Plenarprotokoll 19/32

Deutscher

Stenografscher Bericht

32. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) (AfD). 3011 B a) Erste Beratung des von der Bundesregie- (SPD). 3012 A rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- (BÜNDNIS 90/ haushaltsplans für das Haushaltsjahr DIE GRÜNEN). 3013 B 2018 (Haushaltsgesetz 2018) (CDU/CSU). 3014 C Drucksache 19/1700. 2971 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2017 bis 2021 Einzelplan 05 Drucksache 18/13001. 2971 B Auswärtiges Amt , Bundesminister AA. 3015 C Dr . Birgit Malsack-Winkemann (AfD). 3017 B Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Jürgen Hardt (CDU/CSU). 3019 A Dr . (AfD). 2971 B (FDP). 3020 C Dr. , Bundeskanzlerin. 2973 D (DIE LINKE). 3021 C (FDP). 2981 D Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ (SPD). 2986 A DIE GRÜNEN). 3022 C Dr . (DIE LINKE). 2990 A (SPD) . 3023 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ Armin-Paulus Hampel (AfD). 3024 D DIE GRÜNEN). 2993 B Michael Georg Link (FDP). 3026 C (CDU/CSU) . 2996 C Armin-Paulus Hampel (AfD). 3026 D Dr. (AfD). 2999 A Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU). 3027 A (Minden) (SPD). 3001 C Bijan Djir-Sarai (FDP). 3028 D (DIE LINKE). 3003 B (DIE LINKE). 3029 D Dr. (fraktionslos). 3004 A Dr. (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 3005 C DIE GRÜNEN). 3030 D Dr. (AfD). 3007 B (CDU/CSU). 3032 A (SPD). 3008 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD). 3033 A Monika Grütters, Staatsministerin BK. 3010 A (CDU/CSU). 3034 A II Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung , Mittwoch, den 16 Mai 2018

Einzelplan 14 Einzelplan 23 Bundesministerium der Verteidigung Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- Dr. , Bundesministerin sammenarbeit und Entwicklung BMVg. 3035 C Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ. 3057 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 3038 D (AfD). 3059 A Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg. 3039 A Volker Münz (AfD). 3060 A Rüdiger Lucassen (AfD). 3037 C Sonja Amalie Stefen (SPD). 3061 B Dr. (SPD). 3039 B Michael Georg Link (FDP). 3062 D Tobias Pfüger (DIE LINKE). 3041 A Michael Leutert (DIE LINKE). 3063 D Dr. Fritz Felgentreu (SPD). 3041 C (BÜNDNIS 90/ (FDP). 3041 D DIE GRÜNEN). 3065 A Michael Leutert (DIE LINKE). 3042 D Hermann Gröhe (CDU/CSU). 3066 B Dr. (BÜNDNIS 90/ Dietmar Friedhof (AfD). 3067 C DIE GRÜNEN). 3044 A (SPD) . 3068 D (CDU/CSU). 3045 B (FDP). Rüdiger Lucassen (AfD). 3047 A 3070 B Henning Otte (CDU/CSU). 3047 B Eva-Maria Elisabeth Schreiber (DIE LINKE) . 3071 B (AfD) . 3047 C (BÜNDNIS 90/ (SPD). 3048 C DIE GRÜNEN). 3072 B Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). 3049 C (CDU/CSU). 3073 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE). 3050 C Dr. (SPD). 3073 C (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU). 3075 A DIE GRÜNEN). 3051 B Carsten Körber (CDU/CSU). 3076 A Ingo Gädechens (CDU/CSU). 3052 B Jan Ralf Nolte (AfD). 3077 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). 3053 C Nächste Sitzung . Ingo Gädechens (CDU/CSU). 3053 D 3077 C (SPD). 3054 A Dr. (CDU/CSU). 3055 B Anlage Dr. Christoph Hofmann (FDP). 3056 B Entschuldigte Abgeordnete. 3079 A Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018 2971

(A) (C)

32. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Diesen Satz, der Kardinal Richelieu zugeordnet wird, Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte haben Sie sich ofensichtlich seit Jahrzehnten auf die nehmen Sie Platz. Die Sitzung ist eröfnet. Fahnen geschrieben; Bevor ich den ersten Einzelplan aufrufe, möchte ich (Beifall bei der AfD) darauf hinweisen, dass heute ein vom Bundestag beauf- tragter Fotograf Aufnahmen für Publikationen des Bun- denn pünktlich zur Vorstellung des Haushaltes beginnt destages machen wird. das Tarnen und Täuschen. Statt dem Souverän, dem Bürger, reinen Wein einzuschenken, werden vollmun- Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen – Tagesord- dige Sonntagsreden gehalten. Und dabei fühlen Sie sich nungspunkte 1 a und 1 b – fort: dem Schriftzug am Hohen Hause „DEM DEUTSCHEN a) Erste Beratung des von der Bundesregierung VOLKE“ ohnehin nicht mehr verpfichtet. Das Volk wollen Sie sich nämlich selbst aussuchen und zusam- (B) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die (D) Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das menstellen. Haushaltsjahr 2018 (Haushaltsgesetz 2018) (Beifall bei der AfD) Drucksache 19/1700 Sie reden von einer schwarzen Null – doch in Wahr- Überweisungsvorschlag: heit sitzen die Steuerzahler auf einem gewaltigen Schul- Haushaltsausschuss denberg, den die künftigen Generationen erben werden. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Dennoch binden uns die jeweiligen Finanzminister, wie gierung gestern auch Olaf Scholz, Jahr für Jahr einen Bären auf. Wie das gelingt? Ganz einfach: Im Bundeshaushalt wer- Finanzplan des Bundes 2017 bis 2021 den schlicht nicht alle Ausgabenposten aufgeführt. Denn: Drucksache 18/13001 Wo ist zum Beispiel der EU-Etat zu fnden? Richtig – gar nicht. Die rund 30 Milliarden Euro, die Deutschland Überweisungsvorschlag: nach Brüssel transferiert, werden im Budget verschwie- Haushaltsausschuss gen. Nach dem Brexit wird der Posten sogar noch größer. Für die heutige Aussprache haben wir eine Redezeit Die Haftungen und Garantien für andere Euro-Staaten, von insgesamt acht Stunden beschlossen. Wir beginnen Banken und die diversen Euro-Rettungsfonds sind gigan- mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und tisch, ganz zu schweigen von den TARGET2-Salden, mit des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. denen wir unsere Exporte nämlich selbst bezahlen. Das Wort hat die Fraktionsvorsitzende der AfD, (Beifall bei der AfD) Dr . Alice Weidel. Auch ist nur ein Teil der tatsächlichen Schulden über- (Beifall bei der AfD) haupt veröfentlicht. Es ist nämlich die Schattenver- schuldung, die Sie der jüngeren Generation wie einen Dr. Alice Weidel (AfD): Mühlenstein um den Hals gehängt haben. Der Ökonom Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Rafelhüschen hat in seiner Generationenbilanz nachge- Kollegen! wiesen: Auf unglaubliche 7 Billionen Euro beläuft sich die Gesamtverschuldung, die Bund, Länder und Gemein- Der Haushalt ist der Nerv des Staates. Daher muss den angehäuft haben, zuzüglich der zukünftigen Zahlun- er den profanen Augen des Untertanen entzogen gen und Verpfichtungen aus dem gesetzlichen Sozial- werden. versicherungssystem und Ihrer stattlichen Pensionen. Ich 2972 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Alice Weidel (A) stelle die Frage: Ist das eigentlich noch verantwortliches deutsche Rentensystem eingezahlt, sammelt am Wochen- (C) Haushalten? ende Flaschen vor dem Ruhrstadion, um seine kümmerli- che Rente aufzubessern. (Beifall bei der AfD) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Tante Sie reden von Verantwortung, doch in Wahrheit geben Alice erzählt Märchen!) Sie das Königsrecht des Parlamentes, die Budgethoheit, schamlos aus der Hand. „No taxation without represen- Zum anderen Sami A. Er ging früher auch einer be- tation“ – keine Besteuerung ohne Zustimmung des Par- schwerlichen Arbeit nach, er war Leibwächter von laments – ist Grundsatz einer jeden parlamentarischen ­Osama Bin Laden, hat nie ins deutsche Sozialsystem ein- Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht hat ganz gezahlt, fährt am Wochenende gern mit seinem Moped klar festgehalten: ins Grüne, erhält vom Staat 1 200 Euro pro Monat, und das seit sage und schreibe zehn Jahren. Das ist aus mei- Als Repräsentanten des Volkes müssen die gewähl- ner Sicht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die ten Abgeordneten des Deutschen Bundestages ... die Sie zu verantworten haben. Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. (Beifall bei der AfD) Der Deutsche Bundestag darf seine Budgetverant- Sie behaupten, der Haushalt sei zukunftsorientiert. Im wortung nicht durch unbestimmte haushaltspoliti- Gegenteil: Sie verbauen die Chancen der zukünftigen sche Ermächtigungen auf andere Akteure übertra- Generationen. Das Fundament unseres Staates sind die gen. Menschen, die hier leben und arbeiten. Es sind aber nicht nur die Menschen, die jetzt hier leben, sondern auch die- Sie haben aber dennoch den Rettungsschirmen, den jenigen, die in Zukunft hier leben werden. Ja, wir haben dauerhaften automatisierten Finanzierungsmechanismen die Hauptverantwortung für die Menschen, die Familien, zugestimmt, und Sie bejubeln die Pläne von Präsident die schon länger hier leben, und diesen Menschen haben Emmanuel Macron – kein Widerspruch zum gigantischen Sie zu dienen. Staatsaufgabe ist nämlich, das über Gene- Transfer von deutschem Steuergeld, kein Widerspruch zu rationen aufgebaute Volksvermögen treuhänderisch zum einem EU-Finanzminister. Ganz im Gegenteil: Es scheint Wohle des deutschen Volkes zu verwalten und es nicht Ihnen nicht schnell genug zu gehen, Verantwortung nach mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen; Paris und Brüssel zu übertragen – und damit das Steuer- geld, das Sie hier nie erarbeitet haben, sehr geehrte Da- (Beifall bei der AfD) men und Herren. denn Eigentümer sind die deutschen Bürger und nicht (Beifall bei der AfD) Sie, nicht die Regierung. (B) (D) Unser Haushalt ist sozial gerecht, behaupten Sie tat- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben sächlich. Deutschland hat eine der höchsten Einkom- Sie den Haushalt mal gelesen? Nee!) mens- und Ausgabenbelastungen aller westlichen Staa- Seit 1972 werden in Deutschland jedes Jahr weniger ten. Durch Ihre absurde Steuerpolitik sind vor allem die Kinder geboren, als Menschen sterben. Für die Überle- Verdiener mittlerer und kleiner Einkommen, vor allem bensfähigkeit eines leistungsfähigen Staates ist das ein die Familien belastet. Die Steuerzahler bluten zusätzlich Problem. Was haben Sie dagegen getan? Nichts, mit dem Abschmelzen ihrer Ersparnisse für die Zinser- sparnis, die sich der Staat über die Null- und Negativzin- (Sören Bartol [SPD]: Was haben Sie denn spolitik der EZB ermöglicht. Der Staat entschuldet sich getan?) also auf Kosten der Sparer und Steuerzahler. na ja, jedenfalls nichts Wirksames. Denn Sie setzen aus- (Beifall bei der AfD) schließlich auf kompensatorische Einwanderung – das sagen Sie ja die ganze Zeit. Bei muslimischen Zuwan- Und dann über die schwarze Null reden! Was ist daran derern schaut die Geburtenrate nämlich ganz anders aus. gerecht, was ist daran sozial, sehr geehrte Damen und Sogar die Aufettung der Einwohnerzahl durch zuge- Herren? Es ist nichts anderes als Steuerzahlerausbeutung wanderte Straftäter mit mehrfachen Identitäten scheint nach Gutsherrenart, was Sie hier praktizieren. Während Sie überhaupt gar nicht zu stören. Doch ich kann Ihnen die Infrastruktur dieses Landes zerfällt, der Staat seine sagen: Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messer- Bürger nicht mehr schützen kann, fießen Abermilliarden männer und sonstige Taugenichtse in die Aufnahme und Alimentierung illegaler Einwande- rer und in die Sozialsysteme. ( [SPD]: Was?) (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. Ulli werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum Nissen [SPD]) und vor allem den Sozialstaat nicht sichern. Es ist erschreckend: In spätestens 20 Jahren wird jeder (Beifall bei der AfD – Sören Bartol [SPD]: Das fünfte Rentner auf die Grundsicherung angewiesen sein. ist doch reine Verhetzung! – Volker Kauder Trotz eines harten Arbeitslebens haben heute unzählige [CDU/CSU]: Schämen Sie sich! – Weitere Senioren kaum genug zum Leben. Zwei Beispiele aus Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem Bochum: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Zum einen Herbert W. Bis Mitte der 70er-Jahre hat er Dazu, Herr Kauder, bedarf es einer qualifzierten und kei- unter Tage gearbeitet, später bei Opel, hat viele Jahre ins ner plan- und zügellosen, bildungsfernen Zuwanderung. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2973

Dr. Alice Weidel (A) Deutschland ist schon lange ein grenzenloses Einwande- zensteuersatz zu zahlen hat. Ich kann Ihnen sagen: Es ist (C) rungsland für Unqualifzierte und ein Auswanderungs- endlich Zeit für eine ehrliche Entlastung. land für Hochqualifzierte geworden. (Beifall bei der AfD) (Dr. [BÜNDNIS 90/DIE Viertens. Keine weitere Aushöhlung der Souveränität. GRÜNEN]: Sie freuen sich ofensichtlich an Die Hoheit über unseren Haushalt gehört nach Berlin und Ihrer eigenen Ekelhaftigkeit! Das ist wirklich nicht nach Brüssel. widerlich!) (Beifall bei Abgeordneten der AfD) Und was tun Sie dagegen? Wer soll in Zukunft für die Renten aufkommen? Wer zahlt denn Ihre stattlichen Pen- In diesem Sinne schließe ich mit einem Zitat des frü- sionen, auch Ihre, Herr Hofreiter, Sie Schreihals? heren tschechischen Präsidenten Zeman, das Ihnen auch schon die ehrenwerte ehemalige CDU-Abgeordnete (Beifall bei der AfD – Dr. Anton Hofreiter Erika Steinbach vorgetragen hat – ich zitiere –: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die AfD gewandt: Sie brauchen überhaupt nicht zu Falls Sie in einem Land leben, in dem Sie für das klatschen da drüben! – Gegenruf des Abg. Fischen ohne Angelschein bestraft werden, jedoch Jürgen Braun [AfD]: Schämen Sie sich! Herr nicht für den illegalen Grenzübertritt ohne gültigen Hofreiter, Sie sind ein hofnungsloser Fall!) Reisepass, dann haben Sie das volle Recht, zu sa- gen, dieses Land wird von Idioten regiert. Ihre eingewanderten Goldstücke etwa? Das glauben Sie doch wohl nicht im Ernst. (Beifall bei der AfD – Abgeordnete der AfD erheben sich – Zurufe von der SPD und dem Die Bürger scheinen Ihnen vollkommen egal zu sein. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Pfui! – Zurufe Sie wollen sich darauf beschränken, den Niedergang un- von der LINKEN: Buh!) seres Landes zu verwalten, teilweise haben wir den Ein- druck, dass Sie ihn sogar befeuern. Aber das wird wohl Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Ihrem Wertekanon entsprechen. Wenn eine Bundestags- Frau Kollegin Weidel, Sie haben in Ihrer Rede unter vizepräsidentin einem Transparent hinterherrennt, auf anderem die Formulierung „Kopftuchmädchen ... und dem steht „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“, und sonstige Taugenichtse“ gebraucht. Damit diskriminieren alle hier das mittragen, indem sie zur Bundestagsvizeprä- Sie alle Frauen, die ein Kopftuch tragen. sidentin gewählt wird – ich spreche von –, dann muss man sich über nichts mehr wundern hier in (Dr. Alice Weidel [AfD]: Nein!) diesem Hohen Haus. (B) Dafür rufe ich Sie zur Ordnung. (D) (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der Die AfD hingegen tritt für Verantwortung, Gerech- FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ tigkeit und für eine lebenswerte Zukunft ein. Deshalb DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜND- fordern wir erstens einen schonungslosen Kassensturz. NIS 90/DIE GRÜNEN]: So sind sie halt! Alle Zahlen müssen endlich ofen auf den Tisch gelegt Ekliges Zeug! – Gegenruf des Abg. Jürgen werden. Braun [AfD]: Reißen Sie sich zusammen, Frau Haßelmann! – Gegenruf der Abg. Britta Zweitens. Wir fordern, den Sozialstaat endlich zu si- Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: chern und die Zukunft zu gestalten. Die Strategie des Ge- Von Ihnen brauche ich keine Ratschläge!) nerationenersatzes durch eine ungeregelte Zuwanderung, teilweise aus frauenverachtenden Stammeskulturen, hat Jetzt erteile ich das Wort der Bundeskanzlerin sich als Holzweg erwiesen. Dr . Angela Merkel. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) NEN]: Geht es Ihnen jetzt eigentlich besser?) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Wohlstand kann nur gesichert werden, wenn in sichere Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen, gu- Grenzen und in die kommenden Generationen investiert ten Morgen! wird. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der AfD) ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Drittens. Wir wollen echte Steuergerechtigkeit. Mit- DIE GRÜNEN) tel- und Geringverdiener müssen endlich ehrlich belastet Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist für jeder- werden. Dazu muss der Grundfreibetrag endlich angeho- mann erkennbar, dass der Haushalt 2018 und die dazu- ben werden. 2 000 Euro brutto im Monat steuerfrei, das gehörige mittelfristige Finanzplanung wieder sehr gute wäre doch einmal visionär; Daten aufweisen. (Beifall bei der AfD) (Lachen bei der AfD) denn es kann doch nicht sein, dass ein Facharbeiter be- Das ist außerordentlich erfreulich. Es wird inzwischen reits beim 1,3-Fachen des Durchschnittslohnes den Spit- manchmal schon für selbstverständlich gehalten. Aber 2974 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) dass wir die höchste Beschäftigung seit der Wiederver- der Krim, die Probleme in der Ostukraine, 2014 der IS in (C) einigung haben, dass wir seit 2014 keine neuen Schulden Syrien und im Irak, machen, das ist alles andere als selbstverständlich. (Zuruf von der AfD: Und in Deutschland!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der Völkermord an den Jesiden im Irak und die in Rak- Wir werden im nächsten Jahr erstmals seit 2002 mit ka, geplanten Attentate, die Paris – „Charlie Hebdo“ – so der Gesamtverschuldung wieder dort liegen, wohin der erschüttert haben. Die sicherheitspolitische Situation in Europäische Stabilitätspakt uns verweist, nämlich unter- unserer Nachbarschaft hat sich gravierend verändert. Das halb von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2012, hat tiefgreifende Auswirkungen, auch auf uns. Sie zeigen nach der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, uns einmal mehr: Ein Land alleine kann mit Sicherheit lag die Gesamtverschuldung bei knapp 80 Prozent. Dass Sicherheit nicht garantieren. Deshalb ist uns bewusst ge- wir das schafen, das ist nichts anderes als Generationen- worden, was wir vielleicht oft fast schon stereotyp ge- gerechtigkeit pur und das Denken an die Menschen, die sagt haben: Unsere Sicherheit hängt unaufösbar mit der nach uns leben werden. Deshalb ist das gut. unserer Nachbarschaft zusammen; Deutschland braucht (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) für seine eigene Sicherheit eine Einbindung in Bündnis- se als Mitglied der Europäischen Union und als Mitglied Der Internationale Währungsfonds hat in seinen ge- der NATO. Trotz aller Schwierigkeiten, die wir in diesen rade abgeschlossenen Artikel-IV-Konsultationen, die er Tagen haben, sind und bleiben die transatlantischen Be- mit Deutschland geführt hat, die Entwicklung der deut- ziehungen deshalb von herausragender Bedeutung. Das schen Volkswirtschaft als – ich zitiere – „beeindruckend“ bleibt eine Konstante. bezeichnet. Fiskalische Spielräume sollten genutzt wer- den, um das Wachstumspotenzial zu erhöhen, staatliche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Investitionen in die Infrastruktur sollten getätigt werden, ordneten der SPD) Investitionen in Bildung sollten gestärkt werden, Verfah- ren sollten beschleunigt werden. Das ist genau das, was Aber diese transatlantischen Beziehungen müssen wir in unserem Koalitionsvertrag niedergelegt haben und Meinungsunterschiede aushalten, auch gerade in diesen was sich auch in diesem Haushalt widerspiegelt. Das fn- Tagen. Das zeigt sich insbesondere an der Kündigung des det also auch international durchaus Unterstützung. Nuklearabkommens mit dem Iran durch die Vereinigten Staaten von Amerika. Wir haben über ein Jahrzehnt ver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- handelt, um dieses Abkommen zustande zu bringen. Die- ordneten der SPD) ses Abkommen ist alles andere als ideal; aber der Iran hält sich nach allen Erkenntnissen der Internationalen (B) Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, unabhän- (D) gig von diesen guten Zahlen und Werten erreichen uns Atomenergiebehörde an die Verpfichtungen aus die- täglich beunruhigende Nachrichten aus allen Teilen der sem Abkommen. Dieses Abkommen ist einstimmig vom Welt, leider auch aus Teilen, die sehr nah an der Europä- UN-Sicherheitsrat indossiert worden. Deshalb glauben ischen Union liegen: wir, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, aber mit uns auch die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen ( [AfD]: Auch aus Deutsch- Union, dass es nicht richtig ist, dieses Abkommen jetzt, land!) in dieser Situation zu kündigen. die schrecklichen Bilder aus Syrien inklusive der Bilder (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie von Giftgasangrifen in jüngster Zeit, die Kündigung des bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und Atomabkommens mit dem Iran durch die Vereinigten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Staaten von Amerika, die Bombardierung von Stellun- gen auf den Golanhöhen durch den Iran, ein drohender Das bedeutet nicht etwa, dass wir mit dem, was der Handelsstreit zwischen den USA und der Europäischen Iran ansonsten tut, zufrieden sein können. Wir müssen Union, tägliche Wafenstillstandsverletzungen an der über mehr sprechen: über das ballistische Raketenpro- Kontaktlinie in der Ukraine, Terroropfer, auch am letzten gramm, über den Einfuss, den der Iran und die Hisbollah Wochenende wieder in Paris und in Indonesien; 70 Jahre in Syrien ausüben und über andere Fragen. Die Frage, Israel, das war ein Tag zum Feiern, und trotzdem 59 tote die wir zu beantworten haben und die wir so anders be- Palästinenser und viele, viele Verwundete. antwortet haben als die Vereinigten Staaten von Ameri- ka, lautet aber: Kann man besser sprechen, wenn man Wir verfolgen diese Schlagzeilen täglich, die uns vor dieses Abkommen kündigt, oder kann man besser spre- Augen führen, in welch unruhiger und auch unübersicht- chen, wenn man in diesem Abkommen bleibt? Wir glau- licher Welt wir leben. Wir wissen inzwischen, dass wir ben, dass man besser miteinander weiterreden kann und uns von diesen Ereignissen nicht abkoppeln können. muss – ich sage das ausdrücklich, weil das ballistische (Zuruf von der AfD: Deswegen lassen wir Raketenprogramm auch und gerade eine Gefährdung der alle rein!) Sicherheit Israels ist –, wenn man in diesem Abkommen bleibt. Nach dem Arabischen Frühling, der von vielen auch als arabisches Beben bezeichnet wird, ist die Region vor (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie unserer Haustür unruhig geworden: der Bürgerkrieg in bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Syrien seit 2011, der Sturz von Gaddaf in Libyen mit NISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. dem Zerfall der staatlichen Ordnung, 2014 die Annexion [DIE LINKE]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2975

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Genau in diesem Sinne hat der Bundesaußenminister ge- militärische Gewalt einsetzen. Aber militärische Gewalt (C) rade gestern Abend wieder Gespräche geführt. alleine wird das Problem nicht lösen. Wir haben – so- zusagen symptomatisch dafür – in unserem Koalitions- Wir wissen auch – das zeigt sich jeden Tag drängen- vertrag vereinbart, dass wir die Entwicklungsausgaben der –, dass wir natürlich eine politische Lösung in Syrien und die Verteidigungsausgaben eins zu eins erhöhen, brauchen, dass das Leben der Menschen in Syrien unter um deutlich zu machen, dass uns dieser vernetzte Ansatz einem unglaublichen Schrecknis abläuft. Die Hälfte der nicht irgendein, sondern ein zentrales Anliegen ist. Bürgerinnen und Bürger Syriens ist inzwischen auf der Flucht: ein großer Teil innerhalb Syriens, ein anderer Teil (Beifall bei der CDU/CSU) außerhalb Syriens. Aber wir müssen Verpfichtungen auf allen Seiten Beim Kampf gegen den IS sind wir vorangekommen. einhalten; das heißt, die ODA-Quote, die wir noch nicht Deutschland hat sich an der Anti-IS-Koalition und an den erreicht haben, auf der einen Seite und die Ziele von Wa- Operationen gegen Daesh beteiligt, durch Ausbildung les bzw. der NATO auf der anderen Seite. Diesen Zielen der Peschmerga im Irak und durch Luftüberwachung. fühlen wir uns verpfichtet. Das haben wir auch im Koali- Aber inzwischen ist aus dem Bürgerkrieg in Syrien, dem tionsvertrag niedergelegt. Der Bundesfnanzminister hat Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, ein Regi- gestern gesagt – mit seiner Erlaubnis darf ich ihn zitie- onalkonfikt gigantischen Ausmaßes geworden, der ohne ren –: „Ein verteidigungspolitisches Konzept wird nicht Russland, ohne die Türkei, ohne den Iran, ohne Sau- schon dadurch gut, dass es teuer ist.“ di-Arabien, ohne Jordanien und im Grunde auch ohne Europa nicht zu lösen ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Aber wahr ist auch – der Schriftsteller Mathias Énard, GRÜNEN) der gerade den Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stif- tung bekommen hat, hat das beklemmend zu Papier ge- Das stimmt; das ist unbestritten. Aber die Frage lautet ja bracht –: Europa ist immanent betrofen und hat gleich- anders. Die Frage lautet: Was brauchen wir für eine Bun- zeitig zur politischen Lösung dieses Konfikts bisher nicht deswehr, damit sie den heutigen Anforderungen Rech- ausreichend beigetragen; ich sage das auch selbstkritisch. nung trägt? Deshalb sind wir froh, dass wir jetzt der sogenannten Small Group angehören, in der Frankreich, Großbritan- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nien, Deutschland, Jordanien, Saudi-Arabien und die ordneten der SPD) USA gemeinsam nach Lösungen suchen. Natürlich muss Ich möchte an dieser Stelle auf das Weißbuch 2006, aber auch die sogenannte Astana-Gruppe – Türkei, Iran das wir auch in einer Großen Koalition verabschiedet und Russland – mit in die Gespräche einbezogen werden. (B) haben, hinweisen. In diesem Weißbuch haben wir uns (D) Das kann bedeuten, dass wir endlich auch die Arbeit des voll auf die Auslandseinsätze konzentriert. Damals galt UN-Vermittlers de Mistura besser unterstützen können. der Satz von Peter Struck, den er richtigerweise gesagt Ich glaube, es ist aller Mühe wert – obwohl ich mir keine hat: „Die Sicherheit Deutschland wird auch am Hindu- Illusionen hinsichtlich der Kompliziertheit dieses Kon- kusch“ – „Hindukusch“ steht pars pro toto – „verteidigt.“ fikts mache –, dass wir uns politisch stärker engagieren. Das war absolut richtig. Das wird die Bundesregierung tun. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD – Lachen bei der AfD – Be- Auch für einen anderen Konfikt in unserer Umge- atrix von Storch [AfD]: Quatsch!) bung, mit dem wir uns schon viel beschäftigt haben, dem zwischen Russland und der Ukraine, gibt es nur eine Aufgrund der Ereignisse im Jahre 2014 und aufgrund politische Lösung; militärisch ist er nicht zu lösen. Wir dessen, was vor unserer Haustür passiert – zum Beispiel tun das im Normandie-Format. Wir versuchen, das Ab- auch im Raum Syrien –, hat die NATO 2014 beschlos- kommen von Minsk wiederzubeleben, obwohl es schon sen – das haben wir im Übrigen im Weißbuch 2016 nach- deprimierend ist, dass es jede Nacht zu Wafenstillstands- vollzogen –, dass neben den Auslandseinsätzen auch die verletzungen an der Kontaktlinie kommt und dass es im- Landes- und Bündnisverteidigung wieder von größerer mer wieder Behinderungen der OSZE-Beobachter gibt, Bedeutung sind. denen ich im Übrigen von dieser Stelle aus einmal herz- Genau an diesem Punkt sind wir bei den Herausfor- lichen danken möchte. derungen, vor denen die Bundeswehr und natürlich auch (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP die Bundesregierung gestellt sind. Wir müssen unsere und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Soldatinnen und Soldaten nicht nur in den Auslandsein- bei Abgeordneten der LINKEN) sätzen so ausrüsten und ausstatten, dass sie ihre Einsätze gut absolvieren können, sondern wegen der Landes- und Jahre über Jahre dort diese Arbeit zu tun, das sind wirk- Bündnisverteidigung müssen sie gleichermaßen auch zu lich friedenssichernde Maßnahmen. Hause in viel größerer Breite Material und Ausrüstung Deutschland hat immer den vernetzten Ansatz befür- zur Verfügung gestellt bekommen, um die zusätzlichen wortet. Die neue Bundesregierung wird dies verstärkt Aufgaben, die wir heute haben, bewerkstelligen zu kön- tun. Wir wissen: Wir können solche Probleme nur lösen, nen: die Luftraumüberwachung im Baltikum, die Rück- indem wir Entwicklung betreiben, indem wir politische versicherung für Polen und die drei baltischen Staaten – Lösungen suchen und indem wir als Ultima Ratio auch dafür sind wir als Rahmennation in Litauen tätig –, die 2976 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Verstärkung des Korps in Stettin und die Engagements in ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus, die (C) Rumänien und Bulgarien. Europäische Union liegt im Mittel unter 2 Prozent. Mit 178 Wafensystemen kann man überhaupt nicht efzient Dafür muss man schneller Truppen verlegen können sein. Das heißt, eine große Aufgabe wird darin bestehen, und nicht nur jeden hundertsten Soldaten vernünftig aus- dahin zu kommen, dass wir mit einheitlichen Systemen statten – diese Zahl habe ich einfach mal herausgegrifen; viel efzienter und in der Ausbildung auch viel einfacher ich bin keine Expertin –, während alle anderen mit wenig miteinander agieren können. Daraus werden wir auf lan- Übungsgerät auskommen müssen. Um diese Aufgaben ge Zeit einen großen Nutzen ziehen können. Das ist alle- schultern zu können, muss in großer Breite entsprechen- mal richtig und ein Riesenfortschritt, der zu einem neuen de Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden. Das ist Pfeiler in der europäischen Zusammenarbeit führt. eine Aufgabe, vor der die Bundeswehr steht. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die zweite Aufgabe ist, die große Herausforderung der ordneten der SPD) Digitalisierung zu bewältigen. Hier geht es zum einen um die Digitalisierung der Strukturen der Bundeswehr, zum Die dritte große Aufgabe, die Europa zu schultern hat, anderen aber auch um völlig neue Fähigkeiten, zum Bei- ist die Beantwortung der Frage, wie wir die Migration re- spiel die Cyberfähigkeit. Es war richtig, ein Cyberkom- geln und steuern. Das wird ein Thema sein, das uns über mando einzurichten; denn die hybride Kriegsführung ist Jahre – ich sage: Jahrzehnte – beschäftigen wird, mit der zum Beispiel Teil der Militärdoktrin Russlands – ganz Nachbarschaft Syriens, aber vor allen Dingen dann auch ofziell beschrieben. Darin sind sie gut; und hier müssen mit der Nachbarschaft Afrikas. wir natürlich wehrhaft sein können. Ansonsten werden Deshalb ist es richtig, dass wir an einem gemeinsa- wir keine Chance haben. men europäischen Asylsystem arbeiten. Deshalb war es (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- richtig, Frontex einzuführen. Aber mit knapp 1 400 Poli- ordneten der SPD) zisten bei Frontex werden Sie die Außengrenzen der Eu- ropäischen Union mit Sicherheit nicht schützen können. Es geht nicht um Aufrüstung, sondern ganz einfach um Ausrüstung. Ich fnde, darüber sollten wir einen ru- ( [AfD]: Die können Sie higen Dialog führen, zum Beispiel auch mit dem Wehr- doch sowieso nicht schützen!) beauftragten, der das alles wunderbar ausdrücken kann – Deshalb ist eine der großen Aufgaben der Zukunft, Fron- insbesondere in seinen Berichten. Wir sollten einfach tex zu stärken und vernünftig auszurüsten, helfen, dass auch der Wehrbeauftragte wieder positive Berichte schreiben kann. (Jürgen Braun [AfD]: Das haben Sie ja nicht getan!) (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (D) ordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/ und Deutschland wird dazu seinen Beitrag leisten, meine CSU]: Er freut sich gerade! – Beatrix von Damen und Herren. Storch [AfD]: Wer hat die letzten Jahre re- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- giert? – Jürgen Braun [AfD]: Wer war Bun- ordneten der SPD und der FDP) deskanzlerin?) Wir wissen auch: Abschottung alleine wird nicht hel- Meine Damen und Herren, daran zeigt sich, dass wir fen, wenn wir nicht auch Ursachen von Flucht und Ver- unsere Außenpolitik natürlich auf Multilateralismus aus- treibung bekämpfen. Ich habe über die politische Lösung richten. Der Multilateralismus steht im Augenblick unter in Syrien und über den Kampf gegen den IS im Irak ge- großem Druck. Wir wissen: Weil der Multilateralismus sprochen. Und die große Aufgabe – Gerd Müller würde unter so großem Druck steht, muss Europa sein eigenes jetzt den Marshallplan mit Afrika nennen, was ich unter- Schicksal stärker in die eigenen Hände nehmen, als das stütze – heißt hier, auch wieder in einer gemeinsamen eu- bislang der Fall war. Deshalb brauchen wir europäische ropäischen Kraftanstrengung – denn unsere europäische Antworten. Entwicklungspolitik ist nicht immer efzient – wirklich Es war eine gute Nachricht, dass wir in sehr kurzer zur Entwicklung von Afrika beizutragen. Zeit nach dem Schock, den wir hatten, als Großbritan- Das hat zwei Komponenten. Die eine Komponente nien beschlossen hat, aus der Europäischen Union aus- ist die humanitäre Hilfe. Wir haben das erlebt. Als die zutreten, als Erstes ein jahrzehntelang ruhendes Projekt Flüchtlinge in Jordanien und Libanon kein Geld mehr auf die Beine gebracht haben, nämlich eine europäische hatten, um Lebensmittel zu kaufen und ihre Kinder zu Verteidigungsunion, eine strukturierte Zusammenarbeit. beschulen, war der Druck, zu fiehen, ins Unermessliche Im Rahmen dieser strukturierten Zusammenarbeit gibt gewachsen. es jetzt erste Projekte. Bei einigen dieser Projekte über- nimmt Deutschland im Übrigen auch Verantwortung. (Jürgen Braun [AfD]: Wer war denn Kanzler zu dem Zeitpunkt?) Die wichtige Botschaft ist aber eigentlich eine andere: Wenn Sie sich die Zahl der Wafensysteme der Mitglied- Aber wenn Sie sich heute die Budgets der UN-Hilfsor- staaten der Europäischen Union anschauen, dann sehen ganisationen anschauen, dann ist die Wahrheit: Obwohl Sie, dass wir auf stolze 178 kommen. Wenn Sie sich die wir ein Vielfaches mehr tun, ist international längst nicht Zahl der Wafensysteme der Vereinigten Staaten von so viel getan worden, wie getan worden sein müsste. Alle Amerika ansehen, dann sehen Sie, dass sie auf 30 kom- Budgets, ob UNHCR, ob Welternährungsprogramm, sind men. Die Vereinigten Staaten geben rund 3,5 Prozent dramatisch defzitär, und wir müssen unsere Stimme, wo Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2977

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) immer es geht, erheben und natürlich auch unseren Bei- Deshalb ist es richtig und gut, den ESM weiterzuentwi- (C) trag für diese humanitären Fragen leisten. ckeln, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Nein!) Aber es darf natürlich jetzt auch nicht so sein, dass wir den gesamten Entwicklungsetat sozusagen für humani- ihm auch Aufgaben zu geben in Richtung eines interna- täre Hilfe umwidmen. Denn Entwicklung fndet ja nicht tionalen Währungsfonds. Das können wir alleine. Und ausreichend statt. Dann ist es auch richtig, dass wir uns deshalb stimme ich auch zu, dass, wenn der Risikoab- fragen: Sind unsere Mittel und Methoden der Entwick- bau national weit vorangegangen ist, wir einen Common lungshilfe eigentlich ausreichend? Ich sage, nein. Die Backstop haben und dieser Common Backstop auch klassische Entwicklungshilfe alleine reicht nicht aus. Wir beim ESM angesiedelt sein könnte, so wie der Bundesf- müssen überlegen, wie wir wirtschaftlichen Schwung in nanzminister das gestern gesagt hat. die Dinge bringen, wie wir auch mit Kreditinstrumenten, (Zuruf von der AfD: Ein Irrweg!) mit Hermes und vielem anderen mehr, noch mehr Inves- titionen in Afrika möglich machen, aber natürlich auch Dann haben wir die Aufgabe, zu überlegen: Wie kön- durch das, was Wolfgang Schäuble in der G-20-Präsi- nen wir die Konvergenz der Euro-Zone und die Stabilität dentschaft gemacht hat: durch bessere Rahmenbedingun- der Euro-Zone sicherstellen? gen – Compact with Africa – ein gutes Investitionsum- (Zuruf von der AfD: Mit Steuergeld!) feld schafen. Anders wird wirtschaftliche Entwicklung dort nicht in Gang kommen. Nur mit staatlichen Geldern Da fnden im Augenblick Gespräche statt. Wir haben im wird das nicht klappen, meine Damen und Herren. Augenblick zwei Projekte. Das eine Projekt ist die Eu- ro-Zone, auch die fnanzielle Ausstattung, meinetwegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und ein Investitionshaushalt oder Ähnliches, wie wir es in der SPD) unserer Koalitionsvereinbarung geschrieben haben. Aber Natürlich brauchen wir viertens in Europa eine Stär- gleichzeitig haben wir die Beratungen zur mittelfristigen kung der Wirtschafts- und Währungsunion. Wir sind fnanziellen Vorausschau in Europa. Jetzt sage ich mal: durch die Krisen gekommen. Der Finanzminister ist großzügig, aber irgendwie gelten auch für ihn die Grundrechenarten. Das heißt, deutlich (Lachen bei der AfD) mehr in den europäischen Haushalt und noch deutlich mehr in den Euro-Zonen-Haushalt geben und trotzdem Wir haben heute eine Situation, in der alle europäischen die Stabilitätskriterien einhalten, das ist natürlich nicht Mitgliedstaaten, die den Euro haben, wieder wachsen. ganz einfach. Deshalb werden wir mit Frankreich genau (B) Die Beschäftigung steigt. Aber das kann uns nicht zufrie- über die Wechselwirkungen sprechen: Was müssen wir (D) denstellen, weil wir natürlich wissen, dass im Augenblick in den Haushalt packen? Nach dem Austritt Großbri- die Europäische Zentralbank eine Politik fährt, die nicht tanniens sind 85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der auf Dauer so weitergehen wird. Deshalb ist die Aufgabe, Europäischen Union in der Euro-Zone. Weitere Frage: die Euro-Zone nachhaltig zu stärken und krisenfest zu Was müssen wir speziell als Absicherung gegebenen- machen, ferner, dass es darüber intensive Diskussionen falls noch im Euro-Haushalt machen? Diese Gespräche gibt und dass wir darüber sprechen, was die nationale fnden statt, und wir werden bis zum Juni-Rat darüber Verantwortlichkeit ist. Einvernehmen erzielen. Das ist im Übrigen die einzige Viele der Politiken in Europa sind nicht vergemein- noch richtig ofene Frage – unter all den Vorschlägen, die schaftet. Wir können alleine kein Handelsabkommen gemacht wurden. Ich glaube, dass wir schon ganz schön mehr abschließen, aber wir können natürlich alleine weit vorangekommen sind. Arbeitsmarktpolitik machen. Jeder hat das in nationaler (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Verantwortung. Die Budgethoheit ist in nationaler Ver- antwortung. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit bzw. Dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, geht es natür- der Genehmigungen ist in vielen Bereichen – nicht in lich auch um die Erweiterung. Hier geht es im Wesent- allen; vieles ist auch europäisch geregelt – in nationa- lichen um die Frage: Wie geht es weiter mit dem west- ler Verantwortung. Deshalb liegt die Aufgabe zualler- lichen Balkan? Ich werde heute nach Sofa fiegen. Wir erst zu Hause, in den einzelnen Mitgliedstaaten, dazu werden uns morgen mit Vertretern der Mitgliedstaaten beizutragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit besser wird, des westlichen Balkans trefen. Dass sie die europäische und zwar nicht besser gegenüber unserem europäischen Perspektive haben, ist unbestritten. Jetzt ist die Frage: Durchschnitt, sondern besser gegenüber dem, was global Wie und unter welchen Bedingungen können wir das notwendig ist. machen? Aber ich kann nur sagen: Der westliche Bal- kan und die Situation dort entscheiden über Krieg und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Frieden in unserer absoluten Nachbarschaft. Schauen Sie ordneten der SPD) nur, wie schnell dort die Funken hochschlagen zwischen Die globale Sicht auf eine gemeinsame Währungsuni- Serbien und Kosovo, innerhalb von Bosnien und Herze- on ist so, dass man sagt: Ihr müsst auch irgendwo Letzt- gowina, wie schwierig es ist, die Namensfrage von Ma- verantwortung haben. Wir wollen wissen, ob ihr alle ge- zedonien zu klären, wie man um Grenzabkommen ringt. meinsam zum Euro steht. Kosovo hat nun endlich mit Montenegro ein Grenzab- kommen geschlossen – ein Riesenerfolg, wenn man sich (Zuruf von der AfD: Nein!) vor Augen führt, dass selbst heute noch keine Klarheit 2978 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) zwischen Slowenien und Kroatien über den Seezugang litätsbereich bei der Digitalisierung vorne mit dabei sind. (C) herrscht, obwohl Kroatien und Slowenien Mitglieder der Bei der Digitalisierung im Konsumentenbereich haben Europäischen Union sind. Im Übrigen ist das wieder ein wir den Anschluss ja verloren. Da nutzen wir alle asia- Grund, zu sagen: Bevor Grenzfragen nicht geklärt sind, tische oder amerikanische Geräte; daran haben wir uns niemals Beitritt eines Landes! Das muss ich im Rück- gewöhnt – okay. Das werden wir auch so schnell nicht blick sagen. aufholen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Aber jetzt, wo es um unsere industriellen Grundlagen ordneten der SPD) geht, um das Internet der Dinge – wir sind ein Land, das noch eine hohe industrielle Wertschöpfung hat –, da müs- Es ist immens wichtig, dass wir uns um diese Fragen sen wir vorne mit dabei sein. Da reichen Platz fünf, Platz kümmern und zur wirtschaftlichen Stärkung beitragen. sechs oder sonst was nicht aus; sonst werden wir kein Das alles ist wichtig für Europa. Um unser Wohl- führendes Industrieland mehr sein. standsversprechen in Europa einzuhalten, geht es jetzt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – auch um die Schafung eines digitalen Binnenmarktes. Dr. Alice Weidel [AfD]: Wir sind schon lange Wir haben eine Unzahl von Verordnungen, die wir um- nicht mehr vorne dabei!) setzen oder noch verhandeln müssen. Hier geht es sehr stark um die Wettbewerbsfähigkeit Europas, und deshalb Ich fange bei der Mobilität an. Die Mobilität wird sich geht es auch sehr stark um die Wettbewerbsfähigkeit dramatisch verändern. Deshalb ist es natürlich nicht nur Deutschlands. zu kritisieren, sondern eigentlich auch unfassbar, sage ich mal, welches Vertrauen die deutsche Automobilindustrie Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe das schon im Zusammenhang mit dem Dieselskandal verspielt hat. oft gesagt und sage das heute wieder: Vielleicht ist das ambitionierteste Projekt – weil wir zum Teil ganz neu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der denken müssen – die Frage: Wie gestalten wir diesen um- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- fassenden gesellschaftlichen Wandel, der mit der Digita- NEN) lisierung verbunden ist? Es geht nicht nur darum, dass Es ist jetzt unsere Aufgabe, der Industrie zu sagen: Ihr wir die Infrastruktur ausbauen müssen; das müssen wir müsst verlorengegangenes Vertrauen selber wiedergut- auch. Und da können wir auch besser werden. machen; das ist nicht die Aufgabe der Politik. ( [AfD]: Oh ja! Sehr viel bes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ser!) ordneten der SPD) Eines Tages muss es möglich sein, die App wieder abzu- Aber ich sage auch: Es kann auch nicht in unserem (B) schafen, mit der man die Funklöcher der Bundesnetz- (D) Interesse sein, dass wir durch politische Maßnahmen die agentur mitteilt. Allerdings zu glauben, dass es reicht, Automobilindustrie so schwächen, dass sie keine Kraft dies den Telekommunikationsanbietern mitzuteilen, ist mehr für die eigentlichen Zukunftsinvestitionen hat. Das nicht sehr erfolgversprechend, weil damit die Funklöcher ist die Auseinandersetzung, die wir jetzt führen, zum Bei- noch nicht weg sind. Die Anbieter brauchen manchmal spiel um Hardwarenachrüstung. Druck. Natürlich müssen wir nach der Tatsache, dass wir uns auf den 50-Megabit-pro-Sekunde-Ausbau konzen- Die Gutachten liegen jetzt auf dem Tisch. Sie müssen triert haben, in Zukunft nur noch Breitbandanschlüsse, bewertet werden. Dann werden wir auch die Kommunen also Glasfaser oder Kabel, fördern; das ist klar. Dazu ha- wieder einladen. Dann wird das Forum Diesel tagen. ben wir die entsprechenden Programme, dazu haben wir Aber, meine Damen und Herren, Tausende von Euro – die Vorhaben. Der Bundesfnanzminister hat gesagt, dass egal ob es 2 000, 3 000 oder 5 000 sind – und zwei bis zusätzliche Mittel in einen Digitalfonds kommen, damit drei Jahre Beschäftigung zahlreicher Ingenieure mit der wir anfangen können und nicht wieder zwei Jahre warten Frage, wie man die Typenzulassung kriegt, weil man an müssen, bevor es endlich losgeht. dem Motor etwas geändert hat: Ist das die richtige Be- schäftigung für die Automobilindustrie? Oder müssen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wir nicht alle Kräfte zusammennehmen und der Automo- Die Ausschreibungen müssen so sein, dass die Leute vor bilindustrie sagen: „Ihr müsst jetzt in die Mobilität der Ort die Mittel auch nutzen können und nicht in Bürokra- Zukunft investieren, ins autonome Fahren, in alternative tie ersticken; auch das haben wir gelernt. Daran werden Antriebe; dabei unterstützen wir euch“? wir arbeiten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aber das geht ja weiter. Es geht um Forschung und Da gibt es für mich einen Punkt, der mich seit Jahren Entwicklung. Wir zählen zu den fünf Ländern, die am umtreibt. Ich bin froh, dass da bei der Wirtschaft jetzt meisten für Forschung und Entwicklung ausgeben. Aber ein Umdenken stattfndet: die Tatsache, dass behauptet es ist richtig, dass wir uns vorgenommen haben, den An- wird, die Batteriezellproduktion könnten wir in Europa teil, der heute bei 2,94 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr haben. Ich sage Ihnen: Die Batterie macht liegt, auf 3,5 Prozent im Jahre 2025 zu erhöhen, weil es rund 40 Prozent der Wertschöpfung eines Autos der Zu- heute Länder gibt, die bereits diese 3,5 Prozent erreicht kunft aus – jetzt nehmen wir mal an, die Elektromobilität haben. ist die Antriebstechnologie der Zukunft, was nicht sicher Da ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, ist –, und dazu kommt noch 20 bis 30 Prozent digitale dass wir im industriellen Bereich, insbesondere im Mobi- Wertschöpfung. Der eine Teil kommt dann aus Amerika Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2979

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) oder Asien; der andere Teil, die Batterie, kommt auch, als solche plus die Fähigkeit, riesige Mengen an Daten (C) defnitiv, aus Asien. Was ist dann noch die Wertschöp- zu verarbeiten. fung, die wir hier in Europa haben? Jetzt ist es bei der künstlichen Intelligenz so: Sie ent- Deshalb sage ich: Wir brauchen eine strukturierte För- wickelt sich nur gut, wenn sie viele große Datenmengen derung. Die Europäische Kommission sieht solche Mög- verarbeiten kann. Bei den Datenmengen ist natürlich die lichkeiten vor. Wir machen das jetzt schon bei Chips, wo Frage – wir reden gerade über die Umsetzung der Daten- wir eine Kraftanstrengung vornehmen, um auch in die schutz-Grundverordnung –: Wie hantieren wir mit den Zellproduktion einzusteigen. Nur, ohne wirtschaftlichen Daten, und wie stellen wir viele – im Übrigen: oft ano- Druck und ohne wirtschaftliche Mitmacher geht das na- nymisierte – Daten zur Verfügung? Aber zu glauben, wir türlich nicht; das können wir nicht als Staat machen. Des- könnten bei der künstlichen Intelligenz vorne sein und halb bin ich dankbar, dass einige in der Automobilindus- bei den Daten so restriktiv wie möglich sein, ist genauso, trie da umdenken. Wir werden das unterstützen. wie wenn man Kühe züchten will und ihnen kein Fut- ter gibt; das ist einfach so. Deshalb ist die Kommission (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- „Ethik der Daten“ wichtig, aber sie darf nicht so enden, ordneten der SPD) dass Daten sozusagen zum raren Gut gemacht werden. Wir brauchen die konsequente Digitalisierung von Aus Daten kann man nämlich neue Produkte entwickeln. Verwaltung, was im Übrigen kompatibel mit der Gesund- (Unruhe bei der SPD) heitskarte sein sollte. Das sage ich dem Geburtstagskind heute mal. Er hat heute Geburtstag. – Es wird regelmäßig ein bisschen unruhig, wenn ich über so etwas spreche. Aber ich meine das ziemlich ernst. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- Die Tatsache, dass Daten zu einem wichtigen Faktor NISSES 90/DIE GRÜNEN) in der sozialen Marktwirtschaft werden, bedeutet im Grunde, dass wir neu denken müssen: vom Steuersystem Wir brauchen einen Zugang der Bürgerinnen und bis zu den sozialen Sicherungssystemen. Wir erleben das Bürger für alle Verwaltungsleistungen. Das zu schafen, ja bei Folgendem: Natürlich ist es nicht in Ordnung, dass wird natürliche eine große Kraftanstrengung sein. Und Google, Amazon, Facebook – und wie sie alle heißen; wir brauchen eine nationale Bildungsofensive, sowohl „GAFA“, wie man so schön sagt – keine Steuern in Eu- durch den DigitalPakt Schule als auch im Bereich der ropa zahlen. Aber zu sagen: „Passt mal auf, jetzt erfn- Weiterbildung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- den wir mal einfach eine virtuelle Betriebsstätte, und die mer. Denn die Veränderungen, die jetzt im technischen besteuern wir, als wäre es eine richtige Betriebsstätte“ – Bereich stattfnden, haben natürlich massive Auswirkun- wozu wird das führen? Wir sind eine der großen Export- (B) gen auf das, was in Zukunft gebraucht wird. nationen. Die Unternehmen, die deutschen Unternehmen (D) haben Betriebsstätten irgendwo in oder sonst wo. Wir haben heute schon einen großen Fachkräftebe- Dann werden die Heimatländer sagen: Okay, das sind darf, den wir befriedigen müssen. Deshalb ist es richtig, richtige Betriebsstätten. Jetzt besteuern wir die auch. – dass wir ein Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg Deshalb sind wir zögerlich in Bezug auf bestimmte Vor- bringen werden; denn wir wollen die Wirtschaft stärken. schläge, die gemacht werden. Wir sind es nicht deshalb, Das Ganze hängt im Augenblick gar nicht mehr an den weil wir nicht fnden, dass man Steuern zahlen muss. hohen Sozialabgaben oder an der Steuerfrage; es hängt daran, dass man in Deutschland einfach niemanden Aber wenn wir hier ein Unternehmensteuerrecht der- mehr fndet. Da müssen wir helfen, dass die Wirtschaft gestalt haben, dass wir ein altes Körperschaftsteuerrecht in Deutschland bleiben kann und hier Wertschöpfung und da die Besteuerung der Internetkonzerne haben, und betreibt und dass sie nicht irgendwohin weggehen muss, wenn wir anschließend nicht mehr wissen, ob ein Auto weil sie hier keine Fachkräfte fndet. ein rollendes Internet ist oder ob ein Auto noch in die alte Körperschaftsteuerkategorie gehört: Da müssen wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Steuersysteme fnden, die miteinander kompatibel sind. ordneten der SPD) Deshalb sind die Arbeiten der OECD so wichtig. Und Deshalb ist das die richtige Antwort. deshalb können wir da jetzt nicht einfach mal so einen Schlag machen und sagen: „Für zwei Jahre probieren wir Meine Damen und Herren, für uns wird das noch mal was aus“, sondern wir müssen es vernünftig durch- eine Riesenanstrengung sein. Ich bin im Übrigen sehr denken. Das heißt aber nicht, dass wir nichts tun. dankbar, dass die Koalitionsfraktionen sich entschieden haben, zwei Enquete-Kommissionen, die im Zusammen- Ähnlich wird es damit sein, dass Daten auch einen hang mit der Digitalisierung stehen, zu beschließen. Wert haben wie Arbeit oder anderes. Darüber müssen wir dringend diskutieren. Vielleicht können wir dabei auch Eine dieser Kommissionen beschäftigt sich mit der die entsprechenden Fachleute einbinden. künstlichen Intelligenz. Wir sind seit 20, 30 Jahren re- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- lativ gut dabei, was künstliche Intelligenz anbelangt. ordneten der SPD) Aber jetzt sind wir in einer Situation, in der wir den Anschluss vielleicht schon ein bisschen verloren haben Meine Damen und Herren, ich habe so lange über Di- oder zu verlieren drohen. Warum? Weil plötzlich zwei gitalisierung gesprochen, weil ich glaube, dass davon der Entwicklungen zusammenkommen: die Entwicklung der Wohlstand, die Einlösung des Wohlstandsversprechens, künstlichen Intelligenz – Algorithmen und Ähnliches – abhängt. Wenn wir uns unsere Koalitionsvereinbarung 2980 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) anschauen – das spiegelt sich alles im Haushalt wider –, Gemeindeverkehrsfnanzierung zu tun – all das ist mit (C) dann können wir feststellen: Wir sind in dieser Richtung Grundgesetzänderungen verbunden. wirklich gut vorangegangen. Wir haben jetzt ein Digi- Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist für den Bund talkabinett; das wird vor der Sommerpause tagen. Wir in der Kombination mit dem Bund-Länder-Finanzaus- werden einen Digitalrat einrichten, der uns ganz spezi- gleich nicht so eine triviale Entscheidung; denn durch fsch bei Dingen berät, die wir noch nicht so wissen, über den neuen Bund-Länder-Finanzausgleich, der in dieser Entwicklungen, die wir haben. Wir haben die digitale Legislaturperiode, nämlich im Jahr 2020, in Kraft tritt, Kooperation zwischen den Ressorts der Bundesregierung schwächt der Bund auch seine fnanziellen Möglichkei- verbessert, auch durch die Staatsministerin für Digitali- ten. Olaf Scholz hat gestern richtigerweise darauf hin- sierung im Kanzleramt. gewiesen: Wenn wir die Verantwortung für den sozialen (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Wohnungsbau den Ländern geben, wenn der Bund mehr in den Bund-Länder-Finanzausgleich gibt, wenn beim Bei dem Digitalkabinett kommt übrigens heraus: Jeder Gemeindeverkehrsfnanzierungsgesetz der Schwerpunkt Minister ist heute in bestimmter Weise ein Digitalmi- bei den Ländern liegt und sich in der Folge die Investi- nister. Das durchzieht alle Bereiche der Gesellschaft. tionssumme des Bundes um die entsprechenden Anteile Deshalb werden wir da zusammenarbeiten. Ich werde verringert, dann darf man nicht sagen: Der Bund inves- demnächst auch zu einer Anhörung zur künstlichen Intel- tiert nicht mehr. – So kann man das nicht machen. ligenz einladen, damit wir feststellen: „Wo stehen wir?“ und damit wir vor allen Dingen auch sagen können, was (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU fehlt und wo wir besser zusammenarbeiten müssen. sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) Im Übrigen ist das ein klassischer Gegenstand der Wir haben gesagt: Wir geben das Geld dahin, wo am deutsch-französischen Kooperation. So haben wir es besten damit gearbeitet werden kann. Das darf man dann auch in unserer Koalitionsvereinbarung verabredet. aber nicht als Erstes 14 Tage später wieder vergessen. Frankreich und Deutschland werden heute in Sofa beim Trotzdem investieren wir ja mehr. Wir investieren übri- Abendessen, bei dem wir über Innovation sprechen, ei- gens nicht nur Steuergelder, sondern wir haben auch die nen Vorschlag machen, wie wir mit disruptiven Innovati- Erlöse aus der Versteigerung der 5G-Frequenzen; wir onen in Europa umgehen; Stichwort „DARPA“. So etwas werden daraus etwas machen. braucht auch Europa, und das muss gemeinsam gemacht Unser Problem ist im Augenblick nicht, dass wir zu werden. wenig Geld für Investitionen haben; unser Problem ist, Nun, meine Damen und Herren, haben wir unsere Ko- eine Baufrma zu fnden und Genehmigungen zu er- halten. Deshalb müssen wir die Verfahren im Geneh- (B) alitionsvereinbarung aber auch in einer Stimmung verab- (D) schiedet, die uns sagt – – migungsrecht beschleunigen und versuchen, für mehr Gründungen zu sorgen, damit wir da vorankommen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die war schlecht!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) – Die Stimmung war nicht schlecht. Im Wohnungsbaubereich ist es außerdem richtig und ( [Erfurt] [SPD]: Das war wichtig, die AfA und das Baukindergeld einzuführen. eine Grüne; die hat das gesagt! – Das alles sind Incentives, wie man heute so sagt, also [DIE LINKE]: Das war jetzt echt gemein!) Anreize, um besser zu leben. Sie war der Lage entsprechend. Sie war der Ernsthaftig- (Dr. [DIE LINKE]: Wer hat keit der Lage geschuldet, sagen wir es mal so. eigentlich regiert in den letzten Jahren? Das wäre eine interessante Frage!) (Heiterkeit) – Ja, die letzten Jahre haben wir schon viel gemacht, aber Wir konnten auch auf gewissen Vorarbeiten aufbauen, noch nicht genug. So ist das Leben, Herr Bartsch. obwohl wir uns das nie eingestanden haben; egal. – Je- denfalls hat uns umgetrieben, dass die Bürgerinnen und (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Bürger in Deutschland das Leben aus der Perspektive CDU/CSU und der SPD) betrachten „Wie stellt sich das für mich dar?“ und nicht Ansonsten müssten wir ja irgendwann aufhören, Abge- aus der Perspektive betrachten: Wer ist gerade für was ordnete zu sein. Politik wird immer wieder neue Aufga- zuständig? Deshalb sind wir an einigen Stellen über uns ben haben. Das ist das Schöne und Spannende. hinausgewachsen, so sage ich es mal als CDU-Mitglied. Wir haben jetzt die Möglichkeit, Schulen nicht nur in f- Meine Damen und Herren, der Riesenbereich der Si- nanzschwachen Kommunen zu fördern. cherheit ist für uns wichtig. Auch hier werden wir Ko- operationen eingehen. Der Pakt für den Rechtsstaat ist (Christian Lindner [FDP]: Die haben Sie überhaupt nicht denkbar, wenn man nicht mit Kommu- noch nicht! Die wollen Sie erst schafen!) nen und Ländern zusammenarbeitet. Das heißt, die ganze Koalition ist auf ein sehr kooperatives Verhalten des ge- – Wir arbeiten daran und hofen auf tätige Mithilfe. Wir samten föderalen Systems angelegt. wissen auch, dass wir diese Mithilfe brauchen. – Wir ha- ben uns entschlossen, mehr für den sozialen Wohnungs- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE bau zu tun. Wir haben uns entschlossen, mehr für die GRÜNEN]: Wie beim Dieselbetrug!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2981

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Ich setze darauf, dass das, was wir an Geldern für be- Wir werden auch auf eine lebenswerte Umwelt ach- (C) stimmte Zwecke ausgeben, von den Ländern und Kom- ten: mehr Tierwohl, mehr vernünftige Landwirtschaft. munen dann auch wirklich für diese Zwecke verwendet Ich hofe nur, dass die Europäische Union in der Lage ist, wird. Da werden wir schon sehr darauf achten, dass das die Entbürokratisierung der zweiten Säule, die sich die- nicht irgendwo verschwindet. sem Thema widmet, hinzubekommen. Ansonsten werden wir es nicht schafen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Ich will mit etwas schließen, was vielleicht manch ei- nem ein bisschen klein vorkommt, was aber ein großes Meine Damen und Herren, ein Riesenbereich neben Thema ist: Am 20. Mai, nächste Woche, wird zum ers- der Sicherheit ist natürlich auch die Steuerung und Ord- ten Mal der Weltbienentag stattfnden – im Übrigen eine nung der Migration im Innern. Deshalb haben wir uns Initiative von slowenischen Imkern. Die Bienen stehen für die AnKER-Zentren entschieden. Ich fnde, jetzt soll- inzwischen pars pro poto für das, was wir unter Arten- ten auch alle dazu stehen. Die Vorschläge des Bundesin- vielfalt, unter Natur, darunter, wie sie funktionieren muss nenministers an dieser Stelle sind wirklich sehr praxis­ und soll und wie wir sie schützen müssen, verstehen. orientiert. Mit Verlaub: Wenn man am 19. April, wo wir Deshalb sollten wir an diesem Tag an die Artenvielfalt noch nicht einmal 100 Tage im Amt waren, aufgrund von denken und etwas Gutes für die Bienen tun. Deutschland, Missständen im BAMF, die Missstände sind, sagt, der Julia Klöckner, und der slowenische Agrarminister haben Minister habe die Sache nicht im Grif, muss ich dazu hierzu eine Vereinbarung geschlossen, wie wir auf die- ehrlich sagen: Das ist etwas komisch. – Unter Koalitions- sem Feld mit Slowenien zusammenarbeiten wollen – ein freunden wollte ich das noch einmal angemerkt haben. kleines Teilchen eines guten, ganz präzisen und konkre- (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der ten Einsatzes. SPD und der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Wir orientieren die sozialen Sicherungssysteme auf reicht aber nicht!) die Zukunft. Gestern wurde die Rentenkommission ein- gesetzt; das wird ein hartes Stück Arbeit. Wir werden Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir haben viel natürlich in Pfege und Gesundheit Riesenkraftanstren- Arbeit. Wir wollen das auch tun. Die Bundesregierung gungen machen müssen. Wir brauchen mehr Fachkräfte; wird mit Nachdruck arbeiten. auch hier gibt es ein Riesenproblem. Ich glaube, wir alle Herzlichen Dank. Alles Gute. sind uns im Übrigen einig – das fällt ja in weiten Teilen in die Kompetenz der Länder –: Dass man in den Pfe- (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU (B) geausbildungsberufen bis vor kurzem Schulgeld bezahlt sowie der Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD] (D) hat und keine Ausbildungsvergütung bekam, gehört zu und Carsten Schneider [Erfurt] [SPD] – Bei- den Anachronismen der Bundesrepublik Deutschland. fall bei der SPD) Dass man das, kurz bevor die Republik 70 wird, noch abschaft, dafür bin ich sehr dankbar, liebe Freunde. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jetzt hat das Wort der Vorsitzende der FDP-Fraktion, ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- Christian Lindner. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP) Es geht auch darum, die natürlichen Lebensgrundla- gen zu sichern. Ich nenne das Stichwort „Klimaschutz“. Christian Lindner (FDP): Wir werden eine Kommission einsetzen, die sich mit Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dem Ausstieg aus der Braunkohle befasst. Frau Kollegin Dr. Weidel, Sie haben hier heute nach AfD-Manier wieder allen anderen Zensuren erteilt. Nun (Zuruf der Abg. [BÜND- ist es ja auch Ihr gutes Recht als Oppositionsfraktion, das NIS 90/DIE GRÜNEN]) zu tun. Aber eine Partei, in der sich der national-ökono- Sie erinnern sich: Vor mehr als zehn Jahren haben wir mische und der sozial-nationale Flügel nicht auf ein eige- uns mit dem Ausstieg aus der Steinkohle befasst. Wir ha- nes Rentenkonzept einigen können, ben es so hinbekommen, dass dieses Jahr die letzte Grube (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ach du liebe schließt, aber die Menschen, die dort gearbeitet haben, Zeit!) diesen Wechsel auch verkraften konnten und er mit ihnen gestaltet wurde. eine solche Partei sollte sich erst einmal selbst einer Klä- rung unterziehen, bevor Sie über andere urteilen. Dann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) können Sie wiederkommen. So muss es auch bei der Braunkohle sein: erst fragen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten was aus der Region wird, dann aussteigen, und nicht erst der CDU/CSU und der SPD – Jürgen Braun Aussteigedaten festlegen und sich dann überlegen, was [AfD]: Was hat das mit dem Haushalt zu tun?) aus den Menschen wird. Nur so wird ein Schuh daraus. Frau Bundeskanzlerin, in Ihrer Koalition wird gestrit- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten: Der Gesundheitsminister und der Arbeitsminister ordneten der SPD) streiten über Hartz IV. Der Wirtschaftsminister bemüht 2982 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Christian Lindner (A) sich darum, dass die Nord-Stream-2-Pipeline kommt; der der deutsche Wirtschaftsminister sagt: „Wir können (C) Außenminister verweigert sich allen zusätzlichen Initia- das nicht“. Wir wünschen uns eine abgestimmte euro- tiven zum Dialog mit Russland. Es ist ungeklärt, ob nach päische Haltung, Frau Bundeskanzlerin. Es ist Zeit für Aufassung dieser Regierung der Islam zu Deutschland einen EU-Sondergipfel zu diesen Fragen, damit wir für gehört oder nicht. Frau Nahles ermahnt Sie, die Brücken- die Welt symbolhaft unterstreichen, dass wir an einem teilzeit müsse jetzt aber wirklich kommen. Strang ziehen wollen. Wir haben gestern und heute auf ofener Bühne eine (Beifall bei der FDP) Auseinandersetzung um den Wehretat erlebt. Sie haben Frau Bundeskanzlerin, Sie haben erneut eine Gele- bei der Bundeswehrtagung 1,5 Prozent Investitionen genheit verstreichen lassen, Deutschland in Fragen der in die Verteidigung, gemessen am Bruttoinlandspro- Weiterentwicklung Europas klar zu positionieren. Auch dukt 2025, zugesagt. Frau von der Leyen fordert 12 Mil- der Bundesfnanzminister hat dieses Thema gestern an- liarden Euro zusätzlich für diese Legislaturperiode. Und gesprochen. Die „Süddeutsche Zeitung“ jubelt heute, er da stellt sich der Bundesfnanzminister hin und sagt: Ein habe ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa gehalten. verteidigungspolitisches Konzept wird nicht besser da- durch, dass es teuer ist. – Sie haben ihn heute hier in die (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schranken verwiesen. Aber ausweislich der Zahlen des NEN]: Da war ich nicht da, glaube ich!) Haushalts ändert sich nichts; es gibt keinen Mittelauf- Alle, die dabei waren, müssen sagen: Ofensichtlich gibt wuchs. es eine gewisse öfentliche Entwöhnung in Fragen der (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Leidenschaft, wenn der Auftritt von Olaf Scholz zur Eu- GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht!) ropapolitik bereits den Afektstau löst. Frau Bundeskanzlerin, Sie sprechen dieser Tage oft (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Michael von der Krise des Multilateralismus. Mit Blick auf die Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Leiden- drei Regierungsparteien bekommt dieses Wort eine ganz schaft im Rheinland ist eine andere als in andere Bedeutung. Norddeutschland!) (Beifall bei der FDP) Vielleicht liegt in Wahrheit die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ näher an der Wahrheit, die kommentiert hat, Die sozialdemokratische Fraktion hat Ihrer Rede heute dass sich der Finanzminister nach und nach aus dem he- keinen Beifall gespendet. rauswinden will, was die SPD zuvor in den Koalitions- (Widerspruch bei der SPD) vertrag geschrieben hat. Unterm Strich kann man sagen: Keine klare Position dieser Bundesregierung in einer sol- (B) Wir ermuntern Sie, Frau Bundeskanzlerin, bei diesen chen Existenzfrage! (D) ofenen Richtungsfragen von Ihrer Richtlinienkompe- tenz Gebrauch zu machen. Führen Sie! Führen Sie dieses (Beifall bei der FDP) Land, Da, wo es klare Aussagen gegeben hat, passen sie (Beifall bei der FDP – Michael Grosse-Brö- nicht in . Sie sprechen über einen Europäischen mer [CDU/CSU]: Weiterhin erfolgreich in der Währungsfonds und den Common Backstop, um es auf Zukunft! So geht der Satz weiter!) Deutsch auszudrücken: die letzte Haltelinie, die auch mit dem Geld deutscher Steuerzahler fnanziert wird, im und lassen Sie den Worten Taten folgen! Hinblick auf die Abwicklung privater maroder Banken. Sie haben hier für eine Stärkung des transatlantischen Und dann sagen Sie, verehrter Herr Finanzminister, Sie Verhältnisses plädiert. Dabei haben Sie unsere Unterstüt- hätten die Vermutung, man könnte bei der Reduzierung zung. Der Deutsche Bundestag sollte also endlich das von Risiken vielleicht noch schneller vorankommen, als Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA, ratifzieren. man denkt. Was bringt Sie zu diesem Optimismus? Ich Das wäre ein klares Signal. lese, dass in Italien eine Koalition kurz davorsteht, an die Regierung zu kommen, die Flat Tax und bedingungsloses (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Grundeinkommen will, aber gleichzeitig einen Schulden­ der CDU/CSU) erlass von 250 Milliarden Euro bei der Europäischen Worauf warten Sie? Zentralbank erwirken will. In dieser Situation hätten wir uns von Ihnen ein klares Bekenntnis zu Stabilität und f- Wir brauchen Europa angesichts der Kündigung des nanzpolitischer Eigenverantwortung gewünscht. Sie sa- Iran-Abkommens durch die USA, der Lage in Syrien und gen, Herrn Macron helfen zu wollen. In Wahrheit ermun- einer im Raum stehenden Auseinandersetzung in Han- tern Sie mit Ihren Äußerungen aber nur Beppe Grillo. delsfragen. Aber wie tritt Europa auf der Weltbühne auf? Binnen einer Woche kommen der französische Präsident (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Petr und die deutsche Bundeskanzlerin nach Washington: der ­Bystron [AfD] – Annalena Baerbock [BÜND- eine drei Tage mit militärischen Ehren, die andere drei NIS 90/DIE GRÜNEN]: Europa als Erstes!) Stunden bei Wasser und Brot. Sie haben ja eine Diskussion über den EU-Haushalt aufgemacht. Wir entnehmen den Medien, dass der arme (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) Staatsminister Roth bei den Verhandlungen in Brüssel Der französische Wirtschaftsminister sagt: „Wir schüt- über den EU-Finanzrahmen völlig alleine war. Alle ande- zen unsere französische Wirtschaft vor Sanktionen“; ren unserer Partner in Europa sagen: Wir wollen erst wis- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2983

Christian Lindner (A) sen, für was wir Geld ausgeben, bevor wir entscheiden, Es zeigt aber eine Mentalität, wenn der CSU-Vorsitzende (C) ob wir mehr geben. – Die Deutschen sind die Einzigen sagt, die Milliarden für Soziales seien die Antwort auf in Brüssel, die sagen: Wir geben mehr Geld und wollen die Bundestagswahl. Das heißt: mit Geld Zustimmung danach darüber sprechen, wofür. kaufen. Diese Methode kenne ich aus dem rheinischen Karneval. Das ist Kamelle-Politik. Damit kann man im (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Karneval beliebt werden; aber die größte Volkswirtschaft GRÜNEN]: Was ist das denn?) in Europa kann man so nicht führen, meine Damen und Damit haben Sie uns in die schlechtestmögliche Ver- Herren. handlungsposition gebracht; (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten In etwas vornehmeren Worten spricht der Chefvolks- der AfD) wirt des BMF, Ludger Schuknecht, von Social Domi- und wir sind damit allein. nance. Er schreibt in einem aktuellen wissenschaftlichen Beitrag: Sozialausgaben verdrängen andere wichtige (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE Schwerpunktsetzungen. – Die wirklich wichtige Aufgabe GRÜNEN]: Europa zuerst!) des Sozialstaats ist es aber, Menschen aus der Abhängig- – Frau Kollegin Baerbock sagt: Europa zuerst. – Ja, in keit zu befreien, damit sie ein Leben in eigener Verant- der Tat. Aber, Frau Kollegin Baerbock, man ist nicht eu- wortung führen können. ropafreundlich, indem man zu allem Ja sagt. Nur zum (Beifall bei der FDP) Richtigen sollte man Ja sagen. Für uns ist Bildung die Schlüsselaufgabe. Schaut man (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Petr in den Entwurf des Bundeshaushalts, stellt man fest, dass ­Bystron [AfD] – Annalena Baerbock [BÜND- ausgerechnet der zentrale Etat des BMBF zu den weni- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen zu allem gen gehört, die 2017 keine Aufwüchse zu verzeichnen Nein! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/ haben. Das ist genau die falsche Schwerpunktsetzung. DIE GRÜNEN]: Wer den größten Zickzack- kurs fährt, sind Sie!) (Beifall bei der FDP) Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Staat schöpft Viermal mehr für die Rente als für die Bildung treibt ei- aus dem Vollen. 2007 beliefen sich die gesamtstaatlichen nen Keil zwischen Großmütter und ihre Enkel. Einnahmen noch auf 540 Milliarden Euro. 2022 werden (Beifall bei der FDP) es 905 Milliarden Euro per annum sein, bei Nullzins und nahezu ohne Infation. In diesen Zeiten ist die schwarze Für den DigitalPakt Schule sind keine Gelder einge- (B) Null in der Tat kein Fetisch. Dass man das betont, ist ja stellt; machen wir uns das bitte klar. Er soll fnanziert (D) schon eine sehr defensive Position. Sie ist mitnichten ein werden – ich komme gleich darauf zurück – durch ein Fetisch. Angesichts der Zukunftslasten, die durch Ihre Sondervermögen, das durch die Auktion von Mobil- Rentenpolitik noch vergrößert werden, ist die schwarze funklizenzen gebildet werden soll. Das zeigt, dass ganz Null die letzte Haltelinie im Interesse der Enkelgenera- ofenbar nicht daran gedacht ist, diesen Mittelansatz zu tion. verstetigen. (Beifall bei der FDP) Sie wollen das Grundgesetz ändern. Frau Bundes- kanzlerin, Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie dafür Sie ist ein Symbol für Stabilität in Europa; auch die Zustimmung von Oppositionsfraktionen brau- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vielen chen. Ich habe in dieser Frage bereits mit dem Bundes- Dank für das Lob!) fnanzminister gesprochen – andere auch –, und selbst- verständlich sind wir konstruktiv und begleiten das. Wir denn der Verzicht auf Schulden gibt uns die Autorität, wollen aber die Frage nach der Qualität stellen: Was auch anderen Stabilität zu empfehlen. Angesichts von passiert mit dem Geld? Und uns ist wichtig, dass es sich Rekordeinnahmen und Nullzinsen ist es überhaupt eine nicht um ein einmaliges Strohfeuer handelt, sondern dass Kunst, nur eine schwarze Null zu haben. Bei disziplinier- der Bund dauerhaft Mitverantwortung für die wichtigste ter Politik wären enorme Haushaltsüberschüsse möglich gesellschaftspolitische Frage übernimmt. Das ist die Vo- und nötig, Frau Bundeskanzlerin. raussetzung dafür, dass nicht nur in Steine und Tablets (Beifall bei der FDP) investiert wird, sondern auch in Köpfe, nämlich in die Qualität von Lehrerinnen und Lehrern. Stattdessen hat sich diese Regierung im Koalitionsver- trag für 100 Milliarden Euro Mehrausgaben entschieden. (Beifall bei der FDP) Immerhin 46 Milliarden Euro davon sind bereits einge- Frau Bundeskanzlerin, Sie haben hier über künstli- plant. che Intelligenz und Digitalisierung gesprochen. Freilich Der Bundesinnenminister und CSU-Vorsitzende begrüßen wir das. Schauen wir in den Bundeshaushalt, Seehofer hat gesagt, die Milliarden für Soziales seien stellen wir fest: Es gibt einen neuen Titel „Künstliche In- die Antwort auf die Bundestagswahl. Als ob Sie wegen telligenz“; dieser ist aber mit null Euro angesetzt. Das des Pfegenotstandes hier sitzen würden! Das sind andere ist keine künstliche Intelligenz; das ist keine Intelligenz. Gründe. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Heiter- (Beifall bei der FDP) keit bei Abgeordneten der AfD) 2984 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Christian Lindner (A) Deshalb sollte es am Ende der Haushaltsberatung einen gute Nachrichten aus Washington gibt, ignoriert die Re- (C) Mittelansatz dafür geben. gierung sie auch noch. Im Übrigen ist es mutig, Frau Bundeskanzlerin, dass (Beifall bei der FDP – Carsten Schneider [Er- Sie über Digitalisierung und Tempomachen genau an furt] [SPD]: Die haben den Koalitionsvertrag diesem Tag sprechen. Ich begrüße Ihren Ehrgeiz in der gelesen!) Frage. Aber heute darüber zu sprechen, zeugt wirklich – Ich komme auf Sie zurück. von Courage; denn ausgerechnet am heutigen Tage be- richten die Medien darüber, dass es bei der Versteigerung Jetzt kündigt Olaf Scholz großzügig eine Dämpfung von 5G-Mobilfunklizenzen zu Verzögerungen kommen der kalten Progression an. Ja, Herr Finanzminister, der wird. Die 2018er-Breitbandziele werden schon nicht er- Verzicht auf automatische Steuererhöhungen ist keine reicht. Britische Studien belegen, dass das LTE-Netz nur Entlastung, sondern ein Gebot unserer Verfassung und noch in Russland und Moldawien schlechter ist als bei im Übrigen eine Frage der Ehre. uns. Beim Ausbau des Zukunftsnetzes 5G, das wir für (Beifall bei der FDP) das autonome Fahren brauchen, gibt es zurzeit eine Ver- zögerung von mindestens neun Monaten, wie die aktu- Die deutsche Exportwirtschaft gerät unter Druck. Die ellen Pläne der Bundesnetzagentur zeigen. Deutschland USA senken die Unternehmensteuern, Frankreich auch. kann es sich nicht leisten, weiter Zeit zu verspielen, weil Sie wollen nichts tun und den Unternehmen, auch un- Sie die falsche Politik machen, Frau Bundeskanzlerin. seren großen im internationalen Wettbewerb stehenden Familienunternehmen, auch noch den Soli abverlangen. (Beifall bei der FDP) Wir schlagen vor, Sie versuchen, das Kunststück zu vollbringen, von denjenigen, die sich an der Auktion beteiligen, fächen- (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jetzt sind deckende Versorgung zu verlangen und gleichzeitig wir gespannt!) maximalen Erlös zu erreichen. Beides zusammen geht zum Ersten – ohne Alarmismus und mit vergleichsweise ofenbar nicht, oder es geht zulasten der Zeit. Deshalb: schmalen Mitteln – Setzen Sie auf Marktwirtschaft! Setzen Sie auch öfentli- che Fördergelder ein, beispielsweise durch die Teilveräu- (Ulli Nissen [SPD]: Sie sind die Steuersen- ßerung der Deutschen Post! Dieses Land braucht bei der kungspartei!) Zukunftsinfrastruktur endlich einen Platz in der Cham- als Sofortmaßnahme befristete Sonderabschreibungen pions League und nicht einen Abstiegsplatz am Ende der für digitale Wirtschaftsgüter, damit die privaten Investiti- (B) Tabelle. onen angeschoben werden und auch die Produktivität der (D) (Beifall bei der FDP) Wirtschaft erhöht wird. (Beifall bei der FDP) Die Haltung dieser Regierung, Frau Bundeskanzle- rin, hat Ihr Wirtschaftsminister ausgedrückt, als er da- Zum Zweiten: Senkung der Sozialabgaben unter 40 Pro- von sprach, das gegenwärtige Wachstum setze sich noch zent. Der Bundesfnanzminister spricht davon, jeder solle 20 Jahre fort. Paradiesische Zustände! Bedauerlicherwei- 2 000 Euro brutto im Monat verdienen. Das ist ein wun- se zeigen die ersten Zahlen im Jahr 2018 etwas anderes; derbares Ziel. Aber wie wäre es damit, Herr Scholz, mal denn nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts hat mit der Senkung von Steuern und Sozialabgaben anzu- sich das Wachstum im ersten Quartal 2018 gegenüber fangen? Das liegt in Ihrer Hand. dem letzten Quartal 2017 halbiert. Bei aller Sympathie sollten wir uns also auf die seherischen Fähigkeiten von (Ulli Nissen [SPD]: Steuersenkungspartei! allein nicht verlassen, Super!) Nötig ist auch der komplette Wegfall des Soli bis zum (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ende dieser Legislaturperiode, und zwar für alle. Das sondern die gegenwärtige Stärke als Ansporn begreifen, wäre die minimale deutsche Antwort auf den Steuerwett- auch in der Zukunft genau diese wirtschaftliche Stärke bewerb in der Welt. Sie sagen: Wir können es uns nicht zu verteidigen. Diese Wachstumszahlen sind kein Grund leisten. Wir sagen: Wir können es uns nicht erlauben, ir- für Alarmismus, aber für Wachsamkeit; denn Brexit, de- gendwann die höchsten Steuersätze der Welt zu haben. mografscher Wandel, Handelskriege, Digitalisierung, (Beifall bei der FDP) mögliche Zuspitzungen in der Währungsunion, alle diese Risiken stehen eben nicht im Haushalt. Für sie wird keine Was die Zwischenrufe seitens der SPD angeht, will Vorsorge getrofen. ich Sie daran erinnern: In Ihrem eigenen Wahlprogramm haben Sie etwas von 15 Milliarden Euro Steuerentlas- Frau Merkel, Sie haben eben den Internationalen tung und vom Kampf gegen den Mittelstandsbauch ge- Währungsfonds zitiert, aber nicht vollständig. Sie haben schrieben. 15 Milliarden Euro hat auch die Union im über die öfentliche Infrastruktur, Investitionen und die Wahlkampf versprochen. Was ist aus diesen Zusagen Digitalisierung der Verwaltung gesprochen. All das ha- geworden? In den Koalitionsverhandlungen hieß es: ben Sie zitiert; aber der Internationale Währungsfonds 10 Milliarden Euro Entlastung beim Soli. In der mittel- empfehlt neuerdings – und das ist eine neue Stimme aus fristigen Finanzplanung sind es jetzt nur noch 9,08 Milli- Washington – auch Steuerentlastungen. Wenn es einmal arden Euro. Binnen weniger Wochen ist eine ganze Mil- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2985

Christian Lindner (A) liarde in den Plänen verdunstet. Wenn das so weitergeht, Ich kann nicht verstehen, dass die SPD in dieser Frage (C) kommt am Ende gar nichts dabei heraus. grüner als grün ist. Ansonsten hören wir aus Ihrer Regie- rung nur Worte wie, der Islam gehöre nicht zu Deutsch- (Beifall bei der FDP – Volker Kauder [CDU/ land. Das ist genauso spalterisch, wie in Bayern Kreuze CSU]: Möglich!) an die Wand zu nageln. Ich weiß ja, was jetzt kommt; das haben wir gestern (Beifall bei der FDP – Jürgen Braun [AfD]: schon gehört. Die Unionsfraktion wird jetzt riesige Ent- Lächerlich!) lastungen vorrechnen. Dabei werden Sozialtransfers, Subventionen und steuerliche Maßnahmen in einen Topf Sie mögen von einer Macht, wie sie Orban hat, träumen, geworfen und ein Summenstrich darunter gezogen. aber Deutschland ist ein weltofenes, tolerantes Land. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Wir beurteilen Menschen nicht danach, woher sie kom- men oder woran sie glauben, sondern danach, ob sie – „Genau“, sagt Volker Kauder. – Einer der großen Vor- bereit sind, Verantwortung für ihren Lebensunterhalt zu denker der sozialen Markwirtschaft, Wilhelm Röpke, übernehmen und unsere Rechtsordnung zu akzeptieren. hat einmal davor gewarnt, aus dem Wohlfahrtsstaat ein Tag und Nacht arbeitendes Pumpwerk der Einkommen (Beifall bei der FDP) zu machen, weil am Ende niemand mehr weiß, ob er zu Es wird über eine Antiabschiebeindustrie lamentiert. den Gewinnern oder Verlierern der Umverteilungspolitik Wenn Menschen die legitimen Mittel des Rechtsstaats gehört. Den Menschen erst das Geld zu nehmen, es durch nutzen, kann und darf man ihnen keinen Vorwurf ma- die klebrigen Finger der Bürokratie zu leiten, es ihnen chen. dann zurückzugeben und ein Dankeschön von den Men- schen zu erwarten, das zeugt von Ihrem Verständnis des (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Verhältnisses von Bürger und Staat. der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dann muss der Staat gegebenenfalls Recht und Verfahren der AfD) ändern. Wo sind die Vorschläge, Recht und Verfahren zu Gestatten Sie mir abschließend zu einem letzten Kom- ändern, wenn es angeblich eine Antiabschiebeindustrie plex zu kommen, zur Frage der Einwanderung. Eine gibt? Wende in der Integrations- und Einwanderungspolitik ist (Beifall bei der FDP) auch angesichts der Zahlen im Haushalt nötig. Die fska- lischen Folgen wären sonst unkontrollierbar. Es geht aber Die AnKER-Zentren, Frau Bundeskanzlerin, die Sie (B) um noch mehr: Es geht auch um den sozialen Frieden im eben gelobt haben, gibt es ebenfalls nur auf dem Papier. (D) Land. Über die Modernisierung des Einwanderungsrechts und ein besseres Management sollte die Bundesregierung ( [CDU/CSU]: Es geht um also schnellstmöglich mit denen ins Gespräch kommen, das Bäckerhandwerk!) die das umsetzen müssen, nämlich Länder und Kommu- Die Menschen erwarten Entscheidungen, die der prak- nen. Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, dann be- tischen Alltagsvernunft genügen, und vor allem Hand- rufen Sie umgehend einen Migrationsgipfel von Bund, lungsfähigkeit des Rechtsstaats. Trotz oder wegen CSU Ländern und Gemeinden ein, Herr Seehofer. und Horst Seehofer fehlt es momentan an beidem. (Beifall bei der FDP) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kön- Mit großem Unverständnis verfolgen wir das Chaos nen wir die Geschichte aus der Bäckerei noch im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es ist die mal hören?) Rede von einem Eigenleben der Behörde. Prüfungen von – Herr Kollege, ich werde meiner Zuneigung für das Schutzgründen erfolgen nicht sorgfältig, lesen wir in den deutsche Handwerk heute nicht nachkommen. Medien. Ofenbar wird nach einer Robin-Hood-Men- talität zum Schaden von Steuerzahlern und Rechtsstaat (Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!) entschieden. Nach Medienberichten hat die Hausleitung Aber hier geht es um eine ernsthafte Frage der Einwan- spätestens am 4. April umfassend Kenntnis erhalten. derung. Das werden Sie auch gleich merken. Zwei Tage später hat der Bundesinnenminister in Nürn- berg noch Lobpreisungen zu Protokoll gegeben. Nimmt Bislang steht bei Ihnen nur eine Neuregelung des Fa- man zu Ihren Gunsten nur einmal Abstimmungsproble- miliennachzugs im Raum. Der Normenkontrollrat hat me in der Spitze des Innenministeriums an, beruhigt das Ihren Regierungsentwurf in der Luft zerrissen. Er genügt dennoch nicht. Diese Vorgänge müssen restlos aufgeklärt nicht der praktischen Alltagsvernunft der Menschen, und werden, damit Verschwörungstheoretikern kein Boden er genügt nicht den Anforderungen des Normenkontroll- gegeben wird. rats. Bei Menschen ohne dauerhafte Bleibeperspektive macht der Familiennachzug auch keinen Sinn. Konzen- (Beifall bei der FDP) trieren Sie sich auf klar defnierte Einzel- und Härtefälle statt auf ein Kontingent! Wir haben Ihnen dazu Vorschlä- Bislang, Herr Seehofer, überzeugen uns Ihre Taten in der ge unterbreitet. Einwanderungspolitik nicht und Ihr Aufklärungswille und das Streben nach Transparenz in der Frage des Bun- (Beifall bei der FDP) desamts für Migration und Flüchtlinge auch nicht. Um es 2986 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Christian Lindner (A) anders zu sagen: Sie sind einen Schritt von einem parla- verdient hat, endlich mehr als nur Sozialhilfe, nämlich (C) mentarischen Untersuchungsausschuss entfernt. eine Grundrente von der Deutschen Rentenversicherung? (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen sorgsamen Das sind keine Kamellen. Das sind die Themen, die Be- Umgang mit dem Reichtum der Bürgerinnen und Bürger dürfnisse, die Fragen, die die Menschen in unserem Land sehen wir beim vorliegenden Haushalt nicht. Anders als beschäftigen. die Regierung glauben machen will, ist dieser Haushalt Es beschäftigt die Kinder, wenn sie ihren Vater nur gerade nicht solide; denn er nimmt Zukunftsrisiken nicht noch am Wochenende sehen, weil er weite Wege zu pen- in den Blick. Er ist gerade nicht sozial; denn er tut nichts deln hat; denn bezahlbarer Wohnraum in der Nähe des Verlässliches für die Bildung. Und er ist gerade nicht Arbeitsplatzes ist oft nicht mehr fnanzierbar. Deswegen zukunftsorientiert; bei den wesentlichen Fragen wie der haben wir, die CDU/CSU- und die SPD-Fraktion, eine Digitalisierung sind Sie blank. Unser Wohlstand wird auf Wohnraumofensive auf den Weg gebracht. Wir stellen Kosten nächster Generationen verlebt. Damit wollen wir Mittel ein für die Schafung neuen Wohnraums, für Ei- uns nicht zufriedengeben. genheimförderung und auch dafür, dass Mieter Rechte (Anhaltender Beifall bei der FDP) bekommen; denn wir wollen nicht mehr, dass Menschen in diesem Land gezielt aus ihren Wohnungen herausmo- dernisiert werden. Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: Jetzt hat das Wort die Vorsitzende der SPD-Fraktion, (Beifall bei der SPD) Andrea Nahles. Wir führen jetzt eine Kappungsgrenze für die Umlage (Beifall bei der SPD) von Kosten ein, und es wird sanktioniert, wenn man sich nicht daran hält. Das sind die wahren Themen, die die Menschen in unserem Land beschäftigen. Andrea Nahles (SPD): Es geht auch um die Frage: Können sich pfegebedürf- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es tige Menschen darauf verlassen, dass die Menschen, die stimmt mich sehr traurig, dass der Fraktions- und Par- sie pfegen, auch Zeit dafür haben, weil genügend Kolle- teivorsitzende der FDP in dieser zentralen Debatte zum ginnen und Kollegen mit ihnen Schicht haben? Können Haushalt 2018 nicht ein gutes Wort zu Europa gefunden sich die Menschen darauf verlassen, dass die Pfegekräf- hat. te, die auch ein Gewissen haben und merken, dass sie (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem unter Stress stehen, gut bezahlt werden? Mit dem vor- (B) (D) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Braun liegenden Haushalt haben wir die Grundlage für bessere [AfD]: An der Stelle hat er aber recht gehabt, Bedingungen im Bereich Pfege gelegt. der Herr Lindner!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ofensichtlich, Herr Lindner, schreiben Sie sich ganz Wir investieren nicht nur in ein Sofortprogramm, mit bewusst in die wirtschaftsnationale Tradition der Lu- dem 8 000 neue Stellen in der Pfege geschafen werden cke-AfD ein. Dieses Erbe mögen Sie antreten. Es ver- sollen, sondern wir führen auch einen neuen Mindest- sperrt aber ganz klar den Blick darauf, was wir brauchen. besetzungsschlüssel für jede Schicht in den Altenhei- Wir brauchen mehr Zusammenarbeit, auch mehr fnan- men und in den Krankenhäusern ein. Dafür haben wir zielles Engagement Deutschlands auf der europäischen entsprechende fnanzielle Mittel im Etat – insgesamt Ebene; denn das ist die Antwort auf viele Probleme, die sollten 46 Milliarden Euro mehr zur Verfügung gestellt diese Welt hat, Herr Lindner. werden – eingestellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN) All das sind die Fragen, die vielen auf den Nägeln bren- nen. Es geht hier auch nicht um Kamellen. Wir beraten heute bei diesem Haushalt, wie wir das hart erarbeitete Es wird darüber debattiert, ob der vorliegende Haushalt Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ein Investitionshaushalt ist oder nicht. Man muss schon einsetzen wollen; darum geht es. eine Leseschwäche haben, um nicht zu merken: Dieser Haushalt ist voller Investitionen. Allein für den Komplex (Zuruf von der AfD: Sie verschleudern es!) Bildung werden 15 Milliarden Euro mehr ausgegeben. Was wollen wir mit diesem Geld machen? Ich möchte Es geht zum Beispiel ganz konkret um die Frage: Gibt es zum Beispiel das BAföG verbessern. Gleiches gilt für die in Zukunft noch gutbezahlte Arbeitsplätze in der Lausitz, Meisterausbildung; denn sie kostet 7 500 Euro, und die- wenn die Braunkohleförderung zu Ende geht? Dafür ha- ses Land kann es sich nicht leisten, dass Menschen ihren ben wir 1,5 Milliarden Euro für regionale Wirtschaftshil- Meister nicht machen, weil ihnen das Geld fehlt. Deswe- fe in diesen Haushalt eingestellt. Es geht um die Frage: gen müssen wir an dieser Stelle die Weichen in eine ganz Werden die Kinder in unseren Schulen endlich digitale andere Richtung stellen. Arbeitsmittel zur Verfügung haben, um sich auf die Zu- kunft vorbereiten zu können? Es geht um die Frage: Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kommt eine Rentnerin, die es sich nach 35 Jahren redlich der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2987

Andrea Nahles (A) Lassen Sie mich auf ein weiteres Thema eingehen. Rechtsstaates, dass Menschen ihre Rechte wahrnehmen. (C) Die Frau Bundeskanzlerin hat eben das Thema Alten- Nein, das ist nicht das Problem unseres Rechtsstaates. pfege angesprochen. Wir investieren aber auch in an- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dere Berufe, die wir händeringend brauchen. Mit dem der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Gute-Kita-Gesetz stellt Franziska Gifey die Weichen GRÜNEN) richtig. Aber auch in diesem Bereich gibt es viele ofene Stellen, die nicht besetzt werden können. Deswegen ge- Ich muss an dieser Stelle klar sagen: Wir haben doch hört das Schulgeld für die Erzieherausbildung schlicht- längst verstanden, dass die Menschen erwarten, dass un- weg abgeschaft. Die Erzieherausbildung in Deutschland sere rechtsstaatlichen Prinzipien für jedwede Frau und muss gebührenfrei werden. jedweden Mann gelten, egal woher sie kommen, egal ob Manager oder Flüchtling, und dass wir als Staat in der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lage sind, dies auch entsprechend durchzusetzen. Das der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- können sie von uns verlangen. Deswegen haben wir ei- NISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Pakt für Justiz aufgelegt: 2 000 zusätzliche Stellen für Richterinnen und Richter, 2 500 zusätzliche Stellen In diesem Haushalt werden – die Entwicklung haben im Bereich Justiz und 15 000 zusätzliche Polizeistellen. wir schon in der letzten Legislaturperiode angestoßen – Ja, wir haben verstanden. Aber den Rechtsstaat aufgeben, insgesamt 100 Milliarden Euro mehr für Familien, für das werden wir nicht tun. Kinder und für Sozialleistungen ausgegeben. Das sind doch auch Investitionen. Ich weiß, dass das ein alter Streit (Beifall bei der SPD) ist; aber ich sage: Das sind Sozialinvestitionen. Wenn wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns von das Kindergeld erhöhen und den Kinderzuschlag verbes- nichts und niemandem daran hindern lassen, den Blick sern, dann sind das Investitionen in die Zukunft unseres auf die wahren Herausforderungen unseres Landes zu Landes. richten und diese anzunehmen. Die Umsetzung der Vor- haben dieser Koalition und die Investitionen, die in die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten sem Haushalt angelegt sind, sind entscheidend für die der CDU/CSU) Zukunft unseres Landes. Wer die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben blockiert, schadet unserem Land. Jetzt sind wir als Gesetzgeber am Zug. Wir als Par- lament werden uns einbringen und unsere Vorhaben vo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ranbringen. Es geht um ganz konkrete Fragen, die die Wer anfängt, Vereinbarungen wieder infrage zu stellen, Menschen beschäftigen. schadet unserem Land. Wer Nebenschauplätze eröfnet, (B) (D) Ich bin der Ministerin sehr dankbar, statt sich an das Umsetzen unserer Vorhaben zu machen, dass sie bereits ein wichtiges Thema angeschoben hat, schadet unserem Land. Stichwort: Einer-für-alle-Klage. Millionen Menschen in (Beifall bei der SPD) Deutschland sind von deutschen Autokonzernen betro- gen worden. Sie müssen mit einem enormen Wertverlust Wir alle sollten uns bewusst sein – das möchte ich klar ihrer Autos rechnen. In meiner Heimat ist das ein The- sagen –, dass die Menschen von uns hier erwarten, dass ma, das häufg an den Stammtischen diskutiert wird. Die wir gemeinsam viel schafen, und das dürfen sie auch er- Menschen rechnen damit, dass ihre Rechte gestärkt wer- warten. Ich sage das mit Blick auf ein zentrales Vorhaben den. Mit der Einer-für-alle-Klage geschieht das. Einer aus unserem Koalitionsvertrag, das Rückkehrrecht aus klagt, und alle können davon proftieren. Teilzeit in Vollzeit. Viele Frauen in Deutschland sitzen in der Teilzeitfalle. 1,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte geben (Beifall bei der SPD) an, dass sie mehr arbeiten wollen. Wir haben in diesem Land einen Fachkräftemangel, aber wir haben auch gut Dieses Prinzip wird Millionen Geschädigten die Mög- ausgebildete Frauen. 1,7 Millionen Teilzeitbeschäftigte – lichkeit geben, zu ihrem Recht zu kommen. davon sind die meisten Frauen – wollen mehr arbeiten können. Warum helfen wir ihnen nicht dabei? Dieses Ge- Wir sollten aufpassen, dass wir den guten Start die- setz ist überfällig. ser neuen Bundesregierung mit all den guten Initiativen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch weiterführen. Wir packen die großen Themen an, der LINKEN) und wir handeln. Dafür sorgen übrigens auch Tausende von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei Polizei- und Es muss genau so umgesetzt werden – darauf beste- Sicherheitsbehörden, in der Justiz und in den Gerichten. hen wir –, wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wur- Sie sichern rechtsstaatliche Abläufe in unserem Land de. Dazu möchte ich etwas sagen, weil das ofenbar ein und damit auch den inneren Frieden in unserem Land. Reizthema ist, auch bei der Bundesvereinigung der Deut- Wir verlangen übrigens von diesen Mitarbeitern, dass sie schen Arbeitgeberverbände: Es geht darum, die Beweis- sich penibel an das Gesetz halten, und das machen sie last umzukehren. Was heißt das? Das ist ein technischer auch. Was aber sollen unsere Polizei und unsere Justiz Begrif. Wenn eine Frau sagt, sie will von Teilzeit in von Politikern halten, die von Rechtsbruch reden, wo es Vollzeit wechseln, und der Arbeitgeber sagt: „Nein, das keinen gibt, die Anwälte als Saboteure des Rechtsstaates geht nicht“, dann muss die Frau nach jetziger Rechtslage bezeichnen und die die Neutralität des Staates mit Fü- nachweisen, dass das doch geht. Jetzt einmal unter uns ßen treten und so tun, als wäre es ein Problem unseres hier im Plenarsaal: Glaubt irgendeiner ernsthaft, dass das 2988 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Andrea Nahles (A) möglich ist? – Ich sage deswegen: Wir drehen den Spieß für mehr Schulden machen? Sollen wir höhere Steuern (C) um. Wenn die Frau aufstocken will, wenn sie von Teilzeit bei Reichen und Vermögenden erheben? in Vollzeit wechseln will und der Arbeitgeber Nein sagt, dann muss der Arbeitgeber begründen, warum das nicht (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!) geht. Das ist doch nun wahrlich nicht zu viel verlangt. Sollen wir in anderen Haushalten einsparen? Wer das hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten permanent, und zwar einseitig und ohne Rücksprache mit der LINKEN) uns, öfentlich fordert und eine entsprechende Kampagne macht, der muss auch diese Fragen beantworten. Das wird niemanden in der deutschen Wirtschaft um- bringen. Das ist das Minimum, das wir für die teilzeitbe- (Beifall bei der SPD) schäftigten Frauen in diesem Land tun müssen. Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Wir vonseiten der SPD haben Wir haben im Übrigen auch zusätzliche Spielräume da keinen Redebedarf mehr, sondern wir sehen da nur bei der Bundesagentur für Arbeit. Darüber freue ich noch Umsetzungsbedarf. mich. Wir haben verabredet, dieses Geld auch in die Ab- senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu inves- (Beifall bei der SPD) tieren. Das werden wir auch tun. Wir haben eine Senkung Der Haushaltsentwurf sieht 46 Milliarden Euro Mehr- um 0,3 Prozentpunkte vereinbart. Ich glaube, das können ausgaben in dieser Legislaturperiode vor. Aufgrund der wir so machen. Steuerprognose ist, wie wir gehört haben, ein weiterer Es gibt zusätzliche Spielräume. Für die SPD ist klar: Spielraum von 10,8 Milliarden Euro drin. Olaf Scholz Jetzt müssen wir die Qualifzierungsangebote für Ar- hat den Vorschlag gemacht, einen Teil dieser Überschüs- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbessern. Es kann se in einen Digitalfonds einzubringen. Wir haben heute nicht sein, dass wir immer nur in Sonntagsreden über die gemerkt, dass das bei allen hier auf breite Zustimmung Digitalisierung und die Notwendigkeit der Qualifzie- stößt. Auch ich glaube, dass das Geld da richtig investiert rung im digitalen Wandel reden. Wir müssen auch die ist. Ich sehe dagegen keinen Anlass, den geringen zusätz- Kreativität aufbringen, das mit konkreten Maßnahmen lichen Spielraum, den wir haben, zu nutzen, um weitere zu unterlegen und in die Qualifkation unserer Arbeitneh- Mittel in den Verteidigungshaushalt zu stecken. Der Ver- merinnen und Arbeitnehmer zu investieren. teidigungshaushalt steigt bereits auf 38 Milliarden Euro an. Ich frage die zuständige Ministerin: Sie haben in den (Beifall bei der SPD) letzten zwei Jahren das Geld, das Sie bekommen haben, nicht ausgegeben. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Wir haben in Deutschland immer noch – das muss man sich einmal (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des vorstellen – 1,5 Millionen Erwerbstätige unter 30 ohne Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- abgeschlossene Berufsausbildung. Ich glaube, im Hin- NEN] – Christian Lindner [FDP]: Das ist die blick darauf gibt es Mittel und Wege bei der Bundes- Krise des Multilateralismus!) agentur . Wir brauchen eine dreijährige Ausbildung – wir Sie haben das aufgrund der inneren Zustände und der haben mit Herrn Scheele darüber geredet –, und wir brau- Inefzienzen der Bundeswehr nicht geschaft. – Frau chen zusätzliche Initiativen beim Programm WeGebAU. Merkel hat hier Peter Struck gelobt. Deshalb möchte Das ist für mich klar: Die SPD wird keiner zusätzlichen ich sagen: Er hat noch heute einen besseren Ruf in der Beitragssenkung zustimmen, ohne dass nicht vorher bes- Bundeswehr als sämtliche seiner Nachfolger. Auch das sere Qualifzierungsangebote für Arbeitnehmer verein- ist wahr. bart worden sind. (Beifall bei der SPD – Dr. Alexander Gauland (Beifall bei der SPD) [AfD]: Sie sind doch in der Regierung, Frau Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit großer Sorge er- Nahles!) füllt uns in diesen Tagen die internationale Entwicklung. Das Management der Bundeswehr muss verbessert Die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran werden. durch die USA und die Eröfnung der US-Botschaft in Jerusalem sind schwere Fehler und haben weitreichende (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie sind doch Konsequenzen schon wieder in der Regierung!) (Beifall bei der SPD) Sie wollen noch mehr Geld für die Bundeswehr. Wir alle wissen, dass es Probleme gibt. Mit Verlaub, wir haben Die jüngsten Ereignisse in Palästina sind furchtbar. Die Ausrüstungsschwächen. Zahl der Toten und Verletzten ist wirklich unfassbar. Die (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Da hat der letzten Stunden haben vor allem eine tragische Entwick- Struck auch nichts getan! Der Struck hat auch lung gezeigt: Sie haben die radikalen Kräfte auf allen nichts für die Bundeswehr getan, nur geredet!) Seiten gestärkt. Die ersten Demonstrationen in Gaza waren auch gegen die Hamas. Mittlerweile hat sich die Da sind wir immer bereit, etwas zu tun. Aber wir sind Hamas die ganze Bewegung unter den Nagel gerissen. nicht bereit, die zusätzlichen Spielräume in diesem Maße Wir können nicht abseitsstehen, und wir wollen auch dort hineinzustecken. Ich möchte Sie deswegen fragen: nicht abseitsstehen. Wir wollen weiterhin alles dafür tun, Wo sonst sollen wir das Geld hernehmen? Sollen wir da- dass die Leben der jungen Israelis und der jungen Paläs- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2989

Andrea Nahles (A) tinenser nicht weiter in einem Strudel der Gewalt sinnlos Zusammenhalt Europas stärken; denn darum ist es mo- (C) geopfert werden. mentan nicht gut bestellt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Norbert Kleinwächter [AfD]: Ja! Warum der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- wohl?) NISSES 90/DIE GRÜNEN) Als größter Profteur der Europäischen Union ist es auch Ich bekräftige an dieser Stelle ausdrücklich – das habe in unserem ureigensten Interesse, in die Stärkung Euro- ich hier schon vor wenigen Wochen gesagt – das Exis- pas zu investieren. Wer das ablehnt, sägt an dem Ast, auf tenz- und im Übrigen auch das Selbstverteidigungsrecht dem wir alle sitzen. Israels. Aber auch hier muss gelten: Die Verhältnismä- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ßigkeit der Mittel muss gewahrt bleiben. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die SPD tritt hier auch innerhalb der Bundesregie- rung für eine klare Haltung ein. Olaf Scholz führt hierzu Es muss jetzt um Deeskalation auf beiden Seiten ge- gerade intensive Gespräche mit den europäischen Kol- hen. Der UN-Sicherheitsrat ist für uns übrigens der legi- leginnen und Kollegen. Er hat das gestern auch klar dar- time und richtige Ort, wenn es um die Beruhigung einer gestellt. Wir sind auf dem Weg, den Europäischen Sta- so angespannten Situation wie der zwischen Israel und bilitätsmechanismus weiterzuentwickeln. Unser Ziel ist Palästina geht. Wir bedauern, dass es nicht gelungen ist, es, einen Europäischen Währungsfonds zu erreichen. Wir sich auf eine unabhängige Untersuchung der gewaltsa- sind auf einem guten Weg, das Bankenwesen in Europa men Auseinandersetzungen zu einigen. Wenn die USA sicherer zu machen. ernsthaft eine Rolle im schwierigen Nahostfriedenspro- zess einnehmen wollen, dann dürfen sie sich solchen (Norbert Kleinwächter [AfD]: Lächerlich!) Schritten nicht verweigern und gleichzeitig bei den po- Wir unterstützen gemeinsame Mindestsätze bei den Un- litischen Kernfragen einseitig Fakten schafen. Das geht ternehmensteuern, was für mich auch ein sehr wichtiger nicht. Einseitigkeit ist das falsche Mittel. Punkt ist, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sollte Deutschland im kommenden Jahr im UN-Sicher- und wir unterstützen auch eine gerechte Besteuerung heitsrat ein neues Gewicht bekommen, dann werden wir großer Konzerne – gerade auch der Internetkonzerne –, (B) uns als Stimme des Friedens einbringen. Ich bin mir si- auch wenn ich Frau Merkel recht gebe, dass das alles (D) cher, dass wir uns da alle einig sind. nicht ganz leicht ist, aber das Ziel muss hier klar benannt werden. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die internationale Sicherheit braucht die Fähigkeit zur der CDU/CSU) Entspannung und übrigens auch die Fähigkeit zum Kom- Ich habe keinen Zweifel, dass die Bundeskanzlerin und promiss. Wir werden auch für den Erhalt des Iran-Ab- der Bundesfnanzminister hier konkrete Fortschritte hin- kommens kämpfen. Mit unseren europäischen Partnern, bekommen werden. dem Iran und den anderen Unterzeichnern des Abkom- mens wollen wir Wege fnden, wie Handel mit dem Iran Die berühmte Antwort auf Macron – davon war ja weiterhin möglich sein kann. Die Voraussetzung ist, dass jetzt viel die Rede – sich der Iran an die Verpfichtungen hält. Aber auch hier gilt es, Eskalationsspiralen schlicht zu verhindern. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt auf Französisch!) (Beifall bei der SPD) fällt bei uns allen vielleicht etwas weniger pathetisch aus. Das unabgestimmte und provokante Vorgehen des Das ist aus meiner Sicht aber auch völlig in Ordnung. amerikanischen Präsidenten zeigt, dass wir Europäer Entscheidend ist, dass wir zusammen mit den Franzosen umso mehr gefordert sind. Ich bin der Bundesregierung und den anderen Partnern wirklich ganz konkret – das deswegen dankbar, dass sie sich in den letzten Wochen habe ich gerade dargelegt – an der Integration Europas auf allen Ebenen – ob Bundeskanzlerin, Außenminister arbeiten. Dass das bis zum Sommer Früchte trägt, dessen oder Finanzminister – wirklich bemüht hat, die Euro- bin ich gewiss; hier bin ich zuversichtlich. Dafür stehen päische Union wieder stärker zusammenzubringen. Wir diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen müssen den Zusammenhalt in Europa stärken. Dazu voll und ganz ein. gehört auch, dass wir zukünftig mehr Mittel in den eu- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rudolf ropäischen Finanzhaushalt einbringen werden als in der Henke [CDU/CSU]) Vergangenheit. Ja, wir haben das im Koalitionsvertrag verabredet, und es war weitsichtig. Das erkennt man, Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in wenn man sich die aktuelle Lage ansieht. diesem Koalitionsvertrag eine Menge vorgenommen. Es geht jetzt auch darum, uns darauf zu konzentrieren, das Die europäische Integration ist Grundvoraussetzung anzupacken. Dabei gibt es sicherlich weiterhin auch kon- für Wohlstand und Sicherheit in Europa. Wir müssen den troverse Debatten. Das ist auch notwendig und richtig, 2990 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Andrea Nahles (A) solange wir dabei nicht die Prioritäten aus den Augen Wenn Sie das Vertrauen in die internationale Ordnung (C) verlieren. wiederherstellen wollen, dann gehört dazu, dass Sie diese unverantwortliche Politik des Regime Change, die im- Die Menschen in Deutschland erwarten, dass wir et- merhin schon über 1 Million Menschenleben gekostet was tun, damit diese Welt ein sichererer Ort wird. Dafür hat, unmissverständlich verurteilen und klarstellen, dass ist Europa von zentraler Bedeutung. Die Menschen er- Deutschland einen Krieg gegen den Iran weder direkt warten, dass sie mehr Sicherheit im eigenen Land haben. noch indirekt unterstützen würde. Dazu würde ich gerne Dafür investieren wir – nicht nur in die Justiz, sondern etwas von der Bundesregierung hören. auch in die Lösung der sozialen Probleme, die die Men- schen verunsichern. Deswegen ist dieser Investitions- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- haushalt, den wir heute vorlegen, ein wichtiger Beitrag, neten der AfD) um Deutschland voranzubringen. Zweitens. Wenn Sie ehrlich Sorge vor einer weiteren In diesem Sinne: Fangen wir doch einfach an, das um- Eskalation im Nahen Osten haben, dann hören Sie doch zusetzen, was wir verabredet haben! bitte endlich auf, in dieses Pulverfass auch noch Wafen zu liefern. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Präsident Dr. Wolfgang Schäuble: NIS 90/DIE GRÜNEN) Nächste Rednerin ist die Vorsitzende der Fraktion Die Das kann doch nicht wahr sein. Seit Jahren versprechen Linke, Dr. Sahra Wagenknecht. Sie uns eine restriktive Rüstungsexportpolitik, und in Wahrheit dealen Sie hemmungslos mit den Rüstungslob- (Beifall bei der LINKEN) byisten, und Sie liefern Diktatoren wie Erdogan oder den Saudis genau die Wafen, die sie brauchen, um ihre bluti- Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): gen Kriege in Syrien oder eben auch im Jemen zu führen. Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Frau Das ist doch eine völlig unverantwortliche Politik. Bundeskanzlerin! Die Gewalt im Nahen Osten eskaliert. Wenn es Europa nicht gelingt, das Atomabkommen mit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- dem Iran zu retten, dann droht ein Flächenbrand. Wir neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) begrüßen es, dass Sie, Frau Bundeskanzlerin, sich von Pro Stunde sterben weltweit vier Menschen durch dieser gefährlichen Politik Donald Trumps distanziert deutsche Wafen. Wir fnden, dieses Verbrechen muss haben. Wir haben schon lange eine eigenständige und endlich ein Ende haben. selbstbewusste europäische Außenpolitik gefordert, und (B) wir sind froh, dass wir mit dieser Position heute nicht (Beifall bei der LINKEN) (D) mehr alleine stehen. Drittens. Auch das gehört zu einer eigenständigen (Beifall bei der LINKEN) Politik: Steigen Sie endlich aus dem von Trump voran- getriebenen Wettrüsten aus! Im letzten Jahr haben die Wenn auch die Bundesregierung inzwischen einsieht, europäischen NATO-Staaten 300 Milliarden Dollar und dass die amerikanische Politik unseren Sicherheitsinte- die NATO insgesamt 900 Milliarden Dollar für Rüstung ressen widerspricht und dass es fatal wäre, sich dieser ausgegeben. Sie haben vorhin darüber geredet, Fluchtur- Politik weiter unterzuordnen, dann müssen Sie jetzt doch sachen zu bekämpfen. Ein Zehntel dieser 900 Milliarden auch die notwendigen Schritte unternehmen. Dollar würde genügen, damit auf dieser Welt kein ein- ziges Kind mehr verhungert oder an Armutskrankheiten Sie, Frau Merkel, haben – erstens – öfentlich kriti- stirbt. siert, der Bruch des Iran-Abkommens – ich zitiere Sie – „verletzt das Vertrauen in die internationale Ordnung“. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Das ist richtig. Aber das Vertrauen in die internationale neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ordnung wird doch seit Jahren verletzt. Das wird doch bei jeder Gelegenheit, wo das Völkerrecht mit Füßen ge- 900 Milliarden! Ich sage Ihnen zum Vergleich: Russ- treten wird, verletzt. land gibt 66 Milliarden Dollar im Jahr aus. Wir reden also über eine Relation von 900 Milliarden zu 66 Milliarden, (Beifall bei der LINKEN) und da erzählen Sie uns allen Ernstes, wir müssen noch weiter aufrüsten, damit Putin nicht vielleicht morgen vor Das wird doch überall dort verletzt, wo große Militär- den Toren steht? Wie krank ist das denn, was Sie mächte und allen voran die Vereinigten Staaten sich an- hier verbreiten? maßen, Länder, deren Regierungen ihnen nicht gefallen oder die ihnen ihre Rohstofe nicht zu den gewünschten (Beifall bei der LINKEN) Konditionen zur Verfügung stellen, militärisch zu ver- Der Rüstungsetat – das ist schon interessant – ist der wüsten. Das war im Irak so. Das war in Libyen so. Sie einzige, bei dem Sie nicht kleckern, sondern klotzen. haben vorhin die Entwicklung genannt, aber so, als sei Dabei sind Wafen und Kriegsgeräte – das fnde ich das es vom Himmel gefallen, dass diese Länder destabilisiert wirklich Schlimme – dieser Großen Koalition ofensicht- wurden. Das war doch Kriegspolitik. Auch die jüngsten lich mehr wert als die Kinder in diesem Land. Denn wäh- Militärschläge gegen Syrien waren völkerrechtswidrig, rend Sie sich für bessere Kitas gerade einmal 3,5 Milliar- und die haben Sie leider sogar noch begrüßt. den Euro abringen können, sollen die Rüstungsausgaben (Beifall bei der LINKEN und der AfD) um mindestens 5,5 Milliarden Euro steigen, und wenn es Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2991

Dr. Sahra Wagenknecht (A) nach Frau von der Leyen geht, sogar um 12 Milliarden portförderung und einen schwachen Binnenmarkt setzt, (C) Euro. Können Sie irgendeinem Steuerzahler erklären, dann macht sie nicht nur Politik gegen die eigenen Ar- warum Sie mit seinem hart erarbeiteten Geld solchen beitnehmer, sondern auch Politik zulasten unserer Nach- Schindluder treiben? Das ist doch überhaupt nicht zu barländer. Das untergräbt den europäischen Zusammen- rechtfertigen. halt. Das ist doch völlig ofensichtlich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Es gibt noch einen Schritt. Wenn Sie wirklich eine ei- Dabei ist die Regierung eigentlich in einer komfor- genständige Politik wollen, dann beenden Sie die Eiszeit tablen Situation. Sie haben hohe Steuereinnahmen. Sie mit Russland und heben Sie die unsäglichen Sanktionen könnten sie zulasten von Konzernen und Superreichen auf. sogar weiter erhöhen, um dann Bezieher mittlerer Ein- (Beifall bei der LINKEN und der AfD) kommen und Geringverdiener tatsächlich zu entlasten, also nicht nur symbolisch, wie Sie es vorhaben. Die Ja, es stimmt: Auch der Anschluss der Krim war völker- Nullzinsen vergrößern Ihren Haushaltsspielraum noch rechtswidrig. Trotzdem brauchen wir die Kooperation weiter, und zwar beträchtlich. Sie hätten alle Chancen mit Russland, wenn wir Probleme lösen wollen. Das se- der Welt, Deutschland zu einem innovativeren und ge- hen wir beispielsweise beim Iran. Auch Sicherheit in Eu- rechteren Land zu machen. Aber was machen Sie? Trotz ropa gibt es nur mit Russland und nicht gegen Russland. eines Investitionsstaus von 120 Milliarden Euro bleiben (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- die Investitionen – und zwar auch nur, wenn man ganz neten der AfD) gutwillig rechnet – auf dem jetzigen kläglichen Niveau, und das, obwohl Sie zurzeit das Geld von den Banken Das war doch die Kerneinsicht, die damals der neuen fast geschenkt bekommen, wenn Sie es für Investitionen Außenpolitik, der neuen Ostpolitik von Willy Brandt einsetzen würden. zugrunde gelegen hat. Diese Tradition hat die deutsche Außenpolitik über viele Jahre geprägt. Dahin müssen wir (Beifall bei der LINKEN) zurückkommen, statt diese wichtige Tradition jetzt von Aber diese grandiose Mannschaft von schwarzen und ro- einem Amateur im Außenamt endgültig entsorgen zu las- ten Nullen schaut lieber weiter zu, wie Straßen, Brücken sen. Das ist doch der falsche Weg, und das können Sie als und öfentliche Gebäude verrotten, SPD erst recht nicht mittragen. (Beifall bei Abgeordneten der AfD) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der AfD) wie innovative Unternehmen am langsamen Internet ver- (B) zweifeln und wie Funktelefonate in manchen Gegenden (D) Ja, es geht auch um wirtschaftliche Interessen. Ist Deutschlands anstrengender sind als in vielen Entwick- Ihnen wirklich noch nicht aufgefallen, dass die Russ- lungsländern. Das ist doch keine haltbare Situation. land-Sanktionen in erster Linie die europäische Wirt- schaft, insbesondere die deutsche, trefen oder dass es (Beifall bei der LINKEN) vor allem europäische Unternehmen sind, denen nach der Obwohl Sie wissen, dass infolge der Digitalisierung Kündigung des Iran-Abkommens nun Probleme drohen? in Zukunft vor allem qualifzierte und hochqualifzier- Die Frechheit, mit der sich der neue US-Botschafter in te Arbeit gefragt sein wird, schicken Sie unsere Kinder die Geschäftspraktiken deutscher Unternehmen einge- weiter in marode Schulen, wo die Lehrer fehlen, wo der mischt hat, spricht doch Bände. Statt vier russische Di- Unterricht ausfällt und die jedes Jahr einige Tausend jun- plomaten auszuweisen, die überhaupt nichts verbrochen ge Menschen verlassen, ohne auch nur richtig Lesen und haben, hätte man vielleicht lieber diesem hemdsärmeli- Schreiben gelernt zu haben. Frau Merkel, ich fnde es be- gen Kollegen die Heimreise nahelegen sollen. eindruckend und richtig, was Sie hier zur Förderung der (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- künstlichen Intelligenz gesagt haben. Aber die natürliche neten der AfD) Intelligenz, die Intelligenz der Kinder und jungen Men- schen in diesem Land, sollte man vielleicht nicht völlig Eine eigenständige europäische Außenpolitik kann es außer Acht lassen. natürlich auch nur in einem einigen Europa geben. Das verlangt nicht weitere Zentralisierung, sondern eine Poli- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tik der guten Nachbarschaft. Im Unterschied zu Ihnen ha- neten der AfD) ben wir den Wahlsieg von Macron vor einem Jahr nicht Vor allem in sozialen Brennpunkten sind die Zustände an frenetisch bejubelt, und wir stehen heute an der Seite de- vielen Schulen eine einzige Katastrophe. Kinder, die hier rer, die sich in Frankreich gegen seinen Sozialabbau zur ins Leben starten, haben nie eine echte Chance. Wenn Wehr setzen. es nach Ihnen geht, wird sich daran auch nichts ändern; (Beifall bei der LINKEN) denn die Summe, die Sie jetzt zusätzlich bereitstellen, wird noch nicht einmal verhindern, dass in vielen Schu- Aber gerade den Macron-Fans hier im Hause müsste es len weiterhin der Putz von der Decke fällt. doch zu denken geben, dass Macron jetzt die deutschen Exportüberschüsse und die deutsche Sparwut als antieu- Ich fnde ja auch interessant: Die Große Koalition, ropäisch kritisiert. In diesem Punkt hat er doch wirklich auch Sie, Frau Merkel – heute nicht, aber manchmal recht. Wenn ausgerechnet die größte europäische Volks- schon –, spricht neuerdings wieder vom sozialen Zusam- wirtschaft rücksichtslos weiter auf Lohndumping, Ex- menhalt. Das begrüßen wir ja sehr. Aber ich sage Ihnen 2992 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Sahra Wagenknecht (A) einmal, wie der soziale Zusammenhalt in Deutschland bezahlte Arbeit anzunehmen. Verbieten Sie sachgrund- (C) zurzeit beschafen ist: In diesem Jahr bekommt das Ge- lose Befristungen, und lassen Sie nicht wieder tausend schwisterpaar Quandt und Klatten – zwei Leute – aus Hintertürchen zu. seinen ererbten BMW-Anteilen eine Dividende von 1 100 Millionen Euro überwiesen – 1 100 Millionen Euro (Beifall bei der LINKEN) für zwei Personen! Das sind doch Dinge, die Sie tun können. Stellen Sie eine (Christian Lindner [FDP]: Dann zahlen die solide Arbeitslosenversicherung wiederher, statt Arbeits- aber noch Steuern, oder?) lose nach einem Jahr mit Hartz IV zu enteignen und um alles zu bringen, was sie sich im Leben aufgebaut ha- – Die zahlen 25 Prozent. Da würde sich mancher Arbeit- ben. Jetzt wollen Sie schon wieder den Beitrag zur Ar- nehmer freuen, wenn er nur 25 Prozent zahlen müsste. beitslosenversicherung senken und den Unternehmen ein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Milliardengeschenk machen. Nehmen Sie das Geld, und neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – verlängern Sie die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I. Christian Lindner [FDP]: 48,34 Prozent zah- Das wäre doch einmal eine richtige Maßnahme für mehr len die!) soziale Sicherheit. Gleichzeitig streiten sich an den Tafeln immer mehr (Beifall bei der LINKEN) Arme, darunter auch viele Rentnerinnen und Rentner, Was haben Sie im Wahlkampf nicht alles für besse- viele Alleinerziehende um abgelaufene Lebensmittel. Ist re Pfege versprochen! Jetzt soll es 8 000 Stellen mehr das ein sozialer Zusammenhalt, wie Sie ihn sich vorstel- geben – bei 40 000 fehlenden Stellen allein in Senio- len? Wir würden das eher Raubtierkapitalismus nennen. renheimen und mindestens 70 000 fehlenden Stellen (Beifall bei der LINKEN) in den Krankenhäusern. 8 000 Stellen werden an den schlimmen Zuständen in vielen Pfegeheimen nicht das Es gibt kein Land in der EU, in dem die Zahl der Be- Geringste ändern, und das wissen Sie auch. Herr Spahn schäftigten, die trotz Arbeit arm sind, in den letzten Jah- hat jetzt angeregt, noch mehr osteuropäische Arbeitneh- ren so stark wie in Deutschland gewachsen ist. Was tut mer in der Pfege einzusetzen. Vielleicht sollten Sie, Herr die Große Koalition? Teilweise prangern Sie öfentlich Spahn, lieber mal darüber nachdenken, warum sich kaum die Missstände an, die Sie selber herbeigeführt haben – noch junge Menschen für eine Ausbildung als Pfeger das hat man bei der Rede von Frau Nahles wieder ein- entscheiden. Vielleicht hat das damit zu tun, dass es nicht drucksvoll gehört –; aber Sie ändern nichts. sehr attraktiv ist, Knochenarbeit für Hungerlöhne zu leis- Jeder in diesem Land weiß, dass ein Mindestlohn von ten. Es ist vor allem auch zutiefst ungerecht. Jede ein- (B) 8,84 Euro nicht zum Leben reicht. Die Bundesregie- zelne Pfegekraft leistet mehr für das Allgemeinwohl als (D) rung hat vor kurzem ausgerechnet, dass man mindestens alle Investmentbanker zusammen. Deswegen muss diese 12,63 Euro braucht, um nach 45 Jahren Vollzeitarbeit wichtige Arbeit endlich angemessen bezahlt werden. eine Rente oberhalb der Grundsicherung zu bekommen. (Beifall bei der LINKEN) Herr Scholz hat mittlerweile einen Mindestlohn von 12 Euro gefordert. Es ist doch wirklich tragisch: Es gibt nicht ein Pro- blem, das Sie entschlossen anpacken, nicht eine Heraus- (Beifall bei der LINKEN) forderung, der Sie sich wirklich stellen. So kann man Ich fnde es ja gut, wenn sich die SPD unseren Forde- doch nicht in eine Wahlperiode starten – ohne Ideen, rungen anschließt. Aber wie erklären Sie es dann irgend- ohne jede Vision, ohne einen einzigen großen Gedanken einem Ihrer Wähler, dass Sie in eine Große Koalition oder irgendein wichtiges Vorhaben. So kann man doch gehen, ohne eine Erhöhung des Mindestlohns auch nur nicht anfangen. gefordert zu haben? Vor kurzem wurden die Bürgerinnen und Bürger da- (Beifall bei der LINKEN) nach gefragt, wer heutzutage die Macht hat. Die wenigs- ten gaben an, dass sie der Meinung sind, dass die Macht Sie haben ja noch nicht einmal die Forderung aufgestellt. bei den Politikern liegt. Nahezu niemand glaubte, dass In den Unternehmen werden die Umgangsformen im- die Bevölkerung die Macht hat, wie es in einer Demokra- mer rüder. Bei Amazon werden Beschäftigte noch auf tie eigentlich sein sollte. Die Mehrzahl ging davon aus, der Toilette digital überwacht. Bei der Post muss man in- dass es die Wirtschaft, die großen Unternehmen und die zwischen eine bärenstarke Gesundheit mitbringen, wenn Reichen sind, die dieses Land regieren. man einen unbefristeten Vertrag haben will. Einige von Ich will Ihnen ja nicht unterstellen, dass das Ihre Ab- Ihnen haben das öfentlich beklagt. Aber wenn Sie nicht sicht ist; aber wenn man den Menschen besonders über- wollen, dass Arbeitnehmer immer schutzloser solchen zeugend demonstrieren will, dass sie nicht mehr in einer Praktiken ausgeliefert sind, dann ändern Sie endlich die Demokratie leben, dass sie wählen können, was sie wol- Gesetze, die das alles doch erst ermöglicht haben. len, und sich überhaupt nichts ändert – es geht all das (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. weiter, die gleiche Konstellation, genau die gleiche Po- Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE litik, der sie vorher bei der Wahl nachdrücklich die Rote GRÜNEN]) Karte gezeigt haben –, Sorgen Sie dafür, dass niemand mehr in diesem Land von (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das den Jobcentern gezwungen wird, prekäre, untertarifich ist doch Unsinn!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2993

Dr. Sahra Wagenknecht (A) wenn man auch noch dem letzten Gutgläubigen verdeut- Gedanken machen. Ich fnde es aber in diesem Kontext (C) lichen will, dass Wahlversprechen nichts anderes sind als genau verkehrt, dass Sie versuchen, die osteuropäischen wohlkalkulierte Lügen, dann muss man es genau so ma- Pfegerinnen am Ende doch gegen die auszuspielen, die chen, wie Sie es machen. Ich fnde das unverantwortlich. aus unserem Land kommen. Das sollten Sie sich noch einmal überlegen. Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen (Beifall bei der LINKEN – Michael Gros- gebe ich Ihnen recht. se-Brömer [CDU/CSU]: Ich fnde Ihre Unter- stellungen unverantwortlich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben vorhin gehört, was für Hetzreden inzwischen sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD]) im Bundestag gehalten werden. Dass solche Reden, in denen Menschen gegeneinander ausgespielt werden, in Frau Merkel, Sie haben heute viel über die Aufgaben denen Menschen herabgesetzt werden, hier im Bundes- geredet, die vor uns liegen. Sie haben heute gezeigt, dass tag möglich geworden sind, das ist das Ergebnis Ihrer Po- Sie, dass diese Koalition, dass die Mitglieder dieser Ko- litik, und Sie denken noch nicht mal darüber nach, diese alition eigentlich wissen, dass das Land im Umbruch ist. Politik endlich zu verändern. Ich fnde das wirklich zum Sie hätten die Mittel dazu. Sie haben die Möglichkeiten Verzweifeln. Das kann doch nicht so weitergehen. dazu. Wenn man sich den Haushalt anschaut und wenn man sich anschaut, was real gemacht wird, dann stellt (Beifall bei der LINKEN) man fest: Sie sind eben doch gefangen in den alten Routi- nen, in dem alten „Es geht weiter so“, in einem Haushalt, Alle Umfragen belegen: Viele Menschen machen sich der nicht für die Zukunft gemacht ist, sondern nur eine Sorgen um die Zukunft. Eine Mehrheit wünscht sich Fortschreibung ist, so eine Art Wiedervorlage des alten, mehr sozialen Ausgleich. Sie ärgert sich, dass gerade die meine Damen und Herren. größten Unternehmen oft die niedrigsten Steuern zahlen und die Politik nichts dagegen tut. Sie fordert eine Be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) steuerung großer Vermögen. Sie will keine Aufrüstung, sondern Investitionen in die Zukunft. Und was machen Natürlich ändert sich da draußen die Welt, die Hal- Sie? Sie machen einfach das Gegenteil. Sie subventio- tung, die Sehnsucht. Ich habe mir Ihre Rede in Aachen nieren Konzerne und füllen die Auftragsbücher der Waf- angeschaut. Da haben Sie Herrn Macron für die Begeis- fenschmieden. Aber Sie sind nicht bereit, Kinder und alte terungsfähigkeit für Europa gelobt wie so einen putzigen Menschen vor Armut zu schützen. In einem Land, das Welpen. Und Sie? Sie haben dagestanden und genau das die vielleicht besten Autos dieser Welt baut, erklärt sich nicht gemacht. Ich habe das auch heute hier nicht gehört. die Politik für unfähig, pfegebedürftigen alten Menschen Frau Nahles hat gesagt: Wir sind vielleicht nicht so be- (B) einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen. geisterungsfähig. – Aber du meine Güte! Darauf kommt (D) Frau Bundeskanzlerin, liebe Große Koalition, Sie es doch an! Es kommt doch jetzt darauf an, dass wir auch erwägen gerade, einen Werteunterricht für Flüchtlinge ausstrahlen, dass wir für dieses gemeinsame Europa sind. einzuführen. Ich würde Ihnen dringend raten, vorher erst Es kommt doch jetzt darauf an, dass wir das Geld auch mal Ihre eigenen Werte zu überprüfen. bereitstellen. Das hat Ihr Finanzminister leider nicht ge- macht bei seinen Ankündigungen gestern hier. Es kommt (Beifall bei der LINKEN) doch darauf an, dass wir zeigen, dass wir Europäer, nach- Ich fnde, so kann es nicht weitergehen. Wir brauchen dem der Iran-Deal von den Vereinigten Staaten gekün- dringend eine andere Politik. Wir brauchen eine Politik, digt worden ist, es gemeinsam machen und nicht nur da- die das Rückgrat besitzt, auch Interessenkonfikte mit rüber reden. mächtigen, einfussreichen Lobbys und Interessengrup- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) pen durchzustehen, eine Politik, die endlich wieder das tut, was ihr Auftrag in einer Demokratie ist: Politik für Es kommt doch darauf an, dass wir zeigen, dass wir die die Mehrheit zu machen und nicht nur für die Reichen. Friedensmacht sind. Eine Friedensmacht, Frau Merkel (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Zuruf und Frau von der Leyen, ist man nicht, indem man ei- von der LINKEN: Bravo! – Michael Gros- nerseits immer über Europa und gemeinsame Außenpo- se-Brömer [CDU/CSU]: Immer dieselben litik redet, auf der anderen Seite aber eben doch wieder Phrasen!) nur den Etat für die deutsche Bundeswehr aufstockt, die einen verdammt schlechten Umgang mit ihren eigenen Finanzmitteln pfegt. Deswegen akzeptieren wir das auch

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: nicht, meine Damen und Herren. Für Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Katrin Göring-Eckardt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Andrea Nahles [SPD])

Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dass Sie für dieses gemeinsame Europa, für das es NEN): jetzt wirklich Leidenschaft braucht, auch in schwierigen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Zeiten eintreten, das könnten Sie jetzt zeigen. Sie haben Frau Wagenknecht, ich fnde wirklich sehr löblich, dass ja schon eine ganze Menge von Krisen gemeistert und Sie sich über den gesellschaftlichen Zusammenhalt hier auch Fehler gemacht. Einige hier behaupten ja immer, 2994 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Katrin Göring-Eckardt (A) den größten Fehler hätten Sie 2015 gemacht. Ich glaube, Manchmal reicht es eben nicht, „Mut“ auf Plakate zu (C) da haben Sie ihn gerade nicht gemacht. schreiben. Manchmal muss man eben den Mut auch an der richtigen Stelle haben. (Zurufe von der AfD: Falsch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Da haben Sie in einer Notsituation richtig entschieden, Dr . [FDP]: Das ist ja das Ende sind ins Risiko gegangen, trotz aller Konsequenzen und jedes politischen Anspruchs!) Nebenwirkungen, die diese historische Situation nun ein- Sie haben ja gesagt – vielleicht ist das ja auch diese mal mit sich brachte. Jetzt könnten wir aber in einer Situ- Mut-Sache, die Sie brauchen –, dass Sie mehr Frauen ation sein, in der der größte Fehler gerade jetzt passiert, eine Möglichkeit geben möchten. Auch das habe ich mir nämlich indem wir nur versuchen, Europa mitzuverwal- genau angeschaut. Sie haben da von Gender geredet, als ten und ins Kleinteilige zu verfallen. Ich kann nur hof- ob das etwas Ekliges wäre. Das sehe ich anders. fen, dass die Vorschläge, die Sie hier angekündigt haben, genau zum Gegenteil führen, nämlich dass Europa groß (Zurufe von der AfD: Ja!) gedacht wird, dass tatsächlich die Verantwortung für die – Ja, die AfD fndet das auch; darauf habe ich gewartet. gemeinsame Außenpolitik an die europäische Ebene ab- gegeben wird, dass Schluss gemacht wird mit der Veto- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- möglichkeit, damit wir tatsächlich auch gemeinsam und NEN]: Hauptsache Männer! – Zuruf der Abg. tatkräftig handeln können. Das brauchen wir jetzt als Ge- Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- genüber zu , als Unterstützung für die Zi- NEN]) vilgesellschaft in den Vereinigten Staaten. Das brauchen – Das mit den Frauen regelt der Markt. – Ich fnde, Herr wir jetzt, damit wir uns in Europa auch wirklich gemein- Lindner, machen Sie es so: Machen Sie den Frauen ein- sam zu Hause fühlen können. Das erwarte ich von Ihnen fach bessere Angebote, und eröfnen Sie ihnen Zukunfts- und von Ihrer Regierung, Frau Merkel. perspektiven; denn so bekommt man Spitzenfrauen in die Politik, und nicht damit, dass man darüber redet, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eine vielleicht ein bisschen besser aussieht, meine Da- men und Herren. Lieber Christian Lindner, bei Ihrer Rede auf dem Par- teitag zu Europa war ich ja ganz bei Ihnen. Da ging es da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rum, dass Sie sagten, dass ein historischer Moment nicht sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei genutzt worden sei. Was mich aber wundert: Wenn Sie so Abgeordneten der AfD – Zuruf von der AfD: vehement ein deutsches Ja zu Europa fordern, heißt das Ausgerechnet Sie, Frau Göring-Eckardt!) (B) (D) doch, dass man eine gemeinsame Verantwortung für die Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Merkel hat Finanzen wahrnimmt, dann heißt das doch, dass man ins vorhin gesagt: Herr Seehofer braucht noch ein bisschen Risiko geht, dass man sich tatsächlich engagiert. Schonfrist, weil die Regierung noch keine 100 Tage im Amt ist. – Ich habe schnell nachgerechnet: Das Innenmi- (Christian Lindner [FDP]: Warum? Hamburg nisterium ist seit 4 500 Tagen in Unionshand. Wenn es haftet auch nicht für Bremen!) dann darum geht, was man noch nicht im Grif hat, kann man, wie ich fnde, schon einmal auf diese 4 500 Tage, Sie hätten wirklich die Möglichkeit gehabt, als wir da- diese sehr lange Zeit der Verantwortung der Union, bli- rüber verhandelt haben, für dieses gemeinsame Europa cken. Herr Seehofer, seit Wochen torpediert Ihre Partei, einzutreten. Genau das haben Sie nicht gemacht. die CSU, das Grundgesetz. (Christian Lindner [FDP]: Nein! Wir wollen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ein anderes als ihr!) SES 90/DIE GRÜNEN) – Sie wollen ein anderes Europa, Herr Lindner? Herr Dobrindt von rechts, und Markus Söder von Rechts wegen. Mit dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz darf (Christian Lindner [FDP]: Als Sie!) gegen unschuldige Bürgerinnen und Bürger ohne kon- kreten Verdacht ermittelt werden. – Nein, wir haben nur dieses eine Europa. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: So (Christian Lindner [FDP]: Nein!) ein Quatsch! Entweder sagen Sie Unwahrhei- ten, oder Sie wissen es nicht besser! Ich weiß Das ist das Problem. nicht, was schlimmer ist!) Der Protest gegen dieses Gesetz ist Verfassungspatriotis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mus, meine Damen und Herren, und das, was Sie hier machen, ein Angrif auf unsere Verfassung. Wir haben nur dieses eine Europa, und das können wir gestalten. Dafür können wir gemeinsame Verantwortung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN übernehmen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jürgen Braun [AfD]: Sie haben doch gar nichts mit (Christian Lindner [FDP]: Überwindet eure dem Grundgesetz am Hut, Frau Göring-­ Traumatisierung!) Eckardt! Das ist doch Neuland für Sie!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2995

Katrin Göring-Eckardt (A) Das stellt den Rechtsstaat selbst infrage. Am Ende des Tages haben Sie nicht einmal den Hintern (C) in der Hose, mit einem einzigen Beschluss für mehr Kli- Herr Seehofer, Sie sind Verfassungsminister. Man maschutz von dort wieder herunterzufahren. muss sich wirklich inständig wünschen, dass Sie unsere Verfassung jetzt mal gegen die CSU verteidigen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Ärgert Sie, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dass Frau Nahles dabei war?) Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein bisschen viel verlangt!) Das ist doch eine Fortsetzung der Katastrophe, die wir Klimakrise nennen. Ich fnde ja, Herr Söder kann gar nicht so viele Kreuze aufhängen, die man anbeten könnte, damit ein baldiges Natürlich brauchen wir sofort den Ausstieg aus der Ende eintritt, der neue Landtag endlich gewählt ist, diese Kohlekraft. Diese Verzögerungsspielchen mit einer er- populistischen Auswüchse aufhören und vor allem, da- neuten Kommission werden nicht mehr weiter funktio- mit die CSU endlich einen Koalitionspartner bekommt, nieren. Wir werden Sie übrigens auch nicht daran mes- sodass dort Vernunft einkehrt, meine Damen und Herren. sen, was Sie miteinander verabreden konnten und ob Sie diese Ziele einhalten. Wir werden Sie daran messen, was (Christian Lindner [FDP]: Genau, jetzt bie- ökologisch, was in dieser Existenzfrage tatsächlich not- dern Sie sich schon vor der Wahl an! – Stefan wendig ist. Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Was die Grü- nen in Bayern betreiben, ist ja schon Stalking!) Ich will es noch einmal sagen, nur damit es in Ihren Kopf hineinkommt: Jedes Jahr müssen durchschnittlich Liebe Frau Nahles, ich habe mir sehr genau ange- 26 Millionen Menschen ihre Heimat wegen extremer schaut, was der Haushalt hinsichtlich Gerechtigkeit bie- Klimaschäden verlassen. Die Unwetter nehmen zu. 2017 tet. Erst einmal habe ich mich gefragt: Warum haben Sie haben Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen einen eigentlich 13 Stunden, glaube ich, um das Finanzressort Schaden in Höhe von 330 Milliarden Euro verursacht. verhandelt, damit am Schluss Wolfgang Schäuble Olaf Das ist die Wirklichkeit, übrigens auch die ökonomische Scholz heißt? Sonst ändert sich eigentlich nichts. Wirklichkeit. Daran messen wir Sie. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Noch nie hat eine Regierung mit so viel Geld so wenig Hier auf der Regierungsbank sitzt das große ökolo- gemacht. Die Einnahmen steigen, und das Land fährt gische Schweigekartell Deutschlands. Vergangenes Jahr trotzdem weiter auf Verschleiß. Wo fnde ich denn die haben Sie noch alle gelacht, als über das Bienensterben von Ihnen angesprochene soziale Gerechtigkeit? geredet worden ist. Jetzt macht man das nicht, wenn man (B) mal daran denkt, dass das vielleicht ein Problem ist. (D) Sie können sich doch nicht hierhinstellen und über die Pfegekräfte reden, und am Ende bekommen sie nicht In Hannover hat gerade ein Supermarkt gezeigt, wie mehr als einen Tropfen auf den heißen Stein. es ohne Bienen aussehen würde. Die haben 60 Prozent der Produkte aus ihren Regalen genommen. Ohne Bienen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gäbe es kein Obst, keine Babynahrung und – vielleicht Selbst in den Jamaika-Verhandlungen hatten wir das Schlimmste für manche – keine Schokolade. 25 000 Pfegekräfte besprochen. Sie sind mit 8 000 Pfe- Das alles ist systemrelevant. Täglich verschwinden bis gekräften aus den Verhandlungen gekommen. Ich war in zu 100 Tierarten, und es entstehen keine neuen. Ich will den letzten Wochen in einer ganzen Reihe von Pfegehei- eine Politik, die dafür sorgt, dass 2020 mit dem Arten- men. Die Leute fühlen sich vergackeiert – so sagt man sterben Schluss ist. Ich will eine Regierung, die das tut. das bei mir zu Hause –, weil sie sagen: Wir haben nicht Meine Damen und Herren, Sie von der Regierung müs- einmal eine Kraft pro Pfegeeinrichtung mehr. – Das sen das wollen, wenn Sie irgendetwas für die Zukunft kann doch nicht sein. Das ist das Gegenteil von Gerech- dieses Landes und die Zukunft dieser Erde tun wollen. tigkeit. Das ist doch der Versuch, Leute ruhigzustellen So geht es nicht weiter. und kleines Karo zu machen, meine Damen und Herren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Lachen bei der AfD) Aber am meisten hat mich erschüttert, wie lange hier – Sie können ruhig darüber lachen. Wenn man sich die heute eigentlich über die große Existenzfrage Ökologie AfD anschaut und zuhört wie sie über Heimat und solche geredet worden ist. Frau Merkel, wenn ich es richtig an- Dinge redet, kann ich nur sagen: Wenn Sie daran nicht geschaut habe, war es in Ihrer Rede, abzüglich des Ge- denken, wenn Sie darüber lachen können, dann haben Sie denktages für die Bienen, eine Minute. Ist das Neue an komplett verfehlt, was deutsche Politiker in dieser Zeit der Koalition, dass man noch nicht einmal mehr so tut, tun müssen. als ob die ökologische Zukunft des Landes wichtig ist? (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- Sie stehen oben auf der Zugspitze und machen schicke NIS 90/DIE GRÜNEN]) Fotos, während Sie der Klimakrise zuschauen, während der Gletscher schmilzt. Schauen wir uns die Verschmutzung der Meere durch Plastik an oder die Auswirkungen der Verschmutzung (Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Wären Sie durch den Diesel; dazu haben wir heute etwas gehört. gern dabei gewesen?) Das war dieselbe Platte, die ich schon hundertmal gehört 2996 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Katrin Göring-Eckardt (A) habe, und es war dieselbe Platte, die ich immer von der Da hilft auch ganz bestimmt kein Heimatministerium, (C) Autolobby höre. Natürlich geht es darum, dass unsere was noch mehr dafür sorgt, dass es zum Auseinanderdrif- Automobilindustrie das macht, was sie verschlafen hat, ten kommt. nämlich in die Zukunft zu investieren; aber es muss doch auch darum gehen, dass die Leute, die von eben dieser Autoindustrie betrogen worden sind, jetzt tatsächlich Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: eine Entschädigung und eine Hardwarenachrüstung be- Frau Kollegin, Sie denken an Ihre Zeit? kommen. Das nicht zu veranlassen, ist echtes Versagen von Politik. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NEN): Da hilft nur, dass Sie sich aufrafen und dieses Land zu Das führt auch zu einem Misstrauen, das die Menschen einem machen, das modern ist, den Zusammenhalt will weiterhin haben werden. Auch da kann man fragen: Wer und die ökologischen Fragen endlich in den Mittelpunkt war eigentlich in den vergangenen Jahren – Neustart hin stellt. Auch das hat Ihnen Herr Macron vorgemacht, und oder her – zuständig? Zuständig war im Wesentlichen Sie machen es im kleinen Karo. So, meine Damen und immer die CSU, dafür, dass das alles passieren konnte, Herren, geht es nicht weiter. dafür, dass die Themen unter der Decke gehalten wurden, und dafür, dass die Autoindustrie einfach so weiterma- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – chen konnte. Volker Kauder [CDU/CSU]: Und so geht es Ich fnde, was in Ihrer Rede, Frau Merkel, am meisten jetzt weiter! Punkt!) gefehlt hat, ist die große Frage: „Wie will man eigent- lich den Zusammenhalt in dieser Gesellschaft gestalten?“ Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Sie haben gesagt, Sie hätten erkannt, dass die Menschen Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der Kol- nicht mehr darauf schauen wollen, wer zuständig ist. lege Volker Kauder. Deswegen kommen jetzt Grundgesetzänderungen; da- rüber können und müssen wir auch reden. Aber nur um (Beifall bei der CDU/CSU) das Zuständigsein allein geht es nicht; es geht auch um großes Denken. Volker Kauder (CDU/CSU): Nehmen wir mal das schöne Beispiel „Wohnen“. Das ist eine der größten sozialen Fragen dieser Zeit. Die Leu- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! (B) te füchten vom Land in die Städte, weil sie Jobs und bes- Ich möchte mit dem Thema Europa kurz anfangen, weil (D) sere Infrastruktur suchen. Was sie fnden, sind schlech- es sowohl für unsere Zukunft von großer Bedeutung ist, te Luft, keine Kitaplätze, verdammt teure Wohnungen, weil es auch in dieser Haushaltsdebatte eine Bedeutung unbezahlbare Mieten und keinen geeigneten Wohnraum. hat und weil die Werte dieses Europas für die allermeis- Dann sagen Sie: Baukindergeld. ten in diesem Hohen Haus von großer Bedeutung sind. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Jawohl!) (Zuruf von der AfD: Welche Werte?) Wir sagen: Diese 22 Milliarden Euro helfen keinem Ein- Diese Werte stammen aus der christlich-jüdischen Tra- zigen, der die Miete nicht mehr bezahlen kann. dition. Zur christlichen Tradition gehört die Erkenntnis, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und deshalb eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) unverwechselbare Würde hat. Das sind Steuergelder, die in den ohnehin schon überhitz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten Wohnungsmarkt hineinfießen. Das ist kein geeigne- ordneten der SPD) tes Instrument. Wenn es in diesem Haus Kolleginnen und Kollegen gibt, Es geht doch um die Fragen: Wie wollen wir zusam- die das christliche Abendland retten wollen und dann menleben? Wie organisieren wir unsere Städte? Wie ist über andere Menschen so sprechen, wie Sie es gemacht die Infrastruktur im Bereich der Pfege aufgestellt? Ha- haben, Frau Weidel, dann hat dies mit dem christlichen ben wir genügend Kitas? Wie ist es mit der Integration, Menschenbild nichts zu tun. Es hat damit null zu tun. meinen wir das wirklich ernst, ja oder nein? Ich erwar- te von einer Regierung, die über Zusammenleben redet, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und nicht, dass sie an diesen oder jenen Punkt ein kleines dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Bonbon verteilt, sondern dass sie die Strukturfrage, das Abgeordneten der FDP und der LINKEN – Auseinandertriften der Gesellschaft, die Armutsfrage, Dr. Alice Weidel [AfD]: Das hat sehr wohl die Frage: „Wie lebt die Alleinerziehende, die am Ende damit zu tun! Die deutschen Bürger sind Frei- des Monats nicht einmal das Geld hat, mit ihren Kindern wild durch die steigende Kriminalität durch ‚Jim Knopf‘ im Kino anzuschauen?“, in den Mittelpunkt die Menschen, die Sie reingelassen haben! ihrer Politik stellt; denn die größte Gefahr ist, dass der Dafür sind Sie verantwortlich!) Zusammenhalt nicht mehr funktioniert. – Sie sind jetzt mal ruhig und hören zu. Man hat Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schließlich erst holen müssen, damit Sie überhaupt wie- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2997

Volker Kauder (A) der herkommen. Sie besitzen dieses unglaubliche – ich der Weiterentwicklung unseres Landes vor? Zweitens. (C) sage das jetzt mal – Ding, Welche Antworten geben wir auf die Frage der He- rausforderung Europa? Drittens. Wie verhalten wir uns (Dr. Alice Weidel [AfD]: „Unglaublich“ angesichts der großen Konfikte, die den Frieden in be- stimmt! Eine unglaubliche Politik machen stimmten Regionen bedrohen und für uns eine wichtige Sie!) Aufgabe sind? sich hierhinzustellen und eine Rede zu halten, und dann verschwinden Sie aus dem Plenarsaal. Wir haben gesagt: Mit dieser Koalition wollen wir in Deutschland einiges voranbringen. Wir wollen die- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Oh, Entschuldi- ses Land modernisieren. Das ist unser Anspruch. Wenn gung!) man nun in den Haushalt 2018 schaut, sieht man ganz Damit ich Sie ansprechen kann, muss man Sie extra ho- klar, dass damit der Weg der Modernisierung begonnen len lassen. wird. Wir haben nicht gesagt – auch der Finanzminister nicht –, dass wir mit all den Aufgaben, die wir haben, im (Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie sind doch trotz- Jahr 2018 fertig sind. Die Planung geht in den nächsten dem da und können Ihre Rede halten! Was ist Jahren weiter. Dies zeigt sich auch an der Modernisie- denn das für eine Aktion? – Gegenruf der Abg. rung der Digitalisierung und dem schnellen Internet. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was ist das denn für ein Stil?) Wir setzen uns für die Modernisierung in unserem Was sind denn das für Werte, Frau Weidel? Bildungswesen ein. Im Bereich der Forschung und In- novation geht es ebenfalls voran. Für all diese Bereiche (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, geben wir Geld aus. Jetzt aber so zu tun, als ob es kei- der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ne Kompetenzverteilungen zwischen Bund, Kommunen GRÜNEN) und Ländern gäbe, führt uns nicht weiter, also nach dem Motto: Weil einige Bundesländer es nicht hinkriegen, Sie brauchen mir nicht mehr mit dem christlichen ihre Aufgaben in der Bildungspolitik zu erfüllen, muss Menschenbild zu kommen. Was Sie heute gemacht ha- das der Bund machen. So wird Föderalismus nicht zur ben, ist das glatte Gegenteil davon, und dafür sollten Sie Stärke in unserem Land. Es muss natürlich jeder seine sich schämen. Aufgabe erfüllen. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- GRÜNEN – Dr. Alice Weidel [AfD]: Sie soll- ordneten der FDP) (B) ten sich schämen, Herr Kauder! – Zurufe von (D) der AfD: Schauen Sie doch mal in den Spie- Um es ganz klar zu sagen: Ja, wir wollen eine Grund- gel, wenn es um Scham geht, Herr Kauder! – gesetzänderung im Bereich der Bildung, Frau Nahles. Gerade Sie sollten sich was schämen, Herr Kauder! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ (Christian Lindner [FDP]: Aber zusammen CSU]: Das waren mehrere Trefer!) habt ihr eben keine Mehrheit mehr!) Ich möchte aber ganz klar sagen, dass ich darunter nicht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: verstehe, dass wir in Zukunft die Lehrerinnen und Leh- Liebe Kollegen, ich bitte um Ruhe. Hören Sie bitte rer aus dem Bundeshaushalt fnanzieren; darin sind wir dem Redner zu. uns auch einig. Wir wollen in der Infrastruktur etwas ma- chen. Klar ist auch, dass die Länder ihre Aufgaben bei Volker Kauder (CDU/CSU): der Modernisierung der Ausbildung der Lehrerinnen und Jetzt will ich Ihnen mal was sagen: Lehrer in die eigene Hand nehmen müssen. (Dr. Alice Weidel [AfD]: Kommen Sie zum (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Thema!) Wir haben gesagt: Wir schnüren ein großes gemein- Sie müssen es genauso ertragen, wenn man Sie kritisiert, sames Sicherheitspaket. Wir haben miteinander verein- wie andere auch. bart, mehr im Bereich Bundespolizei zu tun. Die Län- (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ertrage ich sehr der haben ebenfalls gesagt, dass sie für die Polizei mehr wohl!) tun wollen. Wir haben auch gesagt – das ist ein genauso richtiger Punkt –: Jeder muss seinen Beitrag leisten. Das Großmäulig im Austeilen und schwach im Einstecken – heißt, dass auch die Länder im Bereich der Justiz mehr das ist die AfD. tun müssen. Und darauf legen wir auch großen Wert. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU, der Ich möchte bei der Überprüfung zur Halbzeit der Le- SPD, der FDP, der LINKEN und dem BÜND- gislaturperiode – diese haben wir ja vereinbart, um zu NIS 90/DIE GRÜNEN) sehen, was wir erreicht haben –, aber vor allem am Ende Kommen wir zum Thema. Liebe Kolleginnen, liebe dieser Legislaturperiode schon feststellen können, dass Kollegen, in dieser Haushaltsdebatte gibt es, glaube ich, jeder seinen Beitrag geleistet hat. Dieses Land wird nicht drei Schwerpunkte: Erstens. Was haben wir im Bereich moderner, wenn nur der Bund Geld in die Hand nimmt 2998 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Volker Kauder (A) und seine Aufgaben erledigt. Vielmehr muss jeder auf je- Trickserei bezeichne und der das Vertrauen nicht stärkt, (C) der Ebene seine Aufgaben erledigen. liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Andrea Nahles [SPD]) Deswegen ist es völlig richtig, wenn wir sagen: Wir Dann wird Deutschland moderner, und darauf legen wir legen großen Wert darauf, dass die Regeln eingehalten einen großen Wert. werden. Das Thema Europa hat, ich fnde, zu Recht, eine gro- (Zuruf von der AfD: Hört! Hört!) ße Rolle gespielt. Ich habe an diesem Rednerpult schon mehrfach leidenschaftlich für dieses Europa geworben Ein noch so leidenschaftlicher Einsatz für Europa hilft und immer wieder darauf hingewiesen, nicht zu kleintei- nichts, wenn wir uns nicht auch an das halten, was wir lig darüber zu reden. Ich habe darauf hingewiesen, dass miteinander vereinbart haben. Auch das ist Teil einer gerade für unsere Generation, die erste Nachkriegsgene- Wertegemeinschaft. ration in Deutschland, Europa nicht in erster Linie ein Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, einen letzten Hin- Europa von Euro und Cent war, sondern dieses Europa weis möchte ich geben: Ich bin dankbar, dass die Bun- eine Wertegemeinschaft, eine Friedenseinrichtung ist. desregierung bzw. die Bundeskanzlerin sich in diesen Für dieses Europa möchte ich auch in Zukunft leiden- Tagen so intensiv mit den außenpolitischen Herausfor- schaftlich streiten, liebe Kolleginnen und Kollegen. derungen beschäftigt. Wir haben heute Nachmittag einen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) großen Kongress der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Möglichkeiten der Rückkehr von Christen Ich höre regelmäßig von verschiedenen Seiten: Wie und Jesiden in die Ninive-Ebene“. Mit diesem Thema be- kann man leidenschaftlich für ein Europa streiten, wenn schäftigen wir uns schon eine ganze Zeit lang, und wir man nicht alles gut fndet, was Macron oder andere vor- sind dem Entwicklungsminister Müller dankbar, dass er schlagen? Ich sage dazu: Auch in diesem Europa wird dort einen großen Beitrag leistet. über den richtigen Weg diskutiert, Diese Aufgabe ist noch lange nicht gelöst. Ich kann (Christian Lindner [FDP]: So ist es!) dazu nur sagen: Wenn man eine solche Diskussion führt, muss man auch zeigen können, dass man mit einer ge- genau wie in diesem Deutschen Bundestag. Das ist über- wissen Kompetenz und Stärke arbeitet. Dazu gehört, haupt nichts Außergewöhnliches. – Ich weiß ganz genau, Frau Nahles, sowohl die ODA-Quote einzuhalten als lieber Herr Kollege Lindner, dass auch Sie ein leiden- auch die Bundeswehr auszurüsten. Niemand spricht von (B) (D) schaftlicher Europäer sind. Aufrüsten. Aber ich kann es nicht akzeptieren, wenn der Wehrbeauftragte, der früher ein SPD-Kollege im Deut- (Zurufe von der SPD: Na ja!) schen Bundestag war, starke Sprüche über den Zustand Man kann sich aber nicht an dieses Rednerpult stellen der Bundeswehr macht und Sie in der SPD sagen, dass und auf der einen Seite sagen: Wir brauchen mehr Eu- dagegen nichts unternommen wird, weil man dafür kein ropa. Wo bleiben die Antworten auf Macron? – Auf der Geld einsetzen will. anderen Seite sind dann aber – wenn man genauer hin- (Widerspruch bei der SPD) sieht, merkt man es – drei Viertel Ihrer Antworten gegen Macron und gegen das, was gerade diskutiert wird. Diese Aufgabenteilung können wir nicht akzeptieren, beim besten Willen nicht. Ich glaube, keiner braucht dem anderen vorzuhalten, was er nicht richtig macht. Es wäre richtiger, wenn wir (Beifall bei der CDU/CSU) uns gemeinsam darauf verständigen: Wir wollen dieses Europa voranbringen. Wir haben die Ausgaben für Verteidigung an die Aus- gaben für Entwicklungshilfe geknüpft. Darauf werden (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 100 Pro- wir auch in dieser Koalition bestehen. Wir hatten bei un- zent! – Andrea Nahles [SPD]: So ist es!) serer gemeinsamen Klausurtagung einen guten Start, und das wollen wir auch fortsetzen. Aber wir wollen schon, Dazu gehört natürlich auch, dass in diesem Europa dass – neben den Ausgaben für Soziales usw.; das ist alles eingehalten wird, was wir miteinander vereinbart haben. in Ordnung – auch unsere Bundeswehr in einen Zustand Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Wir haben die – wie versetzt wird, der ihren Aufgaben entspricht. Da werden Macron sagt – Bankenunion auf den Weg gebracht. Das wir nicht lockerlassen. ist überhaupt keine Frage; das waren wir, die sie auf den Weg gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen der Abg. Dr . Alice Weidel [AfD]) (Zuruf von der AfD: Glückwunsch!)

Wir haben aber gesagt: Es gibt eine Bedingung, die ein- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: gehalten werden muss. Diese lautet: Es muss eine klare Für die AfD-Fraktion hat als Nächster das Wort der Risikominimierung stattfnden. Wenn die EU-Kommissi- Kollege Dr. Alexander Gauland. on dann sagt: „Auf diese Minimierung warten wir nicht. Wir gehen weiter“, dann ist dies ein Vorgang, den ich als (Beifall bei der AfD Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 2999

(A) Dr. Alexander Gauland (AfD): zahl von institutionellen, mentalen und kulturellen Be- (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber dingungen. Kollege Kauder, Beleidigungen meiner Kollegin und der (Johannes Kahrs [SPD]: Hart arbeitende ganzen AfD würde ich lassen, Menschen!) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Dazu gehören Rechtssicherheit, Infrastruktur, Investiti- Oh! – Simone Barrientos [DIE LINKE]: Ach onsbereitschaft, sozialer Friede und alles, was man unter Gottchen! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ Humankapital zusammenfasst, CSU]: Das ist so eine Sache mit dem Austei- len und Einstecken!) (Johannes Kahrs [SPD]: Am sozialen Frieden arbeiten Sie doch gar nicht! Den sozialen Frie- denn es bringt Ihnen keine Stimmen. Dafür bringt es uns den stören Sie ja gerade!) Stimmen. Insofern mag das eine sinnvolle Taktik sein. Ausbildung, überhaupt Bildungswille, Leistungsbereit- (Beifall bei der AfD) schaft, Aber bei Ihrer Politik müssen Sie das nicht machen – wir (Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie denn nicht bekommen auch so Stimmen. die rechtsradikale Rede von Frau Weidel ge- hört?) Meine Damen und Herren, wir haben über den Haus- halt geredet. Ich fange einmal ganz anders an: Die deut- Vertrauen, ein Mindestmaß an Ehrlichkeit und, meine lie- sche Gesellschaft ist ein Wunderwerk. Deutschland hat ben Kollegen, der zivilisierte Umgang miteinander. 83 Millionen Einwohner. 44 Millionen davon, die reich- (Beifall bei der AfD – Volker Kauder [CDU/ liche Hälfte, sind berufstätig im weitesten Sinne. 27 Mil- CSU]: Da sind Sie gerade der Richtige!) lionen zahlen mehr Steuern an den Staat, alle anderen leben von diesen Steuern. Werden diese Bedingungen zerstört, schwindet die Pros- perität. Und sie werden zerstört, aber nicht durch uns. (Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Oder bezahlen in der Schweiz! – Gegenruf der Abg. Dr. Alice (Johannes Kahrs [SPD]: Vielleicht sollten Sie Weidel [AfD]: In Deutschland besteuert! Sie der Rede von Frau Weidel mal zuhören! Ihre kennen sich nicht mal mit dem Steuerrecht rechtsradikale Rede heute Morgen war unsäg- aus!) lich! In der Schweiz wohnen und rechtsradikal reden!) (B) Zieht man jetzt noch diejenigen ab, die zwar Steuern zah- (D) len, aber auch aus Steuermitteln bezahlt werden – Be- Wenn beispielsweise die Alimentierung von Einwan- amte, Soldaten, Politiker, Lehrer –, bleiben 15 Millionen derern im Jahr doppelt so viel Geld kostet, wie das Bun- wirkliche Steuerzahler übrig. Diese kleine Gruppe trägt desforschungsministerium an Mitteln erhält, kann man den gesamten Gesellschaftsaufbau und diesen Haushalt. sich ausrechnen, dass die Leistungsfähigkeit des Landes rapide sinken wird. „Deutschland schaft sich ab“, hat (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: das Thilo Sarrazin genannt. Wo zahlt Frau Weidel Steuern?) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, ja!) Leider wird sie immer kleiner, weil jährlich etwa 140 000 Hochkompetente, wie sie der Migrationsfor- Wir haben aber keine anderen Rohstofe als den Fleiß scher Gunnar Heinsohn nennt, dieses Land verlassen und und die Intelligenz unserer Bürger. im Gegenzug nach derzeitigem Stand um die 200 000 (Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: sogenannte Flüchtlinge hereinkommen, von denen Aber die beleidigen Sie doch ständig in Ihren nicht nur kaum einer hochkompetent ist, sondern viele Reden!) Analpha­beten sind. Es wird zwar ofziell geleugnet, dass es eine Massen- (Beifall bei der AfD) einwanderung gibt, und neuerdings auch, dass sie illegal ist, doch täglich kommen 500 illegale Einwanderer in In Deutschland, meine Damen und Herren, lebt bereits unser Land, was im Jahr um die 200 000 ergibt – eine eine große soziale Unterschicht, in der fast 8 Millionen Stadt von der Größe Braunschweigs. Anscheinend ist das entweder keine Arbeit haben oder nicht sozialversiche- für dieses Haus keine Masse. Dazu gesellt sich der ein- rungspfichtig beschäftigt sind, wie die Bundesagentur wandernde Familiennachzug zu denjenigen, die hier kein für Arbeit 2016 festgestellt hat. Diese Zahl wächst seit dauerhaftes Aufenthaltsrecht haben. Ja, sogar Gefährder 2015 durch die Zuwanderung von Gering- und Unquali- können ihre Familien nachholen, wenn sie geläutert er- fzierten rasant. scheinen. Meine Damen und Herren, welch ein Irrsinn! Meine Damen und Herren, Deutschland ist kein rei- (Beifall bei der AfD) ches Land, sondern ein leistungsfähiges. Das gesamte Vermögen der Bundesrepublik beträgt – darauf hat der Dabei ist der Kontrollverlust von 2015 noch nicht über- Historiker Rolf Peter Sieferle hingewiesen – gerade ein- wunden. Praktisch jeden Tag werden Asylbewerber mit mal das Dreifache des Bruttoinlandsproduktes. Diese zahlreichen Identitäten bekannt. Sie konnten erst heute Leistungsfähigkeit unseres Landes beruht auf einer Viel- wieder in der „Welt“ nachlesen, wie es im BAMF zugeht. 3000 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Alexander Gauland (A) Der Fall des Weihnachtsmarktmörders Amri ist allen … ich … kämpfe für den Weg, den ich mir vorstelle, (C) bekannt. Es gibt 230 000 abgelehnte, aber bis heute nicht für meinen Plan, den ich habe … aus Illegalität Le- abgeschobene Migranten, und trotzdem sollen pro Jahr galität zu machen … eine Viertelmillion Menschen einwandern. Nach wie vor kommen drei Viertel ohne Papiere; sobald sie das Wort (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wann „Asyl“ sagen, werden sie eingelassen. Das ist vollkom- reden Sie eigentlich zum Haushalt?) men verantwortungslos gegenüber dieser Gesellschaft. Im Regierungsprogramm der CDU zur letzten Bun- (Beifall bei der AfD) destagswahl fndet sich der Passus, dass Deutschland seinen humanitären Verpfichtungen aus Resettlement Unser Land hat sich durch Masseneinwanderung mas- und Relocation nachkommen werde. Was, bitte schön, siv verändert. Kein Volksfest, kein Weihnachtsmarkt, Frau Merkel, sind denn das für Verpfichtungen? Vor kur- keine Großveranstaltung mehr ohne Merkel-Poller und zem konnte man lesen, dass mehr als 10 000 Menschen aufwendige Sicherungsmaßnahmen. aus Nordafrika und dem Nahen Osten in Deutschland eine neue Heimat fnden sollen. Nach den Worten des (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die EU-Flüchtlingskommissars nimmt die Bundesrepublik organisieren Sie ja, die Demos!) die Flüchtlinge im Rahmen eines EU-Umsiedlungspro- gramms auf. Wer in diesem Hause hat diesem Programm Blutrache und Messerattacken gehören inzwischen zu zugestimmt, und warum wird es klammheimlich, an der Deutschland. Öfentlichkeit vorbei, inauguriert? ( [SPD]: Volksverhetzung (Beifall bei der AfD – Stef Lemke [BÜND- auch!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal mit Fakten operieren, nicht mit Verschwörungs- Die Polizei rät Frauen, nicht mehr allein zu joggen oder theorien!) bei Dunkelheit nicht mehr ohne männliche Begleitung auf die Straße zu gehen. Das Ergebnis der Politik der Regierung Merkel ist eine tiefe politische Spaltung Europas. Die Migrati- (Johannes Kahrs [SPD]: Jetzt rutschen Sie onskrise hat deutlich gemacht, dass sich die Interessen auch ins Rechtsradikale ab, Herr Gauland! – der europäischen Partnerländer von denen der Berliner Gegenruf der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD]: Republik unterscheiden. Die moralische Bevormundung Das habt ihr zu verantworten, Sie Schreihals!) aus Berlin wird von den anderen Europäern als anma- ßend empfunden. Die Politik der grenzenlosen Aufnah- (B) Der CDU-Innenminister von Nordrhein-Westfalen emp- mebereitschaft hat den Zerfall Europas als politische und (D) fehlt den Bürgern als Schutz vor Messerangrifen, wirtschaftliche Union eingeleitet. (Johannes Kahrs [SPD]: Wie lange waren Sie (Beifall bei der AfD) eigentlich CDU-Mitglied, Herr Gauland?) Denn mit ihrer Asylpolitik hat die Bundeskanzlerin den sie sollten nicht unbedingt Menschen nah an sich heran- EU-kritischen Briten das Hauptargument für den Brexit lassen. Das ist CDU-Politik im größten Bundesland. Das geliefert und den Osteuropäern – die Frau Bundeskanzle- ist leider kein Witz. rin ist nicht mehr da –

(Beifall bei der AfD – Johannes Kahrs [SPD]: (Stef Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie waren länger in der CDU als in der AfD! NEN]: Frau Weidel war ja auch die Hälfte der Wo ist Ihr Problem? – Michael Grosse-Brö- Debatte nicht da!) mer [CDU/CSU]: Reden Sie irgendwann auch gute Gründe gegen den weiteren Weg nach Westen. Ich noch über den Haushalt?) kann der Bundesregierung und der Frau Bundeskanzle- Da wird uns allen Ernstes eine Statistik präsentiert, die rin nur viel Glück mit der neuen italienischen Regierung sinkende Kriminalitätsraten beweisen soll. wünschen; (Heiterkeit bei Abgeordneten der AfD) (Zuruf von der SPD: Wo sind die Fakten?) denn sie wird diese Politik genau so heftig kritisieren, Glauben Sie wirklich, dass Sie damit dem Gefühl wach- wie wir sie hier kritisieren. sender Unsicherheit begegnen können? (Beifall bei der AfD) Am 13. November 2015, auf dem Höhepunkt der ille- galen Masseneinwanderung, Als „Macht in der Mitte“, als vermittelnde Macht, wie uns Herfried Münkler sieht, müsste Deutschland eine (Gökay Akbulut [DIE LINKE]: Was würden gemeinsame Linie für die Politik der Europäer fnden. Sie nur ohne Flüchtlinge machen? Sie wären Tatsächlich hat die Bundesregierung das Gegenteil getan. doch aufgeschmissen ohne Flüchtlinge!) Was in Ihrer Amtszeit, Frau Bundeskanzlerin, gestie- erklärte Angela Merkel in der Sendung „Was nun, …?“ gen ist, sind nicht nur die Steuereinnahmen und die Zahl des ZDF: der Messerattacken, sondern auch die Geringschätzung, Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3001

Dr. Alexander Gauland (A) die Deutschland international entgegengebracht wird. Deutschland geht es gut – noch. (C) Sogar viele Einwanderer verachten dieses Land. Wer sich selbst verachtet, wird verachtet. (Johannes Kahrs [SPD]: Aber nicht wegen der AfD!) (Beifall bei der AfD) Deutschland ist ein starkes Land, doch es knirscht hör- Es ist heute viel vom transatlantischen Verhältnis gere- bar im gesellschaftlichen Gebälk, und dass Sie uns hier det worden. Unser Verhältnis zu Amerika ist so schlecht anhören müssen und uns weiterhin anhören werden müs- wie nie. Donald Trump hat sich beim letzten Besuch sen, ist Teil dieses Knirschens. von Frau Merkel auf seine Weise dafür revanchiert, von (Beifall bei der AfD) deutschen Politikern und Journalisten ständig als Trottel vorgeführt zu werden. Ihm sind die deutschen Moralpre- Das zeigt deutlich, dass diese Gesellschaft mit 15 Mil- digten inzwischen völlig gleichgültig geworden. lionen Leistungsträgern Ihre Politik des Weiter-so nicht mehr mitmachen will. Unser Verhältnis zu Russland ist so schlecht wie seit Danke. dem Kalten Krieg nicht mehr. Viel zu voreilig und ohne Beweise hat sich die Bundesregierung im Fall Skripal (Beifall bei der AfD – Die Abgeordneten der und bei den angeblichen Giftgasangrifen Assads gegen AfD erheben sich) Russland gestellt. Doch auch das amerikanisch-russische Verhältnis hat Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sich inzwischen verändert. Donald Trump hat die Ära des Der nächste Redner ist für die SPD-Fraktion der Kol- sogenannten Demokratieexports für beendet erklärt und lege Achim Post. gibt der Realpolitik den Vorzug. (Beifall bei der SPD) Der Kollege Kauder hat an dieser Stelle kürzlich das Werk Münklers über den Dreißigjährigen Krieg empfoh- Achim Post (Minden) (SPD): len. Recht hat er; denn dort fndet sich gleich zu Beginn Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! die erstaunliche Feststellung – Zitat –: Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht ganz genau, über welches Land mein Vorredner geredet hat; über den Über die verhängnisvollen Folgen unbedingter Haushalt hat er jedenfalls nicht geredet. Wertbindung lässt sich anhand des Dreißigjährigen Krieges sehr viel lernen – unter anderem auch, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (B) es ohne eine Abkehr davon zu keinem Friedens- der CDU/CSU – Jürgen Braun [AfD]: Hat (D) schluss gekommen wäre. Frau Nahles auch nicht!) Das kann man getrost über unsere Konfikte mit Russ- Dafür weiß ich sehr wohl, dass das, was die erste Redne- land sagen, Herr Kollege Kauder. rin der AfD, Frau Weidel, gesagt hat, mit dem deutschen Grundgesetz nichts zu tun hat, jedenfalls nichts mit Arti- Wenn das schlechte Verhältnis zu Russland wenigs- kel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar. tens als Kehrseite ein gutes zu den Osteuropäern be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ deuten würde – aber das ist mitnichten der Fall. Die CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜND- Osteuropäer – ich habe es schon gesagt – haben andere NISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen der Abg. historische Erfahrungen als der Westen. Sie haben nie Dr . Alice Weidel [AfD]) Kolonien besessen, sondern sind selbst kolonialisiert worden: von den Osmanen, von der Sowjetunion, von Liebe Kolleginnen und Kollegen, Haushaltsdebat- den Nazis. Deshalb haben sie kein jederzeit aktivierbares ten, Haushaltswochen, Haushalte sind immer wichtig. schlechtes Gewissen. Die Debatte heute hat gezeigt: Diese Haushaltswoche, diese Haushaltsdebatte, dieser deutsche Bundeshaus- (Beifall bei der AfD) halt 2018 sind noch wichtiger als sonst. Warum? Viele Rednerinnen und Redner haben auf das politische Um- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: feld hingewiesen, nicht nur im Nahen Osten, wo durch einseitiges Handeln des amerikanischen Präsidenten, so- Herr Kollege Gauland, denken Sie an Ihre Zeit? wohl durch die Botschaftsverlegung als auch durch die Aufkündigung des Iran-Abkommens, das Pulverfass mit Dr. Alexander Gauland (AfD): einem Brandbeschleuniger versehen wurde und dadurch der Nahe Osten weiter in die falsche Richtung getrieben Sie kennen nicht den kulturellen Selbsthass des Wes- wird, und zwar mit unabsehbaren Konsequenzen. tens. Deshalb lassen sie sich auch nicht einreden, dass ihre Gesellschaften nicht bunt genug sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ja, ich muss zum Schluss kommen. Hier wurden vorhin die Äußerungen des neuen ame- rikanischen Botschafters angesprochen. Auch ich habe (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der mich über seine Äußerungen gewundert. Vielleicht sollte LINKEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: The- der Herr Botschafter einmal in seine Ernennungsurkunde ma verfehlt, setzen, sechs!) gucken. Darin steht nämlich: Botschafter der Vereinigten 3002 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Achim Post (Minden) (A) Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutsch- Arbeit sowie Familie und Soziales geben wir 18 Prozent (C) land. Darin steht nicht: Korrespondent von Fox oder mehr aus als vorher. Breitbart News. ( [FDP]: Interessanter Investitions- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten begrif! – Gegenruf der Abg. Andrea Nahles der CDU/CSU) [SPD]: Soziale Investitionen!) Wenn man sich die Lage im Nahen Osten anschaut, Diese Zahlen sollten Sie sich einmal ansehen. gerade in Syrien, muss man sagen, dass das, was Russ- (Otto Fricke [FDP]: Das sind aber keine In- land in den letzten Monaten und in den letzten zwei Jah- vestitionen im Sinne des Haushaltsgesetzes! – ren dort gemacht hat, brutal, zynisch und menschenver- Gegenruf der Abg. Andrea Nahles [SPD]: Das achtend ist und mit dem Völkerrecht nichts, aber auch ist Ihre Meinung!) gar nichts zu tun hat. – Das ist ein gutes Stichwort. Gucken Sie sich die Inves- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der titionen des Bundes an. CDU/CSU) (Otto Fricke [FDP]: Die sinken prozentual!) Man muss aber auch, bevor man auf Europa blickt, wis- Im Vergleich zum letzten Bundeshaushalt ist ein Plus sen, dass es eine große Macht, nämlich China, gibt, die von 18 Prozent zu verzeichnen. Ich habe mir diese Berei- versucht, die neue Ordnungsmacht in der Welt zu werden, che extra herausgesucht, weil die Steigerung jedes Mal und zwar mit einer Systemalternative. Diese Alternative 18 Prozent beträgt. Das kann man sich leicht merken. unterscheidet sich von unserem Modell der Freiheit, der Das sollten auch Sie sich merken, lieber Kollege von der Menschenrechte und der Demokratie. Das muss man im FDP. Kopf haben. Deshalb müssen wir sowohl mit den Ver- einigten Staaten von Amerika – mit denen sowieso; das (Otto Fricke [FDP]: Oh, oh, oh! Sie haben sind seit 20, 30, 40, 50 Jahren unsere wichtigsten Partner einen anderen Haushalt!) außerhalb Europas – als auch mit Russland und China – Der Haushalt ist für alle gleich. eng zusammenarbeiten und jede Dialogmöglichkeit nut- zen, die sich bietet, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jetzt kommen wir zum nächsten Punkt, zu Europa. Das ist ja ein Lieblingsthema von einigen von Ihnen. Wie (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der kann man sowohl das, was in der Welt geschehen muss, CDU/CSU) als auch das, was für dieses Land erforderlich ist, ver- nünftig voranbringen? Wir kommen voran – das haben (B) Auf welcher Grundlage ist der Bundeshaushalt 2018 die Bundeskanzlerin heute und der Bundesfnanzminister (D) aufgestellt worden? Wir haben in Deutschland – und da- gestern gesagt –, indem wir in Europa investieren. Das rum beneiden uns viele in der Welt – stabile Wachstums- steht genau so im Koalitionsvertrag. Sie können sich da- prognosen, sinkende Arbeitslosigkeit, steigende Beschäf- rauf verlassen: Wir werden diesen Koalitionsvertrag um- tigung. Auf dieser Grundlage stellen wir einen Haushalt setzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. auf – der Bundesfnanzminister ist anwesend –, den ich in aller Kürze mit drei Überschriften beschreiben würde: (Beifall bei der SPD) Erstens: Es ist ein Haushalt der Solidität. Der Haus- Dabei geht es um zwei Bereiche, zwei Pfeiler, wenn Sie halt 2018 und die nachfolgenden Haushalte kommen so wollen. Ja, wir wollen die Euro-Zone stabiler machen. ohne neue Nettokreditaufnahmen aus. Ja, wir wollen die Euro-Zone krisenfester machen. Ja, wir wollen die Wirtschafts- und Währungsunion reformieren. Zweitens: Es ist ein Haushalt der Solidarität. Jeder, Gleichzeitig wollen wir Europa sozialer machen. Wir wol- der was anderes behauptet, sollte sich die Zahlen angu- len mehr tun gegen Steuerfucht. Wir wollen mehr tun ge- cken. Wir geben viel Geld aus, um das Leben der Men- gen Steuerdumping. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schen in Deutschland zu erleichtern, zu verbessern und tun das bereits, und wir werden diese Arbeit fortsetzen. etwas gerechter zu machen. Gucken Sie sich genau an, was in den Haushalten von und Franziska (Beifall bei der SPD) Gifey passiert. Zu jeder Haushaltsdebatte, zu jeder Debatte darüber, wie die Politik der Bundesrepublik Deutschland in die- Drittens – das ist besonders an die FDP gerichtet –: sem und den nächsten drei Jahren aussehen soll, gehört Es ist ein Zukunftshaushalt. Man muss sich nur ansehen, Streit. Ich würde sagen: Ohne Streit ist eine Demokratie wie viel wir investieren. keine richtige Demokratie. Streiten wir doch einmal über (Otto Fricke [FDP]: Prozentual runter! Die zwei, drei wichtige Punkte: Investitionen sinken prozentual!) Erster Streitpunkt. Ich streite leidenschaftlich dafür, dass das, was im Koalitionsvertrag steht – Einführung Zurzeit marschiert ja ein Gespenst durch das Regierungs- einer Finanztransaktionsteuer und Einführung einer Di- viertel. Es wird gesagt, dieser Haushalt sehe keine Inves- gitalsteuer –, umgesetzt wird, und zwar so schnell wie titionen vor. Schauen wir uns die Zahlen an: In dieser möglich. Legislaturperiode werden wir im Vergleich zur letzten Legislaturperiode im Bereich Bildung und Forschung (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker 18 Prozent mehr ausgeben, und auch in den Bereichen Kauder [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3003

Achim Post (Minden) (A) Zweiter Punkt. Frau Verteidigungsministerin, ich strei- ses Land in den letzten Jahren genommen hat – Menschen (C) te auch leidenschaftlich dafür, dass die Bundeswehr – ge- vor Märkten, Humanismus vor Kommerz; das wären nauso wie es im Koalitionsvertrag steht und genauso wie gute Ansätze gewesen –, verpasst. Der Kulturhaushalt ist, wir es im Haushalt festgelegt haben – besser, deutlich so meine jedenfalls ich, vor allem dafür zuständig, Kultur besser ausgestattet wird als bisher. Jeder Euro und jeder aus dem Zwang des kommerziellen Erfolges zu befreien. Cent, der im Haushalt steht, wird dann auch für die Bun- Denn wohin das führt, haben wir bei der Echo-Verlei- deswehr ausgegeben. Wogegen ich aber bin, ist die Ver- hung sehr deutlich gesehen. Unschön! dopplung des Verteidigungshaushaltes, und wogegen ich (Beifall bei der LINKEN) bin, sind neue Sonderwunschlisten. Die gibt es nur zu Weihnachten, aber nicht zu Pfngsten, liebe Kolleginnen Ja, es gibt mannigfaltige Angrife auf Kultur; dort ist und Kollegen. man auf „Entsifungstour“. Aber man muss sich darü- ber gar nicht aufregen, weil man ja einen sogenannten (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ Heimatminister installiert hat, der über Leitkultur schwa­ CSU]: Da seid ihr aber kleinlich!) droniert. Dem geht es nicht darum, dass sich hier alle hei- Dritter Punkt. Wenn wir über Europa und auch über misch fühlen. Nein, der greift die Kultur in ihrer Vielfalt das streiten, was wir mit Frankreich gemeinsam machen an. Das gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt müssen – denn wir müssen es zuallererst mit Frankreich und übrigens auch die innere Sicherheit. gemeinsam und dann mit allen anderen machen –, muss (Beifall bei der LINKEN) ich einmal zu Ihnen schauen, Frau Wagenknecht. Bei al- ler Liebe und bei allem Respekt: Sie haben vorhin relativ Nein, man kann die AfD nicht bekämpfen, indem man spöttisch auf die Kolleginnen und Kollegen geschaut, die ihre Inhalte übernimmt. Bitte richten Sie das doch Herrn sich darüber gefreut haben, dass Herr Macron vor einem Seehofer, der jetzt nicht mehr da ist, freundlicherweise Jahr die Wahlen in Frankreich gewonnen hat. Können von mir aus. Sie mir sagen, wer in Frankreich die Alternative zu Herrn (Beifall bei der LINKEN) Macron war? Es war Marine Le Pen, eine Rechtsradika- le. Wollten Sie die? Ich hofe nicht, dass das der Fall ist. Apropos „Taugenichtse“: Der Deutsche Kulturrat hat kritisiert – ich bin da ganz seiner Meinung –, dass die Re- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gierungsparteien – nur ihnen beiden wäre es möglich ge- der FDP) wesen, das zu verhindern – der AfD den Unterausschuss Wir in der Koalition – das zeigt das Europa-Kapitel „Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ überlassen des Koalitionsvertrages – sind die Letzten, die mit naiver haben. Was für ein Bild gibt das ab? Verdammt noch mal, das hätte nicht passieren dürfen! (B) Begeisterung für irgendjemanden in Europa zu Werke (D) gehen; vielmehr handeln wir mit Realitätssinn, im deut- (Beifall bei der LINKEN) schen Eigeninteresse und mit europäischem Verstand. Aber kommen wir zurück zum Haushalt. In den vielen (Lachen bei Abgeordneten der AfD) Gesprächen, die ich in den letzten Monaten mit Verbän- Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist dieser Ko- den wie zum Beispiel dem Ensemble-Netzwerk, der Al- alitionsvertrag gut, ist dieser Haushalt gut und wird die lianz der Freien Künste, dem Bundesverband Bildender Politik der Großen Koalition gut. Künstlerinnen und Künstler, dem Deutschen Kulturrat und etlichen anderen geführt habe, wurden vor allem drei Schönen Dank. Probleme an mich herangetragen, die zu lösen man sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wünscht. der CDU/CSU) Erstens: Bundeskulturförderfonds. Es braucht mehr Geld, es braucht einen einfacheren Zugang, es braucht Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Planungssicherheit. Wir beantragen deshalb die Erhö- Für die Fraktion Die Linke hat das Wort die Kollegin hung des Ansatzes von circa 6,5 Millionen Euro auf ins- Simone Barrientos. gesamt 18 Millionen Euro. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Jeder Einzelfonds muss unserer Aufassung nach auf Simone Barrientos (DIE LINKE): 3 Millionen Euro erhöht werden; dann wird man den An- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und forderungen der freien Netzwerke gerecht. Wir haben das Kollegen! Liebe Gäste! Kultur ist sehr viel mehr als nur mit ihnen besprochen; sie würden sich freuen. Stimmen Theater. Manchmal wünscht man sich das auch hier; aber Sie zu! darüber reden wir jetzt nicht. Mir geht es um Kultur. Kul- (Beifall bei der LINKEN) tur ist der Kitt, der die Demokratie zusammenhält. Ohne Kultur geht der gesellschaftliche Konsens verloren; da- Zweitens. Die soziale Lage der Kunst- und Kultur- von bin ich zutiefst überzeugt. schafenden ist zu verbessern. Es gibt unseren Antrag zu Solo-Selbstständigen. Wir bleiben dran. Das muss an (Beifall bei der LINKEN) anderer Stelle geklärt werden, aber wir kämpfen weiter. Dieser Haushalt und ganz besonders der Kulturhaus- Drittens: kulturelle Vermittlung. Das derzeitige Bud- halt haben eine Antwort auf die Entwicklungen, die die- get ist bei weitem nicht ausreichend. Wir fordern eine 3004 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Simone Barrientos (A) Erhöhung um 1,5 Millionen Euro. Das ist auch nur ein tur nicht mehr die Kraft, die Herausforderungen anzu- (C) Anfang, aber immerhin. nehmen, die von einer aggressiven zentralistischen und etatistischen Politik auf Brüsseler Ebene ausgeht. Das Wichtigste für mich bleibt: Kultur muss als Staatsziel ins Grundgesetz. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da täuschen Sie sich aber ganz gewaltig!) (Beifall bei der LINKEN) Sie setzt keine Akzente, sondern wird von den äußeren Nur dann kann den Herausforderungen der Zeit und den Umständen getrieben. Das Primat des Bürgerwillens ist Angrifen von Ewiggestrigen, der Rollback-Bewegung, alternativlosem Lavieren gewichen. angemessen begegnet werden. Der Besuch der Kanzlerin in Washington hat der Auch das ist übrigens eine Frage von Kultur: Schwan- Welt vor Augen geführt, dass diese Politik eben gerade gerschaftsabbrüche haben im Strafgesetzbuch nichts zu nicht als Politik des Augenmaßes, sondern als Politik suchen. der Schwäche verstanden wird. Statt die Lehren daraus Vielen Dank. zu ziehen, wird das Zerwürfnis mit unserem wichtigsten Bündnispartner auch noch gefeiert. (Beifall bei der LINKEN) Warum beginne ich mit diesem Diskurs? Weil für den Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Haushalt der Bundesregierung das gilt, was die Politik der Bundesregierung ausmacht: Passivität, Problemver- Als Nächstes erteile ich das Wort der Kollegin schleppung und mangelnder Wille, die Dinge endlich Dr. Frauke Petry. anzupacken.

Dr. Frauke Petry (fraktionslos): Der Abbau der Bundesschulden ist ein Schritt in die richtige Richtung. Vergleichen wir aber das, was mög- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten lich wäre, mit dem, was passiert, dann sehen wir: Das Damen und Herren! Nur wenige Tage sind vergangen, sind am Ende nur ängstliche Schritte. Die Antwort der seit der französische Staatspräsident Emmanuel Macron Regierung bedeutet nicht einen größeren Schuldenabbau im Aachener Rathaus den Karlspreis erhalten hat. Was oder eine dringend nötige Entlastung der Bürger, sondern wir sahen, war eine Zäsur: dort der junge, durchgestylte mehr Staatsausgaben. Franzose, hier die in die Jahre gekommene Kanzlerin. Das Bundeskanzleramt, dessen Etat in zweistelliger (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Millionenhöhe aufgestockt wurde, geht dabei mit gu- Oh! – [SPD]: Primitiver tem – oder besser: mit abschreckendem – Beispiel voran. (B) geht es nicht!) (D) Der Haushalt krankt am wirtschaftlichen Grundverständ- Was sich hierzulande erst langsam herumspricht, ist nis der Bundesregierung. auf europäischem Parkett bereits ofensichtlich: die Ero- Ein jeder in diesem Haus sollte das Ziel vor Augen sion der deutschen Position in Europa. Das ist leider die haben, dass der Wohlstand in unserem Land wächst, und Quittung für eine jahrelang verfehlte EU-Politik, die mit zwar nicht im statistischen Mittel oder aufgrund der Stei- der Finanz- und Schuldenkrise begann, zur Griechenland- gerung des wenig aussagekräftigen Bruttoinlandspro- und Euro-Krise ausuferte und zuletzt in einer Belehrung duktes, sondern auf allen sozialen Ebenen und real bei und Bevormundung europäischer Partner mündete. den Bürgern. Trotz Brexit soll der EU-Haushalt wachsen. Olaf Wenn die Einkommen von Geringverdienern, der Mit- Scholz rechnet mit bis zu 10 Milliarden Euro Mehrbe- telschicht oder von Topverdienern steigen, wächst auch lastung für Deutschland – und das, obwohl der deutsche die Ungleichheit, mögen manche unter Ihnen bemerken. Steuerzahler durch den ESM bereits zum Bürgen milli- Sie ignorieren jedoch, dass es dann trotzdem vielen bes- ardenfacher Insolvenzverschleppung anderer EU-Staaten ser ergehen würde. Meine Damen und Herren, wir haben geworden ist. kein kapitalistisch verursachtes Problem, sondern ein „Verschleppung“ ist dabei das trefende Stichwort für durch die Regierung verursachtes Wohlstandsproblem den Politikstil der Bundesregierung. Seit einem Jahr- und zugegebenermaßen ein Neidproblem. zehnt markiert Problemverschleppung und nicht Pro­ blemlösung die Innen- und Außenpolitik unseres Landes. Entgegen der ökonomischen Vernunft erhöht der Staat Es ist daher nicht überraschend, dass Frau Merkel dem das Haushaltsvolumen und entzieht damit der Bevölke- Aufsteiger Macron wenig entgegenzusetzen hat. Wenn rung die Grundlage, um weiteren Wohlstand zu schafen. der französische Präsident ein europäisches Finanzmi- Er raubt den natürlichen Anreiz, zu arbeiten, und ver- nisterium will, dann wird der Vorschlag beschwiegen. bannt kreative, arbeitsfähige Menschen in die staatliche Wenn Macron eine europäische Arbeitslosenversiche- Abhängigkeit. Wenn wir wirklich etwas für die Bürger rung fordert, dann wird dies nicht kommentiert. Wenn dieses Landes tun wollen, dann muss der Staat auf Geld Paris nach einem souveränen, geeinten, demokratischen verzichten, meine Damen und Herren. Der Haushalt darf Europa ruft – in anderen Worten: nach dem europäischen nicht wachsen; er muss schrumpfen, und in der Folge Zentralstaat –, dann widerspricht Berlin wieder nicht. müssen die Steuern deutlich sinken. Dies würde dazu führen, dass Geschäftsideen, die heute aufgrund hoher Meine Damen und Herren, diese Regierung und auch Abgaben und Steuern nicht proftabel sind, wieder pro- diese Kanzlerin haben bereits zu Beginn dieser Legisla- ftabel würden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3005

Dr. Frauke Petry (A) Neue Arbeitsplätze und neue Dienstleistungen würden Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) so geschafen. Ein Wirtschaftswunder 2.0 würde die heu- Der nächste Redner ist der Kollege Alexander tigen Sozialromantiker ebenso überrumpeln, wie es einst Dobrindt für die CDU/CSU-Fraktion. Ludwig Erhard mit der Abschafung der Preisbindung ermöglichte. (Beifall bei der CDU/CSU) Wenn man nun aber immer noch an das Umvertei- lungsmärchen „Im Namen der Gerechtigkeit“ glaubt, Alexander Dobrindt (CDU/CSU): nämlich dass gesamtgesellschaftlicher Wohlstand durch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Umverteilung generiert wird, dann muss man sich nicht Kollegen! Wir erleben mit der Globalisierung eine Viel- wundern, dass, wie auch der Bund der Steuerzahler mo- zahl neuer Spannungsfelder, gekoppelt mit dem Wunsch niert, sich Arbeit in Deutschland viel zu häufg nicht der Menschen nach Heimat, Herkunft und Identität. Wir mehr lohnt. Wie auch, wenn über 100 verschiedene So- diskutieren auch die Chancen der Digitalisierung und zialleistungen von über 40 staatlichen Stellen verwaltet wollen gleichzeitig dafür sorgen, dass alle die Möglich- oder, besser gesagt, auch in der Sozialindustrie vernichtet keit haben, davon zu proftieren. werden. Wir reden auch in der Haushaltsdebatte gerade über Eine vierköpfge Familie braucht heute einen Brutto- die Verantwortung von uns in der Welt, übrigens auch ge- lohn von circa 2 500 Euro, um netto Hartz-IV-Niveau zu rade über die humanitäre Verantwortung Deutschlands in erreichen. Ein Konzept der negativen Einkommensteuer der Welt und die Verantwortung für Sicherheit, kulturelle würde dagegen für soziale Wärme ohne bürokratische Stabilität und den gesellschaftlichen Frieden. Das alles Kälte sorgen. Man braucht nur Mut. wollen wir zusammenbringen, und dies geht nur dann, wenn man die Bereitschaft hat, in einen starken Staat zu Apropos Mut, Frau Göring-Eckardt: Er ist nicht mit investieren, einen Staat, der Recht setzt und auch Recht grüner Hysterie zu verwechseln. Das Insektensterben zu durchsetzen kann, der die Innovationen vorantreibt, den beklagen, aber gleichzeitig zu verschweigen, dass dafür Wohlstand fortschreibt, Europa gestaltet und die Souve- unter anderem auch die großen Monokulturen von Mais ränität unserer Heimat bewahrt. Das ist die Aufgabe, die und Raps der Umwelt zuliebe verantwortlich sind, bleibt mit einem soliden Haushalt erfüllt werden kann. zu kurz gesprungen. Zu einem soliden Haushalt gehört gerade das Fort- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE schreiben dessen, was wir in der letzten Legislaturpe- GRÜNEN]: Wir sind auch gegen Monokultu- riode begonnen haben, nämlich einen ausgeglichenen (B) ren!) Haushalt aufzustellen, und zwar mit einer schwarzen (D) Null. Ich verstehe überhaupt nicht, wieso man daran Statt uns permanent ein schlechtes Gewissen wegen nach all den Erlebnissen, die wir in der Vergangenheit im der Bienen, wegen Glyphosat und wegen des CO2-Aus- Zusammenhang mit der Schuldenkrise in Europa hatten, stoßes und der Dieselmotoren einzureden, sollten Sie et- auch nur einen Hauch an Kritik äußern kann. Ich verste- was Produktives tun. Helfen Sie uns, eine der unsinnigs- he nicht – wenn die Zeitungsberichte stimmen –, warum ten Subventionen zu beenden, nämlich die für Holzöfen! in der SPD-Fraktion über den Finanzminister gelästert Der durch Holzöfen verursachte Feinstaub in Deutsch- wird als Olaf Schäuble, die Verlängerung von Wolfgang land, getrieben durch KfW-Subventionen und denen der Schäuble. Seien Sie doch stolz darauf, dass wir die Er- Länder, steigt seit über zehn Jahren drastisch an. Die rungenschaften der schwarzen Null in diesem Land wei- Blaue Partei lädt die Grünen herzlich ein, sich gemein- terentwickeln und für die Zukunft erhalten. sam mit uns für saubere Luft einzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf: Budget- Die Bundesregierung hat leider den entscheidenden fetisch!) Moment versäumt, eine echte Wende in der Haushalts- – Derjenige, der das behauptet, hat in der Tat aus der planung herbeizuführen. Mutloses Krämertum wird uns Schuldenkrise beim besten Willen nichts gelernt. aber nicht vor den Herausforderungen retten, die auf uns zukommen. Die horrenden Sozialleistungen, die der un- Vollkommen egal, ob dieser Unsinn im Deutschen kontrollierte Zuzug von Einwanderern für uns mit sich Bundestag oder in Aachen erzählt wird, es war nicht der bringt, wurden nicht immer thematisiert. Was wir brau- Budgetfetisch, der Europa in die Krise geführt hat. Es chen, ist eine Rückkehr der Finanzpolitik zu Vernunft war der linke Schuldenfetisch, der einige Länder Europas und zur bürgerlichen Verantwortung – für jeden von uns an den Rand des Abgrunds gebracht hat. selbst und für die Gesellschaft. Nur so können wir die Träumereien derjenigen entlarven, deren fatale Antwort (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- auf alle Probleme immer nur wieder bedeutet: mehr ordneten der FDP) Staat, mehr Ausgaben, mehr Zentralismus. Mehr Schulden bei weniger Investitionen, mehr Ausga- Herzlichen Dank. ben, weniger Wachstum, mehr Umverteilung, weniger Leistung, das ist doch die linke Politik in Europa ge- (Beifall des Abg. [fraktions- wesen. Diese Lasten haben wir noch immer zu tragen. los]) Tragen können wir sie in Europa ausschließlich deshalb, 3006 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Alexander Dobrindt (A) weil Deutschland in der Lage ist, solide Haushalte aufzu- verlängern, sondern das Geld den Beitragszahlern zu- (C) stellen. Deswegen funktioniert das Ganze. rückgeben. Das ist unser Auftrag. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. ordneten der FDP) Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Die Frau Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, Ich bin froh, dass wir in dieser Debatte auch ausgie- dass die Schulden von heute nichts anderes sind als die big über Europa gesprochen haben. Ein starker Staat, wie Steuerhöhungen von morgen. Man darf daher sagen: Wer wir ihn in unserem Haushaltsentwurf vorsehen, funktio- Schulden fordert, fordert Steuererhöhungen. Wer Steuer- niert heute als starker Nationalstaat mit nationaler Sou- erhöhungen fordert, will nichts anderes, als heute zu kon- veränität nur dann, wenn es ein starkes Europa gibt. Nur sumieren und die Zeche die nächste Generation zahlen dann werden wir unsere nationale Souveränität auf der zu lassen. Wir stehen für Generationengerechtigkeit und Welt erhalten können. Ich will ein starkes und geeintes werden daran nichts ändern. Europa. Das heißt aber nicht, dass ausschließlich dieje- nigen gute Europäer sind, die die meisten Kompetenzen (Beifall bei der CDU/CSU – Stef Lemke möglichst schnell an Brüssel abgeben wollen. Es geht [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn darum, Europa weiterzuentwickeln, nicht als „ever clo- die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte er- ser union“, sondern als „ever stronger union“. Das ist höht?) der Auftrag: Wir wollen stärker werden in Europa, und Neben der Bedeutung der Investitionen geht es um das heißt, einen klaren Mehrwert mit dem, was wir für die Entlastung der Bürger. Bei Rekordhaushalten und Europa vereinbaren wollen, zu verbinden; mehr Europa Rekordsteuereinnahmen muss man die Entscheidung zu- im Großen, weniger im Kleinen. Wir sind bereit, dafür gunsten von Entlastungen kraftvoll trefen. Dabei ist der fnanzielle Aufwendungen bereitzustellen. Wir wollen Abbau der kalten Progression nur eine zwingende Not- auch den Schutz der Außengrenzen vorantreiben, und wendigkeit. wir wollen dafür sorgen, dass Europa in der Tat bei den ganzen Fragen der Migration mehr Verantwortung über- ( [FDP]: Das stimmt gar nehmen kann. nicht!) Meine Damen und Herren, wir haben heute noch sehr Ich teile diese Aufassung. Aber, liebe Kollegen von der stark mit der Aufarbeitung der Flüchtlingskrise zu tun. FDP, den Vorwurf, wir kauften uns Zustimmung durch Wir sind aber auch bereit, diese Aufarbeitung voran- Entlastung ein, weise ich zurück. zutreiben. Dazu gehört, dass wir eine funktionierende Rückführungskultur in Deutschland schafen. Wer kein (B) (Benjamin Strasser [FDP]: Nicht durch Ent- Bleiberecht hat, der muss auch wieder gehen. Wer krimi- (D) lastung, sondern durch mehr Geld!) nell ist, der hat sein Bleiberecht verwirkt. Früher war für die FDP eigentlich „mehr Netto vom (Beifall bei der CDU/CSU) Brutto“ ein Thema. Nun den Menschen etwas zurückzu- geben, wenn wir die höchsten Steuereinnahmen haben, Der Bundesminister Horst Seehofer entwickelt dafür gleichzeitig in starke Regionen und in die Zukunft zu in- den Masterplan für Rückführungen. Wir arbeiten an der vestieren, das nenne ich nicht „Zustimmung einkaufen“, Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Wir wollen, sondern „Leistung honorieren“ und „Wohlstand fort- dass auch beim Aufwuchs der Mittel für die Entwick- schreiben“. Das ist das Ergebnis, das wir aus der Bundes- lungshilfe eine Kombination mit der Kooperationsbereit- tagswahl abgeleitet haben. schaft von Drittländern hinsichtlich Rückführungen statt- fndet. Wir werden die AnKER-Zentren aufbauen und (Beifall bei der CDU/CSU – Benjamin damit unser Asylsystem wieder vom Kopf auf die Füße ­Strasser [FDP]: Helmut Kohl hat es aber ver- stellen. Erst wenn die Identität geklärt ist, das Verfahren sprochen! – Gegenruf des Abg. Stefan Müller abgeschlossen ist, wird auf die Kommunen verteilt oder [Erlangen] [CDU/CSU]: Das ist nicht mehr direkt aus den AnKER-Zentren abgeschoben. Wer kein die FDP von früher!) Bleiberecht in Deutschland erhält, der soll sich in diesem Land auch erst gar nicht einrichten. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um über eine Senkung der Sozialabgaben zu reden. Die Sozialkassen sind keine (Beifall bei der CDU/CSU) Sparkassen. Wenn die Bundesagentur für Arbeit dem- Jetzt will ich darauf hinweisen, dass wir bei den nächst Rücklagen in einer Größenordnung von 20 Milli- Asylverfahren ein Aufwachsen vom Jahr 2016 auf das arden Euro hat, dann darf man nicht vergessen, dass das Jahr 2017 um mehr als das Doppelte haben, und zwar auf das Geld der Beitragszahler ist. Das muss den Beitrags- 360 000 Verfahren. Ja, das überlastet in der Tat unsere zahlern zurückgegeben werden. Wir haben vereinbart, Verwaltungsgerichte. Das führt zu einer extrem langen den Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung um Dauer der Asylverfahren. Das führt zu einer Verstetigung 0,3 Prozentpunkte zu senken und so circa 3,6 Milliarden der Aufenthalte, und das führt auch zu einem Pull-Efekt. Euro zurückzugeben. Ich bin heute der Überzeugung: Wir können an dieser Stelle mehr machen. Lassen Sie Wir brauchen natürlich eine Beschleunigung der Asyl- uns darüber reden, ob wir den Beitragssatz in der Arbeits- verfahren. Es gibt bis heute keine Mitwirkungspficht losenversicherung um 0,5 Prozentpunkte – das entspricht der Asylbewerber bei Widerrufsverfahren. Wer sich in etwa 6 Milliarden Euro – senken sollten. Wir sollten die einem Widerrufsverfahren taubstumm stellt, der kann Zeit der Bundesagentur für Arbeit als Sparkasse nicht auch überhaupt nicht überprüft werden. Wir wollen aber Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3007

Alexander Dobrindt (A) eine Mitwirkungspficht der Asylbewerber haben, wenn land muss sich ihr kulturelles Erbe auch etwas kosten las- (C) überprüft wird, ob es noch einen Schutzgrund gibt; denn sen. Das sind wir uns schuldig; das sind im Übrigen auch wenn wir nicht mehr überprüfen können, ob Schutzgrün- Investitionen, die sich durch indirekte Efekte auf Touris- de noch bestehen, dann können wir am Schluss auch mus, Kreativwirtschaft etc. hundertfach bezahlt machen. nicht dafür sorgen, dass Menschen, die keinen Schutz- grund mehr haben, wieder in ihre Heimatländer zurück- Der vorliegende Haushaltsplan indes – und damit die gebracht werden. Kulturpolitik der Bundesregierung – gibt Anlass, von diesem positiven Vorurteil abzurücken und einzusehen: (Beifall bei der CDU/CSU) Es gibt auch im Feld der Kultur und der Medien Investi- tionen, die besser nicht getätigt würden, nämlich solche Das ist aber notwendig, um Akzeptanz im System zu er- in linksideologische Propaganda und Förderprogramme, halten. (Helin [DIE LINKE]: Oh!) Noch ein Hinweis, lieber Christian Lindner; denn Sie haben behauptet: Es gibt keine Antiabschiebeindustrie in die einzig und allein dem Zweck dienen, Kunst und Kul- Deutschland. – Man kann beim Bäcker sicher viel lernen, tur auf globalistische, migrations- und EU-euphorische aber nicht alles, vermute ich. Linie zu bringen. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der (Beifall bei der AfD – Zuruf der Abg. CDU/CSU – Benjamin Strasser [FDP]: Tätä, Marianne Schieder [SPD]) tätä, tätä! – Sven-Christian Kindler [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Menschen neh- Das sind kulturelle Schadprogramme, deren Mittel bes- men ihre Rechte wahr!) ser in Denkmalschutz und kulturellen Substanzerhalt fießen sollten, meine Damen und Herren. Schauen Sie sich mal an, was die Flüchtlingsräte ver- öfentlichen. Sie gehen davon aus, dass sie mit ihren (Beifall bei der AfD) Aktionen immer weniger Flüchtlinge in die Abschiebe- Prominentes Beispiel: Die Kulturstiftung des Bun- fugzeuge bringen. Sie gehen davon aus, dass sie Ab- des wird im Haushaltsplan der Bundesregierung mit schiebungen verhindern können, wenn die Betrofenen 35,5 Millionen Euro bedacht. Laut ihrer Künstlerischen gewarnt werden und die Betrofenen „untertauchen“, so Direktorin, Frau Hortensia Völckers, will die Kulturstif- wörtlich; das sei ein Erfolg. Wer heute dazu aufordert, tung Maßnahmen gegen Abschottung und ideologische wie es Flüchtlingsräte tun, dass Unterstützer und Anwäl- Homogenisierung fördern, etwa mit dem Programm te über Abschiebetermine informieren, damit gefährdete „360°“, das eine – Zitat – „diversitätsorientierte Öfnung Personen sich verstecken können, von Kultureinrichtungen“ anstrebt. (B) (D) (Benjamin Strasser [FDP]: Was sagt die SPD (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Wunder- denn dazu?) bar!) wer darauf hinweist, dass man sich nicht zu Hause auf- Orwell’scher Neusprech, meine Damen und Herren! halten soll, wenn Abschiebetermine anstehen, oder dass man blaumachen soll, weil es, so wörtlich, „kreative (Beifall bei der AfD) Möglichkeiten“ gibt, warum man mal nicht zur Arbeit kommen kann, der hat mit Sicherheit alles andere als ein Die Einzelprogramme heißen dann zum Beispiel rechtsstaatliches Verständnis von Asylverfahren. „Every­one’s welcome – Theater Bremen goes Diversi- ty“; Migranten sollen Angebote in der Stadtbibliothek (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Köln entwickeln und dergleichen mehr. Bis 2024 sollen ordneten der AfD – Benjamin Strasser [FDP]: 21 Millionen Euro in das Programm „360°“ fießen. Dann macht doch mal was!) Meine Damen und Herren, Kunst und Kultur werden hier zur propagandistischen Begleitmusik für eine ver- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: fehlte Politik der Masseneinwanderung degradiert. Der nächste Redner ist der Kollege Dr. Marc Jongen für die AfD-Fraktion. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD) Man führt auf deutschen Theaterbühnen einen paranoi- den Kampf gegen rechts, Dr. Marc Jongen (AfD): (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeord- GRÜNEN]: Das nennt sich Kunstfreiheit!) nete! Für Kultur kann es eigentlich nie genug Geld ge- wobei rechts schon jeder ist, der nicht bereit ist, Tradition ben. Mit diesem positiven Vorurteil muss sich jeder Kul- und kulturelles Erbe einer staatlich verordneten multikul- turpolitiker, der ja ein Freund und ein Mensch der Kultur turellen Zukunft zu opfern, mit anderen Worten: der nicht sein sollte, seinem Ressort nähern. bereit ist, der Zerstörung dieses kulturellen Erbes, jeden- (Simone Barrientos [DIE LINKE]: Also Sie falls einem gewaltigen Niveauverlust, zuzustimmen. nicht!) (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer – Sie sind eher Freunde der Propaganda und Ideologie; [DIE LINKE]: Sie haben nichts aus der Ge- dazu komme ich noch. – Eine Kulturnation wie Deutsch- schichte gelernt!) 3008 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Marc Jongen (A) Ich fnde es auch immer wieder frappierend: Je vehe- Dr. Marc Jongen (AfD): (C) menter Vielfalt eingefordert wird, desto uniformer und Ich komme zum Schluss. – Noch ist Gelegenheit dazu. austauschbarer sieht das Ergebnis aus, weil es eben nicht Bitte streichen Sie diesen Unsinn. die von unten gewachsene Vielfalt ist, sondern eine von oben übergestülpte Vielfaltsideologie, meine Damen und Vielen Dank. Herren. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der AfD – Widerspruch bei der LINKEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Das Fatale ist: Mit solcher Kulturpolitik züchtet man Ich erteile das Wort dem Kollegen Martin Gerster für sich eine Kaste von Staatskünstlern und Staatskultur- die SPD-Fraktion. schafenden heran, (Benjamin Strasser [FDP]: Die Kunstfreiheit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten steht im Grundgesetz!) der CDU/CSU) die genau wissen, was sie abzuliefern haben, um an die begehrten Fördertöpfe zu gelangen. Martin Gerster (SPD): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die (Beifall bei der AfD) Haushaltsdebatte ist ja traditionell eine gute Gelegenheit Wer nicht das Hohelied von Vielfalt, Gender und Migra- für die Opposition, Kritik zu üben. Oft hört man: Das tion singt, der geht leer aus. ist zu wenig, zu viel, zu schnell, zu langsam, zu früh, zu spät, falsche Richtung. – Das gehört zur demokratischen (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Debatte, zur Auseinandersetzung. Ich fnde aber, heute GRÜNEN]: Einfalt statt Vielfalt!) haben wir eine neue Dimension erfahren müssen. Dazu Die Freiheit der Kunst besteht bald nur noch auf dem muss ich sagen: Diskriminierung von bestimmten Grup- Papier des Grundgesetzes, aber wirklich unabhängige pen in unserer Gesellschaft halte ich für unerträglich, Köpfe führen hier in Deutschland mittlerweile ein Dissi- auch in einer Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag! dentendasein; das ist die traurige Realität. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei der AfD) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- geordneten der CDU/CSU und der FDP) Ich will nicht nur anklagen. Es gibt auch positive As- pekte der Kulturförderung durch den Bund. Dass zum (B) Viele glauben ja, Haushalt ist reine Zahlenhuberei. (D) Beispiel der Etat für das Humboldt Forum im Berliner Nein, es handelt sich um in Zahlen gegossene Politik. Stadtschloss massiv erhöht wurde, war dringend notwen- Ich fnde, an diesem Haushaltsentwurf kann man ganz dig, damit dieses kulturelle Schaufenster Deutschlands gezielt und ganz konkret ablesen, was es für die Men- zur Welt in die operative Phase eintreten kann. Ich habe schen tatsächlich bedeutet, wenn an der einen oder ande- mich gestern, werte Frau Grütters, am einstimmigen Be- ren Stelle mehr im Haushalt verankert ist bzw. die guten schluss im Stiftungsrat des Humboldt Forums zur neuen Haushaltsansätze entsprechend fortgeschrieben werden. Organisationsstruktur und zum neuen Generalintendan- Finanzminister Olaf Scholz hat gestern völlig zu Recht ten beteiligt, und ich kann Ihnen die wohlwollend kriti- gesagt: Das ist ein Haushalt der Investitionen, der sozi- sche Begleitung dieses wichtigen Kulturprojektes durch alen Sicherheit, der öfentlichen Sicherheit und auch der die AfD-Fraktion zusagen. emotionalen Sicherheit. – Ich will ein paar Beispiele aus (Zuruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]) Begegnungen und Gesprächen der letzten Wochen in meiner Region, in Oberschwaben im Allgäu, nennen und Umso wichtiger ist es mir, Sie und die Bundesregie- damit zeigen, wie letztendlich dieser Haushalt viele Ver- rung hier an dieser Stelle noch aufzufordern: Stoppen Sie besserungen für die Menschen bringen wird. bitte dieses unsäglich misslungene Freiheits- und Ein- heitsdenkmal, die sogenannte Einheitswippe, Da war die junge Familie, die darüber geklagt hat, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch nicht (Beifall bei der AfD) so gut klappt. Ich fnde es großartig, dass unsere neue Fa- die direkt neben dem Humboldt Forum errichtet werden milienministerin Franziska Gifey das Gute-Kita-Gesetz soll und die mit sage und schreibe 17 Millionen Euro zu auf den Weg bringen will. Es soll für mehr Qualität in Buche schlägt. An die Stelle neben dem Stadtschloss ge- den Kitas sorgen, aber auch dabei helfen, Gebührenfrei- hören wieder die historischen Kolonnaden hin, meinet- heit in allen Bundesländern durchzusetzen. wegen in einer veränderten Fassung analog zu der, in der auch das Stadtschloss wiederaufgebaut worden ist, aber (Beifall bei der SPD) nicht diese alberne Bundesbanane, mit der in Wahrheit Ich fnde es nach wie vor nicht in Ordnung, dass in Ba- auch niemand glücklich ist. den-Württemberg unter einem grünen Ministerpräsiden- (Beifall bei der AfD) ten die Familien Kitagebühren zahlen müssen; das macht oft mehrere Hundert Euro aus. Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (Zurufe der Abg. Dr. Franziska Brantner Herr Kollege Jongen, denken Sie an die Redezeit. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3009

Martin Gerster (A) Deswegen sage ich an dieser Stelle: Wir ermöglichen Ich denke an die Pfegekraft, die gesagt hat: Wir haben (C) allen Bundesländern, die Gebührenfreiheit einzuführen. viel zu wenig Personal. Ich fühle mich überlastet, über- fordert. Ich werde im Urlaub angerufen und gefragt, ob (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Stef ich nicht kommen kann. – Vor diesem Hintergrund fnde Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steile ich es gut, dass wir auf das Schulgeld verzichten und die These! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ Ausbildungsvergütung einführen. DIE GRÜNEN) Ich sage auch ganz selbstbewusst: Die SPD hat in ihrer (Beifall bei der SPD) Geschichte das Schulgeld abgeschaft, die Studiengebüh- Ich glaube, das ist ein großer Baustein, damit dieser ren abgeschaft. Wir werden es auch schafen, die Kitage- Beruf attraktiver wird. Ganz konkret sind im Haushalt bühren in allen Bundesländern abzuschafen. 2 Millionen Euro für eine Kampagne zugunsten des Pfe- (Beifall bei der SPD) geberufs enthalten. Ich glaube, das ist eine richtig gute Sache in diesem Haushaltsentwurf. Da war die Familie, die den Traum hatte, eine eige- ne Wohnung bzw. ein eigenes Haus zu erwerben. Wir (Beifall bei der SPD) werden diese Familie dabei unterstützen. Es kann nicht der einzige Baustein für das Eigentum sein, aber es kann Ich denke an die THW-Helferin, die ich über die Jah- vielleicht der entscheidende Baustein sein, um eine Ei- re immer wieder getrofen und gesprochen habe. Sie hat gentumswohnung bzw. ein Eigenheim zu erwerben. Des- 2013 gesagt: Das kann doch nicht sein: Ich bringe mich wegen sage ich: Es ist gut, dass wir das Baukindergeld ehrenamtlich ein, ich helfe anderen Menschen, wenn sie einführen werden. Es sind pro Kind 1 200 Euro über zehn in Not geraten, aber meine Unterkunft vom THW-Orts- Jahre. Das macht für eine Familie mit drei Kindern insge- verband ist in einem völlig maroden Zustand. Das kann samt 36 000 Euro aus. doch nicht so bleiben. Ein bisschen Wertschätzung hätte auch ich gerne. – Ich will daran erinnern, dass wir das (Zurufe des Abg. Sven-Christian Kindler Liegenschaftsprogramm, das Fahrzeugprogramm und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) viele andere Maßnahmen für diese Helferinnen und Hel- Deswegen sage ich: Das gehört entsprechend unterstützt fer, die unsere Unterstützung verdient haben, auf den und ist ein guter Baustein für junge Familien. Weg gebracht haben. Wir investieren aber auch ganz viel in den sozialen Ich denke an den Einwanderer, der seine Zukunft in Wohnungsbau. Das ist auch ganz wichtig für Leute, die Deutschland sieht. 2013 hatten wir für Integrationskurse (B) klagen: Mensch, ich kann bald die Miete nicht mehr be- gerade einmal 200 Millionen Euro im Haushalt veran- (D) zahlen. Ich habe Angst, dass ich aus der Wohnung he­ schlagt. rausgetrieben werde. (Zuruf von der AfD) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr lasst die Mieter mit den Mie- Jetzt sind eine Dreiviertelmilliarde Euro eingeplant, mit ten in den Städten im Stich!) der wir diese Leute auf einen guten Kurs bringen wollen,

Da tun wir etwas, indem wir letztendlich die Möglichkeit (Beifall bei der SPD) der Umwälzung der Ausgaben für Modernisierungen auf die Mieterinnen und Mieter stoppen. damit sie in unserer Gesellschaft Erfolg haben und letzt- endlich auf einem guten Weg sein können. Da war der 18-Jährige, der gesagt hat: Ich habe jetzt gerade meine Abiprüfungen hinter mir. Meine Eltern ha- Ich denke an Leute, die verunsichert sind und sagen: ben nicht so viel Geld. – Wir werden im Laufe dieser Le- „Draußen fühle ich mich nicht mehr wohl“, und die gislaturperiode ganz viel tun, um solche jungen Leute zu Angst vor Wohnungseinbruch haben. In diesem Bereich unterstützen, wenn sie studieren wollen. 1 Milliarde Euro haben wir viel getan. Wir haben die Sicherheitsbehörden mehr gibt es in dieser Legislaturperiode für das Schüler- gestärkt. Aktuell fnden sich im Haushalt 2 000 zusätzli- und Studierenden-BAföG; dazu noch einmal 350 Millio- che Stellen für Polizei und Bundeskriminalamt. Ich den- nen Euro für das Meister-BAföG. Ich glaube, das ist eine ke aber auch an unser Programm zur Verbesserung des richtig gute Nachricht für junge Leute. Einbruchschutzes. Unglaublich viele Leute haben das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten beantragt; das ist eine großartige Sache. der CDU/CSU) (Zuruf von der AfD) Im Übrigen: Wir als SPD haben in den meisten Bun- desländern durchgesetzt, dass die Studiengebühren ab- Man könnte jetzt so weitermachen. Selbst wenn ich geschaft werden. Auch das ist eine gute Botschaft, die noch eine Viertelstunde Redezeit hätte, würde auch diese heutzutage oft vergessen wird. Ich fnde es nicht in Ord- nicht ausreichen, um aufzuzeigen, wie viele Menschen nung, dass in manchen Bundesländern schon wieder dis- ganz konkret von unserer Politik, unserem Haushalt pro- kutiert wird, dass für Teile der Studierenden wieder Stu- ftieren. Aber wir haben ja hier in der Haushaltsdebatte diengebühren eingeführt werden sollen. Zum Teil sind und im Haushaltsausschuss noch ein paar Tage Zeit, um sie schon wieder eingeführt worden. die Positionen zu besprechen. 3010 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Martin Gerster (A) Ich jedenfalls glaube, dieser Haushaltsentwurf ist eine ans Licht zu holen, ist Teil der historischen Verantwor- (C) gute Sache. Herzlichen Dank an Olaf Scholz und das tung Deutschlands gegenüber den ehemaligen Kolonien Bundesfnanzministerium. und Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung mit den dort lebenden Menschen. Vielen Dank. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der CDU/CSU) neten der SPD, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Deshalb ist es gut, dass diese Fragen auch mit dem Für die Bundesregierung hat das Wort die Frau Staats- Baufortschritt beim Humboldt Forum ins Zentrum der öf- ministerin Monika Grütters. fentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Dort haben wir gestern einstimmig – das ist richtig, Herr Jongen – mit al- (Beifall bei der CDU/CSU) len in den Stiftungsrat entsandten Vertretern aus Parteien, der Regierung und Experten Hartmut ­Dorgerloh zum Ge- Monika Grütters, Staatsministerin bei der Bundes- neralintendanten gewählt. Dass wir diesen großen und, kanzlerin: wie ich glaube, wichtigen Schritt in dieser Einmütigkeit Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! getan haben – das war nicht unbedingt zu erwarten; freut Von Jean Sibelius, dem berühmten fnnischen Kompo- mich aber umso mehr –, nisten, stammt das Bonmot: „Über Musik kann man am besten mit Bankdirektoren reden. Künstler redeten ja (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nur übers Geld.“ Zumindest die erste Behauptung, den Kunstsinn der Kassenhüter betrefend, deckt sich auch zeigt, wie wirksam eine Kultur der Verständigung sein mit meinen persönlichen Erfahrungen. Nicht nur mit kann. Hartmut Dorgerloh wird diese – so beschreibt er Bankdirektoren, auch mit Haushalts- und Finanzpoliti- selbst das Humboldt Forum – „Freistätte für Kunst und kern kann man ganz hervorragend über Kultur reden – Wissenschaft“ der Allgemeinheit erschließen. und das macht sich dann in Euro und Cent bezahlt, was Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich Neil wiederum Künstler und Kreative wie auch Kulturpoliti- ­MacGregor, der bislang gemeinsam mit Horst Brede- ker freut. kamp und Hermann Parzinger den inhaltlichen Fein- Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit dem Ausgang der schlif am Großprojekt Humboldt Forum vorgenommen Gespräche zum Kultur- und Medienhaushalt 2018; denn hat. Es ist damit gut gerüstet für die letzten Monate bis erneut konnte die Kulturfnanzierung des Bundes signif- zur Eröfnung Ende 2019. Ich möchte an dieser Stelle (B) kant gesteigert werden – zum Wohle zahlreicher kulturel- auch ausdrücklich Herrn Staatssekretär Pronold dan- (D) ler Einrichtungen und Projekte im ganzen Land. Lassen ken – er ist leider gerade gegangen –, der das Projekt Sie mich ganz kurz auf die wesentlichen Veränderungen bisher vonseiten des Bundesbauministeriums ganz her- eingehen. vorragend gemanagt hat. Wie bereits im März in der Generaldebatte hier im (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutschen Bundestag angekündigt, ist es mein Ziel, in dieser Legislaturperiode die Aufarbeitung von und den Im Humboldt Forum, dieser „Freistätte“, laden wir Umgang mit Beständen aus kolonialen Kontexten in Besucher ein, Weltbürger zu sein. Wie wichtig es wie- Sammlungen und Museen voranzubringen. Deshalb sto- der geworden ist, demokratische Errungenschaften wie cke ich mit meinem Haushalt 2018 die Mittel für Prove- Kunstfreiheit, Pressefreiheit und Meinungsfreiheit ak- nienzforschung ein weiteres Mal auf, um mehr als eine tiv zu verteidigen, müssen wir täglich – übrigens nicht halbe Million Euro gegenüber dem ersten Regierungs- nur mit Blick auf manche Nachbarländer – erleben. Im- entwurf. Für den Regierungsentwurf 2019, den wir der- merhin darf Hajo Seppelt jetzt doch nach Russland ein- zeit erarbeiten, beabsichtige ich gerade in diesem Bereich reisen. Aber wenn wir auf den dortigen Theatermacher weitere Erhöhungen. Serebrennikow schauen, der nicht zum Theatertrefen kommen konnte, wenn wir sehen, wie schwer es unab- Ein erster wichtiger Schritt war die Unterstützung des hängige Journalisten in Ungarn haben, und wenn wir die Deutschen Museumsbundes bei der Erarbeitung eines zunehmende Einschränkung der Medienfreiheit in Polen Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonia- durch das neue Mediengesetz beobachten, wenn wir mit len Kontexten. Den haben wir am Montag veröfentlicht. ansehen müssen, wie Liu Xia, die Witwe des Schriftstel- Ich bin sicher: Er wird sowohl den Museen als auch der lers Liu Xiaobo, in China leiden muss, oder wenn wir Politik helfen, diesem anspruchsvollen und – das lernt sehen, wie viele Künstler und Intellektuelle in der Tür- man, wenn man sich damit befasst – sehr vielschichtigen kei immer noch im Gefängnis sitzen, und wenn wir auch Thema gerecht zu werden. hierzulande mit Vorwürfen wie „Lügenpresse“ konfron- (Beifall bei der CDU/CSU) tiert werden, spätestens dann wird klar, wie wichtig und notwendig auch hier bei uns wirksame Programme sind, Dieser Aufgabe sollten und, ich glaube, müssen wir uns die die Bürger, vor allem auch junge Menschen, für den mit Aufrichtigkeit und Nachdruck stellen. Viel zu lange Wert der Freiheit sensibilisieren. war die Kolonialzeit ein blinder Fleck in unserer Erin- nerungskultur; und viel zu lange war das in dieser Zeit (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem geschehene Unrecht vergessen und verdrängt. Es endlich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3011

Staatsministerin Monika Grütters (A) Im Austausch mit Experten erarbeiten wir dazu im BKM bei dem kommt noch nicht einmal der Mann, der nach (C) weitere neue vertiefende Projekte zur Erinnerungskultur, ihm ruft. zur Integration und zur Medienkompetenz. Die hierfür Sie haben Ihr Amt in einem Interview als „Arbeits- bereitgestellten Gelder dürften bestens investiert sein. muskel“ bezeichnet, für den Sie – ich zitiere – „Querden- Meine Damen und Herren, die Steigerung des Kul- ker und Nerds suchen, die im positiven Sinne ‚verrückt‘ turetats – ich komme zum Schluss – ist vor allem eins: sind“. Im positiven Sinne verrückt muss man schon sein, Sie ist Ausdruck der Wertschätzung für Kultur und Me- wenn man sich auf derart dünnes Eis begibt. Es braucht dien in ihrer Bedeutung für eine ofene demokratische mehr als einen Arbeitsmuskel, Frau Kollegin, um die Gesellschaft, für Verständnis und Verständigung, für sträfich vernachlässigte Digitalisierung endlich voran- gesellschaftlichen Zusammenhalt und Integration. Wa- zutreiben. rum Künstler und Kreative Förderung und Unterstützung (Beifall bei der AfD) verdienen, hat der kürzlich verstorbene Kardinal Karl Lehmann, der heute an diesem 16. Mai seinen 82. Ge- Ich würde Ihnen und uns wünschen, dass Sie in die burtstag gefeiert hätte, einmal so formuliert – ich zitie- Lage versetzt werden, bedeutende Entwicklungen zielge- re –: richtet zu fördern, dass Sie Leuchtturmprojekte schafen können und das über alle Ressorts hinweg. Wie das ohne Weil wir in einem Zeitalter leben, das häufg vom Geld gehen soll, ist mir allerdings völlig schleierhaft. Nutzenkalkül regiert wird, stellen wir in vielen Le- bensbereichen nur Fragen, die wir auch knapp und In 14 Ministerien sind mehr als 70 Abteilungen mit der efzient beantworten können – nennen wir sie ein- Digitalisierung befasst. Die Chance, all dem eine Stoß- mal die kleinen Fragen. … Deshalb sind Menschen richtung zu geben, die weitgehend wirkungslosen Digi- wichtig, die uns lehren, an den großen Fragen fest- talinitiativen zu bündeln, hatten wir als Mindestvoraus­ zuhalten: Und da rangieren die Künstler sicherlich setzung für die Fortschritte in dieser Legislaturperiode mit an vorderer Stelle. Sie stellen unser oft eindi- angesehen. Jetzt ist es also ein Arbeitsmuskel. Keine mensional fest zementiertes Weltbild immer wieder Knete, aber Muckis. heilsam in Frage. Ich darf daran erinnern, dass die AfD ein Digitalmi- So weit Kardinal Lehmann. nisterium gefordert hat. Um in Ihrem Bilde zu bleiben: Wir fordern keinen Muskel, sondern ein bestens ausge- Auch hier im Deutschen Bundestag können wir oft stattetes Fitnessstudio, das dieses Land ganzheitlich auf nur die kleinen Fragen beantworten. Umso wichtiger ist Zukunftssicherheit trimmt. es, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Gesellschaft im Gespräch, in Verständigung auch und gerade über die (Beifall bei der AfD) (B) (D) großen Fragen bleibt. In diesem Sinne bitte ich Sie um Eine Staatsministerin für Digitales ohne ausreichen- Unterstützung meines Haushaltsentwurfs für Kultur und des Budget ist eine Luftnummer. Was soll denn aus Ih- Medien in den anstehenden parlamentarischen Beratun- ren Ansätzen werden, vom digitalen Schulranzen bis hin gen. zum Lufttaxi, wenn man Ihnen keine müde Mark zur Vielen Dank. Verfügung stellt, Frau Bär? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Das Fehlen eines Budgetansatzes, aber auch die durch- der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE]) gängige Nichtnennung Ihrer Position lässt mich fragen, welche denn Ihre Rolle sein soll. Zumindest werden Sie Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: sich nach eigenem Bekunden gut mit Frau Christiansen verstehen, Frau Merkels geschätzter Abteilungsleiterin Die nächste Rednerin ist die Kollegin Joana Cotar für im Kanzleramt für Innovation und Digitalpolitik. Wer da die AfD-Fraktion. Köchin und wer Kellnerin ist, wird sich zeigen. (Beifall bei der AfD) Vielleicht arbeiten Sie auch gut mit Ihrer Kollegin, der Kulturbeauftragten, zusammen. Diese hat allerdings Joana Cotar (AfD): einige Millionen Euro für die Digitalisierung von Musik- Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen! Bei klubs, Kinos und Museen in der Schatulle. Das versteht beeindruckenden 3 087 Seiten kann man im aktuellen man wohl unter „Verantwortung in einer Hand“. Haushaltsentwurf schon einmal etwas übersehen. Wenn Es gibt in diesem „Girls’ Camp Digitalisierung“ aber auch die digitale Suche darin nicht den geringsten der Kanzlerin sogar noch eine Mitspielerin, und zwar Budgetansatz für die kürzlich ernannte Staatsministerin Gesche Joost, digitale Botschafterin Deutschlands Dorothee Bär erbringt, wenn die Beauftragte der Bun- bei der EU-Kommission. Die Dame kassiert jährlich desregierung für Digitalisierung allem Anschein nach 100 000 Euro und hat sich zur Unabhängigkeit ver- mittellos ist, dann wirft das Fragen auf. pfichtet. Das hindert sie aber nicht daran, sich in den In keinem Kapitel, in keinem Einzeltitel gibt es ei- Aufsichtsrat von SAP wählen zu lassen und sich mit der nen Hinweis auf eine fnanzielle Ausstattung dieses so Telekom und der ING Bank zu verbandeln. wichtigen Amtes. Kein Wunder, dass sie heute bei dieser (Beifall bei der AfD) zentralen Debatte auch nicht reden darf oder nicht reden will. Liebe Frau Bär, ein altes Sprichwort sagt: Wer Geld Die Digitale Agenda Deutschlands ist leider mit einer hat, der kann dem Teufel Beine machen. Wer keins hat, Günstlingswirtschaft verbunden, die alles ist, nur nicht 3012 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Joana Cotar (A) zielführend. Frau Merkel, bei der Digitalisierung liegen Das ist ein völlig anderer Ansatz. Wir wollen Räume er- (C) wir nicht nur im internationalen Vergleich weit zurück. öfnen, in denen Kultur und Kunst frei sein können. Sie Um den Anschluss zu schafen, müssen wir schneller wollen bestimmen, was Kultur und Kunst inhaltlich be- rennen als alle anderen. Sie aber machen Deutschland zu deuten. Das wird mit uns nicht passieren. einem lahmen Gaul, und das hat unser Land nicht ver- dient. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vielen Dank. Es geht darum, dass wir – und dafür ist BKM, die (Beifall bei der AfD) Kulturförderung des Bundes, auch da – eben genau diese Räume schafen. Wir haben uns als Koalition vorgenom- men, dies in einem – wie wir es bezeichnet haben – ko- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: operativen Kulturföderalismus gemeinsam mit den Län- Der nächste Redner ist der Kollege Martin Rabanus dern voranzubringen. von der SPD-Fraktion. Ich will dabei zwei Punkte besonders hervorheben, (Beifall bei der SPD) weil sie uns als Koalition – ich glaube, das kann ich so sagen – besonders wichtig sind. Neben den Dingen, die Martin Rabanus (SPD): die Bundeskulturpolitik hier in der Hauptstadt unter- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und stützt, und dem, was im Hauptstadtkulturvertrag, zu dem Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte wir selbstverständlich stehen und der die entsprechenden Damen und Herren auf der Besuchertribüne! Es ist guter Mittelerhöhungen erfährt, abgebildet ist, wollen wir als Brauch, dass in der Generalaussprache zur Regierungs- Bund in den kommenden Jahren vor allen Dingen auch politik, zum Einzelplan des Bundeskanzleramtes die die Kultur in der Fläche, in den ländlichen Räumen stär- Kultur eine Rolle spielt, weil diese dort etatisiert ist, weil ken. BKM dort beheimatet ist. Es ist auch guter Brauch, dass Wir wollen mit einer „Agenda für Kultur und Zukunft“ in dieser Generalaussprache natürlich die Regierungs- Impulse in der Breite der Gesellschaft setzen, wollen ein fraktionen bzw. Regierungsvertreter darstellen, was alles Programm „Kultur in den Regionen“ etablieren, mit dem gut ist, und die Opposition natürlich darstellt, was alles wir tatsächlich in die Förderung der ländlichen Räume, schlecht ist. sozusagen in die Graswurzelarbeit vor Ort, einsteigen. (Johannes Kahrs [SPD]: Nichts ist schlecht!) Das ist uns sehr wichtig. Die Kultur ist für uns ein wich- tiger Bestandteil der Stärkung der ländlichen Räume. – Einverstanden. Genau, ich bin da ganz der Aufassung (B) Es geht eben nicht nur um Landwirtschaft, nicht nur um (D) meines Kollegen Kahrs. Die Regierungsvertreter, die sa- technische Infrastruktur. Vielmehr dürfen vor allem auch gen: „Es ist alles super“, haben natürlich recht. Bibliotheken, kleine Theater und Initiativen, die wir dort haben, nicht vergessen werden, wenn wir über die Stär- (Lachen des Abg. Dr. Anton Hofreiter kung von ländlichen Räumen reden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Johannes Kahrs [SPD]: Genau!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Ich will damit aber jetzt für einen kleinen Moment bre- chen und will versuchen, am Beginn meiner Ausführun- Wir wollen selbstverständlich Künstlerinnen und gen auch einmal das Gemeinsame und das Verbindende, Künstler, die Kreativen, im Bereich der Gleichstellungs- jedenfalls für fünf Fraktionen dieses Hauses, deutlich zu politik auf der einen Seite und auf der anderen Seite aber machen. Wir wollen nämlich – so erlebe ich auch unse- insbesondere im Bereich der sozialen Absicherung för- re Beratungen im Kulturausschuss –, gemeinsam um die dern. Das ist auch zwingend notwendig, um Kultur in der richtigen Instrumente und die richtige Schwerpunktset- Fläche jenseits der großen Kulturinstitutionen, denen ich zung ringend, tatsächlich die Sicherheit haben, in einem um Himmels willen die Berechtigung nicht absprechen weltofenen, freien, toleranten, demokratischen Land zu will, auch erhalten zu können. leben, und Räume eröfnen, in denen sich diese Freihei- ten entfalten können. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hansjörg Müller Wir brauchen auch eine Stärkung der Erinnerungskul- [AfD]: Auf Kosten des eigenen Volkes!) tur, indem wir durch die Förderung der Gedenkstätten durch den Bund Impulse setzen. Wir haben in der Koali- – Es ist ein Konsens von fünf Fraktionen; denn die Bei- tion vereinbart, ein Programm auf den Weg zu bringen, träge der AfD zeigen doch immer wieder, dass sie genau das „Jugend erinnert“ heißt, um nicht zu vergessen; denn das anders sieht. Alles, was in Ihren Verstand, in Ihre unsere Zukunft muss auf unserer Vergangenheit begrün- kleinen Vorstellungen nicht hineinpasst oder was Ihnen det sein – ohne irgendwelche Schuldgefühle oder der- einfach nicht gefällt, wird schnell in die ideologische gleichen mehr, aber in Verantwortung für die Zukunft auf Ecke gestellt und bekämpft. der Grundlage unserer Vergangenheit. (Jürgen Braun [AfD]: Ideologische Kulturpo- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta litik machen Sie doch! Umerziehung des Vol- Connemann [CDU/CSU] und des Abg. kes, das ist Ihr Ziel bei der Kulturpolitik!) [FDP]) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3013

Martin Rabanus (A) Ich will einen weiteren Punkt nennen, der uns be- Wenn freie Theater aufgeben müssen, wenn Pro- (C) sonders wichtig ist. Das ist – dabei schaue ich den Au- grammkinos schließen, Jugendliche keinen Ort haben, ßenminister an – die , die als die größte um ihre Kreativität auszuleben, wenn Ateliers und Werk- Einzelinstitution bei BKM etatisiert ist und die für uns stätten fehlen, wenn es keine Probenräume gibt, in denen eine starke Stimme in dieser Welt ist. Sowohl die Kanz- man den Verstärker auch einmal so aufdrehen kann, dass lerin als auch der Herr Kollege Kauder und viele andere der Putz an den Wänden wackelt, dann ist die kulturelle Redner in dieser Debatte haben auf die aktuelle Weltla- Teilhabe nicht gegeben. ge hingewiesen. Sie haben darauf hingewiesen, dass wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an allen Stellen Fakten und nicht Fake News verbreiten sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE wollen, dass wir dafür sorgen müssen, dass wir in diesen LINKE]) Konfikten mit einem hochglaubwürdigen Instrumentari- um, unserem Auslandssender Deutsche Welle, auch die Ihr Haushaltsentwurf konzentriert sich auf wenige Impulse setzen können, die wir für wichtig und richtig Projekte mit großer Strahlkraft. Diese werden mit Millio- halten. Dafür wird es notwendig sein, an der einen oder nenbeträgen gefördert. Die Popularmusik, die Soziokul- anderen Stelle im Etat, aber insbesondere auch auf der tur, die darstellenden Künste und die Literatur erhalten Strecke bis zum Ende der Legislaturperiode noch ein nur einen Bruchteil. Natürlich sind die Bayreuther Fest- bisschen nachzuarbeiten, um hier Planungssicherheit zu spiele und auch das Humboldt Forum förderungswürdig. gewährleisten und um den Sender Deutsche Welle ent- Aber was tun Sie wirklich für Kulturförderung in den Re- sprechend in der Perspektive aufstellen zu können. gionen, was für die Künstlerinnen und Künstler? Aktuell lehnen die Förderfonds des Bundes Anträge in großer In der Summe kann man sagen: Ja, der Haushalt ist Anzahl ab, weil die Mittel nicht ausreichen. Ein Bei- gut. Er beläuft sich auf knapp 1,7 Milliarden Euro. Das spiel ist der Deutsche Literaturfonds. In unserem Land ist ein Allzeithoch. Auch das ist gut. Aber es wird die der Dichter und Denker liegt die Förderquote bei knapp Aufgabe in den Haushaltsberatungen sein, in den kom- 12 Prozent. Das ist ein echtes Armutszeugnis. menden Wochen und Monaten weiter daran zu arbeiten, um noch weitere Impulse zu setzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank. Ein anderes Beispiel ist der Spielstättenprogramm- preis. Musikklubs bereichern unser Kulturleben sowohl (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten in den ganz großen Städten als auch vor allem abseits der CDU/CSU) der Metropolen, wie der Alte Gasometer in Zwickau, die Rätschenmühle in Geislingen oder das Alte Spital in Viechtach im Bayerischen Wald. In Ihrem Haushaltsent-

(B) Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: wurf wurde der Etat für den Spielstättenprogrammpreis (D) Das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat von 2 Millionen Euro auf 1 Million Euro halbiert – eine der Kollege Erhard Grundl. herbe Enttäuschung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Meine Damen und Herren, bei der Erinnerungskultur Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): steht Deutschland an einem historischen Wendepunkt. Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Staatsministerin! Augenblicklich fnden die letzten Strafprozesse statt. Meine Damen und Herren! Oskar Maria Graf, der Un- Zeitzeugen werden immer weniger. Schicksale, wie beugsame, verstand seine Kunst zeitlebens als Verpfich- beispielsweise die der Frauen und Mädchen, die im KZ tung. Die Bücher, die uns Graf hinterlassen hat, sind Uckermark zwischen 1942 und 1945 eingesperrt und um- heute Kult. Sie begleiten uns, berühren uns, geben uns gebracht wurden, sind aufgrund fehlender Mittel weitge- Fragen mit. Unser Land ist auch heute reich an engagier- hend unerforscht. ten Künstlerinnen und Künstlern. (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Umso wichtiger ist es, die Anerkennung für bisher aus- Ihre Arbeit ist genau wie die von Graf viel mehr als das gegrenzte Opfergruppen des Nationalsozialismus jetzt repräsentative Aushängeschild unserer Nation. voranzubringen. Meine Damen und Herren, Ihr Koalitionsvertrag las (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich gut in Sachen Kultur. Kollege Rabanus hat es fort- sowie bei Abgeordneten der FDP und der LIN- geführt. Nur: Die Erwartungen wurden geweckt, aber KEN und der Abg. Marianne Schieder [SPD]) laut Haushaltsentwurf werden sie nicht erfüllt. Kultur und kulturelle Bildung sollten allen zugänglich sein und Umso wichtiger ist es, die Gedenkstätten auch als Orte im urbanen sowie im ländlichen Gebiet unabhängig vom des Wissens und der Forschung zu stärken. Einkommen erreicht werden können. Das ist völlig rich- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – tig. Aber davon steht nichts in diesem Haushaltsplan. Marianne Schieder [SPD]: Haben wir ge- macht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Simone Barrientos [DIE Die Besucherzahlen in den Gedenkstätten steigen. LINKE]) Ganz ofensichtlich ist das Interesse der deutschen Be- 3014 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Erhard Grundl (A) völkerung groß, sich mit den Verbrechen und ihren Ur- Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: (C) sachen auseinanderzusetzen. Doch schon jetzt können in Die letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich ist die Buchenwald oder Sachsenhausen Anfragen nach Führun- Kollegin Patricia Lips, CDU/CSU-Fraktion. gen oft nicht erfüllt werden. Diese Unterfnanzierung der Gedenkstätten ist nicht akzeptabel. (Beifall bei der CDU/CSU)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Patricia Lips (CDU/CSU): sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Marianne Schieder [SPD]: Steht einiges drin!) Grundl, wir stimmen ganz sicher in vielen Punkten durchaus überein, insbesondere was die Ausstattung im Die Verbrechen des Nationalsozialismus haben Bereich der Kultur- und Medienpolitik angeht. Aber las- Deutschland geprägt, und sie bedeuten eine Verantwor- sen Sie mich an dieser Stelle sagen: Nimmt man es pro- tung für uns alle, eine Verantwortung, die nicht vergeht zentual, dann ist der Etat genau dieses Bereichs in den und die auf keinen Fall verjährt. letzten zehn Jahren unter unionsgeführten Regierungen so stark gestiegen wie kaum ein anderer. Er hat sich näm- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lich in zehn Jahren fast verdoppelt. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Alois Rainer [CDU/CSU]: Jawohl, Patricia! Sag ihnen, wie Meine Damen und Herren, wann, wenn nicht jetzt, ist der Haushalt zu lesen ist!) der Zeitpunkt, sich darauf zu besinnen, was uns Kunst und Kultur wert sind, wann, wenn nicht jetzt, macht es Meine sehr geehrten Damen und Herren, es liegt in Sinn, diesen Etat deutlich aufzustocken, damit Kunst und der Natur der Sache, dass es in Haushaltsberatungen um Kultur mehr Menschen erreichen? Denn wer der Spal- Geld geht, oft um viel Geld. Das betrift nicht nur den tung der Gesellschaft entgegenwirken möchte, der muss Deutschen Bundestag, sondern alle politischen Ebenen. auf kulturelle Teilhabe setzen. Wie in vielen Situationen im Leben verbindet sich damit bei manchen ganz konkret die Frage: Was habe ich, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Land, was haben die Menschen davon, wenn ich sowie bei Abgeordneten der LINKEN) diese oder jene Maßnahme in die Wege leite? Wenn man die Menschen auf der Straße fragt: „Wofür würdest du Der Kulturbetrieb muss neue Konzepte entwickeln, um an meiner Stelle vorrangig Geld ausgeben?“, dann steht soziale Barrieren zu überwinden, und im Gegenzug muss zumeist ein Thema – leider – sicher nicht gleich an erster die Bundesregierung den Kreativen aber auch die fnan- Stelle, obwohl man es überall sieht und hört. Es ist die- (B) (D) ziellen Mittel dafür an die Hand geben. Diese müssen in ses Thema, das unsere Gesellschaft prägt und verbindet, den Haushalt rein – wann, wenn nicht jetzt? meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist die Kul- tur in ihrer ganzen Vielfalt, die maßgeblich in dem Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zelplan, über den wir heute Vormittag diskutiert haben, angesiedelt ist. Und unser schönes Land ist voll davon: Lassen Sie mich abseits der Kulturpolitik einen Satz Musik, alle Arten der Kunst und Literatur, Theater, un- zum Kollegen Dobrindt sagen: Ich fnde, es ist ein Skan- sere Museen, die Förderung der Medien- und Filmwirt- dal, wenn hier im Deutschen Bundestag Rechtsanwälte schaft – einmal mehr ein Schwerpunkt im Haushalt –, beschimpft werden. aber auch unzählige Denkmäler unserer Geschichte und vieles mehr. Kultur stiftet Identität, sie nimmt breiten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Raum in der Bildung ein; Kollege Rabanus hat es als Er- sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP innerungskultur umschrieben. Kultur ist ein Brückenbau- und der LINKEN) er und Botschafter unseres Landes zugleich. Es ist unwürdig, wenn man die Gewaltenteilung, auf der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unser Rechtsstaat beruht, hier so lapidar angreift, weil Sie umfasst die Bewahrung unseres kulturellen Erbes, in Bayern Wahlkampf ist. Ich vermute, Sie waren ein- die Beschäftigung mit unserer Vergangenheit. Sie schaft fach einmal zu oft mit Orban zusammen und das hat Ihre aber auch immer wieder Neues und hat – ja! – gleichzei- Weltsicht geprägt. tig viel mit dem Begrif „Freiheit“ zu tun. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sehr geehrter Herr Kollege Jongen, mir gefällt auch sowie bei Abgeordneten der LINKEN – nicht immer alles, muss es auch nicht; aber ich bin gera- Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das täte de stolz auf diese Freiheit, die heute in diesem Land bei Ihnen auch mal gut! – Dr. Alexander Gauland Kunst und Kultur Gültigkeit hat. [AfD]: Das wäre auch für Sie eine Gelegen- heit! Wenn ihm das nützen würde, sollte er öf- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) ter mit Herrn Orban zusammen sein! Die Nähe Wenn man die aktuelle Kultur- und Medienpolitik – ich zu Herrn Orban ist nicht verkehrt!) hofe, ich gebe das jetzt richtig wieder – „als propagan- distische Zerstörung unseres kulturellen Erbes“ bezeich- Vielen Dank. net, sehr geehrter Herr Kollege, ist das einfach nur platt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3015

Patricia Lips (A) Es verhöhnt Menschen und Einrichtungen, die in diesem Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen: (C) Land künstlerisch unterwegs sind. Gestatten Sie mir, zu Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten sagen: Es zeigt auch, wie wichtig manch ein Programm Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist. Ein kurzer Blick auf die globalen Ereignisse der letzten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Tage und Wochen – man kann eigentlich auch sagen: der Jürgen Braun [AfD]: Ein propagandis- aktuellen Stunden – genügt, um eines festzustellen: Die tisch-ideologisches Programm, oder was? uns vertraute Weltordnung erlebt einen fundamentalen Nicht Kultur, sondern Propaganda!) Umbruch, wenn man nicht sogar von tektonischen Ver- schiebungen sprechen kann. Die Prinzipien des Multila- Kolleginnen und Kollegen, es stimmt: Die Kulturho- teralismus und des Völkerrechtes werden grundlegend heit liegt grundsätzlich bei den Ländern und Kommunen. infrage gestellt. Das gilt für das internationale Handels- Sie stemmen den Löwenanteil. Doch über die Jahre ist, system, aber auch für ofene Gesellschaften. Überall wie in anderen Bereichen auch, ein stetiger Aufwuchs stehen wir vor ernsten Bewährungsproben. Der institu- der Mittel des Bundes erfolgt. tionelle, der rechtliche Rahmen, der in den vergangenen Ich bekenne mich dazu – ich glaube, das tun alle –, 70 Jahren gerade für uns Deutsche Frieden und Wohl- dass sich der Bund vorrangig um Einrichtungen von na- stand gebracht hat, wird gerade neu abgesteckt. tionaler und internationaler Bedeutung kümmern muss. Auch in Europa stehen wir vor gewaltigen Aufga- Dazu gehört auch die Förderung der Hauptstadtkultur, die ben. Nach fast zehn Jahren aufeinanderfolgender Krisen ein wichtiges Anliegen bleibt. Berlin ist ein Schaufens- steuert die Europäische Union auf einen kritischen Ent- ter zur Welt. Berlin ist nicht nur ein politisches, sondern scheidungspunkt zu. Im Inneren kämpft sie angesichts auch ein kulturelles Zentrum. Das wurde im Koalitions- von Brexit, Nachwehen der Finanzkrise, Populismus und vertrag entsprechend gewürdigt. Im Rahmen des Haupt- Nationalismus mit durchaus ernstzunehmenden Erosi- stadtfnanzierungsvertrages konnte bereits vieles auf den onserscheinungen, und von außen drohen große Spieler Weg gebracht werden. Aber auch in anderen Städten, die wie Russland, China und leider in gewisser Weise mitt- als Magnete in ihre unmittelbare Umgebung ausstrahlen, lerweile auch die USA, die Union zu spalten. Deshalb: gibt es Projekte von überregionaler Bedeutung. Wir treten besonders gerade jetzt für ein Europa ein, das Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch ich außenpolitisch mit einer Stimme spricht, sich für interna- möchte eines betonen: Die Besonderheit dieses Landes, tionale Zusammenarbeit starkmacht und entschieden für welches im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern den Erhalt einer regelbasierten internationalen Ordnung Europas über die Jahrhunderte bis heute durch einen star- eintritt. Europa muss in diesem Moment Lücken schlie- ken Föderalismus geprägt ist, bringt es mit sich, dass ge- ßen, die andere aufreißen, auch jene, von denen wir nicht (B) rade auch in ländlichen Regionen viele kulturelle Leucht- dachten, dass sie Lücken aufreißen. (D) türme existieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Gelingt uns das nicht, dann werden Mächte dieses Va- ordneten der SPD) kuum füllen, die ein ganz anderes Verständnis von Ord- Dort leben die meisten Menschen. Dort haben sie ihr fa- nung haben als wir. Das gilt es zu verhindern. Das ist die miliäres und berufiches Umfeld. Sie machen sich Ge- eigentliche europäische Herausforderung, der wir uns ge- danken, wie man auch künftig gerne und erfolgreich in genübersehen und der wir gerecht werden wollen. Ohne diesen Regionen lebt und zusätzlich verstärkt um Gäste ein außen- und sicherheitspolitisch engagiertes Deutsch- wirbt, um einen eigenen Beitrag zum Erhalt der Infra- land, das Europas Rolle in der Welt stärkt und Spaltungen struktur im ländlichen Raum zu leisten. Die kulturelle In- im Innern Europas verhindert, wird es uns nicht gelingen, frastruktur gehört zweifelsohne dazu. den Herausforderungen zu begegnen. Kolleginnen und Kollegen, es wurde bereits vieles ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, die drei akuten Kri- sagt. Die Staatsministerin hat einige Punkte genannt, die sen in unserer Nachbarschaft – in Iran, in Syrien und ich nicht noch einmal wiederholen möchte. Ich schlie- nicht zu vergessen in der Ukraine – fordern von uns eine ße ganz einfach mit den Worten: Ich freue mich auf die aktive Rolle. Diese aktive Rolle nehmen wir längst wahr. kommenden Wochen, die sehr intensive, spannende und Beispiel Syrien. Dieser Krieg dauert mittlerweile über lange Beratungen versprechen. sieben Jahre. Fast eine halbe Million Menschen ist ums Vielen Dank. Leben gekommen, Millionen Menschen sind zu Flücht- lingen geworden. Bedauerlicherweise ist von dem, was (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) in Genf als Friedensplan vereinbart worden ist, nichts übrig geblieben. Ganz im Gegenteil: Die internationale Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich: Gemeinschaft hat sich gespalten, und deshalb ist kein ge- Damit ist die Aussprache zu diesem Geschäftsbereich meinsamer politischer Prozess zustande gekommen. Auf abgeschlossen. der einen Seite trefen sich Russen, Iraner und Türken in Sotschi oder in Astana, und auf der anderen Seite – das Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär- hat die Bundeskanzlerin heute Morgen schon erwähnt – tigen Amtes, Einzelplan 05. hat sich eine sogenannte Small Group gegründet, in der Ich erteile als Erstem dem Bundesminister Heiko die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Maas für die Bundesregierung das Wort. Saudi-Arabien und Jordanien vertreten sind. Beide Grup- 3016 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundesminister Heiko Maas (A) pen versuchen, Lösungen zu fnden. Diese Lösungen und mit abgeschlossen haben. Auch davon ist viel zu we- (C) wird man aber nur zusammen fnden. Deutschland war an nig übrig geblieben. keinem Verhandlungstisch vertreten. Deshalb haben wir in den letzten Wochen alle außenpolitischen und diplo- Zu der ganzen Diskussion über die Russland-Politik matischen Möglichkeiten genutzt, um in Sachen Syrien möchte ich an dieser Stelle sagen: Ich war vergange- an den Verhandlungstisch zurückzukommen. nen Donnerstag in Moskau und habe meinem Kollegen ­Lawrow gesagt: Wir alle in Deutschland wollen einen Ich empfand diese Situation als nicht befriedigend: Dialog – wahrscheinlich stellen sich die meisten darunter Wir haben eine Einladung zur Syrien-Geberkonferenz in etwas sehr Unterschiedliches vor –; aber ich will keinen Brüssel bekommen, bei der es darum ging, Geld auf den Dialog um des Dialogs willen, sondern um der Ergebnis- Tisch zu legen, um humanitäre Leistungen fnanzieren se willen. zu können. Übrigens hat Deutschland erneut einen Be- trag von über 1 Milliarde Euro für die kommenden Jahre (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf den Tisch gelegt, um die Not und das Leid der Men- der CDU/CSU) schen auch in den Nachbarstaaten von Syrien zu lindern. Wir erzielen einfach zu wenige Ergebnisse im Dialog. Aber wenn wir dies tun, und zwar in größerem Umfang Deshalb habe ich Herrn Lawrow darum gebeten, dass als jeder andere Staat, dann gibt uns das, fnde ich, das Russland sich wieder an den Verhandlungstisch setzt, um Recht – diesen Anspruch müssen wir haben –, an den den Minsker Prozess wieder aufzunehmen und auch bei Verhandlungstischen zu sitzen, an denen nach politischen diesem Thema nach politischen Lösungen zu suchen. Das Lösungen für den Syrien-Konfikt gesucht wird. wurde zugesagt. Auch hier wird Deutschland also mit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie am Verhandlungstisch sitzen. Wir haben sogar die Kon- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE fiktparteien an den Verhandlungstisch zurückgebracht. GRÜNEN und des Abg. Frank Müller-Rosen- Auch das ist ein gutes Ergebnis deutscher Außenpolitik. tritt [FDP]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das tun wir jetzt. Vor zwei Wochen waren wir bei einer der CDU/CSU) Sitzung der Small Group dabei. Das dritte Beispiel: der Iran. Auch dazu ist schon ei- Dafür gibt es gute Gründe. Jetzt geht es darum, am niges gesagt worden; ich war heute Morgen zu Gast im besten unter Federführung der Vereinten Nationen, mit Auswärtigen Ausschuss. Wir haben uns mit den euro- dem Sondergesandten Stafan de Mistura beide Forma- päischen Partnern verständigt, dass wir in diesem Ab- te wieder zusammenzubringen und das, was in Genf kommen bleiben. Wir haben im Übrigen in den letzten schon längst vereinbart worden ist, umzusetzen: einen Wochen und Monaten zusammen mit den Franzosen und (B) Wafenstillstand, der diesen Namen verdient, um endlich Briten dafür geworben und gekämpft – in Washington, in (D) den humanitären Zugang nach Syrien zu gewährleisten, London, in Paris und in Berlin –, dass auch die Vereinig- sowie eine Verfassungsreform, an deren Ende eine de- ten Staaten in diesem Abkommen bleiben. mokratische Wahl steht, bei der alle Syrer entscheiden Ich will Ihnen sagen, warum uns das so wichtig ist. können, von wem sie regiert werden wollen. Wir brau- Das hat nichts damit zu tun, dass wir all das, was der chen in Syrien keine militärische Lösung – die wird nicht Iran tut, in irgendeiner Weise für begrüßenswert halten. zu Frieden führen –, sondern wir brauchen eine politi- Ganz im Gegenteil: Das ballistische Raketenprogramm sche Lösung. Es ist gut, dass Deutschland wieder mit am und die wirklich außerordentlich ungute Rolle, die der Tisch sitzt, um diese zu suchen. Iran in Syrien spielt, werden wir auch weiterhin nicht ak- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- zeptieren. Aber bei dem Abkommen geht es ganz banal wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ um eines, nämlich unsere eigenen unmittelbaren Sicher- DIE GRÜNEN und des Abg. Frank Müller-­ heitsinteressen. Rosentritt [FDP]) Die Nichtverbreitung von Nuklearwafen – das ist der Zweites Beispiel. Die Ukraine ist aufgrund der ande- Inhalt dieses Vertrages – liegt im deutschen sicherheits- ren Konfikte in der Welt ein bisschen in den Hintergrund politischen Interesse. Deshalb werden wir auch ohne getreten. Dennoch müssen wir feststellen, dass die Situa- die Vereinigten Staaten alles daransetzen, dass dieses tion in der Ukraine in keinerlei Hinsicht befriedigend ist. Abkommen bestehen bleibt. Denn mir ist lieber, ein Ab- Daran, dass die Annexion der Krim völkerrechtswidrig kommen zu haben, bei dem man sich an der einen oder ist, hat sich nichts geändert. An dieser Bewertung darf anderen Stelle vielleicht mehr wünschen würde, das aber sich auch nichts verändern. die Voraussetzung dafür ist, dass der Iran nicht wieder ein Nuklearwafenprogramm aufegt, als keines zu haben (Beifall der Abg. Dr. und überhaupt nicht zu wissen, wohin die Reise geht. [SPD]) Auch das ist, wie ich fnde, verantwortliche Außenpoli- Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass das tik. Ganze durch Zeitablauf eine gewisse Legitimität erhält. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Das ist für uns eine Herausforderung, weil wir in dem so- bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN) genannten Normandie-Format zusammen mit den Fran- zosen, den Ukrainern und den Russen – damals unter Fe- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir tun das nicht derführung von Frank-Walter Steinmeier – den Minsker nur bei diesen großen Konfikten, sondern präventiv auch Prozess ganz wesentlich mit entwickelt, mit verhandelt schon an vielen anderen Stellen. Wir tun dies zum Bei- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3017

Bundesminister Heiko Maas (A) spiel, wenn wir im Nordirak in ehemals vom IS besetzten baut, bei dem insgesamt knapp über 2 Milliarden Euro (C) Städten todbringende Sprengfallen und Minen räumen. innerhalb dieses Deckungskreislaufes untereinander Wir tun dies auch, wenn wir etwa die Reintegration ehe- nutzbar sind. Das entspricht knapp 40 Prozent seines maliger Kämpfer in Somalia fördern, die Mediation zwi- gesamten Haushalts. schen den Konfiktparteien im Jemen unterstützen oder den Aufbau einer rechtsstaatlichen Polizei in Ländern der In einer weiteren Titelgruppe desselben Kapitels hat Sahelzone ermöglichen. Deutschland wird an vielen Stel- es noch einen Deckungskreislauf über weitere circa len seiner außenpolitischen Verantwortung auf der Welt 650 Millionen Euro eingerichtet, sodass in einem ein- gerecht, und zwar nicht nur durch Geld, sondern auch zigen Kapitel knapp 2,7 Milliarden Euro untereinander durch personellen Einsatz und vor allen Dingen durch nutzbar und vermischungsfähig sind. Das heißt, nahezu den dauerhaften Kampf, um politische Lösungen und die Hälfte des Haushalts des Auswärtigen Amtes von dauerhaften Frieden in den Konfikten dieser Welt zu er- knapp über 5,3 Milliarden Euro ist der konkreten parla- reichen, liebe Kolleginnen und Kollegen. mentarischen Kontrolle des Bundestages entzogen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- wie bei Abgeordneten der FDP) (Beifall bei der AfD) Je mehr sich andere Partner auf sich selbst zurückzie- Die Regierung kann das Geld insoweit hin- und her- hen, desto größer wird unsere Verantwortung werden. schieben, wie sie will, und das hat sie im letzten Jahr Ich will auch sagen: Am 8. Juni dieses Jahres wird in auch getan. Denn sie hat im letzten Jahr insgesamt circa der UN-Vollversammlung die Wahl zum Sicherheitsrat 640 Millionen Euro über dem Plansoll des Jahres 2017 für die Periode 2019/2020 stattfnden. Wir wollen diese bei zwei Titeln des erstgenannten Deckungskreislaufs Chance nutzen, um unsere Werte auch dort zu vertreten. ausgegeben, und es ist aus dem Einzelplan nicht nach- Denn wir werden nicht tatenlos zusehen – auch nicht im vollziehbar, aus welchen Titeln die Deckung genommen Sicherheitsrat, wenn wir in ihn gewählt werden –, wie worden ist und ob und in welcher Höhe insoweit über- Nationalisten und Populisten versuchen, das Rad zurück- zudrehen. Nicht die Macht des Stärkeren, sondern die planmäßige Ausgaben in Anspruch genommen worden Macht des Rechts muss die Grundlage einer friedlichen sind. Weltordnung sein und auch zukünftig bleiben. Die hiesige Diskussion im Haushaltsausschuss und im Herzlichen Dank. Plenum über die Haushaltsplanung des Auswärtigen Am- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) tes ist daher – jedenfalls zu einem großen Teil – reines Theaterspiel, sozusagen Schattenboxen. (B) (D) Vizepräsident : (Beifall bei der AfD) Vielen Dank, Herr Minister. – Als Nächstes hat für die AfD-Fraktion die Kollegin Dr. Birgit Malsack-­ Eine echte parlamentarische Kontrolle fndet bei der Pla- Winkemann das Wort. nung dieses Haushalts aufgrund der Deckungskreisläufe (Beifall bei der AfD) nicht statt. Die wahren von der Regierung geplanten Zah- lungsströme bleiben dem Bundestag daher zum großen Teil verborgen. Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Der (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist Einzelplan „Auswärtiges Amt“ ist so aufgestellt, dass doch Quatsch! Die Kontrolle kommt doch von einer echten parlamentarischen Kontrolle für von der nicht nur durch den Haushaltsausschuss, son- Regierung geplante Ausgaben zu einem großen Teil nicht dern auch durch das Parlament!) die Rede sein kann. Und das geht so: Geplante Ausga- ben werden unter sogenannten Titeln mit entsprechenden Wir, die AfD, beantragen daher, alle Deckungsver- Themenüberschriften angegeben. Für einen bestimmten merke zu streichen, soweit ein Gesamttitel gebildet wer- Titel – nennen wir ihn „Titel A“ – wird eine bestimm- den kann. te Summe als geplante Ausgabe festgesetzt, genauso für Titel B, C usw. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses (Beifall bei der AfD) diskutieren dann darüber, ob das Geld, das zum Beispiel für Titel A geplant ist, angemessen und wirtschaftlich Und man komme uns nicht mit dem Argument, dass ein sinnvoll ist. Das tun sie auch im Hinblick auf alle weite- fexibles Handeln erforderlich und deshalb die Deckungs- ren Titel. So weit, so gut. vermerke notwendig seien; denn genau hierfür gibt es die Es gibt aber auch die Einrichtung der sogenann- Instrumente der über- bzw. außerplanmäßigen Ausgaben. ten Deckungsvermerke. Wenn diese unter einem Titel Diese Instrumentarien sind die haushaltsrechtlich vorge- stehen und entweder einen anderen Titel oder sogar sehenen Möglichkeiten, Spielraum für fexibles Handeln mehrere benennen, kann das für Titel A geplante Geld in Krisenfällen zu schafen. genauso gut für Titel B oder C verwendet werden. Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang dies (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] geschieht, obliegt wiederum allein der Regierung. Das [CDU/CSU]: Schreien Sie doch nicht so! Wir Auswärtige Amt hat einen Deckungskreislauf aufge- hören Sie!) 3018 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Birgit Malsack-Winkemann (A) Dann haben auch der gesamte Haushaltsausschuss und Amt jährlich fast 50 000 Studenten und Akademiker aus (C) der Bundestag die Möglichkeit, die konkrete Verwen- dem Ausland fördern, dung der von unserer Bevölkerung hart erarbeiteten Steu- ergelder zu prüfen. ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wie heißt denn Ihre Stiftung?) (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ich be- komme ja Ohrenschmerzen! Ein bisschen lei- geben die parteinahen Stiftungen zur Anzahl der von ih- ser! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie sind nen geförderten Studenten keine Auskunft. Weshalb hal- eine einzige Lachnummer!) ten sich die parteinahen Stiftungen hier im Gegensatz zu den politisch neutralen Durchführern so bedeckt? Alles andere bedeutet, dass dem Bundestag die konkrete parlamentarische Kontrolle zu einem großen Teil entzo- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist gen wird. doch nicht „bedeckt“, das ist transparent!) (Beifall bei der AfD) Benötigen wir für eine Ausreichung von Stipendien im Ausland überhaupt parteinahe Stiftungen? Wäre es Wer glaubt, dass das nicht zu steigern sei: Nein, es nicht besser, die Stipendienvergabe auf politisch neutrale geht noch mehr – Stichwort „parteinahe Stiftungen“. Durchführer zu beschränken? (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Die AfD (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] will ja sogar zwei Stiftungen machen! – Heike [CDU/CSU]: Also auf die AfD wahrschein- Hänsel [DIE LINKE]: Karneval ist doch vor- lich!) bei!) Auch dadurch könnten Synergien genutzt und in erhebli- Entstanden sind bei diesen inzwischen riesige Apparate. chem Umfang Steuergelder eingespart werden. Zusammen beschäftigen sie – Zitat aus der „Welt“ vom 12. Februar 2018 – „mehr als 2 000 Angestellte“. Mit Wir, die AfD, fordern mit dem Bund der Steuerzahler dem Ausland zusammen sind es doppelt so viele, also den Bundestag daher auf, ein separates Gesetz für par- 4 000. teinahe Stiftungen zu beschließen und damit die kaum zählbaren Aktivitäten mit einem Steuergeldzufuss von (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE zuletzt 581 Millionen Euro im Jahr 2017 transparent zu GRÜNEN]: Oh Gott!) machen, Im Ausland werden insgesamt 300 Vertretungen und Bü- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] ros unterhalten. Davon entfallen allein auf die SPD-nahe [CDU/CSU]: Das nennt sich Verantwortung in (B) Friedrich-Ebert-Stiftung 100 Auslandsbüros (D) der Welt! Nicht einmauern! – Stefan Liebich (Zuruf von der AfD: Pfui!) [DIE LINKE]: Gründen Sie selber eine Stif- tung! Sie wollen doch was abhaben vom Ku- und auf die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung chen!) 80 Auslandsbüros. zumal die Regierung laut dem Bund der Steuerzahler of- (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Da fen sagt, keinen blassen Schimmer zu haben, fehlen ja noch 20! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was (Lachen des Abg. Michael Brand [Fulda] wollen Sie für eine Stiftung?) [CDU/CSU]) Deutschland als Staat hat ein Netz von 153 Botschaf- welche internen Kontrollmechanismen die Stiftungen bei ten und damit eines der besten Netze weltweit. Unsere der Prüfung der Mittelverwendung haben. parteinahen, nahezu vollständig aus Steuergeldern fnan- zierten Stiftungen können es aber noch besser: Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Sie Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. wollen doch zwei Stiftungen machen! – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen sogar zwei Stiftun- Dr. Birgit Malsack-Winkemann (AfD): gen!) Und im Himmel ist Jahrmarkt. SPD und CDU kommen ohne die CSU allein auf 180 Danke schön. Auslandsvertretungen. (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] (Beifall bei der AfD -Jürgen Hardt [CDU/ [CDU/CSU]: Ist schon wieder Karneval!) CSU]: Ist doch hervorragend! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Das ist Verant- wortung in der Welt!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die CDU/ Die parteinahen Stiftungen fnanzieren über das Aus- CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Hardt. wärtige Amt unter anderem Stipendiaten. Während der DAAD und die Humboldt-Stiftung über das Auswärtige (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3019

(A) Jürgen Hardt (CDU/CSU): Reihe bei der Amtseinführung des russischen Präsiden- (C) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich ten war. möchte etwas Ruhe in die Debatte bringen. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Der kriegt bald die russische Staatsangehörigkeit!) (Marianne Schieder [SPD]: Sehr gut! Und Vernunft! Vernunft ist auch gut!) Ich habe gesagt: Auch bei uns in Deutschland ist es üb- lich, dass Angestellte ihren Chefs gratulieren, wenn sie Ich fnde es gut, wenn uns auch einmal vorgetragen wird, etwas zu feiern haben. Ich glaube, mehr muss man dazu wie viele Auslandsvertretungen wir haben und wie gut nicht sagen. die Arbeit der politischen Stiftungen im Ausland funk- tioniert. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aber un- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ter Ihrem Niveau! – Dr. Alexander Gauland und der LINKEN) [AfD]: Das ist doch albern!) Wenn Sie mit Bürgerrechtlern in Ländern sprechen, Die nächste große Herausforderung ist die Blockade die möglicherweise nicht dieselben Freiheitsrechte ge- des UN-Sicherheitsrates in anderen wichtigen zentra- nießen wie wir, merken Sie: Sie sind hoch dankbar da- len Konfikten. Der UN-Sicherheitsrat schaft es auf- für, dass die politischen Stiftungen – und da schließe ich grund des Vetorechts einzelner Länder – in diesem Fall ausnahmslos alle mit ein – entsprechend präsent und vor Russland – nicht, die menschenverachtenden Angrife Ort sind. ­Assads auf die Zivilbevölkerung zu verurteilen, und die Völkergemeinschaft ist ein Stück weit in ihrem Handeln (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gelähmt, wenn der UN-Sicherheitsrat durch Blockade sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] einzelner vetoberechtigter Mitglieder entsprechende Ent- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schließungen verhindert. Wenn wir als Abgeordnete unterwegs sind, proftieren Ich würde mir wünschen, dass in der Berichterstattung wir immer sehr davon, wenn wir uns mit den Leitern der über die Beratungen des Sicherheitsrates zukünftig auch politischen Stiftungen jenseits der ofziellen staatlichen immer noch mehr das Augenmerk darauf gerichtet wird, Sicht des Gastlands oder Deutschlands über die Situation ob es im Sicherheitsrat eine Mehrheit gegeben hat, die im Land austauschen können. sich nur deshalb nicht durchgesetzt hat, weil einer sein Vetorecht in Anspruch genommen hat, oder ob tatsäch- (Jürgen Braun [AfD]: Nebenaußenpolitik lich ein Resolutionsentwurf unter den Mitgliedern des (B) ohne Kontrolle durch das deutsche Parlament! UN-Sicherheitsrats keine Mehrheit gefunden hat. Das (D) Genau das ist es!) ist zwar rechtlich kein großer Unterschied, aber für die moralische Bewertung der Resolution fnde ich das ganz Der Bundesaußenminister hat die Herausforderungen wichtig. der deutschen Außenpolitik richtig beschrieben. Kern un- (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das haben serer Herausforderungen ist der Erhalt der regelbasierten aber die USA auch schon gemacht!) internationalen Ordnung, die in den letzten Jahren in bei- spielloser Weise – in einer Art und Weise, wie wir uns das Was das Ignorieren internationaler Schiedsgremien eigentlich nach Ende des Kalten Krieges nicht vorstellen durch China im Südchinesischen Meer angeht, ist es konnten – herausgefordert ist. meines Erachtens ein unhaltbarer Zustand, dass China, das bei uns häufg als wichtiger Wirtschaftspartner da- Vor viereinhalb Jahren kam es zum Bruch des Pari- herkommt, sich im Südchinesischen Meer über interna- ser Abkommens und des Budapester Abkommens durch tionale Schiedsverfahren schlicht hinwegsetzt. Auch das Russland mit der Besetzung der Krim und der fortgesetz- ist eine Ignoranz gegenüber der wertebasierten und regel- ten Aggression in der Ostukraine. Es ist dringend not- basierten Weltordnung. wendig, dass auch dieser Konfikt wieder stärker in das Bewusstsein der internationalen Diplomatie tritt. Ein weiterer Punkt ist das Vom-Tisch-Wischen un- terschriebener Verträge durch den amerikanischen Prä- Ich glaube, dass wir auch weiter darüber reden müs- sidenten: erst das Klimaabkommen von Paris, dann das sen, dass Russland die Erfordernisse aus dem Minsker Infragestellen unserer ausgehandelten Beziehungen im Vertrag nicht erfüllt. Ich fnde es deswegen gut, dass die Bereich der Zölle zwischen Nordamerika und der Eu- deutsche Bundesregierung auch neue Initiativen ergreift, ropäischen Union und jetzt die einseitige Aufkündigung um das N4-Format wiederzubeleben, in dem Frankreich, des Atomabkommens mit dem Iran. Auch das sind Din- Deutschland, Russland und die Ukraine über die Lösung ge, die das Vertrauen der Völkergemeinschaft in die re- des Konfiktes reden. Ich würde mir wünschen, dass sich gelbasierte Ordnung erschüttern. alle aktiven und ehemaligen Staatsmänner Deutschlands in gleicher Weise bei diesem Thema verdient machen. Bei diesem Abkommen ist im Übrigen der Wunsch des amerikanischen Präsidenten nachvollziehbar. Er be- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gründet die Absage an das Abkommen damit, dass er den Iran durch Sanktionen wieder an den Verhandlungstisch Ich bin gefragt worden, wie ich es bewerte, dass der zwingen will, um über ein besseres Abkommen zu ver- frühere deutsche Bundeskanzler Claqueur in der ersten handeln. Ich glaube allerdings, dass diese Rechnung viel 3020 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Jürgen Hardt (A) zu optimistisch ist. Ich glaube eher, dass sich der Iran die Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Frage stellen wird, ob es Sinn macht, einen Vertrag mit Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes für die den USA auszuhandeln, wenn der neugewählte Präsident Freien Demokraten der Kollege Michael Link. mit der Tradition seines Vorgängers bricht und ein sol- ches Abkommen einfach vom Tisch wischt. Was wir in (Beifall bei der FDP) den letzten Tagen seitens der Europäischen Union erlebt haben, war genau das Richtige. Man hat sich in Brüs- Michael Georg Link (FDP): sel zügig und einmütig zusammengesetzt. Die nächsten Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich hät- Schritte müssen sein, dass wir über den Kreis der drei te an dieser Stelle gerne auf die Bemerkungen unserer Verhandlungspartner Deutschland, Frankreich und Groß- Hauptberichterstatterin im Haushaltsausschuss reagiert. britannien hinaus die anderen EU-Partner dazu bringen, Aber ich möchte darauf hinweisen, dass ich es für un- an der gemeinsamen Position der Europäischen Union üblich und einen sehr schlechten Stil halte, nach seiner festzuhalten und sich nicht möglicherweise auf bilaterale eigenen Rede den Saal zu verlassen Gespräche mit den USA einzulassen. Europa muss zu- sammenstehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN) Die einzige wirksame Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen kann nur sein, dass wir die Europäi- und bei einer Debatte, in der man als Hauptberichterstat- sche Union in außen- und sicherheitspolitischen Fragen terin auf den Minister geantwortet hat, nicht anwesend zusammenhalten und stärken. Ich will das den europä- zu sein. Das sollte nicht der Stil unseres Umgangs sein. ischen Imperativ nennen: Man suche stets nach einer (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD gemeinsamen, europäischen Lösung in außen- und si- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie cherheitspolitischen Fragen, bevor man nationale Allein- bei Abgeordneten der LINKEN) gänge unternimmt. Europa hat in der Außen- und Sicher- heitspolitik klar Vorfahrt. Das sollten wir zur Maxime Wir wissen, was in der Welt passiert. Es ist unnötig, unseres Handelns machen. Das erfordert vielleicht auch zu schildern, wie ernst die Lage ist. Es ist ein großer von uns, in der einen oder anderen Frage unsere Posi- politischer Fehler, dass ausgerechnet dann, wenn sich tion zu überdenken und zu korrigieren; darüber werden Deutschland in der Welt mehr engagieren muss, wenn es wir in den nächsten Monaten diskutieren. Das erfordert Friedensverhandlungen, Abrüstungsinitiativen und Be- von uns, dass wir uns in der Europäischen Union auch mühungen braucht, die die Weltgemeinschaft ein Stück in der Außen- und Sicherheitspolitik in starkem Maße näher zusammenführen, die deutsche Diplomatie bei den einbringen, und zwar nicht nur diplomatisch, sondern Haushaltsverhandlungen unter den Tisch fällt. Leider (B) auch durch Fähigkeiten, insbesondere militärische. Wir haben Sie, Herr Minister, heute kein Wort zur wichtigen (D) tun unseren europäischen Partnern einen Gefallen, wenn Frage der Ausstattung des Auswärtigen Amtes verloren. wir die Bundeswehr stärker und leistungsfähiger ma- Damit Deutschland in der Welt seiner Verantwortung chen, als sie heute ist. Mit diesen Punkten haben wir als nachkommen kann, setzen wir Freie Demokraten auf Europäische Union, die 25 Prozent der Weltwirtschaft ein klares Prinzip: den vernetzten Ansatz von nahtlos repräsentiert, die einzige Chance, stark und gemeinsam ineinandergreifenden­ Instrumenten der Außen-, der Ent- handlungsfähig zu bleiben. wicklungs- und der Verteidigungspolitik. Ich möchte zum Schluss meines Redebeitrags noch In der derzeitigen Bundesregierung gilt leider ein an- konkret auf den Haushalt eingehen. Wenn wir uns die deres Prinzip: Wer am lautesten ruft, der bekommt die Zahlen zum Haushalt des Auswärtigen Amts oder zu Aufmerksamkeit und der bekommt leider am Ende auch verwandten Haushalten wie Verteidigungshaushalt und alleine das Geld. Während sich die Verteidigungsminis- entwicklungspolitischer Haushalt für 2018 anschauen, terin und der Entwicklungsminister teilweise bereits über stellen wir fest, dass man zum Haushalt für das Jahr 2018 neue Gelder freuen und noch mehr wollen, haben der Au- im Großen und Ganzen Ja sagen kann. Zu den Zahlen für ßenminister und sein Vorgänger hier wohl nicht laut ge- 2019, 2020 und 2021 aber möchte ich klar sagen, dass ich nug gerufen. James Mattis hat es als US-Verteidigungs- mir nicht vorstellen kann, dass wir mit den vorgesehenen minister in seinen Budgetverhandlungen auf den Punkt Mittelansätzen speziell für den Haushalt des Auswärtigen gebracht, als er sagte: Wenn man das Außenministerium Amts tatsächlich unserer Verantwortung bis 2021 gerecht nicht ordentlich ausstattet, dann muss ich in der Folge werden. Deutschland wird in den Jahren 2019 und 2020 mehr Munition kaufen. vielleicht UN-Sicherheitsratsmitglied sein und in der gleichen Phase die EU-Ratspräsidentschaft innehaben. Vergleicht man nüchtern die gewachsenen Aufgaben Wir müssen bereit sein, uns stärker einzubringen und das mit der vorhandenen Ausstattung, dann kommt man um entsprechend mit Material und Personal zu unterlegen. eine Feststellung nicht herum: Unser Auswärtiger Dienst Das kostet nun einmal Geld. Ich setze daher ein kleines steckt in einer Krise. Dabei wäre es falsch, einfach nach Fragezeichen hinter die mittelfristige Finanzplanung ab mehr Geld isoliert für das AA zu rufen. Der gleiche Feh- 2019. Aber darüber werden wir zu gegebener Zeit reden. ler wäre es, isoliert die Mittel für Verteidigung oder Ent- wicklung zu erhöhen. Nicht „Viel hilft viel“, sondern ein Danke schön. vernetzter Ansatz, das ist der entscheidende Punkt; denn wir brauchen eine enge Verzahnung von Diplomatie, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Entwicklung und Verteidigung. Das ist der Punkt, an dem ordneten der SPD) wir etwas verändern müssen, damit sich, anders als in Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3021

Michael Georg Link (A) den letzten vier Jahren, Außen-, Entwicklungs- und Ver- tiert, dem bricht irgendwann der Boden weg. Lassen wir (C) teidigungsressort nicht gegenseitig auf den Füßen stehen. es nicht so weit kommen.

In wenigen Wochen will Deutschland für 2019 und Ich möchte für meine Fraktion ganz herzlich den 2020 nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat wer- Diplomatinnen und Diplomaten für ihren Einsatz in den. 2020 übernehmen wir die EU-Ratspräsidentschaft. oft lebensgefährlichen Regionen der Welt danken. Wer Solche zentralen Aufgaben erfordern hochqualifzierte Deutschlands Verantwortung in der Welt gerecht werden Mitarbeiter. Vorkehrungen hierfür irgendwo im Haus- will, der darf nicht zulassen, dass die deutsche Diploma- halt? Fehlanzeige! tie zur Verliererin des Bundeshaushalts 2018 wird. Herr Es geht um die Sicherheit unserer Diplomaten. Wir Minister, für meine Fraktion biete ich Ihnen an: Lassen haben gesehen, was der verheerende Bombenanschlag in Sie uns die jetzt bevorstehenden Beratungen im Haus- Kabul mit dem Botschaftsgebäude angerichtet hat. Für haltsausschuss dazu nutzen, diesen Entwurf im Sinne unsere Diplomatinnen und Diplomaten muss auch in ge- eines vernetzten Ansatzes zwischen Außen-, Verteidi- fährlichen Einsatzgebieten gelten, dass sie sich auf die gungs- und Entwicklungspolitik zu verbessern. besten und modernsten Sicherheitsmaßnahmen verlassen können. Ausreichende Vorkehrungen hierfür im Haus- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. halt? Fehlanzeige! (Beifall bei der FDP) Wie steht es um die Vernetztheit unserer Diplomaten? Während Estland die ersten Datenbotschaften eröfnet, kratzen die ITler im Auswärtigen Amt die Cents zusam- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: men, um im Ausland die digitale Infrastruktur zu mo- Vielen Dank, Herr Kollege Link. – Als Nächstes für dernisieren – eine Vorkehrung, die im Koalitionsvertrag Die Linke der Kollege Michael Leutert. extra als Auftrag festgehalten wurde. Vorkehrungen im Haushalt? Fehlanzeige! (Beifall bei der LINKEN) Über all diese Tatsachen kann auch nicht hinwegtäu- schen, dass das AA 2018 300 Millionen Euro mehr für (DIE LINKE): humanitäre Hilfe bekommt. Es ist klar: Diese 300 Millio- Michael Leutert nen Euro sind angesichts der Krisen und Konfikte in der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu- Welt richtig und wichtig. Doch an der Ausstattungskrise erst: Ich interpretiere den Beitrag der AfD-Vertreterin so, des Auswärtigen Amtes ändern diese Gelder nichts; denn dass die AfD in der Zukunft niemals Stiftungsbüros im es sind durchlaufende Posten. Sie bringen mehr Arbeit, Ausland eröfnen wird. Ich fnde, das ist ein Gewinn für (B) (D) für die das Personal oft fehlt. Hat sich das AA hier in den die deutsche Außenpolitik. Bleiben Sie bitte dabei. letzten Jahren – wir haben hier ja über enorme Erhöhun- gen im Bereich humanitäre Hilfe zu sprechen – um die (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem notwendigen Evaluierungsvorschriften und -verfahren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- gekümmert? Leider auch da Fehlanzeige! geordneten der CDU/CSU und der FDP)

Und was ist mit den Mahnungen des Bundesrech- Am 11. September 2014 hat Frank-Walter Steinmeier nungshofes? Seit Jahren kritisiert er die viel zu hohen als Außenminister hier eine Rede zum Haushalt gehal- Verpfichtungsermächtigungen für die Folgejahre. So ten. Er hat damals in seiner Rede den Satz geprägt, der bindet man sich selbst die Hände und hat dann in der oft zitiert wurde: Die Welt scheint aus den Fugen geraten Not, wenn man schnell handeln muss, manchmal nicht zu sein. – Diesen Satz hat er gesagt unter dem Eindruck die nötigen Mittel. der Krise in der Ukraine, der Krim-Krise, der Kriege Also: Es gibt viele Bereiche, wo wir mehr wollen, wo im Irak und in Syrien. Was er damals noch nicht wuss- wir zunächst aber nicht nach mehr Geld schreien, son- te, war, was alles noch kommen würde. Er wusste nicht, dern nach mehr Efzienz, mehr Vernetzung, mehr Ko- dass eine Woche später die dramatischen Ereignisse in ordination. Da ließe sich in diesem Haushalt sehr viel Kobane einsetzen würden. Er wusste noch nicht, dass machen, und zwar bereits jetzt. ziemlich genau ein Jahr später der dreijährige kurdische Junge Alayn Kurdi tot an einem türkischen Strand ange- Wir begrüßen – um ausdrücklich auch einen positi- spült werden würde, der kleine Junge, der zum Symbol ven Aspekt zu nennen –, dass mehr Geld für den Bereich für die massenhafte Flucht von Menschen aus Not und Menschenrechte vorgesehen ist. Das ist ein wichtiger Be- Elend geworden ist. Er wusste noch nichts von den Ter- reich, der auch von vielen Kollegen hier im Raum ganz roranschlägen in Nizza, in Paris, in Berlin, die 245 Men- aktiv bearbeitet wird. Ich sehe den Kollegen Nick, den Chef unserer Europaratsdelegation, oder auch die Kol- schen das Leben gekostet haben. Er wusste noch nichts legin , die Vorsitzende des Menschenrechts- von der Wahl Trumps, vom Brexit, vom Putschversuch in ausschusses. In diesem Bereich wird durch die stärkere der Türkei. All das zeigt ja: Es ist nicht besser, sondern es Unterstützung des Europarats mehr getan. Das ist ganz ist alles nur noch schlimmer geworden. wichtig und sinnvoll. Wenn ich mir dann den Haushalt hier anschaue und Doch das täuscht nicht darüber hinweg – ich komme die mittelfristige Finanzplanung dazunehme, muss ich zum Schluss –, dass die Substanz des deutschen Auswär- sagen: Das macht mich etwas sprachlos; denn das Außen- tigen Dienstes bröckelt. Wer nicht in die Substanz inves- ministerium ist das einzige Ministerium, bei dem gekürzt 3022 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Michael Leutert (A) wird, und zwar in den nächsten Jahren um 3,8 Milliarden Das ist aber mit diesem Haushalt leider nicht möglich. (C) Euro – gemessen an dem, was 2017 zur Verfügung stand. Vielen Dank. Es ist das einzige Ministerium, bei dem das der Fall ist. (Beifall bei der LINKEN) (Michael Georg Link [FDP]: Genau so ist es! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Un- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: glaublich!) Herzlichen Dank, Herr Kollege Leutert. – Als Nächs- Ich verstehe das nicht. Ein Bundesfnanzminister, SPD, tes für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin rasiert das Ministerium des SPD-Kollegen im Auswär- Ekin Deligöz. tigen Amt. Der Kuchen wird größer, aber es gibt für das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Auswärtige Amt nichts ab; es gibt nicht mehr, sondern sogar noch weniger. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Derweil türmen sich die Probleme vor unserer Haustür Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister! Lie- auf. Es ist heute schon mehrmals der Ausstieg der Ame- be Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin rikaner aus dem Atomvertrag mit dem Iran angesprochen ­Malsack-Winkemann, ehrlich gesagt, war ich über Ihre worden. Zu nennen sind auch – das konnten wir in den Rede hier ziemlich entsetzt. Sie sind Juristin. Sie sollten letzten Tagen alle in den Medien beobachten – die Aus- wissen: Das Haushaltsrecht ist das Königsrecht des Par- einandersetzungen zwischen Palästina und Israel – ein laments. Wir erstellen den Etat. Wir machen die Vorla- Konfikt, der uns hier immer wieder beschäftigt – am gen. Wir beschließen den Etat. Das ist unser Auftrag. Wir Rande des Jubiläums „70 Jahre Israel“. Genau bei diesen müssen uns selbst ernst nehmen und uns damit befassen Dingen müssen wir uns einbringen. In unserem eigenen und dürfen das nicht an das Ministerium zurückgeben Interesse müssen wir uns einbringen. Die Frage ist natür- und sagen, sie hätten das vorzubereiten. Das ist unser lich: Wie können wir uns da einbringen? Auftrag. Das, was Sie hier präsentiert haben, zeugt, ehrlich ge- Insbesondere wenn man den Konfikt im Nahen Os- sagt, davon, dass Sie es selbst nicht ernst nehmen. ten, Israel-Palästina, betrachtet, so muss man sich doch mal folgende Frage stellen: Der Konfikt dauert seit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 70 Jahren an, und seit 70 Jahren – so müssen wir kons- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der tatieren – haben wir keinen Erfolg bei dem Versuch, auf CDU/CSU und der FDP) diplomatischem Wege dort zu einer Lösung zu kommen. Wenn Sie als Richterin dann noch von mir einen Tipp Deshalb sei die Frage gestattet, ob unsere Konzepte und (B) wollen: Artikel 110 Grundgesetz oder die Bundeshaus- (D) Instrumente immer die richtigen sind. Wir bauen zum haltsordnung helfen in diesen Fragen weiter. Teil selber, bilateral, aber auch viel über UN-Organisa- tionen massenweise Infrastruktur in Palästina mit auf, Das Zweite. Sie sagten, die Parlamentarier könnten also Schulen, Krankenhäuser usw., was wichtig ist; aber die Aufgaben des Ministeriums nicht ausreichend kon- gleichzeitig fnanzieren wir auch Schulbücher für Paläs- trollieren. Sie als Hauptberichterstatterin haben ohne tina, in denen zu Hass gegen Israel aufgestachelt wird, Einbeziehung der anderen Berichterstatterinnen und Be- in denen keine Gedanken zur Völkerverständigung ent- richterstatter alleine – nach dem Kollegialprinzip wäre halten sind. Es wird dort in den Schulen, im Unterricht, eine solche Einbeziehung eigentlich üblich gewesen im nichts dazu beigetragen, dass es eine Annäherung zwi- Bundestag – alleine neun Stunden mit Mitarbeitern des schen Israelis und Palästinensern geben könnte. Indirekt Haushaltsreferates des Auswärtigen Amtes verbracht. sind wir auch daran beteiligt, weil wir Freiräume schaf- Sie haben unzählige Fragen geäußert und schriftlich al- fen, dass in Palästina leider, leider ein System von Mär- les Erdenkliche eingefordert. Ich habe die Fragen und die tyrerrenten existiert. Da muss man fragen: Sind das die Antworten gelesen. Die Antworten des Auswärtigen Am- richtigen Instrumente? Bei allen guten Absichten: Wir tes waren gut. Wenn Ihr Erkenntnisgewinn daraus gleich haben meines Erachtens die falschen Instrumente in dem null ist, dann liegt das nicht am Ministerium oder an den Bereich, weil wir damit auch Konfikte zementieren. Antworten, sondern dann liegt das an Ihnen persönlich. Anders kann man das gar nicht beschreiben. Die Lösung kann aber nicht das sein, was die Ame- rikaner jetzt machen: sich einfach aus der Finanzierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zurückzuziehen. Denn wir wissen ja, was passiert, wenn bei der SPD und der LINKEN sowie des Abg. die Amerikaner sich aus der Finanzierung der Schulen Michael Georg Link [FDP]) zurückziehen: Es gibt neue Träger. Ob die neuen Träger Der dritte Punkt – das haben Sie hier verschwiegen –: der Schulen bessere Schulbildung anbieten als die alten, Eigentlich hatten Sie eine Intention: Sie haben nach sei dahingestellt. Möglichkeiten gesucht, wie Sie die Mittel des Etats kür- zen können, insbesondere im Bereich der internationalen Nein, wir brauchen mehr sehr gutes Personal, wir Organisationen und humanitären Hilfe. Nein, diese Mit- brauchen eine auskömmliche gute Finanzierung, und wir tel können Sie defnitiv nicht kürzen. brauchen neue Konzepte und Instrumente, um uns dort in diesen Konfikten engagieren zu können. Zunächst einmal deswegen nicht, weil wir gegenüber der UN in der Verpfichtung sind. Es gibt den humani- (Beifall bei der LINKEN) tären Imperativ: Menschenleben retten! Dazu sind wir Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3023

Ekin Deligöz (A) auch als Deutschland verpfichtet. Genau deshalb gibt es der nicht nachvollzogen worden. Jetzt wollen Sie einen (C) diese Zahlungen. Wir werden sie verteidigen, auch Ihnen Aufwuchs bei der Personalausstattung. Wir von den Grü- gegenüber. nen unterstützen Sie dabei; das muss sein. Ich wünschte mir aber, Sie wären auch ein bisschen mutiger und wür- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den auch etwas mehr in die Personalreserve hineingeben. sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wir sind nämlich von der guten Arbeit unserer Kollegin- Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU] und nen und Kollegen im Ausland abhängig, wenn es darum Michael Georg Link [FDP]) geht, die Lage vor Ort einzuschätzen. Übrigens sind wir Lesen Sie doch einfach mal die Zeitungen! Schauen gerade auch dann, wenn es um die Frage der Fluchtur- Sie doch mal um sich herum! Reisen Sie meinetwegen! sachen geht, dringend auf die Berichte aus Ihrem Haus Machen Sie Ihre Augen auf! 65 Millionen Menschen angewiesen. sind auf der Flucht, ein großer Teil von ihnen Kinder. Sie brauchen Unterstützung. Wir haben eine historische, Ein letzter Punkt, Herr Präsident, in den letzten Se- wir haben eine empathische, wir haben eine politische kunden: die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Pficht, diesen Menschen beizustehen, sie zu unterstüt- Natürlich ist das wichtig. Das ist doch die Visitenkarte zen, auch Fluchtursachen zu bekämpfen. Das ist unsere Deutschlands nach außen. Verantwortung. Der müssen wir uns stellen. Genau da- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rum geht es in dem Titel „Humanitäre Hilfsmaßnahmen sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. im Ausland“ in diesem Etat. Das gehört zur deutschen Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]) Verantwortung. Das muss man verteidigen und darf man nicht angreifen. Das Land der Dichter und Denker, das Land von Wis- senschaft, Forschung und Innovation muss in die In- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stitutionen in diesen Bereich investieren. Das sind die sowie bei Abgeordneten der SPD und des Goethe-Institute, das ist das Deutsche Archäologische Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]) Institut, das ist der DAAD. Die dürfen wir nicht zu knapp Sie, Herr Minister, haben ja gesagt, dass Sie für die- halten, sondern – ganz im Gegenteil – hier müssen wir sen Bereich mehr Mittel brauchen. Ich wünsche mir sehr, unsere Werte der Freiheit ins Ausland exportieren. Und dass Sie die Ansätze noch steigern können. Es geht aber die Genannten sind unsere Träger dieser Werte. nicht nur darum, dass wir überhaupt Geld ausgeben, son- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dern es geht auch darum, wie wir das Geld ausgeben. sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dadurch, dass wir mit dem Haushaltsplan so spät ange- Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]) (B) fangen haben, ist uns natürlich Zeit verloren gegangen. (D) Gerade unsere internationalen Bündnispartner, die hu- manitären Hilfsorganisationen, brauchen Verlässlichkeit. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Sie brauchen die Mittelzusagen, sie brauchen sie aber Frau Kollegin, Sekunden sind Sekunden und keine auch frühzeitig. Leider Gottes kam da jetzt Bürokratie Minuten. Kommen Sie bitte zu Ihrem letzten Satz. dazwischen. Das hätte nicht sein müssen, wenn Sie sich früher dahintergeklemmt hätten. Ich denke, der Haus- haltsausschuss wäre da sogar kooperativ gewesen. Jetzt Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sind wir spät im Jahr dran, aber nichtsdestotrotz: Diese Hier ist viel zu tun, Herr Minister. Wenn es darum Mittel müssen nun fießen. geht, dass Ihr Etat und die Entwicklungshilfe mindestens eins zu eins wie Verteidigung steigen, muss ich sagen: Die zivile Außenpolitik steht für uns Grüne im Zen- Hier ist viel Luft nach oben. Wir werden Sie beim Wort trum. Gemäß Koalitionsvertrag sollen die Ausgaben für nehmen. das Verteidigungsministerium sowie für das Auswärtige Amt und übrigens auch für das Entwicklungshilfeminis- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) terium eins zu eins steigen. (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Nein!) Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Wenn man sich aber die Zahlen anschaut, muss man sa- Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächster der gen: Versprochen – gebrochen. Das fndet bei weitem Kollege Christoph Matschie für die Sozialdemokratie. nicht statt. Der Kollege Leutert hat ja auch über die mit- (Beifall bei der SPD) telfristige Finanzplanung gesprochen. Beide Etats, der für Entwicklungshilfe und der für das Auswärtige Amt, sinken gemäß Finanzplanung. Im Bereich der Diplomatie Christoph Matschie (SPD): und der Entwicklungshilfe bleiben wir jetzt schon weit Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es hinter den Steigerungsraten der Militärpolitik zurück. klingt vielleicht pathetisch, aber es ist am Ende die bittere (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wahrheit: Außenpolitik entscheidet über Leben und Tod, über Krieg und Frieden. Wer sich die Bilder der letzten Noch einen weiteren Punkt, der hier angesprochen Tage noch einmal vor Augen führt, der weiß, wie schnell wurde, halte ich für wichtig. Ja, Ihr Etat ist in den letzten außenpolitische Entscheidungen dazu führen können, Jahren gestiegen, weil die Anforderungen an das Haus dass schwelende Konfikte explodieren, dass Gewalt um gestiegen sind. Das ist richtig. Beim Personal ist das lei- sich greift. 3024 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Christoph Matschie (A) Ich will es hier in aller Deutlichkeit sagen: Die Ent- Haushalt des Auswärtigen Amtes um knapp 50 Prozent (C) scheidung des US-Präsidenten, die Botschaft nach Jeru- gestiegen ist. Hier zeigen sich die enormen außenpoliti- salem zu verlegen, war außenpolitisch falsch, und sie ist schen Anstrengungen, die die Bundesrepublik Deutsch- brandgefährlich, werte Kolleginnen und Kollegen. land unternimmt. Sie haben auch international hohe An- erkennung gefunden. Ich fnde, das muss an dieser Stelle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch einmal deutlich gemacht werden. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Gleiche gilt für die Entscheidung zur Aufkündigung des Atomdeals. Hier wird, wie ich fnde, mit der Abriss- Hinter den nüchternen Zahlen des Haushalts stehen birne die Glaubwürdigkeit internationaler Abkommen die Schicksale von Millionen von Menschen: in der hu- zerstört. Beide Entscheidungen des US-Präsidenten zei- manitären Hilfe, in der Sicherung der Stabilität in Krisen- gen wie in einem Brennglas den tiefen Riss im transat- staaten, in der Versorgung mit Nahrungsmitteln, in der lantischen Verhältnis, der sich inzwischen aufgetan hat. Stabilisierung von staatlichen Apparaten. Ich fnde, wir müssen in diese Bereiche auch in Zukunft kräftig inves- Das stellt die deutsche und die europäische Außenpo- tieren. litik vor völlig neue Herausforderungen: Europa muss schneller und konsequenter lernen, mit einer Stimme zu Die Regierung hat den Haushaltsentwurf vorgelegt. sprechen, sonst haben wir keine Stimme mehr in dieser Jetzt entscheidet das Parlament. Es gibt nach meiner Welt. Überzeugung mit Sicherheit noch Diskussionsbedarf, ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rade mit Blick auf die mittelfristige Finanzplanung; auch der FDP und des Abg. Dr. Norbert Röttgen Herr Kollege Hardt hat das angesprochen. Was humani- [CDU/CSU]) täre Hilfe, die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und andere wichtige Aufgaben betrift, müssen wir hier Angesichts der politischen Entwicklungen in den USA, noch einmal miteinander reden. angesichts der aufstrebenden Interessenpolitik Chinas, aber auch angesichts der Ambitionen des russischen Prä- (Beifall der Abg. [Aachen] sidenten haben wir keine andere Chance für die Durch- [SPD]) setzung unserer Ideen außer der, als Europäer gemeinsam In einer Welt, die unberechenbarer und unsicherer unsere Vorstellungen von Konfiktbewältigung, von in- geworden ist, brauchen wir eine starke, eine kluge und ternationaler Ordnung in die internationale Debatte ein- selbstbewusste Außenpolitik. Dazu braucht es ausrei- zubringen. chend Mittel, eine enge Kooperation aller beteiligten (B) Ich bin an dieser Stelle dem Außenminister ausdrück- Ressorts und eine gemeinsame europäische Stimme. (D) lich zu Dank verpfichtet. Er hat gerade in den letzten Ta- gen intensive Bemühungen dazu unternommen, dass Eu- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: ropa hier mit einer Stimme spricht und zusammensteht. Bitte kommen Sie zum Schluss. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Christoph Matschie (SPD): Ich will es in aller Deutlichkeit am Ende sagen: Noch Nicht nur die europäische Außenpolitik muss weiter- können wir gemeinsam für mehr Sicherheit und Stabili- entwickelt werden, auch die deutsche Außenpolitik muss tät auf dieser Erde sorgen. Und deshalb: Lassen Sie uns angesichts der internationalen Herausforderungen ihre jetzt gemeinsam mutige Schritte gehen! Dafür steht diese Kapazitäten zur strategischen Analyse und zur strategi- Koalition. schen Kommunikation stärken. Dazu gehört auch eine intensivere Zusammenarbeit von Außen-, Entwicklungs-, Herzlichen Dank. Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Nur wenn wir diese Bereiche gemeinsam denken, können wir außenpolitisch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) wirklich erfolgreich agieren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Als Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Herr Kollege Link, Sie haben das angesprochen. Wir ­Armin-Paulus Hampel. haben uns das im Koalitionsvertrag vorgenommen. Die Koalition will das durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass (Beifall bei der AfD) die Regierung in nächster Zeit Vorschläge dazu auf den Tisch legt, wie das gehen kann. Armin-Paulus Hampel (AfD): Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste im (Beifall bei der SPD – Michael Georg Link Deutschen Bundestag! Das klang zugegebenermaßen [FDP]: Da bin ich mal gespannt!) alles sehr eindrucksvoll, Herr Maas. Sie sitzen jetzt Angesichts der gewachsenen Aufgaben im Bereich zumindest am Katzentisch bei der „Small Group“. Wir der Sicherung von Frieden und Stabilität ist es gut, dass reden wieder mit den Russen, mit Herrn Lawrow, über der auswärtige Haushalt wächst. Ich will nicht nur den eine mögliche Fortsetzung der Minsker Runde. Das sind letzten Haushalt in den Blick nehmen. Wenn man auf die schöne Ankündigungen. Wir wollen schauen, ob sich der vergangenen fünf Jahre schaut, kann man sehen, dass der Erfolg bei Ihren Gesprächen dann auch einstellt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3025

Armin-Paulus Hampel (A) Wenn ich allerdings in Ihren Haushaltsplan schaue, hinkriegen. Damit können wir keine einzige vertrauens- (C) dann stelle ich fest, dass es nicht vornehmlich darum bildende Maßnahme schafen. geht, das Gespräch mit denjenigen zu suchen, die in den Ländern dieser Welt de facto die Macht haben; vielmehr Ich bleibe dabei: Sie müssen mit denjenigen sprechen, fndet man unter dem Posten „humanitäre Hilfe, huma- die in diesen Ländern de facto die Macht haben. Wir ha- nitäre Katastrophenvorsorge, Frieden und Stabilität si- ben beim letzten Mal gelernt, dass man jetzt sogar – zu- chern“ – alles hehre Ansprüche, keine Frage –, immerhin mindest mittelfristig bzw. kurzfristig – mit Herrn Assad dem größten Posten Ihres Etats, 1,3 Milliarden Euro – reden möchte, weil man erkannt hat: Der Mann hat de meine Kollegin Malsack-Winkemann hat es schön auf facto die Macht in Syrien. Dann muss man mit ihm spre- den Punkt gebracht –, sehr viel, was versteckt und ver- chen, und genau das – den Eindruck habe ich – planen schoben werden kann, und zwar immer in eine Richtung. Sie ausweislich Ihres Haushalts nicht. Da sind wir von der AfD in der Tat völlig anderer Mei- (Beifall bei der AfD – Michael Brand [Fulda] nung als Sie, nämlich: Die Unterstützung von humanitä- [CDU/CSU]: Sprechen und sich in ein Bett le- ren Hilfsorganisationen mag in Katastrophenfällen rich- gen, ist ein Unterschied!) tig sein, aber hier ist – ich ahne es – eine NGO-Politik auf dem Weg, um die Länder, die uns durch mangelnde 1,3 Milliarden Euro: Wie viel Geld davon geht an Demokratie oder mangelnde Einhaltung der Menschen- NGOs, an Nichtregierungsorganisationen? Welche mess- rechte nicht genehm sind, zu destabilisieren. baren Resultate sind damit verbunden? Wie viel Geld geht an Regierungen vor Ort? Was machen sie damit? (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was?) (Michael Leutert [DIE LINKE]: Das steht al- les in den Erläuterungen drin! Das müssen Sie Das ist genau das, was wir in der Welt nicht wollen. dann mal lesen! Steht alles drin!) (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder Kurz: Wer erhält diese 1,3 Milliarden Euro? Darauf gibt [SPD]: Was ist denn das für ein Unsinn? Oje!) dieser Etat keine Antwort. Wir wollen zuerst für Frieden sorgen in der Welt, und (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Da müs- dann kümmern wir uns um die Systeme in diesen Län- sen Sie mal genau hinschauen! Sie waren doch dern. Also: Genau das, was Sie vorhaben, machen wir sogar mal Journalist! – Dr. Franziska Brantner nicht. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es steht al- les drin! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Man GRÜNEN]: Sie müssen sich schon einarbei- kann NGOs auch diferenziert betrachten!) (B) ten! Sie müssen sich einarbeiten; dann werden (D) Sie haben das schon bei der Destabilisierung des gesam- Sie den Haushaltsplan auch lesen können!) ten Nahen Ostens in Ansätzen erlebt, Herr Kollege. Es Die Aufgabe der Diplomatie, meine Damen und Her- gibt ein gutes Beispiel, wie es die Amerikaner gemacht ren, ist es nicht, bestehende Regierungen zu destabilisie- haben: die frühere Europa-Staatssekretärin im Außen- ren. Wir müssen bestehende Regierungen in einen inter- ministerium, Frau Nuland – Sie kennen sie –, die mit nationalen Dialog einbinden. Das ist unser Ziel. Wie das 5 Milliarden Dollar jahrelang die NGOs in der Ukraine geht, hat man uns in früheren Jahrzehnten vorgemacht. unterstützt hat. Sie alle, zumindest die Älteren unter Ihnen, kennen das (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Man ja noch: Die KSZE-Akte von Helsinki sagt ganz bewusst: kann doch nicht alle NGOs in einen Topf wer- Eine Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten fen, Herr Hampel!) garantiert erst, dass Sie mit anderen Ländern über Frie- den und Stabilität in der Welt diskutieren und verhandeln Genau das, was gezielte Absicht Washingtons war, ist können. Das ist das Entscheidende. auch eingetreten, nämlich die Destabilisierung der ukra- inischen Regierung. Damit wurde ein Konfikt hervorge- (Beifall bei der AfD) rufen, der uns noch heute maßgeblich beschäftigt. Das Gegenteil davon machen Sie zurzeit durch Ihre Po- (Beifall bei der AfD) litik. Genau das Gleiche setzen wir fort – ich habe es vorhin ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schon erwähnt: die Union hat es mit ihrer Adenauer-Stif- NEN]: Aber warum fahren Sie dann dauernd tung in Ägypten schon erleben dürfen –; genau das ma- auf die Krim?) chen wir auch, indem wir mit viel Geld – das ist in Ihrem Wenn Sie den Haushalt für Ihr Ressort hier vorstel- Etat versteckt – diejenigen unterstützen, die in den Län- len, Herr Minister, dann hat der Bundestag ein Recht da- dern, in denen es die Konfikte gibt, nicht stabilisieren, rauf, zu erfahren, was Sie mit den einzelnen Posten Ihres sondern destabilisieren wollen, indem sie die Regierung Etats erreichen wollen, wer das Geld erhalten soll und angreifen. Wie wollen Sie aber mit Russland, wie wollen wie konkret den Menschen in der Welt damit geholfen Sie mit den Regierungschefs der Länder im Nahen Osten werden soll. verhandeln, die dort de facto die Macht haben, wenn Sie gleichzeitig dafür sorgen, dass es Gruppen gibt, die un- Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel: Im Einzelplan 05 terwegs sind, genau diese Regierungen von der Position stehen Angaben zum Afghanistan-Einsatz. Meine Damen der Macht wegzubekommen? Das werden Sie eben nicht und Herren, ich bin sieben Jahre als Journalist in Afgha- 3026 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Armin-Paulus Hampel (A) nistan unterwegs gewesen und habe die Entwicklung von Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (C) Mitte der 90er-Jahre bis circa 2008 verfolgt. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Immer bei der Wahrheit bleiben! Das haben wir schon Armin-Paulus Hampel (AfD): bei der Bundeswehr erlebt mit Ihrer Vergan- Das sind die Grundtöne der Diplomatie. So funktio- genheit!) niert diplomatische Arbeit – und nur so. Alles andere – das sehen wir im Nahen Osten – wirkt zerstörerisch und Wissen Sie, wie mein afghanischer Mitarbeiter die dort steckt diese Welt eher in Brand, als dass es Frieden stiftet. vorhandenen Hilfsorganisationen und NGOs genannt hat? NGO – eating, meeting, shopping, sleeping. Kürzer Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. können Sie es nicht auf den Punkt bringen. (Beifall bei der AfD) (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit! – Michael Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Unverschämt- Herr Röttgen, einen Moment. Ich rufe Sie auf, wenn heit! Sie waren nicht aus Ihrem Journalisten- es so weit ist. – Zunächst hat aber der Kollege Link da- hotel rausgekommen!) rum gebeten, eine Kurzintervention zu machen, die lasse Denn bevor überhaupt einem Afghanen geholfen wurde, ich zu. haben sie erst einmal einen Compound hingestellt: Da wurde dann Kies reingeschippt, Computer, Teppichbö- Michael Georg Link (FDP): den und eine Klimaanlage kamen rein, und zum Schluss Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol- fuhr der 100 000-Dollar-NGO-Toyota auf das Feld, um lege Hampel, da Sie uns gerade sehr wortreich dargelegt die Arbeit in Gang zu bringen. haben, dass Sie am liebsten zur Großmachtpolitik des (Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: Ekel- 19. Jahrhunderts, zum Recht des Stärkeren, zurückkeh- haft! Sie sind nicht von der Hotelbar wegge- ren wollen, lassen Sie mich ganz kurz darüber aufklären, kommen, Herr Journalist!) was die KSZE tatsächlich beschlossen hat: In der Charta von Paris zum Beispiel wurden die menschenrechtlichen Was wir in Afghanistan erreicht haben, ist, dass wir Verpfichtungen der Staaten festgelegt und freiwillig von unseren Ruf verdorben haben. Wir waren dort einmal den Staaten unterschrieben. Mehr noch: Darin steht – das sehr geachtet. Wir haben aber eine Regierung installiert, ist sogar erst 2009 beschlossen worden, mit Putins Zu- (B) die der Geschichte dieses Landes widerspricht. Wir ha- stimmung –, dass ein menschenrechtliches Problem mit (D) ben Warlords unterstützt, die in Massen zur Kriegsfüh- einem Mitgliedstaat der KSZE, jetzt heißt sie ja OSZE, rung und zu den Konfikten in Afghanistan nicht nur ein Problem aller Staaten ist. beigetragen, sondern sie initiiert haben. Sie haben viele Menschen das Leben gekostet. Mit diesen Herrschaften (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD haben wir verhandelt. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist in der OSZE die klare Abschafung des Nichtein- (Michael Leutert [DIE LINKE]: Man muss mischungsgebots. Es ist das Gegenteil von Nichteinmi- doch mit denen sprechen, die die Macht ha- schung: Wir haben ein Gebot, hinzuschauen. Wir haben ben, haben Sie vorhin gesagt!) ein Gebot, uns einzumischen, wenn es menschenrecht- Wir haben nicht die tribalen Strukturen, wie sie in Af- liche Probleme gibt. Wir wollen nicht den Rückfall in ghanistan traditionell vorhanden waren, unterstützt, son- dieses Recht des Stärkeren, wie Sie es hier gerade letzten dern mit Warlords und anderen Verbrechern Geschäfte Endes propagiert haben. gemacht. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD, (Beifall bei der AfD) der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist das Gegenteil dessen, was Sie an konstrukti- ver Politik für unser Land erreichen können. Bleiben wir Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dabei, dass wir uns wieder der Realpolitik zuwenden und Ich sehe, Herr Kollege Hampel, Sie wollen antworten. mit denen verhandeln, die in den Ländern de facto die Macht haben. Wir müssen auf sie einwirken, ihre Politik mittel- und langfristig zu ändern und zum Besseren zu Armin-Paulus Hampel (AfD): wandeln. Gehen wir nicht den Weg, dass wir destabilisie- Ich habe mich deswegen auf die Schlussakte von Hel- ren und Regierungen das Vertrauen entziehen, indem wir sinki bezogen – Sie haben völlig recht, dass die Men- diejenigen unterstützen und fördern, die zum Niedergang schenrechte dort ein wichtiger Aspekt waren –, weil die bzw. zur Zerstörung dieser Regierungen beitragen. Nichteinmischung darin maßgeblich war. (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE Sie zerstören! Ein Brandstifter! – Dr. Franziska GRÜNEN]: Das haben Sie nicht richtig ge- Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So lesen! – Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU]: widerlich, was Sie da von sich geben!) Das hätten Sie gerne!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3027

Armin-Paulus Hampel (A) Das hat man ganz bewusst gemacht in Helsinki, indem unser außenpolitisches Selbstverständnis neu debattie- (C) man defniert hat, dass man menschenrechtliche Fragen – ren, neu defnieren und dass wir auch in Deutschland an- da haben Sie völlig recht – über den Verhandlungsweg fangen, eine strategische Debatte über Außenpolitik zu lösen kann. Aber ich kann mich nicht an eine Sanktions- führen, eine strategische Kultur zu entwickeln, wenn es entscheidung einer westlichen Regierung erinnern, die um Außenpolitik geht, meine Damen und Herren. nach der Schlussakte der KSZE gegen Moskau oder an- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dere osteuropäische Staaten verhängt worden wäre. Das ist die falsche Politik, die man damals nicht wollte und Das ist unsere Verantwortung. Sie kann nicht darin be- die wir heute machen. stehen, die Veränderungen zu beschreiben und dann auf die nächste Veränderung zu warten, sondern wir müssen (Lachen des Abg. Michael Brand [Fulda] Einfuss gewinnen, um unsere Interessen zu vertreten. [CDU/CSU]) Wir sind nämlich betrofen. Das, was um uns herum Deswegen hat man damals richtig gemacht, was man stattfndet, können wir von der Sicherheit und der Stabi- heute falsch macht, Herr Kollege. lität unserer Gesellschaften eben nicht mehr trennen. Die einfache Antwort ist Renationalisierung: Wir machen (Beifall bei der AfD) einfach die Augen zu. – Nein, allerspätestens mit der Flüchtlingskrise haben wir gelernt: Wir können unseren Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gesellschaftlichen Zustand nicht mehr von dem Zustand Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Norbert unserer Umgebung trennen. Wer Verantwortung für die Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. Bürger wahrnimmt, der muss außenpolitische Verant- wortung wahrnehmen und darf sich nicht abschotten, (Beifall bei der CDU/CSU) meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In NISSES 90/DIE GRÜNEN) dieser Debatte ist schon von einigen Kolleginnen und Ich möchte vier Anmerkungen dazu machen, was Kollegen dargelegt worden, wie dramatisch sich die Welt Gegenstand einer notwendigen strategischen außenpo- verändert hat – in einem Tempo und in einem Ausmaß, litischen Debatte sein müsste. Es gibt aber auch sicher wie es das seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht Punkte, die noch dazukommen müssten. mehr gegeben hat. Das wissen wir, das empfnden wir, Erstens. Es ist ein Novum, dass wir und unser wich- (B) und das ist dramatisch, weil es nicht irgendwelche Verän- (D) derungen sind, sondern weil bestehende Gleichgewichte, tigster Verbündeter, die Vereinigten Staaten von Amerika, Systeme, Ordnungen attackiert und zerstört werden – in der internationalen Klimapolitik, in der internationalen überall um uns herum. Handelspolitik, in der Nahostpolitik und wahrscheinlich übrigens auch gegenüber China unterschiedliche Politi- Nur nebenbei will ich erwähnen: Eine der wesent- ken verfolgen. Das hat es so noch nicht gegeben. Es sind lichen strategischen Herausforderungen, nämlich der mit die wichtigsten Politikfelder der Außenpolitik, in de- Aufstieg und die neue Rolle Chinas, wird von uns eher nen Europa, Deutschland und die USA unterschiedliche immer am Rande wahrgenommen; aber auch das gehört Politiken verfolgen. zu den Veränderungen. Ich möchte aber über diese Ver- Wir müssen zu unserer Position stehen, aber – das als änderungen jetzt gar nicht mehr viel reden; sie sind ja eine erste Anmerkung – wir müssen trotzdem transatlan- auch schon dargelegt worden. tisch bleiben; Vielmehr möchte ich ausführlich über uns reden. Was (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- folgt denn daraus für uns? Wenn sich alles und alle um ordneten der FDP) uns herum verändern, wenn die Art, wie Politik gemacht wird, in Russland, in der Türkei, in Washington, im Na- denn das Transatlantische, das uns verbindet, die Werte, hen und Mittleren Osten, nicht mehr so ist, wie wir das die Breite und die Tiefe unserer Verbindungen, ist stärker seit Jahrzehnten kannten, dann kann ja bei uns nicht alles als das, was uns gegenwärtig trennt. Die USA bleiben gleich bleiben, sondern dann entsteht auch in Europa und unverzichtbar, unersetzbar für die innere und äußere Si- in Deutschland Handlungsbedarf. cherheit Deutschlands und Europas. Darum bleiben wir transatlantisch; aber wir haben inhaltliche Diferenzen Was machen diese Veränderungen mit uns? Wie ist und Konfikte. unsere Antwort auf das, was sich tut? Darüber möchte ich sprechen, weil ich glaube, dass wir diese Antwort Zweitens. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie und in noch nicht haben, aber davon überzeugt bin, dass wir sie welchem Stil die USA und der amerikanische Präsident geben müssen. Ich glaube, dass es um nicht weniger geht Politik betreiben, zeigt – bei dem Iran-Abkommen ver- als darum, dass wir – und, um es einmal für diese Rede zu hält es sich so, die Aufkündigung ist gegen europäische sagen, wenn ich „wir“ sage, dann rede ich von Deutsch- Interessen –: Die Entscheidung ist ohne uns erfolgt; sie land und den Europäern; das ist mein Wir – beruht im Wesentlichen auf innenpolitischen Machtkal- kulationen. Da kommen die Verbündeten im Entschei- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ein gutes dungsprozess relevant gar nicht mehr vor. Es wird also Wir!) nicht mehr gemeinsam entschieden. Es wird nicht nur ge- 3028 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Norbert Röttgen (A) gen uns entschieden, es wird ohne uns entschieden. Das Nachbarregion. Meine Überzeugung ist, dass die USA (C) ist eine dramatische grundsätzliche Veränderung. Durch mit ihren wirtschaftlichen Sanktionen und der Dollardo- diese Veränderung ist nach meiner Einschätzung objek- minanz im internationalen Finanzsystem die Fähigkeit tiv ein europäisches Momentum erzeugt worden, das es und Macht haben, das Nuklearabkommen zu zerstören. so – Kollege Matschie hat es gesagt – noch nie gegeben Das kann eine Eskalationsspirale in Gang setzen. Kön- hat. Das müssen wir ergreifen. Wir müssen jetzt diesen nen wir sie durchkreuzen? Ich möchte einen Vorschlag europäischen Willen bilden und europäische Instrumente machen, von dem ich glaube, dass er vielleicht die einzi- schafen. Von beidem sind wir noch weit entfernt. ge Möglichkeit ist. Drittens. Was bedeutet es konkret, diesen europäi- schen Willen zu bilden und entsprechende Instrumente Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu schafen? Wir müssen aufhören, über Themen von Herr Kollege Röttgen, kommen Sie bitte zum Schluss. europäischer und strategischer Bedeutung nur national zu debattieren. Es ist ja zurzeit das Verhaltensmuster von Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Trump und der amerikanischen Politik, über internatio- Ja, ich mache diesen Vorschlag. nale Fragen nur national und innenpolitisch zu debattie- ren. Wir machen das auch. Es gibt viele Themen, und ich bin davon überzeugt, dass keines der Themen, über Vizepräsident Wolfgang Kubicki: die wir reden, militärisch zu lösen ist. Aber ich spreche Nein. Sie kommen jetzt zum Schluss. einmal die neuralgischen Punkte an, von denen ich mei- ne, dass wir sie nur national diskutieren, obwohl sie eine Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): europäische Dimension haben. Das bezieht sich natürlich Wir können die Eskalationsdynamik durchbrechen, auf den Haushalt. Ich will zwei Punkte benennen. indem unter europäischer Verantwortung zu einer Nah- Der erste Punkt betrift die Verteidigungsausgaben. ostkonferenz eingeladen wird. Das ist unsere Möglich- Wir führen hier eine Debatte darüber, wie viel wir mehr keit. Wir haben die Glaubwürdigkeit, und wir sollten als ausgeben. Unter dem Gesichtspunkt, ob Europa interna- Europäer die Initiative für eine internationale Nahost- tional ein Akteur wird, ob wir Einfuss ausüben können, konferenz ergreifen, um die Eskalation von Ultimaten, ist die Frage der Verteidigungsausgaben entscheidend. von Aktion und Reaktion zu durchbrechen. Ich glaube, Wenn wir ein Land bleiben sollten, dass sich nicht dazu das wäre eine europäische Möglichkeit. entscheiden kann, seine eigene Armee für die Landes- Vielen Dank. und Bündnisverteidigung im Wesentlichen einsatzfähig auszustatten, werden wir außenpolitisch nicht ernst ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) (D) nommen, weder bei den Verbündeten noch in Moskau, ordneten der FDP) meine Damen und Herren. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Herr Kollege Röttgen, ich gewähre Ihnen, was Sie ordneten der FDP) möchten. Bedauerlicherweise ist das Präsidium regelba- Das ist eine Vorentscheidung über unseren außenpoliti- siert. Wenn wir Redezeiten vereinbaren, dann gehört es schen Einfuss. Wir müssen darüber europapolitisch und zum guten Ton, sich an die Redezeiten zu halten, außenpolitisch diskutieren. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der AfD Der zweite Punkt betrift die sicherheitspolitischen und der LINKEN) und militärischen Instrumente der Europäer. Wir spre- weil die Frage der Gleichbehandlung sonst eine sehr ele- chen immer über PESCO, die Ständige Strukturierte mentare Rolle spielt. Bedauerlicherweise muss der Ihnen Zusammenarbeit. Ich fnde sie auch gut; das ist ein Fort- folgende Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion jetzt schritt. auf eine Minute seiner Redezeit verzichten. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie ist völlig Ich rufe als nächsten Redner den Kollegen Bijan falsch! Holzweg!) Djir-Sarai für die Freien Demokraten auf. Aber wir dürfen doch nicht glauben, dass wir mit PESCO (Beifall bei der FDP) innerhalb von fünf Jahren, also einer überschaubaren Frist, auch nur annähernd militärische Fähigkeiten er- (FDP): reichen können. Hier müssen wir mehr tun, sonst wird Bijan Djir-Sarai Europa nicht handlungsfähig werden, meine Damen und Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine haus- Herren. haltspolitische Debatte ist mehr als das einfache Vortra- gen von Zahlen. Eine haushaltspolitische Debatte ist eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so- Diskussion über die wesentlichen Weichenstellungen der wie bei Abgeordneten der SPD) Politik. Meine letzte Anmerkung bezieht sich auf den Nahen Wirft man nun einen Blick in den vorliegenden Ein- Osten – wenn Sie mir das noch gestatten, Herr Präsident. zelplan 05, so ist eine klare und eindeutige Strategie der Der Nahe Osten wird die Schicksalsfrage der europäi- Bundesregierung nur mit viel Fantasie erkennbar. Auf schen Außenpolitik sein. Es ist die Schicksalsfrage, weil den ersten Blick steuert der Einzelplan 05 zwar auf ei- es unsere Nachbarregion ist, nicht die amerikanische nen Rekordhaushalt zu, doch sollte man dabei nicht Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3029

Bijan Djir-Sarai (A) übersehen, dass es im Vorjahr überplanmäßige Mittel Nahen Osten zu, wo vor allem diplomatisches Geschick (C) gab. Es kommt also nicht zu einer realen Steigerung entscheidend sein wird. des Haushaltes. Wirft man darüber hinaus einen Blick Vor dem Hintergrund der schwierigen Beziehungen auf die weiteren Zahlen, so kommt noch hinzu, dass die beispielsweise zum Kreml brauchen wir mehr Mittel für UN-Pfichtbeiträge im Jahr 2019 einen massiven Teil die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zu Russland, des fnanziellen Aufwuchses ausmachen. Und auch die insbesondere zur Förderung des Deutsch-Russischen Ju- EU-Präsidentschaft und der nichtständige Sitz im Sicher- gendaustausches. Das verstehen wir unter nachhaltiger heitsrat der Vereinten Nationen werden hohe Ausgaben und wertegebundener Außenpolitik. erfordern. Ähnliches gilt für unser Engagement im Nahen Osten Ofen bleibt vor diesem Hintergrund vor allem, wie und in Nordafrika. Obgleich die gegenwärtige Situation die aktuelle Personalproblematik im Auswärtigen Amt in der Region gefährlich und instabil ist, wäre es falsch, behoben werden kann, und das, obwohl bereits jetzt of- sich politisch aus der Region zurückzuziehen. Wir for- fensichtlich ist, dass die Personalausgaben nicht gedeckt dern daher die Bundesregierung auf, einen besonderen sein werden. Die Personalreserve reicht vorne und hinten Fokus auf Demokratieförderung und den Dialog mit ver- nicht. Das geht an die Substanz des Dienstes. änderungswilligen Gruppen zu legen. An die Substanz des Dienstes geht es auch, wenn Aus- Im Hinblick auf die vielfältigen Aufgabenfelder des landsvertretungen nicht ausreichend gesichert sind. Aus Dienstes möchten wir schließlich der Bundesregierung dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im eine regelmäßige externe Evaluierung der Projekte des vergangenen Jahr wurden viele Lehren und Erkenntnisse Auswärtigen Amtes nahelegen. Wünschenswert wäre in gezogen. Umso unverständlicher ist es, wenn an sicher- diesem Zusammenhang außerdem eine efziente Koordi- heitsrelevanten Posten Einsparungen vorgenommen wer- nierung mit den Schnittstellen des BMZ. den. Die Sicherheit unserer Diplomatinnen und Diploma- ten darf zu keinem Zeitpunkt aufs Spiel gesetzt werden. Meine Damen und Herren, bei der Vorstellung des Ent- wurfs des Haushalts 2018 durch den Finanzminister sind (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zwei Minister aufgefallen: die Verteidigungsministerin der SPD) und der Entwicklungsminister. Sie haben sich zumindest Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Koalitionsver- an der Stelle lautstark und sichtbar für ihre Häuser ein- trag wurde geschrieben, dass die Mittel für Auswärtige gesetzt. Wo war eigentlich die Stimme des Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik erhöht werden. Ich stelle Amtes? Wer hat sich für die Interessen des Auswärtigen heute fest, dass ausgerechnet dieser Bereich zu den gro- Amtes starkgemacht? (B) ßen Verlierern des aktuellen Haushaltsplans gehört. Die Die aktuellen Herausforderungen, insbesondere die (D) Streichung von rund 17 Millionen Euro erscheint wider- Probleme in der Personalpolitik, hätten mehr Verhand- sprüchlich. Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik lungseinsatz erfordert. Das Auswärtige Amt darf nicht ist ein integraler Bestandteil der deutschen Politik und eines Tages durch Fehlplanung in eine strukturelle Krise muss es auch bleiben. geraten. Die Einsatzfähigkeit der deutschen Diplomatie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist uns ein Kernanliegen, und zwar für nachhaltige und der SPD) wertegeleitete Ziele. Im Koalitionsvertrag steht weiterhin: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir sind bereit, unsere freiwilligen VN-Beiträge (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten strategischer auszurichten und zu erhöhen. der CDU/CSU) Das ist grundsätzlich gut. Dann muss man sich bitte

auch dafür einsetzen, dass in internationalen Organisati- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: onen wie den Vereinten Nationen deutsche Staatsbürger Vielen Dank, Herr Kollege Djir-Sarai. – Als Nächster Führungspositionen einnehmen. In Relation zu den ho- für die Linke der Kollege Stefan Liebich. hen Finanzbeiträgen übt Deutschland in diesen Gremien (Beifall bei der LINKEN) gegenwärtig zu wenig Einfuss aus, und das ist defnitiv nicht gut. Stefan Liebich (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, international mehr Verant- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr wortung zu übernehmen, heißt nicht nur, mehr Beiträge Maas, ich möchte zuerst über die Prioritätensetzungen zu überweisen. Es heißt auch, dass wir gerade in Zeiten, reden. Als Sie kaum 24 Stunden im Amt waren und die in denen sich die außenpolitischen Herausforderungen Bundesregierung insgesamt gerade einen Tag im Amt rapide wandeln, in denen wir einen Rückzug der Diplo- war, war das Erste, was uns auf den Tisch gelegt wurde, matie erleben, Verantwortung übernehmen und den Dia- eine Reihe von Anträgen zur Entsendung von Soldatin- log vorantreiben müssen; nen und Soldaten ins Ausland. Ich fnde, so etwas ist ein glatter Fehlstart. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der LINKEN) denn für die globalen Krisenherde werden sich nur ge- meinsam und im internationalen Konsens Lösungen fn- Sie haben gemeinsam mit der Verteidigungsminis- den lassen. Das trift insbesondere auf die Konfikte im terin und der Bundesregierung vorgeschlagen, dass wir 3030 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Stefan Liebich (A) 300 Soldaten mehr nach Afghanistan entsenden. Heute Jemen sind. Bitte stoppen Sie sofort alle Wafenexporte (C) früh hat die Bundeskanzlerin gesagt, sie fnde die Aus- dorthin. sage von Peter Struck immer noch richtig, dass Deutsch- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- lands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird. NIS 90/DIE GRÜNEN) (Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Auch!) Sie haben eben auch über regelbasierte Ordnungen ge- Wir fanden das damals falsch, und wir fnden das immer sprochen, Herr Maas. Da habe ich gedacht, ich habe mich noch falsch. verhört. Die Entscheidung, die die USA gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien getrofen haben, in Sy- (Beifall bei der LINKEN) rien vermeintliche Chemiewafenlager zu bombardieren, war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. Wenige Tage nach dieser Entscheidung wurde uns mitgeteilt, dass die Lieferung von acht Patrouillenbooten (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- nach Saudi-Arabien durch die Bundesregierung geneh- NIS 90/DIE GRÜNEN) migt wurde. Alle wissen: Saudi-Arabien ist die führende Wer uns nicht glaubt: Das hat der Wissenschaftliche Macht in dem schmutzigen Krieg im Jemen. Im darauf- Dienst des Bundestages bestätigt. Sie und die Bundesre- folgenden Monat sind 237 Zivilisten getötet worden. Das gierung haben das unterstützt. ist ein Rekord. Herr Hardt, Sie haben eben zu Recht den Regelbruch Ich weiß nicht, was das für Entscheidungen sind. Man Russlands bezüglich der Krim angesprochen; auch im hat das Gefühl, dass die neue Große Koalition einfach Ausschuss haben Sie etwas dazu gesagt. Aber wenn ver- so weitermacht wie die alte Große Koalition, als hätte es schwiegen wird, dass die Türkei, ein NATO-Partner, ak- dazwischen keine Wahlen gegeben. Jedes Sig-Sauer-Ge- tuell das Völkerrecht bricht, wenn die Bundesregierung wehr, jeder Leopard-Panzer, jedes MTU-Flugzeugteil sich nicht dazu durchringen kann, das zu bestätigen, ob- für einen Eurofghter kann in den Händen der türkischen wohl das alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sagen, Armee kurdische Frauen, in den Händen der saudischen dann frage ich Sie: Was hat das mit „regelbasiert“ zu tun? Armee jemenitische Kinder oder eben in den Händen ei- nes Terroristen in den USA in einem Nachtclub Schwule (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- töten. Wir fnden, dass Wafenexporte aus Deutschland NIS 90/DIE GRÜNEN) generell verboten werden müssten. Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Er betrift die (Beifall bei der LINKEN) Europäische Union. Das war heute ein zentraler Punkt. Auch wir sind dafür, dass es eine starke und gemeinsame (B) Aber selbst die kleinen Schritte, die Sie verabredet Europäische Union gibt. Es sollte aber keine Europäische (D) haben – wir haben darüber diskutiert, dass sie am Ende Union sein, die sich durch Frontex abschottet. Vielmehr sehr klein gewesen sind –, werden nicht umgesetzt. Sie sollte es eine Union sein, die selbstbewusst, gemeinsam haben im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und und solidarisch der Welt gegenübertritt. Für eine solche SPD beschlossen, dass ab sofort keine Wafen mehr an Europäische Union treten wir sehr gerne ein. Gegen die Länder geliefert werden sollen, die unmittelbar am eine Europäische Union, die sich mit PESCO, also der Jemen-Krieg beteiligt sind. Ich frage schon seit Wochen Strukturierten Ständigen Zusammenarbeit, in eine Art die Bundesregierung – und nicht nur ich –: Welche Län- Ersatz-NATO verwandeln möchte, wehren wir uns. der sind das eigentlich? Man kommt sich vom Auswärti- gen Amt wirklich veralbert vor. Insofern: Gehen Sie den Weg in Richtung einer fried- lichen und sozialen Europäischen Union. Dann haben Sie (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE uns an Ihrer Seite. GRÜNEN]: Ja!) (Beifall bei der LINKEN) Da wird gesagt: Wir befnden uns in der Bundesregie- rung noch in intensiven Erörterungen. – Oder die letzte Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Antwort war, dass die Länder auf unterschiedliche Weise Herzlichen Dank. – Als Nächstes für die Frakti- beteiligt sind. Wollen Sie uns eigentlich für dumm ver- on Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Dr. Franziska kaufen? Brantner. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) NIS 90/DIE GRÜNEN) Mal abgesehen davon, dass es eine Frechheit ist, wie Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier mit dem Fragerecht von Abgeordneten umgegan- NEN): gen wird: Die Zeit wird natürlich genutzt, um weiter Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Geschäfte abzuschließen. Da verdienen Leute Geld mit Herren! Nett, jung, dynamisch – das war alles, was Frau diesen schmutzigen Deals, und es ist gar nicht so schwer, Merkel in Aachen zu Macron einfel. Was für ein trau- herauszufnden, welche Länder das sind. Ich kann sie Ih- riges Bild von Deutschland! Kein Wort zu seinen Vor- nen aufzählen: Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, Katar, schlägen, kein eigenes Feuer, kein Engagement und vor Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, allem keine eigene Idee! Die EU zerbröselt; wir haben Marokko, Sudan und Senegal. Das sind die Länder, die es heute schon mehrfach gehört. Es gibt enormen Druck von sich selber sagen, dass sie Teil der Kriegsallianz im von außen und von innen. In Italien bekommen wir viel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3031

Dr. Franziska Brantner (A) leicht bald eine panpopulistische Regierung aus Cinque – Das können Sie gerne noch hinzufügen. Wenn Sie sich (C) Stelle und Lega. In Österreich haben wir den rechten selber als „Faschisten“ bezeichnen, umso besser. Das Strache, der den Verfassungsschutz übernimmt. In Un- kam jetzt von Ihnen. garn haben wir Orban, der das Ende der liberalen Demo- kratie verkündet. In Polen wird die unabhängige Justiz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- abgeschaft. In Rumänien wird de facto die Korruption NEN sowie bei Abgeordneten der FDP – legalisiert. Wir haben den Brexit, Trump, you name it. Dr. Alexander Gauland [AfD]: Wusste ich es Und diese Regierung? Klein-Klein und Mutlosigkeit. doch! Das ist doch das, was Sie immer anfüh- Ihre größte Tugend ist: Mir gäbet nix! – Nette Worte und ren! Das wollen Sie doch hören! Ich helfe Ih- ansonsten der Status quo. Wie können Sie es zulassen, nen nur aus! – Beatrix von Storch [AfD]: Das dass wir in einer so kritischen Situation nicht alles tun, ist fantasielos! Fürchterlich fantasielos!) um den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken? Deswegen, liebe Koalition, ganz besonders liebe CSU aus Bayern, zeigen Sie doch einmal, wie mutig wehrhafte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Demokraten sind, wenn es darum geht, sich für Europa Frau Merkel hat hier heute Morgen die Euro-Stabi- einzusetzen. Argumentieren Sie und sagen Sie, was es lisierung gegen den europäischen Haushalt ausgespielt, bedeutet, wenn man gemeinsam Aufgaben annimmt, dass zugespitzt formuliert: Paris gegen Warschau. Wissen Sie das etwas kostet, dass wir aber ganz viel davon haben. was? Das ist unredlich. Das ist auch überhaupt nicht Ihre (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, das zusammenzubringen, SES 90/DIE GRÜNEN) Ideen zu entwickeln, wie man den Euro stabilisieren und gemeinsam die Aufgaben Europas angehen kann. Das ist Diesen Mut erwarte ich von dieser Regierungskoalition. Ihre Aufgabe. Dieser Aufgabe verweigern Sie sich per- manent. Da wir gerade über Demokratie sprechen, frage ich: Wie möchten Sie die Demokratie innerhalb Europas (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) durchsetzen? Wir wissen, dass Herr Orban nicht mehr an unserer Seite für eine liberale Demokratie eintritt. Das Kein Wort von Ihnen, Frau Merkel, oder von Herrn sagt er selber. Scholz, kein Inhalt, keine Ideen! Obwohl es noch keine (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Die haben ge- Idee gibt, hat Herr Scholz gestern schon eine Zahl ge- rade demokratisch gewählt! Mit großer Mehr- nannt: 1 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Das heißt de heit! Komisch!) facto: der gleiche Betrag für mehr Ausgaben. (B) Hat das Konsequenzen in Europa? Unserer Meinung (D) Wir reden hier alle über das Thema Verteidigung. Da nach muss das Konsequenzen haben, und zwar auch für würden viele von uns mitstimmen. Die Frage ist aber: die Vergabe von EU-Geldern. Es darf aber nicht so sein, Wo kommt das Geld her? Wollen Sie weniger für das wie manche von Ihnen es vorschlagen, dass dann das Erasmus-Programm, weniger für Forschung, weniger für ganze Land keine Gelder mehr bekommt, sondern dass den ländlichen Raum ausgeben? Wo soll denn das Geld Herr Orban dann nicht mehr die Macht über die Geldver- für die zusätzlichen Aufgaben, von denen Sie reden, her- gabe haben darf. kommen? Den geringen Betrag hat nicht Herr Schäuble genannt, sondern Herr Scholz, seines Zeichens SPD-Mit- glied. Ich hatte beim Lesen des Koalitionsvertrages wirk- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: lich die Hofnung, dass sich etwas ändert. Aber auf die Frau Kollegin, so leid es mir tut: Auch Sie müssen schwarze Null folgt jetzt leider die rote Null. Sie haben zum Ende kommen. Ihre Mitglieder mit Europa in die Große Koalition ge- lockt; doch jetzt lassen Sie Europa im Regen stehen. Das ist ein Best-Practice-Beispiel für Politikverdrossenheit. Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Ja. – Vielmehr müssen die Kommunen direkt Gelder GRÜNEN]: Dann fehlt der Martin Schulz ja beantragen können. Damit stärken wir die Demokratin- doch!) nen und Demokraten vor Ort statt diejenigen, die die Demokratie abbauen. Das wäre unser Anspruch an einen Vor unseren Augen zerfällt die EU, in 20 Jahren wird europäischen Haushalt. Ich hofe, dass Sie sich dafür ein- sie vielleicht zerfallen sein. Dann müssen wir uns die setzen. Fragen stellen lassen: Was habt ihr, was haben Sie da- mals eigentlich getan? Was werden Sie antworten? Ich Ich danke Ihnen. fnde, dass man bei der Regierung Angst und Mutlosig- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) keit spürt, Angst vor der AfD, deren Vertreter dort sitzen, die alles tun wollen, um Europa kaputtzumachen, um unserer Demokratie zu schaden, um unser Deutschland Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zu spalten. Als Nächstes für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Thorsten Frei. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Ja, ja! Noch ein bisschen mehr! „Faschisten“ fehlt noch!) (Beifall bei der CDU/CSU) 3032 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

(A) Thorsten Frei (CDU/CSU): Im zivilen Bereich hat gerade der Aktionsplan „Zivile (C) Krisenprävention“ aus dem Jahr 2004 wie eine Initial- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zündung gewirkt. Damals hatten wir im Haushalt 13 Mil- Meine Vorredner sind bereits darauf eingegangen, dass lionen Euro für zivile Krisenprävention bereitgestellt, sich unsere Welt fundamental verändert hat. Als die heute sind es 316 Millionen Euro. Es kam in diesem Zeit- deutschen Regierungsvertreter im Januar 2014 auf der raum also fast zu einer Verfünfundzwanzigfachung. Im Münchner Sicherheitskonferenz davon gesprochen ha- Bereich der humanitären Hilfe gab es von 2004 bis 2017 ben, dass Deutschland mehr Verantwortung in der Welt fast eine Verdreißigfachung des Ansatzes: von 40 Milli- übernehmen müsse, hätte man noch glauben können, onen Euro auf 1,5 Milliarden Euro. Man muss in Rech- dass man die Konsequenzen zunächst einmal ausführlich nung stellen, dass hier eine Entwicklung stattgefunden debattieren kann. Schon wenige Tage später, mit der An- hat, bei der wir unserer Verantwortung gerecht geworden nexion der Krim im März 2014, sind wir von der Wirk- sind. Wir bewerben uns nicht nur um einen nichtständi- lichkeit eingeholt worden. Dann haben wir eine sehr enge gen Sitz im Sicherheitsrat, sondern hinterlegen dies auch Abfolge und Taktung internationaler Krisen und Heraus- mit fnanziellen Mitteln, mit Personal und mit tatsächli- forderungen erlebt, die uns deutlich gemacht haben, dass cher Unterstützung. Auch das muss man bei der Beurtei- es unser elementares Interesse sein muss, in der Welt, lung der Sachlage in Rechnung stellen. aber vor allen Dingen auch im Krisenbogen um Europa herum, in unserer Nachbarschaft einen aktiven Beitrag (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Mit Per- zu mehr Sicherheit, mehr Stabilität und mehr Frieden zu sonal? Na ja!) leisten. – Ja, da gebe ich Ihnen recht. Beim Geld sind wir bes- Wenn wir uns mit der aktuellen Wirklichkeit ausei- ser als beim Personal; auch das kann man mit Zahlen nandersetzen, dann müssen wir das, glaube ich, relativ belegen. Was das Geld angeht, sind wir bei der UN ernüchtert konstatieren. Deshalb, glaube ich, ist es wich- viertgrößter Geber. Im Bereich des UNHCR, des World tig, dass wir das Forum des Deutschen Bundestages auch Food Programme und anderem sind wir hinter den USA für einen gesellschaftlichen Diskurs darüber nutzen, wel- zweitgrößter Zahler. Aber wir haben tatsächlich noch ein che außenpolitischen Ziele wir eigentlich verfolgen, in bisschen Luft, wenn es darum geht, für die personelle welchem übergeordneten Rahmen wir das tun wollen, Ausstattung zu sorgen. Das gilt nicht nur für die Blau- welche Mittel wir brauchen, um diese Ziele zu erreichen, helmmissionen, sondern auch für das zivile Engagement, und ob wir die Mittel, die wir dafür brauchen oder zu beispielsweise im Hinblick auf Juristen und Polizisten. brauchen glauben, tatsächlich haben. Dann können wir Auch da gilt die europäische Komponente. Wirklichkeit und Anspruch miteinander abgleichen. Europa hat sich kürzlich mit den zivilen Einsatzman- (B) daten beschäftigt und festgestellt, dass von den notwen- (D) Unser Grundgesetz sagt schon in der Präambel, dass digen Stellen – etwa 2 000 – gerade mal 75 Prozent be- wir dem Frieden in der Welt dienen wollen und sollen. setzt werden können. Das ist eine Mahnung an uns, dass Es ist nicht nur deshalb, weil wir Exportweltmeister wir mit unseren personellen Kompetenzen, die ja da sind, sind, unser ureigenes Interesse, das zu tun, sondern es sowohl im europäischen wie auch im weltweiten Rah- geht auch darum, uns vor internationalem Terrorismus, men mehr tun müssen. Dafür wollen wir die Vorausset- vor ungeordneter Migration und vielem anderen mehr zungen schafen. Das wird mit Sicherheit nicht nur für zu schützen. Es ist für uns vollkommen klar, in welchem das nächste Jahr, sondern auch für die daraufolgenden Ordnungsrahmen wir das tun wollen: im Rahmen einer Jahre eine Aufgabe sein. liberalen Weltordnung, die es zu stärken und zu unter- stützen gilt, im Rahmen des Multilateralismus, im Rah- Wir sind in der Debatte auch darauf eingegangen, dass men der Europäischen Union, der NATO, der Vereinten sich die Rahmenbedingungen verändert haben, dass wir Nationen. Wir wollen das regelbasiert tun, weil wir auf nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch die Stärke des Rechts und nicht auf das Recht des Stär- andernorts sehen, dass sich die USA aus internationaler keren setzen Verantwortung zurückziehen und selbstverständlich, wie immer in der Politik, kein Vakuum entsteht, sondern an- (Armin-Paulus Hampel [AfD]: Jetzt sagen dere Kräfte in die Leerstelle drängen. Wenn man in den Sie doch auch mal was zum Thema!) Nahen Osten schaut, sieht man, dass das Länder wie die Türkei, der Iran und Russland sind, und immer kann man und weil wir glauben, dass wir auf dieser Basis unseren sagen: Das, was nachkommt, ist nichts Besseres, sondern Beitrag leisten können. bringt uns, ganz im Gegenteil, neue, zusätzliche und grö- ßere Probleme. Was das für den aktuellen Haushalt und den Einzel- plan 05 bedeutet, sieht man, glaube ich, klarer, wenn man Gerade vor diesem Hintergrund müssen wir uns wirk- einen Schritt zurücktritt und sich anschaut, was in den lich Gedanken darüber machen, wie wir uns efektiver letzten Jahren passiert ist. Wenn man, wie es die Bun- aufstellen können. Norbert Röttgen hat den Rahmen, in deskanzlerin heute Vormittag formuliert hat, den gesam- dem wir uns bewegen müssen, aus meiner Sicht ganz ten Instrumentenkasten der Außenpolitik in den Blick hervorragend gezeichnet. Wenn wir in Zukunft Hand- nimmt – die Wirtschaftspolitik, die Entwicklungspolitik, lungsfähigkeit erreichen wollen, dann müssen wir mehr die Diplomatie, die Sicherheits- und Verteidigungspoli- Geld zur Verfügung stellen, um die ODA-Quote im Be- tik –, dann wird deutlich, welche Notwendigkeiten, um reich der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen, die wir uns kümmern müssen, bestehen. aber auch um unsere Verpfichtungen in der NATO zu Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3033

Thorsten Frei (A) erfüllen. Es ist nicht akzeptabel, dass alle europäischen um deutlich zu machen: Wir wollen kein europäisches (C) Länder zusammen noch nicht einmal halb so viel für Si- Deutschland; es geht eigentlich um ein deutsches Euro- cherheit und Verteidigung aufwenden wie die USA allei- pa. Damit wird alles verschwiegen, was gemeinsam in ne. Zum anderen ist es nicht akzeptabel, dass wir damit Frieden erreicht worden ist. nur 15 Prozent der Efektivität und Leistungsfähigkeit der Amerikaner erreichen. Dafür brauchen wir in der Tat (Beatrix von Storch [AfD]: In Frieden?) mehr Zusammenarbeit. Hier hilft uns die Ständige Struk- turierte Zusammenarbeit, und ich plädiere dafür, dass wir Vor allen Dingen wird unterschlagen, dass wir in darüber hinaus auch die Interventionsinitiative der Fran- Deutschland die wirtschaftlichen und auch fnanziellen zosen ernst nehmen. Wir müssen in diesem Zusammen- Gewinner dieses Einigungsprozesses sind. hang auch die Briten und andere europäische Partner mit einbinden, damit wir zu efektiven und leistungsfähigen Dass die Verhetzung nicht nur in Debatten eine Rolle Lösungen kommen. spielt, haben wir in Großbritannien erlebt. 30 Jahre kon- servative Hatz gegen Brüssel – unterstützt leider auch Herzlichen Dank. durch viele Medien, mit Dingen, die mit Fakten über- haupt nichts zu tun haben, vorurteilsbasiert – haben dazu (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. geführt, dass eine demokratisch stabile Mehrheit in ei- Frank Müller-Rosentritt [FDP]) nem Land gegen ihre eigenen Interessen, gegen ihre eige- nen Erfahrungen und auch gegen ihren eigenen Einfuss Vizepräsident Wolfgang Kubicki: votiert hat. Vielen Dank, Herr Kollege Frei. – Als Nächstes für die SPD-Fraktion der Kollege Axel Schäfer. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie lernen das nie!) (Beifall bei der SPD) Das wissen wir. Deshalb wird es darauf ankommen, wie Axel Schäfer (Bochum) (SPD): wir jetzt die Selbstbehauptung Europas schafen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eu- Im Koalitionsvertrag steht bei dem neuralgisch deut- ropa steht zu Recht im Mittelpunkt der heutigen Debat- schen Punkt auch etwas dazu. Jawohl, wir sind bereit, te, und die grundlegende Frage lautet: Wer bestimmt die dafür mehr Geld einzusetzen. Das gehört dazu, weil wir Debatte, die Hofnungsträger oder die Bedenkenträger? eben nicht nur den Preis von Dingen kennen, sondern Macron hat wichtige Vorschläge sowohl in Richtung auch den Wert dieser Gemeinschaft zu schätzen wissen, (B) des Haushalts – auch in Richtung eines europäischen liebe Kolleginnen und Kollegen. (D) Finanzministers – als auch zu den Themen Cybersicher- (Beifall bei der SPD) heit, CO2-Reduzierung und „ökosoziale Standards in Handelsbeziehungen“ gemacht. Eine entscheidende Frage wird auch sein, wie wir uns ( [CDU/CSU]: Asylpolitik!) parlamentarisch aufstellen. Es ist ein großer Gewinn, dass wir jetzt über die EU hinaus in der Parlamentarischen Er hat eine ganze Palette an Themen angesprochen, bis Versammlung des Europarates für diese europäische De- hin zum Spitzenkandidaten bei der Europawahl. mokratie kämpfen, auch bei einzelnen Problemen von (Florian Hahn [CDU/CSU]: Spitzenkandidat Abgeordneten, wo es um Korruption und anderes geht. Martin Schulz!) Es ist gut, dass die deutsche Delegation dort, dass CDU/ CSU, FDP, Grüne, Linke und SPD gemeinsam in diese Ich sage Ihnen für die SPD: Wir werden alle Vorschlä- Richtung gehen. Ich appelliere, dass wir das genauso ge von Macron positiv aufnehmen und diskutieren und weitermachen: für die Legitimität dieser Vertretung, für schauen, dass wir mit ihm und anderen Mehrheiten dafür die demokratische Akzeptanz und für das, was die Bürge- in Europa bekommen. Dafür wird die Sozialdemokratie rinnen und Bürger von uns erwarten. stehen. (Beifall des Abg. Michael Georg Link [FDP]) (Beifall bei der SPD) Um das zu verdeutlichen: Der zentrale Satz des Fi- Ich bitte um eines, nämlich darum, dass wir hier nicht nanzministers gestern in der Haushaltsrede lautete: Für nur über Europa, die parlamentarische Zusammenarbeit Deutschland ist das gemeinsame Europa das wichtigste und alles Schöne reden, sondern es auch praktizieren. Ich Anliegen. – Weil er das weiß, weiß er natürlich auch um appelliere an alle Fraktionen – wie gesagt, FDP, CDU/ das Verhetzungspotenzial, das damit verbunden ist. Das CSU, Grüne, Linkspartei und auch an meine eigene –: zeigt sich auch in dieser Debatte, in der Begrife wie Lasst uns im nächsten Jahr das Europäische Parlament „Zahlmeister“ und „Übertragung von Kompetenzen nach so ernst nehmen, wie es sich gehört. Lasst uns den Ka- Brüssel“ eine Rolle spielen. „Zahlmeister“ ist der zen- lender des Bundestages ändern. Es kann nicht sein, dass trale Hetzbegrif, der manchmal unwissend, oft aber bös- der Bundestag seine Plenarwoche bis zum 24. Mai ab- artig eingesetzt wird, hält – am 23. Mai hat dann schon die Europawahl begon- nen –, und nach außen der Eindruck entsteht, die wich- (Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE tigste Wahl auch für die Bundesebene interessiert den GRÜNEN]: Ja!) Deutschen Bundestag nicht. Das müssen wir ändern, um 3034 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Axel Schäfer (Bochum) (A) deutlich zu machen, dass wir einen wichtigen Beitrag in dann folgen die Berichterstattungen dazu, und Anfang (C) dieser Kampagne leisten. Juli werden wir den Haushalt abschließend beraten. Vielen Dank. Es handelt sich um einen Rekordhaushalt mit einem Volumen von 341 Milliarden Euro. Das Wichtigste (Beifall bei der SPD) vorweg: Die schwarze Null steht auch bei einem sozi- aldemokratischen Minister. Die schwarze Null gehört Vizepräsident Wolfgang Kubicki: schließlich zum Markenkern der Haushaltspolitik der Vielen Dank, Herr Kollege Schäfer. – Als Letz- Union. Wir freuen uns, dass Minister Scholz in die gro- tem erteile ich dem Kollegen Alois Karl für die CDU/ ßen Fußstapfen von Wolfgang Schäuble getreten ist, der CSU-Fraktion das Wort. vier Jahre nacheinander keine neuen Schulden gemacht hat, und auch in die Fußstapfen von Franz Josef Strauß, (Beifall bei der CDU/CSU) der davor der Letzte war, der 1969, also vor fast 50 Jah- ren, Haushalte ohne neue Schulden aufgestellt hat. In den Alois Karl (CDU/CSU): letzten 50 Jahren – das ist die 68er-Generation – ist man- ches passiert. Schade, dass Minister Scholz nicht mehr Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- anwesend ist. Sonst hätte ich gesagt, dass manche in die- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei ser Zeit viele Haare gelassen haben. Ich habe in der letz- der CSU wird das weggeknapst, lieber Norbert Röttgen, ten Woche ein Jugendfoto von ihm gesehen. Ich glaube, was du zu viel geerntet hast. Aber das kommt dich teuer dass das im Führerschein nicht mehr zu verwenden ist. zu stehen, muss ich gleich am Anfang sagen. (Heiterkeit bei der CDU/CSU – (Heiterkeit bei der CDU/CSU) [DIE LINKE]: Da bist du ganz gut wegge- Um ehrlich zu sein, ich hätte dir noch länger zuhören kommen! – Dr. Franziska Brantner [BÜND- können. Wenn die Redezeit Thorsten Frei weggenommen NIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten etwas worden wäre, wäre mir das noch lieber gewesen. zum Haushalt sagen!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Wir stellen Haushalte auf, meine sehr geehrten Damen und Herren, weit über das Prinzip Hofnung hinaus. Wir Aber sei es, wie es sei: Es ist gut, dass zumindest bei können uns auf eine solide arbeitende Wirtschaft und gute der CDU/CSU ein Haushaltspolitiker spricht. Wir bera- Steuereinnahmen verlassen, die in wesentlichen Teilen ten ja heute den Haushalt. Aber all das andere, was ich den Gemeinden, den Kommunen und den Ländern zu- gehört habe, war auch sehr interessant. gutekommen, nicht dem Bundeshaushalt. Wir haben im (B) (D) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Koalitionsvertrag 46 Milliarden Euro für vordringliche CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜND- Aufgaben festgeschrieben. In den letzten vier Jahren ha- NISSES 90/DIE GRÜNEN) ben wir 23 Milliarden Euro angespart. Wer von 23 Mil- liarden 46 Milliarden Euro ausgeben will, dem kann ich Zum Schluss muss alles fnanziert werden. Das wollte nur sagen: Man kann über alles diskutieren, bloß nicht ich dazu noch sagen. Herr Dr. Lindner, Ihr Klatschen hat über Adam Riese. Trotzdem meine ich, dass wir das feh- mich dazu animiert. Es muss alles fnanziert werden, was lende Geld aufgrund der gut funktionierenden Wirtschaft man an Vorschlägen hört, und die Arbeit muss getan wer- noch einnehmen werden. Wichtig ist für die Haushälter den. Mir fällt dazu ein Spruch des griechischen Helden auch, dass wir alle europäischen Haushaltskriterien ein- Odysseus ein, nachdem er zehn Jahre im Trojanischen halten. Die schwarze Null hatte ich bereits erwähnt. Das Krieg war und zehn Jahre für die abenteuerliche Heim- Defzitkriterium bei der Gesamtverschuldung werden wir fahrt mit ihren schwierigen Aufgaben gebraucht hat. im nächsten Jahr erfüllen. „Heureka“, hat er gesagt, als er in sein Königreich Ithaka gekommen ist. Das heißt so viel wie: Es ist geschaft. Ich Ich will Minister Scholz herzlich gratulieren und da- bin da. Wir haben es vollbracht. für loben, dass ihm mit dem neuen Staatssekretär Werner Gatzer ein guter Zug gelungen ist. Er hat die Weichen So weit ist es bei uns noch nicht, lieber Herr Außen- richtig gestellt und setzt mit dem neuen Staatssekretär, minister. Heureka können wir noch nicht sagen, aber wir einem tüchtigen Mann, auf das richtige Gleis. sind dabei, unseren Haushalt gut zusammenzustellen. Der Haushalt des Auswärtigen Amts ist ebenfalls Auch die Älteren hier im Saal können sich kaum an ein Rekordhaushalt, sehr geehrter Herr Minister. Mit eine Periode erinnern, in der wir wie jetzt 20 Monate lang 5,35 Milliarden Euro haben wir mehr als in den Jah- keinen Haushalt aufgestellt hätten. Im September 2016 ren zuvor eingestellt, auch wenn die Haushaltsabrech- war es, als wir das letzte Mal einen Haushalt aufgestellt nung 2017 etwas mehr auswies. Ich muss den lieben haben. Die Zeit ist dann mit Vorwahlkampf, Wahlkampf Freund Bijan etwas korrigieren. Wir freuen uns, dass wir und Koalitionsverhandlungen vergangen, die dann ge- dieses Jahr weniger für die Beiträge zu den Vereinten Na- scheitert sind – Herr Link, Sie persönlich waren nicht tionen ausgeben müssen. Wir sparen 220 Millionen Euro schuld, aber Ihre Partei –, und auch das etwas bockige und müssen dieses Geld nicht an die Kasse der Vereinten Herumgemäkel der Sozialdemokraten hat uns daran ge- Nationen überweisen. Das ist nicht so schlecht. Das soll- hindert, früher an die Arbeit zu gehen. Jetzt haben wir test du nicht als mittlere Katastrophe apostrophieren. Im Gott sei Dank den Haushalt in der Vorlage des Herrn Mi- Gegenteil: Es ist gut, dass wir dieses Geld nicht ausgeben nister Scholz vorliegen. Wir lesen ihn in diesen Tagen, müssen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3035

Alois Karl (A) Es wurde bereits gesagt – ich wiederhole und vertiefe Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmel- (C) das –, dass wir gerade auf dem Sektor der humanitären dungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Hilfe Unglaubliches leisten. Ich erinnere daran, dass wir in den letzten fünf Jahren unsere Ansätze von damals Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bun- 105 Millionen Euro auf heute 1,5 Milliarden Euro erhöht desministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. haben. Das ist ein superguter Ausweis unserer humani- Das Wort hat zunächst für die Bundesregierung die tären Einstellung in der Welt. Wir helfen dort, wo wir Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. helfen können. Das ist aller Ehren wert. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Frau Ministerin, vielleicht warten Sie einen ganz kleinen Wir werden zusammen mit dem Minister den Haus- Augenblick, bis sich die Hektik in diesem Saal gelegt halt durchgehen. Beim letzten Haushalt haben wir mehr hat. – Ich darf die kommenden Kollegen bitten, die schei- als 40 Veränderungen vorgenommen und Mittel in Höhe denden Kollegen nicht nur herzlich zu begrüßen, sondern von mehr als 640 Millionen Euro von einer Position zur auch einfach Platz zu nehmen. anderen verschoben. Wir haben auf diese Art und Wei- se auch mit Ihren Vorgängern gute Haushalte zustande Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der gebracht. Ich bin sicher, dass wir unsere Wertschätzung Verteidigung: gegenüber den Bediensteten gerade in den Auslandsbot- schaften zum Ausdruck bringen werden. Wir haben über Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und 153 Botschaften in der ganzen Welt. Die Sicherheitsla- Herren! Wir bringen den Haushalt 2018 ein und beraten gen haben sich verändert. Die Gefährdungen sind grö- jetzt den Einzelplan 14. Er ist in der Reihe vieler Haus- ßer geworden, sodass wir hier manche Ausgaben tätigen halte natürlich eine Momentaufnahme. Ich möchte des- müssen. halb bei der Einbringung einige Punkte aufnehmen, die auch in der Debatte heute Morgen zur Sprache gekom- Lieber Kollege Bijan, wir nehmen auch Einsparungen men sind. vor, zum Beispiel bei Konferenzen und Tagungen. Hier Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns noch ein- müssen wir 48 Millionen Euro, die wir im letzten Jahr für mal gemeinsam klarmachen, woher wir kommen. 1990, den G-20-Gipfel bereitgestellt haben, nicht mehr ausge- im Jahr der Wiedervereinigung, hat Deutschland 2,4 Pro- ben. Gott sei Dank brauchen wir das Geld nicht mehr und zent des Bruttoinlandsproduktes in Verteidigung inves- wird es keine bürgerkriegsähnlichen Situationen mehr tiert. Niemand hat damals Angst vor Deutschland gehabt geben, wie wir sie in Hamburg erlebt haben. Die Dinge oder gesagt, es sei hoch militarisiert oder sonst etwas. sind besser geworden. (B) Danach setzte, übrigens am Anfang völlig berechtigt, ein (D) Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue Prozess ein, in dem reformiert wurde, womit über viele mich auf den fruchtbaren Dialog mit Ihnen, lieber Herr Jahre eine Schrumpfung und Kürzung einherging, Stich- Minister Maas. Es wird uns eine Freude sein, den Haus- wort „Friedensdividende“. Zu Recht haben wir alle ge- halt Anfang Juli dieses Jahres in der gewohnt soliden Art dacht, es werde immer ruhiger um uns herum. und Weise zu präsentieren. Aber dann kamen 2010 die Finanzkrise und ihre Aus- Vielen herzlichen Dank. wirkungen. Das geschah 20 Jahre nach der Wiederverei- nigung. Andere Institutionen hatten viel Speck angesetzt; (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- es war ihnen gut gegangen; sie hatten einen Aufwuchs ordneten der SPD) erlebt. Das galt für die Bundeswehr nicht: Sie hatte be- reits 20 Jahre Schrumpfung hinter sich. Herr Präsident, ich habe nicht so viel überzogen. Dann kam mit der Wirtschafts- und Finanzkrise eine Vizepräsident Wolfgang Kubicki: zusätzliche Sparaufage, die dazu führte, dass es unter die Grasnarbe und an die Substanz ging: Es wurden Er- 45 Sekunden. satzteilketten gekappt. Es wurden Materiallager aufge- braucht und nicht mehr aufgefüllt. Es wurden Obergren- Alois Karl (CDU/CSU): zen eingezogen, unter die die Bundeswehr schrumpfen Herrn Röttgen wird nichts erspart. sollte. Wir haben von der Substanz gelebt. Ich möchte einfach vorweg sagen: Es ist ein langer Prozess gewesen von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidi- Vizepräsident Wolfgang Kubicki: gungsausgaben in 1990 bis zum Tiefpunkt 25 Jahre spä- Herr Kollege Karl, herzlichen Dank für Ihren Bei- ter: 1,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2015. trag. – Zur Ehrenrettung des Kollegen Röttgen muss ich sagen: Nicht er schuldet Ihnen ein Getränk, sondern der Es kam dann das Jahr 2014. Unser Bundespräsident Parlamentarische Geschäftsführer ; denn hat es richtig zusammengefasst mit den Worten: Die Welt er hat entschieden, dass eine Minute Redezeit nicht bei ist aus den Fugen geraten. – Sie kennen die Stichwor- dem Kollegen Frei abgezogen wird, sondern bei Ihnen. te. Unsere Bundeswehr musste in den Einsätzen mehr Ich möchte jetzt darum bitten, dass ich zur Hälfte an dem leisten. Ganz neu war die Friedensmission MINUSMA Getränk beteiligt werde. der Vereinten Nationen. Wir mussten für Irak und Syri- en neue Einsätze auf die Beine stellen. Hinzu kamen die (Heiterkeit) Mission Sophia im Mittelmeer, die Flüchtlinge gerettet 3036 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) und Schlepper und Schleuser bekämpft hat, und die NA- Jedes Jahr seit dem Jahr 2014 haben wir den gesamten (C) TO-Aktivität in der Ägäis, um nur einige zu nennen. Etat des Einzelplans 14 ausgegeben. Außerdem kam eine zweite Aufgabe hinzu, die zuvor (Andrea Nahles [SPD]: Durch Verschieben lange vernachlässigt worden war: die Landes- und Bünd- zwischen den verschiedenen Blöcken!) nisverteidigung. Wir mussten im Baltikum Air Policing 2014 haben wir den gesamten Etat ausgegeben, so wie machen, und wir machen es bis heute. Wir waren die man zum Beispiel auch im Arbeitsministerium titelüber- allererste Nation, die bereit war, den Testpiloten für die greifend arbeiten darf, was ich als ehemalige Arbeitsmi- schnelle Speerspitze, die VJTF, auf die Beine zu stellen. nisterin weiß; Sie wissen das ebenfalls. Es gibt auch an- Wir sind das einzige kontinentaleuropäische Land, das dere Ressorts, die titelübergreifend arbeiten können. Wir unsere östlichen Nachbarn in Litauen schützt. Sie wissen, haben im Jahr 2014 den gesamten Etat ausgegeben; dass die Briten in Estland sind, die Kanadier in Lettland. Wir sind in Litauen die Rahmennation und die Ameri- (Andrea Nahles [SPD]: Bei militärischen kaner in Polen. Hinzu kam, dass Übungen verdoppelt Beschafungen haben Sie es nicht geschaft!) wurden. 2015, 2016 ebenso. Die einzige Ausnahme war das Wenn Sie das alles addieren, sehen Sie, dass wir mit Jahr 2017. Da sind 0,2 Prozent, also von 37 Milliarden altem Material und weniger Ersatzteilen mehr leisten Euro gerade mal 78 Millionen Euro, nicht ausgegeben mussten. Daher muss man sich nicht wundern, wenn die worden – aus einem einzigen Grund: weil vor der Bun- Decke überall zu kurz ist und es immer wieder knirscht. destagswahl die 25-Millionen-Vorlage für die Heron TP Diesen Teufelskreis zu durchbrechen, das ist die Aufgabe nicht mehr verabschiedet werden konnte; Sie alle kennen der nächsten Jahre. diese Geschichte. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. (Beifall bei der CDU/CSU) Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] meldet Deshalb ist es gut, dass wir die Heron TP im Koalitions- sich zu einer Zwischenfrage) vertrag gemeinsam verankert haben. Das sicherheitspolitische Konzept ist da. Das ist das Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Weißbuch der Bundesregierung 2016, das wir gemein- Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus sam im Kabinett, in der Großen Koalition beschlossen der Fraktion der Linken? haben, und das ist das im Koalitionsvertrag verankerte Prinzip der vernetzten Sicherheit, der Pakt für vernetzte Sicherheit. (B) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der (D) Verteidigung: Ja, Sicherheit kostet Geld. Allein mit Lippenbekennt- nissen werden wir die Sicherheit für Europa nicht schaf- Ich möchte gern im Fluss bleiben. Aber wir können fen und werden wir – der Kollege Müller weiß das besser gern nachher Kurzinterventionen machen. als ich – auch Sicherheit und Stabilität in Afrika nicht herstellen können. Unsere Soldatinnen und Soldaten Vizepräsident Wolfgang Kubicki: werden wir mit warmen Worten allein auch nicht best- Ich muss Sie aber trotzdem fragen. möglich und modern ausrüsten und ausstatten können. Das Verteidigungskonzept ist da, das Weißbuch 2016. Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Ich habe vor 14 Tagen die Konzeption der Bundeswehr Verteidigung: dem Parlament zugeleitet. Darin sind drei Prinzipien festgeschrieben: Gleichrangigkeit von Einsätzen und – Das war der Punkt, an dem wir die Trendwenden be- neu – Landes- und Bündnisverteidigung – da müssen gonnen haben. Die Bundeswehr wächst jetzt wieder. Man wir viel nachholen –; Multinationalität und Integration darf nicht vergessen: Beim zivilen Personal haben wir der Streitkräfte; Modernisierung, zum Beispiel Cyber. zehn Jahre lang einen Einstellungsstopp gehabt. Zehn Wir haben Quantensprünge gemacht beim Thema Cyber. Jahre keine jungen Menschen mehr! Die Obergrenzen Wir haben in der letzten Legislaturperiode eine sechste sind abgeschaft. Ich danke dem Parlament noch einmal Dimension aufgestellt. Neben Luftwafe, Heer, Marine, für das Vertrauen. Wir können endlich wieder atmen, der SKB und Sanität gibt es die sechste Dimension, näm- Situation angepasst. lich die Cybertruppe. 14 000 Männer und Frauen sind in dieser Cybertruppe. Wir haben das Forschungszentrum Wir investieren wieder mehr in die Bundeswehr. Die CODE mit 13 Professuren auf den Weg gebracht. Wir ha- Beschafungsaufträge haben sich im Volumen in der letz- ben an der UniBw München einen internationalen Mas- ten Legislaturperiode verfünfacht, um die Lücken zu terstudiengang auf den Weg gebracht; er hat in diesem füllen. Die Finanzlinie steigt. Aber wir sind gerade mal Jahr begonnen. Wir haben hier in Berlin den Cyber Inno- am Anfang. Das heißt, wir brauchen über mehrere Jahre vation Hub gegründet, der hinausgeht und im Ökosystem eine nachhaltig, stetig steigende Finanzlinie. der Start-ups die Technologien sucht, die uns interessie- Zu der Bemerkung, die ich manchmal hören muss: Ihr ren. Wir haben in diesem Haushalt 2018 verankert, dass könnt euer Geld ja gar nicht ausgeben. wir eine Agentur für disruptive innovative Cybertechno- logien auf den Weg bringen, gemeinsam mit dem Innen- (Andrea Nahles [SPD]: Das ist ja auch so!) ministerium. Da hat DARPA gedanklich Pate gestanden. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3037

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen (A) Meine Damen und Herren, das sind die Investitionen der weder ODA-Quote noch NATO-Quote sinken sollen, (C) Zukunft, die wir gemeinsam brauchen. sondern sich in einem Zielkorridor nach oben bewegen sollen, dass also, wenn ein Ressort zusätzliche Mittel be- Multinationalität und Integration. Ja, wir wollen tran- kommt, das andere Ressort bzw. die jeweils anderen Res- satlantisch bleiben – gar keine Frage; die Bundeskanzle- sorts, also AA und BMZ vice versa BMVg, dann auch rin hat heute Morgen viel dazu gesagt –, aber wir wollen eins zu eins zusätzliche Mittel bekommen. Das haben wir auch europäischer werden. Ich höre hier immer wieder: gemeinsam als Pakt für vernetzte Sicherheit im Koaliti- Antwort auf Macron. – In seiner Rede an der Sorbon- onsvertrag festgeschrieben. Deshalb möchte ich mit Ihrer ne vom September letzten Jahres fordert er „une Euro- Erlaubnis, Frau Nahles, gerne den letzten Satz aus Ihrer pe qui protège“ – ein Europa, das schützt –, und dann Rede heute Morgen zitieren: führt er genau das an, was wir schon zu diesem Zeitpunkt deutsch-französisch als Initiative auf den Weg gebracht Fangen wir doch einfach an, das umzusetzen, was hatten. Das heißt, wir sind vorangegangen. Wir sind die wir verabredet haben! Pioniere gewesen in der deutsch-französischen Initiati- ve, um gemeinsam eine europäische Verteidigungsunion Vielen Dank. aus der Taufe zu heben. Wir haben geliefert. Wir haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- im Dezember des letzten Jahres die europäische Ver- ordneten der FDP) teidigungsunion – das ist die PESCO – geschafen. 25 der bald 27 europäischen Staaten sind Mitglied in der PESCO. Wir haben eine Planungsprozesscharta auf den Vizepräsident Wolfgang Kubicki: Weg gebracht, womit endlich dafür gesorgt wird, dass Herzlichen Dank, Frau Bundesministerin. – Als wir uns in Europa auch abstimmen. Nächstes für die AfD-Fraktion der Kollege Rüdiger Im Augenblick ist gerade der neue Europäische Ver- Lucassen. teidigungsfonds im Trilog. Die Kommission will ihn, das (Beifall bei der AfD) Europäische Parlament will ihn, Mitgliedstaaten wol- len ihn. Der Europäische Verteidigungsfonds ist genau das richtige Instrument, um der Fragmentierung, die zu Rüdiger Lucassen (AfD): Recht immer wieder in Europa beklagt wird, ein Ende Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Meine Da- zu machen. Aber, meine Damen und Herren, der Frag- men und Herren auf der Regierungsbank! Der vorgelegte mentierung werden wir kein Ende machen – es gibt ja Verteidigungshaushalt passt zu Ihnen. Er ist konsequent derzeit 178 Wafensysteme in Europa, völlig zersplittert auf Linie Ihrer Politik der letzten 25 Jahre. Er steht in und überhaupt nicht aufeinander abgestimmt –, wenn wir völliger Übereinstimmung mit Ihrem Verantwortungsbe- (B) (D) nicht bereit sind, zunächst einmal in das Neue, in das wusstsein für die Sicherheit unseres Landes. Der Entwurf Gemeinsame auch zu investieren. Das bekommt man fügt sich nahtlos ein in Ihr Verständnis von Bündnissoli- nicht zum Nulltarif. Am Anfang müssen wir investieren. darität, in Ihr Verständnis von internationalen Vereinba- Später werden wir dann Skalenefekte haben und höhere rungen und in Ihren Politikstil, nämlich einen größtmög- Wirtschaftlichkeit erzielen. Vor diesem Hintergrund sind lichen Abstand zwischen Reden und Handeln zu halten. diese Investitionen wichtig. (Beifall bei der AfD) (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Ministerin von der Leyen, wie oft haben Sie davon Ein klassisches Beispiel dafür ist die Eurodrohne, gesprochen, dass die Welt um uns herum gefährlicher auf den Weg gebracht gemeinsam von Deutschland und geworden ist, und wie oft haben Sie Ihre sogenannten Frankreich, jetzt auch von Spanien und Italien. Das wird Trendwenden hinsichtlich Material und Personal be- das gemeinsame Pilotprojekt innerhalb der europäischen schworen? Wenn dieser Verteidigungshaushalt Ihre Ant- Verteidigungsunion sein. Das heißt, so kann man mit Be- wort auf die sicherheitspolitische Lage und den erbärmli- zug auf die Rede von Macron sagen: Das ist bereits ein chen Zustand unserer Streitkräfte ist, dann ist Ihnen nicht Beispiel. So macht man ein Europa, das schützt. mehr zu helfen. Wir gehen auch voran bei der Armee der Europäer. (Beifall bei der AfD) Wir werden mit der deutsch-französischen Brigade die Trainingsmission in Mali ab November übernehmen. Ich Es vergeht kein Tag ohne Hiobsbotschaften über den Zu- bin morgen in Bergen und werde dort mit der niederlän- stand der Bundeswehr. Jetzt schmeißen sogar Jet- und dischen Kollegin die niederländische Brigade besuchen, Hubschrauberpiloten frustriert ihren Traumberuf hin. die in eine deutsche Division integriert ist. Mit ihr ge- Die Regierung vernichtet nicht nur die Wehrfähigkeit meinsam werden wir die nächste schnelle Speerspitze der Deutschlands, sie zerstört auch Lebensentwürfe von jun- NATO stellen. Wir werden gemeinsam einen Letter of gen Frauen und Männern in unserer Bundeswehr. Intent für die Digitalisierung landbasierter Operationen der Zukunft unterschreiben. Das, meine Damen und Her- (Beifall bei der AfD) ren, ist ganz pragmatisch die gelebte europäische Vertei- Wissen Sie eigentlich, wie die Bundeswehr in der digungsunion. Öfentlichkeit und in den sozialen Medien dasteht? Als Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal festhalten: Witz. Sie haben unsere Bundeswehr zu einem Witz ge- Der Pakt für vernetzte Sicherheit, den wir gemeinsam macht. So wollen Sie geeignetes und motiviertes Perso- im Koalitionsvertrag beschlossen haben, beinhaltet, dass nal rekrutieren? 3038 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Rüdiger Lucassen (A) Mit dem Verteidigungshaushalt, den die Bundesregie- haben will. Falls sie das nicht will, sollte sie es allerdings (C) rung hier vorgelegt hat, kann unsere Bundeswehr nicht auch ofen aussprechen. wieder einsatzbereit gemacht werden. Im Gegenteil: Mit ihm kann noch nicht einmal der weitere Verfall aufgehal- Meine Damen und Herren, leider ist von dieser Bun- ten werden. Die AfD will die Vollausstattung der Bun- desregierung nicht zu erwarten, dass sie die notwendige deswehr. Kursänderung vornimmt. Dafür hat sie weder den Willen noch die Kraft. Ursula von der Leyen steht dafür exem- (Beifall bei der AfD) plarisch. Viereinhalb Jahre, Frau Ministerin! Das ist zur Führung des Verteidigungsressorts eine lange Zeit. In Wir halten es für eine Selbstverständlichkeit. dieser Zeit hätten Ergebnisse kommen müssen. Natürlich ist der erste Auftrag der Streitkräfte die Lan- (Beifall bei der AfD – Jürgen Braun [AfD]: des- und Bündnisverteidigung. Nehmen Sie einmal an, Positive vor allem!) Deutschland hätte keine Bundeswehr. Würden Sie dann Streitkräfte aufstellen, um nach Mali und Afghanistan In der Presse wird bereits seit Monaten darüber spe- zu gehen? Natürlich nicht. Wenn der Bundestag unsere kuliert, wohin die politische Reise der Ministerin geht. Soldaten also in den Auslandseinsatz schickt, dann kann Die meisten sagen: nach Brüssel. Ich wünsche uns und das immer nur eine Ausnahme sein, streng begründet den Soldaten der Bundeswehr, dass in Brüssel schnell ein durch Recht und das nationale Interesse Deutschlands. Posten frei wird. Auslandseinsätze dürfen in keinem Fall den originären Auftrag unserer Streitkräfte gefährden: die Landes- und (Beifall bei der AfD) Bündnisverteidigung. Vizepräsident Wolfgang Kubicki: (Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Tun sie doch auch nicht!) Herr Kollege, herzlichen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schreiben jetzt Geschäftsordnungsge- Wehrfähigkeit heißt Quantität. Ihre Politik hat die schichte. Während der Rede der Bundesministerin der Substanz unserer Streitkräfte aufgezehrt. Die Bun- Verteidigung hat der Kollege Dr. Neu um eine Zwischen- deswehr muss wieder wachsen. Ich sage Ihnen auch frage gebeten. Die Ministerin hat die Zwischenfrage nicht wie: Als Zielmarke peilen wir eine Gesamtstärke von zugelassen, sondern erklärt, sie wolle im Anschluss mit 240 000 Soldaten an. Wir orientieren uns dabei an dem dem Kollegen Neu sprechen. Ich habe bedauerlicherwei- Ergebnis der Weizsäcker-Kommission. Diese Zielmarke se das vehemente Winken nicht richtig aufgenommen. ist ohne Wehrpficht nicht sicherzustellen. Sie aufzuge- Der Kollege Dr. Neu wollte zu einer Kurzintervention ben war ein schwerer Fehler, der korrigiert werden muss. starten, die ich jetzt zulassen werde. (B) Wir brauchen unsere Wehrpficht zurück. (D) (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Er spricht (Beifall bei der AfD) doch sowieso noch! Er verlängert damit doch nur seine Redezeit! – Gegenruf der Abg. Darüber hinaus müssen wir die Aufwuchsfähigkeit der [DIE LINKE]: Das macht ihr Bundeswehr sicherstellen. Die AfD fordert ein Reservis- doch auch!) tenkorps, ähnlich der amerikanischen Nationalgarde – gut bezahlt, regelmäßig trainiert und im Inland einsetz- – Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich darum bitten, bar. Zielmarke: 50 000 Reservisten. dass wir jetzt einfach die Kurzintervention des Kollegen (Beifall bei der AfD) Dr. Neu hören. Wenn Sie, Frau Ministerin, darauf ant- worten wollen, können Sie Ihre Redezeit mit Ihrer Ant- Dies alles verlangt nicht nur einen höheren Verteidi- wort auch noch ausweiten. Ich lasse diese Kurzinterven- gungsetat. Wir brauchen auch ein Konzept zur territo- tion zu. rialen Verteidigung, auf dessen Basis beschaft und ge- gliedert werden kann. Der Verteidigungsetat 2018 muss Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): an den Stellen aufgestockt werden, wo marktverfügbare Lösungen auf dem Tisch liegen. Er muss aber auch dort Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie verwirren mich ein gesteigert werden, wo Forschung und Technologie not- wenig. Sie haben in Ihrer heutigen Rede dargelegt, die wendig sind, um die Bundeswehr wieder zu dem zu ma- Bundeswehr sei sozusagen schlecht ausgerüstet, und da- chen, was sie einmal war: ein ernstzunehmender Faktor für müssten weitere Milliarden von Steuergeldern locker- im Bündnis und das Rückgrat unserer Wehrfähigkeit. gemacht werden, um die Bundeswehr zu modernisieren. Sie haben am 24. April – mit Blick auf den vierten Etat (Beifall bei der AfD) der Bundeswehr – einen Brief, den Sie unterschrieben haben, an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages Verteidigungspolitik braucht Kontinuität und Pla- geschickt. Darin schreiben Sie, dass die Bundeswehr eine nungssicherheit. In Wales hat sich Deutschland verpfich- hochmoderne, engagierte und einsatzbereite Armee ist. tet, den Verteidigungsetat auf jährlich 2 Prozent des Brut- Also, was stimmt denn nun, das eine oder das andere? Ist toinlandsproduktes zu steigern. Was das bedeutet, trauen sie „einsatzbereit“ und „hochmodern“, oder ist sie eine Sie sich nicht auszusprechen. Ich möchte Ihnen helfen: unzureichend ausgerüstete veraltete Armee? Die AfD bekennt sich zu Wales und der Zielmarke von 70 Milliarden Euro für den Verteidigungsetat jährlich ab 2025. Die Bundesregierung muss ein klares Bekenntnis Vizepräsident Wolfgang Kubicki: dazu ablegen, bis wann sie das 2-Prozent-Ziel erreicht Frau Ministerin, bitte. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3039

(A) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Ich möchte auf solche parteipolitischen Aspekte der (C) Verteidigung: Auseinandersetzung heute nicht eingehen; vielmehr geht Die Bundeswehr ist eine hochmoderne Armee. Ich es mir im Kern um die Frage, wozu die Bundesrepublik habe Ihnen eben das gesamte Cyberthema präsentiert. Deutschland seit 1956 Jahr für Jahr große Summen für Vor vier Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass wir bei ihre Streitkräfte ausgibt und das auch in Zukunft tun den internationalen Trefen der Cybernationen – das sind wird. Im Grundgesetz steht dazu in Artikel 87a kurz und eine Handvoll – mit am Tisch sitzen. Da sitzen wir in- klar: zwischen. Die Bundeswehr ist eine einsatzbereite Armee. Wir haben uns vor allen Dingen immer auf den Bereich Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. der Einsätze konzentriert; das ist auch richtig so, da geht Diese schöne Norm hat eine Vorgeschichte. Cäsar hat es um Leben und Tod. einmal in einer unübertrofenen Formel eines seiner be- Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, dass wir rühmtesten Worte gesagt: zunehmend Landes- und Bündnisverteidigung machen müssen, zum Beispiel im Rahmen der VJTF, also der Si vis pacem, para bellum. – Wenn du Frieden willst, schnellen Speerspitze im Jahr 2019. Auch da werden bereite dich auf den Krieg vor. wir die Einsatzbereitschaft sicherstellen; aber der Preis ist hoch, da es noch viele Lücken und zum Teil hohle Auf Deutsch hat diese Formulierung nicht die gleiche Strukturen gibt. Der Preis ist hoch, da wir die Truppen lapidare Kraft. Aber der Satz bleibt doch der Grundge- und das Material aus anderen Verbänden dem Verband danke jeder echten Verteidigungspolitik, die eben keine zur Verfügung stellen müssen, der 2019 die VJTF ermög- Kriegspolitik ist; denn es geht nicht um Aggression, son- lichen wird. Deshalb wollen wir eine Trendwende und dern um die Fähigkeit, einem Aggressor die Stirn zu bie- die Modernisierung und die Erhöhung der Einsatzbereit- ten. Dafür haben wir die Bundeswehr. schaft der Kräfte. Im Jahr 2023 stellen wir wieder die Dafür sind wir auch Teil der NATO. Dank diesem schnelle Speerspitze, VJTF 2023, und wir wollen diese Verteidigungsbündnis kommen wir heute als Volk von Brigade mit eigenen Kräften, eigenen Mitteln und eige- 80 Millionen Menschen in der Mitte Europas mit einer nem Material so ausstatten, wie sie es verdient. Deshalb unglaublich kleinen Armee von weniger als 200 000 Sol- sind Investitionen in die Zukunft nötig. datinnen und Soldaten aus. Als Teil der NATO sind wir Vielen Dank. dann aber auch verpfichtet, entsprechend der Größe und der wirtschaftlichen Kraft dieses Landes einen angemes- (Beifall bei der CDU/CSU) senen Beitrag zu leisten. (B) (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Vizepräsident : CSU und der FDP) Das hat sich doch gelohnt. – Dann fahren wir fort in der Debatte. Als Nächstes hat das Wort der Kollege Fritz An Cäsars Formel, am Auftrag des Grundgesetzes und Felgentreu von der SPD. an unseren Bündnispfichten müssen wir jeden, also auch den vorliegenden Haushalt messen. (Beifall bei der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht darum, ob Dr. Fritz Felgentreu (SPD): wir genug tun, um auf mögliche militärische Herausfor- derungen vorbereitet zu sein. Im Zentrum dieser Frage Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be- steht die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, über die fnden uns gerade in einer engagierten Debatte darüber, ob diese Republik genug in die eigene Wehrhaftigkeit wir gerade in den letzten Monaten immer wieder Bitteres und ihre Bündnisfähigkeit investiert. Das Bundesvertei- lesen und hören mussten. digungsministerium betrachtet den vorliegenden Haus- Unsere Streitkräfte sind seit dem Ausbruch des Krie- haltsentwurf dafür noch nicht als geeignete Grund- ges in der Ukraine im Umbruch. Strukturell haben Re- lage – das ist interessant –, kritisiert diesen, hat dann gierung und Bundestag sie seit zwei Jahrzehnten darauf aber trotzdem zugestimmt. Das ist ein ungewöhnlicher ausgerichtet, in weltweiten Einsätzen einen Beitrag zur Vorgang, über den der Bundestag sprechen sollte. Viele Stabilisierung von Krisenregionen zu leisten. Aber 2014 Beobachter der politischen Landschaft gehen davon aus, hat der große, militärisch handlungsfähige Nachbar Russ- dass dieser Konfikt überhaupt nur deswegen in dieser land die strategische Entscheidung getrofen, die eigenen Ofenheit ausgetragen wird, weil das Finanz- und das Streitkräfte ohne Rücksicht auf internationales Recht Verteidigungsministerium in der neuen Bundesregierung einzusetzen, um seine Interessen durchzusetzen: zuerst von Ministern mit unterschiedlichen Parteibüchern ge- auf der Krim, dann im Donbass und später in Syrien. führt werden. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Mit dieser Entscheidung Moskaus hat sich die Si- GRÜNEN]: Das ist ein Gerücht!) cherheitslage in Europa und darüber hinaus grundlegend verändert. Seitdem muss die Bundeswehr auch wieder In der letzten Bundesregierung gab es die gleichen Pro- die von uns lange vernachlässigten Aufgaben der Bünd- bleme auch schon, aber eben nicht diese Art von ofener nis- und Landesverteidigung schultern und stößt dabei Debatte. erkennbar an ihre Grenzen. Es war deshalb richtig, schon 3040 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Fritz Felgentreu (A) in der 18. Legislaturperiode die Trendwenden bei Perso- Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) nal, Ausrüstung und Finanzierung einzuleiten. Herr Felgentreu, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pfüger von den Linken? (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: 30 Milliar- den!) Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Trendwenden bei der Ausbildung und bei der Geschwin- Nein, im Moment nicht. Ich möchte diesen Gedanken digkeit der Umsetzung müssen sie ergänzen, damit sie gern zu Ende führen. wirken. Ob wir den erreichten Zwischenstand positiv oder Vizepräsident Thomas Oppermann: negativ bewerten, hängt davon ab, was wir unter Ein- Bitte. satzbereitschaft verstehen. Halten wir die Bundeswehr schon für einsatzbereit, solange sie in der Lage ist, ihre Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Zusagen und die eingegangenen Verpfichtungen zu er- Aber wir können uns gerne hinterher darüber austau- füllen, dann ist die Bundeswehr einsatzbereit. Sie kann schen. die Mandate des Bundestages tragen, und sie füllt ihre Rolle in der NATO aus: bei gemeinsamen Manövern, mit (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: In einer Inter- der Präsenz im Baltikum und dadurch, dass sie 2019 er- vention danach?) neut die Speerspitze der NATO für Ost- und Mitteleuropa – So ist es. bildet, also binnen fünf Tagen eine verlegbare und voll ausgestattete Heeresbrigade stellt. Das schaft sie aber (Johannes Kahrs [SPD]: Hat er keine Redezeit nur unter größter Kraftanstrengung. Hier in Deutschland gekriegt, oder was? – Gegenruf von der LIN- muss die Bundeswehr dafür auf Ausrüstung verzichten, KEN: Ja, so war es! – Heiterkeit) die sie eigentlich für die Ausbildung und den Truppen- Das heißt, das Verteidigungsministerium und die Bun- dienst braucht. deswehrverwaltung müssen ihre Handlungsfähigkeit Verstehen wir unter Einsatzbereitschaft aber die Fä- steigern und ihre Efektivität unter Beweis stellen. Die higkeit zum Kampf in der ganzen Breite unserer Streit- SPD will eine mit Personal, Wafen und Gerät voll ausge- kräfte, meine Damen und Herren, dann sind wir davon stattete Bundeswehr. Ohne eine starke Bundeswehrver- weit entfernt. Es fehlt dazu an fast allem: an Personal, waltung werden wir diese nicht bekommen. an modernem Gerät, an Kommunikationsmitteln, an Mu- Damit wir diesem Ziel Schritt für Schritt näher- nition, besonders auch an Ersatzteilen und technischen kommen, wird der Verteidigungsetat bis 2021 um über (B) Kapazitäten. Aber gerade diese Fähigkeit ist es doch, die 10 Prozent wachsen. Im Vergleich zur 18. Legislaturpe- (D) den eigentlichen Sinn und Zweck einer Armee ausmacht, riode werden die Ausgaben sogar um 16 Prozent, von die auf neue Gefahren vorbereitet ist. 140 auf über 160 Milliarden Euro, steigen. Das Verteidi- Die große Aufgabe dieser Legislaturperiode wird es gungsministerium darf die zugeteilten Mittel auch über sein, einen spürbaren Fortschritt dabei zu erreichen, dass das Haushaltsjahr hinaus ausgeben. Das heißt, es können wir die Folgen der jahrelangen Mangelwirtschaft über- auch am Jahresende noch Bestellungen gemacht werden, winden. Dabei, meine Damen und Herren, ist Geld wahr- die erst nach der Lieferung im Folgejahr bezahlt werden lich nicht das einzige Problem. Im Gegenteil: Viel zu oft müssen. ist es dem Verteidigungsministerium in den letzten Jahren Wir wollen zudem alle rechtlichen Spielräume nutzen, gar nicht gelungen, die für Entwicklung und Beschafung um auf langwierige europäische Ausschreibungen zu vorgesehenen Haushaltsmittel überhaupt auszuschöpfen. verzichten, wo immer das sicherheitspolitisch erforder- lich ist. Für all das erwarten wir aber auch, dass es in Zu- (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) kunft für jede Verzögerung bei Beschafungsvorgängen, Bei Unterofzieren und Ofzieren sind laut Bericht für jede gescheiterte Verhandlung, für jedes technische des Wehrbeauftragten über 20 000 Stellen nicht besetzt, Problem einen Plan B, C, D und E gibt, der in der Schub- obwohl sie vorhanden wären. Am Bundesamt für Aus- lade liegt und der die Bundeswehr voranbringt. Kommt rüstung, also ausgerechnet bei der Behörde, die dafür der neue Hubschrauber nicht, dann wird das vorgesehene sorgen muss, dass die Truppe alles hat, was sie braucht, Geld eben für Lastwagen oder für Nachsichtgeräte aus- ist jede fünfte Stelle vakant. Ofensichtlich müssen wir gegeben. große Anstrengungen unternehmen, damit die Arbeit dort (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE für fachlich geeignete Nachwuchskräfte, für Hochschul- GRÜNEN]: Oder Korvetten!) absolventen, für ehemalige und aktive Soldaten, wieder attraktiv wird. – Da die Versorgungslücken überall sind, Kollege Lindner, kann es für nicht abgefossene Investitionsmittel Eines ist klar: Bevor wir hier im Deutschen Bundes- in Zukunft keine Ausrede mehr geben. Entscheidungsrei- tag sinnvoll darüber diskutieren können, ob die geplanten fe, gut vorbereitete Beschafungsvorhaben werden im Ausgaben für die Bundeswehr ausreichen, müssen erst Bundestag nicht scheitern. einmal das Ministerium und die Bundeswehrverwaltung ihre Hausaufgaben machen. Im Übrigen, meine Damen und Herren, gilt der Ko- alitionsvertrag. Er sieht vor, dass zusätzliche fnanzielle (Beifall bei der SPD) Spielräume mit Priorität für Entwicklung und Verteidi- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3041

Dr. Fritz Felgentreu (A) gung genutzt werden. Und am Ende wird ein Haushalt Dr. Fritz Felgentreu (SPD): (C) stehen, den die gesamte Regierung geschlossen einbringt Lieber Kollege Pfüger, ich bin ganz froh, dass ich Ihre und den die gesamte Koalition gemeinsam beschließt. Zwischenfrage vorhin nicht zugelassen habe; denn das ist ja wirklich ein ganz anderes Thema. Ich antworte Ihnen (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr schön!) aber sehr gerne darauf. Eine geteilte Verantwortung der Aufgaben für die Erstens: Es ist nicht ganz richtig, was Sie eben ge- Bundesrepublik Deutschland kann und wird es nicht ge- sagt haben. Schon in der letzten Legislaturperiode hat ben – weder in der Innenpolitik noch in der Sozialpolitik die SPD gesagt: Dem Vorhaben, eine bewafnungsfähige noch in der Frage, was diese Republik in ihre Wehrhaf- Drohne anzuschafen, können wir uns anschließen, weil tigkeit und ihre Bündnisfähigkeit investiert. heute mit dem erforderlichen technischen Standard auch (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!) zu Aufklärungszwecken überhaupt nur noch bewaf- nungsfähige Drohnen erwerbbar sind. Das ist ein ganz Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. wichtiger Punkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zweitens: Wir haben damals aber gesagt: Wir wollen Johannes Kahrs [SPD]: Großartige Rede!) sie nicht bewafnungsfertig kaufen. Die Vorlage, die im Sommer 2017 in den Bundestag kam, sah aber bereits eine Stufe der Bewafnungsfertigkeit vor. Das war der Vizepräsident Thomas Oppermann: Streit, den wir damals hatten. Herr Kollege Pfüger, ich gebe Ihnen die Gelegenheit zu einer Kurzintervention von zwei Minuten. In der Zwischenzeit ist Folgendes passiert: Wir hatten eine Bundestagswahl, und wir hatten eine Regierungsbil- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Betonung dung. Während der Regierungsbildung gab es Verhand- liegt auf „kurz“!) lungen, und das Ergebnis dieser Verhandlungen fnden Sie im Koalitionsvertrag. Im Koalitionsvertrag steht: Wir Tobias Pfüger (DIE LINKE): werden noch in diesem ersten Halbjahr die Vorlage be- kommen, um diese bewafnungsfähigen Drohnen anzu- Vielen Dank. – Ich habe eigentlich eine sehr konkrete schafen. Über die Frage, ob sie irgendwann auch einmal Frage an den Kollegen von der SPD. Die Ministerin hat bewafnet werden sollen, wird dieser Bundestag noch vom Beschafungsprojekt Heron TP gesprochen. Dieses einmal in einer breit angelegten Debatte beraten. Projekt hat die SPD damals kurz vor der Bundestagswahl im Verteidigungsausschuss bzw. Haushaltsausschuss ab- ( [BÜNDNIS 90/DIE (B) setzen lassen. Jetzt haben wir die Mitteilung bekommen, GRÜNEN]: Das stand schon im letzten Koa- (D) dass die Koalition ofensichtlich plant, dieses Projekt He- litionsvertrag!) ron TP nun gemeinsam umzusetzen. Die Ergebnisse dieser Debatte nimmt der Koalitions- Zur Information sage ich noch einmal: Es handelt sich vertrag nicht vorweg. Das ist der Stand, den wir heute um eine bewafnungsfähige Drohne, die da erworben haben. Allerdings liegt die Vorlage bisher noch nicht vor. werden soll. Als Gesamtkosten werden einmal 897 Mil- Ich hofe, ich habe Ihnen damit erschöpfend Auskunft er- lionen Euro und einmal über 1 Milliarde Euro genannt. teilen können. Es gibt eine sogenannte Angebotsbindefrist bis zum (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – 31. Mai. Da bin ich sowieso gespannt, wie das Verteidi- Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Pfüger, setzen, gungsministerium das machen will. sechs!) Meine Frage an den SPD-Kollegen ist: Sind Sie jetzt im Gegensatz zur Zeit vor der Bundestagswahl, als Sie Vizepräsident Thomas Oppermann: gegen die Anschafung dieser bewafnungsfähigen Droh- Dann setzen wir die Debatte fort mit dem Kollegen nen waren, jetzt, nach der Bundestagswahl, ofensicht- Karsten Klein von der FDP, lich für die Beschafung dieser bewafnungsfähigen Drohnen? Wir Linke sagen nämlich ziemlich klar: Be- (Beifall bei der FDP) wafnungsfähige Drohnen sollte die Bundeswehr nicht der heute seine erste Rede im Deutschen Bundestag hält. bekommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ingo (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE Gädechens [CDU/CSU]: Hören wir erst ein- GRÜNEN]: Wir auch! – Alexander Graf mal, was er sagt!) Lambsdorf [FDP]: Ihr wollt, dass die Bun- deswehr überhaupt nichts bekommt! – (FDP): Dr. ­Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Karsten Klein Ihr wollt nicht mal, dass das Ding fiegt! – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Florian Hahn [CDU/CSU]: Die wollen ja kei- Kollegen! Die internationale Sicherheitslage macht es ne Bundeswehr! Das ist es!) zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zwingend nötig, dass die Bundeswehr auf zwei sicherheitspolitischen Feldern einsatzbereit ist. Das Vizepräsident Thomas Oppermann: sind zum einen die Auslandseinsätze und zum anderen Kollege Felgentreu, möchten Sie antworten? die Landesverteidigung. Wir Freie Demokraten sehen 3042 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Karsten Klein (A) klar, dass sich die Bundesrepublik diesen Herausforde- aber der Ablauf im Trichter bleibt genauso eng wie vor- (C) rungen stellen muss; denn dies dient der Verteidigung her. Das alles ist aber kein efzienter Einsatz von Haus- unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und haltsmitteln. unseres Gemeinwesens. (Beifall bei der FDP) Im Zentrum unserer Parlamentsarmee stehen natürlich Dem Willen des Deutschen Bundestages, die Parlaments- die Soldatinnen und Soldaten. Nebenbei erwähnt: Die armee besser auszustatten, kommt die Bundeswehr unter Personalausgaben sind im Haushalt des Einzelplans der Ihrer Führung nur unzureichend nach. größte Posten. Egal welches Zukunftsszenarium wir zu- grunde legen, es werden Menschen sein, die die zentrale (Beifall bei der FDP) Rolle bei der Verteidigung unserer freiheitlich-demokra- Bevor Sie also große, weitere Aufwüchse einfordern, tischen Grundordnung spielen. Deshalb wird es entschei- sollten Sie dafür Sorge tragen, dass die von uns Ihnen dend sein, über welche Fähigkeiten die Menschen ver- anvertrauten Mittel auch ausgegeben werden, und zwar fügen, mit welcher Ausrüstung sie ausgestattet sind und zielgerichtet. Geradezu erschreckend ist, wenn man fest- wie motiviert sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sind. stellen muss, dass es nicht nur die großen Investitions- Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben die deutsche projekte sind, die die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr Öfentlichkeit im Januar 2014 wissen lassen: und die Einhaltung der Bündniszusagen infrage stellen. Nein, es sind vor allem auch die kleinen Anschafungen Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der at- in geringer Finanzhöhe. Zum Beispiel fehlt eine Dich- traktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. tung für den Kühlkreislauf im Eurofghter. Letzte Woche Die Realität, liebe Kolleginnen und Kollegen, sieht erreichte uns die Meldung, dass die Übungsteilnahme heute leider anders aus. Die Unzufriedenheit bei den der Bundeswehr durch das Fehlen von sage und schrei- Soldatinnen und Soldaten ist erschreckend hoch. Bei- be 6 400 Sturmhauben im Einzelwert von 6,41 Euro ge- spielhaft hierfür steht die Rede von Kapitän zur See Jörg-­ fährdet ist. Liebe Frau Ministerin, das zeigt: Die aktuell Michael Horn, vom März 2018, in der er deutlich macht, größte Herausforderung für Sie ist, die Prozesse in den wie er das Vertrauen in die politische Führung der Bun- Grif zu bekommen, bei kleinen und großen Projekten. deswehr verloren hat. Es ist höchst bedauerlich für die Soldatinnen und Solda- ten, dass Ihnen das in den letzten viereinhalb Jahren nicht Frau Ministerin, es herrscht Misstrauen zwischen Ih- gelungen ist. nen und Teilen der Truppe. Wir Freien Demokraten hal- ten es für dringend geboten, dass Sie das Verhältnis mit (Beifall bei der FDP) den Soldatinnen und Soldaten klären; denn es ist unab- Insofern möchte ich am Schluss noch mal festhalten: (B) (D) lässig für die Motivation der Bundeswehr. Die vom Bundestag zur Verfügung gestellten Mittel er- (Beifall bei der FDP) reichen nur eingeschränkt ihre Ziele. Wir empfehlen Ih- nen dringend, dafür Sorge zu tragen, dass sich das ändert; Entscheidend zur Schwächung der Motivation und zur denn das wird der Schlüssel dazu sein, dass die Aufwüch- Fähigkeit der Bundeswehr trägt aber die aktuelle Situati- se auch zu einer besseren Einsatzfähigkeit der Bundes- on bei der Ausrüstung bei. Die Lage ist kritisch, die Män- wehr führen. Dafür zu sorgen, Frau Ministerin, ist Ihre gelliste lang, egal ob wir über U-Boote, Puma oder den Verantwortung. A400M reden. Eine abschreckende Wirkung der Bundes- wehr ist kaum vorhanden. Wir Freien Demokraten sehen Ich würde – um im Bild von Odysseus zu bleiben, das es für dringend geboten an, dass die Ausrüstungsmängel wir gerade in der vorhergehenden Debatte hatten – drin- behoben werden. Die Aufwüchse im Verteidigungshaus- gend empfehlen, dass Sie nicht zehn Jahre warten, bis Sie halt sind beachtlich. Beachtlich, Frau Ministerin, ist aber den Zickzackkurs und das Herumirren beenden. Tun Sie auch, wie wenig bei der Truppe ankommt. das schnell, am besten gleich. (Beifall bei der FDP) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Der Beschafungsprozess dauert zu lange. Immer dann, (Beifall bei der FDP) wenn die Beschafung ausgelöst ist, ist die Durchführung mit Problemen behaftet. Es gibt kaum ein Projekt, das Vizepräsident Thomas Oppermann: im Kosten- und Zeitrahmen bleibt. Jahr für Jahr wird ein Als nächsten Redner rufe ich auf: Michael Leutert, großer Anteil der zur Verfügung gestellten Mittel im Be- Bündnis – – nicht Bündnis 90/Die Grünen, sondern Frak- reich der Rüstungsinvestitionen nicht ausgegeben. 2 Mil- tion Die Linke. liarden Euro, Frau Ministerin, haben Sie in Ihrer Amtszeit für Rüstungsinvestitionen liegen lassen. Im Hinblick auf (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei den gesamten Haushalt verweise ich auf die Zwischenru- Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- fe der Fraktionsvorsitzenden der SPD, Frau Nahles, die SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Tobias Lindner ich in dieser Debatte sehr bemerkenswert fnde. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das merkt man schon!) (Beifall bei der FDP) Frau Ministerin, das Beschafungswesen der Bun- Michael Leutert (DIE LINKE): deswehr gleicht unter Ihrer Führung einem Trichter. Sie Auf alle Fälle noch, Herr Präsident, wahrscheinlich versuchen permanent, die Trichteröfnung zu erweitern, auch immer. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3043

Michael Leutert (A) Kollegen! Da wir uns ja ofensichtlich in der letzten Le- beim ADAC Flugstunden ein, damit weiterhin Lizenzen (C) gislaturperiode der Ära Merkel befnden, vergeben werden können. –

(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na! (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist doch Vorvorletzte!) genau in Ihrem Sinne eigentlich, oder?) Das alles passiert, obwohl jedes Jahr 8 Milliarden Euro möchte ich einen Blick auf den Anfang werfen, auf 2005, mehr zur Verfügung standen. als die Ära begann. Da fällt im Übrigen Folgendes auf: Frau Ministerin, Sie haben sich zumindest am längsten Jetzt soll einer Finanzplanung zugestimmt werden, an der Spitze des Hauses gehalten; alle vier Männer vor nach der das Verteidigungsministerium gemessen an den Ihnen haben es nicht so lange geschaft. Istausgaben 2017 in den nächsten Jahren – bis 2022 – 22,5 Milliarden Euro mehr bekommt. Ich glaube, das ist (Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD] – der völlig falsche Weg; denn es geht hier nicht einfach Andrea Nahles [SPD]: Das ist einen Extraap- nur um mehr Geld. Wir müssen feststellen, dass wir kei- plaus wert!) ne efektiven Strukturen und ein schlechtes Management haben – das ist das Problem der Bundeswehr. Trotzdem: Fünf Verteidigungsminister in 13 Jahren – das spricht nicht gerade für Kontinuität. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Aber jetzt NEN]) haben wir Frauen!) Man kann es ja auch mal mit ähnlichen Größenord- nungen vergleichen, zum Beispiel mit Frankreich oder Ganz anders sieht es allerdings bei den Finanzen aus. Großbritannien, die eine ähnliche Truppenstärke, aber Dort gibt es nämlich Kontinuität. Im Jahr 2005 wurde ein mehr Großgeräte haben. Mir sind solche Probleme aus Verteidigungsetat von 24 Milliarden Euro übernommen, diesen Ländern in der Größenordnung nicht bekannt. und 2018 soll er bei 38,5 Milliarden Euro liegen. (Zuruf von der SPD: Mir schon!) (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Zu wenig!) Und nun wird ja die Geisterdebatte um die 2-Pro- Ich spreche hier noch nicht über die Finanzplanung. zent-Quote geführt. Sie entspräche 70 Milliarden Euro, Wenn man diese Aufwüchse zusammenaddiert, kommt die pro Jahr für Verteidigung ausgegeben werden müss- man auf einen Betrag von 109 Milliarden Euro, die in ten. An dieser Stelle möchte ich gerne den ehemaligen diesen 13 Jahren zusätzlich zum Bundesministerium Außenminister Sigmar Gabriel zitieren, der auf der Si- (B) der Verteidigung gefossen sind. Das heißt, die Vertei- cherheitskonferenz 2017 Folgendes sagte: Griechenland (D) digungsminister hatten jedes Jahr gut 8 Milliarden Euro sei eines der Länder, die dieses Ziel – mit einer Quote mehr zur Verfügung als im Jahr 2005. von 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – erreicht hätten, „während man gleichzeitig die Renten nicht aus- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Schöne Schif- zahlen“ könne. Man solle darüber nachdenken, „ob dies fe, schöne Flugzeuge!) zu mehr Stabilität in Griechenland führt“. Recht hat er.

Trotzdem gibt es leider auch bei einem anderen Punkt (Beifall bei der LINKEN) Kontinuität, nämlich bei den Problemen. Es wurde hier Ich denke schon, dass wir hier endlich mal zu der schon mehrfach angesprochen: Flugzeuge und Hub- Methode zurückfnden sollten, dass wir erst klären, was schrauber fiegen nicht, U-Boote tauchen nicht, Schife denn gewollt ist, worum es denn eigentlich geht. Man schwimmen nicht, und alles wird immer teurer. Jeder, der kann nicht einerseits immer von Bündnisverteidigung konkrete Beispiele haben möchte, kann zum Beispiel in sprechen und andererseits, wenn man mehr Geld braucht, den Bericht des Wehrbeauftragten – er sitzt ja hier und dies mit der Landesverteidigung begründen. Im Übrigen: hört auch zu – hineinschauen. Darin ist im Zusammen- Mit dem Begrif „Landesverteidigung“ nähern wir uns hang mit dem Transportfugzeug A400M davon die Rede, langsam der linken Programmatik an; denn in unserem dass zeitweise keine der 14 Maschinen einsatzbereit war, Grundsatzprogramm steht: Bundeswehr als Landesver- oder im Zusammenhang mit den U-Booten, dass kein teidigungsarmee. – Es muss also geklärt werden: Was ist einziges fahrbereites U-Boot mehr zur Verfügung steht. die Aufgabe? Dann kann man darüber diskutieren, wie viel Geld das kostet, und erst dann kann man eine Ent- (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die waren scheidung trefen. getaucht!) Das betrift auch die Großgeräte – es wurde gera- Wenn man nicht so weit zurückschauen will, entdeckt de angesprochen –: der Einkauf oder das Leasing von man in diesem Monat auf „Spiegel Online“ zwei Dinge, Drohnen Heron TP. Auch hier wird eine Scheindebatte erstens die Schlagzeile: „Luftwafe hat nur vier kampfbe- geführt. Ob es nun bewafnungsfähige Drohnen oder be- reite ‚Eurofghter‘“ – von 128. Zweitens war Folgendes wafnete Drohnen sein sollen oder, wie ich jetzt in einer zu lesen: Weil nicht einmal ein Drittel der Hubschrauber Vorlage vom Verteidigungsministerium gelesen habe, einsatzbereit sind – ich spreche im Übrigen nicht von der bewafnungsfertige Drohnen – das ist doch überhaupt Studiensammlung in Koblenz, sondern von den realen nicht die Frage, die uns interessiert. Die Frage ist doch: Geräten –, können die Piloten keine Flugstunden absol- Wozu braucht man überhaupt Drohnen? Wofür sollen sie vieren, verlieren ihre Lizenz, und die Bundeswehr kauft eingesetzt werden? Erst wenn über diese Frage politisch 3044 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Michael Leutert (A) diskutiert und politisch entschieden wurde, kann man die – ah, sehr gut – antwortete mir: Die Sitzungen der Bun- (C) Folgefragen klären. Aber das ist bisher nicht passiert, desregierung sind vertraulich. – Ja, herzlichen Dank, obwohl angekündigt wurde, dass das eigentlich in einer Frau Kollegin Hagedorn. breiten Debatte geklärt werden soll. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko- Zusammenfassend kann man sagen: Dieser Haushalt alition, was Sie die letzten Wochen aufgeführt haben, hat leistet keinen Beitrag zu mehr Sicherheit. Das Einzige, mehr mit mittelmäßigem Kabarett zu tun als mit seriösen was passiert, ist, dass das Bundesministerium für Ver- Beratungen eines Verteidigungsetats. Das hilft den Steu- teidigung dem Etat real Geld entzieht, das für sinnvolle erzahlerinnen und Steuerzahlern nicht, und es hilft erst Vorhaben ausgegeben werden könnte, die mehr Sicher- recht nicht der Truppe. heit bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. und bei der FDP – Florian Hahn [CDU/CSU]: Du bist nur sauer, dass du nicht dabei bist!) (Beifall bei der LINKEN) Dabei fällt eines völlig hinten runter, Frau von der Vizepräsident Thomas Oppermann: Leyen: Sie bekommen schon verdammt viel mehr Geld. Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bünd- (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: So ist es!) nis 90/Die Grünen. Wenn man sich den Unterschied vom 50. zum 51. Fi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nanzplan der Bundeswehr anschaut, stellt man fest: Sie haben 9 Milliarden Euro zusätzlich erhalten. Die Eck- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): werte zum 52. Finanzplan sehen weitere 2,7 Milliarden Euro vor. Das sind fast 12 Milliarden Euro. 12 Milliarden Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Euro! Diese Zahl muss man sich auf der Zunge zergehen Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lassen. Das ist mehr, als das Auswärtige Amt, über das Für mich ist es das siebte Mal, dass ich hier vorne ste- wir zuvor gesprochen haben, als Etatansatz hat. he und über einen Verteidigungshaushalt debattiere. Ich will den Kolleginnen und Kollegen der Großen Koaliti- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das ist aber nö- on zugestehen: Ich bin angesichts des Streits der letzten tig!) Wochen ein bisschen überrascht, dass es heute überhaupt einen Etatentwurf gibt, über den man debattieren kann. Dabei hat sich im Vergleich zu den Koalitionsver- handlungen, bei denen Sie sich auf den 51. Finanzplan So etwas habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht erlebt: festgelegt haben, überhaupt nichts geändert. Erklären Sie (B) Der Etatentwurf war im Kabinett noch nicht beschlos- mir doch bitte, was sich in den letzten vier Monaten ge- (D) sen, da bricht schon ein öfentlicher Streit aus. Frau von ändert haben soll, dass Sie mit einer zweistelligen Milli- der Leyen und Herr Müller erzählen überall, dass sie eine ardenzahl um die Ecke kommen. Wenn dem wirklich so Protokollerklärung im Bundeskabinett abgegeben hätten, ist, dann machen Sie Ihren Job nicht richtig. Wenn es al- weil sie den Etat in der jetzigen Form kritisch sähen und lerdings schon vor vier Monaten einen Grund dafür gab, mehr Geld brauchten. dann müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie damals Sie, Frau von der Leyen, fordern einen zweistelligen keine Protokollerklärung abgegeben haben, Frau von der Milliardenbetrag. Olaf Scholz sagte gestern hier, dass ein Leyen. verteidigungspolitisches Konzept nicht allein dadurch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gut wird, dass es teuer ist. Recht hat er. Dann kommt Florian Hahn [CDU/CSU]: Also, zuerst hat sie auch noch der geschätzte Kollege Kahrs – er ist leider zu viel herausgeholt und dann zu wenig? Das nicht mehr hier; vermutlich muss er Korvetten kaufen versteht doch keiner!) gehen – und sagt, Es gibt noch einen weiteren Punkt. Sie verweisen (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Das ist der ständig – heute haben Sie es wieder getan – auf die vielen Lobbyist, genau!) Aufgaben, die die Bundeswehr zu leisten hat. Ja, die Bun- die Strukturprobleme in Ihrem Haus seien nicht gelöst, deswehr leistet viel, unter anderem international bei Ein- Sie hätten immer 1 Milliarde Euro an den Finanzminister sätzen innerhalb der NATO. Aber diese Aufgaben fallen zurückgegeben. Das alles fndet öfentlich statt: hier im doch nicht vom Himmel. Wir, der Deutsche Bundestag, Haus, im „Spiegel“, in der „Frankfurter Allgemeinen“ legen die Aufgaben fest. Deshalb sage ich, Frau von der und in der „taz“. Leyen: Sie können nicht nur im Vorfeld eine transparente Debatte über das Weißbuch führen, Ihren Staatssekretär (Dr. Reinhard Brandl [CDU/CSU]: Und wer dann im Verteidigungsausschuss sagen lassen, es sei gar wird zitiert? Der Kollege Lindner!) nicht vorgesehen, über die Konzeption der Bundeswehr zu debattieren, und dann so tun, als hätten diese Doku- Als interessierter Haushälter frage ich nach: Was mente Aufgaben erzeugt, für die wir jetzt die Rechnung ist der Wortlaut Ihrer Protokollerklärung, Frau von der bezahlen müssen. So geht es nicht. Leyen? Frau Hagedorn aus dem BMF – leider ist sie nicht hier – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Doch! – Abg. Bettina Da wir eine Parlamentsarmee haben, müssen wir zuerst Hagedorn [SPD] erhebt sich) hier, in diesem Haus, vernünftig über Auftrag und Aufga- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3045

Dr. Tobias Lindner (A) be diskutieren, bevor Sie am Ende des Tages mit irgend- untermauern müssen, damit sie ihren Auftrag erfüllen (C) einer Rechnung kommen können. können. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die sicherheitspolitische Lage hat sich verändert; da- und bei der LINKEN – Tobias Pfüger [DIE rauf ist mehrfach, auch in der Debatte über den Haushalt LINKE]: Da hat er recht!) des Auswärtigen Amts, hingewiesen worden. Es besteht Handlungsbedarf für uns in Deutschland, innerhalb der Ein letzter Punkt in Sachen Geldausgeben: Es ist un- Europäischen Union, innerhalb der NATO, innerhalb der streitig, dass Sie das Geld des gesamten Verteidigungse- Vereinten Nationen und auch innerhalb der OSZE. Es tats irgendwie loswerden. Sie haben in Ihrem Haushalt, gilt der Grundsatz, dass wir immer eingebunden agieren, der übrigens fexibilisiert ist wie kaum ein anderer, be- immer vernetzt, nie militärisch allein. Wir müssen aber wusst Staubsauger eingebaut. Die Auslandseinsätze zum auch deutlich machen, dass der militärische Einsatz nicht Beispiel haben Sie eher auf unterem Level veranschlagt, zwingend Ultima Ratio ist. Das ist zwar immer der hef- und auch die Personalausgaben haben Sie eher zu gering tigste Einsatz; aber manchmal ist es wichtig, frühzeitig veranschlagt, damit das Geld, das im Bereich Rüstung Stärke zu zeigen, um einen Flächenbrand zu verhindern. liegen bleibt, umgeschichtet werden kann, sodass Sie sich dann hierhinstellen und sagen können: Ich habe das Die sicherheitspolitische Lage hat sich komplett ge- Geld komplett ausgegeben. – Was Sie da produzieren, ist ändert. Es ist gut, dass wir als Koalition aus CDU, CSU eine Gleichzeitigkeit von Überfuss und Mangel. Wenn und SPD hier die Verantwortung deutlich abbilden. Man Sie so agieren, müssen Sie ja ein Konzept haben, bei dem kann das nicht so machen, wie die Grünen das hier ge- von vornherein feststeht, dass bei den Rüstungsausgaben macht haben: Mal kritisieren Sie, dass die Diskussion zu Geld liegen bleibt; denn sonst wären Sie ja gar nicht in ofen ist, der Lage, das Personal zu bezahlen. Nein, meine Damen (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE und Herren, das hat mit seriöser Haushaltspolitik, das hat GRÜNEN]: Was?) mit einem seriösen Verteidigungshaushalt nichts zu tun. Ich kann Sie von der Großen Koalition mit Blick auf die dann kritisieren Sie, dass Kabinettsdiskussionen geheim Beratungen in den kommenden Wochen nur aufordern: sind. Mal kritisieren Sie, dass zu wenig ausgegeben wur- Hören Sie auf mit dem Kabarett, und kommen Sie zurück de, dann kritisieren Sie, dass zu viel ausgegeben wurde. – zur seriösen Haushaltsberatung. Wir Grüne werden unse- Das ist der alte Grundsatz der Grünen: Ein bisschen hier- re Vorschläge machen. von und ein bisschen davon. Nein, wir brauchen klare Strukturen. Diese bilden sich im Haushalt ab. Wenn in Herzlichen Dank. Zeiten eines kompletten sicherheitspolitischen Klima- wandels die Gefahr steigt, dann müssen wir den sicher- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) heitspolitischen Deich erhöhen. Das ist Ausdruck unserer (D) Verteidigungspolitik, und das bildet sich im Haushalt ab. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich eine Bemerkung machen. Ich freue mich darüber, dass Die Welt ist instabiler geworden. Das hat vor allem auch Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr an dieser damit zu tun, dass Russlands Politik den Kurs einge- Aussprache über den Etat der Bundeswehr teilnehmen. schlagen hat, die Souveränität benachbarter Länder ein- Ich begrüße ganz herzlich den Gesamtvertrauensperso- zuschränken. Da muss ich mit einem Blick nach links, nenausschuss und den Inspekteur des Sanitätsdienstes wo es ja ein Näheverhältnis zur russischen Politik gibt, der Bundeswehr. – Ich möchte mich bei Ihnen, stellver- ( [DIE LINKE]: Was ist tretend für alle Soldaten und Soldatinnen, für den hohen das für ein Schwachsinn!) persönlichen Einsatz bedanken, mit dem Sie unsere Si- cherheit gewährleisten. aber auch mit einem Blick an die rechte Kante unseres Parlamentes – die Ergebnisse, zu denen Sie kommen, (Beifall) sind ja immer identisch – deutlich sagen, dass die Politik der AfD ofensichtlich klar auf den Kalten Krieg ausge- Wir fahren in der Debatte fort. Als Nächster hat richtet ist, als der Feind deutlich sichtbar war. Henning Otte für die CDU/CSU das Wort. (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie er- (Beifall bei der CDU/CSU) zählen Quatsch!) Ich habe den Eindruck, Sie träumen von dieser alten Zeit. Henning Otte (CDU/CSU): Ich kann Ihnen nur sagen: Die Welt ist komplexer gewor- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol- den. Da reichen Ihre einfachen Antworten nicht, meine legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Damen und Herren. Grundgesetz steht in Artikel 87a, dass der Bund die (Zurufe von der AfD – Heike Hänsel [DIE Streitkräfte aufstellt und dass die zahlenmäßige Stärke LINKE]: Der Kalte Krieg ist vorbei!) und die Grundzüge der Organisation sich aus dem Haus- haltsplan ergeben müssen. Deswegen ist es gut und wich- Wir hatten den klaren Auftrag, zu verhindern, dass tig, dass wir hier miteinander so ausgiebig über den Ein- sich ein IS-Terrorstaat bildet. Unser Weg war erfolg- zelplan 14 – Verteidigung – diskutieren. Es muss deutlich reich. Er ist nämlich zerschlagen worden. Aber der IS ist dargestellt werden, dass wir unsere Streitkräfte fnanziell weiter vorhanden. Deswegen müssen wir Obacht geben 3046 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Henning Otte (A) und immer auf das Unvorhergesehene vorbereitet sein. von 130 Milliarden Euro brauchen werden. Dieses Geld (C) Es war richtig, den Kampf gegen den IS-Terror zu un- wird auch ausgegeben. Wir haben in der letzten Legisla- terstützen. Es war richtig, die Peschmerga auszubilden turperiode das Fünfache investiert. Sie sollten aufhören, und auszurüsten. Es ist auch richtig, dass wir weiterhin das Märchen zu erzählen, dass dieses Geld nicht ausge- unseren Beitrag in Afghanistan leisten; denn Afghanistan geben wird. darf kein Rückzugsort für Terror werden. Es ist richtig und wichtig, dass wir in Mali einen Beitrag leisten, um Die Soldaten brauchen eine persönliche Schutzausrüs- die stabilen Strukturen dort zu stärken und dafür zu sor- tung, und sie brauchen mehr und modernes Material. gen, dass die Fluchtursachen nicht vermehrt werden. Es (Andrea Nahles [SPD]: Das ist doch genau ist nach wie vor auch wichtig, dass wir im Kosovo einen der Punkt!) Beitrag leisten, um mitten in Europa die Stabilität zu er- halten. Wir leisten einen Beitrag innerhalb des Bündnisses, in- nerhalb der NATO. Aber wir sagen deutlich, dass wir Dafür brauchen wir fnanzielle Mittel. Für 2018 wer- auch auf der Ebene Europas als zweiter Säule der NATO den 38,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Für 2019 wird einen wichtigeren Beitrag leisten müssen, und zwar im mit 41,5 Milliarden Euro, für 2022 mit 42,6 Milliarden Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit. Euro geplant. Wir müssen deutlich machen, dass wir den Sie hat zu einer enormen Prozessbeschleunigung geführt. Zielkorridor, den wir in der NATO vereinbart haben, klar Aber dieser Prozess muss dynamisiert werden, und zwar im Visier haben. Es geht darum, die Fähigkeiten zu ver- in den Bereichen Logistik, Ausbildung und Medizin, aber bessern. Hier stellen wir ganz klar fest: Die Eckwerte, die eben auch beim Kampf. Deswegen war es gut, dass die bisher vorgesehen sind, müssen verstärkt werden. Wir Verteidigungsministerin mit dem Weißbuchprozess deut- brauchen eine bessere Ausrüstung für unsere Truppe, wir lich gemacht hat, wo die sicherheitspolitischen Heraus- brauchen eine Modernisierung, und wir brauchen eine forderungen liegen. Durch die Konzeption der Bundes- Fähigkeitsstärkung: bei der Führung, bei der Aufklärung, wehr ist deutlich gemacht worden, wohin wir gehen. Wir bei den gepanzerten Fahrzeugen, beim Lufttransport, im müssen jetzt deutlich sagen, welches Fähigkeitsprofl wir Cyberbereich und bei der Kommunikation. Allein die brauchen, und dem muss dann auch Rechnung getragen Modernisierung und der Aufbau eines abhörsicheren werden. digitalen Funks werden 5 bis 6 Milliarden Euro in An- spruch nehmen. Wir müssen uns in Europa stärker vernetzen, Intero- perabilität abbilden und gemeinsam ausbilden, bestellen, Die Fraktion Die Linke suggeriert, dies sei die neue nutzen und auch beschafen. Auch hier muss der euro- Aufrüstung. päische Prozess weiter vorangebracht werden. Es muss (B) (Beifall des Abg. Tobias Pfüger [DIE eine Harmonisierung des Rüstungsprozesses geben. Ins- (D) LINKE] – Christine Buchholz [DIE LINKE]: gesamt geht es darum, dass wir Frieden und Freiheit ge- Richtig!) währleisten. Ich habe den festen Eindruck, auch Sie, Herr Pfüger, Wir haben im Koalitionsvertrag deutlich abgebildet, kuscheln gern unter der Decke der Sicherheit mit Mei- dass prioritär Mittel für die Verteidigung auszugeben nungsfreiheit, Frieden und Freiheit, suggerieren aber, sind. Die Vergabeordnung muss verbessert, das Haus- man wolle dafür kein Geld in die Hand nehmen. Ich freue haltsrecht muss angepasst und Entscheidungswege müs- mich ja, wenn auch von Ihrer Partei kritisiert wird, dass sen beschleunigt werden. Wir brauchen die Vollausstat- Kampfugzeuge nicht fiegen und dies verbessert werden tung. muss. Meine Damen und Herren, wir sind an einer Wegga- (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Ich habe nicht belung. Die sicherheitspolitische Lage hat sich komplett gesagt, dass das verbessert werden muss!) geändert. Haben wir Zeiten hinter uns, in denen wir es uns erlauben konnten, im Verteidigungsbereich zu kürzen Das ist ein deutliches Indiz dafür – das wollen Sie Ih- und einen Beitrag zur Bewältigung der Wirtschaftskrise ren Wählern nur nicht deutlich sagen –, dass wir in einer zu leisten, geht es jetzt darum, uns so stabil aufzustellen, wehrhaften Demokratie auch bereit sein müssen, Geld dass wir wehrhaft bleiben können – immer eingebunden für die Verteidigung auszugeben. Ich mache Ihnen nur im Bündnis für Frieden und Freiheit, in einem starken den Vorwurf, dass Sie zwar alle Vorteile in der freien Deutschland, in einem vereinten Europa, in einem festen Demokratie nutzen, aber suggerieren, man müsse dafür Wertebündnis. nichts ausgeben. Deswegen müssen Sie immer Oppositi- onspartei bleiben, meine Damen und Herren. Deswegen habe ich mich sehr gefreut, dass der Präsi- dent vorhin den Menschen gedankt hat, die Einsatz für (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- diesen Frieden und Freiheit leisten, nämlich unseren Sol- ordneten der SPD – Kersten Steinke [DIE datinnen und Soldaten. Viele Grüße auch an die Ange- LINKE]: So ein Quatsch! – Heike Hänsel hörigen. Sie sind der Garant für Frieden, und sie stehen [DIE LINKE]: Schicken Sie die NATO doch ein für Frieden und Freiheit. Dafür brauchen sie auch die mal nach Bayern zur Verteidigung der Frei- fnanziellen Mittel. heitsrechte!) Herzlichen Dank. Wir müssen in einem starken Bündnis bereit sein, einen eigenen Beitrag zu leisten. Das Verteidigungsmi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nisterium hat festgestellt, dass wir bis 2030 einen Betrag ordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3047

(A) Vizepräsident Thomas Oppermann: Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) Nächster Redner wäre jetzt eigentlich Martin Dann setzen wir jetzt die Debatte fort mit Martin ­Hohmann für die AfD. Gleichzeitig hat sich der Kollege ­Hohmann von der AfD. Lucassen von der AfD zu einer Kurzintervention gemel- det. Wollen Sie beide hintereinander reden? (Beifall bei der AfD) (Dr. Alice Weidel [AfD]: Das ist ein ganz nor- maler Vorgang! – Dr. Tobias Lindner [BÜND- Martin Hohmann (AfD): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann doch Herr Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Hohmann übernehmen!) Im Jahr 2001 habe ich als Bundestagsabgeordneter dem damaligen Verteidigungsminister Scharping einen Vor- Herr Lucassen. schlag unterbreitet: Deutsche Soldaten im Kampfein- satz – damals Afghanistan – sollten eine Tapferkeits- Rüdiger Lucassen (AfD): auszeichnung bekommen können. Die Hauptstadtpresse nahm das amüsiert auf. In Anlehnung an den Orden Pour Herr Kollege Otte, Ihr Redebeitrag enthielt einen Wi- le Mérite – besonders für die Fliegerasse des Ersten Welt- derspruch, den Sie vielleicht einmal für sich alleine klä- krieges damals auch „Blauer Max“ genannt – würde der ren sollten. Sie unterstellten der AfD auf der einen Seite, Orden sicher „Schwarzer Martin“ heißen und so in die wir wären Freunde der Russischen Föderation, und auf Annalen eingehen. Ehre, wem Ehre gebührt; Hauptmotiv der anderen Seite, wir redeten den Kalten Krieg herbei. meines Vorstoßes aber war, dass die gesamte rot-grüne Das mögen Sie für sich selbst klären. Regierung sich damals gegen eine Erkenntnis mit aller Kraft gesträubt hat, nämlich die Erkenntnis: In Afgha- Nehmen Sie aber bitte, wenn es um das Thema Ag- nistan herrscht Krieg. Deutsche Soldaten trefen dort auf gression geht, zur Kenntnis: Die Verteidigungsministe- Feinde, die zu allem entschlossen sind. Deutsche Solda- rin Frau von der Leyen von Ihrer Partei begründet ihre ten können dort fallen, und sie sind auch gefallen. Trendwenden und die Notwendigkeit, den Verteidigungs- haushalt aufzustocken, die Landes- und Bündnisverteidi- Aber die Begrife „Krieg“ und „Gefallene“ waren da- gung zu stärken und deutsche Truppen auch in Litauen zu mals noch verpönt. Diese Begrife gab es im ofziellen stationieren, mit der Annexion der Krim durch die Rus- politischen Sprachgebrauch nicht, sonst hätte man da- sische Föderation. Wenn das keine aggressive Politik in mals der brutalen Realität ins Auge sehen müssen. Das Zentraleuropa ist, dann müssen Sie vielleicht eine andere aber fel der Politik schon damals schwer. Defnition fnden. (B) (Beifall bei der AfD) (D) (Beifall bei der AfD) Jede Politik beginnt aber mit einer objektiven Analyse, einer Analyse ohne jede Beschönigung. Zur Analyse des Vizepräsident Thomas Oppermann: Status der Bundeswehr von heute reicht ein Wort: Ka- Herr Otte. tastrophe – aber nicht weil die Soldaten nicht motiviert und einsatzbereit wären, sondern weil sie daran gehindert werden, ihren Auftrag zu erfüllen. Henning Otte (CDU/CSU): Herr Kollege Lucassen, ich sage noch einmal deutlich, (Beifall bei der AfD) dass ich eine Nähe zwischen Ihrer Einstellung und der russischen Politik feststelle, und ich mache deutlich, dass Warum? Darauf gibt es seit vielen Jahren die gleiche Kernelemente des Friedensbündnisses der NATO gerade Antwort. Ein unverdächtiger Zeuge, ebenfalls aus dem Abschreckung und Dialog sind. Das heißt, diese Dialog- Jahr 2001, ist der damalige grüne Außenminister Fischer. bereitschaft steht im Vordergrund, und sie wird auch im- Er sagte: mer wieder abgebildet. Wenn wir uns etwas vorzuwerfen haben, dann ist es Ich habe Ihnen klargemacht, dass Ihre vermeintlichen die Tatsache, dass wir im vergangenen Jahrzehnt die Antworten, die Sie auf die Herausforderungen der Si- Illusion hatten, eine Friedensdividende einnehmen cherheitspolitik geben, nicht die Antworten sind, die wir zu können, ohne Investitionen in den Frieden vor- brauchen. Ich bitte, zur Kenntnis zu nehmen, dass die zunehmen. baltischen Staaten selbst um Unterstützung und Präsenz gebeten haben, weil sie sich in ihrer Souveränität gefähr- Heute fehlt es noch mehr an Wafen, Ausbildung und det sehen. Damit bleibe ich bei meinem Fazit: Sie denken Ersatzteilen. Die Friedensdividende sollte auch darin in alten Klischees. bestehen – so haben sich das die damals politisch Ver- antwortlichen von Rot-Grün über Schwarz-Gelb bis zu Deswegen sage ich noch einmal deutlich: Ihre Ant- Schwarz-Rot so schön ausgerechnet –, dass man bei Be- worten, die einfach sind, passen nicht zu der komplexen schafungsaufträgen die recht teure Ersatzteillieferung sicherheitspolitischen Herausforderung. einfach gestrichen hat. Jeder Autobesitzer weiß: Ohne Ersatzteile läuft das nicht. Für Panzer, Flugzeuge und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Hubschrauber sollte das – so war der politische Wille – [SPD]) einfach nicht gelten. 3048 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Martin Hohmann (A) Das Ergebnis erleiden unsere Soldaten heute tagtäg- Wir als AfD kennen die Situation unserer Soldaten, (C) lich. Die Zeitschrift „Stern“ hat es auf den Punkt ge- weil viele von uns Soldaten waren, und wir stehen an der bracht: Fliegt nicht, rollt nicht, taucht nicht. – Ich füge Seite unserer Soldaten. hinzu: Schießt nicht. Danke. Mein Fazit: Die Führung der Bundeswehr hat ihren Selbstbehauptungsanspruch aufgegeben. (Beifall bei der AfD – Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zuhörer (Beifall bei der AfD) hier sollten eine Tapferkeitsauszeichnung be- kommen!) Was bleibt, ist das Verwalten des Mangels, das Schönre- den des Mangels. Vizepräsident Thomas Oppermann: Der Vorwurf trift nicht Sie allein, Frau Ministerin. Als Nächstes spricht der Kollege Dennis Rohde für Sie tragen auch die Sünden Ihrer Vorgänger. Was wir als die Fraktion der SPD. Opposition Ihnen aber heute vorwerfen: Sie steuern nicht entschieden genug um. Die angekündigte Trendwende (Beifall bei der SPD) ist mehr oder weniger Worthülse. Die Misere setzt sich auch unter Ihnen fort. Trotz hoher Motivation unserer Dennis Rohde (SPD): Soldaten wird die deutsche Armee so der Lächerlichkeit Geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und preisgegeben. Kollegen! Ich schlage vor, dass wir von nun an wieder (Beifall bei der AfD) über den Einzelplan 14 diskutieren und nicht über andere Themen. Außerdem rächt sich die ausgesetzte Wehrpficht jetzt immer fühlbarer. Es fehlt geeignetes Personal. Es fehlt (Beifall bei der SPD – Dr. Tobias Lindner Personal auch deswegen, weil vor Jahrzehnten eine ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Vor- heerende politische Entscheidung getrofen wurde. Ohne schlag!) dass ich der einzelnen betrofenen Frau einen Vorwurf machen will, gilt doch die Feststellung, dass die Abtrei- Wir diskutieren zum ersten Mal in dieser Legislaturpe- bung als Massenphänomen die Zukunft unseres Volkes riode über diesen Einzelplan, und es zeigt sich in dieser bedroht. Debatte, dass der Schwerpunkt zu Recht bei den Def- ziten in der Ausstattung der Bundeswehr liegt. Wir alle (Lachen der Abg. Leni Breymaier [SPD] – wissen, dass eine Erneuerung der Technik nicht von Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: heute auf morgen umsetzbar ist. Das haben uns Projekte (B) Mannomann! – Christine Buchholz [DIE wie der A400M in der Vergangenheit deutlich gezeigt. (D) LINKE]: Was?) Aber ich fnde: Der größte Fehler in dieser Debatte ist – das ist zu kurz gedacht –, die Bekämpfung der Defzite Wer das Leben zurückweist, den verlässt das Leben. einzig und allein in der Erhöhung des Haushaltsansatzes (Beifall bei der AfD) zu sehen. Mehr Geld allein bedeutet nicht automatisch eine bessere Ausstattung. Mehr Geld allein bedeutet auch Seit rund 40 Jahren fehlen uns jährlich 100 000 junge nicht eine efzientere Beschafung. Wenn das der Fall Menschen. Das sind inzwischen 4 Millionen. wäre, dann würden wir nach den Aufwüchsen in der ver- (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gangenen Legislaturperiode hier und heute eine andere [FDP]: Die sind alle weg, weil sie abgetrie- Debatte führen. ben worden sind, oder was? – Kersten Steinke (Andrea Nahles [SPD]: Richtig!) [DIE LINKE]: Das ist so abgedreht!) Ich will an die Bemerkung des Bundesrechnungshofs Würden wir gemäß einer AfD-Forderung die Wehrpficht aus April dieses Jahres anknüpfen, der zur Modernisie- wieder einführen, könnten wir wenigstens tendenziell rung der Fregatten Folgendes feststellt – ich zitiere –: eher Nachwuchspersonal gewinnen und die Identifkati- on unseres Volkes mit unserer Bundeswehr fördern. Der Bundesrechnungshof sieht Mängel in der Ge- staltung von Verträgen bei der Marine, die über die- (Tobias Pfüger [DIE LINKE]: Wahnsinn!) sen Einzelfall hinausgehen. Er hat empfohlen, bei Zurück zum Anfang. Natürlich hat Minister Scharping künftigen Rüstungsprojekten ein besseres Projekt- damals meinen Antrag auf eine Tapferkeitsauszeichnung management sicherzustellen. abgelehnt. Mehr Geld allein löst weder organisatorische noch (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE strukturelle noch Efzienzprobleme. Genau diese gilt es GRÜNEN]: Die Zuhörer hier sollten eine Tap- doch momentan anzugehen. ferkeitsauszeichnung kriegen!) (Beifall bei der SPD) Auf diesem Gebiet hat jedoch die Realität gesiegt. In- Wenn man die Medien in den letzten Wochen verfolgt zwischen wurden als höchste Stufe das Ehrenkreuz für hat, dann könnte man aber den Eindruck bzw. das Ge- Tapferkeit und die Einsatzmedaille „Gefecht“ eingeführt. fühl bekommen, dass sich der Erfolg der Trendwende (Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann der Bundeswehr einzig und allein am Anteil des Vertei- [FDP]: Nicht zu vergessen das Ritterkreuz!) digungsetats gemessen am Bruttoinlandsprodukt feststel- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3049

Dennis Rohde (A) len lässt. Man kann vielerorts das Gefühl bekommen, es Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr, die (C) gehe gar nicht um die konkreten Aufgaben und Ausstat- Soldatinnen und Soldaten haben unsere volle Unterstüt- tungen, sondern einzig und allein um diese Kennzifer. zung. Veränderungen wollen wir mit ihnen gemeinsam Wenn aber andere Nationen zum Teil die Kosten des Feu- mit der Erfahrung aus Einsatz und Dienst planen und erwehrwesens oder der Gendarmerie einrechnen, dann umsetzen und nicht, wie bisher zu oft, über ihre Köpfe verzerrt dies das Bild und die Vergleichbarkeit. Wenn hinweg. Material muss bereitstehen. Es muss funktionie- Länder wie Griechenland in einer Phase der wirtschaft- ren, und es muss zukunftsfest sein. Frau Ministerin, Sie lichen Rezession und eines fallenden Bruttoinlandspro- haben unsere volle Unterstützung, Planung besser und dukts deutlich über dem 2-Prozent-Ziel liegen, dann sagt efektiver durchzuführen. Sie haben unsere volle Unter- das viel über die Qualität einer solchen Bemessungs- stützung, Projekte zu beschleunigen. Sie haben unsere grundlage aus. Wir hätten auch keine modernere Bundes- volle Unterstützung, Prozesse füssiger zu machen und wehr, wenn wir morgen volkswirtschaftlich schlechtere Entscheidungswege zu verkürzen. Liefern müssen am Zeiten und dadurch ein niedrigeres Bruttoinlandsprodukt Ende allerdings Sie. hätten. Ich fnde, das ist die falsche Debatte, die hier ge- Vielen Dank. führt wird. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vizepräsident Thomas Oppermann: Wir müssen einen anderen Anspruch in den Mittel- Nächste Rednerin ist Dr. Marie-Agnes Strack-­ punkt stellen. Unser Anspruch muss es doch sein, dass Zimmermann. die Soldatinnen und Soldaten, die sich in den Dienst unseres Landes stellen, so ausgestattet sind, dass sie (Beifall bei der FDP) die Aufgaben, die wir als Parlament ihnen übertragen, pfichtgemäß, aber auch gut erfüllen können. Zur Erfül- Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): lung dieses Anspruchs gehört es, Frau Ministerin, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen endlich die Probleme beim BAAINBw, bei unserem und Kollegen! Montag, 14. Mai 2018, 15 Uhr: Auftritt Beschafungsamt, konsequent angegangen werden. Wir der Bundeskanzlerin auf der Bundeswehrtagung. Frau sozialdemokratischen Verteidigungs- und Haushaltspoli- Merkel erklärt, dass das Ziel „2 Prozent des BIP für die tiker waren in der vergangenen Woche in Koblenz, haben Bundeswehr“ im Bereich des Möglichen liegt. Montag, uns vor Ort informiert und sind zu einem klaren Ergebnis 14. Mai 2018, 15.45 Uhr: Auftritt der Verteidigungsmi- gekommen: Kein Soldat der Bundeswehr hat etwas von nisterin auf der Bundeswehrtagung. Frau von der Leyen (B) einem höheren Budget seines Ministeriums, wenn die ge- erklärt – wesentlich konkreter –, dass man bis 2025 (D) planten Ausstattungsvorhaben nicht abgearbeitet werden, 1,5 Prozent des BIP für die Verteidigung ausgeben möch- weil nach wie vor 20 Prozent der Stellen nicht besetzt te. Einen Tag später, Dienstag, 15. Mai 2018, 10 Uhr: sind. Auftritt des Finanzministers im Plenum. Herr Scholz erklärt, er brauche keine Mehrausgaben für die Bundes- (Beifall bei der SPD) wehr, auch nicht angesichts der außenpolitischen Span- Ich sage Ihnen zu, Frau Ministerin: Wenn es um die nungen. Die Diplomatie allein werde das schon richten. Steigerung der Attraktivität dieser Stellen geht oder um (Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Da er- notwendige Veränderungen im Dienstrecht, zum Beispiel höht er aber auch nicht!) für Soldaten auf Zeit, dann haben Sie die ausdrückliche Unterstützung unserer Fraktion. Denn eins wollen wir Das ist die schöne Welt des Olaf Scholz. Seine brillante mit Blick auf die aktuelle Debatte nicht: Wir wollen Lageeinschätzung haben wir ja schon, als er Hamburger nicht, dass das Bundesamt mittel- und langfristig zu ei- Bürgermeister war, im Vorfeld des G-20-Gipfels unter nem Großauftraggeber von Berater- und Personaldienst- Beweis gestellt gesehen. leistungsagenturen wird. Die Lösung muss im eigenen (Dennis Rohde [SPD]: Billig!) Haus liegen. Ja, die Diplomatie ist das wichtigste Instrument deut- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katja scher Sicherheitspolitik; aber der Finanzminister fängt Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gerade an, den Auswärtigen Dienst fnanziell genauso auszutrocknen, wie es die Vorgänger mit der Bundes- Frau Ministerin, Ihr Haushalt ist fast komplett gegen- wehr getan haben. Dieser Bundesregierung ist es also seitig deckungsfähig, um damit der Unvorhersehbarkeit tatsächlich gelungen, in nicht einmal 24 Stunden drei un- von Großprojekten Rechnung zu tragen. Hinzu bekom- terschiedliche Positionen zum Verteidigungshaushalt zu men Sie künftig eine Rücklage, um überjährige Projekt- präsentieren. Das ist schon eine Leistung. fnanzierungen sichern zu können. Im Gegenzug haben wir als Parlament die Kontrolle über alle Rüstungsvor- Dann der Auftritt der Kanzlerin heute Morgen, die die haben über 25 Millionen Euro. Ich möchte betonen: Wir Vielzahl der riesigen Herausforderungen für die Bundes- halten diese Form der parlamentarischen Kontrolle einer wehr aufzählt. Das ist erfreulich. Ofensichtlich hat sie Parlamentsarmee nach wie vor für richtig und wichtig. Es uns in den letzten Monaten zugehört. Leider hat sie aber muss der Deutsche Bundestag mit seinen Ausschüssen nicht ihrem Finanzminister zugehört, der auf die Liste sein, in dem die Debatten über die richtige Ausstattung der neuen Aufgaben mit einem fnanziellen Weiter-so unserer Armee stattfnden. geantwortet hat. Er legt einen Haushalt vor, in dem die 3050 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (A) NATO-Quote stagniert und der Anteil der Investitionen Vizepräsident Thomas Oppermann: (C) sogar zurückgeht. Vielen Dank. – Als nächster Redner folgt Dr. für Die Linke. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen der Öfentlich- keit erzählt und auch gegenüber unseren Partnern gesagt, (Beifall bei der LINKEN) Deutschland sei bereit, Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört auch ihre Ansage auf dem NATO-Gipfel Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): von Wales 2014, innerhalb von einer Dekade die Vertei- Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr digungsausgaben in Richtung 2 Prozent des BIP zu erhö- Präsident! Die Menschen in diesem Land sind seit ge- hen. Also, was gilt jetzt? Worauf können sich die Solda- nau 2014 einer massiven Propaganda ausgesetzt, damit tinnen und Soldaten verlassen, und worauf können sich die Steuerzahler die höheren Militärausgaben und die unsere europäischen Partner und die NATO einstellen? Aufrüstungspläne, genannt „Trendwende“, auch akzep- tieren mögen. Es wird argumentiert mit einer Bedrohung Wir sind ganz konkrete Verpfichtungen eingegangen, Deutschlands, Europas und des Westens, und es wird mit die wir der NATO gemeldet haben: eine voll ausgestatte- der gewachsenen Verantwortung Deutschlands argumen- te Brigade bis 2023 als Speerspitze zur Absicherung der tiert. NATO-Ostfanke, eine Division in Vollausstattung bis 2027, drei komplette Divisionen bis 2032. Jetzt bleibe Kommen wir zur ersten Propagandaphrase, der Wes- ich nur mal bei der Verpfichtung bis 2023: Allein für die- ten werde bedroht, natürlich von Russland. Unter den se gemeldete Brigade wird Deutschland in den nächsten rund 200 Staaten dieser Welt belegt Deutschland den Jahren ein Mehrfaches von dem aufwenden müssen, was neunten Platz bei den weltweiten Militärausgaben in den in Ihrem Finanzplan und im Koalitionsvertrag als Steige- Jahren 2017 und 2018. Die globalen Militärausgaben im rung vorgesehen ist. Dabei geht es noch nicht einmal um Jahr 2017 betrugen laut SIPRI 1,7 Billionen Dollar. Da- riesige neue Beschafungsvorhaben. Also, das sozialde- von entfelen allein auf die NATO-Staaten 956 Milliarden mokratische Aufrüstungsszenario – gewissermaßen Ihr Dollar. Das heißt, von den weltweiten Militärausgaben Aufschrei, liebe Frau Nahles – ist wirklich ein Treppen- entfelen auf die NATO-Staaten – das sind 29 Staaten im witz in diesem Kontext. Vergleich zu den restlichen rund 170 Staaten – 55 Pro- zent. Es geht darum, durch Ergänzungen des Bestandes den Ausstattungsgrad dieser Brigade von 70 Prozent Russland hingegen hat im Jahr 2017 66 Milliarden auf 100 Prozent zu erhöhen. Geschützte Fahrzeuge zur Dollar ausgegeben. Für 2019 stehen weitere Kürzungen Unterstützung zum Transport gehören dazu und ebenso im russischen Militärhaushalt an. (B) Schutzwesten, Helme, Bekleidung und Stiefel, Nacht- Kurz gesagt: Im Jahr 2017 hat allein die NATO ins- (D) sichtgeräte, Munition und Sanitätsmaterial – alles, was gesamt 14-mal mehr für das Militär ausgegeben als die den Soldatinnen und Soldaten zur Ausführung ihrer Auf- Russische Föderation – 14-mal mehr! gabe unmittelbar zugutekommt. Das alles fehlt zurzeit noch, um diese Brigade wirklich als Speerspitze bezeich- Kommen wir zum Thema Großwafensysteme und nen zu können. Diese Speerspitze stellt übrigens eine Personal. Die NATO hat viermal mehr aktive Soldaten einsatzgleiche Verpfichtung dar. Vom Grundbetrieb der als die Russische Föderation. Mit Blick auf Kampfpanzer Verbände ist in diesem Kontext überhaupt nicht die Rede. und Artillerie liegt die Russische Föderation leicht vorn: mit etwa 1,4 : 1 zugunsten der Russischen Föderation. Im Übrigen – das nur mal nebenbei – würde eine voll- Bei Kampfugzeugen kann man sagen, dass ein Verhält- ständige Brigade gleichzeitig auch einen ersten kleinen nis von etwa 4 : 1 zugunsten der NATO besteht. Es gibt Schritt hin zur Digitalisierung des Heeres bedeuten, wel- also viermal mehr Kampfugzeuge der NATO. Das glei- ches im Jahre des Herrn 2018 immer noch analog funkt. che Bild bei den Kampfschifen – Träger, Zerstörer, Fre- gatten, Korvetten etc. –: ein Verhältnis von 8 : 1 zuguns- Liebe Frau Ministerin, Sie sind Naturwissenschaft- ten der NATO. Transportfugzeuge zur Verlegung von lerin. Sie sprachen vorhin von Quantensprüngen. Der Truppen: ein Verhältnis von 3 : 1 zugunsten der NATO. Quantensprung ist physikalisch der kleinstmögliche Sprung – winzig klein –, und er ebbt schnell ab. Da muss Das Fazit ist doch, sehr geehrte Damen und Herren, dann doch noch ein größerer Sprung kommen. dass Russland mit Blick auf die konventionellen Wafen- systeme, mit Blick auf das Personal und mit Blick auf (Beifall bei der FDP) die Finanzen dem Westen haushoch unterlegen ist. Selbst wenn Russland die Absicht hätte, den Westen zu bedro- Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hen, würden ihm schlichtweg die militärischen Fähigkei- wird den internationalen Partnern die Antwort darauf ge- ten fehlen. ben müssen, ob Deutschland seinen Aufgaben nachkom- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – men will – auch und besonders angesichts der Tatsache, Alexander Graf Lambsdorf [FDP]: Wo sind dass wir einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat die Mittelstreckenraketen in Kaliningrad? Al- anstreben. Der etwas unklare – lieb ausgedrückt – Schlin- les nicht aufgezählt!) gerkurs der Bundesregierung ist nicht verantwortungs- voll und unseres Landes auch nicht würdig. Kommen wir zur zweiten Propagandaphrase, Deutsch- land müsse seiner gewachsenen Verantwortung gerecht (Beifall bei der FDP) werden. Der Verantwortungsbegrif, sehr geehrte Damen Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3051

Dr. Alexander S. Neu (A) und Herren, ist eine Chifre für den Willen zur deutschen hat und dennoch nie dafür haftbar gemacht wurde! Ich (C) Machtpolitik – das wurde beim Kollegen Otte und beim denke an den A400M oder den Euro Hawk, den es bis Kollege Röttgen gerade noch einmal deutlich –, und das heute nicht gibt. Wie viele Milliarden hat Airbus/EADS ist eine Tatsache. Diese Phrasendrescherei von moralisch dafür am Ende jetzt eigentlich bekommen? Wir haben basierter Verantwortungsübernahme kontrastiert mit der uns damals im Untersuchungsausschuss schon sehr über Wirklichkeit. die Verträge gewundert. Da war nicht zu erkennen, dass irgendjemand ernsthaft versucht hätte, die Interessen des Das westliche Sündenregister hinsichtlich getöte- Staates gegenüber der Industrie bei den Vertragsverhand- ter Zivilisten ist sehr lang: Irak 1991, Serbien, erneut lungen durchzusetzen. Irak 2003, Afghanistan, Libyen und immer noch der Krieg gegen Syrien und künftig vielleicht auch Iran. (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist ja nun anders!) In einer IPPNW-Studie, die also von der internatio- nalen Ärztevereinigung herausgegeben wurde, wurde Wenn das Beschafungssystem aber nicht funktioniert, berechnet, dass seit 2003 weit über 1 Million Kriegsto- dann darf man auch nicht mehr Geld in das kaputte Sys- te und Kriegsfolgetote allein im Irak auf das Konto des tem geben. Westens gehen. Solche Zahlen, sehr geehrte Damen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herren, fnden die westlichen Politiker und Militärs na- türlich nicht gut, weil damit die Werteheuchelei ofenge- Aus Erfahrung lernen hieße, öfter einmal Geräte von der legt wird. Stange zu kaufen, als immer auf eigene Neuentwicklun- gen zu setzen. Für die Industrie ist das vielleicht nicht (Beifall bei der LINKEN) immer so lukrativ. Aber das darf nicht unsere Sorge sein. Der damalige US-General McChrystal hat bei seiner An- Der Staat ist für die Ausrüstung der Streitkräfte zuständig trittsrede als ISAF-Kommandeur im Juni 2009 gesagt – und nicht für die Gewinne der Rüstungsindustrie. ich zitiere McChrystal –: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich glaube, die [öfentliche] Wahrnehmung von ge- Das scheint nicht immer allen klar genug zu sein. töteten Zivilisten ist einer der gefährlichsten Feinde, denen wir gegenüberstehen. Im Moment laufen gerade staatsanwaltschaftliche Er- mittlungen im Zusammenhang mit der Privatisierung der Kurzum: Nicht dass Zivilisten getötet werden, ist ein Heeresinstandsetzungslogistik. In wessen Interesse ist Problem, sondern dass das an die Öfentlichkeit gelangt diese Privatisierung eigentlich? Ich befürchte: nicht im und darüber Empörung entstehen könnte. Interesse des Steuerzahlers und auch nicht im Interesse (B) Die Linke fordert einen Kurswechsel: Rückkehr zum der Bundeswehr. (D) Völkerrecht auch für den Westen, (Zuruf von der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Es ist den deutschen Panzerherstellern verständlicher- Stopp der Rüstungsexporte in Konfiktgebiete und mög- weise ein Dorn im Auge, dass sie kein Monopol auf die lichst auch insgesamt sowie endlich eine aktive Entspan- Reparatur und die Ersatzteilbeschafung haben. 70 Pro- nungs- und Friedenspolitik für Europa unter Einschluss zent des Geschäfts haben sie sich ohnehin schon gesi- Russlands statt Russland-Hetze. Wir fordern Investiti- chert, indem sie die Großgeräte schon seit Jahren ohne onen in zivile Infrastruktur wie Schulen und Pfegeein- Reparaturbefugnis, also quasi ohne Bedienungsanleitun- richtungen, statt die Rüstungsindustrie durchzufüttern gen, verkaufen. Ein Drittel der Arbeiten werden bislang und damit Steuergelder auf diese Weise zu veruntreuen. aber immer noch durch Bundeswehrangehörige selbst erledigt, die sich bei Werkstätten auf dem freien Markt Ich danke Ihnen. nach dem günstigsten Angebot umsehen. Wie kann je- (Beifall bei der LINKEN) mand ernsthaft glauben, dass es für die Bundeswehr wirtschaftlicher wird, wenn man sich zu 100 Prozent von Rheinmetall und Co abhängig macht und die dann die Vizepräsident Thomas Oppermann: Preise so diktieren können, wie sie wollen? Ich rufe die nächste Rednerin auf: Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Stoppen Sie diesen Verkauf der Heeresinstandsetzungs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) logistik, solange es noch möglich ist!

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Neben den strukturellen Defziten bei der Materialbe- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schafung sehe ich aber auch noch ein strategisches De- Kollegen! Wer Streitkräfte hat, muss sie auch vernünftig fzit. Wir hören von allen Seiten, dass inzwischen sämt- ausstatten. Das will hier sicher niemand in Abrede stel- liche Ressourcen für die Erfüllung der Auslandseinsätze len, nicht einmal die Linken. Mehr Geld ist aber ganz benötigt werden und deswegen für Ausbildung, Übung ofensichtlich nicht die Lösung. und Training im Inland nichts mehr übrig bleibt. Ja ist es denn ein Wunder? Die Bundeswehr ist derzeit in elf Aus- Wie oft haben wir erleben müssen, dass Milliarden landseinsätzen weltweit im Einsatz. Gerade erst wurde für teure Neuentwicklungen in den Sand gesetzt worden hier im Bundestag ein neues Mandat für den Gesamtirak sind, weil die Industrie nicht vertragsgemäß geliefert beschlossen – erst einmal nur bis zum Herbst, weil bisher 3052 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Katja Keul (A) niemand die Strategie kennt und man dann erst einmal Herr Neu, ich will wenigstens zu Ihrem Beitrag sa- (C) weitersehen muss. gen, dass Sie die Statistik in Gänze vortragen müssen. In dem von Ihnen genannten Zeitraum, in dem die NATO (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- nach Ihrer Einschätzung Vorteile hat, hat Russland seinen NIS 90/DIE GRÜNEN]) Verteidigungshaushalt um 108 Prozent erhöht, bei einem Vielleicht müsste man auch einmal Schwerpunkte Anteil am BIP von 4,1 Prozent. Im gleichen Zeitraum ha- und Prioritäten bei der Frage der Auslandseinsätze set- ben die USA ihren Verteidigungshaushalt um lediglich zen. Immer und überall Bündnisfähigkeit unter Beweis 2 Prozent erhöht. Deutschland liegt bei 5,8 Prozent. Das stellen zu wollen, könnte am Ende das Gegenteil bewir- ist dann die ganze Wahrheit. Das ist die Bedrohung, der ken. Bestes Beispiel für ein katastrophales Preis-Leis- wir uns letztendlich stellen müssen. tungs-Verhältnis ist der aktuelle Afghanistan-Einsatz. (Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: 50 Mil- Für die Absicherung von sage und schreibe gerade ein- liarden!) mal 33 Advisors, also Beratern, brauchen wir dort inzwi- schen über 1 000 Soldatinnen und Soldaten. So ein Ein- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Vertei- satz bindet Kräfte, die nicht im Verhältnis zur erzielten digungshaushalt war in den letzten Wochen häufg The- Wirkung stehen. Beenden Sie vor allem die Beteiligung ma in der öfentlichen Berichterstattung, und das ist trotz an dem völkerrechtswidrigen Luftkrieg über Syrien. unterschiedlicher Betrachtungsweisen, wie wir sie eben wahrgenommen haben, auch gut so. Die Bundeskanzle- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rin hat in ihrer heutigen Rede ebenfalls deutliche Aussa- und bei der LINKEN) gen zur notwendigen besseren Ausstattung der Bundes- Man kann die Bundeswehr nicht bis an den Rand ih- wehr gemacht. rer Leistungsfähigkeit in Auslandseinsätze schicken und Meine Fraktion hat öfentlich bereits klar den Wunsch sich dann wundern, dass zu Hause nichts mehr funkti- nach einem höheren Verteidigungsetat geäußert. Die im oniert. Auch für die Einsätze, die wirklich unsere vol- Eckwertebeschluss für den 52. Finanzplan vorgesehene le Aufmerksamkeit benötigen, wie beispielsweise der Steigerung von 2,7 Milliarden Euro über die nächsten UN-Einsatz in Mali, wäre es besser, wir würden uns da- vier Jahre reicht defnitiv nicht aus. Sie reicht nicht aus, rauf konzentrieren. um den notwendigen Mehrbedarf für die Bundeswehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) abzudecken. Im Schreiben des BMVg vom 2. Mai 2018 wurde dies deutlich benannt. Ebenso wäre es für die Akzeptanz der Streitkräfte in der Bevölkerung von Vorteil, wenn diese sehen könnte, dass Mit der aktuell vorgeschlagenen Erhöhung über den (B) ein Einsatz mal wirklich erfolgreich eine Befriedung för- Finanzplanungszeitraum wird nicht einmal ein Vier- (D) dern würde und es nicht überall gleich schlecht läuft. tel des bestehenden Bedarfs abgedeckt. Damit – Frau Dr. Strack-Zimmermann, Sie haben es gesagt – wird Damit das klar ist: Das ist keine Kritik an der Arbeit weder die VJTF-Brigade bis 2023 voll auszustatten sein, der Soldatinnen und Soldaten, die nach bestem Wissen noch können die zahlreichen anderen Projekte angescho- und Gewissen versuchen, mit den ihnen zur Verfügung ben werden, die dringend notwendig sind. Ich nenne stehenden Mitteln ihren Auftrag zu erfüllen. Die Kritik hier beispielhaft das Mehrzweckkampfschif 180, die richtet sich an die politische Führung, die für einen er- deutsch-französische Kooperation mit der geplanten Be- füllbaren Auftrag und eine Gesamtstrategie verantwort- schafung der Hercules C-130J oder die sehr sinnvolle lich ist. Beides ist nicht zu erkennen. Daran ändert auch deutsch-norwegische U-Boot-Kooperation. Aber, meine mehr Geld nichts. sehr verehrten Damen und Herren, auch unsere Leucht- Vielen Dank. turmprojekte, das taktische Luftverteidigungssystem und die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfpanzers mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frankreich sowie die Tornado-Nachfolgelösung stehen dann auf der Kippe. Vizepräsident Thomas Oppermann: (Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Nächster Redner ist der Kollege Ingo Gädechens von GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfra- der CDU/CSU. ge) (Beifall bei der CDU/CSU) – Lieber Herr Dr. Lindner, ich erlaube keine Zwischen- frage, weil ich drei Beiträge von Oppositionsrednern ge- hört habe. Nun langt das erst mal. Ingo Gädechens (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜND- ren! Wenn man drei Rednerinnen und Redner der Op- NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. ­Marie-Agnes position gehört hat, dann könnte man zu vielem etwas Strack-Zimmermann [FDP]: Wir haben zu sagen, viele Argumente widerlegen. viel Regierung gehört!) (Beifall des Abg. Dr. [FDP] – Gleiches trift auf die persönliche Grundausstattung Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE der Soldatinnen und Soldaten zu. Ich kann daher nur GRÜNEN]: Da hat die Kollegin Keul einfach an alle Beteiligten appellieren, in den folgenden Haus- die beste Rede gehalten!) haltsberatungen alle Anstrengungen zu unternehmen, um Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3053

Ingo Gädechens (A) diese Lücke zwischen den geplanten fnanziellen Mitteln gut in der Zeit liegen, Herr Lindner, sollen Sie die Mög- (C) und dem tatsächlichen Mehrbedarf zu schließen. lichkeit haben. Selbstkritisch sei angemerkt: Zum großen Bedauern der CDU/CSU-Verteidigungspolitiker hat der Verteidi- Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gungsetat in den Koalitionsverhandlungen nicht den Stel- Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr lenwert eingenommen, den wir uns vonseiten der CDU Kollege Gädechens, dass Sie vorhin die Zwischenfrage gewünscht hätten und der angesichts der sicherheitspo- nicht zugelassen haben. Das hat mir Gelegenheit gege- litischen Lage erforderlich ist. Ich erinnere an das Ver- ben, mein Argument zu schärfen und Ihnen meine Ver- sprechen, das mit der Unterzeichnung des Koalitionsver- wirrung zu erklären. trages gegeben wurde, nämlich dass Mehreinnahmen im Bundeshaushalt vorrangig in den Verteidigungshaushalt (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) fießen sollen. Angesichts der positiven Steuerschätzung sollte dies auch möglich sein. Ich möchte an dieser Stelle Ich baue darauf, dass Sie den Sachverhalt entwirren kön- an den Bundesminister der Finanzen, der jetzt durch die nen. Parlamentarische Staatssekretärin vertreten wird, appel- In den vergangenen Wochen, als Frau von der Leyen lieren, den berechtigten Mehrbedarf für die Bundeswehr nebulös weitere Etatsteigerungen gefordert hat, war bei- zu berücksichtigen. spielsweise in der „Bild am Sonntag“ von Projekten zu Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser not- lesen, die nicht realisiert werden können, wenn die böse wendigen Forderungen und vor dem Hintergrund der SPD nicht bereit ist, mehr Geld zur Verfügung zu stellen. aktuellen Ausrüstungsmängel von Aufrüstung spricht, so Das Ministerium hat mir bisher nicht darauf antworten wie es die Linken teilweise tun, verdreht die Tatsachen können. Sie haben jetzt als Beispiel die C-130J Hercules und hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ich möchte genannt. Das ist ein Projekt, das gemeinsam mit Deutsch- auch davor warnen, in der Debatte die Personalverstär- land und Frankreich durchführt werden soll. Wenn ich kungsmittel, die aus dem Einzelplan 60 stammen und Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, das Projekt den Lohnsteigerungen im öfentlichen Dienst Rechnung sei gefährdet. tragen, mit erhöhten Verteidigungsausgaben zu vermen- gen; das ist unsachlich. Können Sie mir dann erklären, warum im Etatentwurf, über den wir sprechen, genau dieses Projekt sogar mit Darüber hinaus möchte ich kurz auf das fälschlich ge- einem Extratitel veranschlagt worden ist – es steht di- nannte Gegenargument der nicht abgeschöpften Mittel rekt unter dem AWACS-System der NATO –, auch mit eingehen. Wenn wir den Einzelplan 14 nachhaltig gestal- Mitteln für den Betrieb, die Versorgung etc.? Warum (B) ten – dazu gehört eine stetige, weit im Voraus und solide veranschlagt das Ministerium ein Projekt als neuen zu- (D) berechnete Finanzierung –, dann gibt es auch kein Ausga- sätzlichen Titel und etatisiert Mittel, wenn angeblich die beproblem. Problematisch wird es immer nur dann, wenn Gelder im Falle des Ausbleibens entsprechender Etatstei- alljährlich und kurzfristig Mittel bereitgestellt werden, gerungen nicht vorhanden sind? die dann bitte schön rechtzeitig und sinnvoll ausgegeben werden sollen. Aktuell haben wir kein Ausgabeproblem; Danke. die Ministerin ist darauf schon eingegangen. Mit der ver- (Florian Hahn [CDU/CSU]: Das verstehen einbarten, ich sage mal, budgetierten Überjährigkeit und nur Haushälter!) einer über 100-prozentigen Ausplanung des Einzelplans in allen Investitionsvorhaben wird es das Problem in Zu- kunft auch nicht mehr geben. Vizepräsident Thomas Oppermann: Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur Wollen Sie antworten, Herr Gädechens? die Medien, sondern auch einige Rednerinnen und Red- ner hier haben ein Zerrbild der Bundeswehr an die Wand Ingo Gädechens (CDU/CSU): geworfen. Das hilft der Truppe in der Ausübung ihres Dienstes nicht. Wir haben keine Schrottarmee. Die Bun- Ja, sehr gerne, Herr Präsident. – Lieber Kollege deswehr ist in vielen Bereichen leistungsfähig. Wir haben Dr . Lindner, wir arbeiten ja in dieser Wahlperiode nicht motivierte Soldatinnen und Soldaten, die sich alltäglich nur im Verteidigungsausschuss zusammen, sondern auch den Herausforderungen sowohl im eigenen Land als auch im Haushaltausschuss. In der Tat erkenne ich da öfters in den Einsatzgebieten stellen. Das sollten wir positiv an- Ihre Verwirrung, die Sie jetzt kundgetan haben erkennen. Das ist das Rückgrat unserer Streitkräfte, und (Heiterkeit bei der CDU/CSU) dafür danken wir den Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr. hinsichtlich der Beschafungsmaßnahmen, die angezeigt sind. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU) Wie Sie wissen, befnden wir uns in der ersten Lesung. Ich habe in meiner Rede gesagt, dass es noch ein wei- ter Weg ist und dass ich sowohl mit Blick auf das BMF Vizepräsident Thomas Oppermann: als auch mit Blick auf das BMVg auf die Beratungen Normalerweise sind Kurzinterventionen nicht für im Haushaltsausschuss setze, um zu erreichen, dass die Kollegen gedacht, die schon geredet haben, aber da wir zusätzlichen Mittel für die Dinge, die ich angesprochen 3054 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Ingo Gädechens (A) habe und die Sie noch einmal wiederholt haben, entspre- ablegen, nämlich diesem Lande treu zu dienen, für nicht (C) chend zur Verfügung gestellt werden. vereinbar. Das will ich hier ganz deutlich sagen. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ GRÜNEN]: Also heute keine Entwirrung!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Thomas Oppermann: Es gilt, Lösungen zu fnden. Das Ziel ist eine voll ein- Ein Wiedersehen im Haushaltsausschuss. – Wir fahren satzfähige und einsatzbereite Bundeswehr, eine attrakti- mit der Debatte fort. Das Wort hat Wolfgang Hellmich ve Bundeswehr, in der der Dienst gerne getan wird und für die Fraktion der SPD. deren Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftig- ten mit Achtung entgegengetreten wird. (Beifall bei der SPD) Es gibt keinen Einzelplan, der von der Kameralistik so entlastet und fexibilisiert ist wie der Einzelplan 14. Wolfgang Hellmich (SPD): (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! GRÜNEN]: Hört! Hört! Recht hat er!) Eine Verwirrung möchte ich aufösen: Der Ausruf „Heu- reka!“ stammt nicht von Odysseus, sondern von Archi- Deshalb will ich an dieser Stelle etwas zum Thema medes von Syrakus, 25-Millionen-Euro-Vorlage sagen. Ich glaube nicht – das sehe ich auch nicht so –, dass mit der Kritik an dieser (Beifall bei der SPD sowie der Abg. 25-Millionen-Euro-Vorlage gemeint ist, dass das Parla- Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE ment für die Verzögerung sorge und damit die Verant- GRÜNEN]) wortung für bestimmte Prozesse am Ende der Entschei- dungskette in das Parlament geschoben werden soll. als er nämlich in der Badewanne das Archimedische Unsere parlamentarische Beteiligung hat keine Schuld an Prinzip entdeckte. Er stieg aus und sagte: Heureka! Es den Verzögerungen. Wir sind, wenn es sein muss, in einer ist gelungen. Woche mit einer Vorlage fertig. Das haben wir oftmals (Heiterkeit) unter Beweis gestellt, sowohl im Verteidigungsausschuss als auch im Haushaltsausschuss. Das kann man über die Bundeswehr im Moment leider nicht sagen. (Beifall bei der SPD) Wenn ich aber sehe, dass für die Bestellung wichtiger Im Koalitionsvertrag steht: Die Soldatinnen und (B) Bauteile in Beschafungsprogrammen mit 140 Vorschrif- (D) Soldaten der Bundeswehr werden das erhalten, was sie ten 14 000 Seiten an Anforderungsprofl produziert wer- brauchen. – Darauf verlassen sich die Soldatinnen und den und es für dieses Anforderungsprofl und die Umset- Soldaten auch. Dabei verfolgen sie verwundert die De- zung nicht einmal ein Programm gibt, das diesen Prozess batte über sie und sagen mir gelegentlich, es wäre doch organisiert und darstellt, dann sehe ich das Problem eher vielleicht besser, mehr mit ihnen als über sie zu sprechen. an anderer Stelle. Es ist also im Maschinenraum der kon- Sie erfahren jeden Tag das Delta zwischen Anspruch und kreten praktischen Arbeit angesichts der Komplexität Realität, und das Delta ist groß. dieser Projekte eine Menge zu tun. Ich will den Aufzählungen, die hier genannt worden Wenn mir dann eine Brandschutzvorschrift von 1988 sind, nicht noch Begrife hinzufügen, weil sie den Sol- in die Hände fällt, die auch heute noch gilt, dann sage ich datinnen und Soldaten in ihrem Dienst nicht helfen und mir: Irgendetwas stimmt da nicht. Irgendetwas muss an weil sie auf die Mentalität in der Bundeswehr eher demo- dieser Stelle in den Prozessen besser gemacht werden. – tivierend als motivierend wirken. Die Soldatinnen und Das ist das, worauf die Soldatinnen und Soldaten in den Soldaten und auch ich sind an guten Lösungen interes- Prozessen genau schauen, weil sie eben wissen, wo man siert – und das sehr schnell und sehr deutlich. anpacken muss und wo die Verzögerungen liegen. Die Soldatinnen und Soldaten sind allerdings nicht Die Lösung der Probleme liegt auch nicht in der Pri- an Aussagen interessiert, die ihnen in der Öfentlichkeit vatisierung der Erledigung hoheitlicher Aufgaben; auch schaden. Ich will an dieser Stelle eine Aussage nennen, das will ich an dieser Stelle deutlich sagen. Das, was die mir große Sorgen bereitet: Ein Vertreter der AfD im zur Sicherheit und zur Souveränität der Bundesrepublik Bundestag, der einmal Soldat war, erklärte im Deutsch- Deutschland gehört, gehört nicht in private Hände. Es landfunk, in der Frage der Sanierung der Bundeswehr gehört in die öfentliche Verantwortung, diese Interessen stehe der Feind in der Bundesregierung. wahrzunehmen und durch dieses Parlament kontrollieren (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE zu lassen. Ansonsten sind wir nämlich draußen. GRÜNEN]: Oi!) (Beifall bei der SPD) Das halte ich, der ich nun sehr genau weiß, was ein Feind Die Optimierung des Beschafungswesens, eine at- für einen Soldaten bedeutet – einen Feind bekämpft man traktive Gestaltung der Jobs durch Stellenhebungen und mit allen Mitteln; als Abgeordneter, der diese Koalition Bündelung, die Veränderung der Ausschreibungsprozes- trägt, werde ich ofensichtlich auch als Feind bezeich- se – vieles steht im Koalitionsvertrag und wird praktisch net –, mit dem Eid, den die Soldatinnen und Soldaten und pragmatisch in Angrif genommen, um nämlich die Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3055

Wolfgang Hellmich (A) Beschafungsprozesse voranzubringen und das Material, Die erste Weiche ist vom Bundesfnanzminister mit (C) die Versorgung und die persönliche Ausstattung, die die der Vorlage der Eckwerte bis 2022 am 2. Mai 2018 ge- Soldatinnen und Soldaten brauchen, zügig, schnell und stellt worden. Und wenn die Richtung, die jetzt einge- besser auf den Hof zu bringen und ihnen für die Erledi- schlagen worden ist, weiter beibehalten wird, dann lautet gung ihres Dienstes zur Verfügung zu stellen. die Antwort am 23. November: Nein. Meine Damen und Herren, die Antwort lautet dann wieder Nein. Sie laute- Ich bin der Meinung, dass die Summen, die im Haus- te auch in den vergangenen Jahren Nein. Wir haben uns halt 2018 stehen, für die Erfüllung dessen, was in diesem in den vergangenen Jahren diese Frage in der Form nur Jahr getan werden kann, voll und ganz ausreichen. Das, nicht gestellt; sie ist uns auch nicht gestellt worden. was dort steht, muss erst einmal alles umgesetzt werden. Dieses Jahr ist zur Hälfte um. Deutschland war von Freunden umgeben; den Rest haben die Amerikaner erledigt. Wir haben die Amerika- Die Jahre 2019, 2020 und 2021 werden dann von hö- ner dafür zwar auch zu Recht ab und zu kritisiert; aber herer Bedeutung sein. Die logische Kette ist: Wir haben wir mussten uns zu Verteidigung und Sicherheit nicht ein Weißbuch, wir haben eine Konzeption der Bundes- die Fragen stellen, die wir uns heute stellen müssen. Ich wehr . Wir haben dann – jetzt noch nicht – ein Fähigkeits- würde mir natürlich wünschen, die Zeit von damals käme profl der Bundeswehr und eine Finanzbedarfsplanung. zurück. Ich würde mir wünschen, dass wir in Frieden und Ich bitte sehr darum, dass man auf der Grundlage der Do- Sicherheit leben; aber, meine Damen und Herren, wir kumente, die es für die parlamentarische Beratung gibt, müssen halt auch feststellen, dass die sicherheitspoliti- eine sehr gründliche, rationale und auch ruhige Debatte sche Situation heute eine andere ist, als sie es vor 10 oder darüber führt, was dann an Finanzmitteln zur Verfügung 15 Jahren war. gestellt werden muss. Jetzt können wir die Augen verschließen und sagen: Die Finanzen müssen so gestaltet sein, dass die Part- Gott sei Dank hat Deutschland damit nicht so viel zu tun. nerinnen und Partner, mit denen wir – gerade auch in Das ist wie ein Gewitter; das zieht vorbei. Oder wir kön- Europa – zusammenarbeiten, mit uns auch kooperieren nen auf diese Situation ernsthaft reagieren. Dazu gehört wollen und von uns nicht Signale erhalten, die sie fragen auch eine einsatzbereite Bundeswehr, meine Damen und lassen: Was macht denn die Bundesrepublik Deutschland Herren. da? Steht sie zu ihrem Wort? Stehen denn diese Projek- te noch, oder werden sie auf einmal zur Disposition ge- Um Europa herum hat sich in den letzten Jahren von stellt? Das schürt Verunsicherung. Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis zur Ukraine ein Krisenbogen gelegt. Wir müssen zur Kennt- Herr Präsident, ich sehe das Signal. – Vielen Dank, nis nehmen, dass die Auswirkungen dieser Krisen und dass Sie mir zugehört haben. (B) Konfikte auch nicht an den Grenzen Europas halt ma- (D) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chen, sondern dass auch wir in Europa davon unmittelbar der CDU/CSU) betrofen sind – Stichwort Migration, Stichwort Terroris- mus. Vizepräsident Thomas Oppermann: Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Meine Damen und Herren, letzter Redner zu diesem Cyberraum plötzlich ganz neue Bedrohungen entstanden Einzelplan ist Dr. Reinhard Brandl für die CDU/CSU. sind, an die wir vor zehn Jahren noch gar nicht gedacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU – Henning Otte [CDU/CSU]: Last, but not least!) Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass im Rah- men der hybriden Kriegsführung Bedrohungen für unse- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): re Demokratie weit unterhalb der Schwelle eines bewaf- neten Angrifs entstehen können. Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Unser Land steht vor einer Richtungsentscheidung. Wol- Genauso müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das len wir für die Landes- und Bündnisverteidigung eine traditionelle und bisher verlässliche Bündnis mit den einsatzbereite Bundeswehr haben? Ja oder nein? Amerikanern nicht mehr die Kraft hat, wie es in den ver- gangenen Jahren die Kraft hatte, dass Europa mehr für (Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: seine Sicherheit und Verteidigung investieren muss und Ja!) dass Europa auch auf Deutschland blickt, ob wir als wirt- Meine Damen und Herren, wir werden diese Entschei- schaftsstärkstes Land dieses Kontinents unserer Verant- dung stellvertretend für unser Land trefen. Wir werden wortung gerecht werden. sie nicht heute trefen, aber wir werden sie voraussicht- lich am 23. November 2018, 12.30 Uhr, trefen, wenn es Deswegen wird Europa am 23. November auch nach nämlich um die Verabschiedung des Haushalts für 2019 Deutschland blicken und schauen, ob das, was wir in geht. Europa versprochen haben, fnanziert ist oder nicht. Bis jetzt ist es nicht fnanziert. Es sind wesentliche Projek- Und wir können uns jetzt nicht bis zum 23. November te, die wir in Europa politisch zugesagt haben, nicht im zurücklehnen und sagen: „Wir warten jetzt einmal, bis Haushalt hinterlegt. Dazu gehört die U‑Boot-Koope- es so weit ist“, sondern wir müssen die Diskussion über ration mit Norwegen. Dazu gehört zum Beispiel – der diese Frage bereits heute führen; denn in diesen Tagen Kollege Gädechens hat es angesprochen – das Thema werden die ersten entscheidenden Weichen gestellt. der sogenannten „Kleinen Fläche“, die Beschafung von 3056 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Reinhard Brandl (A) Transportfugzeugen gemeinsam mit Frankreich. Dazu ich glaube sogar, dass aufgrund der damaligen Bewer- (C) gehört MoTaKo, die Ausstattung mit Funkgeräten ge- tung der Sicherheitslage und der damaligen Prognose die meinsam mit den Niederlanden. Dazu gehört zum Bei- Entscheidungen, bei der Bundeswehr zu sparen, sie nicht spiel auch die Bereitstellung der VJTF für die NATO, die mehr auf Landes- und Bündnisverteidigung auszurich- wir zugesagt haben. ten, sondern sie auf Auslandseinsätze auszurichten, aus damaliger Sicht begründet und nachvollziehbar waren. Meine Damen und Herren, man muss sich einmal zum Wir haben 2011 – soweit ich mich erinnere, waren wir Thema Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vorstellen: 2011 in einer Koalition mit der FDP – die Neuausrich- Wir haben der NATO angezeigt, dass wir bereit sind, alle vier Jahre eine einzelne Brigade in höchste Einsatzbe- tung der Bundeswehr hier in diesem Haus beschlossen. reitschaft zu versetzen. 2015 haben wir das nur geschaft, Damals waren die Auslandseinsätze strukturbestimmend. weil wir das Material aus ganz Deutschland zu dieser ei- (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE nen Brigade zusammengefahren haben, damit sie diesen GRÜNEN]: Unter zu Guttenberg 8,3 Milliar- Auftrag zumindest ansatzweise erfüllen konnte. 2019 den!) sind wir wieder dran. Und wir werden es 2019 wieder nicht schafen, sondern wir werden auch 2019 wieder Die Landes- und Bündnisverteidigung war nachran- Material aus ganz Deutschland zusammenkarren. Dann gig. Ich erinnere mich, ich war noch 2012 in München sind wir wieder 2023 dran. Meine Damen und Herren, zu Gast auf einer Übung der NATO, wo die NATO, die wenn wir es 2023 nicht schafen, dass wir eine Briga- Bundeswehr und Russland eine gemeinsame Übung zum de einsatzfähig machen – neun Jahre, nachdem wir es Thema Raketenabwehr durchgeführt haben. auf dem NATO-Gipfel versprochen haben –, dann ma- chen wir uns lächerlich. Darum geht es, meine Damen Von dieser Entscheidung, die Bundeswehr zu verklei- und Herren. Es geht um die Ausrüstung für den Einsatz, nern, haben natürlich alle Ressorts proftiert. Das Geld, und es geht nicht um Aufrüstung. Mich stört, dass wir das zu dieser Zeit nicht mehr bei der Bundeswehr aus- die Frage „Wollen wir eine einsatzbereite Bundeswehr gegeben werden musste, konnte in vielen anderen Berei- in Deutschland?“ hier nicht wirklich diskutieren, sondern chen investiert werden, und die Ressorts sind hier auch dass laufend Nebelkerzen gezündet werden. Ich will eine vertreten. Was wir jetzt erwarten, ist, dass die anderen Nebelkerze von heute ansprechen. Ressorts, die damals von der Solidarität proftiert haben, jetzt die gleiche Solidarität zeigen und bereit sind, wieder Vizepräsident Thomas Oppermann: mehr in die Bundeswehr zu investieren. Bevor Sie die Nebelkerze ansprechen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage eines Kollegen aus der FDP? Die Zeiten – das ist der Punkt, den wir verstehen müs- (B) sen – haben sich seitdem geändert. 2014 war ein Jahr, in (D) dem sich die internationale Lage – auch die geopoliti- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): sche – für Deutschland massiv verändert hat. Das müssen Gerne, das verlängert meine Redezeit, darüber freue wir erkennen, und darauf müssen wir reagieren. Da kön- ich mich immer. nen wir uns jetzt nicht zurücklehnen und sagen: „2011 haben wir gesagt …“, „2009 haben wir gesagt …“, „2005 Dr. Christoph Hofmann (FDP): haben wir gesagt …“. Die Zeiten sind heute andere. Was Sehr geehrter Herr Brandl, sehr geehrter Herr Präsi- ich von der Bundesregierung und von den Kollegen hier dent, schön, dass die Zwischenfrage möglich ist. – Sie fordere, ist, dass sie anerkennen, dass es andere Zeiten haben viel von neuen Herausforderungen gesprochen. sind und wir dementsprechend wieder mehr in unsere Sie haben auch viel von den guten alten Zeiten gespro- Sicherheit und Verteidigung investieren müssen. Das ist chen, als man nichts für die Verteidigung tun musste. So notwendig. – Herzlichen Dank, Sie dürfen sich wieder ungefähr haben Sie es dargestellt. Sie haben auch davon setzen. gesprochen, dass es nicht möglich ist, diese Brigade ein- satzfähig zu haben und dass die Situation schon neun (Beifall bei der CDU/CSU) Jahre andauert. Meine Frage ist: Das Verteidigungsmi- nisterium war ja sehr lange in der Hand der CDU, wenn ich mich recht erinnere. Wer trägt dafür die politische Vizepräsident Thomas Oppermann: Verantwortung? Und ich stelle die Uhr für Sie wieder an. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): NEN]) Jetzt will ich was zu den Nebelkerzen sagen:

Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Erstens: die große Nebelkerze des Kollegen Lindner. Verehrter Herr Kollege, die Zeit, über die wir spre- chen, betrift die Zeit seit dem Ende des Kalten Krieges. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Seit Ende des Kalten Krieges haben wir alle, mit Aus- GRÜNEN]: Damit kennen Sie sich aus!) nahme der ganz linken und der ganz rechten Fraktion in diesem Haus, irgendwann einmal Verantwortung für Das Thema der kleinfächigen Transportfugzeuge ist im die Bundeswehr getragen. Meine Damen und Herren, Haushalt veranschlagt. Wenn man den Haushalt genau Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3057

Dr. Reinhard Brandl (A) liest, dann sieht man, dass der Betrieb der Infrastruktur Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Bun- (C) veranschlagt ist. desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist es veranschlagt, wenn Bevor wir beginnen, will ich erst mal abwarten, bis Sie es nicht fnanzieren können? Was für eine sich die Kollegen sortiert haben. Haushaltspolitik ist das denn?) Dann fangen wir an. Das Wort hat als erster Redner Was noch nicht veranschlagt ist – mit keinem Euro –, der Bundesminister Dr. Gerd Müller. ist die gemeinsame Beschafung dieser Flugzeuge mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Frankreich. Gabi Weber [SPD]) Die zweite Nebelkerze: Die Bundeswehr könne nicht das Geld ausgeben, das veranschlagt ist, insbesondere Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche im Rüstungsbereich. Frau Nahles hat das angesprochen. Zusammenarbeit und Entwicklung: Wissen Sie, was die Wahrheit ist? Die Bundeswehr muss Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ver- im Haushalt alles veranschlagen, worüber sie Verträge teidigungspolitiker hätten dableiben dürfen; denn durch geschlossen hat. Wenn sie es nicht machen würde, würde erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit können wir die Opposition sofort kommen und sagen: Ihr habt ja Ver- Kriege und Krisen verhindern. träge über viel höhere Summen geschlossen, das ist gar nicht richtig veranschlagt. (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann können Sie die Rüstungsexporte auch stoppen!) (Andrea Nahles [SPD]: Hey, wir sind die Regierung!) Es geht um den vernetzten Ansatz in der Außen-, Vertei- digungs- und Entwicklungspolitik. Im letzten Jahr ist Folgendes passiert: Unser damali- ger Koalitionspartner hat plötzlich das Thema der Drohne Die Entwicklungspolitik hat heute einen vollkommen Heron TP kurzfristig von der Tagesordnung genommen. neuen Stellenwert erhalten. Unser Haushalt wächst 2018 um 10,5 Prozent. Wir haben die Marke von 0,5 Prozent (Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE des BNE erreicht, und dafür bin ich dem Finanzminister, GRÜNEN]: Sie haben der Absetzung ja zuge- der Kanzlerin, der SPD-Parteivorsitzenden, die gerade stimmt! Sie hätten sich wehren können!) rausgeht, und dem Parlament sehr dankbar. Wir können Die 300 Millionen Euro, die eingeplant waren, konnten damit eine Menge zusätzlich tun, Probleme vor Ort lö- sen, etwa in den Krisengebieten um Syrien. (B) nicht ausgegeben werden. Dann hatten wir eine Fregatte (D) bestellt, die, wie sich kurz vor Jahresende herausstellte, Ich war vor kurzem zusammen mit Herrn Grübel und nicht ausgeliefert werden konnte – wieder 300 Millionen anderen Kolleginnen und Kollegen in Mosul. Wenn man Euro, die liegen geblieben sind. Was soll denn die Bun- durch die Stadt fährt, dann sieht man Zerstörung wie im deswehr da machen? Werfen Sie jetzt ernsthaft der Ver- Weltkrieg. Das kennt unsere Generation nicht live, aber teidigungsministerin vor, dass sie die 600 Millionen Euro von Bildern aus Berlin und aus Dresden. nicht plötzlich in andere Rüstungsprojekte stecken kann? In Mosul, in dieser total zerstörten Stadt, haben wir (Andrea Nahles [SPD]: Ja, genau das hat der Bagger gesehen. Ich habe gefragt: Was passiert hier? Die Kollege gesagt! Es gibt A, B und C! Das wer- Antwort war: Wir – unsere Partner – bauen ein Notfall- fen wir euch vor!) krankenhaus aus Containern auf. Durch die Trümmer der So kurzfristig kann sie doch nicht reagieren; das wäre Stadt verläuft eine grüne Hartgummileitung. Es handelt ja auch nicht seriös. Es gehört in diesem Geschäft ein- sich um eine mit deutschen BMZ-Mitteln gebaute Was- fach dazu, dass sich große Rüstungsvorhaben verzögern. serleitung, durch die 1 Million Rückkehrer mit Wasser Manchmal liegen die Ursachen in der Politik, manchmal versorgt werden. Die Menschen stehen an den Trinkwas- in der Industrie, aber selten bei der Bundeswehr. serhähnen und holen mit Kübeln Wasser. Wir können ein Stück stolz darauf sein, was geleistet wird.

Vizepräsident Thomas Oppermann: Alle, die Entwicklungshilfe konditionieren wollen, alle, die dorthin zurückführen wollen, wo abgelehnte Herr Brandl. Asylbewerber nicht zurückgenommen werden, frage ich: Soll ich den Kindern den Wasserhahn zusperren? Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): Dadurch würde keine einzige Person mehr in den Irak Herr Präsident, vielen Dank für die Redezeit. zurückkehren. Im Übrigen ist das Aufgabe der Länder- innenminister. Wir haben mit dem Irak nicht einmal ein Ich bedanke mich. Rückführungsabkommen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Thomas Oppermann: Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Alle Partner- Ich war sehr großzügig mit Ihnen. – Das war die letzte länder sind zur Kooperation verpfichtet, und sie koope- Rede in dieser Debatte. rieren auch. Aber jeder erledigt seine Aufgabe für seinen 3058 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Bereich: der Außenminister, die Länderinnenminister nächsten Wochen werden wir darüber diskutieren. Ich (C) und der Entwicklungsminister. glaube, der Haushaltsspielraum lässt es zu, dass wir mindestens die Quote von 0,5 Prozent halten und die Unsere Partner vor Ort sind großartig; ich muss das 0,7-Prozent-Quote im Blick behalten. einfach sagen. Ich bin letzte Woche mit Bürgermeistern aus dem Libanon zusammengetrofen. Dieser kleine In 80 Partnerländern in der Welt arbeiten wir mit vie- Libanon mit 4,5 Millionen Einwohnern hat 1,5 Milli- len Tausenden zivilen Experten zusammen für eine Welt onen Flüchtlinge aufgenommen. 1,5 Millionen Flücht- ohne Hunger. Damit erzielen wir langfristige Wirkungen. linge! Es gibt dort Städte mit 30 000 Einwohnern, die In den letzten 20 Jahren konnte die Zahl der Hungernden 60 000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Unsere erfolg- im Verhältnis zur Bevölkerungszahl halbiert werden. Ich reiche Arbeit und der Mitteleinsatz führen dazu, dass die sage: Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Sie wissen das; Menschen vor Ort eine Perspektive haben. Die Men- ich habe das mehrfach ausgeführt. Wir arbeiten für ein schen wollen auch wieder zurück nach Syrien. Das ist Recht auf Leben in Würde für alle, für die Achtung der die kommende Aufgabe. Dies ist möglich. Menschenrechte, für Gleichberechtigung und Toleranz. Jeder Mensch auf dem Planeten hat ein Recht auf Leben Die Menschen wollen hofentlich auch bald wieder in Würde. Wir, die Starken, haben eine besondere Ver- zurück in den Irak. Jeder Cent schaft Zukunft und gibt pfichtung gegenüber den Armen und den Schwachen in den Menschen vor Ort Hofnung. Ich möchte auf den den Entwicklungsländern. Punkt bringen, wie genau die Arbeit vor Ort abläuft; denn viele wissen das nicht, was ich aber niemandem zum Vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD so- wurf mache. Überlegen Sie mal: Die Familien, die ich wie bei Abgeordneten der FDP) im Flüchtlingscamp besucht habe, leben von 50 Cent am Tag. Das ist die Ration, die wir über das Ernährungs- Ich setze in den nächsten Jahren ganz besonders auf programm gemeinsam mit dem Außenministerium f- Bildung, auf Ausbildung. 25 Prozent des Etats – das ist nanzieren. Das ist die Basis für die Grundversorgung. mein Ziel – fießen unter anderem in eine neue Sonder­ Eine Mutter hat 50 Cent am Tag zur Verfügung, um ihre initiative „Ausbildung und Beschäftigung“. Eine Über- Familie zu ernähren. Das sind 15 Euro pro Monat und lebensfrage der Menschheit ist die Sicherung der Er- 180 Euro im Jahr, mit denen wir Leben retten, indem wir nährung für eine steigende Weltbevölkerungszahl. Die die Menschen versorgen. Ich möchte nicht, dass unser Bevölkerung Afrikas wird sich in den nächsten 30 Jahren Beitrag zurückgefahren wird; denn wir dürfen die Men- verdoppeln. Die Menschen brauchen Ernährung – es ist schen vor Ort nicht im Stich lassen. möglich, das sicherzustellen –, Energie, aber auch Jobs, Arbeitsplätze. Allein auf dem afrikanischen Kontinent (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP werden jedes Jahr 20 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich (B) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) benötigt. In 20 Jahren sind das 400 Millionen Arbeits- (D) plätze. Unser Ziel muss es sein, hier einen Beitrag zu Über die aktuelle Krisenarbeit hinaus haben wir in leisten, nicht nur mit öfentlichen Geldern, sondern auch den letzten vier Jahren den Haushaltsaufwuchs zu zwei mit einem Investitionsgesetz zur Förderung der wirt- Dritteln genutzt, um uns auf Hilfe in den Regionen zu schaftlichen Entwicklung, mit privaten Investitionen und konzentrieren und für Strukturen zu sorgen. Dazu gehö- mit fairen Handelsstrukturen. Diese Themen werden wir ren auch afrikanische Krisenregionen, zum Beispiel die in den nächsten Monaten angehen. Dürreregionen Äthiopien, Somalia, Südsudan und viele mehr. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir müssen unsere Arbeit verstetigen. Wir müssen Meine Damen und Herren, der Präsident gibt mir ein Entwicklungspolitik als langfristige und grundsätzliche Zeichen, dass meine Redezeit zu Ende geht. Dabei hätte Aufgabe begreifen, nicht nur einmal rein ins Land und ich noch so viel zu sagen. dann wieder raus. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, dafür zu sorgen, dass der Haushalt 2019 die Wir brauchen neue Antworten. Damit möchte ich Vorgaben des Koalitionsvertrages erfüllt und wir ihn ge- klarmachen: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- meinsam umsetzen. wicklung ist heute ein politisches Querschnittsthema. Wir brauchen neue Antworten in der Wirtschafts- und (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Handelspolitik, neue Antworten in der Umwelt- und Kli- Martin Rabanus [SPD]) mapolitik, neue Antworten in der Agrar- und Sozialpoli- tik, neue Antworten in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das heißt, ein Absinken der ODA-Quote unter das jetzt In all diesen Bereichen muss angesichts der neuen He- erreichte Ziel von 0,5 Prozent des Bruttonationalein- rausforderungen Entwicklungspolitik betrieben werden. kommens muss verhindert werden. Dazu brauchen die ODA-Ministerien, liebe Haushälter, zusammen eine Ver- Ich sage aber auch: Beginnen wir zu Hause, zum Bei- stärkungsmilliarde. Damit können wir den weiter wach- spiel im Bundestag und in den Ministerien. Stellen wir senden Mehrbedarf in den Krisenregionen abdecken. Das den Bundestag mit seiner Verwaltung und alle Ministe- bedeutet, dass wir das Programm „Perspektive Heimat“ rien in Deutschland, auch die Länderministerien, klima- fnanzieren, den Marshallplan anfnanzieren und unsere neutral auf. Fangen wir bei uns an. Das BMZ wird das Verpfichtungen in den Krisenregionen erfüllen. Wenn erste Ministerium sein, das sich klimaneutral aufstellt, das nicht passiert, sondern der Haushaltsetat abgesenkt und zwar im kommenden Jahr. Auch beim Thema „faire wird, dann müssen auch die Mittel für die Programme Beschafung“ liegen wir im öfentlichen Dienst weit hin- vor Ort gekürzt werden. Das muss jeder wissen. In den ter unseren Vorgaben zurück. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3059

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nenne noch die dort gesprochen, und sie sagten zu mir: Wenn wir einen (C) Themen, um die es in den nächsten Monaten gehen wird: Tunesier zurücknehmen sollen, dann muss es auch ein Nehmen wir den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Tunesier sein. Menschenrechte ernst. Wir helfen den Entwicklungslän- dern am allerbesten, indem wir die Globalisierung ge- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) recht gestalten. Damit bin ich beim Thema Lieferketten. Aber die Länderinnenminister können die Identifzie- Wir müssen die Lieferketten zertifzieren und sozial-öko- rung der hier Angekommenen bis heute nicht defnitiv si- logische Mindeststandards verbindlich machen. Wer das cherstellen. Wir haben diese biometrischen Daten bisher als Schnapsidee bezeichnet, der hat es nicht begrifen: nämlich nicht. Menschenrechte müssen weltweit gelten. Keine Kinder- ausbeutung für unsere Kleider! Das ist nicht Aufgabe des Entwicklungsministers. Aber ich sage Ihnen klar: Ich arbeite mit dem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP innenminister sehr, sehr gut zusammen. Wir werden und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des insbesondere im Rahmen des Programms „Perspektive BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Heimat“ Möglichkeiten und Anreize bieten, um dafür zu Abg. Jürgen Braun [AfD]) sorgen, dass Menschen aus Deutschland nicht als Loser zurückkehren, sondern in Beschäftigungs- und Ausbil- Vizepräsident Thomas Oppermann: dungsprogramme integriert werden. Ich glaube, das kann Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des ein erfolgreicher Ansatz werden. Kollegen Frohnmaier von der AfD? (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Es gäbe noch viele wichtige Themen, die wir ge- meinsam erörtern müssen. Ich darf abschließend, weil Ja, gerne. ich sonst zu sehr überziehe, den Blick nach Europa richten. Kolleginnen und Kollegen Haushälter, diese Markus Frohnmaier (AfD): Herausforderung können wir nicht national und allein Herr Minister, Sie haben das Verhältnis zu den Innen- bewältigen. Wir brauchen die europäische Komponen- ministern angesprochen. Aus Ihrer eigenen Partei, der te. Wir brauchen eine Europäisierung der Afrika-Poli- CSU, kam der Vorschlag, die Mittel für Entwicklungs- tik. Wenn ich mir den jetzt vorgelegten Haushaltsansatz zusammenarbeit für die Staaten zu streichen, die nicht aus Brüssel ansehe, muss ich sagen: Das ist die Struktur (B) in der Lage sind, Pässe für ihre eigenen Staatsbürger der 80er-Jahre. Wir geben in der kommenden Sieben- (D) auszustellen. Das sind überwiegend nordafrikanische jahresperiode 420 Milliarden Euro für die europäische Staaten. Sie haben das mit der Begründung abgelehnt, Landwirtschaft aus, und 42 Milliarden Euro sind für die dass der Migrationsdruck in Richtung Europa, in Rich- Afrika- und Entwicklungspolitik vorgesehen. Das wird tung Deutschland dadurch steigen würde. Was halten den Zukunftsherausforderungen nicht gerecht. Das ist Sie davon, die Gelder, die man durch die Streichung der keine Antwort. Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit diesen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Ländern einsparen könnte, wie Ihre Partei, die CSU, es SPD und der FDP) vorgeschlagen hat, in die deutsche Grenzsicherung zu in- vestieren? Lassen Sie mich zum Schluss einen Finanzierungs- (Zurufe von der LINKEN) vorschlag machen. Aus den Reihen der SPD gab es vor einigen Jahren ein Gutachten. Ich habe heute – da verrate ich nicht zu viel – mit dem Finanzminister darüber ge- Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche sprochen. Führen wir doch in Europa die Finanztransak- Zusammenarbeit und Entwicklung: tionsteuer ein: 0,01 Prozent auf spekulative Anlagen im Jeder hat seine Hausaufgaben zu machen. Ich bin Hochgeschwindigkeitshandel. nicht für Abschiebungen zuständig. Zu meinem großen Erstaunen – ich habe mir das einmal angeschaut – be- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der LIN- fndet sich unter den Top-Zehn-Ländern der abgelehnten KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Asylbewerber mit Status „ohne Duldung“ nur ein afri- Ja, machen wir uns dafür stark. Das bringt 60 Milliarden kanisches Land. Das ist ganz erstaunlich. Ganz oben ist Euro in den europäischen Haushalt, und die setzen wir Serbien, da ist der Kosovo, und da ist Albanien. Das sind dann für eine zukunftsbezogene Entwicklungs- und Af- Heranführungsländer, die in die Europäische Union wol- rika-Politik ein. Dann muss kein Mensch in Deutschland len. Ich sehe keinen Grund, warum diese Menschen nicht dafür bluten. im Rahmen von Programmen – ein solches Programm werde ich aufegen – zurückgehen sollten, wenn sie hier (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des keine Chance haben. Das ist aber zunächst einmal keine BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herausforderung für Entwicklungsländer. Meine Damen und Herren, zum Schluss. Wir bleiben Was Tunesien und Marokko betrift, kann ich Ih- optimistisch. Großartige Menschen, Kirchen und Orga- nen sagen: Die Tunesier und die Marokkaner haben nisationen haben sich unserer Aufgabe verschrieben. Ih- biometrische Daten. Ich habe mit den Innenministern nen möchte ich ganz herzlich danken. Jeder Euro für die 3060 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Bundesminister Dr. Gerd Müller (A) EZ schaft Lebens- und Berufsperspektiven, Frieden und Sicht der AfD die einzig moralisch richtige Antwort auf (C) Zukunft. den anwachsenden Wanderungsdruck der Menschen aus den Krisenländern. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der AfD) Es ist nicht hinnehmbar, dass viele Herkunftsländer Vizepräsident Thomas Oppermann: ihre als Asylbewerber bei uns abgelehnten Staatsbürger Dann machen wir weiter. Nächster Redner ist Volker nicht zurücknehmen wollen. Wir als AfD halten es für Münz für die Fraktion der AfD. falsch, sehr geehrter Herr Müller, wenn Sie in solchen Fällen aus vermeintlich humanitären Gründen keine Ent- (Beifall bei der AfD) wicklungshilfemittel kürzen wollen; denn die bilaterale – und nur darum geht es – staatliche Entwicklungszusam- Volker Münz (AfD): menarbeit setzt Vertrauen, Kooperationsbereitschaft und Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Mi- Vertragstreue voraus. Wo diese elementaren Bedingun- nister Müller! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine gen nicht eingehalten werden, müssen wir konsequent Fraktion sagt Ja zur Entwicklungshilfe. Aber diese soll sein und unsere Mittel kürzen. Wohlgemerkt: Es geht hier und muss qualitativ und quantitativ angemessen gestal- nicht um Nothilfemaßnahmen und nicht um Maßnahmen tet werden. Es geht nicht darum, Geld gleichsam mit der oder Mittel für die Förderung des zivilgesellschaftlichen Gießkanne an eine Vielzahl von Empfängern auszuschüt- oder wirtschaftlichen Engagements. ten. Es geht darum, nicht Almosen, sondern konkrete Hil- fe zur Selbsthilfe zu gewähren. Ziel der Entwicklungs- Problematisch ist auch die Vielzahl der Projekte und hilfe sollte sein, dass die Empfängerländer in die Lage Empfänger. Dies stellt unseres Erachtens eine Verzet- versetzt werden, in Eigenregie ihre gesellschaftlichen, telung bei der Verteilung der Entwicklungshilfemittel wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu gestalten; sondergleichen dar. Die Frage ist, ob die ausgereichten das heißt, für die Menschen Lebensperspektiven in den Mittel überhaupt efzient eingesetzt und verwendet wer- Heimatregionen zu schafen, damit diese ihr Heil nicht in den und ob die Prüfung vollumfänglich stattfndet und Deutschland suchen werden. personalmäßig überhaupt möglich ist. (Beifall bei der AfD – Gabi Weber [SPD]: Besonders fragwürdig ist, dass allein rund 300 Mil- Was? Das ist nicht der Grund! Das haben Sie lionen Euro an deutsche politische Stiftungen fießen. nicht verstanden!) Wenn man sich dann mal anschaut, was diese Stiftungen (B) Selbstverständlich sind auch hier die Interessen im Einzelnen fnanzieren, so stößt man auf Projekte wie (D) Deutschlands in diesem Zusammenhang zu berücksich- zum Beispiel die Genderförderung. tigen. Es sollte, zumindest mittelfristig, ein gegenseitiges (Dr. Christoph Hofmann [FDP]: Völlig ah- Geben und Nehmen sein. nungslos! – [BÜNDNIS 90/DIE Vor diesem Hintergrund steht es in keinem angemes- GRÜNEN]: Was ist das, „Genderförderung“?) senen Verhältnis, was der deutsche Staat für die etwa 1,7 Millionen Asylbegehrer, die seit 2014 nach Deutsch- – Nicht Frauenförderung, da steht „Gender“. land gekommen sind, für die Unterbringung und Ver- sorgung ausgibt, nämlich laut Sachverständigenrat rund (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 50 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist mehr als das Fünf- NEN]: Mein Gott, das ist aber auch schlimm!) fache des Haushalts des Entwicklungshilfeministeriums. Es gibt sicher Wichtigeres und Dringenderes zu tun als (Beifall bei der AfD) die Förderung der Genderideologie. Sieht so eine verantwortungsvolle Politik aus? Nein, (Beifall bei der AfD – Helin Evrim Sommer meine Damen und Herren, diese Art von Politik ist unge- [DIE LINKE]: Was ist denn „Gender“?) recht. Sie ist auch nur scheinbar human und nur schein- bar christlich. Wir brauchen eine verantwortungsethische Außerdem ist nicht nachvollziehbar, wieso China und keine gesinnungsethische Politik. als mittlerweile zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt deutsche Entwicklungshilfe bekommt, so zum Beispiel (Beifall bei der AfD) 190 Millionen Euro an staatlichen Garantien, zinssub- Mit den rund 50 Milliarden Euro pro Jahr, die Deutsch- ventionierte Darlehen der KfW in Höhe von 250 Milli- land für Asylbewerber aufbringt, könnten wir einhun- onen Euro zuzüglich diverser Einzelmaßnahmen kirchli- dertmal mehr Menschen in den Herkunftsregionen Hilfe- cher und sonstiger Einrichtungen. stellung und eine Lebensperspektive bieten. Dann hätten wir auch die von der OECD geforderte Entwicklungshil- Ebenso erhält die Türkei 56 Millionen Euro an staat- fequote von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts mehr lichen Garantien sowie zinssubventionierte Darlehen in als erfüllt. Derzeit sind es ja ofziell 0,5 Prozent. Höhe von 100 Millionen Euro aus dem Etat des Entwick- lungshilfeministeriums. Wir brauchen eine Politik, die neben akuten humani- tären Hilfsmaßnahmen vorrangig an den Ursachen von (Dr. Christoph Hofmann [FDP]: Das gibt es Armut und Wanderungsbewegungen ansetzt. Dies ist aus nicht!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3061

Volker Münz (A) – Ja, das gibt es nicht. Das heißt „Ministerium für wirt- Der erste vierjährige Finanzplan von 2014 sah für (C) schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“; sie ha- 2018 noch Ausgaben in dem Bereich in Höhe von knapp ben vollkommen recht. 6,7 Milliarden Euro vor. Inzwischen sind es 2,7 Mil- liarden Euro mehr geworden. Das hat mit Sicherheit (Beifall bei Abgeordneten der FDP) auch damit zu tun, dass in den letzten Jahren viel mehr Statt eine Vielzahl von Projekten und Trägern zu för- Flüchtlinge weltweit unterwegs waren und auch bei uns dern, wäre es aus unserer Sicht efektiver, wenn sich die in Deutschland viele Flüchtlinge angekommen sind. Da- Entwicklungshilfepolitik auf wenige, dafür große Pro- durch ist aber auch bei uns in Deutschland ein neuer Fo- jekte konzentrieren würde, auf sogenannte Leuchtturm- kus auf der Notwendigkeit entstanden, mehr humanitäre projekte. Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit vor Ort in den Krisengebieten zu leisten. Außerdem sollten die Gründung und Ansiedelung von Produktionsstätten zum Beispiel zur Veredelung und Ver- Mit dem großen Aufwuchs im Einzelplan des BMZ arbeitung von Agrarprodukten wie Kafee, Kakao oder setzen wir einen deutlichen Schwerpunkt, der auch uns sonstiger Rohstofe gefördert werden, damit die Men- Sozialdemokraten sehr am Herzen liegt: unsere interna- schen ihren Wohlstand selbst erarbeiten können. tionale Verantwortung. Ich freue mich übrigens beson- ders – Herr Münz, passen Sie auf! – über die Aufsto- (Beifall bei der AfD) ckung des Etats bei den politischen Stiftungen. Dann würde das Ministerium seinem Namen – wirt- schaftliche Zusammenarbeit – gerecht werden. Aber das ( [AfD]: Das glauben wir Ih- passiert viel zu wenig. nen! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das glauben wir Ihnen sofort!) Dazu gehören natürlich auch faire Wirtschaftsbezie- hungen. Das wäre ein zukunftsweisender Beitrag zur Vielleicht sollten Sie einmal Ihre Komfortzone verlassen Entwicklung und wirtschaftlichen Zusammenarbeit. und die Akteure vor Ort besuchen. Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der AfD) Dann werden Sie nämlich sehen, dass die politischen Stiftungen wichtige Partner in den Entwicklungsländern Vizepräsidentin : sind, insbesondere wenn es darum geht, das Demokratie- (B) Das Wort hat die Kollegin Sonja Stefen für die verständnis, (D) SPD-Fraktion. (Karsten Hilse [AfD]: Das sehen wir jeden (Beifall bei der SPD) Tag, Ihr Demokratieverständnis!) die politische Meinungsvielfalt und die Rolle der Frau Sonja Amalie Stefen (SPD): zu stärken. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Herr Münz, ich habe ei- (Beifall bei der SPD und der FDP) gentlich schon darauf gewartet, dass Sie das Thema Gen- dern ansprechen. Ich empfehle Ihnen eine Fortbildung in Auch der Aufwuchs bei den Kirchen ist sehr zu be- dem Bereich, damit Sie sich unter dem Begrif vielleicht grüßen. Nicht zuletzt sie sind es nämlich mit Brot für die ein bisschen mehr vorstellen können. Welt und Misereor, die in den ärmsten Regionen oft noch die einzigen Netzwerke haben, an die die Menschen sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vor Ort wenden können. der FDP – Zuruf von der SPD: Das begreift der nie! – Dr. Alexander Gauland [AfD]: Sie Ein weiterer Schwerpunkt des Etats liegt wie schon verzichten auf Ihre Fortbildung von vornhe­ früher auf dem Bereich Krisenbewältigung und Wieder- rein!) aufbau. Hier werden die Mittel um insgesamt 200 Mil- lionen Euro auf 700 Millionen Euro aufgestockt. Damit Und lauschen Sie meiner Rede! Vielleicht können Sie sorgen wir für den Wiederaufbau von Wasserleitungen. dann auch in dem Zusammenhang noch etwas lernen. Der Herr Minister hat es vorhin im Zusammenhang mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten seiner Reise nach Mosul schon erwähnt. Damit sorgen der FDP) wir für den Aufbau von Schulen und Krankenhäusern in Krisen- und Katastrophengebieten wie Syrien, dem Meine Damen und Herren, wir stellen im Haus- Gazastreifen und dem Südsudan. Allerdings ist hier eine halt 2018 einen Rekordetat für die Entwicklungszusam- intensive Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt menarbeit auf: über 9,4 Milliarden Euro. Damit steigern und dem Entwicklungsministerium nötig. wir die Ausgaben gegenüber dem Vorjahr um 900 Milli- onen Euro. Das sind satte 10 Prozent. Insgesamt wach- Meine Damen und Herren, ich fürchte, dass die welt- sen die Ausgaben des Bundeshaushaltes übrigens nur um weiten Krisen und Konfikte auch zukünftig nicht weni- 3,1 Prozent. Daran sieht man, wie stark der Etat der Ent- ger werden. Gerade die Ereignisse in den letzten Tagen wicklungszusammenarbeit gestiegen ist. haben uns das wieder vor Augen geführt. Wir sollten des- 3062 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Sonja Amalie Stefen (A) halb zukünftig auch im Bereich der humanitären Hilfe Schwerpunkt auf die Bildung der Mädchen setzen; denn (C) weitere Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. die Mädchen, die Frauen sind oft die eigentlichen Kraft- werke vor Ort. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Die Bundeskanzlerin hat übrigens heute Morgen in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ihrer Rede auch darauf hingewiesen, dass gerade in der ten der CDU/CSU und der Abg. Helin Evrim humanitären Hilfe die Budgets zum Beispiel von Welt- Sommer [DIE LINKE]) ernährungsprogramm und UNHCR dramatisch defzitär Neben der Bildung ist uns vor allem der Gesundheits- sind. Deshalb ist hier eine stärkere fnanzielle Unterstüt- bereich wichtig; denn wer krank ist, kann nicht arbeiten zung unbedingt erforderlich. und seine Familie ernähren. Darüber hinaus besteht die (Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Gefahr, dass Epidemien in kürzester Zeit – Beispiel Ebo- Abgeordneten der CDU/CSU – Anja Hajduk la – verheerende Folgen haben. Oft geht es um Krank- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht heiten, die dank des medizinischen Fortschritts eigentlich vorgesehen!) vermeidbar sind. Deshalb wollen wir – auch das ist im Koalitionsvertrag festgelegt – die Impfallianz GAVI und Herr Minister, Sie haben uns vorhin einen kurzen Aus- den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberku- blick auf die nächsten Jahre ab 2019 gegeben. Wir von lose und Malaria weiter unterstützen. der SPD-Fraktion begrüßen ausdrücklich, dass Sie die Zusammenarbeit mit Afrika verstärken wollen. Wir erin- Wie Sie sehen, ist noch viel zu tun. Ich freue mich nern aber auch daran – das haben Sie bereits getan –, dass auf die kommenden Beratungen über den Haushalts- dazu ein fairer Handel benötigt wird. Ein Blick in den plan 2018. Aber wir brauchen für die Erreichung der Koalitionsvertrag zeigt, dass wir das eindeutig festgelegt Ziele auch in zukünftigen Haushaltsjahren ausreichend haben. Wir wollen Vorreiter für eine faire Handelspoli- Haushaltsmittel. Die SPD-Fraktion wird sich weiterhin tik im Verhältnis zu Afrika sein. Wir wollen verbindliche für die Erreichung des ODA-Ziels einsetzen. Dafür brau- soziale, menschenrechtliche und ökologische Standards, chen wir Aufwüchse bei der Entwicklungszusammenar- die eingehalten werden. beit, aber auch beim Auswärtigen Amt im Bereich der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- humanitären Hilfe, im Umweltministerium für Klima- wie bei Abgeordneten der LINKEN) schutzmaßnahmen und im Gesundheitsministerium für globale Gesundheit. Herr Minister, wir wollen dies sehr Als weiteren Schwerpunkt, Herr Minister, haben Sie gerne mithilfe des Instruments der Finanztransaktion­ vorhin das Rückkehrerprogramm „Perspektive Heimat“ steuer tun. Da haben Sie uns Sozialdemokraten ebenfalls genannt. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Mir ist jeder auf Ihrer Seite. (B) freiwillige Rückkehrer tausendmal lieber als diese grau- (D) samen Nacht-und-Nebel-Aktionen, in denen Menschen Vielen Dank. abgeschoben werden, die oft jahrelang gut integriert bei uns lebten. Wenn es also um Binnenfüchtlinge geht oder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten darum, den Menschen eine wirklich fundierte Perspekti- der CDU/CSU) ve zu verschafen, dann haben Sie uns auf alle Fälle an Ihrer Seite. Allerdings lässt die Bezeichnung „Perspek- Vizepräsidentin Petra Pau: tive Heimat“ auch befürchten, dass mit Mitteln der Ent- Das Wort hat der Kollege Michael Georg Link für die wicklungszusammenarbeit Innenpolitik betrieben wer- FDP-Fraktion. den soll. Das sehen wir Sozialdemokraten sehr kritisch. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der FDP) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜND- Michael Georg Link (FDP): NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur ihr!) Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Das Entwicklungspolitik bedeutet nämlich nicht, Menschen BMZ soll 2018 etwa 1 Milliarde Euro zusätzlich bekom- wieder dorthin zurückzubringen, woher sie gekommen men; das ist gut und richtig. Das klingt zunächst positiv, sind, vor allem dann nicht, wenn sie dort keine Perspek- wir sollten als Haushälter jedoch etwas tiefer schauen. tive haben. Wenn ich Sie aber richtig verstanden habe, In einer solchen Debatte wie der heutigen müssen wir Herr Minister Müller, sehen Sie das genauso. manchmal Wasser in den Wein schütten. Ohne wichtige Änderungen in der Struktur unserer Entwicklungspolitik (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird diese zusätzliche Milliarde Euro allein in der Welt NEN]: Leider nur er!) wenig bewirken. Dafür sehen wir aus unserer Sicht drei Wir begrüßen auch, dass Sie 2019 eine Bildungs- und Gründe. Erstens. In der Entwicklungspolitik zählt nicht Ausbildungsofensive starten wollen. Sie haben im Be- Quantität – Mittelabfussgeschwindigkeit –, sondern richterstattergespräch gesagt, dass es Ihr Ziel ist, 25 Pro- Qualität. Das heißt nicht, Herr Minister, dass das, was zent des Etats für Bildung und Ausbildung einzusetzen. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was alle Mitglie- Sie können sicher sein, dass Sie dafür bei uns Sozialde- der des Hauses, des BMZ, der GIZ, der KfW und anderer mokratinnen und Sozialdemokraten große Unterstützung Organisationen bereits heute leisten, nicht qualitätsvoll fnden werden. Wir sollten allerdings bei der Bildung wäre, im Gegenteil. Für meine Fraktion möchte ich all die Grundbildung nicht vergessen und einen besonderen jenen Menschen, die sich aus und für Deutschland beruf- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3063

Michael Georg Link (A) lich und ehrenamtlich in der Entwicklungszusammenar- auf. Denn die Sonderinitiativen behandeln ja die gleichen (C) beit engagieren, sehr herzlich danken. Themen, die das BMZ auch an anderer Stelle bearbeitet. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Lassen Sie mich einen dritten Grund nennen, wieso und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Mittelzuwachs für das BMZ alleine nicht so viel be- bei Abgeordneten der LINKEN) wirken wird, wie man es sich von einer so großen Sum- me erhofen würde. BMZ, Auswärtiges Amt und Ver- Entwicklungszusammenarbeit kann mühsam und teidigungsministerium verfolgen weiterhin bei weitem langwierig sein. Manchmal gibt es beeindruckende Er- nicht ausreichend einen vernetzten Ansatz. Sie haben gebnisse. Manchmal scheitern Projekte. Grundsatz der heute Ihre Rede damit begonnen, Herr Minister. Ja, wir deutschen Entwicklungspolitik muss deshalb immer sein, würden gerne mehr von einem vernetzten Ansatz sehen. stets besser zu werden, um besser helfen zu können. Da- Da ist sehr viel Luft nach oben. für muss man sich aber auch bewerten lassen; ich meine eine Bewertung von möglichst unabhängigen Experten. Solange sich zum Beispiel bei der Bekämpfung der Eine solche externe Evaluierung fndet in der deutschen Fluchtursachen die Aufgaben des BMZ und des AA im- Entwicklungsarbeit leider nicht – jedenfalls bei weitem mer noch so stark überschneiden, solange BMZ- und nicht ausreichend – statt. Stattdessen arbeitet das BMZ AA-Repräsentanten im Ausland oft unterschiedliche Po- mit Evaluierern, deren Zugang zu Unterlagen und Daten sitionen vertreten, zum Beispiel zu den seit 2015 enorm des BMZ – Zitat aus dem Bericht des Bundesrechnungs- gestiegenen Mitteln zur Krisenbekämpfung, solange kei- hofs an den Haushaltsausschuss vom 8. Mai 2018 – nicht ne efziente Koordinierung zwischen diesen beiden Häu- ausreichend sicherstellt, dass das Evaluierungsinstitut sern stattfndet, so lange verschwenden wir Gelder. DEval seinen satzungsgemäßen Auftrag sachgerecht und (Beifall bei der FDP) unabhängig erfüllen kann. Deshalb ist es wichtig, fest- zustellen: Die Erfolgsbewertung von entwicklungspoli- Wir fordern daher ganz unmissverständlich, dass die tischen Projekten gehört in externe, unabhängige Hände. angekündigte Spending Review, also der Check der Aus- gaben der Bundesregierung – das ist zwar auch nicht bes- Ich erlaube mir den kurzen Schwenk: Eigentlich muss tes Deutsch, aber etwas verständlicher formuliert –, die gleich der gesamte deutsche Außenauftritt, also die Ar- Potenziale für eine bessere Zusammenarbeit zwischen beit des BMZ und des AA, auf die gleiche Weise extern den Häusern aufdeckt und – das ist uns wichtig – bereits evaluiert werden. Nur wenn mehr Quantität auch zu mehr im 2019er-Haushalt vorgelegt wird, jedenfalls ihre ers- Efzienz, Abstimmung und Qualität führt, kann ein hö- ten Ergebnisse. Ein höherer Haushalt für das BMZ macht herer Haushalt mehr bewirken. erst dann wirklich Sinn, wenn dadurch keine Parallel- strukturen fnanziert werden. (B) Zweitens. In der Entwicklungszusammenarbeit müs- (D) sen wir global zusammen anpacken. Wir brauchen mehr Fazit: Wir brauchen erstens eine unabhängige externe Multilateralität. Ich höre gerne, wenn heute davon ge- Evaluierung, zweitens mehr Investitionen in die multi- redet wird, Herr Minister, dass wir mehr Europa brau- laterale Entwicklungszusammenarbeit und die Arbeit chen. Ich höre gerne, wenn lobende Worte zum UNHCR der UN und drittens einen efzienten Außenauftritt im gefunden werden. Aber dann möchten wir auch in der Rahmen eines vernetzten Ansatzes aus Entwicklungs-, Praxis des BMZ mehr Multilateralität sehen. Wir Freie Außen- und Verteidigungspolitik. So kann ein größerer Demokraten begrüßen deshalb ausdrücklich, dass einige Haushalt tatsächlich auch mehr bewirken. der zusätzlichen Gelder für das BMZ in die Programme der VN fießen sollen. Das ist wichtig. Dort, wo wir uns Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. global koordinieren, können wir mehr erreichen. Denken (Beifall bei der FDP) Sie nicht nur an das Flüchtlingshilfswerk, sondern auch an die Weltgesundheitsorganisation. Vizepräsidentin Petra Pau: Der Minister wird nicht müde, zu betonen, wie wich- Für die Fraktion Die Linke hat nun Michael Leutert tig ihm das Thema Bildung ist. Doch wo sind die zu- das Wort. sätzlichen Mittel für den UN-Bildungsfonds? Der Bun- desminister spricht gerne über das Thema Frauenrechte. (Beifall bei der LINKEN) Also frage ich: Wo sind die zusätzlichen Mittel für die Internationale Föderation zur Familienplanung? An man- Michael Leutert (DIE LINKE): gelndem Aufwuchs des Einzelplans kann es ja wohl nicht Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In liegen. letzter Zeit wird bei den Beratungen im Haushaltsaus- schuss der Koalitionsvertrag wie eine Bibel vor sich her Mit den zusätzlichen Mitteln für die Entwicklungspo- getragen. Jeder hat ihn eingesteckt und hat die entspre- litik könnte Deutschland in erprobte multilaterale Pro- chenden Stellen markiert, damit man sich gegenseitig gramme investieren und somit auch die UN in einer wich- beweisen kann, dass man auf Grundlage des Koalitions- tigen Zeit handlungsfähiger machen. Stattdessen pfegt vertrages arbeitet. der Minister lieber seine eigenen bilateralen Schauplätze und erhöht den Etat für seine drei Lieblingsprojekte, die Eine Sache, die hier immer wieder eine Rolle spielt sogenannten Sonderinitiativen – wir haben gerade von und hier auch schon mehrmals angesprochen wurde, ist, einer vierten gehört –, um über 200 Millionen Euro. Da- dass im Koalitionsvertrag eine Kopplung zwischen Ver- durch baut er, ganz ofen gesagt, einen Schattenhaushalt teidigungsausgaben und ODA-Ausgaben, also Ausgaben 3064 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Michael Leutert (A) für die Entwicklungszusammenarbeit, festgelegt sei. Die schaft subventioniert – das heißt, diese Landwirtschaft (C) Umsetzung solle sozusagen eins zu eins erfolgen. Daran ist so aufgestellt, dass sie afrikanische Produkte immer glauben selbst Journalisten. Ich habe Artikel gelesen, in sozusagen niederkonkurrieren wird –, dann werden wir denen Journalisten genau das schreiben: Wenn es 1 Milli- das Ergebnis natürlich nicht erreichen. So kann Entwick- arde Euro mehr im Verteidigungsbereich gibt, dann wird lungszusammenarbeit nicht funktionieren. es auch 1 Milliarde Euro mehr im Bereich Entwicklungs- zusammenarbeit geben. (Beifall bei der LINKEN) Wenn man sich jetzt mal die Zahlen anschaut, nicht Das ist ungerecht, und Fakt ist auch: Nur Gerechtigkeit bloß die vom Haushalt 2018, sondern auch die von der wird mehr Sicherheit schafen. Das muss von Ihnen viel- Finanzplanung, die bis zum Jahr 2021 reicht, bekommt leicht noch mal an den Finanzminister adressiert werden. man ein ganz anderes Bild, Wenn wir mehr Sicherheit haben wollen – das haben Sie (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch angesprochen –, müssen wir etwas für die Sicher- NEN]: Genau!) heit, für die Entwicklungsperspektiven in diesen Ländern tun, und dazu gehört auch die Frage der Gerechtigkeit. und dieses Bild ist ziemlich erschreckend. Man sieht, dass im Bereich BMZ, in Ihrem Ministerium, Herr Mi- Schließlich gilt es – Kollege Link hat es gerade ange- nister, zwar immerhin noch 2,5 Milliarden Euro mehr zur sprochen –, Kompetenzen klar zu klären. Wenn sie geklärt Verfügung stehen, dass es im Bereich des Auswärtigen sind, kann man efektiver arbeiten. Vielleicht können Sie Amtes allerdings ein Abschmelzen von 3,8 Milliarden uns da auch helfen. Die FDP hat dazu ja schon mal einige Euro geben wird, das heißt insgesamt ein Minus von Vorschläge unterbreitet, das BMZ zum Beispiel abzu- 1,3 Milliarden Euro. Im Verteidigungsbereich gibt es da- schafen. Dann brauchte aber Kollege Niebel noch ein gegen satte 22,5 Milliarden Euro mehr. Ministerium, und dann wurde es doch nicht abgeschaft. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben Westerwelle (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und Niebel damals Kompetenzen klären wollen. Die Ent- NEN]: Eins zu eins!) scheidungen, die damals in dieser Nacht-und-Nebel-Ak- Das – so muss ich mal sagen – hat nichts mit einem Ver- tion getrofen wurden, hängen uns noch heute an; sie hältnis von 1 : 1 zu tun, sondern das ist das glatte Gegen- erschweren uns die Arbeit. Aber aus Fehlern kann man teil von dem, was im Koalitionsvertrag steht. Ich weiß lernen. Vielleicht können Sie uns dabei helfen. nicht, wie man sich dafür feiern kann. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN) Trotzdem brauchen wir zu den Projekten, die ange- (D) 22,5 Milliarden Euro im Verteidigungsbereich – ich kündigt werden, Klarheit. Wir müssen wissen, um was will überhaupt nicht darüber debattieren, ob das sinnvoll es geht. Eine Sache, die immer wieder groß angekündigt oder nicht sinnvoll ist; das haben wir vorhin gemacht – wird, ist das Rückkehrprogramm unter dem Titel „Per- zeigen doch eines: Wenn man sich politisch einig ist, spektive Heimat“. Dazu möchte ich nur anmerken: Herr dass man etwas will, dann kann man auch die Mittel da- Minister, Sie haben gesagt, Sie seien nicht das Abschie- für mobilisieren. Genau 20 Milliarden Euro bräuchten beministerium. Damit Sie mit Ihrem Parteifreund, der wir im BMZ, um die 0,7-Prozent-Quote, die seit Jahren Heimatminister ist, nicht doch noch Kompetenzstreitig- immer wieder angekündigt und bemüht wird, endlich zu keiten bekommen, müssten Sie hier klar erklären, was erfüllen. mit dem Rückkehrprogramm „Perspektive Heimat“ ge- meint ist. Welche Elemente sind darin enthalten? Wir (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wissen zum Beispiel, dass sogenannte Migrationszentren neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Teil dieses Programms sind, aber wir wissen nicht genau, wie sie funktionieren, was sie für eine Aufgabe haben, Jedes Jahr 2 Milliarden Euro mehr; dann würden wir das mit welchen Instrumenten sie arbeiten werden. Deshalb Ziel erreichen. mein Vorschlag: Wir fahren mal dorthin und schauen uns Aber wir wissen natürlich auch: Geld allein genügt diese Migrationszentren an. nicht, um die Aufgaben zu bewältigen, vor denen wir stehen. Es geht darum, Ländern wirtschaftliche Perspek- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) tiven zu eröfnen, Entwicklung zu erreichen, sodass die Menschen dort eine Perspektive haben. „Fluchtursachen Herr Minister, zum Schluss hätte ich noch einen Vor- bekämpfen“, „EINEWELT ohne Hunger“, die Sonderini- schlag. Sie machen hier im Plenum immer hervorragen- tiativen, alles das ist angesprochen worden. Aber da sind de Vorschläge; die stoßen, glaube ich, auf breite Zustim- natürlich auch die Rahmenbedingungen entscheidend; mung. Sie haben mal von fairem Handel statt freiem auch das haben Sie angesprochen, Herr Minister. Handel gesprochen. Das hat mich sehr gefreut, meine Kolleginnen und Kollegen auch. Heute haben Sie gesagt, Wenn wir auf der einen Seite unter anderem mit wir sollten die Finanztransaktionsteuer hier beschließen. BMZ-Geldern – 9,5 Milliarden Euro stehen in diesem Das Problem ist nur, dass Sie sich im Kabinett nicht Jahr zur Verfügung – versuchen, in Afrika wettbewerbs- durchsetzen können. Aber wir können ja Folgendes ma- fähige Strukturen in der Landwirtschaft aufzubauen, chen: Wir machen einen überfraktionellen Antrag. und auf der anderen Seite einen EU-Haushalt haben, der mit 55 Milliarden Euro unsere einheimische Landwirt- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3065

Michael Leutert (A) Vielleicht bringen Sie noch ein paar Leute von der CSU Das wiegt insbesondere deshalb schwer – das hat der (C) mit. Dann bekommt man vielleicht eine Mehrheit im Ple- Minister auch richtig gesagt –, weil das Auswirkungen num, um das zu beschließen. Das ist mein Vorschlag. auf die ODA-Quote und die Glaubwürdigkeit der von der Bundesregierung vertretenen Positionen hat. Die (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem 0,5 Prozent unter Herausrechnung der Aufwendungen für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Flüchtlinge im Inland erreicht zu haben, war schon ein gewaltiger Schritt in der vergangenen Legislaturperi- Vizepräsidentin Petra Pau: ode. Das haben wir Grünen auch zugestanden. Aber jetzt Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol- nehmen Sie in Kauf, dass die ODA-Quote wieder Jahr legin Anja Hajduk das Wort. für Jahr sinken wird, und das ist die Konsequenz der Fi- nanzplanung von Finanzminister Olaf Scholz, SPD. Da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) können Sie sich nicht einfach zurücklehnen und wie Sie, Frau Stefen, sagen: Wir hofen, dass das irgendwann Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): besser wird. – Sie müssen da jetzt liefern. Deswegen Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin wäre, wenn es so bliebe, unter diesem Gesichtspunkt der meinem Kollegen Herrn Leutert sehr dankbar, dass er die BMZ-Etat eine milliardenschwere Mogelpackung. Debatte wieder auf das reale Maß zurückgeführt hat und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein bisschen das Hütchen gelüpft hat, das diesen Pseu- sowie des Abg. Michael Leutert [DIE LINKE]) dofrieden in der Regierung bedecken sollte. Herr Minister, es ist natürlich richtig, auch Sie in die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pficht zu nehmen. Sie müssen den Streit auch wirklich ausfechten. Sie haben nämlich noch eine Milliardenlü- So gut sieht das nämlich im Entwicklungsbereich gar cke, und zwar beim internationalen Klimaschutz. Die Zu- nicht aus. sagen der Bundesrepublik bis zum Jahr 2020 – das spielt Herr Minister, Sie waren heute im Vergleich zu Mon- sich alles in dieser Legislaturperiode ab – bedeuten, dass tag, als wir bei Ihnen im Ministerium waren, geradezu wir noch 1 Milliarde draufegen müssen, damit Deutsch- moderat. Sie haben bei der Kabinettsentscheidung eine land die in Kopenhagen gemachte Zusage, den eigenen Protokollerklärung abgegeben, dass Sie zwar wohlwol- Beitrag zum internationalen Klimaschutz schrittweise zu lend zur Kenntnis nehmen, dass der Haushalt 2018 einen erhöhen, einhält. Davon ist in Ihrem Haushalt nichts zu veritablen Aufwuchs verzeichnet, aber dass der Sinkfug, sehen. Sie haben also auch da noch Ihre Hausaufgaben der dann 2019, 2020 und 2021 eintreten soll – ich sehe, zu machen. (B) Sie nicken kräftig –, eigentlich einem Bruch der Koaliti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D) onsvereinbarung gleichkommt. So kann man das nämlich übersetzen. Sie könnten jetzt sagen: Frau Hajduk, Sie reden ja über den Finanzplan, wir reden aber über den Haushalt 2018. – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ein Nachweis jedoch, der leider auch im Haushalt 2018 sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD]) steckt, ist bei der Entwicklungspolitik besonders wichtig Herr Leutert hat es vielleicht etwas zu hart zugespitzt, und in diesem Fall auch dramatisch. Es geht nicht immer als er gesagt hat, dass man, wenn man alle Aufwüchse im nur um die im Haushalt 2018 verankerten Zahlen, son- Verteidigungsetat zusammennimmt, auf ein Plus in Höhe dern es geht auch um die Verpfichtungsermächtigungen, eines zweistelligen Milliardenbetrages kommt. Ich stel- die wir in diesem Jahr für die Zukunft geben. Und nur le es jetzt noch einmal etwas genauer insbesondere für auf dieser Basis kann Entwicklungspolitik funktionieren. die Kollegen der SPD dar; denn Finanzminister Scholz, Im Haushalt 2018 sind die Verpfichtungsermächtigun- der für den Finanzplan zuständig ist, ist ja SPD-Mitglied. gen jedoch zusammengestrichen worden. Es gibt da ein Unter der Maßgabe, dass diese Große Koalition den al- Minus um 15 Prozent im Vergleich zum Jahr 2017. ten Finanzplan, der ja auch von einer GroKo aufgestellt (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wurde und bei dem auch schon ein Aufwuchs im Vertei- digungsetat vorgesehen war, als Grundlage genommen Auch da müssen Sie in den Haushaltsberatungen noch hat – das fnden wir Grüne falsch, aber das nehme ich etwas nachbessern. Wir werden entsprechende Anträge einmal hin –, rechne ich jetzt einmal die Eins-zu-eins- vorlegen. Vielleicht stimmen Sie ja dann auch diesen An- Regel. Selbst unter der Maßgabe, dass der alte Finanz- trägen zu. Das wäre ja nicht das Schlechteste. plan gilt, hat Frau von der Leyen in der mittelfristigen Ich möchte zum Schluss noch etwas dazu sagen, was Finanzplanung zusätzlich 2,7 Milliarden Euro mehr, das im Sinne einer glaubwürdigen und ehrlichen Politik auch BMZ jedoch deutlich weniger. Da fndet der Aufwuchs nicht passieren dürfte. Die Bundeskanzlerin hat ja heute nicht im Verhältnis eins zu eins statt, sondern in diesem Vormittag im Zusammenhang mit internationalen Krisen Finanzplan fndet sich ein milliardenschwerer Bruch deutlich gemacht, wie wichtig die Finanzierung von mul- gegenüber den Maßstäben, die Sie eigentlich angelegt tilateralen Institutionen ist. Sie hat auch auf das Thema haben, und gegenüber dem, was Sie der Öfentlichkeit Welternährungsprogramm Bezug genommen. verkauft haben. Wir stellen fest, dass in den entsprechenden Töpfen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Ihrem Haushalt, Herr Müller, keine entsprechenden sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Aufwüchse sind. Im Jahr 2011 lag der Anteil an der mul- Abg. Dr. Christoph Hofmann [FDP]) tilateralen Organisationsfnanzierung in der deutschen 3066 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Anja Hajduk (A) ODA-Quote bei 62 Prozent. Jetzt – uns liegen die Zah- kann keine gute Zukunft haben, meine Damen, meine (C) len für 2016 vor – ist er auf 26 Prozent abgesunken. Sie Herren. haben die Entscheidung getrofen, die multilaterale Fi- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nanzierung dermaßen zurückzufahren. Das halte ich für ordneten der SPD) nicht glaubwürdig und nicht richtig – schon gar nicht in Zeiten, wie wir sie im Moment angesichts der Flücht- Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung und ver- lingsdynamik erleben. suchen, die Lage der Menschen in den ärmsten Ländern der Welt, der Menschen, die von Bürgerkriegen und Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beutungen in dramatischer Weise betrofen sind, nachhal- sowie bei Abgeordneten der FDP) tig zu verbessern. Dies ist ein Gebot der Humanität, dem wir uns als christliche Demokraten verpfichtet fühlen, Vizepräsidentin Petra Pau: international und auch weil es in unserem eigenen Inte- Achten Sie bitte auf die Zeit. resse ist. Ich möchte an dieser Stelle, bevor wir über das Geld Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): reden – das gehört sich so in einer Haushaltsdebatte – Der allerletzte Punkt – er geht ganz schnell – be- danksagen, dass das Geld, das zur Verfügung gestellt trift Kohärenz: vernetzte, in sich stimmige Politik. Ja, wird, die Arbeit von Menschen möglich macht, die als Deutschland muss eine führende Rolle bei dem zukünf- Freiwillige, als Ehrenamtliche oder im Hauptamt oft un- tigen europäischen Finanzrahmen übernehmen. Es kann ter Inkaufnahme eines erheblichen persönlichen Risikos nicht sein, Herr Müller, dass wir zehnmal so viel Geld für Dienst am Menschen in Not tun. Das ist etwas, was unser europäische Agrarpolitik ausgeben wie für die gesamte aller Dank verdient, meine Damen, meine Herren. Entwicklungspolitik der Europäischen Union. Jetzt muss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Entwicklungsminister der Landwirtschaftsministe- ordneten der SPD, der FDP und des BÜND- rin aus der eigenen Fraktion, dem Kanzleramt und dem NISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundesinnenminister klarmachen, dass es eine Federfüh- rung braucht und eine stimmige Entwicklungspolitik, die Der Haushaltsentwurf ist ein deutliches Zeichen des mehr Geld in die Partnerschaft für Afrika setzt als in die Bekenntnisses zu dieser Verantwortung. 9,4 Milliar- alte Subventionierung einer falschen Agrarpolitik in Eu- den Euro – das ist Rekordwert; das ist eine Steigerung ropa. Daran werden wir Sie messen. um mehr als 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Da wir so markante Worte zur ODA-Quote von Kollegin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hajduk von den Grünen gehört haben, will ich anmer- (B) sowie der Abg. Olaf in der Beek [FDP] und ken: Seit 2005 gibt es im BMZ-Haushalt ein Plus von (D) Helin Evrim Sommer [DIE LINKE]) 130 Prozent. In derselben Zeit hat das Ausgabevolumen insgesamt eine Steigerung um 30 Prozent erfahren. Vizepräsidentin Petra Pau: (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in dieser letzten Runde der Hinweis: Zum Ja, Sie haben was Gutes getan! Das haben wir Schluss sprechen Sie auf Kosten der noch von Ihnen ge- Ihnen auch zugestanden!) meldeten Rednerinnen und Redner Ihrer Fraktion, wenn Sie nach dem ersten Hinweis weiter überziehen; so haben 30 Prozent Steigerung, 130 Prozent in der internationa- wir das auch gegenüber den anderen Fraktionen heute len Solidarität – und dies nach sieben mageren rot-grünen durchgängig praktiziert. Jahren der Stagnation bei 4 Milliarden Euro. Unverges- sen ist jedem, dass damals Heidemarie Wieczorek-Zeul­ Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe für die von Joschka Fischer Häme und nicht Hilfe erfahren hat. CDU/CSU-Fraktion. Ich denke, daran werden auch Sie noch mit Scham den- (Beifall bei der CDU/CSU) ken. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hermann Gröhe (CDU/CSU): Wenn Ihnen das als Ausrede im Jahr 2018 reicht, dann packen Sie mal ein! Machen Sie Frau Präsidentin! Herr Minister Müller! Liebe Kol- sich das mit den fetten Jahren mal nicht so ein- leginnen! Liebe Kollegen! Dass im Vorfeld dieser fach!) Haushaltswoche der Haushalt des BMZ – Stichwort: ODA-Quote – und der Verteidigungshaushalt Gegen- Es ist Gott sei Dank lange her, dass Sie dafür Verantwor- stand der öfentlichen, ja auch der koalitionsinternen tung getragen haben; deswegen ist es ein Blick in die Debatte waren, zeigt nicht zuletzt: Wir brauchen eine für Sie peinliche Geschichte. Unsere Taten bewirken die öfentliche Debatte über die gewachsene internationale 130-prozentige Steigerung des Etats bei einem Gesamt­ Verantwortung unseres Landes. etatanstieg von 30 Prozent. Für uns als Unionsfraktion ist klar: Investitionen im (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: eigenen Land in eine gute Zukunft – Stichworte: Bildung, Das ist im Jahr 2018 echt ein bisschen billig!) Forschung, sozialer Zusammenhalt – und ein klares Be- Wir ruhen uns darauf nicht aus; kenntnis zur gewachsenen internationalen Verantwor- tung gehören untrennbar zusammen. Ein Deutschland, (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das sich abschottet oder seiner Verantwortung entzieht, NEN]: Doch, das tun Sie!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3067

Hermann Gröhe (A) das sage ich sehr deutlich. Wir bekennen uns dazu: Auch zwar noch begrenzt ist, der sich aber Großstädten nähert, (C) 2019 muss der Koalitionsvertrag eingehalten werden. die internationale Gemeinschaft herausfordert. Wir müs- Deswegen müssen wir auch entsprechend nachbessern. sen hier unter Beweis stellen, dass wir aus den schreck- Wir als Unionsfraktion verstehen uns hier als Wächter lichen Ereignissen der letzten Jahre gelernt haben. Auch des Koalitionsvertrages. deswegen bin ich dankbar, dass dies – als Querschnitts- aufgabe – ein wichtiger Schwerpunkt unserer Entwick- Aber natürlich geht es nicht allein um mehr Geld für lungshilfepolitik ist. Es zeigt: Wir nehmen unsere inter- die ODA-Ministerien. Es geht um die inhaltliche Aus- nationale Verantwortung umfassend wahr. richtung unserer Politik. Ich bin Gerd Müller ausdrück- lich dankbar für die Leidenschaft, mit der er die Dinge Vielen Dank. vorantreibt. Den Rahmen setzen internationale Verabre- dungen: Ich nenne vor allem die Nachhaltigkeitsziele der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Agenda 2030 der Vereinten Nationen, aber auch unsere Verpfichtungen im Rahmen von G 20 und G 7, die nicht Vizepräsidentin Petra Pau: zuletzt unter deutschen Präsidentschaften beschlossen wurden. Das Wort hat für die AfD-Fraktion Dietmar Friedhof. Im Marshallplan mit Afrika wird (Beifall bei der AfD) (Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sogenannter Marshallplan!) Dietmar Friedhof (AfD): mit Reformpartnerschaften gezielt auch an die Eigenver- Werte Frau Präsidentin! Herr Minister! Werte Damen antwortung der Länder, in denen Unterstützung geleistet und Herren! Eines vorab: Wir sind grundsätzlich für eine wird, angeknüpft. Wenn hier wieder das Horrorgemälde sinnvolle Entwicklungspolitik und für eine zielführende einer sinnlosen Gießkanne beschworen wird, zeigt dies wirtschaftliche Zusammenarbeit. Es kommt uns nicht auf vor allen Dingen Ahnungslosigkeit. Es geht darum, in das Ob an, sondern vielmehr auf das Wie. Im Mittelpunkt Partnerschaften Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte aller unserer Überlegungen in der Entwicklungspolitik zu schützen. Es geht um den gleichberechtigten Zugang und eben und gerade auch in der wirtschaftlichen Zu- von Mädchen und Frauen zu Bildung und Arbeit, weil sammenarbeit muss und sollte der Mensch stehen – der dies nachgewiesenermaßen eine entscheidende Grundla- Mensch mit all seinen Träumen, seinen Wünschen, sei- ge für die gute Entwicklung in den ärmsten Ländern der nem Denken, Fühlen und Handeln. Dazu kommt, dass Welt ist, auch wenn das in manches ewiggestrige Frauen- die Freiheit eines jeden Menschen das höchste Ziel all bild nicht zu passen scheint. unseres Strebens sein sollte: die Freiheit, ein Leben in (B) Würde und Selbstbestimmung gestalten zu können, fest (D) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- eingebettet in ethische, moralische, aber auch gesetzliche ordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ Grundlagen. Dabei muss es eben auch legitim sein, als DIE GRÜNEN) Staat seine Freiheit verteidigen zu können. Dies garan- Und schließlich geht es auch um den Schutz religiö- tiert den darin Lebenden, so auch uns, den in Deutsch- ser Minderheiten. Gerd Müller, viele Kollegen und ich land Lebenden, die Sicherheit, nach ihren Wertvorstel- waren gemeinsam auf einem Kongress, auf dem über lungen leben zu können. die Lage der Christen und Jesiden im Nordirak berich- Wie ich das letzte Mal bereits sagte: Man kann nur tet wurde. Am Sonntag mussten wir erleben, dass in In- dann helfen, wenn man auch in der Lage ist, zu helfen. So donesien erneut ein schrecklicher Terroranschlag gegen sollte es sein. Ist es auch so? Wie sieht sie aus, die Welt christliche Kirchen verübt wurde – in heimtückischer der politischen Hochglanzprospekte der Weltgemein- Weise unter Nutzung von Kindern als Selbstmordattentä- schaft, verglichen mit dem realen Leben der Menschen ter. Dieses schreckliche Ereignis zeigt einmal mehr, dass in diesen Entwicklungsländern? Steht der Mensch vor der weltweite Einsatz für Religionsfreiheit und Toleranz dem Proft, oder ist es nicht eher so, dass der Proft im- zwischen den Religionen dringend geboten ist. Wir sind mer noch vor dem Menschen steht? Heute mehr denn je, froh darüber, dass mit Markus Grübel in der Bundesre- schlimmer denn je, radikaler denn je. Das gilt übrigens gierung nun das Amt eines Beauftragten für weltwei- selbst hier bei uns, in unserer Wertegemeinschaft. te Religionsfreiheit diesem Thema einen noch höheren Stellenwert zukommen lässt. Herzlichen Dank, und alles Zur Sache. 2016, 44 Jahre nachdem die Vereinten Gute für diese Arbeit! Nationen 1972 das Ziel ausgegeben haben, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie anzusetzen, haben wir es geschaft. Kinder, wie die Zeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE vergeht! Deutschland hat die 0,7-Prozent-Marke erreicht, GRÜNEN) allerdings nur, weil diverse Beträge der Flüchtlingskos- Abschließend möchte ich aufnehmen, was Kollegin ten, die wir in Deutschland gezahlt haben, angerechnet Stefen über die Gesundheitsfragen gesagt hat. Im Etat wurden, sonst wären wir immer noch bei 0,5 Prozent. des BMZ für das nächste Jahr sind 650 Millionen Euro Rechneten wir die Rücküberweisungen der in Deutsch- nicht zuletzt für die Stärkung der Gesundheitssysteme in land lebenden Migranten in ihre Heimatländer dazu, den ärmsten Ländern der Welt vorgesehen. Gerade ist der wären wir wohl schon bei über 1,5 Prozent des Brutto- Chef der Weltgesundheitsorganisation aus dem Kongo nationaleinkommens. Aber auch und gerade das scheint zurückgekehrt, wo ein Ausbruch von Ebola, der derzeit Entwicklungspolitik zu sein. 3068 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dietmar Friedhof (A) 2018, 44 Jahre nachdem Gerd Müller im Endspiel der Syrien. Akteure: Frankreich und die USA. Deutsche (C) Fußballweltmeisterschaft die deutsche Nationalmann- Embargos? Fehlanzeige! Und wo bleiben Sie da, Herr schaft mit seinem legendären Tor zur Weltmeisterschaft Müller? führte, haben wir nun wieder einen Gerd Müller, jetzt Deutschland liefert weiter und immer weiter Entwick- Dr. Gerd Müller. Auch Dr. Gerd Müller schickt sich an, lungshilfe. Es ist oft kaum nachvollziehbar, in welchen Weltmeister zu werden, und zwar Weltmeister im Füllen Kanälen die Gelder versumpfen. Die einen zerstören, wir von diversen Entwicklungstöpfen. Gerne wird auch er- bauen wieder auf. Vielleicht ist das ja die Aufgabe in un- wähnt, dass wir am meisten geben. serem globalen Spiel, weil wir eben nicht mitbomben: Dabei, Herr Müller, sieht doch vieles nach Eigentor Wir kleben Pfaster auf die ofenen Wunden von Län- aus. Manches klingt wie ein Lattenknaller. Aber die Rea- dern, die klinisch tot sind, aber immer weiter künstlich lität beweist: Sie scheinen ohne Tore zu spielen. Sie kön- beatmet werden. nen, wenn Sie so weiterspielen, einfach nicht gewinnen. (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dabei können Sie noch so viel in neue Spieler und in NEN]: Mann, Mann, Mann!) neue Manager investieren. Ohne Tore kein Gewinn! Des- wegen müssen wir als Deutschland defnieren, welche Wollen wir helfen, müssen wir die Tatsachen endlich Tore wir schießen wollen, und dürfen das nicht den USA, beim Namen nennen, damit es massiven Druck von au- China oder Frankreich überlassen. ßen gibt. Das Elend unserer Welt entsteht durch die Aus- beutung von Mensch und Planet. Da helfen nur wirklich (Beifall bei der AfD) real existierende Leuchtturmprojekte und nicht ständig Wirkt Entwicklungshilfe, wie wir sie heute verstehen? neue Hochglanzprospekte. Macht es Sinn, den falschen Weg immer weiter zu ge- hen? Entwicklungshilfe fießt, aber? Nennen wir Beispie- (Beifall bei der AfD) le: Im Kongo ist es so schlimm wie nie. Eines der reichs- Im Gebiss des Bundeshaushaltes ist der Zahn der Ent- ten afrikanischen Länder ist so arm wie nie. Ein Land wicklungspolitik – Herr Müller, Ihres Zukunftsprojek- voller Bodenschätze, Gold, Diamanten und Seltene Er- tes – an der Wurzel entzündet, er ist faul. Da hilft auch den, wird ausgebeutet; ausgebeutet durch postkoloniales keine Hochglanzfüllung. Da hilft nur eins: ziehen und Handeln diverser Akteure. Es gibt instabile Verhältnisse neu denken! Und dann kann es auch etwas werden mit und Grenzkriege, angezettelt durch Rebellenbanden; vie- dem kräftigen Zubeißen sinnvoller Entwicklungspolitik. les geduldet durch Länder wie Belgien, Frankreich und Dann kann es auch mit dem Toreschießen klappen: Tore die Vereinigten Staaten. für die Wahrheit, Tore für die Menschheit und Tore für Kinderarbeit ist Realität. Verschmutzung des Trink- Deutschland. (B) (D) wassers durch Reinigungsprozesse in den Minen – Re- Danke schön. alität; dadurch Hunger und Missbildung bei Neugebore- nen – Realität. (Beifall bei der AfD) Niger und Mali, zwei Länder, die im Fokus Europas Vizepräsidentin Petra Pau: und der USA stehen, haben – ach Wunder – nicht nur Das Wort hat die Kollegin Gabi Weber für die massive Probleme durch Terror, Hunger und Nichtteil- SPD-Fraktion. habe, sondern eben auch ganz viele Rohstofe wie Uran und Kobalt; Kobalt, liebe Grüne, das die E-Mobili- (Beifall bei der SPD) tät-Produzenten dringend brauchen und Lieferanten aus der Schweiz und China gerne liefern: 10 Kilogramm pro Gabi Weber (SPD): Auto, so rechnet man, abgearbeitet durch Kinderarbeit Frau Präsidentin! Werte Kollegen und Kolleginnen! und Terror. Das ist die grüne Blutrealität, liebe Freunde; Ich fnde es schon fatal, wenn vonseiten der AfD wirt- (Beifall bei der AfD) schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit ihrem furchtbar ernsten Hintergrund, mit dem wir es hierbei im- denn E-Mobilität ist nicht nur nicht CO -neutral, sondern 2 mer wieder zu tun haben, ausgerechnet mit einem Fuß- wird auch durch Duldung menschenunwürdiger Arbeit in ballspiel verglichen werden. Das war ein Eigentor, meine Afrika zu einem grünen Dilemma. Aber darüber reden Herren. wir jetzt besser nicht. – Herr Müller, vielleicht wäre es ein guter Ansatz, neben Ihrem grünen Knopf demnächst (Beifall bei der SPD – Zurufe von der AfD: ein grünes Lenkrad für Fairtrade-Elektroauto-Mobilität Oh! – Jürgen Braun [AfD]: Jetzt sind wir alle einzuführen. traurig! – Beatrix von Storch [AfD]: Das ist ein Skandal!) (Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ha, ha!) Aber zum eigentlichen Thema des heutigen Tages. Es geht darum, den Haushalt für 2018 einzubringen und Auf das Uran haben gerade unsere französischen ihn zu beraten. Ich kann nur festhalten – und das ist heu- Freunde ein Auge geworfen. Ausbau und Festigung der te schon oft wiederholt worden, es ist aber noch nicht Kernenergie ist das Ziel. Auch hier sind die USA, China oft genug –: Dieser Haushalt sieht für das Ministerium und Frankreich die großen postkolonialen Akteure. 900 Millionen Euro mehr vor als der des Vorjahres. Da In Syrien herrscht ein Krieg, der weiter von außen ge- hilft dieses ganze Gejammer darüber, was im nächsten steuert wird. Ziel: das Verlegen einer Gaspipeline durch und übernächsten Jahr passiert, nichts. Das ist erst ein- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3069

Gabi Weber (A) mal ein Zuwachs von etwa 10 Prozent in diesem Jahr im tragen mit 1 Milliarde Euro ebenfalls zu den ODA-Leis- (C) Verhältnis zum letzten Jahr. tungen bei. Das sollten wir uns vor Augen führen. Wenn wir ganz weit zurückgucken, dann stellen wir (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: fest, dass dieser Haushalt 2014 mit 6,3 Milliarden Euro Ja, aber dann geht es trotzdem nicht auf!) gestartet ist. Jetzt haben wir 9,44 Milliarden Euro. Ich Jetzt möchte ich zu einzelnen Punkten kommen, die denke, das ist eine Entwicklung, die angesichts der Kri- uns wichtig sind. Das ist erstens der Zivile Friedens- sen in der Welt angemessen ist. Für das, was zu bewälti- dienst. Der beste Weg, Krisen zu meistern, ist, sie erst gen ist, ist es noch lange nicht genug, aber die 900 Milli- gar nicht entstehen zu lassen. onen Euro jetzt sind ein wichtiger Schritt. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Daher benötigen wir die Arbeit des Zivilen Friedens- Ich bin nach den Erfahrungen der letzten fünf Jahre dienstes dringend. Leider erfährt ausgerechnet dieser Ti- in diesem Bundestag sehr sicher, dass wir auch in den tel keinen Aufwuchs. Mit ein bisschen mehr Geld könnte nächsten Jahren wieder einen erheblichen Aufwuchs für hier noch mehr bewegt werden. Herr Minister, da sind diesen Haushalt erreichen werden. wir uns doch einig. Da ist noch Luft nach oben, oder, Kolleginnen und Kollegen? Meine Damen und Herren, wer behauptet, dass die Eins-zu-eins-Regelung sofort gleichermaßen für den (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Verteidigungshaushalt und den Haushalt des Entwick- Des Weiteren bin ich sehr glücklich über Ihre neue lungsministeriums gelten würde, sollte einmal genau Super-Initiative, 25 Prozent des Etats für Bildung aus- nachlesen. Es heißt nämlich im Koalitionsvertrag, dass zugeben. Aber: Vergessen Sie nicht die gleichberechtigte zusätzliche Haushaltsspielräume prioritär für den Be- Grundbildung von Jungen und Mädchen! reich Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und alles, was in diesen Bereich gehört, sowie für Ver- (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) teidigung genutzt werden sollen. Das ist ein gewaltiger Ohne Grundbildung können Sie auch niemanden gut aus- Unterschied zu dem, was behauptet wird. bilden. (Sonja Amalie Stefen [SPD]: Genau! – Abg. Zum Zweiten. Es müssen qualifzierte Berufsausbil- Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] dungen sein. Schnelles Anlernen für Kurzzeitjobs schaft meldet sich zu einer Zwischenfrage) keine dauerhaften Perspektiven. Wir wollen, dass die Menschen in den Partnerländern wirtschaftlich erfolg- (B) Ich möchte noch einige Worte zu den Stimmen sagen, reich sind und selbst Jobs schafen können. Dazu brau- (D) die das Absenken der ODA-Quote insgesamt heraufbe- chen sie auch Lokalwährungskredite. Das ist übrigens schwören. eine neue interessante Baustelle auch für dieses Minis- terium. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD) Kollegin Weber, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- Dass die ILO-Kernarbeitsnormen unbedingt einzuhalten kung der Kollegin Hajduk? sind, muss ich nicht besonders betonen. Was mich allerdings noch besonders umtreibt, ist das Gabi Weber (SPD): Thema Bevölkerungsanstieg, insbesondere in Afrika. Tut mir leid. Ich möchte meinen Gedankengang erst Hier spielt neben mehr qualifzierter Bildung, vor allen einmal zu Ende führen. Dingen für Frauen, nicht nur das Thema Müttergesund- heit eine Rolle, sondern hier geht es auch um aktive Fa- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- milienplanung für die ganz junge Generation. NEN]: Es ist ja auch schlecht, wenn man eine falsche Behauptung aufgestellt hat!) (Beifall des Abg. Olaf in der Beek [FDP]) In diesem Zusammenhang nenne ich beispielhaft eine Die Höhe des Haushalts des BMZ trägt zu rund Initiative aus der Zivilgesellschaft. Zwei Brüder aus Ba- 40 Prozent zu den Gesamt-ODA-Ausgaben bei. Für 2016 den-Württemberg, beide unter 20, tragen in Ghana ein in- zurückgedacht, bedeutet das: Knapp 8 Milliarden Euro teressantes Projekt von „A Childhood for Children“ mit, des damaligen Haushaltes standen 22 Milliarden Euro durch das mithilfe von sexueller Aufklärung von Jugend- Gesamt-ODA-Ausgaben gegenüber. Nur die Höhe des lichen die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zu- Haushaltes des BMZ für die ODA-Leistungen zugrunde rückgeht und ebenfalls sexuell übertragbare Krankheiten zu legen, greift einfach viel zu kurz. eindämmt werden. So etwas müssen wir fördern: viele (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kleine Projekte aus der Zivilgesellschaft, die uns helfen, NEN]: Das macht doch gar keiner!) wirklich große Probleme zu bewältigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dazu zählen nämlich auch Mittel für humanitäre Hilfe, DIE GRÜNEN) für zivile Krisenprävention, für auswärtige Kulturpolitik, für das Umweltministerium, und – das ist für den einen Ebenfalls wichtig ist die generelle Aufgabe, die am oder anderen vielleicht überraschend – die Bundesländer wenigsten entwickelten Länder im Blick zu haben. Hun- 3070 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Gabi Weber (A) gerbekämpfung und Armutsbewältigung sind immer gestockt werden müssten. Und genau das tun Sie eben (C) noch die dringlichsten Aufgaben für das BMZ. Über nicht. 800 Millionen Menschen hungern, 2 Milliarden Men- schen gelten als chronisch unterernährt. Das ist eine der (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- größten Herausforderungen; ihr müssen wir begegnen, SES 90/DIE GRÜNEN) damit aus Hunger keine Wafe gemacht werden kann. Sie stocken die bilateralen Mittel sogar noch auf und handeln damit entgegen dem, was Ihre Kanzlerin Ihnen (Beifall bei der SPD) heute ins Buch geschrieben hat. Bei aller Einbindung der Privatwirtschaft, die im Sinne (Beifall bei der FDP) von wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Entwicklung wichtig ist, sollten wir uns alle klarmachen: In Gebiete Das zeigt, dass die Bundesregierung die internationale von fragilen Staaten, in denen Menschen von massivem Dimension der Entwicklungszusammenarbeit nicht ein- Hunger bedroht sind, wird trotz staatlicher Förderung mal ansatzweise verstanden hat. Statt unserem „Denken kein Unternehmen investieren. Deshalb ist unsere Auf- wir neu“ kommt von Ihnen nur ein klares Weiter-so. gabe weiterhin, Menschen in den ärmsten Regionen zu (Beifall bei Abgeordneten der FDP) unterstützen. Das ist der Job, den wir machen müssen, vor allem Sie, Herr Müller, im Zusammenhang mit Ihrem Wichtiger, als immer mehr Geld zur Verfügung zu stel- Ministerium. len, sind Programme in Entwicklungsländern, die sich an der Wirksamkeit orientieren. Dabei muss auch immer Vielen Dank. wieder überprüft werden, ob das Geld tatsächlich ge- holfen hat und ob die Projekte vor Ort wirklich erfolg- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reich und nachhaltig waren. Hier fordern wir glasklare der CDU/CSU) Transparenz. Uns geht es doch darum, den Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive zu bieten. Reden Vizepräsidentin Petra Pau: wir nicht drumherum: Es geht auch um Fluchtursachen- bekämpfung. Aber glauben wir wirklich und tatsächlich, Nächster Redner ist Olaf in der Beek für die FDP-Frak- dass wir 67 Millionen Flüchtlingen eine bessere Perspek- tion. tive bieten können, wenn wir allein ein paar 100 Millio- (Beifall bei der FDP) nen Euro mehr zur Verfügung stellen? Nur wenn sich die Lebensbedingungen für Menschen in Entwicklungslän- dern wirklich zum Besseren wenden, wird der Migrati- Olaf in der Beek (FDP): (B) onsdruck abnehmen. Das ist eine Generationenaufgabe, (D) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und der wir uns stellen müssen. Herren! Dass Entwicklungszusammenarbeit nicht immer (Beifall bei der FDP) leicht verständlich ist, wissen wir aus vielen Gesprächen mit Bürgern. Ich habe allerdings mittlerweile das Gefühl, Für Afrika hat die Bundesregierung hierzu einen soge- dass dieser Bereich auch von der Bundesregierung nicht nannten Marshallplan vorgelegt. Dieser ist bisher al- wirklich verstanden wird. Diesen Eindruck macht zumin- lerdings reine Schaufensterpolitik. Jedem ist doch klar: dest der derzeitige Haushaltsentwurf, der wenig Neues Nur gemeinsam mit der EU und multilateralen Organi- und wenig Weitblick enthält. Wie bisher setzt der Minis- sationen kann dieser Plan erfolgreich umgesetzt werden. ter im Kern auf bilaterale Zusammenarbeit. Dabei sind Auch hier gilt einfach wieder: Alleine wird Deutschland die Herausforderungen, vor denen die Welt steht, viel zu wenig bewegen können. komplex, um sie im Alleingang lösen zu können. Mehr Investitionen in internationale Bildungspro- Herr Müller, die Bundeskanzlerin hat heute Vormit- gramme wären ja vielleicht eine gute Idee. Frau Weber, tag von der Krise des Multilateralismus gesprochen. Der Frau Stefen, ich nehme Sie beim Wort. Bisher, Herr Haushalt Ihres Hauses ist doch die in Zahlen manifes- Minister, kommt die Förderung von Grundbildung in tierte Krise des Multilateralismus, die Sie selbst verur- der deutschen Entwicklungspolitik viel zu kurz. Dabei sachen. schaft doch gerade Grundbildung die Grundlage für das gesamte weitere Leben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Claudia Um Entwicklungszusammenarbeit klug, efzient und Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nachhaltig zu gestalten, muss Deutschland europäisch NEN]) und multilateral handeln. Denn nur wenn alle gemein- Investieren Sie endlich mehr Geld in die Grundbildung! sam an einem Strang ziehen, können weltweite Probleme Nur wer lesen, schreiben und rechnen kann, ist in der wirklich angegangen werden. Lage, später einen Beruf zu erlernen und vor allen Din- (Beifall bei der FDP) gen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. (Beifall bei der FDP) Dieses würde in der Konsequenz allerdings bedeuten, Herr Minister, dass die Mittel für die bilaterale Zusam- Wenn wir dabei sind, über Bekämpfung von Flucht- menarbeit deutlich verringert und im Gegenzug die Mit- ursachen zu sprechen: Riesige Waldfächen gehen jedes tel für die multilaterale Zusammenarbeit deutlich auf- Jahr durch Brandrodung verloren und müssten durch Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3071

Olaf in der Beek (A) Auforstung zurückgeholt werden. Herr Minister, Sie gen leider einige Weichenstellungen getrofen, die wir (C) sprechen doch immer von der Bewahrung der göttlichen für falsch halten: Schöpfung. Aber auch das wird Deutschland nicht allein bewältigen können. Die weltweite Auforstung kann nur (Beifall bei der LINKEN) international gelingen. Steigern Sie die multilateralen Erstens: Ihr Deal mit dem Verteidigungsministerium. Mittel für diesen Bereich! Die Verabredung, die Mittel im Verhältnis eins zu eins zu Noch ein letzter Punkt. Gerade Frauen sind in Ent- erhöhen, hat eine Seite, der hier viel zu wenig Beachtung wicklungsländern von einem fehlenden medizinischen geschenkt wird: Laut Koalitionsvertrag bedeutet jeder Angebot im Bereich der Familienplanung betrofen. Fa- Euro mehr für Entwicklung eben auch einen Euro mehr milienplanung ist in den Entwicklungsländern jedoch für den Verteidigungshaushalt. Entwicklungszusammen- deshalb besonders wichtig, damit es nicht, wie von der arbeit als Gehilfn des Krieges, Aufrüstung als Vorausset- Deutschen Stiftung Weltbevölkerung prognostiziert, bis zung für Entwicklung? Dazu sagen wir Nein. 2050 zu einer Verdoppelung der Bevölkerung in Afri- (Beifall bei der LINKEN) ka kommt. Die USA haben ihre Beiträge zum Bevölke- rungsfonds der UN leider Gottes vollständig eingestellt. Zweitens: der Umbau des Entwicklungsministeri- Hier muss Deutschland die Herausforderung mit anneh- ums zum Fluchtabwehrministerium. Ihr Programm für men. Auch hier kommt von Ihnen genau nichts, wenn es Flüchtlinge „Perspektive Heimat“, das Sie jährlich mit darum geht, mit den europäischen Partnern gemeinsam 500 Millionen Euro ausstatten wollen, ist nichts anderes zu handeln. als die Außenabteilung der geplanten AnKER-Zentren in Deutschland. Beide verfolgen ein Ziel: Migranten und Uns ist natürlich klar, dass nicht einfach immer mehr Flüchtlinge so schnell wie möglich aus Deutschland fort- Geld ausgegeben werden kann. Dennoch bietet der Haus- zuschafen. Zugleich ist die GIZ in Ihrem Auftrag leider halt viel Potenzial. Wir werden in den kommenden Be- auch daran beteiligt, viele afrikanische Länder zu Außen- ratungen mit unseren Anträgen immer wieder aufzeigen, posten der Festung Europa zu machen, um die Flücht- wo Umschichtungen von der bilateralen zur multilatera- linge schon dort aufzuhalten. Arbeiten Sie doch lieber len Entwicklungszusammenarbeit möglich sind. Liberale daran, dass niemand mehr zur Flucht gezwungen wird! Entwicklungspolitik ist nämlich marktwirtschaftlich, sie ist fair, und sie ist vernünftig. (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank. Flucht ist die Folge von unfairen Handelsbedingungen wie den EPAs, von Rüstungsexporten oder von Krieg. (Beifall bei der FDP) (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Vizepräsidentin Petra Pau: Drittens: die Ausrichtung der Entwicklungszusam- Zu ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun menarbeit auf wirtschaftlich starke Entwicklungsländer die Kollegin aus der Fraktion Die Linke und den einseitigen Nutzen für die deutsche Privatwirt- das Wort. schaft. Der Anteil der ärmsten Länder an der deutschen Entwicklungszusammenarbeit schrumpft seit Jahren. Das (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. ist ein verheerender Trend. Doch was machen Sie? Sie Dr. Sascha Raabe [SPD]) arbeiten an dessen Verstärkung, indem Sie Ihre Arbeit auf sogenannte Reformchampions in Afrika fokussieren. Zu diesen Champions soll bald das Militärregime Ägyptens (DIE LINKE): Eva-Maria Elisabeth Schreiber zählen. Zugleich werden die Haushaltsmittel für die Zu- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen sammenarbeit mit der deutschen Privatwirtschaft erhöht. und Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Minis- Entwicklungshilfe also für Siemens und den ägyptischen ter Müller, ja, Sie bekommen mehr Geld; aber Sie ha- Diktator anstatt Unterstützung für die bedürftigsten Län- ben leider völlig recht: Mit den hier vorgelegten Haus- der? Auch nicht mit uns! haltsplänen kann Deutschland seine internationalen Verpfichtungen in der Entwicklungs- und Klimapolitik (Beifall bei der LINKEN) nicht erfüllen – 0,5 Prozent sind eben nicht 0,7 Prozent. Sehr geehrter Minister Müller, für eine solche Ent- Mit Ihnen bin ich der Meinung, dass wir dafür die Fi- wicklungspolitik darf es in unseren Augen nicht mehr nanztransaktionsteuer benötigen; Kollege Leutert hat ja Geld geben. Aber ich mache Ihnen einen Gegenvor- eben einen entsprechenden Vorschlag gemacht. schlag. (Beifall bei der LINKEN) Erstens. Streichen Sie alle Programme zur Rückfüh- Minister Scholz ist daran gescheitert, seinen Blick rung und zur Abwehr von Flüchtlingen, und stecken Sie über die schwarze Null hinaus auf die drängenden globa- das Geld in Programme, die die Bezeichnung „Fluchtur- len Herausforderungen zu richten und den Entwicklungs- sachenbekämpfung“ wirklich verdienen! etat entsprechend zu erhöhen. Das ist traurig für die SPD. (Beifall bei der LINKEN) Insofern, lieber Herr Müller, würden meine Fraktion und ich Sie gerne bei Ihrer Forderung unterstützen, die Aus- Setzen Sie auf zivile Konfiktbearbeitung! In Deutsch- gaben für eine gerechte Entwicklungspolitik langfristig land gibt es hierfür viele gute Organisationen. Gewäh- zu erhöhen. Aber Sie haben in letzter Zeit in meinen Au- ren Sie mehr Budgethilfen, die die ärmsten Länder dabei 3072 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Eva-Maria Elisabeth Schreiber (A) unterstützen, ihr Bildungs- und Gesundheitssystem zu Bildung. – Die Bundesregierung hat die zentrale Bedeu- (C) verbessern! tung von Grundbildung, um die am stärksten Benachtei- ligten zu erreichen, leider immer noch nicht verstanden. Zweitens. Geben Sie den Versuch auf, sich neben Die geringe fnanzielle Unterstützung Deutschlands, die Horst Seehofer als zentraler Migrationsmanager zu prof- zugesagt wurde, ist ein Schlag ins Gesicht der Entwick- lieren! Das passt übrigens auch nicht zu Ihnen. lungsländer, die ihre eigenen Bemühungen verstärken (Beifall bei der LINKEN) wollen, um inklusive und chancengerechte Bildungssys- teme aufzubauen. Übernehmen Sie in der Bundesregierung lieber die Fe- derführung in entwicklungspolitischen, fairen Handels- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fragen, und sorgen Sie dafür, dass die Unternehmen ihrer An anderen Stellen liefert der Haushalt gar keine Ant- Verantwortung entlang der Lieferketten nachkommen, worten. Herr Müller, Sie haben die Lieferketten ange- insbesondere in menschenrechtlicher Hinsicht! sprochen. Beispiel Textilbündnis: Das Bündnis kam nie (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. in Schwung. Es hat bislang keinerlei konkrete Ergebnisse Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE geliefert. Ganz im Gegenteil: Nach und nach treten die GRÜNEN]) Mitgliedsunternehmen wieder aus. Ein anderes Beispiel ist der sogenannte Marshallplan mit Afrika. Der vorge- Drittens. Lösen Sie den faustischen Pakt mit dem Ver- legte Haushalt soll als Anschubfnanzierung dafür die- teidigungsministerium wieder auf! nen; das haben Sie kürzlich dem „Handelsblatt“ gesagt. (Beifall bei der LINKEN) Ich war einigermaßen erstaunt, als ich das gelesen habe. Was ist denn bisher passiert? Ist überhaupt irgendetwas Unter diesen Bedingungen bin ich und ist meine Frak- passiert? War das nur ein PR-Gag? Für Ihre Rückfüh- tion Die Linke sehr gerne bereit, mit Ihnen für einen lang- rungsprogramme haben Sie im laufenden Haushalt schon fristigen Aufwuchs des Entwicklungsetats zu kämpfen. Geld gefunden, aber Ihr Marshallplan sucht anderthalb (Beifall bei der LINKEN) Jahre nach dem Start immer noch seine Anschubfnan- zierung. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das Wort hat der Kollege Ottmar von Holtz für die Weil mir das sehr wichtig ist, noch ein paar Worte zur Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. zivilen Krisenprävention. Zur im Koalitionsvertrag ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einbarten Kopplung des Etats für Entwicklungszusam- (B) menarbeit an die Aufwüchse im Verteidigungsetat ist hier (D) schon einiges gesagt worden. Das Chaos ist entstanden, Ottmar von Holtz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): weil Sie unterschiedliche Ansichten haben, was diese Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Eins-zu-eins-Kopplung bedeuten soll. Ich mache Ihnen der Entwicklungszusammenarbeit geht es um faire Be- einen Vorschlag: Lassen Sie das mit dem PR-Gag. Las- dingungen für die armen Länder auf dem Weltmarkt, es sen Sie das mit der Eins-zu-eins-Kopplung. Planen Sie geht um Klima- und Umweltschutz, es geht um Bildung mehr Ausgaben für zivile und weniger für militärische und soziale Gerechtigkeit, um Einkommenssicherung Maßnahmen ein. Bauen Sie die zivile Krisenprävention und vieles mehr. Die Erwartungen an Sie, Herr Minister spürbar aus. Sorgen Sie hier endlich für Kohärenz und Müller, sind also recht hoch. Geschickt erzeugen Sie den Transparenz, anstatt die Gelder in mehreren Häusern zu Eindruck, in Bezug auf Entwicklungszusammenarbeit verstecken. ein progressiver Minister zu sein. Als neuer grüner Ab- geordneter hat mich das tatsächlich sehr gewundert. Aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) spätestens mit Blick auf den Haushalt muss ich sagen: Ich komme zum Ende und rechne zusammen: Geld Ich bin enttäuscht. wird ausgegeben für Rückführungen, Militär- und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) PR-Aktionen. Wichtige Bereiche wie Bildung, Wie- deraufbau und Krisenbewältigung, Konfiktprävention Alle Welt redet von Fluchtursachenbekämpfung. und Klimaschutz werden ausgehungert. Die Message Was sind denn die Ursachen für Flucht? Bürgerkriege, der Bundesregierung lautet eigentlich: Um Entwick- Gewalt, Vertreibung, Diskriminierung, Hunger, Dür- lung müssen sich andere kümmern. – Frau Merkel, Herr re, Überschwemmungen, Perspektivlosigkeit. Und was Müller, Herr Scholz, wir Grünen nehmen diese Heraus- macht diese Bundesregierung? Ertüchtigung der Länder forderung gerne an und kümmern uns darum. auf den Fluchtrouten, damit diese ihre Grenzen dicht ma- chen, Migrationspartnerschaften, und nur noch Länder, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die spuren, bekommen Geld. Das ist keine Fluchtursa- chenbekämpfung, das ist Fluchtbekämpfung, was Sie da Vizepräsidentin Petra Pau: betreiben. Das Wort hat der Kollege Matern von Marschall für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die CDU/CSU-Fraktion. Die UNESCO stellt in ihrem Weltbildungsbericht fest: (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast Vielen Kindern fehlt die Chance auf Bildung. Knapp [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der kann et- 270 Millionen Kinder auf dieser Welt erhalten gar keine was zum Marshallplan sagen!) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3073

(A) Matern von Marschall (CDU/CSU): schmälert. Aber das ist ein Weg, um denjenigen, die dann (C) Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Künast, genau- erfolgreich sind, das Potenzial zu geben, in die Nachbar- so ist es: Ich kann etwas zum Marshallplan sagen, schaft auszustrahlen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr in der Beek – das will ich zum Abschluss sa- NEN]: Das sollte gar kein Zwischenruf sein!) gen –, ich bin fest überzeugt, dass wir eine gemeinsame europäische Entwicklungspolitik brauchen. Der Europäi- auch wenn der Name nicht von mir erfunden worden ist. sche Entwicklungsfonds ist mit über 100 Millionen Euro zusätzlich ausgestattet. Ich bin ganz sicher, dass nur dann Wir debattieren heute über den Haushalt des Entwick- ein Level Playing Field und insofern auch Verzerrungen lungsministeriums. Der Etat wurde – das ist schon gesagt vermieden werden, wenn alle europäischen Staaten ih- worden – in der letzten Dekade verdoppelt. Im kommen- ren Umgang mit Afrika in gleicher Weise gestalten. Dem den Jahr wird er um 10 Prozent – das entspricht 900 Mil- muss auch eine neue Vertragsgestaltung im sogenannten lionen Euro – gesteigert. Wir reden hier über 2,8 Prozent Post-Cotonou-Prozess dienen. Da müssen wir Mut ha- des Bundeshaushalts. Das sage ich nur, damit alle diesen ben, den Mut, Souveränität an eine starke europäische Haushalt in den Gesamthaushalt einordnen können. Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik abzuge- Wir haben angesichts der humanitären Katastrophen ben. Auf anderen Feldern müssen wir die Subsidiarität die internationalen Organisationen und Programme zu- im nationalen Bereich vielleicht stärken. sätzlich unterstützt, die UNICEF, das UNDP, und über Danke sehr. das Außenministerium haben wir Mittel für UNHCR in den letzten drei Jahren verdreifacht. Es ist also nicht so, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dass wir unseren Verpfichtungen im und um das syrische ordneten der SPD und der FDP) Kriegsgebiet herum nicht einigermaßen gerecht gewor- den wären. Vizepräsidentin Petra Pau: Ich will darauf eingehen, dass auch die kirchlichen Nächster Redner ist der Kollege Dr. Sascha Raabe für Organisationen einen erheblichen Aufwuchs in Aussicht die SPD-Fraktion. gestellt bekommen haben. Ich danke insbesondere diesen (Beifall bei der SPD) Organisationen, weil sie die Eigenverantwortung stärken und weil sie die Solidarität stärken, übrigens über Religi- onsgrenzen hinweg in einem sehr wertvollen und wich- Dr. Sascha Raabe (SPD): tigen Dialog. Sie sind für uns ein ganz wichtiger Partner. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist gut, dass im Haushalt 2018 mit (B) Ich glaube, hier muss gesagt werden: Wir dürfen die 900 Millionen Euro ein ordentlicher Aufwuchs zu ver- (D) Mittel nicht kürzen. Das bereitet mir Sorge. zeichnen ist. Aber angesichts der Herausforderungen, die Herr Minister, Sie haben in Ihrem Buch – ich darf dafür wir zurzeit auf der Welt zu bewältigen haben – 2,7 Milli- werben; denn die Erlöse gehen, wie ich glaube, an eine arden Menschen müssen von weniger als 2 Dollar pro Tag wohltätige Organisation – zu Recht darauf hingewiesen, leben, und die Zahl hungernder Menschen ist wieder auf dass es bei Entwicklungspolitik um die gerechte Gestal- über 800 Millionen gestiegen –, ist es aus meiner Sicht tung der Globalisierung geht. Sie haben das ins Zentrum ein Skandal, dass in der Finanzplanung ab dem nächsten Ihrer politischen Strategie gerückt. Ein Bild habe ich in Jahr beim Kampf gegen Hunger und Armut wieder Kür- Erinnerung behalten, das Bild eines Jungen aus Maure- zungen vorgenommen werden. Ich fnde, wir müssen alle tanien, der einen Eselskarren mit einem Wasserfass zieht gemeinsam dafür sorgen, dass das nicht passiert, meine und gleichzeitig auf sein Handy schaut. Dieses Bild ver- sehr verehrten Damen und Herren. deutlicht die Auswirkungen der Globalisierung, zeigt die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Was denkt dieser LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜND- Junge, wenn er auf sein Smartphone schaut? Was sind NISSES 90/DIE GRÜNEN) seine Zukunftsperspektiven? Ich bin ganz sicher: Wir müssen daran arbeiten, dass wir diesem Jungen bei sich Mich erinnert diese Situation fatal an den Beginn der zu Hause eine Zukunft geben. Dem dient der Grundsatz letzten Legislaturperiode, als wir in der Finanzplanung mit des Marshallplans, der im Übrigen auch ein wesentliches Blick auf die kommenden vier Jahre ebenfalls ganz ge- Potenzial hat. ringe Mittel vereinbart hatten. Wir Entwicklungspolitiker und auch Entwicklungsminister Gerd Müller haben immer Wir sollten viel mehr von Chancen als nur von Düs- gewarnt und gesagt: Die Bedingungen in den Flüchtlings- terkeiten und Risiken reden, weil die unglaublich vielen lagern verschlechtern sich Tag für Tag. Wenn wir da jetzt jungen Menschen in Afrika, die so lebenshungrig sind, nichts machen, werden sich die Menschen irgendwann in natürlich eine Zukunft haben wollen. Wenn wir sie dabei Bewegung setzen. – Man hat nicht auf uns gehört, und es unterstützen – das kann auch unserer Wirtschaft dienen –, ist passiert. Erst dann haben die Spitzen unserer Parteien – indem wir die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft jetzt nehme ich einmal alle mit ins Boot – reagiert. 2016 verbessern und die gute Regierungsführung stärken, und 2017 wurden die Mittel endlich erhöht. Als Entwick- dann ist das ein guter Weg. Ich glaube, wir sollten das ge- lungspolitiker kämpfe ich schon seit 2002 dafür, dass wir rade in den Ländern tun, die sich schon jetzt dazu bereit, die ODA-Quote von 0,7 Prozent endlich erreichen – ein in der Lage und gewillt sehen. Das ist keine Aussage, die Versprechen, das wir schon 1970 gegeben haben. Damals unsere humanitäre Verpfichtung den Ärmsten gegenüber haben wir uns alle auf die Schulter geklopft. Ich gebe zu: 3074 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Dr. Sascha Raabe (A) Das hat auch gutgetan. Dann haben alle gesagt: Mensch, weiteren Steigerung der ODA-Quote nachkommen, (C) hätten wir doch auf euch gehört. Ihr habt da recht gehabt. deren … Absinken bereits 2018 verhindert werden Wir sollten lieber die Fluchtursachen bekämpfen als zu muss. warten, bis es zu spät ist. Das bedeutet doch, dass wir nicht wie sonst, wenn Ich erinnere mich auch noch gut an den Wahl- zusätzliche Steuermittel hereinkommen, in der Situation kampf 2017. Da haben die Spitzen aller Parteien auf den sind, uns hinten anstellen zu müssen, an siebter, achter, Marktplätzen immer wieder gesagt: Wir müssen für die neunter, zehnter Stelle. In diesem Vertrag ist ganz klar Fluchtursachenbekämpfung endlich mehr tun. Das darf festgelegt, dass, wenn es Mehreinnahmen gibt – 10 Mil- nie wieder passieren. Wir müssen die ODA-Quote von liarden Euro werden ja schon genannt; es sind bestimmt 0,7 Prozent erreichen. – Es war wie so oft in der Politik: noch mehr –, unser Bereich prioritär bedient werden Es wurde groß geredet, dann ging die Zahl der Flücht- muss, und zwar zur Steigerung der ODA-Quote. linge zurück, und auf einmal beging man die gleichen Fehler wieder. Damals, 2015, ging es um syrische Bür- (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gerkriegsfüchtlinge. Der nächste große Strom wird von Da haben Sie recht! Dann müssen Sie das mal unserem Nachbarkontinent Afrika kommen. Dort wird es machen! – Ottmar von Holtz [BÜNDNIS 90/ bis zum Jahr 2050 zu einer Verdopplung der Bevölke- DIE GRÜNEN]: Rede doch mit dem Kollegen rung auf 2,5 Milliarden Menschen kommen. Die meisten Scholz darüber!) von ihnen sind ganz junge Menschen. Da reden wir von Ich sage auch unserem Finanzminister: Dieser Koali- Kindern, die in zehn Jahren Jobs und Perspektiven brau- tionsvertrag gilt. Ich sehe nicht, dass es da auch nur einen chen. Deswegen müssen wir jetzt anfangen, die Weichen Deut an Zweifel geben kann. zu stellen, und zwar mit wesentlich größeren Schritten. Wir dürfen erst recht nicht anfangen, zu kürzen. Sonst (Beifall der Abg. Anja Hajduk [BÜND- passiert uns das Gleiche, was uns in der letzten Legis- NIS 90/DIE GRÜNEN]) laturperiode passiert ist, wieder. Dann möchte ich kei- ne Klagen mehr hören. Ich sage: Wer ab 2019 ernsthaft Angesichts der Finanzplanung wäre es ein Bruch des Ko- die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit kürzen will, alitionsvertrages. Das würden wir Entwicklungspolitiker der versündigt sich nicht nur an den Menschen in Afrika, nicht hinnehmen. Ich würde 2019 gegebenenfalls auch sondern auch an den Menschen hier in Deutschland und gegen den Haushalt stimmen. Lassen Sie uns gemein- den Kommunen, an all denen, die dies wieder ausbaden sam dafür kämpfen, dass es nicht dazu kommt und der müssen. Koalitionsvertrag eingehalten wird. Lassen Sie uns den Menschen in den Entwicklungsländern endlich eine Per- (B) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- spektive geben, damit niemand aus Hunger und Armut zu (D) SES 90/DIE GRÜNEN) uns füchten muss, sondern in seinem Heimatland selbst- bestimmt leben kann. Deswegen sage ich: Wir dürfen die Mittel ab 2019 nicht kürzen, sondern müssen sie endlich aufstocken und das (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie 0,7-Prozent-Ziel erreichen. bei Abgeordneten der CDU/CSU)

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Dazu gehört neben den fnanziellen Mitteln auch ein LINKEN) fairer, gerechter Handel. Ich bin froh, dass wir das in unseren gemeinsamen Antrag von SPD und CDU/CSU Ich sehe auch gar nicht ein, dass ich hier wieder bet- hineingeschrieben haben. In Brüssel stehen zurzeit Ent- teln soll. scheidungen an, durch die die guten Festlegungen des Koalitionsvertrages in Gefahr sind. Es sieht nämlich nicht (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- so aus, dass sie dort umgesetzt werden. Lieber Gerd, hier NEN]: Das ist wohl wahr!) müssen wir gemeinsam versuchen, unseren Wirtschafts- minister Peter Altmaier, der mir einen Brief geschrieben Wir haben im Koalitionsvertrag Regelungen für den Fall hat, mit dem ich nicht glücklich gewesen bin, zu über- vereinbart, dass es zusätzliche Spielräume gibt. Von den zeugen. Es kann doch nicht sein, dass wir den ärmsten zusätzlichen 46 Milliarden Euro wird nur ein beschä- Ländern erst die Mittel nicht geben, die wir ihnen schon mend geringer Anteil für die Entwicklungszusammen- seit 50 Jahren versprochen haben, und ihnen dann, wenn arbeit verwendet. Aber wir alle zusammen haben dafür sie versuchen, ohne unsere Mittel auszukommen, und gekämpft – Gabi und die wir hier alle saßen; Gerd, du sich mit eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf auch kräftig –, dass in den Koalitionsvertrag eine ent- dem Weltmarkt positionieren wollen, diese Möglichkeit sprechende Formulierung aufgenommen wird. Ich zitie- durch eine unfaire Handelspolitik kaputtmachen. Nein, re einmal aus dem Koalitionsvertrag; das kann man gar ich sage: Wir brauchen faire, gerechte Handelsbedin- nicht missinterpretieren. Darin steht, dass entstehende gungen und müssen dafür sorgen, dass Menschenrechte Haushaltspielräume prioritär dazu genutzt werden, die und Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Das muss Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. verbindlicher Bestandteil der künftigen Handelsverträge Weiter heißt es: werden. Das steht auch im Koalitionsvertrag. Deutschland wird verbindlich mit dieser Haushalts- Jetzt ist nicht mehr Zeit, zu reden. Jetzt ist es Zeit, politik … den internationalen Verpfichtungen zur zu handeln. Wir als Entwicklungspolitiker werden unse- Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3075

Dr. Sascha Raabe (A) re Regierung dazu treiben, zu handeln. In diesem Sinne: Die öfentliche Wahrnehmung seit 2015 ist häufg: (C) Lassen Sie uns kampfbereit sein! Auf geht’s! Fluchtursachenbekämpfung ist euer einziges Interes- se. – Dazu sage ich: Nein, das stimmt nicht. Der Flücht- Danke. lingsstrom hat uns die Armut der Welt lediglich näher- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gebracht. Er hat uns das Elend vor Augen geführt und LINKEN) vor allem gezeigt, dass unsere Hilfeleistungen, die wir für die Gefüchteten in Deutschland aufwenden müssen, nur sehr begrenzt wirken. Es gibt Enttäuschte: enttäusch-

Vizepräsidentin Petra Pau: te Bürger, aber auch enttäuschte Flüchtlinge. Zu seiner ersten Rede im Deutschen Bundestag hat nun der Kollege Stefan Sauer aus der CDU/CSU-Frak- Kritiker sagen auch: Entwicklungszusammenarbeit tion das Wort. ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Weltbevöl- kerung wächst rasant. Unsere wirtschaftliche Hilfe kann (Beifall bei der CDU/CSU) hier nicht Schritt halten. Korruption und Ausbeutung sind stetige Begleiter. – Dazu sage ich: Ja, all das stimmt, aber Stefan Sauer (CDU/CSU): es ist kein Grund zum Wegschauen. Es gibt Win-win-Si- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und tuationen. Diese müssen wir fnden und für uns nutzen. Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Senior­ experte aus meinen Wahlkreis Groß-Gerau hat einmal (Beifall bei der CDU/CSU) gesagt: Wir geben keine Fische, sondern die Angel, um Fische zu fangen. – Dieses Bild gefällt mir im Rahmen Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht es nämlich der Entwicklungszusammenarbeit sehr gut. Ich glaube, um deutlich mehr. Es geht auch um Frieden und um den Hilfe zur Selbsthilfe kann man kaum trefender beschrei- Erhalt der Ökosysteme. Die Zahlen im Bundeshaushalt ben. sprechen für sich. In dem Zeitraum von 2004 bis 2014, also bis zum Flüchtlingsstrom, haben sich die Ausgaben Die Entwicklungszusammenarbeit verfolgt viele Zie- verdoppelt. Im Jahr 2018 sind die bereits angesproche- le. Die Ausgangssituation hierbei wird stets komplexer. nen 9,44 Milliarden Euro eingesetzt. Das ist ein Plus von Die Globalisierung nimmt zu, Wertschöpfungsketten 10,5 Prozent. Ich glaube, nachdem ich heute die Rede der über alle Kontinente hinweg bestimmen das Handeln, Kanzlerin gehört habe, dass wir uns über die Jahre 2019 und die Digitalisierung erleichtert und fördert dieses Zu- sammenwirken. Nicht zuletzt zerstören Kriege und Na- bis 2021 heute auch noch nicht den Kopf zerbrechen müssen. Da sehe ich uns perspektivisch; denn das Thema (B) turkatastrophen bereits Erreichtes. (D) gewinnt an Bedeutung. Ich glaube, das stetige fnanzi- Nun muss nachdenklich stimmen, dass der Nutzen für elle Engagement der Bundesregierung ist erkennbar und die weltweit 450 Millionen Menschen, die in die Liefer- wichtig. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Aufassung: Das ketten eingebunden sind, sehr unterschiedlich ist. Aus ist gut investiertes Geld. Es vervielfacht sich in seiner meiner Sicht gibt es zwei Botschaften. Wirkung durch die Aktivitäten unserer Partner.

Erstens. Nur fairer Handel ist guter Handel. Jeder soll- Mein Fazit lautet: Lassen Sie uns daran arbeiten, dass te angemessen proftieren, und der Umgang miteinander die Welt auf allen Kontinenten Heimat bietet, dass wir sollte von Wertschätzung geprägt sein. weltweit schonend mit unserer Erde umgehen, somit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Klimaveränderungen entgegenwirken, um Naturkata­ ordneten der SPD) strophen zu reduzieren, und dass der Mensch, egal wo er lebt, unter menschlichen Bedingungen daran teilnimmt. Deutschland hat gerade hier eine lange Tradition. Ich denke an die Arbeitnehmervertretungen, die Gewerk- (Beifall bei der CDU/CSU) schaften und die Verbände. Hinsichtlich der Arbeits- und Umweltstandards können wir uns hier positiv einbringen Kommende Woche reisen wir mit einer Delegation und mitgestalten. Mitgestalten können wir bei uns zu nach Peru und Ecuador. Wir machen uns ein eigenes Bild Hause, indem wir verantwortungsvolles Unternehmer- vor Ort und schauen uns dort Bergbau und Naturschutz tum fördern und Menschenrechte schützen sowie fairen an. Unser bisheriges weltweites Engagement darf nicht Handel unterstützen, wie auch in den 80 Partnerländern, verloren gehen, auch wenn wir zu Recht auf Afrika einen in denen wir unter anderem die Entwicklungen von Ar- Schwerpunkt setzen. beitnehmervertretungen und Verbänden begünstigen. Die zweite Botschaft lautet: Nur was auf Dauer vor Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit unserem Ort in den Entwicklungsländern und auch in den Schwel- Minister Gerd Müller, der sehr engagiert und vorbildlich lenländern erfolgreich ist, hilft, die Weltarmut zu re- seine Aufgabe wahrnimmt, mit dem Ministerium und al- duzieren. In der EU-Handelspolitik können wir darauf len Akteuren. An dieser Stelle sage ich auch Danke an drängen, dass fnanzielle Mittel für kleine und mittlere das Ehrenamt, das sehr stark Entwicklungszusammenar- Unternehmen bereitgestellt werden, die unsere Wertevor- beit unterstützt, wertvolle Akzente setzt und – Kollege stellungen in ihren Projekten aufgreifen: Helfen vor Ort Gröhe hat es bereits gesagt – hierbei vor allem einen ho- und den Menschen eine Perspektive geben. hen menschlichen Beitrag leistet. 3076 Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018

Stefan Sauer (A) Ich wünsche uns ein kraftvolles Wirken für die Schwa- unsere Beiträge geleistet, dann wäre uns so manches er- (C) chen auf unserer gemeinsamen Erde und bedanke mich spart geblieben, höchstwahrscheinlich auch die AfD. für die Aufmerksamkeit. (Dr. Alexander Gauland [AfD]: Das ist die (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Hauptsache für euch! Entwicklungshilfe ge- FDP) gen die AfD, das könnte euch so passen!) Wie Sie sehen, sind die Mittel für die Entwicklungszu- Vizepräsidentin Petra Pau: sammenarbeit gut angelegt. Dann müssten wir uns in diesem Hause auch solche kruden Thesen wie diese nicht Als letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich hat der anhören: Wir müssen möglichst viele Flüchtlinge schon Kollege Carsten Körber aus der CDU/CSU-Fraktion das allein deshalb abschieben, weil sie in Afrika nur circa Wort. 10 Prozent des CO2 produzieren, das sie hier in Deutsch- land produzieren; anderenfalls wird der Klimawandel be- (Beifall bei der CDU/CSU) schleunigt. – Das hat der Kollege Kraft von der AfD hier in diesem Haus am 18. Januar in einer Debatte über den Klimaschutz ausgeführt. Dabei verleugnen Sie häufg Carsten Körber (CDU/CSU): den Klimawandel. Sie sagen das, was Ihnen gerade passt. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr Deutschland ist international ein anerkannter und an- geehrter Herr Minister Müller, der neue Entwurf Ihres gesehener Partner, nicht nur, weil wir nach den Vereinig- Einzelplanes kann sich wirklich sehen lassen. 900 Milli- ten Staaten der zweitgrößte Geldgeber bei den Entwick- onen Euro Aufwuchs! Das ist nominal der viertgrößte im lungsleistungen sind. Wir sind es nicht nur, weil wir mehr gesamten Bundeshaushalt. Das sind gut 10 Prozent im Geld geben als andere, sondern auch, weil wir mit der KfW und der GIZ über eine Expertise verfügen, die inter- Vergleich zum Vorjahr; das hatten wir an dieser Stelle national ihresgleichen sucht. Wir haben schon in vielen schon verschiedentlich gehört. Dieser Etat ist etwas ganz Debatten darüber gesprochen, dass sich die internationa- Besonderes, und zwar nicht allein aus diesem Grund. Er len Rahmenbedingungen in den letzten Jahren und lei- ist etwas ganz Besonderes, weil er die größer geworde- der auch in den letzten Monaten grundlegend verändert ne internationale Verantwortung, die Deutschland in der haben. Natürlich müssen wir uns langfristig mit unserer Welt trägt, ganz praktisch und konkret deutlich macht. Entwicklungszusammenarbeit darauf einstellen. Wohin Diese Verantwortung nehmen wir mit diesem Haushalt wollen wir in den nächsten Jahren? Auch das wurde be- auch wahr. (B) reits angesprochen. Wir wollen mittelfristig 25 Prozent (D) des Etats für Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen be- Worum geht es aber überhaupt in diesem Etat? Oft reitstellen; denn Bildung ist der Schlüssel für eine posi- habe ich diese Frage in den letzten Wochen gehört. Vie- tive Entwicklung in der Zukunft und zwingende Voraus- le Diskussionen über die Entwicklungszusammenar- setzung für ein selbsttragendes Wachstum. beit – auch die heutige Debatte – gehen noch heute von falschen Voraussetzungen aus. Es geht in diesem Etat nicht nur darum, einem anderen zu helfen. Nein, es geht Vizepräsidentin Petra Pau: um weit mehr. Es geht um internationale Zusammenar- Kollege Körber, Herr Nolte möchte eine Zwischenfra- beit mit 85 Partnerländern auf vier Kontinenten. Es geht ge stellen oder eine Zwischenbemerkung machen. Las- um Entwicklung, gleichberechtigt und auf Augenhöhe. sen Sie diese zu? Es geht darum, andere Länder dabei zu unterstützen, Antworten auf die elementaren Herausforderungen der Carsten Körber (CDU/CSU): Menschheit zu entwickeln. Genau das liegt auch in un- serem Interesse. Nein, diese lasse ich nicht zu. – Weiterhin werden wir bei Energieprojekten, etwa in Afrika oder in Indien, von Die Flüchtlingskrise 2015 hat doch gezeigt, welche Anfang an auf erneuerbare Energien setzen, um die Men- verheerenden Wirkungen es haben kann, wenn wir un- schen dort direkt an den neuesten Technologien teilhaben seren internationalen Verpfichtungen nur unzureichend zu lassen. nachkommen. Im Sommer 2014 hatte das World Food Wir sind uns natürlich der Tatsache bewusst, dass Programme dringend um 350 Millionen Dollar gewor- selbst ein noch so großer Etat des BMZ auch nicht an- ben; sonst müsse man die Nahrungsmittelrationen für satzweise in der Lage sein wird, die Probleme dieser Welt rund 4,2 Millionen Menschen in Syrien und Flüchtlinge zu lösen. Deshalb – das ist für mich ein ganz entschei- in der Region einstellen oder zumindest deutlich kürzen. dender Punkt – leiten wir nichts anderes als einen Para- Ein Jahr später, im Sommer 2015, wiederholte sich das. digmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit ein. Dieses Mal fehlten lediglich 140 Millionen Dollar. Dann Wir wollen die Wirtschaft und auch private Investoren so setzten sich viele Menschen in Richtung Europa in Be- eng wie möglich einbinden und schafen dafür ein Ent- wegung. Sicher, die gekürzten oder gestrichenen Ratio- wicklungsinvestitionsförderungsgesetz. Damit wollen nen waren nicht der Auslöser der Flüchtlingskrise. Aber wir künftig so viele private Investitionen wie möglich in sie waren für viele der letzte Anstoß. Hätten wir damals der EZ verstärken und damit letzten Endes auch die staat- alle unsere internationalen Verpfichtungen erfüllt und lichen Mittel hebeln. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Mai 2018 3077

Carsten Körber (A) Wir haben viel erreicht, aber es gibt noch sehr viel zu Vizepräsidentin Petra Pau: (C) tun. Lassen Sie uns damit beginnen. Sie haben das Wort zu einer Erwiderung, Kollege Körber. Herzlichen Dank. Carsten Körber (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sehr geehrter Herr Kollege, dieser Widerspruch ist mit ordneten der SPD) sehr wohl aufgefallen. Aber der Widerspruch ist nicht in- nerhalb meiner Fraktion zu suchen; dieser Widerspruch Vizepräsidentin Petra Pau: liegt ganz ofenkundig in Ihrer Fraktion. Denken Sie ein- mal darüber nach! Zu einer Kurzintervention hat Herr Nolte das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Jan Ralf Nolte (AfD): geordneten der FDP) Herr Kollege, es wäre eigentlich eine Zwischenfrage an Sie gewesen; aber Sie haben sie leider nicht zugelas- Vizepräsidentin Petra Pau: sen. Sie sagten hier zum einen, dass wir aus Gründen des Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages- Klimaschutzes für eine konsequente Abschiebung stün- ordnung. den, aber im gleichen Satz, dass wir den Klimawandel Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- leugnen. Ist Ihnen der Widerspruch nicht aufgefallen, tages auf morgen, Donnerstag, den 17. Mai 2018, 9 Uhr, oder lügen Sie bewusst? ein.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute. Die Sitzung Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Das ist kein ist geschlossen. Widerspruch!) (Schluss: 18.27 Uhr)

(B) (D)

Deutscher Bundestag – 19 Wahlperiode – 32 Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16 Mai 2018 3079

(A) Anlage zum Stenografschen Bericht (C)

Entschuldigte Abgeordnete

Abgeordnete(r) Abgeordnete(r)

Beutin, Lorenz Gösta DIE LINKE Lämmel, Andreas G. CDU/CSU

Bilger, Stefen CDU/CSU Mihalic, Irene * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Neumann, Dr. Martin FDP

Felser, Peter AfD Protschka, Stephan AfD

Held, Marcus SPD Schäfer (Saalstadt), Anita CDU/CSU

Heßenkemper, Dr. Heiko AfD Schimke, Jana * CDU/CSU

Irlstorfer, Erich CDU/CSU Schulz, Jimmy FDP

Jurk, Thomas SPD Steier, Andreas CDU/CSU

Kamann, Uwe AfD Tackmann, Dr. Kirsten DIE LINKE

Klingbeil, Lars SPD Thews, Michael SPD

Knoerig, Axel CDU/CSU Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ (B) DIE GRÜNEN (D) Kolbe, Daniela SPD Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU

Krings, Dr. Günter CDU/CSU Witt, Uwe AfD

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