Premiere „La Passione“ Bachs Matthäus

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Premiere „La Passione“ Bachs Matthäus 5 2015 | 16 April, Mai, Juni DAS MAGAZIN DER HAMBURGISCHEN STAATSOPER Premiere „La Passione“ Bachs Matthäus-Passion mit Romeo Castellucci und Kent Nagano Ballett John Neumeiers „Matthäus-Passion“ kehrt zurück Premiere Richard Strauss „Daphne“ mit Christof Loy und Michael Boder DAS INTERNATIONALE MUSIKFEST HAMBURG, EIN FESTIVAL, DAS MUSIKALISCHE GRENZEN ÜBERSCHREITET – EINER VON VIELEN GRÜNDEN, SICH FÜR KULTUR IN HAMBURG ZU BEGEISTERN. Kulturmetropole Hamburg. Meine große Freiheit. Unser Titelfoto ist während der Arbeiten an „La Passione“ in den Werkstätten entstanden Inhalt April bis Juni 2016 OPER BALLETT 04 Premiere 1: La Passione in den Deichtorhallen Hamburg. 10 Wiederaufnahme: Matthäus-Passion 35 Jahre nach der Urauf- Romeo Castellucci „inszeniert“ die Matthäus-Passion. Dabei führung erlebt John Neumeiers Ballett mit Johann Sebastian erliegt er nicht der Versuchung, die Stationen und den Lei- Bachs gleichnamiger Musik seine Wiederaufnahme. Als Chef- densweg als Theater nachzustellen, sondern nähert sich über choreograf vertraut er wichtige Rollen bewusst den jungen den Weg einer der Bildenden Kunst eigenen Zeichenhaftigkeit, Tänzern seiner Compagnie an, damit sie die Aufführungstra- die sich aus dem Potential zur Allegorie speist. Dieser Umweg dition dieses einzigartigen Gesamtkunstwerks weiterführen. ist Spur einer Suche nach einer neuen Form von Offenbarung und dem, was Leiden dem heutigen Zuhörer bedeuten und 14 Repertoire: Das Hamburg Ballett setzt mit Aufführungen von wie es ihm erfahrbar werden kann. John Neumeiers Romeo und Julia sowie Othello den diesjähri- gen Shakespeare-Schwerpunkt fort. Daneben lockt die farben- 14 Premiere 2: Daphne Regisseur Christof Loy erzählt den zeitlo- prächtige Choreografie Napoli von A. Bournonville und Lloyd sen mythischen Stoff als aktuelle Parabel über Verweigerung Riggins sowie John Neumeiers Ballett Tatjana, dessen DVD- und Gegenwehr. Am Baseler Theater wurde die Inszenierung Produktion pünktlich zu den Repertoire-Vorstellungen im enthusiastisch gefeiert, jetzt wird sie in der Hansestadt gespielt. Juni auf den Markt kommt. 18 Wiederaufnahme: Wagners Tristan und Isolde in der Inszenie- RUBRIKEN rung von Ruth Berghaus kehrt unter der musikalischen Lei- tung von GMD Kent Nagano an die Staatsoper zurück. 35 opera stabile berührt: ist eine neue Veranstaltungsserie der Staatsoper, die im MOJO CLUB auf der Reeperbahn stattfin- 28 Ensemble: Neu an der Staatsoper ist die junge russische Mez- det. Dabei stellen Hamburger Jugendliche zusammen mit zosopranistin Nadezhda Karyazina, die hier bereits u. a. als Künstlern der Staatsoper unter Beweis, dass sich Pop-Musik Barbier-Rosina und als Olga in Eugen Onegin erfolgreich war. und das Kunstlied durchaus gegenseitig inspirieren können. PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER 17 Opernrätsel 36 Spielplan 32 Nachdenken über Schostakowitsch und Beethoven, aus deren 38 Leute: Uraufführung „Stilles Meer“, Premiere „Guillaume Tell“ Œuvre Werke im Philharmonischen Sonderkonzert am 15. Mai erklingen. 40 Finale Impressum TITELBILD: JÖRN KIPPING 5.2015/16 | JOURNAL 1 Oper Momentaufnahme Guillaume Tell von Gioachino Rossini Premiere im März 2016 Weitere Vorstellungen in der Saison 2016/2017 2 JOURNAL | 5.2015/16 FOTO: BRINKHOFF/MÖGENBURG FOTO: 5.2015/16 | JOURNAL 3 Oper Premiere Premiere Musikalische Leitung Evangelist Einführungsmatinee 21. April 2016 Kent Nagano Ian Bostridge mit Romeo Castellucci und Konzept, Inszenierung, Sopran 1 Mitwirkenden der Produktion 20.00 Uhr Bühne, Kostüme und Hayoung Lee Moderation: Aufführungen Licht Sopran 2 Johannes Blum 23., 24. April 2016 Romeo Castellucci Christina Gansch Alt 17. April 2016 20.00 Uhr Künstlerische Mitarbeit Silvia Costa Dorottya Láng um 12.00 Uhr Deichtorhallen, Mitarbeit Bühnenbild Tenor Probebühne 1 Haus für aktuelle Maroussia Vaes Bernard Richter Kunst Dramaturgie Jesus, Bass Piersandra di Matteo Philippe Sly Chor Martin Steidler Audi Jugendchor - akademie Eine Produktion der Hamburgischen Staatsoper in Zusammenarbeit mit den Deichtorhallen Hamburg im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg 2016. Mit freundlicher Unterstützung der Commerzbank Hamburg. Der Zuschauer und sein Schmerz Ein Gespräch mit dem Regisseur Romeo Castellucci über La Passione Die Matthäus-Passion ist ja zunächst einmal kein dramatisches tionen Picanders beim Zuschauer auslösen sollen. Daher habe ich Werk, kein Musiktheaterstück. Aber doch wird in den Deichtor- versucht, Objekte zu kreieren, die nicht nur das Gefühl von Ent- hallen eine Inszenierung dieses Werkes zu sehen sein. Wo greifst gleisung, Chaos und Unordnung in Szene setzen, das die Dichtung du das „Theater“ der Matthäus-Passion? von Picander durchzieht, sondern auch den Schmerz der Passion, Die Theatralität, auf die ich mich beziehe, kommt aus der ur- die sich über den Zuschauer ergießt. Bilder, die nicht die Passion sprünglichen Quelle, aus der sich die Matthäus-Passion speist: den Jesu‘ „darstellen“, sondern die des „normalen“ Menschen. Ich sacre rappresentazioni, den geistlichen Spielen des Mittelalters. Das würde daher sagen, dass durch diesen szenischen Vorgang Jesu’ Stück ist als Weg der Passion in sich und grundsätzlich theatra- Passion zur Passion des Zuschauers, des Menschen, wird. lisch. Darauf bezieht sich auch Bach. Ich sehe aber keine Möglich- keit, diese Theatralität in narratives Theater zu übersetzen. Man Die Philosophin Julia Kristeva sagt, es gebe auch bei einem kann das Evangelium heute nicht mehr auf die Bühne bringen, wie Nichtgläubigen ein bisogno di credere, ein Bedürfnis zu glauben. man es damals mit einer sacra rappresentazione getan hat. Deshalb Das Bedürfnis zu glauben heißt nicht, dass man glaubt. Zu sagen, versuche ich mich der Matthäus-Passion in anderer Weise zu nä- man müsse glauben, um die Matthäus-Passion fassen zu können, ist hern. Wir verzichten auf die traditionelle Struktur einer Theater- falsch. Der Passion fehlt der Moment der Katharsis: man erlebt nur bühne, es gibt stattdessen Elemente im leeren Raum. Orchester, den Tod von Jesus, nicht seine Auferstehung. Bis zu diesem Punkt Chor und Solisten befinden sich weit im Hintergrund. Davor, im ist Jesus ein Mensch wie wir alle – ecce homo. Ein Jesus, der total Raum zwischen Musik und Publikum, präsentieren sich nachein- ohnmächtig ist, der „flucht“ gegen den Vater, der sich auflehnt ander Bilder, Formen, Objekte, Elemente, die in Verbindung stehen gegen das Schicksal. In diesem Sinn offenbart er sich als Mensch. zu dem, was man hört. Die Musik bestimmt den chronologischen Die Passion ist die Darstellung der Menschwerdung Gottes als Ablauf, nicht die Objekte. Sie sind Objekte der Kontemplation, der Mensch der Passion. Die Matthäus-Passion trifft die tragische Es- Betrachtung für den Zuschauer. Die meisten sind statisch, sie ma- senz des Christentums – vor der Katharsis. Die doppelte Natur chen es möglich, die Passion und ihren Inhalt zu „lesen“. Es gibt Jesu’, die göttliche, offenbart sich erst viel später. eine doppelte „Temperatur“: auf der einen Seite Picanders Poesie, auf der anderen das Evangelium. Wir kennen alle dessen äußere „Jesus ist für uns gestorben.“ Es gibt neben der heilsgeschicht- Geschichte, sie wird aber erst zum Leben erweckt durch die Schil- lich-theologischen auch eine ästhetische Interpretation: Jesus ist derungen des Entsetzens, der existenziellen Angst, der Überra- für uns, d. h. vor uns gestorben: wir können das Theater seines schung und der Scham des Erzählers Picander, und diese Emotio- Todes betrachten. nen spiegeln sich im Zuschauer. Diese Perspektive wird in meiner Eine Kreuzigung ohne Zuschauer hätte keinen Sinn gehabt. Das Inszenierung wiedergegeben, es sind die Objekte, die diese Emo- Kreuz ist die kleinstmögliche Bühne, und die Nägel heften den 4 JOURNAL | 5.2015/16 La Passione Darsteller an die Bühne. Nach der Vision der Wüstenväter war Auf die Rückwand werden die Texte projiziert, darunter sehen wir Jesus der „Schauspieler“ (im italienischen der „attore“, der, der Orchester und Sänger, davor die Objekte. Diese Disposition der „agiert“), den Gott auf die Welt geschickt hat, der Gottes Rolle auf drei Elemente Schrift, Musik und Theater erinnert an die poeti- der Erde spielt. sche Form der Allegorie, wie man sie aus der frühen Zeit des Barock kennt. Jesus führt uns den Schmerz vor, er ist der Schmerzensmann. Die Objekte haben dabei emblematischen Charakter. Der Zu- Worin besteht der Übergang von Schmerzen zum Leiden? schauer wird die Zeit haben, die Objekte im Raum anzuschauen Körperlicher Schmerz und spiritueller Schmerz sind sehr unter- und den Schlüssel zu dieser allegorischen Bedeutung bei sich zu schiedlich. Ich will nicht sagen, dass Kunst da ist, um Schmerzen finden. Nur er kann das, nicht der Schauspieler, nicht der Dirigent, zu lindern, beides steht jedoch in einer ständigen Wechselwirkung. nur der Zuschauer: sein Gehirn, seine Geschichte, was er erlebt Man denke nur an die griechische Tragödie: der Versuch, aufrecht hat, macht ihn sozusagen zum ultimativen Objekt. Es ist wichtig vor dem Schmerz zu stehen. Das Anschauen des Schmerzes ist die zu wissen, dass der Zuschauer auch ein Objekt ist: Wie ich oben Quelle des Sehvergnügens. Da zeigt sich wiederum ein anderes gesagt habe, lösen die Objekte im Raum die Emotionen Picanders Thema: der Schmerz der anderen. Weil wir nicht an ihrer Stelle ste- im Zuschauer aus. Diese Objekte haben problematischen Charak- hen und weil sie an unserer Stelle leiden. Deine Schmerzen sind ter. Sie werden dem Verstand und dem Geist des Zuschauers vorge- meine Rettung, das ist der christliche Mechanismus. Und
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