High Fidelity
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LANCIA DELTA INTEGRALE High Fidelity Ein Blick zurück in die “Fiat-Epoche“ von Lancia und die Geschichte des Delta Integrale Text: Alexander Korab Bilder: Mathias Kniepeiss und Wolfgang Buchta Der Lancia Delta Integrale kam vor etwas mehr als 30 Jahren auf den Markt und ist somit ein frischgebackener Oldtimer. Der Name “Integrale“ ist heute zum Mythos ge- worden. In den 80er Jahren, als der Auflösungs- prozess der UdSSR begann, als Personal-Com- puter, Compact-Disk und Mobiltelefon die Welt eroberten, als man zu Hits von Depeche Mode, U2 oder Falco tanzte und die Berliner Mauer fiel, dominierte der Delta die Rallye-Szene wie kein anderes Fahrzeug davor und danach. Auf manchen Sonderprüfungen sind die feschen Allradler noch heute flott unterwegs, obwohl Vincenzo Lancia sie eigentlich schon ein paar Jährchen auf dem (1881-1937) Buckel haben. Um ihre Entstehungsgeschichte näher zu beleuchten, müssen wir doch ein wenig weiter ausholen. Für Fundamentalisten endet die Geschichte von Lancia in der letzten Oktoberwoche des Jahres 1969, als Fiat-Boss Gianni Agnelli die Über- nahme des 1906 gegründeten Traditionsunter- nehmens bekannt gab. Sicherlich, die berühmte “Marke der Ingenieure“ war damit so gut wie tot. Lancia wurde in den mächtigen Fiat-Kon- zern eingegliedert und Neuentwicklungen wie- sen von da an Gemeinsamkeiten mit Fiat-Mo- Gianni Lancia dellen auf. Wer jenes Kapitel der Lancia-Saga (1924-2014) etwas großzügiger betrachtete, durfte sich in den 70er, 80er und 90er Jahren aber über sensa- tionelle Siegesserien im Rallye-Sport freuen. Die Marke der Ingenieure 1937, als Fir- mengründer Vincenzo Lancia starb, galt das Unternehmen mit Sitz in Turin als Nobelmar- ke, welche besonders zuverlässige Automobile mit außergewöhnlicher Technik produzierte. Generalrepräsentant für den deutschsprachigen Raum war von 1925 bis 1960 übrigens die in Wien ansässige Firma Smoliner & Kratky mit Gianni Agnelli einem Schauraum auf dem Stubenring. Vin- (1921-2003) cenzos Sohn Gianni übernahm die Führung des Werks und investierte nach dem Weltkrieg kräftig in den Motorsport. Lancia gewann drei- mal in Serie (1952/1953/1954) die Targa Florio und 1954 auch die Mille Miglia. Im gleichen Jahr wurde der von Vittorio Jano konstruierte Lancia “D50“ präsentiert, ein F1-Rennwagen mit Sie- gerpotential. 3/2019 AUSTRO CLASSIC 119 © Mathias Kniepeiss LANCIA DELTA INTEGRALE Lancia überlebte zwar die für Luxus-Marken harten 50er und 60er Jahre, in die Gewinnzo- ne führte die diffuse Modellpolitik Pesentis aber nicht. Lancia hatte zu viele und zu teure Autos im Programm. Selbst die kleine “Ful- via“ brachte Lancia nicht aus den roten Zahlen. 1969 bereitete Pesenti dem Drama schließlich ein Ende. BMW, Mercedes und Ford sollen an Lancia interessiert gewesen sein, doch letztlich erhielt Fiat den Zuschlag und erwarb das Werk sowie einen mächtigen Schuldenberg zu einem symbolischen Betrag von 3 Millionen Lire. 35 Prozent der Aktien hielt übrigens bis 1969 der Vatikan. In der Gewinnzone Fiat gewährte Lancia zunächst eine gewisse Eigenständigkeit. Im Programm blieben bis 1970 der V6-Motor (Fla- minia), bis 1976 der V4 Motor (Fulvia) und bis 1984 der Boxermotor (2000 und Gamma). Mit der Absicht, mittelfristig Gewinne zu erzielen, entstand Anfang der 70er Jahre der Lancia Beta. Diese Baureihe (1972-1984) mit verschiedenen Karosserievarianten (Berlina, Coupé, Kombi- coupé HPE und Spider), ausgestattet mit modi- fizierten Fiat-Motoren, brach mit 433.000 Ein- heiten alle Rekorde in der bisherigen Geschichte von Lancia. Der legendäre “Lancia Stratos“ (1973-1978), ein Sportwagen mit dem V6-Motor des Dino 246, verdankt seine Serienproduktion der Initiative Lancia D50 von Cesare Fiorio, der sich bei Lancia seit den Mille Miglia 1954 Das Jahr 1955 brachte jedoch eine dramatische 60er Jahren um den Motorsport bemühte. Der Wende. Im Mai verunglückte Werksfahrer Al- vom Studio Bertone gestaltete Stratos (Stück- berto Ascari, der für Lancia die Weltmeister- zahl ca. 492) bescherte Fiat zwar nur Kosten, schadft gewinnen sollte, bei privaten Testfahrten brachte jedoch einen beachtlichen Imagege- mit einem Ferrari 750 in Monza tödlich. Der winn für Lancia. Bereits 1972 wurde ein Ful- Unfall veranlasste Gianni Lancia, die Rennabtei- via Coupé 1.6 HF durch Fiorios Engagement lung aufzulösen und die finanziell angeschlagene Rallye-Weltweister. Das Kürzel “HF“ mit dem Autofabrik zu verkaufen. Mehrheitseigentümer roten Elefanten steht für “High Fidelity“ und wurde “Italcementi“ mit Sitz in Bergamo. Der kennzeichnete leistungstarke Lancias, die für Baustoff-Baron Carlo Pesenti pumpte frisches den Motorsport entwickelt wurden. Das Logo Geld in die Firma, damit neue Modelle entwi- stammt aus den 50er Jahren. Als Gianni Lancia ckelt werden konnten. einmal gefragt wurde, warum man ausgerechnet Fiat gewährte Lancia zunächst eine gewisse Eigenständigkeit. Lancia Beta Berlina 118 AUSTRO CLASSIC 3/2019 Der elitäre Hi.Fi-Club, gegründet 1961 einen Elefanten gewählt hat, das Tier wäre we- der besonders schnell noch wendig, meinte er: “Ja, aber wenn er einmal läuft, dann kann ihn niemand mehr stoppen“. Mit Fiorio kam Fiat- Geld in den Rallye-Sport – Begleitfahrzeuge, Hubschrauber, Servicezelte mit 20 Mechanikern und Sattelschlepper mit Werkstatt. Damit wurde Rallyefahren an der Spitze teuer. In den Jahren 1974, 1975 und 1976 ging der Rallye WM-Titel an den Stratos HF. 1976 wurde der Österreicher Franz Wurz auf Lancia Stra- tos Rallycross Europameister. Er verkaufte das Auto an Andi Bentza, der sich damit 1978 den Europameister-Titel sicherte. 1977 reduzierte Fiat das Motorsport-Budget von Lancia, um den hauseigenen “Fiat 131 Abarth“ zu protegieren. Fiat gewann die Rallye-WM mit dem 131er in den Jahren 1977, 1978 und 1980. Bereits 1976 waren die Motorsportaktivitäten von Fiat und Lancia zusammengeführt worden, um die Werkseinsätze besser koordinieren zu Lancia Fulvia HF 1.6 Rallyund darunter der können. Bis dahin hatten die Firmen etwa mit Lancia Stratos, Weltmeister 1974, 1975 und 1976 dem Lancia Stratos und dem Fiat 124 Spider in Rechts: Cesare Fiorio, Manager des Lancia-Teams Konkurrenz zueinander gestanden. Die neue Motorsportabteilung wurde in den alten Hallen von Abarth am Corso Marche in Turin unterge- bracht. Fiat hatte den Motorsport-Spezialisten Abarth 1971 erworben. Leiter dieser Abteilung war Aurelio Lampredi, der Entwicklungsingeni- eur hieß Sergio Limone und der Tester Giorgio Pianta. Bis zu hundert Mitarbeiter wurden einst- mals dort beschäftigt. Lancia Gamma mit Boxermotor 3/2019 AUSTRO CLASSIC 119 LANCIA DELTA INTEGRALE 1975 erschien der “Lancia Beta Montecarlo“ von Pininfarina. Mit der Beta-Familie hatte das sportliche Mittelmotor-Coupé aber nicht viele Gemeinsamkeiten. Optisch an den Montecarlo angelehnt wurde der “Lancia Rally 037“ mit 2 Liter-Kompressor-Motor und Gitterrohrrah- men für die 1982 ins Leben gerufene, sehr of- fene Gruppe B gebaut. 1983 ging der Rallye- WM Titel an einen 305 PS starken 037er. Das war insofern bemerkenswert, da sich bereits deutlich abzeichnete, dass die Zukunft dem All- rad-Antrieb gehören sollte. Der WM-Sieg 1983 war der letzte große Erfolg für ein 2WD-Auto. Die Geburt des Delta Die Entwicklung des “Lancia Delta“ (Modellcode 831ABO), der auf der IAA 1979 in Frankfurt vorgestellt wurde, begann 1974. Der Auftrag für die Gestaltung ging an einen Shooting Star der 70er Jahre, den damals erst 36jährigen Designer Giorgio Giu- giaro (Italdesign). Für den Entwurf des kom- pakten, überaus harmonischen und eleganten Mittelklassewagens mit Frontantrieb stand das Concept-Car “Maserati Medici“ Pate, welches in vielen Details auch Giugiaros Lotus Esprit nicht unähnlich ist. Neu in jener Epoche waren die in die Karosserie integrierten und in Wagenfarbe lackierten Stoßstangen. Technisch ist der Delta mit dem Fiat Ritmo verwandt, mit dem er Bo- dengruppe und Motoren (zunächst nur 1300ccm Lancia Beta Montecarlo und darunter die Ableitung “037“ für den Rallye-Sport und 1500ccm) teilt. Der Radstand des Delta ist jedoch etwas länger und die Hinterachskons- truktion wurde vom Beta übernommen. Preis- lich war der Delta über dem Ritmo angesiedelt, was sich auch in der Ausstattung widerspiegelte. Heckscheibenwischer, von innen verstellbare Außenspiegel, ein dreistufiger Scheibenwi- schern und ein verstellbares Lenkrad gehörten zur Serienausstattung. 1982 kamen beim Delta LX elektrische Fensterheber, Alufelgen, getönte Giorgio Giugiaro Scheiben und eine geteilte umklappbare Rück- und der Maserati Medici sitzbank hinzu. 118 AUSTRO CLASSIC 3/2019 Da die Lancia-Hallen in Chivasso mit der Pro- duktion des Beta voll ausgelastet waren, wurden die ersten Deltas zunächst im “Lingotto“ ge- baut, dem berühmten Fiat-Stammwerk mit der Teststrecke auf dem Dach. Das Lancia-Werk wurde von Grund auf saniert und in eine der modernsten Autofabriken der Welt verwandelt. 1980 erhielt der Lancia Delta als einziges Modell in der Geschichte der Marke die Auszeichnung “Auto des Jahres“. Ab 1982 wurde in Chivasso der “Prisma“ (die Stufenheck-Variante des Del- ta) gebaut und auch die Produktion des Delta übersiedelte schließlich dorthin. Noch wies nichts darauf hin, dass dem Delta eine Karriere im Motorsport bevorstehen soll- te. Zumindest wurde er ab November 1982 ein wenig sportlicher. Der “Delta GT“ erhielt einen DOHC-Motor mit 1,6 Liter Hubraum, Weber- Vergasern, Digiplex-Zündung von Magneti Ma- relli und 105 PS. Das bemerkenswerte, 1966 von Aurelio Lampredi ursprünglich für den Fiat 124 konstruierte Aggregat war im Fiat 131 mitver- antwortlich für drei Rallye-WM Titel. Schon damals waren Schadstoffemissionen