessen Ableben (am 2. März 1979) be- trüblicherweise in Verlust geraten. nierte Platte, die ähnliche pseudo- Scharmerhügel inschriftliche Zeichen trug). Art des Denkmals: Fundort einer Siedlung. Den Text des „Ziegelbriefes“ inter- Zeitstellung: Spätbronzezeit, Jungeisenzeit. pretierte G. Rath als römische Kursive, Heutiger Zustand: Fundstelle abgetragen. die übrigen Zeichen als germanische Ru- Kurzbeschreibung: ?? nen.42 Helmut Arntz und Alexander Ga- heis widersprachen dem bald; sie er- 42 Gebhard (Florian) Rath, Deutschlands ältester blickten im „Ziegelbrief“ eine antike Runenfund in Oberdonau. Ein einzigartiges 43 Fluch- oder Zaubertafel. Dokument aus der Vorzeit des germanischen In jüngster Zeit beschäftigte sich Volkes. Volksstimme, 1938. auch der Experte Günther E. Thüry 43 Helmut Arntz u. Alexander Gaheis, Die Ziegel nochmals mit dem „Ziegelbrief“; seiner von Wilhering, Oberdonau. Ein lehrreicher „Runenfund“. Runenberichte, Band 1, Heft 4, Ansicht nach ist der Text so zu überset- Leipzig 1942, S. 129–134. zen: 44 Günther E. Thüry, Oberösterreichs „ältester „Dem Herrn Geflügelmäster/Wurstfabri- Brief“. Zur spätantiken Ziegelinschrift von Wil- kanten Victorianus einen Gruß! Bald wirst Du hering. Jahrbuch des Oö. Musealvereines, 149. meinen Brief bekommen haben, wie ich das be- Band, I. Abhandlungen, Linz 2004, S. 255–259. 45 Peter Trebsche, Archäologische Funde aus Neu- schließen werde. Du wirst meinen Brief glück- bau bei Linz. Linzer Archäologische Forschun- lichst entgegennehmen (und) sollst (dann dar- gen, Sonderheft XXVI, Linz 2001, S. 27.

179 Archäologische Untersuchung: Rath (1936). Inmitten der Donauauen, auf einer Funde: Keramikscherben, Spinnwirtel, Bron- ehemaligen Halbinsel, die bestens vor zenadel mit Scheibenkopf, Messer mit ver- Hochwasser geschützt ist, stehen die zierter Griffzunge, Knochenwerkzeuge, Tier- Häuser von Fall. Aus geologischer Sicht knochen, Hüttenlehm, Reibstein (Granit). Verbleib: Stiftssammlung Wilhering f Oö. ist die Halbinsel dem Kürnbergmassiv Landesmuseum. zuzuordnen, da Granit- und Gneisvor- Lokalisation: 0,3 km südwestlich der römi- kommen bekannt sind. schen Militärziegelei. Gegen Ende des 19. Jh. wurden hier Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, viele Artefakte aus der Jungsteinzeit (Ke- VB Linz-Land. ramik, Steingeräte, Silexsplitter, Spinn- Im Frühling 1936 nahm P. Gebhard wirtel aus Ton und Stein) gefunden, die Rath auch am sogenannten Scharmerhü- auf eine neolithische Siedlung hin- gel,46 300 Meter südwestlich der Militär- weisen.48 Weiters entdeckte man im Kel- ziegelei, eine Versuchsgrabung vor. Sie ler des „Bründlwirtes“ eine Bestattung, erbrachte bronzezeitliche Tonscherben, die vom damaligen Konservator des jungeisenzeitliche Spinnwirtel, eine Oö. Landesmuseums/Francisco-Caroli- Bronzenadel mit Scheibenkopf, ein Mes- num, Josef Straberger, der spätrömi- ser mit verzierter Griffzunge, Knochen- schen Epoche zugerechnet werden werkzeuge, Tierknochen, Hüttenlehm konnte.49 sowie einen „rotgeglühten“ Reibstein aus Straberger führte dann im engeren Granit.47 Rath interpretierte die Stätte als Umkreis Versuchsgrabungen durch. Siedlung der späten Bronzezeit. Zusam- Freigelegt wurden größere Mengen von men mit vielen anderen verheißungsvol- römischen Ziegelfragmenten, Gefäß- len, archäologisch unausgeschöpften, scherben, Tonröhren und das Mauer- Fundgebieten wurde der Scharmerhügel werk eines Ziegelofens, in dessen unmit- beim Bau der Eferdinger Bundesstraße telbarer Nachbarschaft sich nach Josef größtenteils eingeebnet. Zankerl das Ziegleranwesen befunden haben muss – knapp unter der Erdober- Bründl in Fall fläche stieß man auf ein Gewölbe. Art des Denkmals: diverse Fundorte (Siedlung, Erwähnenswert ist auch der Granit- Gräber, Ziegelofen, Steinbruch, Mühlstein). steinbruch (100 Meter nordwestlich des Zeitstellung: Jungsteinzeit, Römerzeit. Ziegleranwesens), in dem ein römischer Heutiger Zustand: Fundstellen einplaniert bzw. Mühlstein entdeckt wurde. Dieses be- überbaut. Kurzbeschreibung: ?? merkenswerte Objekt, lange im Privat- Archäologische Untersuchung: Straberger besitz von J. Zankerl, wurde 2006 dem (1880er-Jahre). Funde: Keramikscherben, Steingeräte, Silex- 46 Der Name „Scharmerhügel“ dürfte sich von splitter, Spinnwirtel, Ziegelfragmente, Ton- dem Bauernhof „Scharmayr“ in Edramsberg ab- röhren, Mühlstein etc. leiten. Verbleib: Oö. Landesmuseum. 47 Reitinger 1968, S. 473. Lokalisation: Ortschaft Fall, Gasthaus „Bründl 48 Reitinger 1968, S. 470. in Fall“, Ziegleranwesen. 49 Ein weiterer Skelettfund beim Roden eines Verortung: KG Wilhering, MG Wilhering, VB Obstbaumes im Garten des Bründlanwesens er- Linz-Land. gab sich Anfang der 1960er-Jahre.

180 Oö. Landesmuseum übergeben. Der zum Hl. Sebastian stand“. Bezeichnet ist Steinbruch selbst ist nicht mehr vorhan- damit die Lagestelle der abgekommenen den, er wurde beim Bau des Kraftwerkes St.-Achatius-Kirche nördlich des „Mit- Ottensheim um 1973 zugeschüttet. termayrhofs“,54 wo manche Forscher die ehemalige Burg unter Vorbehalt ansie- Burg Edramsberg deln. Auch die Überlieferung der frühe- ren Besitzer des Hofes (Familie Pührin- Art des Denkmals: Burgstall (Hausberg). Zeitstellung: Spätmittelalter. ger) berichtet davon, dass sich hier ein Heutiger Zustand: einplaniert. „Burgplatz“ erstreckt hat; in diesem Be- Kurzbeschreibung: ?? reich soll auch eine starke Fundament- Archäologische Untersuchung: ?? mauer vorhanden sein. Funde: ?? Heute ist von der Feste Edramsberg Lokalisation: Ortschaft Edramsberg, Bauern- nichts mehr erkennbar, die verschiedent- hof „Mittermayr“ (Edramsberger Straße 40). lich angenommene Lagestelle beim Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, „Mittermayrhof“ wurde schon vor Jah- VB Linz-Land. ren einplaniert.55 In der Ortschaft Edramsberg stand einst der Sitz der Edramsberger, die St.-Achatius-Kirchlein (Mittermayrkirche wahrscheinlich Verwandte der Mühlba- oder Sebastianikapelle) cher waren. Bereits 1155 urkundet ein „Heitfogus de Edramesberge cum filiis Ditmaro Art des Denkmals: Kirche, Friedhof. Zeitstellung: et Hugone“, der als Konverse ins Stift Wil- Hoch- und Spätmittelalter, Neu- zeit. 50 „Gunther hering eintritt. 1322 werden Kurzbeschreibung: Gesamtlänge 16,5 m, Breite von Edramsberg und Chunrat sein pruder von 7 m, Höhe der Seitenmauern 5,5 m, Höhe Mulpach“ erwähnt. 1472 gelangte der Sitz des Dachwerkes 4,3 m. als landesfürstliches Lehen an Christoph Heutiger Zustand: Kirche im Frühjahr 1936 ab- von Hohenfeld.51 Während jener Kriegs- gebrochen. handlungen, die als Liechtensteiner Archäologische Untersuchung: ?? « Fehde bekannt sind, wurde Burg Funde: 3 Sandsteinplastiken; Größe: 25 25 « 40 cm. Edramsberg 1477 von den Truppen des Verbleib: Stiftssammlung Wilhering.56 Christoph v. Liechtenstein belagert, er- obert und zerstört.52 Der Standort der gebrochenen Feste 50 Zauner 1981, S. 118. war stets umstritten. Pfarrer Heinrich 51 Grabherr 1975, S. 79. Hagleitner53 suchte die Burg am Eisels- 52 Walter Neweklowsky, Burgensterben. Über den berg, wo sich tatsächlich zwei namenlose Verfall unserer Burgen und Schlösser. Oö. Hei- Erdwerke befinden. Weiters meinte Hag- matblätter, Heft 3/4, 19. Jahrgang, Linz 1965, S. 17. leitner, die Burgen Edramsberg und 53 Heinrich Hagleitner, Die Altpfarre Schönhe- Schönering wären identisch, was auf- ring. Schönering 1933. grund der urkundlichen Nachrichten al- 54 Ernst Fietz, Hinweise zur Landeskunde von lerdings kaum denkbar ist. Oö., Band 4. Linz o. J., S. 115. 55 Grabherr 1975, S. 79. Eine schriftliche Notiz von Ernst 56 Von den drei im Stift Wilhering verwahrten Fietz vom 21. 3. 1936 erwähnt einen „ver- Sandsteinplastiken sind derzeit nur noch zwei wallten Hausberg, auf dem eine Kapelle auffindbar, die dritte ist verschollen.

181 Lokalisation: Ortschaft Edramsberg, Bauern- Beim Abriss kamen in der westli- hof „Mittermayr“ (Edramsberger Straße 40). chen Grundmauer drei Sandsteinplasti- Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, ken zum Vorschein, die Menschenköpfe VB Linz-Land. und einen Widder darstellen.59 Dank der Wenige Meter nördlich des Bauern- Initiative von P. Gebhard Rath konnten hofs „Mittermayr“ stand also das be- diese kunstgeschichtlich wertvollen merkenswerte St.-Achatius-Kirchlein, Fundstücke im letzten Augenblick vor im Volksmund einstens auch Mitter- der Vernichtung gerettet werden. Rath mayrkirche bzw. Sebastianikapelle be- deutete die Plastiken als „provinzial- nannt. Ungeklärt ist, ob es sich dabei ur- sprünglich um die Kapelle von Burg Edramsberg oder um die Hauskirche ei- ner Wilheringer „Grangie“ gehandelt 57 Beim Abriss der Sakristei um 1925/26 wurden Gebeine gefunden, die von diesem Pestfriedhof hat, die schon um das Jahr 1200 existiert stammen dürften. Weitere Gebeine fand man haben soll. beim Bau eines Wohnhauses unterhalb (süd- Urkundlich erwähnt wird die Kirche lich) des Mittermayrhofs (Flurname: Schlacht). erst gegen Ende des 15. Jh.: In einem 58 Die Planskizze zeigt den Zustand nach der be- Brief ersucht der Wilheringer Abt Tho- absichtigten, aber nie durchgeführten Restau- rierung durch Baumeister Priesner, Ottensheim. mas den Bischof von Passau Georg Has- Das Türmchen über dem Eingang fehlt in der ler um Erlaubnis, die Messe auf einem Skizze. tragbaren Altar zu lesen, da die im Besitz 59 P. Gebhard Rath beschrieb die Plastiken folgen- des Stiftes Wilhering stehende St.-Acha- dermaßen: „Zwei zeigen je einen Menschen- tius-Kirche von Liechtensteinischen kopf, von denen der eine den Eindruck einer Maske macht, während der andere den Kopf ei- Söldnern bis zum Chor niedergebrannt nes mit antikisierendem Haar und Bart dar- worden war. stellt. Gemeinsam sind beiden Köpfen die ge- In den Pestjahren des 16. oder 17. Jh. waltigen Glotzaugen, die runden hoch stehen- wurde der Sakralbau dem hl. Sebastian den Ohrmuscheln, die Bildung des Mundes und der Oberlippen. Der dritte Stein zeigt in geweiht; die Toten bestattete man unter- der Kehlung einen Widderkopf mit eingedreh- 57 halb des Kirchenhügels. Die Legende tem Gehörn. Das Stück mit dem antikisieren- berichtet, dass nur eine einzige Bewoh- den Menschenkopf trägt auf der – vom Be- nerin von Edramsberg die „Schwarze schauer – rechten Seite in erhabener, ovaler Pest“ überlebt hätte; zum Dank habe sie Umrahmung, auf der ein geflochtener Kranz liegt, einen Kinderkopf, ebenfalls mit Glotzau- die Renovierung der baufälligen Kirche gen und hoch stehenden runden Ohrmuscheln. gelobt. 1733 wurde die Kirche durch Der Stein mit dem Widderkopf zeigt auf der Brandstiftung erneut schwer beschädigt linken ungekehlten Seitenfläche einen Bären und rasch ein weiteres Mal wieder auf- mit Kinderköpfchen, das bei der Arbeit abge- gebaut. In der Zwischenkriegszeit war schlagen und nur zur Hälfte geborgen werden konnte, es hat dieselben Glotzaugen und Ohr- ihr Zustand schon sehr schlecht; 1936 muscheln. Diese beiden letzteren Stücke mit wurde das Gotteshaus schließlich wegen den Plastiken an den Seitenflächen dürften also Baufälligkeit – und auch wegen Platz- so angebracht gewesen sein, dass die mit Bild- mangels – demoliert. Eine Planskizze, in hauerarbeit verzierten Seitenflächen einander gegenüber gestanden haben.“ Franz Gruber, Die Schönerings Pfarrarchiv gehütet, hält Sandsteinplastiken von Edramsberg. Jahresbe- fest, wie das Kirchlein zuletzt ausgese- richt Stiftsgymnasium Wilhering, Wilhering hen hat.58 1979.

182 römische Erzeugnisse der keltischen Be- steinmauerwerk, das Erdgeschoss wie völkerung“, sie dürften aber nach über- das Obergeschoss aus Ziegeln zusam- einstimmender Beurteilung von Kunst- men. historikern und Archäologen dem frü- Quadratische Fundamente und hen Hochmittelalter zugehören. Unge- Mauerziegel bei der Abbruchstelle ver- klärt ist, wie sie in die Grundmauer der anlassten Heimatforscher Johann Hus- St.-Achatius-Kirche gelangt sind; ver- sak, auf Reste eines römischen Burgus mutlich handelt es sich um sogenannte zu schließen. Um seine These zu erhär- Spolien.60 ten, bemühte er sich in der Folge um die Zum Gedenken an die St.-Achatius- Bergung markanter Fundstücke. Kirche wurde vor einigen Jahren, nächst der alten Lagestelle, eine Kapelle errich- Im April 1983 wurden 10 Mauerzie- tet. gel (R1–R10) sowie ein Ziegelbruchstück (R11) dem Wiener Ziegelmuseum zur Untersuchung übergeben. 1984 urteilte Lugmayr in Reith der dortige Gutachter Karl Koller: Die Mauerziegel R1–R8 (vermutlich auch Art des Denkmals: Mittelalterliches Gebäude, R9) entsprechen einem Format, das Fundort zahlreicher Ziegel. Zeitstellung: Spätmittelalter, frühe Neuzeit hauptsächlich in den Jahren 1530–1620 (1350–1620). und später gebräuchlich war. Der Mau- Heutiger Zustand: Fundstelle einplaniert; der- erziegel R10 entspricht einem bevorzugt zeit Garten. in den Jahren 1350–1450 und hernach Kurzbeschreibung: zweigeschossiges Nebenge- verwendeten Formatmuster. Das Bruch- bäude (Speicher, Auszugshaus?), Grundriss stück R11 konnte nicht genau bestimmt « quadratisch (ca. 5 5 m), Basis: Bruchstein- werden.61 mauerwerk, Erd- und Obergeschoss: Ziegel. Beim Abriss des Gebäudes 1982 wurden von Aufgrund dessen scheidet die Vari- einem Heimatforscher zahlreiche Mauerzie- ante „römischer Burgus“ offenbar aus. gel geborgen. Bei den von Johann Hussak in Augen- Archäologische Untersuchung: ?? schein genommenen Fundamenten wird Funde: 10 Mauerziegel (R1–R10), 1 Ziegel- bruchstück (R11). es sich um die Grundmauern des unmit- Verbleib: Wiener Ziegelmuseum, Penzinger telbar anschließenden Nebengebäudes Straße 59, 1140 Wien. (spätmittelalterlichen Bauernhofes) ge- Lokalisation: Bauernhof „Lugmayr in Reith“, handelt haben, der als „Hof dacz dem Reither Straße 6, 4073 Wilhering. Lueg“ bereits 1348 urkundlich genannt Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, wird.62 VB Linz-Land.

Wenige Meter nördlich des Bauern- hofes „Lugmayr in Reith“ erhob sich bis 60 Wieder verwendete Bauteile bzw. dekorative September 1982 ein im Grundriss qua- Elemente aus einem älteren Bau. dratisches, zweigeschossiges Gebäude, 61 Der Dank des Verfassers gilt Gertraud Fendler (Wilhering), die freundlicherweise eine Kopie das früher ein Speicher oder Auszugs- des Gutachtens zur Verfügung gestellt hat. haus gewesen sein dürfte. Nach alten Fo- 62 Wilheringer Heimatbuch, Band 2. Wilhering tos setzte sich das Fundament aus Bruch- 2006, S. 71.

183 Wallanlagen Kirchmayrholz und Burgstall im Lugmayrholz Lugmayrholz Art des Denkmals: Burgstall (Hausberg). Art des Denkmals: 2 Wallanlagen. Zeitstellung: Mittelalter. Zeitstellung: ? Heutiger Zustand: schlecht. Heutiger Zustand: schlecht. Kurzbeschreibung: Hausberganlage mit kegel- Kurzbeschreibung: Kirchmayrholz: Erdwall stumpfförmigem Kernwerk; aus der natürli- (Grenzwall?) von ca. 400 m Länge. Lugmayr- chen Berglehne durch Ausheben eines gut holz: Viereckige Verwallung (Schanze?), ca. ausgeprägten Grabens herausgeschnitten. 100 « 80 m. Archäologische Untersuchung: ?? Archäologische Untersuchung: ?? Funde: ?? Funde: ?? Lokalisation: Winkeln bei Schönering; 0,7 Lokalisation: Winkeln bei Schönering, 0,7 bis 1 km bis1 km südöstlich der Pfarrkirche Schöne- südöstlich der Pfarrkirche Schönering. ring; 0,15 km nördlich des Bauernhofs „Lug- Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, mayr in Reith“. VB Linz-Land. Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, VB Linz-Land. Die beiden Waldparzellen südöstlich der Ortschaft Winkeln bergen zwei ver- Ebenfalls im „Lugmayrholz“, unweit schliffene Wallanlagen, die schon 1911 der Viereckschanze, dehnt sich auf ei- von Ludwig Benesch in einer Planskizze nem Hangsporn nebst einem Bach diese beschrieben worden sind. Jene im östli- verschliffene Hausberganlage mit ke- cheren Gehölz, von Benesch „Löber- gelstumpfförmigem Kernwerk. Im Jahre bauerholz“ und mittlerweile allgemein 1159 urkunden die Passauer Dienstman- „Gerhoh von Reith“ „Lugmayrholz“ genannt, zeigt gewisse nen und dessen Bruder „Gottfried von Winkeln“ Ähnlichkeit mit einer „Keltenschanze“. , die sich mögli- cherweise mit diesem Sitz in Beziehung Es ist das eine volkstümliche Bezeich- 64 nung für die vor allem in Bayern und Ba- bringen lassen. den-Württemberg häufig anzutreffenden Reste viereckiger keltischer Wallanlagen. Burgställe bei Schönering (Eiselsberg) Lange Zeit als Kultbezirke interpretiert, Art des Denkmals: 2 Burgställe (Hausberge). dürften sie nach neueren archäologi- Zeitstellung: Mittelalter. Heutiger Zustand: schen Untersuchungen als einstige land- mittelmäßig. Kurzbeschreibung: Hausberganlage mit kegel- wirtschaftliche Objekte (Gutshöfe) anzu- stumpfförmigem Kernwerk; aus der natürli- sehen sein. chen Berglehne durch Ausheben eines gut Viereckige Schanzen wurden auch ausgeprägten Grabens herausgeschnitten. im Spätmittelalter und in der Neuzeit, Archäologische Untersuchung: ?? etwa in den Bauernkriegen, errichtet, so- Funde: ?? Lokalisation: Eiselsberg (0,7 km nordöstlich dass eine exakte Datierung bis heute der Pfarrkirche Schönering). nicht möglich ist. Benesch erwähnt noch Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, eine dritte Wallanlage in einem Wald- VB Linz-Land. stück südlich des „Langbauernguts“ in

Thalham, die er als „keltischen Einzel- 63 63 Ludwig Benesch, Spuren keltischer Einzelhöfe. hof“ interpretierte. Diese Anlage Wiener Landwirtschaftszeitung, 64. Jahrgang, dürfte wohl einem alten Grenzwall zuge- Nr. 4907. hören. 64 Zauner 1981, S. 158.

184 Ein hochfreies Geschlecht, das sich werk, 150 Meter südlich, ist von der zuerst nach Schönheringen, später nach Struktur her ähnlich, aber kleiner. Blankenberg65 benennt, ist urkundlich Ob es sich bei einer dieser Wehranla- von 1094 bis 1192 belegt. Es dürfte sei- gen um die gesuchte Burg Schönering nen Stammsitz in Schönerting an der handelt, konnte noch nicht eruiert wer- Vils (Niederbayern) gehabt haben, da den. sich in Schönering bei Wilhering eine entsprechende Dynastenburg bislang Hochmayrdiele in der Krift nicht nachweisen ließ. Art des Denkmals: Erdsubstruktion einer 1362 wird eine Feste zu Schönering Burg? urkundlich erwähnt, die sich im Besitz Zeitstellung: Mittelalter? des Bischofs von Passau befindet und als Heutiger Zustand: mittelmäßig. Lehen an Adelsgeschlechter wie die Ai- Kurzbeschreibung: inselartig situierter Hügel stersheimer, Gruber und Hohenfelder im Zwiesel zweier Bäche; nach Osten und 66 Süden durch einen künstlichen Graben ge- vergeben wird. schützt; ebenes Plateau von ca. 30 « 50 m. 1477 wird Burg Schönering in der Archäologische Untersuchung: ?? Liechtensteiner Fehde „verbrannt und Funde: ?? verwüstet“. 1481 überlässt der Passauer Lokalisation: Krift, Thalham bei Schönering; Bischof Georg Hasler dem Christoph 0,9 km südlich der Pfarrkirche Schönering. Hohenfelder und dessen Söhnen die Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, Burg Jochenstein an der Donau als Er- VB Linz-Land. satz für die zerstörte Feste.67 Burg Schö- Im dicht verwucherten Talgrund des nering verschwindet von da an aus den Rossbaches, der sogenannten „Krift“, er- Urkunden. hebt sich in unmittelbarer Nähe zum rö- Wegen der kapitalen Zerstörung des mischen Gutshof inselartig ein oval ge- Festungsbaues in der Liechtensteiner formter Hügel, der im Volksmund Fehde treten hier ähnliche Lokalisie- „Hochmayrdiele“ genannt wird.70 Der rungsprobleme auf wie bei Burg Edramsberg. Heinrich Hagleitner68 meinte, die Burg wäre am Eiselsberg ge- standen und zudem mit Burg Edrams- 65 Hochmittelalterliche Burg an der Großen Mühl berg identisch; in Anbetracht der Quel- (KG Pürnstein, MG Neufelden, VB Rohrbach). 66 „1362 die Vest ze Schönhering; 1375 Wernhart lenlage ist letzteres aber kaum realis- von Aistersheim zu Schönhering; 1427 Engel- tisch. hart der Grueber hat zu Lehen den Sitz zw Norbert Grabherr entdeckte zwei Schönhering vom Bistum Passau; 1472 Hanns Erdwerke am westlichen Abfall des Ei- Hohenfelder zu Schönhering gesessen.“ Grab- herr 1975, S. 80. selsberges, die als Standort der Burg in 67 69 Walter Neweklowsky, Burgensterben. Über den Frage kommen könnten. Das nahe Verfall unserer Burgen und Schlösser. Oö. Hei- Edramsberg gelegene, größere Erdwerk matblätter, Heft 3/4, 19. Jahrgang, Linz 1965, ist als Hausberganlage mit kegelstumpf- S. 18. förmigem Kernwerk anzusprechen. Es 68 Heinrich Hagleitner, Die Altpfarre Schönhe- ring. Schönering 1933. entstand dadurch, dass man einen tiefen 69 Grabherr 1975, S. 80. Graben aus der natürlichen Berglehne 70 Der „Hochmayr“ ist ein Bauernhof in Schöne- herausgeschnitten hat. Das zweite Erd- ring, zu dem das Grundstück gehört hat.

185 Hügel wird im Westen und Norden bemaltem Wandanwurf, Ziegel, Thon- durch steile Abfälle zu Bachläufen (Ross- und Marmorplatten, Röhren von Heiz- bach, Reither Bach) geschützt, nach anlagen in größerer Menge“.75 Osten ist er durch einen anscheinend 1888 wurden unter der Leitung von Menschenhand geschaffenen Gra- von Josef Straberger, Konservator am ben abgetrennt. Das ovale Höhenplateau Oö. Landesmuseum/Francisco-Caroli- der Hochmayrdiele macht seinerseits ei- num, erste Grabungen durchgeführt und nen künstlich zugerichteten Eindruck, die Fundamente eines Gebäudes aufge- Hinweise auf Massivbebauung sind je- deckt, dessen Mauerschutt eine weitere doch nirgends zu erkennen. große Menge von Ton- und Marmor- Ernst Fietz’ (offenbar an mündliche platten, bemalten Maueranwurf, Estrich- Überlieferung von P. Gebhard Rath71 an- fragmente etc. enthielt.76 gelehnte) Annahme eines römischen P. Gebhard Rath untersuchte 1936 Tempels, also eines Sakralbaues, ist bei die Fundstelle erneut, wobei er auf roh solch exponierter Lage fragwürdig. Der gefügte Grundfesten stieß, die er als Fun- wehrhafte Eindruck lässt eher an eine damente hölzerner Wirtschaftsbauten mittelalterliche Burg denken – vielleicht (Vorrats- oder Speicherräume) deutete. die gesuchte Burg Schönering? In einer Zutage geförderte Bruchstücke von Röh- Planskizze von Ludwig Benesch ist das renziegeln (Tubuli) sowie verschieden- Objekt als „K“ eingezeichnet.72 farbig bemalter Wandbewurf legten nahe, dass man hier das Hauptgebäude eines römischen Gutshofes entdeckt Römischer Gutshof (Badegebäude) in hatte. der Krift Südlich davon stellte Rath separate Art des Denkmals: Fundort eines römischen Baureste fest und vermutete dort das Gutshofes (Villa rustica) und einer Badean- Herrenhaus, konnte aber wegen einer lage (Balneum). jungen Waldkultur nicht weiter graben. Zeitstellung: Römerzeit. 1992 wurde bei einer Begehung mit Heutiger Zustand: nach Ende der Grabungen zugeschüttet. Christine Schwanzar (Oö. Landesmu- Kurzbeschreibung: ?? seum), Marianne Pollak (Bundesdenk- Archäologische Untersuchung: Straberger (1888), Rath (1936), Engelmann – Schwanzar (1994– 71 Ernst Fietz, Hinweise zur Landeskunde von 2001). Oö., 4. Band. Linz o. J., S. 141. Funde: siehe Fundberichte. 72 Benesch, 1911, Fig. 9, S. 180. Verbleib: Oö. Landesmuseum. 73 Penaten sind in der römischen Mythologie die Lokalisation: Krift, Thalham bei Schönering; Götter der Vorratskammer, die zusammen mit 1,2 km südlich der Pfarrkirche Schönering. den Laren in jedem Haushalt als Beschützer des Verortung: KG Schönering, MG Wilhering, Hauses verehrt wurden. VB Linz-Land. 74 Benedikt Pillwein, Geschichte, Geographie und Statistik des Erzherzogtums Österreich ob der Bereits 1812 wurden auf einem Feld Enns, 3. Theil: Der Hausruckkreis, 1830, S. 5. des „Langbauerngutes“ zu Thalham 75 Josef Straberger, Mitteilungen der Zentral- Kommission, neue Folge XIII, 1887, CCXLVIII. „viele Römermünzen, Geschirre, Pena- 76 Josef Straberger, Mitteilungen der Zentral- 73 74 ten und anderes mehr“ geborgen. Kommission, neue Folge XV, 1889, 228 f. Be- 1886 fand man „Fragmente von Estrich, nesch 1911, S. 183 f.

186 Pater Gebhard Rath mit Studenten bei den Grabungsarbeiten 1936 am Hauptgebäude des römischen Gutshofs in der Krift. Foto: Oö. Landesmuseum malamt) und Josef Zankerl eine Häufung mente, Klopfsteine, Reibsteine, Keramik- von Ziegel- und Keramikfragmenten an scherben) stammen aus der Jungstein- der Stelle beobachtet, wo Rath das Her- zeit. Obwohl konkrete Hinweise auf renhaus vermutet hatte. Daher entschied Siedlungen oder Befestigungsanlagen in man sich für eine abermalige Untersu- der Regel nach wie vor fehlen, bezeugen chung der Krift. Bei dieser Grabungs- diese Bodenfunde, dass der Steinzeit- kampagne (1994–2001) wurde das luxu- mensch den Kürnberg beging und auch riös ausgestattete Badegebäude des rö- bewohnte. Wissenschaftlich erwiesen ist mischen Gutshofes freigelegt,77 vom u. a. die jungsteinzeitliche Besiedlung Herrenhaus indes trat nicht die geringste der ehemaligen Halbinsel von Fall. In Spur zutage. unmittelbarer Nähe, in Unterhöf, wurde eine Werkbank aus derselben Epoche Zusammenfassende Übersicht 77 Josef Engelmann, Römische Badeanlage in Die ältesten am Kürnberg aufgelese- Thalham. Jahrbuch des Oö. Musealvereines, nen Artefakte (Steinbeile, Steinbeilfrag- Band 146/I, Linz 2001, S. 187 ff.

187 mitsamt zahlreichen Werkstücken aufge- Bei der einstigen Mündung des funden. Mühlbaches in einen Nebenarm der Do- Aus der Bronzezeit datiert die erste nau errichteten die römischen Militärbe- Baustufe des Ringwalles am Gipfel, der hörden eine bedeutende Ziegelei, die aus eine für damalige Verhältnisse beträchtli- zwei mächtigen Öfen sowie Verwal- che, in Ausmaß und Struktur noch uner- tungsgebäuden bestand. Die dort ge- forschte, Siedlung geschützt haben brannten Ziegel kamen höchstwahr- dürfte; die umwallte Fläche umfasst im- scheinlich beim Wachturm am Hirschlei- merhin 6,5 Hektar. Weitere befestigte tengraben und andernorts in Noricum Siedlungen der Bronzezeit gab es ver- zum Einsatz. Von der Militärziegelei ist mutlich in der Donauleiten (G’schloß, leider nichts mehr erhalten. Gugerl) sowie im Steyregger Wald bei Bereits vor geraumer Zeit wurden in Dörnbach. der Krift bei Thalham die Mauerreste ei- Eine wichtige bronzezeitliche Nekro- nes römischen Gutshofes (Villa rustica) pole befand sich in der Reingrub am aufgespürt; neueste Untersuchungen Südwesthang des Kürnberges, wo viele brachten eine luxuriöse, zum Gutshof Hügelgräber (sogenannte Tumuli) von gehörige Badeanlage (Balneum) ans den Bestattungsbräuchen jener Epoche Licht. künden. Einzelne Relikte aus der Älteren und Mit dem Rückzug der Römer gegen Jüngeren Eisenzeit bestätigen die Anwe- Ende des 5. Jh. und dem Beginn des senheit der Kelten am Kürnberg. Es wird Frühmittelalters tritt vorerst eine gewisse vermutet, dass sie den verfallenen bron- Leere bei den archäologischen Funden zezeitlichen Ringwall zu einer Flucht- auf. Erst mit dem Auftreten der Baiern/ burg ausbauten. Eine spätkeltische Bajuwaren verdichten sich die Funde Stadtsiedlung, ein sogenanntes Oppi- wieder. So wurden bei Edramsberg und dum, konnte bisher aber nicht nachge- Schönering zahlreiche Körpergräber aus wiesen werden. dieser Epoche freigelegt. Im Frühmittel- Die am Rand des Gipfelplateaus alter wurde der alte Ringwall offensicht- häufig anzutreffenden Trichtergruben lich zu einer Fluchtburg ausgebaut. (sog. Pingen) bezeugen primitive tage- Möglicher Anlass dafür waren die Awa- bauartige, auch von den Kelten gepflo- renkriege des 8. Jh. bzw. die Ungarn- gene, Bergbautätigkeit. Die zeitliche Zu- kriege des 10. Jh. Die beiden mächtigen ordnung der Pingen ist noch offen. Vorwälle (Bajuwaren-, Sachsenwall) In der Römerzeit wurden entlang der dürften gleichfalls aus dieser unruhigen Donau zahlreiche Wachtürme, soge- Ära stammen. nannte Burgi, errichtet, von denen man Im Hochmittelalter entstanden an einen, an der Mündung des Hirschlei- den Abhängen des Kürnberges mehrere tenbaches in die Donau, bereits in den Burgen. Die größte repräsentierte, in der 1930er-Jahren entdeckte und inzwischen Ortschaft Ufer, die Burg der hochfreien archäologisch untersuchte bzw. konser- Herren von Wilhering-Waxenberg. Ne- vierte. Weitere römische Wachtürme ben ihnen waren es die Ministerialenge- könnte es in Ufer und Fall gegeben ha- schlechter der Kürnberger und der ben. Mühlbacher, die Herrensitze anlegten.

188 Die Burg Kürnberg erhob sich beim Ältere Eisenzeit (Hallstattkultur): Bauernhof „Schneiderbauer“, die Burg 800–450 v. Chr. Mühlbach knapp nördlich davon im Jüngere Eisenzeit (La-Te`ne-Kultur): Steyregger Wald. Von beiden Anlagen 450–15 v. Chr. ist die Erdsubstruktion erhalten geblie- Römerzeit (Antike): ben. Eine Holzburg, deren genaue Be- 15 v. Chr. bis 488 n. Chr. zeichnung nicht überliefert ist (das soge- Frühmittelalter: 488–1000 n. Chr. nannte G’schloß), beherrschte die Mün- Hochmittelalter: 1000–1250 n. Chr. dung des Hainzenbaches in die Donau. Spätmittelalter: 1250–1500 n. Chr. Herrensitze befanden sich auch in Schö- Neuzeit: ab 1500 n. Chr. nering und Edramsberg; zumindest diese beiden wurden 1477 in der Liech- tensteiner Fehde zerstört. Im Spätmittelalter und in der Neu- Literaturverzeichnis zeit hatte der Ringwall am Kürnberg seine strategische Funktion eingebüßt, Aspernig 1968 wurde von der einheimischen Bevölke- Walter Aspernig, Geschichte des Kürnbergs bei Linz, Historisches Jahrbuch der Stadt Linz, Linz rung bei kriegerischen Auseinanderset- 1968. zungen aber noch als Fliehburg benutzt. Benesch 1910 Etliche jagdtechnische Einrichtungen Ludwig Benesch, Zur Lösung des Kürnberg- der frühen Neuzeit, Jagd- und Forsthäu- rätsels, 68. Jahresbericht des Museum Francisco- ser (Hirschenstadel, Jäger im Kürnberg), Carolinum, Linz 1910. eine Quellfassung (Kaiserbründl) sowie Benesch 1911 ein ausgedehnter Wildzaun (Bannwall) Ludwig Benesch, Bilder aus der Archäologischen Umgebung von Linz, 69. Jahresbericht des bekunden schließlich die Rolle des Kürn- Museum Francisco-Carolinum, Linz 1911. berges als Jagdrevier der Habsburger; Fietz 1934–40 vor allem Maximilian I. hatte hier oft Ernst Fietz, Berichte über die Grabungen am und gern dem Weidwerk gefrönt. Kürnberg, Nr. 1–7, Ungedrucktes Manuskript im Oö. Landesmuseum, Linz 1934-40. Fietz 1967 Ernst Fietz, Rätsel um den Kürnberg bei Linz, Linz Zeittafel 1967. Fietz 1972/73 Ernst Fietz, Der unerforschte Kürnberg, Kultur- Altsteinzeit (Paläolithikum): zeitschrift Oberösterreich 22/2, Linz 1972/73. bis 8000 v. Chr. Grabherr 1975 Mittelsteinzeit (Mesolithikum): Norbert Grabherr, Historisch-topographisches 8000–6000 v. Chr. Handbuch der Wehranlagen und Herrensitze Jungsteinzeit (Neolithikum): Oberösterreichs, Wien 1975. 6000–2300 v. Chr. Gruber 1999 Frühbronzezeit: 2300–1600 v. Chr. Heinz Gruber, Die mittelbronzezeitlichen Grab- funde aus Linz und Oberösterreich, Linzer Mittelbronzezeit (Hügelgräberkultur): Archäologische Forschungen, Linz 1999. 1600–1200 v. Chr. Knittel 1743 Spätbronzezeit (Urnenfelderkultur): Franz Anton Knittel, Mappa (Karte vom Kürn- 1200–800 v. Chr. berg), 1743.

189 Menghin 1923 Denkmäler am Kürnberg bei Wilhering, Wilherin- Oswald Menghin, Grabungen am Kürnberg bei ger Heimatbuch, Band 1, Wilhering 2006. Linz, Wiener Prähistorische Zeitschrift X, Wien Theuer 1924 1923. Erwin Theuer, Bericht über die Grabungen am Müllner 1885 Kürnberg, Wiener Prähistorische Zeitschrift XI, Alfons Müllner, Über prähistorische Bauwerke in Wien 1924. Oberösterreich, Mitteilungen der Anthropologi- Traxler 2004 schen Gesellschaft in Wien, XV. Band, Wien 1885. Stefan Traxler, Römische Guts- und Bauernhöfe in Rath 1937 Oberösterreich, Passauer Universitätsschriften zur Gebhard (Florian) Rath, Die Burgen Wilhering Archäologie, Band 9, Rahden 2004. und Alt-Wilhering, Jahrbuch des Oö. Musealver- Wieser 1884 eines, Band 87, Linz 1937. Franz (von) Wieser, Der Burgwall auf dem Kürn- Reitinger 1968 berg, Mitteilungen der Anthropologischen Josef Reitinger, Die ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaft in Wien, XIV. Band, Wien 1884. Funde in Oberösterreich, Linz 1968. Wieser 1994 Reitinger 1969 Leo Wieser, Notizen zum Kürnberg, Führung Josef Reitinger, Oberösterreich in ur- und frühge- durch die Hauptverteidigungsanlagen des Kürn- schichtlicher Zeit, Linz 1969. bergs und seiner vorhistorischen Siedlungsspu- Steingruber 2003 ren, Leondinger Gemeindebrief, Leonding 1994. Christian Steingruber, Die Kürnbergburg, Oö. Zauner 1981 Heimatblätter, Heft 3/4, 57. Jahrgang, Linz 2003. Alois Zauner, Die Anfänge der Zisterze Wilhe- Steingruber 2006 ring, Mitteilungen des Oö. Landesarchivs, Band Christian Steingruber, Ur- und frühgeschichtliche 13, Linz 1981.

190 „Wo aus dem Thal der rasche Wildbach dränget, Stell’t sich das Monument der Baukunst dar; Auf kühnen Pfeilern, wie in Lüften hänget Die Brücke, welche stets bewundert war.“ Karl Lindner, 18191

Industriearchitektur im Salzkammergut: 250 Jahre Brückentragwerk „Gosauzwang“

Von Michael Kurz

Dem nicht schwindelfreien Wande- wonnene Sole gänzlich an Ort und rer verlangt das Passieren des imposan- Stelle zu versieden. So ging man 1595 an ten Tragwerks, das sich im Grenzgebiet den Bau einer Pipeline, über welche die zwischen den Gemeinden Gosau, Hall- überschüssige „Sulze“ schon ein Jahr statt und Bad Goisern in luftiger Höhe später von Hallstatt nach Ischl und ab über den Gosaubach spannt, wie eh und 1607 in die neue Sudhütte in Ebensee ge- je einiges an Überwindung ab, der Bau langte. Ein ständiges Manko an dem un- selbst galt anno dazumal als Meisterleis- ter Aufsicht des Ischler Bergmeisters tung zeitgenössischer Ingenieurskunst. Kalß realisierten Großprojekt (34 Kilo- Von Reisenden und Gästen bis in die meter Leitungsstrecke, zusammenge- Eisenbahn-Ära des 19. Jahrhunderts be- setzt aus vorerst 13.000 Holzröhren von wundert und besungen, ist der „Gosau- jeweils bis zu viereinhalb Metern Länge) zwang“, neben der Steegklause und der war jedoch die technische Überwindung Chorinsky-Klause eines der bedeutends- der vom Gosaubach tief in die Trasse der ten Monumente historischer Industriear- Soleleitung eingeschnittenen Schlucht. chitektur im Salzkammergut, heuer 250 Dies sollte bis zur Mitte des 18. Jahrhun- Jahre alt geworden. Anlass genug, in der derts ein unzureichend gelöstes Problem Chronik des 1969 modernisierten, zu- darstellen. weilen vom Hauch des Kuriosen um- Anfangs hatte man die Leitung, den wehten Viadukts ausführlicher zu blät- sogenannten „Sulzstrenn“, auf der Hall- tern. stätter Seite ab dem Sulzstübel in fünf hölzernen Strängen geführt und damit den Gosaubach auf einer niedrigen Brücke übersetzt. In den von eisernen Baugeschichte Ringen umwehrten Rohren strömte die Die beschränkten Holzressourcen im inneren Salzkammergut erlaubten es 1 Lindner, K.: Das Kaiserlich-Königliche Ober- zum Ende des 16. Jahrhunderts nicht österreichische und Steyermärkische Salzkam- mehr, die im Salzbergwerk Hallstatt ge- mergut mit den Umgebungen. Wels, 1819.

191 Sole unter stetig anwachsendem Druck ger Höhe überquert werden konnten. In vom rechten Talhang herab und stieg Folge sollte die Leitung auf der gegen- dann – im Zwange – die jenseitige Steil- überliegenden Talseite herausgeführt böschung wieder hinauf. Die Höhendif- und beim kleinen Solestübchen wieder ferenz betrug 12h2’ (= 23,4 Meter) im ins bestehende Rohrsystem eingebun- Fallen, respektive 10h4’ (= 20,2 Meter) im den werden. Gründliche Kostenrech- Steigen. Der eminenten Belastung hiel- nungen, die vollständig erhalten und im ten die Holzröhren und deren Verbin- Hofkammer- und Finanzarchiv aufbe- dungen trotz der Eisenarmierung nur wahrt sind, sprachen schließlich klar für bedingt stand, so dass es häufig zu Ma- eine Brückenvariante. Ein den Gosau- terialbrüchen und dadurch zu Solever- bach in großer Höhe überspannendes lusten kam. (Von dieser ältesten Bach- Tragwerk, auf dem der „Strenn“ mit übersetzung, die der Plan N 22 des Wie- gleichmäßig niedrigem Gefälle verlegt ner Hofkammerarchivs belegt, hat sich werden konnte, verhieß wesentliche Vor- der Name „Gosauzwang“ bis in die Ge- teile – unter anderem die signifikante genwart erhalten.) Absenkung des Flüssigkeitsdrucks. Die Hallstätter Brandkatastrophe Die schwierigen Bodenverhältnisse von 1750, der außer 35 Häusern im Zen- machten zwei Steinkastengründungen 4 trum auch die Salzproduktionsanlagen erforderlich, die wiederum möglichst zum Opfer gefallen waren, brachte eine schlanke Pfeiler mit minimaler Eigenlast Diskussion in Gang, den lokalen Sudbe- bedingten. Aus der Unterteilung des ins- trieb einzustellen und die Sole sämtlich gesamt 129 Meter langen Tragwerks in in Ebensee zu versieden. Die Hof-Banco- sechs Felder von 16 bis 21 Metern Weite Deputation, eine Behörde der staatlichen ergab sich das Konstruktionsschema mit Finanzverwaltung, entschied sich 1751 fünf 10,4 bis 30,7 Meter hohen Haupt- zur Wiederaufnahme des Sudbetriebs, pfeilern zwischen den beiden Brückenla- jedoch in deutlich reduziertem Umfang.2 gern. Ausgeführt wurden die Pfeiler in Um das Gros der Sole aus Hallstatt Kalkstein-Quadermauerwerk mit qua- künftig in Ebensee verarbeiten zu kön- dratischer Querschnittsfläche; die Sei- nen, stattete man die Pipeline 1751/52 tenlängen der Querschnitte beliefen sich durchgehend mit einem zweiten Rohr- strang aus,3 1756 kam ein dritter hinzu. Durch den permanenten Anstieg der 2 Vgl. dazu: Commissions Relation dieses ho- Transportkapazitäten wurde die tech- chen Mittels Hoff Raths Hr. v. Quiex die zu nisch befriedigende Überwindung des Haalstatt abgebrunnenen Sallz Pfannen betr. Gosautals von da an immer dringlicher. sambt Bey¨lagen, Hofkammerarchiv Wien, Altes Bancale, rote Nummer 286, alte Aufstellungs- Die Hofkammer hatte hiefür zu- nummer 9693, Januar 1751. nächst eine Trassenvariante erwogen. 3 Schraml, C., 1932: Das oberösterreichische Sa- Dabei sollte die Leitung mit nur mäßi- linenwesen vom Beginne des 16. bis zur Mitte gem Gefälle so lange in das Richtung des 18. Jahrhunderts. Wien, S. 147. 4 Kefer, Karl: Salzbergs Manipulations Beschrei- Gosau steigende Tal geführt werden, bis bung, 1. Band, Handschrift 1807, nicht foliiert. dessen Sohle und der Gosaubach ohne Zentralbibilothek der österreichischen Salinen, aufwändiges Brückenbauwerk in gerin- Signatur XII H 3.

192 bei den zwei höchsten Pfeilern an der „Es hat der Hans Klieber, ein Zimmer- Basis auf 3,8 bzw. 3,6, bei den niedrigen knecht, dem das Spannenwerk am Gosauzwang auf 2,8 Meter. Die Quader der Pfeiler- zu verfertigen vom diesseitig gehorsamsten Hof- kronen, mit ihrer Dimension von 0,7 « schreiberamt anvertrauet worden ist, ange- 0,8 « 0,4 Metern ein Gewicht von jeweils bracht, das er die zu dem Spannenwerk eingelie- bis zu knapp einer halben Tonne5 errei- ferten Holzsorten (welche zwar die in dem Con- chend, mussten mittels Flaschenzügen tract vorgeschriebenen Mässereyen allerdings 30 Meter vertikal bewegt werden. Die halten) nicht gebrauchen könne.“8 Querschnitte im Kronenbereich redu- Klieber fertigte schließlich ein Mo- zierten sich bei allen Pfeilern auf 2,3 Me- dell, anhand dessen er weiterarbeiten ter Seitenlänge, das entspricht einer Ver- konnte. Die Bewältigung dabei immer jüngung der Seitenflächen um 2 Zoll pro wieder auftretender Widrigkeiten wurde Höhenklafter und einer Steigung von übrigens da und dort mit „schwarzer 2,7 %. Mit der Verjüngung der Pfeiler Kunst“ oder gar mit dem Teufel in Zu- wurde – ein optischer Zusatzeffekt! – die sammenhang gebracht. Auch erzählt Höhenentwicklung perspektivisch wirk- eine örtliche Saga oder Mär nicht ohne sam unterstrichen. (regionales Selbstbewusstsein evozie- Die Baugeschichte des mehr als 40 rende) Ironie, dass sich die für den Brü- Meter aufragenden Viadukts ist aus den ckenbau zuständige Hofkammer-Kom- Akten der Saline lediglich lückenhaft re- mission zur Beratung der weiteren Vor- konstruierbar, da viele Quellen fehlen. gangsweise einmal in die angrenzende Nähere Rückschlüsse gestatten zumin- Gosaumühle zurückgezogen und dort dest die Einlaufprotokolle des Salzober- beim jungen Wein gemeinsam „nachge- amtes in Gmunden. Im Jänner 1755 dacht“ hätte. Als die Beamten hinterher, wurde demnach das Hofschreiberamt in bereits leicht aufgeräumter Stim- Hallstatt zur Übermittlung einer Kopie mung, die Praktikabilität ihres gefassten des mit Hans und Andre Kirchschlager Beschlusses am Objekt testen wollten, sowie mit Adam Egger abgeschlossenen hätte „ein schlauer Zimmermeister das Kaufvertrages „betreff der zu dem Gosau Werk in der Zwischenzeit bereits vollen- Zwang benöthigten Straß Baumen“ aufgefor- det . . .“ (Abb. 1). dert.6 Dabei wird erwähnt, dass bereits im Vorjahr, 1754, eine Kommission das 5 Die Maße für diese Berechnung sind entnom- Vorhaben umfangreich geprüft habe. men aus: Plan Aschauer, Sepp, Gosauzwang über das Gosaubachtal bei Hallstatt, Aufriss Eine Lokalchronik vermerkt für und Schnitte, Maßstab 1 : 250 bzw. 1 : 50, Sali- 1755: „dieses Jahr ist der Sulzzwang über die nenverwaltung Hallstatt 1931. Gosa gebaut worden“.7 6 Oö. Landesarchiv, Salzoberamtsarchiv, Index und Einlaufprotokoll 1755, Hs. 7, S. 124. De facto zog sich der Bau zwei Jahre 7 Auszug aus der Chronik von Hallstatt nach länger hin; das heikelste Problem stellte Mathias Bernegger, Michael Aicher, Leopold das Spannwerk dar – es waren dies die Engleithner (Bibliothek Musealverein Hall- Holzüberleger, welche die Brückenpfei- statt); die Chronik wurde über Jahrhunderte, mit Hinzufügung der Lebensspanne des jeweili- ler verbinden sollten. Die Schwierigkei- gen Schreibers, fortgesetzt. ten damit werden vom Salzoberamt wie- 8 Oö. Landesarchiv, Salzoberamtsarchiv, Index derholt geschildert: und Einlaufprotokoll 1757, Hs. 9, S. 662.

193 Abb. 1: Die in einer spöttischen Anspielung auf die „Kommission der Hofkammer“ gipfelnde Saga vom Gosauzwang, illustriert von Winfried Aubell. Aus: Oö. Kulturzeitschrift Salzkammergut, Heft 1/1981

194 Abb. 2: Der Gosauzwang ca. 1781. Finanz- und Hofkammerarchiv Wien, Signatur H-112.

Apropos: Interessant ist, dass in den wurden in den Jahren 1782, 1805, 1811, Quellen der Saline stets Hans Klieber als 1813 und 1894 vorgenommen.11 1969 Schöpfer des Spannwerkes genannt wurde das hölzerne Tragwerk demoliert wird, während sonst allein der, desglei- und durch eine Stahlkonstruktion mit chen aus Gosau stammende, Zimmer- trogförmigem Trägerquerschnitt er- meister Johann Spielbüchler aufscheint.9 setzt,12 dessen seitliche Teile als horizon- tal verbrettertes Geländer ausgebildet Den Termin der Gesamtfertigstel- sind. lung weisen die Chroniken, ohne Datumsnennung, einhellig mit Sommer oder Herbst 1757 aus. In der Literatur wird oft die Frage aufgeworfen, wie man die mächtigen 9 Heinse, G. schreibt in „Linz und seine Umge- „Ensbäume“, welche die Pfeiler horizon- bungen“, Linz, auf S. 187: „Im Jahre 1756 erbaute tal miteinander verbanden, nun tatsäch- dieses Werk, welches wohl kühn mit manchen hochge- lich emporgehoben hat; die massiven rühmten Werken des Alterthums verglichen werden kann, ein gemeiner Maurer, namens Klüber“. Alle an- Kanthölzer besaßen eine Querschnitts- deren Quellen nennen Spielbüchler. Möglicher- 10 fläche von 20 « 25 cm, waren ergo bei weise war „Klieber“ der Hausname des Gosau- einer Länge von maximal 21 Metern ers, denn der Name war schon damals sehr etwa 800 Kilogramm schwer. Vergleicht häufig. Heute allerdings ist der Hausname nicht man dieses Gewicht mit jenem der Qua- mehr bekannt, weitere nähere Untersuchungen zu Johann Spielbüchler können nur auf Mut- der im Pfeilerkronenbereich (470 Kilo- maßungen fußen, weil einfach zu viele gleiche gramm), ist gut vorstellbar, dass die Namensträger in den Gosauer Pfarrmatriken Kanthölzer, nachdem sie horizontal an aufscheinen. Der Familienname „Klieber“ exi- zwei Pfeilerfüßen positioniert waren, an stierte damals in der Gegend überhaupt nicht. 10 jedem Ende mit jeweils einem Flaschen- Vgl. dazu Anm. 2. 11 Schraml, C., 1934: Das oberösterreichische Sa- zug bis zur Krone hochgehievt wurden. linenwesen von 1750 bis zur Zeit nach den Franzosenkriegen. Wien, S. 123. Umfangreichere Reparaturen am 12 Fellner, A., 1999: Bergmännisches Handwörter- Gosauzwang, der seine Funktion bis buch für Fachausdrücke im Salzbergbau- und zum heutigen Tag ungeschmälert erfüllt, Sudhüttenwesen. Wien, S. 237.

195 Literarische Rezeption 24000 Stück gebohrte Röhren zusammengesetzt sind. Bey der sogenannten Gosaumühle liegen Zwar war das Salzkammergut bis sie auf 7 Säulen von weißem Marmor, welches ins 19. Jahrhundert touristisch weithin einen frappanten Anblick verursacht und einem unerschlossen, doch kaum ein Reisender die berühmten Wasserleitungen der Römer in konnte sich der Faszination entziehen, Erinnerung bringt.“14 die vom Gosauzwang ausging. Unter den frühen Reisenden des 18. Auf Anordnung Kaiser Franz I. un- und 19. Jahrhunderts waren es meist ternahm der böhmische Geologe Johann Geologen und andere Naturwissen- Baptist Bohadsch 1763 eine „Prospek- schafter, welche die Region bekannt tionstour“ durch das Kammergut; er machten. Am genauesten analysiert wer- sollte mögliche Kohlevorkommen son- den die Zustände im Salzkammergut an dieren, welche der Saline eine spürbare der Zeitenwende um 1800 in dem Buch wirtschaftliche Erleichterung gebracht des Arztes und oft zitierten Gelehrten Jo- hätten. Bohadsch’ Berichte, mit hoher seph August Schultes (1809). Kaum ein Sachkenntnis abgefasst und reich an in- Aspekt entging Schultes’ aufmerksamen teressanten Details zum Leben der Men- und wachen Augen, auch wenn sich der schen vor Ort, kamen 1782 in Druck, ge- Autor – als „säkularer bayerischer Partei- rieten aber rasch in Vergessenheit. Ihnen gänger“ – zwischendurch zu polemi- verdanken wir die erste „reiseliterari- schen Äußerungen über den Staat sche“ Notiz über den Gosauzwang: Österreich insgesamt und zu Seitenhie- „Vor der Gosaumühle sah ich sieben vier- ben auf die hiesige katholische Kirche im eckete Säulen, worauf hölzerne Tramen geleget Besonderen hinreißen ließ; seine Mel- und über die Säulen zugespitzte Dächer aufge- dungen sind durch die Bank fundiert stellet sind. Ich fragte meinen Wegweiser, was und zeigen sehr guten Informations- dieses Gerüste zu bedeuten habe? Der mir zur stand. Über den Gosauzwang schreibt Antwort gab, dies seye der Gosauzwang, wor- Schultes: „Die zweyte Abtheilung führt über auf die Röhren liegen, durch welche die Sulze die hohen und steilen Felsen und den im Jahre nach Lambach geführet wird. Dieses prächtige 1757 aufgeführten sogenannten Gosauzwang, Gerüste stehet auf 7 Säulen von weißlichtem Marmor quadratweise aufgerichtet, wovon die mittleren zwey 102 Schuhe lang und am Fuße 4 13 Born, I., 1782: Hrn. Johann Bohadsch Bericht Schuhe breit sind. Auf diesen Säulen sind 3 höl- iber seine auf allerhöchsten Befehl im Jahr 1763 zerne Röhren nebeneinander gelegt, welche die unternommene Reise nach dem Oberösterrei- Salzsulze von dem Hallstätter Salzberg bis chischen Salzkammerbezirk. In: Abhandlungen Lambach, das ist 4 Meilen weit, führen. Hier einer Privatgesellschaft in Böhmen zur Auf- musste ein Gerüst aufgeführet werden, weil die nahme der Mathematik, der vaterländischen Geschichte und der Naturgeschichte, S. 91–227, Berge weit von einander stehen, und zwischen hier S. 179. „Lambach“ ist der alte Name für selben der Gosaubach in den Hallstättersee flie- Ebensee. ßet.“13 14 Herrmann, H., 1793: Nachricht von einer Reise 15 Jahre darauf schwärmte ein Mine- nach den Salzwerken in Oberösterreich im „Ein Theil der Jahre 1778, In: Chemische Annalen für Freunde raloge namens Herrmann: der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushal- hiesigen Sole wird 4 Meilen weit bis nach Lam- tungskunst und Manufakturen, S. 3–21, hier pad oder Ebensee geleitet, zu welchem Ende S. 12.

196 der aus 7 steinernen Pfeilern besteht, wovon der cher Größe gleich viel Bewunderung und Er- höchste 23 Klafter hoch ist, eine Strecke von staunen ab.“16 12204 Klaftern oder 3 Postmeilen 204 kleine Im Juni 1808 freute sich das ganze MeilenbisIschl... Salzkammergut auf den ersten Besuch Dieser Gosauzwang ist einer der merkwür- Kaiser Franz I. Jahrzehnte waren seit digsten und kühnsten Gebäude in den oberöster- dem letzten Aufenthalt eines regieren- reichischen Salinen, ein Gegenstück zu dem be- den Monarchen vergangen, entspre- kannten Traunfalle, vielleicht eben so oft wie chend fielen die Feierlichkeiten aus. dieser, und auch so wie dieser nie nach Würde Schon am 10. Juni ließ der Salzoberamt- von einigen Kupferstechern, die ich nie Künstler mann die gesamte Stadt Gmunden, die nennen werde, dargestellt. Da wo die Gosau umliegenden Gebirge sowie das Seeufer aus dem schaurigen Gosauthale hervorströmt in erleuchten und einen Tempel auf dem den Hallstädter See, trennt eine mächtige Hauptplatz errichten. Tags darauf Schlucht den Berg, über welchen hinab die Was- schiffte der Monarch mit seiner dritten serleitung, die die Sohle führt, gen Ischl hinab- Gattin Maria Ludovika nach Ebensee läuft. Mehr als 23 Klafter hoch über dem See über und setzte seine Fahrt nach Ischl liegen die Röhren, und mehr als 80 Klafter breit „auf der Achs mit 6 bespannten Pferden und ist die Schlucht, über welche die Röhren gelegt zwei Vorreitern“ fort. Dem Ischler Pfann- werden sollten. Da war nun kein anderes Mit- haus und Salzberg wurde die Ehre zuteil, tel, als Thürme zu bauen, und die Sohle über die von den allerhöchsten Herrschaften be- Thürme wegzuleiten. Dieser Thürme von Qua- sichtigt zu werden. Nach einem Kurzauf- dersteinen sind nun 7 in die Schlucht hineinge- enthalt in Aussee und am Grundlsee zog baut, und der höchste derselben ist 27 Klafter die kaiserliche Entourage nach Hallstatt: hoch. Über die Endspitzen dieser Pfeiler weg „Bey dieser Anlandung war eine dreifache läuft nun 80 Klafter lang das Röhrenwerk hin, grüne Triumph Pforte errichtet, durch welche in welchem die Sohle strömt. Der Name des mitten der kaiserliche Koblschiff anlandete und Meisters, der diesen kühnen Bau wagte, ver- bey dero Austritt beider kaiserlichen Majestä- dient noch aufbehalten zu werden: es war der ten wurde ihnen von der gegenwärtigen Menge Bergmann Johann Spielbüchler.“15 das Vivat zugerufen, während der Zug in das Amtshaus ginge, stunden von See hinauf die 1807 zog der „Zwang“ wieder einen ersten Pfartlschützen, in grünen Kleidern und böhmischen Reisenden in seinen Bann: Hüten, dann die Bergleut, sonders die Heuer 3 „Ungefährt ⁄4 Stunden vom Stög landeten wir und Heuerknechte in weißen Kleidern Paradi, bey der Gosaumühle um den berühmten Gosau- mit ihren Werkzeugen, vor dem Amtshaus da zwang zu sehen, welcher auch für den Layen, für wiederum eine Pforte aufgericht standen wie- jenen, den blos die Neugierde hieher lockt, un- derum 2 Schützen, durch das Amtshaus die streitig eine der ersten Merkwürdigkeiten des Kammergutes ist . . . Man mag die schwin- delnde Höhe mit dem Auge von unten erklim- 15 Schultes, J., 1809: Reisen durch Oberösterreich men, oder von oben herab, tief unter sich die fel- in den Jahren 1794, 1795, 1802, 1803, 1804 und senfortwälzende Gosach, in weißem Schaume 1808. Tübingen, 2. Teil, S. 63 f. 16 aufgelöst, mit zerstörender Gewalt durch eine Mader, J., 1809: Reise von Böhmisch-Krumau durch das Obderennsische Salzkammergut fürchtliche Wildnis daher brausen sehen, immer nach Salzburg und Berchtesgaden im Herbste nöthigt dieses unsterbliche Denkmahl menschli- 1807. Prag, S. 116.

197 Schulkinder mit Lehrern, die dem Kaiser und der Kaiserin das Vivat alle zugleich mit heller stimm zuruften“ schildert euphorisch eine zeitgenössische Quelle.17 Weiter ging das „Sightseeing“-Pro- gramm mit der Visitation des Gosau- zwanges, wobei es sich der Kaiser nicht nehmen ließ, höchstpersönlich über die Brücke zu schreiten, was „großen Eindruck“ machte. 1814 kam nochmals ein gekrön- tes Haupt, Franz I., hierher. Die illustren Besuche sollte ein Denkmal bei der Sole- leitung für alle Zeiten in Erinnerung hal- ten; den Auftrag hiezu erteilte man kei- nem Geringeren als Franz Anton Zauner – Direktor der Maler- und Bildhauer- klasse der Akademie der Bildenden Künste in Wien und einer der führenden klassizistischen Bildhauer. Zauner lie- ferte bis 1822 einige Entwürfe, doch die Ausführung des mehrere Tausend Gul- den teuren Monumentes unterblieb, nicht zuletzt wegen der damals ziemlich Abb. 3: Unausgeführter Entwurf von Franz Anton leeren Staatskasse. Zauner für das Denkmal Franz I. beim Gosau- zwang.18 Die kaiserlichen Aufenthalte und den Plan einer Büste besang der Salinen- beamte Karl Lindner mit hymnischem Strebt sein Gefängnis oft sich hoch Pathos: aufbäumend „Der Wand’rer starr’t beym Aufblick, und es MitstarkerKraftzusprengen,undim enget Drang...“19 Die Furcht ihm seine Brust, sie sträubt sein Friedrich Joachim von Kleyle, Güter- Haar; direktor Erzherzog Karls, hatte das Bau- Er zittert, beb’t beym Eintritt in die Brücke, werk 1810 bestaunt: „Wer sich die Kühnheit Doch stand hier der Monarch mit festem dieses Baues versinnlichen will und auf gefahr- Blicke. . . . Er wird ja auch sein Bild aus Erz uns schenken; 17 Chronik von Bernegger, Engleitner (Anm. 7), Der spät’sten Nachwelt heil’gstes Angedenken. S. 90. 18 Entlang der Brücke strömt, unwillig, Hofkammerarchiv, Karten- und Plänesamm- lung, Münz- und Bergwesen, Präsidium, Ge- schäumend schäftszahl 1032 ex 1822, S. 143/1. Das flüss’ge Salz stets an des Felsens Hang; 19 Lindner K., 1819 (Anm. 1), S. 10.

198 losen Höhen nicht vom Schwindel ergriffen zu Künstlerische Rezeption werden fürchtet, der gehe auf dem Pfade zwi- schen den Sulzenröhren über diese Brücke, und Datieren die frühesten Beschreibun- sehe, wenn er Gelegenheit dazu findet, einer gen schon aus der Zeit um 1760, musste Ausbesserung derselben zu. Er wird nicht ohne der Gosauzwang auf künstlerische Ab- Schaudern in den wild unter ihm fortrauschen- bildungen bis in die 1790er-Jahre warten. den Bach hinunter blicken, aber wenn er von Zuerst waren es die „Salinenzeichner“ unten den Zimmermann über einen schmalen (eine einheimische Amateurgruppe aus Balken von einem Pfeiler zum andern rutschen dem Dunstkreis der Saline), die sich, auf sieht und etwas einzufügen oder zu verklam- Initiative ihres vermutlichen Begründers mern, oder morsches Holz abzuschlagen, wäh- und Nestors, Unterbergmeister Franz rend neben ihm der Maurer in seinem schwan- Steinkogler, des Monuments annahmen. kenden Kasten unstät herumbaumelt um die be- „[Es gibt] einige, 1792 nur unter Beamten schädigten Pfeiler zu flicken – so wird er seinen vertheilte, und eben deßwegen selten gewordene Blick mit Bangigkeit wegwenden. Die Pfeiler Ansichten des Salzkammergutes, vom Unter- werden der Zeit noch lange trotzen. Nur einer bergmeister Steinkogler zu Hallstatt gezeichnet, der mittlern musste bis itzt zum Theil mit eiser- und vom ehemaligen Bergmeister, Daniel Kess- nen Stangen bepanzert werden; weil sich einige ler, zu Ischl, gestochen. Diese Ansichten sind in Quaderstücke herauszudrängen schienen: aber der Zeichnung richtig, aber nicht fein im Stich; das Holzwerk muss alle 20 bis 25 Jahre erneu- sie lieferten a) den Gosauzwang b) den Wald- ert werden. Vielleicht kommt einst ein zweyter bachstrub c) die Wasserfälle beym Kaiser Fran- Spielbüchler (so hieß der Mann, welcher im zens Berghause zu Ischl d) den Mühlbach bey Jahre 1757 den Gosauzwang baute) und vollen- Hallstatt.“23 det das Werk, indem er die Pfeiler mit gemauer- ten Bögen verbindet.“20 Matthäus Baumgartner und Johann Engleitner, beide desgleichen in der Sa- Wahrscheinlich animierte F. J. von line tätig, zeichneten den Gosauzwang Kleyle Erzherzog Karl zu dessen Salz- dreimal – ca. zwischen 1795 und 1805; kammergutreisen (1812 und 1817), bei die bereits in den 1840er-Jahren „selten denen der „Held von Aspern“ auch den gewordenen“ Ansichten der „Salinen- Gosauzwang bestieg.21

Nach der Eröffnung des Ischler Ba- 20 Kleyle, F., 1814: Rückerinnerungen an eine Reise des 1822 gehörte eine „Partie zum Go- in Österreich und Steyermark im Jahre 1810. sauzwang“, neben der 1819 eröffneten Wien, S. 122. Kleyle war der Vater von Sophie, Chorinsky-Klause, zu den schönsten verheiratete Löwenthal, der unglücklichen Ausflügen. Staatskanzler Metternichs Liebe von Nikolaus Lenau. 21 Criste, O., 1914/15: Reisebriefe des Erzherzogs Tochter Leontine, 1826 in Ischl zur Kur Carl. In: Jahrbuch für die Landeskunde von weilend, ergriff ebenfalls die Gelegen- Niederösterreich XIII bis XIV, S. 464. heit: „Wir sind zum Gosauer Zwang, einer 22 Metternich, T., 1990: Le´ontine: das intime Tage- großen Brücke, die zwei Berge verbindet, die von buch der Tochter Metternichs; von 1826 bis einem Abgrund getrennt sind. Wir sind dar- 1829, 14. bis 18. Lebensjahr. Wien, S. 86. 23 Pillwein, B., 1843: Geschichte, Geographie und über gegangen, aber Gräfin Fuchs hat der Mut Statistik des Landes ob der Enns. 2. Theil; Der dazu gefehlt.“22 Traunkreis – Linz, S. 91.

199 Abb. 4: Das Tragwerk in einem Stich von Maria Laimer. Schultes, 1809. zeichner“ sind verschollen, ebenso ist die nungen der Gegenden im Salzkammergut, die Amateurgruppe längst verschwunden. wenigstens den Verdienst der größten Genauig- Die eigentliche „künstlerische Ent- keit haben.“24 deckerin“ des Viadukts allerdings war Kurz darauf erschien der Band „Die Maria Laimer, Tochter des Hallstätter Österreichische Schweiz oder mahleri- Bergmeisters Daniel Kessler. In ihrem sche Schilderung des Salzkammergutes Schaffen (bekannt sind bis dato an die in Österreich ob der Enns“ von Franz 50 Werke aus den Jahren 1790 bis 1816) Sartori, ein streckenweise billiger Ab- ist der Gosauzwang mit nicht weniger klatsch der Publikationen des älteren als zehn Versionen vertreten. Schultes; den Titel ziert ein Gosau- zwang-Bild Laimers unter noch krasser Joseph August Schultes ließ Maria verfälschtem Namen („S. Langer“).25 Laimer fünf Stahlstiche, darunter auch Besonders für ausländisches Publi- welche vom Gosauzwang, anfertigen kum bedeutsam war die Aufnahme einer und kommentierte: „Künstlern ist es viel- leicht nicht uninteressant, an einer Frau Lamer [sic], geborene Kessler zu Ischel, eine Künstlerin 24 Schultes, J., 1809 (Anm. 15), S. 166. 25 zu finden, die, wenn sie das Glück einer Bil- Sartori, F., 1813: Die Österreichische Schweiz oder mahlerische Schilderung des Salzkam- dung für Kunst genossen hätte, vielleicht etwas mergutes in Österreich ob der Enns. Wien, S. hätte leisten können. Sie verkauft einige Zeich- 308.

200 Laimerschen Gosauzwang-Vedute in das Das letzte Wort zum 250-jährigen epochale Werk „Voyage pittoresque en Bestandsjubiläum sei dem Dichter über- Autriche“ von Alexandre Comte De La lassen. Carl Adam Kaltenbrunner (1804– Borde, ediert 1821 in Paris. 1867), Enns, seinerseits der Faszination In den 1820er-Jahren nahm der „Gosauzwang“ erlegen, hat dem Monu- Landschaftsmaler, Zeichner und Litho- ment Verse gewidmet, die als Zeugnis graf Jakob Alt den Gosauzwang in seine zeitloser Würdigung gelten dürfen. „Vorzügliche Ansicht des k. k. Salzkam- mergutes und dessen Umgebung in Oberösterreich“ auf. Der Gosau-Zwang Namhafte Künstler wandten sich Hin über der beschäumten Gosau Wogen, dem Tragwerk fernerhin nicht mehr zu. Bezwingend ihr Ergrimmen tief im Grunde, Rang und subjektiver Wert der Baulei- Hat hier des Baues meisterhafte Kunde stung schrumpften natürlich im Zeitalter Des Salzes Lauf von Berg zu Berg gezogen. der Eisenbahn, als gigantische Brücken die Täler zu überziehen begannen. Allge- Ihr, des Granites hohe, luft’ge Bogen, mein ist der Gosauzwang aber eine z. B. Ersonnen und vollführt in guter Stunde, gern auf Postkarten gebannte touristi- Wie Siegessäulen steht ihr über’m Schlunde, sche Attraktion geblieben. Wo noch die Zeit umsonst ihr Amt gepflogen. Bilder, wie sie Anfang des 19. Jahr- Ihr möget stehn, wie dort die Berge ragen, hunderts geschaffen worden sind, wären Die, Hohn erwidernd allen Ungewittern, mittlerweile – nebenbei erwähnt – gar Nie vor Zertrümmerung und Ende zittern. nicht mehr möglich, denn die Sicht auf Ihr möget stets den Segen heilig achten, das Viadukt ist seit langem von hohen Der reich entquillet aus der Hallstatt Schachten, Bäumen verdeckt. Jüngere Überlegun- Den ihr bestimmt seyd schützend gen, die historische Holzkonstruktion fortzutragen!26 wiederherzustellen, konnten bisher, vor allem aus Kostengründen, nicht umge- setzt werden. Neben dem „Zwang“ ist (Der Dank des Autors gilt Thomas heute eine kleine Erinnerungsstätte ein- Nussbaumer von den Salinen gerichtet, die von seiner Geschichte und DI Dr. tech. Friedrich Idam für hilf- Kunde gibt. reiche Hinweise und Unterstützung.)

26 Kaltenbrunner, C., 1835: Vaterländische Dich- tungen. Linz, S. 193.

201 Von der Befestigungsanlage zur Grottenbahn Maximilian und die Linzer Türme

Von Josef Simbrunner

Einleitung

Der in der oö. Landesgalerie aufbe- plündert. Die am 15. 8. 1800 durch einen wahrte reichhaltige Schatz an Kunstwer- katastrophalen Großbrand zerstörten ken bedarf ständiger Pflege. Gern bin ich Verteidigungsanlagen hatte man nicht dem Ersuchen der Direktion der oö. wieder aufgebaut, wonach Linz, militä- Landesmuseen nachgekommen, die risch gesehen, zu einer offenen Stadt ge- Kosten für die Restaurierung einiger worden war, was sich postwendend bit- Aquarelle zu übernehmen. Die Wahl der ter rächte. Leiterin der Grafischen Sammlung, Mag. Monika Oberchristl, war auf vier Im zweiten Koalitionskrieg (1798– Werke des Kammermalers von Erzher- 1802) rückten die französischen Truppen zog Maximilian d’Este, Johann Maria nach ihrem Sieg bei Hohenlinden am Monsorno, gefallen, welcher einst Teile 3. 12. 1800 ungestüm gen Westen vor der Linzer „Turmlinie“ dokumentiert und besetzten drei Tage vor Weihnach- hatte. So begann ich mich mit dieser ten die oö. Metropole. Die kaiserlichen historischen Befestigungsanlage und de- Truppen hatten sich notgedrungen zu- ren Urheber eingehender zu beschäfti- rückgezogen, nur Urfahr wurde von den gen – das Ergebnis meiner Recherchen, Österreichern gehalten. Die „Revoluti- Nachforschungen und Quellenstudien onshorde“ raubte und plünderte nach wird hier vorgestellt. (An wissenschaftli- Belieben und hinterließ ungeachtet des cher Fachliteratur zum Thema sei unter am 25. 12. 1800 in Steyr geschlossenen anderem die Arbeit von Erich Hillbrand Waffenstillstands, dem am 9. 2. 1801 der empfohlen.) Friede von Luneville folgte, ein wirt- schaftlich ausgeblutetes Linz. Der dritte Koalitionskrieg brachte Geschichtlicher Hintergrund – den Österreichern am 15. 10. 1805 bei Die „Franzosenkriege“ Ulm eine vernichtende Niederlage: 23.000 Mann wurden von Napoleon ein- geschlossen und gefangen. Die Straße Im Verlauf der „Franzosen- oder nach Wien über Linz stand offen, die Koalitionskriege“ wurde die oö. Landes- Stadtverantwortlichen sahen sich vom hauptstadt dreimal, 1800/1805/1809, von schnellen Vordringen der Franzosen völ- der Armee Napoleons besetzt und ge- lig überrascht. Bonaparte selbst traf am

202 4. 11. 1805 in Linz ein, nahm bis zum sena bei Ebelsberg entgegen; beim 9. 11. Logis im Landhaus und empfing Traun-Übergang entbrannte ein heftiges hier den kaiserlichen Abgesandten zu – Rückzugsgefecht, in dem die österreichi- fruchtlosen – Verhandlungen. Am 13. 11. schen Truppen tapferen Widerstand leis- eroberte Napoleon Wien, siegte am teten und dem Feind hohe Verluste zu- 2. 12. in der Dreikaiserschlacht von Aus- fügten. terlitz und diktierte nach dem Waffen- stillstand von Znaim am 26. 12. 1805 den Hiller fürchtete dennoch eine Um- Frieden von Pressburg, den demüti- klammerung, nahm seine Truppen ge- gendsten Frieden in der österreichischen gen Asten zurück, ging über die Enns Geschichte. und bei Krems über die Donau, um sich mit der Armee Erzherzog Karls zu verei- Aufgrund der Kriegshandlungen lag nigen. Linz wirtschaftlich neuerlich total dar- nieder, doch ihren Gipfel hatte die Not Ebenfalls schon am 3. 5. hatte Napo- noch immer nicht erreicht. leon das Schlachtfeld von Ebelsberg be- sichtigt und im „Baumgartnerhofe“ (Gottschalling 12) übernachtet, wo ihm eine Deputation der Stände ihre Aufwar- tung machte. 1809 – Höhepunkt der Verzweiflung Vier Tage darauf überschritt er die Nachdem sie die Österreicher bei Enns und erschien bereits am 10. 5. vor Regensburg in einer Serie von Gefechten den Toren Wiens, das er am 13. 5. nach schwer getroffen hatten, rückten die kurzer Beschießung besetzte. Franzosen 1809 zum dritten Mal über Im folgenden Aufeinandertreffen bei Bayern in unser Land ein. Angesichts Aspern und Eßlingen (21./22. 5.) sollten der drohenden Gefahr sollte Linz eine sich Erzherzog Karl und General Hiller strategische Schlüsselstellung als Sam- ruhmreich bewähren: erstmals wurde melpunkt der verschiedenen österreichi- Napoleon in offener Feldschlacht ge- schen Heeresteile erhalten, konnte diese schlagen, der Mythos von der Unbesieg- Funktion aber mangels eigenen Befesti- barkeit des Korsen war damit gebro- gungsschutzes nicht erfüllen. Der kaiser- chen, die entmutigten Völker schöpften liche General Hiller hatte sich, von der frisches Selbstvertrauen. Hauptarmee abgeschnitten, am 3. 5. vor den nachdrängenden Franzosen über die Linz, in dem noch bis Anfang 1810 Traun zurückgezogen. Linz war damit französisches Militär einquartiert war, abermals Durchzugsstation, die Bevöl- hatte aber nicht nur unter den direkten kerung verzweifelt. (Urfahr verweigerte Auswirkungen des Krieges – auf öster- die Übergabe, 31 Häuser wurden von reichischer Seite erwarb sich dabei u. a. den Besatzern daraufhin strafweise in der junge Josef Graf Radetzky von Ra- Schutt und Asche gelegt.) Um den Vor- detz erste Meriten –, sondern auch we- marsch der Franzosen nach Wien zu ver- gen der unverschämten Reparationsfor- zögern, stellte sich Hiller noch am 3. 5. derungen Napoleons über Jahre furcht- dem napoleonischen Marschall Mas- bar zu leiden.

203 Die Ausgangslagen im Vergleich: Militärische Trümpfe der Franzosen

Die Überlegenheit der napoleonischen Ar- ner der Franzosen nicht annähend Schritt hal- mee in den Koalitionskriegen hatte mehrere ten. Die Uniformierungsvorschrift vom 20. 8. Gründe. Bonapartes Generäle besaßen erstklas- 1808 z. B. verlangte keinerlei einheitliche Mon- sige Kenntnisse in der Geographie und im Kar- tur und sah zur äußeren Kennzeichnung der tenlesen, sodass sie jeden strategisch wichtigen Landwehrmänner lediglich ein Messingschild Punkt mit größter Schnelligkeit erreichen, mili- mit der Kreis- bzw. Bataillonsangabe vor, wel- tärisch ungünstigen Situationen jedoch ge- ches am Hut (!) zu tragen war. Wie mäßig die schickt aus dem Weg gehen konnten. Ein weite- Kriegsbegeisterung der Österreicher gewesen rer Grund für die enorme Schlagkraft der Fran- ist, ersieht man auch daran, dass sich wehrun- zosen lag in deren unter Carnot völlig umge- willige Burschen dem Einberufungsbefehl nicht krempeltem Wehrsystem: nicht mehr Söldner selten durch Flucht bis nach Bayern entzogen und Abenteurer standen der Koalition gegen- und dann von der Dienerschaft ihrer Grundher- über, sondern ein hoch motiviertes Volksheer, ren buchstäblich, mitunter sogar unter Einsatz das in nationaler Begeisterung für Napoleons von Bluthunden, gejagt wurden, was man „Bua- Zielvorgaben zu äußergewöhnlichen Leistun- mafanga“ nannte. gen bereit war. Eine besondere, die Motivation Um den Einmarsch der „Grande Arme´e“ in wirksam anheizende Rolle spielte in der franzö- Linz anno 1809 rankt sich übrigens ein notie- sischen Armee ferner die „Marseillaise“, seit renswertes episodisches Detail: Am Tag der 1879 Frankreichs Nationalhymne, die beim Zug Schlacht vom 3. 5., in der es um die Traun- ins Feld gemeinsam angestimmt wurde und als brücke sowie um das Schloss und den Ort schallender Schlachtruf den Gegner erzittern Ebelsberg gegangen war, wurden die österrei- ließ. chischen Verteidiger durch das ungeschlossene Ungleich schlechtere Auspizien hatte die und nur relativ langsame Vordringen der Trup- Lage auf österreichischer Seite. Obwohl die pen Marschall Massenas vor der allerschlimm- Aufstellung der Landwehr – um den Kampf ge- sten Katastrophe bewahrt. Zu danken war dies gen Napoleon zu einem „Volkskrieg“ zu ma- der glücklichen Regie des Zufalls oder, wenn chen, sollten alle waffenfähigen Untertanen re- man will, dem unverhofften Beistand des Dio- krutiert werden – eine gewaltige Leistung Erz- nysos; die Franzosen, die von Wilhering aus herzog Karls war, litt die Ausbildung am Fehlen anmarschiert kamen, hatten nämlich dem dorti- geeigneter Offiziere und Instruktoren. Zudem gen Stiftswein in der Nacht davor mehr als aus- konnte die Moral der Österreicher mit je- giebig zugesprochen.

Der Prototyp Marc-Rene´ de Montalembert erarbei- tete, wich davon prinzipiell ab. Es um- Auf die Erfahrungen aus den Franzo- fasste ein Verteidigungssystem aus frei- senkriegen* hatte zunächst die „General- geniedirektion“ in Wien mit dem Plan * Aller Unbill zum Trotz zeitigte die Präsenz fran- zur Ausarbeitung eines sogenannten zösischen Militärs in der oö. Kapitale auch ein „Reichsbefestigungssystems“ reagiert. Gutes: Unter dem ständigen Landesgouverneur Die Entwürfe erwiesen sich allerdings als Puthod, der auf Hygiene und Reinlichkeit höch- sten Wert legte, wurde im Frühsommer 1809 die viel zu aufwändig und landeten in der Kanalisierung der Landeshauptstadt in Angriff Schublade. genommen. Bis September desselben Jahres war das Entsorgungsnetz, das mit den alten Das Projekt, das daraufhin Erzher- Senkgruben aufräumte und von dem Linz noch zog Maximilian Joseph von Österreich- lange profitieren sollte, zu großen Teilen fertig Este auf Basis der Ideen des Franzosen gestellt.

204 stehenden, vorgeschobenen Geschütz- „Probeturm“ im Feuerhagel türmen, deren Abstand so gewählt wurde, dass sie sich mit ihrem Artillerie- Zum Standort des „Probeturms“ feuer gegenseitig Deckung geben konn- wählte man den Freinberg – östlich ten. Für den Fall, dass dem Feind ein des Jägermayr. Am 26. 10. 1828 war Durchbruch gelingen sollte, war er auch der Bau zur Gänze fertig, die Bestückung innerhalb der Befestigungslinie direkt zu mit Kanonen geschah im Sommer 1829, beschießen und damit weiterhin wirk- und im Herbst selbigen Jahres (17.– sam zu bekämpfen. Bei jedem Turm wa- 19. 9.) wurde der Turm in Anwesenheit ren sämtliche Verdecksgeschütze auf ei- des Kaisers, der Kaiserin sowie der Erz- nen einzelnen Punkt ausrichtbar, was herzöge Ludwig, Johann und Anton konzentrische Feuerkraft garantierte; dem vorgesehenen artilleristischen Be- eine andere, besondere Idee Maxi- schusstest und zugleich Sprengversu- milians bestand in der Umsäumung der chen ausgesetzt. Zuerst wurde vom Türme mit einer ringförmigen Erdauf- „Probeturm“ aus eine beim Jägermayr er- schüttung („Glacis“), die keinen toten richtete Demontierbatterie unter Feuer Winkel entstehen ließ und die Bauten genommen (247 Schüsse aus 10 acht- selbst zum größten Teil vor Beschuss zehnpfündigen Kanonen), tags darauf schützte. beharkte diese Batterie das Probebau- Die wichtigsten Einfallstore der werk zwei Stunden lang mit 4 acht- Monarchie wie u. a. Prag, Troppau, Mys- zehnpfündigen Feldkanonen, 4 zehnp- lenice, Lemberg, Rozwadow, Pola, Mai- fündigen Haubitzen, 3 sechspfündigen land, Bregenz und Linz sollten auf diese und 4 zwölfpfündigen Raketenge- Weise bewehrt werden, doch eine kon- schützen (insgesamt 504 Granaten). Ein krete Umsetzung erfuhr das Projekt zweieinhalbstündiger Geschosshagel schließlich nur in der oö. Landeshaupt- aus 2 dreißigpfündigen und 2 sechzigp- stadt. Zur Zeit seiner Errichtung erregte fündigen Mörsern sowie 2 vierundzwan- das neuartige Befestigungssystem bei zigpfündigen und 4 dreißigpfündigen den Militärs europäischer Staaten gro- Raketengeschützen (insgesamt 232 Gra- ßes Aufsehen – beim preußischen Gene- naten) beendete am dritten Tag die „Feu- ralstab ebenso wie z. B. in Frankreich. ertaufe“. Von Kaiser Franz I. hatte Maximilian Das Resultat des Testes war rundum die Genehmigung erhalten, zunächst auf zufriedenstellend; vom technischen Er- eigene Kosten einen „Probeturm“ zu findergeist Maximilians zeugt u. a., dass bauen, an dem man die Tauglichkeit der er die Zielgenauigkeit sowie die Feuerge- Anlage in natura testen wollte. (Die Vor- schwindigkeit der Geschütze mithilfe finanzierung aus eigener Tasche war selbstkreierter Methoden klar verbes- dem Erzherzog deshalb möglich, weil serte und obendrein den Schusswinkel ihn sein Onkel und Taufpate Maximilian zu erweitern wusste. (Den Linzer Magi- Franz, Erzbischof und Kurfürst von stratsherren hatte der Erzherzog übri- Köln, zum Universalerben bestimmt gens die Errichtung einer Hängebrücke hatte, wodurch er über Nacht zu einem über die Donau – statt des alten Holz- der reichsten Männer der Familie tragwerks – auf eigene Kosten angebo- wurde.) ten; die Stadtväter schlugen das Of-

205 J. M. Monsorno: Ansicht des „Probeturms“ auf dem Freinberg gleich nach der Fertigstellung. Foto: Oö. Landesmuseen fert aber aus, da ihnen das Projekt nicht Porträt- und Miniaturmalerei zu, aus sicher genug erschien.) dem Jahre 1803 datieren einige Bildnisse der Familie des Fürsten Schwarzenberg. Um 1813 weisen zahlreiche Anträge und Für die Nachwelt dokumentiert Berichte Monsorno (der Vorname war inzwischen eingedeutscht worden) als Auch die Momente der Beschießung den besten Porträtkünstler seiner Zeit im September 1829 hat Maximilians aus. 1820–1822 begleitete er den Herzog Kammermaler Johann Maria Monsorno Ferdinand von Toscana auf einer ausge- in einem seiner Aquarelle festgehalten. dehnten Reise nach Norditalien, in die Der Historien- und Porträtmaler, am österreichischen Alpenländer sowie 21. 11. 1768 in Varena di Fiemme bei nach Wien und Südmähren. 1825 lernte Ampezzo als Spross einer italienischen ihn Maximilian von Österreich-Este Bauernfamilie geboren, studierte ab kennen, die Bestellung zum Kammerma- 1790 an der Wiener Akademie und ler erfolgte drei Jahre später. Im Auftrag wurde dort von Hubert Maurer, Profes- Maximilians dokumentierte Monsorno sor der Historischen Zeichenschule, un- nicht nur die Beschießung des „Probe- terrichtet. Etwa 1800 wandte er sich der turms“ am Freinberg; bei seinen späteren

206 Aufenthalten (1829–1833) entstanden Wie aus dem Lageplan ersichtlich, ebenso Aquarelle von der Errichtung ei- wurden die Befestigungstürme einzeln nes der Türme am Pöstlinberg, von einer stehend und ringförmig um die ganze Festlichkeit am Verdeck des Zwölfer- Stadt gruppiert. Bei der „Neuen Welt“ turms in Leonding sowie Szenen aus bzw. an der Wiener Straße mit Turm 1 dem biedermeierlichen Linz. Über die beginnend, zog sich der Bogen zunächst Dokumentation einzelner Bauphasen nach Westen und weiter auf den Höhen- hinaus lassen die Bilder deutlich erken- rücken des Freinbergs gegen Nordwes- nen, auf welch lebhaftes Interesse dieses ten. Jenseits der Donau spannte er sich Befestigungsprojekt bei der hiesigen Be- in östlicher Richtung über die Hänge völkerung und speziell beim Militär ge- des Pöstlingbergs, um bei Heilham wie- stoßen war. Ab 1833 verfertigte Mon- der auf das rechte Donauufer zu wech- sorno noch einige weitere Aquarelle mit seln und, innerhalb des Augebiets ver- Motiven aus Linz, Enns und Steyregg, laufend, mit Turm 32 den Kreis im Sü- ehe er am 10. 11. 1836 in Wien verstarb. den zu schließen. Alle Objekte erhiel- Den Tod seines Kammermalers betrau- ten Frauennamen, zur numerischen Be- erte Maximilian tief: „Er war ein sehr guter zeichnung verwendete man römische Mensch, sehr anhänglich, gut denkend, und in Ziffern. seiner Kunst geschickt.“ (1958 konnten die oö. Landesmuseen aus dem Antiqua- Die Befestigungslinie bestand aus: riatshandel vier Aquarelle Monsornos – dem Fort am Pöstlingberg mit Darstellungen von Objekten des – 27 Normaltürmen (Nrn. 1 bis 16, 18 1 Festungsgürtels erwerben – siehe Einlei- bis 25, 30 ⁄2, 31 und 32). Eine Nummer tung.) 17 gab es – offiziell – nicht, dafür 1 wurde ein Turm mit „30 ⁄2“ gezählt. – 5 Segmenttürmen (Nrn. 26–30) Entstehung der Gesamtanlage – 2 Vorwerken („Viktoria“, zwischen den Nrn. 11 und 12, „Constantia“, gegen das Diesenleitental zu) Nach dem positiven Beschießungs- – den beiden Anschlusstürmen an der test begann man 1830 mit den Vorberei- Donau tungen zum Bau der eigentlichen An- – 2 kasemattierten Batterien („Thekla“, lage, des gesamten „Befestigten Lagers“.In- zwischen den Nrn. 15 und 16, „Klara“, nerhalb von sechs Jahren waren dann zwischen den Nrn. 16 und 18) das Fort auf dem Pöstlingberg, 32 Türme sowie die beiden Anschlusstürme an der Die Abstände zwischen den Türmen Donau nahezu vollendet. (1832, genau bewegten sich in „Kartätschenschuss- am 21. 7., überzeugte sich der Kaiser weite“ (450 bis 900 Schritte). Im Ernstfall vom Fortschritt der Arbeiten persönlich; sollten die Objekte mit einer Linie von zur Feier des Tages, an dem auch die Schanzpfählen als militärischem Hinder- Pferdeeisenbahn Linz–Budweis eröffnet nis verbunden werden, außerdem war wurde, gab es anschließend die obge- zwischen den Klausen „Adelgunde“ und nannte Festveranstaltung im Zwölfer- „Kunigunde“ die Sperre der Donau turm.) mittels einer Kette geplant. Der an zwan-

207 Die Lage der einstigen Maximilians-Türme. Skizze nach H. Schoenauer, Die Maximilians-Thürme in Linz, Passau 1850. Zeichnung: Dr. A. Marks zig Stellen vorgesehene Bau von Zwi- entsprechenden – großen Türmen (II, schenbatterien gelangte nicht zur Aus- „Beatrix“, hier wurden später die Grot- führung. An Besatzung waren für die tenbahn und die Märchenwelt eingerich- Gesamtanlage 40.000 Mann berechnet. tet, IV, „Maria“, heute Bergstation der Pöstlingbergbahn), sowie aus vier klei- nen (I, „Othilie“, heute Musikheimquar- Das Fort auf dem Pöstlingberg tier, III, „Julia“, dieses als Offiziersturm bezeichnete Objekt galt schon 1843 sei- Als ragendes Zentrum der Verteidi- ner hohen Feuchtigkeit wegen als unbe- gungsanlage fungierte das Fort auf dem wohnbar und wurde 1856 völlig umge- Pöstlingberg. Von der beherrschenden baut bzw. modernisiert, V, „Euphemia“, Höhe herab bietet sich, wie auf der Aus- heute Aussichtsplateau, VI, „Noth- sichtsplattform unverändert nachvoll- burga“, dieser Turm war nur für Hau- ziehbar, ein vollständiger Rundblick auf bitzen- und Infanteriefeuer eingerichtet den Linzer Raum. Im Einzelnen bestand und besaß keine Plattform). Verbunden das Fort aus zwei – den Normaltürmen waren die Türme des Forts durch Mau-

208 J. M. Monsorno: Blick auf die Fundamentgrube des Mittelturms (heutigen Grottenbahnturms) am Pöstling- berg um 1832. Foto: Oö. Landesmuseen

Die Linzer Pöstlingbergkirche 1830 – vor Errichtung des Forts. Auch dieses Aquarell wurde von Maxi- milians Kammermaler im Auftrag des Erzherzogs geschaffen. Foto: Museum der Stadt Linz

209 ern („Kurtinen“), zwischen den Türmen sprünglichen Geländeniveau. Im unters- IV und V verlief ein kasemattierter Wall. ten Sektor, dem Magazinstock, waren In den Kasematten, bombensicheren Munitions- und Lebensmittelvorräte für Räumen aus Mauerwerk zur Unterbrin- vier Monate deponiert, der innerste gung der Mannschaften oder zur Einla- Mauerring barg jeweils eine Zisterne. gerung von Material, befand sich auch Der Wohnstock bot 60 Soldaten Unter- die sogenannte „Blutkammer“, wo allen- kunft, im Geschoss darüber, dem Schar- falls eingedrungene Feinde ein letztes tenstock, befanden sich 7 siebenpfün- Mal aufgehalten – und im Nahkampf dige Haubitzen, die zum Einsatz kom- unschädlich gemacht werden sollten. men sollten, sobald das Verdeck vom Durch eine in der Festungsmauer ausge- Feind getroffen wurde. Der Eingang in brochene Türöffnung konnten die Pa- den Schartenstock war über eine Zug- trouillen von dort auf einer Leiter in den brücke von der Rückseite des Turmes Graben gelangen; die mit Eisentoren auf ursprünglichem Geländeniveau er- verschlossene Pforte im Bereich des „Ro- reichbar. Das „Glacis“ wurde auf seiner sengartens“ ist, links von der Bahnend- der Stadt abgewandten Seite ein Stock- station, noch heute sichtbar. Der „Rosen- werk hoch aufgeschüttet, sodass nur der garten“ ist auf altem Festungsboden an- oberste Teil des Turmes mit dem Ver- gelegt, in dem Wall und Graben planiert deck darüber hinausragte. Von diesem wurden. (Vor dem Festungsbau er- offenen Verdeck aus sollten potenzielle streckte sich hier der Pöstlingberger Angreifer mit 11 achtzehnpfündigen Ka- Friedhof.) Ein für den Kürnberg geplan- nonen bekämpft werden, die dank ihrer tes, zweites und ähnliches Fort wurde – damals – neuartigen Lafetten nach al- nicht verwirklicht. len Richtungen feuern konnten. In Frie- denszeiten war für das Verdeck ein ab- nehmbares Holzdach vorgesehen, die Türme selbst waren untereinander mit Die Normaltürme einer Straße verbunden und hatten aus- nahmslos Sichtkontakt. Die Besatzung Mit einer Normhöhe von 13 Metern der Normaltürme belief sich auf 112 setzten sie sich aus drei Stockwerken Mann, kommandiert wurden sie von ei- und dem Geschützverdeck zusammen. nem Offizier oder Feuerwerker. Jedes Stockwerk hatte im Grundriss drei konzentrische Mauerringe aus Bruch- stein, die Gewölbe wurden aus Ziegel- Segmenttürme steinen erbaut. Die Türme waren von ei- nem Graben umgeben, davor lag das Die Türme an der Donau waren klei- schonerwähnte„Glacis“,einz.T.mit ner und hatten einen segmentförmigen Bruchsteinmauern verstärkter Erdwall. Grundriss. Sie besaßen lediglich den Die Distanz zwischen Glacisrand und Magazinstock und einen kombinierten Turmverdeck belief sich auf 13 Meter, Wohn- und Schartenstock. Diese aus- die beiden unteren Geschosse (Magazin- führungstechnische Abweichung von und Wohnstock) waren in die Erde ver- den Normaltürmen war aus statischen senkt und lagen daher unter dem ur- Gründen notwendig; der weiche Boden

210 der Donauauen hätte schwerere Bau- Von der Entwicklung überrollt – werke nicht zu tragen vermocht. Einer neuen Zukunft entgegen

1858, kaum zwanzig Jahre nach ih- Die Donauanschlüsse rer Übergabe an die österreichische Armee, wurde die mit so großem Inter- Links und rechts der Donau lagen esse verfolgte und mit gewaltigen Ko- die sogenannten Anschlüsse. An die sten errichtete Befestigungsanlage auf- Klause direkt am Ufer schloss sich eine gelassen. Der rasante Fortschritt auf Mauer, die den Abhang hinaufführte dem Gebiet der Waffenentwicklung und in einer Warte endete. An den Klau- hatte das „Turmkonzept“ innerhalb die- sen eingemauerte Eisenringe dienten ser knappen Zeitspanne vollständig zum Einhängen einer Kette, mit der im überrollt und den militärstrategisch- Fall des Falles die Donau abgesperrt wer- wehrtechnischen Wert der Objekte de den sollte. facto auf Null reduziert; der hohe mate- rielle Aufwand für ihre Erhaltung zum angestammten Zweck war einfach nicht Noch erhaltene Befestigungsteile mehr länger zu verantworten! Ein aller- letztes Mal in Verteidigungsbereitschaft versetzt wurden 1866 die Türme am lin- Außer den hauptsächlich für kultu- ken Donau-Ufer, doch schon vier Jahre relle Zwecke umfunktionierten Türmen darauf schrieb man auch sie zum Ver- am Pöstlingberg sind bis heute erhalten kauf aus. 1878, während der österreichi- und größtenteils nach wie vor verschie- schen Besetzung Bosniens und der Her- denartig genützt: zegowina, wurde die türkische Besat- – „Probeturm“/Freinberg (zum Colle- zung der Festung Bihac in einigen Tür- gium Aloisianum gehörend) men interniert. Nach Aufhebung des für – Turm 9, „Appolonia“ (Stadtmuseum den Turmlinienbereich verhängten Bau- Leonding) verbots startete die Stadt Linz 1883 ei- – Turm 10, „Gertrude“ (Wohnungen) nen Ideenwettbewerb zur Erstellung ei- – Turm 12, „Agnes“ (Künstlerklause) nes „Generalregulierungsplans“, womit – Turm 13, „Genoveva“ (Kulturdenkmal ein neues Kapitel in der Geschichte die- im Eigentum der Stadtgemeinde ser architektonisch reizvollen, das Land- Leonding) schaftsbild fortan als behäbige Wächter – Klause „Adelgunde“ (Burschen- zierenden Rundbauten aufgeschlagen schaftsturm) wurde. Die Facetten ihrer offiziellen oder – Turm 18, „Katharina“ (nunmehr privaten Nutzung waren und sind seit- Wohnhaus, im Zweiten Weltkrieg als dem mannigfaltig, und geradezu phanta- Flak-Stützpunkt schwer bombenbe- stisch mag mit Blick auf die Grotten- schädigt) bahn am Pöstlingberg der Gedanke an- – Turm 19, „Dorothea“ (Wohnhaus) muten, dass hier just eine ehemalige mi- – Turm 20, „Cäcilia“ (Ruine) litärische Bastion zum vielbesuchten – Turm 24, „Ehrentrude“ (Weinturm) Fremdenverkehrsziel und Kinderpara- – Turm 25, „Winfriede“ dies geworden ist.

211 Maximilian – der „geistige Vater“

Maximilian Joseph von Österreich-Este, mit Franz I. Schwager des Kaisers geworden, geistiger Vater und Namensgeber der Linzer kämpfte er 1809 in Deutschland gegen die Fran- Befestigungsanlage, erblickte am 14. 7. 1782 als zosen. Nach der erwähnten Niederlage bei Re- dritter Sohn Erzherzog Ferdinands (eines gensburg (23. 4. 1809) deckte Maximilian den Sprösslings von Maria Theresia und Franz von Rückzug der österreichischen Armee über die Lothringen) und der Maria Beatrix Este in Mo- Donau. Dann sollte er der Armee vorauseilen dena das Licht der Welt. Als Enkel Maria There- und Linz durch Feldverschanzungen verteidi- sias und Neffe von Kaiser Josef II. verbrachte er gungsbereit machen, was aber, wie geschildert, seine Jugend in Monza, wo ihn der Exjesuit in der kurzen Zeit und mangels baulichen Draghetti erzog und die Familie 1796 nach dem Schutzes ein Ding der Unmöglichkeit war. Einmarsch Napoleons in Mailand vor den fran- Die Erfahrungen aus diesem Krieg lieferten zösischen Truppen fliehen musste. Sie ließ sich dem Erzherzog – Fachmann für Artillerie sowie schließlich in Wiener Neustadt nieder; ab 1801 Festungsbau und nach einem Einsatz in Sieben- studierte Maximilian an der Theresianischen bürgen bereits Artilleriebrigadier – entschei- Militärakademie, trat – nunmehr schon Oberst dende Impulse zur Planung und Ausführung – in den Deutschen Orden ein und wurde am der Befestigungsanlage am Linzer Standort. In 1. 3. 1804 in der Wiener Deutschordenskirche der Folge wurde ihm das Großprojekt zu einer zum Ordensritter geschlagen. 1805 machte er Lebensaufgabe, das Land ob der Enns zur zwei- den Feldzug im Hauptquartier Erzherzog Karls ten Heimat. 1830 erwarb er die Herrschaft und mit und avancierte zum Generalmajor. Durch das Schloss Ebenzweier in Altmünster, das er die Heirat seiner Schwester Maria Ludowika erweitern ließ. Um die Arbeiten an der „Turm-

Maximilian als Hoch- und Deutschmeister. Ölbild Das Grabmal von Erzherzog Maximilian d’Este am von Franz Stecher (1814–1853). Ortsfriedhof von Altmünster. Foto: J. Simbrunner

212 linie“ optimal überwachen zu können, zog bäude für eine Klostergemeinde hier nicht zu finden wa- Maximilian 1831 nach Linz, wohnte hier bis ren, so kam mir der etwas bizarre Gedanke, welcher 1839 und erwarb in den nächsten Jahren auch aber nicht unausführbar ist, in den Sinn, dieselben (die die Herrschaft Puchheim, die er dann den Re- Jesuiten,Anm.d.Red.)in dem von mir zuerst ge- demptoristen zur Verfügung stellte. Der Erzher- bauten Thurme einzuquartieren und zu diesem Behufe zog, der am 1. 6. 1863 in Schloss Ebenzweier zwei Stockwerke aufzusetzen.“ Das Vorhaben wurde den letzten Atemzug tat, liegt am Ortsfriedhof vom Jesuitengeneral zunächst für unrealisierbar von Altmünster begraben. Die Nichte, Gräfin gehalten, nach Ausführung einiger Zu- und An- von Chambord, hatte seinen testamentarischen bauten konnte Maximilian dem Orden am 9. 8. Willen zu vollstrecken. Sehr gläubig und äu- 1837 jedoch die neue Residenz übergeben. Die ßerst sozial eingestellt, hat Maximilian viele Anlage am Freinberg ist noch heute Teil der je- kirchliche Einrichtungen nachhaltig gefördert, suitischen Mittelschule, des 1912 gegründeten sei es in der Kranken- und Altenpflege, im Un- Collegium Aloisianum. 1851 bis 1853 ließ der terrichtswesen oder im seelsorglichen Dienst. Erzherzog überdies – im Stil des anschließen- Nachdem der „Probeturm“ am Freinberg den Turmes – ein kleines Seminargebäude er- aufgrund seiner extremen Stadtnähe nicht mehr richten, dem 1860 noch Anbauten auf beiden für den ihm ursprünglich zugedachten Zweck Seiten hinzugefügt wurden. Mit dieser großmü- in Frage gekommen war, ließ der Erzherzog die- tigen Unterstützungstätigkeit setzte Maximilian ses Objekt aufstocken, daneben das kleine auch ein Zeichen persönlichen Dankes den Je- Kirchlein zum hl. Maximilian erbauen, und suiten gegenüber, zu denen er, angefangen von schenkte beides den Jesuiten, die er – nach Auf- seinem Erzieher Draghetti bis hin zu seinem hebung des Ordens im Zuge der Säkularisie- Naturkundelehrer Johann Christoph Stelzham- rung – 1833 wieder in die oö. Landeshauptstadt mer aus Unterweißenbach/OÖ. – später Rektor gerufen hatte. Am 22. 11. 1833 schreibt Maximi- der Wiener Universität –, ein Leben lang ausge- lian seinem Bruder Ferdinand: „Da andere Ge- prägten Bezug hatte.

Literatur

Hillbrand Erich: Die Türme von Linz. Erzherzog Maximilians Festungssystem für Linz. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1984. Kreczi Hanns: Linz, Stadt an der Donau. Marks Alfred: Bilddokumente zur Geschichte der Maximilianischen Befestigung von Linz. Mayrhofer-Katzinger: Geschichte der Stadt Linz. Wopelka Hans: Oberösterreich in der Franzosenzeit.

213 Sakrale Kleindenkmäler im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Eine aktuelle Studie

Von Thomas Schwierz und Brigitte Heilingbrunner

Einleitung

Kapellen und Bildstöcke sind seit Jahrhunderten Fixpunkte in der heimi- schen Kulturlandschaft und integraler Bestandteil unserer überlieferten Volkskultur, die sich nach jüngsten Parolen „im Aufwind“ befinden soll, andererseits warnenden Stimmen zufolge von „Zerfallserscheinungen“ bedroht ist. Außer Debatte steht, dass unsere sakralen Kleindenkmäler vielerorts latent an Strahlkraft verlieren und von breiten Bevölkerungsschichten heute kaum noch angemessen wahrgenommen wer- den. Deshalb hat es sich der Arbeitskreis für Klein- und Flurdenkmalforschung beim Oö. Forum Volkskultur zur Aufgabe gemacht, Sinn, Zweck und oftmals verschüt- tete Bedeutung der baulichen Kleinodien am Straßen- oder Wegesrand neu vor Augenzuführen. Als Teil dieses Bemühens versteht sich die nachfolgend vorgelegte Studie, in der wir den aktuellen Stellenwert von Kapellen, Bildstöcken etc. im öffentlichen Bewusstsein ermittelten. Es wurde analysiert, worauf Zustimmung, Indifferenz oder Ablehnung beruhen, ob Unterschiede in der Wohngegend (Stadt/Land) mitspielen, inwieweit der Bildungsgrad Einfluss hat, und vieles andere mehr. Neben der Sondie- rung des allgemeinen Wissensstandes bzw. der allgemeinen Interessenslage war es unser Hauptanliegen, durch gezielte Information zur verstärkten Wiederbeachtung jenes althergebrachten kulturellen Erbgutes und damit zu dessen Überleben auch in Zukunft beizutragen.

Methodik

Die jeweilige individuelle Haltung wurde mit einem eigens hiefür entworfe- nen, anonymen Fragebogen erkundet. Um einen repräsentativen Querschnitt zu gewährleisten, legten wir die Bögen bei diversen Veranstaltungen in verschiedenen Landesteilen Oberösterreichs sowie im Wartebereich von Spitalsambulanzen auf und befragten Jugendliche höherer Schulstufen bzw. Fachschulen. Die Fragen im ersten Teil betrafen das Interesse an der Regionalgeschichte und die persönliche Ein- stellung zur Religion und zu sakralen Kleindenkmälern. Im zweiten Teil erhoben wir demographische Daten zur Subgruppenanalyse unterschiedlicher Bevölkerungs- schichten. Die Antworten wurden nach wissenschaftlichen Kriterien („logistische multi- variate Regressionsanalyse“) statistisch ausgewertet.

214 Ergebnisse

Zwischen September 2006 und April 2007 gelangten 390 vollständig ausge- füllte Bögen zur Analyse. Die Ergebnisse im Einzelnen:

Frage 1: Interessieren Sie sich für die Geschichte Ihrer näheren Umgebung? Das Interesse an der Regionalgeschichte hängt im Allgemeinen vom Alter, der Religiosität und vom spezifischen Bildungsgrad ab. Ältere und religiösere Menschen sowie Maturanten und in Lehrberufen Tätige lagen hier deutlich vorn. Leute mit alleinigem Hauptschulabschluss, aber auch Akademiker, gaben ein schwächeres Interesse an.

Frage 2: Sind Sie religiös? Die Religiosität wird vom Alter, dem Geschlecht, dem spezifischen Bil- dungsgrad, der Herkunft und vom Interesse an Geschichte entscheidend mitbe- stimmt. Ältere Menschen, Frauen und Angehörige mittlerer Bildungsstufen sind im Schnitt religiöser. Ebenso sind auf dem Land oder in Kleinstädten Aufgewachsene häufig religiöser als Großstädter. Analog zu Frage 1 bezeichneten sich Personen mit niedrigerer Schulbildung und Akademiker als für Glaubensdinge weniger aufge- schlossen. Eine Korrelation zwischen der Religiosität und der Beziehung zur Regio- nalgeschichte ist insgesamt evident.

Frage 3: Nehmen Sie Kapellen/Bildstöcke am Wegrand wahr? Besonders der Konnex zwischen Alter und spezifischer Bildung kam wieder klar zur Geltung. Religiosität und Bezug zur Geschichte stellen gute Voraussetzun- gen für die Wahrnehmung sakraler Kleindenkmäler dar. Bildstock- und Kapellenbe- sitzer schenken ihnen, naturgemäß, von vornherein vermehrte Aufmerksamkeit.

Frage 4: Was sagen Ihnen Kapellen/Bildstöcke? Historisch Orientierte, in Lehrberufen Tätige, Maturanten und Akademiker sehen darin vorrangig bzw. zunächst Objekte der Kulturgeschichte. Bei vorhande- ner Religiosität geben Kapellen und Bildstöcke für gewöhnlich auch Anstoß zu Besinnung und entsprechenden Gedanken. Auffallend oft – siehe Frage 2 – bejahten auch Personen mit niedrigerem Schulabschluss jene anregende Wirkung.

Frage 5: Würde Sie interessieren, warum Kapellen/Bildstöcke errichtet wurden und aus welcher Zeit sie stammen? Abermals bestätigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen Alter, spe- zifischem Bildungsgrad, geschichtlichem Interesse und Religiosität.

215 Geschichtliche Ausgerichtetheit und Religiosität wecken simultan Interesse am historischen Hintergrund von sakralen Kleindenkmälern. Erneut waren es pri- mär Angehörige mittlerer Bildungsstufen und ältere Personen, die ein solches bekundeten. Akademiker reagierten bei dieser Frage ebenfalls in gewissem Maße positiv.

Frage 6: Sollen Kapellen/Bildstöcke erhalten/restauriert werden? Geschichtsbewusste und religiöse Menschen sowie Vertreter höherer Bil- dungsstufen plädierten eher für Erhaltung und/oder Restaurierung. Akademiker zeigten sich hier im Durchschnitt wiederum vergleichsweise indifferent.

Diskussion

Sakrale Kleindenkmäler haben eine wechselhafte Geschichte. Bildstöcke, im Ursprung auf die aus Frankreich stammenden Totenleuchten der Gotik zurückge- hend, hielten in Gestalt von Lichtsäulen bald auch auf heimischen Friedhöfen Ein- zug1 und sind dort ab dem ausklingenden 14. Jahrhundert nachweisbar.2 Nach dem protestantischen „Bildersturm“3 brachte das Patent von Kaiser Ferdinand III. aus dem Jahr 1650, in dem der Herrscher dazu aufrief, die demolierten „Stainern oder andere Creutz vnd BettMarterSäulen“ wieder zu errichten,4 einen neuen Aufschwung. Eine zwischenzeitliche Hochblüte erfuhr die Wertschätzung des sakralen Kleindenk- mals dann im 19. Jahrhundert.5 Mittlerweile werden Marterl, Wegkreuze etc. nur noch vereinzelt frisch auf- gestellt, entweder zum Gedenken an tragisch bis glimpflich ausgegangene Ereig- nisse oder einfach aus „frommer Meinung“.6 Als ein typisches Motiv unserer Tage gesellen sich diffuse Glaubensvorstellungen und romantische Allüren hinzu. Vor einem halben Jahrhundert schrieb Franz Hula in der Einleitung seines Buches „Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs“: „Draußen auf dem Lande, wo die Überlieferungen im Volke tiefer wurzeln als beim Stadtmenschen, ist das Verständnis für den Bildstock lebendiger geblieben. Dort ist er für viele noch immer Kultmal, mit dem religiösen Empfin- den des Volkes aufs innigste verbunden. Dem Städter ist er bestenfalls ein willkommener Vorder- grund für sein Lichtbild, ansonsten geht er achtlos an ihm vorbei.“7

1 Hula F., Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs. Wien 1948. S. 28, 30, 32, 33. 2 Hula F., Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs. Wien 1948. S. 32, 33. 3 Schiller L., Zur Geschichte der Pfarre Gramastetten. In: Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Mühlviertels. Band 13. Rohrbach 1929. S. 170. 4 Schwierz T., Sakrale Kleindenkmäler und Gedenkstätten in Gramastetten. Gramastetten 2003. S. 10, 11. 5 Schwierz T., Sakrale Kleindenkmäler und Gedenkstätten in Gramastetten. Gramastetten 2003. S. 10. 6 Schwierz T., Sakrale Kleindenkmäler und Gedenkstätten in Gramastetten. Gramastetten 2003. S. 10, 11, 266–269. 7 Hula F., Die Totenleuchten und Bildstöcke Österreichs. Wien 1948. S. 9.

216 Patent von Kaiser Ferdinand III., erlassen am 16. September 1650 (Österreichisches Staatsarchiv, Wien: HHStA, kaiserliche Patente K13).

Mit der ländlichen Herkunft schien das „Verständnis“ automatisch garantiert zu sein. Heute ist eine differenziertere Betrachtung erforderlich. Wie unsere Studie ergab, hängt die individuelle Beziehung zu sakralen Kleindenkmälern eben nicht allein damit zusammen, ob jemand vom Land stammt oder Städter ist. In erster Linie kommt hier die Religiosität zum Tragen (die bei Landbewohnern nur stärker ins Gewicht fällt). Neben der Herkunft wird die Religiosität vom Alter, dem Geschlecht und vom spezifischen Bildungsgrad mitbestimmt. In einer demographischen Studie gelangte der Wiener Pastoraltheologe Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner zu ganz ähnlichen Resultaten. Auch er stellte fest, dass die Religiosität auf dem Land, bei Frauen und allgemein bei älteren Zeitgenossen größer ist.8 Lediglich den Bil- dungsstand betreffend divergieren die Ergebnisse. Während Zulehners 1981 veröf- fentlichte Studie Personen mit niedrigerem Schulabschluss als besonders religiös

8 Zulehner P.M., Religion im Leben der Österreicher. Dokumentation einer Umfrage. Wien 1981. S. 44, 45, 116, 117.

217 auswies, fanden wir ein relatives Maximum bei Maturanten und Vertretern von Lehrberufen, d. h. im Bereich der mittleren Bildungsstufen. Hand in Hand mit der Religiosität gehen das Interesse an der Geschichte des näheren Wohnumkreises und die Aufgeschlossenheit für (dessen) sakrale Klein- denkmale; es drückt sich darin, unverändert, die Suche nach einem spirituellen und kulturellen Standort aus, der geistig wie ethnologisch mit „Heimat“ umschrieben werden kann. Wenn fortgeschrittenes Alter zu den Faktoren zählt, die eine positive Einstel- lung zu Geschichte und Religion begünstigen, mag sich das vordergründig damit erklären, dass ältere Menschen „halt aus einer anderen Zeit stammen“. In Wahrheit hinkt dieser Schluss, denn unbeschadet der rückläufigen Tendenz, welche die Veran- kerung im Glauben z. B. während der letzten Jahrzehnte weitum erkennen ließ, konnte – wie bereits angedeutet – auch Zulehner zeigen, dass die Hinwendung zur Religion im Laufe eines Lebens generell zunimmt.910 Analog scheint das fürs Geschichtsbewusstsein und für das Interesse an sakralen Kleindenkmälern zu gel- ten. Nicht nur von heutigen Hauptschulabsolventen, die „cool“ sein wollen und Kreuzstöckl als „Stempen“ oder „Überbleibsel von Gestern“ abtun,11 darf man hoff- nungsvoll erwarten, dass sie im Laufe ihres Lebens darüber nachzudenken begin- nen, wo sie stehen und wozu sie überhaupt da sind. Die Frage nach dem „Wohin“ impliziert, religiös wie kulturell, automatisch die nach dem „Woher“. So bleibt die Zuversicht, dass zumindest ein Teil der jetzt Jungen die kulturellen und spirituellen Traditionen irgendwann aufnimmt und deren Wert wiederentdeckt. Tradiertes besteht fort, wenn sich sein Sinn im lebendigen Kontakt zum Hier und Jetzt stets aufs neue erfüllt und bestätigt. Sakrale Kleindenkmäler lediglich als Element der Kultur bzw. als Landschaftsdekoration zu betrachten oder zu behan- deln, wird zu deren Überleben nicht reichen. Die Einstellung auch zu diesen Bauwer- ken muss letztlich von einem inneren Bedürfnis, einer Sehnsucht getragen werden, von dem Bewusstsein, dass sie die Gegenwart einer höheren Macht im Alltag repräsen- tieren. Wenn im Vorjahr der „Aufwind“ der Volkskultur proklamiert wurde, so kommt dieser nicht von alleine – man muss dafür etwas tun!12 Der große oberöster- reichische Heimatforscher Dr. Adalbert Depiny schrieb schon 1929, der beste „Hei- matschutz“ sei letzten Endes nicht der Zwang des Gesetzes, sondern die Erziehung zur Verbundenheit mit der eigenen Kultur und den in ihr tradierten Werten.13 Eine solche Erziehung vermag jungen Menschen Wurzeln und Grundlagen mitzugeben, die spätestens in jenem Lebensabschnitt wesentlich werden, da das Individuum anfängt, über sich und den eigenen Standort nachzudenken.

9 Zulehner P.M., Religion im Leben der Österreicher. Dokumentation einer Umfrage. Wien 1981. S. 45. 10 Zulehner P.M., Kehrt die Religion wieder? Ostfildern 2001. S. 24, 249, 284, 285. 11 Beispiele aus den „sonstigen Antworten“ auf die Frage 4. 12 Leitspruch des Oö. Forums Volkskultur beim Fest der Volkskultur, 15. bis 17. September 2006, in Steinhaus bei Wels. 13 Depiny A., Die Kleindenkmäler unserer Heimat. In: Heimatgaue 10. Jg., Heft 1. Linz 1929. S. 87.

218 Das „Augenbründl“ im Bildgraben in Gramastetten. Foto: Thomas Schwierz

219 Aus seiner, die Thematik nur im Überblick erfassenden, Studie zieht der Arbeitskreis für Klein- und Flurdenkmalforschung folgendes Resümee: Der „Hebel“ ist bei zwei Bevölkerungsgruppen anzusetzen, bei den Schulkindern und Erwachse- nen ab dem mittleren Alter. Vor allem bei Volksschülern kann z. B. durch Erzählen der Geschichten, die sich um Kapellen und Bildstöcke ranken, mühelos Interesse geweckt werden, ebenso sind Ausflüge oder die Anregung zum Schmücken oder Zeichnen der Kleindenkmäler mögliche Anknüpfungspunkte für – spätere – Refle- xion und Rückbesinnung. Die Erwachsenen selbst lassen sich oft gar nicht ungern etwa für Renovierungsarbeiten gewinnen, sie möchten nur dazu eingeladen und angesprochen werden. Last, not least, könnte die intensivierte Miteinbindung loka- ler Klein- und Flurdenkmäler (sei es auf dem Gebiet der Information, der Forschung, bei Marterlwanderungen, Osterspaziergängen, Maiandachten oder Feldmessen) gerade draußen in den Gemeinden zu einem noch bunteren Pfarrleben Mannigfa- ches beisteuern.

Musterbeispiel für ein „lebendiges“ Kleindenkmal

Seitdem das „Augenbründl“ im Bildgraben bei Gramastetten saniert und neu gestaltet worden ist (Herbst 2006), erfreut sich dieses schlichte Kleindenkmal immer wieder regen Besuchs. An schönen Tagen wandern ganze Familien den Wald hinunter, verweilen in kurzer oder längerer Andacht vor dem Marienbild, und es ist ermunternd zu sehen, mit welch verloren geglaubter Selbstverständlichkeit Kindern manchmal erklärt wird, dass sie sich hier „. . . die Augen waschen“ sollen.

220 Pfarrvikar P. Konrad Just (1902–1964): KZ-Priester und „Don Camillo des Mühlviertels“

Von Reinhold J. Dessl

Seine Bekanntheit weit über die Ein in Dachau entdecktes, vom Stift Grenzen der eigenen Pfarre hinaus be- Wilhering im Vorjahr herausgegebenes stätigt schon ein kurzer Blick in das Schriftdokument P. Konrads schildert nachstehende, keinen Anspruch auf seine Erlebnisse in den Konzentrations- Vollständigkeit erhebende Quellen- und lagern Dachau und Buchenwald 1938 bis Literaturverzeichnis, von der Originali- 1945. „Wie außer Atem geschrieben mutet an, tät und Streitbarkeit seines Wesens was P. Konrad Just nach seiner Befreiung aus zeugt eine Unzahl verschiedenster Anek- 7-jähriger KZ-Haft zu Papier brachte. Man doten, emsig gesammelt in Zeitungsarti- spürt aus jeder Zeile die Nähe des Erlebten und keln und sonstigen Veröffentlichungen, Erlittenen . . . Tapfer und mit Würde ging er um seine Lebensgeschichte und sein durch die KZ-Hölle und brachte die Kraft auf, Wirken dem Vergessen zu entreißen. Die der Nachwelt über das Unfaßbare zu berichten. Rede ist von dem langjährigen, gern als Seine eindringliche Warnung vor dem Verges- „Don Camillo des Mühlviertels“ betitel- sen ist heute so aktuell wie vor 60 Jahren.“2 ten Gramastettner Pfarrer P. Konrad Just, dessen sprichwörtliche Zivilcourage, Natürlichkeit und Volksnähe ua. der re- Herkunft und Ausbildung nommierte Autor Dr. Fritz Habeck in dem Roman „Der Piber“ (1965) ver- Josef Just wurde am 19. März 1902 in ewigte. Hruschau/Schlesien als Kind einer Eisen- Habeck, 1962 zeitweise ins Mühl- bahnerfamilie geboren. Die Schule be- viertel übersiedelt, hat in diesem Werk suchte Josef in Alt-Oderberg und dann Just als „Pater Kajetan von Pirkham“ ein in Teschen. Hautnah erlebte er die natio- markantes literarisches Denkmal gesetzt. nalen Auseinandersetzungen zwischen „Pater Kajetan saß nun schon seit bald dreißig Tschechen und Deutschen, den Zusam- Jahren in Pirkham, las die Messe, spendete die menbruch der Donaumonarchie und die Sakramente, sorgte aber auch für die zum Pfarr- „Vertreibung“ auch der eigenen Familie, hof gehörende Landwirtschaft; die Zufälle der die 1919 in in Oberösterreich Witterung und die Wirksamkeit neuer Dünge- ein neues Zuhause fand. (Ein Neffe P. mittel waren für ihn so wichtig wie für seine Konrads, Justus Just, hat in seinem Buch Bauern, den abendlichen Wirtshausgesprächen die Wurzeln der Familie im nationalen fehlten darum nie die Themen, und wenn man Spannungsgeflecht eingehend beschrie- ihn auch öfter mit blauer Monteurhose und offe- ben.)3 nem Hemd als mit Habit oder weißem Kragen sah, genoss er doch mehr Achtung bei seiner Ge- 1 Habeck, 264 f. meinde als mancher andere Pfarrer, der zwar 2 Buchdeckeltext von Just, Meine Erlebnisse. sein Brevier, aber kein Thomasmehl kennt.“1 3 Justus Just, a. a. O.

221 in Walding und trat am 16. Oktober 1926 seinen Dienst als Kooperator in der Pfarre Gramastetten an, die abgesehen von der siebenjährigen Unterbrechung durch die KZ-Haft sein einziger Seelsor- geposten bleiben sollte. Es ist bezeichnend, was ihm ein ehemaliger Professor aus dem Stift Mehrerau in seiner Gratulationsadresse zur Priesterweihe geschrieben hatte: „Offen gestanden, Sie waren Zeit Ihres Hier- seins zwar nicht der regulärste, mir aber der liebste von den auswärtigen Klerikern, und das einfach, weil Sie eine ehrliche Haut sind.“4

Beginn des Wirkens bis zur Verhaftung

Als erste Akzente seines Wirkens in Gramastetten können die Gründung der marianischen Kongregation für junge Frauen und die Ansiedelung von Kreuz- schwestern zur Führung eines Kinder- gartens und einer Arbeitsschule genannt werden. „Da sandte Gott einen neu geweihten Priester,Hochw.H.P.KonradJust,einenSchle- sier, voll Feuereifer und Tatkraft. Schon bei sei- ner Priesterweihe faßt er den Entschluß: Falls im Orte seiner Wirksamkeit die marianische AlsjungerPriester. Kongregation und eine Schwesternanstalt feh- len, werde er diese dort gründen.“5 Als ihm die Gemeindevertretung Josef beendete seine in Schlesien be- beim Kindergartenprojekt die Unterstüt- gonnenen Gymnasialstudien 1921 in zung versagt, übernimmt Just zusam- Linz und trat am 19. August selbigen men mit Primararzt Dr. Josef Brunner Jahres in das Zisterzienserstift Wilhering die Sache kurzerhand in Eigenregie und ein, wo er den Ordensnamen Konrad er- sorgt für eine provisorische Unterbrin- hielt. Das Theologiestudium absolvierte gung der Kinder. Damit fiel der Start- er in den Hauslehranstalten der Stifte schuss nicht nur für den Kindergarten in Mehrerau und St. Florian. Am 20. Au- Gramastetten, sondern auch für die 78- gust 1925 verband er sich in der Feierli- chen Profess für immer mit dem Stift Wilhering, wurde im Jahr darauf (am 29. 4 Pfarrarchiv. Juni) zum Priester geweiht, feierte Primiz 5 Chronik „Marienheim“.

222 jährige segensreiche Tätigkeit der Kreuz- nach Gramastetten zurückkehren, son- schwestern im Ort. dern musste sich in seinem Heimat- kloster der Polizei zur Verfügung halten. Im neu etablierten Heim der Kreuz- Am 16. März wurde er des Kooperator- schwestern (Markt Nr. 9), das 1929 ein- postens in Gramastetten offiziell entho- geweiht wurde, gab es dann auch einen ben. Zehn Tage später erhielt der greise Vereinssaal für Versammlungen und Ki- Wilheringer Abt Gabriel Fazeny (1915– novorführungen, welche der Herr Pfar- 1938) Besuch von einer Gramastettner rer persönlich hielt. So ward das legen- „Nazi“-Delegation, die ihn wissen ließ, däre Pfarrkino des P. Just geboren, das er Just hätte für den Fall, dass er in Grama- nach der Unterbrechung durch die KZ- stetten noch einmal gesehen werde, mit Zeit bis zu seinem Tod weiter betrieb. der Verhaftung und dem Abtransport Hier fanden auch Theateraufführungen nach Dachau zu rechnen. Inzwischen unter P. Konrads Leitung statt. Im Win- sammelt man weiter Material gegen ihn ter wurden Fortbildungskurse für die und schreckt auch nicht davor zurück, bäuerliche Jugend veranstaltet; viele Schulkinder zu verhören. Am 10. Juni Vorträge steuerte Just selbst bei. wurde P. Konrad endgültig verhaftet und In seinen Predigten setzt sich P. Kon- in das Polizeigefängnis Linz gebracht. P. rad bald offen, gefährlich offen, mit dem Robert Kepplinger7 vermerkte in der Nationalsozialismus und dessen kir- Pfarrchronik: „In der Anklage heißt es, daß chenfeindlicher Ideologie auseinander. die Pfarrbevölkerung wünsche, daß P. Konrad Schon aus dem Jahr 1934 ist ein Manu- nach Dachau komme, auch seien seine Predigten skript erhalten, in dem er mutig ein fal- von den Leuten gemieden worden. Gerade das sches Führertum angeprangert hatte: Gegenteil ist wahr. Und erst jetzt kann man all- „Der Mensch ist zu groß, um einem bloßen gemein hören: Was P. Konrad vom National- Menschen um des Menschen willen zu gehor- sozialismus gesagt hat, das ist genau eingetrof- chen. Der Autorität ist nur soweit zu gehorchen, fen.“8 als sie nichts Sündhaftes befiehlt.“6 Am Tag Die Überstellung nach Dachau er- des Einmarsches Hitlers in Österreich, folgte am 25. Juli 1938. Nach demütigen- am 12. März 1938, wird er wegen wie- der Begrüßung und anfänglicher Einzel- derholter regimekritischer Äußerungen haft wird Just vom 15. Oktober bis verhaftet. Man will ihn auf einem Seiten- 2. Dezember 1938 mit sieben Wochen weg aus dem Ort schaffen. Just aber be- Dunkelhaft bei rigorosem Nahrungsent- steht darauf, mitten durch den Markt zug bestraft. Nur jeden vierten Tag be- weggeführt zu werden, weil er ja „nichts kommt er etwas zu essen. „Der Hunger Unrechtes getan“ habe. war so groß, daß mir öfter der Gedanke kam, den eigenen Kot zu essen. Doch der Gedanke an meine Priesterwürde hielt mich davon ab. Sieben Jahre in der Hölle von Dachau und Buchenwald 6 „Meine Predigten“. 7 Pfarrer in Gramastetten von 1913 bis zu seiner Tags darauf – nach der Einvernahme von den Nazis erzwungenen Absetzung am beim Bezirksgericht Ottensheim – wie- 16. Juni 1938; gest. am 5. 2. 1945 in Traberg. der frei gelassen, durfte Just nicht mehr 8 Pfarrchronik, 196.

223 Just (Zweiter von rechts) beim „Tütenkleberkommando“ in Dachau.

Ich kostete etwas Schmierseife, benagte die gen können. Mir war feierlich zu Mute, und Waschseife, um mir zu helfen. Die Kräfte aus ganzem Herzen dankte ich dem lieben Gott, schwanden so schnell, daß ich auch tagsüber in der die Seinen auch im bittersten Elend nicht narkotischen Schlaf verfiel. Durch die ständige verläßt.“11 Dunkelheit wurden die Säfte des Körpers vergif- Am 27. September 1939 nach Bu- tet. Träge kreisten die Gedanken, und über all chenwald verlegt, durchlitt er dort – bis dem lasteten mit bleierner Schwere auf mir die 6. Dezember 1940 – noch Grauenvolle- ungewisse Zukunft und das brutale Geschehen res als in Dachau. „Buchenwald war fürch- ummich...“9 terlich, die Schüsse saßen locker. Mit Prügeln Am 19. Oktober 1938 bekam P. Kon- wurden die Häftlinge traktiert, viele zu Tode ge- rad auch die gefürchteten 25 Stockhiebe, droschen.“12 In Buchenwald erkrankte Just wobei die Füße eingespannt wurden, da- an der Hungerruhr, die er im Nachhinein mit man sich nicht rühren konnte, und die Häftlinge die Schläge selber mitzäh- 9 Just, Meine Erlebnisse, 46. len mussten. „Wie gut ist doch Gott, dachte 10 f Seite 226. Dieser Brief muss vor dem Oster- ich mir. Du hattest so viel Angst, und noch vor fest 1942 geschrieben worden sein, da er auf die der Bestrafung ging mein Herz derart schnell Wahl des Gramastettner Pfarrers P. Balduin und bis zum Hals hinauf vernehmbar, daß ich Wiesmayer (1889–1948) zum Abt des Stiftes meinte, mich träfe der Herzschlag. Und nun Wilhering am 11. November 1941 Bezug nimmt. war alles vorbei, es war wie eine Art Narkose 11 Just, Meine Erlebnisse, 58. über mich gekommen und so hatte ich alles ertra- 12 OÖ. Heimatblätter 1986, Heft 1, 8.

224 aber als Hilfe Gottes bezeichnete, weil im gen, was er durch die Kraft des allerheiligsten Krankenlager eine vorübergehende Lin- Altarsakramentes Großes schaffen kann.“14 derung der Quälereien stattfand. Wie Kurz vor der Besetzung des Lagers durch ein Wunder genas er wieder. durch die Amerikaner am 26. April 1945 Fast viereinhalb Jahre hindurch, vom wurden die Häftlinge auf einem Todes- 7. Dezember 1940 bis 26. April 1945, war marsch Richtung Ötztal getrieben. Am P. Konrad schließlich erneut im KZ 30. April durch die beherzte Befreiungs- Dachau. Eine gewisse Erleichterung be- aktion zweier Jesuiten gerettet, findet P. deutete die Zuteilung zum so genannten Konrad zusammen mit anderen Mitbrü- „Tütenkleberkommando“; eine kleine dern Zuflucht im Kloster der Josefs- Gruppe von Priestern musste Papiertü- schwestern in Percha am Starnberger ten für die Plantage des Lagers kleben. See. Hier schreibt er unter dem unmittel- Da fallweise ein Bischof unter ihnen war, baren Eindruck der KZ-Gräuel seine Er- nannte man die Gruppe auch „Dachauer lebnisse nieder, aus denen schon mehr- Domkapitel“. Als einer der letzten über- fach zitiert wurde. Wieder in Gramastet- lebenden Dachauer KZ-Priester erzählte ten, bringt er die Ereignisse noch einmal Johann Steinbock (1909–2004) im Jahre in der Pfarrchronik zu Papier. Im Gegen- 1997 Schülern der Polytechnischen satz zu dem in Percha verfassten Bericht Schule Gramastetten vom KZ-Alltag der klingt jetzt, die Situation des Heimge- Priester und von seinem Beisammensein kehrten betreffend, Bitteres an: „Die Hei- mit P. Konrad, der im Lager u. a. eine mat enttäuschte uns mancherseits. Schon in Zeit lang Barbierdienste geleistet und Salzburg waren wir fünf österreichischen Geist- seinen geistlichen Leidensgenossen die lichen über den Empfang und die Behandlung Haare geschnitten hatte.13 tief betrübt. Die Heimat hat zum Teil nichts oder sehr wenig gelernt. Wir verlangten keinen Ein nachhaltiger Trost für die Priester Triumph oder sonst dergleichen. Aber nicht ein- war die Eröffnung der Lagerkapelle am mal die Aufmerksamkeit, die man Bettlern 21. Jänner 1941 gewesen. Just notierte schuldig ist aus christlicher Nächstenliebe, fan- mit geradezu emphatischer Begeiste- den wir mancherorts. Manche schlafen noch! rung: „Das Unerhörte wird wahr. Der Herr- Das war eine bittere Enttäuschung für uns. gott hält Einzug in Dachau. In dieser Hölle, die Man hat nicht den Eindruck, daß man die volle Dachau war und blieb bis zum Schluß, wohnte Gefahr des Hitlerismus erkannt hat.“15 der Herrgott vom 22. Jänner 1941 bis zur Auf- lösung des Lagers und darüber hinaus ununter- brochen unter den Geächteten. Er war unser „Don Camillo des Mühlviertels“ treuester Freund. Zu einer Zeit schon, als Hit- lers Macht sich noch auf der Höhe befand, die Vom 1. September 1945 an leitete P. Welt . . . uns zu vergessen schien, wir als die Konrad Just nun die Pfarre Gramastetten Ausgestoßenen des deutschen Volkes galten, war als Pfarrprovisor bzw. als Pfarrvikar wei- der Herr bei uns. Er hatte den Stab über uns ter – bis zu seinem plötzlichen Tod 1964. nicht gebrochen, im Gegenteil, er wollte uns zei- gen, daß er diesmal das ganz Schwache und 13 Video. Hilflose auserwählt hatte, um einer Welt der 14 Just, Meine Erlebnisse, 110. Götzenanbetung und des Gigantenkultes zu zei- 15 OÖ. Heimatblätter 1986, Heft 1, 14.

225 Brief von P. Just aus dem KZ Dachau. Ein Teil fiel der Zensur zum Opfer.10

In diesen zwanzig Jahren gelangt das „mittendrin“ zu unvorstellbaren Wutaus- Bild des Geistlichen, den P. Johannes brüchen. Mit Behörden, geistlichen und Lenz, ein Mithäftling aus Dachau, als weltlichen Vorgesetzten lag P. Konrad „originelle Kampfnatur und unermüdlichen Ar- grundsätzlich im Kampf, und auch mit beiter“16 charakterisiert hatte, zu seiner seinen Köchinnen führte er „Krieg“, so vollen Ausprägung. Die Schrecken und dass, laut Chronik, es kaum eine länger das Grauen der Konzentrationslagerzeit bei ihm aushielt. Armen und einfachen waren nicht spurlos an ihm vorüberge- Leuten gegenüber erwies sich der Gra- gangen. Er, der Zeuge und Opfer sol- mastettner Pfarrherr im Allgemeinen je- chen Unrechts geworden war, wird noch doch als sehr zuvorkommend und mild- sensibler für das kleinste Unrecht und tätig. kann sein von Natur aus feuriges Tem- Dennoch dürfte dem resoluten Got- perament selten zügeln. tesmann zumindest in einem, glaubhaft Von inniger Frömmigkeit und tiefster belegten, Fall – ganz nach der Manier Liebe insbesondere auch für die Mutter- des berühmten geistlichen Romanhel- gottes von Fatima beseelt, segnete Just den aus Italien – halb dienstlich die gern . . . und konnte daneben fürchterlich fluchen. So anerkannt niveauvoll seine Predigten waren – gelegentlich kam es 16 Lenz, 251.

226 P. Konrad im Kreis ehemaliger KZ-Priester mit Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner.

„Hand ausgerutscht“ sein. Es war im ihn der Wachmann auch gleich richtig Sommer 1953, als Just einem Nachbars- an: „Herr Pfarrer, warum halten Sie sich bauern, dessen Hühner auf den frisch nicht an die Verkehrsvorschriften!?“ bestellten Acker des Pfarrers herüberge- Worauf dieser, schlagfertig wie er war, wechselt waren, in „heiligem (?) Zorn“ mit der Frage konterte: „Halten Sie im- eine schallende Ohrfeige verabreicht ha- mer die Zehn Gebote?!“ Typisch für Justs ben soll. Der „Mühlviertler Bote“ griff knorrigen Humor unter anderem auch die Begebenheit auf und widmete ihr im folgende Episode: In der Nachbarspfarre Juli 1953 auf dem Titelblatt eine Karika- Ottensheim war für einen 13. Oktober tur mit der Schlagzeile „Es war vielleicht Visitation durch den Bischof angekün- der Don Camillo“, ohne P. Konrad jedoch digt, der P. Konrads Mitbrüder merklich ausdrücklich zu nennen . . . aufgeregt entgegensahen. Er aber sprach Die wohl geläufigste Anekdote rankt ihnen Mut zu mit den Worten: „Seid’s sich um des Pfarrers Gewohnheit, als be- doch froh! Der 13. ist doch Fatima-Tag! geisterter Traktorfahrer und Nicht-Auto- Und die Muttergottes bändigt alle – besitzer alle Besorgungen in Linz per auch den Bischof!“ Traktor zu erledigen. Als er dabei ir- Der glühende Marienverehrer fand gendwann bei Rot über die Kreuzung seinen Tod bei einer Marienmesse: am fuhr, stoppte ihn prompt ein Polizist. 22. Oktober 1964, während des Morgen- Und weil Hochwürden bei der Linzer gottesdienstes, erlag er vor den Stufen Exekutive bereits bekannt war, sprach des Gramastettener Hochaltares einem

227 „Es war vielleicht der Don Camillo.“ Aus: „Der Mühlviertler Bote“, Juli 1953. Schlaganfall. (Die schicksalhafte Paral- lele zum Ende des 1987 selig gesproche- nen bayerischen „Volksseelsorgers“ und geistigen NS-Widerstandskämpfers Pa- ter Rupert Mayer, der am Allerheiligen- tag 1945 – in München – ebenfalls wäh- rend eines Gottesdienstes von einem Schlaganfall ereilt worden war, drängt P. Konrad auf dem Traktor. sich in diesem Zusammenhang förmlich auf.) Der spätere Wilheringer Abt Gott- fried Hemmelmayr, damals Kooperator Quellen in Gramastetten, hatte P. Konrad Just noch die Letzte Ölung spenden können, Stiftsarchiv Wilhering: Professkatalog dann war ein ungemein bewegtes, dra- Pfarrarchiv Gramastetten: „Meine Predigten“ und „Meine Vorträge“ (ab etwa matisches Leben ausgehaucht. Ein Le- 1927), handgeschrieben und gebunden, 300 Sei- ben, das einen maßgeblichen Vertreter ten. der Pfarre Gramastetten in engste Berüh- Über 100 Briefe und Postkarten P. Konrads aus rung brachte mit dem Nazi-Schrecken den Lagern Dachau und Buchenwald sowie wei- des 20. Jahrhunderts, das geprägt war tere Briefe und Briefkonzepte. „Tagebuch“, handgeschrieben und gebunden (1945 von denkwürdiger Originalität, Mensch- und 1946), 201 Seiten. lichkeit und zuweilen auch Skurrilität. Handschriftlicher Bericht Justs über die Inhaftie- Ein Leben, das durch die Hölle geführt rung 1938–1945, in: Pfarrchronik Gramastetten, I. hatte, selbst dort der Liebe Gottes begeg- Teil, 1878–1948, 210 ff.; abgedruckt in: Fr. Rein- hold Dessl OCist und Bernhard Prokisch, Ein nete und berufen war, diese auf indivi- Oberösterreicher in Dachau und Buchenwald. duell unnachahmliche Weise weiter zu Bericht des Pfarrvikars von Gramastetten; P. Kon- vermitteln. rad Just OCist, über seine Inhaftierung 1938–1945,

228 in: Oberösterreichische Heimatblätter (40. Jg.), Jakob Fried, Nationalsozialismus und katholische Kirche 1986, Heft 1, 3–14; mit einleitenden biographi- in Österreich, Wien 1947, 110 f. schen Notizen. Johann Mittendorfer, Oberösterreichische Priester in Archiv der Kreuzschwestern in Linz: Gefängnissen und Konzentrationslagern zur Zeit des Na- Chronik der Anstalt „Marienheim“ Gramastetten, tionalsozialismus (1938–1945). Kirchengeschichtli- Kindergarten und Arbeitsschule, 1927–1966. che Diplomarbeit, Linz 1976 (abgedruckt im 72. und 73. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasi- Archiv der Gedenkstätte KZ Dachau (32.795): ums Kollegium Petrinum 1975/76 und 1976/77. „Bericht über meine Erlebnisse durch 7 Jahre in den Lagern Kurzbiographie von P. Konrad Just mit weiteren Dachau – Buchenwald – Dachau“, fertig gestellt von Literaturangaben im Jahresbericht 1976/77, 60 f.). P. Konrad Just am 5. Juni 1945 in Percha (hg. vom Don Camillo im Mühlviertel. Die Zisterzienserstift Wilhering: P. Konrad Just, Meine Bruno Gattringer, Erlebnisse in den KZ-Lagern Dachau und Buchenwald Verhängnisse des Landpfarrers Konrad Just. Geschichten aus mündlicher Überlieferung und aus eigener Erfahrung, 1938–1945, Stift Wilhering 2006). hg.imEigenverlag,o.J. Einige Zeitungsartikel: Justus Just, Aus der Reihe gedrängt. Das Schicksal der „Bestrafte Neugier. Das rasende Butterfaß“, „Mühl- in: KZ-Priester, Norderstedt 2005. viertler Bote“ vom 16. Dezember 1952. „Es war vielleicht der Don Camillo“, in: „Mühlviertler Eugen Weiler, Die Geistlichen in Dachau, Mödling Bote“ vom 11. Juli 1953. 1971, 326. „Landpfarrer schreibt an Bundeskanzler und fordert ein Johann Maria Lenz, Christus in Dachau, Wien 1956, Verbot der FKK im Mühlviertel“, in: „Der Sonnenmensch 75, 251, 397, 399. Helios“, Nr. 95, Jg. 1961, 4. Dokumentationsarchiv des österreichischen Wi- „Unvergessen: Pater Just/„Don Camillo“ des Mühlvier- derstandes (Hg.), Widerstand und Verfolgung in Ober- tels“, in: KFB-Zeitung vom Februar 1991, 16. österreich 1934–1945. Eine Dokumentation (Bd. 2), „Populäre Priester der alten Zeiten (3). Die Muttergottes Wien 1982, 19, 221. bändigt alle“, in: Volksblatt-Magazin vom 12. April 1996. „Halten Sie immer die zehn Gebote?“ Anekdoten um Pfar- rer Just von Gramastetten, in: Jahrbuch der Diözese Linz 1980, 213 f. Roman: Fritz Habeck, Der Piber, Wien – Hamburg 1965, Literatur 262 ff. Paulus Nimmervoll, Die Schicksale des Zisterzienser- Video: stiftes Wilhering während der Zeit des Nationalsozialis- P. Konrad Just. Ein Priester mit Zivilcourage. Ein Film mus 1938–1945. Kirchengeschichtliche Diplomar- der Polytechnischen Schule Gramastetten in Zu- beit. Linz 1970, 4 f., 82 f. (zum Teil abgedruckt im sammenarbeit mit Hermann Luckeneder und P. 60. Jahresbericht des Stiftsgymnasiums Wilhering Reinhold Dessl, Gramastetten 1997. Dazu die 1969/70, 18–73). Schülerzeitung „Justpost“, Juni 1997.

229 Gelehrter – „Hochverräter“ – Minister – Höchstrichter Ein Lebensschicksal in der bewegten Zeit des Vor- und Nachmärz

Von Herbert Bezdek

Sein außerordentlich verlaufenes Leben hatte ihn in schicksalsschwerer Stunde mit Situationen von extremer in- nermenschlicher Dramatik konfrontiert – zur 200. Wiederkehr seines Geburts- tags sei die Biographie dieses hohen oberösterreichischen Beamten der k. u. k. Monarchie im 19. Jahrhundert ein wenig näher beleuchtet. AntonJosephHyewurdeam26. Mai 1807 in Gleink bei Steyr als Sohn des Pflegers der dortigen Religions- fondsherrschaft geboren. Die Mutter (Mädchenname Gall) war eine nahe Ver- wandte sowohl des durch seine Schädel- lehre bekannt gewordenen Universitäts- professors Franz Joseph Gall als auch des „josephinischen“ Bischofs Joseph Anton Gall, der als zweiter Oberhirte die noch junge Diözese Linz 18 Jahre hin- durch leitete. Nach Studien im Stift Kremsmünster und an der Universität Wien sowie zweijähriger Tätigkeit als Aktuar beim Magistrat Steyr bzw. in der Anton Joseph Hye (1807–1894). Advokaturpraxis promovierte der junge Oberösterreicher 1831 zum Doktor der fen. Dort maßgeblich an der Erstellung Rechte. Dann ließ er sich in Wien nieder, einer juridisch-politischen Studienord- doch die Verbindung zu seiner engeren nung beteiligt, avancierte er bereits 41- Heimat ist nie abgerissen. jährig zum Hofrat und zum General- Als Supplent an der Universität sekretär im Justizministerium. Wien und Konzipient in einer angesehe- Nun griffen die turbulenten Ereig- nen Advokaturkanzlei wurde Hye 28- nisse des Jahres 1848 in die steile Kar- jährig Professor an der Theresianischen riere des Oberösterreichers ein: Am 12. Ritterakademie und schon mit 35 Jahren März, in politisch zunehmend explosiver als Ordinarius auf den Wiener Lehrstuhl Lage, hatte die Studentenschaft bei einer für österreichisches Kriminalrecht beru- unter der Leitung ihrer Professoren ab-

230 gehaltenen universitären Zusammen- verrats an, begangen durch einen „An- kunft eine Adresse direkt an den Kaiser, griff auf die Souveränität des Volkes und u. a. mit der Forderung nach Rede- und die österreichische Staatsverfassung“(!). Pressefreiheit sowie Installierung einer Ungeachtet der beantragten Todes- allgemeinen Volksversammlung, gerich- strafe wurde die Causa an das Kriminal- tet. Hye, amtlichem Befehl unterstehend, gericht weitergeleitet, wo die Wahrheit vermochte es, die aufgebrachten Studen- bald ans Licht kam; man sprach den An- ten, die ihm in begeisterter Verehrung er- geklagten in allen Punkten frei und be- geben waren, zu beruhigen und er- scheinigte ihm, dass er sich als Beamter reichte, dass das Papier dem Monarchen „korrekt verhalten habe“. Hye erhielt ei- nicht im Wege einer unkontrollierten nen längeren Amtsurlaub und zog sich, Massendemonstration, sondern durch aufgrund seiner erwiesenen Integrität den Rektor, ihn selbst und einen weite- mit beruflichen Angeboten regelrecht ren Professor übermittelt wurde. Die überhäuft, vorerst nach Oberösterreich daraufhin von der Studentenschaft ge- zurück. gründete akademische Legion wählte Hye zu ihrem Oberkommandanten; aus Schon im Dezember 1848 wurde er, dieser Position heraus konnte er Exzesse der seinen Posten im Ministerium verlo- verhindern und kriminelle Agitatoren, ren hatte, wieder eingestellt, als Ministe- auch unter persönlichem Einsatz, der rialrat mit Organisationsarbeiten sowie Gerichtsbarkeit zuführen. mit der Herausgabe des Reichsgesetz- blattes betraut und als Präses der Binnen Kürze allerdings sollte es judiziellen Staatsprüfungskommission. zum Bruch kommen: Geschreckt durch Wenngleich – aus angeblichen Unverein- den innerhalb der akademischen Legion barkeitsgründen – zur Aufgabe des mehr und mehr aufflammenden Radika- Lehramts gezwungen, brachte es Hye in lismus, den eingeschleuste „Fremdele- der Folge zum Geheimen Rat, zum In- mente“ noch schürten, trat Hye zurück spektor des Gefängniswesens, zum Lei- und verfocht von da an als Angehöriger ter der legistischen Sektion des Justiz- des Bürger- und Studentenausschusses ministeriums und schließlich zum Sek- die Regierungslinie. Damit schlug die tionschef. Begeisterung der Studenten für ihren Zu seiner reichen fachpublizistischen Professor in blanken Hass um: Die ver- Tätigkeit – neben vielen Aufsätzen fügte Auflösung der Legion führte zu edierte er Werke zum österreichischen den Barrikaden des 28. Mai 1848, auf de- Strafgesetz, zur Strafprozessordnung nen die revoltierende Menge einen Gal- und zur Schwurgerichtsbarkeit – traten gen mit dem Bild Hyes aufrichtete. nun umfassende Agenden im Justizres- Und jetzt drohte ihm mit einem Mal sort. Angeführt seien nur die Heraus- höchste Gefahr auch aus dem „eigenen gabe der 22-bändigen Sammlung der Lager“; der gleichzeitig gebildete Volks- Gesetze 1848 bis 1860, die Neuerstellung sicherheitsausschuss ordnete ob Hyes u. a. des Presse- und des Strafgesetzes ursprünglich „pro-studentischen Enga- sowie der Organisationsgesetze für die gements“ dessen Verhaftung und Verset- Rechtsberufe; auch wirkte Hye am Mili- zung in den Anklagestand wegen Hoch- tärstrafgesetzbuch mit und redigierte die

231 Normen für das österreichische Gefäng- wurde Hye als Mitschöpfer der letzten niswesen. großen Gesetzeswerke in der österreichi- Dieses erfolgreiche Wirken erfuhr schen Monarchie und Wegbereiter unse- 1853/54 höchste offizielle Anerkennung res Rechtsstaates von der Juristenwelt durch die Verleihung des Ritterkreuzes geradezu stürmisch gefeiert. Mit der Ver- des Leopoldsordens und die Erhebung leihung des Großkreuzes des Leopolds- in den Ritterstand mit dem heimatbezo- ordens, der Übertragung der Kanzler- genen Adelsprädikat „von Glunek“ schaft des Ordens der Eisernen Krone (= Gleink). und der Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt Wien komplettierte sich die Ins Übergangskabinett Beust als Jus- mehr als achtbare Liste offizieller Aner- tizminister berufen, wurde Hye parallel kennungen. Leiter des Ministeriums für Kultur und Hye, dessen zwei Ehen fünf Kinder Unterricht, in welcher Position er mit – entsprossen, starb hoch betagt am 8. De- für ihn als ehemaligen Klosterschüler zember 1894 in Wien. Bestattet liegt er in sehr unangenehmen – Konkordatsfra- der Familiengruft in Steinhaus bei Wels – gen zu tun hatte. Nach dem Rücktritt der der Kreis zu seiner oberösterreichischen Gesamtregierung wurde seine ministe- Heimat ist damit geschlossen. Die unbe- riale Tätigkeit in ehrenvoller Form been- irrbare Einstellung Hyes zum Recht und det; Hye erhielt den Orden der Eisernen zur Rechtlichkeit könnte nichts treffen- Krone I. Klasse, wurde in den Freiherren- der widerspiegeln als der Leitspruch, der stand erhoben, Herrenhausmitglied auf sich auf seinem Wappen findet: „Fiat Lebenszeit und Mitglied sowie ständiger iustitia, ne pereat mundus.“ Referent des neu etablierten Reichsge- richtes (Vorläufer unseres Verfassungs- gerichtshofes). In letztgenannter Eigen- schaft gab er die Sammlung der Er- Literatur kenntnisse dieses Höchstgerichtes von Wilhelm Brauneder (Hg.): Juristen in Österreich. 1869 bis 1892 heraus. Verlag Orac, Wien 1986. In später Entscheidung wählte ihn Alois Zauner – Harry Slapnicka (Hg.): Oberöster- reicher, Bd. I, Oö. Landesverlag, Linz 1981. das Universitätskollegium der Wiener Constantin von Wurzbach: Biographisches Lexi- Alma Mater Rudolfina zum Rektor kon des Kaisertums Österreich. Wien 1856–1891. Magnificus, eine nach der alten Univer- Eva Obermayr-Marnach: Österreichisches Bio- sitätsverfassung „letztmals mögliche Sel- graphisches Lexikon, III. Bd., Verlag Böhlau, Graz tenheit“. An seinem 70. Geburtstag – Köln 1965.

232 Kupferschmied, Bürgermeister, Volksdichter: Zur Erinnerung an Franz Hönig (1867–1937)

„Landlerischer“ Humor und schalk- manchmal auch mitten unterm Schmie- hafte (Selbst-)Ironie waren nicht nur den Verse oder Gelegenheitsdichtungen Gründzüge seiner einmaligen Persön- schnell auf braunes Packpapier. Früh lichkeit, sondern, in sprachlich singulä- hatte sich sein ureigener Stil entfaltet, rer Umsetzung, auch Markenzeichen sei- und schon in der vom Stelzhamerbund nes Werks, das vor allem dadurch fort- 1899 herausgegebenen Anthologie „Aus besteht. Zum 70. Todestag von Franz da Hoamat“, die Schaffensbeispiele we- Hönig soll eine konzise Rückschau auf sentlicher Mundartautoren versam- Leben und Schaffen des populären ober- melte, war er mit drei Werken vertreten, österreichischen Mundartdichters an darunter „Der Bürgertag“, eine treffende dieser Stelle nicht fehlen. Satire auf das Wirtshausleben der Hönigs Start ins Dasein war alles an- Kremsmünsterer Marktbewohner. dere denn leicht: Am 24. Oktober 1867 in Ried im Innkreis zur Welt gekommen, wurde er bereits im Alter von fünf Jahren 1 1 Der Vater, August Hönig, aus Kremsmünster Vollwaise. So wuchs der Bub im Eltern- gebürtig, war als gelernter Pharmazeut mit haus seines Vaters, beim Onkel, dem künstlerisch-innovativem Mut in die Fotogra- Kupferschmied Karl Racher,2 in Krems- fenbranche umgestiegen und in Ried der Erste münster auf. Der Markt sollte ihm Le- seines Fachs. Die Mutter, Anna Revitzky, Guts- bensmittelpunkt bleiben, das Schmiede- besitzerstochter aus dem damaligen Ungarn, war von Beruf Erzieherin. handwerk, gleich den aus Bad Hall stam- 2 Zur familiären Vorgeschichte: Franz Hönigs menden Vorfahren, zur Erwerbsbasis Großvater August war 1838 durch die Ehe- werden. schließung mit der Witwe Katharina Racher zum Mitbesitzer der Kremsmünsterer Kupfer- Nach Besuch der Volksschule und schmiede (seinerzeit Markt 35) geworden. In der Ausbildung im Familienbetrieb ging der Folge waren dort vier „Racher“-Kinder und der frischgebackene Geselle, wie damals drei „Hönig“-Kinder, unter ihnen der Vater von noch üblich, auf Wanderschaft, die ihn Franz, als Halbgeschwister miteinander aufge- wachsen. – Karl, der als Ältester der „Racher“- nach Ried, Windischgarsten und Linz Kinder die Schmiede weiterführte, hat dann führte. 1890 – der Onkel war inzwischen 1872/73 den verwaisten Franz bei sich aufge- verstorben – kehrte Hönig zurück, führte nommen. die Schmiede gemeinsam mit Rachers 3 Dieser ersten Verbindung entstammten zwei Witwe weiter und übernahm den Betrieb Kinder, August, Franzens Nachfolger, und Mar- garete, die nach Shanghai ausheiratete. – Auf- (heute Marktplatz 16) nach seiner Ver- grund des frühen Todes seiner Gattin (1905) 3 ehelichung mit Maria Harschetzky, der vermählte sich Hönig im selben Jahr erneut, Tochter eines Steuereinnehmers, im und zwar mit der Gastwirtstochter Anna Dobl- Jahre 1900. hofer. Der zweiten Ehe entsprang ein Mädchen, Anna; sie siedelte sich in Wien an, war dort Für die Poesie verwendete der junge Lehrerin und erhielt durch Heirat den Namen Franz fast jede freie Minute, notierte Kudernak-Hönig.

233 Fraglos sind es bereits die Jahre zwi- schen 1890 und etwa 1910 gewesen, in denen Hönigs literarische Produktion ihre Hochblüte durchlief. Von der kanti- gen Direktheit vieler seiner unvergesse- nen Reime, in denen oft (Zeit-)Kritisches mitklingt, kündet unter anderem dieser Vierzeiler: „Sag’s außa, wia’s is, nur koa zuckersüaßs Gfries, nur koa scheinheiligs Lob, liaba krompat und grob.“

Kompetenz, Geradlinigkeit und Weitblick zeichneten Franz Hönig auch als Bürgermeister von Kremsmünster aus, in welchem Amt er von 1909 bis zu seinem Tod 1937 die beherrschende Per- sönlichkeit der Marktgemeinde war. Wichtige Kommunaleinrichtungen ent- standen unter seiner Ägide, der Ankauf des noch heute genützten Dilettanten- theaters geht ebenfalls auf ihn zurück. Franz Hönig anno 1927. Im selben Jahr war ihm Allgemein beliebt und gesellschaftspoli- auch die Ehrenbürgerschaft der Marktgemeinde tisch wie kulturell äußerst engagiert, ge- Kremsmünster verliehen worden. staltete er während der 1930er-Jahre bei Radio Linz Rundfunksendungen, hielt liche Konterfei prangte vom 10-Heller- als glänzender Rezitator, auch der eige- Schein. nen Werke, landauf landab Lesungen Fünf Tage nach Vollendung des Sieb- und war Mitglied etlicher lokaler Ver- zigers, am 29. Oktober 1937, wurde Hö- eine, so der Tanzkapelle „Die Trudinger“ nig unerwartet aus einem bis zuletzt ar- oder des Gesangsvereins, für den er zwei beitserfüllten Leben gerissen: Im Linzer Liedtexte schrieb – „Mei herzigliabs Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Schatzerl“, „Kremsmünster“, letzterer erlag er den Folgen eines während einer vertont von Pater Altmann Keller. Kehlkopfoperation erlittenen Herzver- Mit der Zuerkennung der Ehrenbür- sagens. gerschaft erstattete die Marktgemeinde Beigesetzt ist Franz Hönig, der sich ihrem Oberhaupt zum Sechziger blei- selbst gerne als „Volksdichter“ apostro- bende Reverenz. Wie groß seine Popula- phiert sah, in der Kremsmünsterer Fami- rität war, wird u. a. daran sichtbar, dass liengruft. man sein Porträt 1920 sogar als Motiv (Beitrag nach Unterlagen von Bri- für das Design des Notgeldes der gitta Oberhuber und der Marktgemein- Kommune heranzog; das bürgermeister- de/Mag. Siegfried Kristöfl.)

234 Zur Reihe der vom Autor veröffentlichten Mundartbände: „Unsa Landl“ (1899) „Da Mostschädl“ (1902) „Lost’s ma zua“ (1907)

Posthum wurden bisher aufgelegt: „Vor’n Feierabend“ (Anfang 1938, gleich nach Hönigs Tod) „Unser Landl – Unser Leben“ (1997) „Sag’s außa, wia’s is!“ (2007, ausgewählte Gedichte, vom Kremsmünsterer Kulturver- ein „Franz Hönig“ unter Brigitta Oberhuber zum 70. Todestag/140. Geburtstag in Neuauflage herausgebracht)

235 Neue Gesichter, neue Herausforderungen: Heimische Karikatur in der Tast- und Testphase

Von Harry Slapnicka

Mit dem Antritt der neuen österrei- österreichern, ebenfalls erst allmählich chischen Koalitionsregierung sind teils herantasten müssen. Oft genug sind es neue Gesichter und zugleich neue, viel- ja – man denke an Molterers „Dreitage- fach erst zu meisternde, Herausforde- bart“ – markante individuelle Kleinigkei- rungen ins Blickfeld auch der politischen ten, die den Menschen und Politiker un- Karikatur unseres Landes gerückt. Als verwechselbar charakterisieren, ihn Newcomer aus Oberösterreich stehen, durch die Kunst des zündenden Strichs neben der bekannten Figur des gebürti- auf Anhieb wiedererkennbar werden las- gen Steyrers Wilhelm Molterer, zwei So- sen. zialdemokraten frisch im Visierkreis, Dass populistische Einzelaktionen nämlich Justizministerin Maria Berger bei den Männern der spitzen Feder nur und Sozialminister Erwin Buchinger, bedingt verfangen, darum weiß Erwin beide Mühlviertler, an die sich die Kari- Buchinger spätestens seit Februar dieses katuristen, ganz wie bei den Nicht-Ober- Jahres, als er – für einen zugegeben gu-

Erste Annäherungen an Sozialminister Erwin Buchinger und Justizministerin Maria Berger (W. Salz- mann, „Neues Volksblatt“, 4. 4. 2007, 15. 2. 2007).

236 wöchentlich auf die zweite politische Ebene „hinabsteigt“ und sich in ihrer Oberösterreichausgabe ausschließlich der Landespolitik widmet – unter kräfti- ger karikaturistischer Berücksichtung al- ler Coleurs, angefangen von LH Josef Pühringer bis hin zu den Mitgliedern der Landesregierung, den Parteisekretären und (im Falle Paschings; Milan A. Ilic) lokalen Ortsgewaltigen, sprich Bürger- meistern. Von der Kurzlebigkeit karikaturisti- scher Zuwendung können hingegen auf Bundesebene Politiker wie Wolfgang Schüssl, Frau Gehrer, Andreas Khol oder der einst von Oberösterreich nach Wien ausgezogene Verkehrstaatssekretär Ku- kacka längst ein Lied singen: flugs schwindet das Interesse, sobald Karriere- sterne verblasst sind oder die soge- nannte Popularitätskurve nach unten An der fließenden Grenze zwischen Karikatur und weist. Kunstwerk: Wilhelm Molterer, aufgefasst von G. Wenn von Alt-Kanzler Schüssel in Haderer („Rundschau“ 13/2007). einer biographischen Skizze vermerkt wird, er zeichne gelegentlich selber Kari- katuren, so sei hier verraten, dass auch ten Zweck – öffentlich seine Haarpracht der oberösterreichische Landeshaupt- opferte: Mit zwei Ausnahmen (OÖN, mann Josef Schlegel (ÖVP, 1869–1955) 5. 2. 2007, Die Presse, 10. 2. 2007) fand in manch langweiliger Sitzung kurzer- der Gag praktisch keinerlei karikaturisti- hand selbst zum Stift gegriffen und schen Niederschlag im Blätterwald. Freund oder Gegner karikiert hatte, wo- Rekordverdächtige Aufmerksamkeit bei eines dieser Elaborate sogar als Ak- genießt Wilhelm Molterer, den die Kari- tenstück erhalten blieb. katuristen bereits als Landwirtschaftsmi- Unverändert ist es also die Politik, nister und VP-Klubobmann sehr gerne deren sich die Karikatur mit Vorliebe an- bedienten, auch in seinen neuen Funktio- nimmt, weithin abseits liegt etwa die nen als Vizekanzler und, speziell, Finanz- Wirtschaft, wiederum ein wenig besser minister. Vor allem in den Printmedien belichtet sieht sich die Kultur, ja sogar seiner oberösterreichischen Heimat boo- die Kirche; in schöner Regelmäßigkeit men Molterer-Konterfeis mit einer wird z. B. Kardinal Schönborn „aufge- Dichte, wie es bis dato nur bei Landes- spießt“, der neue Linzer Bischof Ludwig hauptmann Erwin Wenzl zu beobachten Schwarz fand in Lois Lessing einen wir- war. Apropos: Seit einigen Jahren ist es kungsvollen Karikaturisten, und die aus hier bei uns die „Kronen-Zeitung“, die Linz gebürtige ehemalige Superinten-

237 Wilhelm Molterer – als Finanzminister bei den Karikaturisten noch beliebter (G. Peichl/Ironimus, „Staats- zirkus“; „Die Presse“ vom 6. 3. 2007). dentin des Burgenlandes Gertrud Knoll latente Herausforderung des steten de- wurde Ende des Vorjahres in den OÖN mokratisch bedingten Wandels politi- (BUL, 31. 10. 2006) zur Zielscheibe fast scher Verhältnisse, andererseits durch schon bösartigen Spotts. eine erkennbare innere Ausweitung des An das Goethe-Wort, wonach ein Metiers selbst, das unterdessen immer Mensch „erst ab dem 40. Lebensjahr für stärker auch in die Bereiche der Wer- sein Gesicht verantwortlich ist“, fühlte bung oder verschiedenste benachbarte man sich in Anbetracht von BUL’s kultu- Sektoren der Kunst vordringt. So über- rellem OÖN-„Adventkalender 2006“ un- rascht etwa eine Inseratreihe für die willkürlich erinnert: Dem zeichnerischen „Freie Bühne Wieden“ mit karikaturähn- Versuch, die oberösterreichische Sänge- lichen Darstellungen der einzelnen rin Christina Stürmer zu erfassen, wider- Schauspieler, und die Entwürfe für die setzte sich die Jugendlichkeit dieser neuen Puppen der Bühne „Wien-Raben- Dame sichtbar. . . hof“ stammen, um ein zweites Exempel Aufs Ganze gesehen erscheint die anzuführen, von keinem anderen als Zukunft der Karikatur im Lande jeden- dem renommierten oberösterreichischen falls wohl gesichert, einerseits durch die Karikaturisten Gerhard Haderer.

238 Nachruf für Romuald Pekny

Jetzt ist die Bühne leer. Romuald Hilfe. Max-Reinhardt-Seminarist, der er Pekny ist abgegangen. Keiner kann ihn dann wurde, hielt er sich an die vom ersetzen. Er war für die Bühne geboren, Meister bei der Seminar-Eröffnung ge- ein Glücksfall für die Hochkultur unse- forderte Regel, der Schauspieler müsse res Theaters, unter deren Auflösung wie in einen Orden eingetreten sein. auch er zu leiden hatte. Er hat in seinen besten Jahren viele Bühnengestalten so Hier, am Landestheater Linz, hat er vollkommen geprägt, dass man sie sich, seine ersten Schritte auf professionellen solange Romuald Pekny sie spielte, gar Bühnenboden gesetzt. In einer unvor- nicht anders besetzt vorstellen konnte. stellbar steilen Karriere hatte er 1959 an Für uns Ältere eine lebendige den Münchner Kammerspielen seine Erinnerung, für viele Junge eine Legende, künstlerische Heimat gefunden, so wie die sie nie zu sehen bekommen haben. diese Bühne in ihm ihren Protagonisten. Es ist nur einigen wenigen Menschen Er debütierte als „Der Unbestechliche“ vorbehalten, ein ganzes Stück Zeitalter von Hofmannsthal. Ein solcher war er mit sich ins Grab zu nehmen. Was die auch im Leben, er wagte es, einem Fritz Berufung wie den Beruf des Schauspie- Kortner die Hauptprobe von Richard III. lers angeht, wird man von einer „Ära abzusagen und weigerte sich, die demü- Pekny“ sprechen können, die sich in sei- tigenden Casting-Zwänge eines Federico ner Person erfüllt und abgeschlossen Fellini mitzumachen. hat. Er umgab sich mit einer weihevollen Pekny hat keinen Zweifel daran ge- Aura, aber ein Komödiant war er auch. lassen, dass er ein königliches Handwerk Er beherrschte ein mit seiner Stimme si- betreibt. Sein Rollenrepertoire liest sich cherlich verklungenes Pathos. Dass Ro- wie eine Enzyklopädie der dramatischen muald Pekny sein Darstellerdasein tat- Weltliteratur: Er hat Erzengel, Ritter, Tod sächlich als eine Art Priestertum ver- und Teufel gespielt, bei Shakespeare und stand, hat ihn aber nie abgehalten, oft Schiller die Könige, die philosophischen auch den frivolen Spaßmacher der Paw- Narren bei Nestroy, die Ganoven bei latschenbühne von der Leine zu lassen; Brecht und Dürrenmatt, Tartuffe und seine Kollegen wissen das. John Gabriel Borkmann, Hamlet und Sprache und Stimme waren sein Bo- Adolf Eichmann, er stand in der Reihe gen und sein Instrument, das er virtuos der letzten großen Verwandlungsschau- beherrschte. Er brachte seine eigene spieler, wie Bassermann und Werner Wortmusik ein, war zu erkennen an sei- Kraus, in seiner Generation gewiss der ner diskreten Manier, die Konsonanten Vielseitigste. zu akzentuieren und die Endsilben zu Er stand als kaputter Frontsoldat, verlängern, wie ein guter Walzerdirigent quasi mit Bajonett und Gasmaske vor die zweite Viertelnote. Das war höchstes der Türe der Burgtheaterheroine Maria Handwerk, aber doch nur der Rahmen Eis und bat sie um erste künstlerische für sein unnachahmliches Talent, sich

239 nicht nur die Sprache der jeweiligen Vaters Profil geerbt hat und sein Theater- Rolle anzueignen, sondern die des Dich- gespür mit dazu, der den Eltern die ters selbst erkennen zu lassen. Hierin Freude seiner ganz selbstständigen Kar- hätte Romuald Pekny ein Vorbild für die riere als Bühnenbildner und Kunstpä- nachfolgende Schauspielergeneration dagoge machen konnte; schließlich die sein können. Das wird aber die nicht er- als Tochter umarmte Adelheid, selber reichen, welche zeitgemäß auf unseren eine beseelte Darstellerin, die sich auch Bühnen Bilderflut und Sprachverlust bei den schlimmsten Abstürzen niemals üben, das Handwerk verachten, die Lite- hilflos zeigte, buchstäblich bis zum letz- ratur misshandeln und denen Wortme- ten Atemzug für Romuald da war. lodie, erfülltes Pathos und Versmaß ver- Irgendwann ist er wortkarg gewor- ächtliche Fremdsprachen sind. Pekny den. Was solle er schon reden, meinte wusste das. Aber er hat sich nichts ab- der große Rhetoriker, es sei doch schon handeln lassen von seiner Herkunft aus alles gesagt. Viele Bemühungen, ihn dem Wien des Arthur Schnitzler und noch einmal auf die Bühne zu führen, aus den Kulissen der Nestroy-Bühne. scheiterten an Romys gewollter Abge- Romy konnte wunderbar staunen schiedenheit. Und es holte ihn diese und genießen. Wenn er uns – selten ge- Krankheit ein, die alle trifft, welche über nug – auf dem Rinklhof besuchte, ihre geistige Lebensgrenze hinaus am pflegte er sich auf eine bäuerliche Milch- Leben bleiben – eine Gnade oder eine bank zu setzen und umher zu blicken. Er Strafe? Jetzt ist er als Sterbender an sei- war voller Bewunderung für die Details nen künstlerischen Ausgangsort heim- des Hauses oder der Natur. Dann nahm gekehrt. er seine Eindrücke hinüber in einen tie- Unter den Bühnenkünstlern seiner fen langen Schlaf. Wenn er wieder auf- Zeit ist Romuald Pekny ein „Anderer“ wachte, wollte er heimfahren. Eva hatte gewesen. Folgen wir den Spuren von mit Cornelia ja alles Wichtige bespro- Peknys großer Fantasie, könnte er in ei- chen. Alle waren glücklich – Romy hatte, ner anderen Welt gelebt haben, in einer fast wortlos, alles ausgestrahlt und er- Art „Goldenem Zeitalter“, in dem die lebt, was es nur gab. Grenzen zwischen Kunst und Religion, die zwischen Künstler und Priester, ja, Der starke Stamm einer Familie mit die zwischen Priester und Gott noch flie- manchmal wechselnden Besetzungen ßend waren. Möge er in einem solchen war für Romuald sein überlebenswichti- Himmel so gut aufgehoben sein wie in ger Schutzmantel. Er selbst hatte darin unserer Erinnerung, die wir ihn erlebt die Privilegien einer Ehrenmitglied- und geliebt haben; denn so einen wird schaft. Eva, wie durch Vorsehung für ihn es nie wieder geben. bestimmt durch den gleichen Tag, das gleiche Jahr der Geburt, eine magische Prof. Dr. Hellmuth Matiasek Zwillingspartnerschaft; Thomas, der des (Staatsintendant a. D.)

240 in einem Linzer Krankenhaus nach langer, schwerer Krankeit. Er zählte zu den bedeu- tendsten Charakterdarstellern des deut- schen Sprachraumes und wurde durch Rollen in zahlreichen Fernsehspielen und Literaturverfilmungen, u. a. als Prediger Abraham a Santa Clara, einem breiteren Publikum bekannt. Mit der Schauspielerin und Schriftstellerin Eva Petrus-Pekny ver- heiratet, lebte er zuletzt in Bad Aussee. Seine Beisetzung am Linzer Pöstlingberg- Friedhof, von Pekny ausdrücklich verfügt, begründet sich nach Angabe der Witwe damit, dass sie beide in der Pöstlingberg- kirche vor den Traualtar getreten seien, Sohn Thomas hier geboren worden war und die Karriere ihres Mannes in Linz be- gonnen habe. Neben dem hiesigen Lan- destheater waren speziell die Redoutensäle eine der ersten, wichtigen Stationen in Peknys Bühnenlaufbahn. Als ein weiterer Berührungspunkt sind seine späteren, ein- drucksvollen Rezitationen im Dunstkreis Kammerschauspieler Professor Romuald des Adalbert-Stifter-Institutes zu nennen, Pekny wurde am 1. Juli 1920 in Wien als wo sich Pekny fast immer mit Adalbert Sohn eines österreichischen Schauspielers Stifter und dessen Werk auseinander- geboren und starb am 9. November 2007 setzte.

241 „objektiv subjektiv“ DAS FORUM DER MEINUNGEN

Vom „Geist der Zeiten“

Von Josef Demmelbauer

In seinem wenig bekannten Buch bend, zu nennen; zum – verstiegenen – „Geistige Strömungen in Österreich „Weltgeist“ emporgehoben hat ihn Hegel 1867–1918“, das zuerst den Liberalismus, (1770–1831), vor allem in seiner „Ge- gefolgt vom Katholizismus, darstellt, zi- schichte der Philosophie“. Auf den Bo- tiert der promovierte Jurist Albert Fuchs den der Vernunft gestellt hat ihn Goethe (1905–1946) aus den 1911 erschienenen im ersten Teil des „Faust“. Dort will der „Austriaca“ von Hermann Bahr1 dessen Büchermensch Wagner, der Famulus, in Schilderung seines ersten Besuchs bei die antiken Schriftsteller eintauchen, um den Eltern in Linz nach Beginn seines Belehrung über den Weltzusammen- Wiener Universitätsstudiums. Da hang zu gewinnen: brachte er seinem Vater, dem Notar Dr. „Verzeiht! Es ist ein groß Ergetzen, Alois Bahr, „zeitlebens im oberösterrei- Sich in den Geist der Zeiten zu chischen Landtag ein Hauptredner des versetzen; . . .“ Liberalismus“,2 die Nachricht nach Hause: „. . . Der Liberalismus ist aus, eine Darauf antwortet ihm Faust als Goe- neue Zeit bricht an, Platz für uns . . .“3 thes Sprachrohr: Der Abstieg der liberalen Partei „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, hatte begonnen, christlich-konservative, Das ist im Grund der Herren eigner deutsch-nationale und sozialistische Geist, Anschauungen gewannen an Boden. In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ Der Zeitgeist begann sich zu drehen. „Zeitgeist – Was ist das?“ So übertitelt Der Zeitgeist ist in der überzeugen- der Berliner Staatsrechtler Albrecht Ran- den Sicht Goethes also nicht höherer delzhofer seinen Beitrag zur Festschrift Herkunft, er kommt als „im Grund der für Rupert Scholz,4 Staatsrechtler und Herren eigner Geist“ von den Menschen. zeitweiliger Verteidigungsminister unter Helmut Kohl. Dieser Beitrag ist ein Bei- spiel dafür, dass der Blick eines Juristen 1 Sh. Demmelbauer, Oö. Heimatblätter 2004, sich auch auf die geistigen Strömungen, Heft 3/4, S. 170 ff. 2 Hermann Bahr, Rudigier (1916); dazu kurz be- die Staat und Gesellschaft beeinflussen, reits in FN 1, S. 170. zu richten hat. 3 Albert Fuchs, „Geistige Strömungen . . .“, Nach- Der „Zeitgeist“ oder der „Geist der druck der Ausgabe 1949 im Löcker Verlag, Wien 1978, S. 280. Zeiten“ hat seit jeher große Geister be- 4 Pitschas/Uhle (Hg.), Festschrift für Rupert schäftigt: Als erster ist Herder, seit 1776 Scholz. Duncker & Humblot, Berlin 2007, 1186 bis zu seinem Tode 1803 in Weimar le- Seiten, Leinen, EUR 126,–.

242 Daraus folgert Randelzhofer, dass mit weltliches Gericht unzuständig. Da er dem Begriff Zeitgeist eine Strömung an- sich deshalb weigert, einer gerichtlichen gesprochen wird, „der man zumindest Vorladung Folge zu leisten, wird er am kritisch, wenn nicht gar klar ablehnend 5. Mai 1869 zwangsweise vorgeführt; gegenübersteht“. am 12. Juni 1869 wird er zu einer Geld- Wir kehren nun zu Hermann Bahr strafe von 50 Gulden oder 14 Tagen Ker- zurück, und zwar zunächst ins Jahr 1916. ker verurteilt, vom Kaiser von sich aus Aus dem Atheisten der Studentenzeit aber begnadigt. war ein frommer Katholik geworden. Hinter dieser Haltung des Bischofs Am 11. Juli 1916 schreibt er aus Salzburg steht der Widerstand der katholischen an seinen „sehr verehrten, lieben Freund“ Kirche gegen den Zeitgeist. Hören wir Josef Redlich:5 zunächst Hermann Bahr (Rudigier, S. 42): „....; ich habe mein ... Büchl über „. . . Die josephinische Staatskirche Rudigier (Weltgeschichte mit Kindheits- war 1848 eingebrochen. Seit in den erinnerungen drollig bahrisch ver- Grundrechten des Frankfurter Parla- mischt) kaum fertig . . .“ Es handelt sich ments und selbst in der preußischen Ver- um den biographischen Essay „Rudigier“ fassung den Religionsgesellschaften das mit einer, wie er an Redlich schreibt, Recht der Selbstbestimmung zugespro- rücksichtslosen Abrechnung mit dem Jo- chen worden war, konnte doch auch in sephinismus. dem katholischen Österreich die Kirche Franz Joseph Rudigier, ein gebürtiger nicht länger in staatlicher Haft blei- Vorarlberger, war als Bischof von Linz ben...“ (1853–1884) und als solcher seit 1861 Das war das Ende des Josephinis- Landtagsabgeordneter, ohne dass er ge- mus, in dem die katholische Kirche zwar wählt werden musste, „eine Zentralfigur privilegiert, aber auch unter besondere des kirchlichen und politischen Lebens staatliche Aufsicht gestellt war. Das Kon- Oberösterreichs“. So Harry Slapnicka im kordat von 1855 räumte der Kirche ins- Abschnitt „Vom Josephinismus zum po- besondere im Schul- und Eherecht so litischen Katholizismus“ seines Buches weitreichende Rechte ein, dass Anton „Oberösterreich unter Kaiser Franz Jo- Graf Auersperg, der sich als Dichter seph (1861 bis 1918)“. Was Hermann Anastasius Grün nannte, von einem „ge- Bahr in seinem „Büchl“ breit darstellt, druckten Canossa“6 sprach. Der Wider- fasst Slapnicka kurz wie folgt zusammen (S. 268 leicht gekürzt): Rudigiers Hirtenbrief gegen die Mai- 5 Sh. Brauneder (Hg.), Juristen in Österreich, gesetze 1868 (Trennung von Kirche und Orac, Wien 1987, S. 344 f.; Fuchs (FN 3), S. 36 f. 6 Harry Slapnicka, Oberösterreich unter Kaiser Schule, Ehegesetz u. a.) wird „wegen des Franz Joseph (1861–1918), S. 266; ders., Christ- darin enthaltenen Verbrechens der Stö- lichsoziale in Oberösterreich, S. 61 ff. Zum rung der öffentlichen Ruhe“ beschlag- Konkordat sh. auch Vocelka, Thron und Altar nahmt, eine gerichtliche Untersuchung im alten Österreich, in: Norbert Leser (Hg.), Re- ligion und Kultur an Zeitenwenden. Auf Gottes durch die Staatsanwaltschaft eingeleitet. Spuren in Österreich (1984), S. 200 ff., u. a. mit Rudigier vertritt die Rechtsansicht, auf Epigrammen Grillparzers gegen das Konkor- Grund des Konkordats sei für ihn ein dat.

243 stand dagegen wuchs stetig. Da Pius IX. Mit dem ihr entlaufenden „Zeitgeist“ jede paktierte Revision verweigerte, konnte und wollte sich die Kirche nicht mündeten die Spannungen in einen Kul- abfinden, folglich auch nicht Bischof Ru- turkampf.7 digier in dem zu seiner Verurteilung (mit anschließender Begnadigung) führenden Heute stimmt die Staatsethik der ka- Hirtenbrief mit der Passage: „Vorzüglich tholischen Kirche weitgehend mit den sind es seit Monaten die österreichi- staatlichen Grundwerten überein. Noch schen Staatsgesetze vom 25. Mai d. Js., im Syllabus errorum, den Papst Pius IX. an welchen die Lüge die ganze Kraft er- mit der Enzyklika Quanta cura vom probt. Es ist nicht auszusprechen, wie 8. Dezember 1864 verkündet hatte, wur- viel Irriges in dieser Hinsicht bereits von den von der heutigen Kirche allgemein Einzelnen und von Versammlungen, in anerkannte staatsethische Aussagen zu Wort und Schrift, nahmentlich in den Ta- den „praecipui nostrae aetatis errores“, gesblättern behauptet, und wie vieler zu den „Hauptirrtümern“ des Jahrhun- Menschen Sinn durch solche Behaup- derts gezählt, zum verderblichen Zeit- tungen bereits jämmerlich verderbt geist, gegen den sich die Kirche wehren wurde.“ (Bild Nr. 17 nach S. 272 bei Slap- müsse, wie es dann der Hirtenbrief Rudi- nicka, FN 6.) gierstat.E.R.Huberfasstinder2.Auf- Die Erbitterung des Bischofs wird lage des 4. Bandes seines in acht Bände aus der im Folgenden skizzierten Ent- gegliederten Werkes „Deutsche Verfas- wicklung verständlich: sungsgeschichte seit 1789“ die 80 Lehr- Die Maigesetze 1868, die Bischof Ru- sätze des Syllabus zusammen (S. 652 ff.), digiers Hirtenbrief betraf, entzogen der die z. B. die liberalen Grundrechte der Kirche wieder gewisse ihr im Konkordat Religionsfreiheit, der Kultusfreiheit und überlassene Gebiete der staatlichen Ge- der Meinungsfreiheit zurückweisen, im setzgebung; dies gebot der Grund- Abschnitt IV den Sozialismus und rechtskatalog der Dezember-Verfassung Kommunismus sowie die Geheimgesell- 1867, der in seinem Kern noch heute gel- schaften, Bibelgesellschaften u. ä. ableh- tendes Verfassungsrecht ist. So wurden nen; die Kirche wird darin definiert als durch sie eine wahre und vollkommen freie Ge- – „die Vorschriften . . . des ABGB über sellschaft, die von ihrem göttlichen Stif- das Eherecht für Katholiken wieder- ter mit eigenen unvergänglichen Rech- hergestellt, die Gerichtsbarkeit in Ehe- ten ausgestattet ist. Die These 80 wendet sachen der Katholiken den weltlichen sich schließlich gegen jede Aussöhnung wie jedes Sichabfinden der Kirche mit dem Fortschritt, dem Liberalismus und 7 Katholisches Soziallexikon, 2. Auflage 1980 mit der modernen Zivilisation. Bereits (Tyrolia/Styria), Artikel „Kulturkampf“. 1832 hatte sich Papst Gregor XVI. in der 8 Isensee, Ethische Grundwerte im freiheitlichen Enzyklika „Mirari vos“ gegen „den Staat, in: Werte Rechte Normen, Beiträge zu Wahnsinn, es solle für jedermann die den Salzburger Hochschulwochen 1978, S. 131 (164/165); Csaky, Kulturkampf, Freisinn und Li- Freiheit des Gewissens verkündet und beralismus im Österreich der siebziger und erkämpft werden“, gewandt und die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts, in: Nor- Pressefreiheit verurteilt.8 bert Leser (FN 6), S. 186 ff.

244 Gerichtsbehörden überwiesen und religiös, heute mehr liberal und aufklä- Bestimmungen über die bedingte Zu- rend, morgen mehr fromm und monar- lässigkeit der Eheschließung vor welt- chisch.“ lichen Behörden“ (die sogenannte Notzivilehe) erlassen; ferner Heutige Strömungen des Zeitgeistes – die „oberste Leitung und Aufsicht über das gesamte Unterrichts- und Er- Wenn der Zeitgeist in vielfältigen Be- ziehungswesen“ dem Staat zugespro- reichen wirkt und wenn er sich in vielen chen; schließlich vonihnenrelativraschwandelnkann, – die „interkonfessionellen Verhältnisse“ während er sich in anderen lange hält, allein staatlichen Normen unterstellt: so ist es schwer, ihn zu fassen. Dazu Es sind dies insbesondere Religions- kommt noch, dass die Beurteilung des bekenntnis der Kinder und der Reli- vielfältigen Zeitgeistes – die Engländer gionswechsel.9 verwenden den Plural „spirit of the 1870 wird das Konkordat durch den times“ – auf der subjektiven Weltan- Kaiser gekündigt, in den Maigesetzen schauung des jeweiligen Betrachters be- 1874 für den innerstaatlichen Bereich zur ruht. Randelzhofer beschränkt sich des- Gänze aufgehoben. halb auf eine Auswahl, „die natürlich subjektiv ist. Andere würden vielleicht eine andere Auswahl treffen.“ Folglich Wandlungen des Zeitgeistes lassen sich auch in diesen Zeilen nicht annähernd alle Strömungen des heuti- Randelzhofer hat in seinem oben an- gen Zeitgeistes ansprechen und schon geführten Festschrift-Beitrag (S. 92/93) gar nicht beurteilen. Was den einen be- darauf aufmerksam gemacht, dass auf geistert, „wie wir’s dann zuletzt so herr- Grund wissenschaftlicher Entdeckungen lich weit gebracht“, ist für den anderen – man denke nur an die „Pille“ –, techni- ein Greuel; die politischen Ideologien scher Entwicklungen wie Fernsehen oder und die daraus entstandenen Parteien, Internet und dgl. oder Veränderungen vornehmlich im 20. Jahrhundert, sind im Bereich der religiösen, weltanschauli- dafür Beispiel genug. chen und politischen Ideen sich der Zeit- geist rascher als in den vergangenen Jahrhunderten wandelt. Dazu kommt 9 Aus: Brauneder, Österreichische Verfassungs- noch seine Segmentierung. Bereits 1841 geschichte, 16. Kap. II C – Laisierung des Staa- tes, in der 7. Auflage (1998), S. 157 f. Dieses be- hatte der Staatsrechtler und Politiker währte Studienbuch wird in kurzen Zeitabstän- Carl Theodor Welcker im Staatslexikon den neu aufgelegt, zuletzt 10. Auflage aus 2005. von Rotteck/Welcker10 zum Stichwort Sh. auch Csaky (FN 8), S. 195/196. „Öffentlichkeit“ im Hinblick auf die all- 10 Das „Staatslexikon“ genoss auch in Österreich „höchste Autorität“: Csaky (FN 8), S. 190/191. gemeine Beschleunigung der geschichtli- Es liegt in einem Neudruck vor: „Das Staats- chen Entwicklung geschrieben: Lexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staats- wissenschaften für alle Stände“, 2. Auflage, Al- „So ist der Zeitgeist heute ein indus- tona 1845–1848. 12 Bände mit zusammen 9692 trieller, morgen mehr auf die höhere Seiten. Leinen. Antiquariat und Verlag Keip, Kultur gerichtet, heute politisch, morgen Frankfurt am Main.

245 Die von Randelzhofer getroffene che Tatbestände müssen zu unterschied- Auswahl betrifft lichen Regelungen führen.14 Den gleich- a) den Gleichheitssatz, sinnigen Art. 3 des Bonner Grundgeset- b) Schicksal als einklagbaren Rechtsver- zes erläutern Dürig, Scholz und Her- lust, zog15 im Kommentar Maunz/Dürig auf c) Umweltschutz, 382 (!) Seiten. d) antiautoritäre Erziehung und Der Analytiker der Gleichheit, Ale- e) den Abbau bürgerlicher Werte. xis de Tocqueville, der auch ihre Gefah- „Andere würden vielleicht eine an- ren für die Freiheit erkannte, zitiert 1848 dere Auswahl treffen.“ Das ist gewiss. im Vorwort zur 12. Auflage seines „Klas- Unbestreitbar sind aber der Gleichheits- sikers“ „Über die Demokratie in Ame- satz und der Umweltschutz. rika“ aus dem Beginn dieses um 1835 er- schienenen Buches: „. . . Denkt man, die Zum Gleichheitssatz Demokratie, die das Feudalwesen zer- stört und die Könige besiegt hat, werde Seit der französischen Revolution vor den Bürgern und vor den Reichen 1789 mit ihrem Ruf nach „Freiheit, zurückschrecken? . . .“16 Die lange Wirk- Gleichheit und Brüderlichkeit“ ist der mächtigkeit des Gedankens der Gleich- Gleichheitssatz „Geist der Zeiten“. Die heit hält an. Das müssen auch jene zuge- Gleichheit vor dem Gesetz ist in unserer ben, die diesen Zeitgeist für übersteigert Demokratie „schon symbolisch durch halten; und das sind nicht wenige! die Aufnahme im B-VG“ allen anderen Grundrechten vorangestellt.11 Bereits im Kremsierer Entwurf12 von 1849 und spä- Umweltschutz ter im Staatsgrundgesetz über die allge- meinen Rechte der Staatsbürger13 heißt Im Verhältnis zum Gleichheitssatz ist es wie im heutigen Bundes-Verfassungs- der Umweltschutz ein junger Zeitgeist. gesetz (B-VG), dass vor dem Gesetz alle Ins allgemeine Bewusstsein ist er vor al- Staatsbürger gleich sind. Art. 7 Abs. 1 lem durch den Bericht des Club of Rome zweiter Satz B-VG zeigt jedoch die Stoß- richtung dieses Satzes an: „Vorrechte der 11 Geburt, des Geschlechtes, des Standes, Oberndorfer, Art. 1 Rz 27, in: Korinek/Holou- bek (Hg.), Österreichisches Bundesverfassungs- der Klasse und des Bekenntnisses sind recht (Lose-Blatt-Ausgabe seit 1999). ausgeschlossen.“ Es geht also um die Be- 12 In: Heinz Fischer/Gerhard Silvestri (Hg.), Texte seitigung alter Privilegien und um die zur österreichischen Verfassungs-Geschichte Herstellung von Chancengleichheit, z. B. (Wien 1970), S. 41. 13 im Schulbereich, wo der Streit um die In: Heinz Fischer/Gerhard Silvestri (FN 11), S. 91. Gesamtschule weitergeht. Die normative 14 Mayer, B-VG3 (2002) Art. 2 StGG III. 1; Pern- Gleichheitsaussage gewinnt ihr Gewicht thaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht daraus, dass die Menschen trotz ihrer (2004), S. 694–696. tatsächlichen Verschiedenheit in be- 15 Der ehemalige deutsche Bundespräsident, ein Staatsrechtler ersten Ranges, steuert zur Fest- stimmten Beziehungen gleichbewertet schrift Scholz den Beitrag „Staatszielbestim- werden müssen. Freilich gilt dieses Ge- mungen“ (S. 219 ff.) bei. bot nur für gleiche Tatbestände; unglei- 16 In: dtv Bd. 6063, S. 3.

246 zur Lage der Menschheit gedrungen. auf hohem Niveau gerecht zu werden. Die Originalausgabe war 1972 unter Das Wort „Pflegenotstand“ wird in die dem Titel „The limits to Growth“ erschie- Welt gesetzt. nen, bereits 1973 folgte als rororo Bd. 6825 die deutsche Übersetzung als „Die Die Scheidungsrate ist so hoch wie Grenzen des Wachstums“ und erhielt so- noch nie. Der Kreis der vom Sakra- gleich den Friedenspreis des deutschen mentscharakter der Ehe Überzeugten Buchhandels, vielleicht das einzige Buch, wird laufend kleiner. 2007 ist die Gebur- das in den letzten Jahrzehnten einen tenrate wieder in die Nähe jenes Wertes neuen Zeitgeist auf – voraussichtlich – abgesackt, der vor der Einführung des lange Dauer zum Entstehen gebracht Kindergeldes mit der umstrittenen Zu- hat. verdienstgrenze erreicht worden war (OÖN, 21. Juli 2007). Günter Grass hat Der Umweltschutz wurde in Öster- 1980 einem kleineren Werk (mit 180 17 reich knapp vor „Hainburg“, nämlich Seiten) über ein Lehrerehepaar, beide am 27. November 1984, in Deutschland Studienräte aus Itzehoe, die zwischen 1994, jeweils verfassungsrechtlich als dem „Kind Ja“ und dem „Kind Nein“ un- Staatsziel verankert. entschlossen sind, den Titel „Kopfgebur- Die hohen Arbeitslosenzahlen der ten oder die Deutschen sterben aus“ ge- letzten Jahre drängten den Umwelt- geben. schutz nur kurzzeitig zurück, die Klima- Auf der letzten Seite dieses Buches frage hat ihm neuen Auftrieb gegeben. lässt Grass Folgendes geschehen: Auf ih- Er wird uns als Zeitgeist wohl lange be- rer Fahrt nach Hause läuft ihnen „ein gleiten! Junge vor den Wagen, ohne dass (außer scharf bremsen) etwas passiert. Abbau bürgerlicher Werte Es ist ein Türkenjunge, der, neun oder zehn Jahre alt, lachend noch einmal Glück hat. auf Pünktlichkeit und Sorgfalt im Alltag ihn warten weitere Türkenjungen, die mit ihm haben nicht mehr denselben hohen Stel- sein Überleben feiern. Jetzt kommen aus Neben- lenwert wie früher; arg treiben es soge- straßen und Hinterhöfen, von überall her im- nannte Wirtschaftspolitiker mit dem mer mehr Kinder, die alle fremdländisch sind. Sparsinn der Bürger, einer einstigen Indische, chinesische, afrikanische, heitere Kin- existenziellen Notwendigkeit, als das so- der. Sie beleben die Straße, winken aus Fenstern, ziale Netz, über dessen teilweise rück- springen von Mauern, werden zahllos. Alle sichtsloses Ausnützen heute auch ge- feiern den kleinen Türken, der nochmal Glück klagt wird, noch nicht so eng geknüpft gehabt hat. Sie umdrängen, betasten ihn. Sie war wie heute: Es wird zum Konsum klopfen den gut erhaltenen VW ab, in dem un- aufgerufen, um die Wirtschaft anzukur- ser kinderloses Lehrerpaar sitzt und nicht weiß, beln. Im selben Atemzug wird der Bür- was sagen auf deutsch.“ ger zur privaten Vorsorge ermahnt, weil die sozialen Netze nicht mehr in der Lage sind, den seinerzeitigen Verspre- chungen von der gesicherten Pension 17 Vgl. Wolfgang Hauer, Hainburg (1985).

247 Was gehört noch zum „Zeitgeist“ den und allgemein akzeptierten Zeitgeist heute nicht mehr festzustellen.“ Der Zeit- Auf diese Frage werden die Antwor- geist wirkt vielmehr in unterschiedlichen ten, wie schon gesagt, vielfältig und un- Bereichen und in wesentlich rascherem terschiedlich sein. Die antiautoritäre Er- Wandel als früher. Ein allgemein gültiger ziehung würde ich nicht mehr dazu zäh- Zeitgeist ist daher nicht zu erkennen, sei- len, sie ist auch nie Gemeingut gewor- nen verschiedenen Erscheinungen be- den. Dagegen wächst der Erziehungs- gegnen die Menschen oft zustimmend, notstand: Scheiternde Ehen, Überbelas- häufiger aber kritisch. tung der verdienenden Eltern, von der „Wider die Albernheit der Spaß-, Werbung angeheizte hohe Konsumer- Spiel- und Mediengesellschaft erhebt wartungen bei stagnierenden, ja wegen sich der heilige Ernst.“19 Und das nicht der angespannten Lage auf dem Arbeits- nur im Konflikt zwischen islamischer markt eher fallenden Einkommenser- und westlicher Kultur. wartungen, die allgemeine Reizüberflu- Mutig ist dem herrschenden Zeit- tung, schwindende religiöse Bindung geist Alexander Solschenizyn entgegen u. a. tragen dazu bei. Wo der Glaube getreten. Schon im ersten Teil seines schwindet, wächst der Aberglaube, die vierbändigen opus magnum „Das Rote Leute glauben dann, wie Chesterton ge- Rad“, in dem 1972 in deutscher Überset- sagt haben soll, nicht etwa an nichts, zung erschienenen „August Vierzehn“ sondern an alles Mögliche. Der Zu- mit der russischen Niederlage in der nahme religiös weitgehend Desinteres- Schlacht von Tannenberg, ist er Fragen sierter steht eine Zunahme von Sekten nach der Veränderung der Welt durch und neuen Religionen weltweit gegen- den Zeitgeist nachgegangen, lässt seine über. Gleichzeitig erstarkt der religiöse Romanfiguren diskutieren über den Fundamentalismus, nicht nur im militan- Sinn der Geschichte, die ideale Gesell- ten Islam, und die Welt wird hierbei in schaft, ihre Herbeiführung, ihre Gefähr- Gut und Böse18 eingeteilt. Kriege neh- dung, über den Niedergang der Kultu- men den Charakter von Kreuzzügen an ren. („Schurkenstaaten“). Eine geradezu alttestamentarische Die permanente Musikberieselung Wucht spricht aus seiner Harvard-Rede bezeichnet ein Komponist moderner se- 1978: riöser Musik zu Recht als akustische „Der Weg, den wir seit der Renaissance Umweltverschmutzung. In den öffentli- durchschritten haben, hat uns an Erfahrung be- chen Verkehrsmitteln muss man unfrei- reichert, aber wir haben jenes Ganze, Höhere willig die banalsten Handy-Unterhaltun- auf dem Weg gelassen, das irgendwann unseren gen mitanhören. Leidenschaften und unserer Freiheit von Verant- wortung eine Grenze gesetzt hatte. Zuviel Hoff-

Fazit 18 Peter Strasser, Professor für Rechtsphiloso- phie, Graz, in: Mitteilungen 2007 des Katholi- Mit Randelzhofer in seinem Fest- schen Hochschulwerkes Salzburg, S. 38. schriftbeitrag (S. 96) vermögen wir „ei- 19 Isensee, Blasphemie, in Festschrift Rupert nen über alle Lebensbereiche herrschen- Scholz (FN 4), S. 251.

248 nung haben wir in die politisch-sozialen Umge- lich durchzubringen, sondern das Tragen einer staltungen gesetzt – und es zeigte sich, daß diese nicht ablegbaren, schweren Schuldigkeit, so daß uns des Allerkostbarsten berauben, das wir be- der Lebensweg in erster Linie zu einem Streben sitzen: unseres Innenlebens. Im Osten wird es nach moralischer Erhebung wird: den Lebens- vom Parteimarkt mit Füßen getreten, im Westen weg als ein Wesen höheren Grades zu verlassen, vom Wirtschaftsmarkt . . . als man ihn angetreten hat. Wir kommen nicht Wenn es tatsächlich wahr wäre, daß – wie umhin, die Skala der Werte zu überprüfen, die der Humanismus propagiert hat – der Mensch unter den Menschen als solche gelten, und uns nur für das Glück geboren wäre, so wäre er über ihre Fehleinschätzung heute zu wundern. nicht auch geboren für den Tod. Aber eben aus . . . Nur die freiwillige Erziehung des Menschen der Tatsache, daß er körperlich dem Tod be- zu klarer Selbstbeschränkung erhebt die Men- stimmt ist, ergibt sich seine Aufgabe hier auf Er- schen über den Materialfluß der Welt.“20 den als eine geistige: nicht die Jagd nach Alltäg- lichem, nicht die Suche nach optimalen Mitteln Es lohnt sich auch heute noch, da- zur Erlangung von Gütern, um diese dann fröh- rüber nachzudenken.

20 In: Isensee (FN 8), S. 168/169.

249 Buchbesprechungen

Heribert Wenninger, Die heimliche Fahne. Junge gebürtige und nun im „tiefsten Mühlviertel“ le- ChristInnen im Widerstand gegen den Nationalsozialis- bende William Mason den Heimatbegriff analy- mus. Roman, 1957. Neuauflage 2006 mit informativen siert. Auch durch Buchbesprechungen holen sie Rahmentexten. Wagner-Verlag, Harrachstraße 7, 4020 die Welt nach Oberösterreich, doch ist dieses Linz. 215 Seiten, EUR 17,–. ISBN 978-3-902330-16-1 Land in Geschichte und Gegenwart ihr Haupt- Er gehörte zur Gründergeneration der Katho- thema. lischen Jugend OÖ. und stand als überzeugter Ist jemand ein Freund der Literatur der deut- Christ, wie viele seiner Gesinnungskameraden, schen Sprache und jener in West und Ost, Nord von der ersten Stunde an in vorprogrammiertem und Süd, so bieten ihm die Beiträge in „Literatur Konflikt mit der braunen Gewaltherrschaft im und Kritik“ vielfältige Anregung. Nach dem Zwei- Lande: Jugendgruppen aufzubauen, sich regelmä- ten Weltkrieg von Gerhard Fritsch, Rudolf Henz ßig zu treffen und zu vernetzen – das bedeutete und Paul Kruntorad, damals klingende Namen, mutige Opposition, dafür drohten Arrest, KZ und begründet, berichtet dieses Literaturmagazin un- Tod. Heribert Wenninger und seine Freunde gin- ter der Schriftleitung von Karl-Markus Gauß u. a. gen indes entscheidende Schritte weiter – im vol- über das reichhaltige kulturelle Leben der Länder len Bewusstsein der Gefahr, aber auch ihrer Ver- im Osten und Südosten, die einst Teil der alten antwortung als gläubige Katholiken inmitten von Donaumonarchie waren. So finden wir im Mai- Willkür und Unterdrückung. Die spannende Ge- Heft 2007 eine Rezension von Alois Woldan über schichte dieser entschlossenen, von 1937 bis 1944 die Familiensaga „Längst nicht mehr koscher“ von im und aus dem Stillen wirkenden Gemeinschaft Claudia Erdheim. Das Buch spielt, da die Hand- hat Wenninger nach dem Krieg in Romanform lung einsetzt, im österreichischen Galizien, das aufgearbeitet, die Veröffentlichung des Manu- 1918 polnisch war und Ende des Zweiten Welt- skripts jedoch nicht mehr erlebt: Am 23. August kriegs der Ukraine einverleibt wurde. Meist 1953 fand er unter tragischen Umständen bei ei- kennen die jungen Leute von heute daraus nur ner Traunsteintour – dreißigjährig – den Bergtod. Lemberg, Literaturfreunden fallen dazu aber etwa Zur 60-Jahr-Feier ihres Bestehens hat die Ka- Joseph Roth oder Mane´s Sperber ein, Gertrud tholische Jugend OÖ. das Werk, das Seite für Fussenegger war als Kleinkind dort. Neben vielen Seite mit schicksalhafter Dramatik konfrontiert, anderen Besprechungen rezensiert „Furche“- neu herausgebracht. Um informative Texte berei- Redakteur Cornelius Hell den neuen Roman der chert, verdient die Zweitauflage breiteste Auf- Südtirolerin Sabine Gruber, aus dem klar wird: merksamkeit – als beispielhaftes Zeugnis für „Die Welt des Gesunden ist eine andere als die des christlichen Bekennermut, Zivilcourage und Glau- Kranken.“ Altenpflege und Dialyse sind u. a. The- benstreue in menschenverachtender Zeit. Landes- men dieses Romans mit dem Titel „Über Nacht“. hauptmann Dr. Josef Pühringer bei der offiziellen Aus dem „Literaturteil“ sei der Beitrag der Präsentation im Theatersaal des Linzer Jesuiten- oberösterreichischen Autoren Adelheid Dahime`- konvents: „Verlässlichkeit, Zu-etwas-Stehen sind ne/Leopold Federmair über Wels und eine japani- wichtige Werte. Die Lektüre dieses Buches kann sche Stadt herausgehoben. Ein anregendes Heft, das auch heute gut vermitteln!“ eine empfehlenswerte Zeitschrift! Josef Demmelbauer

Literatur und Kritik. Mai 2007 = Nr. 413/414, 112 Seiten. Otto-Müller-Verlag, Salzburg. Die Zeitschrift er- Österreichischer Amtskalender 2007/2008. Wien: scheint jährlich in fünf Doppelnummern. Jahresabo Verlag Österreich 2007. 1872 Seiten, gebunden, EUR 28,–, Einzelheft EUR 6,80. EUR 150,70. Die OÖ. Heimatblätter greifen immer wieder Dieses wiederholt vorgestellte Verzeichnis über ihre eigentlichen geographischen Grenzen enthält diesmal unter anderen folgende wesentli- hinaus, etwa in Heft 3/4-2006, wo der aus London che Neuerungen:

250 – die neue SPÖ/ÖVP-Bundesregierung, erwähnte Persönlichkeiten beteiligt waren) ent- – die neuen Bundesministerien, hält, auf den, soweit vorhanden, bei jedem Objekt – die aktualisierten Daten aller 2357 Gemeinden, hingewiesen wird, genauso die bisherige Erwäh- – die aktuellen Daten (Fläche, Einwohner, Ge- nung in der Literatur. Und hier ergibt sich wie- bäude) der Statistik Austria. derum die Frage, weshalb sie, anders als die bishe- Letzte Änderungen wurden bis unmittelbar rigen Forscher, manches dem Thomas zuschreibt, vor Druckbeginn Mitte Juni eingearbeitet. Wie- andere Werke aber nicht; Begründungen hiefür derum sehr empfehlenswert! J. D. fehlen zumeist. Bei jeder Kirche, in der sich ein Werk Thomas Schwanthalers befindet – sie sind alphabetisch an- Brigitte Heinzl: Der Bildhauer Thomas Schwan- geführt – wird zunächst ein kleiner Hinweis auf thaler (1634–1707). Archivalien, redigiert von Georg die Geschichte der Kirche gegeben, der allerdings Wacha. Aufnahmen von Franz Trost. Hrsg. von der Ge- auch nicht immer zielführend ist. Z. B. heißt es bei sellschaft für Landeskunde – OÖ. Musealverein und dem Rußbach im Bezirk Hallein „Pfarrkirche Hl. Kreuz: Museum Innviertler Volkskundehaus Ried i. I. Gesamt- Filialkirche von Abtenau“. Neben dem Ortsnamen herstellung Moserbauer Druck & Verlag, Ried i. I.; o. J. ist jeweils der Bezirk und das Bundesland angege- (2007). 200 Seiten mit vielen Farbabbildungen, ben, in Deutschland, etwa bei Erlach, der Regie- « 21 27,5 cm. EUR 29,–. rungsbezirk und der Landkreis. Bei Wolfegg heißt Man muß allen, die am Erscheinen dieses es allerdings nur „Deutschland“; das Schloß liegt Werkes beteiligt waren, dankbar sein, gibt es doch östlich von Weingarten in Baden-Württemberg. nun endlich eine Monographie über den ersten Bei der Altarskulptur in der Bründlkapelle in Pöt- bedeutenden Meister dieser Künstlerfamilie. Äu- ting bei Andrichsfurt, eine „Not Gottes“, heißt es ßerer Anlaß hiefür war der 300. Todestag des „Gnadenstuhl“; bei der Literatur wird auf eine Ar- Meisters, dem im Museum Innviertler Volks- beit von W. Oberwalder in den OÖ. Heimatblät- kundehaus in Ried i. I. auch eine interessante Aus- tern verwiesen; auf der angeführten Seite sucht stellung gewidmet war, bei der er vor allem auch man den Betreff jedoch vergeblich. als Zeichner vorgestellt wurde. Ausführliche Ein- Einen besonderen Dank verdient Fotograf leitungskapitel beschäftigen sich mit der „Ent- Franz Trost, der uns eine Fülle sehr guter Aufnah- wicklung der barocken Skulptur in Oberöster- men bescherte, die vom Verlag gut eingearbeitet reich“ und dem „Leben Thomas Schwanthalers“. wurden. Jedem Schwanthaler-Freund und jedem Dabei wird auch die Heirat seines Vaters in Ried kunstgeschichtlich Interessierten sei dieses Werk mit der Tochter eines Hoffischers in „Troschburg“ empfohlen. Dietmar Assmann erwähnt, mit welchem Ort, wie er als „Throsch- burg“ in den Archivalien aufscheint, Trostburg am Inn in Bayern gemeint ist. Es folgt das „Topo- graphische Werkverzeichnis“ und der umfang- reiche „Archivalische Anhang“. Stärker (Hrsg.): Medizinrecht. Stand 1. Juni 2007. Wien 2007: Verlag Österreich. 646 Seiten, broschiert, Selbstverständlich wurden Werke von Tho- EUR 78,–. mas Schwanthaler im Rahmen allgemeiner Schwanthaler-Publikationen bereits ausführlich Diese umfangreiche Textsammlung enthält behandelt, so z. B. auch im Katalog der geradezu neben den Krankenanstaltengesetzen des Bundes legendären Ausstellung im Jahre 1974 im Stift Rei- und der Länder die wichtigen einschlägigen chersberg, wo sich im Stiftshof die berühmte Bund-Länder-Vereinbarungen über die Neustruk- bronzene Michaelstatue als Brunnenfigur befin- turierung des Gesundheitswesens und der Kran- det. Schon an diesem Beispiel zeigt sich die Pro- kenanstaltenfinanzierung für die Jahre 2005 bis blematik der Zuschreibungen. Heinzl nimmt an, 2008 sowie die Patientencharta. Weiters enthalten daß Thomas Schwanthaler nur den Entwurf hiefür sind die Berufsrechte der Ärzte und des Gesund- gemacht hat, obwohl er in Raten insgesamt 68 fl. heits- und Krankenpflegepersonals, das einschlä- für „S. Michaels pildnus“ erhielt. Das ist übrigens gige Arbeitszeitrecht, das DokG sowie die neuen die Besonderheit dieser Publikation, daß sie einen gesetzlichen Regelungen über die Patientenverfü- ausführlichen archivalischen Anhang (an dessen gung, und das alles auf dem Stand vom 1. Juni Zustandekommen mehrere in der Danksagung 2007. Ein nützliches Werk! J. D.

251 Wege gelebter Verfassung in Recht und Politik. will dich kennen, selbst dir dienen.“ Von der staat- Festschrift für Rupert Scholz zum 70. Geburtstag. lichen Grundrechtsordnung her ist, so Isensee, die Herausgegeben von Rainer Pitschas und Arnd Uhle. Ber- Negation der Religion ihrerseits Religion oder lin: Duncker & Humblot, 2007. XVIII, 1168 Seiten, geb., weltanschauliches Bekenntnis. Die christlichen EUR 126,–. Kirchen haben seit der Aufklärung und der Evolu- Der durch diese gewichtige Festschrift Ge- tionstheorie gelernt, auch andere Überzeugungen ehrte ist ein führender deutscher Staatsrechtler als die ihre, ohne sie zu billigen, zu ertragen. und war daneben auch politisch tätig, 1988/1989 Wer sich mit dem rechtlichen Schutz des Hei- war er Verteidigungsminister im Kabinett Kohl. ligen auch aus theologischer und geschichtlicher Die Festschrift enthält nach dem Grußwort von Sicht näher befassen will, dem sei der ebenfalls Helmut Kohl äußerst lesenswerte Beiträge u. a. zu 2007 bei Duncker & Humblot erschienene Band „Staatsrecht und Politik“, zum Thema Europa, zur 42 der Reihe „Wissenschaftliche Abhandlungen Staatsmodernisierung, zum Infrastrukturrecht und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesge- und zum Staatskirchenrecht. Aus dem Abschnitt schichte“ mit dem Titel „Religionsbeschimpfung“ über Grundrechte und Staatszielbestimmungen empfohlen (139 Seiten, EUR 42,–). sei der Beitrag des Bonner Staatsrechtlers Josef Man sieht: Juristische Festschriften fördern Isensee, der vor nun fast 30 Jahren bei den Salz- auch Grundlagen des Rechts zu Tage. burger Hochschulwochen einen vielbeachteten Josef Demmelbauer Vortrag über „Ethische Grundwerte im freiheitli- chen Staat“ gehalten hatte, wegen seiner Aktuali- tät für jeden politisch, geistesgeschichtlich und re- ligiös Interessierten herausgehoben und vorge- Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer: Grundriss des stellt. Der Beitrag (S. 251 ff. des Buches) nimmt österreichischen Bundesverfassungsrechts. 10., seinen Ausgang von den dänischen Karikaturen durchgesehene und ergänzte Auflage, Wien 2007: Manz des Propheten Mohammed als Paradigma für den Verlag. XLI, 850 Seiten, broschiert, EUR 78,–. von S. Huntington bereits 1996 prognostizierten Seit 1976 ist der „Walter/Mayer“, nun mit der „clash of civilisations“, den „Kampf der Kulturen“, Mitautorin Gabriele Kucsko-Stadlmayer, das gän- und bezieht ihn auch in den Skandal um die Mo- gigste Lehrbuch des Verfassungsrechts und be- zart-Oper „Idomeneo“ an der Deutschen Oper darf somit keiner weiteren Empfehlung. Die Neu- Berlin im Herbst 2006 ein. Ein fundamentaler Ge- auflage entspricht dem Stand vom 1. 1. 2007, be- gensatz zwischen islamischer Tradition und west- zieht aber bereits spätere Änderungen wie die im licher Moderne durchzieht die Welt, hier die Ab- Juni 2007 beschlossene Wahlrechtsreform ein, solutheit des Glaubens, der Gottesstaat, dort der welche die Legislaturperiode des Nationalrats auf liberale Relativismus, für den die vitale Religiosi- fünf Jahre verlängert, das Wahlalter auf 16 Jahre tät des Islam kein Verständnis hat. „Wider die Al- abgesenkt und die Möglichkeit der Briefwahl ein- bernheit der Spaß-, Spiel- und Mediengesellschaft geführt hat. Das Werk nimmt auch auf die lau- erhebt sich der heilige Ernst.“ fende Diskussion über eine grundlegende Verfas- Dafür hat man Verständnis, doch der Funda- sungsreform Bedacht (Rz 106–110). Sie soll ein mentalismus verstieg sich sogar zu einem Mord- „großer Wurf“ werden, was den Keim des Schei- aufruf gegen den Verfasser der „Satanischen terns in sich trägt. Dieser „Methode des Planens Verse“; die Reaktion auf die Regensburger Rede im großen Stil“ steht die von Karl Popper (Die of- des Papstes ist noch in frischer Erinnerung. Dage- fene Gesellschaft und ihre Feinde I, UTB, gen hält Isensee, dass der Rechtsstaat, der gegen- S. 213 ff.) als Ad-hoc-Technik bezeichnete Me- über religiös motivierter Gewalt Toleranz übt, Bei- thode gegenüber, die die dringlichsten Übel be- hilfe zur Intoleranz praktiziere. Nach den westli- kämpft und was gut ist belässt, sich also bemüht, chen Verfassungen umschließe die Religionsfrei- „durch ein kluges Voranschreiten die öffentlichen heit auch die Abkehr von Gott und die Anklage Gebrechen nach und nach zu verdrängen, ohne gegen Religion und Kirche etwa aus Enttäuschung durch gewaltsame Maßregeln zugleich oft eben- über den Widerspruch zwischen dem Ideal christ- soviel Gutes mit zu verderben“ (Eckermann, Ge- licher Vollkommenheit und kirchlich-gesellschaft- spräche mit Goethe, dtv 6065, S. 715). Vermutlich licher Realität. So wie Heine blieb Nietzsche, der wird man mit dem „großen Stil“ nicht ans ange- Gott für tot erklärte, von ihm abhängig, wie sein peilte Ziel kommen, und vielleicht ist es auch bes- Gedicht „Dem unbekannten Gott“ nachweist: „Ich ser so! Josef Demmelbauer

252 Otto Lackinger: Die Linzer Industrie im 20. Jahr- nähernd auf den Stand von 1929 zurückgefallen hundert. Hrsg. vom OÖ. Landesarchiv, Herstellung waren. Trauner Druck, Linz 2007.380 Seiten mit vielen Tabellen. Dank der ERP-Wirtschaftshilfe, auch als Gleich in seiner Einleitung räumt der Autor, „Marshall-Plan“ bezeichnet, konnten sich auch die ehemaliger Leiter der Abt. Statistischer Dienst Linzer Industriebetriebe viel rascher konsolidie- beim Amt der Oö. Landesregierung und Hono- ren als nach dem Ersten Weltkrieg. In weiteren Ka- rarprofessor, mit der irrigen Meinung auf, Linz piteln werden das diverse Auf und Ab mit Hoch- wäre erst mit der Gründung der Hermann- konjunkturen, Krisen, dem Zusammenbruch der Göring-Werke (VÖEST) zur Industriestadt gewor- verstaatlichten Industrie und ihrer Neustrukturie- den. Tatsache ist vielmehr, dass Linz schon im rung ein interessanter „Rückblick 1945–1995. Vom Jahre 1900 ein beachtliches industrielles Potential Trümmerfeld zum Industriezentrum“ und schließ- aufwies. So erzeugte z. B. die Lokomotivfabrik lich eine Kurzfassung „Hundert Jahre Linzer In- Krauss u. Comp. AG allein zwischen 1900 und dustrie-Entwicklung (1900–2000)“ geboten. 1913 insgesamt 550 Lokomotiven, die Zahl der Neben den 59 aufschlussreichen Tabellen im Beschäftigten stieg von 313 im Jahre 1902 auf Text gibt es im Anhang zehn weitere Tabellen mit mehr als 1000 im Jahre 1914. den einzelnen Linzer Industriebetrieben sowie ein Nach einigen methodischen Bemerkungen, Literatur- und Quellenverzeichnis. Lackinger ist insbesondere zur Definition des Begriffs „Indus- Wissenschafter genug, um auch im Text anhand trie“ sowie zur räumlichen Bezugsbasis, hat sich von Fußnoten seine Aussagen, die nicht selten doch das Stadtgebiet von Linz von 19,5 km2 im gängigen Klischeevorstellungen widersprechen, Jahre 1900 auf gut 96 km2 im Jahre 1939 erweitert, zu untermauern. Damit entstand ein nicht nur für folgt das Kapitel über „Die Linzer Industrie in der Linzer, Heimatforscher und versierte Wirtschafts- k. u. k. Monarchie von 1900 bis 1918“, anschlie- geschichtler interessantes Werk. Schade, dass es ßend die Darstellung der „Kriegsindustrie im Er- kein Register und keine Abbildungen (mit Aus- sten Weltkrieg“, wobei situationsbedingt z. B. die nahme des Umschlags) enthält. Aufträge für die Schiffswerft ernorm zunahmen, Dietmar Assmann während die Nahrungsmittel- und die Textilindus- trie schwere Einbußen erlitten. Die Ausgangslage nach dem Kriegsende 1918 war für die weitere Entwicklung wesentlich Saria (Hg.): Der „Stand der Technik“. Wien/Graz schwieriger als nach dem Zweiten Weltkrieg, wa- 2007: Neuer Wissenschaftlicher Verlag – NWV. 145 Sei- ren doch durch den Zerfall der Monarchie völlig ten, broschiert, EUR 34,80. andere Produktions- und Absatzbedingungen ge- Der Untertitel dieses aus Einzelbeiträgen be- geben. Nach der Währungsstabilisierung 1924 be- stehenden Bandes weist ihn als die Darstellung gann sich auch die Linzer Industrie zu konsolidie- der rechtlichen und technischen Aspekte der ren und erreichte zwischen 1927 und 1929 einen „Technikklauseln“ aus. So wird der „Stand der Höhepunkt, der bislang viel zu wenig beachtet Technik“ abgehandelt für das Bauwesen, die Infor- wurde. Die Weltwirtschaftskrise in den Dreißiger- mationstechnik sowie für die Bereiche der Elek- jahren bescherte natürlich auch der Linzer Indus- trotechnik und der Metallurgie. Im Kunstmarkt trie einen enormen Dämpfer. hat sich der verwandte Begriff des „state of the art“ Die ab 1938 einsetzende zweite Industrialisie- etabliert. Große praktische Bedeutung erlangt der rungsperiode wurde und wird z.T. noch immer „Stand der Technik“ im Zivilprozess, wenn es etwa fälschlicherweise als Beginn der Industrialisierung um Schadenersatz geht, weitreichend ist er vor al- von Linz bezeichnet, mit welcher Meinung der lem im Umweltrecht. Um ein aktuelles Beispiel zu Autor gründlich aufräumt. Er verweist neben ei- bringen: Ist die neuerdings statt der geplanten ner genauen Darstellung der Entwicklung der ein- Freileitung vielfach geforderte Verkabelung einer zelnen Betriebe auch auf die in den Rüstungsbe- 380-kV-Starkstromleitung bereits „Stand der trieben eingesetzten Zwangsarbeiter. Die verhee- Technik“? In tatsächlicher Hinsicht ist hiezu fest- rende Situation bei Kriegsende, insbesondere zuhalten, dass sich im Nieder- und Mittelspan- durch die durch Bomben verursachten Zerstörun- nungsbereich, also im Verteilernetz, im Gegensatz gen, zeigt sich wohl am besten daran, dass im Mai zum Übertragungsnetz, einem Hochspannungs- 1945 das Potential und die Beschäftigungszahl an- verbundnetz mit einer Spannung von 110 kV und

253 darüber, Erdkabel bereits weitgehend durchge- sengegner deutscher und anderer Mannschaften: setzt haben, also „Stand der Technik“ sind. Dage- S. 80). Brandstetters Betrachtungen sind wie im- gen beträgt im Übertragungsnetz die Trassen- mer des Nachdenkens wert, sie werden meist länge in km zum Stichtag 31. Dezember 2005 in spielerisch amüsant vorgetragen, dahinter steht Österreich bei aber Ernst. Spannungsebene: 110 kV 220 kV 380 kV Seinen Ausgang nimmt das Buch von einem Freileitung: 6.128 1.882 1.246 unbekannten Sprayer, der wie einst Josef Kyselak Kabel: 437 3 22 in Wien Hauswände in Klagenfurt „verziert“. Um Für die 380-kV-Spannungsebene bedeutet diese Vandalenakte kreisen Brandstetters Einfälle dies, dass der Anteil der Freileitungen bei den zu Privatisierung/Liberalisierung, Polizei/Gendar- Trassenlängen 98,3 Prozent beträgt. Diese Tatsa- merie (jeweils S. 112), den Paulus-Brief an die Ga- che ist, abgesehen von den Kosten, ein Indiz da- later (S. 72 ff., 136), zum Shoppen, das er mit dem für, dass die Verkabelung in diesem Bereich nicht „Schoppen“ in der oö. Mundart vergleicht (S. 146), „Stand der Technik“ ist; es findet sich bestätigt in oftmals zu Jugend und Zeitgeist oder Bildungs- den gleichlautenden Definitionen des „Standes und Schulreform, bis zu Günter Grass’ später SS- der Technik“ im Umweltrecht, wonach die Funk- Beichte (S. 161 ff.) und und und . . . Nie über- tionen der entsprechenden Technologien erprobt kommt ihn Hass, obwohl ihm manches missfällt, und erwiesen sein müssen. Hiezu obliegt der Be- was rundum geschieht (S. 157), weil er, „ein ironi- hörde eine eingehende Begründungslast. Keines- scher Autor“, weiß, dass der Mensch „um der ge- falls kann nach der Rechtsprechung schon als brechlichen Einrichtung der Welt willen“ (H. v. „Stand der Technik“ gelten, „was irgendwo bereits Kleist) der Nachsicht bedarf. Ein bildungsgesättig- funktioniert“. Viel „schärfer“ ist dagegen der tes Buch des Universitätsprofessors für deutsche Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Tech- Philologie mit Hausverstand und funkelndem nik“, der aber oft mit dem „Stand der Technik“ Wortwitz. Ein echter und brillanter Brandstetter! verwechselt wird. Bei jenem Begriff muss der Ent- Josef Demmelbauer wicklungsstand der Technologie nicht „erprobt und erwiesen“ sein; er wird jedoch im Wesentli- chen nur für besonders brisante Bereiche einge- setzt, insbesondere im Atomrecht und im Gen- Georgina Szeless: Augustinus Franz Kropfreiter. technikrecht. Linz, Trauner Verlag, 2007. 96 Seiten mit zahlreichen Dieses Beispiel zeigt, wie folgenreich die ge- Notenbeispielen, Abbildungen und einer Musik-CD. naue Begriffsabgrenzung für die Praxis ist. Der ISBN 3-85487-991-1; ISBN 978-3-85487-991-6. Band empfiehlt sich somit von selbst. Kurz nach dem Tod A. F. Kropfreiters war der Josef Demmelbauer Wunsch da, Leben und Schaffen dieses Kompo- nisten, Organisten, Chorregenten und Lehrers in seinen Grundzügen festzuhalten. Dieser Zeit- punkt eröffnet Chancen und stellt auch gewisse Alois Brandstetter: Ein Vandale ist kein Hunne. Anforderungen an die Verfasser der Biografie ei- St. Pölten – Salzburg 2007: Residenz Verlag im NÖ. Pres- ner Künstlerpersönlichkeit, im Falle Kropfreiters sehaus, 2. Auflage 2007. 207 Seiten, geb., EUR 19,90. eines Komponisten, dessen Werke schon zu Leb- Auf den neuen „Brandstetter“ haben offenbar zeiten weltweit auf Konzertprogrammen präsent so viele gewartet, dass der ersten Auflage im Jahr waren. Das macht es nicht leicht, die vielen Erwar- ihres Erscheinens sogleich eine zweite gefolgt ist. tungen der Leser zu erfüllen. Das neue Buch hat somit keine Empfehlung nötig. Die Autorin, selbst als Musikkritikerin eini- Es ist entgegen der Ankündigung zwar kein Ro- ger Linzer Tageszeitungen und an der Seite Hed- man, dafür aber wieder ein „echter Brandstetter“ wig Ebermanns, „der Lebensinterpretin“ Kropfrei- geworden. Und das zählt mehr! Nach einem et- ters, als Gesangssolistin tätig, kennt – so ist anzu- was schwächeren Beginn läuft der Autor zu ge- nehmen – seine Werke aus dem Konzertleben sehr wohnter großer Form auf. Diese Formulierung genau. Sie legt sich jedoch darauf fest, eine „Er- wird erlaubt sein, weil Brandstetter auch den Fuß- zählung über Leben und Werk“ (S. 11) zu verfas- ball aus seinen Betrachtungen über Gott und die sen. Den Entwicklungsweg des Komponisten an Welt nicht ausschließt (Rapid und Austria als Jau- Hand seines Schaffens aufzuzeigen, war leider

254 nicht ihre Absicht. Einleitend bringt der Stifts- bevorzugte er als Regens chori des Stiftes, welche dechant Dr. Ferdinand Reisinger, der Kropfreiters Gesangssolisten und welche Instrumentalisten Wirken sehr aufmerksam verfolgte, eine einfühl- zog er heran? Viel zu kurz kommt auch seine Tä- same Schilderung seiner Persönlichkeit als Ange- tigkeit als Veranstalter der traditionsreichen Or- höriger des Klosters. Hier wäre auch interessant gelkonzerte an der Brucknerorgel. Neben seiner gewesen, wie ihn gleichaltrige oder ältere Mitbrü- Lehrtätigkeit bei den Sängerknaben des Stiftes der oder Freunde erlebt haben. hatte Kropfreiter auch einige Privatschüler, die In dieser Lebensgeschichte wird auf die erste hier nicht erwähnt werden. Diese Erwartungen er- musikalische Ausbildung und frühe musikalische füllen hoffentlich spätere Publikationen. Das Betätigung im Volksschulalter eingegangen. Dass chronologische Werkverzeichnis in Tabellenform sich die musikalische Unterweisung zwischen gibt einen raschen Überblick über die verschiede- zehntem und siebzehntem Lebensjahr ausschließ- nen Gattungen bzw. Besetzungen seiner Werke. lich auf den regulären Musikunterricht im Gym- Aufschlussreich wären auch Daten über Auftrag- nasium beschränkt hätte, ist nicht recht überzeu- geber und Uraufführungen, Interpreten und Orte gend. Da müsste man auch einfügen, dass der sowie weitere bedeutende Aufführungen. Ein be- spätere Orgellehrer Prof. Walter Pach an der Mu- sonders wertvolles Dokument ist die beigelegte sikakademie Wien in den frühen Fünfzigerjahren CD mit einer Orgelimprovisation aus dem Jahr an der Musikschule der Stadt Linz unterrichtete. 1969. Wer Kropfreiter und sein sehr selbstkritisches Im Schriftbild wäre es von Vorteil gewesen, kompositorisches Schaffen etwas genauer kannte, Originaltexte kursiv zu schreiben, um sie deut- weiß auch um die Durststrecken, die ihn oft länger licher abzuheben. Trotz Rechtschreibprüfung an der Ausführung konzipierter oder in Arbeit be- durch Textprogramme fordert die automatische findlicher Werke hemmten. Hier wäre es ange- Silbentrennung doch eine letzte Korrektur durch bracht gewesen, auf Erfolge als Komponist zu ver- den Autor. Karl Mitterschiffthaler weisen, die ihm wieder Auftrieb gegeben haben. So war zum Beispiel Kropfreiters „Konzertante Musik für Orgel und zehn Bläser“ anlässlich der Weihe der Orgel des Brucknerhauses (1974) ein Egbert Bernauer – Franz Farnberger: Die St. Flo- Highlight, welches das übrige Konzertprogramm rianer Sängerknaben. Linz, Trauner Verlag, 2007. in den Schatten stellte. Dieser herausragende Er- 304 Seiten mit zahlreichen Fotos und Faksimile. folg ist auch im Werkverzeichnis deutlich erkenn- ISBN 978-3-85499-244-8. bar. Hier wird auch das Fehlen von Konzertkriti- Der Trägerverein „Freunde der St. Florianer ken von Uraufführungen und weiteren Auffüh- Sängerknaben“ legt aus Anlass seines zehnjähri- rungen bedeutender Werke als Mangel empfun- gen Bestehens dieses Buch vor, das als Geschichte den. Dadurch wäre auch die aktuelle Position des der St. Florianer Sängerknaben zu verstehen ist. Komponisten Kropfreiter im gegenwärtigen Mu- Die beiden Autoren sind selbst mit deren Ge- sikleben und in der Musikgeschichte erkennbar schichte eng verbunden. Egbert Bernauers Groß- geworden. Hinweise auf Artikel in Musiklexika vater und Vater waren als Erzieher bzw. Lehrer der und einschlägige Fachliteratur hätten ebenfalls Sängerknaben tätig, Franz Farnberger ist nunmehr dazu beitragen können. Im Sinne einer möglichst schon fast 25 Jahre mit großem Erfolg deren musi- vollständigen Dokumentation – der Zeitpunkt kalischer Ausbildner und Kapellmeister. des Erscheinens dieser Biografie wäre ideal geeig- Bernauer versucht die Geschichte des Kna- net gewesen, manches festzuhalten, was in weni- bengesanges im Stift St. Florian seit den Anfän- gen Jahrzehnten vergessen ist – hätte man einiges gen des Klosters im Rahmen der sicher sehr weit zumindest in Listen erfassen können. Die etwas zurückreichenden Klosterschule darzustellen. Lei- einengende Konzentration auf die Lebensge- der sind wenige Dokumente erhalten, die dazu schichte des Komponisten erwähnt kaum dessen Rückschlüsse erlauben. Die Mitwirkung der Tätigkeit als Konzertorganist. Wohin wurde er Chorknaben in den Gottesdiensten als Altardie- eingeladen, welches Repertoire spielte er außer ner oder Sänger war eine wesentliche Aufgabe der seinen Improvisationen, wie äußerten sich die Klosterschüler. Manches ließe sich aus der leider Medien dazu? Die nicht wenigen Schallplatten- noch nicht erforschten Musikpflege des Stiftes im einspielungen und Rundfunkaufnahmen hätte Mittelalter erschließen. Neben einigen angeführ- man zumindest auflisten können. Welche Werke ten musikhistorischen Details wären einige be-

255 kannte Daten über die liturgischen Osterspiele, der Sängerknaben sehr objektiv, wie einer, der da- die mehrstimmige Musikpraxis, Gesangsstiftun- bei war und bestens Bescheid weiß, dar. Dass die gen, frühe Orgelbauten, die Musikausbildung der beachtlichen Erfolge, die künstlerische Entwick- Lehrer an den aufblühenden Universitäten u. dgl. lung der „Florianer“ auf höchstes professionelles zu ergänzen. Ab dem Barock konnte der Autor Niveau seinem uneingeschränkten Einsatz, vor al- das Bild etwas umfassender zeichnen. Hier ist die lem seinen pädagogischen Fähigkeiten und sei- Schreibweise des Familiennamens Krampfl (S. 37) nem großen Können als Knabenstimmbildner zu durch Kampfl (S. 36) richtig zu stellen. Zu ergän- verdanken sind, ist nur zwischen den Zeilen zen wäre, dass in der Regierungszeit Kaiser Jo- herauszulesen. Schlicht und bescheiden qualifi- sephs II. (S. 42 f.) die Existenz des Stiftes und da- ziert Farnberger die Erfolge mit „die Kritiken fie- mit auch der Sängerknaben in Frage stand – über len gut aus“. Seine Chronik lässt uns in der Nähe die weitere Verwendung der Chrismanorgel hatte erfahren, welche Erfolge die Sängerknaben in der man schon Überlegungen angestellt. Für das 19. Ferne errungen haben. Um die internationalen Er- Jahrhundert stand dem Autor eine wesentlich bes- folge etwas deutlicher zu machen, hätte er gemes- sere Quellenlage zur Verfügung. Dabei gerät aber sen an den vielen Aufführungen etwas mehr und manches zu langatmig, wenn Details, die für die durchaus umfangreicher Konzert- und Opernkri- Geschichte der Sängerknaben unbedeutend sind tiken einfließen lassen können. Dass aber noch (etwa die Aufsatz- und Briefschreibübungen des weitere Mitarbeiter am Erfolg seiner Arbeit betei- Sängerknaben Anton Bruckner und deren Nie- ligt waren und sind, bringt er in seinen abschlie- derschlag in dessen Briefen aus späteren Jahren), ßenden Dankesworten zum Ausdruck. sehr ausführlich dargestellt werden. Für Zitate aus Der nachhaltige kulturgeschichtliche Wert Bruckner-Briefen wäre die neue, wesentlich reich- dieser Bildungsarbeit ließe sich auch daran ermes- haltigere, 1998 und 2003 erschienene Briefausgabe sen, inwieweit die Sängerknabenausbildung ein heranzuziehen. Die Amtszeit des Propstes Mi- starkes Fundament für spätere Sänger- und Musi- chael Arneth als Pontifikat (S. 50) zu bezeichnen, kerkarrieren war. Es wäre die Mühe wert, jene ist wohl etwas übertrieben. Das unter dem Chor- Sängerknaben aufzuspüren, die eine weitere mu- regenten Ignaz Traumihler und seinen Nachfol- sikalische Ausbildung absolvierten und Sänger, gern gepflegte Kirchenmusikrepertoire hätte man wie etwa Kurt Azesberger und Rudolf Schasching, aus den zeitgenössischen Abschriften im Musik- oder Musiker wurden. Dabei würde man auch auf archiv erschließen können. Der Stiftsorganist und Erich Urbanner (*1936), Professor für Komposi- Komponist Josef Gruber stammt nicht aus Wöl- tion an der Musikhochschule Wien, und sicher- lersdorf (S. 47), sondern aus Wösendorf, worauf lich auf einige weitere stoßen. Auch eine Chrono- er sich auch in einem Pseudonym bezieht. logie der Schallplatten, CDs, Rundfunkaufnah- Der künstlerische Leiter Franz Farnberger men, Fernsehaufnahmen u. dgl. würde die Vielfalt lässt seine nahezu 25-jährige Tätigkeit in einer der Leistungen der Sängerknaben umfassender Chronik Revue passieren. Er stellt das Alltagsle- sichtbar machen. ben der Sängerknaben im Internat, die Koordina- Viele Fotos sind spontane Schnappschüsse tion des Schulbesuchs mit den vielen Aufgaben und als solche echte Dokumente; wegen ihrer oft der Sängerknaben, die zahlreichen Einstudierun- geringen fotografischen Qualität hätte man sie in gen, Konzerte, solistischen Mitwirkungen an kleinerem Format wiedergeben können, um diese Opernhäusern, die Tätigkeit in der Kirchenmusik Mängel etwas zu verstecken. der Stiftskirche und schließlich auch die Erfolge Karl Mitterschiffthaler

256 KULTUR

OÖ. HEIMATBLÄTTER 2007 HEFT 3/4 Beiträge zur Oö. Landeskunde I 61. Jahrgang I www.land-oberoesterreich.gv.at I 2007 HEFT 3/4 HEIMATBLÄTTER OÖ.