Teil-Nehmen Und Teil-Haben

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Teil-Nehmen Und Teil-Haben Bernd Lederer (Hrsg.) Teil-Nehmen und Teil-Haben Fußball aus Sicht kritischer Fans und Gesellschaftswissenschaftler VORWORT Egal ob WM, EM, Champions League oder auch nur ein unterklassiges Ligaspiel: Welche Begeisterung und oft genug auch regelrechte Hysterie der Fußballsport zu wecken vermag, lässt sich praktisch tagtäglich beobachten – wenn auch nicht ohne Weiteres erklären! Fußball, mit allem, was auch außerhalb des Rasens dazugehört, liefert stets eine Fülle von Anschauungsmaterial für menschliche Verhaltensmuster und kulturelle Ausdrucksweisen, die geeignet sind, mehr über den komplexen Sozial- und Kulturcharakter des Menschen und seiner Gegenwartsgesellschaft in Erfahrung zu bringen. Aufgrund dieses sozialen und sozialpsychologischen „Repräsentanzcharakters“ des Fußballs und all seiner zugehörigen Erscheinungen scheint es bereits seit langem nicht nur salonfähig, sondern fast schon zum guten Ton gehörig, sich auch aus Sicht der Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem Massenphänomen Fußball eingehender zu beschäftigen. Diese Hinwendung zu populärkulturellen Themen ist auf das Engste mit der Entwicklung der cultural studies verknüpft. Begreift man speziell die Erziehungswissenschaft als Schnittmengendisziplin unterschiedlicher human-, sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen und Perspektiven (Psychologie, Soziologie, Philosophie, Anthropologie, Ethologie, Kultur- und Kommunikationswissenschaft, um nur die wichtigsten zu nennen), dann wird verständlich, weshalb das Thema Fußball auch für spezifisch pädagogische Fragestellungen so mancherlei Antworten und theoretische Anschlussmöglichkeiten bereithält – und zwar weit über den Bereich der „Leibesübungen“ und der sinnlich-ästhetischen Erziehung hinaus. Entsprechend scheint es gerechtfertigt, der mittlerweile großen Menge eher wissenschaftlich gehaltener Publikationen zum Themenkomplex Fußball ein weiteres Büchlein hinzuzufügen (wobei sich von überzeugter Fanseite wohl auch der Standpunkt vertreten ließe, dass es über Fußball ohnehin nie genug Bücher geben kann …). Dies umso mehr, als neben theoretischen Beiträgen eben auch VertreterInnen praktisch tätiger Faninitiativen zu Wort kommen. Was hat Fußball konkret mit Geistes- und Sozialwissenschaften, insbesondere mit Erziehungswissenschaften zu tun? Als fester Bestandteil der (zumindest europäischen) Massenkultur und als (sozial)psychologisches Phänomen ließ sich Fußball allein aus Perspektive des Sports noch nie hinreichend erfassen und verlangt geradezu nach kultur- und sozialwissenschaftlichen Zugängen im Rahmen interdisziplinärer Analysen. Speziell auch aus Sicht einer Kritischen Erziehungswissenschaft1, das heißt: aus einer an den pädagogischen Leitzielen der Mitsprache- und Kritikfähigkeit orientierten Perspektive, wird in diesem Buch der Frage nachgegangen, inwiefern Fußball auch in Zeiten seiner umfassenden Kommerzialisierung in einer zusehends durchökonomisierten Gesellschaft heute noch einem Anspruch gerecht werden kann, den viele Fans nach wie vor an ihn stellen: nämlich den, nicht nur „Konsumgut“ und Teil einer hochgejazzten Eventkultur und Unterhaltungsindustrie2 zu sein, sondern vielmehr Inhalt einer persönlichen Erfahrungswelt mit Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe und Mitbestimmung. 1 Das große K ist keinem Schreibfehler geschuldet, sondern verweist darauf, dass es sich hierbei um eine eigene, namensgebende Strömung bzw. Denkrichtung in der Erziehungswissenschaft handelt. 2 Insidern kommt hier natürlich auch Theodor W. Adornos und Max Horkheimers Begriff der „Kulturindustrie“ in den Sinn. Fußballleidenschaft als Bestandteil einer „Vita Activa“ (Hannah Arendt), also als Bestandteil eines aktiven, auf Mitgestaltung abzielenden und sinnerfüllten Lebens, meint eben etwas ganz anderes, als sich immer nur auf seinem Sitzplatz (im Stadion oder vor dem Fernseher) passiv unterhalten und bewerben zu lassen: Es geht vielmehr um die Möglichkeiten (und Grenzen), Fußballsport als authentischen „Sozial- und Erfahrungsraum“ erfahr- und gestaltbar zu machen und ihn dergestalt als Teil einer individuellen Lebenswelt zu begreifen, welche soziale und emotionale Erlebnisse jenseits normierender Konsumzwänge und Massenunterhaltungsstrategien ermöglicht. Gerade im Wertehorizont besagter Kritisch-emanzipatorischer Pädagogik ist die Bedeutung sozialer und kultureller Bereiche und Räume, in denen aktive Mitsprache und Einflussnahme möglich wird, gar nicht hoch genug einzuschätzen, weil sich persönlichkeitsbildende Prozesse immer in der aktiven Auseinandersetzung mit und in denjenigen Lebenswelten vollziehen, die uns umgeben und beeinflussen. Die Erfahrung einer gelingenden Aneignung und Mit-Gestaltung von Lebenswelten, die persönlich als bedeutsam empfunden und erlebt werden, ist auch zentral für ein positives Selbstbild und überhaupt für das Zustandekommen und den gelingenden Verlauf individueller Bildungserlebnisse.3 Insgesamt elf Beiträge ergründen im Folgenden das Spannungsfeld zwischen Mitsprache und Kommerz, in welchem der Fußball heute rollt. Die 13 AutorInnen beleuchten dabei jeweils ganz unterschiedliche Aspekte der „schönsten Nebensache der Welt“, mal mehr, mal weniger Nah am roten Faden dieses Buches: dem Thema Teilhabe und Mitbestimmung. Dies geschieht nicht im Rahmen einer monothematischen Abhandlung, sondern, der Vielschichtigkeit des Themas weitaus angemessener, in Form interdisziplinärer und multiperspektivischer Zugänge. Die Reihenfolge der Inhalte folgt – in ganz bewusst grober Hinsicht – einem thematischen Dreischritt: Zuerst kommen VertreterInnen aktiver Fußballfans selbst zu Wort. Im zweiten Teil finden sich Beiträge, die im engeren Sinne auf die Gesichtspunkte Teilhabe und Mitbestimmung (vornehmlich aus Sicht der Erziehungswissenschaft und anverwandter Disziplinen) abzielen. Gesellschaftskritische Analysen und Einwürfe werden abschließend einige grundlegende Aspekte des Fußballs und deren Relevanz für die Gegenwartskultur aus unterschiedlichen Fachrichtungen beleuchten: Erziehungswissenschaft, Sozialpsychologie, Kunst- und Kultursoziologie, Volkswirtschaft, aber auch Rechtswissenschaft sind dabei diejenigen Disziplinen, denen die „Theoretiker“ des Buches perspektivisch angehören. 3 Siehe auch den Beitrag: „Fußball als Teil der individuellen Lebenswelt“: Zum Zusammenhang von aktiver Fankultur und Bildung. INHALT TEIL I : Emanzipatorische Initiativen aktiver Fans Christian Deker „Fußball ist alles – auch schwul“: Strategien gegen Homophobie im Fußball Jennifer Töpperwein Weibliche Fans im Fußball: Emanzipationsgeschichte, Erfahrungen, Perspektiven Michael Fanizadeh / Markus Pinter: Von echten Österreichern und Einwanderern Rassismus und Antirassismus im Fußball Roger Hasenbein: Eine andere Fußballwelt ist möglich! Möglichkeiten und Strategien gegen eine völlige Enteignung der Fans (nicht nur) am Beispiel des FC St. Pauli. TEIL II : Zum Stellenwert von Teilhabe und Mitbestimmung Bernd Lederer „Fußball als Teil der individuellen Lebenswelt“: Zum Zusammenhang von aktiver Fankultur und Bildung oder: „Was hat Fußball mit Bildung zu tun?“ Peter Egg „Teil-haben“, nicht nur „teil-nehmen“: Warum „Partizipation“ ein pädagogisches Kernziel ist und bleiben muss. TEIL III : Fußball-Reflexionen Roman Horak Das Runde und das Eckige. Fußball, Fans und Medien Gerhard Vinnai Schattenseiten der Fußballbegeisterung Gerald Hödl Der globale Fußball zwischen Expansion und Marginalisierung Mathias Kapferer / Joachim Tschütscher Sicherheit und Ordnung in den Fußballstadien als Muster für den kontrollierten Bürger Peter Stöger Zehn Fußball-Plätze: Verortungen und Vermutungen – oder: Wie kommt ein „Quasi“ in die Liturgie? (Essay und Skizze) Nachwort (Bernd Lederer) TEIL I : Emanzipatorische Initiativen aktiver Fans ___________________________________________________________________________ Christian Deker „Fußball ist alles – auch schwul“: Strategien gegen Homophobie im Fußball An jedem Spieltag kann man in den deutschen Fußballstadien homophobe Sprechchöre hören – meist werden Gegner und Schiedsrichter als „schwul“ beschimpft. Noch hat es kein Profispieler gewagt, öffentlich zu seiner Homosexualität zu stehen. Lange schienen sich auch die Verantwortlichen dem Problem zu verschließen – nach vielen Diskussionen und Aktionen scheint nun endlich ein Umdenken eingesetzt zu haben. Ein Fußballstadion irgendwo in Deutschland, es ist Samstagnachmittag, 15:30 Uhr. Ein bierseliger Mob von Proleten singt sich in Laune, beschimpft den Schiedsrichter als „schwule Sau“ und prügelt sich nach dem Spiel mit den gegnerischen Fans. Zum Glück entspricht dieses Klischee nicht ganz dem Alltag in den Stadien. Die Gewalt ist weiterhin der Ausnahmefall und die Atmosphäre immer mehr von Frauen und Familien geprägt. Traurig aber: Der wahre Teil dieser Schilderung ist die Homophobie, die es an jedem Spieltag in den deutschen Stadien gibt. „Schwule Sau“ gehört zum Vokabular vieler Fußballfans wie der Torjubel. Auch auf der Haupttribüne hört man immer wieder wüste Beschimpfungen gegnerischer Spieler oder des Schiedsrichters, bei denen das Wort „schwul“ fällt. „Luca Toni et en Homo“ Auch bei internationalen Spielen sind homophobe Vorfälle an der Tagesordnung. Nach Beobachtungen des Netzwerks „Football Against Racism in Europe“ (FARE) stimmte bei der EURO 2008 während der Partie Niederlande gegen Italien die überwältigende Mehrheit des niederländischen Fansektors das Lied „Luca Toni et en Homo“ zur Melodie des White- Stripes-Songs „Seven Nation Army“ an, wenn der italienische Stürmer Luca Toni in Ballbesitz kam. Bisher hat kein Fußballprofi den Mut aufgebracht,
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