Vierteljahrshefte Für Zeitgeschichte Jahrgang 43(1995) Heft 2

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Vierteljahrshefte Für Zeitgeschichte Jahrgang 43(1995) Heft 2 VIERTELJAHRSHEFTE TÜR Zeitgeschichte Im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München herausgegeben von KARL DIETRICH BRACHER HANS-PETER SCHWARZ HORST MÖLLER in Verbindung mit Theodor Eschenburg, Rudolf v. Albertini, Dietrich Geyer, Hans Mommsen, Arnulf Baring und Gerhard A.Ritter Redaktion: Hellmuth Auerbach, Norbert Frei, Udo Wengst Chefredakteur: Hans Woller Stellvertreter: Andreas Wirsching Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstr.46b, 80636 München, Tel. 126880, Fax 12317 27 43. Jahrgang Heft 2 April 1995 INHALTSVERZEICHNIS AUFSÄTZE Klaus Hildebrand Von Richelieu bis Kissinger. Die Herausforderun­ gen der Macht und die Antworten der Staatskunst . 195 Volker Dahm Nationale Einheit und partikulare Vielfalt. Zur Frage der kulturpolitischen Gleichschaltung im Dritten Reich 221 Frank Bajohr Gauleiter in Hamburg. Zur Person und Tätigkeit Karl Kaufmanns 267 Eckart Conze Hegemonie durch Integration? Die amerikanische Europapolitik und ihre Herausforderung durch de Gaulle 297 II Inhaltsverzeichnis DOKUMENTATION Roger Engelmann/ Der Ausbau des Überwachungsstaates. Der Kon- Silke Schumann flikt Ulbricht-Wollweber und die Neuausrichtung des Staatssicherheitsdienstes der DDR 1957 341 NOTIZ Herbert Kießling zum 65. Geburtstag (Horst Möller) 379 ABSTRACTS 383 MITARBEITER DIESES HEFTES 385 Verlag und Anzeigenverwaltung: R. Oldenbourg Verlag GmbH, Rosenheimer Straße 145, 81671 München. Für den Inhalt verantwortlich: Horst Möller; für den Anzeigenteil: Anke Thulke. Erscheinungsweise: Vier­ teljährlich. Bezugspreise 1995: Jahresabonnement Inland DM 91,20 (DM 78,- + DM 13,20 Versandspesen); Österreich öS 727,-(609,- +118,- Versandspesen); Schweiz sFr 93,20 (78- + 15,20 Versandspesen); Binnen­ marktländer Empfänger mit UST.-ID-Nr. DM 88,20 (73,-+15,20 Versandspesen); Binnenmarktländer Empfänger ohne UST.-ID-Nr. und Drittländer DM 93,20 (78- + 15,20 Versandspesen). Studentenabonnement (nur Inland) DM 73,20 (60,- + 13,20 Versandspesen); Einzelheft DM 26,-, öS 203,-, sFR 26,- + Versandspesen. Inlandspreise und Preise für Binnenmarktländer (Empfänger ohne USt.- ID- Nr.) incl. 7% MWSt. Bezieher der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte sind berechtigt, die der Zeitschrift angeschlossene Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (2 Bände im Jahr) im Abonnement zum Vorzugspreis von DM 52,- zuzüglich Versandkosten zu beziehen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Fotokopien für den per­ sönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen daraus als Ein­ zelkopien hergestellt werden. Jede darüber hinausgehende Vervielfältigung bedarf der Genehmigung des Verlages und verpflichtet zur Gebührenzahlung. Satz und Druck: Appl, Senefelderstraße 3-11, 86650 Wemding Ein Teil dieser Auflage enthält folgende Beilage: Institut für Zeitgeschichte -Gesamtverzeichnis 1995 KLAUS HILDEBRAND VON RICHELIEU BIS KISSINGER Die Herausforderungen der Macht und die Antworten der Staatskunst I. Henry Kissingers Darstellung „Über das Wesen der Außenpolitik"1 darf ohne Zwei­ fel als ein politisches und geschichtswissenschaftliches Ereignis gelten. Binnen kur­ zem fand es in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo eine grundsätzliche Debat­ te über Aufstieg und Fall großer Reiche, nicht zuletzt über Gegenwart und Zukunft der eigenen imperialen Republik geführt wird2, gebührende Beachtung3. Zureichen­ der Anlaß besteht also zweifellos, um sich mit Kissingers opus magnum intensiv aus­ einanderzusetzen. Die Aufmerksamkeit, die dem Buch bislang zuteil geworden ist, verwundert nicht. Einer der bekanntesten Staatsmänner unserer Zeit hat zur Feder gegriffen, um Ver­ gangenheit, Gegenwart und Zukunft der Staatenwelt zu deuten. Als Ergebnis liegt - trotz aller Kritik, die im einzelnen zu äußern ist - ein Stück großer Geschichtsschrei­ bung vor. Den Kenner des Kissingerschen OEuvre erstaunt das nicht, gehört doch sei­ ne Dissertation über den Wiener Kongreß inzwischen bereits zu den Klassikern der Historiographie4. Das neue Werk ist, wie andere Beiträge dieses Autors, einem Verständnis von Ge­ schichtsschreibung verbunden, das an ihre römischen Ursprünge erinnert. Seine Lek- 1 Henry A. Kissinger, Die Vernunft der Nationen. Über das Wesen der Außenpolitik, Berlin 1994. 2 Paul Kennedy, The Rise and Fall of the Great Powers. Economic Change and Military Conflict from 1500 to 2000, New York 1988; sowie dazu Klaus Hildebrand, Mars oder Merkur? Das Rela­ tive der Macht oder: Vom Aufstieg und Fall großer Mächte, in: H2 250 (1990), S. 347-356. 3 Vgl. beispielsweise Ernest R. May, The ,Great Man' Theory of Foreign Policy, in: The New York Times Book Review, 3.4. 1994, S.3 und 24; Paul Johnson, The World Stage, in: Commentary, Bd. 79, Nr. 4, April 1994, S. 55-56; Gordon Craig, Looking for Order, in: The New York Review of Books, 12.5. 1994, S.8-14; Michael Howard, The World According to Henry, in: Foreign Af­ fairs, Mai/Juni 1994, Bd. 73, Nr. 3, S. 132-140; Robert G. Kaufman, Three Approaches to Ameri­ can Foreign Policy, in: Strategic Review, Summer 1994, S. 62-76; Robert W.Tucker, Masterwork, in: The National Interest, Nr. 36, Summer 1994, S. 78-87. 4 Henry A. Kissinger, Das Gleichgewicht der Großmächte. Metternich, Castlereagh und die Neuord­ nung Europas 1812-1822, Zürich 1986; siehe dazu Klaus Hildebrand, Die Macht der legitimen Ord­ nung. Der Wiener Kongreß und die Architektur des Gleichgewichts, in: FAZ vom 13.9. 1986. 196 Klaus Hildebrand türe führt uns vor Augen, daß Geschichte durch die Methode der Analogie eine Lehrmeisterin der Gegenwart sein kann: „Und gerade dies ist es, was uns die Ge­ schichte zu einer so heilsamen und fruchtbringenden Kenntnis macht, daß wir näm­ lich die lehrreichen Beispiele aller Art wie auf einem glänzenden Bilde ausgeführt schauen und jeder daraus für sich und seinen Staat das Nachahmungswürdige ent­ nehmen kann und, was im Beginn wie im Ausgang widerwärtig ist, vermeidet."5 Dieser Auftrag, den Livius im Prooemium zu seinem Geschichtswerk „Ab urbe condita" umschreibt, gilt auch für Kissingers Historiographie. Er will vor allem dem amerikanischen „Römervolk der Neuzeit"6 durch historische Einsichten zu ver­ nünftigem Handeln verhelfen, will seiner Nation mit dem historisch Exemplarischen dienen. Nach dem Ende des Kalten Krieges ist solche Orientierung, die sich auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gründet, beinahe unerläßlich, weil sich die Gestalt der Staatenwelt in unserer Gegenwart so dramatisch verwandelt hat. Ge­ rade die Vereinigten Staaten sind, weil sie „in unvergleichlicher Tugendhaftigkeit" und „in unvergleichlicher Macht" (S.899) als Sieger aus dem globalen Wettbewerb mit der Sowjetunion hervorgegangen sind, weil sie die „einzige verbleibende Super­ macht" (S. 895) darstellen, weil sie, zumindest in internationaler Perspektive, eine weitgehend ungezähmte Existenz zu führen imstande sind, in vielfacher Hinsicht, durch tatsächliche Überforderung und möglichen Übermut gleichermaßen, gefähr­ det. Da der Historiker Kissinger die Vorzüge und Risiken einer solchen Ausnahmestel­ lung schärfer als andere erkennt, blickt er weit in die Geschichte zurück, um seinem Land und der Welt ihre Lehren vor Augen zu führen. In dieser Perspektive stellt er Fragen, wie sie einer großen Geschichtsschreibung, die im nationalen und internatio­ nalen Zusammenhang eine maßgebliche Aufgabe beanspruchen darf, würdig sind. Sein Interesse gilt der Entstehung und Existenz, der Stabilität und Dauer, dem Ver­ fall und Ende von Weltordnungen in den zurückliegenden vier Jahrhunderten der neuzeitlichen Geschichte. Von Richelieu bis Kissinger werden die Antworten der Staatskunst, die der Autor mit dem Begriff der Diplomatie belegt, auf die Herausfor­ derungen der Macht betrachtet, die Kissinger bevorzugt als Geopolitik charakteri­ siert. Anders als in weiten Teilen der Geschichtswissenschaft üblich, interessieren ihn nicht primär die Erscheinungen der sozialen Ungleichheit oder der lebensweltlichen Kultur, sondern die der politischen Konkurrenz und der internationalen Beziehun­ gen. Sie gelten ihm als das Ursprüngliche, alles andere dagegen kommt ihm eher als das Abgeleitete vor. Sein Suchen gilt auch nicht in erster Linie der gerechten Weltord­ nung, deren Verwirklichung leicht mit Kriegsanfälligkeit einhergehen kann, sondern einer stabilen Weltordnung, die der Tendenz nach als friedensfähig zu gelten vermag. 5 Titus Livius, Ab urbe condita, hrsg. von Robert Maxwell Ogilvi, Oxford 1974, Praefatio, S.2. 6 Heinrich von Treitschke, Die Grundlagen der englischen Freiheit, in: Preußische Jahrbücher 1 (1858), S.368; wiederabgedruckt in: Ders., Historische und Politische Aufsätze, Band IV, Leipzig 21920, S.279, im Hinblick auf Großbritannien. Von Richelieu bis Kissinger 197 So beklagenswert schlecht sich die wissenschaftliche Literaturgrundlage ausnimmt, auf der das Werk aufbaut, so brillant nehmen sich die Einsichten aus, die der Autor maximenhaft vermittelt. So problematisch seine Methode ist, die neuzeitliche Ge­ schichte Europas in einem riskanten Auswahlverfahren zu selektieren, so bedenkens­ wert sind die unterbreiteten Ergebnisse. Die Schwäche des Episodischen liegt in der unverkennbaren Willkür, mit der der Autor seine Gegenstände auswählt - niemals um repräsentative und differenzierte Vollständigkeit bemüht, sondern stets auf die beispielgebende und anwendungsgeeignete Analogiebildung bedacht. Fraglich ist vor allem, ob man die europäische Entwicklung mit solcher Eindeutig­ keit, fast schematisch, wie Kissinger es in prominenter Nachfolge tut7, auf das Orga­ nisationsmuster
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