Heinrich Von Brentano (1904–1964). Im
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420_83_86_Hacke 21.10.2004 15:17 Uhr Seite 83 Im Gedenken an den Heinrich von Brentano ersten Außenminister (1904–1964) der Bundesrepublik Deutschland Christian Hacke Im November 2004 jährt sich von Bren- beginnen mit seinem Aufstieg als hessi- tanos Todestag zum vierzigsten Mal. Es scher Landespolitiker. ist still um Heinrich von Brentano gewor- Sein frühes Wirken in der CDU stand den, den ersten Außenminister der noch ganz im Zeichen von christlichem Bundesrepublik Deutschland, der unter Sozialismus. Die damals „linke“ CDU in Bundeskanzler Konrad Adenauer von Hessen sympathisierte mit vielen Gedan- 1955 bis 1963 diente. Geleitet war er von ken von Adenauers Rivalen Jakob Kaiser, einem christlich-humanistischen Welt- dessen Ideen vom „christlichen Sozia- und Menschenbild und von der Idee vom lismus“ und von Deutschland als „Brücke Abendland Europa. So war es für ihn kon- zwischen Ost und West“ auch auf den sequent, dass nach dem Verlust deutscher jungen von Brentano als Parlamentarier Würde und nationaler Identität nach 1945 der ersten Stunde ihre Wirkung nicht ver- und im Zuge der Teilung Deutschlands, fehlten. Europas und der Welt im Zeichen des Doch unter dem Eindruck der macht- Kalten Krieges die Integration Europas politischen Realitäten in der geteilten zum „Knochengerüst deutscher Außen- Welt des Kalten Krieges und fasziniert politik“ wurde, wie er 1961 an Bundes- von Adenauers außenpolitischer Füh- kanzler Konrad Adenauer schrieb. Eu- rungskunst und außenpolitischer Weit- ropa wurde ihm zum Bezugspunkt einer sichtigkeit, wurde auch von Brentano ideellen Werte- und Schicksalsgemein- zum überzeugten Adenauerianer. Ade- schaft, entstanden aus dem griechisch-rö- nauer selbst konnte auf von Brentano mischen Erbe der Antike. Nach dem Zu- wiederum nicht verzichten, denn bei von sammenbruch Deutschlands war auch Brentanos Wirken als Vorsitzender der für von Brentano die nationale Bezugs- CDU/CSU-Fraktion wurden dessen vor- größe zerbrochen, Westintegration wur- bildlicher politischer Stil, sein Takt, seine de zum Ersatz. Dabei verstand er die Sachlichkeit und Eloquenz sowie seine westeuropäische und atlantische Dimen- persönliche Integrität für Adenauers sion der Westintegration nicht als Gegen- Politikdurchsetzung unverzichtbar. Von satz, sondern komplementär. „So wie das Brentano verband die Achtung vor der Abendland ursprünglich um das Mittel- Meinung anderer mit großem verhand- meer entstanden ist, organisiert es sich lungstaktischen Geschick. Das war not- heute hauptsächlich um den Atlantik.“ wendig, denn von Brentano besaß als Sein Denken deckte sich erstaunlicher- Fraktionsvorsitzender in der Kanzler- weise mit dem der jüdisch-deutschen demokratie von Konrad Adenauer nur Philosophin Hannah Arendt, die in die- begrenzten Einfluss. Deshalb musste er sem Zusammenhang die Idee von der viel Unmut in der Fraktion dämpfen. atlantischen Zivilisation apostrophierte. Das Lebenswerk von Brentanos kon- Doch muss von Brentanos Würdigung zentriert sich auf sein Wirken als Außen- Nr. 420 · November 2004 Seite 83 420_83_86_Hacke 21.10.2004 15:17 Uhr Seite 84 Christian Hacke minister. Seine Leistungen als Anwalt der ziehungen zur Sowjetunion auch für von deutschen Einheit, als Atlantiker und vor Brentano unverzichtbar. Diese Doktrin allem sein herausragendes europapoliti- war bis weit in die sechziger Jahre erfolg- sches Engagement werden zu Recht her- reich, die DDR blieb international isoliert. ausgehoben. Es ist aber auch notwendig, Sein Plädoyer für langen Atem in der auf die weltpolitischen Sachzwänge hin- Ost- und Deutschlandpolitik beziehungs- zuweisen, auf die Veränderungen im Ost- weise seine Mahnung, dass Ungeduld in West-Verhältnis und die neuen Chancen der Deutschland- und Ostpolitik ein und Risiken deutscher Außenpolitik in schlechter Ratgeber sei, bewahrheiteten den sechziger Jahren. In besonderer sich in den kommenden Jahrzehnten. Das Weise gestaltete sich von Brentanos Ver- Offenhalten der deutschen Frage und das hältnis zu Bundeskanzler Adenauer: War Postulat der Wiedervereinigung blieben er lediglich Erfüllungsgehilfe von Bun- für ihn zentral, denn ein geteiltes Deutsch- deskanzler Adenauer, oder konnte er eine land war in den Augen von Brentanos ein eigenständige Rolle und persönlichen ständiger Gefahrenherd. Folglich war für Handlungsspielraum entwickeln? ihn ein vereintes Deutschland in einem vereinten Europa langfristiger Zielpunkt, Wiedervereinigung als Ziel auch aus Sorge um das Schicksal der Deut- In außenpolitischen Grundsatzfragen schen und der Europäer jenseits des herrschte zwischen Adenauer und von Eisernen Vorhangs. Von Brentanos Reden Brentano Einmütigkeit vor, aber bei De- und Handeln reflektierten Mitgefühl für tailfragen tauchten unterschiedliche Nu- die unterdrückten Menschen in den kom- ancierungen und Bewertungen auf. Von munistischen Zwangsdiktaturen. Un- Brentano blickte mit intensivem Bewusst- denkbar war allerdings für ihn wie auch sein für die traurigen Folgen der Teilung für die überwältigende Mehrheit der Deutschlands und Europas auch nach Os- Deutschen in den fünfziger und sechziger ten. Doch gab es für ihn zwingende Argu- Jahren die Forderung nach Verzicht auf mente, Adenauers Ostpolitik überzeu- die Ostgebiete jenseits von Oder und gend mitzugestalten. Im Zuge des Besu- Neiße, selbst wenn durch die Anerken- ches von Bundeskanzler Adenauer in nung der Oder-Neiße-Grenze siebzehn Moskau im September 1955 und nach der Millionen Deutsche in der Sowjetzone be- Aufnahme diplomatischer Beziehungen freit worden wären. Diese Einstellung zwischen Moskau und Bonn formulierte sollte sich erst gegen Ende der sechziger von Brentano im Geiste des Alleinvertre- Jahre ändern. tungsanspruchs der Bundesrepublik im Von Brentano blieb ein Verfechter der Dezember 1955 im Sinne der Hallstein- Politik der Stärke, wie sie Bundeskanzler Doktrin auf der Außenministerkonferenz Adenauer entwickelt hat. Doch als von des Auswärtigen Amtes: „Wir stehen Brentano 1964 starb, waren schon die nicht vor einer Wahl, sondern wir haben neuen entspannungspolitischen Ansätze nur diese Möglichkeit … wenn wir zulas- in der SPD und FDP in Umrissen zu er- sen, dass in irgendeinem Land der kennen. Von Brentano hatte für diese Grundsatz durchbrochen wird, den wir neuen Wege und für eine Neuabwägung uns geben, können wir nicht mehr aufhal- von Chancen und Risiken in der Ost- ten, dass er in anderen Fällen auch durch- und Deutschlandpolitik kein Verständ- brochen wird.“ nis. Sein Antikommunismus und sein Prävention als Kern der Hallstein-Dok- moralisches Bewusstsein erschwerten di- trin war zur Abwehr einer Kettenreaktion plomatische Flexibilität. So verwundert nach der Aufnahme diplomatischer Be- es nicht, dass von Brentano kurz vor sei- Seite 84 Nr. 420 · November 2004 420_83_86_Hacke 21.10.2004 15:17 Uhr Seite 85 Heinrich von Brentano (1904–1964) nem Tod einen Sieg des Weltkommunis- mus befürchtete. Heinrich von Brentano Doch sein Blick nach Westen war klar, in einer Aufnahme vom 8. November 1961 mutig und visionär. Noch heute zeichnen © dpa, Foto: Kurt Rohwedder sich seine Texte und Reden zur Europa- politik durch erstaunliche Frische und Weitsicht aus. So trat schon von Brentano für maßvolle deutsch-französische Ver- ständigung ein, Adenauers politische An- bindung an Paris ging ihm in der Exklusi- vität der Beziehungen jedoch zu weit. Von Brentano gehörte zu denjenigen At- lantikern, die dem deutsch-französischen Vertrag von 1963 die antiamerikanische Spitze nahmen. Seine kluge und ausglei- chende Position sorgte dafür, dass die Vermittlerrolle der Bundesrepublik im Dreieck Washington–Paris–London wei- terhin mit Kraft gefüllt blieb, während Adenauers Blick für die atlantischen Not- wendigkeiten getrübt schien. Visionäres Europabewusstsein Von Brentano war ein weitsichtiger Außenminister, der klug zwischen Her- zensgaullismus und Vernunftatlantizis- mus seine Politik einzupendeln wusste, ner, sie alle sollen bleiben, was sie sind, um Deutschlands Zukunft als integralen und sollen den Reichtum ihrer Kultur Bestandteil der europäischen Politik im und Tradition in diese Gemeinschaft mit atlantischen Kontext zu sichern. Dabei einbringen.“ suchte er Europa in den Status eines fö- Auch seine vier europapolitischen deralistisch organisierten und konstitu- Grundprämissen bleiben gültig: europä- tionell gefestigten Völkerrechtsubjektes ische Einigung auf Grundlage der abend- zu versetzen, nicht zu Lasten der nationa- ländischen Zivilisation als Säule der Frei- len, kulturellen Besonderheiten, sondern heit des Westens, die USA als Führungs- im bewussten Dialog mit anderen Län- macht der westlichen Welt, Ausgleich mit dern und Kulturen. Sein 1953 formulier- Frankreich und die Einheit Deutschlands tes Europabewusstsein erscheint heute und Europas. Von Brentano plädierte nie- nach wie vor realistisch und visionär zu- mals für ein europäisches, sondern stets gleich: „Vielleicht kann man eine gemein- für ein atlantisch verankertes Europa. In same Briefmarke benutzen, mit einem dieser Perspektive sah er auch Deutsch- europäischen Pass über die Grenze fah- lands Vorreiterrolle. Konsequenterweise ren, Zollschranken abbauen und andere war er an der Ausarbeitung des Artikels mechanische Vorrichtungen schaffen, die 24 des Grundgesetzes mit beteiligt, der dazu dienen, nicht nur das Gefühl der Ge- die Bereitschaft zur freiwilligen Übertra- meinsamkeit zu betonen, sondern die Ge- gung nationaler Hoheitsrechte an supra- meinsamkeit überhaupt zu ermöglichen. nationale Institutionen vorsieht. Schon Aber der Deutsche, Franzose, der Italie- 1951 forderte