Die Genese des „Kreisauer Kreises“

Von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Stuttgart zur Erlangung der Würde des Doktorgrades der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Abhandlung

vorgelegt von Klaus Philippi Zweibrücken

Hauptberichter: Prof. Dr. W. Pyta Mitberichter: Prof. Dr. K.-M. Mallmann

Tag der mündlichen Prüfung: 11. Januar 2012

Historisches Institut der Universität Stuttgart 2012

Entwurf eines propagandistischen Symbols für den Kreisauer Kreis: Mit dem Kreuz vereinter sozialistischer Ring als Zeichen der Einigkeit aller aufbauwilligen Kräfte1

1 IfZ, ED 106-96, vorgeschlagen von Harro Siegel; siehe Brief an van Roon vom 06.11.1964, IfZ, ZS/A- 18, Bd. 7

Danksagung

Nach Abschluss der Arbeit möchte ich Herrn Prof. Dr. Wolfram Pyta, dem Leiter der Abteilung Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart, danken, der diese Untersu- chung mit großem Interesse begleitete und mir in zahlreichen Gesprächen wertvolle Anregungen gab. Zu danken ist Herrn Prof. Dr. Klaus-Michael Mallman für die Erstel- lung des Zweitgutachtens.

Für vielfältige Hinweise und Auskünfte bin ich zu Dank verpflichtet Herrn Prof. Dr. Günter Brakelmann, dem Editor und intimen Kenner der Kreisauer Texte, Herrn Prof. Dr. Andreas Möckel für seine Informationen über die schlesischen Arbeitslager, Herrn Prof. Dr. Hans Maier für die Hinweise zu den bayerischen Aktivitäten des Kreisauer Kreises, Frau Adda Benita von Hofacker für Mitteilungen über ihren Vater Hans-Bernd von Haeften, Dr. Florian Straus für die Einführung in die Netzwerktechnik und nicht zuletzt Herrn lic. theol. Günter Saltin von der Alfred-Delp-Gesellschaft für seine Ant- worten auf zahlreiche theologische Fragen. Mein besonderer Dank gilt Frau Clarita von Trott zu Solz für die Genehmigung, die im BA gelagerten Archivalien über Adam von Trott zu Solz einzusehen, und Graf Helmuth Caspar von Moltke für seine stete Bereit- schaft, Fragen zu beantworten und Anregungen zu geben.

In allen Archiven, die ich für meine Forschungen und Recherchen aufsuchte, erfuhr ich aktive und freundliche Hilfe. Ich danke dafür den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts für Zeitgeschichte München, des Bundesarchivs Koblenz mit seiner Außenstel- le in , dem Berlin Document Center, des Reichwein-Archivs Berlin, des Politi- sches Archivs des Auswärtiges Amtes Bonn, des Archivs der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn, des Archivs für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung St. Augustin, des Deutschen Literaturarchivs Marbach, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin, des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs Schleswig, des Eu- gen-Rosenstock-Huessy-Archivs Bethel, des Jesuiten-Archivs München und nicht zu- letzt der Bodleian Library und des Balliol College Oxford sowie der University Library Exeter.

Mein Dank gilt auch meiner Frau, die meine Arbeit mit viel Verständnis begleitete und mich bei der Abfassung unterstützte. Heimsheim, den 11. Januar 2012 Klaus Philippi

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 10

Abkürzungsverzeichnis 11

Zusammenfassung 15

Abstract 16

1 Einleitung 17 1.1 Thema 17 1.2 Forschungsstand und Quellen 18 1.3 Struktur der Arbeit 23 1.4 Exkurse 24 1.4.1 Exkurs Vergemeinschaftung 24 1.4.2 Exkurs Netzwerk 30 1.4.2.1 Netzwerkanalyse in der Sozialwissenschaft 31 1.4.2.2 Netzwerkanalyse als Instrument der Historiographie 33 1.4.2.3 Methodik 33

2 Beschreibung des Kreisauer Kreises 40 2.1 Prozess des Entstehens 40 2.2 Ziele des Kreises 43 2.3 Mitglieder des Kreises 48 2.3.1 Werden des Kreisauer Kreises 50 2.3.2 Charakterisierung der Akteure 69 2.3.3 Mitwirkung und Treffen 82 2.3.4 Reichweite des Netzwerkes Kreisauer Kreis 106 2.3.4.1 Vertrauen und emotionale Beziehung 106 2.3.4.2 Außenbeziehungen 110 2.3.4.3 Engster Kern, Cliquen, Tatgemeinschaft 118 2.3.4.4 Treibende Kraft, Zentralität 130 2.4 Heterogenität und Dekonstruktion des Kreises 136 2.4.1 Beschreibung der Zusammensetzung des Kreises 136 2.4.2 Konflikte und Dekonstruktion des Kreises 139

7 Inhaltsverzeichnis

2.5 Arbeitsweise und Etappen 153 2.5.1 Konspirative Treffen 153 2.5.2 Arbeitsweise 154 2.5.2.1 Etappen 154 2.5.2.2 Arbeitsgruppen 155 2.5.2.3 Methoden 157 2.6 Dauer des Bestehens 158

3 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung 161 3.1 Folie des politischen und geistigen Umfeldes in der Zwischenkriegszeit 161 3.1.1 Beschreibung der Weimarer Republik und der Umbrüche der Zwischenkriegszeit 161 3.1.2 Deutungsmuster: Vernunftrepublikanismus 169 3.1.3 Parteien 171 3.1.3.1 SPD 172 3.1.3.2 Das Zentrum 173 3.1.3.3 DDP/DVP/DNVP 175 3.2 Gesellschaftspolitische Verortung 177 3.2.1 Helmuth von Moltke 178 3.2.2 Peter Yorck von Wartenburg 181 3.2.3 Sozialdemokratische Kreisauer 182 3.2.3.1 Die militanten Sozialdemokraten: Mierendorff, Haubach und Leber 183 3.2.3.2 Reichwein und Trott 194 3.2.3.3 Einsiedel, Trotha, Haeften 200 3.2.4 Die Kreisauer der Zentrumspartei 203 3.2.5 Linksliberale und konservative Kreisauer 207 3.3 Religiöse Einstellungen 211

4 Vergemeinschaftende Quellen 227 4.1 Jugendbewegungen 231 4.2 Volksbildungsarbeit in Schlesien 244 4.3 Motivation und Entscheidung zum Widerstand sowie Leben in Widerständigkeit 258

8 Inhaltsverzeichnis

4.3.1 Einige Grundtatbestände des Widerstands und der Widerstandsdiskussion 261 4.3.2 Motivationen zum Widerstand 266 4.3.3 Leben im Widerstand 287 4.3.3.1 Beschreibung des widerständigen Lebens 287 4.3.3.2 Emigrationsfrage 290 4.3.3.3 Stellung der Kreisauer zum Attentat 301

5 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand 326 5.1 Kreisauer, fest in Glauben und Kirche verankert 331 5.1.1 Haeften 331 5.1.2 Yorck 333 5.1.3 Gablentz 335 5.1.4 Steltzer 337 5.1.5 Rösch/König 339 5.2 Religiöse Entwicklung der kirchenfernen Kreisauer 342 5.2.1 Haubach 343 5.2.2 Mierendorff 346 5.2.3 Leber 348 5.2.4 Reichwein 351 5.2.5 Trott 353 5.3 Una sancta in vinculis 356

6 Schlussbetrachtung 374

Quellen- und Literaturverzeichnis 383 A Unveröffentlichte Quellen 383 1 Archivalien 383 2 Quellen von Privatpersonen 392 B Gedruckte Quellen 393 C Literaturverzeichnis 400

9 Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Werden des Kreisauer Kreises 67 Abbildung 2: Anzahl der Treffen der Kreisauer zwischen 1940 und 1944 83 Abbildung 3: Treffen 1940 und 1941 85 Abbildung 4: Treffen 1942 und 1943/44 85 Abbildung 5: Teilnehmer an den drei Kreisauer Tagungen 88 Abbildung 6: Zugehörigkeit zu den Untergruppen 119 Abbildung 7: Cliquen 124

10 Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

AA Auswärtiges Amt AB Augsburger Bekenntnis ACDP Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer- Stiftung St. Augustin. ADCV Archiv Deutscher Caritasverband Freiburg AdsD Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung AOK Armee-Oberkommando BA Bundesarchiv Koblenz BA-BER Bundesarchiv Berlin BBF/DIPF/Archiv Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung/Deutsches Insti- tut für Internationale Pädagogische Forschung/Archiv: Bestand des Adolf-Reichwein-Archivs BC Balliol College BDC Berlin Document Center BLO Bodleian Library Oxford BVP Bayrische Volkspartei Cath (M) Catholica Münster CP Christliche Pfadfinderschaft ČSR Tschechoslowakei CVJM Christlicher Verein Junger Männer DBW Dietrich Bonhoeffer Werke DDP Deutsche Demokratische Partei Delp Gesammelte Schriften von Delp, hrsg. von Bleistein, Roman, Bd. I-V DLA Deutsches Literaturarchiv Marbach DNVP Deutschnationale Volkspartei d. R. [Hauptmann] der Reserve DStP Deutsche Staatspartei DVP Deutsche Volkspartei ERH Eugen Rosenstock-Huessy Gestapo Geheime Staatspolizei; kriminalpolizeilicher Behördenapparat und politische Polizei in der Zeit des Nationalsozialismus GDW Gedenkstätte Deutscher Widerstand GSPK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin GWU Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 11 Abkürzungsverzeichnis

HFM Moltke, Helmuth James und Freya von: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944-Januar 1945, hrsg. von Moltke, Helmuth Caspar/Moltke, Ulrike. München 2011 HJvM Helmuth James von Moltke HQs Headquarters IfZ Institut für Zeitgeschichte München JAMI Johann-Adam-Möhler-Institut Paderborn KAB Katholische Arbeiterbewegung KAN-ÖKI Katholische Nachrichtenagentur, Ökumenische Informationen Kard. Kardinal KB/KBII Kaltenbrunner Bericht: Jacobsen, Hans-Adolf (Hg): „Spiegelbild einer Verschwörung.“ Die Opposition gegen Hitler und der Staats- streich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Stuttgart 1984. Bd. I und II KZ Konzentrationslager LBDI Reichwein, Adolf: Ein Lebensbild in Briefen und Dokumenten. Kommentar von Ursula Schulz. München 1974 LBDIa Reichwein, Adolf: Ein Lebensbild aus Briefen und Dokumenten. Kommentar von Ursula Schulz. Sonderausgabe 2. Band. München 1974 LBDII Reichwein, Adolf: Pädagoge und Widerstandskämpfer. Ein Le- bensbild in Briefen und Dokumenten, hrsg. von Pallat, Gabriele C./Reichwein, Roland/Kunz, Lothar. Paderborn 1999 LThK Lexikon für Theologie und Kirche LV Lübecker Volksbote LWFüStb Luftwaffenführungsstab MB Moltke, Helmuth James von: Briefe an Freya: 1939-1945, hrsg. von Ruhm von Oppen, Beate. München 21991. MBF Moltke, Freya von/Balfour, Michael/Frisby, Julian: Helmuth James Graf von Moltke 1907-1945. Anwalt der Zukunft. Stuttgart 1975 MS Manuskript NBS Neue Blätter für den Sozialismus ND Bund Neudeutschland NL Nachlass NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Partei Deutschlands NZZ Neue Züricher Zeitung o. D. ohne Datum o. J. ohne Jahr OKW Oberkommando der Wehrmacht 12 Abkürzungsverzeichnis

OLT Oberleutnant Orpo Ordnungspolizei OSS Office of Strategic Services. Amt für strategische Dienste, Nach- richtendienst des Kriegsministeriums der Vereinigten Staaten von 1942 bis 1945 OSU Ordo Sanctae Ursulae, Gesellschaft der Hl. Ursula o. O. ohne Ort o. V. ohne Verfasser PA Politisches Archiv, Bonn QA Quadragesimo anno; am 15. Mai 1931 von Papst Pius XI. veröf- fentlichte Sozial-Enzyklika RT Reichstag SA Sturmabteilung; paramilitärische Kampforganisation der NSDAP SD Sicherheitsdienst; Abteilung der Geheimen Staatspolizei SHLA Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv SJ Societas Jesu; Jesuitengesellschaft SS Schutzstaffel der NSDAP StdZ Stimmen der Zeit; Jesuitenzeitschrift StGB Strafgesetzbuch StL Staatslexikon Recht, Wirtschaft, Gesellschaft SU Sowjetunion ThGl Theologie und Glaube ULE University Library, Exeter URL Uniform Resource Locator; einheitlicher Quellenanzeiger für das Internet VfZ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VGH Volksgerichtshof YMCA Young Men's Christian Association ZfG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

13

14 Zusammenfassung/Abstract

Zusammenfassung

Ziel dieser Arbeit ist, die Genese des Kreisauer Kreises darzustellen und besonders dem Phänomen der Vergemeinschaftung trotz großer Heterogenität der Mitglieder nachzu- spüren. Dabei wurden mithilfe der qualitativen Netzwerktechnik zunächst die spezifi- schen Charakteristika dieses bürgerlichen Widerstandskreises dargestellt, danach die verschiedenen Strukturparameter, wie emotionale Relationen, die Außenbeziehungen, die Cliquenbildung und die treibenden Kräfte sowie die Zentralität des Kreises analy- siert.

Um die Situation der Kreisauer am Beginn ihrer Tätigkeit festzustellen, wurde ihre ge- sellschaftspolitische und religiöse Verortung herausgearbeitet. Nach Darlegung der Struktur des Kreisauer Kreises wurde dann versucht, den Prozess der Vergemeinschaf- tung nachzuzeichnen. Aus der Vielzahl der Einflussfaktoren wurden die Jugendbewe- gungen, die Erfahrungen in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und die Motivations- lage zum Widerstand näher betrachtet. Anhand von Quellen konnte gezeigt werden, dass die Gräuel des Krieges die ethisch-humanistisch-sittliche Haltung vieler Kreisauer verletzten und zu einem Motiv des Widerstandes wurden. Zwei Aspekte des widerstän- digen Lebens wurden näher beleuchtet: die Emigrationsfrage und die Haltung zum At- tentat.

Schließlich wurde gefragt, inwieweit der christliche Glaube half, die Widerständigkeit zu bewältigen, oder ob der Widerstand der Kreisauer, dies insbesondere im „Angesicht des Todes“, ohne die Kategorie des christlichen Glaubens überhaupt erklärbar ist.

Die Arbeit zeigt an Beispielen der Dekonstruktion, die ihre besondere Ausprägung in der existenziellen Zuspitzung in der Haft erfuhren, dass der Kreisauer Kreis kein mono- lithischer Block mit zentraler Führung war, sondern ein Freundeskreis mit selbstständig agierenden Mitgliedern, die, auf ein gemeinsames Ziel gerichtet, um Kompromisse ran- gen. Durch die breit gefächerte Motivation zum Widerstand, die Weigerung, zu emigrie- ren, und die Bereitschaft, das eigene Leben einzusetzen, wurde eine feste Vergemein- schaftung trotz Heterogenität erreicht, die die Kreisauer zum Eingehen von Kompro- missen bei der Konzeption für das Deutschland „danach“ befähigte. Diese Vergemein- schaftung konnte auch nicht durch die unterschiedliche Haltung in der Attentatsfrage gesprengt werden. Die freigelegten Dekonstruktionsbeispiele schmälern nicht die außerordentliche Konzeptionsarbeit des Kreisauer Kreises, sie lassen das Schaffen und das Opfer der Kreisauer nur noch menschlicher und nachahmenswerter erscheinen. 15 Zusammenfassung/Abstract

Abstract

The main aims of this thesis are to portray the genesis of the Kreisauer Circle and to describe how a cohesive group was formed despite the very great differences in the backgrounds of its members. For this investigation the qualitative network analysis has been used to identify specific characteristics of this circle committed to civil resistance. By means of this analysis the thesis examines elements such as emotional relationships, external relations, the forming of cliques, the driving forces at work and the inner cohe- sion of the circle.

In order to describe the situation of the ‘Kreisauer’ at the beginning of their activity the thesis investigates the social, political and religious convictions held by the individual members before they coalesced into a group. The thesis then outlines the prevailing cir- cumstances at the time and the processes by which the Circle was formed. Many factors contributed and of these the thesis looks in more detail at the influence of the existing youth movements, the experience of the Silesian work camps and how group members were motivated to embark on a strategy of resistance. With the help of sources it can be shown that the atrocities of the war deeply offended the humanistic-ethical attitude of the members of the Kreisauer Circle and it was this that provided a key motivation for resistance. In addition the thesis examines in more detail two particular questions which those involved in resistance were forced to consider: should one attempt to emigrate? and should the assassination of Hitler be considered?

In the final chapter the thesis examines the extent to which the members’ Christian faith helped them to come to terms with the challenges of resistance activity and asks wheth- er the members would have been able to venture their lives in such an undertaking without their strongly- held Christian convictions.

The deconsruction of the group brought about by the particular pressures individual members suffered under arrest demonstrates that the Kreisau Circle was not a monolith- ic block with central leadership but rather a circle of friends acting autonomously who, focussed on a common goal, struggled for compromises. Because of their shared com- mitment to resistance, their refusal to emigrate and their willingness to risk their own lives, they emerged as a cohesive group despite their disparities. Thus the ‘Kreisauer’ were able to accept compromises in the course of their planning for a newly constituted after the war.

16 Einleitung

1 Einleitung

1.1 Thema

Churchill soll 1946 im britischen Parlament gesagt haben:

In Deutschland gab es eine Opposition, die quantitativ durch ihre Opfer und eine entner- vende internationale Politik immer schwächer wurde, aber zu dem Edelsten und Größten gehört, das die politische Geschichte aller Völker je hervorgebracht hat. Diese Männer kämpften ohne Hilfe von innen oder von außen, einzig getrieben von der Unruhe ihres Ge- wissens. […] Wir hoffen auf die Zeit, in der einst das heroische Kapitel der inneren deut- schen Geschichte seine gerechte Würdigung finden wird.2 Obwohl Churchill damit nicht expressiv verbis den Kreisauer Kreis adressierte, gilt die- se Aussage gerade für den Kreisauer Kreis, der durch das unbedingte, im Januar 1941 für die britische Regierung angeordnete Diktum Churchills „absolute silence“ in allen Annäherungsversuchen durch die anglophilen Kreisauer Moltke und Trott gehindert wurde.3 Es dauerte mehr als vierzig Jahre, bis der Kreisauer Kreis in der Öffentlichkeit rezipiert wurde und seine „gerechte Würdigung“ fand. Der Kreisauer Kreis nimmt in- nerhalb des deutschen Widerstandes, der bislang hauptsächlich durch die Bewegung des 20. Juli geprägt war, als intellektueller Vorreiter einen immer stärkeren Rang ein. Dies zeigt sich auch an der Vielzahl der Neuerscheinungen in den letzten beiden Jahren über prominente Kreisauer wie Moltke, Trott und Steltzer, die neben den seit den 1980er- Jahren erschienen Monographien über die einzelnen zwanzig Kreisauer und den Bio- graphien und Schriften der überlebenden Kreisauer zu beachten sind. Bezeichnend für die zögerliche deutsche Rezeption4 des Kreisauer Kreises war, dass die ersten Publika- tionen über den Kreisauer Kreis in England und in den USA5 erschienen und nicht in Deutschland, bevor durch das Standardwerk des Niederländers Ger van Roons, „Neu- ordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbe- wegung“ aus dem Jahre 1967 die erste maßgebliche Gesamtübersicht über den Kreisau- er Kreis vorgelegt wurde.

2 Zeller, Geist der Freiheit 1965. Der Ausspruch Churchills gilt allerdings als „undokumentiert“, aber Churchill befragt nach diesem Ausspruch, antwortete: "[…] so far no record can be found of any such pronouncement by me. But I might quite well have used the words you quote, as they represent my feel- ings aspect of German affairs.” URL1: http://www.wiki- watch.de/index.php?Content=LemmaDetails&LemmaDetailsTitle=Attentat%20vom%2020.%20Juli%20 1944&Zeitraum=1H&PHPSESSID=01t76hjm32pudnh1lug9h53l00, 02.04.2011. 3 Klemperer, Verschwörer 1994. S. 15. 4 Zur Bewertung des Widerstandes im Nachkriegsdeutschland insgesamt vgl.: Tuchel, Der vergessene Widerstand 2005, insbesondere S. 10 f. 5 Cumberledge, A German of the resistance 1946. S. 212-231; Balfour, A leader 1972); Rothfels, The German Opposition to Hitler 1948, in Deutschland erschienen, Tübingen 1957, darin wird dem Kreisauer Kreis ein 17-seitiges Kapitel gewidmet. Bezogen auf Trott: Sykes, Troubled Loyalty 1968; Hopkins, The Incense Tree 1968; über Reichwein erschien 1958: Henderson, Reichwein 1958. 17 Einleitung

In der vorliegenden Genese des Kreisauer Kreises soll nicht der Versuch einer neuen Gesamtdarstellung der Tätigkeit des Kreises und seiner Neuordnungspläne gewagt wer- den, sondern das Phänomen der Vergemeinschaftung trotz größter Heterogenität soll im Vordergrund stehen. Diese Fähigkeit zur Vergemeinschaftung wird auch zu einem Hauptcharakteristikum des Kreisauer Kreises gemacht. So schreiben Freya von Moltke und Marion von Yorck schon 1945: „Der Allen gemeinsame Wille zur eigenen inneren Klärung der vor Deutschland liegenden Probleme verband“, man könnte auch sagen vergemeinschaftete, „die Männer in dem Streben, für Deutschland die Quellen abend- ländischen Geistes lebendig zu machen, die Europa von jeher gespeist haben, aus denen es gewachsen ist und geblüht hat. Noch immer lebt das Abendland aus diesem Geist, der in den Männern lebendig war, und der fest im Christentum wurzelt.“6 Auch Husen betont die Vergemeinschaftung als Kennzeichen des Kreisauer Kreises, wenn er nach dem Krieg sagt:

Ziel war die Herstellung einer persönlichen fest verbundenen Gemeinschaft zwecks Gestal- tung der politischen Dinge an Hand eines klaren, wohlüberlegten Regierungsprogramms einheitlicher Richtung, dessen Schaffung sonst in der Eilfertigkeit solcher Zusammenbrü- che notwendig dürftigerem praktischen Kompromiss überlassen werden müsste.7 Es gab jedoch auch der Vergemeinschaftung stark widerstrebende Kräfte im Kreisauer Kreis, was in der bisherigen Literatur oft übersehen wurde, da man den Kreisauer Kreis häufig quasi als monolithischen Block auffasste.

1.2 Forschungsstand und Quellen

Neben dem bereits angeführten Standardwerk von Ger van Roon8 machte insbesondere die Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz „Der Kreisauer Kreis“ 1985 in Berlin mit ihrem Begleitband von Wilhelm Ernst Winterhagen diese Widerstandsgruppe einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Ab diesem Zeitpunkt erschienen über die meisten Kreisauer, zum Teil mehrfach, Biographien und Monographien, Lebensberichte der überlebenden Kreisauer, Editionen der Briefe und Schriften einzelner Kreisauer, Quel- lensammlungen und Aufsätze über Einzelaspekte, auf die im Rahmen dieser Arbeit zum Teil zurückgegriffen wird.

6 Yorck, Marion/Moltke, Freya: Ausführungen über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10.1945, BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 46-48d. 7 Husen, Paul van: In memoriam Moltke und Yorck. 20. Juli 1944, IfZ, ED 88-1, S. 5. 8 Die von Ger van Roon benutzten Rechercheunterlagen sind im IfZ, München, archiviert. Diese nach dem Krieg entstandenen Archivalien wurden in der Arbeit auch berücksichtigt, da sie, auch wenn es sich nicht um zeitgenössische Quellen handelt, zu den Untersuchungspunkten erläuternd und erhellend heran- gezogen werden können. 18 Einleitung

Den Kreisauer Planungen wurde häufig vorgeworfen, sie seien unrealistisch, was auch ihre weitgehende Nichtbeachtung beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland bewei- se. Die Kreisauer Ideen werden z. T. als aktuelle zukunftsweisende Ideen, aber auch als konservativ-romantische Vorstellungen bezeichnet, die heute auf kein Verständnis mehr stoßen. Hans Mommsen nannte Moltkes Konzeption so „in gewisser Hinsicht eine kon- servative Spielart des Rätegedankens, eine Verknüpfung von direkter Demokratie und elitärem Prinzip“9. Mommsen weist auch darauf hin, dass das als „westlich“ empfunde- ne parlamentarische System aufgrund einer entschiedenen Ablehnung des Weimarer Systems als diskreditiert galt und deswegen abgelehnt wurde, eine Situation, die auch auf die Verfassungspläne des Goerdeler Kreises zutrafen.10 Aus diesem Grund sahen die Kreisauer Papiere auch keine Parteien vor. Neben dieser verfassungsrechtlichen Einord- nung ist die Forschung auch geprägt von der Aufhellung des Dilemmas zwischen vor- dergründiger Zustimmung zum System und Widerstand aus der Mitte des Systems he- raus. Davon war insbesondere Trott betroffen, der seinen angelsächsischen Freunden seine vermeintliche Nähe zum Nationalsozialismus aus Camouflagegründen nur schwer klarmachen konnte. Dies galt auch für Reichwein, dessen „dienstbares Begleiten“11 des Systems ihm zum Vorwurf gereichte.

Die Publikationen über den Kreisauer Kreis erreichen leicht die Grenze von hundert Positionen. Sie beziehen sich neben der Kommentierung der Neuordnungspläne meist auf die Hauptakteure, ihren Anteil am Wirken des Kreisauer Kreises und ihre Stellung in diesem. Eine Gesamtsicht des Kreisauer Kreises wurde seit dem Standardwerk van Roons, das nach Meinung Gerstenmaiers „mehr […] eine Biographie Helmuth von Moltkes als eine streng historische Monographie über den Kreisauer Kreis“12 ist, aber nicht mehr unternommen. Das Hauptverdienst van Roons, das sein Werk zu einem Standardwerk über den Kreisauer Kreis werden ließ, war die Sammlung und Erschlie- ßung neuer Quellen, die er in sechsjähriger mühevoller Arbeit zusammentrug, prüfte und sichtete. So entstand ein historisches Material, „das weit darüber hinaus Aufschluß gibt über die im Kreisauer Kreis sich begegnenden und verbindenden Denkweisen“13.

9 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 101. 10 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 103. 11 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007. 12 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 224-226. Dieser Meinung ist auch Husen, der 1967 davon sprach, dass Roon versuchte, aus Moltke eine Art von publizistischem Heiligen Aloysius aus Gips zu machen, wobei Moltke dem bestimmt nie zugestimmt hätte; in: Husen, Paulus van: Brief an Eugen Gers- tenmaier, 08.10.1967. ACDP, I-210-037; siehe auch Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2. 13 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 223. 19 Einleitung

Die Frage der Vergemeinschaftung in diesem heterogenen Kreis wird dabei meist nur gestreift und ist ein Forschungsdesiderat auch unter Beachtung der seit 1967 neu er- schlossenen Quellen.

Unter diesem Aspekt wird der Kreisauer Kreis in dieser Arbeit in seiner Gesamtheit wieder in den Blick genommen und ein thematischer Zugriff gewählt, der aus Gründen einer für einige Protagonisten zum Teil fragmentarischen Quellenlage einen For- schungsweg einschlägt, der die Distanz zum Forschungsgegenstand wahrt und sicher- stellt, dass Widerstand nicht als Ehrenprädikat aufgefasst wird.

Dazu wird die Hilfe methodischer Offerten aus Nachbarwissenschaften in Anspruch genommen, um die Frage nach Kohäsionskräften und vergemeinschaftenden Faktoren in den Vordergrund zu stellen, welche dafür verantwortlich sind, dass sich Menschen aus verschiedenen sozialen Verkehrskreisen und unterschiedlicher kultureller Prägung unter den besonderen Umständen der NS-Diktatur zu gemeinsamem, mit der Gefahr des Einsatzes des eigenen Lebens verbundenem Handeln entschlossen.

Darüber hinaus ergibt sich die Frage, warum gerade der Kreisauer Kreis wieder im Mit- telpunkt des Forschungsinteresses steht. Dafür lassen sich mehrere Gründe ausmachen. Zunächst ist die Tatsache zu nennen, dass sich zwischen 2003 und 2009 die Geburtstage der zehn jüngeren Kreisauer zum hundertsten Mal jährten, was das Interesse am Kreis- auer Kreis in der Erinnerungsliteratur wachhielt und eine Reihe neuer Biographien her- vorbrachte.

Peter Steinbach fordert, dass Widerstandsgeschichte14 u. a. gegen die Interessen von Gruppen, Parteien, Institutionen, Familien und Personen zu erfolgen habe. Dies kann im Hinblick auf den Kreisauer Kreis geleistet werden, da wegen seiner Heterogenität eine einseitige Vereinnahmung durch eine Kirche, eine Gewerkschaft, eine Partei oder eine gesellschaftliche Schicht nicht möglich ist. Am Kreisauer Kreis kann die ganze Vielfalt und Breite des deutschen Widerstands dargestellt werden. Ein weiterer Grund des Inte- resses besteht darin, dass es bei den Kreisauern keine „Gemengelage von Konsens mit Teilen der nationalsozialistischen Herrschaftsziele bei gleichzeitigem Dissens mit ande- ren Segmenten des nationalsozialistischen Herrschaftsvollzugs“15 gab, der nach Paul/Mallmann bei den Funktions- und Führungseliten durchaus typisch war. Die

14 Steinbach, Widerstand im Widerstreit 2001, S. 8. 15 Paul/Mallmann, Milieus und Widerstand 1995, S. 14. 20 Einleitung

Kreisauer waren alle „Hitler-Gegner der ersten Stunde“16 und gehörten nicht zum Kreis der moralisch Schuldigen17, die den Durchbruch zum Widerstand schafften. Beachtens- wert ist auch, dass bei den Kreisauern im Gegensatz zu den Nicht-Militärs der 20.-Juli- Bewegung keine beträchtlichen „Differenzen in der Einschätzung der politischen Lage und über alternative Politikentwürfe zwischen den Jungen und der älteren Generation“18 bestanden. Die von diesen Gruppen angestellten Überlegungen hätten angesichts der politisch wie weltanschaulich-konfessionell äußerst heterogen zusammengesetzten Ver- schwörergruppe keine wirkliche Realisierungschance gehabt, allenfalls hätten sie als Grundlage für eine nach einem geglückten Attentat erst einsetzende Diskussion dienen können.19 Im Kreisauer Kreis bestanden diese Gegensätze zwar auch, aber sie wurden ausdiskutiert und zum Konsens gebracht. Das macht den Kreisauer Kreis einzigartig, obwohl auch hier kein fertiges Verfassungskonzept vorgelegt wurde. Der große Kon- sens der Kreisauer Grundsätze hätte aber alle Chancen der Weiterentwicklung gehabt.20

Die Quellenlage über den Kreisauer Kreis ist sehr unterschiedlich zu bewerten. Zu- nächst kann man sich auf die überlieferten und durch Freya von Moltke geretteten Neu- ordnungspläne vom August 1943 stützen, die durch die bei dem Nachlass Königs 1971 gefundenen vorbereitenden und begleitenden Texte, das „Dossier“21, ergänzt werden. Herausragend sind die mehr als 1.600 Briefe von Moltke an seine Frau Freya und teil- weise Antwortbriefe von ihr. Diese Briefe22 geben in ihren Informationen einen Ge- samtraster vor, in den andere Dokumente eingeordnet werden können. Zusammenhänge werden dadurch sichtbar, Andeutungen andernorts lassen sich so verstehen. In den überwältigenden persönlichen Zeugnissen von Moltke sah Gerstenmaier den Grund einer Moltkezentrik23, die das Wirken der anderen Kreisauer unberechtigterweise ver- blassen ließe.24 Die Briefe Trotts sind zum Teil wiedergegeben in der Lebensbeschrei-

16 Mommsen, Widerstand und die deutsche Gesellschaft 1985, S. 5; Mommsen nennt hier besonders Moltke und Trott, S. 19 (Anm. 5). 17 Schmädeke/Steinbach, Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1985. S. XXV. 18 Kißner, Das Dritte Reich 2005, S. 90; Schwerin, Der Weg der „Jungen Generation“ in den Widerstand 1985, S. 460-471. 19 Kißner, Das Dritte Reich 2005, S. 91. 20 Lill, Widerstand: Resonanz 1994. S. 22. 21 Bleistein, Dossier1987a. 22 MB; Moltke, Land der Gottlosen 2009; HFM. 23 Dieser Meinung ist auch Husen, der 1967 davon sprach, dass Roon versuchte, aus Moltke eine Art von publizistischem Heiligen Aloysius aus Gips zu machen, wobei Moltke dem bestimmt nie zugestimmt hätte; in: Husen, Paulus van: Brief an Eugen Gerstenmaier, 08.10.1967. ACDP, I-210-037; siehe auch Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2. 24 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 224, 226. 21 Einleitung bung seiner Frau Clarita.25 Außerdem liegen ein ausführlicher Briefwechsel mit Trotts älterem englischen Freund Alfred Leslie Rowse26 aus seiner frühen Oxforder Zeit und die Briefwechsel mit seinen englischen Freundinnen Diana Hubback27 und Shiela Grant Duff28, die in die Zeit des Kreisauer Kreises hineinreichen, vor. Durch die Kassiber von Delp, zusammengefasst in dem Band „Aus dem Gefängnis“ seiner gesammelten Schrif- ten, werden wichtige Einblicke aus der Zeit der drei Kreisauer, Moltke, Gerstenmaier und Delp, im Totenhaus gewährt. Weitere vier Bände mit Briefen, Reflexionen, Aufsät- ze und Predigten von Delp aus der Zeit vor und während der Kreisauer Zeit liefern wichtige Einschätzungen. Aber auch das Wirken der anderen Jesuiten, Rösch und Kö- nig, ist hinreichend dokumentiert.29 Die drei „militanten“ Sozialisten Mierendorff, Hau- bach und Leber, die alle nach ihrer KZ-Haft nach 1933 der Gestapo-Aufsicht unterla- gen, waren mit schriftlichen Zeugnissen äußerst vorsichtig. Aus der Zeit vor 1933 liegt jedoch bei allen drei eine große Menge von Zeitschriftenpublikationen vor, die beredtes Zeugnis ihrer politischen und gesellschaftlichen Haltung abgeben. Bei Haubach30 und Leber31 gelangen über Kassiber auch Informationen aus ihrer Haftzeit nach draußen. Der Sozialist Reichwein tritt ebenfalls durch mannigfaltige Zeitschriftenveröffentli- chungen, sein pädagogisches Werk „Schaffendes Schulvolk“32 sowie Briefe und Doku- mente33, die gut editiert sind, hervor. Von Steltzer liegen für die Zeit von 1919 bis 1944 verschiedene Denkschriften und Briefe34 vor, die seine politische Haltung kennzeich- nen. Dass Gleiche gilt für die Politiker Lukaschek und Husen und im besonderen Maße für die Rechtsprofessoren Peters und Gablentz sowie den Privatdozenten für Theologie Gerstenmaier.

Von anderen Kreisauern liegen weniger persönliche Quellen vor, was allerdings nicht zu einem Fehlschluss auf deren Bedeutung geraten darf. Die persönlichen Briefe von Yorck an seine Frau hat Marion Yorck nach dem 20. Juli 1944 einem Kindermädchen übergeben, die diese aus Angst vor Entdeckung verbrannte.35 Der Lebensbericht von

25 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994. 26 ULE, Rowse Collection. 27 Dieser Briefwechsel ist archiviert als „The Papers of Adam von Trott zu Solz“ im Balliol College Ox- ford (BC) und zum Teil verwendet in: Hopkins The Incense Tree 1968. 28 Klemperer, A noble combat 1988. 29 Bleistein, Jesuiten im Kreisauer Kreis1982, S. 595-607. 30 NL Schellhase, Haubach, in: GDW. 31 Hier ist besonders zu erwähnen: Leber, Todesursachen 1976, S. 179-246. 32 Reichwein, Schaffendes Schulvolk 1993. 33 LBDI; LBDIa; LBDII. 34 Siehe Auflistung in: Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 6. 35 Geyken, Freya 2011. 22 Einleitung

Barbara von Haeften heißt programmatisch „Nichts Schriftliches über Politik“36, gleichwohl wurden persönliche Briefe aus der Zeit von 1934 bis 1942 im Privatbesitz gerettet.

Husen berichtete nach dem Krieg: „Alle Dokumente in Berlin wurden am 10.1.44 nach der Verhaftung Moltkes bei mir verbrannt. Nur in Kreisau blieb ein Exemplar, das die Gräfin rettete, bei keinem unserer Freunde wurden belastende Papiere gefunden.“37 Von allen Kreisauern, so auch von Einsiedel und Trotha, liegen jedoch Denkschriften und vorbereitende Beiträge zu den Diskussionen im Kreisauer Kreis vor, die erlauben, deren Bedeutung für den Kreisauer Kreis einzuschätzen.

Als besondere, aber auch problematische Quelle müssen die Kaltenbrunner Berichte38 angesehen werden. „Paradoxerweise sind [sie] angesichts des Fehlens bzw. des Verlus- tes von Unterlagen aus dem Kreis der Verschwörer selbst für die Nachwelt eine wichti- ge, bisweilen die einzige – wenn auch naturgemäß oft zweifelhafte besonders kritisch zu prüfende Quelle […] geworden“39, stellt Winterhager mit Recht fest. In der Neuausgabe von 198440 weist der Herausgeber der Kaltenbrunner Berichte im Vorwort darauf hin, dass ihr Wahrheitsgehalt mithilfe historischer Quellenkritik herausgefiltert werden müs- se, da die Ergebnisse oft durch Folterungen, Drogenbehandlungen erreicht wurden. Ge- ständnisse oder Aussagen waren erzwungen, sie enthielten vielleicht Teilwahrheiten, stellten Schutzbehauptungen dar oder bedeuteten ganz einfach den Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.41 Unter dieser Voraussetzung wird auch in dieser Arbeit auf die Kaltenbrunner Berichte zurückgegriffen.

1.3 Struktur der Arbeit

Die Genese des Kreisauer Kreises soll in zwei Annäherungen versucht werden. In einem ersten Teil soll der Kreis möglichst umfassend in seinem Werden, dem Finden seiner unterschiedlichen Mitglieder, seinem Wirken und vor allem seiner inneren Struk- tur beschrieben werden. Um die Struktur zu erhellen, soll die sozialwissenschaftliche Methode der Netzwerkanalyse nutzbar gemacht werden.

36 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“, 1997. Nachdem ein gefährlicher Anti-Hitler-Brief an Günther Hell bei der Gestapo gelandet war, „schworen wir uns [Mai 1933; A. d. V.] für die Zeit der Hitlerei nie wieder über Politik in unseren Briefen zu schreiben“; in: Haeften, Briefe 1931-1944, S. 15. Siehe auch: Böhm, Skizze1946. 37 Husen, Paulus van: Neufassung der Auskünfte an Roon vom 02.01.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 38 KB und KBII. 39 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985. 40 Es gab eine weniger kommentierte Ausgabe: Peter, Spiegelbild einer Verschwörung 1961. 41 KB S. XII f. 23 Einleitung

In einem zweiten Teil soll den Quellen und den Bindekräften der Vergemeinschaftung dieses so heterogenen Kreises nachgespürt werden. Die Quellen beziehen sich auf die gesellschaftliche und religiöse Herkunft, die Sozialisation in der Jugendzeit und in den frühen Jahren der Studentenzeit und der ersten gesellschaftlichen Betätigung. Für einen Teil der Kreisauer, die Älteren, waren die Fronterlebnisse im Ersten Weltkrieg zusätz- lich prägend. Die Erfahrungen, die die meisten Kreisauer während ihres Auslandsstu- diums oder auf weitgreifenden Reisen machten und die einen geweiteten Blick über Deutschland hinaus gestatteten, sind in diesem Kontext ebenfalls bedeutsam. Die Kraft der Vergemeinschaftung bezogen die Kreisauer vor allem aus ihren ersten widerständi- gen Erlebnissen, ihrer gemeinsamen strikten Ablehnung des Nationalsozialismus und ihrer Entscheidung, nicht zu emigrieren.

In einem letzten Abschnitt wird auf die religiöse Wandlung, die bei den meisten Kreis- auern zu beobachten ist, eingegangen, da das Christentum neben den sozialen Belangen der Arbeiterschaft als die tragende Säule ihrer Neuordnung Deutschlands angesehen wurde. Hier gab es zumindest zum Schluss eine gemeinsame Sicht, die alle verband. Die religiöse Komponente lässt sich an den individuellen, unterschiedlichen Haltungen zum Attentat und an der christlichen Karriere der Einzelnen festmachen, die sich zu einer wahren Ökumene im Krieg entwickelte.

1.4 Exkurse

Die Genese des Kreisauer Kreises soll durch zwei soziologische Betrachtungsweisen unterstützt werden: die Betrachtung mithilfe des Phänomens der Vergemeinschaftung und nach der Netzwerkanalyse. Um bei der Anwendung dieser beiden Methoden im Verlauf der Arbeit nicht immer wieder auf den theoretischen und methodischen Inhalt dieser Betrachtungsweisen zurückkommen zu müssen, werden der Arbeit zwei erklä- rende Exkurse vorangestellt.

1.4.1 Exkurs Vergemeinschaftung

In einem ersten Exkurs soll das Phänomen der Vergemeinschaftung behandelt werden, das für den zweiten Teil der Arbeit Erkenntnis unterstützend sein soll. Da es sich hier um einen soziologischen Grundbegriff handelt, der sich über die Zeit stark veränderte, werden verschiedene Konzepte diskutiert. Tönnies42 beschäftigte sich damit bereits am Ende des 19. Jahrhunderts, seine Begriffe wurden zum Beginn des 20. Jahrhunderts von

42 Tönnies, Gemeinschaft 1991. 24 Einleitung

Max Weber in seinem Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“43 aufgegriffen und in seinem 1920 erschienenen Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ neu gefasst. Dieses Konzept wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts international weiterentwi- ckelt, woran französische Soziologen großen Anteil haben.

Tönnies sah den soziologischen Begriff der Gemeinschaft in typologischer Abgrenzung zum Begriff Gesellschaft. So lautet auch sein bahnbrechendes Werk „Gemeinschaft und Gesellschaft“ von 1887, das in den Entstehungsprozess der modernen Soziologie ge- hört.44 Mit „Gemeinschaft“ bezeichnet Tönnies traditionelle Lebensformen, die für die Betroffenen um ihrer selbst willen bedeutsam sind, und nicht, wie es im Gegensatz dazu für die Gesellschaft gilt, nur um eines Zweckes willen eingegangen werden. Merkmale der Gemeinschaft sind Eintracht, Sitte, Religion; Merkmale der Gesellschaft sind Kon- ventionen, Politik und Öffentlichkeit.45 Gemeinschaft steht für Formen des Zusammen- lebens, die auf zwischenmenschlichen Kontakten und Gefühlen beruhen, die ursprüng- lich, spontan, unmittelbar und überschaubar sind. Charakteristische Beispiele wären die traditionelle Familie, worin die Gemeinschaft nach Tönnies ihre „Keimform“46 findet, und die mittelalterliche Dorfgemeinschaft.47

Die zur Gemeinschaft gehörende psychische Verfassung lässt sich in der Trias „Gefal- len, Gewohnheit, Gedächtnis“48 zusammenfassen, die Tönnies im Stil seiner von Dar- win geprägten Zeit jeweils der vegetativen, der animalischen und der mentalen Ebene zuordnet49. „Das Ganzheitliche, Ästhetisch-Anschauliche der Gemeinschaftsbildung“50 findet sich in diesen Kategorien verdichtet. „Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freund- schaft“51 sind drei Erscheinungsweisen von Gemeinschaft.

Beide Sozialformen, Gemeinschaft und Gesellschaft, sind jeweils mit einer spezifischen Willensform verbunden. Der „ganzheitlich-expressive“52 „Wesenswille“ trägt die Ge- meinschaft, der zweckrationale „Kürwille“53 die Gesellschaft. Gemeinschaften in Tön- nies’ Sinne sind nach Ronge auf wechselseitiges Vertrauen angewiesen und an die

43 Weber, Kategorien der verstehenden Soziologie 1988. 44 Bickel, Tönnies 2001, S. 488. 45 Prisching, Paradoxien 2008, S. 39. 46 Tönnies, Gemeinschaft 1988, S. 3. 47 Vester, Soziologie 2009, S. 34. 48 Tönnies, Gemeinschaft 1991, S. 78 ff. 49 Tönnies, Gemeinschaft 1991, S. 76 f. 50 Bickel, Tönnies 2001, S. 489. 51 Tönnies, Gemeinschaft 1991, S. 12. 52 Bickel, Tönnies 2001, S. 489. 53 Tönnies, Gemeinschaft 1991, S. 73 ff. 25 Einleitung

Dauerhaftigkeit sozialer Beziehungen, an gemeinsam erlebte Geschichte gebunden, wie es in der Tat beim Kreisauer Kreis der Fall war. Mit Gemeinschaft und Gesellschaft54 formuliert und definiert Tönnies zwei elementare gesellschaftliche „Normaltypen“ und somit soziologische Grundbegriffe, „zwischen denen sich das wirkliche soziale Leben bewegt“55 und auf welche sich alle menschlichen Verbindungsformen zurückführen lassen.

Tönnies gibt im Unterschied zu Weber noch keine handlungstheoretische, sondern eine „psychologische“ Erklärung für die beiden soziologischen Grundbegriffe. Das gemein- schaftliche Leben ist primär durch die Vorherrschaft gefühlsmäßiger Beziehungen zwi- schen den Menschen gekennzeichnet, das gesellschaftliche Leben dagegen durch die Vorherrschaft des berechnenden Verstandes und die mit diesem verbundenen zweckra- tionalen Überlegungen.56 Solche gefühlsmäßigen Beziehungen werden auch im Kreis- auer Kreis untersucht werden.

Max Weber hat in seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ Tönnies’ Begriffskons- truktion57 sozusagen „prozessualisiert“58 übernommen als „Vergemeinschaftung“ und „Vergesellschaftung“. „Max Weber hat die zur Substanz geronnenen Begriffe von Fer- dinand Tönnies ins Flüchtigere verschoben. Die Gemeinschaft wird zur Vergemein- schaftung, aber dieser Begriff bezeichnet nicht nur den Prozess der Gemeinschaftswer- dung, sondern auch das vergemeinschaftete soziale Gefüge.“59 Das Muster für die „Ge- meinschaft“ ist die „natürliche“ Verwandtschaftsbeziehung der Familie oder die Ab- stammungsbeziehung des Volkes.

„Vergemeinschaftung“ soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstel- lung des sozialen Handelns – im Einzelfall oder im Durchschnitt oder im reinen Typus – auf subjektiv gefühlter (affektueller oder traditionaler) Zusammengehörigkeit der Beteilig- ten beruht. „Vergesellschaftung“ soll eine soziale Beziehung heißen, wenn und soweit die Einstellung des sozialen Handelns auf rational (wert- oder zweckrational) motiviertem Inte- ressenausgleich oder auf ebenso motivierter Interessenverbindung beruht.60 Es geht hier also um die jeweilige Grundlage von Beziehungen. Bei der Vergemein- schaftung bilden Gefühle der Zusammengehörigkeit das soziale Fundament, während im Mittelpunkt der Vergesellschaftung Interessenabschätzung und -verfolgung stehen. Für Max Weber stand fest, so Rehberg, dass die unterschiedlichsten Formen und Pro-

54 Ronge, Tönnies 2001, S. 665. 55 Tönnies, Gemeinschaft 1991, S. XLV. 56 Lichtblau, Vergemeinschaftung 2000, S. 427. 57 Vester, Soziologie 2009, S. 34. 58 Ronge, Tönnies 2001, S. 665. 59 Prisching, Paradoxien 2008, S. 42, Fn. 10. 60 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft 1972, S. 21, § 9 (Hervorhebungen im Original). 26 Einleitung zesse der „Vergemeinschaftung“ oder „Vergesellschaftung“ und alle Veränderungen des „Menschentums“ nur entschlüsselt werden können, wenn die Menschen und die Zure- chenbarkeit von Handlungen nicht aus dem Blick geraten und wenn zugleich Wissen- schaft bei aller institutioneller Perfektionierung die Angelegenheit von Individuen bleibt, welche sich in ihren Dienst stellen. Darin sei der paradigmatische Personalismus Webers begründet.61 Weber62 gab den soziologischen Grundbegriffen Gemeinschaft und Gesellschaft mit dem Einbezug der unterschiedlichen Handlungsorientierungen eine neue Fassung.63

Im Wandel gemeinschaftlicher Beziehungen in der Moderne, die vor „Unsicherheiten, Widersprüchlichkeiten, Flüchtigkeiten, Ambivalenzen und Ambiguitäten nur so strot- ze“,64 treffen diesen Schwierigkeiten auf moderne Vergemeinschaftungs-Variationen, die jedoch kaum ein Erklärungsmodell für diese Untersuchung bieten dürften. Im vor- liegenden Kontext ist ein genauerer Blick auf die tatsächlichen Mechanismen der Ver- gemeinschaftung, den dynamischen Prozess, zu werfen. Rosa unternimmt dazu eine Unterscheidung in eine Innen- und eine Außendimension, um die Herausbildung von Gemeinschaften genauer zu analysieren.65 Gemeinschaften, gleich welcher Größenord- nung, besitzen meist gemeinsame Grundmuster, Werte, Überzeugungen oder Einstel- lungen. Um den Zusammenhalt gewährleisten zu können und die Gruppenexistenz auf Dauer zu sichern, bedarf es nach Émile Durkheim eines „solidarischen Bandes“, das sich auf den gemeinschaftlichen Binnenraum bezieht und die Gemeinschaft von innen her konstituiert.66 Als Gründe für das Entstehen eines solchen Bandes werden verschie- dene Theorieansätze angeboten wie gemeinschaftliche ekstatische Aufwallung67, sich wiederholende Kulthandlungen68, Einbringung von Vergemeinschaftungsphänomenen, die die Identifikation mit einer Gemeinschaft befördern, wie Sprachstile, Kleidungs- code69. Es liegt auf der Hand, dass gemeinsame Werte und Überzeugungen oder Einstel- lungen Basis für den Kreisauer Kreis waren, aber auch, dass keiner der oben genannten Theorieansätze auf den Kreisauer Kreis anwendbar ist. Aber wie ist die Außendimen-

61 Rehberg, Handlungsbezogener Personalismus 2004, S. 459. 62 Es ist interessanterweise festzustellen, dass Carlo Mierendorff und sein ganzer Kreis begeisterte Webe- rianer waren. „Sozialdemokraten als Jünger Max Webers“, in: Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270, S. 3. 63 Lichtblau,Vergemeinschaftung 2000. S. 440. 64 Bauman, Moderne 2007. 65 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 66. 66 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 67. 67 Durkheim, Die elementaren Formen 1994. S. 295 ff. 68 Durkheim, Die elementaren Formen 1994. S. 559. 69 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 73. 27 Einleitung sion für die Vergemeinschaftung konstitutiv? Die Erzeugung eines gemeinschaftlichen Innenraums verläuft meist auch parallel mit „der Bestimmung einer Grenze, die ein In- nen von einem Außen trennt.“70 Rosa betont nach Girard71, „dass das Zustandekommen einer gemeinschaftlichen Ordnung überhaupt nur durch den strukturellen Ausschluss von Anderen vollzogen werden kann.“72 Girard benutzt die Figur des Sündenbocks, der auf der Schwelle zwischen dem Außen und der Ordnung steht, zur Veranschaulichung für seinen Ansatz. „Er ist zugleich derjenige, der aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird, der aber zugleich durch diesen Ausschluss die Gemeinschaft zusammenhält und stiftet. Er übernimmt daher eine zentrale Funktion nicht nur für die Konstitution, son- dern auch für die Aufrechterhaltung der Gemeinschaft.“73 Nach Girard funktioniert der Mechanismus des Ausschlusses wie eine Katharsis, bei der sich die Gemeinschaft rei- nigt und rehabilitiert und sich so auf Dauer stellen kann.74 Die Exklusionsgestalt wird im Kontext des Kreisauer Kreises der Nationalsozialismus und der Staatstotalitarismus sein, die beide fest und klar schon sehr früh von allen im Freundeskreis abgelehnt wur- den. Als äußersten Fall der „Grenzziehung zwischen dem Eigenem und dem Fremden“ führt Rosa die „Freund-Feind-Logik“ des Staatsrechtlers Carl Schmitt an75 und nimmt Bezug auf dessen Frage, „ob das Anderssein des Fremden im konkret vorliegenden Konfliktfall die Negation der eigenen Existenz bedeutet und deshalb abgewehrt oder bekämpft wird, um die eigene, seinsmäßige Art von Leben zu bewahren.“76 In der Tat, diese Frage werden sich die Kreisauer oft gestellt haben.

Für diese Arbeit sind weiterhin die dekonstruktivistischen Ansätze der Theorie der Ge- meinschaft interessant, denn sie können die Haltung einiger Kreisauer, die sich teils von dem Kreis trennten, sich gegenseitig voneinander distanzierten oder die sogar zeitweise oder auch für immer vom Freundeskreis ausgeschlossen wurden, verständlicher ma- chen. Bei dem Phänomen der Dekonstruktion der Gemeinschaft wird u. a auf die „Idee einer Ursprünglichkeit und jegliche Form einer Einswerdung“ von Nancy zurückgegrif- fen.77 Gemeinschaft, so Rosa, soll bei Nancy nicht mehr als etwas verstanden werden, „das man besitzen, verteidigen oder herstellen kann, sondern als etwas, das man immer schon teilt und das nur unter Anerkennung einer in ihr enthaltenen Kluft überhaupt exis-

70 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 76. 71 Girard, Der Sündenbock 1988. S. 176. 72 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 76. 73 Rosa, Gemeinschaft 2010. S. 76. 74 Girard, Ausstoßung und Verfolgung 1992. S. 152. 75 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 80. 76 Schmitt, Der Begriff des Politischen 1996, S. 27. 77 Nancy, Die undarstellbare Gemeinschaft 1988, S. 27 f. 28 Einleitung tieren kann.“78 Die Dekonstruktion der Ursprungsidee bedeutet, zu bestreiten, dass mit „Gemeinschaften“ bloß etwas benannt wird, was schon da war. Diese Form der Dekons- truktion trifft auf die Gemeinschaft der Kreisauer nicht zu, da diese bewusst konzipiert wurde, ohne Rekurs auf etwas schon Bestehendes. Der Aspekt der „Dekonstruktion der Einswerdung“ trifft, wie noch zu zeigen sein wird, jedoch auf den Kreisauer Kreis zu. Dieser Aspekt richtet sich auf „die Fiktion der verschmelzenden Einswerdung oder Ver- einigung“79. Die Herstellung einer kollektiven Einheit ist nach Nancy unmöglich, da sie alle internen Differenzen negieren und auslöschen müsste.80 Gemeinschaft ist kein iden- titäres Konzept: „Einem dekonstruktiven Verständnis folgend, setzt eine Gemeinschaft gerade nicht die vermeintliche Homogenität, sondern eine innere Differenz, eine nicht einholbare Besonderheit ihrer Mitglieder konstitutiv voraus.“81 Gerade dies musste Moltke des Öfteren schmerzlich erfahren, wenn wieder mal einige Kreisauer auf Abwe- gen waren oder er einen Kreisauer nicht für seine Ziele einnehmen konnte und seiner Frau schrieb: „Der Versuch ihn [Gablentz; A. d. V.] einzuspannen ist […] völlig miss- glückt.“82

Wie wir gesehen haben, hat sich der soziologische Grundbegriff der Gemeinschaft im Laufe der Zeit fortentwickelt. Während bei Tönnies noch als „psychologische“ Erklä- rung wechselseitiges Vertrauen und die Vorherrschaft gefühlsmäßiger Beziehungen zwischen den Menschen als kennzeichnend gelten, hat Weber den Begriff prozessuali- siert und ihn um die Handlungsorientierung, die die Zurechenbarkeit von Handlungen nicht aus dem Blick geraten lässt, erweitert. In der modernen Auffassung von Gemein- schaft bedarf es eines „solidarischen Bandes“ (Émile Durkheim) in Form gemeinsamer Grundmuster, Werte, Überzeugungen oder Einstellungen, das sich auf den gemein- schaftlichen Binnenraum bezieht und die Gemeinschaft von innen her konstituiert. Weiterhin wird die Ansicht vertreten, dass das Zustandekommen einer gemeinschaftli- chen Ordnung überhaupt nur durch den strukturellen Ausschluss anderer vollzogen werden kann. Bei dieser These wird der Sündenbock als Exklusionsgestalt benutzt (Re- né Girard). Nach Wetzel ist Gemeinschaft kein identitäres Konzept, eine Gemeinschaft setze gerade nicht die vermeintliche Homogenität, sondern eine innere Differenz, eine

78 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 165. 79 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 165. 80 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 166; Nancy, Die undarstellbare Gemeinschaft 1988, S. 20. 81 Wetzel, Diskurs des Politischen 2003, S. 252. 82 MB (24.10.1942) S. 424. 29 Einleitung nicht einholbare Besonderheit ihrer Mitglieder konstitutiv voraus, die auch zur Dekons- truktion der Gemeinschaft führen kann.

In der Arbeit wird zu untersuchen sein, welche gemeinsamen Werte und Überzeugun- gen zur Vergemeinschaftung beitrugen und welchen Prozess diese Vergemeinschaftung bewirkte. Die Beispiele der Dekonstruktion des Kreisauer Kreises zeigen auch die Schwierigkeiten auf, mit denen der Freundeskreis zu kämpfen hatte.

1.4.2 Exkurs Netzwerk

Nach dem Exkurs über das Phänomen der Vergemeinschaftung soll die Methode der Netzwerktechnik zur Erhellung der Struktur des Kreisauer Kreises dargestellt werden. Netzwerkanalyse wird hier nur als Hilfsmittel verstanden, um die komplexe Struktur des Kreisauer Kreises besser zu verstehen. Es ist nicht die Absicht, mithilfe des vorlie- genden historischen Stoffes netzwerkanalytische Theoreme zu untermauern.

Rosa weist darauf hin, dass man seit den 1960er-Jahren im wissenschaftlichen Diskurs zahlreiche Ersatzbegriffe zu „Gemeinschaft“ findet. In der soziologischen Debatte spre- che man von „Gruppen“ und seit den 1990er-Jahren vermehrt von Netzwerken, während in den Politik- und Kulturwissenschaften der Begriff der „kollektiven Identität“ favori- siert werde.83

Bei der Betrachtung der Genese des Kreisauer Kreises soll deshalb die Gemeinschaft der Kreisauer auch als Netzwerk verstanden und die sozialwissenschaftliche Methode der Netzwerkanalyse angewandt werden. „Bei der Bearbeitung der Frage, wie sich so- ziale Gemeinschaften konstruieren und entwickeln, erfreut sich in den Sozial- und Kul- turwissenschaften seit einigen Jahren dieser Begriff des ‚Netzwerkes’ außerordentlicher Beliebtheit und weiter Verbreitung.“84 Der Begriff Netzwerk ist zunächst eine Meta- pher85 und der Netzwerkforschung liegt kein einheitlicher theoretischer Bezugsrahmen zugrunde. „Die geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs erklärt sich vor allem aus seiner Offenheit und inhaltlichen Unbestimmtheit, die […] dann von Nutzen zu sein scheint, wenn es gilt, komplexe, unübersichtliche und nur schwach regulierte Strukturen zu beschreiben“, stellt Gorißen fest.86 Diese Methode, besonders in ihrer quantitativen Form, fand in den letzten beiden Jahrzehnten in der Soziologie eine weite Verbreitung

83 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 53. 84 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 159. 85 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 13. 86 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 159. 30 Einleitung zur Untersuchung sozialer Strukturen, also der Beziehungen zwischen sozialen Einhei- ten wie Personen, Positionen, Gruppen oder Organisationen.87

Auf die Historiographie lässt sich die Methode jedoch nicht ohne Weiteres übertragen, da diese stärker auf das Handeln als auf die Strukturen ausgerichtet ist. Im Folgenden soll die Netzwerkanalyse beschrieben und auf ihre Tauglichkeit für die Genese des Kreisauer Kreises untersucht werden.

1.4.2.1 Netzwerkanalyse in der Sozialwissenschaft

Ein Netzwerk wird in Anlehnung an Mitchell88 als eine durch Beziehungen eines be- stimmten Typs verbundene Menge sozialer Einheiten wie Personen, Positionen, Organi- sationen usw. verstanden. Dabei bezeichnet „Netzwerk“ auch Verbände, die nicht auf formalisierter, verwalteter Mitgliedschaft beruhen, sondern auf persönlicher Bekannt- schaft und bestimmten partiellen Gemeinsamkeiten,89 wie wir es bei der gemeinsamen Widerständigkeit der Kreisauer erleben. Bei dieser Begriffsbestimmung kommt es ent- scheidend darauf an, welche Beziehung man zulässt. Außerdem ist es wichtig, ob man die Beziehungen zwischen mehreren Einheiten betrachtet (Gesamtnetzwerk) oder das Netzwerk aus der Perspektive von ego untersucht (egozentriertes Netzwerk). Ein Netz- werk kann eine Gesamtstruktur abdecken (totales Netzwerk) oder aber, wie meist üb- lich, eine bestimmte inhaltliche Beziehung zwischen einer Menge von Einheiten (par- tielles Netzwerk) abbilden. Netzwerke lassen sich formal als Graphen darstellen, wobei die Knoten den sozialen Einheiten und die Kanten oder Relationen den Beziehungen entsprechen. Durch diese Visualisierung kann der kognitive Prozess der Netzwerkanaly- se unterstützt werden. Für mögliche inhaltliche Beziehungen werden in der Soziologie unterschiedliche Systematiken angeboten, z. B. die von Knoke und Kulinski90: Tausch- beziehungen oder Transaktionen, Kommunikationsbeziehungen, Gefühlsbeziehungen, Autoritäts- oder Machtbeziehungen, Verwandtschafts- und Abstammungsbeziehungen. In den Sozialwissenschaften lassen sich mit dem Instrumentarium der Netzwerkanalyse Strukturen beschreiben, Modelle der Strukturentwicklung bauen oder individuelles Handeln kann unter strukturellen Nebenbedingungen untersucht werden. Dabei ist die Netzwerkanalyse jedoch keine Handlungstheorie und interessiert sich auch nicht syste- matisch für die Mikroebene sozialer Interaktion. Ihr Fokus richtet sich vielmehr auf

87 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 11. 88 Mitchell, The concept and use of social networks 1975, S. 2. 89 Becker, Netzwerke vs. Gesamtgesellschaft 2004, S. 316. 90 Knoke, Network Analysis 1982, S. 15 f. 31 Einleitung aggregierte, häufig emergente Strukturen, die ihrerseits aber aus dem Zusammenspiel individueller Handlungen entstehen und aus diesen abgeleitet werden.91 Zur Charakteri- sierung der Netzwerke ist noch festzuhalten, dass auf soziale Beziehungen abgestellt wird und nicht auf die in der Sozialwissenschaft bislang vorherrschende Schichtenana- lyse. Die Netzwerkanalyse versteht Gesellschaftsstrukturen nicht als vorgegebene Ein- heiten, „sondern als wachsende und sich ändernde Prozesse“92. Die Netzwerkanalyse fragt nicht nach den Ergebnissen eines bereits vollzogenen Vergesellschaftungsprozes- ses, sondern danach, wie sich Gesellschaftsstrukturen aus einzelnen sozialen Beziehun- gen bilden. Das ist ein für die Genese des Kreisauer Kreises wichtiger Aspekt. Damit weisen soziale Strukturen immer auch eine zeitliche Komponente auf und erscheinen in netzwerkanalytischer Perspektive als historischer Prozess. Bei der Beschreibung des Werdens des Kreisauer Kreises und seiner Dekonstruktion ist dies ein essenzieller, zu beachtender Gesichtspunkt.

Es liegt auf der Hand, dass in der vorliegenden Untersuchung, da die in den Sozialwis- senschaften üblichen Interviews unmöglich sind und die Quellenlage beschränkt ist, kaum auf quantitative Verfahren zurückgegriffen werden kann. Es kommen also nur qualitative Verfahren der Netzwerkanalyse infrage. Während die Sozialwissenschaft, insbesondere die Soziologie und Psychologie, in den 60er- und 70er-Jahren eine deutli- che Quantifizierung vollzog, kam es Mitte der 70er-Jahre zu einer Renaissance qualita- tiver Methoden, die Mitte des letzten Jahrhunderts vorgeherrscht hatten. Soziale Netz- werke stellten für die qualitative Sozialforschung zunächst keine eigene methodologi- sche Herausforderung dar. Um in der qualitativen Forschung die Vielschichtigkeit von Aussagen und die Kontextabhängigkeit von Sinnzuschreibungen besser zu erfassen, haben sich in den 1980er-Jahren aus Erhebungsinstrumenten für quantitative Analysen und aus dem „Social Network Mapping“ jedoch auch qualitative Instrumente entwi- ckelt.93 Dabei wurden die beiden Aspekte der qualitativen Verfahren und der Netzwerk- analyse miteinander gekoppelt.

Qualitative Verfahren sind Verfahren, die besonders „dicht“ an den individuellen Akteuren, ihren Wahrnehmungen, Deutungen und Relevanzsetzungen ansetzen. Demgegenüber zeichnet sich die Netzwerkanalyse dadurch aus, dass sie als relationaler Ansatz gerade über die individuellen Akteure, singuläre Deutungen und einzelne Beziehungen hinausgeht – und die Struktur der Beziehungen zwischen mehreren Akteuren zu ihrem Gegenstand macht.94

91 Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse 2003, S. 14 f.; Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 162. 92 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 162. 93 Straus, Netzwerkanalysen 2001, S. 212. 94 Hollstein, Qualitative Methoden 2006, S. 13. 32 Einleitung

Die wohl bekannteste qualitative Netzwerkanalysemethode95 ist die egozentrierte Netz- werkdarstellung, die softwareunterstützt ist und für diese Arbeit besonderes Interesse findet.

1.4.2.2 Netzwerkanalyse als Instrument der Historiographie

Obwohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine systematische Methodologie für his- torische Netzwerkanalyse vorliegt, gibt es bereits Ansätze, wie diese in der Historiogra- phie nutzbringend angewandt werden kann. Gorißen96 macht in diesem Zusammenhang auf die Untersuchung von Wolfgang Reinhard aus dem Jahre 197997 aufmerksam, des- sen Ziel eine Überwindung strukturgeschichtlicher Engführung sowie eine Fokusver- schiebung zugunsten konkreter Handlungszusammenhänge und grundlegender Formen der Vergesellschaftung war. Dazu benutzte Reinhard die qualitative Netzwerkanalyse und versprach sich größere begriffliche Klarheit und methodische Schärfe, um verfloch- tene Wirkzusammenhänge darzustellen. Es liegen trotz dieser Vorzüge bislang nur we- nige historische Arbeiten vor, die mit Methoden der Netzwerkanalyse operieren. Für die frühe Neuzeit konzentrieren sich die vorhandenen Studien auf die Eliteforschung und auf informelle Kooperationsformen im frühmodernen Wirtschaftsbürgertum.98 Neuer- dings wurden auch historische Studien vorgelegt, die die qualitative Netzwerkanalyse benutzen, um Dokumente unterschiedlicher Formen wie Zeitungsartikel, Gerichtsakten, Biographien zu analysieren.99 Lenger weist darauf hin, dass in dem Maße „wie die Bio- graphie ihren Gegenstand in immer weiter gespannten sozialen, kulturellen und politi- schen Kontexten zu verorten sucht, auch allgemeinere Ansätze“100 für sie relevant wer- den. Dazu zählt er die Netzwerkanalyse, die seit einigen Jahren eine Schlüsselstellung in der Selbstbeschreibung unserer gegenwärtigen Gesellschaft einnehme.

1.4.2.3 Methodik

Die Beschreibung der Netzwerkmethodologie wird hier beschränkt auf egozentrierte, partielle Netzwerke, da Gesamtnetzwerke zu komplex sind und bei der Genese des Kreisauer Kreises die Sicht des Netzwerkes aus der Perspektive von Moltke und Yorck aufgrund der Quellenlage und der Dominanz dieser beiden am vielversprechendsten ist.

95 Straus, EgoNet.QF. Software. 96 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 160. 97 Reinhard, Freunde und Kreaturen 1979. 98 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 167. 99 Hollstein, Qualitative Methoden 2006, S. 29 f. 100 Lenger, Netzwerkanalyse und Biographieforschung 2005, S. 180. 33 Einleitung

Das ego stellen somit Moltke und Yorck dar, wobei ego einen logischen Ort und keine hierarchische Position bezeichnet.

Egozentrierte101 oder persönliche Netzwerke umfassen, wie schon angemerkt, die direk- ten Beziehungen einer bestimmten Art, die eine Person (ego) zu anderen Personen (alte- ri) hat, und die Beziehungen zwischen diesen anderen Personen. Die Art der Beziehung muss fixiert werden, die Frage des Namensgenerators der alteri stellt sich in unserer Untersuchung jedoch nicht, da die Genese auf einen Umfang von 20 Freunden festge- legt wurde, also zwei ego und 18 alteri. Bei den Auswertungsmöglichkeiten egozen- trierter Netzwerke sieht Pappi u. a. die Charakterisierung der Primärumwelt des Befrag- ten, mit dem Ziel, dessen Verhalten nicht nur mit seinen eigenen Eigenschaften, sondern auch mit Merkmalen seiner Umwelt zu erklären.102 Will man die Struktur einzelner egozentrierter Netzwerke multidimensional erfassen, so ist ein Bündel von Angaben über die Art der Beziehungen zwischen allen Personen des Netzwerkes notwendig. Mehrere mögliche Strukturparameter wie Kontakt103, Kommunikation, Sympathie104, Vertrauen, Analyse von Einflussbeziehungen105 lassen sich unter dem Oberbegriff der „Reichweite“ subsumieren. Ein egozentriertes Netzwerk besitzt Reichweite in dem Ausmaß, in dem Verbindungen zu ganz verschiedenen alteri hergestellt werden.106 Die- ser Aspekt scheint geradezu auf die Heterogenität des Kreisauer Kreises zugeschnitten zu sein. Der Begriff der Reichweite kann inhaltlich in verschiedenen Hypothesen sinn- voll verwendet werden. Je größer z. B. die Reichweite der Kontakte, umso weniger wird der Befragte dem normativen Druck ganz bestimmter Milieus unterliegen und umso besser wird er in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft integriert sein. Dies weist auch auf das Argument Granovetters107 von der Stärke schwacher Beziehungen hin. Eine weitere Hypothese setzt die Dichte der Beziehung im Netzwerk ins reziproke Ver-

101 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 20. 102 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 22. 103 Kontakt wird als gegeben definiert, wenn beim Zusammentreffen einer Person mit einer anderen we- nigstens ein Mindestmaß an Information bereitgestellt wird; vgl.: Feger, Netzwerkanalyse in Kleingrup- pen 1987, S. 232. 104 „Unter Sympathie (liking) verstehen wir alle qualitativen Erscheinungsweisen und Intensitäten der emotionalen Zuwendung und Abwendung einer Person zu oder von einer konkreten anderen Person. Sie kann sich in Präferenzurteilen äußern oder aus Verhalten geschlossen werden“; in: Feger, Netzwerkanaly- se in Kleingruppen 1987, S. 217. 105 Einfluss besteht dann, „wenn in direkter Interaktion zwischen wenigstens zwei Personen entweder mit voller Absicht des Einflusssenders oder wenigstens doch mit seine Aktionen begleitender Wirkungskon- trolle Mittel eingesetzt werden, die auf Erleben und Verhalten des Empfängers wirken sollen“; in: Feger, Netzwerkanalyse in Kleingruppen 1987, S. 244. 106 Burt, Tertius Gaudens 1983b, S. 177. 107 Granovetter, The strength of weak ties 1973, S. 1360-1380; Granovetter, The strength of weak ties revisited 1977, S. 347-365. 34 Einleitung hältnis zur Reichweite. „Je weniger dicht die Beziehungen der alteri untereinander, um so größer die Reichweite von egos Netzwerk, da ihm jeder Kontakt Zugang zu nichtre- dundanten Ressourcen verschafft.“108 Diese Hypothese wird im Falle Moltkes leicht verifizierbar sein. Eine dritte Hypothese bringt den Begriff der Reichweite in Beziehung zu der strukturellen Autonomie des ego, im betrachteten Fall eines Produzenten auf einem Oligopolmarkt. Dieser besitzt strukturelle Autonomie in dem Ausmaß, als 1. die Wirtschaftskonzentration in seinem eigenen Sektor groß ist und 2. die Konzentration in seinen Zulieferer- und Absatzsektoren gering ist. Übersetzt in die Begriffe des egozen- trierten Netzwerkes entspricht dem autonomen Individuum der tertius gaudens, der auf- grund der Konkurrenz unter seinen Kontaktpartnern Bedingungen für die Erfüllung von Rollenpflichten stellen kann.109 Eine Beschränkung der Verhaltensautonomie des ego aufgrund der Struktur seiner primären Umwelt ergibt sich nach Pappi dann, wenn die verschiedenen alteri derselben Position oder Sozialkategorie angehören und untereinan- der eng verbunden sind, während ego gleichzeitig enge Beziehungen zu den alteri hat, d. h. stark auf sie angewiesen ist. In der Genese des Kreisauer Kreises können beide Fälle, also hohe Autonomie bei der Abfassung der Grundsatzerklärung vom August 1943110 und, bei der Dekonstruktionsbetrachtung des Kreises, auch eingeschränkte strukturelle Autonomie nachgewiesen werden.

Ein weiteres Charakterisierungsmerkmal egozentrierter Netze ergibt sich aus der Frage der Symmetrie oder Asymmetrie von Netzen. Asymmetrische Netzwerke111 sind solche, die von hoher Zentralität gekennzeichnet sind, rührt doch die Asymmetrie von Informa- tions- und Machtvorsprüngen her, die sich häufig an einem Ort, in einer Person konzen- trieren. Dieser Aspekt kann ebenfalls der Untersuchung des Kreisauer Kreises dienlich sein, z. B. bei der Frage, ob Moltke aufgrund seiner Tätigkeit bei der Abwehr einen In- formationsvorsprung hatte, der ihn Macht im Weber‘schen Sinn112 ausüben ließ. Neben der Frage der Reichweite und der Beziehungstypen ist auch die der Beziehungsstärke113, der Intensität der auf einer bestimmten Beziehungsebene stattfindenden Interaktionen, relevant. Weiterhin wird zwischen uniplexer bzw. multiplexer Struktur eines Netzwer-

108 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 24. 109 Burt, Towards a Structural Theory 1982, S. 271-273; Burt, Range 1983a. S. 176-194. 110 Das Verdienst Moltkes ist, dass er mit fester Hand auf eine Zusammenfassung der in den drei Kreisau- er Tagungen erarbeiteten Planungsergebnisse hinarbeitete, obwohl festzustellen ist, dass Moltke bei der Grundsatzerklärung von seinen Vorschlägen teilweise abrücken musste. 111 Lenger, Netzwerkanalyse und Biographieforschung 2005, S. 182. 112 Macht ist nach der bekannten Weber‘schen Definition die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht; vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft 1972, S. 28. 113 Gorißen, Netzwerkanalyse 2006, S. 166. 35 Einleitung kes114 unterschieden, d. h. man beschäftigt sich mit der Frage, ob zwei Knoten im Netz jeweils nur durch eine Beziehung verbunden oder durch vielfältige Beziehungen mitei- nander verknüpft sind, ob im Extremfall Netzteilnehmer nur ein oder zwei weitere Netz- teilnehmer kennen und mit ihnen kommunizieren oder aber nahezu alle Akteure einan- der bekannt sind. Auch diese Frage ist bei der Genese des Kreisauer Kreises relevant, da sich einige der 20 Freunde im Kreisauer Kreis nie begegnet sind. Trott z. B., obwohl zentrales Mitglied des Freundeskreises, hat vermutlich Gablentz, König und Poelchau kaum oder nie getroffen.

Die intrapersonelle Vergleichbarkeit beschreibt das Verhältnis der alteri zueinander. Unter interpersonellem Vergleich versteht man die Gegenüberstellung von Netzwerk- karten unterschiedlicher Personen.115 Eine solche Vergleichbarkeit könnte man dadurch herstellen, dass nacheinander jeder der 20 Kreisauer als ego und die übrigen 19 als alte- ri begriffen würden. Obwohl das äußerst interessant wäre, muss auf diese interpersonel- le Vergleichbarkeit sowohl aufgrund der Datenlage als auch aus arbeitsökonomischen Gründen verzichtet werden.

Untersuchungsgegenstand in der Netzwerkanalyse ist weiterhin die Teilgruppen-116 oder Cliquenbildung. Unter einer Clique versteht man eine meist kleine Zahl von Personen, die untereinander in einer für Außenstehende nicht immer erkennbaren Weise verbun- den, aber insgesamt Mitglieder größerer Gruppen sind. Cliquen haben häufig informel- len Charakter. Im Gegensatz zu dem meist abwertenden europäischen Sprachgebrauch soll der in den USA wertfreie Cliquenbegriff im Sinne abgeschlossener Kleingruppen verwendet werden. Netzwerktechnisch ist darunter jede dichte Region innerhalb eines Gesamtnetzwerkes, die als Teilgruppe definiert ist, zu verstehen. Auch dieser Aspekt lässt sich in der vorliegenden Untersuchung verwenden.

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass soziale Strukturen immer auch eine zeitliche Komponente aufweisen. Dies kann man mithilfe von Längsschnittdaten117 abbilden, indem man Netzwerkkarten einer Person über mehrere Zeitpunkte vergleicht. Da sich persönliche Beziehungen und Netzwerke verändern, ändern sich sowohl die Zusammen- setzung des „Konvois“ von Personen, die Individuen durch ihr Leben begleiten, als auch die Leistungen dieser Beziehungen. Das sonst zentrale Problem der Identifizier-

114 Lenger, Netzwerkanalyse und Biographieforschung 2005, S. 184. 115 Hollstein, Netzwerkkarten als Instrument 2010, S. 8. 116 Pappi, Methoden der Netzwerkanalyse 1987, S. 39. 117 Hollstein, Netzwerkkarten als Instrument 2010, S. 9. 36 Einleitung barkeit der Netzwerkpersonen bei Instabilität der Beziehungen über mehrere Befra- gungszeitpunkte tritt im aktuellen Untersuchungsfall nicht auf, da die infrage stehenden Personen festgelegt sind.

Bereits angemerkt wurde das interessante Phänomen, das sich aus der Unterschei- dung118 starker und schwacher Beziehungen nach Granovetter119 ergibt. Als starke Be- ziehungen könnte man verwandtschaftliche oder freundschaftliche betrachten, als schwache Beziehungen dagegen bloße Bekanntschaften. Die Stärke der Beziehung er- gibt Hinweise von Zentralität für die Verortung des Einzelnen im Gefüge von Machtbe- ziehungen.

Fragt man hingegen nach der Effizienz des Netzwerkes insgesamt, erscheinen die star- ken Beziehungen eher als funktionelles Hindernis. Zum einen binden sie Energien, die der Beziehungspflege selbst, nicht aber dem Informationsfluss zugutekommen, zum anderen fördern sie die Entstehung stärker miteinander verbundener Zirkel innerhalb des Gesamtnetzes, die dazu neigen, sich nach außen abzuschotten und schon dadurch den Informationsfluss zu hemmen. So gesehen macht die Rede von der Stärke schwa- cher Bindungen mit Blick auf das Gesamtnetzwerk Sinn, dessen funktionales Ideal die leichte Austauschbarkeit der einzelnen Netzknoten sein muss.120

Dieses Theorem kann bei der Bewertung der Außenbeziehungen der Freunde des Kreis- auer Kreises herangezogen werden. Auch bei der Diskussion um die Dekonstruktion kann dieser Gesichtspunkt mit Gewinn betrachtet werden, denn einige Kreisauer ließen sich nicht vereinnahmen und behielten ihre Individualität.

Die Visualisierung des Netzes kann als kognitive Unterstützung der Erhebung bei so- zialwissenschaftlichen Untersuchungen dienen. Dies ist gerade bei komplexen Gegen- ständen, wie es soziale Netzwerke sind, hilfreich. Bei qualitativen Erhebungen, die auf die Relevanzsetzungen und Handlungsorientierungen der Akteure zielen, dienen Karten zusätzlich als Medium, anhand dessen über die Beziehung gesprochen wird (Narra-

118 Lenger, Netzwerkanalyse und Biographieforschung 2005, S. 184. 119 Granovetter, The strength of weak ties revisited 1977: „strength of weak ties: impact of this principle on diffusion of influence and information, mobility opportunity, and community organization is explored. Stress is laid on the cohesive power of weak ties”, S. 347; „the strength of a tie is a combination of the amount of time, the emotional intensity, the intimacy (mutual confiding), and the reciprocal services which characterize the tie”, S. 348. 120 Lenger, Netzwerkanalyse und Biographieforschung 2005, S. 184. 37 Einleitung tionsgenerator).121 Dies trifft auch bei historischen Ex-post-Erhebungen, wie in diesem Untersuchungsfall, zu.

Es gibt verschiedene Arten von Netzwerkkarten: unstrukturierte, die als Erzählgenerator dienen, und strukturierte. Letztere zielen dezidiert auf Vergleiche zwischen verschiede- nen Karten. Das bekannteste Verfahren der strukturierten Netzwerkkarten ist die „Me- thode der konzentrischen Kreise“. Es handelt sich hier um eine Abbildung mit konzen- trischen Kreisen, wobei ego in der Mitte des ersten Kreises erscheint. Differenziert nach dem Grad der Wichtigkeit oder Bedeutsamkeit, je nach den Stimuli, werden dann die alteri auf den konzentrischen Kreisen eingetragen. Wird z. B. der Stimulus Wichtigkeit der alteri für das ego erhoben, dann werden diese je nach dem Grad der emotionalen Nähe auf den konzentrischen Kreisen vermerkt. Die einzelnen Kreise demonstrieren so die emotionale Nähe oder die Distanz der alteri zum ego. Diese Methode zielt direkt auf das Relevanzsystem der Befragten ab oder auf das des Historikers, der sich quellenkri- tisch auseinandersetzen muss. Dieses System lässt sich gut mit verschiedenen qualitati- ven Erhebungsteilen kombinieren.

Die beschriebene Methode der konzentrischen Kreise kann durch zusätzliche Stilmittel strukturiert werden, ohne jedoch die Anwendung der Stilelemente im Detail zu standar- disieren. Ein Beispiel für diesen Typ ist das Instrument von Straus.122 Bei diesem soft- waregestützten Verfahren finden wir neben den konzentrischen Kreisen als weiteres strukturierendes Element verschiedene Sektoren. Die Bedeutung und Anzahl der einzel- nen konzentrischen Kreise muss im Einzelfall festgelegt werden, ebenso die der Sekto- ren und ob deren Größe bedeutsam ist. Weiterhin muss fixiert werden, ob Mehrfach- nennungen in den Sektoren möglich sind. Wegen dieser Offenheit des Systems spricht man hier von strukturierten und nicht standardisierten Netzwerkkarten. Mit diesem Ins- trument sind, bezogen auf den vorliegenden Untersuchungsgegenstand, intrapersonel- le123 Vergleiche sowie die Erstellung von Längsschnittdaten124 zur Erläuterung des his- torischen Prozesses möglich. Bei der intrapersonellen Vergleichbarkeit interessiert, wie bereits erwähnt, vor allem der Vergleich der Distanzen der alteri zum ego sowie das Verhältnis der alteri zueinander. Die Distanz zum ego wird mithilfe verschiedener kon- zentrischer Kreise dargestellt. Die Darstellung der Position der alteri zueinander gestal- tet sich auf einer zweidimensionalen Fläche jedoch schwierig. Hier bietet die Einteilung

121 Hollstein, Netzwerkkarten als Instrument 2010, S. 2. 122 Straus, EgoNet.QF. Software. 123 Die sonst üblichen interpersonellen Vergleiche wurden in dieser Untersuchung ausgeschlossen. 124 Vergleich von Netzwerkkarten einer Person über mehrere Zeitpunkte. 38 Einleitung der Karte in Sektoren als teilweise ordnende Maßnahme einen Ausweg. Eine andere Möglichkeit, welche auf Gruppen und Cliquen innerhalb des Netzwerkes zielt, besteht darin, die miteinander bekannten oder zu einer Gruppe gehörenden alteri zu umkreisen und so deren Verbindung graphisch zu kennzeichnen.125

In der Genese des Kreisauer Kreises bieten sich folgende Visualisierungsoptionen an: Werden des Kreisauer Kreises; Zeit und Mittelsmann beim Zutritt zum Kreisauer Kreis; Zugehörigkeit zu welcher Untergruppe oder Clique; Häufigkeit der Teilnahme an Tref- fen; Teilnahme an den Kreisauer Tagungen.

Es wird jedoch auch Fälle geben, wo auf Erkenntnisse der Netzwerkanalysen zurückge- griffen werden wird, ohne dass dies mit den beschriebenen Instrumenten visualisiert werden kann, wie bei der Betrachtung der Reichweite des Netzes, der Frage der noch zu behandelnden positiv verbundenen Einflussnetze bzw. der negativ verbundenen Netze und bei der Betrachtung der Autonomie des ego bzw. der Asymmetrie des Netzes.

125 Hollstein, Netzwerkkarten als Instrument 2010, S. 8. 39 Beschreibung des Kreisauer Kreises

2 Beschreibung des Kreisauer Kreises

In einem ersten Teil soll der Kreisauer Kreis möglichst umfassend in seinem Entstehen, seinem Wirken und seiner Struktur beschrieben werden. Zunächst ist auf den Prozess seines Entstehens, auf seine Ziele und seine Mitglieder einzugehen. Dann werden die heterogene Struktur, die Heterogenität der Abstammung und die Dekonstruktion des Kreisauer Kreises sowie seine Arbeitsweise und die Dauer seines Bestehens dargestellt. Die relationalen Beziehungen im Kreisauer Kreis sollen mit dem im Exkurs beschriebe- nen netzwerkanalytischen Instrumentarium erhellt werden.

2.1 Prozess des Entstehens

Freya von Moltke schreibt in ihren Erinnerungen über den Kreisauer Kreis126: „Das Ganze ist […] tatsächlich immer ein loser, informeller, namenloser Zusammenschluss gewesen.“ In den Briefen Moltkes an seine Frau Freya findet man die Bezeichnungen „Freunde“, mit zunächst unscharfer Gruppenidentität, „unsere Gruppe“, „unser Trupp“, „meine Garde“, „Freundeskreis“, wobei dieser als ein nicht fest gefügtes, offenes Netz- werk erscheint, mit fließenden Übergängen und komplexen Interaktionen.

Erst im Bericht des Reichssicherheitshauptamtes127 vom 25. August 1944 wird diese Gruppe in der Folge der Untersuchung zu den Hintergründen des Attentats vom 20. Juli 1944 „Kreisauer Kreis“128 genannt:

Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen teilt sich der Kreis um Moltke in eine 1. Schlesische Gruppe, 2. Bayerische Gruppe, 3. Berliner Gruppe. Dieser Kreisauer Arbeitskreis tritt an verschiedenen Orten und in verschiedener Besetzung zusammen, manchmal im Schloßgut der Familie Yorck im schlesischen Klein-Oels, manchmal in Mün- chen, in der Pfarrwohnung der Sankt-Michaels-Kirche, der Niederlassung der Jesuiten, auch im Pfarrhaus der St.-Georg Kirche in Bogenhausen oder im Provinzialat der Jesuiten in der Kaulbachstrasse; und immer wieder in Groß-Benitz, nicht weit von Berlin, im Guts-

126 Moltke, Freya, Erinnerungen an Kreisau 1997. S. 49. 127 KB S. 299. Theodor Steltzer vermutet, dass Haubach zuerst den Begriff „Kreisauer Kreis“ bei seinen Aussagen benutzt habe; vgl. Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 187. 128 Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung Marion von Yorcks in einem Brief an Roon 1965 über die Kreisbezeichnung: „Ich habe bewusst geschrieben ‚mein Mann und seine Freunde’, weil die von Freisler erfundene und leichtfertig akzeptierte Bezeichnung ‚Kreisauer Kreis’ nicht ganz der Situation entspricht. Mit der Bezeichnung ‚Kreis’ wird in dem politischen und sozialen Geschehen bei uns in Deutschland seit dem Ende des ersten Weltkrieges bis auf den heutigen Tag ein wahres Schindlu- der getrieben. Sämtliche Erscheinungsformen zugleich kollektiver und zugleich personeller Art, welche obendrein sich noch die Aura des organisch Gewachsenen geben wollen, werden so bezeichnet. In Wirk- lichkeit trafen sich hier Männer, die z. T., aber nur z. T. ähnlicher Herkunft, von z. T., aber auch nur z. T. ähnlichen Meinungen, aber von dem gleichen Ethos und es muß auch negativ ausgedrückt werden, von dem gleichen Abscheu gegen das 3. Reich erfüllt waren.“ Yorck, Marion von: Brief an Roon, 20.05.1965, IfZ, ZS/A-18, Bd. 9. 40 Beschreibung des Kreisauer Kreises

haus der Familie Borsig. Meistens trifft man sich im Reihenhaus der Yorcks in Berlin- Lichterfelde in der Hortensienstrasse.129 Demzufolge nannte Trott den Freundeskreis „Hortensienclub“.130 „Der Kreisauer Kreis hat aber seinen Namen von drei Zusammenkünften in Kreisau, zu denen die Moltkes eine Reihe ihrer Freunde einluden, damit offene Fragen in Ruhe und unauffällig bespro- chen werden konnten.“131

Nach dem Frankreich-Feldzug trafen sich Moltke und Yorck, den Moltke zwar von ver- schiedenen Familienfeiern kannte, zu dem er allerdings bis 1940 keinen besonderen Kontakt hatte, am 16. Januar 1940 zum ersten Mal persönlich132; sie verständigten sich rasch und beschlossen, bei den Planungen für die angestrebte geistige und politische Neuordnung Deutschlands künftig zusammenzuarbeiten. Diese Übereinkunft kann als Geburtsstunde133 des Kreisauer Kreises angesehen werden. Am gleichen Tag berichtete Moltke seiner Frau von diesem Treffen mit Yorck, den er in Zukunft „wohl öfter sehen“ werde.134 Freya sagte nach dem Krieg:

Helmuth und Peter Yorck hatten sich zuerst an ihre Freunde um Rat gewandt. Diese brach- ten neue Freunde hinzu, die Erfahrungen oder Verbindungen hatten, welche die eigenen er- gänzten. Dieses Vorgehen war unter den damaligen Verhältnissen das einzig mögliche, weil solche politischen Diskussionen nur auf der Grundlage vollständigen Vertrauens geführt werden konnten.135 Später erklärte sie: „… hinter den Einzelnen standen andere Kreise. Damals war es na- türlich unbedingt notwendig, den Kern klein zu halten. Dahinter stand ein weiteres Spektrum, als es der eigentliche Kreis heute erkennen lässt.“136

Steltzer beschreibt nach dem Kriege, wie sich der Freundeskreis dynamisch entwickelte.

Bis Ende 1941 blieben wir ein loser Kreis, der sich um die geistige Seite der Probleme mühte, aber eine bestimmte politische Programmatik noch nicht entwickelt hatte. Im Win- ter 1941/42 entstand der Plan, die verschiedenen politischen Sachgebiete gründlicher durchzuarbeiten. Der Ansatz dieser Arbeit erfolgte zunächst etwas akademisch. Wir wollten uns ein Bild machen, wie ein anständiges Deutschland aussehen müsste. In diesem Stadium

129 KB S. 387. 130 Brief von Trott an seine Frau Clarita vom 05.12.1943, zit. nach: Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 442. 131 MBF S. 187. 132 MB S. 106. Sie trafen sich, wie Moltke schreibt, bei dem Bruder von Davy, Davida, geb. Gräfin Yorck, der Frau von Hans Adolf von Moltke, einem Onkel von Helmuth James von Moltke. 133 Mommsen, Die künftige Neuordnung Deutschlands und Europas 1993, S. 5: Es sei seine „Pflicht und Schuldigkeit“, schrieb Moltke am 15.02.1939 an Lionel Curtis, (BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2.): „den Versuch zu unternehmen, auf der richtigen Seite zu sein, was immer es für Unannehmlichkei- ten, Schwierigkeiten und Opfer mit sich bringen mag“. Diese Überlegungen bildeten den Ursprung des Kreisauer Programms (gerade weil Moltke den Entschluss fasste, nicht nach England zu gehen). Die ersten Neuordnungspläne, die sich vor allem in der im Sommer 1939 abgefassten Denkschrift „Die klei- nen Gemeinschaften“ niederschlugen, gehören in diese Phase. 134 MB S. 106. 135 MBF S. 187. 136 Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg, Widerstand 1993, S. 24. 41 Beschreibung des Kreisauer Kreises

verdient unsere Arbeit vielleicht die Kritik, dass sie zu intellektuell bestimmt war. Aus die- ser Arbeit erwuchs dann aber eine klare politische Konzeption und ein bestimmter politi- scher Wille. Wir haben eine Reihe mehrtägiger Arbeitstagungen in Kreisau abgehalten und das Ergebnis in Niederschriften festgehalten.137 Aus diesen zunächst losen, sich allmählich verdichtenden Kontakten fügten Moltke und Yorck im Sinne ihrer Vorstellung, „die weniger auf den Sturz Hitlers als auf das Nach- her zielte“, eine „Initiativgruppe zusammen, die überwiegend zur jüngeren Generation gehörte.“138 Darum herum gruppierten sie eine große Schar von „älteren Sachverständi- gen“139, von denen sie sich bei der Ausarbeitung ihrer Zielvorstellungen beraten ließen. Zielsetzung war, wie noch näher auszuführen sein wird, sich auf die Stunde des Zu- sammenbruchs des NS-Regimes vorzubereiten und hierzu „möglichst konkrete pro- grammatische Vorstellungen über die Gestaltung der verschiedenen Bereiche des ge- sellschaftlichen Lebens zu entwickeln und schriftlich zu fixieren“140.

Wie die einzelnen Kreisauer zu diesem Freundeskreis von Menschen verschiedenster Herkunft sowie unterschiedlichster Weltanschauung und politischen Überzeugungen stießen, wird weiter unten darzustellen sein. Alle Begegnungen können mithilfe der Briefe Moltkes an seine Frau Freya rekonstruiert werden. Dabei war der Kreisauer Kreis keine Organisation mit Mitgliedschaften, Mehrheitsbeschlüssen und festen Statuten.141

Zu dem Kreisauer Kreis gab es u. a. einen Vorläuferkreis142 aus den Jahren 1938/39, der an einer künftigen Reichsverfassung arbeitete. Um Peter Yorck von Wartenburg, der 1938 während einer Reise ins Sudetenland durch die dortigen Eindrücke in seinem Wil- len zum Widerstand bestärkt wurde, bildete sich eine Gruppe. Sie setzte sich neben Pe- ter Yorck, dem Initiator des Kreises, u. a. zusammen aus Graf Fritz von der Schulen- burg, Nikolaus Graf von Uexküll (damals beim Reichskommissar in Berlin tätig), Cae-

137 Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises. Vortrag in der Adolf-Reichwein-Hochschule in Celle am 09.11.1949. IfZ, MS 629, S. 8 f. 138 Boveri, Verrat 1956, S. 68. 139 Roon, Geleitwort zu: Winterhager 1985, S. 1. 140 Moltke, Albrecht, Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen 1989, S. 78. 141 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 133. 142 Ehrensberger, Otto: Bericht vom 14.07.1962, IfZ, ZS/A-18, Bd. 3, S. 5; Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 154. Diese Gruppe setzte sich zum Ziel, Grundsätze für eine neue Reichsverfassung zu erarbeiten, und kam zu ähnlichen Ansätzen wie die Kreisauer, allerdings mit einem ganz unterschiedlichen Akzent. Die Kriegs- umstände und die militärische Verpflichtung einzelner Mitglieder zwangen diese Gruppe, ihre Arbeit einzustellen; vgl. Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 95 f. Zur Grafengruppe gehörten nach Conze im Kern: Ulrich von Schwerin-Schwanenfeld, Albrecht von Kessel, Botho von Wussow, Peter Yorck von Wartenburg, Fritz-Dietlof von der Schulenburg, als einziger Bürgerlicher der Diplomat Eduard Brückel- meier sowie in einem weiteren Umfeld noch Cäsar von Hofacker, Karl Ludwig Frhr. von Guttenberg und Gottfried von Nostitz; vgl. Conze, Adel und Adeligkeit 2001, S. 286. Siehe auch Schwerin, „Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“ 1991, S. 9; Schwerin, Der Weg der „Jungen Generation“ in den Wider- stand 1985, S. 463 ff. 42 Beschreibung des Kreisauer Kreises sar von Hofacker (Industrieller in Berlin, am 20. Juli 1944 beim deutschen Militärbe- fehlshaber in Paris), Albrecht von Kessel (Legationsrat im AA, im Verlauf des Krieges beim deutschen Botschafter im Vatikan), Berthold Graf von Stauffenberg (er nahm nur gelegentlich an den Besprechungen teil). Dieser Kreis löste sich mit der Einziehung einiger Teilnehmer zum Wehrdienst zu Beginn des Krieges wieder auf.

Der Kreisauer Kreis war natürlich nicht der einzige Widerstandskreis. Schmölders143 nannte fünf militärische und zwölf bürgerliche Widerstandskreise144, auf die nicht näher eingegangen werden kann. Allein mit dem Goerdeler-Kreis setzte sich der Kreisauer Kreis Anfang 1943 während der Zuspitzung der Lage und im Vorfeld des Schulter- schlusses der Offiziersopposition mit den zivilen Widerstandsgruppen auseinander. Der Goerdeler-Kreis war in der Zusammensetzung gegensätzlich zum Kreisauer Kreis:

Moltke nannte die Beck-Goerdeler Gruppe die „Exzellenzen“, weil viele von ihnen hohe Ämter innegehabt hatten. Sie kamen aus der Schicht der Offiziere und Beamten, die die Jahre vor 1914 bereits als junge Männer miterlebt hatten; die meisten waren zwischen 1919 und 1933 Mitglieder der DNVP oder der DVP gewesen. Moltke hatte dagegen bewusst Vertreter der Arbeiterschaft und der Kirchen zu den Diskussionen herangezogen, weil diese beiden Gruppen seiner Meinung nach entscheidend zum Aufbau eines neuen Deutschland beitragen konnten.145 Die Kreisauer verband die Überzeugung, so Klemperer,

… daß die aus den alten Eliten hervorgegangenen Widerstandsgruppen, insbesondere die um Beck, Goerdeler und von Hassel, die Tiefe der Krise, in der sich Deutschland befand, nicht erfassten und daher zu sehr auf Reformen und Aktionen im politischen Bereich kon- zentriert blieben, statt sich intensiv um geistige Erneuerung zu bemühen.146 Wie Goerdeler und die Kreisauer sich gegenseitig einschätzten, beschrieb Gerstenmaier mit knappen Worten: „Bei uns galt Goerdeler zwar als ein ehrenwerter, aber an vergan- genen Verhältnissen orientierter Mann. Er hingegen hielt […] uns insgesamt für welt- fremde Idealisten.“147

2.2 Ziele des Kreises

Peters berichtete 1952, dass die Wehrmacht 1941 ihre gesellschaftlichen Wünsche für die Zeit nach dem Sieg ausarbeiten wollte. Dies benutzte Moltke als legalen Deckman- tel, um seine Pläne zu schmieden. Ziel war es, ein Sofort- und ein Langfrist-Programm niederzulegen, um vorbereitet zu sein, wenn der Nationalsozialismus am Ende sei. „Ir- gendwann komme dieser Augenblick sicher“, so Moltke zu Peters,

143 Schmölders, Personalistischer Sozialismus 1969, S. 9 f. 144 Siehe Schaubild: Die Zusammensetzung des Kreisauer Kreises und seine Verbindungen im deutschen Widerstand, in: Leugers, Märtyrer o. J., S. 128 f. 145 MBF S. 205. 146 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 56. 147 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 169. 43 Beschreibung des Kreisauer Kreises

… er dürfe die Gegner des Regimes nicht unvorbereitet treffen; insbesondere müsse dann ein Programm vorliegen, das dem die Macht Übernehmenden nicht bloß die Wiederherstel- lung der Lage vor dem NS, sondern den Aufbau eines sozialen Staates mit einer gerechten Ordnung und die Durchführung zahlreicher Reformen ermögliche, deren Notwendigkeit der Einbruch des NS in fast alle Volksschichten deutlich gemacht habe. Wie das nationalsozia- listische Regime falle, wurde eigentlich immer als überflüssige Spekulation offen gelassen. Man unterstellte zunächst, ein angesehener aktiver General werde die Wehrmacht, die ihren Untergang unter Hitlers Führung immer klarer erkennen werde, zum Handeln veranlassen und vielleicht Hitler und seine Komplicen festsetzen. Tatsächlich sprach Moltke anlässlich von Dienstreisen im Inland und im besetzten Gebiete mit verschiedenen Generalen darü- ber.148 Den Kreisauern ging es also nicht um Umsturz, sondern um die Vorbereitung dessen, was nach der Stunde X kommen sollte.149 Moltke bemerkte gegenüber Hans Christoph von Stauffenberg, einem Vetter von Berthold: „Wir sollten uns […] mit der Frage be- fassen, was geschehen soll, wenn jemand doch Hitler zu Fall bringen sollte oder wenn er ein Unglück hat. Ein solches Ereignis darf uns nicht unvorbereitet finden.“150 Die Kreisauer hielten das Vorhandensein eines klaren Aufbauprogramms für umso wichti- ger, als andere Widerstandsgruppen sich in Personalfragen und in dem Problem, die Macht zu erringen, erschöpften.151

Steltzer betonte 1966, dass ihnen eine Einigung vorschwebte, die nicht nur aus der ge- meinsamen negativen Haltung gegenüber dem NS, sondern aus einer positiven Überein- stimmung in langfristiger politischer Zielsetzung bestand.

Es ging uns um die geistigen Grundlagen deutscher Politik. Wir kamen aus sehr verschie- denen gesellschaftlichen und konfessionellen Kreisen. Es war für uns alle ein großes Erleb- nis, dass sich die hierin liegenden Schwierigkeiten menschlich leichter überwinden ließen, als wir erwartet hatten.152 Weiter stellte Steltzer fest, Nachkriegsprobleme seien nur mit einer legitimierten deut- schen Regierung meisterbar gewesen, das wollte Trott in den USA, Gerstenmaier in Stockholm, Moltke über Curtis153 nach Großbritannien und auch er selbst am 15. Juli 1944154 gegenüber Curtis darstellen.155

148 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 3. (Unterstrei- chung übernommen). 149 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 426. 150 MBF S. 156. 151 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 4. 152 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 155. 153 Mowrer, Lilian T.: Brief vom 01.03.1964, IfZ, ZS/A-18, Bd. 5; hier sind auf S. 5 in einer Fußnote alle Verwendungen von Curtis aufgezählt: “Lionel Curtis has served in the South African War; was acting Town Clerk of Johannesburg from 1901; Assistant Colonial Secretary to the Transvaal. He was a Fellow of All Souls and founded the British Royal Institute of Foreign Affairs. He had known Helmuth’s mother (as a girl, when her father was High Commissioner of Transvaal).” 154 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 334-347. 155 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 324. 44 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Die fundamentale geistige und politische Erneuerung Deutschlands sollte auf möglichst breiter sozialer Basis erfolgen,156 um die Immunisierung des deutschen Volkes gegen die Versuchung totalitärer Ideologien und Gewaltregime, welcher politischer Prove- nienz und in wessen Namen auch immer, bewältigen zu können. Grundlagen für die Neuordnung sollten die ethischen Werte des Christentums und die Ideen eines undog- matisch verstandenen Sozialismus sein157; als Träger des Neuaufbaus wurden vor allem die „freiheitlich gesonnene deutsche Arbeiterschaft und mit ihr die christlichen Kir- chen“ angesehen: „Sie allein garantieren in diesem Augenblick auf Grund ihrer fortwir- kenden geistigen Überlieferung, daß die Substanz des deutschen Volkes als Kulturna- tion gewahrt bleibt und sein Zusammenhalt als Staatsnation aus seiner gegenwärtigen Gefährdung gerettet werden kann“, wie es in der letzten überlieferten Grundsatzerklä- rung des Kreisauer Kreises vom 09. August 1943 heißt.158 Neben den christlichen Kir- chen sollte die Arbeiterschaft die Basis für die Neukonzeption werden. Dieser Bezug ist bei anderen bürgerlichen Widerstandskreisen in dieser Deutlichkeit nicht gegeben und muss angesichts der von Paul und Mallmann festgestellten Tatsache, dass die Arbeiter- klasse, trotz heroischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus aus der Arbeiter- schaft, in toto passiv159 blieb, sich mit den neuen Herren arrangierte, an den Aufstiegs- chancen partizipierte160 und sich partiell sogar in Denunziation, Terror und Massenmord verwickelte161, begründet werden. Es muss jedoch festgehalten werden, dass es die Arbeiter waren, die sich als Erste in die mörderische Schlacht gegen Hitlers Totalitaris- mus stürzten, während die traditionellen Führungsschichten und Funktionseliten bis 1937 zumindest in partieller Systemloyalität verharrten.162 Als Begründung, warum der Widerstand nicht auf die Arbeiterschaft verzichten konnte, können mehrere Faktoren angegeben werden. Mommsen führt an, dass die Opposition einer breiteren innenpoliti-

156 Winterhager, Politischer Weitblick 1987, S. 405. 157 Winterhager, Politischer Weitblick 1987, S. 408. 158 Erste Weisung an die Landesverweser, in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 315. 159 Dies war auch die Meinung Trotts und Scheffers in einem Memorandum an das State Department vom 14. November 1939: „The working Classes in Germany especially are certain to break through their pre- sent attitude of reserve, which is partly due to their defeat in 1933 and also to the fact that they see no practical alternative to the present international deadlock”; in: Rothfels, State Department 1959, S. 324; siehe auch Rothfels, Trott und die Außenpolitik 1964, S. 314. 160 Steinberg, Arbeiterschaft 1985, S. 870, 873; siehe auch Broszat, Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands 1986, S. 306: „Auch der größte Teil der früher kommunistisch oder sozialistisch eingestell- ten Arbeiterschaft blieb, nicht zuletzt infolge der plebiszitären Sensibilität, mit der Hitler, Goebbels u. a. den totalen Kriegseinsatz sozialpolitisch abzufedern wussten, in die patriotische Loyalität gegenüber dem Regime eingebunden.“ 161 Paul/Mallmann, Milieus und Widerstand 1995, S. 19. 162 Broszat, Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands 1986, S. 299. Es bestand bei den Funktions- eliten „partielle Bejahung und Unterstützung des in den [1934] folgenden Jahren noch stark nationalkon- servativ stilisierten Regimes.“ 45 Beschreibung des Kreisauer Kreises schen Abstützung bedurfte, wollte sie nicht Gefahr laufen, als Außenseitergruppe be- trachtet zu werden, und dass eine Überwindung des Klassenkonfliktes angestrebt wur- de.163 Es herrschte auch die schrittweise vordringende Erkenntnis, dass es unmöglich war, einen Umsturz gegen die Kräfte der Arbeiterschaft politisch abzusichern, und man wollte alles tun, um die Arbeiterschaft als am ehesten oppositionelle Kraft für die ge- plante demokratische Regierung zu gewinnen.164 Welche Rolle dachte nun der Kreisau- er Kreis der Arbeiterschaft zu? In dem Brief an Curtis vom März 1943 hob Moltke zur Abwehr der „danger of communism“ auf die Arbeiter ab, die noch keine Nazis seien, das träfe für die Mehrheit der Älteren und der Facharbeiter zu, und die „completely fed up with all kinds of totalitarismus“165 seien. Der Gefahr der Bolschewisierung sollte die geplante demokratische Regierung entgegenwirken, die, „um dem Linksradikalismus den Wind aus den Segeln zu nehmen, innenpolitisch mit einem sehr starken linken Flü- gel operieren und sich entschieden auf die Sozialdemokraten und die organisierte Arbei- terschaft stützen“166 müsse.

Die der Arbeiterschaft, neben der Kirche, zugedachte Aufgabe wird ebenfalls in der ersten Weisung an die Landesverweser deutlich, dort heißt es:

Die freiheitlich gesonnene deutsche Arbeiterschaft und mit ihr die christlichen Kirchen ver- treten und führen diejenigen Volkskräfte, aus denen heraus der Aufbau in Angriff genom- men werden kann. Sie allein garantieren in diesem Augenblick aufgrund ihrer fortwirken- den geistigen Überlieferung, dass die Substanz des deutschen Volkes als Kulturnation ge- wahrt bleibt und sein Zusammenhalt als Staatsnation aus seiner gegenwärtigen Gefährdung gerettet werden kann.167 Auch im Aktionsprogramm Mierendorffs, der „Sozialistischen Aktion“, spiegelte sich die Überzeugung, dass die Zukunft eine Verbindung der beiden Kräfte, die allein gegenüber dem nationalsozialistischen Chaos resistent geblieben seien – Christentum und Sozialismus –, bringen müsse.168

Angesichts dieser Herkulesarbeit stellte sich Moltke in einem Brief an Freya die Frage: „Vor was für riesigen Problemen stehen wir, welcher Gigant kann sie lösen?“169 Man spürt in seiner Antwort, dass er an seinen Freundeskreis dachte, wenn er fragte: „Ist es

163 Mommsen, Arbeiterbewegung 1989, S. 10 f. 164 Mommsen, Arbeiterbewegung 1989, S. 23. 165 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden, 1970, S. 288. 166 Exposé über die Bereitschaft einer mächtigen deutschen Gruppe, militärische Operationen der Alliier- ten gegen Nazi-Deutschland vorzubereiten und zu unterstützen (Dezember 1943); in: Brakelmann, Kreis- auer Kreis 2004a, S. 330. 167 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 315. 168 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 153. 169 MB (16.11.1941) S. 323. 46 Beschreibung des Kreisauer Kreises denkbar, daß eine Gruppe von Durchschnittsmenschen dies schafft? Oder ist es nicht wahrscheinlicher, daß solch eine Gruppe als daß ein Gigant das fertig bringt?“170

Es ging Moltke für die Stunde X nach Hitler um weit mehr als nur politische Reformen, nämlich um eine völlige (geistige, moralische, politische) Neuordnung des menschli- chen Zusammenlebens, um einen Neuaufbruch der Menschheitsgeschichte.171 Steinbach betont, dass in letzter Schlüssigkeit sich die dann gefundenen Lösungen auf politische Axiome beziehen ließen:

Es ging darum, das Bild vom Menschen172 im Herzen der Mitmenschen aufzurichten. Es ging darum, den hohen, geradezu absoluten Wert des Menschen in der Welt deutlich zu machen: Staat und Wirtschaft waren seinetwegen da. Kultur und Wissenschaft erhielten ihre Rechtfertigung aus der Bildungsfunktion. Bildung war kein Selbstzweck, sondern Um- stand der Erziehung. Sie hatte zur Gesittung beizutragen. Religion war kein Kitt, sondern wurde durch ihre hohe Autonomie definiert. Sie ging den Staat nichts an, sondern nur den Menschen und sein Verhältnis zu Gott. Damit ging es – „Bild im Herzen der Mitmenschen“ – um Gewissen, um Verantwortung, um Vertrauen, zugleich aber um Vertrauensfähigkeit und Befähigung zur Verantwortung.173 Schon am 15. Oktober 1945 wiesen Marion Yorck und Freya Moltke, noch in Kreisau, auf die noch näher zu beschreibende Vergemeinschaftung des Kreisauer Kreises hin, als sie ausführten, dass das gemeinsame Ziel die Basis des Vertrauens schaffte, auf die al- lein in solcher von Terror bestimmter Zeit diese Arbeit gewagt werden konnte.

Es fanden sich Männer aus den verschiedensten Anschauungs- und Lebenskreisen zusam- men: ost-, west- und süddeutsches Gedankengut, Männer der Kirchen und der Schule, Landwirte, Beamte, Sozialisten aller Färbung. Bei der Gemeinschaft zur gemeinsamen Arbeit wirkte die Vielfalt der Elemente befruchtend, da die Persönlichkeit des Einzelnen im Dienst an der gemeinsamen Sache zur eigentlichen Entfaltung gelangte. Jeder Einzelne war bereit, dem Gesamtbild die eigene Persönlichkeit und Anschauung unterzuordnen, während wiederum ein Jeder den Beitrag des Anderen im Zusammenspiel der Meinungen wünschte und anerkannte.174 Das Trachten des Kreisauer Kreises war nicht auf Herrschaft gerichtet, sondern auf die Klärung einer menschenwürdigen Staats- und Gesellschaftsordnung durch Reflexion. Sie war erst „im Danach“ zu realisieren – „durchaus nicht nur als Folge eines Umstur- zes, sondern ebenso gut als Ergebnis des aus Vaterlandsliebe herbeigesehnten Zusam- menbruchs, und d. h.: in der zukunftsoptimistischen Hoffnung auf Einsicht und Bildung, Moralität und Gewissen.“175

170 MB (16.11.1941) S. 323. 171 Winterhager, Zukunftsplanung 2009, S. 10 f. 172 Vgl. dazu Müller, Rosenstock-Huessy 1968, S. 68 ff: „Innere Erneuerung des Volkes“– diesen Gedan- ken der Erneuerung könnte Moltke von seinem Lehrer Rosenstock haben. Rosenstock-Huessy wurde von der Sorge umgetrieben, im Volke könnten sich die sozialen und kulturellen Gegensätze der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vertiefen. 173 Steinbach, Gablentz 1999b, S. 66. 174 Yorck, Marion/Moltke, Freya: Ausführungen über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10.1945, BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 46a. 175 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 164. 47 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Drei Faktoren waren bei diesem Prozess signifikant. Zunächst bestand ein prinzipieller Unterschied zum Nationalsozialismus; die Kreisauer reagierten nach dem Frankreich- Feldzug nicht auf eine krisenhafte Situation und sie wollten nicht in letzter Minute ihre Haut retten. Sie hegten als Folge ihrer geistigen Autonomie nicht die Absicht, „durch ihre Auseinandersetzung mit dem NS-Regime und seinen weltanschaulichen Grundla- gen die Fehlentwicklungen und Irrungen nationalsozialistischer Politik zu relativieren oder zu korrigieren, sondern sie standen völlig außerhalb des Wertgefüges, das den Na- tionalsozialismus ausmachte.“176 Sie klärten ihre Voraussetzungen des Denkens um ihrer selbst willen, nicht, um eine oder gar ihre ganz persönliche Meinung durchzuset- zen. „Es ging ihnen darum, die Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen und die Konsequenzen des Denkens in seiner Vielfältigkeit, auch in seiner Widersprüchlichkeit scharfsichtig und scharfsinnig zu klären.“177

2.3 Mitglieder des Kreises

Die Frage, wer zum Kreisauer Kreis gehörte, so Freya von Moltke, kann nicht eindeutig beantwortet werden, schon weil eine formelle Mitgliedschaft im Kreis nicht existierte. „Es wäre falsch, den Kreis auf diejenigen zu beschränken, die mindestens an einer der drei Kreisauer Zusammenkünfte teilnahmen. Es gab nämlich auch Männer, die zu be- kannt oder zu verdächtig waren und deshalb nicht nach Kreisau kommen konnten.“178

Zum engeren Kreisauer Kreis werden nach Roon179 einhellig folgende Personen gerech- net: Moltke (1907-1945) und Yorck (1904-1944) als Initiatoren und Leiter der Aktivitä- ten, „die als einzige von allen Aktivitäten wussten“180, die Diplomaten Adam von Trott zu Solz (1909-1944) und Hans-Bernd von Haeften (1905-1944); die Sozialdemokraten Julius Leber (1891-1945), Carlo Mierendorff (1897-1943), Theodor Haubach (1896- 1945) und Adolf Reichwein (1898-1944); für die evangelische Kirche Eugen Gersten- maier (1906-1986) und Harald Poelchau (1903-1972); als Kontaktmann zum Ausland und vielseitiger Jurist Theodor Steltzer (1885-1967); die Wirtschaftsfachleute Horst von Einsiedel (1905-1947/8) und Carl Dietrich von Trotha (1907-1952); als Verfassungs- und Verwaltungsexperte der Zentrumsmann und Exponent der katholischen Kirche Hans Peters (1896-1966); von katholischer Seite weiterhin die Jesuitenpatres Alfred

176 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 165. 177 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 165. 178 MBF S. 187. 179 Roon, Neuordnung 1967, S. 56 ff. 180 Roon, Neuordnung 1967, S. 251, Fn. 21. 48 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Delp (1907-1945), Augustin Rösch (1893-1961) und Lothar König (1906-1946); der Staatswissenschaftler Otto Heinrich von der Gablentz (1898-1972), früher dem Kreis der religiösen Sozialisten181 um Paul Tillich zugehörig, und schließlich die Verwal- tungsjuristen und Zentrumsmänner Hans Lukaschek (1885-1960) und Paulus van Husen (1891-1971).

In den bereits genannten Ausführungen von Marion Yorck und Freya Moltke182 gleich nach dem Krieg zählten diese König, von der Gablentz, Trotha, Schmölders und Leber nicht zum engeren Freundeskreis. Später rechnete Freya diese jedoch dem engeren Kreis zu. Die weitestgehende Abgrenzung des inneren Kerns des Kreises geht von 23 Mitgliedern aus. Hier werden auch Günther Schmölders und zusätzlich Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und Ulrich Wilhelm Graf von Schwerin-Schwanenfeld dazu- genannt.183 Die Nennung von Leber unter den Mitgliedern wurde von Gerstenmaier bestritten: „Aus mehreren Gründen sollte man Julius Leber nicht den Kreisauern zu- rechnen. Ich begegnete ihm zwar, aber er nahm an unserer Arbeit keinen unmittelbaren Anteil.“184 Andere bezeichnen als „festen Kern“185 des Kreisauer Kreises lediglich die beiden schlesischen Grafen, die beiden hessischen Sozialisten Mierendorff und Hau- bach, die Diplomaten Hans Bernd von Haeften und Adam von Trott zu Solz, die Theo- logen Delp und Gerstenmaier, die Juristen bzw. Nationalökonomen und Offiziere Pau- lus van Husen, Theodor Steltzer, den Pädagogen Adolf Reichwein und eher gelegentlich Horst von Einsiedel und Carl Dietrich von Trotha. Die weiteren Ausführungen schlie- ßen sich der Auffassung von Roon an und gehen von 20 Kreisauern im engeren Kreis aus.

181 Zu dieser Richtung, die sich u. a. mit der Zeitschrift „Neue Blätter für den Sozialismus“ verband, ge- hörten auch Poelchau, Reichwein, Haubach und Mierendorff (Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 61). Zum Religiösen Sozialismus als einer geistigen Quelle des Kreisauer Kreises siehe Roon, Neuord- nung 1967, S. 35-40 m. w. Nachweisen. Auch Trott stand mit dem Kreis um die „Blätter“ in Verbindung. 182 Yorck, Marion/Moltke, Freya. Ausführungen, datiert Kreisau, den 15.10.1945, BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 46-48d; siehe auch: Moltke, Freya, Erinnerungen an Kreisau 1997, S. 138: Hier werden noch Ernst von Borsig und Eduard Waetjen sowie die Frauen Freya Moltke, Irene und Marion Yorck mitgerechnet; Cumberledge, A German of the resistance 1946: hier fehlen in der als nicht erschöpfend bezeichneten Liste der Kreisauer: Trotha, Gablentz und König. Husen zählte gar nur 9 Mitglieder des Kreises („committee“) auf: Moltke, Yorck, Trott, Gerstenmaier Leber, Reichwein, Mierendorff, Haubach und sich selbst, in: Husen, Paulus van: Report on my participation in the enterprise of the 20. July 1944, 18.10.1945, IfZ, ZS/A-18, Bd. 12. 183 Moltke-Almanach o. J., S. 1. 184 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 151, Fn. 185 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 132. 49 Beschreibung des Kreisauer Kreises

2.3.1 Werden des Kreisauer Kreises

Nachdem die Mitglieder des engeren Kreisauer Kreises186 benannt wurden, ist es inte- ressant, dem Weg der Bildung des Kreises nachzuspüren. Wer hat wen angesprochen, aus welchem spezifischen Grund? Wen brauchte man unbedingt, um ein bestimmtes Erfahrungsfeld oder einen Geisteshintergrund abzudecken? Außerdem ist der Zeitpunkt des Dazustoßens aussagekräftig. Wir sehen hier eine Spanne von fast fünf Jahren zwi- schen der Wiederbelebung der Freundschaft aus der Breslauer Zeit sowie der Löwen- berger Arbeitsgemeinschaft 1938 und dem Treffen mit Julius Leber 1943, nachdem im Dezember 1943 Mierendorff einer Bombe zum Opfer fiel. All diese Punkte sind bedeut- sam und geben Hinweise, wenn man die Gründe für die Vergemeinschaftung in den Blick nehmen will.

Die alten Freundschaften aus der Breslauer und Löwenberger Zeit von 1927 hatte Molt- ke seit Mitte 1938 wiederbelebt.187 In seinen Briefen aus dieser Zeit begegnen wir den Namen Peters, Lukaschek, Einsiedel, Reichwein, Gablentz und Arnold von Borsig, bei dem er Theo Haubach erneut traf. Wohl im Zusammenhang mit diesen ersten Ansätzen zum Kreisauer Kreis verfasste Moltke Ende 1939/Anfang 1940 die Denkschrift „Die kleinen Gemeinschaften“188.

Moltke kannte Peters von der Universität Breslau her. Der junge Moltke hörte bei dem Privatdozenten für Rechts- und Staatswissenschaften Vorlesungen über „Verwaltungs- probleme moderner Industriebezirke“189, die besonders von „sozial eingestellte(n) Stu- denten“ besucht wurden. Ihn hatte Moltke auch für die Teilnahme an der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft gewinnen können. Neben seiner Tätigkeit als Professor arbeitete Peters von 1928 bis 1932 als Referent der Hochschulabteilung im preußischen Ministe- rium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, zunächst unter dem Zentrumsmann Carl Heinrich Becker, von dem übrigens Moltke eine beachtliche Spende für die Lö- wenberger Arbeitsgemeinschaft einwerben konnte. Nach dem Staatsstreich Papens

186 Es wird hier nicht streng der Nennung der Mitglieder nach ihrer zeitlichen Begegnung mit dem Kreis der Freunde, wie von Ger van Roon vorgeschlagen, gefolgt, sondern eher dem soziologischen Cluster, dem sie angehören. 187 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 344. 188 „Das Wesen einer kleinen Gemeinschaft besteht darin, eine Anzahl von Menschen zu einem ihnen gemeinsamen Zweck in einer solchen Weise zusammenzufassen, dass sie die Verfolgung ihres besonde- ren Zwecks als in den Rahmen der großen Gesamtheit gestellt begreifen und sich für die Entwicklung ihres besonderen Interesses als für einen Teil des Lebens der Gesamtheit verantwortlich fühlen. Die zwei wesentlichen Bestandteile sind daher der gemeinsame Zweck, der die Mitglieder einer kleinen Gemein- schaft zusammenführt und zusammenhält, und das Gefühl der Verantwortung allen anderen gegenüber“ in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 157 f. 189 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 1. 50 Beschreibung des Kreisauer Kreises gegen die preußische Regierung vertrat Peters im Oktober 1932 die Zentrumsfraktion im preußischen Landtag gegen das Reich vor dem Staatsgerichtshof in , wo er Moltke wiederbegegnete, der als Berichterstatter für eine amerikanische Zeitung am Prozess teilnahm.190 „Ich wurde auf ihn aufmerksam dadurch, dass er mir seine Visiten- karte schickte mit einem kurzen Glückwunsch im ‚Kampf um die gerechte Sache’.“191 Nach der Machtübernahme der NS suchte Moltke Peters auf, um sich für seine Berufs- wahl Rat einzuholen. „Er wollte keinesfalls dem nationalsozialistischen Regime ir- gendwie dienen, auch nicht in oppositioneller Haltung im Staatsdienst.“192 Schließlich kamen beide in der Zeit bis 1939 „verschiedentlich, aber nicht oft“ zum „Gedankenaus- tausch“ zusammen. Ende August 1939 wurde Peters „wegen politischer Unzuverlässig- keit“ aus dem Hochschuldienst entfernt und als Hauptmann d. R. in den LWFüStb nach Berlin eingezogen. Dadurch eröffnete sich ihm die Möglichkeit, die Verbindung193 zu Moltke, die nie ganz abgerissen war, zu intensivieren. Am 09. Mai 1941 schrieb dieser an Freya: „Gestern habe ich mit Peters zu Mittag gegessen. Er war so nett wie im- mer.“194

Auch Lukaschek kannte Moltke aus seiner schlesischen Heimat. Moltke, der 1926 in Breslau studierte, hatte als Student im Abstimmungsgebiet Oberschlesien für die „Ge- mischte Kommission“ gearbeitet und dabei Hans Lukaschek, seit 1929 Oberpräsident der neuen Provinz Oberschlesien, kennengelernt.195 Schon damals nutzte Moltke seine vielen Kontakte, um ausländische Journalisten, die über die deutsch-polnischen Proble- me im Abstimmungsgebiet berichteten196, zu begleiten und diese mit den Problemen des deutschen Ostens vertraut zu machen. Er fuhr mit ihnen nach Oberschlesien in das um- strittene polnisch-deutsche Gebiet. In Waldenburg führte er ihnen die rückständigen Verhältnisse des Bergwerkbetriebes vor Augen197. Auf einer dieser Reisen besuchte er auch den damaligen Oberbürgermeister der neuen Industriestadt Hindenburg, Luka- schek. Dieser berichtete nach dem Kriege, Moltke habe ihn im Sommer 1938 zwischen Juni und Mitte August, noch vor der Münchner Konferenz, besucht und ihm dabei von den Kriegsvorbereitungen Hitlers, wie dem geplanten Angriff auf die ČSR, aber auch

190 Ullrich, Kreis 2008, S. 53 f.; Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997, S. 152, es handelte sich um die Chicago Daily News, siehe MBF S. 56f. 191 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 1. 192 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 1. 193 Ullrich, Kreis 2008, S. 54; Moltke, Völkerrecht 1986, S. 78. 194 MB S. 241. 195 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 340. 196 Ellmann, Lukaschek2000, S. 21 f. 197 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 29, Fn. 19. 51 Beschreibung des Kreisauer Kreises von dem geplanten Staatsstreich berichtet, als dessen führende Köpfe er Beck, Halder und Goerdeler genannt habe.198

Es sei nun an der Zeit, daß erfahrene Männer, die in der Öffentlichkeit noch Ansehen ge- nossen, sich zusammenfänden, um voller Ernst zu überlegen, wie eine Regierung nach Hit- ler aussehen sollte und müsste. Dabei legte er dar, daß es notwendig sei, ganz neue Funda- mente aufzubauen, weil die alten stark erschüttert seien.199 Lukaschek wird von Freisler in Verhandlungen Anfang Januar 1945 als „Systemgröße“ bezeichnet.200 Schäffer201 berichtete 1964, dass er bereits bei einem Treffen 1938 in Schweden von Lukaschek über den Kreisauer Kreis gehört habe. Das zeigt zum einen die Bedeutung Lukascheks, zum anderen seine lange Zugehörigkeit zum Freundeskreis.

Moltke kannte auch Paulus van Husen schon seit Ende der 20er-Jahre aus dessen Zeit in der Gemischten Kommission.202. Als Husen im Mai 1940 seinen Dienst als Rittmeis- ter d. R. beim OKW/Wehrmachtsführungsstab in Berlin antrat, traf er Moltke im Dienst. In der Standortstaffel des OKW war Husen der Quartiermeisterabteilung zugeteilt. Er leistete dort Bürodienst und war als stellvertretender Leiter der Abteilung für personelle und materielle Leistungsgesetze zuständig.203 Darunter fielen Beschlagnahmungen von Gebäuden. Wo er konnte, half er den Kirchen und karitativen Einrichtungen.

Selbst sagte Husen nach dem Krieg:

Ich kannte Moltke lose von früher durch meinen Kattowitzer Amtsvorgänger den späteren Botschafter Hans Adolf von Moltke, der mit der Schwester von Yorck verheiratet war. Als ich im Frühjahr 1940 zum OKW kam, traf ich dort Moltke wieder und allmählich wuchs unsere Verbindung. Die enge Zusammenarbeit datiert etwa von Ende 1941.204 Moltke erwähnt Husen in seinen Briefen erstmalig am 15. Juni 1942205 eher beiläufig, ohne ihn besonders vorzustellen, was doch auf die längere Bekanntschaft aus Schlesien hindeutet.

Einsiedel206 und Trotha, ein direkter Vetter Moltkes, waren zusammen mit Peters und Moltke 1927 Mitbegründer der „Löwenberger Arbeitsgemeinschaft“207 um den Profes- sor Rosenstock-Huessy, die den politisch-sozialen Spannungen im schlesischen Indus- trierevier Waldenburg die „Zusammenarbeit von Akademikern, Bauern und Arbeitern in

198 MBF S. 79. 199 Lukaschek, Widerstandsbewegung im Dritten Reich 1959, S. 94. 200 Gerstenmaier, Zwei können widerstehen 1992, S. 111. 201 Schäffer, Hans: Meine Erinnerungen an Hans Lukaschek. Oktober 1963, IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 5. 202 Schindler, Husen1996, S. 23. 203 Schindler, Husen 1996, S. 24. 204 Husen, Paulus van: Brief an Roon, 30.04.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 205 MB S. 380. 206 MB (20.02.1940) S. 118 „… nachher kommt Einsiedel“. 207 Auf die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und deren Protagonisten wird weiter unten noch näher eingegangen. 52 Beschreibung des Kreisauer Kreises freiwilligem Arbeitsdienst“ entgegensetzte.208 Moltke war sowohl seine Vertrautheit mit beiden als auch deren wirtschaftswissenschaftlicher Sachverstand wichtig.

Peter Graf Yorck von Wartenburg stammte wie Moltke aus einer berühmten preußi- schen Familie. Eine seiner Schwestern war, wie schon bemerkt, mit dem Botschafter Adolf von Moltke verheiratet. Aus diesem Grunde begegneten er und Moltke sich gele- gentlich.209 Sie hatten zwar zur gleichen Zeit in Breslau studiert und hatten beide an den schlesischen Arbeitslagern teilgenommen, waren sich aber in diesen Tagen nicht näher- gekommen.210 Gerstenmaier schrieb in seinen Erinnerungen:

[…] erst nach Kriegsbeginn211 entwickelte sich zwischen den beiden jener Kontakt, der sich offenbar sogleich auf theoretische Fragen von grundsätzlicher Bedeutung konzentrierte. Ihre Familienbeziehungen […] wurden daneben belanglos. Ich habe auch später, als ich mit ihnen lebte, nicht beobachtet, daß sie zwischen ihnen eine Rolle spielten. Sie siezten sich. Sie verkehrten miteinander freundschaftlich leger, aber von familiärer Intimität war keine Rede. Die Übereinstimmung in fundamentalen Fragen ihres Denkens und Handelns war groß, aber sie waren unverwechselbar verschieden.212 Die von Gerstenmaier zitierten theoretischen Fragen bezogen sich auf die häufigen Unterhaltungen zwischen Moltke213 und Yorck zu Beginn des Jahres 1940 über den Staat.214 Seit 1939 hatte sich Schulenburg215 mehrfach zu diesem Thema – auch noch während der ersten Tage des Westfeldzuges – mit Moltke und Yorck getroffen. Viel- leicht könnte man sagen, dass Schulenburg Moltke und Yorck zusammenbrachte. An- zumerken ist, dass zu dieser Zeit sowohl Yorck als auch Moltke sich bereits in eigenen Freundeskreisen Gedanken über die Zukunft machten. Der später von der Gestapo als „Grafengruppe“ bezeichnete schon erwähnte Freundeskreis Yorcks und der bereits be- stehende Freundeskreis Moltkes gingen aber nicht etwa im Kreisauer Kreis auf, es gab jedoch Verbindungen. Freya von Moltke begründete dies so:

Moltke hat nie der „Grafengruppe“ angehört. Er war diesen Männern eher fremd. Sie fan- den, es fehle ihm an Treue zu seinem Stand und zu seinem Land, und sie sahen in ihm einen Theoretiker. Er hingegen war der Meinung, dass sie den Umfang der Veränderungen nicht erkannten, die in Deutschland, ja in ganz Europa durch den Krieg hervorgerufen wür- den.216

208 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 1. 209 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 160, Fn. 1. 210 MBF S. 110. 211 An dem Polenfeldzug nahm Yorck als Leutnant d. R. teil; vgl. MBF S. 111. 212 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 183. 213 Berlin, 16.01.1940: […] Zu Mittag habe ich mit Peter Yorck, dem Bruder von Davy [Hans Adolf von Moltkes Frau; A. d. V.] gegessen, oder vielmehr bei ihm […] Ich glaube wir haben uns sehr gut verstän- digt und ich werde ihn wohl öfters sehen; in: MB S. 106. 214 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a. S. 116 ff. 215 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 160, Fn. 2; Krebs, Schulenburg1964, S. 194; Mommsen, Fritz-Dietlof Graf v. d. Schulenburg 1984, S. 236. 216 MBF S. 111. 53 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Das Arbeitsverhältnis von Moltke und Yorck gestaltete sich trotz ihrer Verschiedenheit sehr eng.217

Bereits im Sommer 1940 hatte Moltke seine Bekanntschaft mit Reichwein reaktiviert und erwähnte ihn in seinem Brief an Freya am 28. Juni 1940 das erste Mal: „Ich werde Reichwein systematisch pflegen.“218 Sie kannten sich seit dem ersten Löwenberger Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten im März 1928 in Niederschlesien.219 Adolf Reichwein war bis 1933 Professor der Pädagogischen Akademie in Halle. Willi Brundert220, der spätere Oberbürgermeister von Frankfurt a. M., den Reichwein in den Jahren zwischen 1930 und 1933 in Halle/Saale kennengelernt hatte, brachte ihn mit dem ehemaligen SPD-RT-Abgeordneten Carlo Mierendorff, den er ebenso wie Theo Hau- bach seit 1930/31 aus dem Beirat der „Neuen Blätter für den Sozialismus“ kannte, und Julius Leber zusammen, die wiederum in Kontakt zu anderen Gesinnungsgenossen wie Leuschner und Maass standen.221 Reichwein führte 1941 Carlo Mierendorff und Theo Haubach sowie Leuschner und Ende 1943 Julius Leber in den Kreisauer Kreis ein. „Sie vertraten nicht marxistische Religionskritik, sondern gehörten zu den religiösen Sozia- listen oder standen doch der Religion aufgeschlossen, teilweise aber den Kirchen kri- tisch gegenüber.“222 Zimmermann weist darauf hin, dass Reichweins Biographie223 eine Reihe ähnlicher Stationen und damit korrespondierend Übereinstimmung in der Ein- schätzung grundlegender gesellschaftspolitischer Fragen aufzeige, wie sie für Haubach fixiert wurden: Wandervogel, Kriegsfreiwilliger, Mitglied eines George-Kreises, eine konsequent antiwilhelminische Einstellung und Befürworter einer Verständigung mit dem französischen Nachbarn.224 Wie aus den Briefen Moltkes an Freya hervorgeht, nimmt Reichwein sehr intensiv an der Arbeit des Kreisauer Kreises teil. Durch seine reiche Erfahrung in der Erwachsenen- und Schulpädagogik, aber auch durch seine Kenntnisse über Wirtschaftsfragen war er für Moltke ein wichtiger Gesprächspartner.225

217 MB S. 287. 218 MB S. 150. 219 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 423. 220 Willi Brundert war von 1931 bis 1933 Vorsitzender der sozialistischen Studentenschaft an der Univer- sität Halle. 221 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 422. 222 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 370. 223 Zimmermann, Haubach 2004, S. 382. 224 Henderson, Reichwein 1958, S. 32. 225 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 157. 54 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Otto Heinrich von der Gablentz, der sich übrigens erst in einer Rezension über Roon im Jahre 1968 als Widerständler des Kreisauer Kreises zu erkennen gab226, lernte Moltke nicht 1929 in Schlesien, als Einsiedel Gablentz wohl zu einem Vortrag über Industrie- bürokratie227 für Löwenberg gewonnen hatte, sondern erst 1940 kennen.228 Einsiedel kannte Gablentz auch aus dessen Dienst als wissenschaftliche Hilfskraft des statisti- schen Reichsamtes.229 In seiner autobiographischen Skizze bemerkte Gablentz:

Anfang 1940 brachte mich Einsiedel mit Moltke zusammen. Er wollte mich zunächst in einem Marinestab unterbringen; das zerschlug sich, weil die Kriegsereignisse die vorgese- hene Tätigkeit überflüssig machten. Ich habe dann bis zu Moltkes Verhaftung in enger per- sönlicher Verbindung mit ihm und Yorck, Haeften, natürlich auch mit Steltzer gestanden. Nach Kreisau bin ich trotz mehrfacher Einladung nie gekommen; es gab jedes Mal drin- gende dienstliche Verpflichtungen dazwischen. Nach Moltkes Verhaftung lockerte sich die Verbindung.230 Es gab wohl mehrere Gründe, warum Moltke an einer Mitarbeit von Gablentz Interesse hatte. Im Moltke-Gesprächskreis war Martin Gauger, Justiziar der Bekennenden Kirche, ausgefallen231 und Moltke suchte nach einem weiteren kompetenten Vertreter der evan- gelischen Kirche. Trotz Meinungsverschiedenheiten mit Gablentz im Laufe des Jahres 1940 nahm er das Gespräch mit diesem im Juni 1941 gezielt wieder auf232, weil er ihn sich selbst und Yorck „weit überlegen“ sah, „daß er von der konkreten Lage der protes- tantischen Kirche und von der Theologie immerhin etwas versteht“233. Inzwischen war im Mai 1941 mit Hans Bernd von Haeften ein weiterer engagierter Protestant zu dem Kreis gestoßen. Gablentz war dem Kreisauer Kreis auch ein wertvoller Wirtschafts- fachmann. Als Staats- und Wirtschaftsexperte234 hatte er an internationalen Wirtschafts- konferenzen in Basel (1931), Lausanne (1932) und London (1933) teilgenommen. Nach der Machtübernahme musste er 1934 aus dem Reichswirtschaftsministerium ausschei- den und wechselte zur „Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie“, wo auch Einsiedel arbeitete. Somit waren über Einsiedel Verbindungen zur Arbeitnehmer- wie Arbeitge- berseite und zur Wirtschaftsverwaltung gegeben. „Diese Gruppen mussten zusammen- gebracht werden, um Klassengegensätze zu überbrücken. Eine neue Wirtschaftsverfas-

226 Steinbach, Gablentz 1999b, S. 67 227 Steinbach, Gablentz 1999b, S. 63. 228 Gablentz, Otto von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 4. 229 Steinbach, Gablentz 1999b, S. 64. 230 Gablentz, Otto von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 4. 231 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 112. Martin Gauger wurde wegen Kriegsdienstverweigerung 1941 von den Nazis ermordet, nachdem er 1940 aus Deutschland in die Niederlande geflohen war. Er hat also nicht Selbstmord begangen, wie Harpprecht behauptet. 232 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 357. 233 MB (23.07.1941) S. 275; S. 380. 234 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 163; siehe auch Gablentz’ Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 2. 55 Beschreibung des Kreisauer Kreises sung, die von allen gebilligt werden konnte, musste vorbereitet werden, eine Wirt- schaftsordnung, die eine Zusammenarbeit der europäischen Länder anstrebte.“235 Auf- grund dieses Erfahrungshintergrundes ergab sich Gablentz‘ Teilnahme an dem vorberei- tenden Briefwechsel für die erste Denkschrift und überhaupt der Kreisauer Arbeit.236

Der Michaelsbruder Gablentz war der Sohn eines preußischen Offiziers und einer aus alter Hugenottenfamilie stammenden Mutter.237 Gablentz wiederum führte im August 1940 den früheren Landrat des Kreises Rendsburg, Theodor Steltzer, bei Moltke ein.

Carlo Mierendorff wird erstmals in einem Brief Moltkes vom 24. Juni 1941 erwähnt.238 Wahrscheinlich war es, wie schon gesagt, Reichwein, der Mierendorff mit Moltke be- kannt machte. In den Briefen Moltkes an Freya werden Reichwein und Mierendorff häufig gemeinsam genannt, sie waren eng befreundet. „Mit der Bekanntschaft Moltkes mit Mierendorff war die personelle Voraussetzung für den Einbau der Arbeiterschaft in die Kreisauer Planungen geschaffen“239, insofern, als Mierendorff schon Ende 1941 die Verbindung der Kreisauer zu Wilhelm Leuschner, dem früheren Vorsitzenden des All- gemeinen Gewerkschaftsbundes, mit dem Mierendorff zeitweilig im KZ saß240, und später dann im Sommer 1943 zu Julius Leber herstellte.

Mierendorff, der seit den 1920er-Jahren als Sozialdemokrat gegen das Erstarken der NSDAP kämpfte, floh nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Er wurde im Juni 1933 verhaftet und bis zum Jahre 1938 ins KZ geschickt. Nach der Haftentlassung war er bei der BRABAG241 beschäftigt.242 So konnte er sich in Berlin, dem Zentrum des Widerstandes der Sozialdemokraten, aufhalten und die Kontakte zu jenen halten und ausbauen, die im Zentrum der Macht standen und von dort aus eine Alternative zum NS-Staat entwickeln wollten. In Berlin lebten alte Darmstädter Freunde und Bekannte, hier fand er neuen Kontakt zu Leber und Reichwein. Auch wenn der Südhesse immer öfter nach Leipzig und Sachsen fahren musste, so versuchte er, die freien Wochenenden in Berlin zu verbringen.243 Hier traf er auch mit Moltke zusammen244, den er bereits

235 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 153. 236 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 96. 237 MB S. 256. 238 MB S. 287. 239 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 425. 240 MB (15.12.1941) S. 338, Fn. 2. 241 Braunkohlen-Benzin-Aktiengesellschaft. 242 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 25. 243 Albrecht, Der militante Sozialdemokrat 1987; S. 198. 244 MB (03.07.1941) S. 260. 56 Beschreibung des Kreisauer Kreises

1927 im Haus des Freundes Carl Zuckmayer in Hendorf bei Salzburg als 20-jährigen jungen Mann kennengelernt hatte245, woran sich Moltke aber nicht mehr erinnerte246.

Wie einer Anmerkung247 der Edition der Moltke’schen Briefe zu entnehmen ist, er- wähnte Moltke Haubach im November 1938 einmal kurz und apostrophierte ihn als „Reichsbannerführer“, dem er während einer Abendgesellschaft bei Ernst von Borsig begegnet sei. Auch Haubach hatte Moltke schon 1927 im Hause Zuckmayers kennenge- lernt.248 Zu einer Zusammenarbeit kam es aber noch nicht. Während von den Diosku- ren249 Mierendorff sich schon 1941 an den Gesprächen mit den Kreisauern beteiligte, folgte ihm sein enger Freund seit Jugendtagen, Theodor Haubach, aber erst ab 1942. Wegen seiner KZ-Haft von 1934 bis September 1936 in Esterwegen-Börgermoor, wo der Mitbegründer des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und Mitarbeiter in der „Eisernen Front“ Carl von Ossietzky und Julius Leber begegnete, und nach Verhaftun- gen nach Kriegsbeginn war der Sozialdemokrat Haubach sehr vorsichtig. Erst im Lauf des Jahres 1942 konnte ihn Mierendorff dazu bewegen, „aus der selbst gewählten Isola- tion herauszutreten und sich wieder aktiv am Widerstand gegen Hitler zu beteiligen.“250 Moltke wusste, dass der Kreisauer Kreis ohne die sozialdemokratische und gewerk- schaftliche Repräsentanz seine Arbeit einstellen könnte. Sie waren zusammen mit den Kirchen Moltkes Hoffnung für die Zukunft. Mit Sozialdemokraten und Gewerkschaft- lern hatte Moltke bereits aus der Zeit der schlesischen Arbeitslager Kontakt. Nun wur- den Adolf Reichwein, Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Wilhelm Leuschner seine ständigen Gesprächspartner.251 Haubach nahm an der 2. Kreisauer Tagung teil und aus dem Brief an Freya vom 10. August 1943252 kann man auf intensivste Kontakte im Juli 1943 schließen, bevor am 09. August die Grundsätze verabschiedet wurden. Mitt- lerweile nahm Haubach mit Mierendorff die Stellung von Leuschner und Maass ein, die wegen der Gewerkschaftsfrage zum Goerdeler-Kreis gestoßen waren.

Theodor Haubach, Julius Leber, Carlo Mierendorff und Kurt Schumacher werden zu den militanten Sozialdemokraten in der Weimarer Republik gezählt.253 Mit einer weite-

245 Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir 2007. S. 73 ff, S. 324. 246 MBF S. 89. 247 MB S. 426, Fn. 1. 248 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 317. 249 Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir 2007, S. 331. 250 Ullrich, Kreis 2008, S. 44. 251 Maier, Der Kreisauer Kreis im deutschen Widerstand 2007a, S. 2. 252 MB S. 523. 253 Zu „militanten Sozialisten“: Mierendorff, Aufbau der neuen Linke 1932a, S. 123.; Beck, Zum Selbst- verständnis der „militanten Sozialisten“ 1986, S. 87-123. 57 Beschreibung des Kreisauer Kreises ren bedeutenden Persönlichkeit des Kreisauer Kreises, dem Juristen und Beamten des Auswärtigen Amtes Adam von Trott zu Solz, wurden Haubach und Mierendorff ver- mutlich bereits zu Anfang der 30er-Jahre im Umfeld der „Neuen Blätter für den Sozia- lismus“ bekannt.254

Mit Trott, dem Jüngsten unter den Kreisauern, führte Moltke255 ab August 1940 immer wieder Gespräche gemeinsam mit Gablentz, Reichwein und Einsiedel. Seiner Frau Freya schrieb er am 16. November 1941: „Mittags aß ich bei Trotts …“256 Trott und Moltke kannten sich seit 1936, sie trafen sich das erste Mal zufällig bei einem Mittages- sen im All Souls College257 in Oxford, wo beide studiert hatten. Diese Szene beschreibt der englische Historiker und Freund Trotts Alfred Leslie Rowse, der beide zusam- mengeführt hatte, mit den Worten: „I shall never forget the mutually appraising, slightly suspicious look the two gave each other in the increasing dangers of the late thirties.”258 Für Trott, wie übrigens auch für Moltke, der ihm ein naher Freund werden sollte, war das angelsächsische Element der Herkunft nichts Beiläufiges. „Jedenfalls war es kein Zufall, daß Trotts geistiges Interesse und seine praktisch-politische Energie sich sehr wesentlich auf das deutsch-englische Verhältnis als ein ‚Hauptthema seines Lebens’ richten wird“259, heißt es in dessen Kurzvita von Hans Rothfels. Clarita von Trott erin- nert sich, dass Adam, bevor er 1939 nach Amerika ging, Moltke aufgesucht habe, um von ihm eine Empfehlung für Brüning zu bekommen, den er dort wegen seiner geplan- ten Initiativen in den USA besuchen wollte.260,

„Adam von Trott war neben Moltke der aktivste unter den vortrefflichen Leuten der ersten Garnitur des Kreisauer Kreises“261, so Furtwängler. Nach Moltkes vorzeitiger Verhaftung im Januar 1944 lag vornehmlich bei Trott der Zentralpunkt für alle Vorbe- reitungen des aktiv gebliebenen Teils der Kreisauer zu der Juliaktion und für die Ver-

254 Schott, Adam von Trott 2001, S. 83. 255 Ullrich, Kreis 2008, S. 60. 256 MB S. 323. 257 Durch seine Bekanntschaft mit Lionel Curtis wurde Moltke ins All Souls College eingeführt, wo er einflussreiche britische Persönlichkeiten kennenlernte: Lord Lothian und Lord Astor. 258 Mowrer, Lilian T. Brief an Roon, 01.03.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5, S. 5. Mowrer zitiert hier Rowse Buch Appeasement, 1961. 259 Trott, Hegel 1967, S. VI. 260 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 223.; Franz Josef Furtwängler (1894-1965) war ein deut- scher Gewerkschafter und Politiker (SPD). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Furtwängler von Mai bis Oktober 1933 in „Schutzhaft“ genommen. Er emigrierte 1934 nach Ungarn und arbeitete dort als Erdölingenieur. 1938 kehrte er nach Deutschland zurück. Während des Zweiten Welt- kriegs hatte er Kontakte zum Kreisauer Kreis; Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 139. 261 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 223 ff. 58 Beschreibung des Kreisauer Kreises bindung mit den Militärs und dem Oberst von Stauffenberg, wobei Trott von seinen Freunden Hans von Haeften und Alexander Werth klug und furchtlos unterstützt wurde.

Am 17. September 1941 lesen wir in dem Brief Moltkes an seine Frau Freya: „Heute Mittag esse ich mit Steltzer, dem Mann aus Norwegen.“262 Es war, wie bereits erwähnt, Gablentz, Michaelsbruder wie Steltzer, der im August 1940 den früheren Landrat des Kreises Rendsburg bei Moltke einführte.263 Theodor Steltzer hatte schon vor 1939 über die Arbeitslagerbewegung264 erstmals durch Gablentz von Moltke gehört265, „als eines Mannes, den ich kennenlernen müsse“266. Bei Steltzers Versetzung am 01. August 1940 als Generalstabsoffizier nach Norwegen forderte Gablentz diesen erneut auf, Moltke kennenzulernen. „Moltke habe einen weiten Überblick über den Kreis von Persönlich- keiten, die wie wir den NS radikal ablehnten.“267 Steltzer traf Moltke dann bei seinen zahlreichen Reisen nach Berlin häufig. Für Moltke war Steltzer wertvoll, da er zuneh- mend ab 1933 aktiv in der kirchlichen Arbeit war, er war Sekretär der evangelischen Michaelsbruderschaft268. Außerdem hielt Steltzer als Oberstleutnant und bevollmächtig- ter Transportoffizier im Generalstab des Wehrmachtsbefehlshabers Norwegen Verbin- dung zwischen dem deutschen und dem norwegischen Widerstand.269

Ab Mai 1941 nahm Hans Bernd von Haeften, von Trott und Yorck eingeführt, an den Beratungen des Kreisauer Kreises teil.270 Vom 15. Mai 1941 an erwähnte Moltke immer wieder Zusammenkünfte mit Haeften. Nachdem dieser im September 1940 von Buka- rest als Legationssekretär abberufen worden war, fing er im Oktober als stellvertreten-

262 MB S. 289. 263 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 163. Fn. 1. 264 Steltzer, Theodor. Brief vom 07.12.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 1.: „Mit der Löwenberger Arbeitsla- gerorganisation bestand eine lose Verbindung, da wir in Schleswig-Holstein auch ähnliche Arbeitslager veranstalteten. Verbindungsmann war hier Dehmel“; Moltke, Völkerrecht 1986, S. 50 f.: Hans Dehmel unterschrieb zusammen mit Moltke und Einsiedel die Einladung für die Begegnung vom 27. bis 30.10.1927 in Löwenberg über das Thema „Die Notstände im Landeshuter, Waldenburger, Neuroder Revier“. 265 Steinbach, Gablentz 1999b, S. 64. 266 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 124. 267 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 148. 268 Zur Michaelsbruderschaft vgl. Gablentz, Geschichtliche Verantwortung 1952, S. 77. Die evangelische Michaelsbruderschaft, die aus der Berneuchener Bewegung hervorging, wurde unter Federführung von Karl Bernhard Ritter (1890-1968) und Wilhelm Stählin (1883-1975) von 22 Männern im September 1931 in der Marburger Universitätskirche gegründet. In ihrer Gottesdienstordnung werden die Liturgie und das regelmäßig gefeierte Abendmahl in die Mitte gerückt. Bei dem Berneuchener Kreis handelt es sich um eine 1923 auf dem Gut Berneuchen in der (heute polnischen) Neumark gegründete, durch die Jugendbe- wegung beeinflusste evangelische Bewegung zur Reform der Kirche in biblischem und reformatorischem Geist. Die Liturgie wurde erneuert und wieder zum Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens gemacht. Einer überstarken Intellektualisierung des kirchlichen Lebens wollte diese zahlenmäßig kleine, doch sehr aktive Gruppierung Spiritualität und Kultus entgegensetzen; in: Haebeler, Michaelsbruderschaft 1975, S. 16 ff. 269 MB S. 289, Fn. 1; Ullrich, Kreis 2008, S. 102. 270 Ullrich, Kreis 2008, S. 57. 59 Beschreibung des Kreisauer Kreises der Leiter der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin an. In dieser Ab- teilung arbeitete seit dem Sommer 1940 der neu ins AA eingetretene Adam von Trott, den er bereits im Januar 1933 in Oxford bei der britisch-deutschen Konferenz für Ab- rüstungsfragen kennengelernt hatte.271 „Die Wiederbegegnung hier war für beide eine Freude und wurde bald zu einer guten Freundschaft bis zum Tod.“272 Durch ihn und Nostitz273, den Haeften schon in der deutschen Vertretung in Wien274 getroffen hatte, wurde Haeften im Winter 1940/41 bei Yorck eingeführt. Sie arrangierten auch seine erste Begegnung mit Moltke, vermutlich Anfang Mai bei Yorck.275 Am 12. Mai traf Haeften Moltke zum gemeinsamen Essen mit Trott. Moltke meinte, im Gespräch hätte er „beide nicht so recht überzeugt oder für meine Linie gewonnen“276. Die Unterhaltung zwei Tage später fand er hingegen „sehr befriedigend“. „Gestern Abend hatte ich einen guten Tag und habe Haeftens Schale spielend durchstoßen.“277 Barbara von Haeften bemerkte, dass ihrem Mann auch die Begegnung mit Gablentz viel brachte. „Durch ihn fand Hans in Berlin wieder Verbindung mit der Michaelsbruderschaft. Es war für Hans eine große Erleichterung, endlich mit Gleichgesinnten Austausch zu haben und mit der Zeit sogar sinnvoll die Zukunft zu planen, in die Zukunft nach dem ‚Tage X’, ohne Hit- ler.“278

Am 23. September 1941 brachte Einsiedel den Gefängnispfarrer Harald Poelchau mit zu Moltke279, der immer auf der Ausschau nach guten Köpfen und verlässlichen Geg- nern des Regimes war.280 Poelchau war religiöser Sozialist und wie Reichwein, Mieren- dorff und Haubach an den „Neuen Blättern für den Sozialismus“ beteiligt. Seit 1933 war er Gefangenenseelsorger in Berlin-Tegel, wodurch er vielen Verfolgten und politi- schen Häftlingen nicht nur in Tegel, sondern auch in der Lehrter Straße und in Plötzen-

271 Haeften verabschiedete sich von Trott am 16.01.1933 auf einer Postkarte: „Leider haben wir uns nicht mehr gesehen; ich möchte Ihnen daher auf diesem Wege ‚Auf Wiedersehen’ sagen, und zwar ganz ernst gemeint. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich in Berlin aufsuchen würden, denn von unserer sehr flüch- tigen Bekanntschaft habe ich doch den Eindruck, dass eine gelegentliche ausführliche Unterhaltung sich lohnen würde.“ Krusenstjern, Trott Biographie 2009. S. 211. 272 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“1997, S. 47. 273 Gottfried von Nostitz: Legationsrat im AA, ab 1941 Konsul in Genf. Rührig in der – informatorischen – Tätigkeit gegen das Regime, besonders im Zusammenhang mit den Friedensfühlern über den Vatikan; vgl. MB S. 124. 274 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 37. 275 Haeften, Barbara von: Aus unserem Leben 1944-1950. 1974, BA NL Haeften, N 1460-1. 276 MB S. 244. Moltke glaubte nach Freya, „das Ende des NS werde die notwendige Gelegenheit bringen, von Grund auf, anders, transnational, mit veränderten Souveränitäten aufbauen zu können.“ Das war der Gegenstand der Diskussion. 277 MB S. 244. 278 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 47. 279 MB S. 290. 280 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 112. 60 Beschreibung des Kreisauer Kreises see helfen konnte, wo später viele seiner Freunde inhaftiert waren und hingerichtet wur- den.281 Poelchau mag über den Sozialpädagogen Albert Krebs, einen engen Freund Adolf Reichweins, seit 1928 Leiter des Zuchthauses Untermaßfeld in Thüringen, der ihn aufforderte, sich im Dienst der Modernisierung des Strafvollzugs um die Stellung eines akademischen Gefängnisfürsorgers zu bewerben, schon zu dieser Zeit mit Reichwein bekannt geworden sein.282

Moltke nahm, wie wir schon gesehen haben, im Juni 1941 das Gespräch mit Gablentz auf, weil er in ihm einen überragenden Repräsentanten der protestantischen Kirche sah, der ihre Lage zuverlässig einschätzen konnte.283 Inzwischen war jedoch im Mai 1941 mit Hans Bernd von Haeften ein weiterer engagierter Protestant zu dem Kreis gestoßen. Die katholische Seite wurde durch Hans Peters284 vertreten, aber Moltke war an weite- ren katholischen Mitgliedern interessiert. 1941 suchte er den Kontakt mit Bischof Prey- sing, nachdem er bereits 1934 bei der katholischen Geistlichkeit eine stärkere Wider- standskraft als bei den Protestanten beobachtet und die Abschrift der Predigt von Bi- schof von Galen über die Rechtlosigkeit im NS-Staat, die Beschlagnahmung kirchlichen Eigentums und die Ermordung „lebensunwerten Lebens“ gelesen hatte. Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg stellte den Kontakt mit Rösch her.285 Augustin Rösch286, ab 1935 Provinzial der Oberdeutschen Provinz des Jesuitenordens mit Sitz in München, war führend beteiligt am katholischen Kirchenkampf. Moltke schrieb in einem Brief an Freya vom 15. Oktober 1941:

Soweit ich habe feststellen können, untersteht der unmittelbar dem Obersten Jesuiten in Rom. Ein Bauernsohn mit einem hervorragenden Kopf, gewandt, gebildet, fundiert. Er hat mir sehr gut gefallen. Wir haben auch über konkrete Fragen der Seelsorge, der Erziehung und des Ausgleichs mit den Protestanten gesprochen und der Mann schien vernünftig, sach- lich, zu erheblichen Konzessionen bereit.287 Rösch schildert seine erste Begegnung mit Moltke selbst sehr eindrücklich. Er weilte in Ordensangelegenheiten in Berlin, hörte auf der Straße eine Hitlerrede und wurde dabei von Guttenberg, einem sehr guten Bekannten, angesprochen. Dieser lud ihn ein, ihm zu folgen, und brachte ihn, eine etwaige Überwachung der Gestapo täuschend, in eine ab- seits gelegene Wohnung. „Dort sah Rösch, wie er in seinem Bericht ausführt‚ ‚einen

281 MB S. 290, Fn. 1. 282 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 76. 283 MB (23.07.1941) S. 275. 284 Zu Peters vgl. Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997. Am 30.06.1941 beauftragte Moltke Guttenberg mit der Suche weiterer katholischer Kontakte; vgl. MB (01.07.1941) S. 259, S. 260, Fn. 1. 285 MB S. 303; Bleistein, Rösch 1998, S. 305. 286 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 169, Fn. 1. 287 MB S. 303. 61 Beschreibung des Kreisauer Kreises sehr großen, hageren Mann, einen fein geschnittenen Kopf: Es war Graf Helmuth von Moltke.’“288 Das folgende Gespräch zwischen Moltke, Guttenberg und Rösch knüpfte an die Hitlerrede an, wobei Moltke darlegte, warum Hitler die Führung aus der Hand genommen werden und man kämpfen, alles tun müsse, um zu retten, was zu retten sei. Er fragte Rösch, ob er dabei sein werde. Nach einer erbetenen Bedenkzeit sagte Rösch bei einem Treffen im November in München zu und betrachtete dies als Beginn seiner Teilnahme am Kreisauer Kreis. Anfang Dezember 1941 traf er sich bereits mit Theodor Steltzer in Berlin, mit dem er die 1. Kreisauer Tagung über kirchliche und kulturpoliti- sche Fragen vorbereiten sollte.289

Nach Rösch290 war es Moltke, der P. SJ, der Mitarbeiter bei den „Stimmen der Zeit“ gewesen war, als Soziologen zu Besprechungen über die katholische Soziolo- gie und eine Reihe Fragen zur Lösung der Arbeiterprobleme hinzubat. Delp, der in Ful- da und in anderen verschiedenen Städten Deutschlands in der Männerseelsorge tätig war, sagte gerne zu291, wozu Rösch seine Erlaubnis gab. „Wir hielten es für unsere Pflicht, mitzuarbeiten an der Rettung des Christentums in seiner schwersten Bedrän- gung und zur Verfügung zu stehen, wenn wir gefragt wurden, was die katholische Auf- fassung in den schweren Fragen der Zeit war.“292 Delp wird in den Briefen Anfang Au- gust 1942 immer wieder im Zusammenhang mit der Vorbereitung des 2. Kreisauer Tref- fens erwähnt. Mehrmals referierte er über die päpstliche Enzyklika QA (1931)293, die bereits 1939 zusammen mit der Enzyklika Rerum Novarum auf das Interesse Moltkes gestoßen war.294 Moltke war es wichtig, über die durch Delp vermittelten Kontakte zu katholischen Bischöfen bestätigt zu bekommen, dass die von Delp vorgetragenen So- ziallehren tatsächlich Lehrgut der katholischen Kirche waren.

Bei Delp und Rösch und bei den Briefen an Freya stößt man immer wieder auf den Na- men P. Lothar König SJ295. Meist hat es damit sein Bewenden; sein jeweiliges Engage- ment erschöpft sich in diesen Erwähnungen „als Kurier“, wie es bei Eugen Gersten-

288 Bleistein, Jesuiten im Kreisauer Kreis 1982, S. 595 f.; Rösch, Kampf gegen den NS 1985, S. 262 ff. 289 Bleistein, Jesuiten im Kreisauer Kreis 1982, S. 596. Auf die Frage Röschs in diesem Gespräch, „wie es bei diesem Kampfe mit dem evangelisch-kirchlichen Raum stehe, äußerte Moltke mit Blick auf die Ent- wicklung der protestantischen Kirche nur Skepsis und meinte: ‚Das Christentum in Deutschland kann nur durch den deutschen Episkopat und den Hl. Vater gerettet werden. Darum müssen aber beide Bekenntnis- se zusammenstehen und zusammenarbeiten, um Christus und seiner Lehre willen.’“ Siehe auch Rösch, Kampf gegen den NS 1985, S. 296. 290 Rösch, Kampf gegen den NS 1985, S. 297. 291 Delp, IV S. 338 ff. 292 Rösch, Kampf gegen den NS 1985, S. 297. 293 Tattenbach, Delp, Schwaiger 1984, S. 219. 294 MB (03.09.1939) S. 61. 295 Bleistein, Dossier 1987a, S. 11-32.; Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 313. 62 Beschreibung des Kreisauer Kreises maier und Theodor Steltzer zu lesen ist.296 Jedoch war König mehr als ein Kurier, der seit Mai den Kontakt zwischen München und Berlin aufrechterhielt.297 Er war Bevoll- mächtigter des Provinzials für das Berchmanskolleg in Pullach298 und leitete den Kampf um dieses Kolleg. Er wurde von Moltke in seinen Briefen an Freya zwar mehrmals als der Sekretär Röschs bezeichnet, doch er traf ihn sehr häufig, wartete auf seine Antwor- ten, bemerkte, dass König vom Papst oder ein anderes Mal vom Bischof von Fulda komme, und unterhielt sich Anfang August in München 1943 von „1.00-4.30 [mit] Kö- nig allein“299. Bleistein sagt über den Geographen und Professor für Kosmologie am Berchmanskolleg: „In Wirklichkeit war König nicht nur jemand, der Textentwürfe he- rumtrug und Informationen weitergab […]. Er arbeitete auch konzeptionell mit, ob- gleich er an keiner der Kreisauer Tagungen 1942 und 1943 teilnahm.“300

Mit der Einführung von Lothar König im Mai 1942 und von Alfred Delp im Juli in den Kreis durch Rösch war eine stabile Verbindung zum süddeutschen Katholizismus her- gestellt.301 Bleistein betont, dass das Arbeiten der Jesuiten im Dreierteam gesehen wer- den muss: Rösch als Stratege, Delp als philosophischer Vordenker und König als Kurier und geduldiger Arbeiter an Textentwürfen.302 Gerade die charakterliche Verschieden- heit dieser drei Jesuiten habe der ganzen Arbeitsgruppe eine nicht zu übersehende Wirk- samkeit gegeben, wobei die unterschiedlichen Positionen in der Sache – vermutlich ge- rade in der Ökumene – noch zusätzliche Diskussionen provozierten.

Über Trott und Haeften fand Eugen Gerstenmaier im Juni 1942 Anschluss an den Kreisauer Kreis. Wie diese war Gerstenmaier im AA bzw. als Mitarbeiter für Sonder- aufträge der kulturpolitischen Abteilung des AA zugeordnet.303 Moltke lernte Gersten- maier erst im Sommer 1942 kennen.304 Gerstenmaier sollte Verbindung zum Kirchen- präsidenten der evangelischen Landeskirche in Württemberg, Bischof Wurm, herstellen, „damit würde sich ein wesentlicher Punkt der Kreisauer Programme in seiner Durch- führbarkeit zu erweisen haben“305. Dank der Vorarbeit, die Gerstenmaier, Gablentz und andere geleistet hatten, war die Begegnung mit Bischof Wurm am 24. Juni, auf die sich

296 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 151; Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 73. 297 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 368. 298 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 314. 299 MB S. 515. 300 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 314. 301 Ullrich, Kreis 2008, S. 63. 302 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 273 f. 303 Ullrich, Kreis 2008, S. 48; Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 24.; Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 165. 304 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 128. 305 MB (04.06.1942) S. 375. 63 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Moltke sorgfältig vorbereitet hatte, so erfolgreich, dass es ihm nicht ganz geheuer schien.306 Zwischen Gerstenmaier und Moltke entstand bald ein intensives Verhältnis und sie kamen sich auch menschlich näher.307 Zwischen beiden entwickelte sich eine Freundschaft, „die durch die Übereinstimmung auch im politischen Urteil immer mehr gefestigt wurde“308, und es gelang Gerstenmaier, feste Kontakte zum Kreisauer Kreis zu knüpfen, der für ihn zu einer neuen politischen Heimat werden sollte. Moltke erreichte mithilfe von „Wurm’s Vertreter in Berlin“309, Eugen Gerstenmaier, den gleichen institu- tionellen Kontakt zur evangelischen Kirche, wie er ihn vorher mit Bischof Preysing zur katholischen Kirche aufgebaut hatte, mit dem Ziel, sein angestrebtes Programm mit den Kirchen als einem der Träger eines neuen Deutschlands, neben der Arbeiterschaft, si- cher abzustimmen.

Nach einer Aussage von Husen am 10. Oktober 1960 im Beleidigungsprozess Gersten- maiers gegen General a. D. Ramcke in Kiel war Gerstenmaier einer der aktivsten Kreis- auer: „Gerstenmaier gehörte zum engsten Kern des Kreisauer Kreises, der aus Graf Moltke, Graf Peter York, Adam von Trott zu Solz, Julius Leber, Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Reichwein und mir bestand.“310 Moltke schrieb in seinem letzten Brief vom 10./11. Januar 1945: „Wir haben nur gedacht, und zwar eigentlich Delp, Gerstenmaier & ich.“311

Auch wenn in der gerichtlichen Zeugenaussage von Husen Subjektivität mitschwang, Steltzer mag anders gedacht haben312, unterstreicht dies doch die wichtige Position Gerstenmaiers im Freundeskreis.

Julius Leber wird das erste Mal in Moltkes Brief vom 06. August 1943313 erwähnt, also kurz vor Niederlegung der Kreisauer Grundsatzerklärung am 09. August, an deren For- mulierung Leber wahrscheinlich nicht mehr teilnahm. Moltke stand damals vor der Ent- scheidung, sich vom Onkel [Wilhelm Leuschner; A. d. V.] wegen der Gewerkschafts- frage endgültig zu trennen. „Sollte sich Leuschner wegen der Gewerkschaftsfrage ab- wenden“, überlegte Moltke, „dann wird die nächste Woche im wesentlichen der ein-

306 MBF S. 195. 307 MB (08.09.1942) S. 401 f. 308 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 31. 309 MB (04.06.1942) S. 375. 310 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32. 311 MB S. 616. 312 Siehe die unvorteilhafte Charakterisierung Gerstenmaiers durch Steltzer, in: Handschriftliche Charak- terisierung der Kreisauer auf Anfrage von Roon, 18.7.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 313 MB S. 520. 64 Beschreibung des Kreisauer Kreises dringlichen Bearbeitung des neuen Mannes gewidmet sein, der als Charakter und hin- sichtlich seiner Entscheidungsfähigkeit dem Onkel weit überlegen ist.“314 Leber war kein Gewerkschaftsführer, aber ein prominenter und erfahrener Sozialdemokrat. In sei- nen Briefen an Freya benutzt Moltke erst in dem Kassiber vom 28. November 1944 aus dem Gefängnis Tegel den vollen Namen Lebers, sonst spricht er verklausuliert vom Ersatz-Onkel, dem neuen Mann, Neumann und ab 28. November 1943 von Julius, so als ob er den durch KZ-Haft gezeichneten Leber besonders schützen wollte.315 Julius Leber beteiligte sich an den Kreisauer Gesprächen als Ersatz für den recht konventionell- hölzernen Leuschner und den hoch talentierten, souveränen Mierendorff, der bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen war.316 Es war Reichwein, der 1941 zuerst Mie- rendorff, Haubach sowie Leuschner reaktivierte und dann Ende 1943 Leber in den Kreis einführte.317 Auch Mierendorff hatte den Kontakt zu Julius Leber aufrechterhalten318, der im Mai 1937 nach 4-jähriger KZ-Haft entlassen worden war, dann als Teilhaber319 in einen kleinen Kohlenhandel eintrat und das eher schäbige Büro in Zehlendorf zu einem konspirativen Treffpunkt machte. Dies bezeugte auch der spätere Bundespräsi- dent Theodor Heuss320, der ihn dort mehrfach konspirativ besuchte. Bevor Leber zum Kreisauer Kreis stieß, gehörte er zu einem anderen Umsturzkreis mit Arvid Harnack, Wilhelm Leuschner, Gottfried von Noske, Otto John, Richard Künzer, Dietrich Bon- hoeffer.321 Diese schätzten den Kreisauer Kreis etwas abwertend eher als philosophie- rendes Kränzchen ein.322

Magret Boveri charakterisiert Julius Leber treffend:

Leber, der generationsmäßig zu den Alten gehörte, aber durch das Fronterlebnis im Ersten Weltkrieg stark geprägt worden war und als Kind des Grenzlandes Elsaß einen wachen Sinn für politische Realitäten mitbekommen hatte, galt den Nationalsozialisten als einer ihrer gefährlichsten Gegner und wurde nach 1933 vier Jahre in Gefängnissen und KZs ge-

314 MB S. 520. 315 Sänger, Fritz: Brief an Roon, 03.05.1963, IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 2. Sänger weist hier auf Leber hin- sichtlich der Geheimhaltung in ihrem sozialdemokratischen Widerstandszirkel hin: „Auf immer wieder- holte Ermahnung von Leber haben wir uns damals vorgenommen, über alles was geschehen ist, zu schweigen, über alles was geschehen ist, in keinem Fall viel zu sprechen, weder bei positivem noch bei negativem Ausgang. Es würde uns ja doch niemand Beweggründe, Methoden, tatsächliches Tun usw. abnehmen, wenn es ihm nicht in seine Anschauung hineinpassen würde – meinte Leber. Und so ist es.“ 316 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 148. 317 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 425. 318 Zimmermann, Haubach 2004, S. 382. 319 Zimmermann, Haubach 2004, S. 382. 320 Ullrich, Kreis 2008, S. 46; vgl. Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 169.: Nach seiner Entlassung 1937 baute sich Leber als Teilhaber einer Kohlehandlung in Berlin-Schöneberg eine neue Existenz auf. In der Hinterstube des Geschäfts trafen sich oppositionelle Sozialdemokraten zu geheimen Beratungen, hier besaß, wie Theodor Heuss bemerkte, die politische Leidenschaft eine Herberge. 321 Beck, Julius Leber, in: Lill 1994, S. 153. 322 Sänger, Fritz. Brief an Roon, 03.05.1963, IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 1. 65 Beschreibung des Kreisauer Kreises

fangen gehalten, davon ein Jahr lang in einer Dunkelzelle. Er hat noch in der Weimarer Zeit einen erbitterten und oft hoffnungslos erscheinenden Kampf gegen Parteienge und Bürokra- tie geführt, wollte die SPD erneuern und ging immer von neuem gegen deren Vorstellung von Massenherrschaft an. Ihm kamen die Parteien wie „Gewichtssteine an der Lebenswaa- ge der Regierung“ vor; er sah und bekämpfte die Herrschaft der Organisationen und Sekre- tariate, fand, daß die eigentlichen Machthaber, auch in der Opposition, ihren Einfluß ano- nym und ohne sichtbare Verantwortung hinter geschlossenen Konferenztüren ausübten, und wollte dagegen „kämpferische Persönlichkeiten“ ausbilden und als Erzieher des Volks unter Umständen auch gegen dessen Neigungen handeln. Leber war gegen die marxistische Theorie des Klassenkampfes. Als Sozialist glaubte er an die Möglichkeit einer sozialen Umformung, die nicht länger „den Besitz zum Fundament aller sozialen Geltungen und Wertungen erhebt“. Er war innerhalb des Widerstands wohl der entschiedendste und auch ausgesprochenste Gegner von Goerdeler, dessen ewige Memoranden und Programme ihn nur reizen konnten. Umso stärker wurde er von Stauffenberg gestützt, der an ihm neben der großen Energie die Besonnenheit und politische Erfahrung des Älteren schätzte.323 Freya von Moltke und Marion Yorck zu Wartenburg bezeichneten in ihrer Aufzeich- nung324 vom 15. Oktober 1945 Leber als die stärkste Potenz unter den Sozialdemokra- ten und stellten fest: „Freisler, der Chefpräsident des VGH, nannte ihn den Lenin der deutschen Arbeiterbewegung. Auf der Höhe des Lebens, leiderprobt durch jahrelange schwere KZ-Haft, strahlte seine Person den Willen zur Tat und die Bereitschaft zur Übernahme höchster Verantwortung aus.“ Am 02. Januar 1944, also kurz vor seiner Verhaftung am 19. Januar, schrieb Moltke an Freya über Leber: „Er ist ein überzeugen- der Mann, der allerdings jetzt, wo Carlo [Mierendorff; A. d. V.]325 fehlt, doch sehr ein- seitig im rein Praktischen ist und die geistigen Kräfte sehr viel geringer wertet als ich.“326

Gleichwohl war Moltke nachdrücklich bemüht, mit Leber einen führenden Repräsentan- ten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung zu gewinnen und ihn auf das Kreisauer Programm einzuschwören, insbesondere, nachdem Mierendorff Ende 1943 bei einem Bombenangriff umgekommen war. Indessen blieb Leber zunächst eher ein Außenseiter. „Leber bewahrte sich gegenüber dem Kreisauer Kreis stets eine unabhängige Haltung. Moltke, der von Lebers Persönlichkeit aufs stärkste beeindruckt war und dessen ‚unge- heure Aktivität’ hervorhob, spürte eine starke persönliche Zurückhaltung und eine ge- wisse Distanz in der Sache.“327 Moltke mag es erstaunlich gefunden haben, wie Leber328 in kürzester Zeit in Schlüsselstellungen kam, welche Redebegabung und Führerbefähi- gung er hatte, wie schnell er Kontakt zu den Massen, die er nicht fürchtete, bekam. Le-

323 Boveri, Verrat 1956, S. 77. 324 Yorck, Marion/Moltke, Freya. Ausführungen über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10. 1945. BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Blatt 48c-d. 325 Mierendorff war am 04.12.1943 bei einem Bombenangriff auf Leipzig umgekommen. 326 MB (02.01.1944) S. 583. 327 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 9, Einführung von Mommsen. 328 Beck, Leber Sozialdemokrat 1982, S. 12. 66 Beschreibung des Kreisauer Kreises bers Abneigung gegen politisches Theoretisieren wurde aufgewogen durch seinen aus- geprägten Sinn für politische Machtfragen. Dies drückt auch Beck aus, wenn sie sagt:

Mit Leber stieß ein Berufspolitiker zu den Widerstandsgruppen, dessen Politikverständnis von Pragmatismus geprägt war. So bildete er als Person eine Ergänzung und ein Korrektiv für die überwiegend mit Planungen für die künftige Ordnung eines nachnationalsozialisti- schen Deutschland sich befassenden Gruppen um Moltke und Goerdeler.329

Mit diesen „Freunden“ konnten Moltke und Yorck ihr ehrgeiziges Programm bestreiten. Damit war sowohl der Einbau der Arbeiterschaft als auch der großen Kirchen, der bei- den tragenden Säulen des „neuen“ Deutschland, in die Kreisauer Planung geschaffen. Darüber hinaus bestand Fachwissen in Staats- und Verwaltungsrecht, in Volkswirtschaft und in der Diplomatie.

Diese Konstellation wird mithilfe der Netzwerktechnik in der folgenden Abbildung vi- sualisiert, in der die einzelnen Kreisauer nach dem Zeitpunkt des Zusammentreffens eingeordnet sind, wobei die äußeren konzentrischen Kreise die spätere Zeit darstellen.

Abbildung 1: Werden des Kreisauer Kreises

Die Abbildung verdeutlicht das zeitliche Entstehen des Freundeskreises. Das ego stellt Moltke dar, dem Yorck 1940 hinzutritt. Zeitlich am frühesten und gelb markiert sind die Freunde aus der Löwenberger und schlesischen Zeit angeordnet, eine gelbe Markierung erhielt auch Haubach, den Moltke bereits 1938 bei Borsigs traf. Kam kein dauerhafter Kontakt bei dieser frühen Begegnung zustande und wurde der Kontakt erst später wie- der aufgenommen, dann erscheint der Akteur in der Abbildung zweimal.

329 Beck, Julius Leber, in: Lill 1994, S. 153. 67 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Mit Schulenburg und Guttenberg wurden zwei Bekannte Moltkes als „Vermittler“ auf- genommen, die nicht dem Kreisauer Kreis angehörten, ihm aber nahestanden. Die er- neute spätere Kontaktaufnahme gilt auch für das alter ego Yorck, mit dem Moltke ver- wandt war und den er seit den Löwenberger Tagen kannte, ohne nähere Beziehungen zu ihm entwickelt zu haben. Diese entstanden erst durch Vermittlung von Fritzi Schulen- burg 1940. Die Vermittlung geht immer von innen nach außen. Auffallend ist die Mul- tiplikationstätigkeit von Reichwein und besonders von Einsiedel.

Aus der Abbildung wird deutlich, wie stark die Kreisauer aus der Zeit der Löwenberger Arbeitslager vertreten sind, nämlich sieben der 18 alteri. Wie später noch zu zeigen sein wird, heißt das aber nicht, dass diese Freunde aus Schlesien aufgrund der langen Be- kanntschaft zu den Wirkmächtigsten zählten. Als Geburtsstunde des Kreisauer Kreises wird, wie schon erwähnt, in der Literatur gemeinhin die Diskussion Moltkes über das Wesen des Staates mit Yorck und Gablentz Anfang 1940 angenommen. In diese An- fangszeit bis 1941 fallen auch die Kontakte mit Trott, Haeften, Rösch, Mierendorff, Steltzer und Poelchau. 1942 wurde dann der Kontakt zu den wichtigen Kreisauern Gers- tenmaier, Haubach, Delp und König hergestellt.

Roon unterteilte das Wirken des Kreisauer Kreises in sechs Phasen. Von Mitte 1938 bis Mitte 1940 sieht er die Bildung von Gruppen um Moltke und Yorck sowie Auslands- sondierungen (Trott), in der zweiten Hälfte 1940 finden die Grundlagendiskussion Moltke – Yorck – Einsiedel – Gablentz und die erste Wochenendbesprechung in Krei- sau statt. Darauf folgt die Phase Ende 1940 bis Ende 1941, in der die Fühlungnahme mit Repräsentanten der Kirchen (Preysing, Rösch, Poelchau) und der Sozialdemokraten (Mierendorff, Haubach) erfolgt und die Kontakte erweitert werden (Haeften, Peters). Ende 1941 bis Mitte 1943 beginnt dann die programmatische Phase der Programmbe- sprechungen mit der kirchlichen Seite (Gerstenmaier) und den Sozialdemokraten (Mie- rendorff und Haubach), dann folgen zwei Kreisauer Tagungen mit agrarpolitischen Be- ratungen, die Erarbeitung der „Grundsätze für die Neuordnung“ und die Verbindungs- aufnahme mit Alliierten und besetzten Gebieten. In der zweiten Hälfte 1943 finden die organisatorische Phase mit der Benennung der Landesverweser und die Türkei-Reisen Moltkes statt.330

Diese Phasen spiegeln sich auch in dem Zeitpunkt des Hinzutretens der einzelnen Kreisauer zum Freundeskreis wider. Dieser wird schließlich abgeschlossen durch die

330 Roon, Zur Einführung 1985, S. 5. 68 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Kontakte mit Leber. Leber nahm an den Diskussionen um das Grundlagenprogramm, die im August 1943 abgeschlossen wurden, wahrscheinlich nicht mehr teil. Moltke, wie später auch Stauffenberg, schienen von Leber fasziniert gewesen zu sein und sahen in ihm einen wichtigen Mitkämpfer für die Zukunft.

2.3.2 Charakterisierung der Akteure

Nachdem die Mitglieder des Kreisauer Kreises identifiziert wurden und sein Werden beschrieben wurde, erscheint es im Hinblick auf die Tatsache, dass eine Vergemein- schaftung umso schwieriger ist, je unterschiedlicher die Persönlichkeiten sind, von Inte- resse zu versuchen, die Charaktere der Mitglieder kurz nachzuzeichnen. Aufgrund der Quellenlage kann allerdings bei der Charakterisierung der Akteure nur schwer ein in allen Aspekten authentisches Bild gezeichnet werden. Als glaubwürdigste Quellen kön- nen Moltkes briefliche Äußerungen an seine Frau über seine Freunde und, bei richtiger Interpretation, die des Kaltenbrunner Berichts gelten. Problematisch sind hingegen die Charakterisierungen von Angehörigen, Weggefährten, Zeitgenossen und Kreisauern über ihre Freunde, besonders wenn diese posthum abgegeben wurden Die Urteile der Zeitzeugen und Angehörigen mögen angesichts der gebrachten Opfer der Kreisauer auch hagiographische Züge haben. Auf diese Quellen wurde aber nicht verzichtet, um die Unterschiedlichkeit und Farbigkeit dieser Charaktere herauszuarbeiten.

Moltke wird in dem ersten umfassenderen englischen Werk über ihn von Balfour und Frisby331 fast als Pessimist bezeichnet, da er meistens das Schlechteste erwartete und sich darauf auch vorbereitete. Von seinen Mitarbeitern, deren Fähigkeiten er vertraute, verlangte er viel, ohne autoritär zu sein, denn er respektierte deren Freiheit und Eigen- art. Viel Menschenkenntnis allerdings wird ihm erstaunlicherweise nicht nachgesagt, da er Menschen, die er mochte, zuweilen überschätzte.

Über seinen Intellekt, seinen Kunstverstand und seine Arbeitsökonomie wird Folgendes berichtet:

While he had an extremely good intellect, he was not in the normal sense of the word an in- tellectual. Without being a Philistine, he had no particular artistic or creative gifts. His abilities were practical rather than speculative. He could analyse soundly and fast, pick up the essence of each question in a short time and deploy accurately the relevant facts. This made him a good lawyer, with a grasp of principle and a care for detail.332 In der deutschen Ausgabe unter Mithilfe Freya von Moltkes wurde hinzugefügt:

331 Balfour, A leader 1972, S. 46. 332 Balfour, A leader 1972, S. 46. 69 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Seine Ratschläge waren treffend. Es war ihm selbstverständlich, Verantwortung zu tragen und Initiativen zu ergreifen […] Mit 22 Jahren wirkte er wie ein Mann in der Mitte des Le- bens. Danach wurde er von Jahr zu Jahr „jünger“. Er verstand es, ein Ziel zäh und energisch zu verfolgen, alle Möglichkeiten, die sich ihm boten auszunutzen, dabei ganz ohne Ehrgeiz und vollkommen unabhängig vom Urteil anderer Menschen über ihn. […]. Organisation und Verwaltung waren seine Sache, und seine auffallendste Gabe war die Arbeitsökonomie. Er bewältigte erstaunlich viel und hatte immer Zeit.333 Im Umgang mit ihm angenehmen Menschen konnte er gesprächig, heiter, ja lustig sein. Frauen waren für ihn gleichberechtigt, was wohl auf den Einfluss seiner Mutter und seiner Schwester zurückging. Er konnte aber auch sehr schweigsam sein und das, was ihn im Innersten bewegte, für sich behalten, was ein Gefühl der Distanz sogar bei den Leuten entstehen ließ, denen gegenüber er Zuneigung empfand. Fernerstehende schüch- terte er oft unbeabsichtigt ein, da er „zurückhaltend, undurchsichtig, manchmal ein we- nig merkwürdig sein konnte und viele nicht recht wussten, was sie mit ihm anfangen sollten. Darum wurde er für kühl und intellektuell, ja für hochmütig gehalten, was alles nicht zutraf.“334 Kennan, der Moltke sehr gut kannte, hat ihn in seinen Memoiren einge- hend charakterisiert. George Kennan war der Erste Sekretär des US-amerikanischen Geschäftsträgers Alexander Kirk, der, als er im Oktober 1940 Berlin verließ, seine Be- ziehungen zu Moltke an Kennan weitergab:

A tall handsome, sophisticated aristocrat, in every sense a man of the world, Moltke was also, at the same time, everything that by logic of his official environment he might have been expected not to be: a man of profound religious faith and outstanding moral courage, an idealist, and a firm believer in democratic ideals. […] I consider him, in fact, to have been the greatest person, morally, and the largest and most enlightened in his concepts, that I met on either side of the battle lines in the Second World War. Even at that time – in 1940 and 1941 – he had looked beyond the whole sordid arrogance and the apparent triumphs of the Hitler regime; […]. [He was] preparing himself – as he would eventually have liked to help prepare his people – for the necessity of starting all over again, albeit in defeat and humiliation, to erect a new national edifice on a new and better moral foundation.335 Steinbach betonte Moltkes unkorrumpierbare Unabhängigkeit, „die ihn als Sinnbild einer Distanzierung von seiner Zeit gelten ließ, die davor bewahrt, in der Zeit der mo- dernen Diktaturen schuldig zu werden, weil man sich in den Schlingen verfängt, die aus dem Nebeneinander von Kooperation und Konfrontation resultieren.“336

333 MBF S. 52. 334 MBF S. 53. 335 Kennan, Memoirs 1967, S. 121. 336 Steinbach, „Wir werden gehenkt, weil wir gedacht haben“ 1993, S. 37. Siehe auch die umfangreiche Charakterisierung Peters‘, der Moltke als einen überaus charakterfesten Menschen von tiefer ethischer Fundierung und weit überdurchschnittlicher Klugheit und Güte schätzte. Aber er sagte auch: „Nach meinem Gefühl war Moltke etwas versponnen und weltabgewandt, hatte zu wenig Verständnis für die verbreiteten menschlichen Schwächen, wirkte auf Fremde allzu kühl. Er blieb stets recht verschlossen und hatte wenig Sinn für Humor und die kleinen irdischen Lebensfreuden. Sein starker englischer Einschlag ließ ihn stets als recht steif erscheinen. Ich habe ihn nie völlig aus sich he- rausgehen sehen; dagegen konnte er schweigen wie – ein Moltke“; in: Peters, Hans: Erinnerung an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 2. 70 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Die wohl einfühlsamste Charakterisierung stammt von dem Publizisten Rudolf Ludwig August Martin Pechel, der zwar von Moltkes Arbeit wusste, ihn aber erst im Gestapo- Gefängnis des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück337 kennenlernte, als beide schon ihre Freiheit verloren hatten:

Niemals kann ich den starken Eindruck seiner Persönlichkeit vergessen, die vielen der Mit- häftlinge Stärkung brachte durch sein menschliches Verständnis, seine Hilfsbereitschaft, seine helle Skepsis gegen alle menschlichen Dinge, die aus seinem Beheimatetsein in einem höheren Reiche begründet war und ihn oft schon abgelöst von dieser Welt erscheinen ließ. Es lag etwas Schwermütiges über ihm. Selten im Leben ist mir der Begriff der Unbe- rührtheit eines Menschen durch andere so deutlich geworden wie am Beispiel Moltkes.338 Eine andere Mitgefangene in Ravensbrück, Isa Vermehren,339 bezeichnete ihn als „scheu, zugleich als ungemein höflich, sehr zuvorkommend, aber immer sehr be- herrscht.“340

Wie anders ist jedoch die Einschätzung des VGH vom 10. Januar 1945. Sie bezeichnet ihn im Prozessbericht „als vom Defaitismus völlig zerfressen, dabei ein ungewöhnliches Charakterschwein. Niederdrückend nur, daß er Graf Helmuth von Moltke hieß.“341

Hinsichtlich Peter Yorck von Wartenburg beklagte Eugen Gerstenmaier mit Blick auf die breite, nur noch schwer überschaubare Literatur über das andere Deutschland in seinem Lebensbericht, dass dessen Bild unangemessen überdeckt sei. „Yorcks tatsächli- cher Beitrag zum Stoß gegen den Unmenschen ist größer, als er auch in der Fachlitera- tur, selbst in der Literatur über den Kreisauer Kreis, erscheint.“342 Moltkes bald nach Kriegsende in England und Deutschland publiziertes Märtyrerbild habe Yorck über- strahlt. In kurzer Form hat Yorcks Freund Martin von Katte ihn treffend charakterisiert: „Sehr geschlossene Persönlichkeit, vielleicht deshalb eine der lautersten, der ich im Le- ben begegnet bin. Hohes Ethos, zu Kompromissen nicht geneigt, positive Intelligenz, Humor nicht ohne Schärfe. Gesellschaftlich abwägende Zurückhaltung. Und erlauben

337 Moltke, Land der Gottlosen 2009, S. 324. Rudol Pechel (1882-1961), Schriftsteller, vom VGH freige- sprochen. 338 Pechel, Deutscher Widerstand 1947, S. 115 f. 339 Moltke, Land der Gottlosen 2009, S. 148. „Isa Vermehren (1918-2009), Kabarettistin in Berlin, zum Katholizismus konvertiert, in Sippenhaft wegen ihres Bruders Erich, der als Mann der Abwehr in Istanbul mit seiner Frau Gräfin Elisabeth von Plettenberg zu den Engländern übergelaufen war. Ab 15.04.1944 im Zellenbau in Ravensbrück.“ 340 Geyken, Freya 2011. 341 Prozessbericht vom 20.07. an den Leiter der Parteizentrale, Martin Bormann, über die Verhandlung am 10.01.1945; 5. Moltke, mit Vermerk „Dem Führer vorgelegt am 11.1.“. BDC, NS 6/20 fol. 1, S. 4. 342 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 183; Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 224. Ger van Roons „Neuordnung im Widerstand“ sei mehr eine Biographie Helmuth von Moltkes als eine streng historische Monographie über den Kreisauer Kreis geworden. 71 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Sie mir den Ausdruck: preußischer Charme.“343 „Peter Yorck“, so charakterisierte ihn Harald Poelchau,

… der zurückhaltende, leise sprechende […] taute erst nach einer Weile auf und überrasch- te dann durch die Schärfe seiner pointierten Redeweise. Er wirkte nicht so in der Öffent- lichkeit wie Helmuth v. Moltke. Er lebte mehr der persönlichen Besinnung und für den Kreis seiner Freunde. Und er war stark mit seiner Heimat verbunden.344 Horst von Einsiedel wird beschrieben als ein intelligenter, froher und freier Mensch mit viel Humor.345 Eduard Waetjen, ein Freund Moltkes und Trotts aus der Abwehr, sagte von ihm:

Einsiedel war ein hervorragender Kenner der Wirtschaftsverwaltung. Er war von brillanter Intelligenz. Es gab keinen unter uns, der sich nicht mit ihm befreundet gefühlt hätte. Doch das hervorragendste Merkmal Einsiedels war seine Bescheidenheit und seine Auffassung von der Notwendigkeit des Dienens. Er hatte die Eigenschaft eines „first class second man“. Eine Eigenschaft, die im deutschen Volke höchst selten ist. Wo sie aber auftritt, meint Veranlassung zu bestehen, sie zu unterdrücken, oder in den Schein eines „first man“ zu verwandeln, selbst auf die Gefahr hin, er möge „third class“ sein.346 Freya hebt besonders seine Treue und Hilfsbereitschaft347 hervor, die sie während der Tegeler Gefangenenzeit ihres Mannes erfahren hat, wenn sie sagt: „Einsiedel ist ein treues, gutes Tier.“348

Carl Dietrich von Trotha wurde von Steltzer ein theoretischer Intellektueller genannt und Gablentz sagte von ihm in der Trauerrede 1952:

Er war ein Mensch immer im Aufbruch – zu neuen Aufgaben und vor allem zu neuen Lö- sungen der alten ungelösten Aufgaben. Und darüber schwebte ihm meist unbewusst, oft gegen seinen Willen, eine fertige Weisheit des alten Geschlechts, eine Würde, die es un- möglich machte, dass jemand ihm zu nahe trat – ja die ihm manchmal schmerzlich ver- wehrte, dass er den Menschen so nahe trat, wie er gerne wollte.349 Adolf Reichwein, bis 1933 Professor der Pädagogischen Akademie in Halle, wird wie folgt beschrieben: „Ein Sozialist, dem der Sozialismus weniger eine politische als eine Gewissensfrage war. In seiner Mischung von einer leuchtenden Lebendigkeit mit wis- senschaftlichem nüchternem Ernst übte er eine geradezu magische Anziehungskraft aus.“350 Als Pressereferent bei Minister Becker erfuhr er von seinem Stellvertreter und Freund Zierold diese Charakterisierung: „Man fühlte sich immer sofort von seiner Vita- lität angesprungen und mitgerissen; er war federnd, lachend, herausfordernd, kamerad-

343 Katte, Martin: Brief an Roon, 06.04.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 344 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 156. 345 Christiansen-Weniger, Fritz: Brief an Roon, 01.01.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 2, S. 7. 346 Waetjen, Eduard. Brief von 1962, S. 1. IfZ, ZS/A-18, Bd. 9. 347 „Gestern früh [20.12.1944; A. d. V.] kam Einsiedel zum Frühstück und transportierte mir herrlich meinen Koffer, weil ich ja in Lichterfelde abschloß“; in: HFM S. 372. 348 HFM S. 339. 349 Gablentz, Trauerrede für Trotha 1952, S. 1. 350 Leber, Weg 1952, S. 282 f. 72 Beschreibung des Kreisauer Kreises schaftlich warm, von klarem Verstand; aktiv und mit abenteuerlichem Herzen.“351 Su- sanne Suhr, die mit ihm von den Jenaer Jahren bis zur Widerstandszeit in Verbindung war, sagt über ihn:

Ein ungewöhnlicher Mensch, von ungewöhnlichen geistigen und menschlichen Qualitäten. Er ist wohl von allen, die mit ihm in Berührung kamen, so empfunden worden. Das Ge- heimnis der Faszination, die er in einem seltenen Maß ausstrahlte, kann nur hierhin liegen, da ihm jede Spur von Selbstgefälligkeit fehlte.352 Der Politikwissenschaftler und Volkswirt Otto Heinrich von der Gablentz muss gegen- über Moltke als sehr eigenständig aufgetreten sein. Am 23. Oktober 1942 schrieb dieser an seine Frau, dass er mit Gablentz essen gehen wolle. „Ich will ihn, der in den letzten 2 Monaten außen vor gestanden hat, jetzt wieder einbeziehen und muss sehen, ob das ge- lingt.“353 Es dürfte nicht gelungen sein, denn Moltke schrieb am 24. Oktober:

Gestern war Gablentz da. Der Versuch, ihn einzuspannen, ist jedoch vollständig miss- glückt. Er ist schon ein rasend sturer Mann und verbohrt in irgendwelche Theorien, die schlechthin absurd sind. Das Schlimme ist, daß er sie dann auch noch theologisch begrün- det, und das ist wirklich mehr, als man ertragen kann.354 Auch wenn dies nach Entzweiung aussah und Gablentz nicht mehr seine Anfangsrolle spielte, berichten die Briefe Moltkes, dass Gablentz am 05. April 1943 bei ihm aß.355

Auf Hans Peters finden sich in den Briefen an Freya kaum persönliche Hinweise. Man findet meist nur floskelhafte und wenig aussagekräftige Bemerkungen wie: „Peters war so voller Unschuld wie immer“, oder: „Er ist ja doch ein netter Mensch.“356

Von allen Kreisauern hatte Hans Lukaschek die größte berufliche Erfahrung vor 1933 und die bedeutendste politische Laufbahn hinter sich. Mit 53 Jahren war er der Älteste im Kreisauer Kreis und Experte für die Kreisauer Verfassungs- und Verwaltungsreform. Lukaschek werden von seinem langjährigen Freund und Weggefährten Husen ausge- prägte Ordnungskategorien357 und standfeste Härte zugeschrieben, die ihm bei aller Gü- te und Form nicht fehlte.358 Husen beschrieb weiter, dass er in grundsätzlichen Fragen keine Kompromisse kannte, wie die Zeit der Hitlerdiktatur erwiesen habe. Die Stärke seiner Politik habe darin bestanden, mit dem Gegner die beiderseitigen Positionen und Motive abzugrenzen, um bei Unvereinbarkeit ein möglichst friedliches Zusammenleben

351 Zierold, Kurt: „Erinnerungen an Adolf Reichwein“, Anlage des Briefes vom 31.12.1958. BBF/DIPF/Archiv, Reich 385, S. 1. 352 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 252 f. 353 MB S. 423. 354 MB S. 424. 355 MB S. 465. 356 MB S. 139, S. 470. 357 Husen, Lukaschek, in: Hupka 1985, S. 299. 358 Husen, Paulus van: Nachruf auf Lukaschek 1955, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 73 Beschreibung des Kreisauer Kreises in Achtung und menschlichem Vertrauen zu versuchen.359 Seine kompromisslose Hal- tung gegenüber Hitler habe er dadurch gezeigt, dass er sich trotz Görings Lockungen und dann Drohungen weigerte, die Zentrumszeitung „Oberschlesische Volksstimme“ zu verbieten. Den Abend vor seiner Fahrt in das Führerhauptquartier zu seinem ersten Ver- such des Unternehmens habe Graf Stauffenberg mit Yorck, Husen und Lukaschek in dessen Hause verbracht und von dort aus seine schicksalsträchtige Fahrt angetreten.360 Das zeigt die Unerschrockenheit Lukascheks,

Carlo Mierendorff muss in der entscheidenden Nachtsitzung am 09. August 1943, in der die Planungsgrundsätze der Kreisauer verabschiedet wurden, eine entscheidende Rolle gespielt haben, denn Moltke berichtete am 10. August seiner Frau:

Friedrich [Mierendorff; A. d. V.] war in ganz großer Form: klar entschieden, klug, taktvoll, witzig, und in dieser Nachtsitzung […] wurde die Lücke, die der Onkel [Leuschner; A. d. V.] gerissen hatte, geschlossen, indem Friedrich dafür gesorgt hatte, daß dessen Ge- nossen mit ihm zu uns gingen und den Onkel allein liessen […]361 Mierendorff galt bei seinen Freunden als lebenshungriger und genussfreudiger Mann, der die Künste und die Frauen liebte. Er trank und feierte gern.362 „Carlo hatte ein ganz ungewöhnliches Mass an Lebensfreude – Freude nicht am stillen Genuss, sondern an der Tätigkeit, dem positiven Wirken.“363 Von seinen Freunden wurde Mierendorff, als er im Dezember 1943 bei einem Bombenangriff in Leipzig getötet wurde, posthum so charakterisiert: „Der Reiz seiner Persönlichkeit lag in der Tausendfältigkeit seiner Na- tur. Liebenswürdig und unerbittlich, skeptisch und jugendlich-unbekümmert, roman- tisch-genial und politisch-taktisch sah er kein Ziel zu nahe und kein Ufer zu fern.“364 Trott war von der „urwüchsigen, überzeugungstreuen und standhaften Persönlichkeit Mierendorffs“ beeindruckt und hielt ihn für „eine der stärksten Potenzen“365 unter den jüngeren Sozialdemokraten.

Über Theodor Steltzer heißt es in der 2009 erschienenen Biographie, dass er im Kreis- auer Kreis das Milieu fand, das er schätzte:

… eine kleine Gruppe von „Persönlichkeiten“, […] die konspirativ Zukunftspläne disku- tierten, elitär, intellektuell hochkarätig, insgesamt von ihm moralisch anerkannt. Er über- trug das Muster seiner politischen Hintergrundtätigkeit in der Weimarer Republik bruchlos auf die Situation des politischen Untergrundes im Dritten Reich. Kreisau als die Fortset-

359 Husen, Lukaschek, in: Hupka 1985, S. 299. 360 Husen, Lukaschek, in: Hupka 1985. S. 302. 361 MB S. 523. 362 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 366. 363 Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270. 364 Leber, Weg 1952, S. 282. 365 Conrad, Helmut: Brief an Roon, 16.01.1964, IfZ, ZS/A-18, Bd. 2. 74 Beschreibung des Kreisauer Kreises

zung seiner Leidenschaft für „Denkschriften“ und Wirken „im kleinen Kreis“ unter anderen Gegebenheiten.366 Adam von Trott zu Solz war der Jüngste unter den Kreisauern, doch wirkte er aufgrund seiner Weltläufigkeit und diplomatischen Erfahrung reifer, als sein Alter vermuten ließ.367 Zeller betonte, dass er den immer wachen unerbittlichen Antrieb des Fragens, die „Unrast des Nicht-stehenbleiben-Wollens und das starke Ranggefühl einer eingebo- renen Bestimmung“ der ihm besonders nahestehenden Mutter schuldete.368 Die „tiefe Liebe“ zu seinem Vaterland verdankte er nach seinem Brief vom 15. August 1944 sei- nem Vater, dem ehemaligen preußischen Kultusminister.369 Nach Pechel war Trott cha- rakterisiert durch außergewöhnlich rasche Auffassungsgabe, vereint mit großer Sensibi- lität.370 Die Frau Julius Lebers, Annedore, hob seine ungewöhnliche geistige Regsam- keit und kühnen Ideen hervor.371 Tatiana und Marie Wassiltschikow beschrieben Trotts Charakter aus erster Hand, da sie mit ihm in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes zusammenarbeiteten:

Obgleich seine freie, unbekümmerte Art fälschlicherweise für Arroganz gehalten wurde, fühlte man sich in seiner Gegenwart immer wohl, wenn auch aufgerufen, sein Bestes zu ge- ben. Im Umgang mit Menschen war er geradeheraus; er konnte sehr aufmerksam zuhören, um den Unterton in den Äußerungen seines Gesprächspartners herauszuspüren. Wenn er bei seinen Sondierungen nicht vorwärts kam, stellte er mit freundlicher Stimme ironische Fragen. Seine Vorgesetzten behandelte er mit Herablassung, fürchtete sich auch nie, seine Meinung frei auszusprechen.372 Klemperer geht auf die beträchtlichen Temperamentunterschiede zwischen Trott und Moltke ein: „Moltke zeichnete sich durch Gelassenheit, Nüchternheit und Selbstsicher- heit aus, Trott dagegen war impulsiv, phantasievoll, immer um Klarheit bemüht.“373

Hans-Bernd von Haeften wurde von Marion Yorck nicht so sehr als Mensch starker äußerer Konturen gesehen. Fesselnd seien vielmehr bei seiner zarten Konstitution seine Augen, die die Empfindsamkeit seiner Seele und seines Gewissens verrieten. Im Kon-

366 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 107. 367 Ullrich, Kreis 2008, S. 41. 368 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 146. 369 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 209 f., aus dem Brief Trotts vom 15.08.1944 nach der VGH-Verhandlung an seine Frau Clarita: „Du […] wirst wissen, dass mich am meisten schmerzt, unserm Land die besonderen Kräfte und Erfahrungen, die ich in fast zu einseitiger Konzentration auf seine außenpolitische Behauptung unter den Mächten in mir ausgebildet hatte, nun vielleicht nie mehr dienend zur Verfügung stellen kann. Hier hätte ich wirklich noch helfen und nützen können. […] Es war alles ein aus der Besinnung und Kraft unserer Heimat, deren tiefe Liebe ich meinem Vater verdanke, aufsteigender Versuch, ihr in allen modernen Wandlungen und Erschwerungen unwandelbar bleibendes Recht und ihren tiefen, unentbehrlichen Beitrag gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten und zu vertreten.“ 370 Pechel, Deutscher Widerstand 1947, S. 119. 371 Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf 1984, S. 183 f. 372 Metternich, Bericht eines ungewöhnlichen Lebens 1976, S. 116 f. 373 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 59. 75 Beschreibung des Kreisauer Kreises trast dazu habe er einen ausgeprägt scharfen Verstand und eine Begabung zur Dialektik gehabt.374 Haeften wird „ein fast überzartes Gewissen gegen sich selbst und die Widrig- keiten der Welt“375 nachgesagt. „Die Festigkeit seines Charakters und die klare Linie seiner Lebensführung bei einer Kopf und Herz verbindenden Klugheit gaben ihm seinen Rang unter den Freunden.“376 Am 15. Mai 1941 schrieb Moltke an seine Frau:

Die Unterhaltungen mit Trott und Haeften waren sehr befriedigend. Haeften ist ein guter aber sehr konservativer Mann […]. Bei der letzten Besprechung hatte ich sie beide nicht so recht überzeugt oder für meine Linie gewonnen. Aber gestern abend hatte ich einen guten Tag und habe Haeftens Schale spielend durchstossen […]. Es ist eine große Anstrengung, solche Leute für die „große Lösung“ zu gewinnen […] Ist es einem dann aber ein Mal ge- lungen, dann hat man auch einen zuverlässigen Wegbegleiter – ich meine Haeften.377 1946 charakterisierte ihn sein Freund Böhm378 aus Wien:

Haeften war ein starker Intellekt, ein ausgesprochen kluger Mann, ein grosser Könner und Schätzer schlüssigen, formal-logisch sauberen Denkens, aber auch begabt, aus vielen Ein- zelheiten ein Gesamtbild synthetisch zusammenzufügen. Seine Urteile waren zumeist schwer erkämpft, lang und gewissenhaft überlegt, sie brauchten oft eine beträchtliche Rei- fezeit, aber sie waren dann, einmal fertig, unumstösslich, und vor allem, sie schlossen im- mer einen Imperativ für das Handeln ein; mit bloßen Analysen, zu nichts verpflichtend, gab sich Haeften nie zufrieden.379 Harald Poelchau traf zusammen mit Einsiedel erstmalig am 23. September 1941 mit Moltke zusammen. Über dieses Abendessen berichtete Moltke am 24. September seiner Frau:

Gestern abend hatte ich eine sehr interessante Unterhaltung mit Einsiedel & Poelchau. P. hat mir sehr gut gefallen: jung, aufgeschlossen und einsatzfähig. Wie ein Mann, der Woche um Woche vielen Hinrichtungen beiwohnt, seine seelische Eindrucksfähigkeit und seine Nerven behalten kann und dann noch gut gelaunt sein kann, ist mir ein Rätsel.380 Freya von Moltke hob Poelchaus nicht nachlassende Hilfsbereitschaft in einer Charakte- risierung aus dem Jahre 1985, die sich in ihrem Nachlass fand, hervor: „Er ist ein heite- rer, freundlicher, ganz unfeierlicher Mann, zum Lachen eher aufgelegt. […] Er hatte eine nüchterne, ganz unsentimentale Art, er war so ganz und gar das Gegenteil von sal- bungsvoll und hinter seinen blauen Augen saß Lustiges.“ Im Hinblick auf die vielen Rat suchenden Frauen der Häftlinge sagte Freya: „Dabei war Poelchaus nüchterne, sachli-

374 Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf 1984, S. 161. 375 Zeller:,Geist der Freiheit 1965, S. 146. 376 Pechel, Deutscher Widerstand 1947, S. 119. 377 MB S. 244. 378 Böhm war von 1928 bis zur Einstellung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1941 Redakteur der katholischen Wochenzeitschriften „Schönere Zukunft“ und „Hochland“. Nach der Inhaftierung des Chef- redakteurs Friedrich Funder im März 1938 wurde Anton Böhm von den Nationalsozialisten mit der kommissarischen Leitung der christlichen Wiener Tageszeitung „Reichspost“ beauftragt; die Zeitung wurde im September 1939 durch das NS-Regime eingestellt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Anton Böhm Mitherausgeber der Monatszeitschrift „Wort und Wahrheit“, die sich für die Moder- nisierung der katholischen Kirche einsetzte.1963 wurde Böhm Chefredakteur des „Rheinischen Merkurs“. 379 Böhm, Skizze 1946, S. 12 f. 380 MB (24.09.1941) S. 291. 76 Beschreibung des Kreisauer Kreises che, trockene und doch sehr mitfühlende Weise äußerst wohltuend. Er machte uns allen nichts vor und doch ging Kraft und Zuversicht von ihm aus.“381

Augustin Rösch, „der oberste Jesuit der Jesuiten-Provinz München“382, wurde, wie be- richtet, von Guttenberg in Kontakt mit Moltke gebracht. Moltke „freute“ sich, „mit dem stärksten Mann des Katholizismus in Deutschland“383 zusammenarbeiten zu können. Husen beschrieb in seinen Lebenserinnerungen Rösch und Delp: Bei der Mitarbeit der Jesuiten repräsentiere „Pater Rösch Herz, Seele und Willen zum Handeln, P. Delp das theologische und soziologische Denken.“ Rösch, so Husen, war einer der wenigen Geistlichen, die sich aktiv an Plänen gegen das Dritte Reich beteiligten.384

Delp war „die geistig bedeutendste Persönlichkeit des Kreises“385, so Steltzer. An ande- rer Stelle wird auf seine „behende“, redefrohe, geistreiche Art386 oder auf seinen feuri- gen, mitreißenden Geist387 hingewiesen. Moltke berichtete am 11. Januar 1943 seiner Frau, dass er mit Rösch über Delps Charaktereigenschaften gesprochen habe, was auf Schwierigkeiten, die Moltke eventuell mit Delp hatte, hinweisen könnte. Dieses kriti- sche Gespräch mit Rösch über Delps Charakter bedauerte Moltke später:

Dass [Delp; A. d. V.] in den Jesuitenorden aufgenommen ist, ist mir eine rechte Freude. Nicht nur, weil es gelungen ist, das im Gefängnis zu machen, sondern vor allem, weil ich es ihm Anfang 1943388 verdorben hatte, weil ich Rösch gesagt hatte, ich fände es doch toll, dass ausgerechnet die Jesuiten einen so undisziplinierten Bruder hätten; ich wusste damals nicht, dass Delp noch nicht das große Gelübde abgelegt hatte, und Rösch sagte mir darauf, er werde ihn erneut zurückstellen. Das war ja nicht beabsichtigt.389 Pater König, Professor für Kosmologie, ist vielleicht der Kreisauer, der am meisten unter Wert verkauft wird. Meistens wurde er, wie bereits erwähnt, auch unter Kreisau- ern lediglich als „Kurier“ wahrgenommen.390 Er spielte an der Seite von Pater Rösch im Ausschuss für Ordensangelegenheiten jedoch eine bedeutende Rolle. Dieser Ausschuss sollte nicht nur Orden und Klöster vor der Vernichtung zu bewahren versuchen, sondern auch die Bischöfe in eine Konfrontation mit dem Nationalsozialismus bringen. Diese Verbindung zum Episkopat und auch zum Landesbischof Wurm machte ihn für Moltke

381 HFM S. 571 und 573. 382 MB (15.10.1941) S. 303. 383 MB S. 468. 384 Husen, Lebenserinnerungen 2007. S. 317. 385 Steltzer, Theodor: Handschriftliche Charakterisierung der Kreisauer auf Anfrage von Roon, 18.07.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 386 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 143. 387 Pechel, Deutscher Widerstand 1947, S. 117. 388 Der 02. Februar, Maria Lichtmess, ist mit dem 15. August, Mariae Himmelfahrt, der traditionelle Pro- fesstag des Jesuitenordens. 389 HFM (09.12.1944) S. 303. 390 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 151; Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 227; Stelt- zer, Von Deutscher Politik 1949, S. 73. 77 Beschreibung des Kreisauer Kreises so wertvoll, wie die vielen Treffen Moltkes mit König vermuten lassen. Er mag an Kö- nig dessen Verschwiegenheit, Belastbarkeit, Kühnheit und Entschlossenheit geschätzt haben.391 Die Exegese der Entwürfe zum Passionshirtenbrief 1942 veranlasste Bleistein bezüglich der eingebrachten Veränderungen Königs zu dem Urteil: „Statt frommer Worte Konkretheit, statt sanften Zugehens und Nachgebens ein beharrendes Rechtsbe- wußtsein.“392

Freya von Moltke beschrieb ihre Begegnung mit den drei Jesuiten in einem Brief von 1986:

Ich habe so starke und schöne Erinnerungen an alle drei, an Pater König natürlich am we- nigsten, weil ich ihn am kürzesten und unter weniger starken Eindrücken erlebte, aber auch er war ganz und gar dabei und war weiß Gott alles andere als ein Bote! Dann aber Pater Rösch! Wie stolz wir waren, daß er zu uns nach Kreisau kam und wie sehr er uns beein- druckte. Er erzählte uns, wie man sich bei einem Gestapo-Verhör benehmen müsse; zuerst zu seinem Schutzengel beten, sagte er. Wir fühlten uns doch ihm gegenüber noch als sehr jung. Pater Delp sah ich am häufigsten. Ich machte mir Sorgen um seine Gesundheit, aber er überspielte seine physischen Schwierigkeiten immer mit einer tiefen Begeisterung für was wir zusammen taten! Ich sehe ihn noch an unserem langen Esstisch sitzen und später erlebte ich die Freundschaft im Gefängnis ganz nahe mit.393 Zu Theo Haubach heißt es in dem Epilog der gesammelten Schriften, Reden und Briefe von Julius Leber:

Theo Haubach neigte der philosophischen Lebensbetrachtung zu. Gerade daraus ergab sich für ihn die politische Konsequenz. Sein scharfer Verstand besaß die List der Vernunft. Mit ihr spürte er Dingen und Menschen nach, was oftmals zu einem erstaunenswerten Ergebnis führte. Bis in die Gestapo reichten seine Beziehungen, seine geschickt gezogenen Verbin- dungslinien hinein.394 „Sein scharfer Verstand, seine unstillbare Wissbegierde und seine kristallklare Logik prädestinierten ihn zum Forscher auf jedem geisteswissenschaftlichen Gebiet, das ihn locken mochte“395, hieß es schon von dem Abiturienten Haubach. Mit Mierendorff ver- band ihn seit der Jugend eine überaus enge Freundschaft, sodass man sie die Dioskuren nannte.396 Zuckmayer, der sich mit Mierendorff und Haubach als ehemalige Kriegsteil- nehmer nach Frankfurt gleich nach Kriegsende an der Universität ein- schrieb, charakterisierte Haubach im Gegensatz zu Mierendorff eher als distanziert, kühl und zurückhaltend:

Er war in der Hauptsache Philosoph, ihn beschäftigten Probleme der ästhetischen Kritik und Erkenntnistheorie, später der Metaphysik oder Scholastik. […] Wenn er sein Leben der Politik widmete, die ihn am Ende verschlang, so tat er das in schwerem Entschluss in der

391 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 313-326. 392 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 318. 393 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 261. 394 Leber, Weg 1952, S. 282. 395 Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf 1984, S. 180. 396 Ullrich, Kreis 2008, S. 43. 78 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Erkenntnis der Gefährdung eines neuen Deutschland, für das zu kämpfen er als seine Pflicht empfand.397 Sein Dichterfreund Pohl schrieb jedoch über Haubach „Der Doktor der Philosophie be- saß die Empfindsamkeit der schöpferisch aufgespaltenen und darum leicht versehrbaren Seele. Sie lähmte manches Handeln, ja auch sein körperliches Wohlbefinden. Der Grämlich-Vorsichtige wirkte zuweilen unentschlossen.“ Dies täusche jedoch, denn „Theos Feuer brannte unter der ausgekühlten Lava der Erfahrung lichterloh. Es machte ihn empfänglich für das Leiden in jeder Form, auch für das schwerste des ohnmächtigen Mitleidens, wie es ein Zeichen der Hitler-Herrschaft für die gesunden Menschenseelen war.“398

Haubachs Arbeit fand dadurch Anerkennung, dass Wilhelm Leuschner es durchgesetzt hatte, auf Goerdelers Liste der Schattenregierung Theo Haubach als präsumtiven Minis- ter für Volkserziehung und Propaganda zu nennen. Diese Ministerliste Goerdelers wur- de Haubach zum Verhängnis.399 Von seinem Journalistenfreund Wilhelm Nowack400 wurde Haubach in dessen Nachruf so charakterisiert:

Ruhig, sachlich, kenntnisreich, sehr bewusst und doch von jener inneren Begeisterung, die nicht zum Ausdruck kam und die man doch spürte. Er konnte, wenn wir eine Frage bespra- chen, oft lange schweigend zuhören. Dann nahm er auf einmal die immer qualmende Pfeife aus dem Mund und machte eine kurze Bemerkung. Aber die saß dann auch. Und wie konn- ten seine Persönlichkeit und seine Beredsamkeit in Versammlungen vor allem auf die jun- gen Menschen wirken, die bereit waren, die Republik zu verteidigen.401 Der eigenständige Charakter von Haubach wird auch im Kaltenbrunner Bericht deut- lich, wo es heißt: „Von außergewöhnlich anmaßendem Auftreten. Unecht in Pathos und Gebärde. Dabei robuster Energiemensch. Beifallheischende Großsprecherei.“402

Eugen Gerstenmaier gelang es aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten rasch, zu einem geachteten Mitglied des Kreisauer Kreises zu werden. Moltke charakterisiert Gerstenmaier in einem Brief an seine Frau: „Gerstenmaier ist ein Mann, um den man sich Mühe geben muss, und der nicht von alleine in die Kategorie fällt, die einem passt, aber dafür lohnt es sich auch, und wenn es gelänge, ihn voll zu integrieren, so wäre das

397 Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir 2007, S. 332 f. 398 Pohl, Freund Theo 1955, S. 25 f. 399 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955. S. 81, Fn. 400 Der Journalist Wilhelm Nowack gehörte während der Zeit der Weimarer Republik zu den Mitbegrün- dern des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold und war dessen stellvertretender Vorsitzender im Gau Berlin- Brandenburg. Außerdem schloss er sich der DDP an, die 1930 in der DStP (Deutsche Staatspartei) auf- ging und 1933 durch die Nationalsozialisten aufgelöst wurde. 401 Nowack, Haubach Unvergessen! 1955. S. 36. 402 KBII S. 721. 79 Beschreibung des Kreisauer Kreises ein erheblicher Fortschritt.“403 Wie sehr Moltke den schwäbischen Theologen schätzte, geht auch aus seinem Brief an seine Frau vom 03. November 1942 hervor: „Abends waren Gerstenmaier und ich bei Peter. Es war nicht nur nett, sondern wir haben auch sichtlich beachtliche Fortschritte gemacht. Jedenfalls ist es wirklich erfreulich, was für einen Zuwachs wir mit Gerstenmaier gewonnen haben.“404 In seinem Brief vom 13. November 1942 lobte der Graf die „kristallklare Art“ von Gerstenmaiers „Denkap- parat“, die „jede Unterhaltung doch ganz erheblich“ gefördert habe.405 Sein Beitrag im Verlauf der Kreisauer Treffen wurde von den bei den Besprechungen anwesenden Ehe- frauen Moltkes und Yorcks so eingeschätzt: „Für die Diskussion des Freundeskreises war seine sprungbereite geistige Intensität und sein philosophisch geschulter klarer Ver- stand anregend und belebend.“406

Steltzer hob die Objektivität Paulus van Husens hervor. Als Steltzer wegen seiner 1933 verfassten Denkschrift407 für den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg und sei- ner scharfen Kritik am Nationalsozialismus in ernste Schwierigkeiten geriet und ver- urteilt wurde, stieß er bei der Berufungsverhandlung beim Oberverwaltungsgericht in Berlin auf den Berichterstatter Husen, dessen Darstellung des Falles so objektiv war, dass sie fast wie eine Verteidigung wirkte.408 Bei der Diskussion der von ihm verfassten Weisung für die Bestrafung der Rechtsschänder nahm Husen ein Zitat aus der Rechts- geschichte Englands, das er seit seinem Studium in Oxford hoch schätzte, zu Hilfe, um zu betonen, dass Rädelsführer streng bestraft und die Bevölkerung aber milde behandelt werden sollte.409 Dies zeigt seinen strengen Gerechtigkeitssinn und seine mitfühlende Art.

403 MB (08.09.1942) S. 401 f. Moltke fährt dort fort: „Ich habe die Gelegenheit benutzt, mich über aller- hand Fragen theologischer Dogmatik und der Kirchengeschichte belehren zu lassen, so über die heutige Bedeutung von Tridentinum und Augustana, die Stellung von Karl Barth usw. Es war jedenfalls lehr- reich …“ 404 MB S. 429. 405 MB S. 437. 406 Yorck, Marion/Moltke, Freya. Ausführungen, datiert Kreisau, den 15.10.1945. BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 47b. 407 Steltzer, Theodor: Grundsätzliche Gedanken über die deutsche Führung, in: Alberts, Steltzer Biogra- phie 2009. S. 301-315. 408 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 116. 409 MBF S. 249. Das englische Zitat lautet: „The rule by which a prince ought after a rebellion to be guided in selecting rebels for punishments is perfectly obvious. The ringleaders, the man of rank, fortune and education, whose power and whose artifices have led the multitude into error, are the proper objects of severity. The deluded population, when once the slaughter on the field of battle is over, can scarcely be treated too leniently”; in: Macaulay, Thomas Babington: History of England (1849-61), Vol I, Chap. 10. Dieses Zitat nahm Moltke in seinem zweiten Entwurf vom 23. Juli 1943 in seine „Instruktion für die Verhandlungen über die Bestrafung von Rechtsschändern durch die Völkergemeinschaft” auf; in: Bra- kelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 291. 80 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Seit Sommer 1943 gehörte der einflussreiche SPD- und Arbeiterführer Julius Leber zum Kreis. Damit stieß ein Mann dazu, dessen Politikverständnis geprägt war von poli- tischem Pragmatismus, der laut Dorothea Beck dem Kreisauer Kreis fehlte. Sie weist darauf hin, dass Leber auf den Willen und die Verantwortlichkeit von Führungspersön- lichkeiten, auf ihre Tatkraft und Handlungsbereitschaft baute und dass er den Wert der Persönlichkeit deutlich höher einschätzte als alle Planung. Diese Grundüberzeugung, gewonnen aus der Erfahrung in der politischen Arbeit in den Weimarer Jahren, habe ihn geheißen, Pläne und Personen sorgfältig zu prüfen und im Zweifel die Person zum Kri- terium der Entscheidung zu machen.410 Auf Moltke machte Leber, wie bereits erwähnt, anfangs einen eher bäuerischen411 Eindruck. Es störte Moltke erheblich, dass Leber die „geistigen Kräfte sehr viel geringer“412 wertete als die übrigen Mitglieder des Kreises. Moltke fühlte sich auch Leber viel weniger verwandt413 als Mierendorff. „Leber hatte kaum schöngeistige oder philosophisch-theologische Interessen, über die man miteinan- der absichtslos hätte diskutieren können.“414 Als aber Leber nach dem Bombentod von Mierendorff im Dezember 1943 immer stärker im Kreisauer Kreis in Erscheinung zu treten begann, setzte sich allmählich bei Moltke und den übrigen Mitgliedern des Krei- ses die Auffassung durch, dass man es doch mit einem „überzeugend guten Mann“ zu tun habe, wenn man auch gelegentlich immer wieder beklagte, seine Begabung sei „ein- seitig im Praktischen“415 verwurzelt. Golo Mann nennt Julius Leber den am tiefsten und zugleich am kraftvollsten denkenden Politiker, den unbeugsamsten Kämpfer von An- fang an.416

Die Betrachtung der Charaktere soll abgeschlossenen werden durch eine subjektive, zusammengefasste Beurteilung, die Steltzer 1961 abgab:

Molke: grosse menschliche Ausstrahlung, lebendiger Humanist, sehr intelligent, im Grunde ein Pessimist; Yorck: sehr gebildeter Humanist von konservativer Grundhaltung; Delp: nach meiner Ansicht die geistig bedeutendste Persönlichkeit des Kreises […]; Roesch: Je- suiten Provinzial, überlegene sachliche Persönlichkeit, religiös nicht ganz von der Weite

410 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 171; siehe auch Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 1: „Mierendorff und Leber [standen] turmhoch über dem Niveau der sonstigen SPD-Funktionäre und Abgeordneten. Leber war ein ‚handfester Staatsmann‘, seine wirkliche Persönlich- keit, als solche sofort erkennbar. Er war nüchtern und stand mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Wirklichkeit, während Mierendorffs Schwung diesen leicht von dieser fortriss und gelegentlich zu Phan- tasien beflügelte.“ 411 MB (09.01.1944) S. 588 f. 412 MB (02.01.1944) S. 583. Man nahm wohl im Kreisauer Kreis nicht zur Kenntnis, dass Leber 1920 promoviert wurde mit dem Dissertationsthema „Die ökonomische Funktion des Geldes“. 413 MB (09.01.1944) S. 588 f. 414 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 369 f. 415 MB (09.01.1944). S. 583. 416 Gedekrede von Golo Mann, in: Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 303 81 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Delps; Haubach: ethisch fundierter religiöser Sozialist, sachlich und undogmatisch; Mie- rendorff: temperamentvoller Sozialist mit aktiver sozialdemokratischer Vergangenheit. Neigung zu kurzschlüssigen Lösungen. Trott: sympathischer, gebildeter Mann von grosser Aktivität. Ebenfalls Neigung zu kurzschlüssigen Lösungen. Es gab mit ihm sehr viele Mei- nungsverschiedenheiten. Moltke vermochte sein Temperament zu bändigen; Haeften: ge- bildeter Humanist, etwas schwankend in seinen politischen Ansichten, anfangs sehr für ak- tives Handeln; Gerstenmaier: sehr schwer zu charakterisierender, dynamischer Typ, klug, ehrgeizig, menschlich kontaktarm, nicht sehr beliebt417; van Husen: unpolitischer Typ, an- ständiger Jurist.418 Sich selbst beschreibt Steltzer als „sachlich nüchtern, unvoreingenommen, auf realisier- bare Lösungen bedacht.“ Von Gablentz sagte er, dass er mit ihm befreundet sei, ohne ihn zu charakterisieren. Peters ließ er aus, da er ihn nur einmal getroffen hatte. Leber charakterisierte mit den Worten: „Er nahm [an] den geistigen Problemen wenig Anteil“, und Trotha, wie schon erwähnt, mit der Aussage, dass er ihn für einen theoretischen Intellektuellen halte.419

Im Hinblick auf die zu betrachtende Vergemeinschaftung kann festgestellt werden, dass die Vielfalt der Charaktere nicht größer hätte sein können.

2.3.3 Mitwirkung und Treffen

Nachdem Moltke und Yorck mit der Staatsdiskussion im Januar 1940 sozusagen die Arbeit des Kreisauer Kreises begonnen hatten, trafen sich die Freunde innerhalb des sich bildenden und immer verändernden Kreises nach den Erwähnungen in den Briefen Moltkes an seine Frau Freya ca. 141-mal.420 Obwohl die drei Tagungen auf dem Gut Kreisau herausragten, gab es viele Treffen in Berlin, auf den Landsitzen von Borsig in Groß-Benitz, nicht weit von Berlin, und von Yorck in Klein-Öls in Schlesien sowie in München, meistens bei den Jesuiten. Es wurden sechs Arbeitsgruppen gebildet, die je- weils von Moltke und Yorck geleitet und koordiniert wurden: zu Außenpolitik, Staats- ordnung, Wirtschafts- und Sozialordnung, Agrarordnung, Rechtsfragen sowie schließ- lich zu Kirche, Kultur und Erziehung.421 Diese Phase der Kreisauer Arbeit gipfelte in

417 „Zwischen Gerstenmaier und Steltzer muss eine tiefe Abneigung bestanden haben, die auch noch in einem Schreiben Theodor Steltzers aus dem Jahre 1952 an den Hamburger Schriftsteller Walter Hammer zum Ausdruck kommt, wenn Steltzer feststellt ‚(…) und Dr. Gerstenmaier [dessen Namen er konstant falsch schreibt; A. d. V.], der ja allerdings auf mehreren Klavieren der Opposition gespielt hat [Popitz und 20. Juli; A. d. V.]’“; in: Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 33. 418 Handschriftliche Charakterisierung der Kreisauer auf Anfrage von Roon, 18.07.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 419 Handschriftliche Charakterisierung der Kreisauer auf Anfrage von Roon, 18.07.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 420 MBF S. 191. 421 Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997, S. 137; Moltke, Albrecht, Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen 1989, S. 81. 82 Beschreibung des Kreisauer Kreises der Erklärung „Grundsätze für die Neuordnung“ vom 09. August 1943, die mit einem unmittelbar bevorstehenden Staatsstreich in Verbindung gebracht werden.422

Die Treffen werden in der Abbildung 2 visualisiert, als ego werden wieder Moltke und Yorck verstanden, die sich bilateral am häufigsten trafen und bei den meisten Treffen mit den anderen Freunden gemeinsam zugegen waren. Auf den konzentrischen Kreisen wird nach außen abnehmend die Häufigkeit der Teilnahme der einzelnen Kreisauer auf- getragen, mit 62 Treffen mit Einsiedel sowie Trott und nur fünf mit Leber. Die Zahlen beruhen auf den Erwähnungen der Zusammenkünfte in den an Freya gerichteten Brie- fen, sie geben einen guten Eindruck über die stattgefundenen Treffen, müssen aber nicht exakt sein, da möglicherweise nicht über alle berichtet wurde. Nicht beachtet wurden Begegnungen der Freunde untereinander und auch nicht die Treffen nach Moltkes Ver- haftung im Januar 1944. Außerdem wurden Treffs mit anderen Widerständlern wie Wa- etjen, Guttenberg, Bischof Preysing, Furtwängler, Schulenburg, Dohnanyi u. a. nicht betrachtet, da sie außerhalb des Untersuchungsgegenstandes liegen. Die Teilnehmer an den Kreisauer Tagungen wurden besonders markiert.

Abbildung 2: Anzahl der Treffen der Kreisauer zwischen 1940 und 1944423

Bei der Interpretation der Netzkarte muss beachtet werden, dass nicht alle „Kreisauer“ von Anfang an dabei waren und die Bedeutung anderer, wie bei Gablentz, geringer wurde. Bei manchen Kreisauern häuften sich die Treffen zu einem bestimmten Thema.

422 Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997, S. 137, Fn. 26. 423 MBF S. 191 f. 83 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Mit Abstand am häufigsten traf sich Moltke mit Einsiedel und Trott, 62 Treffen sind in den Briefen vermerkt. Bei Einsiedel scheint dies der langen und vertrauten Bekannt- schaft seit den Löwenberger Tagen, bei Trott dessen außenpolitischem Sachverstand und unabhängigem Geist geschuldet zu sein. 48-mal trafen sich Moltke und wahrschein- lich auch Yorck mit Mierendorff. Mierendorff war Moltke wichtig, war doch durch die Bekanntschaft mit ihm die personelle Voraussetzung für den Einbau der Arbeiterschaft in die Kreisauer Planungen insofern geschaffen worden, als Mierendorff schon Ende 1941 die Verbindung der Kreisauer zu Wilhelm Leuschner424 und Herrmann Maass und später dann im Sommer 1943 zu Julius Leber hergestellt hatte.425 Die nächsthäufigsten Treffen erfolgten dann mit Reichwein (38-mal), Gerstenmaier (33-mal), Steltzer (31- mal), Haeften (30-mal). Auch bei Reichwein, dem Mitorganisator der Arbeitslager, dürfte die lange Bekanntschaft eine Rolle gespielt haben, Gerstenmaier wurde der Ver- bindungsmann zur evangelischen Kirche, Steltzer, der in Norwegen stationiert war und zum dortigem Widerstand Verbindung hielt, versuchte bei jedem Besuch in Berlin, mit Moltke und Yorck Kontakt aufzunehmen, und Haeften war als stellvertretender Chef der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes bedeutsam. Alle bisher Genannten, bis auf Mierendorff und Haeften, waren auch Teilnehmer an den Kreisauer Tagungen. Der Anlauf der Diskussion mit den wechselnden Teilnehmern kann leicht mit vier Längsschnitt-Netzkarten für die Jahre 1940, 1941, 1942 und 1943/44 visualisiert wer- den.

424 Wilhelm Leuschner (1888-1944), Gewerkschaftsführer, Sozialdemokrat. 1928-1933 hessischer In- nenminister, mit Mierendorff als Pressechef 1928-1930; Januar 1933 stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes; mehrmals im KZ, zeitweilig mit Mierendorff; über länge- re Zeit Kontakt mit Goerdeler und anderen Regimegegnern außerhalb des sozialistischen Lagers, Befür- worter einer Einheitsgewerkschaft; Verurteilung durch den VGH: 08.09.1944; Hinrichtung: 29.09.1944; in: MB S. 338. Fn. 2. 425 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 425. 84 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Abbildung 3: Treffen 1940 und 1941426

Abbildung 4: Treffen 1942 und 1943/44

Die Netzkarten sind wieder als egozentrierte Netzwerke mit Moltke und Yorck als ego dargestellt. Gleiche konzentrische Kreise stellen in den einzelnen Abbildungen unter- schiedliche Zahlen der Treffen dar und geben nur die relative Häufigkeit in den einzel- nen Jahren an, die dem ego am nächsten liegenden Kreise bezeichnen die größere Häu- figkeit. Bei der Betrachtung dieser Längsschnittkarten können die einzelnen Schwer- punkte in den jeweiligen Jahren herausgelesen werden. Zunächst stand 1940 die Staats- diskussion hauptsächlich zwischen Moltke, Yorck und Gablentz im Vordergrund, er- gänzt um Anfragen an Einsiedel nach der notwendigen wirtschaftlichen Betätigung des Staates. Im Jahre 1941 wurden mit Einsiedel, Trotha und Gablentz Fragen der Wirt- schafts- und Agrarpolitik sowie mit Reichwein Fragen der Schulpolitik behandelt.

426 MBF S. 191 f. 85 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Weiterhin versuchte Moltke, sich über die „Ausgangslage, Ziele und Aufgaben“427 klar zu werden; dies mag er in den häufigen Treffen mit Yorck, Einsiedel, Trott, Haeften und Reichwein vorbereitet haben. Das Jahr 1942 stand im Zeichen zweier Kreisauer Tagungen mit den entsprechenden Vorbereitungen; im Jahr 1943 gab es eine Kreisauer Tagung und den Abschluss der Grundsatzpapiere. In diesen Jahren sind Trott, Mieren- dorff, Gerstenmaier und Einsiedel die Hauptansprechpartner für Moltke und Yorck, mit einigem Abstand Steltzer und Reichwein. „Mit der Kraft seiner Persönlichkeit und poli- tischen Begabung gehörte […] Mierendorff zu denen“, so Winterhager,

… die dem Kreisauer Kreis am meisten gegeben haben. Für Moltke, Yorck und die anderen war Mierendorff, als er 1941 für den Kreis gewonnen wurde, der beste Garant dafür, um den Planungen der Gruppe auch in der Arbeiterschaft eine feste Basis zu verschaffen. Mehr noch als Reichwein und Haubach war er […] der Mann, dessen Ruf in der Stunde des Neu- anfangs bei den Arbeitern Gehör finden würde.428 Es fällt auf, dass die Treffen mit Gablentz sehr abnehmen und dass Husen, der Verfasser der „Bestrafung der Rechtsschänder“, zur Vorbereitung der 3. Kreisauer Tagung stark herangezogen wird. Weiter ist zu bemerken, dass die Treffen mit Pater König, der den Kontakt mit der katholischen Seite aufrechterhält, in den Jahren 1942 und 1943 konstant bleiben und dass es mit Pater Delp insgesamt nur neun Treffen gab, sieben 1942 und zwei 1943, allerdings nahm Delp auch an den beiden wichtigen letzten Kreisauer Ta- gungen teil. Delp notierte in seiner Verteidigungsvorbereitung: „Ich selbst hatte seit 1942 keine direkten Beziehungen mehr zu den Berliner Bekannten d(es) G(rafen) M(oltke) und seit Januar 1943 auch G(raf) M(oltke) nicht mehr gesehen.“429 Delp woll- te, nach seinen eigenen Worten, nur die katholische Soziallehre einbringen und wegen anderer politischer Dinge sollte sich Moltke an Laien halten, er sei gegen Klerikalis- mus.430 Damit versuchte Delp allerdings, seine Bedeutung für den Kreisauer Kreis aus Verteidigungsgründen bewusst zu schmälern.

Von Interesse ist auch die Betrachtung der Teilnahme an den drei Kreisauer Tagun- gen431, die in Abbildung 5 visualisiert wird.432 Interessanterweise nahm außer Moltke selbst und Yorck keiner der Freunde an allen drei Tagungen teil.

427 Siehe die Denkschrift von Moltke (in mehreren Fassungen) aus dem Jahre 1941, in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 150 ff. 428 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 47. 429 Delp IV S. 350. 430 Delp IV S. 341. 431 Siehe die Ergebnisse der Tagungen in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 209 ff., 242 ff., 283 ff.; zum Ablauf: Roon, Neuordnung 1967, S. 248 ff. 432 Die Teilnehmer, die nur einmal dabei waren, sind grün, diejenigen, die zweimal dabei waren, sind blau gekennzeichnet. 86 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Die 1. Tagung vom 22. bis 25. Mai 1942 war dem Verhältnis von Staat und Kirche, Bil- dung und Erziehung gewidmet. Steltzer und Rösch beleuchteten das Staat-Kirchen- Verhältnis, Reichwein war der Erziehungsexperte. Peters und Lukaschek als Staats- und Verfassungsrechtler und Poelchau als Vertreter der evangelischen Kirche waren wohl gewichtige Diskussionsteilnehmer. Das Thema der 2. Tagung vom 16. bis 18. Oktober 1942 galt dem künftigen Aufbau von Staat und Verfassung und der Wirtschaftsordnung. Teilnehmer waren neben Moltke und Yorck wieder Steltzer und Peters, neu hinzu ka- men Einsiedel, Haubach, Gerstenmaier, Delp und als Vertreter Leuschners Hermann Maass, der eigentlich nicht zu den 20 Kreisauern gerechnet wird (er ist deshalb in der Abbildung 5 besonders gekennzeichnet). Der Jurist Peters und der Anwalt der Selbst- verwaltung Steltzer waren wohl neben Moltke und Yorck bedeutsam für die Diskussion des künftigen Aufbaus von Staat und Verfassung. Einsiedel, Maass und Delp, der Ver- treter der katholischen Soziallehre, werden wohl am meisten an der Wirtschaftsordnung interessiert gewesen sein. Auf der 3. Kreisauer Tagung vom 12. bis 14. Juni 1943 wur- den die Außenpolitik und der Umgang mit Kriegsverbrechern behandelt. Es nahmen wieder Moltke, Yorck, Einsiedel, Gerstenmaier, Delp sowie Reichwein und erstmalig Trott und Husen teil. Hier waren Trott, der Experte für Außenpolitik, und Husen, der Verfasser der „Bestrafung der Rechtsschänder“, besonders gefragt. Aus der Teilnahme an den Kreisauer Tagungen kann nicht unbedingt auf die Wichtigkeit der Kreisauer ge- schlossen werden; Mierendorff und Haeften standen unter Gestapo-Aufsicht, Rösch wurde durch Delp vertreten und Gablentz war dienstlich stets verhindert.

Wenn auch bei der Schilderung der Treffen schon Hinweise auf spezifische Beiträge der einzelnen Kreisauer gegeben wurden, sollen diese zum besseren Verständnis des Kreis- auer Kreises hier verstärkt werden. Es muss dabei aber beachtet werden, dass keine zweifelsfreie Zuordnung überlieferter Beiträge getroffen werden kann, wie auch der Moltke-Brief vom 31. August 1940433 zeigt, von dem Roon annahm, er sei an Yorck gerichtet, wobei der richtige Adressat jedoch Gablentz war, wie sich später herausstell- te.

Moltke richtete seine Wirtschaftsfragen, bezogen auf den engeren Kreis der 20 am Be- ginn der Planungsarbeit, zunächst an Einsiedel und an seinen Vetter Trotha. Am 16. Juni 1940 schrieb er an Einsiedel:

433 Roon, Neuordnung 1967, S. 490. 87 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Lieber Einsiedel, […] Zur Organisation oder Planung der Wirtschaft habe ich eine Reihe von Fragen, die ich Dir434 gerne […] vorgelegt hätte. Mir scheint zunächst, daß die Gefahr besteht, daß eine geplante Wirtschaft eine Stellung im Menschenleben einnehmen kann, die alle Nachteile eines vergotteten Staates hat und noch unmittelbar vom Standpunkt des Nut- zens angesehen wird. Wie läßt sich diese Gefahr beseitigen?435 Am 15. Juli schrieb er ihm:

Zweck der wirtschaftlichen Betätigung muss es sein, den Einzelmenschen freier zu machen, indem er sich über die Natur erhebt, nicht aber, ihn unfreier zu machen, indem an die Stelle einer Abhängigkeit von Sachen auf dem Gebiete der Erhaltung seines Wirtschaftsraumes eine solche von Menschen tritt, sei es von Unternehmern, sei es von Beamten.436 Einsiedel und Trotha oblag die Durcharbeitung des wirtschaftlichen und sozialpoliti- schen Teils der Pläne für die Nachkriegszeit.437 Im Vordergrund standen vor allem eine zweckorientierte Gestaltung des Staatshaushaltes, die Steuer- und Zollpolitik, die Lohn-, Preis-, Tarif und Kartellpolitik sowie die Geld- und Kreditpolitik.438

Abbildung 5: Teilnehmer an den drei Kreisauer Tagungen

Gablentz würdigte in seiner Trauerrede439 für Trotha 1952 dessen Bedeutung für den Entwurf des Wirtschaftsprogramms im Rahmen der Vorbereitung der Kreisauer Nach- kriegspläne. Dieses „Planning for freedom“440 stellte Gablentz unter den Leitgedanken: Wie kommt durch Erziehung zur Verantwortung und durch Dezentralisierung der Ver-

434 Einsiedel war einer der wenigen, die Moltke duzte, mit Yorck hingegen war er stets per Sie. 435 MBF S. 127. 436 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 124. 437 Trotha, Freiin Margarete von: Brief an Walter Hammer. IfZ, ED 106-96. 438 Schmölders, Personalistischer Sozialismus 1969, S. 49. 439 Gablentz, Trauerrede für Trotha 1952, S. 5. 440 Gablentz, Trauerrede für Trotha 1952, S. 5. 88 Beschreibung des Kreisauer Kreises antwortung der Mensch zu seinem Recht? Selbst beschrieb Trotha seinen Beitrag in einem Lebenslauf nach dem Krieg wie folgt:

Mir war innerhalb des Kreises hauptsächlich die Aufgabe gestellt, gemeinschaftlich mit be- freundeten Gruppen der Widerstandsbewegung, namentlich den illegalen Gewerkschaften (Leuschner, Maass, Leber) das wirtschaftspolitische Programm für den angestrebten und mit Sicherheit erwarteten Zusammenbruch des Hitler-Regimes zu entwickeln und die Wege für seine praktische Verwirklichung festzulegen. Es gelang, in allen wesentlichen Punkten (Staatsaufbau, politische Organisation, Gewerkschaften, Sozialisierung der Grund- und Schlüsselindustrie, Beteiligung der Arbeiterschaft an den Betrieben, Grundsätze der Wirt- schaftsplanung) zwischen den beteiligten Gruppen Übereinstimmung zu erzielen.441 Diese Übereinstimmung gelang jedoch tatsächlich nicht, die Gewerkschaftsfrage442 blieb auch im Grundsatzprogramm ein offener Punkt, da die Kreisauer jedem Zentrali- sierungsgedanken, der der Einheitsgewerkschaft zugrunde lag, misstrauten.443 Deshalb trennte sich der Einheitsgewerkschaftler Leuschner mit Maass von den Kreisauern und schloss sich Goerdeler an. Insgesamt ist zu dem Beitrag von Einsiedel und Trotha je- doch zu sagen, dass deren planwirtschaftliche Elemente444 an dem Widerstand von Yorck, unterstützt durch Schmölders, der für eine feste Verankerung des marktwirt- schaftlichen Prinzips in der künftigen Wirtschaftsordnung eintrat,445 scheiterten.

Reichwein war maßgeblich beteiligt an den kultur- und bildungspolitischen Planungen der Kreisauer Widerstandsbewegung,446 er trat bei den Planungsarbeiten auch besonders für die Belange der Arbeiterschaft und deren volle Integration in die angestrebte Neu- ordnung ein.447 Reichwein hat sowohl an der 1. und 3. Kreisauer Tagung teilgenommen als auch für die 2. eine Denkschrift zur Erziehungs- und Schulreform vorgelegt. Nach der Zusammenkunft in Kreisau Pfingsten 1942 fungierte Reichwein als Vermittler, der den Sozialisten und Gewerkschaftlern die erste Grundsatzerklärung zur Kenntnis brach- te. An den Verhandlungen war er bis zur abschließenden Vereinbarung des Textes am 18. Oktober 1942 maßgebend beteiligt.448 Bei der Ausarbeitung der Grundlagen zielte Reichwein auf eine umfassende Bildungsreform. „Er befürwortete die Einbeziehung der Bildungsarbeit in eine Gemeinschaftsbildung mit individuellen und sozialen Zielsetzun- gen, die lebendige Tradition mit notwendiger Erneuerung zu vereinen suchte.“449 Aller-

441 Trotha, Carl Dietrich: Lebenslauf, IfZ, ZS/A-18, Bd. 8, S. 4. 442 MB (08.07.1941) S. 390. 443 Roon, Neuordnung 1967, S. 429. 444 Denkschrift von Einsiedel und Trotha: „Die Gestaltungsaufgaben in der Wirtschaft“ (1942); in: Bra- kelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 176: „Wer hier verkennt, daß er zur aktiven Gestaltung berufen ist, der gibt sich dem wirtschaftlichen Schicksal preis, anstatt es zu meistern.“ 445 Moltke, Albrecht, Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen 1989, S. 144. 446 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 11. 447 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 343. 448 Amlung, Schwelle 2008, S. 50. 449 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 164. 89 Beschreibung des Kreisauer Kreises dings kam es zum Streit um die Schulfrage, insbesondere stieß die Abkehr vom Prinzip der Konfessionsschule auf den entschiedenen Widerstand des katholischen Flügels.450 In den Ergebnissen der 1. Kreisauer Tagung heißt es dann schließlich: „Den Eltern steht das natürliche Recht zu, ihre Kinder nach den Grundsätzen des christlichen Glaubens und nach den Forderungen ihres eigenen Gewissens zu erziehen.“451 Familie, Kirche und Schule sollten die Erziehungsarbeit gemeinsam leisten. Nach Amlung waren bei Kirchenfragen mehrere Kreisauer angesprochen, bei Erziehungsfragen jedoch nur Reichwein und Peters, beide waren Mitarbeiter des Kultusministers Becker.452 Nach Meinung von Gerstenmaier war Reichwein der einzige Schulfachmann. Auf seinen Schultern ruhten die Hauptlast der Ausarbeitung von Grundsätzen zu einer umfassenden Bildungsreform und die Verantwortung für die Auswahl geeigneter Persönlichkeiten453 zur Besetzung aller wichtigen Stellen im neu aufzubauenden Erziehungswesen. Aus diesen Gründen war Reichwein von Moltke als Kultusminister in dem Umsturzkabinett vorgesehen.454

Während Huber455 davon ausging, dass Reichwein in einer zunächst als verloren gegol- tenen Denkschrift vom Spätherbst 1941 die Ergebnisse bildungspolitischer Besprechun- gen zu einer Lageeinschätzung, verbunden mit einem schul- und hochschulpolitischen Gesamtkonzept, zusammengefasst habe und dass darin zentrale Vorstellungen Reich- weins deutlich Eingang gefunden hätten,456 behauptet Hohmann457, dass Reichweins Einfluss explizit nicht nachweisbar sei. Dies bezieht sich auf das Kreisauer Dokument, „Gedanken über Erziehung“ vom 18. Oktober 1941458, das Gablentz im Juli 1969 zu- sammen mit der „Bitte um Ergänzung der Gedanken über Erziehung“ vom 19. Oktober 1941 unter seinen Papieren gefunden hatte. Neben der Tatsache, so Hohmann, dass das Dokument Reichweins sichere Ausdrucksweise vermissen lässt, entsprächen die Aussa- gen inhaltlich nicht dem Reichwein‘schen Denken. Die in der Schrift zum Ausdruck gebrachte Religiosität, vor allem aber die vehemente Kritik an den pädagogischen Aka- demien, machen es schier unmöglich, folgert Hohmann, davon auszugehen, Reichwein

450 Bleistein, Dossier 1987a, S. 102., S. 113; Huber: Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 351 f. 451 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 210. 452 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 430. 453 Mommsen, Reichweins Weg 1999, S. 21. 454 Mommsen, Reichweins Weg 1999, S. 21. 455 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 344. 456 Die Denkschrift „Gedanken über Erziehung“ vom 18.10.1941 und die Bitte um Ergänzung der Gedan- ken über Erziehung vom 19.10.1941 fand Gablentz im Juli 1969 unter seinen Papieren. 457 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 189. 458 Abgedruckt in: Beiner, Adolf Reichwein 1995, S. 102-108. 90 Beschreibung des Kreisauer Kreises könne Autor oder Mitautor des Textes gewesen sein. Dies ist ein weiteres Beispiel da- für, dass Dokumente nicht eindeutig zuordenbar sind.

Als zwischen Sommer und Herbst 1941 die bildungspolitische Planungsarbeit intensi- viert wurde, nahm daran auch Gablentz, unter den Kreisauern ein Mann der ersten Stunde und Mitglied und Kenner der protestantischen Kirche, teil. Zusammen mit Molt- ke, Poelchau und Reichwein arbeitete Gablentz an dem bei der 1. Kreisauer Tagung gemeinsam vertretenen Gedanken einer „Deutschen Christenheit“ zur Vertretung der kollektiven kirchlichen Anliegen bei kommunalen und staatlichen Stellen.459

Gablentz, der bereits 1929 Referent460 im schlesischen Arbeitslager in Löwenberg war, mag die wichtigsten Beiträge zum ersten Grundsatzpapier „Über die Grundlagen der Staatslehre“ geleistet haben. Es war für Moltke von größter Bedeutung und kann als erstes Ergebnis gemeinsamer, aber keineswegs immer sehr harmonisch verlaufener Dis- kussionen zwischen Moltke, Yorck und Gablentz gelten. Gablentz und Yorck rückten in dieser Diskussion so eng zusammen, dass man immer wieder Briefe Moltkes, die an Gablentz gerichtet waren, dem Empfänger Yorck zuordnete.461 Fünf Briefe zwischen Moltke und Gablentz vom Juli bis November 1940 gehören zu den ersten Korrespon- denzstücken überhaupt, die aus dem Kreisauer Kreis überliefert sind.462

Es ging den Freunden damals – in ihrem Einsatz für eine gerechte Neuordnung nach dem Sturz des NS-Regimes – um die „Grundlagen der Staatslehre“, vor allem um die ethisch- religiöse Fundierung der neu zu schaffenden staatlichen Gemeinschaft. Gablentz trug in diesem Austausch wesentlich dazu bei, daß Moltke und die Freunde sich dem Anspruch einer tieferen, religiösen Begründung der künftigen Gesellschaftskonzeption öffneten.463 Für Moltke war Gablentz von zentraler Bedeutung in der wegweisenden Frühphase der Kreisauer Widerstandsarbeit von Mitte 1940 bis Herbst 1942, aber er fand auch, wie schon erwähnt, dieser sei „schon ein rasend sturer Mann und verbohrt in irgendwelche Theorien, die schlechthin absurd sind.“464 Der Streitpunkt war die Naturrechtslehre, die 1942 durch den zunehmenden Einfluss der katholischen Soziallehre in dem Freundes- kreis an Boden gewonnen hatte. Phasen enger Zusammenarbeit wechselten mehrfach mit denen von Dissens und ab Oktober 1942 kann von intensiver Teilhabe an den Kreisauer Planungsarbeiten nicht mehr gesprochen werden, es gab nur noch eine lose

459 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 344. 460 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 62. 461 Steinbach, Zum 100. Geburtstag von Gablentz 1999a, S. 59. 462 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 108, (18.07; 09.08; 31.08; 07.09 und 16.11.1940). 463 Winterhager, Otto Heinrich von der Gablentz 2004, S. 3. 464 MB (24.10.1942) S. 424. 91 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Verbindung.465 Gablentz war für Moltke und Yorck wegen seines theologischen Sach- verstandes der erste Verbindungsmann der Kreisauer zu den Führungskreisen der evan- gelischen Kirche, eine Funktion, die später Gerstenmaier übernahm.

Gablentz war in dieser Hinsicht – ähnlich wie in der Folgezeit Gerstenmaier – kein unge- eigneter Mittelsmann, gerade weil er sich nie zum „radikalen“ Flügel der Bekennenden Kirche zählen mochte. Als Michaelsbruder lehnte Gablentz im innerkirchlichen Streit die „theologische Borniertheit der Barthianer“ und auch die ausschließende, enge Haltung eines Dietrich Bonhoeffer als „lieblos“ ab. „So falsch die Schöpfungstheologie der Deutschen Christen war“, urteilte er später rückschauend, „so engherzig und unrealistisch war der Bi- blizismus [Karl; A. d. V.] Barths.“466 Da im Herbst 1942 die Zusammenarbeit mit Moltke zerbrochen war, entging Gablentz der Verfolgung durch die Gestapo und wirkte nach Kriegsende als Mitbegründer der CDU in Berlin.467

Peters468 berichtete1952 über sein eigenes Wirken im Kreisauer Kreis:

Mir fiel die Ausarbeitung des Kulturprogramms zu; außerdem hatte ich verschiedentlich zu Ausarbeitungen aus der staatsrechtlichen Arbeitsgruppe Stellung zu nehmen. Moltke gab mir in diesen Fällen anonyme Schriftstücke, zu denen ich ihm beim nächsten Zusammen- treffen – meist mündlich – meine Meinung mitteilte. Das Kulturprogramm arbeitete ich selbst aus; für den Teil über die Presse erbat ich mir eine Ausarbeitung von Professor Dovi- fat (Berlin).469 Dieses Kulturprogramm wurde zu Pfingsten auf der 1. Kreisauer Tagung vorgestellt, das Korreferat hielt der „Linkssozialist“ Professor Reichwein. Für dieses Kulturpro- gramm sollte Peters die Stellungnahme des Berliner Bischofs Graf Preysing einholen, dabei stellte Peters den persönlichen Kontakt Moltkes mit Preysing her. Peters referierte auch auf der 1. Kreisauer Tagung über die Konkordatsfrage.470 Als Professor für Ver- waltungsrecht beschäftigte sich Peters sehr mit der kommunalen Selbstverwaltung. Am 29. Januar 1940 übersandte er Moltke nach einer gemeinsamen Besprechung zu diesem Thema in Thesenform seine Sicht der kommunalen Selbstverwaltung,471 und man könn-

465 MB (03.04.1943) S. 465. 466 Winterhager, Otto Heinrich von der Gablentz 2009b, S. 3. 467 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 96. 468 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 4. 469 Emil Dovifat (1890-1969), Sohn eines Apothekers, stammte aus einem katholischen Elternhaus und ging in Köln zur Schule. Anschließend studierte er in München und Leipzig. Nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg begann er eine journalistische Laufbahn. 1921 wurde Dovifat Mitbegründer des „Deut- schen“, des Organs des Christlichen Gewerkschaftsbundes, und 1927 zugleich Chefredakteur. Seit 1924 arbeitete er parallel dazu als Assistent des neu gegründeten Deutschen Instituts für Zeitungswissenschaft und wurde 1928 dessen Leiter. 1926 erfolgte die Berufung zum außerordentlichen Professor für Zei- tungswissenschaft und allgemeine Publizistik an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin. Dort lehrte er einen demokratisch und pluralistisch orientierten Journalismus. 1940 war Dovifat Doktorvater der Journa- listin und Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann. Siehe auch Dovifat, Emil: Neuordnung der Presse nach dem Sturz des Hitlerregims. Überlegungen aus den Jahren 1943/44, IfZ, ZS/A-18, Bd. 2. 470 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 262; MB S. 319. 471 Peters, Hans: BA NL Peters, N 1220-19; handschriftliche Aufzeichnung über die kommunale Selbst- verwaltung mit Brief: „Lieber Graf Moltke! Anlässlich unserer letzten Besprechung über die kommunale 92 Beschreibung des Kreisauer Kreises te Peters’ Ausarbeitungen als die Umsetzung der philosophisch-abstrakten Molt- ke’schen Ordnungsvorstellungen auf die pragmatische Ebene der realen Verwaltungs- struktur lesen.472 Die Mitarbeit von Peters scheint nach 1942 abgenommen zu haben, 1943 traf sich Moltke mit ihm nur noch viermal. Mit der Verhaftung Moltkes war die Beziehung unterbrochen; Peters hatte noch losen Kontakt mit Yorck, der ihm nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl deren Flugblatt zur weiteren Verbreitung übergab. Nach dem 20. Juli vermied Peters wie andere jegliche gegenseitige Berührung. Im De- zember 1944 bat Freya ihn, eine persönliche Aussprache wegen Moltke mit Freisler, den Peters persönlich kannte, herbeizuführen. Dies misslang jedoch.473

Lukaschek, den Moltke aus Schlesien seit den 1925er-Jahren kannte, war bereits in das erste Stadium, die Vorphase ab 1938, einbezogen. Die Beiträge Lukascheks bezogen sich auf die Bildungspolitik, die territoriale Neugliederung Deutschlands und auf den Minderheitenschutz474 im Rahmen der Planungen für eine europäische Zusammenarbeit. Lukaschek nahm an der 1. Kreisauer Tagung teil. Darüber hinaus traf er sich in den Jah- ren 1942/43 mehrfach allein zu Besprechungen mit Moltke in Berlin und Kreisau. Ge- nannt seien z. B. der Wochenendbesuch im Frühjahr 1942 in Kreisau und das Treffen in Berlin gemeinsam mit Husen.475 Verglichen mit anderen Mitgliedern war er bei Bespre- chungen aber eher selten vertreten, denn Lukaschek wohnte nicht in Berlin, sondern in Breslau, er hielt jedoch über seinen Freund Husen ständig Kontakt mit den Freunden.476 Mit seiner Verwaltungserfahrung wurde Lukaschek zu einem wichtigen Mitarbeiter des Kreisauer Kreises.477 Nach Ellmann wurde sein Engagement umso größer, je kritischer die Situation war. Nachdem Moltke im Januar 1944 verhaftet worden war, beteiligte sich Lukaschek, wie bereits erwähnt, im Sommer an den Besprechungen mit Stauffen- berg, Yorck und Trott zur Vorbereitung des Staatsstreiches.478

In seinen Erinnerungen „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“ schrieb Lukaschek über den Arbeitsrahmen der territorialen Neugliederung:

Selbstverwaltung blieb einiges unklar, das ich in Thesenform kurz zusammenfasse. Wegen etwaiger Rückfragen stehe ich zur näheren Ausführung und Erläuterung von einzelnen Punkten natürlich gern zur Verfügung. Mit besten Empfehlungen. Ihr Peters.“ Dafür bedankte sich Moltke schriftlich am 30.01.1940. 472 Nach Karpen sind Peters’ „Thesen“ die Grundlage für Moltkes Ausarbeitung über „Die kleinen Ge- meinschaften“, in: Karpen, Das Vermächtnis des Kreisauer Kreises 2007, S. 6. 473 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 5. 474 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 78. 475 MB (26.03.1942) S. 358; (15.06.1942) S. 380. 476 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 66. 477 Ullrich, Kreis 2008, S. 52. 478 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 31 und 4. Kap I-V 93 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Er [Moltke; A. d. V.] wusste auch, dass insbesondere England eine Aufteilung Deutsch- lands und vor allem Preußens in föderalistische Staaten fördern würde. Mich bat Moltke, mir Gedanken darüber zu machen, wie solche Staaten gestaltet werden könnten, dass diese ein intaktes Eigenleben führen könnten und nur an der Spitze eine Bundesregierung gebil- det werden könnte, die absolut notwendige einheitliche Führung für Außenpolitik, Heer und Geldsachen haben musste.479 Lukaschek machte sich nach eigenen Angaben auch Gedanken, mit welchem Wahlsys- tem eine neue parlamentarische Vertretung aufgebaut werden könnte.

Wir konnten uns nicht vorstellen, dass in dem zu erwartenden Chaos allgemeine direkte freie Wahlen möglich sein würden. Die Erfahrungen mit den Wahlen gemäß der Weimarer Verfassung waren ja auch nicht allzu verlockend. Wir dachten an ein Übergangssystem, das vom örtlichen Kommunalverband ausgehend durch ein Repräsentativsystem gebildet wer- den könnte.480 Da Mierendorff wegen seiner Gestapo-Überwachung an keiner der großen Tagungen teilnahm, ist seine Rolle im Kreisauer Kreis nicht ganz klar.481 „Dennoch gehörte er zum Kern der Kreisauer, vermutlich, weil er der erste war, der die enge soziale Basis der ersten Mitglieder überwand, die sich seit dem Sommer 1940 zusammengefunden hatten.“482 Er sollte die Bestrebungen der Gruppe in der demokratischen Arbeiterbewe- gung verankern.483 Mit Leuschner kämpfte er um die Gewerkschaftsfrage.484

Unmittelbar vor dem Pfingsttreffen 1943 in Kreisau verfasste Mierendorff seinen Auf- ruf zur „Sozialistischen Aktion“485. Dieser wird von Gerstenmaier als sprunghaft und für die Programmatik der Kreisauer als bedeutungslos bezeichnet.486 Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob dieser Aufruf als ein Dokument des Kreisauer Kreises angesehen werden kann. Dass Moltke Mierendorffs Aufruf in seiner Mappe der Grundtexte aufbe- wahrte, zeugt zumindest von einer gewissen Zustimmung Moltkes zu dem Aufruf.

In jedem Fall jedoch stellte der Aufruf eine neue Dimension dar. Er „überwand die überwiegend statische Phase der Neuordnungspläne und zielte auf eine politische Mobi- lisierung der Bevölkerung, wobei die Erinnerung an die deutsche Erhebung von 1813 Pate stand.“487 Mierendorff hielt ebenso wie Leber die politische Aktivierung der Be- völkerung für unerlässlich.488 Eine neue Dimension ergab sich auch insoweit, als dieser

479 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, Rede vom 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 6. 480 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, Rede vom 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 6. 481 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 26. 482 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 26 483 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 47. 484 Mommsen, Reichweins Weg 1999, S. 11-22. 485 Roon, Neuordnung 1967. S. 78; Albrecht, Mierendorff Volksbewegung 1985, S. 838 ff. 486 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 173. 487 Mommsen, Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne 1985, S. 586. 488 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 301. 94 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Aktionsaufruf belegt, dass es nicht nur um die „Wiedererrichtung des Bildes vom Men- schen in den Herzen der Mitbürger“ und um das „Nachdenken über das Danach“, son- dern auch um die Vorbereitung von Aktivitäten ging489, obwohl auch die Kreisauer mit ihren Vorhaben der Weisungen an die Landesverweser und zur Bestrafung von Rechts- schändern schon erste aktuelle organisatorische Maßnahmen beschlossen hatten. Auch die Semantik des Manifests weist mit der Verwendung von der politischen Linken zuzu- rechnenden Ausdrücken wie „Aktion“, „Hitlerdiktatur“, „Nazismus“, „Einheitsfront“ beträchtliche Unterschiede zu der eher „esoterischen Sprache“490 der Kreisauer auf. In- haltlich, und das ist hier wichtig, entsprechen die sozialistischen und christlichen Wert- haltungen des Aufrufs jedoch weitgehend dem Kreisauer Programm.491

Das entscheidend Neue an dieser Aktion Mierendorffs war, dass damit eine „überpartei- liche Volksbewegung zur Rettung Deutschlands“ geschaffen werden sollte, die christli- che Gruppen, die sozialdemokratische und kommunistische Bewegung sowie die libera- len Gruppierungen zusammenführen wollte. Dieser Gedanke wurde vom Widerstand „begierig“ aufgegriffen, wies er doch einen befreienden Weg aus dem ungeliebten frü- heren Vielparteiensystem, das auch die Kreisauer nicht wollten. Mommsen sagt deshalb zu Recht:

Moltke und die Kreisauer sahen darin [in der „überparteilichen Volksbewegung“; A. d. V.] die institutionalisierte Zusammenfassung der von ihnen angestrebten neuen Elite, die sich aus allen Schichten des Volkes zusammensetzten sollte und durch die Vision einer neuen Gesellschaft jenseits der überkommenen Parteibindungen verbunden war.492 Die „Sozialistische Aktion“ übte eine unterschiedliche Wirkung auf die Widerstands- bewegungen aus. Ihren wohl stärksten Einfluss hatte sie auf die Bewegung des 20. Juli. Sie traf nämlich das schwächste Glied in der Umsturzplanung,493 denn sowohl die Gruppe um Goerdeler als auch die Kreisauer hatten zwar vergleichsweise exakte Vor- stellungen über eine zukünftige gesellschaftliche und politische Verfassung, aber die Frage, wie die Umsturzregierung die Zustimmung der Bevölkerung gewinnen wollte, blieb völlig offen.494 Das mag aber auch nicht weiter verwunderlich sein, denn der deut-

489 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 27. 490 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 344. 491 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 343 f. 492 Mommsen, Verfassungs- und Verwaltungsreformpläne 1985, S. 586. 493 Mommsen, Alternative zu Hitler 2000, S. 346. 494 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 159. Mommsen weist darauf hin, dass Beck und Goerdeler einen Regierungswechsel mit anschließenden Reformen anstrebten, während Stauffenberg, Leber, Trott, Schulenburg und der aktiv gebliebene Teil der Kreisauer auf eine revolutionäre Erhebung von Armee und Volk abzielten, die nach der Durchführung von Walküre und der Vereinigung der politischen Macht mit der militärischen Führung den Umsturz sichern sollte. Damit hatte eine demokratische Volksfront einen Sinn, während eine Verwirklichung der Pläne Goerdelers, der aus der Militärdiktatur heraus Reformen 95 Beschreibung des Kreisauer Kreises sche Widerstand hatte im Gegensatz zu den mit den Alliierten verbündeten Wider- standsbewegungen keinerlei Rückhalt im Volk,495 es war ein „Widerstand ohne Volk“496.

Haubach war an der Formulierung dieses Aufrufs, der von der ganzen Gruppe der So- zialisten unterstützt wurde, beteiligt. Die stark christliche Ausrichtung des Aktionspro- gramms, die auf den erklärten Widerstand Julius Lebers stieß, fand ein Gegenstück in Reichweins und Poelchaus Programm der „Aufrichtung einer Deutschen Christen- schaft“497.

Steltzer498 nahm an zwei der drei Kreisauer Tagungen teil. Zusammen mit Rösch, sei- nem katholischen Gegenüber, nahm er Stellung zum Verhältnis von Staat und Kirche.499 Zwei vorbereitende Texte dazu geben die evangelische Sicht500 wieder, weitere Arbei- ten zum Bildungswesen und zur europäischen Ordnung spiegeln katholische Vorstel- lungen, möglicherweise stellen sie Kompromisspapiere dar.501

Steltzer, einer der älteren Kreisauer, hatte schon vor seiner Zugehörigkeit zum Kreisau- er Kreis in zwei Denkschriften502 seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen niederge- legt: „Grundsätzliche Gedanken über die deutsche Führung“, Denkschrift vom Septem- ber 1933, geschrieben auf Anforderung für den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg, und „Geschichte und deutsche Führungsaufgabe“, Denkschrift vom Früh- jahr 1934. Mitte Juli 1944 verfasste Steltzer eine weitere längere Denkschrift, die die „höchste Stelle“ auf der alliierten Seite erreichen sollte. Er hoffte, der norwegische Wi- derstand werde sie nach London weiterleiten, um „das drohende Chaos in Deutschland und den besetzten Gebieten durch Zusammenarbeit mit einer verantwortlichen deut- schen Opposition aufzuhalten“503. Streng genommen liegen alle drei Denkschriften außerhalb des Betrachtungsbereichs, da Steltzer erst 1941 zum Kreisauer Kreis stieß

oktroyieren wollte, unbeabsichtigt auf einen zweifelhaften Abklatsch der nationalsozialistischen Staats- partei hinausgelaufen wäre. 495 Klemperer, Der deutsche Widerstand 1995, S. 42. 496 Mommsen, Hans: Gesellschaftsbild 1966, S. 76. 497 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 357 f. 498 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 96. 499 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 262. 500 Bleistein, Dossier 1987a, Dokument 3 und 4, S. 88-94, S. 95-101. 501 Bleistein, Dossier 1987a, Dokument 6 und 9, S. 115-119, S. 127-178. 502 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 301 ff., S. 316 ff. 503 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 312; Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 334 ff. 96 Beschreibung des Kreisauer Kreises und dieser nach seiner Auffassung504 mit der Verhaftung von Moltke im Januar 1944 zu existieren aufgehört hatte.

Unter den Kreisauern war Adam von Trott, wie bereits angemerkt, der Jüngste. Wie nur wenige nahm er die ganze Zeit über an der Arbeit teil. Moltke, über den alle Kommuni- kation lief, war an 141 Besprechungen beteiligt, Trott an 63. In der Gruppe der Kreisau- er war Trott nicht zu übersehen, seine Persönlichkeit setzte sich im Kreisauer Kreis mehr und mehr durch. „Er knüpft neue Fäden und durchschreitet den gruppendynami- schen Sozialisationsprozess im eigentlichen Sinn des Wortes.“505 Interessanterweise wird Trott in der älteren Geschichtsschreibung nach 1945 nicht ausschließlich dem Kreisauer Kreis zugeordnet. Rothfels klammert Trott bei der Behandlung des Kreisauer Kreises gleichsam als Sonderfall aus,506 wenn er bemerkt: „Er [Trott; A. d. V.] nahm als glänzende und dynamische Persönlichkeit einen besonderen Platz in dem Kreise ein.“507 Auch wenn Trott durchaus dem Kern des Kreisauer Kreises zugerechnet werden kann, entsteht bei Rothfels in Anbetracht der vielen Auslandsmissionen und der politisch- konzeptionellen Arbeit Trotts508 „doch eher das Bild eines im deutschen Widerstand unabhängig und übergreifend – und nicht nur für die Kreisauer Gruppe – agierenden Mannes, der […] in seiner Bedeutung etwa gleichrangig neben Moltke steht“509.

Neben Haeften wurde Trott als der wichtigste Experte für außenpolitische Fragen zu den Kreisauer Beratungen herangezogen510 und auf der 3. Kreisauer Tagung hielt er das außenpolitische Grundsatzreferat. Seine Beiträge ergeben sich aus einer Reihe von Denkschriften zu außenpolitischen Themen, wie: Memorandum für die englische Regie- rung (Ende 1942)511, Bemerkungen zum Friedensprogramm der amerikanischen Kir- chen (November 1943)512, Memorandum ohne Titel (Juni 1944)513, in dem Trott zur Abwendung „einer umfassenden Bombenoffensive gegen die großen Industriezentren im westlichen Deutschland“ auf die Zusammensetzung der Widerstandsbewegung und „ihre Möglichkeit, einen Staatsstreich“514 durchzuführen, einging.

504 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 77. 505 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 139. 506 Winterhager, Zukunftsplanung 2009a, S. 4. 507 Rothfels, Die deutsche Opposition 1958, S. 122. 508 Rothfels, Die deutsche Opposition 1958, S. 141-145. 509 Winterhager, Zukunftsplanung 2009a, S. 4. 510 Ullrich, Kreis 2008, S. 54. 511 Rothfels, Zwei außenpolitische Memoranden 1957, S. 388 ff. 512 Rothfels, Denkschriften Adam von Trott 1964, S. 318 ff. 513 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 289 ff. 514 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 281 f. 97 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Ab 15. Mai 1941 erwähnte Moltke immer wieder Zusammenkünfte mit Haeften.515 Dass das gegenseitige Verstehen nicht sogleich selbstverständlich geschah, sei bedingt durch Haeftens Zurückhaltung und Vorsicht und seine jahrelange Erfahrung im Behör- denleben, meinte nach dem Krieg seine Frau Barbara. „Es ist eine große Anstrengung solche Leute für die große Lösung zu gewinnen, weil sie zu sehr die Routine kennen. Ist es einem aber einmal gelungen, dann hat man auch einen zuverlässigen Wegbegleiter – ich meine Haeften“516, schrieb Moltke am 15. Mai 1941 an Freya, wie bereits zitiert wurde. Haeftens Frau Barbara beurteilte die Tätigkeiten ihres Mannes in ihren Erinne- rungen:

Obgleich Hans, wie aus solchen Notizen in Moltkes Briefen an Freya, aus der Skizze von Böhm, in den Erinnerungen von Gerstenmaier, auch von Siegmund-Schultze und von Has- sel erkennbar ist, in die Gespräche und Planungen der Freunde eingebunden und aktiv be- teiligt war und sich auch besonders stark für die Kontakte zu den Kirchen und grundsätzlich für das Verhältnis Staat-Kirche wie auch für Erziehungsfragen interessierte, konnte er doch an der Tagung in Kreisau nicht teilnehmen. Er war in zu exponierter Stellung im Amt als stellvertretender Leiter der Info-Abteilung und seit Jahren unter Beobachtung der Gestapo, vor allem seit seinem – schließlich sogar siegreichen – Kampf gegen das Propagandaminis- terium 1935/6. Aber er hatte gesagt, wenn Adam hinginge, sei er selber nicht nötig, denn sie hätten immer alles miteinander abgesprochen.517 Haeften wirkte auch an den Arbeiten zu einer neuen Verfassung und sozialen Ordnung mit und gemeinsam mit seinem Freund Adam von Trott – mit dem er jahrelang unter dem Schutze Weizsäckers den gefährlichen Kampf im Auswärtigen Amt gegen Ribben- trop führte – an den Grundgedanken einer neuen europäischen Außenpolitik. Am meis- ten lag ihm aber die Durchdringung der zu Unrecht verabsolutierten Politik mit dem Geist eines christlichen Realismus am Herzen.518 Von Haeften sind nur wenige Quellen überliefert, er sagte zu seiner Frau: „Nichts Schriftliches über Politik.“

Poelchau schreibt von sich selbst: „Ich wurde verantwortlich, unter der Kritik von Gleich- oder Ähnlichdenkenden angespornt, über die großen Fragen der Kulturpolitik nachzudenken.“519 Von Moltke wurde er, als erfahrener Sozialarbeiter, auch beauftragt, in der Wiedergutmachungsfrage an Arbeitern, Juden und Polen einen Vorschlag zu er- arbeiten.520 Wie schon erwähnt, arbeitete Poelchau als evangelischer Theologe an dem Gedanken der „Deutschen Christenschaft“ zur Vertretung der gemeinsamen kirchlichen

515 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 48. 516 MB S. 244. 517 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 71. 518 Nostitz, In memoriam Haeften 1948, S. 221. 519 Poelchau, Ordnung 1963, S. 92. 520 MB S. 394, S. 389. 98 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Anliegen bei kommunalen und staatlichen Stellen521 mit und nahm bei der 1. Kreisauer Tagung an der Diskussion über das Verhältnis von Staat und Kirche teil.

Die Briefe Moltkes zeigen, dass es immer wieder zu Kontakten zwischen München und Berlin kam. „Neben Kreisau und Berlin war München der dritte Ort der Kreisauer und Rösch spielte bei diesen Planungen eine nicht unwichtige Rolle.“522 Moltke erwartete sich Hilfestellung von der katholischen Kirche. Rösch hielt auf der 1. Kreisauer Ta- gung, nachdem Steltzer über das Verhältnis von Kirche und Staat gesprochen hatte, einen Vortrag über den „katholischen Raum“ und äußerte sich zur katholischen Konzep- tion des Verhältnisses Kirche zu Staat. Er wurde mit Steltzer zusammen in ein „Kon- klave“ geschickt, um den Kirche und Kultur betreffenden Teil der Niederschrift zu ent- werfen.523 Bei der zweiten Tagung war er gleichfalls zugegen, bei der dritten vertrat ihn Delp. Rösch hielt Kontakt zu Kardinal Faulhaber, Moltke hielt Kontakt zu Preysing, sodass die beiden Bischöfe ständig über die Planungen im Kreisauer Kreis informiert waren.524

Der Beitrag der Jesuiten bestand hauptsächlich in der Beratung in kirchlichen und sozia- len Fragen. Rösch und die beiden anderen Jesuiten verstanden die Erwartungen an die Kirche in der Erweckung des Menschen und in der Bereitstellung mitarbeitsfähiger und mitarbeitswilliger Menschen sowie in der Unterstützung der Bemühungen beider Kir- chen, sich gegenseitig und auch mit den außerkirchlichen Gruppen abzustimmen.

Dies wird besonders an drei Texten in den Dossiers525 aus dem Nachlass von Pater Kö- nig deutlich, die im Vorfeld jener Besprechung verfasst wurden, in der Arbeiterführer wie Wilhelm Leuschner, Hermann Maass und Carlo Mierendorff Kontakt mit den Jesui- ten Augustin Rösch, Alfred Delp und Lothar König aufnehmen sollten. Diese Eini- gungsgespräche zwischen beiden Gruppen innerhalb des Kreisauer Kreises sollten am 02. August 1942 in Berlin erfolgen. Sie fanden auch tatsächlich mit positivem Ergebnis statt, wie Moltke526 schrieb, beide Seiten kamen überein, nach einer schriftlichen Fixie- rung ihrer Positionen noch einmal mit ihren „Chefs“ zu sprechen, d. h. für die Jesuiten wohl mit Kardinal Faulhaber, für die Arbeiterführer mit Leuschner oder Leber.

521 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 357. 522 Bleistein, Rösch 1998, S. 123. 523 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 144. 524 Bleistein, Rösch 1998, S. 119. 525 Bleistein, Dossier 1987a, S. 180 ff. 526 MB (02.08.1942) S. 398. 99 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Der erste Text, „Besprechung der aktuellen Kampfführung“527, befasst sich mit Überle- gungen zur Strategie des Vorgehens gegen den Nationalsozialismus. Er ist angelehnt an Preysings Predigt zum silbernen Bischofsjubiläum von Papst Pius XII., die er am 28. Juni 1942 in der Hedwigskathedrale in Berlin gehalten hatte. Die Hauptaussagen der Predigt waren: Gott steht über allem Irdischen und alle Menschen sind gleich; Men- schen sind mit Rechten geboren, die nicht vom Staat abgeleitet, sondern ursprünglich und von Gott gegeben sind. Es wird also die Gleichheit aller Menschen und das Natur- recht postuliert. Im zweiten Text, „Erwartungen der Menschen an die Kirche“, wird die Blindheit des Konfessionalismus gegeißelt und das Handeln beider Kirchen, die Öku- mene voraussetzend, sowie die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Arbeiter- schaft/Gewerkschaften als möglich erachtet. An die Kirchen werden drei Fragen ge- stellt, zunächst die nach der Situationskenntnis, d. h. ob sie „die Notlage des Menschen sehen und ob sie bereit sind, für den Menschen einzutreten, und ob sie wissen, dass sie durch den persönlichen Einsatz ihrer Diener die Möglichkeit haben, die innere Führung des deutschen Volkes und des Abendlandes zu übernehmen.“ Dann wird gefragt, „für welche Grundrechte des Menschen die Kirchen einzutreten bereit sind“528 und schließ- lich, welche Kooperationsbereitschaft mit der evangelischen Kirche und der Arbeiter- schaft besteht. Im dritten Text, „Politische Erwartungen an die Kirchen“, werden die Probleme diskutiert: Sinn und Zweck der Kirche, Naturrechte und Rechte aus der Of- fenbarung, Aufgabe der Kirche in der Situation der Rechtlosigkeit bzw. der bedrohten Rechtsordnung.

Es ist Winterhager zuzustimmen, wenn er die Mitarbeit von Rösch so zusammenfasst:

Für Moltke war Rösch „einer unserer besten Leute“. Und auch Steltzer hat ihn als „überle- gen sachliche Persönlichkeit“ charakterisiert, wenngleich „religiös nicht von der Weite Delps“ [aus der Charakterisierung von Steltzer; A. d. V.]. Später als Delp stärker in den Vordergrund rückte, begleitete Rösch gleichwohl stets weiter die Planung des Kreises und hatte an den Entwürfen Delps mitunter direkten Anteil. Am wichtigsten blieb er [Rösch; A. d. V.] zudem für die Kreisauer als der Mann, der immer wieder die Kontakte zu den Bi- schöfen, an erster Stelle zum Erzbischof zu München, Michael Kardinal von Faulhaber, zu knüpfen vermochte.529 Delp nahm an der 2. und 3. Kreisauer Tagung in enger Abstimmung mit Rösch teil. Auf dem 3. Kreisauer Treffen vom 12. bis 14. Juni 1943 brachte Delp seine Gedanken zu Fragen des Rechts auf der Basis der katholischen Naturrechts- und Staatslehre ein.

527 Bleistein, Kirche und Politik 1987b, S. 148 ff. 528 Bleistein, Dossier 1987a, S. 184 ff. 529 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 77. 100 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Brakelmann530 bemerkt, dass es vor allem Delp war, der unermüdlich an den Sachfragen und an den gemeinsamen Formulierungen mitgearbeitet habe. Er habe eine Fülle von Beiträgen über Verfassungsfragen, über den Staatsaufbau, über die Wirtschaftsordnung, über Außen- und Innenpolitik und über ein vereinigtes Nachkriegseuropa geliefert, ebenso habe er über die Bestrafung von Rechtsschändern und über die deutsche Beteili- gung an der Bestrafung für Schandtaten nachgedacht. Am deutlichsten wird seine Handschrift in einem Entwurf für die spätere Fassung der Kreisauer „Grundsätze für die Neuordnung“ vom 09. August 1943, wenn es heißt:

Wiederherstellung des Bewusstseins vom absoluten Recht: Liquidierung des totalen Rechtspositivismus. Und Rechtsutilitarismus, Wiedererweckung des Bewusstseins von göttlichen Herrenrechten […], Wiederherstellung des Bewusstseins von naturgegebenen, vor jeder staatlichen und politischen Ordnung unabhängigen Menschenrechten […]531 Eine von personalen und sozialen Naturrechten bestimmte Gesellschafts- und Staats- ordnung war ihm und seinen Kreisauer Freunden das konkrete politische Ziel. Die Ver- tretung der katholischen Soziallehre war so ein unermüdliches Anliegen Delps, was auch ein positives Echo im Kreisauer Kreis hatte. In seinen Prolegomena532 zu einer evangelischen Sozialethik schreibt Gerstenmaier:

Auch wenn auf evangelischer Seite zweifellos kein Vakuum zu füllen war, so fehlte hier doch die Klarheit, Stabilität und Geschlossenheit des katholischen Systems. Von einer Handhabung durch die kirchliche Institution ganz zu schweigen. Etwas Entsprechendes war auf evangelischer Seite weder möglich noch angestrebt. Ausgehend von einer naturrechtlich begründeten Sozialphilosophie, postuliert Delp so fünf große Erneuerungen, „die auch als ‚Wiederherstellungen’ apostrophiert werden. Es ist dies die Wiederherstellung des Rechtsbewusstseins, der Rechtssicherheit, der Staats- ordnung, der Familie und der Sozialordnung“533.

Haubach534 nahm lediglich an der Kreisauer Tagung im Oktober 1942 teil, da er be- fürchtete, er werde wie Mierendorff von der politischen Polizei intensiv observiert. Laut Steltzer gab Haubach den Hinweis, dass man „bei uns“ den Eindruck habe, „daß die Kirchen nur dann etwas unternehmen, wenn man ihnen unmittelbar auf die Füße

530 Brakelmann, Widerstand im Glauben 2007, S. 58. 531 Bleistein, Dossier 1987a, S. 278 f. 532 Gerstenmaier, Die Zukunft der Person 1953, S. 62 f. Dieser Aufsatz sollte ursprünglich 1942 unter dem Titel „Die Zukunft der Person. Zum Kulturwandel und Strukturproblem der christlichen Ethik“ in „Orient und Occident“, hrsg. von Eugen Gerstenmaier, Berlin-Spandau, Wichern-Verlag, erscheinen, ist dort aber infolge der Beschlagnahmung nicht erschienen. Der Beitrag in der Festschrift Schreiner lehnt sich wohl an den Aufsatz von 1942 an. Dafür spricht, dass in den Anmerkungen (Schreiner, S. 75) nur ältere Literatur angegeben wird. In den Diskussionen der Kreisauer spielt die Frage des Personalismus eine entscheidende Rolle. Es darf angenommen werden, dass die Kreisauer Freunde Gerstenmaiers Posi- tion kannten und diskutierten. 533 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 140. 534 Zimmermann, Haubach 2004, S. 386. 101 Beschreibung des Kreisauer Kreises tritt.“535 Dies machte uns deutlich, so Steltzer, „daß die Einschaltung der Kirchen eine bessere psychologische Vorbereitung besonders in den Kreisen der Linken erforderte. Wir beschlossen, die Kirchen auf diese Situation aufmerksam zu machen und sie [Wurm und Preysing; A. d. V.] um Predigten zu bitten, die ihr Rechnung trugen.“536 Im Oktober 1942 hatte Haubach537 mit der Erarbeitung eines grundlegenden Positions- papiers eine Aufgabe zugewiesen bekommen, es ist jedoch unbekannt, welche.538 Zu vermuten ist die Mitarbeit an der Grundsatzerklärung, der ideologischen Plattform539 des Kreises. Weiterhin arbeitete Haubach an der „Sozialistischen Aktion“, einem mar- kanten Zeichen, das die weiterhin bestehende Zugehörigkeit zum sozialdemokratischen Widerstand dokumentierte, mit. Dieser Aufruf wird, wie wir bereits gesehen haben, eigentlich Mierendorff zugeschrieben, aber Haubach war beim Entstehen dabei und griff korrigierend ein.

P. Lothar König540 war Professor für Kosmologie am Berchmanskolleg in Pullach. Er hatte bereits im „Ausschuss für Ordensangelegenheiten“ mit P. Rösch zusammenge- arbeitet und hatte Tausende Kilometer mit der Reichsbahn zurückgelegt, vor allem we- gen der Aufhebung der Klöster durch die Gestapo (1941). König war der „Mann von Rösch“541, sein „Sekretär“, wie Moltke schrieb. Wenn er auch vor allem als Kurier zwi- schen der Ordensleitung und den katholischen Bischöfen542 gewertet wurde, so haben neuere Forschungen seine eigentliche Bedeutung entdeckt: Diese Mitwirkung Königs beim Ausschuss für Ordensangelegenheiten543 an der Seite von Rösch ist besonders hervorzuheben. Die Ordensleute entwarfen den nicht veröffentlichten „Menschen- rechtshirtenbrief“544 vom November 1941, veranlassten den Hirtenbrief am Passions- sonntag545 1942 mit und bereiteten den Weg für den Dekaloghirtenbrief546 vom 12. September 1943. Hierbei spielte König eine entscheidende Rolle, indem er als „Le- gat“ von Kardinal Faulhaber die Zustimmung von 24 Diözesanbischöfen zu dem Men-

535 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 50. 536 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 50. 537 Zimmermann, Haubach 2004, S. 388. 538 MB (26.10.1942) S. 425. 539 Zimmermann, Haubach 2004, S. 391. 540 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 260. 541 MB (09.05.1942) S. 370. 542 Ullrich, Kreis 2008, S. 51. 543 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 316 ff. 544 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 316. 545 Volk, Akten deutscher Bischöfe Bd. 5 1983, S. 700-704. 546 Volk, Akten deutscher Bischöfe Bd. 6 1985, S. 197-205. 102 Beschreibung des Kreisauer Kreises schenrechtshirtenbrief erreichte. König hatte dazu auch Kontakt zum evangelischen Landesbischof Wurm geknüpft.

König, „der „Mann von Rösch“, war also, wie schon erwähnt, nicht nur Kurier, wie bei Steltzer und Gerstenmaier vermerkt. Auch seine konzeptionelle Mitarbeit war beacht- lich. Dies wird an seinen handschriftlichen Bemerkungen zur Besprechung vom 02. August 1942, in seiner Absicht, die humane Pflicht der Kirchen herauszuarbeiten, in seiner Bereitschaft, politische Konsequenzen zu übernehmen,547 und bei seinen ver- schärfenden Korrekturen am Menschenrechtshirtenbrief vom November 1941548 deut- lich.

Die bekannte Deutschlandkarte549 mit der geplanten Länderneuordnung des Kreisauer Kreises stammt zweifelsfrei von König550; er hatte sie aufgrund von Besprechungen mit dem engeren Kreis bei Yorck angefertigt. König war gemeinsam mit Rösch auch betei- ligt, im Gespräch mit Preysing einen Kontaktbischof für den Kreisauer Kreis zu identi- fizieren.551 Moltke arbeitete pausenlos mit König552 und akzeptierte ihn als gleichbe- rechtigten Teilnehmer. Auch nach der Verhaftung Moltkes hielt König noch engen Kon- takt mit den Kreisauern (Yorck) und warnte über seinen Mitbruder Tattenbach am 21. Juli 1944 Delp in Bogenhausen vor der Verhaftung.553

547 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 321: „Diese ausdrückliche Mitarbeit wird in einer handschriftlichen Überarbeitung greifbar, wie sie zu den ‚Unterlagen für die Augustbesprechungen’ (2. August 1942) vorliegt. Von König stammt etwa die Formulierung: ‚Die Verkündigung des ius nativum ist eine Pflicht der Kirche; damit arbeitet die Kirche dispositiv der Herausbildung der neuen Ordnung zu.’ Zuvor hieß der Satz: ‚Die Verkündigung des ius nativum ist eine geistliche Pflicht der Kirche; dadurch erfüllt sie aber den wichtigsten Beitrag: Menschen zu erwecken.’ In den ‚Themen der Besprechungen’ (vom gleichen Datum) geht auf König diese Textformulierung zurück: ‚Daß dieses Eintreten der Kirche in der gegenwärtigen Lage von dem heutigen Staat politisch missdeutet und daß es notwendigerweise politische Wirkungen auslösen wird, darf die Kirchen nicht daran hindern, die großen Aufgaben der geis- tigen Führung der Menschen zu übernehmen.’ Zuvor lautete der Text: ‚Daß dieses Eintreten der Kirchen in der gegebenen Lage von dem heutigen Staat politisch mißdeutet werden wird und daß es mit Rücksicht auf den Totalitätsanspruch des Staates notwendigerweise politische Wirkungen äußern wird, darf die Kirchen nicht daran hindern, die großen seelsorgerlichen Aufgaben, die die Menschen von ihnen erbitten und erwarten, auf sich zu nehmen.’ Aus beiden Formulierungen wird zweierlei deutlich: 1. die Absicht Königs, eine humane Pflicht der Kirchen herauszuarbeiten, jenseits oder längst vor einem ‚seelsorgerli- chen Auftrag’, 2. seine Einsicht, daß jedes Engagement in der konkreten Situation politische Konsequen- zen hat, seine Bereitschaft, diese Konsequenzen zu übernehmen.“ 548 Alte Fassung: „Was an Beeinträchtigung der Rechte der Kirche im einzelnen hier und dort in unserem Vaterland geschieht, zwingt jeden Bischof, dazu Stellung zu nehmen.“ Text König: „Jeder deutsche Bi- schof muß die unverrückbaren Gesetze Gottes und die Rechte der Kirche verteidigen, gleichviel in wel- chem Teil des Reiches der Angriff erfolgt.“, in: Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 317. 549 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 116 f. 550 Husen, Paulus van: Brief an Roon, 30.04.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 3. 551 MB (30.06.1942) S. 386 f. 552 MB S. 397. 553 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 295. 103 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Moltke554 besuchte Gerstenmaier eine Zeit lang in seiner Wohnung in Charlottenburg, im Herbst/Winter 1942/43 fast jeden Tag eine Stunde.555 Gerstenmaier nahm auch an der 2. und 3. Kreisauer Tagung teil. Moltke war ihm dankbar, dass er ihn am 24. Juni 1942 in Berlin mit dem württembergischen Landesbischof D. Theophil Wurm zusam- mengebracht hatte. Gerstenmaier übernahm wegen seines theologischen Sachverstandes und seiner guten Vernetzung in einem Teil der evangelischen Kirche die Rolle des Ver- bindungsmannes der Kreisauer zu den Führungskreisen der evangelischen Kirche, eine Funktion, die, wie bereits dargelegt, vorher hauptsächlich Gablentz innehatte. Dank der Vorbereitung durch Gerstenmaier verliefen die Gespräche mit Wurm äußerst erfolg- reich. Am 19. Juli 1942 fand offenbar ein weiteres Gespräch statt.556 Wurm akzeptierte die Planungen bezüglich der Errichtung eines Rechtsstaats und die ökumenischen Vor- stellungen der Kreisauer. Vermutlich verglich Moltke diese Gespräche mit den Kontak- ten zur katholischen Kirche, wo alles zäh und anscheinend mit großen Widersprüchen verlief.557 Wie allerdings die anderen Landesbischöfe zu den Kreisauer Planungen stan- den, ist offen.

Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 agierte Gerstenmaier in engem Schulter- schluss mit Yorck und Stauffenberg und gesellte sich noch am Tag des 20. Juli, von einer Reise kommend, in den Bendlerblock zu dem sich dort bereithaltenden Yorck. In seinem Lebensbericht schreibt Gerstenmaier: „Die zwei Jahre, die ich in und mit dem Kreis erlebte, zähle ich zu den reichsten meines Lebens. Ihre größte Intensität erlangten sie freilich für mich, als Moltke, Delp und ich im sogenannten Totenhaus von Tegel nebeneinander in Einzelhaft lagen.“558

Husen war an den beiden ersten Kreisauer Tagungen nicht dabei.559 In der Planungs- phase zur 3. Kreisauer Tagung vom 12. bis 14. Juni 1943, an der er auch selbst teil- nahm, und in der programmatischen Endphase im Herbst 1943, in der insbesondere die bisherigen Planungen der Kreisauer in den „Grundsätzen für die Neuordnung“ vom 09. August 1943 zusammengefasst wurden, war Husen dann aber regelmäßig betei-

554 MB (04.06.1942) S. 375. 555 Gerstenmaier, Zwei können widerstehen 1992, S. 42. 556 MBF S. 195. 557 Bleistein, Kirche und Politik 1987b, S. 156. 558 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 152. 559 Schindler, Husen 1996, S. 44. 104 Beschreibung des Kreisauer Kreises ligt.560 Die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit lag dem Juristen Husen besonders am Herzen. Drei Schwerpunktthemen, die Husen in seinem Leben besonders beschäftig- ten und seine programmatische Mitarbeit im Kreisauer Kreis prägten, kristallisierten sich dabei heraus: der Schutz völkischer Minderheiten durch das Minderheitenrecht, die Bestrafung der NS-Verbrecher und die Verbesserung des Rechtsschutzes durch unab- hängige Verwaltungsgerichte. Er befasste sich außerdem mit Bildungs- und Schulpoli- tik.561 Für die 3. Kreisauer Tagung verfasste er eine Stellungnahme zur Bestrafung von Kriegsverbrechern. Dies bestätigte Husen nach dem Krieg: „Nur bei dem letzten Treffen an Pfingsten 1943 war ich anwesend. Es betraf im Wesentlichen die Behandlung der Kriegsverbrecher und Nazis nach dem Zusammenbruch. Die Entwürfe dafür habe ich angefertigt.“562 Der katholische Westfale, ehemals Mitglied der „Gemischten Kommis- sion“ in Oberschlesien, später Oberverwaltungsgerichtsrat, kundig vor allem im interna- tionalen Recht, entnahm wie Lukaschek seiner Kirche Haltung und Antrieb.563 Die Na- tionalsozialisten hatten den tiefgläubigen Katholiken entlassen, weil er seine Stellung bei der deutschen Verbindungsmission der „Gemischten Interalliierten Kommission für Oberschlesien“ benutzt hatte, um Juden vor der Verfolgung zu schützen. 1940 kam er als Rittmeister d. R. zum OKW und war später aktiv an den Vorbereitungen des 20. Juli 1944 beteiligt.564

Leber stieß erst kurz vor der Verabschiedung der Grundsätze für die Neuordnung im August 1943 zum Kreisauer Kreis. Laut Brief an Freya vom 08. August 1943565 erwar- tete Moltke, dass Leber, „der Ersatz-Onkel“, „vielleicht“ an der entscheidenden Pla- nungssitzung teilnehmen würde. Es kann aber nicht festgestellt werden, ob er tatsäch- lich teilnahm und welchen Einfluss er möglicherweise dabei ausübte.

Leber machte entsprechend den Regeln konspirativen Verhaltens keinerlei Aufzeich- nungen über seine Vorstellungen von Widerstandsarbeit und einer künftigen Ord- nung.566 Wenn man den Beitrag Lebers für den Kreisauer Kreis bewerten will, muss man sein Wirken vor dem Zutritt zum Kreis betrachten. Leber wollte Weimar verbes- sern und überholter Parteidogmatik zu Leibe rücken. Als vordringlichste Aufgabe am

560 Dies erschließt sich aus der Auswertung der Briefe Moltkes an seine Frau Freya. Danach traf sich Moltke 1943 26-mal mit Husen und in der programmatischen Endphase im August 1943 war er täglich beteiligt; MB S. 458 ff., S. 520 ff. 561 Schindler, Husen 1996, S. 15. 562 Husen , Paulus van: Brief an Roon, 02.01.62. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 563 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 144. 564 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 507. 565 MB S. 522. 566 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 171. 105 Beschreibung des Kreisauer Kreises

„Tage danach“ sprach er gelegentlich von einer Art neuer Volksfront auf der Grundlage „aller überlebenden und lebensfähigen sozialen und demokratischen Kräfte“567. Die Diktatur, so stellte er fest, sei nicht über Nacht auf demokratische Verhältnisse umstell- bar.

Wie bei einer Entziehungskur schwebte ihm ein langsam fortschreitender Abbau der unum- schränkten Exekutivgewalten des Naziregimes vor, bei gleichzeitiger Errichtung eines Zweiparteien-Systems – die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften sollten Grundlage der einen Partei sein, während die andere mehr konservativ gedacht war.568 Gedanken dieser Art beschäftigten Leber stark. Mit dem Fortschreiten des Krieges trat allerdings die praktische politische Arbeit immer mehr in den Vordergrund.

Nachdem das Werden des Kreisauer Kreises beschrieben, die Benennung und Charakte- risierung der Mitglieder und deren Beiträge dargelegt wurden, soll die Struktur des Kreisauer Kreises mithilfe der eingangs erläuterten Netzwerkanalyse näher untersucht werden.

2.3.4 Reichweite des Netzwerkes Kreisauer Kreis

Wie wir bereits im Exkurs zur Netzwerkanalyse gesehen haben, lassen sich mehrere mögliche Strukturparameter wie Kontakt, Kommunikation, Sympathie, Vertrauen, Ana- lyse von Einflussbeziehungen unter dem Oberbegriff der „Reichweite“ subsumieren. Ein egozentriertes Netzwerk besitzt Reichweite in dem Ausmaß, in dem Verbindungen zu ganz verschiedenen alteri hergestellt werden.569 Dieser Aspekt ist geeignet die Hete- rogenität des Kreisauer Kreises zu erfassen. Der Begriff der Reichweite kann inhaltlich in verschiedenen Hypothesen sinnvoll verwendet werden. Je größer z. B. die Reichweite der Kontakte, umso weniger wird der Befragte, wie wir im Netzwerkexkurs gesehen haben, dem normativen Druck ganz bestimmter Milieus unterliegen und umso besser wird er in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft integriert sein.

2.3.4.1 Vertrauen und emotionale Beziehung

Die meisten Informationen in diesem Sektor erhalten wir auch hier aus den Briefen Moltkes an seine Frau Freya. Diese geben, wie Krusenstjern richtig bemerkt, natürlich nur seine subjektive Sicht wieder, die von Anerkennung bis zu Spott und Herablassung

567 Leber, Weg 1952, S. 283 f. 568 Leber, Weg 1952, S. 284. 569 Burt, Tertius Gaudens 1983b, S. 177. 106 Beschreibung des Kreisauer Kreises reichte. „Er wollte keine fairen und abgewogenen Urteile fällen, sondern spontan und ungezwungen seine Frau an den Vorgängen Anteil nehmen lassen.“570

Tatsächlich variierten Sympathieintensität und Grad emotionaler Verbundenheit zwi- schen den Netzwerkakteuren deutlich, dies soll an einigen Beispielen dargelegt werden. Keinen Abstrich gab es bei dem gegenseitigen Vertrauen, denn nur so war eine politi- sche Diskussion unter konspirativen Verhältnissen möglich.

Zunächst ist festzuhalten, dass Moltke kaum jemanden duzte571, auch Yorck nicht572, den er voll anerkannte. Dann können eine Reihe von emotionalen Besonderheiten im Kreisauer Kreis festgestellt werden. So bestanden Unterlegenheitsgefühle aufseiten Trotts und Einsiedels gegenüber Moltke. Inwieweit dies ein Überlegenheitsgefühl Moltkes widerspiegelt, ist schwer auszumachen. Am 05. November 1942 schreibt Molt- ke an Freya:

Heute Mittag waren Gerstenmaier und Trott da. T. war sehr widerspenstig, aber mit Gers- tenmaiers Hilfe wurde er in einer dreistündigen Diskussion gezähmt. Er ist erstaunlich in- telligent, aber dadurch auch sehr belastet. Außerdem hat er ganz unerklärlicherweise mir gegenüber einen Minderwertigkeitskomplex, der ihn immer wieder zu sehr aggressiven Haltungen und Äußerungen veranlasst. Das ist alles sehr komisch, hätte aber gestern Schwierigkeiten gegeben, wenn Gerstenmaier nicht dabei gewesen wäre. So ist alles gut gegangen.573 Einsiedel schrieb aus dem Löwenberger Arbeitslager einen Brief an einen Freund, darin heißt es:

Eines Tages tauchte ein Vetter C. D. v. T.s [Trotha; A. d. V.] auf der Bildfläche auf. Ein Mensch, dem ich mich zum erstenmal sehr unterlegen fühlte. Beinahe zwei Jahre jünger als ich, eben erst zwanzig Jahre alt, kennt vom Kaiser an und Hindenburg sämtliche Politiker Europas bis zu Löbe und Loucheur. Er ist ungeheuer klug und weltgewandt, tüchtig und wirklich imponierend. Natürlich spricht er mit allen Menschen in einer gewissen weltmän- nischen Art und Weise, und da liegt auch seine Grenze.574 Diesem Unterlegenheitsgefühl Einsiedels entspricht ein Überlegenheitsgefühl aufseiten Moltkes, das er in einen Brief an Freya ausdrückte: „Bei Einsiedel, mit dem ich ziem-

570 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 443. 571 Moltke war zunächst nur mit seinem Vetter Trotha und Einsiedel (MBF S. 127) per Du, während der Haftzeit in Tegel sprach er auch von Eugen [Gerstenmaier; A. d. V.] (HFM S. 535 und 566), Delp siezte er weiter (HFM S. 564). 572 Siehe Auskunft von Raymond Huessy vom 23.04.1910: „Feststeht, dass Moltke und ERH [Rosen- stock-Huessy; A. d. V.] sich gut kannten; enger war ERH mit Moltkes Vetter CDvT [Trotha; A. d. V.] und mit HvE [Einsiedel; A. d. V.] verbunden – in den letzten Jahren ihrer viel zu kurzen Leben waren beide sogar Duzfreunde ERHs – ein solch enge Verbindung, wie Freya von Moltke mir noch kurz vor ihrem Tode beteuert hat, gab es bei Moltke nicht.“ 573 MB S. 431. 574 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 28. 107 Beschreibung des Kreisauer Kreises lich genau so gut kann [wie mit Yorck; A. d. V.], ist aus irgendwelchen Gründen bei mir eine gewisse Überlegenheit und das stört mich immer.“575

Ein Beispiel emotionaler Distanz glaubt Hohmann zwischen Moltke und Reichwein entdeckt zu haben. Moltke scheint Wert auf die Mitarbeit Reichweins gelegt zu haben, dieser gehörte aber nicht zu seinen engsten Vertrauten.576 Reichwein zählte, so Hoh- mann, nicht zu dem aus Steltzer, Rösch, Yorck und Guttenberg bestehenden Team, das mit der Vorbereitung der Kreisauer Pfingsttagung 1942 beauftragt worden war577, ob- wohl diese auch der Bildung und Erziehung gewidmet war, bei der der Bildungsexperte Reichwein in der Vorbereitung hätte hilfreich sein können.

Dass Moltke nicht grundsätzlich auf die Beschreibung seiner Beziehungen zu den ihn umgebenden Männern verzichtete und auch auf Emotionen einging, beweist der Brief vom 14. Juni 1942, in dem er über die hohe Wertschätzung, die er Theodor Steltzer ent- gegenbrachte, schreibt: „Ich habe ein so angenehm warmes Gefühl für ihn und ein so sicheres bei ihm. Wenn ich denke, was für gute Männer und Frauen ich in meinem Le- ben schon zu treffen das Glück hatte, so kann ich mich wahrhaftig nicht beklagen.“578 Alberts vermutet, dass Steltzer, nach Yorck, das Mitglied mit dem engsten inhaltlichen und menschlichen Bezug zu Moltke wurde:579

Theodor Steltzer war der [nach Lukaschek; A. d. V.] Älteste im Kreis. Mit Moltke verband ihn ein großer Gleichklang der Auffassungen. Aber vielleicht hat Helmuth James in ihm auch anderes, etwa das Väterliche, gesehen; das Ruhige, das Überlegene, das Zuverlässige des Grandseigneurs, der über zwanzig Jahre älter war und schon einiges hinter sich hatte, mögen ihn angezogen haben. Sein eigener Vater war dem Lebenskampf eines Gutsbesitzers in schwieriger Zeit nicht gewachsen gewesen und hatte sich überdies gänzlich der Christian Science zugewandt. Sah Moltke in Steltzer den starken Vater?580 Rösch wurde von Moltke, wie bereits angemerkt, als „einer unserer besten Leute“581 bezeichnet. Und auch Steltzer hat Rösch als „überlegen sachliche Persönlichkeit“ cha- rakterisiert. Interessant ist auch die emotionale Beziehung Moltkes zu Leber. Obwohl er von Lebers Persönlichkeit aufs Stärkste beeindruckt war und dessen „ungeheure Aktivi- tät“582 hervorhob, spürte er eine starke persönliche Zurückhaltung und eine gewisse Dis- tanz in der Sache aufseiten Lebers, wie wir beim Werden des Kreisauer Kreises bereits festgestellt haben. Freya von Moltke sagte zum Verhältnis ihres Mannes zu Leber:

575 MB (13.09.1941) S. 287. 576 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 188. 577 MB (10.12.1941) S. 333. 578 MB S. 379 f. 579 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 113. 580 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 114. 581 MB (11.01.1943) S. 451. 582 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 9, Einführung von Mommsen. 108 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Wie ich das von meinem Mann her weiß, hätte das Verhältnis zu Julius Leber nicht besser sein können, denn mein Mann hat ungeheuren Wert darauf gelegt, daß die Menschen ir- gendwie so im praktischen Leben standen, und Julius Leber war als früherer Reichstagsab- geordneter ein gestandener Sozialist. Mein Mann hat ihn besonders gern gehabt. Er ist vor jeder Auslandsreise zu ihm gegangen, hat sich lange in seiner Kohlenhandlung bespro- chen.583 Über das Näheverhältnis der Kreisauer, insbesondere zu Moltke, machte Peters 1952 eine interessante Aussage.584 Auch wenn Peters ihn als einen charakterfesten Menschen von tiefer ethischer Fundierung und weit überdurchschnittlicher Klugheit und Güte überaus schätzte, sei er ihm innerlich menschlich wohl nie sehr nahegekommen. Gleichwohl hob Freya gegenüber Lionel Curtis anlässlich der Gratulation zu dessen Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Köln durch Peters diesen als einen der Freunde ihres Mannes heraus: „[He] was one of Helmuth’s friends in the struggle and who knows something of the good spirit in Germany.“585

Zimmermann wies auf eine spürbare Distanz des elf Jahre jüngeren Moltke gegenüber Haubach hin, „die durch das zurückhaltend-steife, ständig um Ernsthaftigkeit bemühte Auftreten Haubachs, das den ohnehin vorhandenen Altersunterschied eher vergrößern half, nicht so schnell zu überwinden war.“586 Dies wird an einem Schreiben Moltkes an seine Frau festgemacht, wo dieser „herablassend“, so Zimmermann, davon berichtete, bei Haubach einen „himmlischen Rehrücken“587 gegessen zu haben, und „gönnerhaft lobend vermerkte, ‚die guten Alten’ hätten sich außerordentlich angestrengt“ – gemeint gewesen sein müssen Theo und seine Haushälterin Monika. An anderer Stelle merkte Moltke gar an, er habe Mierendorff „eben doch lieber allein als mit Theo“588 bei sich. Es muss aber hinzugefügt werden, dass sich Moltkes Meinung und auch seine emotio- nale Nähe zu Haubach im Verlauf der Arbeit veränderten. Haubach gefalle ihm „eigent- lich immer besser“, schrieb er nach einem Arbeitsgespräch.589 „Merkwürdig, wie dieser Mann in letzter Zeit gewachsen ist“, war eine beurteilende Anmerkung Moltkes, eine andere hob die aus seiner Sicht zunehmende Qualität der konzeptionellen wie prakti- schen Arbeit hervor: Die „sachlichen Ergebnisse“, die Haubach einbrachte, seien „nicht schlecht“, und er bezeichnete die Gespräche mit ihm als „fruchtbar und fördernd.“590

583 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 156. 584 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 2 f. 585 Moltke, Freya von: Brief an Lionel Curtis, 14.06.1951. BA NL Peters, N 1220-34. 586 Zimmermann, Haubach 2004. S. 388 f. 587 MB (25.06.1943) S. 496. 588 MB (28.06.1943) S. 497. 589 MB (20.08.1943) S. 526. 590 MB (09.01.1944) S. 589. 109 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Bei diesen Wertungen gegenüber Haubach wird auch der Führungsanspruch Moltkes sichtbar, der in einem späteren Abschnitt nochmals beleuchtet werden soll.

Die dargestellten emotionalen Relationen, auch in ihrer unvollständigen Form, ergeben ohne Zweifel eine „psychologische“ Erklärung für den Kreisauer Kreis als soziologi- sche Gemeinschaft nach Tönnies. Das gemeinschaftliche Leben ist, wie wir im Exkurs gesehen haben, primär durch die Vorherrschaft gefühlsmäßiger Beziehungen zwischen den Menschen gekennzeichnet.

Netzwerkanalytisch kann bei den vielen unterschiedlichen emotionalen Verhältnissen, die Moltke mit seinen Freunden hatte, nicht von einer einheitlichen Reichweite gespro- chen werden. Zu oft ist Distanz, unterschiedliche Wertschätzung und nicht voll funktio- nierende Kommunikation zu spüren, als dass von einem normativen Druck gesprochen werden könnte.

Das Ganze galt als Bund der Freunde, es muss also mehr zur Vergemeinschaftung bei- getragen haben als reine freundschaftliche Gefühle: Es war die Gegnerschaft zum Na- tionalsozialismus aus ethischen Gründen.

2.3.4.2 Außenbeziehungen

Kennzeichnend für den Kreisauer Kreis sind auch die vielfältigen Außenbeziehungen seiner Akteure, die hier nur beispielhaft und keineswegs vollständig dargestellt werden können. Es wird erkennbar, dass er kein in sich abgeschlossenes Netzwerk war, sondern dass die Freunde mitunter mannigfaltige Außenbeziehungen unterhielten, woraus dem Kreisauer Kreis zusätzliche notwendige Informationen, Anstöße, aber auch Gefahren erwuchsen. Die Begegnung Lebers und Reuchweins mit der kommunistischen Saefkow- Jacob Gruppe hatte für sie fatale Folgen.

Zur Betrachtung und Bewertung der Außenbeziehungen kann auf eine interessante Theorie der Netzwerkanalyse zurückgegriffen werden. Bei der Erörterung der Anwend- barkeit des netzwerkanalytischen Instrumentariums auf die vorliegende Arbeit wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei der Frage nach der Effizienz des Netzwerkes starke Beziehungen eher als funktionelles Hindernis erscheinen. Wie bereits erörtert, binden sie zum einen Energien, die der Beziehungspflege selbst, nicht aber dem Informations- fluss zugutekommen, zum anderen fördern sie die Entstehung stärker miteinander ver- bundener Zirkel innerhalb des Gesamtnetzes, die dazu neigen, sich nach außen abzu- schotten und schon dadurch den Informationsfluss zu hemmen. So gesehen macht die

110 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Behauptung von der Stärke schwacher Bindungen mit Blick auf das Gesamtnetzwerk Sinn, da sich so die Beschränktheit kohäsiver Kreise besser überwinden lässt und der Akteur beispielsweise viele unterschiedliche Informationen erhält.

Moltke, gemeinsam mit Yorck Mittelpunkt des Kreisauer Kreises, beschränkte seine Kontakte nicht ausschließlich auf diesen, obwohl ihm die Pflege und die Bindung der im Kreis immer wieder auftretenden Zentrifugalkräfte viele Anstrengungen kostete. Moltke rief schon in den Löwenberger Tagen das Erstaunen Rosenstocks hervor, als er bei der Organisation und Geldbeschaffung seine Bekanntschaft mit Brüning, dem Kul- tusminister Becker und anderen Persönlichkeiten wie Gerhart Hauptmann einsetzte. Bereits im September 1928 hatte Moltke über eine Begegnung mit Becker an seine Großeltern in Südafrika geschrieben: „He is one of the finest men in Germany. We had three days of nice long talks [in Marienbad; A. d. V.].”591 Moltke kannte schon als 20- Jähriger „vom Kaiser an und Hindenburg sämtliche Politiker Europas“, sagte Einsiedel, wie bereits erwähnt, in seinem Bericht über die Arbeitslager.592 Die Liste seiner Kontak- te im In- und Ausland ließe sich beliebig fortsetzen. Allein in seinen Briefen sind u. a. erwähnt: der Bank- und Finanzmann Hermann Josef Abs, die englische Parlamentsab- geordnete Lady Astor und Lord Astor, General , der Bischof von Chiches- ter und Ökumeniker George Bell, der Bischof von Oslo und Exponent des norwegischen Kirchenkampfs Eivind Berggrav, der Jurist im Wirtschaftsministerium Peter Bielen- berg, der auch mit Yorck Kontakt hatte, der Finanzfachmann im Reichswirtschaftsmi- nisterium Karl Blessing, der Großgrundbesitzer Ernst von Borsig, Heinrich Brüning, der väterliche Freund Lionel Curtis, Vorsitzender des einflussreichen außenpolitischen Zir- kels Round Table und Gründer des British Royal Institute of Foreign Affairs, der Gene- ral Alexander Freiherr von Falkenhausen, seit 28. Juni 1940 Militärbefehlshaber in Bel- gien und Nordfrankreich, der Gewerkschaftsmann Franz Josef Furtwängler, der Vetter Stauffenbergs und Yorcks, Caesar von Hofacker, der Kontaktmann in der amerikani- schen Botschaft George Kennan, der amerikanische Geschäftsträger Alexander Coms- tock Kirk, mit dem er während seiner Türkei-Reisen Kontakt aufnehmen wollte, die amerikanischen Journalisten Edgar und Jane Mowrer, in seiner Eigen- schaft als Botschafter in Ankara, der Wirtschaftsprofessor Alexander Rüstow, der Maler Schmidt-Rottluff, den er bat, seine Kreisauer Heimat zu malen, bevor diese verloren ging, der Genfer Ökumeniker Hans Schönfeld, der Schriftsteller Carl Zuckmayer. Diese

591 Moltke, Helmuth an seinen Großvater, 06.09.1928. DLA, Nachlass A:Moltke, S. 3. 592 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 28. 111 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Liste soll die Spannweite der weit gefächerten Bekanntschaften Moltkes verdeutlichen. Alle Kreisauer waren ähnlich gut auch außerhalb des Kreisauer Kreises vernetzt. Dies kann im Folgenden nur angedeutet werden.

Adolf Reichwein hatte Verbindung zur Gewerkschaftsgruppe Leuschner/Maass.593 Reichwein und Hans Peters waren Mitarbeiter des Kultusministers Carl Heinrich Be- cker gewesen. In Peters Zuständigkeit lag die Universitätsreform und Reichwein war persönlicher Referent von Becker. Beide pflegten diese Bekanntschaft weiter.594 Reich- wein hatte ebenso wie Leber Kontakt zur Saefkow-Jacob-Gruppe der Kommunisten.595 Er verfügte schon seit 1943 über seinen ehemaligen Jenaer Volkshochschulkollegen Fritz Bernt über regelmäßige Kontakte zur illegalen KPD und zur Thüringer KPD- Führung. Von dieser und der Saefkow-Jacob-Gruppe ging die Initiative zu einer Kon- taktaufnahme im Sommer 1944 vor dem geplanten Attentat aus. Dieses Treffen bot die Chance, eine begrenzte Kooperation oder doch wenigstens ein Stillhalten von kommu- nistischer Seite nach dem geplanten Attentat vom 20. Juli zu erreichen. Obwohl sich die meisten Mitverschwörer mit Ausnahme von Yorck gegen eine Kontaktaufnahme aus- sprachen, entschlossen sich Leber und Reichwein, an einem Zusammentreffen mit Ja- cob, Saefkow und Thomas am 22. Juni 1944 teilzunehmen, in dessen Folge die Gestapo am 04. Juli zuschlug, als Reichwein zu einem vereinbarten weiteren Treffen unterwegs war.596 Dies führte zur Verhaftung Reichweins und Lebers und schließlich zu deren Ermordung.

Hans Peters pflegte enge Kontakte zur katholischen Kirche: Seit 1933 im Vorstand der Görresgesellschaft, übernahm Peters im Frühjahr deren Präsidentschaft. Er hatte auch

593 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 157 ff. 594 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 167. 595 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 168 ff. Nach Zerschlagung der illegalen KPD- Organisationen bildete sich eine Reihe neuer illegaler Gruppen, die völlig unabhängig auf eigene Initiati- ve agierten. Anton Saefkow begann „nach seiner Entlassung aus dem Zuchthaus und Konzentrationslager 1939 in Berlin mit der Aufnahme neuer Beziehungen, um wieder illegal arbeiten zu können. In unermüd- licher und zäher Kleinarbeit entfaltete er, zusammen mit dem im Oktober 1942 vor seiner Verhaftung aus Hamburg geflohenen Franz Jacob und dem im Mai 1944 hinzugekommenen Bernhard Bästlein, eine umfangreiche Tätigkeit in Berlin und nahm darüber hinaus Verbindungen zu den in der gleichen Zeit entstandenen starken kommunistischen Organisationen in Sachsen und Thüringen sowie in anderen deut- schen Städten auf“: Reichardt, Widerstand der Arbeiterbewegung 1966, S. 197 f. Mehr zu der Wider- standsarbeit der Gruppe Saefkow in: Pechel, Deutscher Widerstand 1947, S. 93 f.; Mallmann, Profile des kommunistischen Widerstandes 1997, S. 226; Broszat, Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands 1986, S. 306. Broszat sieht in dieser Fühlungnahme mit den kommunistischen Repräsentanten der Unter- grundorganisation des Nationalkommitees Freies Deutschland eine „zunehmende Konvergenz des Wider- standes in der Schlussphase des Krieges.“ 596 Mommsen, Reichweins Weg 1999 S. 11-22. Mommsen ist der Meinung, dass Stauffenberg die Kon- taktaufnahme Reichweins und Lebers mit der Saefkow-Gruppe gutgeheißen habe; in: Mommsen, Gesell- schaftsbild 1966, S. 158. 112 Beschreibung des Kreisauer Kreises enge Beziehungen zu Bischof Graf Preysing in Berlin und führte Moltke bei ihm ein.597 Peters berichtete 1952, dass seine eigenen Beziehungen zu den katholischen Gewerk- schaftern Bernhard Letterhaus, Jacob Kaiser, Hermann Josef Schmitt und Josef Wirmer sich ganz außerhalb des Kreisauer Kreises abspielten.598 So war Peters in der Gewerk- schaftsfrage, die bei den Planungen im Kreisauer Kreis ein kontroverses Thema war, voll unterrichtet. Peters hatte laut seinen Erinnerungen auch lockere Verbindungen zu einzelnen Kommunisten, etwa zu Schulze-Boysen und Wolfgang Kühn. Hans Peters, an der Friedrich-Wilhelm Universität lehrend, hatte auch Kontakte zu Carl Schmitt, mit dem er beim Preußenschlag die Klingen kreuzte.599

Auch Hans Lukaschek hatte enge Beziehungen zur katholischen Kirche, besonders zu Kardinal Bertram600, die er dem Kreisauer Kreis zur Verfügung stellte. In Österreich hatte er zum ehemaligen Landeshauptmann von Salzburg Franz Rehrl, in Schweden zu Hans Schäffer und Bankier Wallenberg Kontakt. „Die Verbindung zu Persönlichkeiten im Ausland diente dazu, über die Arbeit des Kreisauer Kreises zu unterrichten und sie zur Unterstützung zu gewinnen. Über das neutrale Schweden versuchten die Kreisauer eine Annäherung mit England zu erreichen.“601

Carlo Mierendorff und Theodor Haubach waren fest in der Sozialdemokratie veran- kert. Sie brachten zunächst Leuschner in den Kreisauer Kreis, und als dieser zu den Ex- zellenzen wechselte, brachte Mierendorff602 an Leuschners Stelle Julius Leber ins Spiel.

Theodor Steltzer war als Generalstabsoffizier gut vernetzt mit Militärs wie mit General- leutnant und Reichsminister Wilhelm Groener, dem ehemaligen Generalstabschef Lud- wig Beck, dem Wehrmachtsbefehlshaber Norwegens, Nikolaus von Falkenhorst. Be- sonders eng waren natürlich seine Kontakte in Norwegen zu dem schon erwähnten Bi- schof von Oslo, Eivind Berggraf, dem damaligen Exilanten Willy Brandt und dem So- ziologen und Kontaktmann zur norwegischen Heimatfront, Arvid Brodersen.

Hans-Bernd von Haeften pflegte enge Beziehungen zu Dietrich Bonhoeffer und Pfarrer Hannes Schönfeld aus Genf603, z. B. konsultierte er diese unabhängig voneinander vor

597 Roon, Neuordnung 1967. S. 114. 598 „Wir besprachen die Lage, erörterten Personalfragen und warteten auf eine Beseitigung Hitlers durch Militärs“; in: Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96, S. 6. 599 Koenen, Der Fall Carl Schmitt 1995, S. 97. 600 Dieser Kontakt hatte den Zweck die katholischen Bischöfe zur Unterstützung der Kreisauer Arbeit zu gewinnen und öffentliche Proteste gegen die nationalsozialistische Unrechtspolitik in Form von Predigten und Hirtenbriefe zu erreichen, siehe Lukaschek, Magdalena an Roon, 09.04.1963, IfZ, ZS/A 18, Bd. 4. 601 Schäffer, Hans: Tagebuchnotiz 20.-22.08.1938. IfZ, ED 93, Bd. 25, Bl. 79. 602 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 362. 113 Beschreibung des Kreisauer Kreises und nach ihrer Norwegenreise Ende Mai 1942, wo beide mit Bischof Bell von Chiches- ter zusammentrafen. Die Ergebnisse teilte er dann Moltke und dem Freundeskreis mit. Später wurde auch Eugen Gerstenmaier informiert und über ihn die Mitwirkung von Bischof Wurm von der württembergischen Landeskirche eingefädelt. Haeften und Ga- blentz informierten Moltke am 22. Juni 1942 vor dessen erstem Gespräch mit Wurm, dass dieser bereit schien, mit den Freunden weiterzuplanen und vorzubereiten. Vertrau- ensvolle Beziehungen hatte Haeften auch zum Wehrmachtspfarrer Krimm, von dem er Informationen über die Kriegsschauplätze erhielt.

Augustin Rösch war für Moltke, wie wir schon gesehen haben, wegen seiner engen Beziehungen zu den „widerständigen“ deutschen katholischen Bischöfen im Rahmen seiner Arbeiten im Ausschuss für Ordensangelegenheiten wertvoll.604 Rösch war der Mann für die Kreisauer, der immer wieder die Kontakte zu den Bischöfen, an erster Stelle zum Erzbischof zu München, von Faulhaber, zu knüpfen vermochte.605 Die Kon- takte zu Bischöfen zielten darauf hin, „einen offiziellen Vertreter oder zumindest einen Ansprechpartner der katholischen Kirche für die Kreisauer zu finden“606. Wie eine No- tiz Moltkes auf einem Arbeitspapier bestätigte607, wurden die Bischöfe Faulhaber und Preysing regelmäßig über die Vorgänge im Kreisauer Kreis informiert, mit der Absicht, auch eine quasi-amtliche Stellungnahme bei ihnen einzuholen.608 Über Rösch oder Delp lief auch der Kontakt zum „Sperr-Kreis“609 mit dem der Kreisauer Kreis im Frühjahr drei Besprechungen im Pfarrhaus von St. Georg/Bogenhausen hatte. Eine vierte Zu- sammenkunft kam auf Veranlassung Röschs im September 1943 in der Pestkapelle der St.-Michaels-Kirche in München zustande.610 Zwischen Delp und Sperr bestand ein lebhafter Kontakt. Von dort mögen Delp und König stets gute Informationen über die militärische Lage bezogen haben. Die Kontakte der Kreisauer Jesuiten reichten auch hinein in die militärische Opposition, etwa zu Generaloberst Franz Halder, wie Eintra-

603 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 71. 604 Bleistein, Rösch 1998, S. 107 ff und 120. 605 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 77. 606 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 274 f. 607 Roon, Neuordnung 1967, S. 241. 608 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 274 f. 609 Der „Sperr-Kreis“, benannt nach dem ehemaligen bayerischen Gesandten in Berlin, war ein Ge- sprächskreis von etlichen Männern des öffentlichen Lebens in Bayern, der sich bald nach der Macht- ergreifung formierte. Zu ihm gehörten Franz von Redwitz, ehemaliger Chef des bayerischen Kabinetts, Dr. Otto Geßler, ehemaliger Reichswehrminister, Dr. Eduard Hamm, ehemaliger Reichswirtschaftsminis- ter; lockere Beziehungen bestanden zu Generaloberst Franz Halder und zum Chef des Amtes Aus- land/Abwehr Wilhelm Canaris; in: Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 274 f. 610 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 276. 114 Beschreibung des Kreisauer Kreises gungen in dem Tagebüchlein Königs nahelegen.611 Einen weiteren für die Kreisauer wichtigen Kontakt schufen die Jesuiten zur katholischen Arbeiterbewegung (KAB). Damit fanden die Kreisauer nach Auflösung der Gewerkschaften 1933 Zugang zu einer lebendigen Arbeiterorganisation. Delp plante darüber hinaus ein Treffen mit Professor Kurt Huber von der studentischen Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“, was aber nicht mehr zustande kam. Moltke erhielt jedoch ein Flugblatt dieser Gruppe von Peters, das er in englischer Sprache612 am 18. März 1943613 über den norwegischen Bischof Berggrav in anderen Länden Europas, England, Norwegen und Schweden, bekannt machte. Die Münchner Jesuiten standen auch in reger Verbindung mit der evangelischen Landeskir- che in Stuttgart und dadurch mit dem im Widerstand gegen den Nationalsozialismus besonders engagierten Landesbischof Theophil Wurm. Dies geschah vermutlich über Pater König, der immer wieder auf seinen geheimen Reisen in Stuttgart haltmachte. Die Kontakte zum Episkopat waren für die Kreisauer auch deshalb wichtig, weil sie bei den Bischöfen – zusätzlich zur kritischen Einstellung dem Regime gegenüber – eine zielbe- wusste Abwehr aktivieren wollten. Die Verbindung zu anderen Kreisen trug dazu bei, den Informationsfluss zur Basis zu sichern und damit auch das Anliegen des Kreisauer Kreises auf ein breiteres bürgernahes Fundament zu stellen: ein weites Netz der Konspi- ration.614

Wenn man die erstaunlichen Aktivitäten der Jesuiten in diesem Netzwerk bewertet, so kann man dem Urteil von Bleistein nur zustimmen, wenn er sagt:

Das Netzwerk, das sich also von München aus unsichtbar über Deutschland ausbreitete, wurde von Rösch im wesentlichen strategisch und taktisch verantwortet, er schickte „seine“ Leute in diese nicht ungefährliche Arbeit. Er war es auch, der immer wieder das Generalat der Jesuiten in Rom und vor allem P. Robert Leiber, der zu Papst Pius XII. Zugang hatte, über die konspirativen Vorgänge in Deutschland informierte. All das scheint das Wort zu rechtfertigen, das Gerstenmaier Anfang April 1943 von einem Besuch in Rom mitbrachte, Rösch sei „der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“.615 Wie die Jesuiten hielt Adam von Trott neben dem Kreisauer Kreis Kontakt zu einem eigenen, stark verflochtenen nationalen und internationalen Netzwerk. Als Trott, be- fremdet von der Enge des nationalsozialistischen Alltags, sich nach seiner Rückkehr aus Großbritannien 1939 entschloss, das NS-System zu unterwandern, fand er Anstellung im Auswärtigen Amt, das er als seine Tarnung auffasste. Er unternahm in den Kriegs-

611 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 279. 612 DLA, Nachlass A:Moltke: vierseitiges Manuskript: The case of Hans Scholl, Maria Scholl, Adrian Probst, Professor Kurt Huber. 613 MB S. 460. 614 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 280. 615 MB S. 468; Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 282. 115 Beschreibung des Kreisauer Kreises jahren über 20 Missionen ins neutrale Ausland, in die Schweiz, in die USA, in die Tür- kei und nach Schweden, die als offizielle Dienstreisen getarnt waren.616

Überlebende Freunde berichteten617, wie überwältigend zahlreich Adams Beziehungen gewesen seien. Während seiner USA-Reise 1937 sprach er mit Harry Hopkins, einem engen Vertrauten Roosevelts, stellte Beziehungen her zur „Foreign Policy Association“, zum „Council of International Relations“ und insbesondere zum „Institute of Pacific Relation“ und dessen Präsidenten Edward Carter, der ihn sogar noch nach Kriegsbeginn für dieses Institut anforderte.618 In den USA traf er sich auch mit Heinrich Brüning, der Zugang wurde durch Moltke vermittelt.619 Zum Staatssekretär Weizsäcker im Auswär- tigen Amt fand er Zugang durch die alten Freunde von Kessel und von Nostitz; über den General von Falkenhausen, zu welchem ihm durch China Verbindungen gebahnt wor- den waren, führten Brücken zu dessen alten Freunden Beck, Goerdeler, Schacht, Planck und auch zu Leuschner. In England hatte er davor dauerhafte Kontakte zur Familie As- tor, zu dem Labourabgeordneten Sir Stafford Cripps oder Lord Lothian, dem General- sekretär der Rhodesstiftung. Diese sollten bei Trotts späteren außenpolitischen Missio- nen außerordentlich hilfreich sein. Ebenso wertvoll für den Kreisauer Kreis waren seine Kontakte zur Genfer Ökumene mit dem Generalsekretär Visser’t Hooft, Hans Schönfeld und Tracy Strong.

Gerstenmaier eröffneten sich als Mitarbeiter des kirchlichen Außenamtes die Möglich- keiten, auf Auslandsreisen Kontakte zu führenden Persönlichkeiten der ökumenischen Bewegung zu knüpfen.620 Im Kaltenbrunner Bericht heißt es dazu: „Gerstenmaier war im Auslandsamt der evangelischen Kirche tätig, hatte in dieser Eigenschaft zahlreiche Verbindungen zu den protestantischen Kirchen des Auslandes und war vielfach im Aus- land unterwegs.“621

Auch Paulus van Husen diente mit seinen Kontakten zur katholischen Amtskirche dem Kreisauer Kreis. Wichtig für die Kreisauer Arbeit war der Aufbau eines Kontaktes zum katholischen Bischof von Münster, Clemens August Graf Galen, mit dessen Bruder Hu- sen noch aus dem 1. Weltkrieg befreundet war, und zu Bischof Heinrich Wienken, dem

616 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 11. 617 Franke, Ein Leben für die Freiheit 1960, S. 37. 618 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 386. 619 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 152. 620 Ullrich, Kreis 2008, S. 48 621 KB S. 508. 116 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Vertreter der Bischöfe bei den Berliner Regierungsstellen.622 Mit beiden besprach Hu- sen Problematiken bei den Planungsarbeiten des Kreises, so z. B. Schulfragen, Wider- standsrecht und Eid, Personalfragen.623 Husen traf sich auch ein- oder zweimal mit dem Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, mit dem er sich im Wesentlichen über Schulfragen unterhielt, sicherlich auch über juristische Probleme, denn Preysing war gelernter Jurist.624 Ferner trat Husen im Auftrag des Kreisauer Kreises in Kontakt zu Persönlichkeiten im Ausland, um sie über die Kreisauer Arbeit zu unterrichten, so in der Schweiz, in Österreich, in Schweden; auch setzte Husen seine Kontakte bei der Suche nach Landesverwesern ein.625 Husen war, wie bereits erwähnt, eng mit Lukaschek be- freundet, er diente als Anlaufstelle für Lothar König und förderte somit die Verbindung zu den Münchner Jesuiten.626

Julius Leber, der erst sehr spät zum Kreisauer Kreis dazugestoßen und dort nur gering integriert war, hatte natürlich seinen eigenen gewachsenen, breiten Kontaktkreis, den er nicht aufgab. Er kann deshalb in dieser Betrachtung kaum behandelt werden.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Verbindungen, die Einzelne oder „Cli- quen“ der Kreisauer zu anderen nationalen Widerstandsgruppen oder regimekritischen Einheiten hielten. Über die Jesuiten und die Katholiken bestanden – teilweise auch enge – Verbindungen zum Ordensausschuss, zur Kirchlichen Hauptstelle für Männerarbeit und -seelsorge, zum Kölner Kreis und zum Sperr-Kreis, über die evangelischen Kreis- auer zur Bekennenden Kirche, über Schmölders zum Freiburger Kreis und über die So- zialisten der Kreisauer gab es Kontakte zum sozialistisch-gewerkschaftlichen Wider- stand627, um nur einige Verbindungen zu nennen. Kontakte bestanden auch zu ausländi- schen Widerstandsgruppen, besonders zum niederländischen und norwegischen Wider- stand.

Wir haben im Kreisauer Kreis geradezu Paradebeispiele für das in der Netzwerkanalyse gefundene Theorem von „weak and strong ties“, wobei die „weak ties“ die Regel waren. Obwohl alle Kreisauer sich existenziell für die konspirative Mitarbeit im Kreisauer Kreis entschieden, gaben sie jedoch nie ihre gewachsenen Kontakte zum Wohle des

622 Husen, Paulus van: Neufassung der Auskünfte an Roon, 02.01.1962, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 623 Husen, Paulus van: Neufassung der Auskünfte an Roon, 02.01.1962, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 624 Husen, Paulus van: Brief an Roon, 30.04.1962, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 2. 625 Schindler, Husen 1996, S. 46. 626 Schindler, Husen 1996, S. 44. 627Siehe Schaubild: Die Zusammensetzung des Kreisauer Kreises und seine Verbindungen im deutschen Widerstand, in: Leugers, Märtyrer o. J., S. 128 f. 117 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Kreises auf und unterhielten weitreichende Verbindungen zu anderen Widerstandsgrup- pen.

2.3.4.3 Engster Kern, Cliquen, Tatgemeinschaft

Wie eingangs im netzwerkanalytischen Exkurs dargelegt wurde, ist die Teilgruppe oder „Clique“ eine aussagekräftige, charakterisierende Beschreibung in einem Gesamtnetz- werk. Netzwerktechnisch ist darunter jede dichte Region im Netzwerk zu verstehen, wobei, wie schon bemerkt, unter „Clique“ eine wertfreie Bezeichnung einer Kleingrup- pe verstanden werden soll.

Im Kreisauer Kreis können aufgrund seiner Heterogenität eine ganze Anzahl von Teil- gruppen festgestellt werden. Hier sollen der engste Kern, verschiedene Cliquen und die Teilgruppen, die sich besonders der Tat verpflichtet fühlten, betrachtet werden.

Darauf, dass es einen engsten Kern gab, deutet die Aussage628 Schmölders hin, dass er und Peters sich zum äußeren, dem Beraterkreis, zugehörig fühlten. Natürlich gab es unterschiedliche Sichtweisen, wer zu diesem engsten Kreis gehörte.

Husen führte z. B. aus: „Gerstenmaier gehörte zum engsten Kern des Kreisauer Kreises, der aus Graf Moltke, Graf Peter York, Adam von Trott zu Solz, Julius Leber, Carlo Mierendorff, Theo Haubach, Reichwein und mir bestand“629, wie bereits eingangs be- merkt wurde. Dies bestätigt auch Gerstenmaier.630 Es lag nahe, dass die Berliner eine Kerngruppe bildeten. Solange die Wohnungen der Einzelnen noch nicht bombenzerstört waren, trafen sie sich reihum. Hohmann glaubt, wie schon dargelegt, zu dem Ergebnis zu kommen, dass z. B. Reichwein nicht zum engsten Kern gehörte. Für Gerstenmaier war von besonderer Erlebnisdichte zudem die enge Lebensgemeinschaft mit Yorck und Moltke im Herbst und im Winter 1943/44, nachdem die Royal Airforce seine und Molt- kes Wohnung in derselben Nacht ausgebombt hatte und Yorck sie beide in der Horten- sienstraße gastfreundlich aufnahm. „Nahezu alles, was ich über die Kreisauer zu berich- ten habe, bezieht sich im wesentlichen auf diesen engsten Kreis.“631

In seinem Abschiedsbrief vom 10. Januar 1945 nannte Moltke, ungeachtet allen Streits untereinander, stellvertretend für die Zusammenarbeit der Kreisauer drei Vornamen:

628 Schmölders, Personalistischer Sozialismus 1969, S. 12. 629 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32. 630 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 227. 631 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 227. 118 Beschreibung des Kreisauer Kreises

„Adam und Peter und Carlo.“632 Dies mag für Moltke sein engster Kern während der Planungsarbeit gewesen sein.

In seinem Bericht über die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof spricht Moltke je- doch von einem Dreigespann, das „eben Delp, Eugen, Moltke heisst und [dass] der Rest nur durch ‚Ansteckung’ [in den Prozess; A. d. V.]“ mit hineingezogen worden ist. Die anderen galten, so Moltke in einem Verteidigungsmodus, als „Mitläufer“. „Und vor den Gedanken dieser drei einsamen Männer, den blossen Gedanken, hat der N.S. eine solche Angst, daß er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will.“633 Der letzte, engste Kern ist somit zu einer Gemeinschaft der Todgeweihten geworden. Gerstenmaier konnte aller- dings vor dem Todesurteil gerettet werden. Bei dieser Aussage Moltkes ist natürlich die Verteidigungsabsicht, andere nicht zu belasten, mit zu berücksichtigen.

Bevor eine „Cliquenanalyse“ durchgeführt wird, sollen in einer ersten Übersicht die gewonnenen „Freunde“ grob Untergruppen zugeordnet werden. Als Kriterien können gelten: Sozialdemokraten, Zentrumsangehörige, Katholiken, Protestanten, Diplomaten, Volkswirtschaftler sowie Staats- und Verwaltungsrechtler:

Abbildung 6: Zugehörigkeit zu den Untergruppen

Als ego werden wieder Moltke und Yorck verstanden. Die sieben konzentrischen Kreise stellen die Jahre von 1938 und früher bis 1943, also die Zeit des Formierens des Kreis-

632 MB S. 624. 633 MB S. 616 f. 119 Beschreibung des Kreisauer Kreises auer Kreises, dar. Auf ihnen sind als Knoten die 18 alteri nach ihrem Jahr des Zusto- ßens zum Kreisauer Kreis eingezeichnet. Diese Knoten wurden den verschiedenen Sek- toren wie Sozialdemokraten, Zentrumsabgeordnete, Protestanten, Katholiken, Diploma- ten, Staats- und Verfassungsrechtler, Volkswirte zugeordnet, wobei die Größe der Sek- toren keine Bedeutung hat. Es muss hingenommen werden, dass die Sektoren nicht trennscharf sein können. Alle Kreisauer gehörten z. B. einer der beiden großen Kirchen an, es wurden aber nur diejenigen den beiden Bekenntnissektoren zugeordnet, für die das Bekenntnis im Freundeskreis eine Bedeutung hatte. Zur Verdeutlichung wurden auch Mehrfachnennungen zugelassen, diese Knoten wurden grau dargestellt. Als So- zialdemokraten sind Reichwein, Mierendorff, Haubach und Leber zu nennen, zu den Zentrumsleuten gehören Lukaschek, Husen und Peters, in der Untergruppe Diplomaten sind Trott und Haeften, aber auch Gerstenmaier, der vom kirchlichen Außenamt kam, aufzuführen; Gablentz, Lukaschek, Husen und Peters können als Staats- und Verwal- tungsrechtler, Einsiedel und Trotha als Volkswirte bezeichnet werden. Als Protestanten profilierten sich Gablentz, Haeften, Steltzer, Poelchau und als Katholiken Rösch, Delp, König, Husen, Lukaschek und Peters.

Im Kreisauer Kreis gab es verschiedene Cliquen, die eng miteinander und als Teilgrup- pen auch mit dem ganzen Kreis kommunizierten und agierten.

Da ist zunächst die Freundschaft zwischen Einsiedel und Trotha aus den Löwenberger Tagen zu nennen, die während der ganzen Widerstandszeit Bestand hatte und die sich auch in der gemeinsamen Denkschrift „Die Gestaltungsaufgaben in der Wirtschaft“634 von Ende September 1942 niederschlug, in der sie festschrieben: „Das Ziel der Wirt- schaft ist der Mensch.“635

Weiter ist die enge, seit der Schulzeit bestehende Freundschaft zwischen Mierendorff und Haubach anzuführen. Sie gaben sich als unzertrennliches Bruderpaar636, sodass sie, wie bereits bemerkt, die „Dioskuren“637 genannt wurden. Dieses enge Verhältnis der

634 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 174-192. 635 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 192. 636 Zimmermann, Haubach 2004, S. 92. 637 Ullrich, Kreis 2008, S. 43; Gedicht „Die Dioskuren“ von Wolfgang Petzet in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 23.

120 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Freunde wird auch in der einfühlsamen Gedenkrede auf Mierendorff, die Haubach als „einer seiner ältesten Freunde“ und „Gefährte“ am 22. Februar 1944 auf dem Wald- friedhof in Darmstadt hielt, deutlich. Dort schließt Haubach mit den Worten: „Diese strahlende Kraft, die einstmals unsern Freund und Gefährten trug und im schönen irdi- schen Licht sich entfalten ließ, diese Kraft zerrinnt nicht ins Grenzenlose, löst sich nicht auf, denn sie ist mit der zeugenden-fortzeugenden Kraft der Liebe verbunden.“638 Dass die beiden auch gemeinsam agierten, zeigten sie bei der Verfassung des sozialistischen Aufrufs, und dies nicht im Einklang mit dem Freundeskreis, der zur gleichen Zeit, Pfingsten 1943, zur Tagung in Kreisau versammelt war.

Ein drittes Freundespaar ist mit Lukaschek und Husen zu nennen, beide Zentrumsleu- te, die in Oberschlesien wirkten. Als Lukaschek wegen der Abstimmung in Oberschle- sien639 sein Landratsamt niederlegen musste, wurde Husen sein Nachfolger.640 Nachdem Lukaschek sein Amt des Oberpräsidenten der neu gebildeten Provinz Oberschlesien während der Naziherrschaft verloren hatte, hielt Husen ständigen Kontakt zu seinem Freund, der als Anwalt in Breslau tätig war. Er suchte Husen alle vier bis sechs Wochen in Berlin auf, um von dort mit Moltke und Yorck in Kontakt zu treten.641 Über König hielten Lukaschek und Husen außerdem engen Kontakt mit den Münchner Jesuiten, wie bereits dargelegt wurde.

Als weitere Teilgruppe sind die drei Jesuiten anzusehen:

Die drei Jesuiten, die am Ende im Kreisauer Kreis in jeweils unterschiedlichen Funktionen mitarbeiteten – Rösch als der Initiator des Kontaktes, Delp als intellektueller Gesprächs- partner, Lothar König als Kurier und Mitarbeiter an präzisen Texten –, hatten eine gemein- same Linie für ihre Mitarbeit [im Kreisauer Kreis; A. d. V.] verabredet …642, beschreibt Bleistein treffend die Jesuitengruppe.

„Ihr Geliebte der Nacht, flammender Doppelstern, unzertrennliches Paar, gleichen Geschickes Ziel, Kraft und Klugheit in einer Männlich waltenden Leidenschaft […]

Aber Ihr, in der Nacht flammender Doppelstern, bleibet trostreich dem Freund ewig, der weiß und harrt, daß er wieder erblicke Euch, Geliebte der Jugendzeit.“

638 Haubach, In Memoriam 1944, S. 22. 639 Roon, Neuordnung 1967, S. 117. 640 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 144. 641 Husen, Paulus van: Brief an Eugen Gerstenmaier, 08.10.1967. ACDP, I 210-037; Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 69. 642 Bleistein, Rösch 1998, S. 149. 121 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Man könnte auch von der Teilgruppe der sozialistischen KZ-Häftlinge Mierendorff, Haubach und Leber sprechen. Sie kannten sich schon aus ihrer gemeinsamen Zeit im Reichsbanner und der Eisernen Front.643 Das sie prägende Leben unter Gefahr im KZ machte sie kompromissbereiter mit anderen Gruppen.644 Theodor Haubach, Julius Leber und Carlo Mierendorff gehörten neben Kurt Schumacher, wie bereits erwähnt, zu den „militanten Sozialisten“ in der Weimarer Republik.645 Theo Haubach hatte das Wort vom „militanten Sozialisten“ geprägt.646 Haubach war durch und durch politischer Kämpfer, ehemals Führer des Reichsbanners und im Auftreten soldatisch. Die militan- ten Sozialisten verband ihr Selbstverständnis, das sie auch in die Überlegungen des Kreisauer Kreises einbrachten. Die Bedeutung des Wortes „militant“ wird klar, stellt man die Eigenschaften der Linken im Gegensatz zur Rechten dar. Daraus ergäbe sich folgender Katalog:

Die Linke ist radikal in ihrer Zielsetzung, die Rechte vertritt die Theorie des Hineinwach- sens. Die Linke ist heroisch, die Rechte verficht den Vorzug des kleineren Übels. Die Linke ist militant, die Rechte konziliant. Die Linke handelt politisch, die Rechte bürokratisch (vergewerkschaftet). Die Linke denkt und erlebt den politischen Prozeß dynamisch- dialektisch, die Rechte als organischen Wachstumsprozeß. Die Linke ist für die Politik des größeren Risikos, die Rechte für das vorsichtige Festhalten des Erreichten. Die Linke fühlt sich mit Recht bei alledem „marxistischer“, und sie kann für sich in Anspruch nehmen, dass Marx seiner Methode wie seiner geistigen Haltung nach nicht konservativ gewesen ist.647 Eine weitere „Clique“ bildete sich in der späteren Zeit des Kreisauer Kreises bei den Angehörigen des Auswärtigen Amtes, Trott, Haeften und Gerstenmaier, die sich spä- ter in dieser Formation eng der Bewegung des 20. Juli anschlossen. Unmittelbarer Vor- gesetzter Trotts in der Informationsabteilung war Hans Bernd von Haeften, zu dem er eine enge freundschaftliche Beziehung entwickelte.648 Clarita von Trott berichtete in ihrer Lebensbeschreibung649:

Die Freunde, mit denen wir ehepaarweise am häufigsten zusammen waren, bei deren Unterhaltung wir Frauen nichts lieber taten, als still zuzuhören, waren Haeftens, Moltkes, Yorcks und Gerstenmaiers. Die wärmste und nächste Beziehung bildete sich zu Hans und Barbara von Haeften heraus.650

643 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 365. 644 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 365. 645 Beck, Zum Selbstverständnis der „militanten Sozialisten“ 1986, S. 87-123. 646 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 116. 647 Mierendorff, Aufbau der neuen Linke 1932a, S. 120-124. 648 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 116. 649 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 164. 650 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 116. 122 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Trotts und Haeftens machten sich wechselseitig zum Paten. Trott fühlte sich wohl „im Kreise seiner Freunde, mit denen ihn herzliche Zuneigung, hohe Achtung und die Ge- meinsamkeit der zutiefst verpflichtenden Aufgabe verband“651.

Furtwängler registrierte, dass sich zwischen Leber und „dem unvergesslichen, genialen“ Trott eine enge Freundschaft entwickelte. Seiner Ansicht nach war das „kein Wunder, denn auch Leber verband Herz, Mut und Temperament mit Geist und Klugheit“652.

Schließlich entwickelte sich im Gefängnis zwischen Delp, Moltke, Gerstenmaier, wie wir bereits aus dem Abschiedsbrief Moltkes wissen, und Joseph-Ernst Fugger von Glött653, die Zellennachbarn waren, eine enge persönliche und geistige Gemeinschaft, auf die noch einzugehen ist:654

Die kleine Gefängnisgemeinde verständigte sich untereinander auch über Tagestexte aus der Bibel und über gemeinsame „geistliche Übungen“. Delp schrieb vor Weihnachten an Tattenbach655: „Auf Weihnachten haben wir wieder eine gemeinsame Novene angefangen. Diese betende Una Sancta in vinculis. Für Moltke wird in der Krypta von St. Gereon in Köln jeden Tag Messe gelesen.“656 Boveri weist indirekt auf einen positiven Aspekt der Cliquenbildung hin, wenn sie schreibt, dass der „Zusammenschluss“ ein dem Kreisauer Denken fremder Begriff sei, denn so wie sie im Staatsaufbau Deutschlands und in ihrem gesamteuropäischen Den- ken „föderalistisch“ vorgehen wollten, das heißt von der kleinsten Zelle, von der wirk- lichkeitsnahen Gemeinde ausgehend und aufbauend, so haben sie unter Führung des Grafen Moltke auch ihre eigenen Gruppen aufgrund von deren jeweiliger Eigengesetz- lichkeit entstehen lassen.657

651 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 192. 652 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 214. 653 Joseph-Ernst Fugger von Glött, 1895 geboren, Großlandwirt, hatte an Besprechungen in München teilgenommen und war als möglicher Landesverweser vorgesehen. 654 Maier, Alfred Delps Vermächtnis 2007b, S. 807. 655 Franz Graf von Tattenbach SJ (geb. 1910), er durfte Delp besuchen und konnte ihm sogar die letzten Gelübde abnehmen, nachdem die Gestapo versucht hatte, Delp zum Austritt aus der Gesellschaft Jesu zu bewegen; Tattenbach, Das entscheidende Gespräch 1954/55, S. 321-329. 656 Delp IV S. 60 f. 657 Boveri, Verrat 1956, S. 64. 123 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Abbildung 7: Cliquen

In dieser Abbildung sind die einzelnen beschriebenen „Cliquen“ in unterschiedlichen Farben dargestellt. Die Gemeinschaft in der Todeszelle ist mit einem Quadrat und die Untergruppe, die Moltke in seinem letzten Brief wohl außer Yorck als seine engsten Stützen im Freundeskreis genannt hat, mit einem Kegel gekennzeichnet.

Wenn man sich mit der Frage der Tat auseinandersetzt, steht sogleich der Ausspruch Moltkes in seinem letzten Brief im Blickfeld: „Wir haben nur gedacht“, und: „Es sind eben nur Gedanken ohne auch nur die Absicht der Gewalt.“658 Daraus wird oft der Schluss gezogen, es habe sich beim Kreisauer Kreis nur um ein akademisches Kränz- chen gehandelt. Dabei wird übersehen, „daß Moltkes Bericht an seine Frau über die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof so abgefasst war“, schreibt Gerstenmaier, „daß er unsere [Moltkes, Delps, Gerstenmaiers; A. d. V.] Verteidigungsthese nicht gefährden konnte. Zwischen unserer Verteidigungsthese und dem, was wir wirklich wollten und taten, war jedoch ein profunder Unterschied.“659 In der Tat fanden im Kreisauer Kreis nach den Worten Steltzers zunächst mehr akademische Grundsatzdiskussionen statt, bis sich nach Stalingrad 1943 der Drang zum Handeln entwickelte: „Aus dieser [Planungs-] Arbeit erwuchs dann […] eine klare politische Konzeption und ein bestimmter politi- scher Wille.“660

658 MB (10.01.1945) S. 616 f. 659 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 230. 660 Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises. Vortrag in der Adolf-Reichwein-Hochschule in Celle am 09.11.1949. IfZ, MS 629. 124 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Den Kreisauern war jedoch klar, dass Wille und Tat auf die Dauer auch bei noch so großer Stärke weder der Menschheit noch einer Nation zu einer glücklichen Existenz verhelfen vermögen, „sondern sie bedürfen des Antriebs und der Lenkung aus dem Glauben, der Vernunft und dem Gefühl, die ihrerseits wieder auf dem Grunde einer positiven, absolut gültigen Weltanschauung erwachsen“661, wie Peters bereits 1933 aus- führte.

Zeitgeschichtlich interessant ist auch ein Blick auf die Zeitschrift „Die Tat“, „in ihrem Inhalt wie in ihrer Wirkung eines der aufschlussreichsten Symptome für die geistige und politische Krise der Endzeit der Weimarer Republik“662. Von den Vertretern der „konservativen Revolution“ gab es keine Brücke zu den Kreisauern, sie hatten nichts gemein.663 Dem „undurchdringbaren Durcheinander von Klarheit und Mystik, Fatalis- mus und rücksichtslosem Tatwillen, Ressentiment und gutem Willen, Anmaßung und Einsicht“664 der Tatkreis-Jünger stand der klare Wille zur Tat von Kreisauern gegen- über, die ihre in langen Diskussionen festgelegten Grundsätze umsetzen wollten.

Moltkes Bild in seiner Zeit ist oft das des passiven Denkers. Dabei wird übersehen, dass er bis zur totalen Erschöpfung tätig sein konnte, wie sein Einsatz gegen die juristi- schen Begleitumstände der Deportation im Vorfeld der Wannseebesprechung zeigt.

Seit dem Winter 1941 ging es augenscheinlich um mehr als um die Neuordnung nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft. Es ging um eine Neuordnung, die mit der Last der Vergangenheit, mit der Last der Geschichte, aus dem Wissen des Leidens und aus der Kenntnis von der Unmöglichkeit der Wiedergutmachung lebte.665 Freya beschreibt Moltkes Haltung zur Tat nach dem Kriege:

Ja, ich bin auch der Ansicht, dass man meinen Mann nicht als eine „figure of non-violence in the midst of an active resistance movement“ ansehen kann. […]. [Moltke habe gesagt,] man könne nicht mit den gleichen Methoden wie die Nazis erst handeln, um ganz andere Ziele zu erreichen. Die alte Frage, ob die Mittel um des Zieles wegen erlaubt sind oder nicht. Aber ich glaube, mein Mann war nur davon bewegt, wie man den Nazi-Geist be- kämpfen könne und zerstören, den er als weltweit erkannte. Und Non-Violence in sich selbst war nicht so sehr das bestimmende Prinzip als wie man am effektivsten Nazismus bekämpfen könne.666

661 Peters, Hans: Rechtsstaat nach 1933. IfZ, ZS/A-18, Bd. 6, S. 2. Diesen Vortrag hielt Peters am 31.05.1933 in der Zentrumsfraktion des Reichstages und des Preußischen Landtages unter dem Vorsitz des Parteiführers Reichskanzler a. D. Dr. Brüning. Siehe auch FAZ-Artikel vom 01.06.1933 „Die Bera- tungen der Zentrumsfraktionen“. 662 Sontheimer, Der Tatkreis 1959, S. 229. 663 Siehe Brief Reichweins vom 28.11.1931 an Ernst Robert Curtius, in: LBDII, S 116: „Dein Pfeil gegen die ‚Tat’ ist auch aus meinem Herz geschossen! Dieses Tier wächst sich zu einem respektablen Reptil aus. Ohne Ernst, Verantwortung und Würde. Schlechtes Deutschtum. Wir haben das Bessere! Dieses Wissen gibt uns Halt.“ 664 Sontheimer, Der Tatkreis 1959, S. 259. 665 Steinbach, „Wir werden gehenkt, weil wir gedacht haben“ 1993, S. 37. 666 Moltke, Freya von: Brief an Roon, 19.06.1965. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5. 125 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Will man Moltkes Haltung zur Tat, auch zum Attentat, das er im Grunde vehement ab- lehnte667, nachzeichnen, worauf noch näher eingegangen werden wird, so ist auch sein Brief an Freya vom 21. Januar 1943 aufschlussreich, wo er sich gegen „all die Geschäf- tigkeit der anderen“ wandte und damit vor allem die Tätigkeit des Goerdeler-Kreises meinte. „Warten ist eben viel schwieriger als Handeln“668, meinte er Anfang 1943, als sich der Gedanke des Staatsstreiches verfestigte.

Mierendorff litt wie Leber unter dem ewigen Konspirieren ohne den Entschluss zur Tat. Beide lebten als ehemalige KZ-Häftlinge unter Gestapo-Aufsicht und sahen, wie jeder Tag neue Verbrechen und Opfer brachte. „Hin und wieder wurde diese Spannung zwischen Warten und Drängen zur Tat für sie so unerträglich, dass es zu eruptiven Äu- ßerungen kam und eine generelle Korrektur der bisherigen Strategie überlegt wurde.“669 Moltke verstand diesen psychologischen Mechanismus, aber er musste auf Disziplin drängen, da er die Stunde der Kreisauer erst nach dem Zusammenbruch sah.670

Hier ist etwas von dem Aktivismus zu spüren, der thematisch an die Vitalität der frühe- ren Frontgeneration, aber auch an Strömungen innerhalb der zeitgenössischen Jugend- bewegung anknüpfte.671 Der bereits angeführte Aufruf zur „Sozialistischen Aktion“ ist beredtes Zeugnis des Tatwillens von Mierendorff.

Als Trott Anfang des Jahres 1944 auf die Bürgschaft von Leber hin mit Stauffenberg bekannt wurde, zögerte er keinen Augenblick, den Weg, den er von der Tatnatur des anderen beschritten sah, aus tiefer eigener Überzeugung heraus mitzugehen. In ihm hat- te Stauffenberg einen kraftvollen, leidenschaftlichen Helfer gefunden und formte seine außenpolitischen Vorstellungen in der Denkschrift „Deutschland zwischen Ost und West“, die er bei Trott in Auftrag gegeben hatte.672

Einmal bezeichnet Moltke Trott gegenüber seiner Frau Freya kritisch als nicht ganz „zuverlässig“673, aber mit dem Haeften würde es schon besser gehen, dann ziehe der

667 Gerstenmaier glaubt nach seinem Bericht, Moltke in der Gefängniszelle kurz vor dessen Hinrichtung von der Notwendigkeit des Attentats überzeugt zu haben (vgl.: Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 234). 668MB S. 454. 669 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 365. 670 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 365. 671 Kater, Studentenschaft und Rechtsradikalismus in Deutschland 1975, S. 154. 672Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf 1984, S. 183: „In dieser [Widerstands-; A. d. V.] Arbeit hielt er besonders engen Kontakt mit Leber und Stauffenberg.“ 673 Zu diesem Urteil Moltkes siehe auch Kapitel „Konflikte und Dekonstruktion des Kreises“, wo darge- legt wird, dass diese Bemerkung sich nicht auf den Charakter Trotts bezog. 126 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Trott mit.674 Clarita von Trott versucht, dieses Urteil zu deuten: „Ich nehme an, es hängt damit zusammen, daß mein Mann immer auf eine Tat drängte, im Gegensatz zu Moltke. Was hätte die ganze Politik gebracht, wenn nicht die Tat gewesen wäre?“ Trott musste auf die Tat drängen, denn er konnte gegenüber dem Ausland nur auftreten, wenn er konkrete Aktionen ankündigte.675 Nach Trotts letzter Schwedenreise im Juni 1944 of- fenbarte er in einem Brief nach Schweden seine ganze Ohnmacht, nicht ohne jedoch auch seine Bereitschaft zur Tat auszudrücken:

Im Augenblick kann man dem fürchterlichen Gericht, das über die Menschheit niedergehen wird, nicht Einhalt gebieten, nur dafür sorgen, daß nicht auch die guten Kräfte für die Zu- kunft mitzerschmettert werden. Im Grunde meines Herzens bin ich jedoch ganz ruhig in der Empfindung, daß dies wohl im einzelnen, aber nicht im ganzen zugelassen wird.676 In seinem Bekenntnis zum Handeln fährt er fort: Es gelte, „sich für den Augenblick bereit zu halten, in dem alles von uns gefordert wird und wirklich ein nützlicher Beitrag zu leisten ist.“677

Den drei Jesuiten kann man durchgehend einen Willen zur Tat bescheinigen. Nach der bereits erwähnten Bemerkung Husens678 repräsentierte Rösch Herz, Seele und Willen zum Handeln, Delp das theologische und soziologische Denken. Rösch gehört zu den ganz wenigen Geistlichen, die sich handelnd an Plänen gegen das Dritte Reich beteilig- ten, und ohne ihn und Pater Delp hätten diese Pläne kaum Gestalt gewonnen, so weiter die bereits angeführte Einschätzung von Husen.679 Bei Rösch und König muss das be- reits beschriebene mutige Eintreten im Ausschuss für Ordensangelegenheiten und das furchtlose Werben beim deutschen Episkopat zum Widerstand gegen den Nationalsozia- lismus gesehen werden. Auch Delp, als begeisterter Anhänger von Neudeutschland, hatte den Willen zur Tat, wie er in den Leitsätzen des Hirschbergprogramms680 gefor- dert wird, verinnerlicht. Boveri zählte Delp wie Trott, Gerstenmaier, Yorck, Haeften, Leber zu den Aktivisten unter den Kreisauern; wie Trott habe sich auch Delp in den letzten Monaten nahe an Stauffenberg angeschlossen.681 Dies muss allerdings bezweifelt werden, da sich Boveri auf den Besuch Delps bei Stauffenberg am 06. Juni 1944 be- zieht, den Boveri als eine „ausführliche Unterredung in Bamberg“ einordnete, Delp hin-

674 MB S. 244. 675 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 131. 676 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 282. 677 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 282 f. 678 Husen, Lebenserinnerungen 2007, S. 317. 679 Husen, Lebenserinnerungen 2007, S. 317. 680 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 709. 681 Boveri, Verrat 1956, S. 76. 127 Beschreibung des Kreisauer Kreises gegen als reinen „Gelegenheitsbesuch“682. Ob Delp das Attentat guthieß, kann nicht eindeutig beantwortet werden683, Rösch jedenfalls lehnte es strikt ab.

Haubachs Haltung zur Tat erschließt sich in der Rede zu seinem Gedenken am 22. Januar 1965: „Haubachs These war, wenn die Demokratie am Leben bleiben soll, muß sie sich ihrer Haut erwehren und sei es mit der Waffe in der Hand. Das war für uns, die wir aus der humanistisch gesonnenen Arbeiterbewegung gekommen waren, keine leichte Entscheidung.“684 Schmedemann erinnerte in dieser Gedenkrede nach dem Krieg an die Übungen im Rahmen der Selbstschutzorganisationen. 1924 hatte Haubach eine maßgebende Funktion im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold übernommen. Er wurde Gründer und Lehrmeister der sogenannten Sportriegen, der Selbstschutzorganisation des Reichsbanners.685

Nach Schlabrendorff war Gerstenmaier im Kreisauer Kreis seiner Natur nach eine der aktivsten Persönlichkeiten. Entgegen der ursprünglichen Theorie des Kreises sei Gers- tenmaier ein Vertreter derjenigen gewesen, die auf aktives Handeln drangen. „Was in den großen Versammlungen des Kreisauer Kreises erörtert wurde, war betont staats- rechtliche und weltanschauliche Theorie, während im engen Kreise wesentlich auch die Frage des konkreten Handelns und eines Militärunternehmens erörtert wurde.“686

Bei der Charakterisierung Lebers wurde schon dargelegt: „Tiefgründige Überlegungen über das Wesen der Politik lagen ihm nicht, ihn drängte es zur Aktion.“687 Es ging ihm bei der Zusammenarbeit mit dem Kreisauer Kreis nicht primär um Programme oder Grundsätze, sondern darum, den Umsturz durchzusetzen, auch um den Preis der Ver- ständigung mit zweifelhaften Bundesgenossen. „Mit dem Teufel paktieren […], was danach kommt, regelt sich von selbst“, war seine Devise. Dies gilt, so Leber „wenn von uns der Wille zur Verantwortung zur Gestaltung als zwingende Lebensbedingung emp- funden wird“688. Freya von Moltke und Marion Yorck zu Wartenburg bezeichneten, wie bereits gesagt, in ihrer Aufzeichnung vom 15. Oktober 1945 Leber als die stärkste Potenz unter den Sozialdemokraten und stellten fest, dass seine Person den Willen zur

682 Delp IV S. 332 f., S. 349 ff. 683 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel „Stellung der Kreisauer zum Attentat“. 684 Schmedemann, Walter. Gedenkrede auf Haubach. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 685 Walter Schmedemann (1901-1976) war ein sozialdemokratischer Politiker und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus sowie KZ-Häftling. Ab 1945 bis 1962 war Schmedemann stellvertreten- der Vorsitzender der Hamburger SPD. Von 1949 bis 1970 gehörte er erneut der Hamburger Bürgerschaft an und war von 1948 bis 1953 und von 1957 bis 1967 Gesundheitssenator. ZS/A-18, Bd. 4. 686 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32. 687 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 173. 688 Leber, Annedore, Den toten 1946, S. 11. 128 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Tat und die Bereitschaft zur Übernahme höchster Verantwortung ausstrahlte.689 Leber, der ursprünglich auch die Untätigkeit der Generale kritisiert hatte, erkannte in Stauffen- berg einen Mann, „der mit all seinen Kräften den Umsturz vorantrieb und sie nicht, wie bei einigen der zivilen Verschwörer, auf langfristige Planungen verschwendete, die für ihn, der ganz politischer Pragmatiker war, den Geruch akademischer Wichtigtuerei nie ganz verloren.“690 Leber notiert 1929: „Auch die beste Organisation ist nur ein Weg, ein Mittel zur Macht. Die Macht selbst entspringt aus der politischen Tat!“691 In seiner be- reits erwähnten Analyse seiner Partei im KZ schrieb er: „Man vergaß, daß Macht nie- mals von Wissen kommt und lebt, sondern vom Willen. Nur der harte Wille schafft. Wissen allein aber macht müde und edel.“692 Weiter erklärte er: „Der analysierende Gedanke […] tritt zu oft an die Stelle der instinktiven Tat. Geistiges Einordnen und Vergleichen sind in gewisser Weise schon Dekadenz. Man fasse das nicht als mindere Wertung auf, denn die kulturelle Sublimierung geht damit Hand in Hand. Nur in sol- chem Ablauf der Zeit bereitet sich stets das Neue vor.“ Und er fügte noch an: „In den Wertungen der Zeit gilt mehr als sonst der rücksichtslose Wille starker Persönlichkei- ten.“693 Den Tatwillen Lebers, der ihn so nahe zu Stauffenberg brachte, beschreibt eben- falls Willy Brandt, der Julius Leber „einen wachen intellektuellen Pragmatiker“ nennt. Leber gehörte nach Brandt zu den Männern, die leidenschaftlich für etwas eintraten.

Ihr Ziel erschöpfte sich nicht in der Gegnerschaft zu einer Schreckensherrschaft. Ihr Kampf gegen diese Schreckensherrschaft bedeutete, daß sie sich in die Bresche warfen für ein Va- terland der Menschenwürde und der Freiheit – ein Deutschland, das unter den europäischen Völkern einen ehrenvollen Platz einnehmen sollte.694 Tatsächlich ist das Ziel für den Politiker Leber richtunggebend. Auf dieses Ziel stellt er die Wirkung seiner Mittel ein, im freien Spiel der Kräfte und seiner grundsätzlichen Ansichten.695 Nach Leber konnte der Nationalsozialismus nur durch Teile des militäri- schen Machtapparates bezwungen werden. Darin sah er die strategische Aufgabe. Leber stand mit seinem Willen zur Tat fast im Gegensatz zu der Grundsatzerklärung des Kreisauer Kreises, die das „Danach“ gestalten wollte und nicht die unmittelbare Tat.

689 Yorck, Marion/Moltke, Freya: Ausführungen über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10.1945, BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Blatt 48c f. 690 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 11. 691 Leber, Weg 1952, 25.05.1929, S. 181. 692 Leber, Weg 1952, S. 188. 693 Leber, Weg 1952. S. 246 f. 694 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 9, Vorwort von Willy Brandt. 695 Leber, Weg 1952, S. 280. 129 Beschreibung des Kreisauer Kreises

2.3.4.4 Treibende Kraft, Zentralität

Über einen Dichterkreis aus dieser Zeit heißt es: „Die Kreismetapher suggeriert zu- gleich den allein im Zentrum stehenden Dichter, der sternförmig nach außen strahlt.“696 Ob dies auch auf Moltke und Yorck im Kreisauer Kreis zutraf, soll mithilfe des netz- werkanalytischen Instrumentariums untersucht werden.

Nachdem die Reichweite des Kreisauer Netzwerkes betrachtet wurde, kamen wir zum Ergebnis, dass diese aufgrund der Verbindung der Akteure zu ganz verschiedenen alteri eher groß ist. Die Reichweite kann nun auch in Beziehung gesetzt werden zu der struk- turellen Autonomie bzw. der Zentralität697 des ego. Damit verbunden ist die Frage nach der Symmetrie oder Asymmetrie des Kreisauer Netzes. Asymmetrische Netze sind, wie eingangs beschrieben, von hoher Zentralität, die großen Informations- und Machtvor- sprüngen geschuldet ist. Dies ist auch an der uniplexen oder multiplexen Struktur des Netzes erkennbar, d. h. an der Frage, ob zwei Knoten im Netz nur durch eine Beziehung oder durch vielfältige Beziehungen miteinander verknüpft sind. Bei der Betrachtung dieser Frage kommt die soziologische Grundkategorie der Macht ins Blickfeld, wobei Max Weber zwischen Macht und legitimer Herrschaft unterscheidet.698 Mehr oder we- niger legitime Macht wird in der Netzwerkanalyse unter Stichworten wie Einfluss, Pres- tige und Zentralität diskutiert. Jansen unterscheidet zwischen positiv verbundenen Ein- flussnetzwerken und negativ verbundenen Netzwerken. „Kennzeichen positiv verbun- dener Netzwerke ist die Komplementarität und Additivität der Beziehungen. […] Nega- tiv verbundene Netzwerke sind dagegen durch die Konkurrenz zwischen den Beziehun- gen gekennzeichnet.“699

Ein Beispiel einer negativ verbundenen Situation entstand im Kreisauer Kreis Ende 1943. Am 06. November berichtete Moltke seiner Frau, „dass die ungeheure Aktivität von Neumann [Pseudonym für Leber; A. d. V.] und Genossen etwas außer Tuchfühlung geraten ist“700. Tags darauf beklagte er, dass Friedrich [Pseudonym für Mierendorff; A. d. V.] und wohl Leber „gar zu stürmisch“ vorgegangen seien und er jetzt sehen müs- se, wie er seiner „Garde hinterher komme“701. Am 09. November schreibt er dann: „Wir

696 Schlieben, Geschichtsbilder im George-Kreis 2004, S. 13. 697 Bezeichnenderweise schreibt Roon: „Vom Zentrum aus gesehen [damit sind Yorck und Moltke ge- meint, A. d. V.] wurden dabei ein Plan, ein Programm verwirklicht und Menschen eingeschaltet“; in: Roon, Neuordnung 1967, S. 251. 698 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft 1972, S. 28. 699 Jansen, Einführung in die Netzwerkanalyse 2003, S. 164. 700 MB S. 562. 701 MB S. 562. 130 Beschreibung des Kreisauer Kreises durchlaufen eine grundsätzliche Gefahrenzone, in der manche hoffen, das Boot schwimmfähiger zu machen, indem sie Grundsätze opfern, dabei aber vergessen, dass sie dadurch dem Boot die Steuerbarkeit nehmen.“702 Was der Grund der tiefen Ausei- nandersetzung ist, wird nicht direkt angezeigt. Nach Freya ging es entweder um die At- tentatspläne Stauffenbergs oder wahrscheinlicher um das viel diskutierte Problem der Gewerkschaftsorganisation.703 Einen weiteren Hinweis gibt der Brief vom 11. November, in dem Moltke auf erhebliche Gefahren hinweist und feststellt, dass Friedrich [Mierendorff; A. d. V.] und Neumann [Leber; A. d. V.] auf Abwegen seien, die denen des Onkels [Leuschner; A. d. V.] nicht unähnlich seien.704 Leuschner, der Vertreter der Gewerkschaft und ehemaliger Innenminister Hessens, dem Mierendorff sehr verbunden war, hatte sich wegen der strittigen Frage einer zentralen Gewerk- schaftsorganisation aus dem Kreisauer Kreis herausgelöst und sich dem Goerdeler- Beck-Kreis angeschlossen. Eine solche Annäherung sah Moltke nun auch bei Mieren- dorff und Leber, den „militanten“ Sozialisten, die beide zur Tat drängten. Sie wollten ein schnelles Ende, da jeder Tag neue Verbrechen und Opfer brachte. Die geplante Neuordnung der Kreisauer war nach der festen Überzeugung Moltkes darauf angelegt, sich auf die Zeit während und nach dem Zusammenbruch zu konzentrieren.705 Bei Goerdeler und Beck sah er keine Alternative zu den innen-, außen- und gesellschafts- politischen Irrwegen der deutschen Geschichte seit der Kaiserzeit. Moltke wollte kein Modernisieren des Alten, sondern etwas radikal Neues. Am 14. November kam es zu einer großen Aussprache mit Mierendorff, Moltke war skeptisch, ob er ihn, auf den er so große Stücke hielt, wieder auf den „rechten Weg zurückbringen“706 könne, und am 27. November erfolgte ein erneutes Treffen mit Mierendorff und Leber, das Moltke einen Tag später so schilderte:

Gestern Mittag waren Carlo und Julius da. C. ging weg, ehe wir so recht in Schuss gekom- men waren und das Ergebnis der dann fortgesetzten Unterhaltung war ausserordentlich be- dauerlich. Es bedeutet das Ende einer Hoffnung und mir scheint das Abbrennen der Derff- lingerstrasse707 durchaus symbolisch berechtigt zu sein. Heute kommen Carlo und Theo [Haubach; A. d. V.] noch ein Mal. Wenn das ganze Rezept708, in das sich Julius hat ein- spannen lassen, nicht so völlig blödsinnig wäre, dann wäre alles gleichgültig. Aber das ist es.709

702 MB S. 563. 703 MBF S. 283. 704 MB S. 564. 705 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 365. 706 MB S. 566. 707 Moltkes Wohnung in der Derfflingerstraße war am 24.11.1943 ausgebombt worden. 708 Mit Rezept ist wahrscheinlich die Zusammenarbeit mit der Goerdeler-Gruppe gemeint; siehe auch Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 80. 709 MB (28.11.1943) S. 573. 131 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Hier entstand eine Entweder-oder-Position. Ein Teil der Kreisauer und mit ihnen Molt- ke bevorzugte die Realisierung der Neuordnungspläne unter Hinnahme der politischen Katastrophe und die anderen drängten mehr auf eine zusammengefasste Aktion aller Widerstandsgruppen, das Hitlerregime zu stürzen und das militärische Oberkommando zu übernehmen.

Der Kreis hatte durch das Hinzutreten von Leber offensichtlich einen zweiten Pol erhal- ten, ein klassisches Beispiel eines negativ verbundenen Netzwerkes, bei dem die Akteu- re in Konkurrenz zueinander agieren.

Das gegenteilige Beispiel eines positiv verbundenen Netzwerkes, für das Komplementa- rität und Additivität der Beziehungen kennzeichnend sind, ergab sich durch das beharr- liche Arbeiten und Überzeugen von Moltke. Schon am 29. November bemerkte er, er habe mit Friedrich [Mierendorff; A. d. V.], Adam und Theo [Haubach; A. d. V.] eine „gute Unterhaltung“ gehabt, „die wohl manches von dem wieder geradegezogen hat, was am vorhergehenden Tag verbogen worden war. Es ging gut und flüssig und ich meine, mich im wesentlichen durchgesetzt zu haben.“710 Am darauffolgenden Tag schreibt er:

Abends kam Friedrich. Endlich haben meine wochenlangen Attacken auf den verfolgten Kurs gefruchtet, und er hat den Ernst der Lage begriffen. Er war gestern ganz mitgenom- men davon, und ich war entsprechend heiter. Jedenfalls habe ich endlich den Eindruck, daß ich werde wieder oder noch etwas ausrichten können, und so bin ich auf dem Gebiet wieder voller Hoffnung.711 Moltke wollte auch Leber auf die Linie des Kreisauer Kreises bringen und setzte bei ihm seine Bemühungen fort. Noch wenige Tage vor seiner Verhaftung am 19. Januar 1944 sprach Moltke noch zweimal mit ihm, einmal bei Yorck und einmal radelte er ei- gens dafür in die Kohlenhandlung von Leber.712 Am 13. Januar schrieb er seiner Frau: „Ich hoffe, daß der Versuch, insoweit Carlo’s Erbe anzutreten, gelingen wird.“713 Es war somit in den Beziehungen wieder ein Zustand der Komplementarität und Additivi- tät der Akteure erreicht.

Bei der Frage nach der Zentralität und Autonomie des ego kommen wir zu keinem ein- deutigen Ergebnis, da Moltke keine durchgehende soziale Kontrolle über das Handeln seiner Freunde hatte. Das ergibt sich auch aus der Frage, wer die treibende Kraft und die

710 MB (29.11.1943) S. 575. 711 MB (30.11.1943) S. 575. 712 MB (02.01.1944) S. 583; (09.01.1944) S. 588. 713 MB (13.01.1944) S. 591. 132 Beschreibung des Kreisauer Kreises

„Spitze“ des Netzwerkes war. In der Literatur gibt es dazu allerdings meist eindeutige Aussagen in Richtung Moltke und Yorck, die es aber näher zu betrachten gilt.

Wenn Moltke in seinem Brief an Freya vom 13. September 1941, also ziemlich am An- fang des Wirkens des Freundeskreises, wie schon erwähnt, schreibt:

Gestern mittag ass ich mit Yorck bei ihm. Unzweifelhaft kann ich gegenwärtig mit ihm besser und schneller und nützlicher als mit sonst irgendjemandem. Ausserdem sind wir so völlig gleich, ich meine gleichgestellt. […].Yorck ist eigentlich der einzige, mit dem ich mich wirklich beratschlage, bei all den anderen handelt es sich in Wahrheit um eine in die Form der Beratung gekleidete Anfrage, wie weit sie es mitmachen und was sie tun wollen …714, dann hält er sich natürlich gemeinsam mit Yorck für die treibende Kraft und unange- fochtene Spitze des Freundeskreises. Es gibt aber die Einschränkung „gegenwärtig“, man müsste also eigentlich untersuchen, wie sich diese Eigenansicht im Verlauf des Agierens des Freundeskreises dynamisch veränderte.

Im Kreis der „Freunde“, wie sich die Kreisauer selbst bezeichneten, fungierte Moltke als „der Motor, Yorck als die integrierende Macht, zusammenhaltend und ausglei- chend“715.

Beide, Moltke und Yorck, waren eng befreundet und „bildeten sozusagen das Herzstück eines sich allmählich entwickelnden politischen Freundeskreises“, schrieb Steltzer nach dem Kriege.716 Auch Marion Yorck und Freya Moltke sagten in ihrer ersten Nieder- schrift über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15. Oktober 1945:

Der wachsende Freundeskreis wurde von der Freundschaft zwischen Yorck und Moltke ge- tragen […]. Die tiefe Verwurzelung Yorcks in der abendländischen Kultur ergänzte Moltke durch eine Weite, die es ihm selbstverständlich machte, über Deutschland hinaus europä- isch zu denken. Diese Beiden bildeten das Zentrum des sich um sie sammelnden Freundes- kreises.“717 Später erläuterte Moltkes Frau, dass es „wie an einer Ellipse, zwei Brennpunkte gab. Der eine war Peter Yorck von Wartenburg und der andere war Helmuth Moltke; die haben dann verschiedene Mitglieder mitgebracht“718. Marion Yorck bezeichnete Moltke als den „Motor des Ganzen“719 und ihren Mann als „das Herz dieses Kreises“720.

714 MB S. 287. 715 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 60. 716 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 149. 717 Yorck, Marion/Moltke, Freya: Ausführungen über den Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10.1945, BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 47b. 718 Hermann, Freya von Moltke 1993, S. 42. 719 Meding, Mit dem Mut 1992, S. 199. 720 Meding, Mit dem Mut 1992, S. 198. 133 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Trott, der zuweilen ein etwas gespanntes Verhältnis zu Moltke hatte721, fühlte sich nach der Teilnahme an der 3. Kreisauer Tagung an Pfingsten im Jahre 1943 als der Be- schenkte, obwohl er mit sich selbst nur teilweise zufrieden war. Gegenüber seiner Frau maß er Moltke das Hauptverdienst an der Tagung zu und bemerkte, dass man viel von ihm lernen könne.722

Zur Frage, wer war Haupt des Kreises war, nimmt auch ein Bekannter von Trott zu Solz aus dem Auswärtigen Amt, Alexander Werth, der ursprünglich zur Teilnahme zum Kreisauer Kreis eingeladen war, nach dem Krieg Stellung:

Es ist richtig, dass das geistige Haupt des Kreisauer Kreises bzw. seiner Nachfolgerschaft Graf Helmuth von Moltke war. Er war das Haupt dieses Kreises nicht deshalb, weil er schon 1929, wenn auch zunächst nur philosophierend, mit seiner Arbeit begann. Er war es auch nicht deshalb, weil er älter war als die jüngeren „Aktiven“ […]. Er war es deshalb, weil er neben einem höchsten Maß von Integrität und Mut die seltene Gabe besaß, ruhig und sachlich zu bleiben, auch wenn es um Auseinandersetzungen ging, bei denen andere Menschen je nach Temperament nach außen irgend eine bestimmte Stellung zu beziehen pflegen. Ihm halfen dabei seine Frau, die wirtschaftliche Unabhängigkeit und Großzügig- keit von Familie und Freunden.723 Auch im Kaltenbrunner Bericht wird von der Gruppe Moltke724, Gruppe um Moltke oder von dem Kreisauer Kreis um den Grafen Moltke gesprochen. Freisler nannte Molt- ke als Motor des Kreisauer Kreises.725 Bedeutsam ist aber auch, welche Rolle Moltke sich selbst beimaß. Dazu geben die Abschiedsbriefe aus Tegel mehrfach Auskunft. Moltke empfindet es als Sensation, dass für ihn zwei, eventuell sogar drei Prozesstage vorgesehen seien, und schreibt, seine Führungsrolle herausstreichend, seiner Frau: „Dass das nur für mich ist, ist klar, denn mit mir steht und fällt der Rest, […]“726 Auch in der Anklageschrift sieht er seine Führungsrolle bestätigt, dort heißt es u. a., Moltke habe es verstanden, „eine Reihe von Staatsgegnern verschiedener Richtung an sich he- ranzuziehen“ und „mit sichtbarem Erfolg, die zunächst mit den gegensätzlichsten An- schauungen erschienenen Teilnehmer dieser Zusammenkünfte auf eine von ihm vertre- tene staatsfeindliche Linie von einer gewissen Geschlossenheit auszurichten“, er habe den Plan entwickelt, „an die Stelle des die Volksgemeinschaft tragenden N.S. hätten die christlichen Kirchen beider Konfessionen als das politische Zeitgeschehen überdauernde Ordnungselemente zu treten.“727

721 MB S. 244. 722 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 171. 723 Werth, Alexander. IfZ, ED 106-96. 724 KB S. 260, S. 310. 725 Steinbach, „Wir werden gehenkt, weil wir gedacht haben“ 1993, S. 38. 726 HFM S. 333. 727 HFM S. 352. 134 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Auch in dem bekannten Abschiedsbrief vom 10./11. Januar 1945 hob Moltke seine he- rausragende Stellung im Prozess gegenüber seinen Mitangeklagten hervor, wenn er auf einen besonderen geistigen Dialog zwischen Freisler und ihm hinwies, den möglicher- weise die „Umsitzenden“ gar nicht mitbekommen hätten. Von der ganzen „Bande“ habe Freisler nur ihn richtig erkannt und „von der ganzen Bande“ sei er „auch der einzige, der weiß, weswegen er [ihn] umbringen“ müsse. Dabei habe Freisler bei ihm keinen einzigen Witz auf seine Kosten gemacht, „wie noch bei Delp und bei Eugen.“728 Auch aus der Bitte an seine Frau, aus der Tatsache, dass er nicht wegen des 20. Juli, sondern allein wegen seines Christseins zum Tode verurteilt sei, eine „Legende“ zu machen, spricht sein Führungsanspruch im Kreisauer Kreis. Dies drückt sich weiterhin in dem Hinweis für die Legende an Freya aus: „Ich muss darin die Hauptperson bleiben, nicht weil ich es bin, nicht weil ich es sein will, sondern weil der Geschichte sonst das Zen- trum fehlt. Ich bin nun mal das Gefäß gewesen, für das der Herr diese unendliche Mühe aufgewandt hat.“729

Trotz dieses Führungsanspruchs ihres Mannes stellte Freya von Moltke fest: „Aber die Gruppe war ein Team selbstständiger, unabhängiger Personen, von denen jede über an- dere und besondere Kenntnisse verfügte, die sie in die Diskussionen einbrachte.“730 Gewiss, ohne Moltke ist dieser Kreis nicht zu denken. Er war sein Initiator, die Kraft, die ihn zusammenhielt, ihn in unermüdlicher Vorarbeit führte und mit Systematik die weitverzweigte Organisation plante.731 Welche Kraft den Freundeskreis zusammenhielt, wird noch später zu klären sein.

Schwerin weist mit Recht darauf hin, dass Moltke und der Kreisauer Kreis vielfach kaum auseinandergehalten werden. Es scheine geradezu, als sei Moltke der Kreisauer Kreis. „Die von ihm verfassten Schriften werden herangezogen, um darzustellen, wel- che Auffassungen der Kreis vertrat.“732 Moltke hat natürlich die Denkrichtung des Krei- ses sowohl durch seine inhaltlichen Anstöße als auch durch die (Mit-)Auswahl der ein- gebundenen Personen entscheidend geprägt, aber die Grundsatzerklärung kam nur durch Kompromisse von Moltke zustande.

728 HFM S. 478. 729 HFM S. 481. 730 MBF S. 188. 731 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 117. 732 Schwerin, Moltke 1999, S. 13. 135 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Eine unangefochtene Zentralität gelang Moltke, obwohl er immer bestrebt war, die Zü- gel fest in der Hand zu haben733, aber nicht bzw. konnte wegen der Heterogenität nicht gelingen, wie die Beispiele der negativ verbundenen Netze gezeigt haben und die der Konflikte und der Dekonstruktion noch zeigen werden. Insoweit ist auch festzustellen, dass sich die Schlussdokumente des Kreisauer Kreises und die Denkschriften Moltkes inhaltlich in weiten Bereichen erheblich unterscheiden. Es gab also netzwerkanalytisch gesprochen keinen „lachenden Dritten“, der aufgrund seiner Autonomie den alteri sei- nen Willen oktroyieren konnte.

2.4 Heterogenität und Dekonstruktion des Kreises

2.4.1 Beschreibung der Zusammensetzung des Kreises

Wie aus der Darstellung der einzelnen Kreisauer hervorgeht und in der Literatur häufig beschrieben wird, zeigt die Zusammensetzung des Freundeskreises eine bemerkenswer- te Heterogenität:

Sozial und politisch aufgeschlossene Adlige fanden sich zusammen mit Geistlichen beider Konfessionen, mit Universitätslehrern, Diplomaten, Gewerkschaftern, Politikern der So- zialdemokratie und der Zentrumspartei – eine Mischung, wie sie keine andere Gruppe des Widerstands aufzuweisen hatte.734 Damit war unverkennbar der Wunsch ersichtlich, „über die trennenden Barrieren des sozialen Milieus, der politischen Überzeugungen und weltanschaulichen Bindungen hinweg ein Gespräch zu führen, durch das gegenseitige Vorurteile überwunden und eine Verständigung auf ein gemeinsames Programm erreicht werden konnte.“735 Diese Hete- rogenität wurde in einem Bericht für Bormann über den Freisler-Prozess zum 20. Juli herabwürdigend wie folgt beschrieben: „Die Gruppe setzte sich zusammen aus reaktio- nären, föderalistischen, konfessionellen und syndikalistischen Elementen.“736 Heterogen war der Freundeskreis auch in der altersmäßigen Zusammensetzung. Die Altersspanne reichte von den Geburtsjahrgängen 1885 (Steltzer und Lukaschek als die Ältesten) bis 1909 (Trott als der Jüngste).

Das ungewöhnlich breite geistige Spektrum des Freundeskreises garantierte nicht nur schwierige, aber letztlich äußerst fruchtbare Auseinandersetzungen bei der Erarbeitung von Kompromissen und Konsenslösungen in allen entscheidenden Grundsatzfragen der

733 „Es wird grosser Anstrengungen bedürfen, sie wieder auf den rechten Pfad zurückzuführen. Die wer- den auch gemacht werden […]; in: MB (11.11.1943) S. 564. 734 Ullrich, Kreis 2008, S. 57. 735 Ullrich, Kreis 2008, S. 57. 736 KB S. 701. 136 Beschreibung des Kreisauer Kreises gesellschaftlichen und politischen Neuordnung, sondern prädestinierte den Kreisauer Kreis zur Brückenfunktion.737 Diese Männer versuchten, voneinander zu lernen und Grundlagen für jene neue Synthese zu bereiten, die all die religiösen und politischen Spannungen überwinden sollte, unter denen Deutschland in der Vergangenheit gelitten hatte.738 Ihr Denken war von offenem, wenn nicht gar revolutionärem Geist bestimmt: Sie alle waren bereit, sich von konventionellen kapitalistischen und nationalistischen Denkschemata zu lösen. Diese Heterogenität ist nicht zuletzt ein „Verdienst Moltkes, der sich insbesondere um eine solche Vielfalt bemühte und nicht in seiner Gedanken- welt und der seiner bisherigen Freunde stecken bleiben wollte“739. Die Heterogenität oder Diversity740 von Teams wird heute auch bei Unternehmen fruchtbar gemacht. Nach Lazaer741 können Produktivitätsgewinne dann generiert werden, wenn die differierenden Fähigkeiten, Begabungen oder Informationen der Teammitglieder für die anderen Teammitglieder relevant sind und wenn die aus der Heterogenität resultierenden Kosten der Kommunikation zwischen den Teammitgliedern nicht zu hoch sind. Potenziellem Nutzen aus Heterogenität stehen also die Kosten erschwerter Kommunikation gegen- über. Weiter kann man sagen, dass Kosten zunehmender Heterogenität sich in einem geringeren Zusammengehörigkeitsgefühl und in einer höheren Konfliktneigung nieder- schlagen. Kosten der Homogenität andererseits manifestieren sich in geringerer Kreati- vität, Ideenvielfalt und Problemlösungsfähigkeit. Diese Tatbestände treffen auch auf den Kreisauer Kreis zu. Bei ihm scheint sich jedoch ein optimaler Heterogenitätsgrad eingestellt zu haben, der dann vorliegt, wenn sich die Kosten aus Heterogenität, die Kommunikationskosten, mit den Kosten aus Homogenität, den Kosten aus Verzicht auf relevantes Wissen, die Waage halten.742 Der Kreisauer Kreis war weder ein homogener Freundeskreis mit geringer Kreativität und Problemlösungsfähigkeit noch eine Gruppe ohne Zusammengehörigkeitsgefühl mit hoher Konfliktneigung. Neben der in der Litera-

737 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 428. 738 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 56. 739 Schwerin, Moltke 1999. S. 25. 740Peters, Diversity in Diskurs und Praxis 2002; Haselier/Thiel, Diversity Management 2005, S. 17: „Di- versity Management betont […] die Notwendigkeit, die kulturellen Unterschiede einzelner Arbeitsgrup- pen zu erkennen und diese bei der Gestaltung der Unternehmenspolitik angemessen zu berücksichtigen. Diversity Management ist in erster Linie eine Strategie zur Verbesserung der Eiffizienz der Wettbewerbs- fähigkeit eines Unternehmens […]. Der zugrunde liegende Gedanke ist, in einem Umfeld kultureller Verschiedenartigkeit, in dem Unterschiede zwischen Personen geschätzt werden, es den Mitarbeitern zu ermöglichen, sich in einer reicheren produktiveren Arbeitsumgebung vollständig einzubringen.“ 741 Lazaer, Globalisation 1999, S. 454. 742 Diese Überlegungen wurden auch bei der Zusammensetzung von Graduiertenkollegs bei der Deut- schen Forschungsgemeinschaft angestellt. URL2: http://www.dhv-speyer.de/kruecken/pdf- Dateien/ManuskriptUnger.pdf, 09.04.2011. 137 Beschreibung des Kreisauer Kreises tur zuweilen überbetonten Homogenität gab es trotz hoher Vergemeinschaftung auch Konflikte, wie noch zu zeigen sein wird.

War der Kreis auch sehr heterogen, so gab es doch bemerkenswerte Übereinstimmun- gen.743 Alle hatten ein Universitätsstudium, alle bis auf Moltke selbst waren promoviert, sie hatten den gleichen Habitus, ähnliche Formen der Lebensführung und der kulturel- len Vorlieben, „Bereitschaft zum politischen Diskurs im historischen oder philosophi- schen Kontext“, „eine grundsätzliche Ablehnung des wilhelminischen Staates“, das Bemühen,

… traditionelle Werte aus dem Kontext reaktionärer Inanspruchnahme zu lösen, sie in ein Konzept eines gesellschaftlichen und politischen Neubeginns zu integrieren, der die Wie- derherstellung des Rechts, deutliche soziale Veränderungen zu Gunsten bislang unterprivi- legierter Schichten u. a. durch eine neue Wirtschaftsordnung und ein neues Bildungswesen garantieren sollte.744 Eine Übereinstimmung ergibt sich auch in der Außenpolitik, die in ihrer nationalen, zugleich strikt antiimperialistischen Ausrichtung auf friedliche Koexistenz und auf ein Zusammenwachsen der Völker ausgerichtet war.

Bedenkt man diese Heterogenität der Freunde, so wird erst dadurch die Einigung dieser Männer auf eine Bindung an gemeinsame Grundsätze ins rechte Licht gerückt.745 Dies ist ein Beweis für die prägende Kraft der Vergemeinschaftung, deren Quellen und Aus- prägungen noch darzustellen sein werden. Steltzer wies in einem Vortrag 1949 auf den Aspekt der Verständigungsbereitschaft, der gerade aus der Verschiedenartigkeit der gesellschaftlichen und konfessionellen Herkunft entsprang, hin:

Es war für uns alle ein großes Erlebnis, dass sich die hierin liegenden Schwierigkeiten menschlich leichter überwinden ließen, als wir erwartet hatten. Die von christlicher und konservativer Seite kommenden Persönlichkeiten bekamen einen stärkeren Kontakt mit den Forderungen der sozialen Seite. Und bei den Vertretern der Linken ergab sich ein überra- schendes Verständnis für das Christentum als wesentlichen Faktor europäischer Gesamtkul- tur.746 Diese Art von Korpsgeist und Zusammengehörigkeitsgefühl747 und der unreflektierte Fixbegriff vom Kreisauer Kreis nährt jedoch die Gefahr der simplifizierenden Darstel- lung. Der Kreisauer Kreis war keine Institution mit klar definierter Struktur und Mit- gliedschaft, wie schon dargelegt wurde. Es handelte sich vielmehr um ein komplexes, dynamisch-spannungsreiches Beziehungsgeflecht.

743 Zimmermann, Haubach 2004, S. 386. 744 Zimmermann, Haubach 2004, S. 388. 745 Schmölders, Personalistischer Sozialismus 1969, S. 13. 746 Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises. Vortrag gehalten am 09.11.1949 in der Adolf- Reichwein-Hochschule Celle. IfZ, MS 629. 747 Winterhager, Zukunftsplanung 2009a, S. 5. 138 Beschreibung des Kreisauer Kreises

2.4.2 Konflikte und Dekonstruktion des Kreises

Bei der Betrachtung der Zentralität des Netzwerkes Kreisauer Kreis wurde zwischen positiv verbundenen Einflussnetzwerken und negativ verbundenen Netzwerken unter- schieden. Die Konflikte, die bei dem Beispiel eines negativ verbundenen Netzwerkes gezeigt wurden, können netzwerkanalytisch auch im Zusammenhang mit der Netzstruk- tur einerseits und dem Handeln der Akteure andererseits betrachtet werden. Schweizer betont, dass die Netzwerkanalyse soziale Systeme nicht als Ansammlung isolierter Ak- teure mit gewissen Eigenschaften begreife und nicht primär Regelhaftigkeiten zwischen diesen Eigenschaften suche. Vielmehr richte sie ihr Augenmerk unmittelbar auf die Ver- flechtung der Akteure in einem sozialen System und versuche, dieses Muster zu be- schreiben und aus diesem Muster der Verflechtungen Auskunft über die Handlungen der Akteure zu gewinnen.748 Die Dichte sozialer Beziehungen und das gleichzeitige Vorkommen mehrerer, inhaltlich verschiedener sozialer Beziehungen sollen dabei in den Blick genommen werden, wobei Dichte und Multiplexität empirisch verknüpft sind.749 Unter diesem Blickwinkel ergeben sich unterschiedliche Netzstrukturen. In einem dichten, multiplexen Netz kennt jeder jeden und ist über eine Vielzahl von Be- ziehungen verbunden, während in einem locker gefügten, uniplexen Netz sich nicht alle Beteiligten untereinander kennen und zwischen Paaren von Akteuren keine mannigfal- tige Art von Beziehungen besteht. Gemeinsame Arbeit, Freizeit, religiöse Verbunden- heit fallen auseinander.

Zunächst ist man posthum geneigt, den Kreisauer Kreis einer dichten, multiplexen Netzstruktur zuzuordnen. Aber es wurde schon aufgezeigt, dass es in der Netzstruktur des Kreisauer Kreises durchaus gegenteilige Elemente, die Dichte und die Reichweite betreffend, gab. Einige Kreisauer sind sich nie begegnet und erfuhren von der gegensei- tigen Existenz erst nach dem Krieg, in der religiösen Verbundenheit waren sie sehr ver- schieden, um nur einige Beispiele zu nennen. Schweizer weist darauf hin, dass in einem multiplexen, dichten Netz die Akteure einander leichter erreichen können, intensiv mit- einander agieren und dass als Konsequenz ein höherer Grad an sozialer Kontrolle und daraus folgender Konformität des Verhaltens entstehe. Im Gegensatz dazu böten die schwach verknüpften und uniplexen Netzwerke in komplexen Gesellschaften den Ak- teuren Fluchtmöglichkeiten, weil diese sozialen Gebilde weniger transparent seien und die Kontrolle nur einige Akteure und bestimmte Beziehungen erfasse, während andere

748 Schweizer, Netzwerkanalyse 1996, S. 113. 749 Schweizer, Netzwerkanalyse 1996, S. 114. 139 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Lebensbereiche davon unberührt blieben.750 Diese Kontrastierung ist idealtypisch zu verstehen. Der Kreisauer Kreis hat viele dichte, multiplexe Beziehungen, aber es gibt auch weniger dichte und eher uniplexe Phänomene. Hier wären wieder die nicht abge- stimmte sozialistische Aktion von Mierendorff und Haubach, das Abwenden von Leuschner und Maass vom Freundeskreis, das Liebäugeln einiger Kreisauer mit dem Goerdeler-Kreis und die kontroverse Haltung der Kreisauer zum Attentat zu nennen. Die Hypothese „Wenn ein soziales Netzwerk eine hohe Dichte und/oder multiplexe Beziehungen aufweist, dann herrscht dort ein hoher Grad an Konformität und Kontrolle einzelner Akteure“751 gilt natürlich auch in ihrer Umkehrung und kann als Erklärung für die aufgetretenen Konfliktfälle im Kreisauer Kreis dienen. Gleichzeitig ergibt sich bei näherer Betrachtung der Konfliktfälle eine Dekonstruktion752 des Kreisauer Kreises als monolithische Einheit, wo immer die gleiche Meinung vorherrschte und eine gleiche Handlung das Ziel war. Der Kreisauer Kreis war, wie beschrieben wurde, sehr hetero- gen, dies hatte auch seine Konsequenzen in den Konfliktfällen.

Auch das Phänomen der Vergemeinschaftung kann zum Verstehen der Dekonstruktion herangezogen werden. Wir hatten im Exkurs festgestellt: Gemeinschaft ist kein identitä- res Konzept. „Einem dekonstruktiven Verständnis folgend, setzt eine Gemeinschaft gerade nicht die vermeintliche Homogenität, sondern eine innere Differenz, eine nicht einholbare Besonderheit ihrer Mitglieder konstitutiv voraus.“753

In diesem so heterogen zusammengesetzten Freundeskreis baute man miteinander, ohne Zwiespälte zu verdecken, oft in strenger Fehde an einer Notgemeinschaft für die kom- menden Tage754, bemerkt Zeller richtig. Am 21. Januar 1943 schrieb Moltke an seine Frau Freya: „Im Grunde bin ich nur mit Friedrich [Mierendorff; A. d. V.] und Steltzer hierüber [Attentatspläne; A. d. V.] einig; die anderen folgen mir nur widerwillig.“755 Die nicht sofortige Einmütigkeit war nicht verwunderlich, denn die Gruppe war ein Team selbstständiger, unabhängiger Personen, von denen jeder über andere und beson- dere Kenntnisse verfügte, die er in Diskussionen einbrachte, konstatierte Freya von Moltke, wie bereits gesehen.756 „Jede Persönlichkeit im Widerstand war unverwechsel- bar und einmalig sowohl als Mensch ganz allgemein als auch von der Entstehung und

750 Schweizer, Netzwerkanalyse 1996, S. 115. 751 Schweizer, Netzwerkanalyse 1996, S. 116. 752 Derrida, Grammatologie 1974, passim. 753Wetzel, Diskurs des Politischen 2003, S. 252. 754 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 130. 755 MB S. 454. 756 MBF S. 188. 140 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Entfaltung seiner Motivation und der Art seiner Aktivitäten als Widerstandskämpfer her gesehen.“757

Delp berichtete, dass Thesenpapiere stundenlang heftig und kontrovers diskutiert, ver- ändert, ergänzt, umgeschrieben und mit neuen Akzenten versehen wurden.

Hitzige Töne wechselten mit trockenen, professoralen Darlegungen. Ehe man sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen konnte, vergingen halbe Nächte. Das Meinungsspektrum ging oft weit auseinander. Jesuiten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter an einem Tisch bedeutete nie schnelle Einigung in Sachfragen. Gerade Sozialdemokraten wie Adolf Reichwein, Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Julius Leber taten sich schwer mit der Auffassung, dass der Neuaufbau Deutschlands christlich bestimmt sein müsse, wie Paulus van Husen rückblickend feststellte.758 Das Bild des Kreises wäre nicht richtig gezeichnet, so meint Eugen Gerstenmaier nach dem Krieg, „wenn seine Mitglieder mehr oder weniger als Beigeordnete des Grafen Moltke oder allenfalls des Paares Moltke-Yorck erscheinen.“759 Vor allem Personen wie Mierendorff, Trott zu Solz, Reichwein und Haubach sind viel zu eigenständige Persön- lichkeiten. Es war ein Team, das aus selbstständigen Köpfen bestand, von denen jeder wusste, was er wollte, und die über Arbeits- und Wirkungsbereiche verfügten, in die selbst Moltke selbst oft nur begrenzte Einsicht hatte.760 „Man begegnete sich, man wirk- te zusammen in größerer oder geringerer Intensität und Lebensdichte, aber auch in ver- schiedener Funktion.“761

Einige Konfliktfälle oder die „Dekonstruktion“ des Kreisauer Kreises sollen beispielhaft beschrieben werden. Weitere Konfliktfälle könnten leicht genannt werden.

Da ist zunächst das wechselvolle, schon gestreifte Verhältnis zwischen Moltke und von der Gablentz zu nennen. Zunächst war Gablentz zusammen mit Yorck einer der Haupt- gesprächspartner für das Moltke‘sche Grundsatzpapier über die Staatslehre. Allerdings scheinen die Gespräche nicht immer sehr harmonisch gelaufen zu sein. Während Moltke in seinen Briefen im Laufe von 1940 immer wieder über Treffen mit Gablentz mit Be- merkungen wie „grosser Erfolg“, „G. war nett und ist für eine Unterhaltung sehr brauchbar“762, man habe sich „ausführlich […] und auch ganz produktiv“763 unterhalten, „ich bin gespannt, ob auf die Dauer etwas Brauchbares daraus wird“764 berichtet hatte, ergab sich nach der letzten Diskussionsrunde zusammen mit York und Moltke am

757 Müller, Über den „militärischen Widerstand“ 1992, S. 119. 758 Knauft, Delp Berlin 2009/2010, S. 11. 759 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 133. 760 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 131. 761 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 133. 762 MB (24.08.1940) S. 197. 763 MB (09.09.1940) S. 203. 764 MB (09.11.1940) S. 213. 141 Beschreibung des Kreisauer Kreises

04. Dezember 1940765 eine Pause von einem halben Jahr. Erst Ende Juni 1941 traf Moltke Gablentz erneut766, er berichtete am 16.07 wieder von einer „sehr erfreulichen Unterhaltung“767. Dann werden wieder Spannungen spürbar, wenn Moltke seiner Frau schreibt, dass er sich mit Yorck „schon ein bisschen zu gut aufeinander eingespielt“ empfand, „so dass der Dritte [Gablentz; A. d. V.] sich leicht als Opfer und nicht recht als Partner vorkommt.“768

Offensichtlich hatte Gablentz in der Staatsrechtsdiskussion an Bedeutung verloren, er galt aber auf dem kirchlichen Sektor als Autorität und war Moltke, der im Herbst ein starkes Interesse an kirchlichen Fragen entwickelte, ein wertvoller und in Fragen der protestantischen Theologie769 versierter Diskussionspartner, wie bei der Schilderung des Werdens des Kreisauer Kreises bereits zu sehen war. Moltke, Yorck und von der Ga- blentz diskutierten am 19. Oktober 1941 vier Stunden lang kirchliche Fragen. „Die 4 Stunden waren für mich rasend anstrengend, aber ich glaube, dass wir ganz erhebliche Fortschritte gemacht und Gablentz auf neue Fragen und Einzelprobleme angesetzt ha- ben.“770 Im November stellt Moltke fest, dass die Lage im Innern wesentlich schlechter sei, als er es sich vorgestellt hatte. „Durch Judenverfolgung und Kirchensturm ist eine rasende Unruhe hervorgerufen worden“771, schrieb er seiner Frau. Wieder besprach er sich wohl über diese Themen mit Gablentz.772 Einige Wochen später berichtete Moltke, „die früher schwierigen Beziehungen“ zu Gablentz „haben sich ganz gelöst und heute zieht er ganz voll mit.“ Es sei „immer wieder erstaunlich, wie lange es dauert, bis man gute Leute gewinnt“773. Im Verlaufe von 1942 traf sich Moltke immer wieder mit Ga- blentz, der nun erneut voll in den Kreis integriert schien. Noch Ende Juni 1942 konfe- rierte Moltke lange mit Gablentz in der Vorbereitung auf ein Treffen mit dem württem- bergischen Landesbischof Theophil Wurm774, doch schon im August setzte erneut die Entfremdung ein. Ende Oktober 1942 schrieb er seiner Frau über den Versuch, Gablentz wieder „einzuspannen“: „Ich will ihn, der in den letzten 2 Monaten aussen vor gestan- den hat, jetzt wieder einbeziehen und muss sehen, ob das gelingt.“ Moltke hielt Ga-

765 MB (04.12.1940) S. 220. 766 MB (24.06.1941) S. 256. 767 MB (16.07.1941) S. 270. 768 MB (23.07.1941) S. 275. 769 MB (23.07.1941) S. 275. 770 MB (19.10.1941) S. 306. 771 MB (18.11.1941) S. 326. 772 MB (24.11.1941) S. 326. 773 MB (09.01.1942) S. 342. 774 MB (30.06.1942) S. 387. 142 Beschreibung des Kreisauer Kreises blentz für geeignet. „einen Schlachtplan für die nächste Zeit [zu] entwerfen.“775 Aber es gelang nicht. Einen Tag später stellte Moltke fest: „Der Versuch, ihn einzuspannen, ist […] völlig missglückt.“ Er hielt Gablentz Sturheit, Verbohrtheit vor, was mehr sei, „als man ertragen kann“776. Auf diese Stelle wurde bereits bei der Schilderung der Charakte- re der Kreisauer hingewiesen. Danach wird ein Treffen mit Gablentz nur noch einmal, am 05. April 1943, erwähnt. Aus den Briefen an Freya kann natürlich nicht alles ge- schlossen werden, aber die Zusammenarbeit Moltkes mit Gablentz, der lange Zeit unbe- streitbar zum Kern der Kreisauer gehörte, schien zerbrochen zu sein.777

Netzwerkanalytisch kann festgestellt werden, dass die Beziehungen zwischen Moltke und Gablentz nur zeitweise von hoher Dichte waren. Gablentz war in seiner Persönlich- keit so eigenständig, dass man eher von einer uniplexen Beziehung, die sich auf staats- wissenschaftliche und kirchliche Fragen beschränkte, sprechen kann. Folglich konnte man nur von einem geringen Grad an Konformität und Kontrolle des Handelns von Ga- blentz durch Moltke sprechen. Ein Konfliktfall war somit nicht ausgeschlossen.

„Zwischen Moltke und Trott lief es zumindest anfangs nicht gut, obwohl beide dem gleichen Milieu entstammten, familiäre Bindungen in der angelsächsischen Welt hatten sowie den Grundsätzen des Völkerrechts verpflichtet waren“, bemerkt Klemperer.778 Sie waren nicht immer gleicher Meinung, es gab Richtungskämpfe. So schreibt Moltke am 15. Mai 1941779, wie bereits bei der Charakterisierung Haeftens angeführt: „Die Unter- haltungen mit Trott und Haeften waren sehr befriedigend. Haeften ist ein guter, aber konservativer Mann und Trott nicht ganz zuverlässig“, und weiter: „… es ist eine große Anstrengung, solche Leute für die ‚große Lösung’ zu gewinnen.“ Diese Beurteilung Moltkes über Trott wollte Freya in der Edition der Briefe nicht unkommentiert stehen lassen, weil nach ihrer Einschätzung die Wertung „nicht ganz zuverlässig“ spontan aus- gesprochen wurde und sich keineswegs auf Trotts Opposition und seinen Einsatz gegen den Nationalsozialismus und vor allem nicht auf seinen Charakter bezog. Es ging bei diesem Gespräch um die „große Lösung“ im Moltke‘schen Sinne, im Glaube, „das Ende des Nationalsozialismus werde die notwendige Gelegenheit bringen, von Grund auf, anders, transnational, mit veränderten Souveränitäten aufbauen zu können.780. Dies stieß

775 MB (23.10.1942) S. 423. 776 MB (24.10.1942) S. 424. 777 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 97. 778 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 59. 779 MB S. 244. 780 MB S. 244, Fn. 1. 143 Beschreibung des Kreisauer Kreises bei dem Patrioten Trott auf Widerstand. „Adam war ein Patriot; Helmuth nicht“, fügte Freya von Moltke an. Klemperer weist noch auf weitere Gründe für ein anfängliches gewisses Misstrauen Moltkes gegenüber Trott hin. Dies bezog sich zunächst auf Trotts Vorgesetzten im Auswärtigen Amt, Staatssekretär von Weizsäcker, dessen „vorge- täuschte Kooperation“ ihm unverständlich war. Trott habe den Stil des Auswärtigen Amtes pflegen und ständig neue Alibis für seine Auslandsmissionen finden müssen. „Während Moltke in der Abwehr meist mit bewundernswerter Aufrichtigkeit und Of- fenheit vorgehen konnte“, so Klemperer, habe sich Trott ständig der Tarnung und Irre- führung bedienen müssen. Der „Außenminister“ der Gruppe, Trott, nahm das „nationale Gebilde“ Deutschland wichtiger als Moltke. Trott fühlte sich verpflichtet, „die Integrität seiner Nation zu wahren und [war] ständig um das Gleichgewicht zwischen den Interes- sen seines Landes und denen Europas bemüht.“781

Trott war von „sprudelnder Geistigkeit“782 mit vielen nationalen und internationalen Verbindungen auch außerhalb des Kreisauer Kreises und war trotz aller Abstimmung mit Moltke gewohnt, unabhängig zu agieren und im Gegensatz zu Moltke auf schnelle Handlungsalternativen aus. Netzwerkanalytisch gesagt: Die Reichweite von Trott war nicht mit der von Moltke identisch, die Kommunikation Trotts war nicht nur auf Moltke gerichtet und ihre Beziehungen deckten nicht die ganze Breite ab, keinesfalls die des Patriotismus.

Gerstenmaier bekennt in seinem Lebensbericht, dass er und andere zunehmend beein- druckt waren, „wie Stauffenberg unseren Wartestand schnell und durchgreifend in eine Aktion Widerstand verwandelt hat“783. Moltke habe dies mit skeptischer Distanz gese- hen.

Die problematische Passung von Leber in den Freundeskreis war Moltke von vornhe- rein klar, als er am 09. Januar 1944, wie wir bereits sahen, seiner Frau schrieb: „Heute früh […] bin ich um 10 zu Julius geradelt, bei dem ich bis 1 Uhr blieb […]. Ich werde mich aber nun neu anstrengen müssen, diesen Mann in unsere Bahnen zu lenken. Der Mann ist […] mir weniger verwandt [als Mierendorff, den er nach dessen Bombentod am 4. Dezember 1943 ersetzte; A. d. V.].“784 Moltke war skeptisch, ob dieser Mann in den Kreis einzuordnen sei. Er brauchte ihn aber, da die Planungen des Kreisauer Kreises

781 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 60. 782 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 59. 783 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 180. 784 MB S. 588 f. 144 Beschreibung des Kreisauer Kreises ihren Abschluss gefunden hatten und es nun um politische Aktion ging. „Es wird also nicht die spontane Gleichrichtung geben“, so Moltke weiter, „die uns Stabilität verlie- hen hat. Aber ich bin ganz hoffnungsfroh. Peter [Yorck; A. d. V.] muss eben mehr ran und auch mal die Woche hin.“785 Wie schon dargelegt, war Leber Anfang August 1943 zum Kreisauer Kreis gestoßen. Moltke berichtete am 06. August seiner Frau „von der eindringlichen Bearbeitung des neuen Mannes“786. Dies war vor der Schluss-Sitzung der Planungsarbeit am 09. August. Ob Leber daran teilnahm, wissen wir nicht, wie bereits festgestellt, aber die Anmerkungen Moltkes lassen auf massive Kritik787 an der Kreisau- er Planungsarbeit schließen. Diese mag sich zunächst auf den Staatsaufbau bezogen haben.788 Dann wird die betont christliche Grundhaltung der Kreisauer als Leitschnur für ihr politisches Handeln789 dem zwar katholisch getauften, aber nicht praktizierenden und kirchenfernen Christen fremd gewesen sein.

Ein weiterer Punkt des Konfliktes dürfte in dem Kompromiss in der Gewerkschaftsfrage gelegen haben, der mühsam mit Mierendorff und seinen sozialistischen Kollegen aus- gehandelt worden war und der Leuschner und Maass zum Verlassen des Kreisauer Krei- ses veranlasst hatte. Die Kreisauer hatten ein Modell von „Betriebsgewerkschaften“ vorgesehen, die keine reine Arbeitnehmervertretung sein sollten, sondern eine Art „be- triebliche Wirtschaftsgemeinschaft“. Der Betrieb war für die Kreisauer nicht einfach Produktionsstätte, sondern eine Wirtschaftsgemeinschaft der in ihm schaffenden Men- schen in Form der „Betriebsgewerkschaft, die von dem Eigentümer des Betriebes und der Gesamtheit der Belegschaft des Betriebes gebildet wird“790. Das war eine praktische Anwendung der Idee der „kleinen Gemeinschaften“. Dieses nach Mommsen utopische Projekt, „das eine ideologische Ähnlichkeit zur Theorie der nationalsozialistischen Arbeitsverfassung aufweist“791, fand unter den Sozialisten nur Mierendorffs Zustim- mung792, während es von Haubach und Maass und vermutlich auch von Leber abgelehnt

785 MB (09.01.1944) S. 589. 786 MB (06.08.1943) S. 520. 787 MB (18.10.1943) S. 557: „Es war kein recht produktiver Abend. Sie waren schon auf falscher Bahn und konnten nicht mehr herunter.“ 788 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 176 f. 789 So heißt es in der Grundsatzerklärung vom 09.08.1943: „Die Regierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die sittliche und religiöse Erneuerung unseres Volkes …“; in: Brakel- mann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 307. 790 Ergebnisse der 2. Kreisauer Tagung vom 18.10.1942, Wirtschaft; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 246. 791 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 148. 792 „So haben sich […] Mierendorff und Leuschner jahrelang über das Prinzip gestritten, nach denen die neue Gewerkschaft aufgebaut werden sollte. Mierendorff war für Betriebsgewerkschaften, Leuschner für Berufsgewerkschaften“; in: KB S. 233. (partielle Kursivschrift wurde übernommen; A. d. V.). 145 Beschreibung des Kreisauer Kreises wurde. Leber beeinflusste wohl wieder Mierendorff in Richtung Einheitsgewerkschaft, die von Leuschner vertreten wurde und die „den extrem dezentralistischen Absichten Kreisaus“793 widersprach. Der von Leber und Mierendorff ausgelöste Konflikt verur- sachte heftige Gegenaktivitäten von Moltke im November 1943 mit dem Ziel „diesen Mann [Leber; A. d. V.] in unsere Bahnen zu lenken“794. Auf diese Aktivitäten wurde bereits bei der Darstellung der positiv verbundenen Netzwerke eingegangen.

Es ist überhaupt fraglich, ob es Leber, als er sich den Kreisauern näherte, um deren Pro- gramm und Grundsätze ging oder nur darum, den Umsturz durchzusetzen. „Um zum Umsturz zu kommen, würde ich mit dem Teufel paktieren“, sagte er ja zu seiner Frau, wie schon bei der Charakterisierung Lebers und seiner Zugehörigkeit zur Tatgemein- schaft zitiert wurde, „was danach kommt, regelt sich von selbst“795. Nach Beck habe er sich zu seiner schon in den Weimarer Jahren entwickelten Grundüberzeugung bekannt, dass weniger Programme denn politische Führungspersönlichkeiten, getragen von Ver- antwortungsbewusstsein, Tatkraft, dem Willen und dem Mut zur Macht, die Neuord- nung prägen würden.796

Ein weiterer Konflikt war nur potenzieller Natur, da nicht bekannt ist, ob er direkt aus- getragen wurde. Aber er dürfte in den vielen Diskussionen Moltkes mit Leber eine Rol- le gespielt haben. Leber sah im Unterschied zu den anderen bürgerlichen Gruppen des Widerstandes „die Partei als Ort der politischen Willensbildung nicht diskreditiert“797. Er kritisierte das Weimarer Parteiwesen stets nur von den schädlichen Auswirkungen des Verhältniswahlrechtes aus und nicht von der NSDAP her, die nach Bohrmann von konservativen Kritikern als typische Ausprägung des sich zur Zersetzung der „Volks- gemeinschaft“ führenden „Parteiwesens“ gedeutet wurde.798 Leber war der Meinung, dass die nationalsozialistische Diktatur nicht „in einer Nacht auf Demokratie“ umge- stellt werden könne, und entwickelte so mit seinen Freunden einen Plan, der „einen langsam fortschreitenden Abbau der unumschränkten Exekutivgewalten des Nazire- gimes bei gleichzeitiger Errichtung eines Zwei-Parteiensystems“ vorsah.799 Dies dürfte im Widerspruch zu den Neuordnungsplänen der Kreisauer gestanden haben. Auch wenn man im Kreisauer Kreis nach Peters kaum „an eine unmittelbare Beschränkung des Par-

793 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 148. 794 MB (09.01.1944) S. 588 f. 795 Leber, Annedore, Den toten 1946, S. 11. 796 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 178. 797 Bohrmann, Julius Leber 1974, S. 248. 798 Bohrmann, Julius Leber 1974, S. 248. 799 John, Männer im Kampf gegen Hitler 1947, S. 22. 146 Beschreibung des Kreisauer Kreises teiwesens“800 dachte, kann es nach Mommsen keinen Zweifel geben, dass man jeden- falls zunächst ganz konsequent jede Form politischer Willensbildung außerhalb des auf den „kleinen Gemeinschaften“ basierenden Selbstverwaltungssystems ablehnte.801 Trotz dieser möglichen Kritik war Leber aufgrund seiner praktischen politischen Erfahrung für die Kreisauer wertvoll, nun, da die Planungen des Kreisauer Kreises abgeschlossen waren und es jetzt um die politische Aktion ging.

Weiter oben wurde behauptet, dass in einem sozialen Netzwerk, wenn es eine hohe Dichte und/oder multiplexe Beziehungen aufweist, ein hoher Grad an Konformität und Kontrolle einzelner Akteure herrsche. Es ist offensichtlich, dass diese Hypothese nicht auf das Verhältnis Moltkes zu Leber anzuwenden ist. Leber stieß erst spät zu den Kreis- auern und trat gleich stark „in den Vordergrund“802. Aber er bewahrte sich wie kein anderer seine Unabhängigkeit im Denken und Handeln. Beck weist auf die Andersartig- keit Lebers, verglichen mit den Kreisauern, auch den dortigen Sozialdemokraten, hin. Er kam als Einziger aus einer nicht-bürgerlichen Schicht, Moltke behauptete sogar, wie schon erwähnt, dass Leber, obwohl in Volkswirtschaft promoviert, die „geistigen Kräfte sehr viel geringer“803 werte als er. Leber hat mit Sicherheit die soziale Haltung der Kreisauer anerkannt, aber wohl nicht deren Quelle: das patriarchalische Verantwor- tungsgefühl. Er hatte in seinem völlig unbürgerlichen Leben nicht die Erfahrung der Jugendbewegung und Volksbildungsarbeit durchlaufen, durch die „die führenden Kreis- auer in ihrer sozialen Einstellung entscheidend geprägt wurden“804.

Die Konfliktsituation und die Dekonstruktion beziehen sich nicht nur auf die Phase des Zusammenraufens, sondern auch auf die Zeit der Verteidigung vor dem Volksgerichts- hof und auf die nach der Verkündigung der Todesurteile 1944/45. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich um existenzielle Notlagen handelte.

800 Peters, Verfassungs- und Verwaltungsreformbestrebungen 1961, S. 14. 801 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 148; siehe jedoch Lukaschek, Hans: Was war und wollte der Kreisauer Kreis? 1958, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 8: Lukaschek beschäftigte die Frage, „mit welchem Wahl- system eine neue parlamentarische Vertretung aufgebaut werden könnte. Wir konnten uns nicht vorstel- len, dass in dem zu erwartenden Chaos allgemeine direkte freie Wahlen möglich sein würden. Die Erfah- rungen mit den Wahlen gemäß der Weimarer Verfassung waren ja auch nicht allzu verlockend. Wir dach- ten an ein Übergangssystem, das vom örtlichen Kommunalverband ausgehend durch ein Repräsentativ- system gebildet werden könnte. Freilich waren wir uns auch klar darüber, dass das nur ein kurzer Über- gang sein konnte und durfte. Die Reichsregierung konnte ja nach dem Zusammenbruch zunächst nur auf die Heeresmacht gestützt mit diktatorischen Vollmachten regieren.“ 802 Lukaschek, Hans: Was war und wollte der Kreisauer Kreis? 1958, IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 9. 803 MB (02.01.1944) S. 583. 804 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 176 f. 147 Beschreibung des Kreisauer Kreises

Ein solcher Konfliktfall wird bei Delp im Rahmen seiner Vorbereitung zur Verteidi- gung Anfang Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof deutlich. Einer der Anklagepunkte, den Delp als „absolut tödlich“805 bewertete, bezog sich auf seinen Besuch am 06. Juni bei Stauffenberg in Bamberg, der in der Vernehmung von Sperr offengelegt worden war. In seiner Verteidigungsskizze806 spricht Delp von einem Gelegenheitsbesuch und dass er Stauffenberg für einen Bekannten aus dem Moltke-Kreis hielt. Er selbst hätte seit 1942 keinen direkten Kontakt zu den „Berliner Bekannten“ des Grafen Moltke mehr gehabt und Moltke selbst das letzte Mal im Januar 1943 gesehen. Als Hintergrund ist zu sagen, dass Franz Sperr nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 Kontakt zu des- sen Freunden in Fragen der Aufrechterhaltung der bekannten Kreisauer Überlegungen im Katastrophenfall suchte. Delp gab dies an König weiter, der über Yorck den Hinweis an Delp übermittelte, Sperr wolle Stauffenberg Anfang Juni in Bamberg treffen. Auch Delp hatte einige Anliegen807, die er persönlich an Stauffenberg richten wollte. Delp fühlte sich nun durch Yorck getäuscht, da ihm nicht bekannt gemacht wurde, dass in- zwischen ein Teil der früheren Besprechungsteilnehmer sich „putschistischen Verfüh- rungen ergeben hatten.“ Dies sei von Yorck sehr unfair gewesen, „uns [damit sind wohl die drei Jesuiten und die Münchner gemeint; A. d. V.], insbesondere Sperr so zu täu- schen“808. Aus drei Gründen lehne er den ganzen 20. Juli ab: aus grundsätzlichen ethi- schen Haltungen gemäß der christlichen Lehre, aus geistigen Einsichten als Geschichts- philosoph und „aus der Einsicht, daß es im gegenwärtigen Krieg und in diesem Stadium des Krieges um die Substanz der Nation und nicht um Führungs- und ähnliche Fragen geht“809. Belastend empfand Delp noch die Flucht von Rösch und König, die er nicht verstand. „Wenn sie mehr wussten, mussten sie mich warnen.“810 Rösch und König tauchten im August 1944 unter; nach dem Krieg erklärte Rösch, dass er und König nicht mehr gewusst hatten als Delp und deshalb auch nichts klarstellen konnten. Rösch ver- suchte allerdings, Delp, der am Morgen des 28. Juli 1944 von der Gestapo verhaftet wurde, am 31. Juli oder 01. August in verschiedenen Gestapo-Gefängnissen Münchens

805 Delp IV S. 57. 806 Delp IV S. 332 f., S. 349 ff. 807 Die Frage, „ob wir [Jesuiten; A. d. V.] als vom Wehrdienst Ausgeschlossene ähnlich wie die Halbarier zu O. T. [Organisation Todt; A. d. V.] oder ähnlichen Verwendung eingezogen würden, ob er [als Ange- höriger des Stabes des Ersatzheeres; A. d. V.] nicht eine Möglichkeit wüsste, trotz des Verbotes [bezogen auf Jesuiten; A. d. V.] zur Wehrmacht eingezogen zu werden. […] zu diesen Gründen kam noch eine persönliche Neugier, etwas über die an diesem Tag erfolgte Invasion zu erfahren“; in: Delp IV S. 350 f. 808 Delp IV S. 350. 809 Delp IV S. 353. Ob dies Delps tatsächliche Haltung oder nur die vorgeschobene im Verteidigungsfalle war, ist offen. 810 Delp IV S. 334. 148 Beschreibung des Kreisauer Kreises zu besuchen.811 Rösch machte Delp seinerseits den Vorwurf, nicht untergetaucht zu sein, aber Delp wollte seine Leute in Bogenhausen nicht allein lassen, damit nicht im- plizit seine Schuld eingestehen, und er wollte vor allem das für den 15. August anbe- raumte Ewige Gelübde nicht versäumen. Dies war nämlich wegen grundsätzlicher Mei- nungsverschiedenheiten mit Rösch in Gehorsams- und Verhaltensfragen bereits mehr- fach verschoben worden.812 Das gipfelte einmal in der Aussage Delps gegenüber Rösch: „Ihretwegen bin ich nicht in den Orden eingetreten, ihretwegen werde ich auch nicht austreten.“813 Beide Männer waren aber groß genug, sich gegenseitig anzuerkennen und im entscheidenden Moment zusammenzustehen.814

Hier zeigt sich ein Konfliktfall innerhalb einer Clique. Die zum Teil nur uniplexen Be- ziehungen zwischen Rösch und Delp führten zur mangelnden sozialen Kontrolle des Provinzials gegenüber einem ihm unterstellten Pater. Diese uniplexen Beziehungen er- geben sich wohl auch aus der bereits zitierten Aussage Steltzers nach dem Krieg, Delp sei nach seiner Ansicht die geistig bedeutendste Persönlichkeit des Kreises gewesen, während er Rösch nicht ganz die religiöse Weite Delps zugestand.

Es gibt ein weiteres Dekonstruktionsbeispiel815, das allerdings voller Rätsel ist. In dem SD-Bericht vom 12. September 1944 an Bormann wird davon berichtet, dass Steltzer im Januar von den Umsturzplänen des Goerdeler-Kreises erfahren und offiziell Mel- dung erstattet habe:

Steltzer hatte Näheres über die Pläne von Goerdeler bei seinem Besuch erfahren, den er im Januar 1943 Moltke und Yorck in Berlin abstattete. Nach der Rückkehr sprach er darüber mit Oberst von Lossberg als dienstältestem Kameraden. Lossberg setzte ihn derart unter Druck, daß er am 5. Januar an den damaligen Generalleutnant Bamler816 eine Meldung er- stattete, der seinerseits an Admiral Canaris schrieb. Die Antwort von Canaris behandelte den Fall Goerdeler als reichlich belanglos.817 Hier stellt sich natürlich die Frage nach der Glaubwürdigkeit der SD-Berichte. Aber der gleiche Sachverhalt wird im Prozessbericht vom 15. Januar 1945, sogar noch präziser,

811 Delp IV S. 335, Fn. 14. 812 Koch, Pater Anton: Beurteilung Delps anlässlich des geplanten Gelübdes am 07.05.1944, Jesuiten- Archiv München, Sig. 47-23 A-1; Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 420. Rösch beauftragte schließlich Pater von Tattenbach, Delp die endgültige Aufnahme in den Orden mitzuteilen und ihm am 08.12.1944 (jesuitische Gelübde werden immer an einen Marienfest abgelegt) das letzte Gelübde in Ber- lin-Tegel abzunehmen. 813 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 420. 814 Messbacher, Alfred Delp. Seine geistige Gestalt 1968. 815 Siehe auch: Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 37 ff. 816 Rudolf Bamler, früher Nationalsozialist und Freund von Heydrich, 1942-44 Generalstabschef AOK Norwegen, Ende Juni 1944 als Kommandeur der 12. Infanteriedivision in Russland gefangen genommen, am 22.07. Unterzeichner des Aufrufs der Generale und Truppenführer der Heeresgruppe Mitte, den Kampf einzustellen und „Hitlers Regime abzuschließen und damit den Krieg“. Nach dem Krieg erfolgrei- che Karriere in der DDR, u. a. als Generalinspekteur der Volkspolizei; MB S. 409 f. Fn. 4. 817 KB S. 382. 149 Beschreibung des Kreisauer Kreises wiederholt, obwohl der Anklagepunkt der Mitwisserschaft des 20. Juli gegenüber Stelt- zer inzwischen fallen gelassen wurde. Dort heißt es über Steltzer:

Nahm wiederholt an Besprechungen des Kreisauer Kreises teil. Erfuhr bei einem Urlaub Anfang Januar 1943 durch Moltke und Yorck von Wartenburg von dem Goerdeler-Beck- Verrat. Erzählte das Gehörte seinem Kameraden Oberst von Lossberg, der ihn aufforderte, es sofort zu melden. Nach anfänglichem Widerstreben (er wollte keine „Bartholomäus- Nacht“ heraufbeschwören) erstattet er Meldung. Sie gelangte an den ehemaligen Admiral Canaris und verlief sich bezeichnender Weise hier im Sande. St. selbst setzte daraufhin sei- ne Beteiligung an den Kreisauer Besprechungen verstärkt fort, bis Mitte 1944.818 Wäre die Meldung offiziell verfolgt worden, hätte das den Tod von Moltke und Yorck bedeuten können. Moltke war ja schon wegen einer Warnung vor einem Spitzels in Schutzhaft genommen worden. Steltzer geht auf dieses Ereignis in seinen Memoiren nicht ein. Dort erwähnt er lediglich General Bamler, der sich rühmte, der erste national- sozialistische Offizier des Heeres gewesen zu sein, und Oberst von Lossberg als Fäl- scher von Aufmarschkarten.819 Welchen Sinn würde es machen, die SD-Berichte in die- sem Punkt als Erfindung zu werten? Der Anklagepunkt bezüglich des 20. Juli war nicht mehr existent. Vielmehr scheint es möglich, dass sich Steltzer mit seinem Hinweis auf die Meldung der Umsturzpläne von dem Attentat des 20. Juli, mit dem er so nicht ein- verstanden war, distanzieren wollte. Rätsel gibt auf, dass er bis Mitte 1944 im Kreisauer Kreis mitgewirkt hatte, dessen Hauptprotagonisten er fast dem sicheren Tod auslieferte. Eine sinnvolle Auflösung des Vorfalls ist nicht möglich, zumal sich Steltzer in seinen vielen Nachkriegsvorträgen zu diesem Vorfall nie äußerte.

Ein weiterer Aspekt der Meldung Steltzers an seine militärischen Vorgesetzten bezieht sich auf Moltke selbst. Moltke wurde u. a. vorgeworfen, die ihm bekannten Umsturz- pläne Goerdelers und seines Kreises nicht angezeigt zu haben. Dem wollte Moltke vor dem Hintergrund seiner Ablehnung eines jeglichen Attentats in seiner Verteidigung entgegenhalten, dass sein nächster militärischer Vorgesetzter und Canaris dies wussten, und er das deshalb nicht eigens anzeigen musste. Aber eigentlich habe er eine Anzeige initiiert, da er bereits im Herbst 1942820 zu Mierendorff sagte: „Wir müssen den Onkel

818 KBII S. 722. 819 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 145. 820 Moltke: „Im Jahr 40, zwischen Norwegenfeldzug und Frankreichfeldzug, drangen die ersten Gerüchte über Pläne von Beck-Goerdeler an mein Ohr. Die kamen von Peter [Yorck; A. d. V.] von Abwehr. […] Im Herbst 42 erfolgte dann auf meine Bitte an Mierendorff, anzuzeigen, um damit Leuschner zu schre- cken; um dieselbe Zeit etwa der Brief Canaris an Bamler, in dem C, sagte, er habe mit Reichsf. SS darü- ber gesprochen.“ Nachdem Schulenburg Moltke in Aussicht gestellt hatte, dass Goerdeler und sein Kreis gar nicht auf ein Attentat fixiert seien und „man ein Mal über die sachlichen Probleme reden“ sollte, brachte Schulenburg „eine Besprechung Beck-Goerdeler-Popitz-Hassel-Peter-Adam-Eugen-ich zustande, die ich nun vor allem dazu benutzen wollte, Beck von allen Umsturzgedanken abzubringen und ganz klar zu machen, dass das für mich nicht in Frage käme“, in: HFM S. 378. 150 Beschreibung des Kreisauer Kreises

[Wilhelm Leuchner; A. d. V.] schrecken, damit er dem Oberbürgermeister [Carl Frie- dich Goerdeler; A. d. V.] den Laufpass gäbe. Deswegen müsste eine formelle Anzeige bei der Stapo gemacht werden, obwohl das sinnlos wäre, denn die wüssten ja, warum sie nicht zuschlügen.“821 Diese Anzeige sei durch Mierendorff oder Haubach versucht worden, aber sie wurde von der Stapo mit dem Bescheid beantwortet: „Wissen wir, wird beobachtet, weiteres ist nicht zu veranlassen.“822 Mit Haubach habe dann die durch Kas- siber von ihm bestätigte Konversation stattgefunden: „Helmuth: ‚Dieses verbrecheri- sche und lächerliche Treiben der Goerdeler-Leute kann ich nicht mehr ansehen. Will Anzeige machen.’ Ich [Haubach; A. d. V.]: ‚Ist nicht nötig, habe schon getan.‘“823 Da die Anzeige erfolglos war, so Moltke, sollte noch einmal ein Vorstoß unternommen werden.824

Wenn nun im Falle der Meldung der Attentatspläne des Goerdeler-Kreises durch Stelt- zer neben diesem Kreis auch Moltke und Yorck als Mitwisser gefährdet waren, so war bei der geplanten Moltke-Anzeige seine Absicht, die Arbeit des Kreisauer Kreises zu schützen im Vordergrund gestanden. Eine Nicht-Anzeige hätte unter schwerer Strafe gestanden und die Kreisauer in fatale Schwierigkeiten bringen können. Schaden konnte eine Anzeige den Goerdeler Kreis hingegen nicht, denn der SD und die Abwehr wuss- ten von den Attentatsplänen des Goerdeler Kreises. Im Fall Steltzer könnte auch ange- nommen werden, dass dieser von der Absicht Moltkes wusste und sich dadurch zur An- zeige der Goerdeler-Pläne durch Moltke sogar bestärkt fühlte. Dies kann anhand der Quellen nicht aufgeklärt werden und entzieht sich auch dadurch einer Bewertung. Allerdings kann darin auch ein Fall der Dekonstruktion des Kreisauer Kreises gesehen werden. Steltzer spielt noch in einem weiteren Dekonstruktionsbeispiel eine Rolle. Vor dem Prozess stellte Moltke zunächst mit Genugtuung fest, dass der Verhaftungsgrund, beim Attentat beteiligt gewesen zu sein, in der Anklageschrift nicht mehr erschien; daraus schöpfte er Hoffnung. Umso enttäuschter war er dann von dem „Mist“ Steltzers, der seiner angedachten Verteidigungslinie zuwiderlief. Steltzer hatte offensichtlich den Kreisauer Kreis als einen „Führungskreis aus Bischöfen und Gewerkschaftlern“ be- zeichnet, „die eine Art Regierungsersatz oder Führerersatz“825 darstellen sollten, außer-

821 HFM S. 376. 822 HFM S. 376. 823 HFM S. 373. 824 HFM S. 376. 825 HFM S. 343. 151 Beschreibung des Kreisauer Kreises dem soll Steltzer im Spätfrühjahr 1943 im Auftrag von Moltke nach München gefahren sein, um dort „in der Wohnung des Pater’s Delp“ an „Dr. Mierendorff, Rösch, Reisert und Fugger […] einen Bericht über die militärische Lage zu geben, so wie sie das OKW sehe … (Fazit: Krieg verloren).“826 Moltke bezeichnet diesen Punkt der Anklageschrift als „eine üble Stelle bei Steltzer“, der „aus der ganzen Korona“ als Einziger „nicht in Reih und Glied“ stehe.827 Moltke versuchte dann über Kassiber, Steltzer entsprechend zu beeinflussen. Darauf geht Steltzer in seinem Lebensbericht auch ein und schreibt lapidar von einem Kassiber im Kuchen828: „Einmal erhielt ich einen Kuchen, in den ein Zettel mit einigen Gedanken von Moltke über unsere Verteidigung hineingebacken war.“829 Die Aussagen Steltzers bei den Verhören müssen im Kontext der existenziellen Bedrohung gesehen werden und entziehen sich einem heutigen Werturteil.830 Das gilt auch für die Tatsache, dass offensichtlich Steltzer zu seiner Entlastung die Moltke und Yorck belastende Meldung der Goerdeler‘schen Attentatspläne anführte, denn in der Anklageschrift gegen Moltke wird „der Brief Canaris an Bamler“831 zitiert. Diesen woll- te Moltke einsehen; er wusste wohl von Steltzers Meldung an General Bamler nichts. Er überlegt mit seiner Frau im Brief vom 04./05. Januar, also einige Tage vor dem Prozess, diesen „Unsinn“ von Steltzer „als eine Unterhaltung mit Peter [Yorck; A. d. V.] abtun zu können.“832

Diese letzten Endes fruchtbaren, aber z. T. auch existenziellen Auseinandersetzungen waren notwendig und sie bringen die Frage der Kraft der Vergemeinschaftung wieder in den Blick. Es konnten sich erfrischend lebendige Gespräche entfalten und alle Teilneh- mer, so verschieden ihre Herkunft und ihre Überzeugungen auch sein mochten, trugen zu den Diskussionen ihr Bestes bei.833 Trotz aller Argumentation konnte Moltke in einem Brief an Freya vom 18. Juli 1943834 mit Freude feststellen, wie stark „das Ge- meinsame“ war, das alle Differenzen „erträglich“ machte.

826 HFM S. 352. 827 HFM S. 343; S. 454: „[…] wir müssen uns eben leider darauf rüsten, ganz eisern gegen Steltzer zu halten, wenn seine Aussagen tatsächlich gewissen Teilen der Anklage zu Grunde liegen sollten.“ 828 Siehe die Bemerkung über Weihnachtskuchen als Transportmittel; HFM S. 372. 829 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 169. 830 Die verhafteten Kreisauer hatten große Angst, unter Folter ihre Freunde zu verraten. Gerstenmaier hatte in seinem Schuhwerk eine Rasierklinge und Haubach bat für den Fall der Fälle um Zyankali. Dem gefolterten Yorck war es wichtig, noch kurz vor seinem Tod seinen Freunden mitteilen zu lassen, dass er niemanden verraten habe. Moltke wurde aus wohl aus Achtung vor seinem Namen nicht gefoltert. 831 HFM S. 350. 832 HFM S. 448. 833 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 58. 834 MB S. 508. 152 Beschreibung des Kreisauer Kreises

2.5 Arbeitsweise und Etappen

2.5.1 Konspirative Treffen

Den Kreisauer Kreis zeichnete eine sehr spezifische Arbeitsweise aus. Moltke und Yorck bemühten sich schon in den Jahren 1940/41, wie dargestellt wurde, politisch zu- verlässige und erfahrene Experten für alle wichtigen Bereiche der geplanten grundle- genden gesellschaftlichen Neuordnung zu gewinnen. Mit deren Fachwissen und unter- schiedlichen Erfahrungshintergründen sollten für die jeweils relevanten Gebiete wie Verfassung und Staatsaufbau, Wirtschafts- und Sozialordnung, Bildungs-, Agrar- und Außenpolitik, Kultur, Rechtswesen und Stellung der Kirchen Gutachten erarbeitet wer- den. Diese wurden dann in einer Vielzahl von konspirativen Zusammenkünften in klei- neren Arbeitsgruppen zu Einzelfragen und Teilbereichen der politischen Planung disku- tiert und präzisiert und dienten als Vorarbeiten für die größeren, „beschließenden“ Zu- sammenkünfte auf Moltkes Gut in Kreisau.835 Man näherte sich bei dieser Vorgehens- weise an die Gegenwartsprobleme nach einer historischen Entwicklungsskizze an, wie Steinbach feststellte:

Immer ging man vom Problem aus, das sich in der Gegenwart stellte: Man beschrieb den Zustand der Bildung, Erziehung, Kirche, Universitäten, Verwaltung, Staat und fragte zu- gleich nach der Entwicklung der diagnostizierten Probleme in der Vergangenheit. Erst da- nach wurden Folgerungen gezogen, die im letzten Schritt gerade eine programmatisch ver- festigte Konsequenz sichtbar machten. Erst jetzt ließen sich Problemanalysen und Konse- quenzen auch systematisch mit anderen Problemen und vorgeschlagenen Lösungen ver- knüpfen.836 Neben vielen Einzelbesprechungen in der Hortensienstraße oder der Derfflingerstraße in Berlin sowie in München sind als größere Zusammenkünfte die Tagungen auf dem Gut von Borsig oder in Klein-Oels und vor allem die drei Grundsatztagungen auf dem Molt- ke-Gut Kreisau hervorzuheben.837 Bei diesen Begegnungen, an denen eine größere Zahl und jeweils unterschiedliche Mitglieder teilnahmen, wurden die Ergebnisse aus den kleinen Gesprächsgruppen diskutiert und zu den jeweiligen Themengebieten Grund- satzpapiere beschlossen.

Die Kreisauer trafen sich dazu konspirativ unter den Bedingungen der nationalsozialis- tischen Diktatur, meist in kleinen Gruppen. Zusammenkünfte fanden oft in Form von Arbeitsessen statt oder als private Zusammenkünfte unter Freunden oder unverdächtige

835 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 425. 836 Steinbach, Zum 100. Geburtstag von Gablentz 1999a, S. 68. 837 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 65. 153 Beschreibung des Kreisauer Kreises geschäftliche Anlässe getarnt, wobei die Lebensmittelversorgung oft vom Kreisauer Gut838 übernommen wurde.

Aus Sicherheitsgründen bildete man einzelne, nicht miteinander in Kontakt stehende Gesprächskreise. Diese Organisationsform charakterisierte Lukaschek treffend mit „Schottensystem“839, einem Begriff aus dem Schiffsbau. Die Mitglieder des Kreises sollten möglichst wenig von den anderen wissen, um bei Verhaftungen und unter An- wendung von Folter die Gruppe nicht zu gefährden. Nur Moltke und Yorck, die Initiato- ren des Kreises, waren über alle Aspekte der Arbeit informiert und fungierten als Koor- dinationsstelle.840 Dieses Sicherheitssystem bestätigte auch Christiansen-Weniger nach dem Krieg:

Aus Gründen der Vorsicht würden [so Moltke; A. d. V.] keine [Namens-]Listen geführt. Die Namen der Mitarbeiter seien in ihrer Gesamtheit nur Peter Yorck und ihm bekannt. Al- le übrigen würden nur die Freunde kennenlernen, die zu ihrem Arbeitskreis gehörten. Es solle keiner an zwei Arbeitsgruppen teilnehmen, da das die Gefahr einer Entdeckung durch die Gestapo wesentlich verstärken müsse.841 Die einzelnen Untergruppen des Kreises hatten ihre Eigengesetzlichkeit und waren von- einander abgeschirmt. Die Folge war,

… daß am 20. Juli mehr als ein Mitglied dieser Gemeinschaft zwar den Kontakt zur Mitte hatte, aber viele der übrigen Mitglieder aus den Einzelgruppen nicht einmal dem Namen nach kannte, dies auch ein Gebot der Tarnung. Aber es entsprach eben auch dem Denken, in dem das unterste, das bescheidenste Glied seine Bedeutung, seine Verantwortung, seine Wirkungsmöglichkeit hat und sich doch die klare Führung seiner obersten Gruppe ergibt.842

2.5.2 Arbeitsweise

2.5.2.1 Etappen

In seiner Denkschrift vom 15. Juli 1944 für Lionel Curtis ging Steltzer auf die Entwick- lungsschritte, die der Kreisauer Kreis seit 1940 bewältigt hatte, ein und unterteilte diese in drei Etappen.843 In einem ersten Schritt seien die geistigen Grundlagen zu schaffen gewesen, nicht nur in der Form der Verneinung des NS, „sondern eine innerlich be- gründete positive Übereinstimmung in der politischen Zielsetzung.“ Es sei klar gewe-

838 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 429. 839 Lukaschek, Hans: Was war und wollte der Kreisauer Kreis, Rede vom 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 4: Wenn man beim Kreisauer Kreis von einer „Organisation“ sprechen kann, dann war sie im strengsten „Schottensystem“ gebaut, d. h. es wurden nur kleine Aussprachekreise verstreut über Deutsch- land und Österreich gebildet, die keinen Zusammenhang miteinander hatten, kaum von dem Bestande anderer wussten. 840 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 64 f. 841 Christiansen-Weniger. IfZ, ZS/A-18, Bd. 2. Christiansen-Weniger wollte infolge seines Interesses für pädagogische Fragen an der 1. Tagung in Kreisau teilnehmen, was von Moltke aus Sicherheitsgründen abgelehnt wurde, weil nur er und Yorck die ganze Übersicht haben dürften. 842 Boveri, Verrat 1956, S. 64 843 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 286 f. 154 Beschreibung des Kreisauer Kreises sen, dass nur Provisorisches zu schaffen war, und die Heterogenität des Kreises sei Vo- raussetzung für die Bewältigung der schwierigen Zielsetzungen gewesen. Christen hät- ten Kontakt zu Sozialisten gefunden, Sozialisten hätten ein überraschendes Verständnis für das Christentum entwickelt.

So ergab sich unschwer auch eine Übereinstimmung in grundlegenden Fragen, wie der Be- gründung eines objektiven Rechts vom Religiös-Ethischen her, der geistigen und sittlichen Bildung von Volk und freier Einzelpersönlichkeit, der sittlichen Substanz menschlicher, volklicher und völkerrechtlicher Gemeinschaft, der Bindung von Volk und Staat an Sitt- lichkeit und Recht.844 Laut Steltzer wurde den Kreisauern bald klar, dass sich ihre Arbeit nicht darin erschöp- fen konnte, allgemeine Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Angesichts der bedrohlichen Entwicklung schien es ihnen dringlicher zu sein, aus der gegebenen Lage heraus die Basis für ein gemeinsames praktisches Handeln nach dem Zusammenbruch zu schaffen. Darum bemühten sie sich in der zweiten Etappe ihrer Arbeit, in der die erarbeiteten Richtlinien den führenden Persönlichkeiten der beteiligten Gruppen zur einheitlichen Willensbildung vorgelegt wurden.845

Schließlich wurde in einer dritten Etappe durch die Herausbildung kleiner Führungs- kreise aus den beteiligten Gruppen ein Schwerpunkt auf die Länderneuordnung und die Benennung von Landesverwesern gelegt.846 Diese Landesverweser wurden mit entspre- chenden Instruktionen847 versehen.

2.5.2.2 Arbeitsgruppen

Zur Bewältigung der weit gespannten Arbeit wurden einzelne Arbeitsgruppen848 gebil- det. Diese waren nach Sachgebieten – Sozialpolitik, Kulturpolitik, Wirtschaftspolitik, Außenpolitik – gegliedert. Die Vorstellung, dass der Kreisauer Kreis immer in gleicher Besetzung getagt habe, ist natürlich irrig, es wurden auch unterschiedliche Mitglieder genannt. So schreibt Eugen Gerstenmaier am 29. Oktober 1965:

… ich kann nur sagen, dass nach meiner Erinnerung die Herren Peters, Lukaschek und Rösch im Kreisauer Kreis in den Jahren niemals bei irgendeiner Zusammenkunft zugegen

844 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 286. 845 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 287. 846 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 287. 847 Siehe: Erste Weisung an die Landesverweser vom 09.08.1943 und Sonderweisung vom 09.08.1943; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 314-318. 848 Siehe die Ausführungen von Marion Yorck und Freya Moltke, datiert Kreisau, den 15.10.1945: „Sys- tematische Gespräche begannen schon im Sommer 1940. Folgende Arbeitsmethode bildete sich heraus: die Männer trafen sich in kleinen Gruppen, besprachen und bearbeiteten je nach ihrer sachlichen Eignung eingehend die einzelnen Fragen und erstatteten Gutachten. Außer den vielen Besprechungen in Berlin und München haben in Kreisau in Schlesien drei größere Zusammenkünfte, die sich über mehrere Tage hin- zogen, stattgefunden“; in: BBF/DIPF/Archiv, Reich 57, Bl. 46a. 155 Beschreibung des Kreisauer Kreises

waren, an der ich teilgenommen habe. Herrn Lukaschek habe ich erst einige Jahre nach dem Krieg persönlich kennengelernt. Pater Rösch sah ich meines Wissens im Sommer 1946 zum ersten Mal und an Herrn Peters kann ich mich gar nicht erinnern.849 Die Arbeit in diesen Arbeitsgruppen wurde von Freya von Moltke so beschrieben:

Wer heute die Pläne liest, muß sich darüber klar sein, daß sie das Produkt einer Gruppe sind. Die Teilnehmer an den Besprechungen brachten ganz verschiedene Vorstellungen mit. Die Pläne kamen dann durch einen wechselseitigen Lernprozess in fortgesetzten Gesprä- chen zustande. Sie sind nicht Niederschriften eines einzelnen oder einer homogenen Grup- pe Gleichgesinnter, sondern sie tragen die Spannungen zwischen Sozialisten und Nicht- Sozialisten, Katholiken und Protestanten, Sozialisten und Katholiken – um nur einige zu nennen – aus. Wichtiger als die inhaltlichen Details der Pläne war der Einigungsprozess selbst.850 In seinem Memorandum „Die Arbeit des Kreisauer Kreises“ vom 09. November 1949851 betont Theodor Steltzer, dass es ihnen nicht um eine Einigung in den politi- schen Theorien, sondern um ein gemeinsames praktisches Handeln in einer konkreten politischen Situation zur Bewältigung unmittelbar vorliegender Aufgaben ging. Diese Methode habe auch der geistigen Situation ihrer Zeit entsprochen. Nach einer Entwick- lung, die sich auf allen Gebieten an das Peripherische verloren habe, sahen sie jetzt ein Konvergieren zu einer neuen Ganzheit und geistigen Einheit. Man bemühte sich, die verabsolutierten Teilwahrheiten aus ihrer Isolierung zu befreien und auf einer höheren Ebene zu sammeln.

Den Einsatz von Arbeitsgruppen kann man mit der Arbeitsgemeinschaftsmethode gleichsetzen, die Reichwein schon beim Seminar in Bodenrod/Taunus 1921852 ange- wandt hatte und die wohl auch Rosenstock-Huessy853 in seiner Erwachsenenarbeit und in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft propagiert hatte. Reichwein hatte nach dem Krieg 1919 zusammen mit seinem ehemaligen Frontkameraden Albert Krebs dazu wichtige Impulse in einem Volkshochschulkurs in Darmstadt erfahren. Als gesellschaft- liche Quintessenz des vierwöchigen Zusammenseins mit Studenten in Bodenrod hält Reichwein fest: „Das Bild des Volkes nicht im Klassengegensatz und -kampf, sondern in der Arbeitsgemeinschaft zu sehen, war ein Ergebnis dieser eigenen kleinen Praxis,

849 Gerstenmaier, Eugen: Brief vom 29.10.1965. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 850 MBF S. 234. 851 Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises. Vortrag in der Adolf-Reichwein-Hochschule in Celle am 09.11.1949. IfZ, MS 629, S. 3. 852 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 54. 853 Definition in: Rosenstock, Die Hochzeit des Kriegs 1920, S. 257 ff.: „Das Wort ‚Arbeitsgemeinschaft‘ stammt aus dem Zusammenbruch des November 1918. Am 15. November 1918 traten die großen Ver- bände der Industriellen und der Arbeiterschaft zusammen und beschlossen, alle Fragen im Wege der Arbeitsgemeinschaft zu besprechen. Das sollte heißen: eine Körperschaft tritt regelmäßig zusammen, die als Vertretern der Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu gleichen Teilen besteht. Die Gegenpar- teien vereinigen sich in einem Zimmer; sie setzen sich einer dauernden, gegenseitigen Berührung, Rei- bung und Beeinflussung aus, so unbequem das auch sein mag.“ 156 Beschreibung des Kreisauer Kreises denn es war eine Praxis, insofern jeder die Erfahrung seines praktischen Lebens in die Waagschale warf.“854 Diese Methode der „Arbeitsgemeinschaft“, die „den wissenschaft- lichen Vortrag vor einem Massenpublikum durch intensive Arbeit in kleinen Kreisen mit reger Diskussionsbeteiligung der Kursteilnehmer“855 ablöste, wurde die bevorzugte Arbeitsweise der Kreisauer. Die Kunst der konstruktiven Kompromissfindung in sozial und politisch heterogen zusammengesetzten Lebensumständen, die Erprobung der Kompromisswilligkeit und Kompromissfähigkeit, das waren Grundrichtungen der Kreisauer Arbeit.

2.5.2.3 Methoden

Steinbach856 bezeichnet die von den Arbeitsgruppen des Kreisauer Kreises angewandte Arbeitsweise als Methode der Topik, eine grundlegende Methode politischer Bildung, die die Vielfalt der Anschauungen, Erfahrungen und Überzeugungen in Rechnung stellt und nach Überschneidungsbereichen unterschiedlicher Sichtweisen sucht. Die topische Bemühung präge aber auch das klärende Gespräch unter Freunden, die sich unterschei- den und doch annähern wollen, sei es, um Gemeinsamkeit zu finden, sei es, um die je- weiligen Unterschiede zu akzeptieren, die nicht mehr zu vermitteln und deshalb bei al- len weiteren Überlegungen in Rechnung zu stellen sind. Diese Methode der Analysen sieht Steinbach im Kreisauer Kreis verwirklicht. „Wer etwa den Briefwechsel von Moltke und Yorck rekonstruiert, ahnt, was diese Methode für das dialogische Miteinan- der, für den Respekt vor dem Argument des anderen, bedeutet.“857

In der Tat akzeptierten die Kreisauer gegenseitig ihre divergierenden Positionen und suchten deshalb nach Möglichkeiten einer Annäherung, die ihre Unterschiedlichkeit nicht nivellierte, sondern gerade zum Ausgangspunkt gemeinsamer Auseinandersetzung machte. Nur so konnten Kompromisse erreicht werden.858 Dass diese notwendig waren, wird deutlich, wenn man die starken Abweichungen der verabschiedeten Papiere von den ursprünglichen Moltke‘schen Denkschriften beachtet. Moltke musste sich wohl bei diesen Diskussionen mitunter stark zurücknehmen, um diese Kompromisse mittragen zu können, aber ebenso ist zu beachten, „dass er im Hinblick auf die Notwendigkeit eines Einigungsprozesses und der weiteren Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Gruppen,

854 Reichwein, Eine Arbeitsgemeinschaft 1922, S. 265. 855 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 106. 856 Steinbach, Zum 100. Geburtstag von Gablentz 1999a, S. 70. 857 Steinbach, Zum 100. Geburtstag von Gablentz 1999a, S. 70. 858 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 165. 157 Beschreibung des Kreisauer Kreises die er geschickt durch die Einbindung entsprechender Vertreter des Kreises eingebun- den hatte, zum Verzicht auf eigene Positionen in der Lage war.“859 Diese Kompromiss- fähigkeit, die sie Übereinstimmung über die ethischen Voraussetzungen von nationaler und internationaler Gemeinschaft und die Bindung der Einzelnen an Sittlichkeit und Recht erreichen ließ, war aber nur möglich, da sich zwischen allen ein gegenseitiges Achtungs- und Vertrauensverhältnis entwickelte860, was bereits nach Tönnies konstitu- tiv für eine Gemeinschaft ist. Steinbach bemerkte hierzu:

Sie unterschieden sich, aber sie vertrauten untereinander – und Vertrauen meinte dabei mehr als nur die Tolerierung einer anderen Meinung. Spürbar ist für jeden, der sich mit den Diskussionen der Kreisauer beschäftigt, das Gefühl der Beteiligten, einer anderen Position zu bedürfen, um die eigene zu klären – sie verbanden sich so in einem praktizierten Plura- lismus.861 Wichtig ist auch, dass die Kreisauer in ihrer totalitären Lebenswirklichkeit, in der sie keinen Zugang zur Macht besaßen, nur auf Wahrheit setzen konnten.862

Bei dieser Arbeit, wo Moltke aufgrund seiner zentralen Stellung im Kreisauer Kreis natürlich mit einer Vielzahl von Fragestellungen befasst war, muss sein außergewöhnli- ches Verdienst hervorgehoben werden. Sein besonderes Können bestand darin, andere Menschen zur Bearbeitung einzelner Themenkomplexe zu gewinnen, sie beständig zu „mahnen“, um die zugesagte Arbeit auch tatsächlich zu erhalten, und sich erst dann erst mit den Ergebnissen auseinanderzusetzen.863 Freya von Moltke wies darauf hin, im „Kompromisse finden, darin war der Helmuth sehr stark, obwohl er so gute feste Mei- nungen zu den Dingen hatte. Trotzdem war er im Grunde bereit, auf andere zu hören und zu Kompromissen zu kommen.“864

2.6 Dauer des Bestehens

Roon865 geht von einer Auflösung des Kreisauer Freundeskreis nach der Verhaftung Moltkes aus und stützt sich dabei wohl auf Steltzer, der schrieb: „Mit seiner [Moltke; A. d. V.] Verhaftung hörte unsere politische Arbeit als Gemeinschaftsarbeit auf. Was später geschah, erfolgte auf die Verantwortung jedes Einzelnen und kann weder zu Las-

859 Schwerin, Moltke 1999, S. 150. 860 Steltzer, Werner: Deutscher Widerstand als Beitrag für ein Europa der Gleichberechtigten. Das Aktu- elle am Kreisauer Kreis gegen Hitler. IfZ, MS 264, S. 16. 861 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 165 f. 862 Steinbach, Kreisauer Kreis in seiner historischen Bedeutung 1992, S. 163. 863 Schwerin, Moltke 1999, S. 62. 864 Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg, Nachlese 1994, S. 17. 865 Roon, Neuordnung 1967, S. 471: „Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 gab es eigentlich keinen Kreisauer Kreis mehr, sondern nur noch Kreisauer. Die Mehrheit schloß sich dann dem Attentats- versuch Stauffenbergs an.“ 158 Beschreibung des Kreisauer Kreises ten noch zu Gunsten des Kreisauer Freundeskreises gewertet werden.“866 Gersten- maier867 widersprach dieser Ansicht Roons vehement und macht dessen ausschließliche Ausrichtung der Kreisauer auf eine dominante Figur Moltkes dafür verantwortlich.

Thomas Childers ist ebenfalls gegenteiliger Meinung zu Roon. Er begründet seine Überlegungen damit, dass der Kreisauer Kreis auch nach Januar 1944 noch weiter exis- tierte, er hob hervor, dass der aktive in der Hauptstadt anwesende Kreis nach einer an- fänglichen Periode der Unsicherheit nach der Verhaftung sich sogar noch öfter traf als vorher. Die Wohnung von Yorck sei geradezu ihr Hauptquartier geworden und Yorck habe die Rolle des „Geschäftsführers“ übernommen. Zu diesem aktiven Kreis zählt Childers neben Yorck Reichwein, Haubach, Trott, Haeften, Gerstenmaier, Husen und Leber; die nicht in Berlin weilenden Mitglieder habe Yorck periodisch informiert.868

Fest steht natürlich, dass die programmatischen Vorbereitungen nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 nicht mehr im Zentrum der Aktivitäten standen. Die „Berliner“ trafen sich weiterhin und wurden, eine neue Richtung einschlagend, zu einem integrier- ten Bestandteil der Verschwörung des 20. Juli.869 Dies bestätigte auch Husen: „Ein Kern der Kreisauer blieb miteinander in Kontakt, wobei Yorck eine zentrale Rolle behielt.“ Husen, dessen Wohnung nun vermehrt als Treffpunkt diente, gewann den Eindruck, dass „nach der Verhaftung Moltkes wegen der ständig wachsenden Spannung“ die Zu- sammenkünfte nicht seltener und sogar intensiver gewesen seien als vorher.870 Entspre- chend der Leitthese der Untersuchung, wonach Moltke als die zentrale kreisbildende Figur geradezu unentbehrlich war, kann man wohl nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 nicht mehr von einem Kreisauer Kreis sprechen, eher bildete der aktiv ge-

866 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 77. 867 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 232: „Objektiv falsch ist […] die Darstellung, daß es nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 gar keinen Kreisauer Kreis mehr gegeben habe, sondern nur noch Kreisauer, die sich in das Schlepptau von Aktivisten wie Stauffenberg und Schulenburg hätten nehmen lassen. Dieser Schilderung fehlt schon die Logik, denn van Roon hat selbst gegen die Legende von Lionel Curtis den Nachweis geführt, dass sich die meisten Kreisauer einschließlich Moltkes lange um den Staats- streich bemühten.“ In seinem Lebensbericht schreibt Gerstenmaier: „Auch nach der Verhaftung Moltkes hielt der Kreis – anders als sein niederländischer Biograph van Roon meint – nach wie vor unentwegt zusammen“; in: Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 181. 868 Childers, The Kreisau Circle 1991, S. 106 f: „Despite the loss of Helmuth von Moltke, the Kreisau Circle did not dissolve in January 1944. Moltke’s arrest was not in any way connected with the work of the Kreisau Circle, and after an initial period of anxiety his friends resumed their activities. In fact, the frequency of the circle’s meetings in Berlin increased, rather than diminished, in the early months of the year.” 869 Rüther, Der Widerstand des 20. Juli auf dem Weg in die Soziale Marktwirtschaft 2002. S. 376. 870 Husen, Paulus van: Brief an Roon, 30.04.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 1. 159 Beschreibung des Kreisauer Kreises bliebene Teil der Kreisauer einen „Kreis ohne Meister“871, der die gemeinsam erworbe- nen Ideen fortentwickelte und mit Stauffenberg zur Tat schritt.

871 Raulff, Kreis ohne Meister, 2010. 160 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung 3 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Die gesellschaftspolitische und religiöse Verortung der Kreisauer in ihrer Herkunft und in ihrem Standpunkt zu Beginn ihrer Planungsarbeit kann wichtige Hinweise für ihre Vergemeinschaftung liefern. Es ist zu untersuchen, ob es trotz der Heterogenität, auch in ihrem gesellschaftspolitischen und religiösen Bewusstsein, Schnittmengen gab, die ihre Vergemeinschaftung ermöglichten oder gar unterstützten.

3.1 Folie des politischen und geistigen Umfeldes in der Zwischen- kriegszeit

Um die Untersuchung der potenziellen Schnittmengen zu ermöglichen, soll das politi- sche und geistige Umfeld, am besten wiedergegeben durch die Kreisauer selbst, aufge- zeigt werden. Dabei ist die Weimarer Republik mit ihren Umbrüchen in der Zwischen- kriegszeit und ihren möglichen Deutungsmechanismen in den Blick zu nehmen. Eine kurze Charakterisierung der Parteien, die für die Kreisauer infrage kamen, soll diese Betrachtung abschließen.

3.1.1 Beschreibung der Weimarer Republik und der Umbrüche der Zwi- schenkriegszeit

Pyta weist darauf hin, dass die Weimarer Verfassung mit ihrer komplexen Gemengelage aus parlamentarischen, präsidialen und plebiszitären Komponenten nicht den Typus einer rein parlamentarischen Demokratie vorschrieb, sondern andere Akzentsetzungen zuließ.872 Parteien stellten sich als engstirnige und kompromissunfähige Vertreter von Partikularinteressen dar, insgesamt könne man von einem „versäulten Parteiensys- tem“873 sprechen. Gerade zu diesem Parteienaspekt gibt es bei einigen Kreisauern prä- gnante Aussagen z. B. über den Immobilismus der SPD, die aufzuzeigen sein werden. Gegen Ende der Weimarer Republik entwickelten sich Präsidialkabinette, deren Mit- glieder allein vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhängig waren und „sich im Par- lament sachorientierte Mehrheiten für die Gesetzesvorlagen beschaffen sollten“874. Die Regierungen suchten zwar prinzipiell die Zusammenarbeit mit den Fraktionen im Reichstag, so Pyta weiter, signalisierten aber unmissverständlich, dass sie sich nicht in

872 Pyta, Vernunftrepublikanismus 2008, S. 100. 873 Pyta, Vernunftrepublikanismus 2008, S. 102. 874 Pyta, Vernunftrepublikanismus 2008, S. 103. 161 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Abhängigkeit vom Willen der Fraktionen begeben wollten, weil sie auf präsidiale Machtbefugnisse wie die Reichstagsauflösung und das Notverordnungsrecht zurück- greifen konnten.875 Mierendorff lieferte bereits 1932 in dem Vortrag „Nach 14 Jahren“ eine treffende Analyse der damaligen politischen Verhältnisse:

In der Demokratie stehen wir eigentlich noch immer am alten Fleck. Wir sind nicht weiter- gekommen, sondern eher zurückgeworfen worden. Der deutsche Parlamentarismus hat kein Aufwärts, sondern ein Abwärts erreicht, kein Vorwärts sondern ein Zurück. Ganz groß steht deshalb die Aufgabe der Verwirklichung der Demokratie in Deutschland nach wie vor uns. Was wir schon zu besitzen glaubten, wir müssen es eigentlich erst schaffen. Aber wir wissen jetzt besser als damals, wo wir einzusetzen haben. Man muß die Demokratie anders organisieren, als es in Weimar geschah, so daß eine bessere Führungsauslese garantiert wird, und daß das Parlament wirklich funktioniert. […] Aber es ist eine befristete und in- haltliche umschriebene Führung, für die es eine Rechnungslegung und Nachkontrolle gibt im Gegensatz zu jeder Willkürherrschaft. Es muß uns gelingen, diesen Führerbegriff mit der Demokratie praktisch zu verbinden. Dann sind alle Gefahren des Faschismus zerstört. Dann wird gleichzeitig auch der erste Schritt zum Sozialismus in Deutschland getan.876 Mierendorff liegt die Demokratie am Herzen; damit diese gelinge, ist dem einstigen Frontsoldaten die Führerauslese wichtig. Er versteht Führung dabei nicht als Willkür- herrschaft, sondern als eine demokratisch kontrollierbare Institution, die die Gefahr des Faschismus bannen und den Sozialismus befördern kann.877

Auch Steltzer setzte sich mit der Weimarer Republik auseinander. Er ging 1947 auf das Demokratieverständnis des Volkes und die Parteien ein:

Das deutsche Volk blieb unfrei unter autoritären Wirtschaftsführern. Es gewann kein inne- res Verhältnis zum Weimarer Staat, das ihm ein Gefühl der Mitverantwortung hätte vermit- teln können, sondern überließ die Vertretung seiner Interessen freiwillig zentralistischen Organisationen (Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbänden, Kampfbünden), durch die der Staat immer mehr von innen ausgehöhlt wurde.878 Auch wenn diese Niederschrift nach Kriegsende verfasst wurde, so ist doch zu vermu- ten, dass sie Steltzers damalige Haltung wiedergibt. Nach der von Steltzer ausgedrück- ten Meinung ist es verständlich, dass sich die Kreisauer hinsichtlich des Aufbaus der Parteien einig waren, nämlich einen „Parteihader“ wie früher nicht mehr zu wollen. Im November 1945 sagte er bezogen auf den Wiederaufbau: „Wir wollen keine Interessen- tenhaufen, sondern Gruppen anständiger Männer und Frauen, die arbeitsgemeinschaft- lich zum Wohle des Ganzen zusammenarbeiten.“ Jeder müsse sich politisch betätigen, „denn Demokratie ist Mitverantwortung“879. Diese Aussage nach Kriegsende war wohl Steltzers Meinung auch zur Zeit der Weimarer Republik. Bei einer Gedenkrede zum 20. Juli verwies Steltzer 1950 auf die Schwierigkeiten, die in dem formalen Charakter

875 Pyta, Vernunftrepublikanismus 2008, S. 103 f. 876 Mierendorff, Carlo: „Nach 14 Jahren. Heidelberg 1918 und 1932“. AdsD, Signatur 260, S. 12-14. 877 Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270, S. 2. 878 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 107. 879 Steltzer, Rede anlässlich einer Gedächtnisfeier 1945 1986, S. 37. 162 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung der politischen Ordnung der Weimarer Verfassung lagen, und beklagte, dass die dama- ligen Politiker unter Demokratie in erster Linie eine Reihe theoretischer Prinzipien ver- standen, die man durch eine Verfassung einführen konnte. Man glaubte ernsthaft, so Steltzer, ein Staat ließe sich auf dem formalen Prinzip der absoluten Mehrheit aufbauen, und „man erkannte noch nicht, dass Demokratie nur in der tätigen und verantwortlichen Mitarbeit des ganzen Volkes verwirklicht werden kann“. Steltzer konstatierte, dass im Grunde deshalb das deutsche Volk ein richtiges Gefühl hatte, „wenn es die damalige Ordnung als ein aufgestülptes System empfand“880. Die Demokratie wurde nach seiner Einschätzung vorwiegend als ein formales Verfassungsproblem, nicht als eine Lebens- form, die nur von lebendigen Menschen getragen und entwickelt werden kann, gese- hen.881 Er wies aber auch darauf hin, dass oppositionelle Kreise von dem gleichen Geist des Denkens in Systemen und Prinzipien beherrscht wurden und dadurch auch ihrerseits die Arbeit für eine lebendige Demokratie erschwerten und diskreditierten.882

Die Weimarer Zeit wurde so von zwei späteren Kreisauern diametral kommentiert. Mie- rendorff wollte die Demokratie, um so den Sozialismus zu verwirklichen, und Steltzer beklagte den Parteienhader und die formale Demokratie. Aus unterschiedlichen Grün- den waren sie so mit der Weimarer Verfassung Anfang der 1930er-Jahre nicht bzw. nicht mehr einverstanden.

Neben der politischen Sicht waren sich die Kreisauer aber weitgehend in der gesell- schaftspolitischen Analyse einig, und zwar schon bevor sich der Freundeskreis bildete oder in der Frühphase des Kreises. Die Zivilisationskritik der 20er-Jahre, die „Frontstel- lung gegen die Verflachung der bürgerlichen Gesellschaft“883, nicht unwesentlich ge- speist durch Impulse der verschiedenen Zweige der Jugendbewegungen, denen die meisten Kreisauer in ihrer Jugend angehörten, waren Teil einer kulturpessimistischen Sicht der Mehrzahl der späteren Kreisauer.

Sucht man nach Belegen für diese Feststellung, so findet man sie vor allem in der Denkschrift Moltkes aus der Frühphase des Kreisauer Kreises „Ausgangslage, Ziele und Aufgaben“884. „Der Einzelne ist ungebunden, aber unfrei“, beschreibt er die Ausgangs- lage und vergleicht die ursprünglichen Bindungskräfte, die ihren Höhepunkt in der Bin- dung an die Kirche im frühen Mittelalter hatten, mit einem gewaltigen Magneten, der

880 Steltzer, Theodor: Der 20. Juli und seine Vorgeschichte. 20.07.1950. IfZ, MS 629, S. 1. 881 Rede Steltzers am Vorabend seines 70. Geburtstages in Bonn. IfZ, ED 106-42. 882 Steltzer, Theodor: Der 20. Juli und seine Vorgeschichte. 20.07.1950. IfZ, MS 629, S. 1 f. 883 Pope, Delp 1994, S. 164 f. 884 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 150 ff. 163 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung allen eine gemeinschaftliche Ausrichtung gab. Dieser Magnet sei erlahmt, sinnfällig gemacht durch die Reformation, neue Bindungskräfte seien entstanden, was schließlich zu der Entstehung der „souveränen Staaten als gleichwertiger, höchster Bindungszen- tren für beschränkte Zwecke geführt hat“885. Der Staat habe schließlich „seine Forde- rung auf den ganzen Menschen“ missbräuchlich mit „weltlicher Gewalt“ durchgesetzt, die „Verantwortung des Einzelnen“ sei in der Auflösung begriffen und „Dinge, denen jeder absolute Wert fehlt, wie Staat, Rasse, Macht, [seien] verabsolutiert worden.“886 Somit sei das Gefühl der inneren Verbundenheit mit dem Staat ersetzt worden durch einen dem Herdentrieb ähnlichen Zusammenhalt zum gegenseitigen Schutz auf der einen Seite und durch Gewalt, durch den Zwang auf den Einzelnen, auf der anderen Seite. Dadurch sei der Einzelne, der seine Bindung verloren habe, seiner Freiheit be- raubt worden.887

Diese bei Moltke aufscheinende Betonung der existenziellen Orientierungslosigkeit findet sich auch bei Delp 1935 in seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie Martin Heideggers wieder. Er beklagt dort das tragische Ergebnis einer „hemmungslosen Emanzipation“ mit einem daraus folgenden „hemmungslos übersteigerte[n] Individua- lismus, der keine Bindungen und keine Grenzen mehr anerkennen wollte“888. Ohne einen Mittelpunkt, aus dem sie leben, anzuerkennen, hätten die Menschen den „Versuch einer peripheren Lebensgestaltung unternommen“889. Die Konsequenz dieser Haltung war nicht die erhoffte Freiheit, sondern eine Bindungs- und Orientierungslosigkeit, die schließlich zur „tragischen Selbstauflösung unseres staatlichen, gesellschaftlichen und geistigen Lebens“ geführt habe.890

Auch bei Haubach finden sich ähnliche Gedanken, wenn er in den Gemälden Breugels, „die Konsequenzen des Massenzeitalters“ vorausschildert: „Was er hier malt, die der Bindung und Zucht des Göttlichen entronnen Massen, die auf sich gestellt, den Göttern entfremdet zu Fratzen, Larven und Gespenstern entarten – gilt das nicht alles heute wie damals? Wenn der Gott das Irdische nicht mehr heiligt und durchdringt, wird Volk zur Masse, Mensch zur Larve, das Leben zur Qual, der Tod zum Schrecken ohne Ende!“891

885 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 150. 886 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 152. 887 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 151. 888 Delp II S. 145. 889 Delp I S. 74. 890 Delp II S. 145. 891 L’Aigle, Briefe 1947, S. 59. 164 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Das Zeitalter, das vom Verlust der umfassenden Bindung wie bei Moltke bzw. vom Verlust der Mitte, so Delp, geprägt ist, wird auch von Reichweins Entwurf zur Lehre und Erziehung in Schule und Hochschule charakterisiert: „Der Verlust eines einheitli- chen und bindenden Kerns, auf den alle Wissenschaften bezogen und von dem sie ge- nährt werden sollen, hat zu der bekannten Spezialisierung der einzelnen Wissenschafts- gebiete geführt und zu ihrer Verlagerung an die unverbindliche Peripherie.“892

Anhand der dargestellten Beispiele kann also festgestellt werden, dass die Kreisauer am Beginn ihrer Planungsarbeit eine überaus treffende politische und gesellschaftspoliti- sche Analyse durchführten, die, unabhängig voneinander vorgenommen, ein wesentli- cher Bestandteil ihrer Vergemeinschaftung wurde.

Zur politischen und gesellschaftspolitischen Folie der Zwischenkriegszeit, vor deren Hintergrund die Kreisauer betrachtet werden, soll auch das Bild des Adels skizziert werden, denn immerhin waren sieben der Kreisauer adlig. Die zu stellende Frage lautet, ob die Zugehörigkeit zum Adel bei der Vergemeinschaftung eine Rolle spielte.

Wehler beschreibt die Situation des Adels893 in der „Schlussphase seiner Agonie“894. 1916 wurde den Adelsfamilien über „Nacht die Basis entzogen, auf der sich ‚ihr gesam- tes historisches Leben’ aufgebaut hatten“895. Die Zäsur der Zeitenwende für den Adel manifestierte sich auch in der Reichsverfassung, indem alle öffentlich-rechtlichen Vor- teile der Geburt oder des Standes aufgehoben wurden.896 Dies legte auch den Grund für eine „gefühlsgeborene Republikfeindschaft“897 Obwohl nach dem Ersten Weltkrieg in Ostelbien der Adel immer noch 20-30 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche besaß und die adligen Agrarunternehmer zäh um ihre Macht rangen, mussten sie immer wieder mit aufbegehrenden Landarbeitern, die nun den Status von Industriearbeiter hatten, kämp- fen. Im Militärwesen konnten sich die Adligen behaupten, dem stand jedoch ein Ein- flussrückgang in der Beamtenschaft gegenüber. Auf den dramatischen „Herrschaftsver- fall“898 reagierte der Adel mit dem Versuch, die DNVP als Nachfolgerin der Deutsch- konservativen zur adligen Interessenvertretung auszubauen, was jedoch nicht gelang. Erfolgreicher war der Aufbau einer exklusiven adeligen Interessenvertretung, der

892 Reichwein, Adolf (vermutlich): Lehre und Erziehung in Schule und Hochschule, in: Bleistein, Dossier 1987a, S. 103. 893 Siehe auch Malinowski, Vom König zum Führer 2003. 894 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 323 ff. 895 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 323. 896 Hoyningen-Huene, Adel 1992, S. 41 ff. 897 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 324. 898 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 327. 165 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

„Deutschen Adelsgenossenschaft“, einer Vereinigung ultrakonservativer Kleinadliger. Sie bestand bereits seit 1874 und konnte ihre Mitgliederzahl besonders in Ostelbien bis 1925 beträchtlich steigern. Wegen ihrer antirepublikanischen Fundamentalopposition erreichte es Stresemann 1929, dass Beamten und Offizieren die Mitgliedschaft verboten wurde. „Im antisemitischen Code der Adligen“899 – auf dem Deutschen Adelstag 1920 wurde ein Arierparagraph beschlossen – „verkörperten die ‚Hebräer’ alle Widrigkeiten der Moderne“900. Von diesem dem Antisemitismus des Niederadels verbundenen elitär- rassistischen Exklusivdenken her ließ sich wenig später mühelos eine Brücke zum Na- tionalsozialismus schlagen.901 Mit der Zeit verloren die „konventionellen Muster der Interessenverfechtung“902 durch die Adelsgenossenschaft und durch eine konservative Partei, die DNVP, an Bedeutung und allmählich optierte die Mehrheit des Adels für „die neuartige Interessenpolitik auf der vom Nationalsozialismus geschaffenen Massen- basis“903.

Bei keinem der adligen Kreisauer Freunde, die übrigens alle bürgerliche Frauen wähl- ten, konnte Republikfeindlichkeit oder Antisemitismus festgestellt werden. Die distan- zierte Haltung zu ihrer Klasse ist deutlich bei Moltke, Yorck und Trott erkennbar. Freya von Moltke sagte bezogen auf die Zugehörigkeit ihres Mannes zur sog. Grafengruppe Yorcks: „Er hat nie der ‚Grafengruppe’ angehört. Er war diesen Männern eher fremd. Sie fanden, es fehle ihm an Treue zu seinem Stand und zu seinem Land.“904 In seinem Abschiedsbrief berichtet Moltke seiner Frau, im Prozess sei festgestellt worden, „dass ich großgrundbesitzfeindlich war und keine Standesinteressen […] vertrat“905, und zi- tierte den Landgerichtsdirektor Schulze, der von ihm sagte: „Ein Mann, der von seinen Standesgenossen natürlich abgelehnt werden muss.“906 In seinem Brief an Delp nach dem Prozess schrieb er, es sei bekundet worden, „dass ich ein merkwürdiger Adliger und Großgrundbesitzer war, der eine großgrundbesitzfeindliche und unjunkerliche Wirt- schafts-, Agrar- und Kulturpolitik vertrat.“907 Diese selbst bezeugte Haltung Moltkes führt zu der Frage seiner Stellung in der weiteren Familie und innerhalb der Familien- tradition, zu der lebensweltliche Beziehungen zu führenden Repräsentanten der profes-

899 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 328. 900 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 328. 901 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 328. 902 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 331. 903 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 331. 904 MBF S. 111. 905 HFM S. 474. 906 HFM S. 480; siehe auch S. 479. 907 HFM S. 565. 166 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung sionellen Militärelite gehörten. In der Tat hatte Moltke Schwierigkeiten mit Mitgliedern der Familie. Für ihn ergab es sich schon Anfang der 1930er-Jahre, dass er mit Deutsch- nationalen nichts anfangen konnte, wie im Einzelnen noch gezeigt werden wird. Deutschnational waren die meisten Mitglieder in seiner Familie, die ihn als den Erben von Kreisau für viel zu sozialistisch hielten. Weil er die Tradition der Familie in Stich ließ, musste er Anfeindungen erfahren. Da das deutsche Offizierskorps zum größten Teil deutschnational oder weiter rechts einzustufen war, vertrat Moltke von Anfang des 3. Reiches an eine grundlegende Ablehnung gegenüber der militärischen Tradition. So trug Moltke auch als Kriegsverwaltungsrat im Range eines Majors trotz wiederholter Aufforderung nie eine Uniform.908 Das bedeutete aber nicht, dass er nicht mit Männern aus den Reihen des Militärs zusammenarbeiten konnte, wenn sie ähnliche Ansichten wie er vertraten. Neben General von Falkenhausen909 sind Feldmarschall von Witz- leben910 oder General von Stülpnagel911 und seine Offiziere in Paris zu nennen. Seine Ablehnung gegenüber der Militärelite war auch durch die Privilegien der Offizierskaste entstanden; so schrieb er im März 1943 an seinen Freund Curtis, dass das Versagen der Generale soziologisch begründet sei: „No revolution of the kind we need will give gene- rals the same scope and position as the Nazis have given them, and give them today.“912 Moltkes Stellung innerhalb seiner Familie wird in der exemplarischen Betrachtung sei- nes Verhältnisses zu drei Mitgliedern der Familie, die er wegen deren Beziehung zur Führungsschicht für seine Verteidigungsstrategie im letzten halben Jahr seines Lebens einzusetzen versuchte, deutlich. Es sind dies sein Onkel Joachim Peter von Moltke913 und die Vettern Dieter von Mirbach914, ein Mitarbeiter von Baron Gustav Adolf Steen- gracht von Moynland vom AA, und insbesondere Hans-Heini von Rittberg915. Moltkes Onkel Peter hatte ein Auge auf Kreisau geworfen916, als Moltke im Gefängnis Tegel saß und Sippenhaft und Enteignung der Familie Moltke nicht ausgeschlossen waren. Die Aneignung Kreisaus durch diesen Onkel wollten Moltke und seine Frau Freya mit allen Mitteln verhindern und Kreisau für die Söhne oder zumindest für Moltkes Bruder Jo-

908 MB S. 71, Anm. 1. 909 MB (09.08.1940) S. 170 ff.; (08.06.1943) S. 488 ff. 910 MB (11.08.1940) S. 173. 911 MB (08.06.1943) S. 491. 912 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 913 HFM S. 173 und 509; Peter von Moltke hatte unmittelbare Verbindung zum Reichsführer SS. 914 HFM S. 136. 915 Rittberg hatte Beziehungen zum Reichsführer SS; HFM S. 173, und war im Generalstab Guderians; HFM S. 147. 916 HFM S. 172. 167 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung wo917 sichern. Moltke empfahl seiner Frau sogar, „C`[aspar]chen zu grafen“918, bevor dies Onkel Peter tun würde. Es bestand zwischen Neffen und Onkel äußerstes Miss- trauen, und es muss Moltke schwergefallen sein, seinen Onkel wegen dessen Verbin- dung zu Himmler einzusetzen. Das Verhältnis zu den beiden Vettern, die Moltke wegen ihrer Beziehung zum AA und zu Himmler in Anspruch nehmen wollte, war noch pro- blematischer. Moltke, er hatte während seiner Schulzeit in Potsdam bei den Mirbachs gewohnt919, hatte Bedenken, Freya mit seinem Anliegen zu seinem Vetter Dieter Mir- bach zu schicken, um über das AA zu intervenieren. Diese Befürchtung bestätigte sich und Freya schrieb: „… er blieb [bei einer Begegnung im AA] nicht stehen, fragte nichts und tat nichts.“920 Ähnliche Erfahrungen hatte Freya mit Hans-Heini von Rittberg. Sie hielt den mit 30 Jahren bereits zum Oberstleutnant Beförderten für einen „nicht eindeu- tigen Charakter und menschlich ganz ungebildet“921, der für sie nicht das Geringste tun würde, was sich dann auch bestätigte.922 Moltke ließen die Erfahrungen Freyas mit die- sen Vettern „das Herz erstarren“923 und er hoffte, dass seine beiden Söhne nie solcher „Herzenshärtigkeit“924 erliegen mögen. Bei aller Enttäuschung über diese Familienmit- glieder war sich Moltke trotzdem seiner Abstammung bewusst und setzte diese auch in seiner Verteidigung ein, wenn er bat, über Steengracht von Moynland im AA gegenüber dem mit direktem Vortragsrecht bei Hitler ausgestatteten Walter Hewel925 vorbringen zu lassen, dass seine Familie „schließlich an der Reichsgründung entscheidend beteiligt war“926. Dabei wollte Moltke wohl auch das Prestige seines Onkels, des Botschafters Hans-Adolf von Moltke927, nutzen.

Auch Yorck konnte nicht als typischer Vertreter des Adelsstandes bezeichnet werden. In seinem Lebensbericht bemerkt Gerstenmaier über die Haltung Yorcks zu seinem Stand: „Die Herrschaft Hitlers brachte Peter Yorck nicht nur zur entschiedenen Ableh-

917 HFM S. 180 f. 918 HFM S. 202. 919 MBF S. 28; Brakelmann, Moltke Biographie 2007, S. 28. 920 HFM S. 136. 921 HFM S. 190. 922 HFM S. 523, Fn. 1. 923 HFM S. 194. 924 HFM S. 194. 925 Walter Hewel war 1923 Teilnehmer am Hitler-Putsch, Mithäftling Adolf Hitlers in Landsberg, 1937 SS-Sturmbannführer, 1938 Chef des persönlichen Stabes des Reichsaußenministers von Ribbentrop, Le- gationsrat 1. Klasse, Verbindungsmann des AA zur Reichskanzlei, 1940 Gesandter 1. Klasse; HFM S. 592. 926 HFM S. 180. 927 Hans-Adolph von Moltke (1884-1943) war ein Onkel von Helmuth James und Ehemann von Davida Gräfin Yorck von Wartenburg. Er war bis 1939 Botschafter in Warschau und starb als Botschafter in Spanien; HFM S. 597. 168 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung nung des Nationalsozialismus. Sie brachte ihn auch in eine kritische Distanz zu vielem, was durch die Überlieferung und den Lebenszusammenhang, in den er hineingeboren wurde, auf ihn gekommen war.“928 Jedenfalls war ihm „das selbstverständliche Eintre- ten seines Standes für das Öffentliche“929 wichtig.

Ähnliches gilt für Trott. Furtwängler bezeichnet ihn als einen gläubigen Christen, der sich zugleich zu einem humanitären Sozialismus bekannte. „[…] in Adam von Trott hat die Synthese von Christentum und Sozialismus ihren vollendeten Ausdruck gefunden. Er war kein ‚Adeliger’ im konventionellen Sinn, er war ein Edelmann im besten Sinn des Wortes.“930

Die altpreußische Adelsclique ist wieder da. Dieselben Kreise schicken sich an, auf dem Rücken der braunen Kamele in die Arena politischer Diktatur zu reiten, die Deutschland unter Wilhelm in Unfreiheit und ins Elend geführt haben, die ungeheure Schuld tragen an der Vorgeschichte des Weltkrieges und an seinem katastrophalen Ausgang.931 Dieser Ausspruch Lebers kann jedenfalls nicht für die Adligen, die sich später im Kreisauer Kreis zusammenfanden, gelten. Einen Beitrag zur Vergemeinschaftung im Kreisauer Kreis leistete also die Adligkeit nicht, das könnte auch bei Haeften, Gablentz, Trotha und Einsiedel nachgewiesen werden.

3.1.2 Deutungsmuster: Vernunftrepublikanismus

Neben einer in großen Teilen übereinstimmenden Analyse der gesellschaftlichen Situa- tion verband, wie noch zu zeigen sein wird, die meisten der Kreisauer auch eine grund- sätzliche Bejahung der Weimarer Republik. Aber die Zustimmung zu dieser Ordnung war keineswegs in gleichem Maße ausgeprägt, sie war unterschiedlich in ihren Gründen und wurde nicht zum gleichen Zeitpunkt ausgesprochen. Es gab hier feine Unterschiede, die nicht mit einem einfachen Pro oder Contra gewürdigt werden können. Das Muster „republikfreundlich und -feindlich, demokratisch und antidemokratisch“ wurde, wenn nicht überwunden, so doch stark erweitert. „Vielfältige Forschungen haben die dynami- sche Offenheit und Polyvalenz der Weimarer Kultur, Politik und Gesellschaft betont und die uneindeutige Reichhaltigkeit des intellektuellen Diskurses hervorgehoben.“932

928 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 185 f. 929 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 216. 930 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 225. 931 Leber, Weg 1952, S. 84, Notiz vom 06.06.1932. 932 Wirsching, Vernunftrepublikanismus Analysen 2008, S. 9. 169 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Als Deutungsmuster werden die Begriffe Vernunftrepublikaner933, Verlegenheitsrepu- blikaner und vernünftiger Herzensrepublikaner sowie engagierter Vernunftrepublika- ner934 angeboten. Gusy935 weist allerdings darauf hin, dass die Bedeutungsinhalte vage sind und terminologische Missverständnisse auslösen können. Obwohl solche „zumeist weder allein wissenschaftlich noch allein politisch gemeinten“, sich „zudem vielfach überschneidenden Zuschreibungen einen hohen antithetischen, zugleich aber einen sehr geringen semantisch bestimmbaren Bedeutungsinhalt“936 aufweisen, soll dieses Deu- tungsmuster für die weitere Genese angenommen werden, um die Stellung der einzelnen Kreisauer zur Weimarer Republik zu charakterisieren. Waren sie Vernunftrepublikaner oder vehemente Unterstützer der Weimarer Republik? Da sie aus verschiedenen politi- schen Lagern stammten, kann hier auch verschiedenen vergemeinschaftenden Elemen- ten nachgegangen werden, die den Kreisauer Kreis schließlich zu seinen von allen zum großen Teil anerkannten „Grundsätzen“ führten. Die Frage ist aber, ob die anfängliche Verortung schon auf eine Vergemeinschaftung hinweist.

Sontheimer versteht unter dem Begriff „Vernunftrepublikanismus“ die politische Hal- tung derjenigen Intellektuellen in der Weimarer Republik, die sich aus Vernunftgründen auf den Boden der parlamentarischen Demokratie stellten, obwohl sie aufgrund ihrer sozialen und politischen Herkunft emotional eher zur Monarchie tendierten.937 Gay de- finiert so:

In den Augen der Vernunftrepublikaner war die Republik in gewisser Hinsicht die Strafe, welche die Deutschen […] verdienten. Sie war der Barbarei der Rechten und der Verant- wortungslosigkeit der Linken entschieden vorzuziehen; sie verdiente Mitarbeit auch dann, wenn sie keine Begeisterung wecken mochte.938 Stresemann, der von einigen Kreisauern sehr geachtet wurde, galt als Prototyp eines solchen Republikaners.939 Er setzte sich scharf mit Reformgegnern und konservativen Mitgliedern des Preußischen Herrenhauses auseinander und lieferte den Schlüssel für seine eigene Wandlung: „[…] das innere Erlebnis dieses Weltkrieges umzusetzen in eine Neuordnung der Dinge in der Zukunft.“940 Dies traf auch in hohem Maße auf die Kriegsteilnehmer unter den Kreisauern zu. Verlegenheitsrepublikaner waren ausschließ-

933 Zum Begriff Vernunftrepublikaner der locus classicus bei Meinecke, Verfassung und Verwaltung 1979, S. 281: „Ich bleibe, der Vergangenheit zugewandt, Herzensmonarchist und werde, der Zukunft zugewandt, Vernunftrepublikaner.“ 934 Gusy, Staatsrechtswissenschaft Stuttgart 2008, S. 195-217. 935 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 195. 936 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 195. 937 Sontheimer, Politische Kultur 1987, S. 460. 938 Gay, Die Republik 1970, S. 45. 939 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 199. 940 Möller, Meinecke, Stresemann, Mann 2008, S. 270. 170 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung lich „der Logik des geringsten Übels zu folgen bereit“941. Für sie „fehlte nicht nur eine konkrete, sondern auch eine abstrakte Alternative zur Weimarer Verfassung“942. Wer die „Weimarer Verfassung als Erfüllung vieler eigener Forderungen während der Mo- narchie“943 begriff und vor dem „Zusammenbruch sich noch eine Symbiose von Kaiser- tum und Demokratie“944 vorstellen konnte, kann als vernünftiger Herzensrepublikaner oder engagierter Vernunftrepublikaner betrachtet werden.

3.1.3 Parteien

Die gesellschaftspolitische Verortung der Kreisauer, die bei der Genese des Kreisauer Kreises vorgenommen werden soll, lässt sich zuerst an der etwaigen Parteizugehörigkeit oder im Wählerverhalten der Kreisauer festmachen. Dazu soll das für die Kreisauer grundsätzlich infrage kommende Parteienspektrum in Anlehnung an Wehler kurz refe- riert werden.945

Zu der typischen Fünferkombination der Parteien im Kaiserreich kamen mit der KPD und der NSDAP eine links- und eine rechtstotalitäre Bewegung hinzu, die „als radikale politische Innovationen das bisherige Parteiensystem sprengten“946. Hier sollen zu- nächst die SPD, „die republiktragende Kraft par excellence“947, und das Zentrum „als Konfessionspartei des politischen Katholizismus“948, das sich in seiner Schlussphase von seiner „demokratisch-republikanischen Politik“ abwendete, „als es den autoritären Kurs seines Reichskanzlers Brüning und die rechtskonservativ-ständestaatliche Wende seines neuen Vorsitzenden, des Prälaten Kaas, mit trug“949, in den Blick genommen werden. Weiterhin sollen die beiden liberalen Parteien, die linksliberale DDP mit ihrem „kargen Bekenntnis zu neuen Staatsform“950 und die nationalliberale DVP mit ihrer Galionsfigur Stresemann, die „nicht nur zum Verfechter großindustrieller Interessen“ wurde, sondern „stetig weiter nach rechts“ schwenkte, „bis sie sich mit den starren Kon- servativen eng berührte“951, und die nationalkonservative DNVP betrachtet werden.

941 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 199. 942 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 199. 943 Gusy, Staatsrechtswissenschaft 2008, S. 201. 944 Pauly, Anschütz 1993, S. XXXIII, mit Fn. 112. 945 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 353-360. 946 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 353. 947 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 354. 948 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356. 949 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 357. 950 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356. 951 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356. 171 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

3.1.3.1 SPD

Der „erdnahe Reformismus und ihre Republiktreue“ dieser Klassenpartei hatte ihre Wählerbasis im „klassischen Arbeitermilieu der protestantisch-atheistischen Großstadt- viertel und Industrieregionen“952 und zunehmend bei unteren Beamten, Angestellten, Lehrern und kleinen Selbstständigen, Landarbeitern und Intellektuellen. Der alte Mittel- stand und die bäuerliche Welt blieben der SPD aufgrund der „Proletarisierungsprognose der marxistischen Theorie und der daraus resultierenden Selbstblockade“953 mit fatalen Folgen für die Wahlurne verschlossen. So verharrte die SPD in ihrer Tradition der poli- tischen Monokultur und vermochte sich noch nicht für eine Verfechtung heterogener Interessen einzusetzen. Aber dies war es nicht allein, was die Parteimitglieder an der SPD auszusetzen hatten. Leber und Mierendorff stimmten in ihrer Kritik an den Partei- tagen 1924 und 1931 überein, wenn sie unabhängig voneinander ihre Unzufriedenheit ausdrückten. Sie kritisierten die innerparteiliche Opposition, die wie ein „tiefer und festgefügter Block“ erscheine, „der einfach alles mitmacht, was befohlen wird.“954 Bei- de bezeichneten dieses Phänomen als „Parteimaschine“955 und drückten damit ihr Miss- behagen über die Organisations- und Führungsstruktur ihrer Partei aus. Mierendorff nannte die Dinge beim Namen, wenn er „Mängel in der Führerauslese und de[n] Abso- lutismus der Parteibürokratie“, die „tödliche Umklammerung des Apparates“, die „Er- starrung der Parteigebilde“956 anführte. Leber beklagte stagnierende Bürokratie957 und eine „trostlose […] Verstockung […] im Parteiapparat“958. Reichwein vermochte eben- falls die weitgehende geistige Führerlosigkeit der Partei kaum zu akzeptieren.959 Auch Haubach stellte seine Partei kritisch dar. Er beklagte deutliche Entwicklungsdefizite, von der „stark entwickelte[n] demokratische[n] Praxis innerhalb des Sozialismus“ sei

952 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 354. 953 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 354. 954 Leber, Julius: Aufbruch zu neuem Ziel. Ein Schlusswort zum Parteitag. LV, 17.06.1924; Auszug auch in: Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 50. 955 Mierendorff, Wahlreform 1930a, S. 412: „Es ist ein Kampf zwischen Idee und (Partei-)Maschine, in dem das Wahlverfahren der Bürokratie (in Partei und Staat!) ein verhängnisvolles Übergewicht gibt“; Leber, Julius: Aufbruch zu neuem Ziel. Ein Schlusswort zum Parteitag. LV, 17.06.1924; Auszug auch in: Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 50. 956 Mierendorff, Wahlreform 1930a, S. 412. 957 Leber, Todesursachen 1976, S. 232 ff. (Diese Schrift aus dem KZ ist identisch mit Leber, Verbot 1952, S. 187-247). 958 Leber, Brief an seine Frau, 23.06.1933, dort irrtümlich auf 24.06.1933 datiert, in: Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976. S. 260. 959 Boronski, Reichwein – Arbeiterbildung 1981, S. 81: „Warum trat ich trotzdem [in die SPD; A. d. V.] ein. Weil ich in einer Arbeiterstadt wie Halle lebend – nicht mehr mit ansehen konnte, wie die organisier- te Arbeiterschaft ohne zeitgemäße geistige Führung war“; siehe Brief Reichweins an Bettina Israel, 02.12.1932, in: LBDII S. 117. Vgl. auch Martiny, Dokumentation 1977, S. 380: „Formierung einer inner- parteilichen Opposition“. 172 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung nur mehr ein „gewisses demokratisches Ritual“ übrig geblieben, das „in vielen Fällen seinen lebendigen Sinn verloren habe.“960 Seine Kritik galt auch den Führungskräften und der innerparteilichen Mitbestimmungspraxis und der „Heidenabneigung vor großen offensiven und schweren Kämpfen.“961 Haubach machte aber auch seine Zielvorstellung für das Wirken der SPD deutlich. Er stellte sich eine Partei vor, die sowohl „praktisch- politisch“ als auch „geistig“ ihren Standort gefunden hat eine Partei mit einem „Min- destmaß an Verwaltung“, einem „Höchstmaß an Führung“ und einem „gerechte[n] Maß an Demokratie“. Dies war für Haubach eine „militante Partei.“962

Obwohl stark kritisiert, standen die Sozialdemokraten unter den Kreisauern, wie noch zu zeigen sein wird, fest zu ihrer Partei und auf dem Boden der Weimarer Verfassung.

3.1.3.2 Das Zentrum

Das Zentrum963 war eine „wirkungsvolle Allianz von drei innerkatholischen Reformbe- wegungen: der bäuerlichen, der bürgerlichen und der proletarischen“964. Es fungierte gleichsam „als politischer Ausschuss des Verbandskatholizismus“, geleitet von einer „außerordentlich heterogenen Spitze aus adligen, geistlichen, bürgerlichen und populis- tischen Politikern.“965

Das Zentrum verstand sich zwar in den 20er-Jahren als „Verfassungspartei“, die für „staatserhaltende und staatsfördernde Politik“ aus ihrer christlichen Weltanschauung stand, aber in ihrem republikanischen Bekenntnis schwankend war. Auf dem 4. Reichsparteitag 1925 einigte man sich schließlich auf eine Resolution, in der sich „das Zentrum zur Politik bekannte“, aber als „Verfassungspartei“ sich grundsätzlich für verschiedene Staatsformen offen erklärte.966 Seefried stellt im politischen Katholizismus der Weimarer Republik drei Strömungen fest: einen demokratischen Flügel unter Erz- berger und Wirth, der sich rasch mit der entstehenden Republik identifizierte967, die Teilgruppe des katholischen „Vernunftrepublikanismus, die auf dem Boden der gegebe- nen Tatsachen politische Verantwortung trug, ohne sich aber voll zu ihr zu beken-

960 Haubach, Die militante Partei 1931, S. 209 ff. 961 Haubach, Die Generationenfrage 1930, S. 88. 962 Haubach, Die militante Partei 1931, S. 212 f. 963 Siehe auch Reichweins Einschätzung des Zentrums: „Das Zentrum ist die am festesten begründete und dauerhafteste der deutschen Parteien anzusehen, denn es enthält seine politischen Ideen aus seiner tiefen Verwurzelung in der katholischen Kirche, deren Traditionskraft ungebrochen ist“; Prerower Protokoll 1932, in: LBDII S. 384. 964 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356 f. 965 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 357. 966 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 57. 967 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 59 f. 173 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung nen“968, und schließlich eine konservativ-monarchistische, zum Teil rechtskatholische Strömung.969 Letztere brach 1919/1920 einen Verfassungsstreit vom Zaun wegen eines angeblichen Widerspruchs zwischen Weimarer Reichsverfassung, die keinen Gottesbe- zug hatte, und katholischer Staatsauffassung, wonach nur Gott Schöpfer der Staatsge- walt sein könne.970 Besonders die BVP pflegte monarchistische Leitbilder. Innerhalb dieser dritten, rechtskatholischen Strömung gab es auch Gruppierungen, die stärker mit autoritär-ständischen und diktatorischen Konzeptionen liebäugelten, wobei „moderne“ nationalistische, völkische und führerideologische Ideen eine Rolle spielten.971 Solche Ideen wurden von dem Jesuitenpater und Redakteur der Stimmen der Zeit, Max Pribilla SJ, teilweise genährt, wenn er wegen des Parteiengezänks nach nationaler Konzentra- tion rief:

Das Volk fühlt seine Not und hat seine Wünsche, findet aber nicht selbst den Weg zu seiner Rettung und Erlösung; es erwartet, daß ihm dieser Weg von oben, von den Führern gezeigt werde. Wenn es zu seiner Regierung aufschaut, will es dort nicht das Widerspiel seiner eigenen Rat- und Hilflosigkeit sehen, sondern weitsichtige, kraftvolle Persönlichkeiten mit einem klaren Programm […]. Diese Führer müssen dem Volke Ideale und Ziele weisen […]. Solche Führer werden im Volke eine breite Vertrauensgrundlage haben, und ihnen wird das Volk auch dann Gefolgschaft leisten, wenn sie ihm zur Erreichung der vorgesteck- ten Ziele schwere und schwerste Opfer auferlegen sollten.972 Aber Pribilla, der Kollege von Delp, verlangte auch Rechtssicherheit, lehnte eine Dikta- tur ab, denn diese würde Einheit nicht fördern, sondern gefährden973, und der Staats- mann müsse in der großen Bewegung des Sozialismus durch alle Irrtümer hindurch das Soziale sehen974. Pribilla forderte keinen christlichen Staat, aber christliche Staatsmän- ner, wie auch Moltke später fordern wird.975 Nach Pribilla war die Not aus der Sicht von 1932 nur durch einträchtige Zusammenarbeit aller Klassen und Parteien zu meistern, er lehnte „Parteiherrschaft“ ab, jedoch machte er auch klar, dass keine Partei das Recht habe, sich mit dem ganzen deutschen Volk gleichzusetzen.976

Das Zentrum erwies sich bis 1930 „als pragmatischer, allgegenwärtiger politischer Part- ner, der seine strategische Position unter den neuen Verfassungsbedingungen“977 wirk- sam nutzte. In der Schlussphase allerdings war eine Abwendung von seiner demokra-

968 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 61. 969 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 64. 970 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 64. 971 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 64 f. 972 Pribilla, Nationale Konzentration 1933, S. 5. 973 Pribilla, Nationale Konzentration 1933, S. 6. 974 Pribilla, Nationale Konzentration 1933, S. 8. 975 Pribilla, Nationale Konzentration 1933, S. 10. 976 Pribilla, Nationale Konzentration 1933, S. 12. 977 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 357. 174 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung tisch-republikanischen Politik hin zu einer rechtskonservativ-ständestaatlichen Haltung festzustellen.978 Kaas rief nach einem Führertum großen Stils und förderte den Aufstieg Heinrich Brünings. Er steht für Entparlamentarisierung und in Konsequenz für Entde- mokratisierung, obwohl er den offenen Verfassungsbruch vermied. Brüning ist nach Seefried so im Kern nicht mehr zu den katholischen Vernunftpolitikern zu rechnen.979 Als sich der Zentrumsführer Kaas im April 1933 nach Rom in den Vatikan absetzte, wurde Brüning zu seinem Nachfolger als Vorsitzender des Zentrums sowie dessen Reichstagsfraktion gewählt. Brüning proklamierte die Weiterexistenz und Selbstbe- hauptung der Partei und rief zur „Rettung der Freiheit Deutschlands“ auf.980 In diesem Sinne trat am 31. Mai und 01. Juni 1933 die Zentrumsführung mit den Fraktionen im Reichs- und preußischen Landtag in Berlin zusammen. Auf Veranlassung Brünings re- ferierte Peters über den „Rechtsstaat“981, was nach dem Bericht eines Zeugen zur Be- stürzung Brünings bei den Teilnehmern kaum noch auf Interesse gestoßen sei.982 Das Zentrum war zwar gegen Diktatur, „hatte aber mit den ambivalenten Überlegungen zu einer autoritativen […] Regierung gelitten, und das vernunftrepublikanische Bild der Verfassungspartei wurde schließlich – aus einem schwer zu entwirrenden Motivbündel und unter dem Druck des Terrors – mit der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz preisgegeben.“983

Es wird im Weiteren zu untersuchen sein, welcher der aufgezeigten Strömungen die katholisch bekennenden Kreisauer zuzurechnen sind und welche vergemeinschaftenden Aspekte sie mit den sozialistischen Kreisauern gemeinsam haben.

3.1.3.3 DDP/DVP/DNVP

Die Deutsche Demokratische Partei (DDP), entstanden aus der kaiserdeutschen „Fort- schrittlichen Volkspartei“, verstand sich als liberale Sammelpartei und präsentierte sich als nichtsozialistische, nichtreaktionäre Alternative.984 Sie wollte als klassenverbinden- de Partei die politischen Interessen des ganzen Volkes vertreten985 und bot mit einer

978 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 357. 979 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 81. 980Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus 1977, S. 169. 981 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26; Peters, Die Beratungen der Zentrumsfraktion 1933. 982 Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus 1977, S. 187, S. 266, Fn. 24. 983 Seefried, Verfassungspragmatismus 2008, S. 84. 984 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 355. 985 Hertfelder, Meteor 2008, S. 38. 175 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung relativ undogmatischen Programmatik986 argumentative Freiräume, die auch in der Dis- kussion um die Legitimität der Republik genutzt werden konnten.987. Mit der DDP ver- bindet sich der Name Friedrich Naumann, der nach dem Versagen der deutschen Mo- narchie 1919 die neue Staatsform als Substitut der Monarchie einführte.988 Steltzer war ein Anhänger Naumanns.

Die DDP band die Hochfinanz und den Großhandel, Teile des Bildungsbürgertums und der mittelständischen Berufsklassen an sich. Die „Vernunftrepublikaner“ in der DDP bekannten sich jedoch nur kärglich zur neuen Staatsform.989 „Wir werden Demokraten“, erläuterte Meinecke in seinem Geleitwort zu Troeltschs „Spektator-Briefen“, „weil auf keinem anderen Weg die nationale Volksgemeinschaft und zugleich die Lebensfähigkeit aristokratischer Werte unserer Geschichte […] erhalten werden kann.“990 Bereits 1920 begann in der DDP ein Erosionsprozess und sie verlor ihr rechtsliberales Wählerpoten- zial an die Deutsche Volkspartei (DVP), einen alten Rivalen des Linksliberalismus, an deren Spitze sich sogleich Gustav Stresemann, die einzige rechtsliberale Führungsper- sönlichkeit, setzte. Wie schon erwähnt, wurde die DVP immer rechtslastiger und war von den starren Konservativen der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) kaum mehr zu unterscheiden.

Die DNVP, ein Zusammenschluss der ehemaligen „Deutsch-“ und „Freikonservativen“, erreichte in den schweren Jahren 1920 bis 1924 ihr politisches Hoch.991 Ihr gelang es in dieser krisenreichen Zeit, sich als einzige stramm nationalistische, friedensverweigern- de, ultrakonservative Alternative zu den Parteien der Weimarer Koalition zu präsentie- ren. Die Nachkriegsstimmung, der gekränkte Nationalismus, der durch Niederlage und „Reparationsterror“ verletzte Stolz trieben das Wasser auf ihre Mühlen.992 Die DNVP band mit ihrem unverhohlenen Protest gegen „die Vorherrschaft des Judentums“ das sich vergrößernde Potenzial der Antisemiten und Völkischen an sich.

986 Hertfelder, Meteor 2008, S. 38. 987 Bei der Wahl am 31.07.1932 wählte die Mutter Moltkes, Dorothy Moltke, die DDP und gab dabei ihren Eltern ein interessantes Bild des sich bietenden Parteienspektrums: „Ich habe die Staatspartei ge- wählt. […] Es war nicht leicht zu entscheiden, was das Richtige ist. Auf der Rechten sind die Nazis und die Deutschnationalen, auf der Linken die Sozialisten und Kommunisten, in der Mitte, aber mit Neigung nach links, das Zentrum. Alle diese Parteien widern mich an. Die Staatspartei [die DDP war Teil der 1930 gegründeten Deutschen Staatspartei; A. d. V.] ist klein, aber immer auf der liberalen und fortschrittlichen Seite, und hat einige der besten parlamentarischen Abgeordneten“; in: Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 206. 988 Hertfelder, Meteor 2008, S. 32. 989 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356. 990 Zit. nach Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 356. 991 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 357 f. 992 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 358. 176 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

3.2 Gesellschaftspolitische Verortung

Nachdem die Weimarer Zeit mit ihren Brüchen und ihrem Parteienspektrum aufgezeigt wurde, soll vor diesem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Verortung der Kreisau- er nachgespürt werden, um ihr vergemeinschaftendes Potenzial abzuschätzen. Die Kreisauer kamen aus allen parteipolitischen Lagern außer der extremen Rechten oder Linken. Sie fanden sich aber alle in einer großen Koalition zur Erarbeitung von Pla- nungsgrundsätzen für die Zeit „danach“. Was ermöglichte ihnen bei dieser heterogenen parteipolitischen Ausgangslage, sich zu vergemeinschaften, welches „soziale Handeln“ im Sinne Max Webers befähigte sie zu diesem Prozess? Als These kann die Aussage von Günter Schmölders gewagt werden, dass das Kreisauer Konzept

… von dem Bestreben geprägt war, einerseits die von den Nationalsozialisten mit Füßen getretene sittliche Würde des einzelnen Menschen, des Menschen als „Person“ wiederauf- zurichten und für die Dauer zu sichern, andererseits alle die Fehler zu vermeiden, die im Weimarer Parteienstaat zu den abträglichen Erscheinungen einer Massendemokratie voll pluralistischer Interessenkämpfe geführt hatten, an denen dieser Staat gescheitert war.993 Der erste Teil der These wird stärker bei der im nächsten Kapitel zu betrachtenden reli- giösen Verortung zu beachten sein; hier wird unter Verwendung des beschriebenen Deutungsmusters die Frage signifikant sein, wie die Kreisauer zur Weimarer Republik standen. Waren sie Vernunft-, Gelegenheits- oder engagierte Vernunftrepublikaner oder gar Verfassungsgegner und durch welches soziale Handeln wurden sie zur Vergemein- schaftung befähigt?

Bei der Erörterung gesellschaftspolitischer Verortung sollen zunächst der Mittelpunkt des Kreises, Moltke und Yorck, betrachtet und dann die Sozialisten, die Zentrumsan- hänger und schließlich die Anhänger der liberalen sowie der nationalkonservativen Par- tei behandelt werden. Bedeutsam ist es, zu untersuchen, ob sich die Freunde im Einzel- nen zur politischen Mitarbeit innerhalb oder außerhalb einer Partei bekannten, wodurch sie zum politischen Handeln veranlasst wurden und vor allem, wie sie zur Weimarer Verfassung standen. Die Quellenlage für diese Untersuchung ist sehr unterschiedlich. Am besten ist sie bei den „militanten“ Sozialdemokraten, die sich in dieser Zeit stark öffentlich politisch äußerten, und natürlich bei Moltke, von dem es auch Eigenzeugnisse und vielfältige Zeugnisse von Zeitgenossen gibt.

993 Schmölders, Personalistischer Sozialismus 1969, S. 14. 177 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

3.2.1 Helmuth von Moltke

Schon in früher Jugend wurde bei Moltke das politische Interesse vor allem durch die politische Aufgeschlossenheit der Mutter geweckt. 1926 schrieb sie an ihre Eltern:

Ich persönlich glaube, daß die republikanische Idee mit der Zeit wachsen und das konserva- tive Ideal überflügeln wird, denn die jüngere Generation ist entweder wild konservativ oder, und das ist bei den besseren und freieren Gemütern der Fall, ist ganz bereit, die Repu- blik als ihre Regierungsform zu akzeptieren.994 Moltke hatte von seiner englischen Mutter einen freien, weltoffenen Geist erhalten und „alle überholten nationalen und gesellschaftlichen Vorurteile und Bindungen überwun- den.“995 In der Weimarer Zeit bezeichnete sich die Mutter als Sozialdemokratin996, wählte aber die DDP bzw. Staatspartei997, während der Vater Mitglied der DVP war.998 Dies war ein beachtlicher Schritt gegen die Monarchie zur Republik, da konservative Standesgenossen ihre Heimat in der DNVP hatten und die Republik von Weimar erbit- tert bekämpften.

Sohn Helmuth beschreibt in seinem Lebenslauf von 1926 seine ersten politischen Ein- drücke in der Zeit der großen Parteikämpfe, „in denen jeder den anderen beschimpfte und seine eigene Lehre für die einzig seligmachende hielt. Diese Zeit hat auf mich eine große Wirkung gehabt, indem sie mich von der Falschheit aller überzeugte, und zwar dadurch, daß ich jede einmal vertrat.“999 Im November 1928 schrieb der 21-jährige Moltke bei der Schilderung seines geplanten Lebensentwurfs an seinen Großvater in Südafrika: „I am sure, that my life is not law, but politics.“1000 Bereits 1924 hatte die Mutter an ihre Eltern geschrieben: „Er hat sehr starkes Interesse an Politik und hat dank seinem englischen Blut viel mehr Eignung dafür als die meisten Teutonen. Muß ich euch sagen, dass er nicht deutschnational ist?!“1001 Trotz dieser Ambitionen war Moltke nie in der Politik aktiv und gehörte auch nie einer Partei1002 an. Er selbst schlug seiner

994 Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 126. 995 Steltzer, Sechzig Jahre1966, S. 149. 996 Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 61. 997 „I have voted for the Staats Partei. […] The Staatspartei is small, but will always be found on the libe- ral and progressive side, and has some of the best members of parl[i]ament, among others Koch-Weser [Erich Koch-Weser war 1919-1921 Reichsinnenminister und 1928-1929 Reichsjustizminister; A. d. V.] who is the Rechtsanwalt in Berlin where Helmuth James is going to work”; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 76 f. In der 1930 gegründeten Deutschen Staatspartei sammelten sich DDP, Volksnationale Reichsver- einigung, Jungdeutscher Orden sowie Vertreter christlicher Gewerkschaften und Jungliberale aus der DVP; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 77, Fn. 1. 998 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 336. 999 Moltke, Lebenslauf, 25.09.1926; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 40 f. 1000 Moltke, Helmuth an seinen Großvater, 12.11.1928, DLA, Nachlass A:Moltke, S. 3. 1001 Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 101. 1002 „As far as I know Helmuth never belonged to any political party. He was (what Germans called then) ‘internationally minded’. This stemmed I should say from his mother’s background and also from his 178 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Frau vor, in einem Gnadengesuch vom 16. Januar 1945 an Heinrich Himmler seinen „mangelnden politischen Ehrgeiz und [s]eine sozialistischen Tendenzen“1003 herauszu- streichen. Wie seine Mutter wird er wohl anfangs mit der linksliberalen DDP sympathi- siert haben. Dies legen auch seine Bekanntschaften mit Professor Hellpach, der ihn in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft unterstützte, oder mit Reichsjustizminister a. D. Eugen Schiffer und Koch-Weser nahe. Auch bewunderte er Stresemann, wie ein Brief seiner Mutter nach Kapstadt im Juni 1924 verriet.1004

Die wohl ausführlichste Darstellung seiner politischen Ansichten vor 1933 kann aus Molkes Artikel „Youth Looks in and out“1005, den er auf Veranlassung seiner amerika- nischen Journalisten-Freunde Edgar und Lilian Mowrer für die amerikanische Zeit- schrift „The Survey“ anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Weimarer Republik schrieb, entnommen werden. Bei seiner Schilderung der Probleme und der Ziele jener Zeit betrachtete er die Reichsreform, möglichst mit bundesstaatlicher Struktur, als vor- dringlich. Dem Reich, als einem Gebilde unabhängig von den einzelnen Staaten, sollten nur die Kompetenzen in den Bereichen Justizverwaltung, Verteidigung und Außenpoli- tik zugestanden werden. Außenpolitisch plädierte Moltke für eine europäische Zielrich- tung und für eine Annäherung zwischen Frankreich1006 und Deutschland. Moltke setzte sich auch kritisch mit den Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft und dem Ver- hältnis der Klassen auseinander. Er betont den Primat der Politik über die wirtschaftli- chen Aspekte, was einer Zustimmung staatlicher Intervention in der Wirtschaftspolitik gleichkam, und zur Lösung der Disparitäten zwischen Stadt und Land, Akademikern und Nichtakademikern, dem Kern des Klassenproblems, schlägt er vor:

We hope that this great gulf between the two differently educated citizens will at least partly disappear with the help of the new system of education, which prescribes the same fundamental schooling for all up to the age of special training.1007 In diesem Aufsatz scheinen die Grundzüge des Moltke‘schen Denkens auf, sein Bild des Menschen und der Gesellschaft, wie es sich auch später in seiner Denkschrift „Aus-

deeply humanitarian feelings: all men are brothers.” Brief Lilian T. Mowrer, 31.07.1964, IfZ, ZS/A-18, Bd. 5, S. 1. 1003 HFM S. 515. 1004 Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 100. 1005 Moltke, Youth Looks in 1929, S. 69-74. 1006 „So stand er in Verbindung mit dem Leiter des Berliner Büros des deutsch-französichen Studienkomi- tees, Pierre Viénot (Mitteilung von J. W. von Moltke). Dieses Komitee war 1926 von dem luxemburgi- schen Stahlindustriellen Emil Mayrisch (1862-1928) gegründet worden“; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 31, Fn. 57. 1007 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 72. 179 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung gangslage, Ziele und Aufgaben“1008 manifestierte: „Die Freiheit, die Erziehung, der Ein- satz und das Verantwortungsgefühl des einzelnen fungieren als Orientierungsrahmen. Daran werden sämtliche Vorschläge für den Staats- und Gesellschaftsausbau gemes- sen.“1009

Bemerkenswert ist, dass Moltke sich gegensätzlich zu seiner Gesellschaftsschicht ver- hielt. Seine Mutter schrieb am 15. August 1928 nach Kapstadt, dass ihr Sohn Helmuth nach dem Referendarexamen von der polnischen Regierung die Möglichkeit bekommen habe, bei freier Eisenbahnfahrt ganz Polen zu bereisen und darüber zu berichten, weil man ihn wegen seiner Fähigkeiten schon als einen der kommenden Männer des jungen Deutschlands ansehe und „weil so wenige aus dem Adel bereit sind, an der Zukunft des republikanischen Deutschland teilzunehmen“1010. Husen charakterisierte Moltkes Hal- tung zu seiner Gesellschaftsschicht so: „Er wusste auch, dass es neben den berechtigten Interessen seines Standes andere, vielfach nicht voll erfüllte wohlbegründete Ansprüche gab, für deren Einklang gesorgt werden müsste, auch unter Opfern.“1011 Seine Frau Freya schließlich sagte: „Er hat keiner Partei wirklich angehört, aber er vertrat Ansich- ten, die viele als für einen jungen Mann seiner Herkunft unpassend ansahen und galt als sehr ‚links’.“1012 Nach Poelchau entsprach Moltke nicht dem Bild schlesischer Grund- besitzer, und er sprach Moltke zu, was Fontane über den alten Stechlin sagt:

„Und der alte Dubslav, nun, der hat dafür das im Leibe, was die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen sie sich selbst dazu.“ Das heißt in unserer Sprache, die richtigen Junker überspringen aus konservativem sozialem Verantwortungsgefühl ihre Klassenschranken.1013 Sein Gegensatz zu seiner Herkunft wird auch in seinem Verhalten zu seinem Klassen- kameraden Louis Ferdinand, mit dem er immer per Sie verkehrte, deutlich. Nach Freya habe er zu den Hohenzollern noch etwas mehr Distanz haben wollen, „denn er beurteilte ihre Rolle in der deutschen Geschichte sehr kritisch und war immer ein Republika- ner“1014.

Lilian Mowrer bezeugt, dass Moltke große Hoffnungen für die Zukunft der Weimarer Republik hegte, aber er habe auch ihre Fehler gesehen:

1008 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 154. 1009 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 17. 1010 MBF S. 39. 1011 Husen, Paulus van: In memoriam Moltke und Yorck. 20.07.1944. IfZ, ED 88-1, S. 2. 1012 MBF S. 41. 1013 Poelchau, Ordnung 1963, S. 95. 1014 MBF S. 30. 180 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

[…] its refusal to take decisive steps – to unmask the charges that Hitler and his gang were making. […]. Hindenburg could have banned, with a stroke of a pen, the private armies, de- stroyed the myths which bound the Führer to his public and convinced the people that the depression they suffered was due to war and not peace. Helmuth was critical of this conti- nuing weakness.1015 Moltke kritisierte auch das Regieren mit Notverordnungen und nahm die nationalsozia- listische Gefahr sehr ernst. In Hitlers Buch „Mein Kampf“ erkannte er im Gegensatz zu vielen anderen Hitlers Programm und hielt auch andere zur Lektüre an.1016 Auch wenn er auf dem Boden der Weimarer Republik stand, wollte er später im Rahmen der Pla- nungsarbeiten für die Neuordnung nicht mehr zurück zur Weimarer Verfassung, das wird in den am 09. August 1943 verabschiedeten Grundsätzen deutlich.

War nun Moltke ein Vernunftrepublikaner in seiner Stellung zur Weimarer Verfassung? Mit Sicherheit war die Monarchie für ihn keine Alternative. Er war ohne Zweifel ein Republikaner, aber er sah ihre Schwächen und wollte nicht mehr zur Weimarer Verfas- sung zurück, was ihn von den „Exzellenzen“ des Goerdelers-Kreises unterschied.

3.2.2 Peter Yorck von Wartenburg

Während Moltkes Weltbild von dem liberalen Gedankengut seiner Mutter geprägt war, stand Yorck unter dem Einfluss seines umfassend humanistisch gebildeten, streng kon- servativen Vaters, erbliches Mitglied des Preußischen Herrenhauses.1017 Dieser Konser- vatismus schloss allerdings den Gedanken sozialer Verantwortung ein. Der Vater, Hein- rich von Yorck, trauerte wie die meisten seiner Standesgenossen der Monarchie nach und war der Weimarer Republik gegenüber eher feindselig eingestellt. Dies kam auch in dessen Aufsatz „Bismarcks Vermächtnis“ in der Zeitschrift „Die Tradition“ von 1922 zum Ausdruck, wo „die Stimme eines antidemokratischen und antirepublikanischen Mannes“ spricht, „der die bessere Tradition Preußens für eine bessere Zukunft be- schwört“1018. Die preußischen Konservativen sammelten sich in der DNVP, welche die junge Demokratie bekämpfte. „Inwieweit diese streng konservative, antirepublikanische Haltung auf Peter Yorck abfärbte, ist nicht festzustellen.“1019 Nach den Verhandlungs- akten vor dem VGH allerdings sympathisierte Yorck1020 mit der DNVP und wählte in der Anfangsphase nach eigenen Worten sogar die NSDAP, trat der Partei jedoch nicht

1015 Lilian T. Mowrer: Brief 31.07.1964. IfZ, ZS/A-8, Bd. 5, S. 1. 1016 MBF S. 54. 1017 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 129. 1018 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 189. 1019 Ullrich, Kreis 2008, S. 29 f. 1020 Politisch rechnete sich Yorck zu den Befürwortern der konservativen Deutschnationalen Volkspartei; in: Meding, Mit dem Mut 1992, S. 191. 181 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung bei.1021 Ullrich vermutet mit Steinbach, dass die Forderung der Revision der Versailler Verträge für diese Wahl eine Rolle gespielt haben mag.1022 Brakelmann betrachtete Yorcks Dissertation1023 über die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte, in der diese nach dem Satz „Civitas non moritur“ die Organe dieser Übergangszeit und bis zur Ver- fassung der Weimarer Republik Träger der tatsächlichen Regierungsgewalt waren, nä- her. Er konnte keinen antirepublikanischen Unterton feststellen.1024 Ob dies für ein überzeugendes Bekenntnis zu Weimar ausreicht, bezweifelt Ullrich1025, Steinbach bestä- tigt dies jedoch, wenn er sagt:

In der Dissertation deutete Yorck die Novemberrevolution 1918 nicht als Ende des Deut- schen Reiches wie manche seiner konservativen Zeitgenossen, sondern er verfocht die The- se, die Übertragung der monarchischen Gewalt an die neuen Machthaber sei als Geburts- stunde und als Ausgangspunkt einer neuen Legitimität zu deuten.1026 Gerstenmaier sah in Yorck in den Gesprächen einen aufgeschlossenen Denker, der, „he- rangewachsen in der kritischen Distanz des Feudalismus zu Parlament und Demokratie, den Sozialismus als Häresie, die Revolution als Blasphemie“1027 betrachtete. „Er war so wenig ein Verfechter des hergebrachten Besitzes“, so Gerstenmaier weiter, „er stellte die Interessen, auch die vitalen wirtschaftlichen Interessen seines eigenen Standes, so vorbehaltlos zur Diskussion, dass er dabei mit Helmuth Moltke konkurrieren konn- te.“1028

Yorck und Moltke, die beiden schlesischen Großgrundbesitzer, hatten die Distanz zur ihrer Gesellschaftsschicht gemeinsam. In der Ablehnung der Monarchie als Staatsform waren sie sich einig, und auch Yorck kann auf dem Boden der Weimarer Verfassung verortet werden.

3.2.3 Sozialdemokratische Kreisauer

Bei den Kreisauern kann man unterschiedliche Gruppen der Sozialdemokraten feststel- len. Da waren zunächst die sogenannten „militanten“ Sozialdemokraten Mierendorff, Haubach und Leber, die am engsten mit dieser Partei verbunden waren und die nach der Machtergreifung sofort KZ-Haft erleiden mussten. Dann wäre Reichwein zu nennen,

1021 Budde, Die Wahrheit über den 20. Juli 1952, S. 83. 1022 Ullrich, Kreis 2008, S. 32; Steinbach, Gesichter des Widerstands 2004, S. 87. 1023 „Die Haftung der Körperschaften des öffentlichen Rechts für Maßnahmen der Arbeiter- und Soldaten- räte.“ 1024 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 191. 1025 Ullrich, Kreis 2008, S. 30. 1026 Steinbach, Gesichter des Widerstands 2004, S. 86 f. 1027 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 185. 1028 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 185. 182 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung der von der pädagogischen Seite zur sozialdemokratischen Richtung stieß, und Trott, den von Jugend auf eine sozialistische Haltung prägte. Einsiedel, Trotha und Poelchau standen der Sozialdemokratie ebenfalls nahe, ohne dass sie sich politisch besonders hervortaten.

Die drei „militanten“ Sozialdemokraten sollen zunächst behandelt werden, denn sie identifizierten sich wohl am stärksten mit ihrer Partei und von diesen drei Journalisten liegen auch die meisten Egozeugnisse vor. Sie publizierten zu aktuellen gesellschafts- politischen Themen in: „Hamburger Echo“ (Haubach), „Lübecker Volksbote“ (Leber), „Marxistische Tribüne“, „Neue Blätter für den Sozialismus“, „Sozialistische Monatshef- te“, „Die Gesellschaft“ oder „Die Justiz“. Hier soll jedoch nicht die ganze Breite ihrer kämpferischen politischen Tätigkeit betrachtet werden, sondern besonders der Aus- schnitt ihres sozialen Handelns, das sie zur Vergemeinschaftung mit den anderen Kreis- auern befähigte. Gleichwohl wird auch bei dieser politischen Betrachtung die Heteroge- nität der politischen Teilhabe deutlich. Es soll aufgezeigt werden, warum und mit wel- chen Motiven und Zielen diese militanten Sozialdemokraten ihrer Partei beitraten, was sie in ihrer Kritik an der SPD und der Weimarer Verfassung vereinte, wie sie den Kampf gegen die NSDAP aufnahmen, welche Haltung sie zur deutsch-französischen Versöhnungspolitik und zur Europapolitik einnahmen und wie sie in das Deutungs- schema der Vernunftrepublikaner einzuordnen sind.

3.2.3.1 Die militanten Sozialdemokraten: Mierendorff, Haubach und Leber

Im Januar 1920 war der junge Intellektuelle Mierendorff der SPD beigetreten, 1926 bereits besoldeter Sekretär der SPD-Reichstagsfraktion, 1928 Pressereferent des hessi- schen SPD-Innenministers Wilhelm Leuschner, im September 1930 wurde er mit nur 33 Jahren in den Reichstag gewählt. „Innerhalb der SPD zählte Mierendorff zu den Wort- führern der sogenannten Jungen Rechten, die eine Erneuerung der in ihren Augen ver- krusteten Partei forderte und dafür plädierte, das nationale Thema nicht den Extremisten von rechts zu überlassen.“1029 Das Motiv für seinen Beitritt zur SPD beschrieb Mieren- dorff in seinem Lebenslauf:

An der Front hatte ich den deutschen Arbeiter als […] Kameraden erlebt und achten ge- lernt. Die Arbeiterschaft als einen der wertvollsten Teile unseres Volkes durch politische und soziale Gleichberechtigung in den Staat einzugliedern, erscheint mir nun als die wich- tigste nationale Aufgabe, und als ehemaliger Frontsoldat hielt ich es für meine Pflicht, auch mich selbst in den Dienst dieser Aufgabe zu stellen. Unter diesem Gesichtspunkt betrieb ich mein Studium und aus diesem Grund ging ich nach Beendigung meines Studiums 1923 in

1029 Ullrich, Kreis 2008, S. 42; Vogt, Nationaler Sozialismus 2006. 183 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

die Politik. Ich trat für den Aufbau einer demokratischen Republik ein […] und ich wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, weil ich in ihr […] die politische Verkörperung der traditionellen Ideen der deutschen Arbeiterschaft erblickte.1030 Dieses Bekenntnis ist umso bemerkenswerter, als es 1938 für den Eintritt in die Reichs- schrifttumskammer nach seiner Freilassung als politischer Gefangener geschrieben wurde. Mierendorff ging es um den Kampf um die Republik als Voraussetzung für das Gemeinwesen des Sozialismus, den er als Ziel der SPD sah und an dem er als reformis- tischer Sozialist festhielt.1031 Mierendorff hatte eine militante Demokratie im Auge und er propagierte mit Haubach „geradezu eine Militarisierung von Teilen des Funktions- körpers unter ausdrücklicher Berufung auf Erfahrungen mit militärischen und politisch militanten Organisationen.“1032 Kampfziele noch im Januar 1933 waren: sozialistische Planwirtschaft, sozialistische Demokratie und sozialistisches Europa.1033 Diese Ziele erinnern stark an Gedanken in den Kreisauer Grundsatzbeschlüssen, in denen die Arbei- terschaft eine der beiden tragenden Säulen war; Mierendorff hatte nur die Kirche als potenzielle Neuerungskraft noch nicht im Auge.

Auch Mierendorffs Freund Haubach trat sehr früh in die SPD ein. Die Mitgliedschaft erwarb er 1922, und ab 1923 war er wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Institut für Auswärtige Politik in Hamburg, wo er 1927 in die Bürgerschaft gewählt wurde. Von 1928 an war er wie Mierendorff Mitglied der Wehrkommission. Ein wichtiges Ziel für seine politische Arbeit sah Haubach, wie er 1928 in einer Wahlveranstaltung propagier- te, in einer breiten Demokratisierung aller Lebensbereiche. Er schrieb in einem Artikel:

[…] eine unersetzbare Voraussetzung für jede republikanische Staatsform – für die erste deutsche Republik [wäre] der „mündige Bürger“ in besonderer Weise notwendig gewesen, um sich gegen traditionell-kaiserliche Strukturen in den Apparaten zur Wehr zu setzen und um die zu Parolen verkommenden Aussagen der Politiker zu durchschauen und ihnen zu widerstehen.1034 Hier klingen Forderungen an, wie sie Moltke in seinem Memorandum „Kleine Gemein- schaften“ formulierte.

Leber, noch im Kaiserreich 1891 als uneheliches Kind mit dem Namen Jérôme Jules Schubetzer1035 geboren, gibt in einem Artikel des „Lübecker Volksboten“1036 an, dass er

1030 Mierendorff, Carlo: Lebenslauf, Berlin, Mai 1938. AdsD, Signatur 265RKK; Mierendorff; Karl, 24.03.1897, Lebenslauf, Berlin, Mai 1938, Bestand Reichsschriftumskammer. BDC (Außenstelle BA Koblenz) 1031 Mierendorff, Republik oder Monarchie 1926; S. 437. 1032 Martiny, Dokumentation 1977, S. 389. 1033 Mierendorff, Positive Kampfziele 1933, S. 123-124. 1034 Haubach, Arbeitsgemeinschaft der SPD-Orpo 1928. 1035 Copie d’acte de baptême, Paroisse Saint Jean-Baptiste de Biesheim, le 21. Novembre 1891, ausge- stellt am 14.02.2009. Danach wurde Leber durch die Heirat seiner Mutter mit Jean Leber am 29.11.1895 „legitimiert“. 184 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung schon als Schüler, also schon vor dem Ersten Weltkrieg, Sozialdemokrat gewesen sei. Ein erstes Motiv für den Parteieintritt mag gewesen sein, dass die SPD sich schon 1870/71 gegen die Annexion des Elsasses ausgesprochen hatte und „seit 1895 und bis Kriegsende für die elsaßlothringische Autonomie eintrat“1037. Beck stellt fest: „Für Le- ber war Politik für Republik und Demokratie identisch mit sozialdemokratischer Poli- tik.“1038 Leber zog eine politische Entwicklungslinie von den Befreiungskriegen über 1848 bis hin zum 09. November 1918.1039 Beck analysierte dies anhand verschiedener Artikel Lebers im „Lübecker Volksboten“ von 1921 bis 1927 und stellte Lebers Selbst- verständnis der Sozialdemokratie heraus:

Allein die Sozialdemokratie könne, aufbauend auf den Idealen des 19. Jahrhunderts, die Idee des Sozialismus, die neue „Erscheinungsform des Strebens des Menschen nach Be- freiung“, „den sozialen Arbeitsstaat des 20. Jahrhunderts“ schaffen. Allein durch die De- mokratie könne diese Idee verwirklicht werden. Leber umriß die Zielvorstellung mit dem Begriff „soziale Demokratie“, und „soziale Republik“. Er stellte sich das so vor, daß an „die Stelle des Besitzes […] die Arbeit […] treten“ und die „Arbeit in den Mittelpunkt der Gesellschaft, des Volkes und der Nation treten“ und „der Arbeiter völlig der Träger des Staatsgedankens sein“ werde.1040 Als politisches Ziel stellte Leber in seiner im KZ verfassten Schrift „Gedanken zum Verbot der deutschen Sozialdemokratie“ „unverrückbar“ fest:

Die Überwindung der kapitalistischen Epoche mit ihrem egoistisch-ökonomischen Libera- lismus und die Proklamierung der menschlichen Arbeit als Fundament sozialer Geltung. […]. Dem arbeitenden Menschen eine bessere Zukunft zu bauen auf den festen Fundamen- ten von Gerechtigkeit und Freiheit.1041 Bei den Motiven zur Zugehörigkeit zur SPD ging es allen drei um die zukünftige Stel- lung der Arbeiterschaft und ihre Teilhabe am demokratischen Leben der Republik. Dies war später für Moltke neben dem Christentum einer der tragenden Pfeiler der Kreisauer Neukonzeption.

Die hohe Identifikation dieser drei „militanten“ Sozialdemokraten mit ihrer Partei schloss aber ihre teils vehemente Kritik an der Partei, wie bei der Beschreibung der Weimarer SPD bereits angemerkt wurde, und an der Weimarer Verfassung keineswegs

1036 Leber, Julius: LV vom 29.05.1923. Artikel u. a. über seinen Parteieintritt. 1037 Wehler, Krisenherde des Kaiserreichs 1970, S. 47, 22, 58. 1038 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 47. 1039 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 57 f. 1040 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 58 f. 1041 Leber, Weg 1952, S. 247. 185 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung aus. Mierendorff beklagte die fehlende „geistige Erneuerung“1042 des Apparats und sei- ner produktiven Reformierung, seinen Immobilismus1043,

[…] gerade auch Jugend und Frauen und nicht zuletzt politisch bisher Unerreichte zu ge- winnen und insofern auch […] die weitgehend vernachlässigten Gefühle von Massen zu beeinflussen und das politisch der faschistischen Bewegung zukommende „emotionale Va- kuum“ als wichtige „Hohlräume“ der Gefühle positiv zu besetzen.1044 Hertz drückte in seinem Nachruf auf Mierendorff trotz all seiner Kritik jedoch dessen unbedingte Treue zu seiner Partei aus:

Mierendorff war nicht blind gegen die Schwächen der Partei, deren organisatorischer Auf- bau und deren Geist in einer Periode ruhigen Aufstiegs geformt waren, und der nun die Umstellung auf die Periode des Kampfes um die Macht schwer wurde. Aber so kritisch der junge Carlo auch der Partei gegenüber stand, die alle Züge des Alterns trug, so wenig er ihre Kompromisse billigte, so liebte er sie als das einzige Instrument, mit dem die Massen des Volkes politisch reif gemacht werden konnten.1045 Haubachs Kritik an seiner Partei wird in seinen Nachrufen immer wieder herangezogen. So schrieb Nowack über Haubach:

Haubach, Schrittmacher in der Partei gerade für ein neues Denken über die Verteidigung der Nation, war einer der tragenden Gestalter neuer Gedanken und Formen in unseren Rei- hen. Aber wir konnten uns nicht durchsetzen. Zuviel Vorurteile wurden uns entgegenge- bracht, zuviele Politiker ruhten selbstgefällig in der jahrzehntealten Phraseologie ihrer Par- teien, unfähig einer neuen Zeit einen echten neuen Gedanken zu geben.1046 Haubach war überzeugt, dass „neue Methoden und Formen der psychologischen Tech- nik, der Agitationskunst und der Massenregie gefunden werden müßten“1047. Er kriti- sierte die althergebrachte „Organisationsdemokratie“ der Partei, die sich in nutzloser „schablonenmäßig gehandhabte[r] Versammlungstechnik“ ausdrückte, die „politisch heimatlose […] Volkskreise, vor allem die antikapitalistisch gesonnenen Mittelschich- ten“1048 nicht ansprach. „Bürokratische Engherzigkeit und ideologische Versteinerungen waren ihm ebenso zuwider wie parteipfäffische Arroganz.“1049

Auch Leber sah wie andere jüngere Sozialdemokraten, dass es der SPD nicht gelang, „die Massen mit einem positiven demokratischen Bewußtsein zu erfüllen“, dass die „Erziehung zur Demokratie und die Ausformung eines wirklichkeitsnahen politischen Bewußtseins versäumt“1050 worden sei. Er beklagte ebenfalls den bürokratischen Füh-

1042 Zuckmayer, Pro Domo 1938, S. 55: „Wir hofften, daß sich der vorhandene mächtige Apparat der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften durch innere Durchdringung und geistige Erneue- rung reformieren und produktiv machen ließe.“ 1043 Mommsen, Sozialdemokratie in der Defensive 1979, S. 345-365. 1044 Albrecht, Der militante Sozialdemokrat 1987, S. 100. 1045 Hertz, Carlo Mierendorff zum Gedenken 1944, S. 5. 1046 Nowack, Haubach Unvergessen! 1955, S. 36 f. 1047 Oschilewski, Politisches Gewissen 1955, S. 44. 1048 Oschilewski, Politisches Gewissen 1955, S. 44. 1049 Oschilewski, Politisches Gewissen 1955, S. 44. 1050 Mommsen, Sozialdemokratie in der Defensive 1979, S. 349 ff. 186 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung rungsstil der Partei. Im Gegensatz zu Mierendorff und Haubach beließ es Leber eher bei vorsichtigen Andeutungen und rechnete erst im KZ 1933, als es für seine Partei zu spät war, in dem schon erwähnten Memorandum „Die Todesursachen der deutschen Sozial- demokratie“1051 oder an anderer Stelle, als „Gedanken zum Verbot der deutschen So- zialdemokratie. Juni 1933“1052 bezeichnet, ab.

Die Kritik dieser drei Sozialdemokraten bezog sich nicht nur auf ihre Partei, sondern auch auf die Weimarer Republik, ohne jedoch ihre Haltung zur Republik grundsätzlich zu beeinträchtigen. Mierendorff schrieb in seinem Rückblick „Nach 14 Jahren“ im Jahre 1932:

[Das] haben [wir] gelernt, dass Demokratie kein Stimmzettel-Automatismus sein darf. […]. Falsche Führerauslese und Nicht-Funktionieren des Parlamentarismus, die Folgen bestimm- ter Konstruktionsfehler der Weimarer Demokratie – nicht etwa der Demokratie an sich – haben die deutsche Republik in die höchst kritische Lage gebracht.1053 Damit geißelte Mierendorff das gültige Verhältniswahlrecht, das auch kleineren Partei- en die Möglichkeit gab, in den Reichstag zu kommen. Dies stellte er bereits 1930 auch in seiner brillanten Analyse „Gesicht und Charakter der nationalsozialistischen Bewe- gung“1054 fest. In dem 1932 erschienenen Artikel „Die Republik von morgen“1055 be- klagte Mierendorff im Wahlkampf neben anderen die verfassungsrechtlichen Fehler- quellen, wobei er jedoch betonte, dass damit keineswegs „Wesensmerkmale der Demo- kratie und des Parlamentarismus“ angegriffen werden sollten: „groteske Fehler bei der Führerauslese“, „Erstarrung des politischen Lebens in bureaukratischen Organisations- betrieb“, Wahlreform wegen „starre[m] Listenwahlsystem“, notwendige „Reichsre- form“. Mierendorff stellte 1932 die Frage „Wäre es nicht besser gewesen, vorbeugend einzugreifen, durch eine Verfassungsreform die Demokratie weiter zu entwickeln und damit die Weimarer Verfassung überhaupt erst aktions- und lebensfähig zu ma- chen?“1056

Leber sah schon 1927 im Verhältniswahlsystem ebenfalls etwas „Hemmendes“:

Es verhindert mit Beharrlichkeit große Verschiebungen und Veränderungen im gegenseiti- gen Stärkeverhältnis der wichtigen Parteien. Und es ermöglicht kleinen Splittergruppen Unzufriedener oder an einer Sonderfrage Interessierter, ihre eigene Partei zu gründen und eine entsprechende Vertretung im Reichstag zu erringen. […] Die Weimarer Verfassung

1051 Leber, Todesursachen 1976, S. 179-246. 1052 Leber, Verbot 1952, S. 185-247. 1053 Mierendorff, Carlo: „Nach 14 Jahren. Heidelberg 1918 und 1932.“ AdsD, Signatur 260, S. 10 f. 1054 Mierendorff, Gesicht und Charakter 1930b, S. 489-504. 1055 Mierendorff, Republik von morgen 1932b, S. 738-44. 1056 Mierendorff, Republik von morgen 1932b, S. 742. 187 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

hat uns ein Regierungssystem nach westeuropäischem Muster geschenkt. Aber sie hat dazu ein Wahlrecht geschaffen, das nicht zu diesem System passt.1057 Diese Ablehnung des Verhältniswahlrechtes führte zu einer auch bei anderen Kreisau- ern festzustellenden Skepsis gegenüber Parteien, die konsequenterweise zu Neuord- nungsplänen führte, die sich stärker an dem Gedanken der „kleinen Gemeinschaften“ orientierten als an einer repräsentativen Parteiendemokratie. Hornung weist 1956 darauf hin, dass die Kreisauer Reformpläne unter dem Eindruck der Schwächen des parlamen- tarischen Parteienstaates Weimarer Prägung, der als Massenstaat ohne klare Verant- wortlichkeiten unter dem Gesetz des dialektischen Umschlags in die Massendiktatur gestanden habe, entstanden seien und dass es den Kreisauern deshalb um die Überwin- dung dieser Massendemokratie durch einen demokratischen Staats- und Gesellschafts- aufbau von unten, von „überschaubaren Kreisen“ aus, ging. Die Selbstverwaltung auf allen Stufen sollte damit eine Auslese- und Erziehungsfunktion übernehmen, die die „modernen“ Parteien nur sehr mangelhaft erfüllten.1058 Die von den Kreisauern vorge- legten Neuordnungspläne knüpften an die vom Nationalsozialismus geschaffene Lage insoweit an, als sie die mit dem modernen parlamentarischen System notwendig ver- bundene verantwortliche Mitwirkung von Parteien an der politischen Willensbildung nicht anstrebten. Die politischen Parteien wurden vorwiegend „als partikulare, die Ein- heit von Staat und ‚Gemeinschaft’ bedrohende Kräfte ohne innere Verbindung zum Volk und ohne demokratische Legitimation“1059 angesehen. Steltzer verteidigte noch 1949 diesen indirekten Wahlgedanken, wenn er schrieb: „Nur ein solcher Aufbau1060 sichert die Demokratie vor den Machtansprüchen zentralistischer Parteien, die die Su- prematie über den Staat verlangen und dadurch den Aufbau eines gesunden Staates un- möglich machen.“1061 Hans Peters stellte jedoch 1961 fest, dass die Kreisauer im Gegensatz zu Goerdeler, der nur die drei stärksten Parteien bei relativer Mehrheitswahl zum Zuge kommen lassen wollte, keine unmittelbare Beschränkung des Parteiwesens, abgesehen von der NSDAP, angedacht hatten; gleichzeitig betonte Peters, dass das vor- geschlagene indirekte Wahlrecht nach Ansicht der Kreisauer die stärksten Auswüchse des Parteiensystems beseitigen würde.1062

1057 Leber, Weg 1952, S. 104 f. 1058 Hornung, Die Reformpläne des Kreisauer Kreises 1956, S. 735. 1059 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 146. 1060 Parlamente der Kreise und Städte wählen die Abgeordneten zu den Landtagen, diese in gleicher Wei- se den Bundestag; siehe: Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 112. 1061 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949; siehe S. 129 f, wo Steltzer befürchtet, dass bei einem zentralis- tischen Listenwahlrecht die stärkste Parteibürokratie unschwer die ausschlaggebende Macht im Staate erreichen und dies zu einem neuen Parteientotalitarismus führen könne. 1062 Peters, Verwaltungsreformbestrebungen 1959, S. 14. 188 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

In der Tat zielt die Kritik an den Kreisauer Reformplänen, vor allem die von Hans Mommsen, in erster Linie auf das indirekte Wahl- und Delegationsprinzip ab. Statt, wie angestrebt, zentralistischen Tendenzen entgegenzuwirken und das Wachsen der Demo- kratie von unten zu fördern, könnte dieses System mit dem Fehlen einer direkten Bezie- hung zwischen Wählerschaft und Reichs- und Landesebene doch allzu leicht gerade das Gegenteil bewirken und eine Entfremdung zwischen den verschiedenen Ebenen hervor- rufen, die lebendige Teilnahme des Einzelnen an der Regierungspolitik eher verhindern und damit die Zentralgewalt noch mehr als bisher verselbstständigen. Dadurch ergäbe sich eine Führungselite ohne Bindung nach unten, woraus eine schwache Stellung der Parlamente resultiere, wobei die Landes- und Reichsverweser mit Machtfülle und außerordentlicher Autorität und langen Regierungszeiten ausgestattet seien. Aus heuti- ger Sicht sei dies geradezu als illiberales Element anzusehen.1063

Haubach legte 1931 eine positive Verfassungskritik vor, in der er die Schwächen der „gegenwärtigen Verfassungskonstruktion“ aufzeigte, die „weder eine klare parlamenta- rische Gewalt, noch eine klare präsidentielle Gewalt“ aufkommen lasse und „die bei dem jederzeit möglichen Konflikt zwischen beiden Organen verfassungsrechtlich und politisch ein Chaos“1064 herbeiführen könne. Haubach machte im Detail in einer klaren Analyse auf eine Reihe von Fehlerquellen der Verfassung aufmerksam, im Kontext der Arbeit ist jedoch die Haltung Haubachs zur Weimarer Verfassung bemerkenswert. „Al- les das an scharfer, vielleicht auch bitterer, Kritik musste einmal gesagt werden, damit in den jetzigen Kämpfen für die Rettung des Staates und der Freiheit die republikani- schen Massen wissen, daß sie nicht umsonst und nicht ziellos kämpfen.“1065 Er sprach von „Leib und Leben“, die für die Verfassung aufs Spiel zu setzen seien, und davon, dass Kritik nicht aus Abneigung entstehe, sondern aus „bitterheißer Liebe zu eben die- sem Staate, den wir um der ganzen Nation willen vor Vernichtung schützen, und zur wirklichen Blüte, Macht und Größe durchringen müssen.“1066 Ein solch bedingungslo- ses Bekenntnis zur Weimarer Republik, das sogar das Leben einsetzt, ist wohl nicht zu übertreffen.

Allen drei Sozialdemokraten war auch ihr frühzeitiges Erkennen der Gefährlichkeit des Nationalsozialismus und die Bereitschaft zum Kampf gegen diese Partei gemeinsam. Mierendorff publizierte im Juni 1930 die bereits erwähnte wählersoziologische Studie

1063 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 146 ff.; Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 103. 1064 Haubach, Positive Verfassungskritik 1930/31, S. 633. 1065 Haubach, Positive Verfassungskritik 1930/31, S. 639. 1066 Haubach, Positive Verfassungskritik 1930/31, S. 639. 189 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung zu „Gesicht und Charakter der nationalsozialistischen Bewegung“1067 und klassifizierte darin die Hitler-Bewegung als eine dynamisch-faschistische Massenbewegung. Er er- kannte den Charakter der nationalsozialistischen Agitation und die wesentlichen ideolo- gischen Elemente und diagnostizierte eine „chemisch geglückte Verbindung zwischen Rassenressentiment und dem Ressentiment der sozialen Lage, zwischen ökonomischen Einzelinteressen und elementaren Hassgefühlen verschiedenster Art“1068, mit der die Nationalsozialisten eine hohe Durchschlagskraft erzielt hätten. Wie Mierendorff kämpf- te auch Haubach in unzähligen Versammlungen und Artikeln gegen die heraufziehende Gefahr des Nationalsozialismus und bezahlte dafür wie Mierendorff nach dem 30. Januar 1933 mit langjähriger Verfolgung. Haubachs Kampf gegen den Nationalso- zialismus dokumentiert sich auch in seiner führenden Tätigkeit im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold1069 und in der Republikschutzorganisation Eiserne Front1070 als Gegenposition zur Harzburger Front. Leber machte die Feinde der Republik schon beim dritten Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages 1922 aus, den die „natio- nalen Verbände“ dazu auserkoren hatten, in ganz Deutschland große Kundgebungen gegen die „Kriegsschuldlüge“ zu veranstalten. Er schrieb dazu:

Wer kennt nicht diese nationalen Verbände, wer kennt nicht ihre wahre Gesinnung und ihre wahren Absichten. Unter dem schwarz-weiß-roten Banner der Todfeindschaft gegen das arbeitende Volk, gegen die Republik und gegen jede Demokratie wühlen und hetzen sie ge- heim und offen für die Rückkehr der alten Zustände. Jedes Mittel ist ihnen recht: Lüge, Verleumdung, Dolch, Gewalttat und Meuchelmord.1071 Die Versöhnungsbereitschaft und das Bekenntnis zu einer europäischen Ordnung finden sich ebenfalls bei allen drei Sozialisten, was sie auch mit den anderen Kreisauern ver- gemeinschaftete.

In dem schon erwähnten, 1932 erschienenen Artikel „Die Republik von morgen“1072 beklagte Mierendorff im Wahlkampf neben anderen die außenpolitischen Fehlerquellen: Man scheute sich, so Mierendorff, nach dem Krieg „die kontinentale Einheit anzu- erkennen und entschlossen die einzig sinnvolle Linie einer deutsch-französischen Euro- papolitik einzuschlagen, um die nach der Machtentscheidung im Weltkrieg nicht mehr revidierbaren Fakta so rasch wie möglich auf die höhere Ebene einer europäischen Neu- ordnung zu projizieren.“ Mierendorff wendet sich gegen die Auffassung, „Deutschland

1067 Mierendorff, Gesicht und Charakter 1930b, S. 489-504. 1068 Mierendorff, Gesicht und Charakter 1930b, S. 494. 1069 Rohe, Das Reichsbanner 1966. 1070 Albrecht, Der militante Sozialdemokrat 1987, S. 122. 1071 Leber, Weg 1952, S. 24 f. 1072 Mierendorff, Republik von morgen 1932b. 190 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung hätte die Möglichkeit zwischen der kontinentaleuropäischen Orientierung an der Seite Frankreichs oder der angelsächsischen im Gegensatz zu Frankreich zu wählen.“ „Es sei wiederholt“, so Mierendorff weiter, „Deutschland hat keine Wahl, sondern nur eine Aufgabe, und die heißt: Europa.“1073 Haubach plädierte für die vorbehaltlose Anerken- nung der territorialen Grenzen und wandte sich 1932 gegen „die von patriotischen Illu- sionen verqualmten Köpfe des unbelehrbaren deutschen Bürgertums“, das meinte, „oh- ne Rücksicht auf Konferenzen und Verträge“1074 Grenzziehungen und Rüstungsbe- schränkungen ignorieren zu können. Eine funktionierende Achse Paris-Berlin allein könne nicht eine friedliche europäische Zukunft garantieren, die polnischen Interessen müssten mitberücksichtigt werden. Er forderte anlässlich der Genfer Abrüstungskonfe- renz, die im Februar 1932 begonnen hatte, von der deutschen Regierung die Entwick- lung eines inhaltlich klaren „Europaprogrammes“, das dem eigenen Sicherheitsbedürf- nis wie dem der Nachbarn Rechnung trage.1075 Der Elsässer Leber, der sich nach dem Krieg für Deutschland entschied, war immer für eine deutsch-französische Aussöhnung. Selbst nach der Ruhrbesetzung durch Frankreich, die er gegen jedes Recht sah, kam er zu der Erkenntnis: „Bei nüchterner Betrachtung bleibt ein anderer Ausweg überhaupt nicht offen. Deutschlands Weg ins Freie wird noch durch manch schweres Jahr führen. Aber einmal muß der Anfang gemacht werden. Und dieser Anfang führt nur über die Verständigung mit Frankreich.“1076 Zu Europapolitik notierte Leber im Dezember 1925:

Europa muß nach und nach eine wirtschaftliche Einheit werden. Es muß die chinesischen Mauern der Zölle und der Grenzschwierigkeiten niederwerfen. Der kleinliche Nationalis- mus der 30 oder 40 europäischen Staaten gehört in die Gerümpelkammer. Europa wird in den nächsten Jahrzehnten um seine wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen. Nur als Ein- heit hat es Aussicht, sich zu behaupten.1077. In seinem Artikel „Das europäische Schicksal. Zur Geschichte der deutsch- französischen Feindschaft“ postulierte Leber 1927: „Jede europäische Kultur von Be- deutung wird in ihrem Fundament eine Synthese sein, ein Ausgleich zwischen französi- schem und deutschem Geisteswesen.“1078

Den „militanten“ Sozialdemokraten kann ein eindeutiges, kämpferisches Bekenntnis zur Demokratie und Republik bescheinigt werden. Mierendorff bekannte sich in seiner 1922

1073 Mierendorff, Republik von morgen 1932b, S. 740. 1074 Haubach, Ein neuer Abschnitt deutscher Außenpolitik 1932, S. 637. 1075 Haubach, Abrüstung und Sicherheit 1932, S. 185. 1076 Leber, Weg 1952, Notiz 15.08.1924. S. 36. 1077 Leber, Weg 1952, Notiz 21.12.1925. S. 46. 1078 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, Notiz 31.05.1927. S. 86. 191 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung erschienenen Broschüre „Arisches Kaisertum oder Juden-Republik“1079 deutlich zum „demokratisch-republikanischen Gedanken“. In dieser Broschüre gegen die „gemeinge- fährliche Hetz“ der deutsch-völkischen Partei und ihrer „Mord- und Totschlagspropa- ganda“, die – so Mierendorff – nicht nur gegen die Juden, sondern auch gegen die „Be- kenner des demokratisch-republikanischen Gedankens“ ging1080, setzte sich Mierendorff offensiv und polemisch mit dem traditionellen, gerade in der deutschen Studenten- und Akademikerschaft weitverbreiteten und gepflegten völkischen Antisemitismus1081, aus- einander.

In diesem Zusammenhang sind auch die 1931 initiierte Veröffentlichung der berühmten „Boxheimer Dokumente“, die die terroristischen Absichten der Nationalsozialisten nach der Machtübernahme belegten, und seine mutige Reichstagsrede zu nennen. Im Mittel- punkt der Rede am 06. Februar 1931 vor dem Reichstag stand die Abrechnung mit der Behauptung der Nationalsozialisten, das neue System habe das deutsche Volk in den Abgrund gestürzt. Der Höhepunkt der Rede bestand in der Frage Mierendorffs: „Fragen Sie mal Herrn Goebbels nach seinem EK I. […] Wir werden für unser Ideal kämpfen und werden dafür zu kämpfen wissen als alte Frontsoldaten.“1082 Damit hatte sich Mie- rendorff bei seinen Gegnern besonders verhasst gemacht. Sie nahmen grausame Ra- che.1083

Haubachs Bekenntnis zur Republik wird neben vielen Publikationen eindrucksvoll durch seine führende Tätigkeit in dem parteiübergreifenden Reichsbanner Schwarz-Rot- Gold, das 1924 mit dem Ziel, die junge Republik gegen Attacken zu schützen und sie nachhaltig zu stabilisieren1084, gegründet worden war, bestätigt. Die rückhaltlose Unter- stützung der Republik durch Haubach wird auch in einem seiner Nachrufe hervorgeho- ben:

Wir, die jüngere Generation, die wir uns nach dem Zusammenbruch des kaiserlichen Deutschlands im Jahre 1918 mit innerer Leidenschaft der Politik ergeben hatten, wir fühl- ten die Berufung und die Verpflichtung, ein Haus echter Demokratie mitbauen zu helfen. Die SPD, die Partei der sozialistischen Demokraten, war für uns alle der Hauptpfeiler dieser demokratischen Republik, die wir mit sozialem Inhalt erfüllen und mit lebendiger Anteil- nahme des Volkes ausbauen wollten und der wir unsere Kräfte widmeten.1085

1079 Mierendorff, Arisches Kaisertum 1922, S. 6 1080 Mierendorff, Arisches Kaisertum 1922, S. 6 1081 Leisen, völkischen Gedankens in der Studentenschaft 1964, S. 303.; zusammenfassend Winkler, Die deutsche Gesellschaft 1982, S. 271-289. 1082 Stampfer, „Trommelfeuer gegen rechts“ 1931, S. 1. 1083 Kopitzsch, Mierendorff 1984, S. 184. 1084 Rohe, Das Reichsbanner 1966, S. 30 f. 1085 Hirschfeld, Haubach 1955, S. 37. 192 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Lebers zahlreiche Bekenntnisse zur Republik lassen sich in seinen Schriften und Reden nachweisen. 1921 forderte er von einer „Koalition von Herrmann Müller bis Strese- mann“ die „Anerkennung des jetzigen Zustandes und sein[en] organische[n] Aufbau, d. h. allseitiges vorbehaltloses Eintreten für die Republik und ihre Verfassung“1086. 1930 sagte er auf einer Reichsbannerkundgebung:

Die Arbeiterklasse weiß, was auf dem Spiel steht und worum der Kampf geht. Ohne De- mokratie gibt es kein Arbeiterrecht. Faschismus bedeutet Diktatur einiger weniger über die armen Teufel, bedeutet Klassenvorherrschaft der Besitzenden. Daher sind wir kampfbereit und wir werden kämpfen gegen die nationalsozialistischen Betrüger, um die Freiheit des schaffenden Volkes.1087 Wenn man nun versucht, diese „militanten“ Sozialdemokraten dem Deutungsmuster des „Vernunftsrepublikanismus“ im Sinne Meineckes zu unterwerfen, muss man feststellen, dass sie mehr waren als Vernunftsrepublikaner, sie waren vehemente Verteidiger der Republik, die versuchten, das innere Erlebnis des Weltkrieges umzusetzen in eine Neu- ordnung der Dinge in der Zukunft. Diese Einordnung ist umso treffender, wenn Leber in seinen „Gedanken zum Verbot der deutschen Sozialdemokratie“ mit Verachtung von „ruhebedürftigen Vernunftsrepublikaner[n]“1088 sprach, als die Wogen der Empörung nach dem Rathenaumord keinen neuen Aufbruch hervorbrachten. Die militanten Sozial- demokraten hatten „das Selbstbewusstsein jener Sozialdemokraten, die im demokratisch legitimierten republikanischen Staat nicht mehr ein Unterdrückungsorgan, sondern ein Veränderungsinstrument erblickten“1089.

Es bleibt noch anzumerken, dass wie beim Kreisauer Kreis insgesamt auch bei den „mi- litanten“ Sozialdemokraten, zu denen auch Kurt Schumacher1090 gezählt wurde, von einer Dekonstruktion der vermeintlichen Gruppe gesprochen werden kann. Leber be- zeichnete, als er in den schon mehrfach erwähnten „Gedanken zum Verbot der deut- schen Sozialdemokratie“ die jüngeren Sozialdemokraten einzeln betrachtete, Schuma- cher als einen „verbissenen Kaffeehausmarxisten“ und den „junge[n] Darmstädter Dr. Mierendorff, durch hohe Protektion erst in der Fraktion gewaltig lanciert, dann aber aus unbekannten Gründen völlig kaltgestellt.“1091

1086 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, Notiz 16.04.1921. S. 17. 1087 Leber, Weg 1952, Notiz 20.10.1939. S. 71. 1088 Leber, Verbot 1952, S. 206. 1089 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 18. 1090 Beck, Zum Selbstverständnis der „militanten Sozialisten“ 1986, S. 87-123. 1091 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 233 f. 193 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

3.2.3.2 Reichwein und Trott

In Reichwein begegnen wir einem Sozialdemokraten, der sich von den „Militanten“ grundsätzlich in seinen Motiven zum Eintritt in die SPD, seinen politischen Zielen, sei- nem Verhältnis zu seiner Partei, zum Nationalsozialismus und zur Weimarer Republik unterscheidet. Umso wichtiger ist es, die Komponenten herauszufinden, die ihn trotz- dem mit den anderen Sozialisten des Kreisauer Kreises vergemeinschaften.

Reichwein dürfte wohl schon durch seinen sozialistisch gesinnten und mit der aufstei- genden Sozialdemokratie sympathisierenden Vater Karl Reichwein, der sich durch die restriktiven preußischen Schulerlasse in seiner pädagogischen Arbeit an der Volksschu- le in Bad Ems zunehmend reglementiert gesehen hatte, beeinflusst worden sein.1092 Schon 1917 drückte Reichwein in einem Feldpostbrief an seinen Vater die besondere Verantwortung der Kriegsgeneration am Neubau der Gesellschaft, ihre spezielle Erfah- rungen und ihre schöpferischen Kräfte bei der politischen und kulturellen Neugestaltung der Nachkriegszeit einzubringen, aus, als er schrieb: „Meiner Ansicht nach […] gibt es eine geistige Garde, die eine hohe heilige Verantwortung für die Menschheit auf dem Gewissen hat. Jeder Wissende hat die Pflicht, dieser Verantwortung gerecht zu wer- den.“1093 Aber im Gegensatz zu Mierendorff, der aus seinem „pazifistisch- sozialistischen Kriegserlebnis“1094 direkt in der SPD aktiv wurde, „wählt der Pazifist und demokratische Sozialist Reichwein – vom pädagogischen Impuls der Jugendbewe- gung angetrieben – den Weg über die Erziehung zur gesellschaftlichen Erneuerung und geht in die politische Erwachsenenbildungsarbeit“1095. Im Brief an Curtius schrieb er noch 1931: „Meine Freunde wollen mich in die Politik drängen. Aber ich will nicht; vielleicht richtiger: noch nicht. Heute wird alles zerstampft, was sich dort aufhält.“1096 Hier wird auch seine Skepsis gegenüber Parteien im Allgemeinen deutlich, die ihn in seinem Bekenntnis zur Weimarer Republik beeinflusste. In seiner Thüringer Periode näherte sich Reichwein jedoch den Sozialdemokraten. Er trat im Oktober 1930 in die SPD ein, wohl nicht zuletzt deshalb, weil er erkannte, dass die von ihm nachdrücklich betriebene Arbeiterbildung ohne einen Rückhalt in der Organisation nicht hinreichend glaubwürdig war1097, so wenig er sie auch wegen des weitgehenden Immobilismus der

1092 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 29. 1093 Feldpostbrief Reichweins an seinen Vater, 28.06.1917; in: Henderson, Reichwein 1958, S. 32. 1094 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 115. 1095 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 115. 1096 Reichwein, Adolf: Brief an Ernst Robert Curtius, 28.11.1931; in: LBDII S. 116. 1097 Reichwein, Adolf: Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung, 10.06.1933; in: LBDII S. 261. 194 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Partei zu akzeptieren vermochte.1098 Reichwein war auch alarmiert durch den Ausgang der Septemberwahlen 1930, bei denen die NSDAP erstmals durch breiten Zustrom bür- gerlicher Wähler zu einer Massenbewegung angewachsen war. In der SPD sah Reich- wein trotz aller Vorbehalte gegen die Erstarrung der Partei das einzige realistische poli- tische Gegengewicht zu der aufsteigenden nationalistisch-völkischen Bewegung.1099 1928 hatte Reichwein in einer öffentlichen Diskussion noch auf die Frage zu seiner per- sönlichen Stellung zum Sozialismus geantwortet: „Ich werde mich an der Peripherie des Sozialismus als Freibeuter ansiedeln.“1100 Sozialismus bedeutete für ihn geistige Frei- heit und soziale Gerechtigkeit, verwirklicht in einer politischen, sozialen Ökonomie, die sich an der Idee der Menschenwürde maß. „Sache des Menschen ist“, schrieb er 1929, „den heute noch chaotisch wirbelnden Strom der Produktion nach den Gesetzen der Menschenwürde und Gerechtigkeit zu bändigen.“1101 Diese Ideen sah Reichwein ehes- tens in dem Gildensozialismus verwirklicht1102 Er sprach den Kooperationsgedanken als „Ordnungsprinzip der ökonomisch notwendigen gesellschaftlichen Arbeit“1103 und die Gilden als Lebensgemeinschaften in Form von Werksiedlungen an. „Ein wesentliches Element“ des Gildegedankens sei es, so Reichwein, „daß Unternehmer- und Arbeitneh- merfunktionen als scharf getrennte Bereiche grundsätzlich beseitigt und wieder ver- einigt werden in der höheren Einheit gemeinsamer, gleicher Verantwortung am Be- trieb.“1104 Hier klingt sehr stark der von Moltke später vertretene Gedanke der Betriebs- gewerkschaft an, der dann zum Gewerkschaftsstreit mit Leuschner führte. Auch Reich- wein hielt mit Kritik an der SPD nicht hinter dem Berg und blieb in kritischer Distanz zur Partei. In seinen Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung sprach Reichwein von „vielfachen Hemmungen“1105, in die SPD einzutreten. Nach dem Eintritt habe er, so Reichwein, nur Dinge getan, die „meiner Anschauung entsprachen und häufig genug der offiziellen Parteimeinung zuwiderliefen.“1106 Reichweins Stellung zur Weimarer Republik wird in dem sogenannten „Prerower Protokoll“1107, der Niederschrift über Vorträge und Diskussionen, die im Rahmen eines politischen Kurses mit dem Thema

1098 Boronski, Reichwein – Arbeiterbildung 1981, S. 81; vgl. Brief Reichweins an Bettina Israel, 02.12.1932; in: LBDII S. 117; siehe auch: Martiny, Dokumentation 1977, S. 378 ff. 1099 Amlung, Schwelle 2008, S. 15. 1100 Boronski, Reichwein – Arbeiterbildung 1981, S. 76. 1101 Reichwein, Jungarbeiter-Freizeit 1929, S. 28. 1102 Reichwein, Die Gilde 1978, S. 9-15. 1103 Klafki, Reichwein 2000, S. 33. 1104 Reichwein, Die Gilde 1978, S. 12. 1105 Reichwein, Selbstdarstellung 1999, S. 261. 1106 Reichwein, Selbstdarstellung 1999, S. 262. 1107 LBDII S. 421-424. 195 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

„Überwindung der politischen Krise“ vom 21. August bis 03. September 1932 in Pre- row auf der Halbinsel Darß stattfanden, deutlich. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Weimarer Republik allerdings schon in ihrer Endphase, die von Reichwein als Diktatur gedeutet wurde, welche sich ohne Legitimierung durch den Volkswillen auf die auctori- tas Hindenburgs und die potestas der Reichswehr gründete. Hier plädierte Reichwein für eine II. Republik, da es die I. Republik nicht verstanden habe, in einem geistigen Austausch im ganzen Volk einen Volkswillen zu bilden.1108 Ihm schwebte eine neue Volks- und Gesellschaftsordnung vor, der Sozialismus1109, getragen von SPD, KPD, NSDAP1110, da die „alten Fronten“ nicht mehr bestünden.1111 Diese neue Ordnung müs- se von einer „Eliteschicht von Vorbildlichen und Geladenen“, „durch politische Erzie- hung“ hergestellt, bewerkstelligt werden, „die das Ganze mitreißt.“1112 Diese Elite- schicht dürfe aber keine „privilegierte“, sondern müsse eine „dienende“ sein.1113 Hier kann man wieder einen Anklang an die Elite, hervorgegangen aus den „kleinen Ge- meinschaften“ Moltkes, herausspüren. Konkret spricht Reichwein von einer „Arbeits- kammer des deutschen Volkes“, „die ungestört von der Tagespolitik“ aufgrund des un- bedingten Vertrauens, das sie genießen muss, „aus zentraler Einsicht die Produktions- verteilung“ vornimmt. Über die Volksvertretung wird gesagt, sie müsse „ungefähr [sic!] entsprechend dem heutigen Reichstag“, die Reaktionen und Diskussionen des „lebendi- gen Volkskörpers“ „abhören“ [sic!], da der Reichstag der I. Republik gezeigt habe, dass er durch Diskussionen eine „Formungsaufgabe“ nicht gelöst habe und deshalb dem „neuen Reichstag“ das Recht der „alleinigen, letzten Entscheidung über den zentralen Wirtschaftsplan“ genommen werde.1114 Weitere Hinweise zu einer Verfassung gibt Reichwein nicht.1115 Dieses eindeutige Verlassen des Bodens der Weimarer Republik wird von dem Biographen Reichweins Amlung so nicht gesehen. Er schreibt, „die Poli- tik des Weimarer Staates“ sei „ganz wesentlich […] auf die Unterstützung der Erzie- hung angewiesen“ und von „dringendsten und vorrangigen Aufgaben seines [Reich- weins, A. d. V.] politisch-pädagogischen Engagements […]“, um „die Verankerung der

1108 LBDII S. 389. 1109 LBDII S. 388. 1110 Hier ist nur der sozialistische Strasserflügel gemeint; siehe LBDII S. 382. 1111 LBDII S. 391. 1112 LBDII S. 390. 1113 LBDII S. 390. 1114 LBDII S. 392. 1115 Hohmann setzt sich sehr kritisch mit dem Prerower Protokoll und Reichweins „Vorstellungen über die Abschaffung der Weimarer Republik“ auseinander; in: Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 55, S. 75-80. 196 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung demokratischen Staatsidee im politischen Denken und Handeln junger Menschen“1116 zu gründen. An anderer Stelle spricht Amlung von der zentralen Aufgabe „sozial und politisch aufgeschlossene[r] Pädagogen“, und hier schließt er Reichwein ausdrücklich mit ein, „eine die Republik tragende staatspolitische Gesinnung auf dem Felde der Er- ziehung zu erzeugen.“1117

Reichwein mag zunächst anders über die Weimarer Republik gedacht haben und seine Forderung nach einer II. Republik muss im zeitlichen Kontext gesehen werden; Weimar war die „ungeliebte Republik“.1118 An das Kreisauer Gedankengut war die Haltung Reichweins gleichwohl anschlussfähig. Seine Verhältnis zu den Weimarer Parteien, der Elitegedanke, sein Sozialismus, der die Menschenwürde in den Mittelpunkt stellte, der Kooperationsgedanke seines Gildensozialismus, seine Forderung nach einer gelenkten, sozialen Wirtschaft waren Gedanken, die im Rahmen der Neuordnungsdiskussion der Kreisauer heftig diskutiert wurden.

Auch Adam von Trott kann als Sozialist bezeichnet werden, ohne allerdings je in die SPD eingetreten zu sein. Er wählte sie 1932 und gab sich gegenüber dem deutschen Exilanten Willy Brandt bei einer seiner „Undercover“-Skandinavienreisen 1944 als „SPD-Wähler“ zu erkennen, ohne mit allen „Eigenheiten“ der Partei „identifiziert sein zu wollen“1119. Trott suchte schon als Student in Berlin 1930 den Kontakt zur Arbeiter- schicht und wurde von seinem Freund Gaidies, den er auf einer Konferenz in Liverpool kennengelernt hatte und der aktiver Sozialdemokrat war, in linke Zirkel eingeführt und zu politischen Veranstaltungen mitgenommen.1120 Darüber gibt es fragmentarische Auf- zeichnungen Trotts, wo er sich zur Betriebspolitik mit der Zielsetzung der Humanisie- rung von Betrieben wie der Schaffung erträglicher Arbeitsbedingungen und rechtlich garantierter Arbeitsverhältnisse äußerte.1121 Als Trott 1932 SPD wählte, rief das die Besorgnis seines Vaters hervor. Er dürfe sich nicht wundern, so der Vater, „in den Krei- sen, ‚die wir die unsrigen zu nennen gewohnt sind’ auf Spott und Feindschaft [zu] sto- ßen, beim Vertreten dieser politischen Überzeugungen.“ Die Sozialdemokraten, so der besorgte Vater weiter, hätten in den vergangenen zwölf Jahren wenig zur Staatsbildung bewiesen, eine Revision des verschwommenen Naziprogramms durch vernünftige Poli-

1116 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 115. 1117 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 104. 1118 Siehe Michalka, Die ungeliebte Republik 1992. 1119 Brandt, Erinnerungen 1989, S. 136. 1120 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 133; Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 47. 1121 Trott, Adam von: „Die Auseinandersetzung mit …“ BA NL Trott, N 1416-1. 197 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung tiker schiene mehr zu versprechen.1122 Trott ließ sich aber auch durch den geliebten Va- ter nicht beirren und antwortete: „[…] eine kleinliche Rücksicht auf die Wirkung des- sen, was ich sage, würde ich für höchst unerfreulich und für mich in einem schlimmeren Sinne schädlich halten als Freimütigkeit, die schlimmstenfalls Torheit ist.“1123 In Brie- fen an seinen Oxforder Freund Alfred Leslie Rowse bekannte sich Trott grundsätzlich zur Weimarer Republik und, trotz der väterlichen Mahnung, zur Sozialdemokratie: „The social democratic party has happily struck me.“1124 In dem Brief vom Februar 19311125 stellte er politischen Radikalismus gegen die Weimarer Republik fest, wenn er schrieb: „It works steadily against the solid upbuilding of an organic constitutional life on the grounds of Weimar 1919.“ Er kritisierte in diesem Brief die SPD, auch wenn er sie grundsätzlich bejahte: „The socialdemocratic party itself – which to my mind funda- mentally contains the principles on which we have to go – finds itself in the crises of loosing its roots in the youth.“ Über die Parteiführung urteilte er, „the middle-high lead- ers are absolutely no good and at the top only few seem to keep their heads.” Er kritis- ierte weiterhin das Weimarer Parteiensystem mit den Worten: „Our party system is a picture either of stagnation and wildness or crude persecution of egoistic economic in- terest. If the latter were clear and brave in the left parties everything would be better and decision easy.” Eine Veränderung der Situation könne am ehesten von „strong men of the mind” kommen, die seien jedoch „silent and scattered all over the country”.1126 Neben der bei den meisten Kreisauern aufscheinenden Kritik an den egoistischen Par- teien ist hier bei Trott noch eine Art Führersehnsucht festzustellen. 1932 besuchte Trott eine sozialistische Tagung in Bernau und stellte eine „clear representation of a growing split between the young and activist elements“ fest. Er beklagte weiterhin „the hopeless specialisation and separation of the expert intellectuals and clumsy politicians”, die die „Personalpolitik“ der Partei kontrollierten. Für Trott war klar, „that the SPD has no pol- icy at present to defend constitutional rights against Facism and [only waits] until the economical situation gets better.” Trott zweifelte, dass es der SPD gelingen würde, den sozialistischen Gedanken zu verbreiten, dies traute er jedoch der „Eisernen Front” zu, „which is not strictly speaking a party organisation and set up mainly as a defensive organisation against fascism may prove a much better platform“.1127 In einem weiteren

1122 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 49. 1123 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 50. 1124 Brief von Trott an Rowse, Berlin 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1125 Brief von Trott an Rowse, St. Andreasberg 10.02.1931. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1126 Brief von Trott an Rowse, St. Andreasberg 10.02.1931. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1127 Brief von Trott an Rowse, Berlin 06.08.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 198 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Brief vom 26. September 1932 an seinen englischen Freund ließ sich Trott über den „Hitlerism“1128 in Deutschland aus, den er aber zu diesem Zeitpunkt im Schwinden be- griffen sah („more and more paralysed“), und auf dessen „capacity of terrorising voters“ und sein „radical claim for power“ er abhob. Für die Zukunft befürchtete er eine „pseudo-feudalized class of bourgois capitalists under the slogan of ‚Ruhe, Sicherheit und Ordnung’ to reastablish a powerfull political framework for their desired economic system, i. e. the authoritarian, military nation state.” Trott unterstellte eine Fortdauer der Regierung Papen und sah die Wende zu einem autoritären Staat. Die Schuld an dieser Entwicklung sah Trott auch bei den „morally“ „discredit[ed]“ SPD-Führern und deren Bürokratismus. Hoffnung schöpfte er bei „young functianaries“, die gegen die „oligar- chy on the top“ kandidieren wollten. Für unsere Betrachtung ist noch wichtig, dass Trott gegenüber Rowse das Fehlschlagen der Weimarer Verfassung („failure to establish the Weimar constitution“), die er als eine „economic and social impossibility“ ansah, kon- statierte. Eine weitere Aussage, die sich auch gegen seine eigene Klasse richtete, ist charakteristisch für Trotts gesellschaftspolitische Haltung. Er bedauerte, dass im Gegen- satz zu „Hitlers fame“ die anderen Kräfte wie „the trade unions, the socialist parties, the ‚’1129 and innumerous other organisations“ nicht die internationale Aufmerk- samkeit erhielten. Es sei wahr, dass deren Weg nicht ganz klar sei, aber sie wüssten, was sie nicht wollten. „They don’t want a bolstering up of bourgois capitalism through feudal and other mystical pretensions and they do not want war.“1130 Die Eiserne Front, „as the given instrument against Hitler“ und das Reichsbanner sah er als „a vitalizing mutual control and helpful exchange in actual responsibility“. Weiterhin sprach Trott von einer Gruppe junger Sozialisten und Gewerkschaftssekretäre, denen er sich ange- schlossen habe mit dem Ziel, nützliche Dienste zu leisten, „through preparing the way for a thouroughgoing and sound criticism of institutions, generally and in particular

1128 Die folgenden Zitate beziehen sich auf Trotts Brief an Rowse vom 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1129 Die Eiserne Front beschreibt Trott geradezu hymnisch: „The ‚Iron Front’ [only we [Germans; A. d. V.] could invent such a name! […]] by the way is a most significant formation. Set up (against of influen- tial SPD leaders) as an antifascist organisation to fight for the fundamental rights of the citizen – a tre- mendous revival of ‘liberty’ ideology as opposed to force and ‘Herrenmoral’ – it made an enormous ap- peal to the townee especially who began to feel an emotional inferiority to the Nazis. It now forms a very militant platform for energetic socialists and especially for those who wait for an opportunity to express criticism of the party. Attempts to dissolve this organisation after it has done its duty in the last elections – failed through resistance of ranks and leaders who had founded it spontaneously and denied the author- ity of the party to dissolve it”; in: Brief von Trott an Rowse, Berlin 06.08.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection, S. 4. 1130 Brief von Trott an Rowse, Berlin 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 199 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung from a socialist point of view.“1131 Trotts europäischer Gedankenansatz wird in der Be- sprechung des Buches1132 seines Freundes Rowse „Junger Sozialismus in England“ deutlich, wenn er dort die von Rowse geforderte „Notwendigkeit einer europäischen und weltpolitischen Besinnung der jüngeren Generation“ hervorhebt. Sein grundsätzli- ches Bekenntnis zur Weimarer Republik, obwohl er deren Scheitern Ende 1932 fest- stellte, wird auch in seiner Rede am 11. November 1932 in Oxford, dem Remembrance Day, an dem im britischen Empire der Kriegstoten des Ersten Weltkrieg gedacht wird, deutlich. In dieser Rede „Germany at Peace“1133 schilderte er vor englischem Publikum die einzelnen Stufen der schwierigen Nachkriegsentwicklung Deutschlands, hob das Wirken Stresemanns und Brünings für eine Lösung der Reparationsfrage hervor und plädierte bezüglich der Genfer Abrüstungskonferenz für militärische Gleichberechti- gung. Er warb auch für gegenseitiges Vertrauen als notwendige Voraussetzung für eine Wiederbelebung des internationalen Handelns, das inneren und äußeren Frieden beför- dern könne.1134

Fasst man Trotts gesellschaftspolitische Haltung am Vorabend des Dritten Reiches zu- sammen, so kann man feststellen, dass er ein Sozialist war, der zwar Vorbehalte gegen diese Partei hatte und auch nie Mitglied war, der aber fest auf den Sozialismus als ge- sellschaftspolitische Kraft zur Überwindung der „nationalistic reaction“1135 setzte, auch gegen seine eigene Klasse. Er war Europäer und Republikaner, aber er sah auch Ende 1932 das Scheitern der Weimarer Verfassung. Seine klare Haltung gegen den Pseudo- Feudalismus1136 ließ ihn der Monarchie nicht nachtrauern. So war er kein Vernunftsre- publikaner, sondern ein „Herzensrepublikaner“. In all diesen Punkten wurde Trott an- schlussfähig an die Kreisauer Planungsarbeit.

3.2.3.3 Einsiedel, Trotha, Haeften

Einsiedel und Trotha waren ebenfalls beide Sozialisten. Einsiedel trat 1930 in die SPD ein1137 und war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Er hatte starkes Inte- resse an den planwirtschaftlichen Ideen in Sowjetrussland, ohne Anhänger des politi-

1131 Brief von Trott an Rowse, Berlin 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1132 Trott, Junger Sozialismus in England 1933, S. 106-107 und BA, N 1416-1, Trott, Adam von: Buchbe- sprechung von A. L. Rowse: Politics and the younger generation, Faber & Faber, London 1931, 1933. 1133 Trotts Redemanuskript „Germany at peace“ anläßlich des “Remembrance Day”. BA NL Trott, N 1461-1. 1134 Trotts Redemanuskript „Germany at peace“ anläßlich des “Remembrance Day”. BA NL Trott, N 1461-1. 1135 Brief von Trott an Rowse, Berlin 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1136 Brief von Trott an Rowse, Berlin 26.09.1932. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1137 Bauch, Botho: „Horst von Einsiedel: geb. 1905 in Dresden …“. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 200 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung schen Kommunismus zu sein.1138 Nach eigenen Angaben im Lebenslauf von 19451139 organisierte Einsiedel eine antifaschistische Gruppe in der Reichs-Chemieverwaltung. Von einem Parteieintritt Trothas in die SPD ist nichts bekannt, aber er arbeitete wäh- rend seiner Studentenzeit in der „Roten Studentengruppe“ mit.1140 In seiner Trauerrede betonte Gablentz, dass Trotha in der Erwachsenenbildung mithalf, „in den Bewegungen unseres Volkes“ zu versuchen, „den sozialistischen und den nationalpolitischen Pol zu verbinden.“1141 In einer Ausarbeitung über den christlichen Sozialismus versuchte Trot- ha, die Gegensätze der Klassen Arbeiter und Bürger durch die Sicherstellung eines auf- stiegsoffenen und verantwortlichen Arbeitsplatzes zu überwinden. Er postulierte:

Die Spaltung der Volksgemeinschaft in zwei einander bekämpfende Klassen kann nicht da- durch aufgehoben werden, dass man ihren Ernst leugnet, auch nicht dadurch, dass man den Klassenkampf bis zur Diktatur des Proletariats weiterführt, denn damit würde man die ge- gliederte Gemeinschaft aufheben und im Totalitätsanspruch der Klasse die Freiheit der Per- son verlieren. Sie kann nur dadurch überwunden werden, dem einzelnen Arbeiter – und je- der Bürger ist Arbeiter – zur Sicherheit eines Arbeitsplatzes, zu einem verantwortlichen Lebensbereich und zu einem Aufstieg gemäss seiner Reifung in den verschiedenen Alters- stufen zu verhelfen.1142 Beide Sozialisten waren Gegner des Nationalsozialismus, wirtschaftstheoretisch eher der Planwirtschaft zurechenbar, die mithilfe des christlichen Sozialismus Klassengegen- sätze überwinden wollten. Das bezeugt auch ihre Mitgliedschaft in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft.

Haeften war nach der Einschätzung seiner Frau Barbara Sozialist, aber nicht im Partei- sinn und ohne Parteibindung. Die gerechte Sozialordnung sei eines seiner Hauptanlie- gen gewesen. Die sozialistische Ordnung der kommenden Epoche stand für ihn außer Frage. Aus der Sicht der Lebenserinnerungen seiner Frau hätten die Parteien sich nur noch „über den Weg, die Methoden, das Tempo und, in den Randgebieten, über das Ausmaß des sozialistischen Umbaus zu bekämpfen und zu einigen gehabt“. Haeften, so seine Frau, „strebte einer genossenschaftlichen Form des Sozialismus mit weitgehender betrieblicher Selbstverwaltung zu.“1143 Persönlich und politisch wurde Haeften durch seinen Vater, den Generalmajor Dr. h. c. Hans von Haeften, von 1931 bis 1934 Präsi-

1138 Bauch, Botho: „Horst von Einsiedel: geb. 1905 in Dresden …“. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 1139 Einsiedel, Horst von: Lebenslauf, 1207.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1140 Moltke, Albrecht, Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen 1989, S. 45. 1141 Gablentz, Trauerrede für Trotha 1952, S. 3. 1142 Trotha, Carl Dietrich: „Christlicher Sozialismus“, niedergelegt am 18.12.1947. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8. Es kann nicht mehr festgestellt werden, ob diese Gedanken in dieser Form schon während der Kreisauer Zeit so bestanden oder ob bereits Nachkriegseinflüsse einflossen. Sie atmen aber den Geist des Memo- randums von Trotha und Einsiedel „Die Gestaltungsaufgaben in der Wirtschaft (Ende 1942)“; in: Bra- kelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 174-192. 1143 Haeften, Barbara „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 66. 201 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung dent des Reichsarchivs, und seinen väterlichen Freund Kurt Hahn, den Gründer und Leiter der Schule Schloß Salem, geprägt.1144 Über seinen Vater schrieb er nach dessen Tod 1937 an seinen Freund Krimm: „[…] eine edle Ausgeglichenheit und Einheit von Glauben und Weltoffenheit, Zucht und Liebe. Ich könnte mir keine schönere Verkörpe- rung dessen vorstellen, was das Ideal eines christlichen Ritters war.“1145 Kurt Hahn stand den „Jungkonservativen“ nahe und sein Verhältnis zur Weimarer Republik be- zeichnete Golo Mann als ambivalent, aber mit dem schweren Gewicht der Vernei- nung.1146 „Gegen das ‚System’ der Parteien, gegen Nazis und Zentrum“1147 stärkte Hahn „Papen, weil er den Staat nach dem Muster seiner Schule zu einem autoritären Rechts- staat als Antwort auf die ‚politischen Krisen’ umformen wollte.“1148 Barbara berichtete ihrem Mann am 04. März 1933 über einen Vortrag Hahns zum Thema „Die staatsbür- gerliche Erziehung und die politischen Krisen in Deutschland“, in dem Hahn ausführte, dass Salem keine Kreaturen für einen faschistischen Staat erziehen könne, sondern für „einen demokratischen(?) Rechtsstaat mit abgeänderter (wie: weißt Du) Weimarer Ver- fassung“ erziehe, „dessen Muster im Kleinen die Schule selbst verkörpern will.“1149 Haeftens Haltung zum Nationalsozialismus war klar und eindeutig. Am 17. März 1933, also kurz nach den letzten Reichstagswahlen, beklagte er in einem Brief an seine Frau, dass man nationalsozialistische Mörder frei laufen ließe, als ob Mord an politisch An- dersdenkenden jemals patriotisch sein könne. „Unnational im höchsten Maße; denn jede Rechtsbeugung und jeder Willkür und Terrorakt verletzt die Ehre und Würde der Na- tion.“1150 In einem Brief an Günther Hell machte Haeften seiner Empörung gegen „die- sen Hitler mit seiner Räuberhauptmanns-Moral“ Luft.1151

Haeften hatte den Boden der Weimarer Verfassung verlassen, er wollte eine „abgeän- derte“ Verfassung, und er mag wohl Hahns Vorstellung von einem autoritären Rechts- staat zur Bewältigung der Krisen geteilt haben. In jedem Fall war Haeften aus innerer, ethischer Überzeugung Gegner des Nationalsozialismus. Vernunftsrepublikaner war er jedenfalls gegen Ende der Weimarer Republik nicht mehr.

1144 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 86. 1145 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 58. 1146 Mann, Kurt Hahn 1966, S. 30 ff. 1147 Haeften, Briefe 1931-1944, 13.08.1932. S. 3. 1148 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 86. 1149 Haeften, Briefe 1931-1944, 04.03.1933. S. 11. (Fragezeichen und partielle Unterstreichung wurden übernommen; A. d. V.) 1150 Haeften, Briefe 1931-1944, Brief an seine Frau, März 1933. S. 14. 1151 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 15. 202 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

3.2.4 Die Kreisauer der Zentrumspartei

Von den katholischen Kreisauern gehörten Peters, Lukaschek, Husen und die drei Jesui- ten dem Zentrum an bzw. wählten diese Partei. Wie wir gesehen haben, war diese Partei Heimat verschiedener gesellschaftlicher Schichten, die jedoch durch das Band des ka- tholischen Glaubens zusammengehalten wurden. Es gab, wie bei der Betrachtung des Zentrums dargestellt, einen demokratischen Flügel, die Teilgruppe des katholischen „Vernunftrepublikanismus“ und schließlich eine konservativ-monarchistische, zum Teil rechtskatholische Strömung. Diesen drei Gruppierungen sind unsere sechs Zentrums- wähler zuzuordnen.

Peters war seit 1923 Mitglied der Zentrumspartei. Seine Ausführungen in der mündli- chen Verhandlung im Preußenschlag-Prozess im Oktober 1932 belegen unmissverständ- lich seine „Parteinahme für die Substanz des Weimarer demokratischen Rechtstaa- tes“1152. Peters vertrat hierbei die Zentrumsfraktion im Preußischen Landtag, deren Mit- glied er auch war. In Leipzig begegnete er bei dieser Gelegenheit wieder Moltke, der als Berichterstatter für eine amerikanische Zeitung am Prozess teilnahm. Als Hochschulleh- rer widersetzte sich Peters erkennbar dem herrschenden Ungeist.1153 Aus seinen Vor- lesungen, so lautete eine Beurteilung des NSDAP-Reichsamtsleiters vom Oktober 1938, lasse sich, „trotz der im allgemeinen vorsichtigen Ausdrucksweise, noch seine ableh- nende Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat deutlich erkennen“1154. Dass Peters schon als junger Dozent in Breslau gegen den Nationalsozialismus eingestellt und ein echter Republikaner war, bezeugt die Aussage des Juristen und Emigranten Ernst J. Cohn: „Unter den reslauer Studenten war allgemein bekannt, dass der damals noch sehr jugendliche Privatdozent Peters sich in Breslau gegen den Willen des scharf nationalistisch eingestellten Fachvertreters Helfritz habilitiert hatte und dass er als De- mokrat und Republikaner zu gelten hat.“1155

Als Staatsrechtler hatte sich Peters grundsätzlich mit der Rolle des Staates in der Gesell- schaft und mit dem Gegensatz Staat und Kirche auseinandergesetzt. Die Auseinander- setzung mit der Rolle des Staates in der Gesellschaft kam noch kurz vor der Selbstauf-

1152 Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997, S. 80. 1153 Ullrich, Kreis 2008, S. 54; Moltke, Völkerrecht 1986, S. 78; MBF S. 56 f. 1154 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 74. 1155 Cohn, Ernst, J. an Roon, 03.02.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 2. 203 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung lösung des Zentrums am 05. Juli 1933 in dem bereits erwähnten Vortrag „Rechts- staat“1156 am 31. Mai 1933 vor der Zentrumsfraktion zutage. In dieser Rede betonte er:

Wille und Tat vermögen auf die Dauer bei noch so großer Stärke weder der Menschheit noch einer Nation zu einer glücklichen Existenz zu verhelfen, sondern sie bedürfen des An- triebs und der Lenkung aus dem Glauben, der Vernunft und dem Gefühl, die ihrerseits wie- der auf dem Grunde einer positiven, absolut gültigen Weltanschauung erwachsen.1157 Den Hauptteil seiner Rede machte die Diskussion um den Rechtsstaatsbegriff aus, um „die Verwirrung der Geister, die nicht nur in unsrem Lager besteht, nach Möglichkeit zu beseitigen.“1158 Er unterschied den liberalen, den öffentlich-rechtlichen, den ethischen und als „Abart“ den nationalen Rechtsstaatsbegriff. Peters setzte sich für den Rechts- staat als ein „bestimmtes ethisches Prinzip“1159 ein und betonte, „dass die positive Aus- gestaltung des ethischen Rechtsstaatsbegriffs sich am besten von der Grundlage der Staatslehre der großen Kirchenlehrer her gewinnen“1160 lasse. Nach einer Auseinander- setzung mit dem Gegensatz zwischen Rechtspositivismus und Naturrechtslehre stellte er fest:

Rechtsstaat ist […] ein Staat, der den Willen und die Kraft hat, das positive Recht durchzu- setzen und den Bürger vor Willkür und Ungerechtigkeit zu schützen, dabei sind freilich die Normen der christlichen Sittenlehre sowohl die Kontrolle für das positive Recht bezüglich seines verpflichtenden und bindenden Charakters als auch der Maßstab für das, was unge- recht ist.1161 In seinem Aufsatz „Der totale Staat und die Kirche“ aus dem Jahre 1936 ging es ihm um die Bestimmung des Verhältnisses des totalen Staates zur katholischen Kirche. Er kam in seiner Untersuchung zum Schluss, „daß die Kirche den ‚totalen Staat’ […] ab- lehnen muß, weil damit in wesentlichen Punkten in den auf göttlichem Auftrag beru- henden Herrschaftsanspruch der Kirche eingegriffen wird.“1162 „Der totale Staat wie die Kirche“, führte Peters als Grund an, „wollen die Gesamtpersönlichkeit des Menschen erfassen und in bestimmtem Sinne gestalten, die Kirche von der christlichen Weltan- schauung her, der Staat von seiner Staatsidee aus, die christlich sein kann, es aber nicht zu sein braucht. Im letzteren Falle besteht die Gefahr schwerer Reibungen zwischen Staat und Kirche.“1163 Genau diesen Gegensatz schleuderte Freisler im Prozess Moltke

1156 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, fünfzehnseitiges Typoskript, auch abgelegt in: IfZ, ZS/A-18, Bd. 6; siehe auch Peters, Die Beratungen der Zentrumsfraktion 1933. 1157 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, S. 2. 1158 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, S. 4. 1159 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, S. 7. 1160 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, S. 9. 1161 Peters, Hans: Rechtsstaat, BA NL Schiffer, N 1101 I-26, Heft 1, S. 11. 1162 Peters, Der totale Staat 1936, S. 333. 1163 Peters, Der totale Staat 1936, S. 331. 204 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung entgegen: „Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemein- sam, und nur dies eine: wir verlangen den ganzen Menschen.“1164

Zur Einordnung Peters‘ in das Deutungsschema der Vernunftsrepublikaner ist auch sei- ne Einstellung zur Monarchie interessant. Ein Zeugnis von Peters dafür während der Weimarer Zeit konnte nicht gefunden werden, aber er äußerte sich bei Kriegsende ab- lehnend zur Monarchie; aus der Argumentation kann unterstellt werden, dass Peters zu keinem Zeitpunkt der Monarchie nachtrauerte:

Für die Kreisauer trat die Monarchie als Problem überhaupt nicht hervor, weil zu der Zeit, als sie ihre Pläne ausarbeiteten (1942/43), bei ihnen eine wirkliche Hoffnung auf einen Sturz Hitlers von innen her nicht mehr bestand und eine Einsetzung eines Monarchen nach dem völligen Zusammenbruch durch die alliierten Siegermächte oder durch eine dann all- mählich wieder entstehende deutsche Staatsgewalt, die sich von unten nach oben entwi- ckeln mußte, ausgeschlossen erschien, jede Monarchie von Siegers Gnaden endgültig kom- promittiert hätte. Später aber, wenn das Volk sich wieder selbst geholfen hatte, wäre eine Monarchie auch nicht mehr in Frage gekommen.1165 Wie Peters war auch sein Freund Lukaschek Mitglied in der Zentrumspartei.1166. Dem Reichskanzler Brüning, seinem Parteifreund, galt er als eine zuverlässige Stütze. Man müsse, plädierte er im Januar 1931, „die Regierung mit allem Nachdruck unterstützen und entschlossen hinter Reichskanzler Brüning stehen.“1167

Auch Husen war bis zu dessen Selbstauflösung Anfang Juli 1933 Mitglied des Zen- trums. Während seiner Tätigkeit in Polnisch-Oberschlesien bekannte er sich offen zur Deutschen Katholischen Volkspartei, die unter der Führung des Abgeordneten Pant1168 scharf antinationalsozialistisch eingestellt war.1169 Die Grundlage seiner rechtsphiloso- phischen Überzeugung von Recht und Unrecht bezog Husen aus seinem katholischen Glauben. Nach dem Krieg bezeichnete er sich selbst als Anhänger der scholastischen Naturrechtslehre.1170 Auch in seinem Buch über das Minderheitenrecht in Oberschlesien von 1930 scheint eindeutig das Bekenntnis zur katholischen Naturrechtslehre auf:

Der Staat kann also über das Volkstum des Menschen nicht nach Gutdünken verfügen, son- dern umgekehrt ist das Volkstum die primäre unantastbare Unterlage, welche erst den Staat existent macht. Der Staat ist nicht Quelle des Rechts, sondern der Staat ist an das natürliche und göttliche Recht gebunden, und noch so gut formuliertes und von einer noch so erdrü-

1164 MB (11.01.1945; Fortsetzung) S. 623. 1165 Peters, Verwaltungsreformbestrebungen 1959, S. 15 f. 1166 Ullrich, Kreis 2008, S. 51. 1167 Lukaschek, Oberschlesische Volksstimme 1931, S. 1. 1168 Eduard Pant (geb. 29. 01.1887 in Witkowitz bei Mährisch Ostrau; gest. 20.10.1938 in Kattowitz) war ein Journalist und führender Politiker der deutschen Katholiken Polens in den 1920er- und 1930er-Jahren und Vorsitzender der Christlichen Deutschen Volkspartei. 1169 Schindler, Husen 1996, S. 21 f. 1170 Husen, Paulus van: Neufassung der Auskünfte an Roon, 02.01.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. Zur katho- lischen, scholastischen Naturrechtsauffassung vgl. Demmer/Hollerbach, Naturrecht in StL 1987, Sp. 1308-1315; Böckle, Naturrecht in LThK 1962, Sp. 821-872. 205 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

ckenden Parlamentsmehrheit beschlossenes positives Recht, welches gegen Naturrecht und Gottes Gebot verstößt, ist Unrecht.1171 Den drei Zentrumsmitgliedern war gemeinsam, dass sie fest auf dem Boden der Weima- rer Republik standen, Lukaschek und Husen bekleideten als Oberpräsidenten von Ober- schlesien hohe staatliche Ämter, alle drei bekannten sich zur katholischen Staatsrechts- lehre, die sich an der Naturrechtslehre orientiert, und kamen so schnell in Gegensatz zum Nationalsozialismus. Zumindest bei Peters kann man eindeutig feststellen, dass er, ebenso wie die übrigen Kreisauer, kein Monarchist war. Aus diesen Gründen kann man auch hier nicht Vernunftsrepublikanismus, sondern engagierten Republikanismus unter- stellen.

Es lässt sich vermuten, dass die drei Jesuiten entweder Zentrum oder die Bayerische Volkspartei wählten. Mitglieder einer der Parteien waren sie in der Weimarer Zeit nicht. Die reichhaltigen Aussagen und Stellungnahmen Delps zu gesellschaftspolitischen Pro- blemen wie Volk1172, Nation, Reich und Staat erfolgten alle nach der Weimarer Repu- blik. Delp dürfte sich wohl wie die anderen Jesuiten in Übereinstimmung mit der katho- lischen Staatsphilosophie befunden haben. Nach katholischer Tradition1173 und in deut- licher Abgrenzung zu den Vertragstheorien der Neuzeit, die auch die Staatsgewalt auf willkürliche menschliche Vereinbarungen zurückführten, gründete sich für Delp nicht nur der Staat selbst, sondern auch die Staatsgewalt letztlich in Gott und erfuhr so „ihre Würde und zugleich ihre Bindung“1174. „Rückzug in das Ghetto der Kulturkampfszeit oder auch nur die vorsichtige Distanz dem Staat gegenüber, wie sie manche Katholiken der aus der Revolution geborenen Weimarer Zeit entgegenbrachten, waren Delps Sache nicht“1175, so sein Mitbruder Tattenbach. Den neuen Staat aus christlicher Verantwor- tung mitgestalten, diese Parole sollte in späteren Jahren für Delp sogar schicksalsent- scheidend werden.

Die Anerkennung des Staates entsprechend der katholischen Staatslehre lässt vermuten, dass die Jesuiten sich grundsätzlich zur Weimarer Republik bekannten. Pope weist al- lerdings darauf hin, dass Delp von demokratiekritischen Ansätzen teilweise affiziert

1171 Warderholt, Das Minderheitenrecht 1930, S. 12. 1172 Siehe dazu insgesamt die 1939 bzw. 1940 in den „Stimmen der Zeit“ erschienenen Arbeiten „Hei- mat“, Delp II S. 249 ff., und „Das Volk als Ordnungswirklichkeit“, Delp II, S. 271 ff. 1173 Mörsdorf, „Staat“; in: LThK 1964, Sp. 994. 1174 Mörsdorf, „Staat“; in: LThK 1964, Sp. 994. 1175 Tattenbach, Delp, Schwaiger 1984, S. 214. 206 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung war.1176 Diese bezogen sich auf die durchgängige und totale Verurteilung des Libera- lismus,1177 allerdings aus genuin katholischen Quellen gespeist. 1178

3.2.5 Linksliberale und konservative Kreisauer

Gablentz, durch das nationalliberale Erbe seiner mütterlichen Berliner Hugenottenfami- lie geprägt1179, gehörte nach eigenen Angaben keiner Partei an und fühlte „sich vom konservativen Sozialismus“ des Wichard von Moellendorf angezogen, der nach seiner Überzeugung Aktualität besäße. Er stand voll zur Weimarer Republik und bekannte in seiner autobiographischen Skizze nach dem Krieg: „In der politischen Krise seit 1930 sah ich die Notwendigkeit, mit einer moralischen und juristischen Autorität, wie sie Brüning für uns verkörperte, einen neuen Anfang vorzubereiten, bei dem das 1919 Ver- säumte nachgeholt werden konnte.“ Er schloss sich weder der SPD an, an der ihn „die marxistische Tradition, von der sie sich damals nicht lösen konnte“, störte, und die ihm „sehr sympathischen Volkskonservativen“ sah er „von vorneherein als Offiziere ohne Truppe, also ohne Aussicht auf politischen Einfluss.“1180

Die abwehrende Haltung Steltzers zur Weimarer Republik wurde in der schon erwähn- ten Denkschrift von 1947 deutlich. Nach seiner Einschätzung hatte das Volk kein mit- verantwortliches Verhältnis zum Staat, der seine Interessen freiwillig zentralistischen Organisationen wie Parteien, Gewerkschaften, Interessenverbänden, Kampfbünden überließ, gewonnen. Dies habe den Staat immer mehr von innen ausgehöhlt.1181

Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Steltzer eine für seine politische Entwicklung wichti- ge Begegnung mit Friedrich Naumann, den er bereits während seines Studiums in Mün- chen kennengelernt hatte. Ihm vertraute er an, wie sehr ihn der „politische Betrieb anö- dete, in dem jede größere Linie und eine würdige, gemeinsame nationale Haltung fehl- te.“1182. In seiner ersten politischen Rede im Jahr 1919 beklagte er, dass kein Führer da sei, dem man innerlich folgen könne, man müsse sich auf sich selbst besinnen:

Wir wissen jetzt, daß es vergeblich ist, auf eine Hilfe zu warten, die außer uns liegt, und daß es uns, den Jungen, und allen denen, die den festen Glauben an eine bessere Zukunft

1176 Pope, Delp 1994, S. 16. 1177 Sontheimer, Antidemokratisches Denken I 1962, S. 180-188. 1178 Siehe u. a. Delp II S. 47; Delp III S. 431 ff; Delp IV S. 299. 1179 Winterhager, Gablentz 2004, S. 197-204. 1180 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 3. 1181 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 107. 1182 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 68. 207 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

bewahren, nicht erspart bleibt, aus uns selbst heraus den Anschluß an neue, richtungswei- sende Ideen zu suchen.1183 Föderalismus und eine neue Verfassung seien keine Zaubermittel, meinte er damals, sie blieben „leere Formen“, wenn

… wir sie nicht mit einer neuen Gesinnung erfüllen und über sie ein großes geistiges Ziel stellen, eine neue Volks- und Völkergemeinschaft, […] durchsetzt von ethischen Ideen – eine Gemeinschaft, in der Gewalt nicht mehr als oberstes Prinzip gilt, die keine Klassen- unterschiede kennt, sondern allen Mitgliedern unseres Volkes Anschluß an die höchsten Lebenswerte zu vermitteln sucht.1184 Diesem Ziel könne nur „durch planmäßige schöpferische Tätigkeit“ der Weg bereitet werden, nicht auf dem Weg „natürlicher“ Entwicklung. „Nur durch den Menschen kann ihr Richtung gegeben werden.“ Diese Einstellung erinnert an die Hoffnung, die Moltke unter dem Nationalsozialisten hegte, „das Bild des Menschen“ neu aufzurichten. Diese Selbstaufforderung zum politischen Handeln steht allerdings im Gegensatz zu Steltzers Aussage, er sähe „keine Möglichkeit […] an einer Neugestaltung unserer politischen Verhältnisse mitzuwirken.“1185 Deshalb schlösse er sich auch keiner Partei an. Als Grund gab er an, die Verhandlungen der Nationalversammlung hätten gezeigt, dass man sich gar nicht um eine wirkliche Neuordnung gemeinsam bemühte, „sondern nur nach veralteten Gesichtspunkten um den Machteinfluss in der Verfassung stritt“1186. Auch nach dem Kriege begründete der Landrat Steltzer vor dem Kreistag, warum er keiner Partei angehörte: Die Kommunalpolitik biete „keinen Raum für kommunalpolitische Gesichtspunkte“1187. An anderer Stelle beklagte er, dass die Abgeordneten „in dem ab- gegrenzten Bereich ihrer Partei, ihrer Ideologie oder ihrer Interessen“1188 lebten. In den ersten Jahren der Weimarer Republik habe er „noch an die Möglichkeiten von Reform- maßnahmen innerhalb des Deutschen Reiches“ geglaubt. „Einer neuen Konzeption standen aber überholte [sic!] Vorstellungen einer formalen Demokratie und eines Natio- nalstaates im Wege.“1189 In einer Rede am Verfassungstag 19321190 mahnte er bei der Führung der Staatsgewalt eine „persönliche Spitze mit einer von der Volksvertretung unabhängigen Regierung“ in vollem Gegensatz zur Weimarer Verfassung an. Die Ver- fassung von Weimar habe diese Regelung der Bismarck‘schen Verfassung beseitigt und „die Staatsautorität auf die allein ausschlaggebende Macht des Parlaments“ gründen

1183 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 69. 1184 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 69. 1185 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 75. 1186 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 75. 1187 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 83. 1188 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 107. 1189 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 107. 1190 Steltzer, Neuformung unserer staatlichen Verhältnisse 1932. 208 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung wollen.“ Dies sei aber nicht gelungen, denn tatsächlich kehre die Regierungsgewalt immer stärker zum Reichspräsidenten zurück. Eine Erbmonarchie schloss er nicht aus, dann müsste man aber „neue Wege der Kürung durch einen geformten Volkswillen“ beschreiten. Weiterhin bedauerte er, dass die Unabhängigkeit der Regierung und des Bundesrats vom Reichstag, worin die Autorität der Regierungsgewalt bei der Bis- marck‘schen Verfassung in erster Linie begründet war, nicht mehr gegeben war. Er fuhr dann fort: „Aber auch hier scheint die Entwicklung zu der Rückbildung einer unabhän- gigen Regierungsgewalt zu führen, die wir nach unseren geschichtlichen Erfahrungen bejahen müssten.“1191 Steltzer schien die Entwicklung zu den Präsidialkabinetten gutzu- heißen.

In dieser Haltung war Steltzer ein wahrer Naumann-Jünger, denn die „funktionale Be- stimmung von Demokratie und Kaisertum“ des 1919 verstorbenen Naumann gab „kaum Anhaltspunkte für eine normative Begründung der Politik“1192. Steltzer war skeptisch gegenüber der Parteienarbeit, der formalen Demokratie, und wollte durch „volkspäda- gogische Arbeit“1193 neue geistige Kräfte wecken. Die pädagogischen Ziele sah Steltzer in der

… Erziehung des einzelnen zu ethischer Grundhaltung, Erweckung eines geistig orientier- ten Volkstums und Achtung vor anderem Volkstum, Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit mit anderen sozialen Gruppen innerhalb des Volkes und mit anderen Völker, Erziehung zu selbständigem Urteil und verantwortlicher Mitarbeit im öffentlichen Leben.1194 Diese Worte erinnern stark an das Moltke‘sche Memorandum „Die kleinen Gemein- schaften“. Steltzer war weder Vernunftsrepublikaner noch Herzensrepublikaner, er hatte die Vorstellung eines „organischen Aufbaus von Staat und Gesellschaft“1195 und war dadurch vielen Planungsgedanken des Kreisauer Kreises anschlussfähig.

Gerstenmaier hatte, aus einem pietistischen Elternhaus abstammend, wie seine Eltern Albertine und Albrecht Gerstenmaier und die Majorität der Pietisten eine politische Heimat im konservativen Lager.1196 Eugen Gerstenmaier berichtete, dass er als erstmals Wahlberechtigter bei den Reichstagswahlen 1925 den Volkskonservativen seine Stim- me gab.1197 In seinen jungen Jahren gaben jedoch Bücher des Maurergesellen August

1191 Steltzer, Neuformung unserer staatlichen Verhältnisse 1932. 1192 Hertfelder, Meteor 2008, S. 33. 1193 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 107. 1194 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 81. 1195 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 81. 1196 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 27. 1197 Gaus, Gerstenmaier 1964, S. 123. 209 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Winnig1198 ihm tief beeindruckende Einsichten in die Geschichte der deutschen Arbei- terbewegung.

Die Welt, aus der ich kam, stand ihr [der Welt des Sozialismus; A. d. V.] feindlich gegen- über. Nun entdeckte ich Züge, die mich tief ergriffen. Eine Kampfbewegung der Gerechtig- keit, eine Freiheitsbewegung pochender Herzen. Ich konnte mich über viele Unterschiede hinweg mit dem jungen sozialistischen Maurergesellen August Winnig spontan solidarisie- ren.1199 Daraus erwuchs jedoch keine politische Betätigung Gerstenmaiers, er warnte sogar 1931 in einem Artikel des „Teckboten“ vor zu „frühen parteipolitischen Bindungen der Jugend als voreilige Festlegung in einem Zeitabschnitt, der, wie wir glauben, […] der geschlossenen Persönlichkeitsbildung vorbehalten ist“1200. In seinen Lebenserinnerun- gen bekannte Gerstenmaier, dass er mit den Volkskonservativen Brüning „zugefallen“ sei.1201 Den dramatischen politischen Ereignissen nach Brünings Rücktritt stand Gers- tenmaier eher gleichgültig gegenüber, „der politische Betrieb“1202 verdross ihn. Zur Re- aktion in der Öffentlichkeit und in der Kirche auf den 30. Januar 1933 berichtete er in seinen Erinnerungen, dass diese nicht ohne Reserve und Vorsicht waren, „im ganzen aber doch so positiv, daß man sich im kleinen Kreis etwas befremdet selber fragte, wa- rum man denn zu dem ganzen Unternehmen Hitler kein oder wenigstens kein rechtes Vertrauen fassen könne.“1203 Man kann feststellen, dass der Volkskonservative Gers- tenmaier politischer Betätigung doch eher fernstand, sodass seine Haltung zur Weimarer Republik schwer einzuschätzen ist. Auch seine Reaktionen zum Nationalsozialismus nach Brünings Abgang zeigten noch nicht die Ablehnung späterer Jahre.

Von Poelchaus politischer Haltung wissen wir wenig. In seinen Erinnerungen bezeich- nete er sich als Kriegsgegner.1204 Genauso wie für Delp, Reichwein, Rösch und Gers- tenmaier nahm er für sich in Anspruch, nicht aus politischen Gründen zum Kreisauer Kreis gestoßen zu sein. „Wir waren von kulturellen oder religiösen Anliegen bewegt und entwickelten uns zur Politik. Wir waren überzeugt, dass die Männer des ‚Kreisauer Kreises’, verschiedenartige Männer, Vertreter einer Generation der aufstrebenden Kräf- te, Deutschland erneuern würden …“1205

1198 Winnig, Frührot 1924; Winnig, Vom Proletariat 1930. 1199 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 26. 1200 Gerstenmaier, Jugendbewegung 1931. 1201 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 21. 1202 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 37. 1203 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 26. 1204 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 34. 1205 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 119. 210 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Zusammenfassend lässt sich zur Haltung der betrachteten Personen, die später den Kern des Kreisauer Kreises ausmachten, sagen, dass die meisten auf dem Boden der Weima- rer Verfassung standen und auch die Monarchie ablehnten. Der Grad des Eintretens für Weimar war wohl bei den drei militanten Sozialdemokraten am höchsten1206, für Reichwein war Weimar die ungeliebte Republik, Trott sah ihr Scheitern voraus, für Moltke und Yorck, die die Schwächen der Weimarer Republik klar erkannten, kam eine Rückkehr zu Weimar nicht infrage. Auch Haeften standen die Schwächen von Weimar klar vor Augen, er sah die Lösung eher in einem autoritären Rechtsstaat. Einsiedel und Trotha waren zwar Republikaner, liebäugelten jedoch mit einer starken Planwirtschaft sowjetischer Prägung. Einzig Steltzer hatte wohl den Boden der Weimarer Verfassung verlassen und jegliches Vertrauen in den Staat verloren.1207 Gemeinsam war allen je- doch eine eindeutige Ablehnung des Nationalsozialismus. Im Ausgangspunkt ihrer poli- tischen Planungsarbeit waren die Kreisauer trotz weitgehender Übereinstimmung in ihrer republikanischen Haltung doch sehr verschieden, sodass das Vergemeinschaf- tungspotenzial der politischen Ausgangshaltung eher als gering eingestuft werden muss. Das kommt auch in dem langen Ringen in ihrer Planungsarbeit zum Ausdruck.

3.3 Religiöse Einstellungen

Wie schon mehrfach betont, bilden die Arbeiterschaft und die christlichen Kirchen die beiden Säulen für das Kreisauer Grundsatzprogramm. Nachdem die gesellschaftspoliti- sche Stellung der Kreisauer vor ihrer Vergemeinschaftung aufgezeigt wurde, soll nun auch der Stellung der späteren Kreisauer zu den Kirchen bzw. dem Grad ihrer Verwur- zelung im religiösen Glauben nachgegangen werden. Dieser Blick trägt im Rahmen der Genese des Kreisauer Kreises dazu bei, neben den Quellen der Vergemeinschaftung auch Voraussetzungen für ihre Planungsarbeit freizulegen. Weiterhin erlaubt dieser Blick, die bei allen Kreisauern feststellbaren Veränderungen im religiösen Bereich am Ende des Kreisauer Kreises, der für die Hälfte den gewaltsamen Tod bedeutete, darzu- stellen.

Gablentz stellt im Rückblick fest, dass die religiöse Grundhaltung der meisten Kreisauer aus einem Verständnis des Christentums stammte, das aus den konfessionellen Schran-

1206 Wirsching, Vernunftrepublikanismus, Analysen 2008, S. 132. Im Allgemeinen galt: „Die Mehrheits- sozialdemokratie stand grundsätzlich fest auf dem Boden der Weimarer Republik, an deren Ausgestaltung sie in der Nationalversammlung wesentlich beteiligt gewesen war.“ 1207 Siehe auch: Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 215. 211 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung ken ausgebrochen war.1208 Dies trifft zumindest für viele der protestantischen Kreisauer zu, aber es gab neben den Geistlichen auch Kreisauer beider Konfessionen, die fest in ihrer Kirche verankert waren. Der katholisch getaufte Leber hingegen ist wohl in der zu betrachtenden Zeit als Freisinniger ohne einen Kirchenbezug zu kennzeichnen. Bei der Aussage von Gablentz ist jedoch der Geltungszeitraum zu beachten. Wenn auch alle Kreisauer 1944/45 zu einer religiösen Grundhaltung gefunden hatten, so war diese doch am Beginn des Zusammentreffens ebenso heterogen wie ihre gesellschaftliche Positio- nierung.

Husen schrieb nach dem Krieg in einer Gedenkschrift für Moltke und Yorck:

Moltke und York hatten eines insbesondere gemein, die ganz fest und tief im Herzen ge- gründete christliche Tradition in ihrer protestantischen Prägung. Beide Familien waren in Schlesien die Repräsentanten christlicher Bildung sowie kirchlicher Frömmigkeit und Lie- bestätigkeit. Der häufige Kirchgang und das Tischgebet um das tägliche Brot waren Selbst- verständlichkeiten. Das Prunkstück der Yorkschen Bibliothek in Berlin – eifrig benutzt – war eine sehr alte Gesamtausgabe von Luthers Werken. Das Haus York pflegte besonders den guten echten christlichen Humanismus.1209 Bezogen auf Moltke dürfte dies allerdings etwas übertrieben sein. Seine Journalisten- freundin Dorothy Thompson erinnerte sich anders: „When I first knew him; I did not think of him as being particularly religious in any case, but he was very ethically sensi- tive, especially on social questions.”1210 Seine Eltern waren Christian Scientists und sie machten ihre Kinder, so Moltkes Bruder Viggo, mit den Lehren der christlichen Wis- senschaft bekannt, ohne auf ihre Anschauungen – außer durch ihr Vorbild – Einfluss zu nehmen. „Die Kinder haben diese Anschauung im großen und ganzen nicht übernom- men, wenn sie sie auch haben voll gelten lassen. Die Bindung zwischen Eltern und Kin- dern war sehr eng.“1211

Yorck entstammte aus einem streng konservativen Elternhaus. In dieser Atmosphäre wuchs Peter Yorck mit seinen drei Brüdern und sechs Schwestern auf. „Ein Christentum lutherischer Prägung, die griechische Antike und die Krone Preußens“1212, um „diese Trias kreiste nach dem Zeugnis des älteren Bruders Paul die elterliche Erziehung“1213.

1208 Gablentz Würdigung 1968, S. 593. 1209 Husen, Paulus van: In memoriam Moltke und Yorck. 20. Juli 1944. IfZ, ED 88-1, S. 3. 1210 Thompson, Dorothy: Brief an Mother Mary Alice Gallin OSU, Washington, 23.12.1953. IfZ, ZS/A- 18, Bd. 8. Thompson traf Moltke zum ersten Mal, als er 16 oder 17 Jahre alt war, bei ihrer österreichi- schen Freundin Schwarzenbach. Aus ihrer Sicht war Moltke von der religiösen Haltung seiner Eltern als „Christian Scientists“ nicht angezogen. Zu Dorothy Thompson siehe: Zuckmayer, Die Geschichte von Dorothy Thompson 1995. Darin bezeichnete Zuckmayer Dorothy Thompson als „bekannteste Auslands- reporterin der amerikanischen Presse“; S. 24. 1211 Moltke, Carl Viggo von: Brief an Roon, 04.04.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5. 1212 Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 23. 1213 Ullrich, Kreis 2008, S. 29. 212 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Yorcks Freund Fritz von Engelberg beschrieb einfühlsam Yorcks Religiosität mit auf- richtiger Haltung und Demut vor Gott:

Er fühlte sich ja nur Wenigem verpflichtet. Es war in erster Linie und in ganz besonderem Maße Gott. Es ist für einen katholisch süddeutschen Menschen so schwer, dieses Verhältnis eines evangelischen Menschen nord- und ostdeutscher Prägung zu verstehen. Peter Yorck half einem, dies zu verstehen. Diese eigenartige Mischung zwischen aufrichtiger Haltung und Demut vor Gott kannte er in so ausgeprägtem Maße, daß sie einem fast selbstverständ- lich wurde.1214 Dieses Haltung Yorcks wird später auch in seinen Abschiedsbriefen an seine Frau1215 anklingen.

Bei Reichwein ist eine religiös-sozialistische Einstellung festzustellen. Der Sozialis- mus, der dem Wandervogel Reichwein nicht nur eine politische, staatliche Organisa- tionsform von Wirtschaft und Gesellschaft, sondern auch eine kulturelle Lebensform des Volkes bedeutete, sollte nach diesem Verständnis zugleich irrationale, gefühlsmäßi- ge Elemente umfassen, „letztlich auch ethische und religiöse Schichten des Menschen ansprechen und miteinbeziehen“1216. Er unterschied jedoch Wissenschaft und Religion. In einem Brief an seinen Vater schrieb er 1922: „[…] ich glaube nicht, daß Wissen Re- ligion ersetzen kann, vielmehr scheint mir Religion die ursprünglichste und vollkom- menste Form menschlicher Erlebnismöglichkeit zu sein.“1217 Seine grundsätzliche reli- giöse Einstellung wird auch deutlich, wenn er in seinem Aufsatz „Die junge Generation von heute und die Weisheit des Ostens“ schreibt:

Jugend ist immer in ihrer blütenhaften – bluthaften – Aufgeschlossenheit empfindsamer gewesen für das, was in der Luft liegt, und muß deshalb diese Empfindsamkeit auch nach außen schärfer und entschiedener bekunden, als reife Sachlichkeit öfters rechtfertigen kann. Darum sollte man auch nicht allzu eilfertig sein, ihre östliche Neigung zu belächeln, son- dern vielmehr sich bemühen, auf jene religiöse Wurzeln zu achten, die sie zu solcher Hal- tung veranlasst.1218 Aus Anlass der 150. Wiederkehr des dänischen Volkserziehers Grundtvig veröffentlich- te Reichwein unter dem Pseudonym Peter Rosbach 1933 einen Artikel, in dem er he- rausstellte, dass „gesundes Leben an Volk und Glaube und Freiheit gebunden“ ist.1219

Gablentz war vom Vater her geprägt durch die Traditionen des pommerschen Pietis- mus.1220 Seine pietistisch-christlichen Ursprünge hatten sich jedoch gewandelt und er

1214 Engelberg, Fritz von: Brief an Roon. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1215 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 136 ff. 1216 Amlung, Adolf Reichwein1999, S. 114 f. 1217 LBDI S. 46. 1218 Reichwein, Die junge Generation und die Weisheit des Ostens 1922, S. 715.; auch abgedruckt in: Reichwein, Ausgewählte Pädagogische Schriften 1978, S. 46. 1219 Rosbach, Grundtvig 1933, S. 22. 1220 Winterhager, Gablentz 2004, S. 1. 213 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

öffnete sich für andere konfessionelle Denkweisen. Dies hatte bereits in der Weimarer Zeit eine dezidierte ökumenische Orientierung des evangelischen Christen Gablentz zur Folge, der zunächst auch ganz offen war für den religiösen Sozialismus.1221 Der Bibli- zismus von Barth allerdings war ihm, wie schon erwähnt, zu engherzig und zu unrealis- tisch.1222 Nach einer „Phase kirchlichen Desinteresses“ hatte er über die Jugendbewe- gung, beeindruckt durch den Nürnberger Pfarrer Wilhelm Stählin, erneut zur Kirche gefunden. Dieser hatte ihn 1931 in die Michaelsbruderschaft eingeführt, die ihm sein „stärkster Halt in den kommenden Jahren“ war.1223 Dort begegnete er auch Theodor Steltzer. Gablentz‘ tiefe religiöse Überzeugung wird in seiner Reflexion über „Christus und die Geschichte der Menschheit“ deutlich. Dort schreibt er:

Die Geschichte der Menschheit hat ein Ziel. […] Die Geschichte der Menschheit hat eine Mitte. Aber das Ziel liegt außer ihr. Und die Mitte ist etwas ganz anderes als die natürliche Reife der Pflanze oder des Tieres. Die Mitte der menschlichen Geschichte ist Jesus Christus […]. Aber indem alle diese Kräfte [der verschiedenen Kulturen; A. d. V.] in der Gegenwart aufeinanderstoßen, wird erst deutlich, in welchem Sinne Jesus Christus im Mittelpunkt der Geschichte steht.1224 Die kirchlichen Kontakte, die er noch in der Weimarer Zeit aufgebaut hatte, nutzte er, um sich nach der Machtergreifung verstärkt in der ökumenischen Bewegung zu enga- gieren. So beteiligte er sich wie Gerstenmaier an den Vorarbeiten zur Weltkirchenkon- ferenz in Oxford im Jahre 1937.1225

Etwas später als Gablentz trat 1931 auch Steltzer der Michaelsbruderschaft bei, die in großer Nähe zur liturgischen Bewegung in der katholischen Kirche, getragen von Odo Casel und Romano Guardini, stand, und übernahm 1936 das Sekretariat der Bruder- schaft.1226 Steltzer mag auch den von Lessing beschriebenen Eindruck gehabt haben, „daß die kirchliche Arbeit in einer mehr oder weniger verbeamteten Kirche den Aufga- ben nicht genügt, die Kirche im ganzen immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert“1227. In seiner Volkshochschularbeit in den 1920er-Jahren hatte Steltzer bemerkt, dass in der Frage der religiösen Erziehung bei den Schülern eine labile Situation ohne lebendiges Verhältnis zur Kirche bestand. Er kam zur Einsicht, dass die Schwierigkeiten auch im Zustand der Kirche lagen. „Ihre Lehren waren für den modernen Menschen unverbind-

1221 Steinbach, Gablentz 1999, S. 63. 1222 Gablentz, Otto Heinrich von der: Brief an Roon, 24.11.1970. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13. 1223 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 3: „Die evange- lische Michaelsbruderschaft war ein Kreis von Männern, der versuchte, christliches Leben in Kirche und Welt zugleich zu führen und die Vereinzelung zu überwinden.“ 1224 Gablentz, Christus und die Geschichte der Menschheit 1934, S. 114. 1225 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 4. 1226 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 119. 1227 Lessing, Geschichte der evangelischen Theologie 2004, S. 358. 214 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung lich geworden. Man kam nicht weiter, wenn man einfach die Rückkehr zu den christli- chen Prinzipien als die Lösung ausgab.“1228 Die Kirche müsse sich, so Steltzer, mit der inneren Situation des modernen Menschen befassen.1229 Eine konzeptionelle Neugestal- tung der praktischen Theologie, die sich „in einer Welt, die teils eigene religiöse Wege geht (Jugendbewegung, Anthroposophie), teils atheistisch geworden ist, in der aber auch die alten humanistischen und idealistischen Ideale noch lebendig sind“1230 bewäh- ren soll, war gefordert. „Neben der Dialektischen Theologie, einer neuen lutherischen Theologie“ war hier besonders die „Berneusche Bewegung“, die sich 1931 in die Mi- chaelsbruderschaft zusammenschloss, von Bedeutung.1231 Auch Haeften stand der Mi- chaelsbruderschaft nahe, ohne jedoch Mitglied gewesen zu sein. Diese enge Beziehung zur Kirche war bei Steltzer nicht immer vorhanden. Über seine Jugendzeit berichtete Steltzer, dass er, aus einer evangelisch-lutherischen Familie stammend, von seinem Va- ter zwar regelmäßig zur Kirche geschickt wurde, eine klare Haltung gegenüber der Re- ligion habe es aber in seinem Elternhause nicht gegeben. Sein Vater habe gelegentlich die Enge der orthodoxen Theologie kritisiert, man habe ihn aber nicht als liberal be- zeichnen können. Die liberale Bibelkritik, die Steltzer in der Schule erfuhr, zerstörte alle Transzendenz. „Gott hörte auf, eine Realität zu sein, der gegenüber man sich verant- wortlich fühlte. Er war ein nichtssagender, ethischer Begriff geworden, vor dem auch die Fähigkeit zum Gebet verloren ging.“1232 Die Beziehungen zur Religion lösten sich, so Steltzer, auf.1233 Seine gefestigte Haltung zur Religion wird in folgender Passage in seiner Denkschrift an den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg 1933 deutlich, wenn er schreibt:

Mit dem Abfall von den unmittelbaren Glaubenskräften geht aber den Menschen die Mög- lichkeit eines unmittelbaren Erlebens der entscheidenden Kräfte verloren. Sie werden ein Spielball wechselnder Einflüsse und verlieren die Fähigkeit zur schöpferischen Gestaltung, die nur im Anschluß an objektive Kräfte, d. h. an Gott, vorhanden sind.1234 Das vollkommenste Verständnis der Persönlichkeit Haeftens erschließt sich nach Böhm durch dessen christlichen Glauben. Dieser gab ihm die Erkenntnisse, an denen er sein Handeln ausrichtete. „Die christliche Sittlichkeit bestimmte seine Lebensführung ohne Bruch und bis in den Alltag hinein. Es war ein ernstgenommenes Christentum, unbe-

1228 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 82. 1229 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 82. 1230 Lessing, Geschichte der evangelischen Theologie 2004, S. 358. 1231 Lessing, Geschichte der evangelischen Theologie 2004, S. 386. S. 386. Moltke besuchte im Oktober 1943 in Oslo zusammen mit Steltzer eine Berneuchener Messe; MB (05.10.1943) S. 553. 1232 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 13. 1233 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 13. 1234 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 271. 215 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung dingt und ohne Kompromisse mit wachstem Gewissen gelebt im Bewusstsein der stän- digen Gegenwart Gottes.“1235 Sein Freund aus dem Auswärtigen Amt, Gogo von Nos- titz, bescheinigte ihm Klarheit des Denkens, Reinheit des Herzens; ein unbestechlicher Blick für Gut und Böse, Recht und Unrecht waren seine bestimmenden Züge. „Er war ein tiefgläubiger Christ, in straffer Selbstzucht und im Gebet gebunden. Sein Konfirma- tionsspruch ‚Wachet, stehet im Glauben, seid männlich und stark‘ wurde zum Leitsatz seines Lebens“.1236 Das Erbe protestantisch kirchlicher Frömmigkeit bestimmte nicht nur den sonntäglichen Kirchgang, sondern auch sein Alltagsleben, und war für den Aufwachsenden verpflichtend. „Am meisten von seinen Freunden, die den Geister- kampf alle viel zerspaltender in sich selbst empfanden, schien er noch aus solcher siche- ren Bindung heraus zu leben.“1237 In seiner Wiener Zeit (1935-1937) nahm seine reli- giöse Entwicklung eine bedeutsame Wendung durch die Bekanntschaft mit dem Pastor Secundarius der evangelischen Gemeinde AB (Augsburger Bekenntnis) in Wien, Her- bert Krimm, der ihn auf die Michaelsbruderschaft aufmerksam machte, und mit dem oben erwähnten Anton Böhm, einem Mitglied des Kreises um die katholische Zeit- schrift „Hochland“. „Die beiden Bekanntschaften verweisen auf Motive, die schon frü- her für Haeftens Glaubensverständnis kennzeichnend waren, auf ökumenische Offenheit und Suche nach Gestaltung des Glaubens im Leben.“1238 Bei solchem Glaubensernst nimmt es nicht Wunder, dass Haeften der Bekennenden Kirche angehörte und sich mit einem ihrer wichtigsten Sprecher, Pastor Martin Niemöller, anfreundete. Von Beginn des Dritten Reiches an engagierte sich Haeften intensiv im „Kirchenkampf“ und war voller Abscheu gegen die nationalsozialistische Kirchenpolitik und die NS-hörigen „Deutschen Christen“.1239

Trott stand in seiner Jugend in großer Distanz zur Kirche, trotz der starken religiösen Bindung seiner Mutter. Bei seiner ersten Begegnung mit Visser’t Hooft 1928 hatte Trott von einer Phase religiöser Übersättigung in seiner Familie gesprochen und dass er durch die Lektüre der Romane Dostojewskis wieder zur Religion gefunden habe.1240 „In Trotts Denken kam es zu einer Synthese zwischen Dostojewski und lange gehegten sozialisti- schen Neigungen.“1241 1929 nahm er am Rande an einer studentischen Wochen-

1235 Böhm, Skizze 1946, S. 10 f. 1236 Nostitz, In memoriam Haeften 1948, S. 220 1237 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 145 1238 Ringshausen, Evangelische Kirche und Widerstand 1992, S. 87 1239 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 37 1240 Visser’t Hooft, Autobiographie 1972, S. 189. 1241 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 246. 216 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung endkonferenz des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen teil, wo namhafte Ökumeniker u. a. über die Welt des Islam und über Christentum als über- nationale Religion vortrugen.1242 Diese Konferenz mag sein Interesse an der Bibel ge- weckt haben, seine Mutter schickte ihm eine Bibel in moderner Übersetzung. 1933 be- gann Trott nach der Machtergreifung, „Christentum und Kirche, ob nun protestantisch oder katholisch, als eine mögliche Gegenkraft gegen die herrschende Ideologie wahrzu- nehmen“1243. Suchend las er Karl Barths Schrift „Theologische Existenz heute!“ gegen die Deutschen Christen, die von seiner Mutter ihm zugesandten Hefte der Jungen Kir- che, eine Zeitschrift der Bekennenden Kirche und die Adventspredigten von Kardinal Faulhaber von 1933, die ihm Ingrid Warburg zuschickte.1244 Er las auch mit Begeiste- rung den katholischen Essayisten Theodor Haecker1245, der sich mit entschiedener Ra- dikalität gegen den Nationalsozialismus wandte. In einem Brief an seine Oxforder Freundin Diana Hubback gelangte er zur Überzeugung, dass die christliche Ethik für die Wiederaufrichtung der zerstörten Würde des Individuums von entscheidender Bedeu- tung sei1246. Als Gewinn seiner Nahostreise mag auch seine Auseinandersetzung mit Konfuzius gewertet werden. Er schrieb an seine Mutter Ende 1938 am Ende seines Chi- naaufenthaltes einen Brief, worin er das Christentum mit der Gnadengabe mit dem re- formschwächeren Konfuzianismus verglich:

An der Gestalt von Konfuzius und allem, was ihn umgibt, fehlt einem immer etwas, wenn es auch schwerfällt zu sagen, was. Vielleicht ist es, wie viele behauptet haben, die eigentli- che persönliche Größe – oder das Religiöse in unserem christlichen Sinn. Es ist eine breite und mächtige Wirkung von ihm ausgegangen, und er muß doch eine geheimnisvoll resi- gnierte und vielleicht deshalb zugleich gewaltige und nicht restlos befriedigende Persön- lichkeit gewesen sein. In seinem Denken fehlt die Vorwegnahme eines gnädigen Gottes, wie sie unser abendländisches Denken zum Teil kennzeichnet.1247 In einem weiteren Brief an seine Freundin Hubback im November 1938, ebenfalls kurz vor seiner Abreise aus China und unter dem Eindruck der „tieferen psychischen Kräfte“, die vom Osten ausgehen, äußerte er, er glaube, dass das Heil in dem Gehorsam gegen-

1242 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 132 f. 1243 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 244. 1244 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 244. 1245 Theodor Haecker (1879-1945) zählt zu den sprachmächtigsten Vertretern des katholischen Existen- zialismus und zu den radikalsten Kulturkritikern in der Weimarer Republik und im Dritten Reich; das Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon rechnet ihn „zu den bedeutendsten katholischen Schrift- stellern zwischen den beiden Weltkriegen“. Theodor Haecker war eine prophetische Stimme des Wider- standes gegen den Ungeist der deutschen „Herrgottreligion“. Er war ein Mentor von Hans und Sophie Scholl vom Widerstandskreis Weiße Rose und hatte Kontakt zu Pater Delp; Haecker, Biographisch- bibliographisches Kirchenlexikon 1990, Sp 433-434. 1246 Trott, Adam von: Brief an Diana Hubback, 26.06.1936; BC, The papers of Adam von Trott zu Solz, S. 3: “I come to the conclusion more and more that only a material renaissance of Christian law and ethics […] can stem this tide which threatens to devour all we care for. It alone on the other side would give back the emphasis to the individual subject and its dignity which is now being ground into atoms […].” 1247 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 116. 217 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

über einer höheren Ordnung liege, nach dem christlichen Gedanken ein persönlicher Gott, der immer einen tiefen Einfluss auf seine Denkprozesse ausübte, obwohl er kein Gläubiger im alten christlichen Sinn sei. Trott fragte Diana in diesem Brief, ob sie das schöne mittelalterliche Gebetbuch und die Meditationen „Imitatio Christi“ von Thomas A. Kempis kenne. Er verglich sie mit Prosagedichten von Changste und erhoffte sich daraus Anstöße, um über „enttäuschende Ansätze“ hinauszuwachsen.1248 Trotz einer zweifellos stattgefundenen Verinnerlichung des Glaubens verspürte Trott zu jener Zeit eine Heimatlosigkeit in seiner evangelisch-reformierten Kirche.1249 Er blieb trotz seines gewonnenen Glaubens seiner Kirche fern, aber er nahm die christlichen Kirchen als eine mögliche Gegenkraft gegen die herrschende Ideologie des neuen Regimes in Deutsch- land wahr.

Die beiden Freunde Mierendorff und Haubach sind in Bezug auf ihre religiöse Sozia- lisation und ihre Haltung zur Kirche vor dem Hinzutreten in den Freundeskreis schwer einzuschätzen. Beide waren wohl keine Atheisten, aber bestimmt Kirchenferne, die, wie später darzustellen sein wird, beide eine beachtliche christliche Karriere zurücklegten.

Anhaltspunkte für Mierendorffs religiöse Haltung sind der Trauerrede, die sein Freund Haubach im Januar 1944 in Darmstadt auf ihn hielt, zu entnehmen:

Pracht und Zauber des Barock – das war seine Sache! […] In der Asam Kirche zu München sagte er einmal: „Wer nicht beten kann, hier muß ers lernen!“ Das Göttlich-Irdische in Eins zu schauen – so wie es das Barock auf seine Weise tat – das war seine Sache. Er konnte und wollte nicht trennen. Seine „Weltanschauung“ – wenn einer nach ihr fragte – hier war sie. Welche Erfüllung fand er in der noblen Melancholie der Schlösser, Parks und der kunstvoll verzauberten Gärten. Wie hier die planende Vernunft sich dem freundlichen und listenrei- chen Naturdämon verband, Schein und Wirklichkeit vertauschend, Ewiges im Zeitlichen spiegelnd, um Zeitliches vom Ewigen umgriffen und bedingt zu zeigen – das war eine Welt, das war seine Welt. […] Die göttliche Ordnung der irdischen Dinge – sie in lieben- dem Glauben einst freudig zu betreten – darnach war er sein Leben lang unterwegs.1250 Diese Aussage bezog sich bestimmt auf die Zeit, bevor er nach 1933 ins KZ geworfen wurde; danach wird Mierendorff, der im KZ schwer leiden musste, nicht mehr so gere- det haben.

Haubach hatte eine jüdische Mutter, die er mit großer Liebe umsorgte und bis zu ihrem Tode 1939 im Alter von 73 Jahren vor antisemitischen Verfolgungen schützte. Sie hatte keine ausgeprägte religiös-jüdische Prägung und ermöglichte ihrem Sohn eine liberal- bürgerliche Erziehung. Als Protestant hatte Haubach in seinem Ringen um Gottes-

1248 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 117. 1249 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 118. 1250 Haubach, Theo: Trauerrede für Carlo Mierendorff Januar 1944 in Darmstadt. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 5 f. 218 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung erkenntnis nur lockeren, kritischen Bezug zur Kirche, jedoch großes Interesse an reli- gionsphilosophischen Fragen.1251 Haubachs Begegnung mit Alma de l’Aigle im Hof- geismarer Kreis der Jungsozialisten bringt einige Hinweise auf seine religiöse Entwick- lung zutage. Am 08. Januar 1939, zwei Monate nach dem Reichspogrom und ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn, schrieb er an Alma de l’Aigle seinen Traum von den Luftgeis- tern.1252 Diese Luftgeister seien in eine mittelgroße Stadt eingefallen und hätten große Schäden angerichtet; damit war wohl das zerstörerische Wirken der Nazis gemeint. Das seien aber nur materielle Schäden. „Schlimm ist nur“, so Haubach, seinen Traum erzäh- lend, „daß die Bande über einen Teil von euch unwiderruflich Macht bekommen hat. Ihr glaubt an sie und darum seid ihr ihnen verfallen.“ Haubach riet: „Ihr müsst Euch auf die Seite Gottes stellen“, aber er wusste, „Gott ist ohne den Menschen ohnmächtig.“1253 Ringshausen hält es für denkbar, dass der Traum durch die Lektüre des Epheser-Briefes, der vom „Fürsten, der in der Luft herrscht“, und seinen „bösen Geistern“ spricht (Eph 2,2; 6,12) ausgelöst wurde oder durch die Zeile „Der Fürst des Geziefers verbreitet sein Reich“ des Gedichts „Der Widerstreit“ von Stefan George, das er einmal einem Brief an Alma beilegte.1254 Ringshausen beurteilt diesen Traum nicht als Ausdruck eines kirch- lich gebundenen Christentums, sondern eher als humanistische Religiosität.1255 Der Tod seiner Mutter im September 1939 löste in Haubach große Schuldgefühle aus, da er glaubte, er habe nur ihre Liebe genommen, sie aber zu wenig an seinem Leben teilneh- men lassen.1256 Haubach fühlte sich dadurch in eine schwere Krise versetzt und schrieb seiner Freundin am 07. Dezember 1939: „Mein Glaube an mich selbst ist dünn und dürr geworden. Und Gott schweigt, wenn ich bete. Keine Stimme antwortet mehr, wenn ich bete. Darum bete ich nicht mehr.“1257 Nach dem Tod seiner Mutter fand er in der „sys- tematischen Lektüre philosophischer und religiös wissenschaftlicher Studien“1258 einen für seine Entwicklung wichtigen Neuansatz, als er sich „von den antiken Philosophen und Hegel ausgehend – mit der scholastischen Philosophie – vorab und besonders mit Thomas von Aquin“1259 beschäftigte. Er studierte Thomas von Aquin nicht nur aus per- sönlichem Interesse, sondern auch für die Aufgaben nach Hitler, wie er seinem Doktor-

1251 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 301 f. 1252 L’Aigle, Briefe 1947, S. 29-34. 1253 L’Aigle, Briefe 1947, S. 32 f. 1254 L’Aigle, Briefe 1947, 14.02.1943. S. 62. Dieses Gedicht ist im Kapitel „Motivation zum Widerstand“ im Zusammenhang mit Haubach wiedergegeben. 1255 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 318. 1256 L’Aigle, Briefe 1947, S. 36. 1257 L’Aigle, Briefe 1947, S. 38. 1258 L’Aigle, Briefe 1947, S. 53. 1259 L’Aigle, Briefe 1947, 21.07.1938. S. 27. 219 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung vater Jaspers anvertraute.1260 Bei diesen Studien stieß er auch auf den „ganz ausge- zeichnete[n] Urs von Balthasar“, der ihm die „ungewöhnlichsten Hinweise und eine Fülle von Stoff“1261 vermittelte. Er schätzte diesen „offene[n], durchaus selbständigen Kopf, der bei strikter Katholizität“ die Bedeutung der frühen Konzilsentscheidungen „für die Würde und Größe des abendländischen Denkens“ herausstellte.1262 Hier zeigt sich auch bei Haubach eine konfessionelle Offenheit, die viele der Freunde auszeichne- te.

Poelchau, im schlesischen Pietismus aufgewachsen, sagte später, er habe den Glauben in seine Jugendzeit „nur als ‚depressive Reflexion’ erlebt – nicht als Befreiung“1263. Poelchau stieß bei seinen theologischen Studien in Marburg, Hort der „liberalen Theo- logie“1264, vor der sein Vater gewarnt hatte, auf Paul Tillich – eine Begegnung, die ihn prägen sollte. Tillich war einer der geistigen Väter des „religiösen Sozialismus“, einer Bewegung, die eine Verbindung von Christentum und Sozialismus herstellen und da- durch die trennende Distanz zur Arbeiterschaft überwinden wollte.1265 Die theologische Haltung Poelchaus tritt in seinem im Dezember 1932 in den „Neuen Blättern für den Sozialismus“, und nicht in einer theologischen Zeitschrift, erschienenen Artikel „Politi- sche Theologie?“ klar zutage. Ausgehend von seiner damaligen Erkenntnis, dass die evangelische Kirche „kein lebendiger, als notwendig empfundener, wirksamer Faktor im Leben der einzelnen“1266 mehr ist, rezensierte er eine Reihe zeitgenössischer Arbei- ten zur theologischen Ethik, u. a. Gogarten, de Quervain, und beklagte, dass keine Ant- worten auf brennende politische Fragen gefunden wurden. Poelchau fragte deshalb: „Muß er [der Gesetzgeber; A. d. V.] nicht auch […] für das Recht einer unterdrückten Klasse, wenn er kein anderes Mittel hat, mit Staatsgesetzen kämpfen, nur damit über- haupt ihr Anspruch gehört wird?“1267 Poelchau forderte, dass Ethik politische Ethik, „d. h. verantwortliche Entscheidung vor dem Worte Gottes aus dem Zusammenhang der

1260 Jaspers, Doktor der Philosophie 1955, S. 17: „Wenn der Mensch ohne Gott wohl leben, aber nicht ernst werden könne […] so werde Gott den Massen am ehesten auf den Wegen des Denkens wieder er- reichbar. ‚Da hilft mir Thomas […] Thomas denkt. Seine Gottesbeweise sind noch heute großartig’.“ 1261 L’Aigle, Briefe 1947, S. 54. 1262 L’Aigle, Briefe 1947, S. 55. 1263 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 33 1264 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 48 1265 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 68 1266 Poelchau, Politische Theologie? 1932, S. 650 Fn. 1: In einem nördlichen Berliner Vorort gab es 1931 1.000 Kirchenaustritte, in denen in keinem einzigen Fall dogmatische Bedenken angegeben wurden. 1267 Poelchau, Politische Theologie? 1932, S. 652. 220 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Polis heraus“1268 sein müsse. Diese politische Ethik sah Poelchau, der religiöse Sozia- list, bei seinem Mentor Paul Tillich verwirklicht, den er in seinem Aufsatz zitierte:

Die proletarische Situation […] ist der Ort, von dem aus die Geschichte selbst den Protes- tantismus vor die Frage gestellt hat, ob er sein Prinzip mit bestimmten Formen seiner Ver- wirklichung gleichsetzen oder ob er mit seinem Prinzip sich unter die Forderung stellen will, die von der proletarischen Situation an ihn ergeht, und die einen großen, ja den größ- ten Teil seiner gegenwärtigen Verwirklichung in Frage stellt.1269 In dieser Rezension behandelt er auch kritisch Werke, die „eine Art Theologie des Drit- ten Reichs“ darzustellen scheinen, und fordert, dass der Protestantismus sich „mit aller Macht gegen dieses ‚positive’ Christentum, das uns jetzt von allen Seiten aufgedrängt wird, d. h. gegen die Metaphysizierung der Religion und des Staates wehren [muss], wenn er gegenüber dem Katholizismus seine Daseinsberechtigung behalten will“1270. Wenn er den Katholizismus erwähnt, gegen den es sich zu behaupten gilt, dann meint er bestimmt nicht die theologische, sondern die politische Dimension, denn zu diesem Zeitpunkt galt noch die dem Nationalsozialismus gegenüber kritische Haltung der ka- tholischen Bischöfe. Vom 17. bis 19. August 1932 tagte in Fulda die gesamtdeutsche Bischofskonferenz und sprach sich gegen die NSDAP aus. Sie verbot die Zugehörigkeit zur Partei und ihre Unterstützung. Poelchau, der später als Gefängnisgeistlicher vielen gefangenen Kreisauern Hilfe und geistlichen Halt geben sollte, stand fest in seinem pro- testantischem Glauben und zeigte noch kurz vor der Machtergreifung offen seine ableh- nende Haltung gegen den Nationalsozialismus.

Neben Poelchau war Gerstenmaier der zweite evangelische Theologe im Kreisauer Kreis. Prägend war sein im Elternhaus gelebter Pietismus. „Bereits von Kindesbeinen an wurde ihm und seinen Geschwistern die pietistische Frömmigkeit vorgelebt, die den Kern seines Glaubens und Gottvertrauens bilden sollte.“1271 Trotz der Dankbarkeit, die Gerstenmaier zeitlebens für den traditionellen schwäbischen Altpietismus verspürte, bewahrte ihn dies nicht vor einschneidenden Auseinandersetzungen mit diesem. Stark wurde er von der Wandlung in der evangelischen Theologie der Nachkriegsjahre beein- flusst. Es war dies die sich „mächtig entfaltende dialektische Theologie“, die das Ende der Epoche der „historisierenden liberalen Theologie unter dem Patronat Adolf von Harnacks“1272 einläutete. Gerstenmaier studierte Theologie in Tübingen, Zürich und Rostock und das in bewegter politischer Zeit, anfangs der 1930er-Jahre. In Rostock

1268 Poelchau, Politische Theologie? 1932, S. 653. 1269 Poelchau, Politische Theologie? 1932, S. 655; Tillich, Protestantisches Prinzip 1931. 1270 Poelchau, Politische Theologie? 1932, S. 656. 1271 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 27. 1272 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 24. 221 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung wurde er im Wintersemester 1932/33 zum Fachschaftsleiter der evangelischen Theolo- gie gewählt.1273 Obwohl Gerstenmaier politisch eher uninteressiert war, er wurde nach seinen eigenen Worten von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 „völlig überrascht“1274, wurde er durch die Auseinandersetzungen um die Einset- zung des Reichsbischofs Ludwig Müller „politisiert“, da er um die kirchliche Autono- mie fürchtete.1275 Gerstenmaier erklärte vor der Rostocker Studentenvollversammlung vom 16. Juni 1933:

Unser Anliegen ist klar und einfach: Wir deutschen evangelischen Studenten bekennen uns zu der Freiheit einer Kirche, die auf dem im Bekenntnis der Väter verfassten Verständnis des Evangeliums steht. Wir wehren uns gegen jeden Schein von Gewaltanwendungen bei Entscheidungen der Fragen, die diese Kirche betreffen. Wir wollen, dass diese Kirche in der Liebe zu Volk und Reich das Evangelium verkündet unbeugsam vor jedweder Ge- walt.1276 Aus dieser Erklärung kann geschlossen werden, dass es dem Theologiestudenten Gers- tenmaier zu diesem Zeitpunkt weniger um eine Widerständigkeit gegen den heraufzie- henden Nationalsozialismus, sondern um die Autonomie seiner Kirche ging.

Neben den protestantischen späteren Kreisauern sollen nun auch die katholischen be- trachtet werden. Im Gegensatz zu den protestantischen Freunden kann den katholischen bis auf Leber eine tiefe Verwurzelung in ihrem Glauben und Kirchennähe auch zur ka- tholischen Hierarchie bescheinigt werden; das gilt sowohl für die Laien als auch natür- lich für die drei Jesuiten. Eine Ausnahme bildet lediglich Leber, der zwar in seiner el- sässischen Heimat katholisch getauft wurde, aber seinen Glauben nicht praktizierte und der Kirche eher ablehnend gegenüberstand, wie es bei vielen der Sozialdemokraten in der damaligen Zeit war.1277 Auch er wird, wie die kirchenfernen Protestanten im Wider- stand, seine eigene Religiosität entwickeln.

Peters wurde, wie bereits erwähnt, 1933 Mitglied der Görresgesellschaft, einer in der Zeit des Kulturkampfes im Jahre 1876 gegründeten Organisation zur Förderung der Wissenschaften aus katholischer Sicht.1278 1940 übernahm er, wie schon gesagt, den

1273 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 40. 1274 Gerstenmaier, wie vom Teufel behütet; Teckbote 1983, S. 22. 1275 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 41. 1276 Erklärung Eugen Gerstenmaiers vor der Rostocker Studentenvollversammlung, 16.06.1933. ACDP; I–210-004/1, S. 2. 1277 Beachte jedoch: „Für Leber war charakteristisch, dass er wiederholt mit einigem Stolz darauf hinwies, dass er der einzige SPD-Abgeordnete gewesen sei, der nicht aus der Kirche ausgetreten sei, obwohl man ihm dies nahegelegt habe. Er liesse sich nicht zu etwas zwingen, bemerkte er hierzu. Obwohl im Grunde religiösen Fragen gegenüber indifferent stehend, vertrat er ebenso wie die anderen Sozialisten […] die Notwendigkeit der christlichen Schule mit allem Nachdruck, […]“; in: Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2. 1278 Trott, Levin, Peters und der Kreisauer Kreis 1997, S. 23. 222 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Vorsitz der Gesellschaft, die jedoch von den Nationalsozialisten kurze Zeit später ver- boten wurde. Peters hatte beste Verbindungen zum Bischof Preysing in Berlin, bei dem er Moltke einführte. Enge Verbindungen hatte er auch zu der katholischen Arbeiterbe- wegung mit Bernhard Letterhaus, Jacob Kaiser, Hermann Josef Schmitt und Josef Wir- mer,1279 zu denen auch Pater Delp engen Kontakt hielt. Seinen katholischen Glauben hat Peters nicht verheimlicht und „als Luftwaffenoffizier hat er sich nie gescheut, an den Gottesdiensten teilzunehmen“1280, und hat seine Katholizität kaum zum Hindernis für darüber hinausgehende Zusammenarbeit werden lassen.1281

Lukascheks Fundament und Grundmotiv für seinen Weg in den Widerstand gegen den Nationalsozialismus lag ebenfalls in seinem katholischen Glauben.1282 Seine Verbun- denheit mit ihm und mit dem Christentum zeigt sich besonders in seiner Bindung an den katholischen Naturrechtsgedanken und seine von der katholischen Soziallehre geprägten Auffassungen.1283 Sein Freund und Weggefährte Husen sprach von „einer Religiosität“ und „Katholizität in seinem Wesen [von] Gottesliebe und Nächstenliebe“, die das „Formprinzip für sein politisches Handeln und für sein ganzes Leben“ bildeten.1284 Sei- ne Sozialisation im streng katholischen Elternhaus dürfte auch politische Züge getragen haben, da man ihm, wie er selbst in einem Vortrag1285 berichtete, „schon in der Wiege“ die Fahne des katholischen Zentrums in die Hand gedrückt habe. Im gleichen Nach- kriegsvortrag betonte Lukaschek, dass die Richtlinien seines Handelns die Heilige Schrift und die päpstlichen Enzykliken seien, auf die er immer zurückgegriffen habe.1286 Der praktizierende Katholik Lukaschek war jedoch durchaus religionskritisch und hatte sich schon in seiner Studentenzeit mit dem römischen „Syllabus“ auseinandergesetzt. Er fühlte sich von den darin enthaltenen antiliberalen Sätzen „wie vor den Kopf geschla- gen“1287. Auch vertrat Lukaschek keinen engen konfessionellen Standpunkt und seine Freunde bescheinigten ihm eine ausgesprochene Toleranz.1288

1279 Roon, Neuordnung 1967, S. 114. 1280 Roon, Neuordnung 1967, S. 113. 1281 Peters, Katholische Staatsauffassung 1948. S. 301-312. 1282 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 37. 1283 Ellmann, Lukaschek 2000. S. 48. 1284 Husen, Nachruf auf Lukaschek 1955. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 1285 Lukaschek, Mainau 1951; S. 9. 1286 Lukaschek, Mainau 1951, S. 9. 1287 Lukaschek, Mainau 1951. S.13. 1288 Schäffer, Hans: Meine Erinnerungen an Hans Lukaschek, Oktober 1963. IfZ, ZS-A/18, Bd. 7, S. 1 f: „[…] für Lukaschek galt in erster Reihe der Mensch in seiner Eigenart, erst weiter dahinter kam seine Glaubens- und Parteizugehörigkeit und noch viel weiter dahinter, wenn überhaupt, die Frage, was eine bestimmte Haltung für die Ansichten und die Stellung der eigenen Person bedeuten könnte.“ 223 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Moltke schrieb am 28. Juni 1943 an seine Frau über die Religiosität Husens: „Gestern abend war ich bei Husen […]. Er ist ein charmanter Mann und das ganze Haus ist so bezeichnend für ihn und so tief katholisch. Nun war Fronleichnam gefeiert worden und die Blumen auf dem Tisch hatten am Morgen auf dem Altar die Kirche geziert.“1289 Wie bei Lukaschek lag auch bei Husen seine Widerständigkeit in seinem Glauben begründet, der ihm in einem streng katholischen Elternhaus vermittelt worden war. Husen bekannte sich auch öffentlich zu seinem Glauben. So stellte er im Jahre 1930 in seinem bereits erwähnten Buch über das Minderheitenrecht in Oberschlesien die Maßgeblichkeit der Gebote Gottes heraus.1290 Husens Gegnerschaft zur totalitären Ideologie der Nationalso- zialisten zeigt sich auch in seinem Beitrag von 1930 über Oberschlesien, in dem er Front machte gegen den „Kulturkampf“ und die Unterdrückung der katholischen Kirche in Polnisch-Oberschlesien.1291

Die für die vorliegende Arbeit notwendige religiöse Verortung der drei Jesuiten steht eigentlich außer Frage und soll im Detail nur im Falle Delps gestreift werden. Rösch war als Provinzial der Oberdeutschen Provinz der Gesellschaft Jesu (1935-1944) eine wichtige Figur des Kirchenkampfes und des Widerstandes gegen den NS, über den Gerstenmaier im April 1943 aus Rom die schon erwähnte Aussage mitbrachte, „er sei der stärkste Mann des Katholizismus in Deutschland“1292. König, 1939 von Kardinal Faulhaber zum Priester geweiht, war zunächst Studienassessor für Geographie, dann ab 1939 Professor für Kosmologie an der philosophischen Ordenshochschule, dem Berch- manskolleg. Nach seinem Mitbruder Tattenbach verwendete er seine hervorragende 1293 Begabung ganz im Kampf für die Kirche.

Zur Veranschaulichung der religiösen Ausgangssituation des damals knapp 14 Jahre alten Delp zählt sein Biograph und Mitbruder Bleistein folgende religiöse Ereignisse des Jahres 1921 auf: 28. März Konfirmation, 19. Juni Erste Hl. Kommunion, 28. Juni Firmung.

Diese Daten sprechen zusammengenommen gewiß erst von einer schwierigen konfessionel- len Situation, von einer mäßigen Ökumene zwischen den Kirchen, wie sie eben um 1920 noch gang und gäbe war. Sie verraten auch, ohne dass man sich auf allzu große Interpreta- tionskünste einlässt, etwas vom Stolz und vom Eigenwillen des Alfred Delp.1294

1289 MB S. 498 1290 Warderholt, Minderheitenrecht 1930, S. 12: „Positives Recht, welches gegen Naturrecht und Gottes Gebot verstößt, ist Unrecht.“ 1291 Warderholt, Oberschlesien 1930, S. 192, S. 210. 1292 Bleistein, Rösch 1998, S. 11. 1293 Tattenbach SJ, Franz Graf von: „Pater Lothar König S.J. ist am …“. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8. 1294 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 25. 224 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung

Kurz nach dem Abitur, am 22. April 1926, trat Delp in den Jesuitenorden ein und wurde am 24. Juni 1937 in München durch Kardinal Faulhaber zum Priester geweiht. Delp erlebte die Folgen der Machtergreifung in dem vom Nationalsozialismus erzwungenen Umzug des in Österreich liegenden Kollegs Stella Matutina, wo Delp als Jugenderzie- her wirkte, nach St. Blasien im Schwarzwald. Delp legte bei seiner Tätigkeit mit den Schülern „in Diskussion und Information größten Wert darauf, daß seine Jugendlichen für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vorbereitet würden“1295. 1935 plante Delp zusammen mit einigen Mitbrüdern eine Publikation, „die sich kritisch mit dem neuen Aufbruch im Deutschen Reich auseinandersetzen sollte“1296. Dabei sollte nicht nur „gegen eine sich totalitär erweisende nationalsozialistische Ideologie“ argu- mentiert werden, sondern „aus der Unterscheidung heraus eine Alternative“ gefunden „und die Kraft zu einem besseren Aufbau“1297 gesammelt werden. Nach Bleistein spie- gelt dieser Plan, der aus mangelhafter Tatkraft seiner Mitbrüder nicht zustande kam, eine „Denkungsart, die das Positive im völkischen Aufbruch dieser Jahre aufgreifen und auch auf das Fundament eines katholischen Menschenbild[s] gründen will“1298. Eine zweite Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, und zwar mit der germanisch orientierten „Deutschen Glaubensbewegung“ unter Jakob Wilhelm Hauer und Ernst Graf zu Reventlow1299, unternahm Delp 1936 mit einer Predigtreihe in der Predigtzeit- schrift „Chrysologus“1300. Er wollte in dieser theologischen Auseinandersetzung einer dritten Konfession wehren.1301 Delp setzte in dieser Predigtreihe „gegen Rassenideolo- gie, Gottgläubigkeit, Pantheismus, evolutionäre Religiosität, Rassenfrömmigkeit, mo- derner ‚Mythus’ […] die Lehre der Kirche, vor allem die Schöpfungstheologie und eine christozentrische Erlösungslehre“1302. Hatte Delp in dem ersten Auseinandersetzungs- versuch noch eine „Umarmungsstrategie“ im Sinn, so bezog er mit seiner Predigtreihe eindeutig Stellung gegen die Absichten der Nationalsozialisten.

Der Aussage Gablentz, dass alle Kreisauer ein gleiches christliches Grundverständnis hatten, ist nach dieser angestellten Betrachtung nicht zuzustimmen. Es gab Kulturpro- testanten, Nicht-Gläubige wie Leber, grundsätzliche, aber kirchenferne Christen sowie religiöse und kirchennahe Christen. Die Kirchennahen, religiös Praktizierenden schei-

1295 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 78. 1296 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 80. 1297 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 92. 1298 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 92. 1299 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 99. 1300 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 96. 1301 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 115. 1302 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 114. 225 Verortung des gesellschaftspolitischen und religiösen Standpunktes der Kreisauer am Beginn ihres Ringens um eine Neuordnung nen aber überwogen zu haben und insofern war in Gruppen in der ausgeübten Religion doch ein vergemeinschaftendes Element festzustellen. Auf dieser Basis konnte Moltke als Säulen seiner Planungsarbeit neben der Arbeiterschaft auch die Kirchen in Anspruch nehmen. Dies war allerdings mit vielfältigen Diskussionen verbunden.

226 Vergemeinschaftende Quellen

4 Vergemeinschaftende Quellen

Die Vergemeinschaftung geschieht, wie in dem Exkurs dargestellt, über gemeinsame Werte, Überzeugungen oder Einstellungen und über Exklusionsgestalten, aber auch durch bereits erfahrene Sozialisation und Prädispositionen, Erfahrungen, gemeinsames Bekenntnis und gleiche politische Ansicht.

Bei der Vergemeinschaftung des Kreisauer Kreises muss auch berücksichtigt werden, dass es bereits bestehende Teilgruppen gab, die schon vor der Bildung des Kreisauer Kreises einen Weg des Vergemeinschaftungsprozesses zurückgelegt hatten. Dies gilt neben Moltke für die acht Freunde1303, die bereits bei der Löwenberger Arbeitsgemein- schaft mitgewirkt hatten, mit Einschränkung für die sogenannten militanten Sozialis- ten1304, für die fünf religiösen Sozialisten1305, für die Anhänger der Michaelsbruder- schaft1306, für die drei Jesuiten, das Freundespaar Haubach und Mierendorff, für die Weggefährten Lukaschek und Husen. Die 20 Freunde, die zum engeren Kreis der Kreis- auer gezählt werden, waren sich trotz aller Heterogenität also nicht insgesamt gegensei- tig fremd. Es bestand bereits eine Kohäsion in den Teilgruppen und „Kitt“, der die Ver- gemeinschaftung beförderte.

Es gibt viele Quellen, aus denen sich diese Vergemeinschaftung speiste; nur einige kön- nen exemplarisch näher behandelt werden. Zu diesen Quellen zählen die Sozialisation und die erworbene Prädisposition während der Jugend- und Studentenzeit, z. T. auch in England, die gemeinsame Volksbildungsarbeit in Schlesien, die Kriegserlebnisse und der sich bei den im Felde gestandenen Freunden nach dem Krieg zeigende Verände- rungs- und Gestaltungswille, die Auslandserfahrungen einiger Kreisauer, die generatio- nelle Vergemeinschaftung, die bei den Freunden feststellbare Motivation zum Wider- stand und ihre Weigerung, zu emigrieren. Die Prädisposition durch die Jugendbewe- gungen, die Erfahrungen in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und die Motivations- lage zum Widerstand sollen näher betrachtet, die übrigen Quellen aber zunächst kurz gestreift werden, um der Vielfalt der Vergemeinschaftungsquellen besser gerecht zu werden.

1303 Gablentz, Yorck, Trotha, Einsiedel, Reichwein, Peters, Lukaschek (als Gast), Steltzer (nicht direkt beteiligt, aber mit der Löwenberger Arbeitslagerarbeit bestand eine lose Verbindung ) 1304 Mierendorff, Haubach, Leber 1305 Gablentz, Poelchau, Haubach, Mierendorff, Reichwein 1306 Gablentz, Steltzer, Haeften (Sympathisant) 227 Vergemeinschaftende Quellen

Für die älteren Kreisauer war mit Sicherheit auch das Erlebnis des Ersten Weltkriegs ein vergemeinschaftender Faktor.1307 Reichwein, Peters, Mierendorff, Haubach, Leber, Rösch, Husen, Gablentz waren Kriegsfreiwillige und Steltzer Berufssoldat. Alle kriegs- freiwilligen späteren Kreisauer kehrten als Offiziere mit Tapferkeitsauszeichnungen aus dem Krieg zurück. Die Vergemeinschaftung zeigte sich nicht etwa in einer Unterfrak- tion des Kreisauer Kreises, sondern in Mentalitätseinflüssen durch das Kriegserlebnis. Das eigentliche „Kriegserlebnis“ dieser jungen Generation im Felde habe, so der Erzie- hungswissenschaftler Erich Weniger (1894-1961), der 1914 als 20-Jähriger wegen des Krieges sein Studium abgebrochen hatte, neben der Erweiterung der Lebenserfahrung, darin bestanden,

… daß der durchschnittliche Mensch in der Gemeinschaft und in der Kameradschaft hi- neinwuchs und dass er dabei dem Tode immer wieder unmittelbar gegenüberstand, wie sonst nur außergewöhnliche Menschen unter außergewöhnlichen Schicksalen.1308 Das Grabenleben und die alltäglich erfahrene Präsenz des Todes ließen die Soldaten ungeachtet ihres sozialen Herkunftsmilieus näher zusammenrücken, schweißten sie zu der viel beschworenen Schützengrabengemeinschaft zusammen. Man kann annehmen, dass diese Erfahrung die älteren Kreisauer in besonderem Maße gemeinschaftsfähig machte. Kühne postuliert zwei Modelle, bezogen auf die nach dem Krieg zurückkeh- renden jungen Offiziere. Das sogenannte rechte Modell ist gekennzeichnet durch einen Kameradschaftsmythos, der Offiziere und Mannschaften als Kampfgemeinschaft be- greift, an einer nationalen Volksgemeinschaft partizipierend, durch Hass auf den militä- rischen Gegner zusammengehalten. Bei dem linken Modell, dem spiegelverkehrten Gegenstück, steht Kameradschaft der Mannschaftssoldaten nicht mit ihren Offizieren, sondern mit ihren militärischen Gegnern im Blickfeld. „Diese Leidensgemeinschaft antizipierte nicht die nationale Volks-, sondern die internationale Völkergemein- schaft.“1309 Es wäre zu untersuchen, ob die Annahme berechtigt ist, dass die heimkeh- renden kriegsfreiwilligen Kreisauer dem zweiten Modell zuzurechnen sind. Verschiede- ne europäische Visionen der Kreisauer sprechen für diese Annahme. Insgesamt wäre auch zu untersuchen, inwieweit die Verarbeitung der Fronterfahrung im Ersten Welt- krieg für den Durchbruch zu politischer Bewusstseinsbildung1310 der späteren Kreisauer wirksam war und welche Quellen der Vergemeinschaftung sich daraus ergeben.

1307 Von den älteren Kreisauern war lediglich Lukaschek wegen eines Lungenleidens in der Jugend nicht Soldat im Ersten Weltkrieg; siehe Husen, Lukaschek, in: Hupka 1985. S. 297. 1308 Weniger, Kriegserinnerungen 1937. S. 244. 1309 Kühne, Kameradschaft 2006. S. 62. 1310 Klafki, Reichwein 2000. S. 26. 228 Vergemeinschaftende Quellen

Eine weitere Quelle der Vergemeinschaftung stellt ohne Zweifel die Weltoffenheit der Kreisauer, gewonnen durch Auslandsstudien und weit ausholende Auslandsaufenthalte, dar.

Auffällig viele Kreisauer konnten auf mehr oder weniger lange Auslandserfahrung und Aufenthalte an ausländischen Universitäten zurückblicken. Lukaschek besuchte mehrere Jahre die Auslandsschule Fridericianum im schweizerischen Davos zum Auskurieren eines Lungenleidens und bezeichnete diese Jahre in der Schweiz als wesentlichen Ge- winn für seine geistige Entwicklung.1311 Trotha konnte sich bei einem Studienaufenthalt in England besonders mit der Settlement-Bewegung und den Einrichtungen der Arbei- terbildung in Yorkshire, Lancashire und London näher vertraut machen.1312 Trott stu- dierte in Oxford in den Jahren 1931-1933 nach einem vorherigen Kurzsemester im Jahre 1929 und war von der traditionsreichen Universitätsstadt fasziniert; hier knüpfte er viele Verbindungen zu englischen Freunden, die ihm später von Nutzen sein sollten.1313 Haef- ten war 1928/29 Austauschstudent am Trinity College in Cambridge.1314 Husen studier- te nach dem Abitur 1909 Rechts- und Staatswissenschaften sowohl an den Universitäten München und Münster als auch in Oxford und Genf.1315 Einsiedel absolvierte nach dem juristischen Staatsexamen und dem Studium der Soziologie und der Wirtschaftswissen- schaften einen Studienaufenthalt in den USA zur Promotion zum Dr. rer. pol.1316 Moltke erhielt aufgrund seiner 1935 begonnenen Ausbildung zum Barrister in London in den folgenden Jahren ausgiebig Gelegenheit, „sowohl Deutschland von außen betrachten zu können, als auch die englische Politik ohne die Zensur der deutschen Propaganda zu verfolgen“1317. Trott1318 und Reichwein1319 unternahmen spektakuläre Weltreisen; Peters reiste zu Vor- trägen über Selbstverwaltung nach Brasilien1320; Gablentz wurde als Angehöriger des Statistischen Reichsamtes 1931 mit zu den Reparationsverhandlungen nach Basel ge-

1311 Schäffer, Hans: Meine Erinnerungen an Hans Lukaschek. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 2. 1312 Trotha, Carl Dietrich, Lebenslauf. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8. 1313 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 54 ff. 1314 Ullrich, Kreis 2008, S. 56. 1315 Ullrich, Kreis 2008, S. 52. 1316 Einsiedel, Horst von: Lebenslauf, 12.07.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1317 Schwerin, Moltke 1999, S. 33. 1318 Krusenstjern, Trott Biographie 2009. S. 331 ff. 1319 Von seiner USA-Reise schreibt Reichwein: „Ich kann und will auf diesen wenigen Blättern nicht mehr geben als eine Resonanz des Atems, den ich in Amerika gespürt habe: des Landes und des Volkes, das dort wohnt. Ich glaube, daß etwas von dem echten Geist dieses Kontinents jenem begegnet, der frei von den üblichen Fesseln des Reisenden […] gereist ist“; Reichwein, Blitzlicht 1930, S. 3. 1320 Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, Vortrag gehalten im Jahre 1935 in Brasilien. BA NL Peters, N 1220-19. 229 Vergemeinschaftende Quellen schickt, später auch nach Lausanne und London1321; Haeften, der von vornherein eine Karriere im auswärtigen Dienst anstrebte, überbrückte die Wartezeit bis zur Aufnahme mit einer Tätigkeit als Sekretär der Stresemann-Stiftung und mit Auslandsreisen. Unter anderem nahm er im Januar 1931 an einer internationalen Abrüstungskonferenz in Ox- ford teil, wo er zum ersten Mal mit Trott zusammentraf. Seine Stationen im diplomati- schen Dienst waren Kopenhagen, Wien, Bukarest.1322 Einsiedel listet in seinem Lebens- lauf folgende wirtschaftlichen Studienreisen auf: Polen (1930), Vereinigte Staaten von Amerika (1930-1932), Norwegen (1936), England (1937) und Türkei (Frühjahr 1939).1323 Moltke unternahm neben den Reisen zu seinen Großeltern nach Südafrika und den studentischen Auslandsaufenthalten im Frühjahr 1935 eine Studienreise ins Ausland, um seine beruflichen Betätigungsmöglichkeiten zu erkunden. Er fuhr nach Basel zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, in Bern führte er Gespräche mit dem deutschen Gesandten Ernst von Weizsäcker, er besuchte in Genf den Völkerbund und fuhr schließlich nach Den Haag zum Ständigen Gerichtshof, wo ihm Ake Ham- merskjöld, der Geschäftsführer des Haager Ständigen Gerichtshofs, als Thema einer juristischen Dissertation die völkerrechtliche Bedeutung des britischen Privy Council vorschlug.1324. Die Auslandsstudien und Reisen scheinen den Horizont dieser späteren Kreisauer erweitert und sie weniger anfällig für nationalistische Parolen gemacht zu haben. Ihnen war klar, dass es neben dem deutschen Gedankengut reiche und weite an- dere Zusammenhänge in der Welt gab, die in das deutsche Geschehen einzugliedern waren. Spuren dieses Einflusses auf die spätere Kreisauer Gedankenwelt könnten nach- gewiesen werden.

Eine weitere Quelle der Vergemeinschaftung, die nur gestreift werden soll, könnte mit dem Generationenansatz freigelegt werden. In der neueren soziologischen Forschung wird dem Aspekt der Generationenforschung ein breiterer Raum eingeräumt. Der wis- senschaftliche Gewinn, den dieser Forschungsansatz in diesem Zusammenhang bringt, wird hauptsächlich in dem Phänomen die Vergemeinschaftung gesehen, da die Kohor- ten sich ja nicht selbst inszenierten. Das parallele Erleben von Geschichte, die ver- gleichbar empfundene Erfahrungsschichtung sowie die Phantasie, einen gemeinsamen Ursprung zu haben, sind für das Verstehen generationeller Vergemeinschaftungen nach

1321 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 2. 1322 Ullrich, Kreis 2008, S. 56. 1323 Einsiedel, Horst von: Lebenslauf vom 12.07.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1324 Schwerin, Moltke 1999, S. 22; MBF S. 69 f. 230 Vergemeinschaftende Quellen

Jureit von grundlegender Bedeutung.1325 Bei den Kreisauern kann man wegen der ge- ringen Zahl kaum von einer Generation sprechen, jedoch von einer Generationseinheit.

Unter Generationseinheiten wollte er [Mannheim; A. d. V.] zunächst einmal konkrete Ver- bindungen verstanden wissen, die auch ein gewisses Maß an Nahkontakten benötigen, um sich entfalten zu können. Sie kommen am ehesten dem soziologischen Verständnis einer sozialen Gruppe nahe, die sich durch bestimmte Inhalte oder Prägungen formiert.1326 Dies scheint auf den Kreisauer Kreis zuzutreffen. Es könnte versucht werden, herauszu- finden, welche vergemeinschaftende Kraft von diesem Phänomen für den Kreisauer Kreis ausging. Dabei müsste aber auch der große Altersunterschied beachtet werden. Zehn von den 20 dem engeren Kreis der Widerstandsgruppe zugehörigen Männern wa- ren zum Zeitpunkt des 1. Kreisauer Treffens 1942 jünger als 40 Jahre: Poelchau (*1903), Yorck (*1904), Einsiedel (*1905), Haeften (*1905), Gerstenmaier (*1906), König (*1906), Moltke (*1907), Trotha (*1907), Delp (*1907), Trott (*1909). Leber (*1891), Rösch (*1893), Haubach (*1896), Peters (*1896), Mierendorff (*1897), Reichwein (*1898) und von der Gablentz (*1898) waren zwischen 40 und 50 Jahren; lediglich Lukaschek (*1885), Steltzer (*1885) und Husen (*1891) hatten die fünfzig bereits überschritten.

4.1 Jugendbewegungen

Ein Großteil der Kreisauer, vor allem diejenigen, die ihre Sozialisation nach dem Ers- ten. Weltkrieg erfuhren, waren Mitglieder in den verschiedenen Jugendbewegungen. Die dort erfahrene Prägung wirkte im Kreisauer Kreis weiter. Es soll dargestellt werden, inwiefern die z. T. sehr tief gehenden Erfahrungen und Erlebnisse in der Jugendbewe- gung eine Prädisposition für die Kreisauer Planung bedeuten und vor allem, welche vergemeinschaftende Kraft von ihnen für den Freundeskreis ausging. Immerhin konnte bei zwölf der Kreisauer1327 eine Zugehörigkeit zu den einzelnen Jugendbewegungen festgestellt werden. Bei den älteren Kreisauern, die noch im 19. Jahrhundert geboren waren, wie Steltzer, Lukaschek, van Husen, Leber, Rösch und Peters, und die den Zu- sammenbruch der alten Ordnung, „die Insolvenz bürgerlicher Gesellschaft, den politi- schen und wirtschaftlichen Zerfall eines Systems, das sie nicht als das ihre ansahen“1328 als heimkehrende Kriegsteilnehmer erlebt hatten, lag diese Phase der Sozialisation in

1325 Jureit, Generationenforschung 2006, S. 7 ff. 1326 Jureit, Generationenforschung 2006, S. 22. 1327 Im Gegensatz zu Roon, Neuordnung 1967, S. 20, Fn. 2 werden in diesem Zusammenhang die Ber- neuchener Bewegung (Haeften und Steltzer) und die akademische Freischar (Einsiedel) nicht zur Jugend- bewegung gezählt. 1328 Jureit, Generationenforschung 2006, S. 44. 231 Vergemeinschaftende Quellen einer Jugendbewegung nicht vor. Auch wenn die meisten der jüngeren Kreisauer in einer Jugendbewegung engagiert waren, bildeten der 1907 geborene Moltke und der 1905 geborene Einsiedel eine Ausnahme. Moltke gehörte keiner Jugendbewegung an, wie er in seiner Schrift „Youth looks in, and out” bemerkte: „At the outset I wish to be clear that I personally belong to no group or union.”1329 Für Einsiedel heißt es: „Als Schüler keine Berührung mit der Jugendbewegung.“1330

Am Beginn der Weimarer Republik, das ist die Zeit, die wir hier betrachten wollen, war die Jugendbewegung zahlenmäßig dezimiert, da viele Jugendführer und Mitglieder der verschiedenen Jugendgruppen im Krieg gefallen waren. Der Erste Weltkrieg wurde hin- sichtlich des Wandels der Lebensformen und Lebensauffassungen als Epochenschwelle veranschlagt.1331 Heuss sagte über die Jugendbewegung in einer akademischen Festrede 19501332, dass die Lösung der ständischen Ordnung, die Abkehr in der akademischen Sonderung, das Streben nach einem freien, neuen Lebensgefühl im ersten Weltkrieg gefährdet und dann zerbrochen worden sei. Die jugendlichen Kriegsteilnehmer waren geprägt durch die schweren Erlebnisse, die schwärmerische Begeisterung fürs Vaterland und für das große Abenteuer Krieg war einer völligen Ernüchterung gewichen. „Nach der Auflösung des alten politischen Systems sah die Jugend die Zeit eines Neubeginns zur grundlegenden Veränderung von Staat und Gesellschaft. Sie betrachtete es als ihre Aufgabe, Verantwortung und Führung bei der politisch-gesellschaftlichen Erneuerung zu übernehmen.“1333 In den ersten wirren Jahren der Weimarer Republik spaltete sich die Jugendbewegung aufgrund unterschiedlicher politischer Ausrichtung in Gruppie- rungen von „links“ nach „rechts“ und leiteten eine starke Neuorientierung der Nach- kriegsbünde in sozial wie politisch heterogenen Bünden ein.1334 Krumwiede macht auf das Wort Bonhoeffers aufmerksam, dass mit der Nachkriegsjugendbewegung auch der Führergedanke in seiner neuen Gestalt zum ersten Mal durch ganz Deutschland getra- gen worden sei1335, um nach dem verlorenen Krieg durch eine neue Autorität die ele- mentaren politischen und gesellschaftlichen Probleme wie Aussichts- und Sinnlosigkeit der Lebenszukunft der Jugend, besonders durch Arbeitslosigkeit, lösen zu können.1336

1329 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 69; Rosenstock-Huessy, Brief an Hammer, 08.02.1954. IfZ, ED 106-96. 1330 Notiz von Bauch, Botho: (Horst von Einsiedel: geb. 1905 in Dresden …); Rosenstock-Huessy, Brief an Hammer, 08.02.1954. IfZ, ED 106-96. 1331 Hermann, Jugendbewegung 1991, S. 33. 1332 Heuss, Theodor: Akademische Festrede. BA NL Peters, N 1220-45, S. 9. 1333 Baumann, Die Jugendbewegung 2003, S. 414. 1334 Jureit, Generationenforschung 2006, S. 26 1335 Krumwiede, Bonhoeffers Kampf 2000, S. 60; Bonhoeffer, Der Führer 1932-1933, S. 249. 1336 Krumwiede, Bonhoeffers Kampf 2000, S. 60; Bonhoeffer, Der Führer 1932-1933, S. 246 f. 232 Vergemeinschaftende Quellen

Allerdings ist bemerkenswerterweise mit Ausnahme von Steltzer, Haeften und Trott bei keinem der Kreisauer ein Hinweis auf solch einen Führergedanken festzustellen. Wie wir bereits gesehen haben, mag Haeften Hahns Vorstellung eines autoritären Rechts- staats zur Bewältigung der Krisen geteilt haben, Steltzer beklagte in seiner ersten politi- schen Rede im Jahr 1919, dass kein Führer da sei, dem man innerlich folgen könne und Trott glaubt, dass eine Veränderung des Weimarer Parteiensystems am besten durch „strong men in mind“ 1337 bewirkt werden könnte.

Interessant ist auch der Hinweis von Baumann, dass die Jugendbewegung immer stärker ein Lebensbund wurde, der den Einzelnen in die Pflicht nahm. Dabei habe sich die indi- viduelle Orientierung hin zu einer kollektiven Ausrichtung verschoben, in der die per- sönlichen Belange dem übergeordneten Ziel der gesellschaftlichen und politischen Neu- ordnung von Staat und Volk untergeordnet wurden.1338 Letztere Aussage trifft auf die Mitglieder des Kreisauer Kreises bei ihrer Planung zur Neuordnung Deutschlands zu und war ein signifikanter vergemeinschaftender Faktor bei all ihrer Heterogenität.

Diese Heterogenität zeigte sich auch in dem breiten Spektrum von Jugendbünden, in denen die Kreisauer Mitglieder waren, die nachgerade ein Sinnbild für die „Zerklüftung Deutschlands nach 1918“1339 waren: Wandervögel (Reichwein), Pfadfinder (Trotha), Köngener (Poelchau), Junge Evangelische Bewegung (Gerstenmaier) Jungsozialisten (Mierendorff und Haubach), Neudeutschland (König und Delp), Nibelungen (Trott) und Jungdeutscher Bund (Gablentz).

Wir hatten schon festgestellt, dass Moltke in keinem Jugendbund war, das Gleiche gilt für Yorck. Ein Grund könnte ihre starke Integration in ihrer jeweiligen Großfamilie gewesen sein. Yorcks Bruder Paul bemerkte:

Mein Bruder hatte mit der Jugendbewegung nie etwas zu tun. Ich glaube nicht einmal, dass die Fragestellung dieser Generation der seinen entsprochen hätte. […].Wiewohl er sich aus Überzeugung zur Gemeinschaft zwang, also etwa freiwillig ein Referendarlager mitmachte oder sich zur Ausbildung als Reserveoffizier meldete, hatte er zu Männerbünden, Organisa- tionen, zu Bewegungen nicht den geringsten Zugang. Er blieb allen diesen Erscheinungs- formen gegenüber stets kritisch und hatte wohl große Hemmungen zu überwinden, wenn er sich mit dem Menschen in der Masse abgeben musste.1340 Carl Dietrich von Trotha berichtete in seinem Lebenslauf von seiner Zeit in der Ju- gendbewegung:

1337 Brief von Trott an Rowse, St. Andreasberg 10.02.1931. ULE, MS 113; Rowse Collection. 1338 Baumann, Die Jugendbewegung 2003, S. 17 f. 1339 Trefz, Jugendbewegung 1999. S. 27. 1340 Yorck, Paul von: Brief an Roon, 01.10.1963, IfZ, ZS-A/18, Bd. 9. 233 Vergemeinschaftende Quellen

Als Schüler habe ich mich frühzeitig der Jugendbewegung angeschlossen und in Schweid- nitz eine Gruppe des Pfadfinderbundes1341 ins Leben gerufen, die sich bis zu meinem Weg- gang im Jahre 1925 führte. Auf ausgedehnten Wanderfahrten in den Süd-Ostländern lernte ich früh etwas von der Welt ausserhalb Deutschlands kennen und brachte manche, erst durch den Krieg unterbrochene Freundschaft in Tschechien, Bulgarien und anderen Ange- hörigen der Südost-Staaten nach Hause.1342 Trotha wird wohl durch die Pfadfinderkultur angezogen worden sein, von der es heißt:

[…] den rechten Pfad durch das Leben zu suchen […].Unser Grundsatz der stets hilfsberei- ten Nächstenliebe lässt uns erkennen, dass schrankenlose Ungebundenheit in der Freiheit zur Selbstsucht führt und deshalb völlig dem sozialen Gedanken widerspricht. Die Pfadfin- der, die stets den sozialen Gedanken […] gepflegt haben, wollen eine Gebundenheit in der Freiheit […]1343 Die Gebundenheit in der Freiheit erinnert an die spätere Staatsdiskussion zwischen Moltke und Yorck, wo dieser von Hypotheken für die Freiheit spricht.1344

Adolf Reichwein kam früh mit der Bewegung der Wandervögel in Berührung, die um die Jahrhundertwende von Berlin ausgegangen war, die Ketten starrer gesellschaftlicher Konventionen zu sprengen.1345 Von den Wandervögeln empfing er wesentliche Lebens- impulse.1346 In seinem Aufsatz „Vom Gemeinschaftssinn der deutschen Jugendbewe- gung“1347 schrieb Reichwein, dass die Jugend in der wilhelminischen Zeit in den sozial- ökonomischen Entwicklungsprozess willenlos eingespannt gewesen sei, die Jugendli- chen sollten sich, beklagte er, als Durchgangsstadium zum Erwachsensein benutzen lassen, d. h. zu normierter Mittelmäßigkeit, zu treuer Pflichterfüllung. Das hätte man Erziehung genannt, es bedeute aber Sterilität, geistigen Tod, für die Jugend sei es Stick- luft. Er sah weiterhin in der Jugendbewegung den Keim für morgen: neue Jugend, die neue Welt der Kameradschaft, die Arbeitsgemeinschaft der freien, starken, selbstständi- gen Menschen. Die Jugend schuf nach Reichwein das Bild einer neuen Menschenge- meinschaft. Die von ihm geschätzte Arbeitsgemeinschaft sollte später die Form der Zu- sammenarbeit des Freundeskreises, die Schaffung des Bildes einer neuen Menschenge- meinschaft eines der Hauptanliegen Moltkes werden: „Wie kann das Bild des Menschen in den Herzen unserer Mitbürger wiederhergestellt werden.“1348 In seinen Bemerkungen

1341 Zu dem bekannten Admiral von Trotha, dem Begründer des Deutschen Pfadfinderbundes, der nach dem Muster von Baden-Powell ins Leben gerufenen Bewegung, bestand seitens der schlesischen Familie Trotha keinerlei persönliche Beziehung. 1342 Trotha, Carl Dietrich von: Lebenslauf. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8. 1343 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 357. 1344 Moltke, Brief an Yorck, 17.06.1940, in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 118: „… dieser freien Entfaltungsmöglichkeit eines jeden wollten Sie eine schwere Hypothek aufladen […].“ 1345 Ullrich, Kreis 2008, S. 39. 1346 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 7. 1347 Reichwein, Vom Gemeinschaftssinn, in: LBDI S. 146. 1348 MBF S. 185. 234 Vergemeinschaftende Quellen zu einer Selbstdarstellung von 19331349, der wohl einzigen von ihm erhaltenen geblie- benen autobiographischen Quelle, nennt Reichwein, auf seine Jugend zurückblickend, die Jugendbewegung als eine von drei Wurzeln seines persönlichen wie beruflichen Wirkens neben dörflichem Leben und Frontkameradschaft. Für Reichwein dürfte das von Seidelmann genannte Zentralerlebnis der Jugendbewegung gelten: Erweckung zur Gemeinschaft.1350 Die Befreiung der Jugendbewegung galt nicht „der Emanzipation des Individuums“, schrieb Reichwein deshalb 1923 in seinem Aufsatz über die Jugendbe- wegung, „sondern sie galt dem neuen Leben in Gemeinschaft. Es war eine neue Da- seinsform gegenseitigen Dienstes geschaffen.“1351 Neben der Arbeitsgemeinschaft und dem Bild eines neuen Menschen ist damit ein dritter wichtiger Begriff des Freundes- kreises gefallen, der der Gemeinschaft. 1939/40 wird Moltke die schon mehrfach ge- nannte erste Denkschrift schreiben, „Die kleinen Gemeinschaften“, in der er wichtige Bausteine für die Kreisauer Neuordnung vorformulieren wird.

Otto Heinrich von der Gablentz bemerkte in seiner Rezension über Ger van Roons Werk über den Kreisauer Kreis: „Gut ist der Einfluß der Jugendbewegung erfasst. Aus ihm folgte jene grundsätzliche Kritik an der in Weimar fortlebenden Wilhelminischen Gesellschaft, die eine Verständigung mit dem Goerdeler Kreis so schwer machte.“1352 Auch für Gablentz war die Erfahrung in der Jugendbewegung formend. Während seines Studiums engagierte sich Gablentz in der Jugendbewegung, und zwar im „Jungdeut- schen Bund“, er war geprägt durch die Idee des „konservativen Sozialismus“ von Wi- chard von Moellendorff. Der Jungdeutsche Bund charakterisierte sich selbst so:

Was uns […] im Jungdeutschen Bund zusammenführte, war ein gemeinsames Wissen um unsere unmittelbare Verbundenheit mit dem Leben der völkischen Gesamtheit und in ihrem Staat, unser gemeinsamer Gegensatz gegen alles, was dieses Leben zu bedrohen schien und unser instinktives Drängen […], so schnell wie möglich heran an den Tatbestand zu kom- men, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, und die Ideen am Material der Wirklichkeit zu erproben.1353 Die Begegnung mit der Jugendbewegung war für Gablentz nach eigenem Bekunden sogar wichtiger als das Studium, sie bestärkte ihn in der Auffassung, dass die Gesell- schaft eine Reform von Grund auf brauchte.1354 Neben der Jugendbewegung war Ga- blentz geistig geprägt durch die Arbeitslagerbewegung sowie, wie einige andere spätere Kreisauer auch, durch den Kreis der Religiösen Sozialisten um Paul Tillich und die

1349 Reichwein, Adolf: Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung, 10.06.1933, in: LBDII S. 253-262. 1350 Seidelmann, Bund und Gruppe 1955, S. 40. 1351 Reichwein, Vom Gemeinschaftssinn, in: LBDI S.146. 1352 Gablentz, Würdigung 1968, S. 593. 1353 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 331. 1354 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 1 f. 235 Vergemeinschaftende Quellen

„Neuen Blätter für den Sozialismus“.1355 Im kirchlichen Bereich schloss sich Gablentz der in Marburg gegründeten Michaelsbruderschaft an, über die er auch Steltzer kennen- lernte. Darüber wird später noch näher zu berichten sein. Festzuhalten ist, dass Gablentz von einer Gesellschaftsreform von Grund auf, dem Hauptanliegen des Freundeskreises, zutiefst überzeugt und ohne Zweifel ein gemeinschaftsbildendes Element im späteren Kreisauer Kreis war.

Steinbach sagte am 100. Geburtstag über die bündischen Einflüsse auf Carlo Mieren- dorff:

Mierendorff stand zunächst mittendrin, mitten in der frühen Aufbruchstimmung des Kaiser- reiches am Rande des Krieges und seines Untergangs, also nicht draußen vor der Tür. Er gehörte 1914 keineswegs zu den Zeitgenossen, die sich von ihrer Zeit und ihren Sogströ- mungen distanzierten. So lassen sich bündische Einflüsse finden, so lassen sich die zeitspe- zifischen Ausbruchsgefühle nachweisen. Mierendorff ließ sich ganz auf die Zeitläufte ein. Die Konsequenz dieser Stimmung war der Wunsch, an den großen Herausforderungen, die schließlich die Weltkriegsgeneration prägten, beteiligt zu sein. Der Wunsch, ein neues Le- ben zu wagen, endete gleichsam im Schützengraben.1356 Mierendorff und Haubach zählten neben Reichwein zu den Kreisauern, die noch vor dem Ersten Weltkrieg eine Sozialisation in den Jugendbewegungen erfuhren. In dieser frühen Jugend dürfte Mierendorff über seinen engsten Freund und Mitschüler Haubach, der, ebenso wie Trotha, Mitglied des Deutschen Pfadfinderbundes war, mit der bürger- lichen Jugend- und Wandervogelbewegung in Kontakt gekommen sein, auch wenn Mie- rendorff selbst nicht an dem Treffen auf dem Hohen Meißner teilnahm. Es war eine Bewegung von Schülern und Studenten, „die gegen die starren Normen und zum Teil hohlen Konventionen der wilhelminischen Ära protestierten und selbst einen eigenen, jugendgemäßen Lebensstil und neue Wege mitmenschlichen Verhaltens zu entwickeln versuchten“1357. Im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen scheint Mierendorff durch das offene und liberale Klima in seinem großbürgerlichen Elternhaus aber nicht zum rigorosen Ausbruch aus der Familie gezwungen worden zu sein.1358

Theodor Haubach war unabhängig von Mierendorff in den Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges in einer Wandervogel-Gruppe in Darmstadt aktiv und 1913 auf dem Hohen Meißner mit dabei.1359

Mit stupendem Selbstbewusstsein machte er Front gegen wilhelminische Ordnung, gegen spießige Besitzbürger und lethargische Kleinbürger, doch vorerst wurde dem nicht politi-

1355 Moltke, Albrecht, Die wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen 1989, S. 59. 1356 Steinbach, sozialistische Aktion 1997, S. 11. 1357 Amlung, Carlo Mierendorff 1997, S. 14. 1358 Amlung, Carlo Mierendorff 1997, S. 14. 1359 Zimmermann, Haubach 2004, S. 28. 236 Vergemeinschaftende Quellen

sches Handeln, sondern die schwärmerisch-visionäre Idee von der „Menschengemein- schaft“ bzw. „Volksgemeinschaft“ entgegengestellt.1360 Das politische Handeln blieb der Zeit nach dem Krieg während seiner Mitgliedschaft bei den Jungsozialisten und im Hofgeismarer Kreis vorbehalten. Insofern mag es stim- men, wenn Alma de l’Aigle, seine Freundin aus Hamburg, in dem Gedenkbuch für Haubach schreibt: „Man kann nicht sagen, Haubach sei aus der Jugendbewegung her- vorgegangen. Die Entwicklung der Jugendbewegung war nicht seine Entwicklung. Er war ein politisches Phänomen, er hatte das Zeug, Massen zu entflammen und zu füh- ren.“1361 In der Tat machte sich Haubach in späteren Jahren gern über die Jugendbewe- gung, ihre pädagogischen Bemühungen und ihre Ethik lustig.1362 Betrachtet man aber die damalige Pfadfinderkultur, so scheint Haubach wie auch Trotha von dem für die Kreisauer Diskussion relevanten Diktum, dass schrankenlose Ungebundenheit in der Freiheit zur Selbstsucht führt und die Gebundenheit in der Freiheit der hemmungslosen Ungebundenheit vorzuziehen sei, angezogen worden zu sein.1363

Das erinnert ebenfalls an die Hypothek, die Yorck in seiner Diskussion mit Moltke über die Staatsauffassung der freien Entfaltungsmöglichkeit eines jeden aufladen möchte.1364

Adam von Trott zu Solz stand in seiner Kasseler Schulzeit dem Nibelungenbund nahe, war aber aus schulischen Gründen nie Mitglied. Dieser Bund war von jungen Männern patriotischer Gesinnung, die nach dem Zusammenbruch Deutschlands eine geistig- politische Erneuerung des Vaterlandes anstrebten, gegründet und geleitet worden. Das Abzeichen war eine weiße Rose. Sein Gründer war Gustav (Gösta) Ecke, ein junger Weltkriegsteilnehmer. In ihm verkörperten sich die besten Impulse der Jugendbewe- gung in so mitreißender Weise, daß die „Gösta‘sche Idee“ noch Jahre nach seiner Aus- wanderung einen Geheimbegriff von magischer Bedeutung für die Jungen darstellte.1365 Die in diesem Bund verbreitete Ostasiensehnsucht hatte auf Trott ihre Wirkung, und später sollte er auch den alten Führer Gustav Ecke in Peking wiedersehen.1366 Trott nahm am Bundestag 1924 teil, entfremdete sich aber 1925 vom Nibelungenbund, die Irrealität des Ganzen erkennend. Der Bund wurde auch 1928 aufgelöst.

1360 Zimmermann, Haubach 2004, S. 30. 1361 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 72. 1362 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 72. 1363 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 357. 1364 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 118. 1365 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 160 ff. 1366 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 100. 237 Vergemeinschaftende Quellen

Aber das Gedankengut der Nibelungen, besonders die Betonung des Deutschtums, mag ihn angezogen und bei ihm Resonanz ausgelöst haben. In einem Flugblatt von Anfang 1922, das u. a. Thomas Mann als Protektor unterschrieben hatte, war zu lesen:

In Kameradschaft sind sie [die Nibelungen; A. d. V.] zu einem Bunde zusammengeschlos- sen, der […] alle an das Geschick eines innerlichen Deutschtums bindet in Nibelungentreue bis in Niedergang und Tod. Die Nibelungen stehen in einer Front, […], [um] für die innere Wiedergeburt des Vaterlandes […] zu arbeiten […]. Das bloße naturnahe Wandervogeltum um seiner selbst willen konnte nicht mehr genügen, aber es blieb die Vorbedingung des Wollens, das nun nötig wurde: des Wollens deutsch zu sein, immer mehr zu werden, nicht nur im Sinne der Landesfarben, sondern wie es eine innere Stimme gebietet. Deutsch wie man es in seltenen Augenblicken erlebt, wie es ein oft verspottetes, wenig verstandenes Dichterwort als wesentlich, heilend und heilig preist. Deutsch wie die lebendigen erhabenen Vorbilder, wie Konradin und Maximilian, Dürer, Bach und Beethoven, wie Hölderlin, Kleist und Goethe, deutsch wie Friedrich der Große.1367 Trott war in der Tat zeitlebens national gesinnt und von Liebe zu Deutschland durch- drungen, ganz im Gegensatz zu Moltke, wie dessen Frau Freya betonte. Boveri stellte Trotts Weltläufigkeit und die Liebe zur deutschen Nation der Moltkes gegenüber:

Größere Ähnlichkeit mit Moltke [als mit Yorck; A. d. V.], wenigstens in seiner Art, die große Welt zu sehen, hatte Adam von Trott zu Solz. Auch in seinen Adern floß von der mütterlichen Seite angelsächsisches Blut; auch er hatte, und zwar als Rhodes Scholar, eng- lisches Leben mitgelebt. Aber in ihm spielte das Deutsch-Sein, das Wurzeln in der waldrei- chen hessischen Heimat, der Wille, für Deutschland zu arbeiten, eine viel stärkere Rolle. Schon seine frühen englischen Freunde empfanden stark, daß er das Oxforder Leben zwar ganz und gar miterlebte, aber doch immer erkennbar Deutscher blieb.1368 Harald Poelchau gehörte einem Schülerbibelkreis an.1369 Aus diesem ging 1920 der Köngener Bund hervor. Die Gründe für seine Mitgliedschaft lagen einerseits in der Be- rührung mit der deutschen Jugendbewegung, andererseits in einem neuen Verständnis der Bibel, das sie von den pietistisch eingestellten Leitern befreite. Die christliche Gruppe Poelchaus, die Köngener Gruppe1370, übernahm ihr inneres Leitbild von der Hohe-Meißner-Gemeinschaft. Die neue Vereinigung unterstellte sich den Prinzipien der Selbsterziehung, der Selbstbestimmung, der Selbstverantwortung und der wahrhaftigen Lebensführung.1371 „Die Freundschaft dieser Gruppe hat alle Verschiedenheit der Ent- wicklung überdauert, selbst die politischen Gegensätze. Das gemeinsame Leben auf Fahrt, Musik, Laienspiel und das gemeinsame geistige Erarbeiten der Lebensgrundlagen bedeuteten weit mehr als die Schule […]“, sagte Poelchau nach dem Kriege.1372

1367 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 168 f. 1368 Boveri, Verrat 1956, S. 71. 1369 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 35. 1370 Roon, Neuordnung 1967, S. 20, Fn. 2. 1371 Poelchau, Ordnung 1963, S. 16 f. 1372 Poelchau, Ordnung 1963, S. 17. 238 Vergemeinschaftende Quellen

Lothar König und Alfred Delp1373 gehörten beide dem Bund Neudeutschland (ND) an. König besuchte von 1915 bis 1924 in Stuttgart die Friedrich-Eugen-Oberrealschule. In diesen Jahren wurde er begeisterter Anhänger des Jugendbundes Neudeutschland, des- sen Gau Württemberg er von 1922 bis 1924 als Gaugraf leitete:1374

Ich war mehrere Jahre mit Lothar König in sehr lebendiger Verbindung – er war in Würt- temberg, ich in Bayern verantwortlich für je einen Gau im Bunde Neudeutschland […] Lo- thar war einer unserer kraftvollsten, charaktervollsten und eigenständigsten Führer im Bund ND – aber er war überaus verschwiegen, verhalten, diszipliniert und liebte es nicht, von sich u. seinen Angelegenheiten zu sprechen,1375 bezeugte später ein Freund aus dem ND aus jenen Tagen.

Von Delp hieß es: „Dieser ‚Strick’ (er war also kein Heiliger während der Schulzeit) war aber von Jugend auf eine geborene Führernatur, geistig überragend begabt, vital und begeisterungsfähig. So verwundert es nicht, daß er dem Bund Neudeutschland in der katholischen Jugendbewegung angehörte.“1376 Sowohl König als auch Delp traten unter Einfluss des jugendbewegten katholischen Bundes Neudeutschland dem Jesuiten- orden bei.

Der deutsche Katholizismus erlebte in der Nachkriegszeit eine Epoche volksnaher Be- wegungen. Die liturgische und die monastische Bewegung fanden großen Zulauf.1377 Das galt auch für katholische Jugendbewegungen wie Quickborn oder für den Bund Neudeutschland. Dieser war ein Verband katholischer Schüler höherer Lehranstalten und wurde 1919 von dem Jesuitenpater Ludwig Esch gegründet. Kindt charakterisiert diesen Bund so:

Der Name „Neudeutschland“ war nicht nur eine Umschreibung, es war ein echter Name, ja ein Programm. Damit reihte sich der junge Verband ein in die damals entstehende bündi- sche Jugend mit ihrem gleichen Generationsgefühl. Der Name bewahrte den Verband vor der – naheliegenden – Gefahr einer nur innerkirchlichen Einseitigkeit; mit Walter Flex ver- standen sich die Neudeutschen als „Wanderer zwischen zwei Welten“, als Bürger des Rei- ches Gottes wie auch des weltlichen Reiches, des Deutschen Reiches. Der Name „Neu- deutschland“ wirkte wie ein Weckruf an die Jugend, mit ihren Kräften mitzuwirken an einem neuen, besseren, christlichen Deutschland.1378 Der Jesuit Koch postulierte jedoch 1933, dass Deutschlands katholische bündische Ju- gend sich auch an das geliebte Vaterland nie triebhaft verlieren werde, da eine absolute Bindung an Gott bestehe. Außerdem betonte er interessanterweise die Überlegenheit der Bünde gegenüber den Arbeitslagern und gibt folgende Gründe an:

1373 Delp V S. 190. 1374 Bleistein, König. Ein Jesuit im Widerstand 1986, S. 313 f. 1375 Beyerle, Karl: Brief an Roon, 28.08.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 1376 Tattenbach, Delp, Schwaiger 1984, S. 211. 1377 Wehler, Gesellschaftsgeschichte 2003, S. 447. 1378 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 697. 239 Vergemeinschaftende Quellen

Die Bünde unterscheiden sich wegen ihrer Freiwilligkeit des Zusammenschlusses zu einer vorgegebenen und geformten Gesinnungsgemeinschaft, weiterhin durch die viel tiefere Einwirkung auf den einzelnen, wie sie durch das Individuelle der Zielsetzung und Durch- bildung gegeben ist, endlich und vor allem durch die ungleich längere und intensivere Be- einflussung, die die jugendlich ungestaltete Seele in jahrelanger, systematischer, mühsamer Bildungsarbeit zu klarer, beständiger Lebensform verfestigt.1379 Grundlegend für den Bund ND war sein Programm1380, das auf dem 5. Bundestag auf Schloss Hirschberg 1923 beschlossen wurde und als „Hirschbergprogramm“1381 eines der großen Dokumente der christlichen. Jugendbewegung darstellt. Davon war Delp innerlich bestimmt. Das Hirschbergprogramm – und damit die Spiritualität des Bundes – war geprägt von einer auch bei Delp erkennbaren starken Christozentrik.1382 Christus ist dabei Mitte, Ziel, Vorbild und Führer und gibt einen neuen Akzent bei der Bestim- mung des theologischen Verhältnisses von Natur und Übernatur. Die Natur, Pflege des Volkstums, Verwurzeltsein in deutscher Heimat, Liebe zum deutschen Vaterland wer- den zwar hoch geschätzt, aber ihre eigentliche Vollendung schenkt erst Christus in sei- nem neuen Leben.1383 In den Leitsätzen des Neudeutschen Bundes finden sich Gedan- ken, die auf den Kreisauer Kreis ausgerichtet zu sein scheinen. Da wird von Menschen gesprochen, die auf den Ruf des Vaterlandes hin helfen wollen und dies in einer Ge- meinschaft mit treuer Gefolgschaft. Aber es ist auch von dem Willen zur Tat die Rede, einer Haltung, die nur einem Teil der Kreisauer eigen war:

Wille zur Tat. ND braucht schöpferische und schaffende Menschen. Der Drang zum Leben muss sich äußern in der praktischen, zielbewussten Arbeit in der Gruppe. […]. Unser Va- terland ruft nach Menschen, die helfen wollen. Wille zur Gemeinschaft. Das große Ziel und unsere geringe Kraft verlangen einen festen Bund und feste Gruppen. Die nur auf Sympa- thie gebaute Gruppe ist eine Scheingemeinschaft und entnervt. Wir wollen Bruderliebe und Bruderarbeit auch da, wo persönliche innere Bande nicht vorhanden sind, und wir wollen treue Gefolgschaft dem Führer. Nur so gewinnt unsere Gemeinschaft Stoßkraft. Diese Stoßkraft stellen wir in den Dienst der noch höheren Gemeinschaft unseres Volkes.1384

1379 Koch, katholische bündische Jugend 1933, S. 168-172. 1380 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 30. 1381 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 698 f: „Auf diesen natürlichen Grundlagen der gesun- den Jugendbewegung baut sich in organischer Einheit und Vollendung das Reich der Übernatur auf, die Lebensgestaltung in Christus, wobei Christus in den Mittelpunkt der religiösen Erneuerung gestellt wur- de: Christus als Persönlichkeit, als Führer und Haupt der Kirche. Dieser induktive Weg von der vorgege- benen Natur zur Übernatur blieb theologisch nicht unangefochten, obwohl gerade er sich, besonders pä- dagogisch, als fruchtbar erwiesen hatte. Daß sich Menschsein und Christsein nicht in einem bloßen Ne- ben- oder Nacheinander verwirklichen ließe, erschien selbstverständlich. Solche Einwände konnten all- mählich zum Verstummen gebracht werden durch den Hinweis auf eine Grundlehre der katholischen Theologie (Bonaventura): gratia praesupponit naturam et elevat et perficit.“ 1382 Die Enzyklika „Ubi arcano dei” von Papst Pius XI. vom 23.12.1922 beeinflusste das Hirschbergpro- gramm stark. Dieses Rundschreiben stand am Anfang dieses Pontifikates. Hier stellte der Papst sein Pro- gramm vor: „Pax Christi in regno Christi”. Zu diesem Programm gehörte auch die Einführung des Christkönigsfests am letzten Sonntag des Oktobers mit der Enzyklika „Quas primas” vom 11.12.1925. Diese Thematik wird mitbestimmt durch den Untergang der Monarchien und die politischen Umwälzun- gen. 1383 Hirschbergprogramm, in: Bokler, Manifeste der Jugend 1958, S. 27 f. 1384 Kindt, Die deutsche Jugendbewegung 1974, S. 709. 240 Vergemeinschaftende Quellen

Nach Bleistein sprachen Bilder und Ideale dieser katholischen Jugendbewegung, Si- cherheit im Glauben, Freude an der Natur, Geborgenheit in der Gemeinschaft, Delp sehr an. Dies sei programmatischer Inhalt für das Empfinden aufgeweckter junger Menschen aus den 1920er- und frühen 1930er-Jahren gewesen, in denen der deutsche Katholizis- mus durch große Bewegungen geprägt wurde.1385 Aber später hinterfragte Delp diese im ND erfahrene Aufbruchstimmung, als er 1936 in seinem Predigtzyklus „Kirche in der Zeitenwende“ schrieb: „Vielleicht war unser Aufbruch, unser Siegesglaube doch nicht ganz richtig?“1386 Ihm schien der katholische Aufbruch der jungen Generation versun- ken. Aber Delp setzte das „Gesetz der Herrschaft Christi“1387 dagegen.

Bleistein sieht in dieser Erfahrung der Jugendbewegung Delps Imperative für sein En- gagement und seine Entscheidungen im Dritten Reich vorgezeichnet.

Zwei Gesetze hält er in ihrer Gültigkeit fest. Das eine: Alles Nur-Menschliche, das in übermenschlicher Überheblichkeit auf Christus verzichten möchte, sinkt zum Untermen- schentum ab. Das andere: Alle, die in Christus stehen, werden bestehen, niemand wird sie aus seiner Hand reißen. Dies aber nur deshalb, weil sie seinem Gesetz folgen.1388 Nach eigenem Bekunden konnte Eugen Gerstenmaier den Berufsalltag, den er als Lehrling als dürr und verloren empfand, nur ertragen durch die Jugendbewegung, die seinem „Stiftsleben […] Glanz und Fülle, Schwung und Richtung“1389 gab. Die im El- ternhaus gelebte „traditionelle Kirchlichkeit“1390 und die gepflegten Kontakte zu protes- tantischen Kreisen, die in enger Verbindung mit dem CVJM standen, führten den 14- Jährigen fast selbstverständlich in den dort pietistisch geprägten CVJM, der den evange- lischen Jugendbünden angehörte. Ebenso engagierte sich Gerstenmaier in der christli- chen Pfadfinderschaft (CP), deren Kirchheimer Sektion im Sommer 1925 als selbststän- dige Gruppe innerhalb des CVJM gegründet worden war. Dort widmeten sich die Ju- gendlichen dem Bibelstudium ebenso wie pfadfinderischen Tätigkeiten. Es kam aller- dings zu Brüchen, hervorgerufen durch den Gegensatz pietistischer Jugendpflege zu der dem Zeitgeist angepassten Öffnung. Gerstenmaier fühlte sich zunehmend eingeengt, brach mit der pietistisch ausgerichteten Gruppe und schloss sich1391 innerhalb der bün- dischen Jugend dem Christdeutschen Bund von Cordier1392 an. Dieser Bund war auch evangelisch orientiert, reichte allerdings über die pietistische Lebensvorstellung hinaus.

1385 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 28. 1386 Delp I S. 188. 1387 Delp I S. 190. 1388 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 29 f. 1389 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 22. 1390 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 20. 1391 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 30. 1392 Cordier, Evangelische Jugend 1927. 241 Vergemeinschaftende Quellen

Die Vermittlung des Gemeinschaftserlebnisses der bündischen Jugend und die in die- sem Zirkel gepflegte Zivilisationskritik, welche mit dem Streben nach Erneuerung der abendländischen Kultur verknüpft war, bewirkten bei dem jungen Gerstenmaier eine Faszination. „Das große Gemeinschaftserlebnis der bündischen Jugend jener Jahre wur- de auch uns zuteil. Die Welt hatte sich für uns geweitet, das Leben im Bund war frisch, sprühend lebendig und nahm uns mit“, schrieb er in seinen Lebenserinnerungen.1393 Weiter führte Gerstenmaier später aus, dass die Jugendbewegung ein intensives Natur- erlebnis kultivierte, nach einer Urerfahrung des Wesenhaften verlangte und einem neu- en Lebensstil huldigte, der sich mit Äußerlichkeiten nicht zufriedengab. Ihre hochgradi- ge Zivilisationskritik begehrte eine Erneuerung der abendländischen Kultur.1394 Auch die Hohe-Meißner-Formel der Freideutschen war präsent, die „nach eigener Bestim- mung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben ten“1395wollten. Für die spätere Zukunft Gerstenmaiers war entscheidend, dass sich in ihm der heiße Wunsch zu regen begann, mit dem bisherigen Entwurf seines Lebens überhaupt zu brechen, dem Stumpfsinn seines Kontors Ade zu sagen und sein Leben durch die Tore der Universität hindurch unter einen anderen Horizont zu bringen.1396

Wenn wir die Sozialisation des jungen Gerstenmaier betrachten, so können wir feststel- len, dass auch er durch die Hohe-Meißner-Formel in sich den Wunsch spürte, an der Neugestaltung Deutschlands mitzuwirken, und dass das erfahrene Gemeinschaftserleb- nis auch bei ihm den Kitt für die Vergemeinschaftung im Kreisauer Kreis lieferte. Für seine religiöse Entwicklung waren seine Abwendungsschritte vom strengen schwäbi- schen Pietismus prägend.

Leber gehörte zu den Kreisauern, die keine Sozialisation in einer Jugendbewegung er- fuhren. Jugendbewegung und Volksbildungsarbeit, durch die führende Kreisauer in ihrer sozialen Einstellung entscheidend geprägt wurden, lagen außerhalb des persönli- chen Erfahrungsbereichs des völlig unbürgerlichen Leber.1397 Nach Beck wird Leber den Kreisauern soziale Gesinnung kaum abgesprochen haben, doch dürfte er gespürt haben, daß diese Gesinnung, wie bereits bei der Beschreibung der Konflikte zwischen Moltke und Leber angemerkt wurde, stärker aus patriarchalischem Verantwortungsge- fühl kam, als es ihnen möglicherweise selbst bewusst war. Auch die von der sozialisti-

1393 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 25. 1394 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 24. 1395 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 24. 1396 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 25. 1397 Leber, Brief an seine Frau Annedore, 07.09.1933, in: LBDII S. 281. 242 Vergemeinschaftende Quellen schen Jugend übernommenen Komponenten dieser Bewegung erlebte Leber nicht, so- dass ihm dieser Denkansatz fremd blieb, wohingegen er für die Sozialisten Mierendorff, Haubach und Reichwein „auf Grund ihrer Erfahrungen eine tragfähige gemeinsame Basis mit den Kreisauern war“1398.

Auch die anderen Freunde erfuhren durch die verschiedenen Zweige der Jugendbewe- gung wesentliche Impulse. Rothfels hält ausdrücklich fest, dass gerade der Kreisauer Kreis erfüllt war vom Geist und Willen der alten deutschen Jugendbewegung, aus der beinahe alle namhaften Gestalten dieses seines Erachtens wichtigsten Widerstandskrei- ses hervorgegangen seien.1399 Wenn man den Gehalt der Jugendbewegung zusammen- gefasst darstellen will, so stößt man auf aktive Gegenbewegungen, die, ausgehend von breit gestreuter Zivilisationskritik, auf die Herausforderungen des Industriezeitalters, der Massengesellschaft, antworteten. Das Bildungsbürgertum unterstützte reformpädagogi- sche Bewegungen. So stellt Amelung fest:

Diese kulturreformerischen Initiativen aus dem Bildungsbürgertum sahen in der Bildung neuer Sozialformen Möglichkeiten eines „dritten Wegs“ jenseits von Kapitalismus und So- zialismus/Kommunismus, einer unpolitischen Form der Gesellschaftsveränderung, sie glaubten, durch Bewusstseins- und Verhaltensänderung einzelner oder kleiner Gemein- schaften von innen her allmählich die Gesellschaft in ihrem Sinne reformieren zu kön- nen.1400 Es wird aber auch auf die mangelnde politische Gestaltungskraft1401 der Jugendbewe- gung hingewiesen, man spricht sogar von „Flucht aus der Welt statt Erkenntnis ihrer Zusammenhänge“1402. Stattdessen wollten sie

… den „neuen Menschen“ schaffen, der, durch die Gemeinschaftserziehung der Jugendbe- wegung zu einer harmonischen Persönlichkeit gebildet, dann von selbst, gewissermaßen als „Ferment“ in die Gesellschaft hineinwirken und dort seine Kreise ziehen sollte.1403 Bei dieser Charakterisierung kommt sofort der Kreisauer Kreis in den Blick. Die schon mehrfach genannte Denkschrift über „Die kleinen Gemeinschaften“ und das Ziel, das Bild des neuen Menschen zu schaffen, beides Aktivitäten Moltkes und Diskussions- punkte im Kreisauer Kreis, scheinen von dem Geist der Jugendbewegung gespeist.

1398 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 177. 1399 Rothfels, Hans: Der Kreisauer Kreis. IfZ, ED 106-96, S. 1. 1400 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 45. 1401 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 56 f. Der Vorsitzende der Historischen Kommission zu Berlin, Wolfgang Treue, im Mai 1985 anlässlich der Tagung zum 40. Jahrestags des 20. Juli: „Die meisten von uns kamen aus einer Jugendbewegung, die den Stolz pflegte, unpolitisch zu sein, und die zur Verachtung der Politik und des politischen Denkens erzogen hatte“; in: Schmädeke/Steinbach, Widerstand gegen den Nationalsozialismus 1985, S. XVIII. 1402 Fritzsche, Politische Romantik und Gegenrevolution 1976, S. 40. 1403 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 57. 243 Vergemeinschaftende Quellen

Neben der Zivilisationskritik der 20er-Jahre mit ihrer Frontstellung gegen die Verfla- chung der bürgerlichen Gesellschaft hatte die Jugendbewegung auch eine religiöse Komponente, die „das Handeln aus der Einheit des Wesens forderte“1404, mit der Kon- sequenz der damalig Jugendbewegten, dass Politik in Zukunft nicht notwendig „eine Kategorie außerhalb religiös-ethischer Bestimmtheit“1405 sein musste. Wegen der vielen Mitglieder des Kreisauer Kreises aus der Jugendbewegung nimmt es deshalb nicht wunder, dass die Herrschaft des Nationalsozialismus als Symptom eines säkularen ethi- schen und politischen Auflösungsprozesses1406 betrachtet wurde, der seine entscheiden- de Ursache im „Verlust der religiösen Gebundenheit des Menschen hatte“1407. In dieser Erkenntnis wird die Bedeutung der Rechristianisierung des Menschen als ein Pfeiler des Kreisauer Programms verständlich.

4.2 Volksbildungsarbeit in Schlesien

Eine maßgebliche Quelle der Vergemeinschaftung ist in dem gemeinsamen Erlebnis der von Moltke mit initiierten1408 Löwenberger Arbeitsgemeinschaft in den 1920er-Jahren zu sehen, an dem sowohl jüngere als auch ältere spätere Kreisauer teilnahmen. Die Lö- wenberger Arbeitsgemeinschaft, in der sich Moltke als 20-jähriger Breslauer Student engagierte, veranstaltete drei Arbeitslager zur Lösung der besonderen sozialen Probleme in Waldenburg, etwa 40 Kilometer südwestlich von Kreisau.1409 Ziel war „die Überwin-

1404 L’Aigle, Briefe 1947, 10. 1405 L’Aigle, Briefe 1947, 11. 1406 Mommsen, Kreisauer Vorstellungen 1990, S. 389: „Für Moltke war der Nationalsozialismus weniger durch eine spezifische Ideologie als durch ethische Ungebundenheit und zynische Menschenfeindlichkeit seines Handelns gekennzeichnet. Namentlich seit dem Ausbruch des Krieges stellte Moltke eine zuneh- mende Auflösung der moralischen Bindung und der gesellschaftlichen Grundlagen fest“; siehe auch sein Brief an Lionel Curtis, 18.04.1942. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99: „[…] the greatest part of the population has been uprooted, […] untying all bonds of nature and surrounding and thereby loosening the beast in man, which is reigning. 1407 Pope, Delp 1994, S. 165. 1408 Die Initiative Moltkes wird von Eugen Rosenstock-Huessy bestritten; siehe dazu weiter unten. 1409 „Während eines Praktikums im Landratsamt Waldenburg in den Osterferien 1927 lernte Moltke das Elend der Arbeiter im niederschlesischen Kohlerevier kennen. Durch den Kreis um Eugenie Schwarzwald für soziale Probleme sensibilisiert, rief er eine Hilfsaktion ins Leben, für die er unter anderem auch Ge- rhart Hauptmann mit dem Argument zu gewinnen suchte, dass es sich bei den Bergarbeitern um Nach- kommen der niederschlesischen Weber handele [siehe auch Brief Moltkes an Gerhart Hauptmann vom 13.08.1927, in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 47; A. d. V.]. Über seinen Vetter Carl Dietrich von Trotha kam er in Kontakt mit der Schlesischen Jungmannschaft, die 1926 das Boberhaus in Löwenberg unweit von Waldenburg übernommen hatte. Daraus entwickelte sich, unterstützt unter anderem vom Breslauer Professor für Rechtsgeschichte Eugen Rosenstock-Huessy, Ende 1927 die Löwenberger Arbeitsgemein- schaft. Ihr Ziel war es, in sog. Arbeitslagern Menschen unterschiedlicher sozialer, politischer und konfes- sioneller Herkunft – Arbeiter, Bauern, Studenten – zum Dialog zusammenzuführen“; in: Ullrich, Kreis 2008, S. 18 f. 244 Vergemeinschaftende Quellen dung der bürgerlich-kapitalistischen und feudal-aristokratischen Dominanz auch in der Republik“1410. Roon beschreibt die dortige desolate wirtschaftliche und soziale Lage:

Der Ausgang des Ersten Weltkrieges hatte auch Schlesien schwer getroffen. Mitten durch das dicht besiedelte Industriegebiet waren Grenzen gezogen worden, durch die viele Städte ihr Hinterland verloren hatten. Neue Industrien mussten aufgebaut werden. Arbeitslosigkeit und Flüchtlingsnot vermehrten die Schwierigkeiten. Die Verzweiflung über die Wirt- schaftslage schlug sich innenpolitisch in wachsendem Radikalismus nieder.1411 Die Arbeitslager fanden im Boberhaus1412 in Löwenberg statt vom 24. März bis 01. April 1928, vom 07. bis 27. März 1929, vom 01. bis 20. März 1930 mit folgenden Themen statt: Industriepädagogik als Frage des Verhältnisses von Mensch und Arbeit; Die Entvölkerung Schlesiens; Die Gefährdung der jungen Generation durch die Um- schichtung der Berufe.1413

Es nahmen jeweils 80 bis 100 Arbeiter, Studenten und Bauern daran teil. In dem Aufruf zum ersten Arbeitslager hieß es:

Neben Kameraden der Schlesischen Jungmannschaft werden christliche und sozialistische Arbeiterjugend, Jungbauern, Kooperations- und Freistudenten teilnehmen. Dieses Lager wird ein für unsere Altersstufe angemessener Weg sein, wie wir als Glieder des Bundes so- ziale Wirklichkeit sehen lernen können. Drei Jahre Arbeitslager1414 brachten die Erfahrung, dass wir in dieser Zweiheit1415 geistbeschwingter körperlicher Arbeit und arbeitsgebundener Aussprache den Fragen und Anforderungen unseres Lebens am besten begegnen können. In diesem Lager werden wir im Zusammenleben mit Arbeiterjugend und Jungbauern über Le- bensformen in der heutigen Wirtschaftsform sprechen. Das Ergebnis unserer Gespräche wird Richtlinie sein für die Versuche im Landeshuter, Waldenburger, Neuroder Revier „In- dustrievolk“ zu gestalten. Von unserem Einsatz im Lager wird es abhängen, ob wir das Bild des Bundes in die Gestaltung dieser neuen Wirklichkeit umsetzen können.1416 Die in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und Arbeitslagern vermutete Quelle der Vergemeinschaftung trifft auf acht der späteren Kreisauer zu.

In der Literatur wird immer wieder teils festgestellt, dass, teils infrage gestellt, ob das spätere Kreisauer Grundsatzprogramm bereits in nuce im Löwenberger Programm ange- legt sei, ohne dass dies im Einzelnen stichhaltig ausgeführt wird. Steltzer meinte nach dem Krieg, dass es nicht möglich sei, die „Löwenberger Arbeitsgemeinschaft als Keim-

1410 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 186 f. 1411 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 12. 1412 Haus der Schlesischen Jungmannschaft. 1413 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 35, 56, 87; Rosenstock-Huessy, Eugen: Bericht über das dritte schlesische Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten, Juli 1930; ERH Archiv, Bestand 5.3.8, Nr. 5. 1414 Damit sind vorherige rein studentische Arbeitslager gemeint. 1415 Wittig schreibt dazu: „Es wurden ihnen ziemlich schwere und saure Arbeit zugewiesen: Mauerbau, Erdarbeiten, Holzhacken und dergleichen. Sie ahnten ja auch, was der heutigen Welt noch verborgen ist, daß lebendiger Geist nur auf dem Oel körperlicher Arbeit und körperlichen Leidens und Geschehens aufflammen kann und dass aller Geist, der losgelöst von körperlicher Mühsal betrieben wird, nur geistige Ware und Technik, lebensferne Geistigkeit ist“; in: Wittig, Es werde Volk 1928, S. 16. 1416 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 32. 245 Vergemeinschaftende Quellen zelle des Kreisauer Kreises zu bezeichnen.“ „Natürlich wäre es interessant“, fuhr er fort, „einmal festzustellen, welche Impulse Moltke und Yorck von dort bekommen ha- ben.“1417 Für Gerstenmaier war die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft in Schlesien zwar biographisch interessant, aber für die Geschichte der Kreisauer selbst und „für ihre Pro- grammatik und ihr politisches Handeln“1418 nur von begrenztem Wert. Die „Boberhaus- Epoche des jungen Jurastudenten Helmuth von Moltke“ hielt er lediglich für „unzwei- felhaft biographisch reizvoll und interessant.“1419 Für den Kreisauer Kreis, „für seine politische Gestalt und Aktion aber“ sei sie nur von ähnlicher Bedeutung wie etwa die literarischen und philosophischen Versuche der Primaner Carlo Mierendorff und Theo Haubach in ihrer stürmischen Darmstädter Zeit, Adam von Trotts Hegelstudium oder seine eigene studentische und jugendbewegte Vergangenheit. „Gewiß war das alles wichtig für unser persönliches geistiges Werden, für die Geschichte des Kreisauer Krei- ses und sein politisches Handeln aber ist es ohne unmittelbare Bedeutung.“1420

Auch Eugen Rosenstock-Huessy, der Mentor der jungen Breslauer Studenten Moltke, Trotha und Einsiedel im Arbeitslager, stellte 1963 in einem Brief an Roon eine Vorläu- ferschaft der Löwenberger Arbeitslager für die Gedanken des Kreisauer Kreises in Ab- rede:

In Moltkes Bewusstsein hat kein Zusammenhang zwischen Arbeitslager und Kreisauer Kreis bestanden. Sein individuelles intellektuelles Erwachen setzte erst später am Grundl- see mit dem heftigen Sozialismus des Schwarzwald Kreises ein. Bedenken Sie, dass er 19 Jahre alt war, als sein Vetter Trotha ihn mir zuführte.1421 Dies steht im scheinbaren Widerspruch zu einer Aussage Rosenstocks zehn Jahre früher gegenüber Hammer, als er über die Löwenberger Arbeitslager schrieb: „In jenen ja auf geistigen Kampf bei friedlichem Zusammenleben, statt auf Ideologie, aufgebauten Geg- nerschaftslagern [sic!], ruht das dann in dem Creisauer Kreis hervortretende Grund- erlebnis.“1422

Allerdings sah Rosenstock 1958 in den Arbeitslagern einen „Keim des Kreisauer Krei- ses“1423 und konzedierte später einen gewissen Einfluss der Arbeitslagererfahrungen auf das weitere Werden Moltkes.

1417 Steltzer, Theodor: Brief an Hammer, 11.10.54. IfZ, ED 106-96. 1418 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 225. 1419 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 225. 1420 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 225. 1421 Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Roon, 23.02.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 6. 1422 Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Hammer, 23.12.1953. IfZ, ED 106-96. 1423 Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Hammer, 26.05.1958. IfZ, ED 106-96. 246 Vergemeinschaftende Quellen

Sie [Roon; A. d. V.] können den Gesamtschauplatz der Lager als einen notwendigen Wachstumsgrad des Kreisauer Kreises betrachten, wenn Sie sich vor dem Rationalismus hüten, zu meinen, Moltke habe an die Lager gedacht, als er den Kreis bildete. Das hat er nicht getan. Auf der anderen Seite hat Walter Hammer recht, wenn er („Hohes Haus in Henkers Hand“1424) schreibt, Rosenstock ist der Erzvater des Kreisauer Kreises.1425 Wenn Rosenstock auf der einen Seite jede Vorläuferschaft des Programms in Löwen- berg für den Kreisauer Kreis ablehnt, sich aber auf der anderen Seite gern als den Erzva- ter desselben bezeichnen lässt, könnte man darin zumindest einen gewissen Wider- spruch sehen. Eine Erklärung für diesen Widerspruch könnte in der Tatsache begründet sein, dass Rosenstock für sich keine Nähe zum Widerstand beanspruchte1426 und auch Wert auf die Feststellung legte, er sei nicht als Flüchtling emigriert, sondern aus freien Stücken 1933 nach Amerika ausgewandert, da er das Unheil mit Hitler vorgesehen ha- be.1427

Neben Stimmen, die die oben formulierte These ablehnen, gibt es aber auch solche, die sie bejahen, ohne dies allerdings näher zu begründen. Schon 1946 führte Lionel Curtis, der väterliche Freund Moltkes, dessen Einstellungen im Widerstand auf seine Erfahrun- gen in den Arbeitslagern zurück.1428 Hammer bezeichnete in einem Brief an Paul Yorck im Jahre 1955 die „Boberhaus-Arbeitsgemeinschaft als Keimzelle des Kreisauer Krei-

1424 In Hammers Werk „Hohes Haus in Henkers Hand 1955“ konnte allerdings die Benennung Rosen- stocks als Erzvater des Kreisauer Kreises nicht lokalisiert werden. In dem Bericht von Radio Bremen über die Sendereihe „Auszug des Geistes“, Bremen 1962, S. 109 wiederholt Rosenstock diese Benennung: „Man hat mir zu meinem siebzigsten Geburtstag kein schöneres Kompliment machen können, als daß mich Walter Hammer den ‚Erzvater des Kreisauer Kreises’ genannt hat.“ Dazu auch: Müller, Rosenstock- Huessy 1968, S. 130; siehe auch Ursula Schulz, die in ihrer Erläuterung zu Rosenstock schreibt: „Als Ordinarius in Breslau (1923-1933) begründete Rosenstock die beispielgebenden Arbeitslager für Arbeiter, Bauern und Studenten, deren Folgewirkungen ihm den Ehrentitel ‚Großvater des Kreisauer Widerstands- kreises’ eingebracht haben“; in: LBDIa S. 44. 1425 Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Roon, 23.02.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 6. 1426 Siehe Auskunft von Raymond Huessy vom 23.04.2010: ERH habe sich diesen Ausdruck [Erzvater des Kreisauer Kreises; A. d. V.] gefallen lassen, aber sich von ihm distanziert, da er nicht die Grundlage für den Widerstand gelegt habe. Er ließ sich es gefallen, „weil es eine Verbindung anerkannte, ohne Ursa- che und Wirkung zuzugeben.“ 1427 Müller, Rosenstock-Huessy 1968, S. 130. Wilhelm Zilius nennt Rosenstock-Huessy einen „homo politicus von hohem Grade“. „Er hat Hitler heraufkommen sehen. Er hat früh erkannt, daß jenseits von Hitler erst die eigentlichen Ergebnisse des Ersten Weltkrieges anerkannt werden müssten. Die labile poli- tische Situation der 20er Jahre war ihm stets gegenwärtig. 1929 publizierte ERH ‚Politische Reden‘, in denen er sich mit dem ‚Vierklang’ Volk, Gesellschaft, Staat und Kirche befasste. Im Gegensatz zu den konservativen Kräften – auch zur Mehrheit der Jugendbewegung – bedeuten ihm ‚Volk’ und ‚Gesell- schaft’ keine Gegensätze. Er sah in jeder dieser ‚überindividuellen Gesellschaftsformen’ natürliche Ver- pflichtungen, die jeder Mensch einzugehen habe, ohne sich an eine von ihnen allein zu binden. Mit Wi- derstandsgruppen gegen Hitler hielt er frühen Kontakt“; in: Zilius, Die Macht der Sprache 1988, S. 251. 1428 Cumberledge, A German of the resistance 1946, S. 214 (Dieser Artikel wird 1947 durch Rosenstock- Huessy Lionel Curtis zugeschrieben): „Here [in organizing work camps; A. d. V.] for the first time a conception found expression which was throughout to hold a dominating place in Helmuth’s thought, namely the need to build up in Germany a body of people with a common and disinterested purpose, which would make possible concerted rational action in the face of difficulties”; siehe auch Rosenstock- Huessy, Eugen: Brief an Roon, 15.01.1947. (Dieser Brief befindet im Konvolut „Trotha“.) IfZ, ZS/A-18, Bd. 8. 247 Vergemeinschaftende Quellen ses“1429. Auch Boveri stellt fest. dass die Lebensform des Kreisauer Kreises aus dem Arbeiter- und Studentenlager Löwenberg in Schlesien hervorgegangen sei, ohne es nä- her zu belegen.1430 Roon begründet seine Feststellung, dass „die Löwenberger Arbeits- gemeinschaft als eine Art ‚Vorphase’ der späteren Kreisauer Arbeit“ zu bezeichnen sei, mit dem Hinweis, dass außer Moltke mindestens acht Personen an dieser „Gemein- schaftsarbeit“ beteiligt waren, „die später dem Kreisauer Kreis des deutschen Wider- stands angehörten: von Trotha, von Einsiedel, Reichwein, Peters, von der Gablentz, Christiansen-Weniger1431, Peter Graf Yorck von Wartenburg sowie Steltzer“1432. Man kann in diesem Zusammenhang auch Lukaschek hinzuzählen, der in seiner Eigenschaft als Oberpräsident von Oberschlesien als Gast teilnahm.1433

Im Weiteren soll nun versucht werden, der These, dass das Kreisauer Grundsatzpro- gramm sehr wohl im Löwenberger Programm in nuce angelegt oder zumindest von die- sem stark beeinflusst wurde, nachzugehen.

Zunächst soll die Initiativrolle des erst 20-jährigen Studenten Moltke herausgestellt werden, der trotz der immensen Aufgabe den Versuch zur Lösung der sozialen Lage anging. Er glaubte an die Veränderbarkeit dieser schwierigen Verhältnisse und mobili- sierte die Öffentlichkeit. Diese Rolle erinnert an das Bilden des Kreisauer Kreises, wo die Initiative ebenfalls bei ihm lag. Moltkes Freundin, die bekannte amerikanische Jour- nalistin und politische Publizistin Dorothy Thompson, sagte dazu: „He became im- mensely interested in the problems of unemployed youth and was one of the founders of the original Work Service for Youth, which Hitler afterwards took over and politicized, Nazified, and militarized.”1434 Joseph Wittig, ein Kollege Rosenstocks an der Universi- tät Breslau, beschrieb ebenfalls die Rolle Moltkes beim Zustandekommen des ersten Arbeitslagers, nachdem Rosenstock von der „Deutschen Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung“ auf ihrer ersten Akademie in Comburg 1927 den Auftrag be- kommen hatte, einen Plan auszuarbeiten, der zeigt,

1429 Hammer, Walter: Brief an Paul Yorck, 21.06.1955. IfZ, ED 106-43. 1430 Boveri, Verrat 1956, S. 63. 1431 Christiansen-Weniger arbeitete in Agrarfragen mit dem Kreisauer Kreis zusammen, wird aber nicht zu dem engeren Kreis der Zwanzig gezählt. 1432 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 14 f.; Steltzer, Theodor: Brief an Roon, 07.12.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7: „Mit der Löwenberger Arbeitslagerarbeit bestand eine lose Verbindung, da wir in Schleswig Holstein auch ähnliche Arbeitslager veranstalteten.“ Rosenstock gründete mit Steltzer den Hohenrodter Bund für Erwachsenenbildung; in: Rosenstock-Huessy: Brief an Hammer, 23.12.1953. IfZ, ED 106-96. 1433 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 187. 1434 Thompson, Dorothy: Brief an Mother Mary Alice Gallin OSU, Washington, 23.12.1953. IfZ, ZS/A- 18, Bd. 8. 248 Vergemeinschaftende Quellen

… daß die Deutschen mehr vermögen als Parteienfehde, Klassenkampf und Standeseigen- nutz; daß wenigstens kleine Gruppen Volkes [sic!] werden können, in denen sich Angehö- rige aller Parteien, Klassen und Stände in friedlichem Zusammenleben und ruhiger Rede und Gegenrede, Hilfe und Gegenhilfe vereinigen.1435 Dieser Auftrag Rosenstocks und seiner Freunde hätte sonst lange einer Ausführung ge- harrt,

… wenn sie nicht einer mit der Nase auf die dringendste, gen Himmel schreiende Volksnot dicht vor den Toren Breslaus und Löwenbergs gestoßen hätte. Dieser eine war der junge von Moltke. Mit eigenen Augen hatte er die große Not des Volkes in den benachbarten Kreise Landeshut, Waldenburg und Neurode gesehen. Und was er gesehen, ließ ihm keine Ruhe mehr. Er wollte und musste Alarm schlagen.1436 Ein weiteres Indiz für die aufgeworfene These findet sich in der Einladungsprozedur, die Moltke am 14. September 1927 in Kreisau mit einigen Mitgliedern der Schlesischen Jungmannschaft und Rosenstock entwarf. Angesichts der Not wandte sich Moltke, wie später bei der Zusammenstellung des Kreisauer Kreises, nicht an eine Gesellschafts- schicht, schon gar nicht nur an die eigene, sondern für eine Begegnung vom 27. bis 30. Oktober 1927 wurden eingeladen: „Unternehmer, Landadel, Gewerkschaftssekretä- re, Verwaltungsbeamte, Universitätsprofessoren, katholische und evangelische Geistli- che, Pädagogen und Jugend.“1437 Aber es sollten nicht nur Angehörige verschiedener Schichten angesprochen werden, um die ganze Breite der Hilfsmöglichkeiten zu erfas- sen, sondern man wollte ausgesprochene gegnerische1438 Kräfte heranziehen, um die Diskussion zu beleben. So schrieb Moltkes Freund Einsiedel, um Teilnehmer zu gewin- nen:

I. Wir brauchen die Zusammenarbeit auch gegnerisch eingestellter Kräfte: kirchliche, kultu- relle, völkische und wirtschaftliche Gegensätze trennen unser Volk. Parteigruppen regieren heute in Staat, Stadt und Dorf. […] II. [Es] fehlen Menschen, die die einzelnen zusammen- führen. Diese können aus dem Bereich der Jugendbewegung hervorgehen. Durch die Ju- gendbewegung sind die natürlichen Gesetze des menschlichen Zusammenlebens wieder

1435 Wittig, Es werde Volk 1928, S. 14. 1436 Wittig, Es werde Volk 1928, S. 14. Diese Initiativrolle Moltkes wird allerdings von Rosenstock in dem bereits erwähnten Brief an Roon, 23.02.1963, IfZ, ZS/A-18, Bd. 6, etwas herabgestuft, wenn er über ihn schreibt: „Er hat dann als Glied [Unterstreichung übernommen; A. d. V.] des Ganzen Ausgezeichne- tes geleistet, z. B. von Hindenburg durch den späteren Kanzler Brüning 6000 Mark für das erste Lager bekommen. […]. Aber zu Brüning hingeschickt habe ich ihn, auch die verschiedenen Verbände haben wir Alten angegeben. Das Geheimnis der Lager war: Verfrühung der Verantwortung. Mir wäre es z. B. zu Gute gekommen, hätte ich mit Brüning verhandelt. Aber es war der Sinn der Unterredung, die Jungen mit Verantwortung zu beladen statt sie zu bevormunden.“ Prof. Dr. Andreas Möckel, Universität Würzburg, äußerte gegenüber dem Verfasser zu dem von Rosenstock aufgeworfenen Konkurrenzverhältnis die Mei- nung: „Rosenstock-Huessy fand sie [die Schrift von Joseph Wittig „Es werde Volk“; A. d. V.] zu über- trieben und, so nehme ich an, er fand auch die Rolle des damals jungen Helmuth James von Moltke in ihrer Bedeutung für die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft überzeichnet.“ 1437 Wittig, Es werde Volk 1928, S. 15. 1438 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 29: „Einsiedel: ‚Ich fragte den Katholiken, wer denn auf evangelischer Seite, oder den Gewerkschaftssekretär, wer etwa von den Industriellen für eine tatkräf- tige Arbeit in Frage käme und umgekehrt. Wurde uns jemand von mehr als einer gegnerischen Seite ge- nannt, gingen wir zu ihm und luden ihn zu dieser Begegnung ein.‘“ 249 Vergemeinschaftende Quellen

aufgedeckt worden. Man fragt hier zuerst nach dem menschlichen Werte des einzelnen, dann erst nach seiner politischen und konfessionellen Einstellung.1439 Diese Zusammensetzung wurde als notwendig erachtet, um die Lösung sachlicher Auf- gaben voranzutreiben, die aus der Sicht Einsiedels für das Volk lebenswichtig waren. Von 90 Eingeladenen kamen 68, aber man verstand sich trotz der verschiedenen Her- kunft nach kürzester Zeit:

Freilich war es eine bunt gewürfelte Schar: Sozialistische Arbeiterjugend, katholische und evangelische Pfarrer, Landadel, Unternehmer aus Bergbau und Textilindustrie, Studenten und Hausfrauen, vor allem aber zwei durch ein Lebensalter getrennte Generationen. Da war die Skepsis allerdings gerechtfertigt, ob so verschiedene Menschen etwas miteinander wür- den anfangen können. […] Beide Befürchtungen waren schon nach 24 Stunden als nichtig erwiesen […].Und gerade durch die starken Gegensätze, die durch die Aussprache zu Wor- te kamen, erwies sich erst, daß es hier keine Verschiedenheit der Partei und der Herkunft gab.1440 Alle waren bereit, Hilfe zu leisten, so „verbanden sie sich zu einem Bunde, den sie ‚Löwenberger Arbeitsgemeinschaft’ nannten“1441. Der Begriff Arbeitsgemeinschaft war nicht zufällig gewählt. Wir haben bereits gesehen, dass man in der damaligen Zeit von einer Arbeitsgemeinschaft sprach, „wenn sich die Gegenparteien einer dauernden, gegenseitigen Berührung, Reibung und Beeinflussung aussetzen, so unbequem das auch sein mag“1442. Diese Methode hatte Reichwein, wie dargestellt, schon beim Seminar in Bodenrod/Taunus 19211443 angewandt. Bei der Begegnung im Oktober 1927 wurden von der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft auch gleich acht Arbeitsausschüsse1444 ge- gründet. Wir sehen hier den gleichen Arbeits- und Planungsstil, wie er bereits für den Kreisauer Kreis beschrieben wurde. Die Kreisauer knüpften in ihren internen Diskus- sionen somit an die in den schlesischen Arbeitslagern Ende der 1920er-Jahre erprobten Kommunikationsformen an. Das Ergebnis war dabei nicht von vornherein festgelegt, aufgrund der Meinungsvielfalt herrschten offener Dialog und Kompromissbereitschaft. Eben die Einübung dieser Bereitschaft wurde als Teil eines Lernprozesses gesehen, der vorbildlich sein sollte für das politische Zusammenleben nach dem Sturz der Naziherr- schaft. „Wichtiger als die inhaltlichen Details der Pläne war der Einigungsprozess selbst.“1445 Als Resultat der Löwenberger Freizeit, die zur Gründung der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft geführt hatte, ergab sich, dass „eine Zusammenarbeit […] zwi-

1439 Rosenstock, Trotha, Das Arbeitslager 1931, S. 30. 1440 Trotha, Carl Dietrich: Bericht über die vorbereitende Begegnung in Löwenberg 27.-30.10.1927, IfZ, ED 423-16, S. 2. 1441 Wittig, Es werde Volk 1928, S. 15. 1442 Rosenstock, Die Hochzeit des Kriegs 1920, S. 257 ff. 1443 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 54. 1444 Wittig, Es werde Volk 1928, S. 15. 1445 MBF S. 234. 250 Vergemeinschaftende Quellen schen den äußersten politischen Extremen sowie den verschiedenen Konfessionen und zwischen Landwirtschaft, Industrie und Arbeiterschaft erreichbar“1446 war.

Nach Abhaltung der Arbeitslager sollte eine Begegnung der Jugendlichen aus dem Arbeitslager mit führenden Männern aus Landwirtschaft, Industrie und Arbeiterschaft stattfinden, eine sogenannte Führerbegegnung. Dieses Zusammenwirken einer älteren und einer jüngeren Generation, im Gegensatz zur Einaltrigkeit der Jugendbewegung1447, sehen wir auch im Kreisauer Kreis verwirklicht, wo die Hälfte der Kreisauer, die vor dem Krieg geboren war, mit den Nachkriegsgeborenen ohne Generationsschranken zu- sammenarbeitete.

Ein wichtiges Resultat des ersten Arbeitslagers war die Schaffung einer Vertrauensbasis innerhalb dieser Gemeinschaft von Arbeitern, Bauern und Studenten. Eine Vorausset- zung dafür war die Festlegung: „In Bekenntnisse und Parteianschauungen der einzelnen Gruppen wird nicht eingegriffen.“1448 Dieser Grundsatz wurde auch in der Phase der Bildung des Kreisauer Kreises beachtet; während der Planungsarbeit allerdings setzte man sich zur Erreichung der notwendigen Kompromisse intensiv mit Bekenntnissen und Parteianschauungen auseinander. Die Erkenntnis, dass bei solch einer heterogenen Zusammensetzung der Arbeitslager das Schaffen gegenseitigen Vertrauens möglich ist, mag für die zukünftigen Kreisauer eine wertvolle, hoffnungsvolle Erfahrung gewesen sein. Reichwein, der mit jungen Arbeitern aus Thüringen als Lehrer am ersten Arbeits- lager teilnahm, kam es auf die Verdeutlichung des gesellschaftlichen Schicksals jedes einzelnen Lagerteilnehmers an. Es wollte aufzuzeigen, „daß alle, ob sie nun schlesische Bergarbeiter oder Studenten oder Landwirte waren, irgendwie in ein gemeinsames Schicksal verflochten sind“1449, und warf dabei die Frage auf, ob die großen Gegensätz- lichkeiten von Klassen- und Wirtschaftsformen heute überhaupt noch einen Sinn ha- ben.1450 Reichwein konnte feststellen, dass durch die Erfahrung im Arbeitslager eine Vertrauensbasis aller geschaffen wurde, eine Basis,

… die unzertrennlich ist, und zu der sowohl die vierzig sozialistischen Arbeiter wie das Dutzend christlicher Arbeiter wie die dreißig Studenten der schlesischen Jungmannschaft, die mit dem Herzen schlechthin bei der gerechten Sache und der notwendigen Aufgabe

1446 Trotha, Carl Dietrich, Bericht über die vorbereitende Begegnung in Löwenberg 27.-30.10.1927, IfZ, ED 423-16, S. 16. 1447 Boveri, Verrat 1956, S. 63 1448 Rosenstock, Das Arbeitslager für Jungarbeiter 1928, S. 222, 224. 1449 Reichwein, Arbeitslager 1928, S.17. 1450 Reichwein, Arbeitslager 1928, S. 18. Reichwein sprach über die Abhängigkeit der deutschen Volks- wirtschaft von der Weltwirtschaft, in: O. Verf.: Das Arbeitslager der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft 1928, S. 31. 251 Vergemeinschaftende Quellen

sind, wie auch die kleine Schar katholischer (Verbindungs-)Studenten1451 und nicht zuletzt auch die zwanzig jungen Bauern und Landarbeiter gehören.1452 Wie beim Kreisauer Kreis, der den Versuch unternahm, die für eine geistige Überwin- dung des Nationalsozialismus und eine politische Neuordnung wesentlichen Gruppen, Kräfte und Standpunkte insbesondere aus der freien Arbeiterschaft und den beiden gro- ßen Kirchen zusammenzuführen, verließ man sich schon damals auf die Kirchen und die Arbeiter, um ein funktionierendes „Industrievolk“ aufzubauen.

Beachtenswert ist auch die geistige Aufgabe, die man sich u. a. für das erste Arbeitsla- ger gestellt hatte, das Herausfinden der „Zersetzungs- und Neubildungsvorgänge im Aufbau unseres Volkes“1453. Man wollte also nicht kurzfristig wirtschaftliche oder so- ziale Nöte beheben, sondern tiefer und langfristiger schürfen. Dieser geistigen Aufgabe nahm sich auch der Kreisauer Kreis an. Moltke formulierte diese Aufgabe am Anfang der Kreisauer Diskussion in seiner Denkschrift „Ausgangslage, Ziele und Aufgaben“ vom 24. April 1941. Zunächst ging er dort auf die „Zersetzungsvorgänge“ ein, wenn er schrieb: „Der Einzelne ist ungebunden, aber unfrei“, „die Verantwortung des Einzelnen ist in der Auflösung begriffen“ und „die Ausdrucksformen sind zerstört“. Für die „Neu- bildungsvorgänge im Aufbau unseres Volkes“ gab er eindeutige Ziele vor:

In dem Einzelnen muss das Gefühl der inneren Gebundenheit an Werte, die nicht von dieser Welt sind, wieder erweckt werden, welches alleine ermöglicht, ihm die Freiheit wiederzu- geben; dadurch wird der Einzelne ein Gefühl der Verantwortung wiederbekommen, wel- ches zu einem Aufblühen wahrer Gemeinschaft führen wird.1454 Wenn hier eine direkte Linie von dem ersten Arbeitslager 1928 zu einem Memorandum von 1941 gezogen scheint, dann soll damit nur gezeigt werden, dass Fragestellungen und Programmpunkte des Kreisauer Kreises die damaligen Freunde schon in der Lö- wenberger Zeit bewegten und beschäftigten. Dies gilt auch für diesen Fall der Suche

1451 In der Academia vom 15.06.1930 wurde unter dem Beitrag „Student und Arbeit“ wohl auf das 3. Schlesisches Arbeitslager 1930 bezogen berichtet: „[…] rund 30 Jungakademiker und junge Leute aus dem Arbeiterlager trafen sich Ende März dieses Jahres im Volkshochschulheim ‚Boberhaus‘ […]. Die Zusammensetzung des Tagungskreises war mit Absicht denkbar vielseitig gestaltet: Auf der Arbeiterseite waren vom christlichen Gewerkschaftler bis zum Syndikalisten alle organisierten Richtungen vertreten, parteipolitisch ging die Linie von der Bayerischen Volkspartei bis zur Rotfront. Ebenso unausgeglichen erschienen die studentischen Vertreter in Überzeugung und politischer Einstellung: neben katholischen Verbindungs- (CV) und Freistudenten, ferner auch Waffenstudenten (DB, SC) ohne parteipolitische Bin- dung nahmen auch jugendbewegte bündische Studenten sozialdemokratischer Prägung und Arbeiterstu- denten teil, deren Bildungsgang nicht über die Mittelschule, sondern über den Fabrikbetrieb führte. […]. [Die soziale Arbeit der Studenten; A. d. V.] wurde als empfehlenswerte Methode, die geeignet erscheint, das gegenseitige Kennenlernen und Zusammenfinden der kopf- und handarbeitenden Schicht zu erleich- tern, befunden“; in: Illig, Student und Arbeit 1930, S. 35. Wie beim späteren Kreisauer Kreis wurde die Heterogenität der Teilnehmer als Methode eingesetzt. 1452 Reichwein, Arbeitslager 1928, S. 18. 1453 Einladung zum Arbeitslager, 14.03.-01.04.1928, Pkt. IV. IfZ, ED 423-16. 1454 „Ausgangslage, Ziele und Aufgaben“, 24.04.1941; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 150 ff. 252 Vergemeinschaftende Quellen nach den Zersetzungsvorgängen und der Diskussion der Neubildungsvorgänge im Auf- bau des Volkes.

Eine ähnliche Parallele ergibt sich bei der Suche nach einem neuen Menschenbild, das Moltke, wie bereits mehrfach gesehen, in einem Brief an Curtis im April 1942 themati- sierte. Er stellte dort fest, dass das Bild vom Menschen in den Herzen der Mitbürger bei rechter Beantwortung der „Frage der Religion, der Erziehung, der Bindungen an Arbeit und Familie, des richtigen Verhältnisses von Verantwortung und Rechten“1455 wieder- hergestellt werden könne. Die beiden Studenten und Teilnehmer am Arbeitslager Carl Dietrich Trotha, der Vetter Moltkes, und Hermann Gundert stellten nun als Ergebnis des Arbeitslagers fest, dass das, was sich als Frucht der Lagerordnung, einer Lagerordnung der Arbeiter, Bauern und Studenten, ergab, nämlich dass Führung an die überging, die durch ihre menschlichen Gesamtqualitäten dazu berufen, die „gebildet“ im eigenen Wortsinn waren, Ansätze zu einem neuen Menschenbild berge, einem Menschenbild, „das allen zugänglich ist und verbindlich für Gruppen, deren Vertreter mit daran gebaut haben.“1456 Fehlleistungen der Studenten und der späteren Akademiker können vermie- den werden, wenn man sich dieses Menschenbild verinnerliche. Der Student

… erlebt, wo und wie jeder am Ganzen Verantwortung trägt […], wo im Zusammenleben mit dem schaffenden Arbeiter und dem tragenden Bauern die Aufgaben des denkenden und leitenden Menschen liegen, […] daß er eine persönliche Haltung findet, in der er [der Stu- dent; A. d. V.] mit den Vertretern anderer Gruppen zusammen arbeiten kann […], er muß sich hier in einem ungesicherten, zunächst noch ungestalteten Raume ohne anerkannte Sitte und ohne einheitliche Sprache in wechselvollen menschlichen Gruppierungen und Vorgän- gen und gegenüber neuen gesellschaftlichen Gestaltungsaufgaben einmal aus sich heraus behaupten.1457 Wenn auch die Brisanz der Suche nach einem neuen Menschenbild angesichts der wi- derständigen Erfahrung im Jahre 1942 eine andere war als 1928, so ergeben sich doch gleichgerichtete Aspekte: Orientierung an Verantwortung „am Ganzen“, Zusammen- arbeit über Klassen hinweg, sichere Behauptung auch in neuen gesellschaftlichen Ge- staltungsaufgaben.

Zu Beginn des Krieges 1939 erkannte Moltke, „wie wichtig die Bereitschaft einer Gruppe war, gegebenenfalls mit klaren Plänen die Regierung zu übernehmen“1458. In der Tat gibt es vier Denkschriften von Moltke mit der Jahresangabe 1939: „Bemerkun- gen zur Theorie der Selbstverwaltung – 8 Thesen“, „Bemerkungen zur Hochschulbil-

1455 MBF S. 185. 1456 Trotha/Gundert, Arbeitslager 1931, S. 20. 1457 Trotha/Gundert, Arbeitslager 1931, S. 20 f. 1458 MBF S. 90. 253 Vergemeinschaftende Quellen dung“, „Arbeitsplan über Raum und Grenzen der Selbstverwaltung“1459 und die bereits mehrfach erwähnte Aufzeichnung „Die kleinen Gemeinschaften“1460. Im ersten Absatz dieser Denkschrift treten Vorstellungen zutage, denen offensichtlich Erfahrungen der Löwenberger Arbeitslager zugrunde lagen:

Ich gehe davon aus, daß es für eine europäische Ordnung unerträglich ist, wenn der einzel- ne Mensch isoliert und nur auf eine große Gemeinschaft, den Staat, ausgerichtet wird. Der Vereinzelung entspricht die Masse. Gegenüber der großen Gemeinschaft, dem Staat, oder etwaigen noch größeren Gemeinschaften, wird nur der das rechte Verantwortungsgefühl haben, der in kleineren Gemeinschaften in irgendeiner Form an der Verantwortung mitträgt, anderenfalls entwickelt sich bei denen, die nur regieren, das Gefühl, daß sie niemanden Verantwortung schuldig sind als der Klasse der Regierenden. – Eine solche Entwicklung mag Russland oder asiatischen Ländern angemessen sein; eine europäische Ordnung wird nicht aus ihr erwachsen.1461 Das Arbeitslager war solch eine kleine Gemeinschaft, in der es galt, Verantwortung zu übernehmen und auch in rechter Zusammenarbeit mit anderen zu führen, wie wir oben gesehen haben. Die Parallele der Erfahrung der Arbeitslager zur genannten Denkschrift wird noch offensichtlicher, wenn wir die Moltke‘sche Definition der kleinen Gemein- schaften in den Blick nehmen:

Das Wesen einer kleinen Gemeinschaft besteht darin, eine Anzahl von Menschen zu einem ihnen gemeinsamen Zweck in einer solchen Weise zusammenzufassen, dass sie die Verfol- gung ihres besonderen Zwecks als in den Rahmen der großen Gesamtheit gestellt begreifen und sich für die Entwicklung ihres besonderen Interesses als für einen Teil des Lebens der Gesamtheit verantwortlich fühlen. Die zwei wesentlichen Bestandteile sind daher der ge- meinsame Zweck, der die Mitglieder einer kleinen Gemeinschaft zusammenführt, und das Gefühl der Verantwortung allen anderen gegenüber.1462 Diese Parallele hebt auch Schwerin hervor, wenn er das Konzept der kleinen Gemein- schaft, nämlich die zur Verantwortung erziehende Vereinigung, auch in dem idealisti- schen Ansatz der Löwenberger Arbeitslager realisiert sah,

… einer Zwischenlösung für eine nicht zu erreichenden Utopie einer klassen- und schich- tenlosen Gesellschaft, in der die Menschen im Bewusstsein der Verantwortung eines jeden für die Allgemeinheit zur Erreichung des Allgemeinwohls gleichberechtigt und unter Hint- anstellung überzogener Eigeninteressen zusammenarbeiten …1463, einem Ziel, dem Moltke zeitlebens verpflichtet gewesen sei.

Während dieser Arbeitslager ergab sich für die vortragenden Professoren, für die „Bauernbildner“ und Arbeiterführer die wertvolle Erfahrung einer integrativen Aufgabe im Bildungswesen:

1459 MBF S. 90. 1460 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 111-116. 1461 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 111. 1462 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 115. 1463 Schwerin, Moltke 1999, S. 87. 254 Vergemeinschaftende Quellen

Sie werden inne, daß es Stückwerk ist, was sie tun und sie erringen sich dadurch, wie es auf dem letzten Arbeitslager vom Grafen Yorck von Wartenburg formuliert wurde, eine „ge- sellschaftliche Haltung“, die ihnen Kraft gibt, ihr Stückwerk fortan als Teilwerk zu tun.1464 Dies erinnert an die von den Kreisauern erarbeitete Erziehungsvorstellung, dass alle Kräfte und Schulen, gleich auf welcher Ebene, zusammenarbeiten müssen: „Fachschu- len und Höhere Schulen, die auf der Volksschule […] aufbauen, schaffen in lebendiger Fortführung der Volksschularbeit bei wachsender Mitverantwortung des Schülers ein organisch gefügtes Wissen und Können.“1465

Moltkes Haltung zum Gemeinwesen wird deutlich in einem Beitrag, den er kurz nach dem ersten Arbeitslager anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Weimarer Republik für die schon erwähnte Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift „The Survey“ vom Fe- bruar 1929 verfasste. Darin forderte der erst 22-Jährige als Vertreter der jungen Genera- tion in Deutschland, der nicht im Namen einer Partei oder anderer Organisationen sprach, u. a. einen Ausbau der Selbstverwaltung, um die Bürger zur aktiven Mitverant- wortung für das Gemeinwesen zu erziehen. „Every citizen must feel his responsibili- ty.“1466 Zugleich trat er dafür ein, dass junge Menschen aus den unterschiedlichen Ras- sen nicht nur die gleichen Bildungschancen erhalten, sondern sich auch gegenseitig bes- ser kennenlernen sollten. Das war das Konzept der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft: „We want to help young people of all classes to come to know each other. We feel that it is the duty of university students to take the lead in this development. We want every boy and girl to learn something about the conditions of existence in other classes.”1467 Zum ersten Mal skizzierte der 22-Jährige hier ein politisches Programm, an dessen Eck- punkten wie Chancengleichheit, Stärkung der Eigenverantwortung der Bürger er auch später im Widerstand gegen den Nationalsozialismus festhalten sollte.

Eine weitere Spur, die von Löwenberg zu Moltke und zu dem Denken der Kreisauer führt, bezieht sich auf den mit der Selbstverwaltung einhergehenden Aspekt der Subsi- diarität, der in vielen der Schriften Moltkes wie in „Ausgangslage, Ziele und Aufga- ben“1468 oder „Die kleinen Gemeinschaften“ aufscheint. Man könnte zunächst anneh- men, dass hier eine Beeinflussung durch die Enzyklika „Quadragesimo anno“ des Paps- tes Pius XI. vom 15. Mai 1931 vorläge, in der das Subsidiaritätsprinzip erläutert

1464 Rosenstock, Die Arbeitslager innerhalb der Erwachsenenbildung 1939, S. 37. 1465 Grundsätze für die Neuordnung vom 09.08.1943; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 312. 1466 Moltke, Youth looks in 1929, S. 70. 1467 Moltke, Youth looks in 1929, S. 72. 1468 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 150-164. 255 Vergemeinschaftende Quellen wird.1469 Aber dieser Gedanke taucht schon vor der Zusammenarbeit mit der katholi- schen Kirche in Moltkes oben genannter Schrift „Youth Looks In, an Out“ von 1929 auf:

These wishes [wishes for the welfare of all Germany of the youth; A. d. V.] conceding to the Reich as distinguished from the separate states, the administration of justice, defense and foreign affairs; while demanding decentralization of the new administration and inde- pendence for the self-administrative bodies, especially as regards taxation, and imbuing even the smallest self-administrative bodies with a sense of responsibility to the whole. That the whole nation, as a whole, should be trained politically, to govern and administer it- self is our chief demand.1470 Dieser Aspekt der Subsidiarität wird im Zusammenhang mit der Selbstverwaltung, einem ständigen Anliegen der Kreisauer, gebracht. Wenn Moltke diese Gedanken im Februar 1929, also weniger als ein Jahr nach dem ersten Arbeitslager, niederschrieb, so ist eine Beeinflussung durch die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft anzunehmen, für deren Gründung der Gedanke der Selbstverwaltung konstitutiv war.

Es konnte dargelegt werden, dass allein schon wegen der hohen personellen Deckung und des Arbeits- und Planungsstils die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft erheblichen Einfluss auf den späteren Kreisauer Kreis hatte und dass das Kreisauer Programm auch zum Teil in nuce damals schon im Arbeitsprogramm und in den Ergebnissen der Arbeitslager vorhanden war. Dies konnte an der Initiativrolle des erst 20-jährigen Stu- denten Moltke, der Einladungsprozedur an alle Gesellschaftsschichten, auch an gegneri- sche, dem spezifischen Einsatz des Gedankens der Arbeitsgemeinschaft und der Arbeitsausschüsse, dem Nichtvorhandensein von Generationsschranken, der Schaffung einer Vertrauensbasis bei unterschiedlichsten Teilnehmern, dem Nachspüren der Zerset- zungs- und Neubildungsvorgänge sowie der Suche nach einem neuen Menschenbild festgemacht werden. Die Gedanken der späteren Moltke‘schen Denkschrift, „Die klei- nen Gemeinschaften“ schienen schon angelegt, denn es galt, in der kleinen Gemein- schaft des Arbeitslagers Verantwortung zu übernehmen und auch in rechter Zusammen- arbeit mit anderen zu führen. Der Ausbau der Selbstverwaltung und der damit einherge- hende Aspekt der Subsidiarität waren ebenfalls in den Arbeitslagern thematisiert.

1469 „Es muß allzeit unverrückbar jener oberste sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemein- wesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen“; in: Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht 1968, S. 19, Fn. 2. 1470 Moltke, Youth looks in 1929, S. 70. 256 Vergemeinschaftende Quellen

Bei der untersuchten These könnte bei denjenigen, die eher zu einem negativen Ergeb- nis kommen, möglicherweise die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass Moltke zwar der Initiator war, sich für das Waldenburger Notstandsgebiet tatkräftig einsetzte und auch dank seines Namens manche Tür für die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft öffne- te, jedoch an keinem der Arbeitslager tatsächlich teilnahm. Ein Teilnehmer berichtete über das erste Löwenberger Arbeitslager im März 1928: „Moltke und Trotha erschienen nur kometenhaft; d. h. sie schwebten für uns in höheren Regionen, waren nur kurz – wie mir scheint – anwesend.“1471 Es entspricht den Tatsachen, dass sich Moltke zurückzog, als er das Gefühl hatte, die Organisation funktioniere; er hatte Angst, dass man sich zu sehr auf ihn verließ und nicht selbst arbeitete. Er selbst schrieb am 06. September 1928 darüber an seine Großeltern:

I decided to withdraw from the work I had begun in Silesia. The reason was, that the influ- ence of the young people like Carl Dietrich Trotha and me became more and more pre- dominant, while I personally never wanted to be more than one who helps working out the ideas of others so that I myself could believe in these ideas; in time it happened, that, be- cause I had been the real founder of the organisation, people trusted on me and my young companions and did not think it necessary to work themselves. So we made it a principle, that the leaders for the work, those who are really responsible, could only be people, who had their own profession and really filled it out. The consequence was, that we had to with- draw, and I made the beginning – leaving our place for the bureaucratic work to the other young boys, whose influence could never take responsibility away from the grownups. The result is, that only two months later new people have come to take over new work for us, and that the whole work is going on wonderfully. I am really very glad about this now; but in July that really has been a hard decision for me, because it was like getting out of a roll- ing car.1472 Aber die Teilnahme Moltkes bei der Initiativbesprechung in Creisau1473, bei der Lö- wenberger Freizeit, wo er in das Kuratorium gewählt wurde, und bei der 1. Führerbe- gegnung1474 sprechen wohl für sich. Der Vorwurf, dass er bei dem Arbeitslager nicht anwesend war, geht daher ins Leere. Die einzelnen Kreisauer waren an verschiedenen Stellen präsent, auch als Lehrer bei den Arbeitslagern.1475 Die Arbeitslager spielten in Moltkes Leben eine so signifikante Rolle, dass er sie in mehreren autobiographischen Zeugnissen herausstellte, wie Möckel anmerkt.1476 In dem Brief vom 28. Januar bis 05. Februar 1944 über seine Kindheit an seine beiden Söhnen Caspar und Conrad heißt es: „Dann kam meine Studienzeit, die ich hauptsächlich den ersten Arbeitslagern und

1471 Klose, Kurt: Bericht an Hans Dehmel, 17.12.1964. IfZ, ED 423-74, Umschlag 36. 1472 Moltke, Helmuth an seinen Großvater, 06.09.1928. DLA, Nachlass A:Moltke, S 1. 1473 Damalige Schreibweise von Kreisau. 1474 Über die erste Führerbegegnung schrieb die Mutter voller „Enthousiasmus“ an ihre Eltern am 30.03.1928: „Ihr hättet Euren Enkel sehen sollen, wie er in der Küche Karotten für das Essen schabte. 180 Leute waren da, alte, junge, mittleren Alters“; in: Moltke, Dorothy, Leben 1999, S. 140. 1475 Trotha, Carl Dietrich von: Bericht über die vorbereitende Begegnung in Löwenberg, 27.-30.10.1927. IfZ, ED 423-16, S. 18. 1476 Möckel, Freiwilligendienste 2006, S. 1. 257 Vergemeinschaftende Quellen den Schwierigkeiten von Waldenburg gewidmet habe.“1477 Auch in seinem letzten, be- wegenden Abschiedsbrief an seine Frau vom 11. Januar1945 schließt er die Erfahrungen in Löwenberg mit ein, wenn er wie im Zeitraffer einen Bogen seines Lebens schlägt:

Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war. Mami und Papi, die Geschwis- ter, die Söhnchen, Kreisau und seine Nöte, die Arbeitslager und das Nichtflaggen und nicht der Partei oder ihren Gliederungen angehören, Curtis und die englischen Reisen, Adam und Peter und Carlo, das alles ist endlich verständlich geworden durch eine einzige Stunde. Für diese eine Stunde hat der Herr sich alle diese Mühe gegeben.1478 Es kann Möckel beigepflichtet werden, wenn er die Moltke‘sche basisdemokratische Initiative der Arbeitslager als „gesellschaftliches Instrument in einem sozial-politischen Integrationsprozess, der über Parteigrenzen und über konfessionelle Schranken hinweg im Dienste an einer übergeordneten Aufgabe stand“1479, interpretiert.

4.3 Motivation und Entscheidung zum Widerstand sowie Leben in Widerständigkeit

Bei der theoretischen Betrachtung der Vergemeinschaftung haben wir gesehen, dass neben der Innendimension einer Gemeinschaft, die durch gemeinsame Werte und Über- zeugungen oder Einstellungen gewonnen wird, auch die Außendimension für die Ver- gemeinschaftung konstitutiv sein kann. Nach Rosa verläuft die Erzeugung eines ge- meinschaftlichen Innenraums meist parallel mit „der Bestimmung einer Grenze, die ein Innen von einem Außen trennt“1480, und das Zustandekommen einer gemeinschaftlichen Ordnung kann überhaupt nur durch den strukturellen Ausschluss anderer vollzogen werden.1481 Der oder das andere, im Sinne von Girard die „Eklusionsgestalt“, ist im Fall des Kreisauer Kreises der Nationalsozialismus, der Totalitarismus, der Rassenwahn, die erlebte Rechtlosigkeit. Diese Tatbestände werden von der Gemeinschaft der Kreisauer abgelehnt, bekämpft und „ausgeschlossen“. Durch diesen „Ausschluss“ wird die Ge- meinschaft zugleich zusammengehalten und gestiftet. „Er übernimmt daher eine zentra- le Funktion nicht nur für die Konstitution, sondern auch für die Aufrechterhaltung der

1477 MBF S. 28. 1478 MB S. 624. Auch in seinen Abschiedsbriefen aus Tegel bezog sich Moltke immer wieder auf die Arbeitslager, wenn er auf die Bewältigung von „aussichtlosen Sachen“, S. 329, „auf Spannungen und Zwiespalte“, wie „bei Verhandlungen mit all den Ministerien in Berlin über die Arbeitslager“, S. 445 f., hinwies oder wenn er auf die „hoffnungslosen“ aber bewältigten „Lagen“, wie die Arbeit für Waldenburg und die Arbeitslager zu sprechen kam, S. 381, HFM. All diese Situationen verglich er mit seiner Lage in Tegel und hegte die Hoffnung, sie auch dieses Mal zu bewältigen. 1479 Möckel, Freiwilligendienste 2006, S. 2. 1480 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 76. 1481 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 76. 258 Vergemeinschaftende Quellen

Gemeinschaft.“1482 Nur so kann letzten Endes die Vergemeinschaftung dieser so hetero- genen Einzelgruppen begründet werden.

Die Anforderungen an die Vergemeinschaftung durch die angesprochene Exklusionsge- stalt werden noch dadurch erhöht, dass das Widerständigwerden bei jedem Kreisauer in ganz unterschiedlichen Prozessen1483 verlief, die Motivationen ungleich waren, er- schwert durch die unterschiedliche Differenzierung zwischen Anpassung, Abgrenzung und Verweigerung, durch die Erfahrung der Dilemmata im erzwungenen Doppelleben des Widerstandes im eigenen Land und der schmerzvollen gespaltenen Existenz, durch das unterschiedliche Begreifen des Widerstandes und des Tyrannenmordes. All diese Unterschiede erschwerten die Vergemeinschaftung, aber sie wurden bei Weitem aufge- hoben durch fest empfundene Einheitlichkeiten. Diese waren die bedingungslose Ab- lehnung des Nationalsozialismus und des Unrechtsstaates, die Verweigerung der Emi- gration und stattdessen die gefahrvolle Arbeit im „Innern“, der Einsatz des eigenen Le- bens, die eingenommene Perspektive für die Zeit „danach“, für die Wiederherstellung der Majestät des Rechts.

Diese Haltung spiegelte sich am stärksten in der Grundsatzerklärung der Kreisauer. Die Präambel bezeichnete die völlige Abkehr von der totalitären und menschenverachtenden NS-Ideologie als Ziel. Gefordert wurden die Wiedereinführung des Rechts, die Garantie von Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Unverletzlichkeit der Menschenwürde. Das Recht auf Arbeit und Eigentum sollte ohne Ansehen der Rassen-, Volks- und Glau- benszugehörigkeit ebenso wie die Familie unter öffentlichem Schutz stehen. Dem bishe- rigen Zentralstaat wurde das Prinzip der Selbstverwaltung in kleinen und überschauba- ren Gemeinschaften entgegengestellt. Gemeinde, Kreis, Land und Reich waren als Gliederungsebenen des Staates vorgesehen. Allgemeine und direkte Wahlen sollte es nur für die Gemeinde- und Kreisparlamente geben, während Landtage und Reichstag indirekt gewählt werden sollten. Als Reaktion auf das gescheiterte Parteiensystem der Weimarer Republik sah dieses Modell von politischen Parteien ab. In der Frage der Wirtschaftsordnung strebte man mit Leistungswettbewerb unter staatlicher Aufsicht einen Mittelweg zwischen Marktwirtschaft und kontrollierter Wirtschaft an. Grundstoff- industrien sollten verstaatlicht und basisorientierte Betriebsgewerkschaften eingerichtet werden. Absolute einzelstaatliche Souveränität sollte zugunsten der Schaffung einer

1482 Rosa, Gemeinschaft 2010, S. 76. 1483 Broszat, Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands 1986, S. 295. 259 Vergemeinschaftende Quellen umfassenden Ordnung bei freier Zustimmung aller beteiligten Völker geopfert wer- den.1484

Der Grundgedanke dieser Grundsatzerklärung entsprach der Absicht, die Ordnung Got- tes in den Herzen der Menschen und in ihrem gesellschaftlichen Zusammenleben wie- der aufzurichten1485 und die Beziehungen zwischen den Nationen auf christliche Werte zu gründen. Die Absicht der Kreisauer war, mit diesem Programmentwurf gegenseitiges Vertrauen und Achtung des anderen, welche im Nationalsozialismus oftmals durch poli- tische Demagogie so zynisch missbraucht und mit Füßen getreten worden waren, wie- derherzustellen. „Erst wenn die Ordnung Gottes überall wieder anerkannt wäre, könne man auch hoffen, die Krise, welche mit der Entchristlichung und einer von moralischen Verpflichtungen befreiten Machtausübung begann, endlich zu überwinden.“1486 Gleich- wohl plädierten die Kreisauer nicht für einen christlichen Staat, da es „keine theologi- sche Lehre vom Staat [gebe], sondern nur eine solche vom Menschen im Staat“1487. Aber der Glaube sei von Bedeutung in dem Augenblick, in dem der Einzelne, sei es als Staatsmann, sei es als Staatsbürger, in eine Beziehung zum Staat trete. Die Staatsma- schine sei amoralisch, deshalb seien die ethischen Anforderungen an die Staatsmänner ungeheuer groß, die dazugehörige Kraft könne man in der Regel nur aus dem Glauben schöpfen. Daher sei der „rechte Staatsmann“ in der Regel der christliche Staatsmann, der den christlichen Glauben als den Quell benutze, „aus dem er die Kraft schöpft, die Gebote der Morallehre in seinen Handlungen als Organ des Staates zu befolgen“1488. Die starke religiöse Ausrichtung des Kreisauer Kreises setzte nach Mommsen

… ein allgemeines christliches Erwachen, das dem nationalen Erwachen der europäischen Völker zu Beginn des 19. Jahrhunderts an die Seite gestellt werden konnte, voraus, und ver- langte einen Menschen, der sich transzendentaler Bindung wieder bewusst wurde, bedeutet also die Rückkehr zu einem Menschenbild, das nach Ansicht des Kreises in Europa vor der Auflösung der abendländischen Gemeinschaft durch Säkularisation, Individualismus, mo- dernen Staatsgedanken und Aushöhlung der alteuropäischen Ökonomik durch Liberalismus und Kapitalismus bestanden hatte.1489 Diese Haltung der Kreisauer erinnert stark an das auf Veranlassung des Zaren Alexan- der I. zwischen Russland, Österreich und Preußen am 26.09.1815 in Paris geschlossene

1484 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 307-318. 1485 MBF S. 185. 1486 Koehn, Widerstand gegen Hitler 2007, S. 327. 1487 „Über die Grundlage der Staatslehre“ vom 20. Oktober 1940, Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 146. 1488 „Über die Grundlage der Staatslehre“ vom 20. Oktober 1940, Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 144. 1489 Mommsen, Gesellschaftsbild 1966, S. 118. 260 Vergemeinschaftende Quellen

Bündnis der Heiligen Allianz1490, um die Staaten nach den Grundsätzen des Christen- tums, der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens zu leiten. Die Unterzeichner des Bündnisses bezeichneten die christliche Religion als Fundament der herrschenden poli- tischen Ordnung. Es lassen sich in der Tat eine Reihe von Parallelen aufzeigen, die es wert wären, näher untersucht zu werden. Das nie bekannte Ausmaß der Gewalt der Re- volutionskriege nach 1792 als Auslöser bei Zar Alexander gleicht dem tief empfunde- nen Schmerz Moltkes über die Kriegsgräuel im Osten, die Legung eines „normativen Fundaments“1491 im Politikstil in der „morale Chrétienne“1492 durch den Zaren ent- spricht den christlichen Grundlagen des Kreisauer Programmentwurfs; dem Zweck der Heiligen Allianz, alle europäischen Staaten zu sammeln, um sie in „ein freundschaftli- ches Verhältnis“1493 zu bringen, kommt die Absicht der Kreisauer gleich, durch einen europäischen Staatenbund den Nationalismus zu bannen.

4.3.1 Einige Grundtatbestände des Widerstands und der Widerstandsdis- kussion

Bevor das Widerständigwerden und das Leben im Widerstand der Kreisauer dargestellt und diskutiert werden, soll auf einige Grundtatbestände eingegangen werden. Es kann hier allerdings nicht der Ort sein, die Geschichte der Widerstandsforschung nach 1945 darzulegen,1494 es sollen jedoch verschiedene Konzepte von Stufungen des Widerstan- des zitiert und auf ihre Anwendbarkeit auf den Widerstand der Kreisauer überprüft wer- den.

1490 Gründungserklärung der Heiligen Allianz vom 26. September 1815: „Au nom de la très-sainte et indivisible Trinité. LL.MM. l’empereur d’Autriche, le roi de Prusse et l’empereur de toutes les Russies, par suite des grands évènements qui ont signalé en Europe le cours des trois dernières années et principa- lement des bienfaits qu’il a plus à la divine providence de répandre sur les états, dont les gouvernements ont placé leur confiance et leur espoir en elle seule, ayant acquis la conviction intime qu’il es nécessaire d’asseoir la marche à adopter par les puissances dans leurs rapports mutuels sur les vérités sublime que nous enseigne l’éternelle religion du Dieu Sauveur, déclarent solennellement que le présent acte n’a pour objet que de manifester à la face de l’univers leur détermination inébranlable de ne prendre pour règle de leur conduite, soit dans l’administration de leurs états respectifs, soit dans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les préceptes de cette religion sainte, précepte de justice, de charité et de paix qui, loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire influer directement sur les résolutions des princes et guider toutes leurs démarches, comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines et de remédier à leurs imperfections. in: Näf, Europapolitik, 1968, S. 5 f. 1491 Pyta, Kulturgeschichtliche Annäherung 2009, S. 19. 1492 Menger, Die Heilige Allianz 2009, S. 220. 1493 Menger, Die Heilige Allianz 2009, S. 214. 1494 Siehe dazu Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 2-19; Ringshausen, Die Deu- tung des Widerstandes 2001, S. 1-42; Kunze, Widerstandsforschung, 2004; Steinbach, Widerstand im Widerstreit 2001, S. 11-20. 261 Vergemeinschaftende Quellen

Bethge teilte anlässlich eines Vortrages über Adam von Trott den Widerstand in fünf Stufen ein, in „den einfachen passiven Widerstand“, der ganze Bevölkerungsgruppen erfassen kann, „den ideologischen offenen Widerstand“, den Faulhaber, Niemöller und Wurm ausübten, „die Mitwisserschaft von Umsturzvorbereitungen“, die bereits todes- würdig war, „das aktive Vorbereiten eines Danach“, das in Moltke seinen bekanntesten Vertreter fand, und „schließlich die aktive politische Konspiration“.1495 Jeder Schritt von einer Stufe zur anderen, so Bethge, sei ein neuer, immer mühsamer zu vollziehen- der Sprung. Obwohl auf alle Kreisauer die letzte Stufe der aktiven Konspiration zutrifft, wie noch klar werden wird, erkannte der VGH bei den Urteilen ganz unterschiedliche Stufen an. Gerstenmaier kam mit einer Zuchthausstrafe davon, Moltke wurde das aktive Vorbereiten des „Danach“ zum Verhängnis, während die Beteiligten bzw. Mitwisser des 20. Juli der aktiven politischen Konspiration für schuldig befunden wurden.

Gotto, Hockerts und Repgen definierten 1980 ein vierfach abgestuftes Begriffsfeld von Widerstand – mit zwei defensiven Varianten: punktueller Unzufriedenheit bzw. Resis- tenz und Nicht-Anpassung, und zwei offensiven Formen: Protest und aktiver politischer Widerstand.1496 Diese Abstufung wurde mehr dazu entwickelt, das Verhalten der Kirche denn Einzelschicksale in den Blick zu nehmen.

Broszat reagierte auf den ausgeweiteten Widerstandsbegriffes von Peter Hütten- berger1497, dessen funktionale, sozial- und strukturgeschichtliche Betrachtungsweise nicht ethischen Konzepten und Deutungen galt, sondern empirisch nachweisbaren Be- dingungen und Handlungen. Broszat schlug deshalb vor, zwischen „Widerstand“ und „Resistenz“ zu unterscheiden.1498 Gegenüber der Verbindung des Widerstands mit sub- jektiven Motiven in einem moralisch-ethischen Handlungsrahmen soll „Resistenz“ strukturell und wertneutral jede Verhaltensweise mit tatsächlich die NS-Herrschaft und NS-Ideologie einschränkender Wirkung bezeichnen, „gleichgültig von welchen Moti- ven, Gründen und Kräften her“1499. Dieser sozialgeschichtliche Ansatz werde zwar einer

1495 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 221. 1496 Gotto, Nationalsozialistische Herausforderung und kirchliche Antwort 1980, S. 101-118. 1497 Kunze, Widerstandsforschung 2004, S. 13-14; Hüttenberger, „Widerstandsbegriff“ 1977, S. 122: „Die Erforschung des Widerstandes muß […] die sozialen Beziehungen umgreifen und die wechselseitigen Mechanismen von Herrschaft und gesellschaftlicher Reaktion einbeziehen.“ 1498 Broszat, Resistenz 1986, S. 68-91; Broszat, Zur Sozialgeschichte des deutschen Widerstands 1986, S. 300: Er versteht unter Resistenz „all jene Formen der Verweigerung, des individuellen oder kollektiven Protests bzw. der Dissidenz oder Nonkonformität, die sich gegen bestimmte, zwanghafte weltanschauli- che, disziplinäre oder organisatorische Maßnahmen und Zumutungen des NS-Regimes richteten.“ richte- ten.“ Mallmann erachtet den Resistenzbegriff als untauglich, weil er die Totalitarismusvorstellung ani- miere; siehe Mallmann, Resistenz oder loyale Widerwilligkeit 1993, S. 99-116. 1499 Broszat, Resistenz 1986, S. 76. 262 Vergemeinschaftende Quellen

Vielzahl von Widerstandshaltungen und -formen gerecht, so Ringshausen, habe aber den Mangel, dass er als „Wertmaßstab nur die messbare Differenz zum Regime und die faktische Wirkung gelten lasse und deshalb die Resistenz mit ihrem geringeren Risiko als die der totalitären Herrschaft gemäße Form der Opposition betrachte,1500 während „der aktive, fundamentale Widerstand gegen das NS-Regime fast überall vergeblich geblieben“1501 sei.

Im Gegensatz zu dem sozialgeschichtlichen Ansatz stellte Klemperer auf der Tagung zum 40. Jahrestag des 20. Juli eindrucksvoll die Frage nach Glaube, Religion und Wi- derstand, also nach den tragenden und bestimmenden Motiven, da jeder im Widerstand seinen eigenen Weg gehen musste.1502 Nicht sozialwissenschaftliche Erkenntnisse las- sen den Widerstand verstehen, sondern das Gewissen des Einzelnen, der zum letzten Opfer bereit ist – ein Ansatz, der bei den individuellen Entscheidungsprozessen, bei der „Grenzsituation der sittlichen Entscheidungen“1503 der Kreisauer fruchtbar angewendet werden kann.

Für den Kreisauer Kreis ist wohl die vielstufige Widerstandsdefinition von Bethge ge- eignet, da sie auch den Prozesscharakter des Widerständigwerdens der Kreisauer um- fasst, die nicht wie Moltke oder die Sozialisten schon vor 1933 eingeschworene Gegner des Nationalsozialismus waren.

Neben der Frage der Widerständigkeit ist die des Widerstandsrechts unmittelbar signifi- kant. Diese Frage stellten sich auch die Kreisauer. In einem Manuskript nach dem Jahr 1936 von Peters über den Staat geht dieser dezidiert auf das Widerstandsrecht ein, wenn er schreibt:

Nur wenn Befehle des Staats gegen höhere sittliche Normen, insbesondere gegen göttliches Recht verstossen, sind der Einzelne oder die betreffende Gruppe zum Gehorsam gegen die höhere Norm und zum Ungehorsam gegen den staatlichen Befehl verpflichtet. Der ethische Grund hierfür entspringt dem allgemeinen Prinzip, dass bei Pflichtenkollision die höhere Pflicht den Vorrang hat. […] In all diesen Fällen wird aber regelmäßig nur das sog. passive Widerstandsrecht, nicht auch ein aktives Widerstandsrecht zugebilligt. […] Das bedeutet, dass […] die Revolution und der gewaltsame Umsturz […] stets verboten bleiben, da da- durch wieder dem Allgemeinwohl der größere Schaden zugefügt würde. […] Es ist zu be- tonen, dass der Mord auch an einem noch so tyrannischen und gottlosen Herrscher stets un- erlaubt ist.1504

1500 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 15. 1501 Broszat, Resistenz 1986, S. 77. 1502 Klemperer, Motivation 1985, S. 1097-1106. 1503 Heuss, Gedenkrede zum 20. Juli 1944 von 1954, S. 36 1504 Peters, Hans: „Staat“. BA NL Peters, N 1220-147, S. 26 f. Der Titel des 33-seitigen Manuskriptes ist mit „Staat“ angenommen, die Titelseite fehlt; der erste Absatz auf der 2. Seite beginnt mit den Worten: „Der Staat gehört zu den natürlichen Einheiten …[Unterstreichung übernommen; A. d. V.]“ Die folgen- den Kapitel sind überschrieben: II. Aufgaben und Zweck des Staates, III. Staatsform und Staatsverfas- 263 Vergemeinschaftende Quellen

Es wird also bei Peters das Widerstandsrecht begründet, aber nur das passive, und der Tyrannenmord ausgeschlossen.

Rothfels thematisiert die Frage, ob man gegenüber einem Regime mit Unrechtscharak- ter Unrecht tun könne, und bezieht sich dabei auf Adam von Trott, der dem Volksge- richtshof vorhielt, es sei darauf angekommen, weitere Verbrechen zu verhüten.1505 Die- ses Widerstandsrecht stand nach der Quellenlage nicht im Vordergrund der Diskussio- nen im Kreisauer Kreis; im Vordergrund stand die Entscheidung des Gewissens, gegen ein System Widerstand zu leisten, „das der Menschen Gewissen zu vergewaltigen und ein ganzes Volk in den Untergang zu führen unternahm“1506. Rothfels spricht von einem Durchbruch des Anspruchs des Unbedingten durch alle gewohnten Maßstäbe, der der tiefste Grund für die Vergemeinschaftung gerade des Kreisauer Kreises war, wo „radi- kale Sozialisten […] mit Konservativen, die auch radikal waren“, bereit waren, „an die Wurzeln zu gehen, und mit bekennenden Christen beider Konfessionen“ sich zusam- menfanden.1507

Ein weiterer Aspekt des Widerstands ist in den Blick zu nehmen, der des Verrats. Die- ser spielte im Kreisauer Kreis durchaus eine Rolle. Nach Klemperer, der Verrat als pa- triotische Pflicht herausstellt, grenzt jeder Widerstand an Verrat. Verrat könne jedoch im Rahmen des Widerstandes an Würde gewinnen und dadurch legitimiert werden.

Politischer Widerstand stellt ein extremes Handeln in einer extremen Situation dar, in der die Bürger keine Möglichkeit haben, den Rechtsweg zu beschreiten oder offene politische Opposition zu betreiben. In einem solchen Rahmen wird Verrat zu einer äußersten Manifes- tation des Widerstandes.1508 Klemperer weist jedoch auch auf das Spannungsverhältnis zwischen Widerstand und Verrat hin, das im Krieg dadurch verschärft werde, dass der Widerstand mit den natio- nalen Interessen, wie sie gemeinhin verstanden werden, in Konflikt geraten müsse, denn der Widerstand müsse sich gegen einen etwaigen Sieg richten.1509 Damit gerate man in das Spannungsfeld von Hoch- und Landesverrat.

Im deutschen Strafrecht wurde auch damals ein Unterschied zwischen Hochverrat und Landesverrat gemacht. Während Hochverrat, der sich gegen die inneren Grundlagen des

sung, IV. Staatsbürger, V. Staat und Kirche, VI. Staat und Recht. Bei den Literaturangaben dieses Ma- nusskriptes stammt die jüngste, zitierte Veröffentlichung aus dem Jahre 1936: Peters, Der totale Staat 1936, S. 303-334. 1505 Rothfels, Aufstand und Widerstand 1962, S. 53. 1506 Rothfels, Aufstand und Widerstand 1962, S. 54. 1507 Rothfels, Aufstand und Widerstand 1962, S. 54. 1508 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 181. 1509 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 181. 264 Vergemeinschaftende Quellen

Staates, seine Verfassung und sein Territorium richtete, weithin als Kavaliersdelikt galt1510, war der Landesverrat demgegenüber das schlimmere Verbrechen; er richtete sich gegen die Sicherheit des Staates nach außen und insbesondere gegen seine Vertei- digungsanstrengungen.1511 Interessant in diesem Zusammenhang ist die wohl zumindest den Juristen im Kreisauer Kreis bekannte Definition des Reichsgerichts vom Jahre 1931, welche den Vorsatz als entscheidendes Kriterium für Landesverrat nennt: „[…] das Bewusstsein und der Wille, der deutschen Kriegsmacht Nachteile zuzufügen.“1512 Dies sei wiederum nur im Zusammenhang des „Gesamtverhaltens“ zu bewerten. Daraus folgerte das Gericht: Wenn das Gesamtverhalten durch den Vorsatz bestimmt sei, grö- ßeren Schaden vom Kriegspotenzial des Reichs abzuwenden, als durch den Akt des Verrats verursacht wurde, dann liege kein Landesverrat vor.1513 Unter diesem Blickwin- kel kann bei den Kreisauern nicht von Landesverrat gesprochen werden, obwohl dies neben Feindbegünstigung, Hochverrat und Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens der gängige Anklagepunkt bei den meisten Kreisauern vor dem VGH war.1514 Im Gegensatz zu anderen Widerstandsgruppen, die Landesverrat als legitimiert ansahen und diesen auch gezielt begingen, achteten die Kreisauer stets darauf, keinen zu begehen. „Landesverrat war keine Frage für den Kreis“1515, bemerkte Gablentz nach dem Kriege. Auch wenn Moltke 1942 von Stockholm aus an seinen englischen Freund Curtis von der Absicht schrieb, „we are ready to help you to win war and peace“1516, achtete er stets darauf, keine militärischen Geheimnisse zu verraten. Bezogen auf die letzte Türkeireise Moltkes im Dezember 1943, sagte Freya: „Die Amerikaner wollten immer militärische Geheimnisse erfahren. Dazu war mein Mann nicht bereit. Der Verrat militärischer Geheimnisse ist Landesverrat. Und wenn man Hochverrat begeht, darf man keinen Landesverrat treiben.“1517 Auch Steltzer, an exponierter Stelle in Norwegen

1510 Kleist/Schlabrendorff, Landesverrat 1958, S. 927. 1511 Siehe Kohlrausch, Strafgesetzbuch 1932, § 80-98. Eine systematische Erörterung von Hochverrat und Landesverrat und der Modifizierung der Gesetzgebung seit 1933 bietet Wagner, Der Volksgerichtshof 1974, S. 50-58. 1512 Urteil vom 20.10.1931, veröffentlicht in Band 65, Seite 433 der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen über den gegen den Reichspräsidenten Friedrich Ebert erhobenen Vorwurf des Landesverrats, in: Kleist/Schlabrendorff, Landesverrat 1958, S. 927. 1513 Die Reichsgerichtsentscheidung vom 20.10.1931 entschied endgültig einen Rechtsstreit um den Vor- wurf eines rechtsradikalen Journalisten gegen den früheren Reichspräsidenten Friedrich Ebert, der angeb- lich durch Unterstützung des Munitionsarbeiterstreiks im Januar 1918 Landesverrat begangen haben sollte; Kleist/Schlabrendorff, Landesverrat 1958, S. 927. 1514 So das Urteil im „Mordregister“ von Leber und Reichwein; LBDII S. 364. 1515 Gablentz, Würdigung 1968. S. 594. 1516 Moltke: Brief an Curtis, geschrieben in Stockholm, 18.02.1942. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2. 1517 Zit. nach Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 157. Diese Bemerkung bezog sich auf die zweite Türkei- reise am 11.12.1943. 265 Vergemeinschaftende Quellen mit vielfältigen Kontakten zum dortigen Widerstand, gab niemals irgendwelche militä- rischen Geheimnisse preis, war jedoch imstande, seine norwegischen Freunde bei be- vorstehenden Gewaltmaßnahmen zu warnen, so bei der für den 30. November 1943 geplanten Judenrazzia in der Universität Oslo.1518 In seinen persönlichen Leitlinien, die für Steltzer während des Krieges Richtschnur waren, heißt es: „Persönliche politische Entscheidungen dürfen nicht zu Lasten unbeteiligter und unschuldiger Menschen erfol- gen.“1519 Daraus ergab sich für Steltzer die Entscheidung „der Ablehnung der Sabotage, der Desertion und der Übermittlung militärischer Nachrichten an den Gegner, Ableh- nung aller Maßnahmen, die zur Zersetzung der Wehrmacht führen könnten, in der unse- re Söhne in einer wahrhaft tragischen Situation ihre Pflicht taten […]“1520. In der Ge- denkrede auf Haubach hieß es 1965 über dessen Widerstand: „Es war Landesrettung nicht Landesverrat.“1521

4.3.2 Motivationen zum Widerstand

Für die Genese des Kreisauer Kreises ist die Frage nach der Motivation überaus kenn- zeichnend. Nach Hoffmann reichen die Motive zum Widerstand von „moralisch min- derbewerteten zu den höchstbewerteten. Das Spektrum durchzieht die gegensächlichs- ten sozialen und politischen Gruppierungen.“1522 Die Einordnung der Motive der Kreis- auer zur Widerständigkeit ergibt sich aus deren Analyse. Diese Motive lassen sich ein- teilen in ästhetische, politisch-rechtliche, ethisch-humanistisch-sittliche und christlich- religiöse. Dabei lässt sich eine eindeutige Trennung in diese Kategorien natürlich nicht vornehmen und es liegt bei allen Kreisauern eine Multikausalität vor. Auch hatten die dargestellten Motive nicht bei allen das gleiche Gewicht. Bei dem kirchenfernen Leber z. B. überwogen zumindest am Anfang die ethisch-humanistischen Motiven die christ- lich-religiösen. Die Benennung der Motive bei den einzelnen Kreisauern kann auch nur beispielhaft sein und soll deren Weite darstellen.

Moltke empörte sich gegenüber seiner Frau Freya über das Gehabe der Nationalsozia- listen und seine ästhetische Einschätzung ist eindeutig, wenn er am 27. Juni 1936 an seine Frau schreibt: „[…] Berlin ist fürchterlich. Unter den Linden schiebt sich eine

Gablentz sagte: „Landesverrat war keine Frage für den Kreis; wir kämpften mit unseren Freunden ge- meinsam von innen oder außen gegen den schlimmsten Feind des deutschen Volkes, als den wir Hitler längst erkannt hatten“; in: Gablentz, Würdigung 1968, S. 594. 1518 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 312. 1519 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 11. 1520 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 11. 1521 Schmedemann, Walter. Gedenkrede auf Haubach. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 1522 Hoffmann, Motive 1985, S. 1089. 266 Vergemeinschaftende Quellen geschlossene Masse Menschen vorbei, um die Fahnen zu besehen. Und was für Men- schen. Ich habe nie gewusst, daß es so etwas gibt. Wahrscheinlich sind das die Natio- nalsozialisten, die ich ja auch nicht kenne.“1523 Am 31. Januar 1938, noch immer auf eine Beschäftigung in London als Barrister hoffend, vertraute er seiner Frau an:

Die Stadt ist widerlich, und jeder Tag festigt in mir die Überzeugung, daß es richtig ist, die Arbeit hier auf ein Mindestmaß zu beschränken, sobald es finanziell erträglich erscheint. Wenn es in drei oder vier Jahren in London nicht geht, dann werde ich mich doch noch ganz nach Kreisau zurückziehen und verbauern.1524 Curtis stellte 1943 als Moltkes Motivation die Prinzipienlosigkeit des Nationalsozialis- mus und besonders die Geringschätzung Moltkes gegenüber dem ungebildeten Empor- kömmling Hitler heraus:

From the outset it was plain that he was inspired by a fanatical hatred of Hitler, for the principles, or rather absence of principle for which Nazism stood. One also felt that this feeling was enhanced by the contempt of a highly educated aristocrat for the uneducated upstart from the lower-middle class of Germanic life.1525 In dieser Beurteilung korrigierte ihn jedoch Curtis, der in Hitler geniale Züge erkennen konnte, „as events have shown Hitler has“1526.

Bezogen auf Yorcks ästhetische Bewertung des Nationalsozialismus schrieb Gersten- maier in seinem Lebensbericht:

Am Nationalsozialismus hat ihn nicht nur dessen Ideologie, die er kaum zur Kenntnis nahm, abgestoßen. Mehr noch verabscheute er die distanzlose, hautnahe Präsenz des Vulgä- ren, seinen teils aufgeblasenen, teils schnöden Sprachstil und die mörderische Brutalität, die dahinter hauste. Das alles stand in einem unüberbrückbaren, tödlichen Gegensatz zu der Tradition und Geistigkeit, die in seinem Elternhaus gepflegt wurden.1527 Bei Moltke und Yorck könnte man mit Malinowski als Erklärung für die ästhetische Ablehnung des Nationalsozialismus den „unzerstörten Herrschaftshabitus“1528 sehen. Diese „herrschaftliche“ Distanz zum nationalsozialistischen Massensystem mit seinem SA-Pöbel und dem kleinbürgerlichen Führer, gepaart mit dem militärischen Ideal adli- ger Todesverachtung, dürften den geistigen Raum zur Entwicklung ihrer Haltungen mit geschaffen haben. Für Haubach war der Nationalsozialismus eine eklektische An- sammlung von Topoi, die vorgab, umfassend zu sein, jedoch aus einem vulgarisieren- den Grundmuster zusammengefügt war, „das mit aggressiv-nationalistisch und rassisti- scher Stoßrichtung auf den ‚Führer’ verpflichtet und für ein Menschen verachtendes

1523 Moltke an Freya, 27.06.1936, DLA, Nachlass A:Moltke. 1524 Moltke an Freya, 31.08.1938, DLA, Nachlass A:Moltke. 1525 Siehe Brief von Lionel Curtis an Beckett, All Souls College, Oxford, 26.06.1943, BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2. 1526 Siehe Brief von Lionel Curtis an Beckett, All Souls College, Oxford, 26.06.1943, BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2. 1527 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 186. 1528 Malinowski, Vom König zum Führer 2003, S. 588. 267 Vergemeinschaftende Quellen

Blut-und-Boden-Ideal instrumentalisiert wurde“1529. Den Faschismus etikettierte er mit „barbarische Scheußlichkeiten“1530. Friedrich Stampfer, bis 1933 Chefredakteur des „Vorwärts“ in Berlin, schrieb nach dem Krieg über das ästhetische Empfinden Trotts angesichts der Pöbeleien der Nazis: „Alles, was in den Brüdern Trott lebte, musste sich gegen diese neue Tyrannei empören: der Aristokrat gegen den Pöbelmenschen, […].“1531 In Oxford verfasste Trott einen 8-seitigen Vortrag über „Politics and Aesthe- tics“ als Reaktion auf die Situation in Deutschland, die er offensichtlich als „guerilla warfare“ begriff. Diesen Vortrag hielt er am 24. November im Oxforder Synoptic Club; er versuchte darin, diese „two spheres of experience“1532 philosophisch zu deuten. Er beabsichtigte damit offensichtlich englische Zeitungsberichte über die politischen Zu- stände in Deutschland, die seine Aesthetik verletzten, vor seinen Oxforder Freunden aufzuarbeiten.

Solche Motive allein führen natürlich noch nicht in die Widerständigkeit. Breiten Raum nehmen bei den Kreisauern die stärker wiegenden politisch-rechtlichen Motive ein, die zur Ablehnung des Nationalsozialismus führten. In dem Brief an seinen Großvater vom 12. September 1938 beklagte Moltke die Zerstörung des Rechts, die ihm auch keine Möglichkeit gebe, in Berlin als Anwalt zu arbeiten: „From my professional point of view the destruction of law is of course worse than anything as it must in a measurable time destroy the possibility of earning a living as a lawyer in Berlin, […] the harsher methods of concentration camp and the secret police.”1533

Yorcks politisches und rechtliches Empfinden wurde durch die Eroberung des Sudeten- lands schwer beeinträchtigt. Für ihn zeigten sich darin imperialistische Tendenzen der Partei, die er für eine „schwere Gefahr für den Frieden“1534 hielt. Ehrensberger berichte- te 1962:

Stärker wurde die Yorck’sche Stellung gegenüber der NSDAP, als er 1938 – nach „Mün- chen“ [Münchner Abkommen; A. d. V.] – für den Reichspreiskommissar in das Sudeten- land geschickt wurde, wo er in einer zentralen Stelle sass, die es ihm ermöglichte, sich die besten Informationen zu verschaffen. Er kam im November 1938 von dort zurück und sag- te: „Das treibt absolut in das imperialistische Denken. Dem muss baldigst entgegengetreten werden.“1535

1529 Zimmermann, Haubach 2004, S. 428. 1530 Haubach, Die militante Partei 1931, S. 208. 1531 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 225. 1532 Politics and Aesthetics, BA NL Trott, N 1416-1. 1533 Moltke, Helmuth, an seinen Großvater; 12.09.1938. DLA, Nachlass A:Moltke, S. 1. 1534 Ehrensberger, Otto: Meine Zusammenarbeit mit der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1535 Ehrensberger, Otto: Bericht vom 14.07.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 268 Vergemeinschaftende Quellen

Dort traf Yorck auch mit einer Schlüsselfigur des militärischen Widerstandes, Major Groscurth, zusammen.1536 Dieses Gespräch hinterließ auf Yorck einen starken Eindruck, man nimmt an, dass Groscurth ihn für den Widerstand gewann.1537 In seiner Verneh- mung vor dem VGH hob er bei den Gründen für seine Gegnerschaft zum NS-Staat be- sonders die Entwertung des Rechts hervor, wie sie in den Ausrottungsmaßnahmen gegen das Judentum und in dem Vorgehen in den besetzten Gebieten bewiesen worden war.1538

Auch für Lukaschek war die rücksichtslose Aggressions- und Expansionspolitik Hit- lers, deren erste Opfer Österreich und die Tschechoslowakei wurden, ein Motivations- baustein für seinen aktiven Widerstand. Als Lukaschek den ehemaligen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Hans Schäffer in dessen Exil in Schweden besuchte und sich mit ihm „eingehend“1539 über die politische Lage in Deutschland aussprach, ging er als Folge der Hitler‘schen Expansionspolitik von einem Krieg im Jahr 1939 aus, der nur mit einer deutschen Niederlage enden könnte.1540

Trott drückte seine Ablehnung der Hitler‘schen Despotie öffentlich in der Einleitung zu Heinrich von Kleists „Politischen und Journalistischen Schriften“1541, die er nach Schwierigkeiten 1935 herausgeben konnte, aus, indem er für jeden, der zu lesen ver- stand, zum Ausdruck brachte, wie Kleists Kampf gegen die Napoleonische Despotie in Parallele zu dem Kampf gegen Hitler zu setzen sei. 1937 beklagte sich Trott während seiner Amerikareise gegenüber dem früheren Rhodesscholar Felix Morley, Herausgeber der „Washington Post“, bei dem er am 29. März 1937 zum Abendessen war, über die Repressionen des Naziregimes: „He [Trott; A. d. V.] spoke with exceeding frankness of

1536 Groscurth, Tagebücher eines Abwehroffiziers 1970, S. 346: Major Groscurth an Oberstleutnant Oster, Reichenberg, 26.10.1938: „Ich habe am gestrigen Abend zusammen mit dem Grafen Yorck von Warten- burg gegessen und mich eingehend mit ihm ausgesprochen.“ 1537 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 160, Fn. 1. 1538 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 157 f. 1539 Schäffer, Hans: Tagebuchnotiz 20.-22.08.1938. IfZ, ED 93-25, Bl. 79: „Mit Hans Lukaschek einge- hende Gespräche. Er glaubt bestimmt an einen bevorstehenden Krieg. Aber nicht mehr in diesem Jahr.“ 1540 Schäffer, Hans: Meine Erinnerungen an Hans Lukaschek. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 6: „Den Inhalt unse- rer Unterhaltung bei dem Besuch im Sommer habe ich in meinen Tagebüchern vermerkt. Wir waren uns beide darüber klar, dass ein Krieg nur allzu wahrscheinlich sei und dass er zu einem Weltkrieg auswach- sen müsste. Wir glaubten auch, dass er nach anfänglichen Siegen mit einer Niederlage enden würde. Mit einer Möglichkeit, dass die Naziherrschaft von Innen heraus, etwa durch die Machtergreifung des Mili- tärs, beseitigt werden könnte, rechneten wir damals nach der Haltung der Reichswehr während der Juni- Morde und der Fritsch-Krise nicht mehr.“ 1541 Kleist, Politische und journalistische Schriften 1935, S. 12: Trott schrieb in der Einleitung: „Für Kleist […] ist Freiheit mit einem Bereich eigenständiger Verantwortung, in der sie sich auswirken kann, unmittelbar verbunden. Er kämpfte nicht für die abstrakte Formel, sondern für die tatsächliche Wieder- herstellung dieser durch den Despotismus zerstörten Lebensverhältnisse seines Volkes. Dies Menschen- recht freimütiger, eigenständiger Lebensgestaltung verfocht der politische Kleist gegen den fremden Kai- ser. Er drängte zur tatsächlichen Befreiung des Landes und nicht zur liberalen Formel.“ 269 Vergemeinschaftende Quellen the repressions of the Nazi regime and regards a popular uprising as by no means im- possible. It will be ghastly business if it comes.“1542

Die rechtsstaatliche Überzeugung Haeftens wurde durch die Freilassung der „Beuthe- ner Mordgesellen“, die an dem Mord von Potempa beteiligt waren, schwer erschüttert. Er schrieb dazu am 17. März 1933 an seine Frau:

… all diejenigen, die aus „patriotischen Motiven“ ein bisschen gemordet haben, werden begnadigt: also die nationalsozialistischen Mörder lässt man laufen, die anderen lässt man weiter brummen. Die Beuthener Mordgesellen sind schon auf freien Fuß gesetzt. Als ob Mord an Volksgenossen – und das sind nun einmal auch die politisch Andersdenkenden – jemals patriotisch sein könnte.1543 Haeften sieht darin nicht nur eine grobe Rechtsverletzung, sondern auch eine nationale Schande, „denn jede Rechtsbeugung und jeder Willkür- und Terrorakt verletzt die Ehre und Würde der Nation […]“1544. In einem Anti-Hitler-Brief im Jahre 1933 an Günther Hell in Italien drückte er seiner Empörung gegen „diesen Hitler mit seiner Räuber- hauptmanns-Moral“1545 aus.

Rösch befand sich schon seit seiner Ernennung 1935 zum Provinzial der oberdeutschen Jesuiten in einem ständigen Kleinkrieg mit den NS-Behörden.1546 1941 rief er mit sei- nem Mitbruder Lothar König und anderen Mitstreitern, wie an anderer Stelle bereits beschrieben, den „Ordensausschuß“ der Fuldaer Bischofskonferenz1547 ins Leben, der die Kirche zu einem härteren Vorgehen gegen das Regime bewegen sollte.

Auch Pater Delp erkannte nach dem Zeugnis von Heinrich Gellings, der Delp aus der Männerfürsorge in Fulda kannte, „klar das wirkliche Wollen des Nationalsozialismus und sah die sich darauf für Kirche und Volk ergebenden großen Gefahren. Er stand des- halb dem NS kompromisslos ablehnend gegenüber und hatte zielklare Vorstellungen über das, was von den katholischen Männern in dieser Zeit getan werden musste“1548.

Trotha war im Rahmen seiner wissenschaftlichen Ausbildung mit seinem Lehrer, dem Kieler Professor Adolf Löwe, einem Juden, nach Frankfurt a. M. gegangen, wo er mit der Roten Studentengruppe zusammenarbeitete und die Mitgliedschaft im Institut für

1542 Zit. nach Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 89. 1543 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 14. 1544 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 14. 1545 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 14. 1546 Bleistein, Rösch 1998, S. 61 ff. 1547 Bleistein, Rösch 1998, S. 107 ff., S. 109: „Die erste Absicht […] war es, eine gemeinsame Hand- lungsweise der Ordensleute im Umgang mit der Gestapo und bei der Planung der Zukunft zu gewinnen. Die zweite Intention bestand darin, die deutschen Bischöfe zu einer kritischeren Einstellung dem Dritten Reich gegenüber zu bewegen, also sie auf einen Konfrontationskurs zu bringen, der dann auch in etwas schärfer formulierten Hirtenbriefen zum Ausdruck kommen soll.“ 1548 Gellings, Heinrich, 21.02.1964, IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 270 Vergemeinschaftende Quellen

Sozialforschung (Horkheimer) erwarb, das 1933 von den Nationalsozialisten als marxis- tisch und staatsfeindlich aufgelöst wurde. Die Lehrer wurden verjagt und ein Teil seiner Freunde ins KZ geworfen.1549 Diese einschneidenden Maßnahmen gaben wohl die ent- scheidenden Anstöße für Trothas Widerständigkeit im Kreisauer Kreis; sein enger Kon- takt zu seinem Vetter Moltke und zu seinem Freund Einsiedel mögen ein Übriges getan haben.

Steltzer, der Anfang 1933 nach 13 Jahren wegen seiner radikalen Ablehnung des Na- tionalsozialismus aus seinem Amt als Landrat entlassen worden war1550, verfasste für den österreichischen Kanzler Schuschnigg eine Denkschrift1551 über die Lage in Deutschland im Jahre 1933, „Grundsätzliche Gedanken über die deutsche Führung“1552, in der er untersuchte, ob man „der Führung des Nationalsozialismus die Fähigkeit und die Aussicht zuerkennen könne, zu einer schöpferischen Neugestaltung der deutschen Verhältnisse zu kommen.“ Steltzer kam in seiner Analyse zu einem „besorgniserregen- den Ergebnis“1553. Er sah keine Ansätze zu einer neuen Rechtsordnung, er sah den Ver- such, „Recht lediglich auf Macht und Rasse zu gründen“, der in „weitere Zerstörung einer geistigen Wertordnung“ münden würde, und konstatierte, dass die eigentliche Führungsaufgabe nicht wahrgenommen würde, was die „Verflachung und Vermassung der Menschen fördern“1554 müsse. Er konnte auch keine Führerpersönlichkeit sehen, die im Falle des „Abwirtschaftens der revolutionären Führerschicht“, damit meinte er den Nationalsozialismus, die eigentliche Führungsaufgabe übernehmen könnte. „Deshalb“, so Steltzer, „muß die Entwicklung zwangsläufig zur weiteren Auflösung führen.“ Unter dem „Druck der außenpolitischen Lage“ sah Steltzer „die Gefahr einer Katastrophe [sich] entwickeln, deren Lokalisierung sehr schwer wäre.“1555 Steltzer wurde aufgrund dieser Denkschrift verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt und konnte nur mit Mü-

1549 Trotha, Carl Dietrich: Lebenslauf. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8, S. 2. 1550 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 105. 1551 Siehe die weiter oben bereits geschilderte Anklage wegen Hochverrats und die Hilfe, die er durch van Husen dabei erfuhr, im Kapitel „Charakterisierung der Akteure“ 1552 Steltzer, Schuschnigg 1933. Steltzer schrieb diese Denkschrift, da er glaubte, dass für Österreich die praktische Chance bestand, als Wortführer des wahren Deutschtums im kulturellen Sinn zu wirken. Es schien ihm für Österreich der Anspruch, Sammelpunkt aller Nicht-Nationalsozialisten zu sein, klar be- gründet, und die Denkschrift war für ihn nicht nur als naheliegendes politisches Kampfargument gegen Hitler aufzufassen. Es konnten drei im Wortlaut und im Umfang leicht unterschiedliche Versionen dieser Denkschrift lokalisiert werden, die jedoch im Tenor sich nicht unterscheiden: 1. Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv Abt. 399.55, Nr. 212 (diese orientiert sich an der Anklageschrift gegen Steltzer wegen Hochverrats, sie wurde von Steltzer 1945 so niedergelegt, da sich die Denkschrift nicht in seinem Besitz befand); 2. 11-seitiger Auszug aus einer 26-seitigen Broschüre von Steltzer an Roon. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7; 3. abgedruckt in: Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 270-284. Nach dieser Version wird zitiert. 1553 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 281. 1554 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 281. 1555 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 281. 271 Vergemeinschaftende Quellen he in zweiter Instanz freigesprochen werden. Daraufhin schloss sich ein Disziplinarver- fahren an, in dem er verurteilt wurde. In zweiter Instanz beim Oberverwaltungsgericht, wo Husen Berichterstatter war, wurde das Disziplinarurteil aufgehoben und das Verfah- ren aufgrund eines Amnestiegesetzes eingestellt.1556

Der Staatsrechtslehrer Peters vertrat eine ausgesprochen kategorische Haltung der ka- tholischen Kirche zum NS-Staat und kam mit seiner schon geschilderten Staatsauffas- sung1557, die den „totalen Staat“ als politisches Prinzip ablehnen musste, „weil damit in wesentlichen Punkten in den auf göttlichem Auftrag beruhenden Herrschaftsanspruch der Kirche eingegriffen wird“1558, in Gegensatz zum Regime. Das begründete seine Wi- derständigkeit.

Mierendorff und Haubach kämpften in unzähligen Versammlungen und Artikeln gegen die heraufziehende Gefahr des Nationalsozialismus; beide bezahlten dies mit langjähriger Verfolgung und KZ-Haft. Besonders sind die frühen, tief greifenden wäh- lersoziologischen Analysen des Nationalsozialismus Mierendorffs hervorzuheben1559, in der die Instrumentalisierung der Krise existenzbedrohter Sozialklientel zur Entwicklung einer Massenbewegung und die Topographie des Faschismus in Deutschland herausge- stellt wurden.

Wie Mierendorff und Haubach hatte sich der Sozialdemokrat Leber in der politischen Diskussion der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre mit den Nationalsozialisten ausei- nandergesetzt und wurde zu ihrem erbitterten Gegner. Diese prophezeiten ihm: „Zwei Stunden nach unserem Sieg hängt Dr. Leber auf dem Marktplatz [in Lübeck; A. d. V.].“1560 In der Tat wurde Leber am 23. März 1933 vor dem Betreten des proviso- rischen Reichstagsgebäudes, der Kroll-Oper, verhaftet und in Ketten abgeführt. Die Debatte über das Ermächtigungsgesetz fand ohne ihn statt. Noch im November 1932 hatte Leber geglaubt, das Charisma Hitlers würde durch die Übernahme der Regie- rungsverantwortung leiden und eine innerlich gewandelte Sozialdemokratie hätte die Chance, endlich „aus Deutschland eine soziale und freie Republik zu schmieden.“ Leber

1556 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 117. 1557 Siehe Kapitel „Die Kreisauer der Zentrumspartei“. 1558 Peters, Der totale Staat 1936, S. 333. 1559 Mierendorff, Gesicht und Charakter 1930b, S. 489-504; Mierendorff, Was ist der Nationalsozialis- mus? 1931, S. 149-154. 1560 Siehe Hinweis im LV vom 09.03.1932. 272 Vergemeinschaftende Quellen führte aus, dass Hitler, wenn er Reichskanzler würde, er nicht mehr „im Blut waten, sondern […] in den spanischen Stiefeln der Verfassung marschieren“ müsse.1561

Die Anschlussmaßnahmen Österreichs mit der Ermordung von Dollfuß und besonders die Besetzung des Sudetenlandes durch die deutschen Truppen im Oktober 1938 und die Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 ließen für Gerstenmaier klar den Unrechtscharakter des Nationalsozialismus erkennen und lösten nach seinen eige- nen Worten seine Widerständigkeit aus. Seine innere Distanz schlug in Widerstand um, zunächst jedoch in Form innerer Emigration. Als Gerstenmaier in Berlin im Rundfunk die Meldung über das Münchner Abkommen vernahm, sei es ihm zu Gewissheit gewor- den: „Der Mann [Hitler; A. d. V.] riskiert den Krieg. Er will ihn. Der Mann muß weg.“1562 Gerstenmaier weiter:

Bis zum Abend des 29. Sept. 1938 hielt ich es für möglich, dem Regime zwar innerlich mit angemessener kritischer Distanz gegenüberzustehen, aber dennoch ein loyaler Deutscher und ein Christ zu sein, der sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen braucht, ob er selbst mit seiner eigenen Person eine Tat befürworten, mitermöglichen und mitduchführen müsse, gegen die sich sein eignes Innere, sein Gefühl und sein Gewordensein sträubten. Ich habe miterlebt, wie sich enge, vertraute Freunde nur unter Qualen in einem monatelangen, zuweilen jahrelangen Prozess dazu durchrangen. Bei mir geschah es in einigen Nachtstun- den vom 29. zum 30. September 1938 […]1563 Eine große Bedeutung hatten die ethisch-humanistisch-sittlichen Beweggründe für den Widerstand der Kreisauer. Die Judenverfolgung und die Gräuel des Krieges bewegten Moltke bis ins Innerste1564. Am 02. Juni 1940 schrieb er an seine „Granny” aus Berlin:

I have not been well at all since I returned to Berlin. I suffered rather a psychological shock which somehow affected my whole organism and everything seemed to go wrong. Realis- ing that it was my immortal soul that was rebelling I battled for myself for ten days, but than finally decided to go and see our doctor, and now it seems to blow over and I am get- ting my body slowly again under control. It was not at all pleasant but I am glad that appar- ently it is over, that is to say the organic symptoms are over.1565 Mowrer beschrieb Moltkes Erleben der Judenverfolgung vom Anfang an und seine Lo- yalität zu seinen jüdischen Bekannten, denen er als Anwalt bei der Auswanderung half.

1561 Rede Lebers vor der Lübecker SPD am 22.11.1932. LV, 23.11.1932. 1562 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 107 f. 1563 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 108. 1564 Siehe Moltke: Brief an Curtis, geschrieben in Stockholm, 23.03.1943; der Brief ist in einer memorier- ten Fassung als Anhang beigefügt an: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 286. Ein von fünf auf zwei Seiten geschrumpftes Gedächtnisprotokoll dieses Briefes wurde nach dem Krieg von einem George Cicester an Lionel Curtis übergeben; siehe Brief von George Cicester an Lionel Curtis, 14.09.1945. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99. Dieses Memorandum ist allerdings so verstümmelt, dass die ursprüngliche Intention Moltkes, durch Glaubhaftmachung der inneren „Opposition“ einen britischen Verbindungsmann mit politischen Vollmachten als Kontakt zum deutschen Widerstand in Stockholm zu Verfügung zu bekommen, auch nicht erreicht worden wäre, wäre er auf diesem Weg rechtzeitig ange- kommen. Aber der Brief wurde gemäß MBF S. 220 damals von Tracy Strong, dem amerikanischen Gene- ralsekretär des YMCA, über Bischof Bell an Lionel Curtis weitergegeben. 1565 Moltke, Helmuth an seine Großmutter, 02.06.1940. DLA, Nachlass A:Moltke, S. 1 f. 273 Vergemeinschaftende Quellen

Before 1933 Helmuth’s attitude, like that of many intelligent politically interested Ger- mans, was one of alarm. He deplored the rising storm of street violence, the wildly shrill political meetings and demonstrations, the oblique attacks on Jews. Owing to his long asso- ciation with the Schwarzwalds he had many Jewish friends and his innate loyalty kept him from “hedging” on his relationships.., as some more wary Germans were beginning to do during the Nazi years.1566 Am 08. September 1938 schrieb Moltke aus London, dass Schwarzwalds Vermögen konfisziert wurde, er Vermögensteile zu verkaufen half und es ihm gelang, Dr. Schwarzwald einen Pass zu besorgen, damit er zu seiner Frau in die Schweiz ausreisen konnte.1567

Nachdem er in England sein Barrister-Examen abgelegt hatte, beschwor er Ende 1938 in einem Brief an Curtis in London die Gefahr für Europa, wenn es unter die Herrschaft des Nationalsozialismus fiele:

I went back to Germany with the gravest apprehensions for the future of Europe as a whole. If this continent came under the domination of the Nazis for any length of time the sort of civilisation which had been built in centuries, and which is founded in its last resort on Christianity and the Classics would go and we do not know, what would merge instead. But whatever would emerge it would be different from that to which we had been educated and for which we had to stand. From the first day when I was back in Germany I noticed that the radical group in the party had gained the upper hand and that terrible developments were to be expected. So I had an enormously busy time getting prepared for the worst, and especially getting jews out of the country.1568 Moltke wusste schon 1939 über die an den Polen begangenen Gräueltaten und die Ver- strickung der Wehrmacht: „Moltke sagt nicht viel, aber denkt, weiß viel, – auch über Polengreuel […] Wehrmacht hat Verantwortung“1569. In seinen z. T. verzweifelt anmu- tenden Briefen an seine Frau berichtet Moltke von Gräueln und Schrecken des Krieges, die sein ethisches und sittliches Empfinden erschütterten. Moltke bezeugte bereits am 17. Juni 1940 in einem Brief an Yorck den Kern seiner Motivation, wenn er nach der Aufzählung der Grundsätze für einen Staat sagte, dass er „drei Ansichten des heutigen Staates beseitigen will: Furcht, Macht und Glaube, soweit sie nicht von den einzelnen Staatsbürgern abgeleitet sind“1570. Diese Motivation Moltkes verfestigte sich seit dem Briefwechsel mit Yorck und wurde bis zur Stunde seines Todes nicht erschüttert.1571 Auch in den Briefen an seine Frau kann man erkennen, wie entsetzt er über die Verbre- chen der Nazis war. Seine Motivation zum Handeln wird sichtbar, wenn er schreibt: „Darf ich denn das erfahren und trotzdem in meiner geheizten Wohnung am Tisch sit- zen und Tee trinken? Mach’ ich mich dadurch nicht mitschuldig? Was sage ich, wenn

1566 Mowrer, Lilian T.: Brief vom 31.07.64. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5, S. 1. 1567 Moltke, Helmuth an seine Großmutter, 08.09.1938, DLA, Nachlass A:Moltke, S. 1. 1568 Moltke an Lionel Curtis, 20.11.1938. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2 f. 1569 Moltke, Völkerrecht 1986, S. 214, Fn. 3. 1570 Moltke: Brief an Yorck, 17.06.1940; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 119. 1571 Steinbach, Widerstand im Widerstreit 2001, S. 30. 274 Vergemeinschaftende Quellen man mich fragt: und was hast Du während dieser Zeit getan?“1572 In verschiedenen Briefen im Oktober und November 1941 schrieb Moltke dann über „grauenhafte Nach- richten“ von Geiselerschießungen in Serbien und Griechenland1573, über das Schicksal russischer Gefangener, Judenverfolgung1574, über nach Litzmannstadt abtransportierte Juden1575, über den Kirchensturm1576. Am 10. Oktober 1942 erfuhr er von den Gas- kammern der SS in Polen:

Ich habe es bisher nicht geglaubt, aber er [ein Besucher aus dem Generalgouvernement Polen; A. d. V.] hat mir versichert, daß es stimmte, in diesem Hochofen werden täglich 6000 Menschen „verarbeitet“. Er war in einem Gefangenenlager etwa 6 km entfernt, und die Offiziere dieses Lagers haben es ihm also absolut sicher berichtet.1577 Seine Haltung drückte er auch in dem Brief aus der Haft am 11. Oktober 1944 an seine „Söhnchen“ aus:

Ich habe mein ganzes Leben lang, schon in der Schule, gegen einen Geist der Enge und Gewalt, der Überheblichkeit, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmgungslos Konse- quenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem national- sozialistischen Staat gefunden hat. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, daß dieser Geist mit seinen schlimmen Folgeerscheinungen wie Nationalismus im Exzess, Rassenverfol- gung, Glaubenslosigkeit, Materialismus überwunden werde. Insofern werde ich vom natio- nalsozialistischen Standpunkt zu Recht umgebracht.1578 Auch bei Yorck fielen die ethisch-sittlichen Motive für seine Widerständigkeit stark ins Gewicht. Sein ehemaliger Kollege beim Preiskommissar Botho Bauch bezeugte nach dem Kriege:

Den Nationalsozialismus lehnte Yorck mit Entschiedenheit ab. Die Ablehnung beruhte nicht nur auf einer anderen politischen Auffassung, sondern war für ihn wohl in erster Linie eine moralische Gewissenspflicht. Die Rechtlosigkeit in dem nationalsozialistischen Staat, die Verbrechen und Gewaltpolitik des nationalsozialistischen Systems waren […] für ihn die Hauptmotive für seine so entschieden ablehnende Haltung gegenüber diesem System. Die Liebe zu seinem Vaterland, dessen Ehre und Ansehen durch die Verbrechen des natio- nalsozialistischen Staates so schwer verletzt wurden, war es, die ihn zu seinem Kampf gegen das nationalsozialistische Regime veranlaßte.1579 Ende 1942/Anfang 1943, so Bauch weiter, seien die ersten Nachrichten über die Ermor- dung von Juden in den Ostgebieten bekannt geworden. „Graf York brachte seine Empö- rung und seine tiefe sittliche Entrüstung über dieses Verbrechen zum Ausdruck“, dabei habe er Hitler den „deutschen Dschingischan [sic!]“1580 genannt.

1572 MB S. 308. 1573 MB (21.10.1941) S. 307 f. 1574 MB (13.11.1941) S. 318. 1575 MB (14.11.1941) S. 322. 1576 MB (18.11.1941) S. 326. 1577 MB (10.10.1942) S. 420. 1578 HFM S. 64. 1579 Bauch, Botho: Erinnerungen an Graf Peter York von Wartenburg, 29.11.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 1580 Bauch, Botho: Erinnerungen an Graf Peter York von Wartenburg, 29.11.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 275 Vergemeinschaftende Quellen

Die Auflehnung gegen den großen Mord, der sich in Polen, in der Ukraine, in Russland, in den baltischen Regionen, in Rumänien und später in Ungarn vollzog, war eines der brennenden Motive des Widerstandes, auch bei Yorck. Im Protokoll des Prozesses gegen Peter von Yorck vor dem VGH steht der gespenstische Dialog verzeichnet:

Yorck: „Herr Präsident, ich habe bereits bei meiner Vernehmung angegeben, dass ich mit der Entwicklung, die die nationalsozialistische Weltanschauung genommen hatte …“, Freisler: „… nicht einverstanden war! Sie haben, um es konkret zu sagen, erklärt, in der Ju- denfrage passe Ihnen die Judenausrottung nicht, die nationalistische Auffassung von Recht hätte Ihnen nicht gepasst.“1581 Für dieses offene Bekenntnis büßte Graf Yorck noch am Abend des gleichen Tages, am 08. August 1944, mit dem Leben.

Trott stellte den Wert der freien Gewissensentscheidung in der bereits erwähnten Kleist-Einleitung heraus, wenn er schrieb:

Die Möglichkeit der freien Gewissensentscheidung, Kern aller politischen Existenz, ge- winnt in der Tat aus dieser Frage eine schicksalhafte Bedeutung. Die Freiheit ist nicht nur ein inneres, sondern ein politisches Postulat, insofern die äußere Macht und ihr Eingriff je- nen allein Recht schaffenden Ursprung echter menschlicher Ordnung zu gefährden vermag. Je unsicherer es mit der Welt überhaupt bestellt ist, desto sicherer ist es notwendig für die- ses Recht zu kämpfen.1582 Diese Worte Trotts hatten keinen unmittelbaren Bezug zu den herausgegebenen Texten Kleists, die erschlossen werden sollten, sondern waren offensichtlich „das Ergebnis einer radikalen Zeitdiagnose und spiegelten eine individuelle Herausforderung ange- sichts der politischen Verwüstungen, die sich 1935 – im Jahr der Nürnberger Rassenge- setze – abzeichneten“1583, wie Steinbach bemerkte. Die Judenverschleppung musste er als verdammenswerten „Eingriff einer äußeren Macht“ in die Freiheit verstehen; sie stellte eine Begründung seiner Widerständigkeit dar, die ihn veranlasste, kein Interesse mehr „für die ängstliche Integrität eines totalen sauberen Lebensbereiches aufzubrin- gen“1584.

Die Judenverfolgung hatte bei Haeftens Motivation zur Widerständigkeit ebenfalls eine große Wirkung. Sein Freund Günther Hell musste als Jude schon 1933 seine Uni- Laufbahn als Altphilologe aufgeben. Auch Kurt Hahn, Freund und Mitarbeiter von Va- ter Haeften in der Kriegs- und Revolutionszeit, war Jude. Er wurde schon im März 1933 in Salem verhaftet und musste auswandern. Dies trug nach Ansicht von Haeftens Frau

1581 Budde, Die Wahrheit über den 20. Juli 1952, S. 85. 1582 Kleist, Politische und journalistische Schriften 1935, S. 11. 1583 Steinbach, Peter: Einleitung zu: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I1994, S. 19. 1584 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 216. 276 Vergemeinschaftende Quellen gewiss zu seiner politischen Wachheit und frühem Widerstand gegen Hitler bei.1585 Von seinem Bruder Werner erhielt er erschütternde Briefe aus Russland, die ihn wohl über die dort vorgefallenen Gräueltaten unterrichteten.1586 Nach Böhm zeichnete Haeften eine große Fähigkeit zum Mitleiden aus. Dieses Mitleiden

… wurde zu einer schweren seelischen Belastung, als die Greuel des Regimes bekannt wurden. Dass dies Wahrheit sein sollte, wollte er zuerst nicht fassen; die authentisch berich- tete Wirklichkeit erschütterte ihn dann aufs tiefste. Dies ist wörtlich zu verstehen: er litt mit den Opfern. Es war eine tägliche, stündliche, nicht mehr ertragbare Qual für ihn, um solche Missetaten gegen den Menschen zu wissen, und der unwiderstehliche Imperativ, dem un- säglich Grauenhaften ein Ende zu machen, hat ihn auf den einzigen Weg gebracht, der ihn dazu führen konnte: den Sturz des Regimes.1587 Ein Übriges bewirkten die Berichte über den Kommissarbefehl1588 und über Geisel- erschießungen. Als Haeften 1941 nach seinen Auslandsposten zurück nach Berlin ver- setzt wurde, hörte er, der immer Kontakte zu alten Freunden hielt, von allen Seiten die schrecklichsten Geschehnisse durch Hitlers wahnsinnige, mörderische Kriegsführung im Osten.1589 Gegen Ende 1941 plagten Haeften große Zweifel, ob er im Auswärtigen Amt bleiben könne. Der Auslöser der Zweifel waren Judenvertreibungen. Er hatte Kenntnis, dass Juden über Nacht in Synagogen eingesperrt wurden, „um sie in der Frü- he nach Polen abzutransportieren und sie dort zu ermorden“1590. Haeften stand auch ständig unter Gestapo-Aufsicht, nachdem er 1935 in Wien einen Parteibonzen entlarvt hatte. Davon berichtete sein Freund Gogo von Nostitz:

Von seinem Platze als Beamter und Diplomat aus hat er mit rücksichtsloser Zivilcourage vielen Opfern des Nationalsozialismus geholfen. 1935 in Wien ließ er in monatelangem Ringen nicht ab, bis er ein „goldenes Parteimitglied“ mit Mitgliedsnummer unter 10 und unmittelbarem Zutritt zu Hitler als Betrüger entlarvt hatte. Haeften blieb Sieger, wurde aber nach Bukarest versetzt, wo er sich mit gleicher Standhaftigkeit gegen die SS und vor die wahre Kirche stellte.1591 Harpprecht vermutet, dass es nicht der Reichskristallnacht im November 1938 bedurft hätte, um den menschen- und menschheitsfeindlichen Charakter der Diktatur kennenzu- lernen und so die Widerständigkeit Poelchaus auszulösen, sondern dass der Alltag im Gefängnis genügte. Er erlebte dort die Opfer der staatlich sanktionierten Kriminalität des Regimes und seiner Schergen.1592 Dies bezeugt auch eine Aussage Poelchaus, der in drei Septembernächten 1943 den Tod von 360 Menschen, die er monatelang betreut hatte, durch den Strang erleben musste:

1585 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 10. 1586 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 43. 1587 Böhm, Skizze 1946. S. 4. 1588 Mann, Moltke 1995, S. 214. 1589 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 54. 1590 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997. S. 60. 1591 Nostitz, In memoriam Haeften 1948, S. 220. 1592 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 97. 277 Vergemeinschaftende Quellen

Neben dem Hinrichtungsschuppen lag noch tagelang ein Berg von nackten Leichen. Sie konnten nicht fortgeschafft werden, weil die heftigen Fliegerangriffe jeden Transport ver- hinderten. Auch das gehört zu den grauenhaften Eindrücken, die ich nie vergessen kann: die entstellten, bleichen Körper von Menschen, aufeinander geworfen wie Lumpen.1593 Delps ethischer Kompass wird in dem Beitrag „Weltgeschichte und Heilsgeschichte“ vom Mai 1941, im vorletzten Heft der „Stimmen der Zeit“ vor dem endgültigen Verbot durch die damaligen Machthaber, deutlich, wenn er schreibt:

Die ethische Entscheidung ist vom Menschen immer gefordert und ihm auch immer mög- lich. Die ethische Fehlentscheidung bedeutet den Zusammenstoß mit dem Absoluten, mit dem Herrn, und bedeutet für den entscheidenden Menschen Schuld und Sünde und innerste Unordnung seiner Wirklichkeit.1594 Angesichts der Verbrechen des Nationalsozialisten war klar, was mit der ethischen Ent- scheidung gemeint war. Delp betonte im gleichen Beitrag auch die zweifache innerge- schichtliche Bindung des Menschen „als formales Gesetz im Naturgesetz und im Deka- log und als inhaltliche Seinsordnung, an die der Mensch gehalten ist, wenn er die Wirk- lichkeit nicht vergewaltigen will“1595. Es nimmt nicht Wunder, dass Mitte 1941 die Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ wegen Papierknappheit eingestellt wurde. Wenn Delp bei den Beiträgen für die „Stimmen der Zeit“ noch vorsichtig auftrat, um die Zeitschrift und deren Mitarbeiter nicht zu gefährden, legte er in seinen Vorträgen, die erst 1955 in einem Bändchen des Alsatia-Verlages veröffentlicht wurden, diese Vorsicht bei seiner Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Menschenbild ab. Todernst sei ihm die vor dem damaligen Hintergrund unmissverständliche Aussage, so Bleistein1596:

[…] der Mensch, der sich ans Gewissen gehen lässt, der sich Urteile (Befunde über die Wirklichkeit, die er selbst ist!) von seinsfremden und unlegitimierten Instanzen vorgeben lässt, für die er nicht mit dem letzten Blutstropfen einstehen kann, und sei es um den Preis der Ruhe und der Sicherheit und der innerweltlichen Wohlgeborgenheit, der ist ein Verräter seiner selbst im Letzten seiner Wirklichkeit überhaupt.1597 Hier brachte Delp seine kompromisslose Haltung gegen das von nationalsozialistischer Seite propagierte und praktizierte Menschenbild zum Ausdruck.

Haubach, der im Mai 1936 aus dem KZ entlassen wurde, musste über seine Haftbedin- gungen unter Androhung schwerer Strafen schweigen. Zimmermann mutmaßt, dass zusätzlich der Schock und die tiefe Verbitterung Haubach den Mund verschlossen,

… weil er nach den Erfahrungen, die er hatte machen müssen, die weder durch Rechtsnor- men noch traditionelle moralisch-ethische Wertvorstellungen aufzuhaltende, allein dem

1593 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 50. 1594 Delp II S. 335. 1595 Delp II S. 334. 1596 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 187. 1597 Delp II S. 522. 278 Vergemeinschaftende Quellen

eigenen totalen Machterwerb untergeordnete, absolut rücksichtslose Zielstrebigkeit der neuen Machthaber kennen gelernt hatte.1598 Dieses Schweigegebot mag auch seinen bei der religiösen Verortung schon erwähnten Traum von den Luftgeistern1599 vom 08. Januar 1939, zwei Monate nach dem Reichs- pogrom und ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn, befördert haben. Diese Luftgeister seien, wie wir gesehen haben, in eine mittelgroße Stadt eingefallen und richteten große Schä- den an, womit wohl das zerstörerische Wirken der Nazis gemeint war. Aus dem glei- chen Grund könnte Haubach auch in einem Brief an seine Freundin Alma das bereits zitierte Gedicht „Der Widerstreit“1600 von Stefan George sprechen lassen haben, das die Wirkung der dunklen Mächte – „der Fürst des Ungeziefers“ – beschwor. Dies scheint den Wunsch und später den Willen zu bekunden, das Regime müsse abgelöst werden.

Bei vielen Kreisauern war jedoch für ihre Widerstandsentscheidung die christlich- religiöse Motivation dominant. Moltke bezeichnete zustimmend in seinem letzten Brief an seine Frau als entscheidenden Satz der Verhandlung vor dem VGH den Ausspruch Freislers: „Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemein- sam, und nur dies eine: wir verlangen den ganzen Menschen.“1601 Damit hob er mit Nachdruck die christlichen Motive für seine Opposition gegen den Nationalsozialismus hervor. Dies war ein Zeugnis, dass sich Moltke wie andere Kreisauer von höchsten mo- ralischen und religiösen Maßstäben leiten ließ.

Auch Yorck bezeugte vor dem VGH seine christlich-religiöse Motivation zum Wider- stand, wenn er auf Freislers Feststellung, ihm, Yorck, passe in der Judenfrage die Ju- denausrottung und die nationalistische Auffassung vom Recht nicht, wie häufig zitiert,

1598 Zimmermann, Haubach 2004, S. 369. 1599 L’Aigle, Briefe 1947, S. 29-34. 1600 George, Stefan: „Der Widerstreit“ wie in L’Aigle, Briefe 1947, auf S. 62 abgedruckt:

Kein Werk ist des Himmels das ich Euch nicht tu, Ein Haarbreit nur fehlt und Ihr merkt nicht den Trug Mit Euren geschlagenen Sinnen Ich schaff Euch für alles was selten und schwer Dass Leichte; ein Ding das wie Gold ist aus Lehm Wie Duft ist und Saft ist und Würze – Und was sich der große Prophet nicht getraut: Die Kunst ohne Roden und Säen und Baun Zu saugen gespeicherte Kräfte. Der Fürst des Geziefers verbreitet sein Reich Kein Schatz ihm mangelt, kein Glück, das ihm weicht Zu Grund mit dem Rest der Empörer Ihr jauchzet entzückt von dem teuflischen Schein Verprasset was blieb von dem früheren Sein Und fühlt erst die Not vor dem Ende … 1601 MB (11.01.1945) S. 623. 279 Vergemeinschaftende Quellen entgegnete: „Das Wesentliche ist, was alle Fragen verbindet, der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen vor Gott.“1602

Einsiedel, dessen Mutter Halbjüdin war und dessen Bruder nach England emigrieren musste, führte die große Katastrophe des Nationalsozialismus auf den Hass zwischen den Menschen, die Bewertung des Menschen nach seiner Rasse und die Vernachlässi- gung des christlichen Liebesgebots zurück – Motive, die wohl auch seine Widerstän- digkeit begründeten. In seinem Lebenslauf gab Einsiedel diese Motivation wieder:

Die Entdeckung, wieviel [sic!] Hass zwischen den Menschen besteht, war ein trauriges, fortwährendes Erlebnis der letzten zwanzig Jahre. Hass zwischen den Völkern und Rassen, Hass zwischen den politischen Parteien und Hass zwischen den wirtschaftlichen Klassen haben das Bild des Menschen immer erneut entstellt. Die Bewertung des Mitmenschen er- folgte nicht auf Grund seiner Handlungen und seines Charakters, sondern auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer wirtschaftlichen, politischen oder völkischen Gruppe. Dadurch trat eine Verzerrung der überlieferten christlichen Wertmaßstäbe ein. Die Liebe zum Nächsten, die wichtigste christliche Forderung, wurde immer weniger zur Norm menschlichen Ver- haltens. Ich glaube, dass die grossen Katastrophen des letzten Menschenalters hier ihre Hauptwurzel haben. Das wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass das christli- che Liebesgebot ja nicht nur für individuelles ethisches Verhalten massgebend sein soll, es muss auch als Norm für die Lösung politischer Aufgaben dienen.1603 Die moralische Sicherheit, zwischen gut und böse zu unterscheiden, ist nach Einsiedels Einschätzung in der Hitlerzeit verloren gegangen.1604

Haeften war unter den Nichttheologen im Kreisauer Kreis wohl am stärksten durch seine christlich-religiöse Motivation zum Widerstand getrieben. Das soll an zwei Brief- stellen gezeigt werden. 1941 antwortete Haeften auf Glaubensfragen eines jungen Man- nes, Hannes Brockhaus, der von der Abwehr in die rumänische Wirtschaft kriegsdienst- verpflichtet war und in Bukarest in der Gesandtschaft unter seiner Obhut stand.1605 Ha- eften schrieb, dass das Christentum die antike Weltsicht, die wohl um Göttliches und Menschliches wusste, um zwei entscheidende religiöse Einsichten erweitert habe, um „die Erkenntnis des Teuflischen, des großen Drachen, der dem Menschen auflauert, um ihn von jedem Gipfel, den er mühsam erstiegen, in ungeahnte Abgründe zu stürzen, ja um ihn in seinem Innersten selbst zu überwältigen und zu besitzen.“ Damit meinte Ha- eften zweifellos die damals herrschende Situation des Nationalsozialismus, der nur mit- hilfe des Glaubens widerständig begegnet werden könne. Er fuhr fort:

[…] und die radikal neue Vorstellung von Gott als dem Gott der erbarmenden Liebe, der in Christi Gestalt selbst in die zutiefst verdorbene Welt eingegangen, den hoffnungslosen

1602 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 157. 1603 Einsiedel, Horst von: Lebenslauf vom 12.07.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3, S. 3. 1604 Einsiedel, Horst von: Lebenslauf vom 12.07.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3, S. 3. 1605 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 45. 280 Vergemeinschaftende Quellen

Kreis ihrer Verfallsgesetzlichkeit durchbrochen hat und dem Menschen, indem er ihn zur Nachfolge aufruft, seine übermächtige göttliche Hilfe anbietet, damit auch er, der Mensch, die Umklammerung der satanischen Mächte durchbreche.1606 In seinem Brief von 1941 an den mit ihm befreundeten Pfarrer an der Wiener Doro- theenkirche und späteren Wehrmachtspfarrer Herbert Krimm, der in Norwegen neben Theodor Steltzer beim Heerestransportwesen eingesetzt war, beklagte Haeften „die geistliche Ohnmacht der Kirche gegenüber den Dämonien der Welt“, wenn er bemerkte, dass „das Bischofsamt es verbiete zu schweigen wie ein stummer Hund“ und dass der Krieg als Volksausrottung eine schauerliche Sünde sei. Weiter schrieb er:

Da wäre es Sache der Kirche (Kirchen), die „christlichen“ Kämpfer aufzurufen und mit großem Ernst davor zu warnen, das Fundament jeglicher Ordnung zu zerschlagen, indem sie die unantastbaren Gebote Gottes missachtend, das Corpus christianum in ein corpus diabolicum verkehren, wo alle Frevel der Vernichtung, alle Greuel der Verwüstung sich maß- und hemmungslos austoben.1607 Auch Haeften offenbarte vor Freisler am VGH die religiöse Dimension und das grund- legende Motiv für seine Teilnahme am Widerstand, als er sagte, er halte Hitler für einen „großen Vollstrecker des Bösen“ in der Geschichte.1608

Für Delp galt wie für Moltke die Wahl: Christ oder Nationalsozialist.1609 Die Entschei- dung Delps mündete in das Urteil, das den Widerstand als Hoch- und Landesverrat qua- lifizierte. Bleistein sieht noch einen weiteren Grund für seinen Widerstand, nämlich den Widerspruch, der zwischen personalem Sozialismus Delp‘scher Prägung1610 und „natio- nalem Sozialismus“ gegeben war:

Dort, wo die „Verhältnisse“ geändert werden müssen, damit eine humane Existenz gelingt, „daß Menschen beten und denken können“1611, werden die Fundamente eines Systems an- gegriffen, das sich als Volksbeglückung verstand und diese noch in machtstabilisierender, verschleiernder Absicht als die Verwirklichung eines „positiven Christentums“1612 dekla- rierte.1613 Für die Motivation von Gablentz, widerständig zu werden, kann man die Worte heran- ziehen, die er posthum für seine Freunde im Kreisauer Kreis fand: „Sie waren fast alle Hitler-Gegner der ersten Stunde, hatten sich niemals Illusionen über den Nationalsozia-

1606 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 113. 1607 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 119. Hier fordert Haeften, „dass das Wächteramt der Kirche nicht auf den kirchlichen Raum beschränkt [wird], sondern überall verwirklicht werden muss, wo das Menschen- recht verletzt wird“; Norden, Zwischen Kooperation und Teilwiderstand 1985, S. 236. 1608 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 86. 1609 MB (11.01.1945) S. 609. 1610 Pope, Delp 1994, S. 121-158. 1611 Hier wird Bezug genommen auf Delps Gefängnisreflexion „Die Erziehung des Menschen zu Gott“; Delp IV S. 313. 1612 Clemens August von Galen in seiner Predigt am 10.06.1934 in Xanten; in: Löffler, Bischof Galen 1933-1946, S. 91 ff. 1613 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 429. 281 Vergemeinschaftende Quellen lismus gemacht. Sie hielten ihn für verwerflich aus religiösen und moralischen Gründen und für falsch aus soziologischer und historischer Erkenntnis.“1614

Für Lukaschek und Husen begründete sich der Widerstand gegen den Nationalsozia- lismus in ihrem katholischen Glauben, wie aus ihren bereits geschilderten religiösen Einstellungen hervorgeht. Für beide galten, wie bereits dargelegt wurde, die Sozialen- zykliken als Richtlinien für die Entscheidungsfindung und sie waren Anhänger der ka- tholischen Naturrechtslehre. Lukaschek griff auf das Subsidiaritätsgesetz1615 der Sozial- enzykliken, also das hilfsweise Eingreifen der größeren Sozialgebilde zugunsten der kleineren Lebenskreise, zurück, als er sich mit der Neugliederungsfrage Deutschlands auseinandersetzte.1616 Die Anerkennung der naturrechtlichen Grundsätze drückte sich für Lukaschek u. a. durch seine Haltung zum Attentat auf Hitler aus. Lukaschek berich- tete von einem Gespräch in der Wohnung Husens mit Yorck und Stauffenberg, in dem dieser angesichts der aussichtslosen Lage sagte: „Mir bleibt nur noch der Mord – aus christlicher Verantwortung.“1617 Lukaschek habe dabei nicht erwogen, Anzeige nach § 139 des StGB zu erstatten, er habe Stauffenbergs Vorhaben vielmehr als christlich und das Attentat als eine christliche Pflicht1618 nach seiner Interpretation des Natur- rechts angesehen, da aus christlichen Grundsätzen eine Pflicht zum Widerstand gegen das Böse bestehe.1619 Auch Husen stand auf dem Boden der katholischen Auffassung des Naturrechts und bezeichnete sich selbst als Anhänger der scholastischen Natur- rechtslehre.1620 Sein Buch über das Minderheitenrecht in Oberschlesien1621 von 1930 lässt dies eindeutig erkennen. Auch nach dem Zusammenbruch der nationalsozialisti- schen Herrschaft wurde in einem Report für die Amerikaner deutlich, dass er dieser Grundauffassung treu geblieben war. Dort betonte er, es sei ein Bestreben der Wider- ständler gewesen, die Würde der Person mit ihren natürlichen Rechten wiederherzustel-

1614 Gablentz, Würdigung 1968, S. 592. 1615 Zum Subsidiaritätsprinzip siehe: Nell-Breuning, Gerechtigkeit und Freiheit 1980, S. 48. 1616 Lukaschek, Mainau 1951, S. 14; Lukaschek, Antrittsrede als Oberpräsident von Oberschlesien aus dem Jahre 1929. PA, R 82843, Bl. 160. 1617 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 10. 1618 Lukaschek, Mainau 1951, S. 17. 1619 Lukaschek, Mainau 1951, S. 15. 1620 Husen, Paulus van: Brief an Roon, 30.4.62. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 1621 Warderholt, Minderheitenrecht 1930, S. 12: „Das Naturrecht verlangt, dass das Minderheitenvolk in einem Nationalstaat in Bezug auf sein Volkstum nicht nur nicht unterdrückt wird, sondern dasselbe mög- lichst frei gestalten kann, soweit das nach den Grundsätzen der ausgleichenden Gerechtigkeit irgendwie mit den Interessen des Mehrheitsvolkes und des Staates vereinbar ist. […] Der Staat ist nicht Quelle des Rechts, sondern der Staat ist an das natürliche und göttliche Recht gebunden, und noch so gut formulier- tes und von einer noch so erdrückenden Parlamentsmehrheit beschlossenes positives Recht, welches gegen Naturrecht und Gottes Gebot verstößt, ist Unrecht“; siehe Warderholt, Oberschlesien 1930, S. 216. (Warderholt ist ein Pseudonym von Paulus van Husen). 282 Vergemeinschaftende Quellen len, und die Verpflichtung des Menschen in der Gesellschaft beruhe auf Gottes eigenem Willen, der die menschliche Gesellschaft als den sinnbildlichen Körper Christi (corpus christi mysticum) errichtet habe.1622 Dass diese Haltung im Gegensatz zur Auffassung des damaligen Regimes stand, ist offensichtlich.

Die dargestellten Motivationen der 20 Freunde des Kreisauer Kreises können nur bei- spielhaft sein. Es soll keine Gewichtung der Einzelmotivationen vorgenommen werden, bei jedem war mit Sicherheit eine andere Mischung von Beweggründen für den Wider- stand gegeben. Aber in einer Motivation waren sie sich einig: Sie wollten „über den Krieg und das Ende der Diktatur hinaus denken“1623. Moltke schrieb 1943 an Curtis: „You can only get rid of one government if you can offer another government, and that means, that the mere process of destroying the third realm [Drittes Reich; A. d. V.] can only get under way if you at least are able to propound an alternative“1624, und dies be- deutete Planungsarbeit für die Zeit „danach”. Angesichts der Zerstörung des alten Lü- becks im Jahre 1942 stellte sich Yorck die Frage, ob es nicht Aufgabe sei, „aus dem Verlust Gewinn zu ziehen“1625 und die Möglichkeit einer Wandlung, der Erneuerung und Neuordnung zu ergreifen.1626 Die Frucht dieser Erneuerung, der Arbeit einer Reihe deutscher Männer, die den Wiederaufbau Deutschlands nach dem mit Sicherheit erwar- teten Zusammenbruch des Nationalsozialismus planten, ist in den Entwürfen vom 09. August 1943 niedergelegt, in deren Präambel steht: „Die innere Neuordnung des Reiches ist die Grundlage zur Durchsetzung eines gerechten und dauerhaften Frie- dens.“1627

Ein vergemeinschaftendes Moment neben der oft gleichen Motivation zur Widerstän- digkeit stellt die Tatsache dar, dass die jüngeren Kreisauer ihre angestrebten Berufe nicht ergreifen konnten, die älteren aus ihren angestammten Berufen herausgerissen oder in ihrem Fortkommen gehindert wurden. Keiner änderte aus Rücksicht auf das Berufsleben seine Meinung. Moltke konnte die angestrebte Richterlaufbahn nicht ein- schlagen, da er einem nationalsozialistischen Staat so nicht dienen wollte1628; Yorck

1622 Husen, Paulus van: Report on my participation in the enterprise of the 20. July 1944, 18.10.1945. IfZ, ZS/A-18, Bd. 12, S. 6. 1623 Harpprecht, Poelchau 2004, S. 114. 1624 Moltke: Brief an Curtis, 23.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 283. 1625 Brief Yorcks an Heinrich Graf Luckner, Frühjahr 1942; in: Roon, Neuordnung 1967, S. 86. 1626 Roon, Neuordnung 1967, S. 86. 1627 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 307. 1628 Siehe Brief von Lionel Curtis an Beckett, All Souls College, Oxford, 26.6.1943. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 1: „Helmuth was trained to become a judge under the , but just be- fore he was eligible for appointment the Republic fell and the Nazis at once side-tracked him.“ 283 Vergemeinschaftende Quellen wurde, als der Reichspreiskommissar Josef Wagner aus Partei und Ämter ausgestoßen wurde, von dessen Nachfolger Staatssekretär Fischböck fallen gelassen1629; Gersten- maier wurde die venia legendi verweigert1630; Reichwein wurde als Akademieprofessor entlassen1631; die „militanten Sozialdemokraten“ Leber, Haubach1632 und Mierendorff wurden nach der Machtergreifung ins KZ geworfen und erlitten Berufsverbot; Pater Delp konnte das geplante Soziologiestudium an der Universität München nicht antreten und erhielt quasi Schreibverbot mangels Genehmigung der Reichsschrifttumskammer; Trott wurde mehrfach als Referendar abgelehnt1633; Lukaschek wurde als Oberpräsident in Oberschlesien abgelöst; Husen wurde bei der deutschen Verbindungsmission bei der Gemischten Interalliierten Kommission für Oberschlesien wegen Unzuverlässigkeit entlassen1634; Gablentz musste nach der Machtergreifung 1934 aus dem Reichswirt- schaftsministerium auf Druck der NSDAP ausscheiden und „überwinterte“ bis 1945 in der Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie, in der bald auch Einsiedel und andere Re- gimekritiker tätig waren1635; Steltzer wurde als Landrat abgelöst; Trotha konnte 1935/36 nicht länger bei der nationalsozialistisch durchsetzten Justiz arbeiten und musste ins Reichswirtschaftsministerium wechseln1636; Peters „pfuschten […] die Nazis in sein Fach“, so war er hinfort „eifrig bestrebt, sich nicht so sehr im Dienst seiner Wissen- schaft wie im Dienst der Menschlichkeit zu bestätigen“1637.

Ein weiterer, allerdings existenzieller Aspekt war mit der Motivation zum Widerstand verbunden: das Bewusstsein, das eigene Leben einzusetzen. Moltke sagte zu Carlo Schmid1638, den er am 08. Juni 1943 in Paris traf: „Sie können sicher sein, die werden

1629 Ehrensberger, Otto: Meine Zusammenarbeit mit der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944, IfZ, ZS/A-18, Bd. 3, S. 4. 1630 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 91. 1631 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 273. 1632 Die angespannte politische Situation wird auch dadurch deutlich, dass die sozialdemokratischen Kreisauer nicht nur Angriffen von rechts, sondern auch von den Kommunisten ausgesetzt waren. In der „Roten Fahne“ vom 05.01.1930 wurde Haubach als Pressereferent von Innenminister Severing der Fäl- schung eins kommunistischen Rundschreibens (Obuch-Dokument: Richtlinien zur Förderung der revolu- tionären Bewegung, veröffentlicht am 28.12.1929 im Hamburger Anzeiger, von den Kommunisten als Lumpen- und Fälscherblatt bezeichnet), das zum Verbot der KPD führen sollte, verunglimpft. Es werden ihm noch andere „einbringliche Beschäftigungen“ unterstellt; siehe Aufruf in der „Deutschen Illustrier- ten“: Haubach unter dem Schönheitsrichterkollegium, er soll in Rio de Janeiro eine deutsche Schönheits- königin präsentieren, „deren Echtheit der seiner Dokumente entspricht: Fälscher, Spitzel, Provokateur, Dokumentenfälscher und Reichspressechef“ GSPK Rep 84a Nr. 58728. 1633 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 63. 1634 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 507. 1635 Winterhager, Gablentz 2004, S. 199. 1636 Trotha, Carl Dietrich: Lebenslauf. IfZ, ZS/A-18, Bd. 8, S. 3. 1637 Andreas-Friedrich, Schauplatz Berlin 1964, S. 37. 1638 Schmid, Erinnerungen 1973, S. 201. 284 Vergemeinschaftende Quellen uns kriegen. Und dann werden sie uns hängen.“1639 Gegenüber Curtis bekannte Moltke, dass der Widerstand1640 mit Verlust von Menschenleben verbunden sei, „as we will not be able to get out of the quandery into which we have been led without considerable sacrifices in men“1641; damit meinte er wohl auch sein eigenes Leben. Er fügte an: „[…] the worst is that this death is ignominous“, womit er den schmählichen Charakter eines solchen Todes herausstellte im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Verbrecher in den von Hitler tyrannisierten Ländern, der die Aussicht hatte, als Märtyrer angesehen zu werden. „With us it is different: even the martyr is certain to be classed as an ordinary crimi- nal.“1642 Steltzer hatte bereits beim Kennenlernen Moltkes das Gefühl, dass Moltke die Lage als hoffnungslos ansah und nicht an einen Erfolg ihres Einsatzes glaubte. „Er war lange vor dem 20. Juli der Ansicht, dass wir alle einmal hingerichtet würden.“1643

Auch Trott war sich bewusst, welchen Preis er für die Widerständigkeit möglicherwei- se zahlen musste. In einem Merkbüchlein legte Trott seine Lebensmaxime fest:

Erst dadurch, dass wir die sittliche Idee aus uns selbst im Leben entwickeln, wird dieselbe existent für uns; sobald wir stark genug sind, dürfen wir getrost ihre tönerne Form außer uns zerschlagen. Je weiter man diese zu realisieren vermag, desto getrösteter wird man sein, und desto mehr wird man aufhören, sich selbst im Schatten zu stehen.1644 Der 26-jährige Trott schien bereit zu sein, dafür sein Leben zu riskieren, wenn er 1935 in diesem Merkbüchlein seine Todesahnung ausdrückte: „Wenn wir uns schon mit einer Epoche abfinden müssen, in der die größere Wahrscheinlichkeit für ein vorzeitiges Le- bensende steht, sollten wir doch wenigstens dafür sorgen, daß es einen Sinn hat zu ster- ben – gelebt zu haben.“1645 Bei der Rückkehr aus China nach Deutschland Ende 1938 betonte Trott gegenüber Astor, dass er nicht das Emigrantenschicksal wähle und nach Deutschland im Wissen der Lebensgefahr zurückkehren wolle: „[…] apart from definite indications of presumable liquidation, my place during this coming time is at home.“1646 Diese Haltung, unter Einsatz des Lebens die Emigration abzulehnen, bestätigte sich, als Trott sich am Ende seiner zweiten USA-Reise im Januar 1940 von dem Assistenten Brünings in Harvard, dem ihm aus der gemeinsamen Zeit als Rhodesstipendiaten in

1639 MB (8.6.43) S. 489; Schmid, Carlo: Brief an v. z. Mühlen, 31.12.1948. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5, S. 2. 1640 Im Original wird der englische Ausdruck „opposition“ verwendet, die Kreisauer bezeichneten sich selbst nie als Widerstand; Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 286 1641 Moltke: Brief an Curtis 23.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 286. 1642 Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 286. 1643 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 149 1644 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 63. 1645 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 63. 1646 Brief Trotts an seinen Freund David Astor. BA NL Trott, N 1416-2, S. 1. 285 Vergemeinschaftende Quellen

Oxford bekannten Alexander Böker1647 verabschiedete; da soll er mit unsicherer Stimme gesagt haben: „‚Wenn alles gut geht, in ein oder zwei Jahren, können wir uns glücklich zusammensetzen, glücklich über ein freies Deutschland, oder aber – wenn nicht – dann für mich …’ wobei er mit einer waagrechten Hand an seinem Hals entlang gefahren ist.“1648

Auch Gerstenmaier schreckte vor dem Einsatz seines Lebens nicht zurück. Als er durch eine Nachricht von Yorck über den Termin des geplanten Staatsstreichs infor- miert wurde, fuhr er am 19. Juli, aus dem Urlaub in Kärnten kommend, nach Berlin und hielt sich in Bereitschaft, so seine eigene Darstellung, und löste damit sein Peter Yorck und Fritzi Schulenburg gegebenes Wort ein, er sei bereit, „in jeder Funktion, die sie für richtig hielten, an dem Staatsstreich teilzunehmen“1649. Gerstenmaier wartete nicht aus sicherer Entfernung den Ausgang des Staatsstreichs ab, sondern begab sich nach einem Anruf Yorcks unerschrocken „mit Bibel und Pistole“1650 in die Bendlerstraße, als es sich sogar schon abzeichnete, dass das Attentat missglückt war.

Delp stellte sich in den schon erwähnten Reflexionen „Der Mensch vor sich selbst“1651, die als Vortragsunterlagen erhalten sind, nicht nur kompromisslos gegen das von natio- nalsozialistischer Seite propagierte und praktizierte Menschenbild, sondern bekundete auch seine Überzeugung, welche Konsequenzen das strikte Engagement für die Wah- rung bzw. die Wiederherstellung seines Menschenbildes erforderte, nämlich den Einsatz des eigenen Lebens:

Die Idee des Opfers ist eine natürliche Idee, von der Natur getragen, gefordert, begründet. Im äußersten Fall, in dem infolge einer Rebellion der Werte oder der für ihre Realisierung Verantwortlichen die letzte Würde des Menschen zu Gott und zum Gewissen in Frage steht, muß sogar das primitivste und grundlegendste Naturgesetz, der Wille zum Leben und zur Erhaltung geopfert werden […]1652 Für diese Überzeugung stand Delp dann auch mit seinem Leben ein.

1647 Alexander Böker gehörte dem Corpus Christi College in Oxford an. In den USA suchte er Zuflucht vor dem Nationalsozialismus, ohne jedoch die Absicht zu haben, zu immigrieren und Bürger der Ver- einigten Staaten zu werden. Er betrachtete sich als zeitweilig politisch Exilierten. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und trat in den auswärtigen Dienst der Bundesrepublik ein. Er beendete seine Diplomatenlaufbahn als Botschafter im Vatikan. 1648 Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 103. 1649 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 190. 1650 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 189 ff. Allerdings schreibt Gerstenmaier selbst im Rahmen des Ramcke-Prozesses, er bleibe dabei, „daß ich mich in der Bendlerstrasse lediglich hatte erkundigen wollen, was es denn mit den Gerüchten über einen Anschlag auf sich habe“, deshalb sei er auch am 05.08. „aus der ersten Gruppe der vor den Volksgerichtshof zu Stellenden wieder ausgeschieden worden“; in: Schreiben Eugen Gerstenmaiers an Fabian von Schlabrendorff, 05.07.1963. ACDP, I-210-004/I, S. 2. 1651 Delp II S. 475-556; insbesondere „Durch die Welt“, S. 533 ff. 1652 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 187. 286 Vergemeinschaftende Quellen

Poelchau, der als evangelischer Gefängnispfarrer in Tegel während der Haft Moltkes fast täglich die Briefe zwischen Moltke und seiner Frau vermittelte, riskierte mit dem Transport eines jeden Briefes sein Leben. Dies war Moltke durchaus bewusst, als er Freya schrieb: „Ich kann […] nicht einen normalen [damit meinte er einen nicht unbe- dingt notwendigen; A. d. V.] Brief jetzt schreiben und über diesen Weg laufen lassen, bei dem P. sein Leben riskiert.“1653

Auch Leber war bereit, sein Leben für den Widerstand zu wagen. Leber hatte gesagt, dass er nur einen Kopf habe und ihn „für keine bessere Sache einsetzen“ könne als die des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus.1654

Diese Bereitschaft, das Leben für ihre Überzeugung einzusetzen, war wohl die größte existenzielle Gemeinsamkeit zwischen den Kreisauern. „[Jeder] wusste zu jeder Zeit, dass die Aufdeckung ihrer Aktivitäten den Tod bedeutete. Jeder einzelne musste […] seine Gedanken und Vorstellungen gewissermaßen unter dem Aspekt des Galgens, des Erschießungs-Pelotons oder des Genickschützen überprüft haben.“1655

4.3.3 Leben im Widerstand

4.3.3.1 Beschreibung des widerständigen Lebens

Das Leben der einzelnen Kreisauer im Widerstand war natürlich trotz der gemeinsamen Grundeinstellung überaus unterschiedlich. Die Widerständigkeit wurde in verschiede- nen Berufs- oder Beschäftigungsverhältnissen und an verschiedenen Orten gelebt. Eine personenunabhängige Schilderung der Situation des Widerstands liefert jedoch Moltke in dem bereits erwähnten Brief an Lionel Curtis vom 25. März 19431656, den er von Stockholm aus schrieb, um eine englische Kontaktperson für den Widerstand benannt zu bekommen, der jedoch aus Geheimhaltungsgründen nie in vollem Umfang, sondern nur als stark verkürztes Gedächtnisprotokoll seinen Adressaten erreichte. Auch unge- kürzt hätte dieser Brief wegen des „absolute silence“-Gebots1657 von Churchill seine

1653 HFM S. 367. 1654 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S, 200. 1655 Steltzer, Werner: Deutscher Widerstand als Beitrag für ein Europa der Gleichberechtigten. Das Aktu- elle am Kreisauer Kreis gegen Hitler. IfZ, MS 264, S 13. 1656 Moltke: Brief an Curtis, geschrieben in Stockholm, 25.03.1943. Der Brief ist aus Sicherheitsgründen nicht unterzeichnet, der schwedische Mittelsmann Johannson gab als Absender nur den Buchstaben „M“ weiter; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden, 1970. 1657 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 15: „Die Politik der ‚absolute silence‘ gegenüber allen Annähe- rungsversuchen der anderen Seite, wie sie für die britische Regierung im Januar 1941 von Winston Chur- chill angeordnet wurde, der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im Dezember 1941, das Bündnis mit der SU und die Forderung Franklin Delano Roosevelts von Januar 1943 in Casablanca nach ‚unconditio- nal surrender‘ Deutschlands ließen keinen Raum für die Beschäftigung mit den deutschen Emissären und 287 Vergemeinschaftende Quellen

Wirkung nicht entfalten können. Aber er zeichnet uns ein umfassendes Bild der damali- gen Situation, „an analysis of conditions in my country“1658, was wohl auch als Sicht der Gemeinschaft als Spiegel der Diskussionen der Freunde angesehen werden kann, denn es klingen in diesem Brief einige Aspekte an, die in dem Grundsatzpapier vom 09. August 1943 fixiert sind.

Zunächst analysierte Moltke die Lage Deutschlands, im Unterschied zu den besetzten Ländern, und Mängel, mit denen die Kreisauer zu kämpfen hatten: „lack of unity, lack of men, lack of communication.“1659 Bezogen auf den Mangel an Einigkeit im deut- schen Volk machte Moltke auf drei Gruppen der deutschen Bevölkerung und deren Hal- tung gegenüber dem Nationalsozialismus aufmerksam, denen sich die Freunde gegen- übersahen. Er nannte zuerst die Profiteure des Dritten Reiches, dabei handle es sich nicht um einige Hundert Menschen, „no it runs into hundreds of thousands and in order to swell their numbers and to create new posts of profit everything is corrupted“1660. Ein zweite Kategorie stelle die Gruppe dar, die die Nazis nur als Gegengewicht zu dem vom Ausland ausgeübten Druck unterstützt habe „and who cannot now easily find their way out of the tangle“1661. Eine dritte Gruppe, beeindruckt durch Propaganda von Goebbels und den Briten, glaube, „if we losse [sic!] this war we will be eaten up alive by our en- emies and therefore we have to stand this through with Hitler and have to put him right, i.e. get rid of him thereafter: it is impossible to change horses in midstream”1662. Dann wies Moltke darauf hin, dass praktisch keine jungen Männer, „which make revolutions, or are at least its spearhead“1663 in der Heimat vorhanden seien und dass durch äußerst beschränkte Kommunikationsmittel die Verbreitung von Nachrichten fast unmöglich sei, „there is only one reliable way of communicating news, and that is the London wireless, as that is listened in by many people who belong to the opposition proper and by many disaffected party-members“1664. Ein weiteres Anliegen Moltkes bestand darin,

ihren Plänen.“ Dies war aus Sicht der Briten nach dem „Venlo-Fall” verständlich: „There is good reason to believe that many of these overtures, perhaps the majority, have been inspired by the German secret service which seems to have made a special study of the strategy and tactics of the peace feelers. The purpose is obvious – to try and sow dissension between the Allies and to slow up the tempo of their war efforts.“ Foreign Office, July 1, 1942; zit. nach Lamb, The Ghost of Peace 1987, S. 261. 1658 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 283. 1659 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 283. 1660 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 284. 1661 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 284. 1662 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 284. 1663 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 284. 1664 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 284. 288 Vergemeinschaftende Quellen seinen englischen Adressaten die „devilish machinery”1665 der Nazi-KZs vor Augen zu führen.

Für die Situation des Widerstandes ist der 4. Abschnitt des Briefes erhellend; dieser bildet auch in fünf Argumentationspunkten den Hauptteil der Ausführungen. Er sollte England überzeugen, mit dem deutschen Widerstand zusammenzuarbeiten. Zunächst wies Moltke auf den Verlust von Widerständlern hin, ein Opfer, das gebracht werden müsse. Das Schlimmste sei, wie schon erwähnt, dass dieser Tod schmählich sei. Dann stellte Moltke die Hindernisse heraus, die der Widerstand der Tötungsmaschinerie in den Weg stellte und somit Leben rettete, etwa durch Warnungen in besetzten Ländern, ohne allerdings Massenmorde verhindern zu können. Moltke gestand auch die Fehler des Widerstandes ein: „The main error of judgement has been the reliance placed on an act by the generals. This hope was forlorn [sic!] from the outset, but most people could never be brought to realise this fact in time.”1666 Den Grund dafür sah Moltke in der Tatsache, dass man eine Revolution und nicht einen Staatsstreich brauche, „and no revolution of the kind we need will give generals the same scope and position as the Nazis have given them, and give them today”1667. Moltke nannte aber auch die Schritte, die der Widerstand bereits mit langfristiger Wirkung eingeleitet habe, „the mobilisation of the churches and the clearing of the road to a completely decentralised Germany”1668. Er hob, bezogen auf die Kirche, besonders zwei Predigten von Bischof Preysing1669 hervor und nannte ausdrücklich die Wegbereitung zur Dezentralisierung Deutsch- lands1670, da dies eine ihm bekannte Forderung der Alliierten war, denen besonders die Zerschlagung Preußens, des vermuteten Hortes des deutschen Militarismus, ein Ziel

1665 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 285. 1666 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 1667 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 1668 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 1669 Moltke zitiert hier Predigten von Preysing „of May 16th (?) 1942 and December 20th. 1942.“. Das richtige Datum ist der 28.06. und nicht der 16.05.1942. Preysing hielt am 28.06.1942 in der Hedwigskat- hedrale zum Silbernen Bischofsjubiläum von Papst Pius XII. eine Predigt über Recht und Gerechtigkeit, die auch in der „Times” zitiert wurde. Auch Goebbels erwähnte in einem Tagebucheintrag vom 13.07.1942 diese Predigt. Mit der „Predigt” vom 20.12. ist der „Hirtenbrief” zum gleichen Thema ge- meint, der von Preysing verfasst worden war und im Bistum Berlin am 4. Adventssonntag 1942 verlesen wurde (auch in den Bistümern Köln, Limburg und Mainz) und ein breites Echo in der Öffentlichkeit fand. 1670 Die Kreisauer beschäftigten sich 1943 mit der territorialen Gliederung eines neuen Deutschlands. Vor allem Pater König als Geograph und Lukaschek als Verwaltungsfachmann waren an den Planungen betei- ligt; vgl. Winterhager, Der Kreisauer Kreis 1985, S. 114. Paulus van Husen erinnerte sich, dass Pater König aufgrund von Besprechungen im engeren Kreis mit Yorck eine Karte mit der Neugliederung anfer- tigte, die allerdings nicht in Kreisau besprochen wurde; siehe Husen, Paul van: In memoriam Moltke und Yorck, 20. Juli 1944. IfZ, ED 88-1, S. 9. Im Zusammenhang mit der Anweisung an die Landesverweser erwähnte Yorck in einem Brief vom 09.08.1943 eine korrigierte Deutschlandkarte, die Pater König mit- bringen solle; vgl. Bleistein, Dossier 1987, S. 340. Sie verzeichnete 23 Länder und 7 Reichsstädte; vgl. Bleistein, Dossier 1987, S. 214 f. 289 Vergemeinschaftende Quellen war. Moltke weist jedoch auch auf die neben den Kirchen zweite Säule des späteren Kreisauer Programms vom August 1943, die Arbeiter, hin, und zwar auf diejenigen, die jetzt keine Nazis seien; das träfe auf die Mehrheit der älteren und der Facharbeiter zu, sie hätten jedes totalitäres Regime satt. „These are the workers on which we must build not on those who can escape with a simple change of colour without change of heart.”1671 Moltke legte noch dar, dass der Nationalsozialismus in allen Klassen Anhän- ger habe, wolle man aber pauschalieren, dann gelte, dass die Mittelklasse nationalsozia- listisch oder zumindest von irgendeiner Form des Totalitarismus in hohem Maße infi- ziert sei, wohingegen der niedrige preußische, landbesitzende Adel am wenigstens an- fällig bzw. immun gegen Totalitarismus sei.1672 Ein weiteres Anliegen des Grundsatz- programms wurde thematisiert: die Bestrafung der Rechtsschänder, die dann auf der 3. Kreisauer Tagung unter maßgeblicher Beteiligung Husens formuliert wurde.1673 „The punishment of political criminals once the third realm has come to an end will this time be very popular with the German people.“1674

Vor diesem Hintergrund bat Moltke um einen Kontaktmann für den Widerstand in Stockholm. Diese eindrückliche Schilderung kann aus den dargelegten Gründen als Er- gebnis der bis dahin stattgefundenen Diskussionen gelten und ist ein Zeugnis der Ver- gemeinschaftung.

4.3.3.2 Emigrationsfrage

Auch wenn oben gesagt wurde, dass das widerständige Leben der 20 Kreisauer in die- sem Rahmen nicht behandelt werden kann, mögen zwei Aspekte doch näher beleuchtet werden: die Emigrationsfrage und die Haltung zum Tyrannenmord.

Welcher Grad der Überschneidung von Widerstand und notwendiger Anpassung, wel- che Last der „gespaltenen Existenz“ musste ertragen werden, denn „vielfach wurde ein Verbleib in den Diensten des NS-Staates als gerechtfertigt betrachtet“, stellt Klemperer mit Recht fest, „weil nur von dort aus eine Verhinderung der schlimmsten Exzesse des Regimes möglich zu sein schien; in zahlreichen Fällen diente der Verbleib im Amt mit-

1671 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 288. 1672 Diese Beurteilung steht im Gegensatz zur Untersuchung von Malinowski (Vom König zum Führer 2003). Malinowski weist ideologische Haltungen des Adels nach, die gerade zu einem Arrangement mit dem Nationalsozialismus führten, u. a. Ressentiment gegen das Bürgertum, das Konzept der Wiedererfin- dung des Adels als Träger eines zeitgemäßen „Führertums“, die Überzeugung von der eigenen Höherwer- tigkeit (S. 595), die anti-bürgerliche Ausrichtung, ein antidemokratischer Grundkonsens im Adel (S. 600). 1673 Bestrafung der Rechtsschänder; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 286. 1674 Moltke: Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 290 Vergemeinschaftende Quellen hin als notwendige Tarnung.“1675 In der Tat waren viele Widerständler gezwungen, von Positionen innerhalb des alten Establishments aus zu handeln.

Doch zunächst war die Frage der Emigration zu beantworten, und diese fiel bei den Kreisauern, denen sie sich stellte, bemerkenswert eindeutig aus, sodass hier geradezu von einem konstitutiven Element der Vergemeinschaftung gesprochen werden kann.

Die Behandlung der existenziellen Frage, ob man angesichts des sich abzeichnenden totalitären Regimes, dem mit den von Moltkes Großvater gedachten Mitteln wie „air- planes and bombs and machine gun, organised mental and physical resistance“1676 nicht beizukommen war, emigrieren solle, ist dank der guten Quellenlage bei Moltke und Trott besonders gut nachvollziehbar. Da hier wohl von Parallelen zu den anderen Kreis- auern, bei denen sich die Emigrationsfrage auch stellte, ausgegangen werden kann, soll der Weg Moltkes und Trotts in dieser Frage etwas ausführlicher dargestellt werden.

Nach bestandenem juristischem Assessor-Examen besuchte Moltke 1934 seine Groß- eltern in Südafrika. Auf der Rückreise drückte Moltke in einem Brief an die Journalistin Karin Michaelis seine Ratlosigkeit über seine einzunehmende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus aus. Fest stand für ihn allerdings, dass er diesem Staat wegen der Zerstörung des Rechts1677 als Rechtsanwalt nicht dienen könne, so bliebe als Alternative ein Gutsbesitzerleben auf Kreisau mit der Gefahr, zu „versumpfen“ oder im „Irrenhaus“ zu enden.

Mit irgendwelchen öffentlichen Angelegenheiten innerhalb Deutschlands kann ich mich nicht befassen, weil ich mit der Regierung nicht übereinstimme, und für eine Opposition der falschen Klasse angehöre, und das bequeme Mittelding der intellektuellen Opposition gibt es nicht mehr. Ich weiß also wirklich nicht, was ich tun soll.1678 Moltke beabsichtigte dann 1935, in den folgenden drei Jahren, von Curtis unterstützt, in England eine Barrister-Ausbildung zu absolvieren, da diese ihm die Möglichkeit eröff- nete, seinen Lebensunterhalt auch außerhalb Deutschlands zu verdienen.1679 1937 war er mit Freya ein zweites Mal in Südafrika und wie schon bei der ersten Reise 1934 verwar- fen sie eine Auswanderung in das Land der Großeltern.1680 Mit der Kriegsgefahr rückte dann Moltke von seiner Absicht, nach England zu gehen, jedoch langsam ab. Mögli-

1675 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 12. 1676 Moltke, Dorothy: Brief an ihre Eltern, 25.06.1934; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 86. 1677 Moltke, Helmuth an seinen Großvater, 12.09.1938, DLA, Nachlass A:Moltke 1678 Moltke, Helmuth an Karin Michaelis, 22.09.1934; in: Moltke, Völkerrecht 1986, S. 86. 1679 MBF S. 69. 1680 MBF S. 79. 291 Vergemeinschaftende Quellen cherweise auf der Heimreise über London traf er wieder seine Journalistin-Bekannte Thompson, die von Moltke schreibt:

When I first met him in London in 1937 or 1938, I begged him not to return to Germany, greatly fearing that he would not survive the Nazi regime. He replied that in the event of war he would feel compelled, if he accepted the hospitality of England, to offer his services to the British government, and that he did not feel that he could fight against his own peo- ple. He argued further that eventually the Nazi regime would go, and there would be a new democratic order in Germany, and the only people that would deserve to have anything to say about the post-Hitler regime would be those who took the risk of fighting Hitler inside Germany.1681 Als Moltke von seinem Anwaltspartner Lewinski den Rat erhielt: „Gehen Sie fort aus diesem komischen Land, es wird Ihnen hier nie gut gehen“1682, traf dies genau seine Sorge um die Zukunft und er schrieb dann Freya am 02. August 1938 unschlüssig: „Ich habe das Gefühl, daß ich lieber in einem freien Land hungere als daß ich hier dazu bei- trage, den respektablen Schein zu wahren.“1683 Diese Haltung brachte er auch einige Wochen später gegenüber seinem Großvater in dem schon erwähnten Brief vom 12. September 1938 zum Ausdruck, in dem er die Zerstörung des Rechts und damit den Entzug der Lebensgrundlage eines Rechtsanwaltes in einem Klima von KZ-Methoden der Gestapo beklagte. Nachdem er mit abgelegtem Barrister-Examen Ende 1938 nach Deutschland zurückgekehrt war, schien er unter dem Eindruck der sich verschärfenden Situation langsam von seinem Plan „that he and his wife might not return to Germany, but might establish themselves abroad for the duration of the war“1684 abzurücken. An- fang 1939 kam in einem Brief Moltkes an Curtis, in dem er wiederum seine Berufs- chancen in Deutschland als Gutsbesitzer und in England als Barrister abwägte, seine bei ihm stärker in den Vordergrund rückende Überlegung, doch in Deutschland zu bleiben, zum Ausdruck: Es sei seine „Pflicht und Schuldigkeit“, schrieb Moltke, wie schon er- wähnt, am 15. Februar 1939 an Lionel Curtis, den Versuch zu unternehmen, auf der richtigen Seite zu sein, was immer es für Unannehmlichkeiten, Schwierigkeiten und Opfer mit sich bringen mag:

it is my bounden duty to try to be on the right side whatever difficulties, unplesantnesses and sacrifices this might entail. I cannot simply say, that as the chances of an immediate or near change in Germany have vanished, I can retire.1685 Man könnte mit Mommsen sagen, dass diese Überlegungen den Ursprung des Kreisauer Programms bildeten, gerade weil Moltke dem Entschluss zuneigte, nicht nach England

1681 Thompson, Dorothy: Brief an Mother Mary Alice Gallin OSU, Washington, 23.12.1953. IfZ, ZS/A- 18, Bd. 8. 1682 MBF S. 80. 1683 MBF S. 80. 1684 Astor, David: Brief an Roon, 05.03.1963. ZS/A-18, Bd. 1, S. 2. 1685 Moltke: Brief an Curtis, 15.02.1939. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2. 292 Vergemeinschaftende Quellen zu gehen. Die ersten Neuordnungspläne, die sich vor allem in der im Sommer 1939 ab- gefassten Denkschrift „Die kleinen Gemeinschaften“ niederschlugen, gehören in diese Phase.1686 Aber der Entschluss für das Verbleiben in Deutschland war noch nicht klar gefasst, denn Ende April 1939, nach dem Einmarsch in die ČSR, schrieb er an seine „Granny“: „All business is slackening besides the matters which are intimately connec- ted with the preparations for war. So I am amply justified that it is not worthwhile carry- ing on in Berlin.”1687 Zur Mitte des Jahres 1939 hielt er, wie aus einem Brief an seinen Großvater hervorgeht, immer noch an Plänen fest, parallel in Deutschland und England zu arbeiten.1688 Diese werden dann mit Ausbruch des Krieges endgültig begraben. Deutschland endgültig zu verlassen kam ihm aber nicht in den Sinn, sein Verantwor- tungsgefühl gegenüber seiner gesamten Familie und Kreisau war hierfür zu groß. Er wurde dann bei Kriegsbeginn als Kriegsverwaltungsrat im Amt Ausland/Abwehr des OKW als Sachverständiger des Völkerrechts dienstverpflichtet.

1943 bemerkte Curtis gegenüber einem Fellow des All Souls College in Oxford: „When I saw Helmuth on the eve of war he told me that he would put his whole family on a ship and take them to South Africa if he had only himself to think of. But he would rather not leave in the lurch those with whom he was working in Germany to oppose the Nazi Regime.”1689

Während seines ganzen Widerstandes spielte die Emigrationsfrage für Moltke keine Rolle mehr; das galt auch für eine innere Emigration, die sich während seiner Schutz- haft 1944 in Ravensbrück angeboten hätte. So kann Brakelmann zugestimmt werden, wenn er von dieser Zeit sagt:

Die Beschäftigung und Lektüren waren […] keine inneren oder erbaulichen Fluchten vor der Wirklichkeit, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen – und darüber hinaus mit der politischen Lage. So wie Moltke vor der Haft nicht die Emigration nach England gewählt hatte, so ging er in der Haft nicht in die innere Emigration. Er blieb der mutige und nachdenkliche Widerstandskämpfer.1690 Auch bei Trott ist die Emigrationsfrage quellenmäßig gut belegt. „Trott, der viele Ge- legenheiten hatte, ins Ausland zu gehen, oder sogar leicht hätte im Ausland bleiben

1686 Mommsen, Die künftige Neuordnung Deutschlands und Europas 1993, S. 5. 1687 Moltke, Helmuth an seine Großmutter, 23.04.1939. DLA, Nachlass A:Moltke 1688 Moltke, Helmuth an seine Großvater, 25.06.1939. DLA, Nachlass A:Moltke: „My authorities have given me a sufficiently wide permit to allow me to keep a good proportion of the money made in London here and therefore I hope to be able to make a living here, which will enable me to divide my time be- tween London and Kreisau.” 1689 Siehe Brief von Lionel Curtis an Beckett, All Souls College, Oxford, 26.06.1943. BOL, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 4. 1690 Moltke, Land der Gottlosen 2009, S. 12. 293 Vergemeinschaftende Quellen können, der unter den deutschen Regimegegnern den ‚Weltbürger’ verkörperte und im Ausland eine glänzende Karriere hätte machen können“, so Steinbach, „schlug geradezu diese Möglichkeit aus.“1691

Schon mit der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 sah Trott klar die persönliche Gefährdung vieler Freunde und Bekannter und die Erschwerung seiner eigenen Berufs- laufbahn, wie ein englischer Freund berichtete.1692 Aber Trott schrieb an seine Studien- freundin Shiela Grant Duff schon in den ersten Tagen des NS-Herrschaft: „It is humila- ting to be an emigrant – and this I think I least want to be.”1693 Er suchte nämlich nach dem Abschluss der ersten zwei Jahre des Rhodesstipendiums, ein Anschlussstipendium zu erreichen. Die Erfolgsaussichten dafür waren damals gering, und er wollte nicht mit dem Mitleidsargument eines Emigranten seine Chancen verbessern. Als er dann trotz im Vergleich zu England verminderter Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten nach Deutsch- land zurückkehrte, war er sich des großen Wagnisses bewusst. Er schrieb seiner Freundin Diana Hubback aus Oxford im August 1933: „I am viewing this return as per- haps the greatest venture in my whole life and though I know it will be half as exter- nally dramatic as people suggest – I am extremely diffident as to the ultimate suc- cess.“1694 Der Grund für seine Entscheidung gegen ein Emigrantenleben lag auch an der Bindung an seine Heimat, die er schon im Februar gegenüber Diana zum Ausdruck brachte: „One must not allow oneself to be wasted on small things. I shan’t. Germany is a beautiful country and perhaps even my generation will be rewarded for a time of great effort and pain preceding the attainment of a right political order.”1695 Später erhielt Trott doch noch das ersehnte Studienjahr in China von der Rhodesstiftung genehmigt. Kurz vor der Heimreise stellte sich für Trott im Oktober 1938 erneut die Emigrations- frage; diese wägte er in einem Brief an Shiela Grant-Duff ab:

I am strongly tempted to go via America (this entirely between you and myself) to look for a place to work if our continent is really going to be what we both feel threatening now a conflict has been spared. It is a damn hard choice, but I’d rather be a beggar than a slave and I am not too old to start all over again and I have good friends in America. Aber noch im gleichen Brief entschloss er sich zur Heimkehr nach Deutschland und begründete dies so:

The East as a permanent place to live is out of question – the European problem is the only one that really concerns one. But one feels overwhelmingly at times that it can no longer be

1691 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 13. 1692 Trott, Hegel 1967. S. IX. 1693 Trott: Brief an Shiela Grant Duff, 22.07.1933, in: Klemperer, A noble combat 1988, S. 18. 1694 Trott: Brief an Diana Hubback, Februar 1933; Adam von Trotts Papers, BC Oxford, T 36. 1695 Trott: Brief an Diana Hubback, 04.08.1933; Adam von Trotts Papers, BC Oxford, T 80. 294 Vergemeinschaftende Quellen

solved in Europe – unless there has been in the last years a change for the better in my country that I cannot perceive from here. This is another reason why I must get back and make a last try.1696 Als er im Oktober 1938 dann die Heimreise nach Deutschland antrat, sagte Trott zu den Versuchen ausländischer Freunde, ihn festzuhalten, nach Aufzeichnungen von David Astor, deutsche Emigranten gäbe es schon genug, die unter Umständen von außen nüt- zen könnten. Es fehlten aber Deutsche, die willens seien, in Deutschland zu bleiben und eine Gegenfront gegen die anderen aufzubauen, sobald es die Umstände erlaubten. Wenn Deutschland einmal wieder in die Gemeinschaft der anderen Völker zurückge- führt werde, so einzig durch Deutsche, die im Lande geblieben seien und dort alle De- mütigungen und zuletzt die Niederlage mit erduldet hätten, die Hitler über dies Land bringe. Auf den Einwand, dass er der Staatspolizei zum Opfer fallen könne, entgegnete er, er könne solchen Risiken nicht ausweichen.1697

Den eigentlichen Grund für die Verwerfung der Emigration, trotz der Warnung seiner Freunde aus England, vertraute Trott 1939, am Ende seiner erfolglosen USA-Reise im Auftrag des Auswärtigen Amtes, seinem Freund aus dem Balliol College, David Astor, an:

Though I shall listen carefully to the advice you may still send me […], not to return, I have definitely made up my mind that apart from definite indications of presumable liquidation my place during this coming time is at home. […] the urgent need for every single individ- ual with any scope and insight seems to me overwhelmingly on the side of inside work. […]. I have some confidence that I can get listened to in quarters where such a picture is urgently required but not attainable under present conditions. […] We are […] fighting for the formation of a constitution […] for the life of Europe as a whole, if our individual coun- tries and what we consider worth preserving in them is to survive. […]. It is ultimately al- ways the same thing – the longing in all essential classes for a „Christian” and progressive European order, conceivable to me still in terms of a „conservative socialism”.1698 Im Mai 1944, kurz vor dem Attentat, stellte sich noch einmal die Emigrationsfrage auf einer Dienstreise zu seinem Freund Albrecht von Kessel nach Venedig.1699 Er hätte sich leicht in das eben fallende Rom auf die andere Seite begeben können. Doch er strebte zurück nach Berlin, zu Stauffenberg, dem er ein kraftvoller und leidenschaftlicher Hel- fer geworden war und wo er die Freunde in arger Bedrängnis wusste.1700 Trott hatte schon im April auf seiner letzten konspirativen Reise in die Schweiz, wo er über Gae- vernitz Allen Dulles vom OSS signalisieren wollte, dass die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung mit den fortschrittlichen Kräften im Westen zusammenarbeiten wol-

1696 Trott: Brief an Shiela Grant-Duff, Tsingtao, 01.10.1938; in: Klemperer, A noble combat 1988, S. 327. 1697 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 507, Fn. 31. 1698 Trott: Brief an seinen Freund David Astor, BA NL Trott, N 1416-2. 1699 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 293; Wuermeling, Doppelspiel 2004, S. 180 ff. 1700 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 151. 295 Vergemeinschaftende Quellen le1701, eine Emigrationsaufforderung seiner Freundin aus Oxforder Zeiten, Elisabeth Wiskemann, abgelehnt.1702 Auch nach dem fehlgeschlagenen Attentatsversuch am 20. Juli, als er jeden Tag seine Verhaftung erwartete, lehnte Trott mit dem Hinweis auf seine Familie eine Flucht in die Schweiz, zu der ihm Furtwängler über seinem Heimat- ort Stühlingen nahe an der Schweizer Grenze verhelfen wollte, ab.1703 Die endgültige Antwort gab Trott in seinem Abschiedsbrief an seine Frau Clarita vom 15. August 1944:

Es war alles ein aus der Besinnung und Kraft unserer Heimat, deren tiefe Liebe ich meinem Vater verdanke, aufsteigender Versuch, ihr in allen modernen Wandlungen und Erschwe- rungen unwandelbar bleibendes Recht und ihren tiefen, unentbehrlichen Beitrag gegen den Übergriff fremder Mächte und Gesinnungen zu erhalten und zu vertreten. Darum bin ich aus der Fremde mit all ihren Verlockungen und Möglichkeiten immer mit Unruhe und be- gierig dorthin zurückgeeilt, wo ich mich zu dienen berufen fühlte.1704 Die Emigration war für Trott auch dann keine Lösung, als sein mehrmaliger freier Ent- schluss, nach Deutschland zurückzukehren, bei seinen englischen Freunden, die seine Gesinnung kannten, großes Misstrauen auslöste. Dieses Misstrauen wurde durch seinen Eintritt in Ribbentrops Auswärtiges Amt noch erhöht. Trott aber wusste, dass nur „von innen“ eine Gegenfront aufzubauen war, ein Weg, die „innere Unabhängigkeit sich zu bewahren“ und mit „Entschiedenheit am Widerstand“1705 teilzuhaben.

Auch die „militanten“ Sozialisten, Leber, Haubach und Mierendorff hatten eine eindeu- tige Haltung zur Emigration. Sie lehnten sie ab, nicht nur weil sie „zumindest noch teilweise Handlungsmöglichkeiten für Sozialdemokraten sahen, sondern insbesondere aus dem Gefühl der Verantwortung des politischen Führers gegenüber der Arbeiter- schaft“1706. In der Tat lehnte Leber mehrfach die Emigration ab. Er wurde im Februar 1933 bei seinem Urlaub am Kochelsee vor der Verhaftung gewarnt. Er lehnte ab, er hatte Angst, dass einen Emigranten auch nach einer möglichen Rückkehr das „Odium“ des „Draußen“ belasten würde, und „wollte vor den 30.000 ‚Lübecker Menschen’, die ihm ‚über alle Schwierigkeit, alle Not und alle Hetze hinweg ihr Vertrauen’ schenkten,

1701 Dulles, Germany’s Underground 1947, S. 137 f : „Socialist leaders in Germany emphasize the impor- tance of filling this vacuum […] the democratic countries offer nothing concerning the future of Central Europe [hier wird mit den Anstrengungen Moskaus über das Nationalkomitee Freies Deutschland ver- glichen; A. d. V.], as quickly as possible if the ever increasing Communist influence is to be counter- acted.” 1702Klemperer, Verschwörer 1994, S. 293. Elisabeth Wiskemann war eine in Oxford ausgebildete Histori- kerin und Journalistin, die als Mitarbeiterin der britischen Gesandtschaft in Bern arbeitete. 1703 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 228. 1704 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung II 2009. S. 321. 1705 Rothfels, Die deutsche Opposition 1958, S. 34. 1706 Beck, Zum Selbstverständnis der „militanten Sozialisten“ 1986, S. 120. 296 Vergemeinschaftende Quellen nicht als Feigling dastehen“1707. Emigranten bezeichnete er später aus der Gefängniszel- le heraus verächtlich als Landflüchtige.1708 Schon am 27. Juli 1933 notierte er im Unter- suchungsgefängnis in Lübeck: „Was haben diejenigen jetzt davon, die ausgewandert sind? Sie können abends mal zusammensitzen und über alte Zeiten weinen. Das ist al- les. Daß ich darauf keinen Wert lege, brauche ich Dir nicht zu versichern“1709, und am 01. August 1933 schrieb er:

[…] vielleicht irrte ich auch, um einer Verhaftung zu entgehen, irgendwo in Berlin oder sonst wo in Deutschland umher. Und was wäre das für ein Leben! Denn so schnell gibt es ja keine Änderung, und ob ich nachträglich noch den genügenden Willen gefunden hätte, mich freiwillig zu stellen unter verlagerten Umständen, ist doch sehr fraglich. Und viel- leicht sogar wäre ich zu meiner Mutter gefahren? Und was wäre da? Eine neue Existenz unter ganz neuen Bedingungen? So weit bin ich noch nicht, das wäre auch Fahnenflucht gewesen vor meiner Gesinnung und meiner vielen Freunde wegen.1710 Auch die Haltung von Haubach und Mierendorff war eindeutig. Ende März hielten sie sich bei ihrem Freund aus Heidelberger und Berliner Tagen, Joseph Halperin1711, Kor- respondent der NZZ, auf. Sie kehrten trotz Warnung mit dem von Zuckmayer Mieren- dorff zugeschriebenem Ausruf nach Deutschland zurück: „Was sollen denn unsere Arbeiter denken, wenn wir sie allein lassen? Sie können doch nicht alle an die Riviera ziehn!“1712

Haubach schrieb seinem Dichterfreund Gerhardt Pohl in das Gästebuch des Ferienhäus- chens in Wolfshau im Riesengebirge 1942 launige Verse, die mit dem Satz begannen: „Selig wer nie am eigenen Leib erkannte Emigrant zu sein im eigenen Vaterlande …“1713 Damit meinte Haubach mit Sicherheit nicht eine innere Emigration, sondern die Tatsache, dass man aus der totalitären Situation des Vaterlandes „ausziehen“ müsse. Am 20. Juli 1944 war Haubach zufällig in Oberstdorf, wo ein Freund ein Haus besaß. Er ergriff nicht die Flucht, sondern das „Pflichtbewusstsein trieb ihn nach Berlin zu- rück“1714. Dort wurde er verhaftet.

1707 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 132 f. 1708 Leber, Todesursachen 1976, S. 241. 1709 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 268. 1710 Leber, Schriften, Reden, Briefe 1976, S. 269 f. 1711 Der Schweizer Sozialist traf sich zum ersten Mal mit Haubach, Mierendorff und Moltke im Sommer 1927 in der Wiesmühl, nahe Henndorf, bei Dr. Eugenie Schwarzwald. 1712 Zuckmayer, Mierendorff 1944, S. 59. Halperin schildert dies selbst so: „Wir sahen Carlo nur noch einmal wieder [nachdem die Halperins zurück in die Schweiz gezogen waren; A. d. V.]. Nach dem Machtantritt Hitlers besuchte er uns in Zürich und wohnte einige Wochen bei uns. Mein Vater riet ihm, ja flehte ihn an, in der Schweiz zu bleiben. Aber dann kam eines Tages Carlos alter Kampfgefährte Theo Haubach, und in Theos kleinem Ford fuhren die beiden nach Deutschland zurück. Wenig später wurde Carlo in Darmstadt verhaftet, von der SA im Triumphzug durch die Strassen geschleppt, und dann ab – ins KZ“; in: Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270, S. 10. 1713 Pohl, Freund Theo 1955, S. 25. 1714 Pohl, Freund Theo 1955, S. 26. 297 Vergemeinschaftende Quellen

Einsiedel fragte im Jahre 1938 aus der Türkei seinen alten Lehrer Rosenstock-Huessy aus Breslauer Zeit, ob er ihn „heiße, auszuwandern“1715. Dazu schrieb Rosenstock 1953: „Eine Ordre konnte ich mich nicht entschließen zu geben, und ohne Befehl wollte er nicht [nach Amerika; A. d. V.] kommen.“1716

Als Reichwein im April 1933 nach Maßgabe des kurz vorher verabschiedeten „Berufs- beamtengesetzes“ bis zur endgültigen Entscheidung mit sofortiger Wirkung beurlaubt wurde, was einem Berufsverbot gleichkam, stellte sich dem 34-jährigen Akademiepro- fessor und seiner jungen Frau die existenzielle Frage der Emigration.1717 Über die in der Schweiz agierende „Beratungsstelle für deutsche Wissenschaftler“ interessierte sich Reichwein für einen Lehrstuhl an der Universität Istanbul. Nach Hohmann soll Reich- wein am 24. Juli 1933 die türkische Gesandtschaft aufgesucht, aber keine Antwort er- halten haben. Nachdem Reichwein erfahren habe, dass „die Istanbuler Universität hauptsächlich aus französischen Mitteln finanziert werde, soll Reichwein mit dem Ent- schluss reagiert haben, die Professur abzulehnen“1718. Parallel zu seiner Auswande- rungsalternative hatte Reichwein im Juni beim preußischen Kultusministerium eine Versetzung auf eine Landlehrerstelle beantragt. Diesen Antrag ergänzte Reichwein auf Anraten aus dem Umfeld seines Schwiegervaters Ludwig Pallant, der als Leiter des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht enge Beziehungen zum preußischen Kul- tusministerium unterhielt1719, durch eine „Selbstdarstellung“1720, die „mit den Augen eines Nazis lesbar“1721 und dennoch wahrheitsgemäß verfasst sein sollte. Ende Septem- ber 1933 wurde Reichwein die einklassige Landschule in Tiefensee zum 01. Oktober des Jahres zur Bewährung übertragen.1722 Über die für ihn glückliche Wendung berich- tete Reichwein am 01. Oktober seinem Freund Hans Bohnenkamp:

Ich habe die Entscheidung ganz anders getroffen, und bleibe in Deutschland. Glücklicher- weise haben die Verhandlungen sich so lange hingezogen, daß die Stimmung fürs Hierblei- ben sich immer mehr festigen konnte. Entschieden habe ich mich vor einer Woche und – als ob es klappen sollte, vor drei Tagen teilte mir die Regierung in Potsdam mit, daß ich ab 1. Oktober auftragsweise (im Auftrag des Ministers) Lehrer in Tiefensee bin.1723

1715 Rosenstock-Huessy: Brief an Hammer, 23.12.1953. IfZ, ED 106-96. Zwischen Rosenstock-Huessy und seinem Schüler Einsiedel bestand ein enges Verhältnis. 1716 Rosenstock-Huessy: Brief an Hammer, 23.12.1953. IfZ, ED 106-96, S. 1. 1717 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 288 f. 1718 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 94. 1719 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 91. 1720 Reichwein, Adolf: Bemerkungen zu einer Selbstdarstellung, 10.06.1933; in LBDII S. 253-262. 1721 Zierold, Kurt: „Erinnerungen an Adolf Reichwein“, Anlage des Briefes vom 31.12.1958. BBF/DIPF/Archiv, Reich 385, S. 2. 1722 Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 288 f. 1723 Reichwein: Brief an Hannes Bohnkamp, 01.10.1933; in: LBDII S. 122 (partielle Kursivschrift wurde übernommen; A. d. V.). 298 Vergemeinschaftende Quellen

In der Reichweinforschung wird dessen Entschluss, in Deutschland zu bleiben, als eine Entscheidung gegen die Emigration gedeutet, da er „sich nicht vom Schicksal seines Volkes trennen“1724 wollte. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist allerdings, dass die Emigrationsmöglichkeit real war. Dies scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein, denn der Lehrstuhl „Géographie humaine et écnomique“, der Reichwein von der Beratungsstelle zugedacht war, wurde auf Betreiben von Röpke dessen Freund Rüstow zugesprochen.1725 Die Frage ist nun, ob Reichwein definitiv wusste, dass dieser Lehr- stuhl für ihn nicht mehr zu Verfügung stand. Noch aus einem anderen Grund ist die von der Reichweinforschung stilisierte Ablehnung der Emigration mit Hohmann1726 anzu- zweifeln. Reichwein galt zu der Zeit nicht als Verfolgter des Naziregimes, er war be- urlaubt worden, weil er SPD-Mitglied war. Am 18. Oktober 1933 schrieb er an eine ehemalige Studentin: „Mit der Grundidee der Nationalsozialistischen Bewegung befand und befinde ich mich […] nicht in Konflikt.“1727 Vor diesem Hintergrund kann man in diesem Fall bei Reichwein kaum von einer Ablehnung der Emigration aus Sorge um Deutschland sprechen. Es waren beruflich-existenzielle Gründe, die Reichwein veran- lassten, die Emigration in Betracht zu ziehen. Diese Emigrationspläne ließen sich eben nicht verwirklichen und er nahm die angebotene Stelle in Tiefensee an. Dies war für ein frisch verheiratetes Ehepaar eine ganz verständliche Haltung.

Haeften stellte sich die Emigrationsfrage nicht unmittelbar. Seine Frau berichtete aller- dings, dass ihr Mann zunehmend darunter litt, dem Nazireich als Beamter zu dienen. Oft hätte er mit ihr darüber gesprochen und bedauert, nicht wie z. B. ein Sohn des Reichsgerichtspräsidenten Simons, eines Freundes seines Vaters, gleich 1933 als So- zialdemokrat ausgewandert zu sein „Andererseits sah er doch seinen Platz in Deutsch- land – wenn auch möglichst nicht im KZ.“1728

1724 So heißt es bei Amlung, Adolf Reichwein 1999, S. 295: „Reichwein wollte sich nicht vom Schicksal seines Volkes trennen, er wollte die Nazi-Zeit miterleben und dann präsent sein und an der politischen Neuordnung beteiligt sein, wenn das barbarische System in hoffentlich nicht allzu ferner Zeit abgewirt- schaftet haben würde, wie viele politisch Andersdenkende damals noch glaubten.“ Amlung hat wohl die Feststellung von Huber übernommen; siehe Huber/Krebs, Reichwein 1981, S. 309: „Die schleppende Behandlung seines Falles gab ihm Zeit. So verzichtete er auf eine Professur in Ankara und nahm die Stel- le eines Landschullehrers in Tiefensee bei Berlin an. Er wollte sich nicht vom Schicksal seines Volkes trennen …“; bei Klafki, Reichwein 2000, S. 41 heißt es: „Reichwein entschließt sich nach reiflicher Über- legung, die Übernahme einer von der türkischen Regierung ausgeschriebenen Professur […] dankend abzulehnen und in Deutschland“ zu bleiben. Ob es dabei um ein verlässliches Angebot handelte, lässt Klafki allerdings infolge der unvollständigen Quellen offen. 1725 LBDIa S. 85. 1726 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 95 ff. 1727 LBDII S. 376. 1728 Haeften, Barbara „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 40. 299 Vergemeinschaftende Quellen

Gerstenmaier, der, nachdem ihm die venia legendi verweigert worden war, nach einer neuen Berufsausrichtung suchte, stellte sich die Emigrationsfrage mehrfach. Bereits 1937 hatte Schoenfeld Gerstenmaier einen Arbeitsplatz in der Forschungsabteilung des Ökumenischen Rates in Aussicht gestellt.1729 Die Emigration und damit eine ausfüllen- de Tätigkeit im Ausland wäre Gerstenmaier bei den vielen Kontakten bestimmt verhält- nismäßig leicht gefallen, kam aber für ihn damals nicht infrage. Zum einen fühlte er sich als Ältester von acht Geschwister für diese verantwortlich, zumal als 1938 seine Mutter mit nur 61 Jahren gestorben war, und zum anderen standen die Verbundenheit mit sei- ner Heimat und die Einsicht, dass der „Kampf im Innern entsagungsreicher, schwieri- ger, aber noch notwendiger sei als der von außen“1730, einer Emigration im Wege. Seine grundsätzliche Haltung zur Emigration wird auch an einer Begebenheit aus dem Jahr 1939 am Rande einer Studienkonferenz des Ökumenischen Rates in London klar. Gers- tenmaier begegnete damals einem halbjüdischen Emigranten aus Schlesien. Dessen im „Leid gehärteter Gleichmut“ und Einsamkeit reichten Gerstenmaier nach seinen eigenen Worten aus, ihn „ein für allemal von dem Gedanken an Emigration abzubringen“1731. Die Emigrationsfrage stellte sich für ihn aber später trotz seiner grundsätzlichen Ableh- nung. 1943 konnte Gerstenmaier unter dem Deckmantel des OKW für den Kreisauer Kreis neben Trott, Moltke und Steltzer öfter nach Schweden reisen, um Konzepte für ein postnationalsozialistisches Deutschland zu entwickeln. „Die gute Aufnahme in Schweden“, so Gniss, „der wachsende Unmut über die nationalsozialistische Gewalt- herrschaft und sicherlich auch die Furcht vor Repressionen ließen Gerstenmaier […] eine Übersiedlung in Erwägung ziehen.“1732 Es handelte sich um eine vakante Pfarrstel- le der deutschen protestantischen Gemeinde in Stockholm, auf die sich Gerstenmaier bewarb.1733 Die Unterstützung von Canaris war vorhanden und die Ankunft der Familie Gerstenmaier für den 19. November 1943 geplant.1734 Aber dann stellte der SD die Be- dingung, dass Gerstenmaier für sie als Informant in Schweden tätig werden sollte. Als Gerstenmaier dies verweigerte, wurden dem Ehepaar die Pässe entzogen und so die Übersiedlungspläne zunichtegemacht.1735

1729 Schreiben Eugen Gerstenmaiers an Wilhelm Bachmann, 02.10.1937. ACDP, I-210-004/I. 1730 Schreiben Eugen Gerstenmaiers an Fabian von Schlabrendorff, 05.07.1963. ACDP, I-210-004/I, S. 7.

1731 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 91. 1732 Gniss, Gerstenmaier 2005, S. 119 1733 Gerstenmaier, Brigitte und Eugen, Zwei können widerstehen 1992, S. 55. 1734 Schreiben des Sekretariats von Eugen Gerstenmaier an Amanuens Henrik Lindgren, 04.06.1969. ACDP, I-210-038/I. 1735 Gerstenmaier, Brigitte und Eugen, Zwei können widerstehen 1992, S. 55 f. 300 Vergemeinschaftende Quellen

Zur Emigrationsfrage nahm Steltzer in den bereits erwähnten „grundlegenden Ge- sichtspunkten“, die für ihn während des Krieges leitend waren, wie folgt Stellung: „Der politische Kampf gegen eine verbrecherische eigene Regierung gestattet dem Einzelnen nicht, sich außerhalb seiner nationalen Mitverantwortung oder gar gegen die nationale Gemeinschaft zu stellen.“1736 Dieser Leitlinie folgte Steltzer auch; Emigration kam für ihn letzten Endes nicht in Betracht, obwohl er solche Gedanken abwägte1737 und für die Emigration grundsätzlich Verständnis hatte. So sagte er 1946:

Ich respektiere auch andere Haltungen zumal ich lange geschwankt habe, ob ich durch Emigration den Versuch machen sollte, dem an sich unlösbaren Konflikt (was ist das klei- nere Unrecht) auszuweichen. Aber ich habe mich bewusst entschieden, den Leidensweg unseres Volkes mit zu Ende zu gehen, wie ihn zwangsläufig und im guten Glauben auch unsere Jugend gehen musste, die wir Älteren nicht vor diesem Schicksal bewahren konn- ten.1738 Auch wenn nicht bei jedem der Kreisauer Emigrationsüberlegungen, die aus Sorge um Deutschland abgelehnt wurden, quellenmäßig nachgewiesen werden können, so ist doch festzustellen, dass kein Kreisauer emigrierte. Das gilt auch für Reichwein, der zu einem Zeitpunkt, als er stärker im Visier der Gestapo war, diese Überlegungen ja noch hätte anstellen können.1739 Dass keiner von ihnen emigrierte, war ohne Zweifel ein Movens, das die Kreisauer vergemeinschaftete.

4.3.3.3 Stellung der Kreisauer zum Attentat

Nach dem Tod Mierendorffs im Dezember 1943 und der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 hatte der aktiv gebliebene Teil der Kreisauer unter Peter Graf Yorck von Warten- burg, Adam von Trott zu Solz und Julius Leber einen engen Schulterschluss mit Claus Schenk von Stauffenberg vollzogen. Mitglieder verschiedenster Widerstandskreise wa-

1736 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 10 f. 1737 „Mir waren eindeutig völkerrechtswidrige und unmenschliche Maßnahmen bekannt geworden, die sich gegen Kriegsgefangene sowie gegen die Frauen und Kinder sogenannter Geiseln richteten. Auch bestand die Absicht, die Wehrmacht in diese Verbrechen hineinzuziehen. Damals habe ich ernstlich er- wogen, in das neutrale Ausland zu gehen. […] Mir scheint aber, der Entschluß des Fortgehens keine Lö- sung zu sein. Denn auch die äußere Scheidung würde nicht von der inneren Mitverantwortung für diese Dinge entbinden“; in: Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises. Vortrag in der Adolf- Reichwein-Hochschule in Celle am 09.11.1949. IfZ, MS 629, S. 6. 1738 Steltzer, Reden, Ansprachen, Gedanken 1986, S. 89. 1739 Siegel äußerte sich nach dem Krieg zur Emigrationsfrage bei Reichwein: „Äußere Emigration kam für ihn nicht in Frage, so wenig er diejenigen verurteilte, die aus Zwang oder innerem Trieb diesen Weg gingen. Ihm kam es darauf an, bei den Menschen seines Landes und Volkes auszuharren, sie nicht im Stich zu lassen. Auch die sogenannte innere Emigration, der Rückzug auf ein politisch neutrales Gebiet, schien ihm untunlich. Er konnte nicht die Verantwortung für sein Volk einfach abwerfen und in eine ‚saubere Privatexistenz’ fliehen“; Siegel, Harro: Brief an Roon, 31.07.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7, S. 4. 301 Vergemeinschaftende Quellen ren zu einer engen Zusammenarbeit bereit, um den Staatsstreich mit der Tötung Hitlers durchzuführen.1740

„Das Wesentliche“, so der bereits erwähnte Ausspruch Graf Yorcks vor dem Volksge- richtshof, sei der „Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Bürger unter Ausschal- tung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen.“1741 Die ethischen Differenzen mit einem solchen Staat zeigten sich bei seinen Angriffskriegen, der Verfolgung und Vernichtung des Andersdenkenden und dem todbringenden Rassenwahn. Moltke war über die Mordindustrie entsetzt und fragte seine Frau: „Wie kann jemand so etwas wis- sen und dennoch frei herumlaufen.“1742 Diese Situation brachte wieder die Frage des Umsturzes, des Attentats ins Spiel, gegen die sich Moltke vor der Grundsatzerklärung im August 1943 so lange gestemmt hatte. Diese Erklärung wurde in Tag- und Nacht- arbeit aus den bisher erarbeiteten Memoranden und Ergebnissen der Kreisauer Tagun- gen erstellt, in Erwartung eines unmittelbar bevorstehenden Umsturzes. Als die Staats- streichpläne am 20.08.1943 scheiterten1743, war Moltke allerdings froh, „die schwere Krise unserer Freunde ohne eine einzige Enttäuschung“1744 überstanden zu haben.

Wie ist die Umsturzfrage mit dem Geist des Kreisauer Kreises in Einklang zu bringen? Es ist offensichtlich, dass Moltke bei der sorgfältigen Zusammenstellung der Mitglieder des Kreisauer Kreises nicht den Umsturz oder Attentatspläne im Blick hatte, sonst hätte er versucht, in Kontakt mit der Militärelite, die über die notwendigen Machtmittel ver- fügten, zu treten. Moltke rechnete 1942 mit dem totalen Zusammenbruch Deutschlands, wenn er im Brief an Curtis schrieb: „We know that the success of our fight will proba- bly mean a total collapse as a national unit, but we are ready for this.“1745 Dieser Brief setzt somit voraus, dass der Krieg zu Ende geführt werden müsse. Dies legt nahe, dass es ein festes Anliegen der Kreisauer war, für die Blutschuld der Gräueltaten zu süh- nen.1746 Sie sahen auch die Bestrafung der NS-Verbrecher als unabdingbare Vorausset- zung für den Wiederaufbau eines rechtsstaatlichen Deutschlands. Frank Schindler fasst

1740 Brakelmann, Der Kreisauer Kreis, in: Steinbach 2004c, S. 372. 1741 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 157. 1742 MB (21.10.41) S. 308. 1743 Schwerin, „Dann sind’s die besten Köpfe, die man henkt“ 1991, S. 319 ff. 1744MB (20.08.43) S. 526. 1745 Moltke, Brief an Curtis, geschrieben in Stockholm, 18.02.1942. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99, S. 2; auch Haubach war der Überzeugung, dass sich der Dreck auslaufen müsse, Brandt H. J. an Roon, 24.07.1962, über Haubach. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1; Moltke hoffte im Herbst 1942 auf eine militärische Nie- derlage der Deutschen; MB (08. und 10.11.1942) S. 432 f., 434. 1746 MB (26.08.41) S. 278: „Was wird passieren, wenn das ganze Volk sich klar ist, dass dieser Krieg verloren ist […]? Dazu mit einer Blutschuld, die zu unseren Lebzeiten nicht gesühnt und nie vergessen werden kann, […]. Werden die Männer aufstehen, die imstande sind, aus dieser Strafe die Busse und Reue und damit allmählich die neuen Lebenskräfte zu destillieren? Oder wird alles im Chaos versinken?“ 302 Vergemeinschaftende Quellen die Absicht der Kreisauer so zusammen: „Sie wollten damit hauptsächlich Elemente eines materiellen Rechtsstaatsverständnisses verwirklichen, nämlich die Wiederherstel- lung von Gerechtigkeit durch Sühne der begangenen Taten, und damit das Rechtsbe- wusstsein im deutschen Volk wiedererwecken.“1747 Vor diesem Hintergrund sah Moltke im Grunde ein Attentat als kontraproduktiv an. Moltke erteilte dem Drängen in den eigenen Reihen nach einer Lösung durch ein Attentat zunächst eine schroffe Absage und beharrte darauf, ein Unrechtsregime dürfe nicht durch Unrecht beseitigt werden, weil damit der Neubeginn ethisch belastet würde.1748 Der Ausgangspunkt ihrer gesell- schaftspolitischen Überlegungen war vielmehr die Frage, wie ein demokratisches Staatssystem im Bewusstsein der Bevölkerung fest und dauerhaft verankert werden könnte.

Es kann also festgestellt werden, dass der Ansatz der Kreisauer der Programmentwurf für die Zeit „danach“ war und die Frage eines Umsturzes oder gar eines Attentates nicht in ihrem Denken und Planen angelegt war. Aber es wird noch zu zeigen sein, wie sich die Haltung der meisten Kreisauer und auch Moltkes in der Zeit nach Stalingrad ange- sichts der Gräueltaten im Osten dynamisch wandelte und dass einige Kreisauer am 20. Juli 1944 fest an der Seite Stauffenbergs standen.

Die vorbereitete Regierungserklärung vom August 1943 zielte darauf ab, die Verfol- gung der Juden und die Verbrechen in den besetzten Gebieten zu sühnen.1749 Die zu- nächst uneinheitliche Haltung der Kreisauer zum Attentat, das sich als einzige Um- sturzmöglichkeit herauskristallisierte, ließ sich angesichts der dramatischen militäri- schen Lage1750 im Jahre 1944 nicht länger durchhalten. Der aktiv gebliebene Teil des

1747 Schindler, Husen im Kreisauer Kreis 1996, S. 92. 1748 Stauffenberg, Christoph von, 02.08.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1749 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 17. 1750 Die militärische Lage spitzte sich im Laufe des Jahres 1944 dramatisch zu. „Mitte Januar begann eine Offensive der Roten Armee gegen die Heeresgruppe Nord, die zwei Wochen später zur Zerschlagung des Blockaderings um Leningrad führte und Ende März in der Region Pskov/Pleskau fortgesetzt wurde. Im mittleren Frontabschnitt erreichten die Sowjets ebenfalls im Januar die frühere polnische Ostgrenze“, so Roth, der fortfährt: „Ende Februar 1944 begann ein einwöchiger Angriff der U.S. Air Force auf die deut- sche Flugzeugindustrie. Anfang April folgte die systematische Bombardierung der rumänischen Erdölfel- der und Raffinerieanlagen, und seit Mai/Juni wurden die Produktionszentren der synthetischen Treibstoff- und Kautschuk-Produktion ausgeschaltet“; in: Roth, Von der Offiziersopposition 2004, S. 157. Am 6. Juni landeten die Invasionstruppen der Westalliierten in der Normandie, „zermürbten aufgrund der Über- legenheit ihrer Panzer-, Artillerie- und Luftkampfverbände die deutsche Verteidigung“ bei einem tägli- chen Verlust von 2500 bis 3000 Soldaten und standen nach der Einnahme von Cherbourg bald vor dem Durchbruch in die Weite des französischen Raums. „Zur selben Zeit stießen die alliierten Truppen nach Einnahme Roms in Richtung Livorno, Florenz und Ancona vor“. Die Rote Armee hatte „am 22. Juni am Mittelabschnitt der deutsch-sowjetischen Front eine Offensive begonnen, die innerhalb von drei Wochen den Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte“ zur Folge hatte. Minsk war am 4. Juli befreit und die An- griffsoperation der 1. Belorussischen Armee in Richtung Lublin und Warschau begann am 18. Juli. Dem 303 Vergemeinschaftende Quellen

Kreisauer Kreises wurde nach der Verhaftung Moltkes Teil der Verschwörung unter der Führung Stauffenbergs, die am 20. Juli das Attentat wagte. „Das ethische, in einer heute im allgemeinen kaum noch nachvollziehbaren Weise christlich begründete Motiv macht den 20. Juli zum Aufstand des Gewissens. Es rechtfertigt letztlich auch das Atten- tat.“1751 Dies brachte auch am 10. Jahrestag des 20. Juli der damalige Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Gedenkrede in Berlin zum Ausdruck.1752

Widerstandsrecht und Tyrannenmord sind zentrale Themen in dem Bemühen, eine Rechtfertigung in dieser Frage zu finden.1753 Bei diesem Bemühen darf nicht außer Acht gelassen werden, „dass der Siegeszug des Rechtspositivismus der nahe liegenden natur- rechtlichen Begründung den Boden entzogen hatte“1754. Erst die Rückkehr zum Natur- recht, „die Wiederverankerung überpositiver und vorstaatlicher Rechtsprinzipien im staatlichen Denken“1755, wie sie Pater Delp im Kreisauer Kreis leistete, machte eine befriedigende Antwort möglich. Aus den Sozialethiken der Kirchen war Rechtfertigung zu erzielen. Hier ist auf die scholastische Tradition zu verweisen, die, voll ausgebildet unter Thomas von Aquin, zwei Tyrannentypen unterscheidet: „Der Usurpator, der Ty- rann ist von Beginn seiner Herrschaft an, und der an sich rechtmäßige Herrscher, der sich jedoch im Lauf seiner Herrschaft zum Tyrannen entwickelt.“1756 Auf Hitler ange- wandt, bedeutet dies im Fall einer Bejahung einer legalen Machtergreifung, dass er folg- lich nicht als tyrannus usurpationis, so doch als tyrannus regiminis1757 einzustufen ist, „als Herrscher, der legal verliehene Macht zur Aufhebung der Legalordnung miss- brauchte. Wer für die Wiederherstellung dieser Ordnung kämpfte, konnte also Thomas von Aquins Satz für sich in Anspruch nehmen: ‚Illi … qui bonum commune defendunt … non sunt dicendi seditiosi.’“1758 Auch die lutherische Tradition gab in der Wider- stands- und Attentatsfrage Orientierung. Zumindest für Amtsträger war nach Luther im Zustand grundsätzlicher Gesetzlosigkeit das Recht auf Widerstand gegeben: „Anomia – ein Zustand, in dem ‚ein gesetzloser Mensch in seiner eigenen Potenz sich zum Gesetz

Widerstand war klar, wenn er sich nicht in kürzester Zeit zum Handeln aufraffen würde, dann könne er nur noch die „von der Anti-Hitler-Koalition“ im Januar 1943 in Casablanca weitgehend „festgelegten Unterwerfungsbedingungen“ ratifizieren und „würde als ‚Konkursverwalter des Reichs‘ in die Geschichte eingehen“ ; in: Roth, Der 20. Juli 1944 2004, S. 17. 1751 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 17. 1752 Heuss, Gedenkrede zum 20. Juli 1944 von 1954. 1753 Maier, Recht auf Widerstand 1994, S. 111. 1754 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 17. 1755 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 18. 1756 Maier, Recht auf Widerstand 1994, S. 112. 1757 Siehe auch Husen, Der 20. Juli und die deutschen Katholiken 1946, S. 330. 1758 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 18. 304 Vergemeinschaftende Quellen aller Dinge des Staatslebens’ (H. J. Iwand) aufschwingt.“1759 Nach Lill stand aber diese reformatorische Widerstandslehre nicht mehr zur Verfügung, da sie durch politischen Absolutismus und kirchlichen Pietismus in Verfall geraten sei.1760

Die Haltung zum Attentat war im Kreisauer Kreis uneinheitlich und mit dem Lauf der Ereignisse Änderungen unterworfen. Besonders Moltke und Yorck lehnten ein Attentat zunächst ab. Selbstquälerische Zweifel plagten jahrelang einen Teil der Kreisauer, theo- retische Rechtfertigungen wurden nicht einfach übernommen. Eine einheitliche Linie zum Attentat im Kreisauer Kreis konnte es schon deshalb nicht geben, da die Anrufung des Gewissens in einer derartigen Grenzsituation geradezu „die individuelle Suche nach dem sittlichen verantwortbaren Weg“1761 erforderte. Durch diese unterschiedliche Hal- tung war aber die Vergemeinschaftung im Kreis niemals ernstlich bedroht, da Moltke seine persönliche Ablehnung des Attentats und zeitweilig auch des Staatsstreichs über- haupt für den Kreis als solchen nie hatte verbindlich machen wollen.1762 Neben der noch im Einzelnen zu betrachtenden Haltung von Moltke, Yorck und Delp in der Attentats- frage, war die anderer Mitglieder von vornherein klar auf eine Zustimmung zum Atten- tat festgelegt oder änderte sich bei der sich zuspitzenden Lage nach anfänglicher Ableh- nung zu einer Zustimmung trotz Bedenken, mit Ausnahme von Steltzer, Rösch und Haubach, die das Attentat immer ablehnten. Bei einigen der Mitglieder ist allerdings deren Haltung zum Attentat quellenmäßig nicht belegt.

Steltzer war eindeutig gegen ein Attentat1763, er vertiefte Moltkes moralische Motive ins Religiöse und verband die Ablehnung des Attentats außerdem noch mit der politisch einleuchtenden Gefahr einer neuen Dolchstoßlegende.1764 In den schon mehrfach zitier- ten Grundsätzen Steltzers während des Krieges sprach er sich in der Konsequenz für „die Ablehnung jeder gewaltsamen Revolution und des Attentates als politisches Kampfmittel“1765 aus. Gablentz, der 1944 bereits etwas außerhalb des Kreisauer Krei- ses stand, schrieb in seiner autobiographischen Skizze nach dem Krieg: „Zu den Vorbe-

1759 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 18 f. 1760 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 19. 1761 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 17. 1762 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 232. 1763 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 78. 1764 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 233. Gerstenmaier weist noch darauf hin, dass Theodor Steltzer sich nach dem Krieg von dieser Beurteilung selbst distanzierte und den Staatsstreich samt Atten- tat bejahte; siehe S. 233, Fn. 26. 1765 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 10 f. 305 Vergemeinschaftende Quellen reitungen des Attentats vom 20. Juli bin ich nicht hinzugezogen worden, weil Yorck wusste, dass sich meine Einstellung mit derjenigen Moltkes deckte.“1766

Auch Einsiedel war wie Moltke gegen ein Attentat, wie sich Christiansen-Weniger aus einem Treffen mit beiden im Jahre 1940 erinnerte.1767 Wie die Haltung Einsiedels 1944 war, ist quellenmäßig allerdings nicht belegt.

Rösch lehnte den Tyrannenmord eindeutig ab.1768 Das zeigt sich auch in dem 1941 von Baron Karl Ludwig von Guttenberg vermittelten Gespräch Röschs mit Moltke, der sag- te, dass Hitler wegen des sich abzeichnenden Zweifrontenkriegs die Führung aus der Hand genommen werden müsse: „Wie ist das gemeint mit der Übernahme der Führung? Ist an eine Beseitigung, an einen Mord gedacht? Da möchte und könnte ich nicht mit- tun“, stellte Rösch fest, worauf Moltke antwortete: „Nein, das will ich auch nicht; wir dürften uns nicht beklagen über den tausendfältigen täglichen Mord im KZ und wer weiß wo, wenn wir auch morden wollten. Aber es gibt andere Wege.“1769 Im Hoch- sommer 1943 war nach einer Besprechung mit P. Delp, P. König vom P. Provinzial Rösch einheitlich festgestellt worden:

Unsere Arbeit für die Kirche, die Klöster usw. geht weiter; die Arbeit für den geplanten Neuaufbau des Staates nach dem Zusammenbruch des NS-Systems wird eingestellt, weil die einzig fähigen Leute für eine Änderung – ohne ein Attentat – die Militärs versagen. Ir- gendein, auch nur das leiseste Mitwissen, noch weniger Mitplanen, schon gar nicht ein Mitwirken bei einer gewaltsamen Lösung (Attentat und ähnliches) kommt für uns niemals in Frage.1770 Das war eine strikte Weisung, auch für Delp; inwieweit er sich daran hielt, wird noch zu besprechen sein.

Auch Haubach stand Attentatsplänen ablehnend gegenüber, weil er eine Renaissance der „Dolchstoß-Legende“1771 befürchtete. In diese Richtung weist eine Bemerkung von

1766 Gablentz, Otto Heinrich von der: Autobiographische Skizze. IfZ, ZS/A-18, Bd. 13, S. 4. 1767 Christiansen-Weniger, Fritz: Meine Mitarbeit im Kreisauer Kreis, 19.08.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 2, S. 2. 1768 Bleistein, Jesuiten im Kreisauer Kreis 1982, S. 601. 1769 Bleistein, Rösch 1998, S. 307. 1770 Rösch: Bemerkungen zu einem Buch über P. Delp. 22. April 1956. in: Bleistein, Rösch 1998, S. 310; siehe auch Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus, 1985. S. 289; dort sagt er von sich selbst: „P. R(ösch) hatte von einer Attentatsvorbereitung (20. Juli) keine Ahnung. M(oltke) hatte er zum letzten Mal im Herbst 1943 gesehen. Als sich in den tagelangen Verhören nicht die geringste Beziehung zum 20. Juli, zu dessen Vorbereitungen usw. nachweisen ließ, aber umgekehrt gezeigt werden konnte, daß es ausge- schlossen war, davon etwas zu wissen, ferner daß P. R.(ösch) Goerdeler usw. nie gesehen und gesprochen hatte, war und blieb die einzige Anklage der Einsatz für die Kirche und das Christentum und Wiederver- christlichungsbestrebungen in Deutschland.“ 1771 Frommels, Wolfgang an Roon. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. Frommels wird im Kontext der Heidelberger Studentenzeit Haubachs erwähnt. 306 Vergemeinschaftende Quellen ihm, die er mit Blick auf die nationalsozialistischen Machthaber einem Bekannten aus Amsterdam gegenüber machte: „Der Dreck muß sich auslaufen.“1772

Neben den Kreisauern, die strikt gegen ein Attentat waren, lehnten einige der Freunde das Attentat zwar anfänglich ab, änderten jedoch ihre Haltung aufgrund der sich drama- tisch zuspitzenden Lage 1944, wenn auch mit Gewissenszweifeln.

Reichwein lehnte zunächst, wie die Mehrheit der Kreisauer, das Attentat aus ethischen und religiösen Gründen und unter Hinweis auf eine neue „Dolchstoßlegende“ ab. Zu- dem verhindere ein Attentat die allgemeine Einsicht in die Notwendigkeit des nationa- len Neuanfangs. Darüber führte Reichwein viele politische Gespräche mit Harro Siegel, der später bezeugte:

In all diesen Gesprächen […] wurde immer deutlicher, daß eine „Gewaltlösung“ keine ech- te Lösung sein könne, weder aus politischen Gründen, da die Gefahr der Bildung einer „Dolchstoßlegende“ noch aus der Zeit von Ende des ersten Weltkrieges als Warnung vor uns stand. Es durfte keinesfalls sein, daß nach dem mit Sicherheit zu erwartenden Verlust des Krieges und Untergang des Regimes sich Stimmen erheben konnten, die eine Gewaltlö- sung hierfür schuldig sprachen. Vor allem aber aus weltanschaulichen Gründen. Reichwein, Graf Moltke und wohl die Mehrzahl der Mitglieder des Kreisauer Kreises weigerten sich, sich der Mittel des Gegners zu bedienen. Vernichtung von Leben und Mord, sei es auch Ty- rannenmord, konnte ihnen nicht als echte Lösung gelten.1773 Doch im Wissen um die Verbrechen der Nationalsozialisten und in der Erkenntnis, dass unter den gegebenen politischen Bedingungen ein Staatsstreich nur nach Tötung Hitlers möglich sei, stimmte Reichwein dem Attentatsplan zu.1774 Dass er seine Meinung geän- dert hatte, wird aus seinem Brief an den lettischen Wirtschafts- und Finanzminister Al- fred Valdmanis deutlich, in dem er sagte, man sei gezwungen, „tragisch zu Mitteln grei- fen zu müssen, die ich aus meiner ganzen inneren Einstellung heraus ablehne“1775. Die Stimmung Reichweins vor dem Attentat wird auch in einem Brief an seinen Schwieger- vater Ludwig Pallat deutlich, wenn er schreibt: „Aber in der Entsagung stärkt mich die Überzeugung, daß Zeitalter erst erfüllt werden können, wenn die Schwelle erkämpft ist. Und je seltener die Kämpfer sind, umso mehr Verantwortung liegt auf den Weni- gen.“1776

Peters berichtet in seinen Erinnerungen, wie bereits erwähnt, dass das Aufbaupro- gramm der Kreisauer wichtiger war als die Frage des Umsturzes:

1772 Brandt, H. J. an Roon, 24.07.1962, über Haubach („Der Dreck muß sich auslaufen.“). IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 1773 Siegel, Harro: Brief an Roon, 31.07.1962. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1774 Heidötting-Shah, Reichweins Widerstand 2000, S. 168. 1775 Valdmanis, Alfred: Erinnerungen an Adolf Reichwein. BBF/DIPF/Archiv, Reich 382. 1776 LBDII S. 232. 307 Vergemeinschaftende Quellen

Wie das nationalsozialistische Regime falle, wurde eigentlich immer als überflüssige Spe- kulation offen gelassen. Man unterstellte zunächst, ein angesehener aktiver General werde die Wehrmacht, die ihren Untergang unter Hitlers Führung immer klarer erkennen werde, zum Handeln veranlassen und vielleicht Hitler und seine Komplicen festsetzen.1777 Peters hatte vor dem Krieg, wie bereits dargelegt, zur Frage des Widerstands in einem Manuskript allerdings bereits Stellung bezogen und dabei bei Pflichtenkollision jedoch lediglich ein passives Widerstandsrecht zugestanden. 1944 hielt aber auch Peters ange- sichts der allgemeinen Lage „ein Attentat für eine rechtmäßige Widerstandsmaßnahme“. Er verhehlte sich allerdings nicht, „daß damit Hitler leicht heroisiert werden und eine neue Dolchstoßlegende entstehen könne“1778.

Auch bei Husen fand ein Meinungsumschwung statt, nachdem er das Attentat zunächst abgelehnt hatte. Die anfängliche Ablehnung ergibt sich aus einem Gespräch, das Husen mit Yorck, Schulenburg und Moltke auf dessen Einladung bereits im Sommer 1940 hatte. Besprechungspunkt war die Frage der gewaltsamen Beseitigung des Hitlerre- gimes. Während Schulenburg entschieden für einen Gewaltakt eintrat, waren Moltke, Yorck und Husen gegen ein Attentat.1779 Dafür wurden folgende Gründe angegeben: Ein Umsturz durch das Militär sei angesichts des siegreichen Frankreichfeldzuges nicht gegeben, das deutsche Volk sei auf einen Systemwechsel noch nicht vorbereitet, die Gefahr einer Dolchstoßlegende bestehe, und schließlich hatten sie schwerwiegende sitt- liche und religiöse Bedenken. Angesichts des sinnlosen Mordens und der Erkenntnis, „dass der Krieg absolut verloren war und dass jede Stunde der Verlängerung weiteren Ruin und Blutverlust sowie Vermehrung des Hasses auf der Gegenseite bedeutete“1780, änderte Husen seine Haltung zum Attentat auch unter Inkaufnahme einer neuen Dolch- stoßlegende. Husen anerkannte nach dem Krieg mit höchster Achtung, dass Stauffen- berg und die anderen Beteiligten am 20. Juli, „als Männer von Mut und Ehre und Ver- antwortung nach ihrem Gewissen im Einvernehmen mit der politischen Führung den entscheidenden Entschluss in Bekundung der Ehre des Soldatenstandes und des Willens des deutschen Volkes zur Selbstreinigung“ gefasst hatten. „Alle Beteiligten“, so Husen weiter, „haben nach ernster Gewissensprüfung die sittliche Erlaubtheit des Handelns gegen Hitler als Akt der Notwehr für das deutsche Volk bejaht.“1781 Dass es dem tiefre- ligiösen Husen nicht leicht fiel, seine sittlich-religiösen Bedenken gegen ein Attentat

1777 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96. S. 3 (Unterstrei- chung übernommen). 1778 Peters, Hans: Erinnerungen an den Kreisauer Kreis, 26.11.1952, IfZ, ED 106-96. S. 6. 1779 Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 1. 1780 Husen, Paulus van: In memoriam Moltke und Yorck. 20. Juli 1944. IfZ, ED 88-1, S. 11. 1781 Husen, Paulus van: In memoriam Moltke und Yorck. 20. Juli 1944. IfZ, ED 88-1, S. 11. 308 Vergemeinschaftende Quellen beiseitezuschieben, zeigen seine Ausführungen „Der 20. Juli 1944 und die deutschen Katholiken“1782 nach dem Krieg, in denen er sich mit den verschiedenen katholischen Lehrmeinungen zur Frage des aktiven Widerstandsrechts auseinandersetzte und zu dem Ergebnis kam, dass eine ausdrückliche Lehrmeinung fehle und es damit für die Gewis- sensentscheidung des Einzelnen keine Weisung gebe. Er zog den Schluss, dass das At- tentat damals als Notwehrrecht gedeckt war, und bereute es auch nicht, am Attentatsver- such beteiligt gewesen zu sein. In seinem Brief an Eugen Gerstenmaier vom 08. Oktober 1967 meinte Husen, dass es „versponnener Idealismus gewesen wäre zu glauben, man könne Hitler anders als durch Gewalt beseitigen“1783.

Auch Lukaschek änderte seine Haltung zum Attentat. Sein Engagement wurde umso größer, je kritischer die Situation war. Nachdem Moltke im Januar 1944 verhaftet wor- den war, beteiligte sich Lukaschek im Sommer an den Besprechungen mit Stauffenberg, Yorck und Trott zur Vorbereitung des Staatsstreiches.1784 Bei der Betrachtung der Mo- tivation des Widerstands wurde bereits dargelegt, dass Lukaschek aus naturrechtlichen Gründen das Attentat selbst als christliche Pflicht ansah. Somit stellte auch Lukaschek seine ursprünglichen Vorbehalte in dieser Gewissensfrage zurück.1785

Haeften, der mit Trott und anderen Freunden am Tag des Attentats im Auswärtigen Amt die Nachricht von der Beseitigung Hitlers erwartete, hat den Plan des Tyrannen- mordes nie unterstützt, und im Abschiedsbrief an seine Frau bezeichnete er seine Zu- stimmung zum Attentat als Sünde. „Ich habe das fünfte Gebot nicht heilig gehalten (obwohl ich einmal Werner damit zurückgerissen habe) […]“1786 In der Tat hatte Haef- ten seinen Bruder Werner von einem Attentat Ende Januar 1944 abgehalten.1787 Die ethischen Probleme Haeftens bestätigt auch sein Freund Krimm: „Er weihte mich in die Attentatspläne ein. Er war auch durch sie aufs Tiefste beunruhigt. Sein christliches Ge- wissen bescheinigte ihm, dass dies reiner Mord sei, auch dann, wenn durch diesen einen Mord ein millionenfacher weiterer Mord verhindert würde.“1788 Haeften stimmte aber

1782 Husen, Der 20. Juli und die deutschen Katholiken 1946, S. 315-317; 329-331. 1783 Husen, Paulus van: Brief an Eugen Gerstenmaier, 08.10.1967. ACDP, I-210-037. 1784 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 69. 1785 Ellmann, Lukaschek 2000, S. 70. 1786 Für Haeften konnte nur das eigene Gewissen entscheiden, darauf zielte auch seine Bemerkung in seinem Brief an Krimm, 04.04.1941; in: Haeften, Briefe 1931-1944: „Der Protestantismus muß endlich inne werden, daß er in der Lage sein müsste, Antwort zu geben, wenn die Laien die Theologen um ihren christlichen Rat in weltlichen Dingen bitten.“ 1787 Haeften, Barbara „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 81: „Als er [Werner von Haeften; A. d. V.] sich bei Hans seine Pistole aus dem Koffer holen wollte, rief dieser ihn zur Verantwortung: ‚Ist es wirklich Deine Aufgabe vor Gott und den Vätern?’ Werner kapitulierte.“ 1788 Krimm, Herbert: Brief an Roon, 05.09.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. 309 Vergemeinschaftende Quellen schließlich dem Attentat zu; ursprünglich dachte er eher an ein Gerichtsverfahren, da er einsah, dass gehandelt werden müsse, „bevor die Freunde des Widerstandes alle einzeln lautlos in Gefängnissen und KZs verschwanden“1789.

Neben den Kreisauern, die das Attentat ablehnten oder ihre ablehnende Haltung ange- sichts der Ereignisse im Jahre 1944 änderten, gab es auch solche, deren zustimmende Haltung zum Attentat von vornherein bestand. Trott, Mierendorff1790, Leber, und er- staunlicherweise die Theologen Gerstenmaier und Bonhoeffer1791 waren eindeutig für das Attentat.1792

Gerstenmaier befürwortete im Kreisauer Kreis wohl am eindeutigsten ein Attentat. Er sagte von sich selbst:

Als mich Fritz von der Schulenburg im Sommer 1942 fragte, ob ich bereit sein würde, zu- sammen mit einer Gruppe von Offizieren an einem Attentat auf Hitler teilzunehmen, sagte ich […] auch ohne Zaudern, Ja. Aus dem gleichen Grund hätte ich es mir auch nicht verge- ben, nicht zur Stelle zu sein, als ich am Nachmittag des 20. Juli 1944 von Peter von Yorck – wie verabredet – zu Klaus von Stauffenberg in die Bendlerstraße gerufen wurde.1793 Schlabrendorff trug in seiner Dokumentation anlässlich des Verleumdungsprozesses 1964 gegen Gerstenmaier eine Reihe von Zeugenaussagen zusammen, die Gersten- maiers Haltung für ein Attentat deutlich belegen. Husen erklärte 1960, dass Gersten- maier, „entgegen der ursprünglichen Theorie des ‚Kreisauer Kreises’, ein Vertreter, derjenigen [war], die auf aktives Handeln drangen“1794. Der Oberkirchenrat a. D. Wil- helm Wessel, Stuttgart, sagte aus:

Ich erfuhr durch Dr. Gerstenmaier von den mehrfach versuchten gescheiterten Attentaten und glaube mich zu erinnern, daß er spätestens vom Jahre 1943 an, ebenso wie Dietrich Bonhoeffer, die die Widerstandsbewegung beunruhigende und teilweise lähmende Frage nach dem Recht und der Pflicht zur aktivem Beseitigung eines Tyrannen positiv beantwor- ten zu müssen glaubte.1795 Der Militärbischof D. Herrmann Kunst, Bonn, erinnerte sich, Gerstenmaier habe ihm im Gespräch anvertraut, „daß er bereit sein würde, auf Hitler zu schießen. Wir erörterten

1789 Haeften, Barbara „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 83. 1790 Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat 1985, S. 456. 1791 Bonhoeffer war zwar kein Kreisauer, aber mit Moltke bekannt. Beide wurden im April 1942 als Emissäre der Abwehr in Fragen des norwegischen Kirchenkampfes nach Oslo geschickt: Darüber schrieb Bethge: „Ich erinnere mich jedoch an die Bemerkung Bonhoeffers, wie anregend das gemeinsame Reisen gewesen sei, ‚aber wir sind nicht einer Meinung’. Natürlich waren Moltke und Bonhoeffer eins in der Tiefe ihrer christlichen Überzeugung, sie waren ebenso eins in der Beurteilung des verzweifelten Zustan- des der deutschen Angelegenheiten […].Aber Moltke hat eben damals ‚für seine Person die gewaltsame Beseitigung Hitlers … abgelehnt’. Und Bonhoeffer, der auch etwas davon wusste, daß man dem Gericht Gottes nicht in den Arm fallen kann, plädierte bereits für die Notwendigkeit des Attentats“; in: Bethge, Dietrich Bonhoeffer 1989, S. 848. 1792 Roon, Neuordnung 1967, S. 285, Fn. 44. 1793 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 233 1794 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32. 1795 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32. 310 Vergemeinschaftende Quellen dabei die kirchliche Rechtfertigung einer solchen Maßnahme“1796. In seiner Lebensbe- schreibung führte Gerstenmaier aus:

In unserem kleinen Kreis kamen wir zu dem Ergebnis, daß ein Militärputsch mit dem Ziel, die ganze etablierte Führungs- und Regierungsschicht zu beseitigen, mit großer Wahr- scheinlichkeit nicht durchführbar sei. Dazu war der Nationalsozialismus auch in der Armee inzwischen zu verbreitet.1797 Für Gerstenmaier gab es nur die Alternative Martyrium oder Hochverrat. Da er den Weg des ihm nutzlos erscheinenden Martyriums nicht in Erwägung ziehen wollte, sah er nur den anderen: „Hitler mit seinen Mitteln zu begegnen – mit Gewalt.“1798

Mierendorff, der, kaum der Hölle des Konzentrationslagers entronnen, den Kampf gegen Hitler wieder aufnahm, soll nach Gisevius in der entscheidenden Sitzung, in der die Verschwörer den Beschluss zum Attentat fassten, dies mit der Antwort begrüßt ha- ben: „Von heut ab kann es nur noch aufwärts gehen: an die Macht, oder an den Gal- gen.“1799 Dies kommentierte Halperin: „Das war echt Carlo – Galgenhumor im wahrs- ten Sinne des Wortes.“1800 Lebers Haltung zum Tyrannenmord und seine Verwicklung in das Attentat vom 20. Juli sind in den sog. Kaltenbrunner Berichten1801 ausführlich vermerkt. Durch Geständnisse seiner Mitverschworenen wurden seine enge Zusammenarbeit mit Stauffenberg, seine Kritik an dem Regierungsprogramm Goerdelers, die aus seiner Sicht notwendige Zu- sammenarbeit mit den Kommunisten und seine Gegnerschaft zur geplanten Kanzler- schaft Goerdelers in vielen Einzelheiten offengelegt. Leber verstand wie Stauffenberg „unter Handeln in der damaligen Situation die zielstrebige Planung des Attentats auf Hitler und die Beseitigung seines Regimes“1802. Leber, der als Innenminister1803 in der Übergangsperiode vorgesehen war, wurde am 05. Juli 1944, nach dem Kontakt mit der kommunistischen Saefkow-Jacob-Gruppe im Juni, festgenommen. Ihn verband eine tiefe menschliche und politische Freundschaft mit Stauffenberg; dieser soll kurz vor dem 20. Juli in einer erregten Auseinandersetzung mit Trott diesem zugerufen haben. „Wir brauchen Leber, ich hol ihn raus und ich hole ihn raus!“1804 Leber, der überzeugt war, dass eine völlige Kapitulation sich nicht mehr vermeiden lassen werde, sah in dem

1796 Schlabrendorff, Gerstenmaier im Dritten Reich 1965, S. 32 f. 1797 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 116. 1798 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 150. 1799 Gisevius, Bis zum bittern Ende 1946. S. 210 ff. 1800 Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270, S. 2. 1801 KB S. 118, 179, 211, 234, 536 f. 1802 Bohrmann, Julius Leber 1974, S. 251. 1803 KB S. 210. Die ihm angetragene Reichskanzlerschaft lehnte er ab, da er sich nicht in Gegensatz zu Leuschner begeben wollte; siehe Leber, Weg 1952, S. 291. 1804 Leber, Weg 1952, S. 292. 311 Vergemeinschaftende Quellen

Attentat noch eine geringe politische Chance für Deutschland, wenn es gelänge, das Hitlerregime von innen zu überwinden und mit unbelasteten Leuten den Siegermächten gegenüberzutreten.1805

Keiner habe, außer dem Grafen Stauffenberg, so energisch auf die Aktion hingedrängt und so geschickt Jahr und Tag auf die Militärs eingewirkt wie Adam, sagte Trotts Kol- lege im Auswärtigen Amt, Franz Josef Furtwängler.1806 Trott übernahm als enger außenpolitischer Berater Stauffenbergs unter den Kreisauern bezüglich des Attentats die Führung.1807 Diese Haltung zum Attentat, „zur aktivistischen Linie“1808, dass auf alle Fälle gehandelt werden müsse, ist aus mehreren Selbstzeugnissen Trotts erkennbar. In dem Memorandum, das Trott 1942 in Genf Visser t’Hooft für England übergab und das zunächst das Unheil ungehemmter Kriegsentwicklung, die Massenvernichtung von Le- ben und Gütern, die Zunahme totalitärer Tendenzen und Einrichtungen und die Gefahr anarchistischer Auflösung eindringlich beschrieb, kam Trott zur Konsequenz:

The most urgent and immediate task to stave off catastrophe in Europe is he earliest possi- ble overthrow of the Regime in Germany. The change can take place either by way of anar- chical dissolution or by the establishment of a Government which would return to the stan- dards of civilized Europe.1809 Bei seinem Besuch des Chefredakteurs Ivar Anderson vom „Svenska Dagbladet“ am 30. Oktober 1943 beschwor Trott erneut die Notwendigkeit eines Umsturzes:

Actually, there are two lines for action us to choose between. One is to wait and see; to watch the course of events and to try to make the best out of the inevitable when the col- lapse and the defeat are a fact. The other one is to try to cause a change of regime as soon as possible. The prospects for a change of regime may seem small, but we venture to reckon upon certain parts of the army and certain groups of the police – not in the HQs but among the local leaders.1810 Im Mai 1944, also nach der Kontaktaufnahme mit Stauffenberg, sagte Trott zu Christ- abel Bielenberg in Berlin: „From now on this is a German affair. We must rid ourselves of this régime by ourselves, and believe me […] it will be done. It will and must be done, before the Allies have to do it for us.“1811

Betghe weist darauf hin, Trott habe es vermocht, beiden Akten, der Beseitigung und dem Danach, die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden, und er habe gesehen, dass hier die Praxis ohne die Theorie, d. h. die Aktion ohne die Zukunftsplanung, ein anarchisches

1805 Leber, Weg 1952, S. 285. 1806 Furtwängler, Männer, die ich sah 1951, S. 224. 1807 Winterhager, Zukunftsplanung 2009, S. 20 ff. 1808 Winterhager, Zukunftsplanung 2009, S. 23. 1809 Trott, „Strictly private and confidential“ 1942, S. 393. 1810 Anderson, Ivar. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1. 1811 Bielenberg, The Past is Myself 1968, S. 145. 312 Vergemeinschaftende Quellen

Verbrechen, aber auch, dass die Theorie ohne die Aktion zuvor ein luxuriöses Spiel zu werden drohte.1812 Diese Sicht veranlasste auch Winterhager zu dem Urteil, dass „von der unmittelbaren politisch-historischen Wirkung her der Beitrag Trotts zum aktiven Anti-Hitler-Kampf“ im Kreisauer Kreis überragend gewesen wäre, da Trott und andere wie Gerstenmaier, Yorck und Haeften auch gegen Moltkes Rat und Willen den Mut zur Tat gefunden hätten. „Wäre dieser Schritt nicht erfolgt“, argumentiert Winterhager wei- ter, „hätte die Widerstandsbewegung der Katastrophe untätig bis zum bitteren Ende ihren Lauf gelassen, […] wie hätten sie alle, einschließlich der Kreisauer, am Kriegsen- de dagestanden! Wie unglaubwürdig hätte all das Debattieren, das fruchtlose ‚Selbstge- spräch’ der Widerstandszirkel dem eigenen Volk erscheinen müssen!“1813

Die Haltung Delps zur Attentatsfrage ist nicht eindeutig. Boveri1814 war aufgrund der damaligen Quellenlage noch von der unumschränkten Zustimmung Delps zum Attentat ausgegangen. Auch Gerstenmaier schrieb, dass Delp bezüglich des Attentats stets seiner Meinung war.1815 Delp beteuerte jedoch in seinen Kassibern an seinen Mitbruder Tat- tenbach immer wieder, von konkreten Attentatsplänen zum 20. Juli nichts gewusst zu haben. Durch eine irrtümliche Aussage Sperrs war Delp in dieser Hinsicht belastet wor- den.1816 Dies bedeutet aber nicht, dass Delp von den allgemeinen Attentatsplänen nichts wusste, und gibt auch keinen Aufschluss darüber, ob er ein Attentat gebilligt hätte. Blei- stein weist in diesem Zusammenhang auf Gespräche mit den beiden Mariannen1817 hin, aus denen man schließen könne, dass Delp das Attentat für geboten hielt, denn er sagte, dass „alle Tyrannen bisher eines unnatürlichen Todes gestorben seien“1818. Bleistein

1812 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 214. 1813 Winterhager, Zukunftsplanung 2009, S. 25. 1814 Boveri zählte Delp wie Trott, Gerstenmaier, Yorck, Haeften, Leber zu den mit Stauffenberg liierten Aktivisten unter den Kreisauern; als Beweis zieht sie die „ausführliche Unterredung“ Delps mit Stauffen- berg in Bamberg [am 06.06.1944; A. d. V.], die es in der angenommenen Form so nicht gegeben hat, heran. Sie sagt weiter: „Er, [Delp; A. d. V.] war – obwohl Geistlicher – bereit, den Weg des Attentats innerlich mitzugehen“; in: Boveri, Verrat 1956, S. 76. Auch Freya von Moltke geht von einer Zustim- mung Delps zum Attentat aus; siehe MBF S. 289. 1815 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 232. 1816 Delp IV S. 35, Fn. 44; S. 57 f. 1817 Marianne Hapig, Sozialarbeiterin, und Dr. Marianne Pünder, Direktorin der katholischen Frauenfach- schule in Berlin. Sie berieten und begleiteten die nach Berlin angereisten Ehefrauen von Widerständlern und standen ihnen in den Tagen der Prozesse vor dem VGH und der Hinrichtung in Plötzensee zur Seite. Inhaftierte ohne Angehörige versorgten sie mit Wäsche und Lebensmitteln. So betreuten sie auch Alfred Delp während seiner Inhaftierung in Tegel und über sie sind viele Kassiber in die Freiheit gelangt; siehe u. a. den Kassiber Delps an die beiden Mariannen vom 01.12.1944, in dem Delp bat, bei Sperr wegen dessen für ihn belastenden Aussage zu intervenieren; in: Delp IV S. 34 f. 1818 Prégardier, Hapig 2007, S. 40. 313 Vergemeinschaftende Quellen zitiert noch ein anderes Gespräch mit einem Bekannten von Delp, Ernst Keßler1819, in dem es um das Attentat ging. Ihm gegenüber habe Delp betont, „daß im Falle Hitlers, ‚die rechtlichen und moralischen Voraussetzungen für die Erlaubtheit des Tyrannen- mordes im Sinne der Lehre der Kirche einwandfrei gegeben’ seien“1820. Knauft vermu- tet dabei die beiden spanischen Jesuitenkollegen Suarez (1548-1617) und Juan de Ma- riana1821 (1536-1624) als Befürworter des Tyrannenmordes an der Seite Delps.1822 Die Aussage Kesslers steht allerdings im Gegensatz zur Argumentation Delps während sei- ner Haft gegen den sogenannten „Sperr-Haken“1823. Delp bat hier in einem Kassiber seinen Mitbruder Tattenbach, sich von Ernst Kessler bestätigen zu lassen, dass er „von der Sache nichts gewusst hätte und mit ihr nichts zu tun hätte“1824. Aber auch aus dieser Aussage kann man nicht auf die grundsätzliche Haltung Delps zum Attentat schließen, da es ja durchaus der Wahrheit entsprechen kann, dass Delp von den konkreten Atten- tatsplänen nichts wusste, diese aber im Grundsatz billigte. Bei der Vorbereitung seiner Verteidigungslinie sprach Delp vom 20. Juli als von einer Wahnsinnstat, die er grund- sätzlich ablehne. Dazu führte Delp drei Gründe an: Aus grundsätzlichen ethischen Hal- tungen gemäß der christlichen Lehre, aus geistigen Einsichten als Geschichtsphilosoph und „aus der Einsicht, daß es im gegenwärtigen Krieg und in diesem Stadium des Krie- ges um die Substanz der Nation und nicht um Führungs- und ähnliche Fragen geht“1825. Bei der Beurteilung dieser Sicht muss allerdings in Rechnung gestellt werden, dass sich Delp hier vor dem sicheren Todesurteil retten wollte. Es muss somit offenbleiben, wie die Haltung Delps zum Attentat wirklich war. Moltke rechnete Delp und König aller- dings in seinem Brief an Freya vom 04. März 1943 wohl zu den Attentatsbefürwor-

1819 Rechtsanwalt Dr. Ernst Kessler besprach immer wieder mit Delp die politische Situation. Da Kessler in der Ismaninger Straße in München wohnte, wurde er in den Kassibern von Delp der „Ismaninger“ genannt. 1820 Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 288; zum Widerstandsrecht aus katholischer Sicht: Volk, Opposition gegen Hitler 1967. S. 55-59; Kaufmann, Widerstandsrecht 1972, S. 196 ff, 211 ff; Schatz, Zwischen Säkularisation 1986, S. 263 ff. 1821 P. Juan de Mariana SJ rechtfertigte in seiner Schrift De rege et regis institutione (Toledo 1599) unter gewissen Umständen die Tötung eines Tyrannen. Diese Zustimmung zum Tyrannenmord war Freisler präsent und er verwendete es gegen Delp: „[…] es hagelte Pflaumen gegen die katholischen Geistlichen [während der Verhandlung am VGH am 10.01.1945; A. d. V.] und gegen die Jesuiten: Zustimmung zum Tyrannenmord – Mariana; uneheliche Kinder; Deutschfeindlichkeit“; so Moltke in seinem Brief vom 10.01.1945 an Freya; in: MB S. 612. 1822 Knauft, Delp 2009/2010, S. 34. 1823 Damit ist die Belastung durch Sperr gemeint, der aussagte, dass Delp von dem Attentat gewusst habe; in: Delp IV S. 59. 1824 Delp IV S. 58 f. 1825 Delp IV S. 353; vgl auch Kapitel „Konflikte und Dekonstruktion des Kreises“. 314 Vergemeinschaftende Quellen tern.1826 Keinesfalls kann die bloße Tatsache, dass Delp Stauffenberg in Bamberg be- sucht hatte1827, seine Verwicklung in das Attentat beweisen.1828 Dies unterstellte Freisler jedoch, obwohl es im Urteil vom 11. Januar 1945 nicht eigens erwähnt wurde.1829

Moltke und Yorck wünschten in den Jahren 1942 und 1943 den totalen Zusammenbruch des bestehenden politischen Systems, für sie war dies aus der für sie charakteristischen geschichtsphilosophischen Gesamtsicht notwendige Bedingung eines säkularen gesell- schaftlichen und ethischen Neuanfangs. Deshalb beschränkten sie sich zunächst auf die Neuordnung für den erwarteten Tag X.1830 Wie das oben zitierte Abrücken von einem Staatsstreich durch Verhaftung Hitlers zeigt, schien es besonders Yorck – Moltke war ja durch seine Verhaftung im Januar 1944 aus den aktiven Putschvorbereitungen „raus- genommen“1831 – klar geworden zu sein, dass sich auch in innenpolitischer Beziehung die Voraussetzungen oppositionellen Handelns fundamental geändert hatten. Durch eine bloße Regierungsumbildung und die Ausschaltung einiger Machtzentren des National- sozialismus war eine innenpolitische Machtverlagerung nicht zu erreichen. Zu viele Änderungen waren eingetreten:

[…] die fortschreitende Aushöhlung der Zuständigkeiten der klassischen Ministerien, die sich gleichzeitig vollziehende Informalisierung der Herrschaftsausübung durch einander bekämpfende führerimmediate Apparate und die von Hitler bewusst vorangetriebene Auf- lösung der inneren Homogenität des Offizierskorps sowie die Autonomie der Wehrmachts- führung.1832 Es musste in Rechnung gestellt werden, dass es „durch den von Goebbels planmäßig errichteten Hitlermythos neben dem Diktator keine Institution mehr gab, die der Legi- timation für die Umsturzregierung, wie im Falle Italiens die Monarchie, dienen konn- te“1833. Es blieb nur die Ermordung des Diktators.1834 Am Abend des Tages, an dem Moltke verhaftet wurde, berichtete Freya von Moltke, kam Stauffenberg zu Peter Yorck, sprach von der Notwendigkeit einer Ermordung Hitlers und wies auf die täglichen

1826 MB S. 458: „Selbst König und Delp, die doch kraft ihrer Disziplin das Warten gelernt haben müssten, können es nicht, und wenn auf eine Aktion der unvermeidliche Rückschlag kommt, so werden sie unruhig […].“ 1827 Über die Absichten Delps für dieses Gespräch siehe Delp IV S. 350 f. 1828 Tattenbach, Das entscheidende Gespräch 1954/55, S. 321-329. 1829 Delp IV S. 411. 1830 Mommsen, Widerstand und die deutsche Gesellschaft 1985, S. 11. 1831 In seinem Abschiedsbrief an seine Frau Freya vom 11.01. betrachtete er es als Fügung Gottes, nicht in den aktiven Putsch verwickelt gewesen zu sein: „In dem Augenblick, in dem die Gefahr bestand, daß ich in aktive Putschvorbereitungen hineingezogen wurde – Stauffenberg kam am Abend des 19. zu Peter –, wurde ich rausgenommen, damit ich frei von jedem Zusammenhang mit der Gewaltanwendung bin und bleibe“; in: MB S. 623. 1832 Mommsen, Widerstand und die deutsche Gesellschaft 1985, S. 7. 1833 Mommsen, Widerstand und die deutsche Gesellschaft 1985, S. 7. 1834 Mommsen, Widerstand und die deutsche Gesellschaft 1985, S. 7. 315 Vergemeinschaftende Quellen

Gräueltaten hin.1835 Doch Yorck war lange nicht zu überzeugen. Poelchau sah in der Festnahme Adolf Reichweins und Julius Lebers, die Verbindungen zu kommunistischen Widerstandsgruppen gesucht hatten, den wahrscheinlich letzten Anstoß für Yorck, das Attentat gutzuheißen.1836 Yorck stand in enger Verbindung mit seinem Vetter Stauffen- berg. Unter diesem Druck wollten sie nicht länger warten und drängten zur Tat.1837 Pe- ter Yorck versuchte dann, die übrigen Mitglieder des Kreisauer Kreises von der Not- wendigkeit des Attentats zu überzeugen.1838 Die ethisch-religiösen Bedenken wirkten jedoch in Yorck weiter. Er besprach dies auch mit seiner Schwester Davy1839 und äußer- te seine grundsätzliche Ablehnung des Attentats. Dieser war es rätselhaft, „wie er in das Attentat einbezogen wurde“1840. Gerstenmaier berichtete von einer Unterhaltung mit Yorck über ein mögliches Attentat.

Mit gequälter Miene, mir voll in das Gesicht sehend, sagte er: „Aber Meuchelmord ist es doch!“ Sein Gewissen, sein kultiviertes, lutherisch erzogenes, preußisches Gewissen rebel- lierte. Der ganze Sonntagabend – wir waren allein – war ausgefüllt mit einem langen seel- sorgerlichen Gespräch. An seinem Ende stand: „Es muß sein. Wir können nicht anders. Gott sei uns gnädig.“1841 Gerstenmaier, der nach seinem Bericht Moltke in der Gefängniszelle kurz vor dessen Hinrichtung von der Notwendigkeit des Attentats überzeugen konnte1842, nannte drei Gründe für die anfänglich negative Haltung Moltkes zum Attentat:

1. Der Staatsstreich komme doch nicht zustande, die Generale ‚täten nichts’. 2. Komme das Attentat, so könne es keinen deutschen Sieg mehr bringen. 3. Für den verlorenen Krieg werde das Attentat verantwortlich gemacht. Eine überdimensionale Dolchstoßlegende1843 würde produziert.1844 Hoffmann bezeichnet Moltkes Haltung vor allem als Antithese zum herrschenden Re- gime, „also als Abwehr jeglicher Gewalt und Brutalität, konsequenterweise auch für Gegenmaßnahmen“1845. Zu Hans Christoph von Stauffenberg, einem Vetter Claus von Stauffenbergs, sagte Moltke: „Man darf etwas Neues, eine Erneuerung nicht mit einem

1835 MBF S. 289. 1836 Dies bestätigt auch Theodor Steltzer, Brief an Roon, 07.12.1961. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1837 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 105. 1838 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 112. 1839 Davida von Moltke, geb. Yorck von Wartenburg, Ehefrau des Botschafters Hans-Adolf von Moltke. 1840 Steltzer, Theodor: Brief an Roon, 31.08.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1841 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 180. 1842 Gerstenmaier, Zu dem Buch Roons 1967, S. 234. 1843 Gaevernitz, Gero von (Mitarbeiter von Allen W. Dulles in Genf), 01.04.1964: „Eine solche Dolch- stoßlegende hätte aber eine möglichst vollständige Ausmerzung der nationalsozialistischen Ideologie in Deutschland stark behindert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht“; in: IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 1844 Gerstenmaier, Helmuth James Graf Moltke 1994, S. 290. 1845 Hoffmann, Widerstand – Staatsstreich – Attentat 1985, S. 457. 316 Vergemeinschaftende Quellen neuen Unrecht anfangen.“1846 Trotz dieser Haltung zum Attentat arbeitete Moltke, be- sonders nach Stalingrad, stets auf einen Umsturz hin.

In der Literatur wird Moltke fast einheitlich als Gegner eines Attentats aus ethisch- religiösen Gründen dargestellt, jedoch nicht notwendigerweise als ein Gegner eines Umsturzes. Moltkes Grundhaltung brachten kurz nach dem Krieg als Erste seine engli- schen Freunde 1948 zum Ausdruck:

In their view the most important task connected with the downfall must be to clarify the is- sues involved, even at the risk of delaying the event. But if the war were to be lost by an in- ternal German revolt, the issues would be obscured and not clarified, since there would then be no convincing answer to subsequent apologists who argued – like those maintaining the „Dolchstoss” theory after 1918 – that, but for the failure of the German people to hold to- gether, the war would have ended in victory and not defeat.1847 Die Kämpfe, die Moltke mit einem Teil seiner Freunde hatte und die im Kapitel über die Dekonstruktion des Kreisauer Kreises beschrieben wurden, bezogen sich auf die von Moltke abgelehnte „aktivistische Linie“ des Goerdeler-Kreises, die das Attentat zum Ziel hatte.

Moltke wird man in dieser Frage am ehesten gerecht, wenn man seine Haltung zum Attentat dynamisch betrachtet. Sein absolutes Nein schien nach Stalingrad und den Be- richten von Gräueltaten aus dem Osten nicht mehr in dieser Form bestanden zu haben. Seine Behauptung im letzten Brief1848, er sei Gott dankbar, dass er nicht in das Attentat verwickelt sei, kann natürlich auch aus Vorsichtsgründen geäußert worden sein. Auch in der Vorbereitungsphase seiner Verteidigung im Herbst 1944 trat Moltke immer wieder den belastenden Aussagen von Sperr, er habe von den Attentatsplänen Goerdelers ge- wusst1849, entgegen. So schrieb er am 30. September 1944 seiner Frau, dass er die Goer- deler-Pläne immer bekämpft habe und enttäuscht sei, dass Yorck von dieser Linie abge- gangen sei und er nicht für Peters Schuld haften wolle1850, und bat seine Frau, in Krei- sau klarzulegen, dass er „in keinem direkten Zusammenhang mit dem 20. Juli stehe und nur durch Freunde da hineingerissen worden“1851 sei. Am 18. Oktober 1944 formulierte Moltke in einem Brief an SS-General Heinrich Müller1852: „Wäre ich frei gewesen, so hätte ich auch nicht nur für meine Person verhütet, dass diese Arbeiten [„Kärung von

1846 Roon, Neuordnung 1967, S. 285. 1847 Cumberledge, A German of the resistance 1946, S. 18. 1848 MB S. 623. 1849 HFM S. 141: „Sperr habe mit mir [Moltke; A. d. V.] über Umsturz generell gesprochen und nicht nur über Nachkriegspläne.“ 1850 HFM S. 40. 1851 HFM S. 43. 1852 Chef der Gestapo im Reichssicherheitshauptamt. 317 Vergemeinschaftende Quellen

Grundsätzen“1853; A. d. Verf.] in das Schlepptau der alten Politiker genommen wur- den.“1854

In der bereits bei der Beschreibung des Werdens des Kreisauer Kreises erwähnten Be- gegnung Lukascheks mit Moltke im Jahre 1938 vor der Münchener Konferenz wusste Moltke von den Kriegsvorbereitungen Hitlers, dem geplanten Angriff auf die ČSR, aber auch von dem geplanten Staatsstreich, als dessen führende Köpfe er Beck, Halder und Goerdeler nannte. Im Frühjahr 1940, so berichtet Christiansen-Weniger von einem an- deren Treffen, wurde zwischen Moltke, Yorck, Einsiedel und ihm eingehend die Ableh- nung eines Attentates durch den Kreis erörtert. Die Überzeugung war, „daß durch ein Attentat die Krankheit des Nationalsozialismus keineswegs überwunden werden kön- ne“. Es bestünde im Gegenteil die Gefahr, daß ein Märtyrer-Mythos geschaffen werde, der gefährliche Folgen haben könne, da er eine spätere geistige Neuorientierung er- schweren würde.1855

Ein Jahr später fand das bereits erwähnte Gespräch zwischen Moltke und Rösch statt, wo beide einen „Mord“ ausschlossen. Hier bemerkte Moltke jedoch: „Aber es gibt an- dere Wege.“1856 Im gleichen Jahr 1941, als man allmählich ein Attentat als unausweich- lich ansah, antwortete Moltke auf die bereits angeführte Frage an Christoph von Stauf- fenberg, den Moltke 1938 in London kennengelernt hatte, ob es denn „nicht endlich einen [gibt], der diesen Hitler über den Haufen schießt“1857: „Wir sind keine Verschwö- rer, wir dürfen es gar nicht erst versuchen; es würde schiefgehen, wir würden es dilet- tantisch machen“, und Moltke schloss an: „Wir sollten uns aber mit der Frage befassen, was geschehen soll, wenn jemand doch Hitler zu Fall bringen sollte oder wenn er ein Unglück hat. Ein solches Ereignis darf uns nicht unvorbereitet finden.“1858 Moltke rech-

1853 HFM S. 87. 1854 HFM S. 87. Damit waren die Attentatspläne der Goerdeler-Gruppe gemeint. 1855 Christiansen-Weniger, Fritz: Meine Mitarbeit im Kreisauer Kreis, 19.08.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 2, S. 2; siehe auch Blessing, Karl: Brief an Roon, 24.01.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 1: „Die dem Kreis zugehö- renden Männer waren erschüttert über das, was in diesen Jahren im deutschen Namen geschehen ist, sie beklagten den Verlust jeder Rechtsbasis und litten sehr unter dem moralischen Niedergang. Die Gesprä- che drehten sich um das, was zu geschehen hätte, wenn Hitler ausgeschaltet sei. Graf Moltke war sehr religiös eingestellt und […] dachte […] nicht an Tyrannenmord, sondern hoffte auf andere Möglichkeiten zur Ausschaltung Hitlers und seiner Leute“; siehe auch Bonnesen, Merete: Brief an Roon, 28.06.1962. IfZ ZS/A-18, Bd. 1: „Das wichtigste für ihn war doch ohne Zweifel, dass er meinte, dass das deutsche Volk die Niederlage ganz erleben musste, dass das Volk sehen und erkennen musste, was in seinem Namen geschah und dass nur durch diese Niederlage eine Dolchstoßlegende zu vermeiden war. Ohne eine solche Erkenntnis hatte, meinte er, das deutsche Volk keine Zukunft, nur durch das Erkennen könnte es sich ein moralisches Recht für eine weitere Existenz erkämpfen.“ 1856 Bleistein, Rösch 1998, S. 307. 1857 Roon, Neuordnung 1967, S. 285. 1858 MBF S. 156. 318 Vergemeinschaftende Quellen nete also mit einem Attentat und wollte das „Danach“ vorbereiten. Moltke soll auch Christoph von Stauffenberg nach dessen Vetter Claus gefragt haben: „Wäre mit dem nichts zu machen?“ Darauf soll Moltke über den Bruder von Claus, Berthold, die Ant- wort bekommen haben: „Wir müssen zuerst den Krieg gewinnen. Während des Krieges darf man so was nicht machen, vor allem nicht während eines Krieges gegen die Bol- schewisten.“1859 Mit „so was“ war nach Roon ein Staatsstreich und kein Attentat ge- meint.1860 Viel später soll Moltke zu Christoph von Stauffenberg gesagt haben: „Na, mit ihrem Vetter Claus ist inzwischen ja doch einiges zu machen.“1861

Am 16. November 1941 traf Moltke General Föhrenbach1862, dem er einen „Vorschlag“ unterbreitete, worauf sich dieser „Bedenkzeit“ erbat, nachdem er gesagt hatte: „Die Sa- che ist sehr gut. Ich weiß keinen besseren Weg, aber ich bin dafür nicht gut genug.“1863 Für Freya war dieser Vorschlag Moltkes an General Föhrenbach der Antrag zur Füh- rung eines Staatsstreichs gegen Hitler.1864 Freya sagte 1993 zu den Staatsstreich- Überlegungen:

Mein Mann hat ununterbrochen unter diesem Konflikt gelitten. Ist es besser, Hitler zu be- seitigen oder auf das Kriegsende zu warten? Er war nicht gegen den Umsturz per se, aber er fürchtete, dass er mit schrecklichen Folgen misslingen könnte; und wenn er gelänge, die Verantwortung für die Niederlage von Hitler wegnehmen könnte, um sie dann wieder Gruppen in die Schuhe zu schieben, die damit gar nichts zu tun haben.1865 Wenn Moltke einen Staatsstreich anfänglich für notwendig erachtete, so begann er 1942, seine Meinung zu ändern. Moltke hoffte im Herbst 1942 auf eine militärische Niederlage der Deutschen.1866 Er erteilte dem Drängen in den eigenen Reihen nach einer Lösung durch ein Attentat eine schroffe Absage: „Wenn Generale putschen, dann geht es fast immer haarscharf daneben.“1867 Noch im Frühjahr 1942 hatte er an den Erfolg eines Umsturzes geglaubt, als er an Curtis schrieb:

1859 Stauffenberg, Christoph von, 02.08.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1860 Roon, Neuordnung 1967, S. 286. 1861 Stauffenberg, Christoph von, 02.08.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1862 MB S. 323 f. 1863 MB S. 324. 1864 MBF S. 166. 1865 Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg, Widerstand 1993, S. 19. 1866 MB (08.11.1942/10.11.1942) S. 432 ff. 1867 Briefliche Äußerung Moltkes gegenüber Hans Heinrich von Portatius, 1943. IfZ, ZS/A-18, Bd. 6; siehe auch: Schmid, Carlo: Brief an v. z. Mühlen, 31.12.1948. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5 (Moltke und Carlo Schmid trafen sich auf einer Völkerrechtstagung in Berlin und Moltke besuchte Carlo Schmid öfter in Lille oder hatte mit ihm Kontakt über OLT von Haeften, der als Kurier fungierte): „Eines Tages kam Herr von Portatius mit einem Brief Moltke’s zu mir, der in äußerster Depression geschrieben zu sein schien und dessen Inhalt etwa war: Es sei nunmehr sicher, dass mit Generalen nichts anzufangen sei; man werde bis zum bitteren Ende warten müssen.[hier folgt dann die Aussage Moltkes, dass er wohl gehenkt würde; A. d. V.] Aus den Gesprächen mit H. M. [Herr Moltke; A. d. V.] ging deutlich hervor, dass er bis zu einem bestimmten Zeitpunkt daran geglaubt hat, dass das Naziregime durch einen Gewaltstreich von 319 Vergemeinschaftende Quellen

Wir haben nur dann Aussicht, unser Volk dazuzubringen, diese Schreckensherrschaft schließlich zu stürzen, wenn wir ihm ein Bild jenseits der schrecklichen, hoffnungslosen nächsten Zukunft zeigen können. Ein Bild, wonach zu streben, wofür zu arbeiten, woran zu glauben, wofür neu zu beginnen sich für das enttäuschte Volk lohnt. […]. Wie kann das Bild des Menschen in den Herzen unserer Mitbürger wiederhergestellt werden? Das ist eine Frage der Religion, der Erziehung, der Bindungen an Arbeit und Familie, des richtigen Verhältnisses von Verantwortung und Rechten.1868 Das Jahr 1943, das letzte Jahr für Moltke in Freiheit, war geprägt durch einen ständigen Kampf mit einigen Freunden in der Attentatsfrage und, angesichts der aussichtslosen militärischen Lage und der Gräueltaten, durch eine ständige Herausforderung zu Atten- tats- und Umsturzplanungen sowie der Klärung seiner eigenen Stellung dazu. In diesem Jahr ist von zwei Staatsstreichplänen im März und im August die Rede. Moltke, der Attentatsgegner aus ethisch-religiösen Gründen, vergewisserte sich in Verlauf des Jah- res über die Frage, ob ein Attentat christlich verantwortbar sei. Er beteiligte sich an wei- teren Umsturzplänen, obwohl er andererseits überzeugt war, dass man keinen Staats- streich, sondern eine Revolution brauche, befürwortete eine gewaltsame Entfernung Hitlers, sprach sich dann dafür aus, Hitler leben zu lassen, damit dieser und seine Partei die Verantwortung für das verhängnisvolle Schicksal des deutschen Volkes trage.

Zu Beginn des Jahres 1943 zeigte sich Moltke wiederum gegenüber seiner Frau unge- halten über eine fehlgeschlagene Aktion und spielte damit vermutlich auf einen miss- lungenen Umsturzversuch einiger Militärs an.1869

Am 19. März 1943 besuchte Moltke den internierten Bischof Eivind Berggrav in Oslo und besprach mit ihm die Problematik des Attentats. Nach Berggrav war Moltkes erste Frage: „Können Sie als Christ eine Rechtfertigung für den Tyrannenmord finden?“ Berggrav hatte diese Frage bereits durchdacht und antwortete „prinzipiell ja“, der Ty- rannenmord, eine in der christlichen Geschichte umstrittene Frage, könne in gewissen

innen, den gewisse militärische Befehlshaber zu führen haben würden, gestürzt werden könne (gelegent- lich sprachen wir von Falkenhausen in diesem Zusammenhang; Graf Moltke hatte keine große Meinung von seiner Entschlußfreudigkeit). Ebenso sicher ist aber, dass er später an diese Möglichkeit nicht mehr geglaubt hat und dass ihn mehr als der Gedanke eines gewaltsamen Umsturzes des Regimes der andere Gedanke beschäftigt hat, in welcher Weise sich eine geistige und moralische Elite vorbereiten müsse, um den Aufgaben gewachsen zu sein, die ‚nachher’ zu bewältigen sein würden. Ebenso klar ging aus allen seinen Gesprächen hervor, dass für ihn der ‚Widerstand’ gegen das Böse in der Macht schlechthin meinte, wo immer dieses Böse sich zeigen mochte, und dass er tief davon durchdrungen war, dass alle Menschen, ohne Rücksicht auf ihre Nationalität, die Pflicht hätten, sich gegen die böse Macht überall dort zu wen- den, wo sie sich befand. Insoweit trug sein Widerstandswillen durchaus gesamteuropäischen Pathos.“ 1868 MBF S. 185. 1869 MB (04.03.1943) S. 458. Es handelte sich um das geplante Attentat auf Hitler am 13.03.1943 bei dessen Besuch bei der Heeresgruppe Mitte in Smolensk; siehe: Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler 1946, S. 64. 320 Vergemeinschaftende Quellen

Fällen gerechtfertigt werden.1870 Berggrav wies Moltke jedoch im Falle der Beseitigung Hitlers auf die schwierigere Aufgabe hin „eine neue Regierung zu schaffen, die in der Lage sein würde, Frieden herbeizuführen“1871. Berggrav hielt es Anfang 1943 allerdings für zu spät, Hitler zu beseitigen. Aus seiner Sicht müssten Moltke und seine Gruppe helfen, eine zivile Regierung vorzubereiten und insoweit mit der Attentatsgruppe quasi als deren Sicherung nach dem Attentat zusammenarbeiten. In der weiteren Diskussion war Berggrav von Moltkes gezeigter Verantwortung für das deutsche Volk tief beein- druckt.1872

Noch auf der gleichen Reise schrieb Moltke am 25. März von Oslo aus an seinen Freund Curtis, „we need a revolution not a coup d’état“1873 und dass man sich auf die Generale nicht verlassen könne.

Im Juni 1943 gab es ein für unseren Zusammenhang bemerkenswertes Treffen Moltkes mit General von Falkenhausen.1874 Dieser erinnert sich:

Aus dieser Zeit ist mir noch ein Zusammentreffen mit Graf Moltke in Erinnerung, den ich bei gemeinsamen Freunden traf. Er war dienstlich nach Paris gekommen, um nach Mitteln zu suchen, das von Hitler eingeführte verhängnisvolle und unmenschliche System der Gei- selerschießungen abzuschaffen. Auf dem gemeinsamen Heimweg präzisierte ich meine An- sicht dahin, dass man um jeden Preis Hitler gewaltsam beseitigen müsse. Er widersprach und sagte: „Lassen Sie ihn leben, er und seine Partei müssen bis zum Ende die Verantwor- tung für das verhängnisvolle Schicksal tragen, das sie dem deutschen Volk bereitet haben, nur so lässt sich die nationalsozialistische Ideologie ausrotten.“1875

1870 Berggrav, Attentat 1943, S. 2; Heling, Die Theologie Eivind Berggravs 1992, S. 254: „Wenn der Kutscher trunken ist“ – Über die Pflicht zum Widerstand. 1871 Berggrav, Attentat 1943, S. 234. 1872 Berggrav, Attentat 1943, S. 234. 1873 MBF S. 217: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. Dass nicht ein Staatsstreich, sondern eine Wiederaufrichtung des deutschen Volkes nur nach einer „Rei- nigung“ notwendig sei, fasste Lilian T. Mowrer nach dem Krieg so zusammen: „Helmuth considered Nazism a perversion of the human spirit and its pernicious effects would not necessarily be extinguished by mere military defeat. His resistance movement, therefore differed radically from the conventional coup d’état. More than anything else he sought to provide for Christian humanistic government which would be able to pick up the pieces after Hitler’s downfall and bring Germany back into the realm of Western civilization.[…] He was much more interested in founding a new Germany than in the immediate destruc- tion of the Nazis. This attitude was not fully grasped abroad. When Dorothy Thompson made her broad- casts ‚LISTEN HANS!’ which friends knew she was addressing to Helmuth Moltke she seemed not to understand that these scruples concerning the taking of violent action were due to no lack of initiative and physical courage. He knew the end of Nazism was inevitable – and she refused to identify himself with Gördeler’s murder plot because he was convinced that the sudden collapse of Hitler, before the issues were clarified, before in fact Germany was purified would be indefinitely more disastrous for Germany and the whole world than a few more months of Hitler rule. This was the core of his thinking, and it was the very essence of his being”; in: Mowrer, Lilian T: Brief, 01.03.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5, S. 6 (Unter- streichungen übernommen; A. d. V.). 1874 MB (8.6.1943) S. 488 ff. Nach Husen war auch Zweck der Reise, „Leber, einen unbedingten Anhän- ger eines Systemwechsels auf gewaltsamen Wegen, mit Generaloberst v. Falken hausen in persönliche Verbindung zu bringen. Dieser Plan zerschlug sich jedoch, weil Falkenhausen erkrankte und den Kampf absagen musste“, in: Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2. 1875 Falkenhausen, Gotthard von: an Roon, 23.04.1963. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 321 Vergemeinschaftende Quellen

Bei seiner ersten Türkei-Reise im Juli 1943 in der Begegnung mit Rüstow erklärte Moltke jedoch, er sei gegen ein Attentat auf Hitler, nicht aber gegen seine gewaltsame Entfernung.1876

Von solchen Umsturzversuchen wusste Moltke und war möglicherweise auch darin verwickelt. Die Planung eines Umsturzversuchs, der allerdings wieder erfolglos war, schilderte er am 10. August 1943 seinem Freund Lukaschek, den Moltke gebeten hatte, nach Berlin zu kommen.

Er berichtete, so Lukaschek, dass Hitler mit Göring und Himmler am 13.8. nach Wolfs- schanze, dem Hauptquartier in Ostpreußen, kommen würde. Die Panzerdivision, die die Bewachung dort führte, sei fest in der Hand von zur Tat entschlossenen Männern. Hitler und Genossen würden dort gefangen gesetzt und anschließend vor ein Gericht gestellt wer- den. Beck werde eine Proklamation verkünden, deren Wortlaut er mir vorlas, Goerdeler werde die Regierung bilden usw.1877 Dass Moltke in diesen Umsturz verwickelt war, lässt sich an zwei Tatsachen festma- chen. Zum einen überreichte Moltke Lukaschek eine „Urkunde“, in der dieser zum Reichskommissar für die Ostprovinzen ernannt und ihm als besondere Aufgabe der Schutz der deutschen Grenze anvertraut wurde1878, und zum anderen hatte Moltke mit einem kleinen Kreis der Freunde unter großem Zeitdruck die sogenannten „Grundsatz- erklärungen des Kreises“ noch vorher verabschiedet. In Erwartung des Staatsstreichs der oppositionellen Militärs am 13. August 1943 entwarfen sie1879 in der Nacht vom 08. auf den 09. August in konzentrierter Arbeit die bereits dargelegten „Grundsätze für die Neuordnung“, in denen in komprimierter Form die Kreisauer Vorschläge zusammenge- fasst sind. Das Einleitungskapitel der „Grundsätze“, die im Stil einer Regierungserklä- rung bzw. eines Regierungsprogrammes abgefasst sind, ist die allumfassende Deklara- tion der Kreisauer:

Die Regierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die Über- windung von Haß und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft. Der Ausgangspunkt liegt in der verpflichtenden Besinnung des Menschen auf die göttliche Ordnung, die sein inneres und äußeres Dasein trägt. Erst wenn es gelingt, diese Ordnung zum Maßstab der Beziehungen zwischen Menschen und Völkern zu machen, kann die Zer- rüttung unserer Zeit überwunden und ein echter Friedenszustand geschaffen werden. Die innere Neuordnung des Reiches ist die Grundlage zur Durchsetzung eines gerechten und dauerhaften Friedens. Im Zusammenbruch bindungslos gewordener, ausschließlich auf die Herrschaft der Technik gegründeter Machtgestaltung steht vor allem die europäische

1876 MBF S. 261. 1877 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 8. 1878 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 8. 1879 Neben Moltke und Yorck waren beteiligt: Trott, Steltzer, Mierendorff, Haubach und van Husen. Sie fertigten und verabschiedeten dieses Dokument bis Montagmorgen um 4.30 Uhr; vgl. den Brief Moltkes an seine Frau Freya vom 10.08.1943; MB S. 523 f. sowie den Brief Yorcks vom 09.08.1943 nach Mün- chen, in dem er schrieb, dass die mitgeschickten Anlagen erst Montagmorgen um 4.30 Uhr fertiggestellt und verabschiedet worden seien; in: Bleistein, Dossier 1987, S. 340; MBF S. 232 f. 322 Vergemeinschaftende Quellen

Menschheit vor dieser Aufgabe. Der Weg zu ihrer Lösung liegt offen in der entschlossenen und tatkräftigen Verwirklichung christlichen Lebensgutes.1880 Es fällt außerdem auf, dass Moltke am 10. August 1943 seiner Frau ein neues Testa- ment schickte und sie bat, das „Anerben“ des Sohnes Caspar nach dem Reichserbhofge- setz in die Wege zu leiten.1881 Dies waren außergewöhnliche Maßnahmen, die man unternimmt, wenn man eine Lebenszäsur, positiv oder negativ, erwartet.

Reisert1882 berichtet von einem weiteren Umsturzversuch unter Beteiligung Moltkes. Einige Generäle sollen auf Vermittlung Moltkes mit dem Vorschlag an Sperr herange- treten sein, Bayern solle mit einem bewaffneten Aufstand Hitler auf dem Obersalzberg festnehmen, sie würden dann auch losschlagen.1883 Die Existenz dieses Planes wurde von Steltzer bestätigt.1884 In dem Brief an Freya vom 20./21. September 19431885 scheint Moltke auf diese Unterredungen mit Sperr in München hingewiesen zu haben.

Der Widerspruch zwischen dem Abschiedsbrief, in dem Moltke herausstrich, „er habe nur gedacht“, und den Umsturzversuchen, in die er verwickelt war, löst sich nach Luka- schek insoweit auf, als Moltke durch diese Betonung der Gewaltfreiheit denen beistehen wollte, die nach ihm abgeurteilt wurden.1886 Husen kam zu einem anderen Ergebnis. Er sprach Moltke eine durchaus aktive Rolle bei der Umsturzplanung zu. Zur Zeit seiner Verhaftung habe Moltke ganz und gar auf dem Standpunkt gestanden, dass versucht werden müsste, „das Hitler-System mit Gewalt zu beseitigen, wenngleich er den Aus- gang eines solchen Versuches nicht optimistisch beurteilte, im tiefsten Inneren doch vom schicksalhaften Ablauf der Katastrophe überzeugt war“1887. Als Hinweis für seine These diente Husen zum einen die Ankara-Reise mit der nicht verwirklichten Absicht, unter Umständen in einer amerikanischen Uniform nach Kairo zu fliegen, um dort mit den Amerikanern in Kontakt zu treten, zum anderen der geplante Besuch bei General von Falkenhausen. Hinsichtlich des in der Attentatsfrage anderslautenden Abschieds- briefs Moltkes erklärte Husen, dass dessen Kernpunkt der „sichtbare werdende Stolz [sei], dass ihm nichts anderes als das Denken nachgewiesen worden sei. Es spricht aus

1880 Grundsätze für die Neuordnung; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 307. 1881 MB (10.8.1943) S. 524. 1882 Reisert, Franz, 1889-1965, Rechtsanwalt in Augsburg, Kontakt zum Kreis um Sperr und über Augus- tin Rösch und Alfred Delp zu Helmuth James von Moltke, verurteilt zu fünf Jahren Zuchthaus. 1883 Roon, Neuordnung 1967, S. 284. 1884 Steltzer, Theodor: Brief an Roon, 31.08.1964, IfZ, ZS/A-18, Bd. 7. 1885 MB S. 544: Morgens frühstückte Moltke mit Reisert und von einer Nachmittagssitzung in München schrieb er: „Gestern Nachmittag sind wir ganz nett weitergekommen.“ 1886 Lukaschek, Hans: „Was war und wollte der Kreisauer Kreis“, 20.02.1958. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4, S. 8. 1887 Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2. 323 Vergemeinschaftende Quellen diesen Zeilen der Stolz auf das Funktionieren des von ihm als Verschwörer aufgezoge- nen Apparates, der einen anderen Nachweis zu führen unmöglich gemacht hat.“1888

Betrachtet man die Quellenlage, so kann man feststellen, dass Moltke aufgrund der sich verschärfenden innenpolitischen und militärischen Situation von der ursprünglichen gewaltfreien Position1889 abwich, einen Umsturz zwar guthieß, aber ein Attentat auf Hitler ablehnte. Dies muss allerdings insoweit eingeschränkt werden, als Moltke nicht ausschließen konnte, dass bei einem Umsturz mit dem Ziel einer Festnahme Hitlers, um ihn vor Gericht stellen zu können, dieser aufgrund einer unerwarteten Situation nicht doch ermordet werden würde. Außerdem mag der Ratschlag Berggravs, trotz Ableh- nung eines Attentats mit den Attentätern zusammenzuarbeiten, um das „Danach“ abzu- sichern, bei Moltke wirksam gewesen sein. Denn Moltke war klar, dass mit einem At- tentat das geistige Grundübel nicht beseitigt sei und ohne eine langfristige Änderung der geistigen Grundhaltung gegenüber dem Staat und der Demokratie die Deutschen keine politische Zukunft hätten. „Es ging ihm um die geistige Überwindung des Nationalso- zialismus, ohne die ein politischer Neuaufbau nicht möglich war.“1890

Zu seinen vorherrschenden ethisch-religiösen Gründen für eine Attentatsablehnung ka- men mit Sicherheit auch noch pragmatische Gründe hinzu, zumindest bis zum August 1943. Im Frühjahr 1943, als sich zum ersten Mal aufgrund der militärischen Lage die Frage des Umsturzes drängend stellte, vorher waren solche Überlegungen für die Kreis- auer tabu, erblickte Moltke noch keine Gelegenheit zum Handeln.1891 Die Kreisauer Planungen waren noch nicht ausgereift, der Ausgleich mit den Sozialisten war noch nicht geschaffen, das Zusammentreffen mit Beck und Goerdeler am 08. Januar 1943 deckte schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten auf.1892 Moltke hoffte auf eine „ge- sunde, organische Lösung“, die er durch einen überstürzten Umsturz oder ein Attentat in Gefahr sah. „Tatsächlich muss eben noch viel mehr in Schutt und Asche liegen, ehe die Zeit reif ist.“1893 Die verstärkte Arbeit, um die Kreisauer Grundsatz- oder „Regierungs“- Erklärung bis zum 09. August1943 fertigzustellen, zeigt jedoch, dass sich Moltke nicht mehr gegen den Lauf der Dinge stemmte.

1888 Husen, Paulus van: Interview mit v. z. Mühlen o. D. BA NL 166-151, S. 2 (Unterstreichung über- nommen). 1889 Ursprünglich war für die Kreisauer die Überlegung eines Umsturzes tabu, weil sie davon ausgingen, dass der Zusammenbruch durch einen selbsttätigen Prozess herbeigeführt werde. 1890 Maier, Der Kreisauer Kreis im deutschen Widerstand 2007a, S. 4. 1891 Mommsen, Die künftige Neuordnung Deutschlands und Europas 1993. S. 8 f. 1892 MB (9.1.1943) S. 450 f. 1893 MB (4.8.1943) S. 519. 324 Vergemeinschaftende Quellen

Nach Poelchau, der Moltke fast täglich in der Tegeler Haft besuchte, habe Moltke selbstverständlich zu seinen Freunden gehalten und nicht vor der Gestapo versucht, sich von ihnen zu distanzieren, obwohl er noch in der Haft ihm gegenüber seinem Bedauern über die Teilnahme der Kreisauer am 20. Juli Ausdruck gab.

Er hielt die Verbindung von so heterogenen Gruppen, wie die Gruppe der deutschnationa- len Wirtschaftsführer um Dr. Goerdeler, die immer den Sozialismus bekämpft hatte, den aristokratischen Offiziersgruppen und den Vertretern des Sozialismus, für widernatürlich. Er glaubte nicht, daß daraus ein konstruktives Werk entstehen könne. Er sah – im Gegenteil – den frühzeitigen Abbruch einer politischen Bewegung, die nicht zum Ausreifen kommen konnte und nur ein Chaos hinterlassen musste.1894 Dies kann man als einen späten Beweis der Vergemeinschaftung werten.

Wenn man sich fragt, was aus dieser Attentatsfrage als „Neuordnung“ in das Nach- kriegsdeutschland hinüberreichte, so kann man Lill beipflichten:

Die Rückkehr der Hitlergegner zum Naturrecht, die Wiederverankerung überpositiver und vorstaatlicher Rechtsprinzipien im staatsrechtlichen Denken, die ihr Opfer überdauert hat, ist daher ihr bleibendes Verdienst: Bei der Begründung der Verfassung der Bundesrepublik als einer wertgebundenen Ordnung hat dieser Ansatz strukturierend gewirkt.1895 Aber es gilt auch, dass der Kreisauer Kreis erst durch die Tat von Trott und Stauffen- berg, die den engsten Kontakt zwischen den Freunden und den Verschwörern des 20. Juli bildeten, seine Strahlkraft erhielt.1896

1894 Poelchau, Die letzten Stunden 1987, S. 105. 1895 Lill, Widerstand: Resonanz 1994, S. 18. 1896 Winterhager, Zukunftsplanung 2009. S. 25 325 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

5 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Nachdem die Stellung des christlichen Glaubens bei der Betrachtung des Widerstandes und insbesondere bei der Frage des Tyrannenmordes schon teilweise behandelt wurde, soll in Anlehnung an Klemperer1897 noch gefragt werden, inwieweit der christliche Glaube half, die Widerständigkeit zu bewältigen, oder ob der Widerstand der Kreisauer ohne die Kategorie des christlichen Glaubens überhaupt erklärbar ist. Dies gilt insbe- sondere für die existenzielle Auseinandersetzung „im Angesicht des Todes“1898 derjeni- gen Kreisauer, die kurz vor oder nach dem Attentatsversuch 1944 in Haft genommen und dann teilweise hingerichtet wurden. Da die Kreisauer beiden christlichen Konfes- sionen angehörten, konnten sie nur in ökumenischer Haltung agieren. Deshalb soll auch nach den besonderen ökumenischen Anstrengungen der Einzelnen gefragt werden. Die- ser Fragestellung sollen die allgemeine Situation der Ökumene in der Zwischenkriegs- zeit, die vom Kreisauer Kreis den Kirchen zugedachten Aufgaben, ihre Erwartungen an die konfessionelle Zusammenarbeit und Hinweise zu der von den Kreisauern aktuell gelebten praktischen Ökumene vorangestellt werden.

In der Zwischenkriegszeit trat, parallel zu einer erneuten Sicht der Kirche, die nun stär- ker als Gemeinschaft und Mysterium verstanden wurde, die konfessionelle Apologetik und Kontroverse zurück. Die höchste Ausdrucksform der Kirche, die Liturgie, rückte in den Mittelpunkt des Interesses und wurde den Gläubigen durch unzählige Schriften er- schlossen.1899 Dies galt für die Mitglieder beider Kirchen; so bildete sich auch die be- reits genannte hochkirchliche Bewegung der Michaelsbruderschaft in der evangelischen Kirche heraus. Das Bestreben setzte sich durch, die getrennten Gemeinschaften besser kennenzulernen, der Unterschiede in Dogma und Frömmigkeit gewahr zu werden, Vor- urteile abzubauen und „durch besseres Verstehen eine theologische Verständigung vor- zubereiten“1900. Nach 1933 sollte als entscheidender Katalysator für katholisch- evangelische Dialoge der Druck des totalitären Regimes auf beide Konfessionen hinzu- kommen.1901 Paradoxerweise ließ die weitgehende Behinderung der Kontakte zur offi- ziellen, protestantisch dominierten ökumenischen Bewegung durch die Politik – Gers-

1897 Klemperer, Glaube, Religion, Kirche 1980. 1898 So lautet der Titel eines Buches mit Schriften von Delp aus Tegel; siehe Delp, Im Angesicht des To- des 1947. 1899 Ernesti, Ökumene im Dritten Reich 2007, S. 12. 1900 Wiedenhofer, Ökumenische Theologie 1980, S. 231. 1901 Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich 1977, S. 560-626. 326 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand tenmaier als Vertreter des Kirchlichen Außenamtes wurde die Teilnahme an der öku- menischen Weltkonferenz in Oxford im Jahre 1937 untersagt – neue Begegnungsfor- men und einen echten Dialog zwischen Protestanten und Katholiken, wie er auch im Kreisauer Kreis anzutreffen war, entstehen.1902 Dieser neue Dialog zwischen den beiden Kirchen blieb dem SD allerdings nicht verborgen, wie sein 56-seitiger Lagebericht von 1940 zeigt.1903

Wie in der Arbeit schon dargelegt, hatten die Planungen des Kreisauer Kreises nicht den gewaltsamen Umsturz, sondern vielmehr das Programm einer Nachkriegsordnung zum Ziel. Die geistigen Grundlagen des zukünftigen Gemeinwesens waren zu bedenken, „da die politische Katastrophe als Folge einer umfassenden moralischen Katastrophe gedeu- tet wurde“1904. Schon auf der 1. Kreisauer Tagung wurde den Kirchen die Aufgabe zu- gedacht, an der religiös-sittlichen Erneuerung mitzuarbeiten. Dabei waren die Kreisauer natürlich an einer engen Zusammenarbeit der beiden christlichen Kirchen interessiert und ausdrücklich wurde die Ökumene der vorhergehenden Jahre begrüßt1905, wie sich aus dem bereits zitierten Text „Erwartungen der Menschen an die Kirche“1906 ergibt, wo die Blindheit des Konfessionalismus gegeißelt und das Handeln beider Kirchen, die Ökumene voraussetzend, sowie die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Arbeiter- schaft/Gewerkschaften als möglich erachtet wird. Auch Poelchau arbeitete, wie schon erwähnt, als evangelischer Theologe an dem Gedanken der „Deutschen Christen- schaft“1907 zur Vertretung der gemeinsamen kirchlichen Anliegen bei kommunalen und staatlichen Stellen1908 mit, wobei dieser Vorstoß dann wieder fallen gelassen wurde. Als wesentliche Aufgaben der Kirchen betrachteten die Kreisauer u. a. die „Wiederver- christlichung der Arbeiterschaft“1909 und die Vermeidung eines religiös-kulturellen Chaos in einem unter Umständen besetzten Deutschland.1910 Für die Neuordnung Deutschlands und Europas sollte das Wertefundament des Christentums als Basis die- nen.

1902 Siehe auch Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 84. 1903 Lagebericht des SD „Wiedervereinigungsbestrebungen zwischen Katholizismus und Protestantis- mus“, BA-BER, R 58-5714, fol. 665r-692v. 1904 Ernesti, Ökumene im Dritten Reich 2007 S. 312. 1905 Bleistein, Kirche und Politik 1987b, S. 148 ff. 1906 Bleistein, Dossier 1987a, S. 184 ff. 1907 Bleistein, Dossier 1987a, S. 359; dort von Moltke aufgegriffen. 1908 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 357. 1909 Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985, S. 281, 264 f, 297; Delp I, S. 30; Bleistein, Ge- schichte eines Zeugen 1989, S. 258 f. 1910 Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985, S. 265. 327 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Da die Kreisauer offensichtlich ein hohes Interesse an der Überwindung der Differenzen der beiden christlichen Kirchen hatten, ergibt sich die Frage nach dem Gehalt ihres Ökumeneverständnisses. Eine Antwort kann sich aus der Betrachtung der Haltung Delps1911 zur Ökumene erschließen, da er die Kreisauer Texte in dieser Hinsicht wohl am meisten prägte. Er war zwar katholisch getauft, aber evangelisch erzogen worden, wandte sich jedoch kurz vor der Konfirmation wieder der katholischen Kirche zu und war im Grunde ein Konvertit. Es lässt sich eigentlich kein nennenswertes ökumenisches Engagement Delps feststellen, sondern vielmehr ein Abfinden mit der geschichtlichen Spaltung1912, wie es auch im Silvestergruß an Gerstenmaier 1944 zum Ausdruck kommt, wo er davon spricht, die Last der Trennung weiterzutragen. Diese Spaltung sei durch Liebestätigkeit und Diakonie zu überwinden.1913 Somit blieb Delp hinter dem aktuellen Diskussionsstand zurück, den er von seinem StdZ-Kollegen Max Pribilla ken- nen musste.1914 Im Gegensatz zu Delp war Pribilla ein Ökumeniker.1915 Es wäre aller- dings zu prüfen, inwieweit der in der sogenannten „Dritten Idee“ Delps dargelegte per- sonale Sozialismus Berührungspunkte mit dem religiösen Sozialismus der Schüler Til- lichs hatte und somit ökumenisches Gedankengut enthielt.1916 Auch bei Gerstenmaier und Poelchau gibt es quellenmäßig keine Belege für eine ökumenische Arbeit im eigentlichen Sinn, d. h. die theologische Überwindung der konfessionellen Spaltung. Gerstenmaier bereitete zwar die Oxforder Weltkirchenkonferenz 1937 im Auftrag des Kirchlichen Außenamtes, das auch für die Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche in der ökumenischen Bewegung zuständig war, wissenschaftlich vor, aber keiner der Beiträge ist der für den Kreisauer Kreis interessanten Frage der Annäherung der beiden christlichen Kirchen gewidmet.1917

1911 Bleistein, Alfred Delp SJ und die Ökumene, 1994, S. 16-19. 1912 Delp IV S. 319; „Und wenn wir wieder draußen sind, wollen wir zeigen, dass mehr damit gemeint war und ist als eine persönliche Beziehung. Die geschichtliche Last der getrennten Kirchen werden wir als Last und Erbe weiter tragen müssen. Aber es soll daraus niemals wieder eine Schande Christi werden. An die Eintopfutopien glaube ich so wenig wie Du, aber der Eine Christus ist doch ungeteilt und wo die ungeteilte Liebe zu ihm führt, da wird es uns besser gelingen als es unseren streitbaren Vorfahren und Zeitgenossen gelang. – Ich habe auch außer der Messe das Sakrament immer in der Zelle und rede mit dem Herrn oft über Dich. Er weiht uns hier zu einer neuen Sendung. Alles Gute und seinen gnädigen Schutz“; Kassiber von Alfred Delp an Eugen Gerstenmaier am 31. Dezember 1944, in: Delp IV, S. 76 f. 1913 Delp IV S. 319. 1914 Ernesti, Ökumene im Dritten Reich 2007, S. 23. 1915 Pribilla, Die Una-Sancta-Bewegung 1942. 1916 Müller, Delp – Ansätze einer ökumenischen Theologie 2010. S. 23. 1917 Gerstenmaier, Die Kirche und die Kirchen 1937. Hier postuliert Gerstenmaier „bestenfalls das Mit- und Nebeneinander der einzelnen Kirchen in einer zwischenkirchlichen […] Einheitsorganisation, nicht aber die allein in der Einheit des verkündigten Christus beschlossene, wahrnehmbar gegenwärtige Einheit der Una Sancta“; S. 125. 328 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Gleichwohl herrschte bei den Kreisauern ein ökumenischer Geist insofern, als sie die Überwindung der konfessionellen Spaltung zu ihren Zielen zählten. Ernesti bezeichnet den Kreisauer Kreis nicht nur als gemischt- oder überkonfessionell, sondern als intra- konfessionell.1918

Wichtig für die Kreisauer war die praktische Zusammenarbeit der Kirchen; sie wollten keine „Eintopfutopien“1919, sondern „versöhnte Verschiedenheit“1920. Kontroverse dog- matisch-theologische Fragen rückten eher in den Hintergrund, die Einheit in Christus, sein Dienst am Menschen sollte zum Grundkonzept eines neuen Deutschlands in einem befriedeten Europa werden.1921 So beginnt auch die Präambel der Grundsätze: „Die Re- gierung des Deutschen Reiches sieht im Christentum die Grundlage für die Überwin- dung von Haß und Lüge, für den Neuaufbau der europäischen Völkergemeinschaft.“1922 „Für einen bestimmten Bereich wurde dezidiert die Einheit als Einigkeit im Handeln postuliert und in den Debatten des Kreises vorweggenommen“, stellt Ernesti fest.1923 Die Wichtigkeit der Kirchen für die Kreisauer wird auch in den Briefen Moltkes an Cur- tis deutlich. In seinem Brief aus dem Jahre 1942 spricht er ein allmähliches geistiges Erwachen der deutschen Bevölkerung an, wobei das Rückgrat dieser Bewegung die beiden christlichen Konfessionen bildeten.1924 Ein Jahr später schreibt er von der Mobi- lisierung der Kirchen, die „in dieser Zeit Großartiges geleistet hätten“1925, durch die Opposition, somit von einem Baustein im Neuordnungskonzept. Die Kirchen waren für die Kreisauer zu einer „zur Rettung noch fähigen Macht“1926 geworden, mit dem Ziel, entfremdete Kreise wiederzugewinnen und den Menschen eine „innere Führung“1927 zurückzugeben. Die praktische Ökumene der Kreisauer führte nicht nur über Klassen- gegensätze und Konfessionen hinweg, sondern zentrierte die großen Themen für die Zukunft der Gesellschaft: „Menschenwürde, soziale Freiheit und ein befriedetes, ver- söhntes Europa.“1928 Die Kreisauer bezogen bei ihren Planungen die jeweiligen Kir- chenleitungen ein und achteten im Gesprächsprozess auf eine Rückbindung an katholi-

1918 Ernesti, Ökumene im Dritten Reich 2007. S. 317. 1919 Delp IV, S. 76. 1920 Müller, Delp – Ansätze einer ökumenischen Theologie 2010, S. 53. 1921 Müller, Delp – Ansätze einer ökumenischen Theologie 2010, S. 55. 1922 Grundsätze für die Neuordnung, in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 307. 1923 Ernesti, Ökumene im Dritten Reich 2007, S. 318. 1924 Brief Moltkes an Lionel Curtis, 18.04.1942. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99. 1925 Moltke, Brief an Curtis, 25.03.1943; in: Lindgren, Trotts Reisen nach Schweden 1970, S. 287. 1926 Bleistein, Dossier 1987a, S. 196. 1927 Bleistein, Dossier 1987a, S. 196. 1928 Müller, Delp – Ansätze einer ökumenischen Theologie 2010, S. 49; Bleistein, Dossier 1987a, S. 196- 200. 329 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand sche und evangelische Bischöfe.1929 Es bestanden Kontakte zu den Bischöfen Konrad von Preysing (Berlin), Kard. Michael von Faulhaber (München), Johannes B. Dietz (Fulda), Kard. Adolf Bertram (Breslau), Andreas Rohracher (Salzburg) und auf evange- lischer Seite zu Landesbischof Theophil Wurm (Stuttgart). So entwickelte sich im Kreisauer Kreis eine lebendige ökumenische Gesprächskultur, „während die offiziellen Kirchenrepräsentanten trotz der Bedrängung ihrer Kirchen durch Staat und Partei über gelegentliche Kontakte nicht hinauskamen.“1930

Die religiöse Ausgangsposition der Kreisauer war, wie im Kapitel 3.3 „Religiöse Ein- stellungen“ beschrieben, sehr unterschiedlich; deshalb ist es auch verständlich, dass die oben gestellte Frage individuell verschieden ausfällt. Da ist zunächst die Gruppe der kirchennahen Kreisauer, der Theologen der beiden Kirchen und der im kirchlichen Le- ben fest Verwurzelten wie Haeften, Steltzer, Gablentz und Yorck auf der evangelischen und Husen, Lukaschek sowie Peters auf der katholischen Seite. Eine zweite Gruppe war zwar eher kirchenfern, aber einige entwickelten in der Widerstandszeit in wachsendem Maß eine tiefe Gläubigkeit; dazu gehören die Sozialisten und Trott.1931 Diese Gruppe, allerdings ohne Leber, stellte zugleich die Mitglieder der sogenannten religiösen Sozia- listen1932 unter den Kreisauern, zu denen auch die kirchennahen Gablentz und Poelchau gehörten. Es handelte sich bei den religiösen Sozialisten um eine Gruppe, die „die Un- bedingtheitsforderung für den Menschen auch in seiner Ordnung der modernen Indus- triegesellschaft zur Erfüllung bringen wollte“1933. Der Begriff „religiöser Sozialismus“ ist leicht missverständlich, das Wort „religiös“ darf nicht konfessionell-kirchlich ver- standen werden.1934 Die Gruppe des „Bundes religiöser Sozialisten“ war allerdings um ein Heimatrecht der Sozialdemokraten in der evangelischen Kirche bemüht. „Sie wollte die geschichtlich bedingte Spannung zwischen Kirche und Sozialismus überwin- den.“1935 Dies beobachtete auch Trott1936 in seiner Analyse im September gegenüber W. A. Visser’t Hooft, die dieser in seinen „Notes on the Situation“ für die englische Kirche verwendete. Dort hieß es: „The socialists have been weakened by the fact that

1929 Dies wurde auch im sog. Kaltenbrunner Bericht an Martin Bormann vermerkt; KB S. 390 f. 1930 Brakelmann, Widerstand im Glauben 2007, S. 58. 1931 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 418. 1932 Tillich, Religiöser Sozialismus 1956, S. 508: Religiöser Sozialismus „suchte zu den religiösen Wur- zeln des Sozialismus vorzudringen und ihn auch in seiner säkularsten antireligiösen Form als Ausdruck eines letzten Selbstverständnisses menschlicher Existenz zu begreifen.“ 1933 Poelchau, Ordnung 1963, S. 26. 1934 Tillich, Religiöser Sozialismus 1956, S. 507. 1935 Poelchau, Ordnung 1963, S. 27. 1936 Trott war nicht Mitglied im Bund der religiösen Sozialisten, aber hatte in seinem Berliner Semester 1929 engen Kontakt mit ihnen; siehe Schott, Adam von Trott 2001, S. 82 f. 330 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand certain points of their programme have been carried out by the nazis rather than by themselves“, womit wohl die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gemeint war. Es heißt dann weiter:

The only kind of socialism which can continue to resist is that which is based on faith in the freedom and dignity of man. This is at the moment only to be found among a small élite. It is important to note, that these socialists turn increasingly to Christianity, since they have discovered that socialism needs a Christian basis in order to find sufficiently deep and inde- structible roots.1937 Die religiöse Situation von Moltke, Gerstenmaier und Delp, die die „una sancta1938 in vinculis“1939 im Tegeler Gefängnis, im Totenhaus bildeten, soll gesondert betrachtet werden.

5.1 Kreisauer, fest in Glauben und Kirche verankert

5.1.1 Haeften

Die religiöse Ausrichtung und die christlich-religiösen Motive Haeftens zum Wider- stand wurden bereits beschrieben. Böhm fasst diese Haltung zusammen in Haeftens fester Abneigung gegenüber dem Bösen1940 und in seinem christlichen Glauben1941. „Ein solcher Mann konnte nur ein kompromissloser Gegner des Nationalsozialismus sein. Zwischen ihm und dem System Hitlers herrschte […] Wesenshass. Jedes Element seines Charakters widersprach charakteristischen Merkmalen des Regimes“1942, führt Böhm in seiner Skizze aus. Auch seine Liebe zu Deutschland ließ ihn widerständig werden, er wollte Deutschland wieder christlich machen. „Denn im Abfall vom Chris- tentum sahen Haeften und sein Kreis den eigentlichen geschichtsmetaphysischen Grund der drohenden Katastrophe.“1943 Haeften forderte auch, dass der „homo publicus“ vom Theologen Hinweise für „konkrete Anwendungen christlicher Einsichten auf die Auf- gaben menschlicher Lebensordnung“1944 erhalte, „sub specie fidei christianae“1945, wie er hinzufügte. In diesem Punkt machte Haeften einen Unterschied zwischen der evange- lischen und katholischen Kirche aus:

1937 Boyens, Kirchenkampf und Ökumene 1973, S. 325. 1938 Es wird auf die „Una-Sancta-Bewegung“ angespielt. Diese wurde von Dr. Max Josef Metzger (1887- 1944) mit dem Ziel begonnen, die großen christlichen Konfessionen von der Wiedergewinnung der sicht- baren Einheit zu überzeugen. Er wurde mehrfach verhaftet, am 14.10.1943 vom VGH zum Tode ver- urteilt und am 17.04.1944 im Zuchthaus Brandenburg-Görden enthauptet; siehe auch: Metzger, Una Sancta 1941, S. 16-22. 1939 Delp IV S. 60 f. 1940 Böhm, Skizze 1946, S. 2. 1941 Böhm, Skizze 1946, S. 10 f. 1942 Böhm, Skizze 1946, S. 12. 1943 Böhm, Skizze 1946, S. 16. 1944 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 120. 1945 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 120. 331 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Trotz seiner Meinung, daß die Welt des Teufels sei, wird auch der Protestantismus nicht behaupten wollen, daß die Kirche zwar Christus, die Welt aber den Teufel zum Herrn habe. Immerhin ist dem Protestantismus das lebendige Bewusstsein davon verloren gegangen, daß alle irdischen Dinge […] in einem „ordo“ stehen,1946 den Augustinus die „civitas dei“ benennt. Der Katholizismus habe dies klarer erkannt, aber qua Kirche die falsche Konsequenz gezogen, ein für alle Mal verbindliche Sozial-, Staats- und Gesellschaftsdoktrinen zu entwickeln. Der Protestantismus sei hier oft freier, „aber er muß endlich inne werden, daß er in der Lage sein müsste, Antwort zu geben“1947. Haeften war bezogen auf die beiden christlichen Kirchen vollkommen un- verkrampft und lebte die Ökumene. Es ist bezeichnend für Haeften, dass er sich bei sei- ner Arbeit in Rumänien, um Deutschland für die Orthodoxie auf dem Balkan zu öff- nen1948, eng an die römische Kirche anschloss und dabei den Vorwurf eines Klerikalen nicht scheute.1949 Schon während seiner Zeit als Kulturattaché in Wien verfolgte Haef- ten seine ökumenischen Interessen und stellte Verbindungen zu katholischen und pro- testantischen Gruppen her; dazu zählten der katholische Jugendbund Neudeutschland und die evangelische Michaelsbruderschaft.1950 Böhm beschreibt das Christentum Haef- tens als bewusst evangelisch-kirchlich „ohne jedes konfessionelle Ressentiment“1951. So habe er der katholischen Kirche mit christlicher Anteilnahme und großem Respekt und dem damaligen Oberhaupt, in dem er einen großen Christen und unerschrockenen Ver- künder des Wortes in einer apokalyptischen Zeit sah, mit persönlicher Verehrung gegenübergestanden.

Diese christliche Brüderlichkeit entsprang aber nicht erst der Überlegung, dass Hitlers fron- taler Angriff auf das Christentum die Christen dazu nötigte, ebenfalls eine gemeinsame Front zu beziehen, sondern einer unabgeleiteten, ursprünglichen religiösen Gesinnung, die das Friedens- und Einheitsvermächtnis Christi ernstnahm.1952 Die Bewältigung des Widerstands war auch in der letzten existenziellen Frage bei Haef- ten nur durch seinen christlichen Glauben möglich. Dies zeigt sich in seinem Ab- schiedsbrief vom 15. August 1944. Darin beschuldigte er sich, das fünfte Gebot nicht „heilig“ gehalten und in all den Zweifeln nicht still und geduldig genug gewartet zu haben, bis Gott seinen Willen kundgetan habe. Aber er starb „in der Gewißheit göttli- cher Vergebung, Gnade und ewigen Heils; und in der gläubigen Zuversicht, daß Gott all das Unheil, Schmerz, Kummer und Not und Verlassenheit […] aus Seinem unermessli-

1946 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 121. 1947 Haeften, Briefe 1931-1944, S. 121. 1948 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 78 f. 1949 Zeller, Geist der Freiheit 1965, S. 146 1950 Klemperer, Verschwörer 1994, S. 37. 1951 Böhm, Skizze 1946, S. 12. 1952 Böhm, Skizze 1946, S. 12. 332 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand chen Erbarmen in Segen wandeln kann“1953. Er fuhr dann fort: „Mein letzter Gedanke […] wird sein, daß ich Euch meine Lieben des Heilands Gnade und meinen Geist in seine Hände befehle. So will ich glaubensfroh sterben.“1954

5.1.2 Yorck

Die religiöse Einschätzung Yorcks durch den SD vom 04. Oktober 1944 ist eindeutig. So wurde festgestellt, dass Graf Yorck sonntäglich den evangelischen Gottesdienst be- sucht und eine streng kirchliche, fast pietistische Linie vertreten habe. Es habe eine grö- ßere kirchliche Bindung als etwa bei Schulenburg, Schwerin oder Stauffenberg vorgele- gen.1955 Der Bericht an Bormann vom 07. August stellte auch fest, dass Stauffenberg, Yorck, Schwerin und Schulenburg „etwa 3 bis 4 Wochen vor dem Anschlag lang und breit darüber gesprochen“ haben, „daß das Christentum wieder die tragende seelische Kraft der Zukunft sein solle.“1956 In der Verhandlung im August 1944 benannte Yorck Freisler gegenüber den Grund seiner Widerständigkeit. Judenausrottung und die natio- nalsozialistische Auffassung vom Recht vermutete Freisler, aber in Wahrheit gebot Yorcks christlicher Glaube dessen Widerstand; dies wird in Yorcks viel zitierter Aussa- ge vor dem VGH überdeutlich: „Das Wesentliche ist, […], der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen Gott gegenüber.“1957 In der Vernehmung vom 31. Juli 1944 wurden vom SD als Motiv des „stark dekadente[n], in bürgerlich-christlichen Vorstellungen lebenden“ Yorck dessen Worte zitiert: „Ich bin der Überzeugung, daß eine europäische Einigung […] sich nur verwirklichen lässt auf dem gemeinsamen Boden der abendlän- dischen Vergangenheit, die im wesentlichen geprägt ist durch Hellenismus, Christentum und die Schöpfung des deutschen Geistes.“1958 Auch hier scheint wieder der Bezug zum Christentum als Grund für die Widerständigkeit Yorcks auf.

Die Frage, inwieweit der christliche Glaube half, seine Widerständigkeit zu bewältigen, lässt sich aus Yorcks Briefen an seine Frau erkennen. Im Sommer 1943, also zur Zeit des für August geplanten Attentats, muss sich Yorck stark mit existenziellen Überle- gungen befasst haben. Er schrieb an seine Frau, dass die ihm nachgesagte philosophi- sche Gelassenheit „vielmehr die demutsvolle Erkenntnis der eigenen Ohnmacht und der

1953 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 90. 1954 Haeften, Barbara, „Nichts Schriftliches“ 1997, S. 91. 1955 KB S. 436. 1956 KB S. 167. 1957 Budde, Die Wahrheit über den 20. Juli 1952, S. 56. 1958 KB S. 110. 333 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand gelebte Wunsch, alles in Gottes Hand in zuversichtliche Ruhe legen zu können“1959, sei, und er zitierte den in der Sonntagspredigt von Pfarrer Lilje gehörten 17. Vers des 118. Psalms: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkünden.“1960 Nach einer Abendmahlfeier im Mai 1944, zu einem Zeitpunkt der Aussichtslosigkeit der Kriegsereignisse, „fühlt“ er: „[…] alle Einzelgeschehnisse und Einzeleindrücke ver- dichten sich zu dem Verspüren des waltenden Schicksals, und die Allmacht Gottes wird sozusagen handgreiflich und übermächtig in die Welt einwirkend.“1961 Die daraus er- wachsende „vertrauende Hoffnung“ empfand er als „besonderes Geschenk“, das ihm „gnadenvolle Kraft“1962 vermittelte. Vor seinem Prozess im VGH am 07./08. August 1944 teilte er seiner Frau die Gottergebenheit am gefühlten „Ende unseres schönen und reichen Lebens“1963 mit:

Daß Gott es so gefügt hat, wie es gekommen ist, gehört zu der Unerforschlichkeit seiner Ratschlüsse, die ich demutsvoll annehme. Ich glaube mich durch das Gefühl der alle nie- derbeugenden Schuld getrieben und reinen Herzens. Ich hoffe deshalb auch zuversichtlich, in Gott, einen gnädigen Richter zu finden.1964 Auch er wusste, wie später Moltke, dass er seine Frau „nicht mehr wurzellos“ zurück- ließ, als er sagte: „Heute hast Du eine Heimat, in der Du mit tausend Fäden der Liebe verankert bist.“1965 Schon 1942 hatte er, den Tod zweier seiner Brüder beklagend, sei- nem Freund Katte geschrieben:

Die Werte, die sie zu lieben trachteten und für die sie starben, liegen in tieferem Grunde und auf höherer Ebene. Sie sind bedroht, das fühlen manche der Kämpfer hüben und drü- ben und dieses Fühlen zeigt ihnen die Gefahr, von welcher das Bild des Menschen heute bedroht ist. Ein Zwiespalt öffnet sich in mancher Seele, die begreift, dass es darum geht, vor allem erst Mensch zu sein, das Wesen das Gott im Bilde schuf. Zum neuen Mahnruf wurde mir des zweiten Bruders Tod, und prüfend suche ich den Weg, den zu gehen die uns zugemessene Aufgabe ist.1966 Sein ökumenisches Anliegen wurde in den Berichten des SD „anerkannt“, dort heißt es am 16. August 1944: „Eines der Lieblingsthemen des Grafen Yorck waren Fragen der Reform der Liturgie und der möglichen Vereinigung von Protestanten und Katholi- ken.“1967 Fragen der Verbesserung der Liturgie in der evangelischen Kirche hatte er auch mit Haeften besprochen und es war ihm ein Anliegen, die Abendmahlfeier stärker

1959 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 131. 1960 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 131. Dieser Spruch ist exakt der, den Gerstenmaier für sich als Lebensverheißung wertete; siehe Kapitel 5.3. 1961 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 134. 1962 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 135. 1963 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 137. 1964 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 138. 1965 Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 138. 1966Yorck, Peter von, Brief an Martin von Katte, 22.05.1942. IfZ, ZS/A-18, Bd. 4. Abschrift von Martin von Katte. 1967 KB S. 233 f. 334 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand in den Mittelpunkt des Gottesdienstes zu stellen, um so den „mystischen Teil des reli- giösen Empfindens“1968 anzusprechen, eine Erfahrung, die er bei den katholischen Kreisauern gemacht haben mag und die auch auf die Bestrebungen der Michaelsbruder- schaft zurückging.

Es kann bei diesem Zeugnis bejaht werden, dass Yorck seinen Widerstand im christli- chen Glauben begründete und dass dieser ihm half, die Unbilden des Widerstandes bis zu seinem Tod zu ertragen. Dabei hatte Yorck das ökumenische Anliegen im Auge.

5.1.3 Gablentz

Obwohl der Einfluss Gablentz‘ auf die Kreisauer Diskussionen, wie beschrieben, im Laufe der Zeit nachließ, 1942 die Zusammenarbeit mit Moltke zerbrach, und er dadurch der Verfolgung durch die Gestapo entging, ist sein grundsätzliches Gewicht in Kirchen- und Glaubensfragen bei den Kreisauern bedeutsam. Bei der Diskussion um Staat und Glaube im Sommer 1940 mit Moltke und Yorck konnte Gablentz seine Gedanken als Sachverständiger für Kirchenfragen einbringen. Zur Debatte stand u. a. das Verhältnis von Staat und Kirche. Gablentz bestätigte die These Moltkes, dass Handlungen, die an sich ethisch nicht zu verantworten sind, nicht mit Staatsinteresse entschuldigt werden können. Er war aber „im Gegensatz“ zu Moltke der Meinung, dass „Staatslehre über- haupt nur von der Theologie her zu begründen ist“1969. Zur Begründung musste Ga- blentz weiter ausholen:

Ohne solch eine Begründung kommt man rettungslos in das Dilemma zwischen Gesin- nungs- und Verantwortungsethik, wie es Max Weber in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ aufgezeichnet hat. Entweder ist das Ziel der Ethik das eigene Seelenheil, weltlich ausge- drückt die Selbstachtung. Dann bleibe ich stecken in der abstrakten Freiheit der Gesin- nungsethik, die zwar autonom ist, aber nie zur Gestaltung kommt, sondern sich vorher auf- reibt; oder das Ziel der Ethik ist eine objektive Gestalt, ein Werk oder eine Gemeinschaft. Dann drängt sich als dauerhafte Gestalt der Gemeinschaft sehr bald der Staat als Selbst- zweck auf. Dann endet man in der konkreten Notwendigkeit der Verantwortungsethik, die zwar gestaltet, aber heteronom bleibt und damit der eigentlichen Menschenwürde ent- behrt.1970 Die Lösung aus diesem Dilemma, beide Ethiken seien auf Selbstbehauptung und nicht auf Hingabe ausgerichtet, sah Gablentz in einer „theonomen“ Ethik nach dem religiösen Sozialisten Paul Tillich. Für die Staatslehre bedeute dies, so Gablentz: „Der Staat hat einen Sinn, soweit er sich ausrichtet nach dem Maßstab des Reiches Gottes, nämlich

1968 Brief Yorcks an seine Frau Marion, Sommer 1943; in Yorck, Marion, Stärke der Stille 1998, S. 131 f. 1969 Gablentz: Brief an Moltke, 09.08.1940; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 128. 1970 Gablentz: Brief an Moltke, 09.08.1940; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 128. 335 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand durch den freien Menschen die richtige Ordnung der Dinge zu verwirklichen.“1971 Die- ser Auffassung stimmte Moltke in seinem Brief an Gablentz vom 31. August 1940 zu, wenn er antwortete: „Der Sinn des Staates besteht darin, Menschen die Freiheit zu ver- schaffen, die es ihnen ermöglicht, die natürliche Ordnung zu erkennen und zu ihrer Verwirklichung beizutragen.“1972 Im weiteren Verlauf beteiligte sich Gablentz, ohne auf seine einzelnen Beiträge hier eingehen zu können, an den Diskussionen um den Inhalt des Staates im Verhältnis zum Einzelnen, im Verhältnis zur Wirtschaft und um das Verhältnis des Staates zum Glauben,1973 wobei es allerdings zu hier nicht näher erläu- terbaren Meinungsverschiedenheiten1974 zwischen Moltke und Gablentz kam. Mit die- sen Hinweisen sollte gezeigt werden, wie stark Gablentz durch seinen christlichen Glauben in seinem Widerstand gegen den Nationalsozialismus bestärkt wurde. Da bei Gablentz wegen seines frühen „Ausscheidens“ aus dem Kreisauer Kreis keine Verfol- gung eintrat, steht die Bewältigungsfrage der widerständigen Nöte durch den christli- chen Glauben hier nicht im Vordergrund.

Aber auch die ökumenische Gesinnung von Gablentz war für den Kreisauer Kreis prä- gend. Die konfessionelle Spaltung war für ihn ein zentrales Thema. Dies wurde im zweiten Teil des für die Kreisauer Pfingsttagung 1942 vorbereiteten Papiers zur „Frage- stellung für das Gespräch über Staat und Kirche“1975, das Gablentz zugeschrieben wer- den kann, thematisiert. Gablentz vertrat da die Meinung, dass der Staat als Zensor für die Staatsführung die geistige Macht der Kirche benötige. Dieser Rolle der Kirche stehe aber ihre Spaltung in Konfessionen entgegen. Aber da diese sich „augenblicklich“ an- genähert haben, sei ein „sinnvolles Zusammenarbeiten durchaus möglich“1976. Der Staat könne zwar nicht eine „einheitliche Reichskirche bilden, wohl aber die im Keim vor- handene Einheit der Christenheit anerkennen und stärken“1977. Dieser ökumenische Ge- danke kommt auch in dem Beitrag von Gablentz in der Una-Sancta-Zeitschrift „Um die Einheit der Kirche. Gespräche und Stimmen getrennter christlicher Brüder“ von 1940 zum Ausdruck. Dort setzt er sich dafür ein, nicht über Konfessionen, sondern über die Christenheit zu sprechen. Zuerst solle man sich in der Sache und in der Haltung gegen- über dem Menschen finden und „im Glauben an den Herrn“ bestätigen, dann könne man

1971 Gablentz: Brief an Moltke, 09.08.1940; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 129. 1972 Gablentz: Brief an Moltke, 09.08.1940; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 130. 1973 Denkschrift von Moltke: „Über die Grundlagen der Staatslehre“, 20.10.1940; in: Brakelmann, Kreis- auer Kreis 2004a, S. 136. 1974 MB S. 270. 1975 Bleistein, Dossier1987, S. 88-94. 1976 Bleistein, Dossier1987, S. 89 f. 1977 Bleistein, Dossier1987, S. 90. 336 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand auch auf die Konfessionen zu sprechen kommen. „Da erlebten wir erst das Gemeinsame des Dienstes, danach die gemeinsame Grundlage, zuletzt erst das Besondere, aber nicht als trennend, sondern als ergänzend.“1978 Nach dem Krieg schrieb er in dem Band „Ge- schichtliche Verantwortung“, den er dem Andenken Hans Bernd von Haeftens widmete:

Und da erscheint es verheißungsvoll, daß sich auch in der Christenheit schon der Begriff herausgebildet hat, der die Erde als Wohnraum und Gestaltungsraum der Menschheit be- greift: die ökumenische Bewegung ist ein entscheidender Ansatz, zu jener Einheit nun auch praktisch zu kommen, von der die Griechen gewusst und geahnt haben, die Erde zur Öku- mene, zur wahren Menschen-Einheit zu machen.1979

5.1.4 Steltzer

Steltzer sah in der Kirche einen bedeutenden Faktor für den Staat. Er postulierte in sei- nem Aufsatz „Geistige Grundlagen der politischen Neuordnung“, dass Christus die re- volutionäre Botschaft von der Freiheit und dem unvergänglichen Wert der menschlichen Persönlichkeit in die Welt gebracht habe. Er fuhr fort: „Der Mensch sollte aus seiner Verlorenheit erlöst und dadurch auch die Welt gerettet werden. Die Rettung des Men- schen stand als die eigentliche Aufgabe am Anfang des Christentums. Sie musste daher auch die eigentliche Aufgabe der Kirche werden.“1980 Steltzer beklagte die „Zerreißung der Kirche in mehrere Konfessionen“ und die Verleugnung jeder inneren Beziehung nach der Trennung von Staat und Kirche. Als Folge stehe der Staat allein und selbst- herrlich in der Welt, seelenlos und ohne Würde und die Kirche befände sich entmachtet neben dem politischen Raum, gescheitert an der Aufgabe der geistigen Durchdringung, der Christianisierung der Welt.1981

Aufgabe der Kirche sei es, Wächter zu sein über den Menschen, über sein Menschsein und seine Freiheit, gegenüber allen politischen Gewalten, die seine Freiheit gefähr- den.1982 Aus diesem Grund bedürfe der Staat der Mitarbeit der Kirche, „weil ihm sonst […] das Wesentlichste fehlt, die Bindung an ein Höheres, dem er auch verpflichtet ist“1983. Diesen christlichen Glauben, der ihn auch in Zeiten der Verfolgung „geistig und

1978 Gablentz, Christliche Begegnung 1940, S 269. 1979 Gablentz, Geschichtliche Verantwortung 1952, S. 30. 1980 Diese Gedanken stammen zwar aus der Denkschrift Steltzers „Geistige Grundlagen der politischen Neuordnung“; in: Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 41, aus dem Jahre 1947/48, aber Steltzers Gedanken dürften sich in dieser Hinsicht nach dem Krieg nicht grundlegend gewandelt haben, zudem stimmen sie mit den Kreisauer Grundsätzen (Grundsätze für die Neuordnung vom 09.08.1943; in: Bra- kelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 312 ff.) überein. 1981 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 42. 1982 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 43. 1983 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 43. 337 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand seelisch am Leben erhalten“1984 hat, konnte Steltzer in der Zeit des Nationalsozialismus nicht realisieren, was einen wesentlichen Punkt seines Widerstandes ausmachte.

Steltzer wurde mit Moltke, Haubach, Gerstenmaier und Delp am 09./10. Januar 1945 vor dem VGH der Prozess gemacht. Vorher durchlebte er wie seine Freunde zum Teil gefesselt schreckliche Monate in einem verwanzten Gefängnis, unterbrochen durch Verhöre, auf den sicher geglaubten Tod hin. Steltzer beschrieb dies in seinen Lebens- erinnerungen. Ihm gelang es, das Erbauungsbüchlein „Geistliche Waffenrüstung“ von Pfarrer Lotz-Marburg mit Losungen, geistlichen Liedern, Psalmen und Gebeten in die Zelle zu schmuggeln. Diese memorierte Steltzer in langen Stunden und betete sie nach dem Rat des mitgefangenen Pater Rösch immer wieder, auch wenn dies rein mecha- nisch geschah. Durch die häufigen Wiederholungen hätte sich ihm der Gehalt der Texte und Lieder immer mehr erschlossen. Dazu kam die Lektüre der Bibel, die ihm aller- dings von einem Wärter abgenommen wurde. An Abendmahlsfeiern, die sein Mitgefan- gener Pastor Bethge, ein Freund Bonhoeffers, mit Hostien von seinem katholischen Freund Pater Rösch gestaltete, konnte er teilnehmen und führte, so er selbst, ein „fast liturgisch geordnetes Leben“1985. Dem Tod habe er ruhig und gelassen entgegengesehen, da er sich keiner Schuld bewusst gewesen sei, schrieb er an seine Frau.1986 Als weiteren Grund für seine Todesgelassenheit gab er an, dass er eine Lebensverheißung gehabt habe. „Allerdings wollte ich ihr nicht verschweigen, daß ich eine innere Stimme höre, die mir sage, daß ich wider alle Vernunft die Gefahren überstehen würde.“1987 Das Wort „sperare contra spem“ habe ihn immer bewegt. Im Gegensatz zu den zuweilen ver- zweifelten Berichten der existenziellen Kämpfe seiner Mitangeklagten erscheinen die Berichte Steltzers aus dem Moabiter Gefängnis jedoch seltsam undramatisch. Dies mag daran liegen, dass der Lebensbericht Steltzers 15 Jahre nach dem Geschehen mit einem gewissen Abstand verfasst wurde oder dass die Schilderung unbewusst vom nachträgli- chen Wissen beeinflusst wurde, dass durch den Einfluss seiner norwegischen Freunde über den finnischen Masseur von Himmler am 05. Februar 1945 die Vollstreckung sei- nes Todesurteils ausgesetzt worden war.1988 Gleichwohl muss davon ausgegangen wer- den, dass sein christlicher Glaube ihm half, die Monate in Moabit zu überstehen. Er

1984 Alberts, Steltzer Biographie 2009, S. 211. 1985 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 169. 1986 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 168. 1987 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 168 f. 1988 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 172 f. 338 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand hatte gelobt, im Fall seiner Rettung täglich den Psalm 116 zu lesen; dieses Versprechen habe er gehalten.1989

Auch er sah aufgrund seiner Kreisauer Erfahrungen die Ökumene als Ziel an. Wie er- wähnt, beklagte er den Streit der Konfessionen, „statt in friedlichem Nebeneinander die Probleme zu meistern“. Er sprach von einer „geistigen Katholizität“, aus der heraus die „großartigen geistigen Leistungen des Mittelalters“ weitergeführt und „die tragenden Fundamente“, für die die Kirche „durch das Naturrecht die Grundlage gelegt hatte“1990, verfestigt werden müssen. Der ökumenische Gedanke kam auch bei der Gründung der Berliner CDU, u. a. zusammen mit den Kreisauern Gablentz, Lukaschek, Husen, und bei der Gründung in Hamburg durch Peters zum Ausdruck, als ein gemeinsames politi- sches Handeln mit den ehemaligen Zentrumsleuten erfolgte.

5.1.5 Rösch/König

Der Widerstand von Rösch und König, der sich in ihrer Tätigkeit im sogenannten Or- densausschuss manifestierte, war zu einem guten Teil auch der Widerstand des Kreisau- er Kreises. Rösch und König ging es letzten Endes darum, die Kirche, in diesem Fall die katholische Kirche, vor dem Vorwurf zu bewahren, nichts gegen die Übergriffe der Na- tionalsozialisten auf Freiheit sowie Leib und Leben getan zu haben. Das lag durchaus auch im Interesse der Mitarbeiter des Kreisauer Kreises, die ja ihr Zukunftskonzept neben der deutschen Arbeiterschaft auch auf die Kirchen stützten. Dies wird auch durch die vielen Unterredungen deutlich, die Moltke mit „Conrad“, dem Bischof von Preysing in Berlin, hatte, in denen Moltke1991 den Bischof immer wieder zu einer schärferen Gangart gegen die Nationalsozialisten drängte. Preysing galt als einer der regimekriti- schen Vertreter des deutschen Episkopats, der aber immer wieder von dem damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Bertram aus Breslau, in sei- nen kritischen Aktivitäten behindert wurde.

Die Initiative für den Ordensausschuss der Fuldaer Bischofskonferenz ging von dem Jesuitenprovinzial Rösch aus, der den Ende 1940 neu einsetzenden Kampf der National- sozialisten gegen die katholische Kirche, „der vor allem die katholischen Orden treffen

1989 Steltzer, Sechzig Jahre 1966, S. 167 f. 1990 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S. 41. 1991 Am 05.09.1941 traf Moltke auf Vermittlung von Peters zum ersten Mal Bischof Preysing (MB S. 280), den er nach einer „befriedigenden Unterhaltung“ in Zukunft in „regelmäßigen Abständen von etwa 3 Wochen“ besuchen wollte (MB S. 281). In der Tat erwähnte Moltke Preysing in seinen Briefen an Freya etwa 50-mal; MB (06.09.1941) S. 280. 339 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand wollte“1992, nicht tatenlos hinnehmen wollte. Mit König besuchte er einige deutsche Bischöfe, um diese nicht nur über den „Klosterkampf“ im Einzelnen zu informieren, sondern sie „zu einer härteren kirchenpolitischen Linie zu bewegen“1993. Mit zwei wei- teren Vertretern anderer Orden1994 und einem Laien1995, dem Justitiar der Diözese Würzburg, der auch Entwürfe für den Kreisauer Kreis lieferte, gründeten die beiden Jesuiten diesen Ordensausschuss. Ihre widerständige Tätigkeit kam in der Initiierung, Mitwirkung und Durchsetzung von drei Hirtenbriefen und in der konspirativen Verhin- derung von Klosterschließungen, besonders der von Elsass-Lothringen im Jahre 1943, zum Ausdruck. Bei den Hirtenbriefen handelte es sich zunächst um den später nicht publizierten „Menschenrechtshirtenbrief“1996 vom November 1941, den der Ordensaus- schuss mit entwarf und bei den deutschen Bischöfen durchsetzte. Seine Verlesung von den Kanzeln scheiterte am Veto Bertrams. Eine darauf von Preysing verfasste Protest- note ging in ökumenischer Aktion mit einem Protest der evangelischen Kirche gegen „die Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit, auf das Leben, auf den Schutz der Ehre“1997, an die Reichskanzlei und blieb ohne Reaktion. Wegen des Schweigens der Reichskanzlei fühlte sich die Deutsche Bischofskonferenz durch den Ordensausschuss zur Aktion verpflichtet. Daraufhin wurde dann der Hirtenbrief für den Passionssonn- tag1998 1942 erstellt und verlesen. „Er enthielt wiederum die Klagen über die Verletzung des Rechts auf persönliche Freiheit, auf das Leben, auf den Schutz der Ehre.“1999 Außerdem bereitete der Ordensausschuss dem Dekaloghirtenbrief2000 vom 12. September 1943 den Weg.2001 Dabei war auch Delp beteiligt.2002 Bei all diesen Ak- tivitäten spielte, wie bereits dargestellt wurde, Pater König eine entscheidende Rolle.2003 Dieser Dekaloghirtenbrief war aber durch Bertram in seiner ursprünglichen Schärfe

1992 Bleistein, Rösch 1998, S. 107. 1993 Höllen, Heinrich Wienken 1981, S. 101. 1994 Laurentius Siemer OP, Provinzial der Dominikaner-Provinz Teutonia-Köln, und Odilo Braun OP, 1940 Generalsekretär der Superiorenvereinigung in Berlin; siehe auch Leugers, Gegen eine Mauer 1996, S. 441, 444 f. 1995 DDr. Georg Angermaier; siehe auch Leugers, Gegen eine Mauer 1996, S. 447; Leugers, Georg An- germaier 1994. 1996 Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985; S. 120-133. 1997 Bleistein, Rösch 1998, S. 113. 1998 Volk, Akten deutscher Bischöfe Bd. 5 1983, S. 700-704. 1999 Bleistein, Rösch 1998, S. 113. 2000 Volk, Akten Kardinal Michael Faulhabers II 1975, S. 886; Volk, Akten deutscher Bischöfe Bd. 6 1983, S. 197-205. 2001 Bleistein, Dossier 1987, S. 16 f. 2002 Delp V S. 185 f. 2003 Im Laufe des Projekts der drei Hirtenbriefe war P. König mehrere Male allein oder mit P. Odilo bei Bertram; in: Bleistein, Dossier 1987, S. 17. 340 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand stark herabgesetzt worden. Darüber berichtete Moltke Freya am 25. August 1943, also kurz nach dem Ausfall des erwarteten Umsturzes:

Conrad war wohlgemut und voller Bosheiten aus Fulda2004 zurückgekommen. Es ist das Schlimmste verhütet worden und das, was wir wollten, soll Ende September kommen, aber, sagte C.: es ist chemisch gereinigt: die letzten Flecken sind heraus, aber die Farbe auch. Traurig, nicht wahr. Sonst gab es da nichts Neues.2005 Vor der Gestapo nach dem Attentat gewarnt, tauchten König und Rösch unter; Rösch wurde dann am 11. Januar 1945, dem Tage des Todesurteils gegen Moltke und Delp, verhaftet, nachdem sein Name am 31. August in den Kaltenbrunner Berichten erstmals aufgetaucht war, wo über den „Münchner Zweig des Kreisauer Kreises“ berichtet wur- de.2006 Rösch wurde zunächst in das KZ Dachau verbracht und dann am 12. Januar nach Berlin in das Gefängnis Moabit, Lehrterstr. 32007, überführt.2008 Ohne Zweifel ertrug Rösch tagelange strenge Verhöre2009, in denen er auch geschlagen wurde, aufgrund sei- nes festen Glaubens. Selbst gefährliche und riskante Situationen bewältigte der „Offi- zier“ meisterhaft, so als sein Mitbruder Tattenbach ihm bei einer zufälligen Begegnung im Gefängnis mittels eines Kassibers von der Verurteilung Delps unterrichtete.2010 Die Zeit, die er in Moabit verbrachte, war für Rösch eine Zeit unermüdlicher Seelsorge bei seinen Mitgefangenen, über die Pastor Bethge und der spätere Landesbischof Hanns Lilje2011 berichteten. Rösch nannte dies selbst die „Katakomben-Seelsorge“. Er nahm, so Bethge, seinen „Gefängnis-Pfarrkindern“ die Beichte ab, auch über Kassiber, die er beim Hofgang einsammelte, erkundigte sich, wer das Sakrament begehre, las morgens unbemerkt die Messe, die geweihte Hostie wurde dann in die angegebene Zelle ge- bracht.2012 Dies alles war möglich, da preußische Gefängniswärter2013 es duldeten. Es war für Rösch auch selbstverständlich, Pastor Bethge für dessen evangelische Abend- mahlsfeier Hostien abzugeben.

2004 Tagungsort der Deutschen Bischofskonferenz. 2005 MB S. 531. 2006 KB S. 331. 2007 Dieses Gefängnis wird ausführlich beschrieben in: Wassiltschikow, Die Berliner Tagebücher 1987, S. 287. 2008 Dort wurde auch er u. a. durch Marianne Hapig mit Wäsche versorgt; siehe Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985, S. 313, Fn. 56. 2009 Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985, S. 271 ff. 2010 Bleistein, Rösch 1998, S. 137 f. 2011 Lilje, Im finsteren Tal 1947, S. 44 f. 2012 Bethge, Zitz 1989, S. 180. 2013 Nach Hapig soll ein preußischer Wachtmeister gesagt haben: „Das sind mir neuartige Insassen hier im Gefängnis, jetzt auf meine alten Tage! Die halbe Nacht beten sie, am Tage studieren sie und für unsereins haben sie immer noch ein gutes Wort“; in: Prégardier, Hapig 2007, S. 49; Rösch, Kampf gegen den Na- tionalsozialismus 1985, S. 328. 341 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Nachdem die sowjetische Front sich Berlin genähert und die Gestapo ihre Sonderabtei- lung der Justiz übergeben hatte, wurden die Gefangenen auf Intervention der Häftlinge, des Reichswehrministers Noske, des Ministers Hermes, von Zitzewitz und Röschs beim Gefängnisdirektor am 25. April freigelassen.2014 Voller Dank feierten zehn Häftlinge nach dem Auszug aus Moabit am Abend des 25. April mit Pater Rösch in St. Paul, dem Kloster der Dominikanerpatres, die Messe.2015

Die Kreisauer Peters, Lukaschek, Husen und Poelchau begründeten ihre Widerständig- keit, wie bei der Untersuchung der Motivationslage deutlich wurde, fest von ihrem christlichen Glauben her, ohne dass eine bedeutende Änderung in ihrem Glaubensver- halten bekannt ist.

5.2 Religiöse Entwicklung der kirchenfernen Kreisauer

Die Repräsentanten der Arbeiterschaft vertraten, wie bereits erwähnt, keine marxisti- sche Religionskritik, sondern gehörten teilweise den religiösen Sozialisten an oder stan- den doch der Religion aufgeschlossen, „teilweise aber den Kirchen kritisch gegen- über“2016. Dies galt besonders für Leber. Darüber ist in dem Kaltenbrunner Bericht vom 16. August, der von konfessionellen Auseinandersetzungen handelt, eine Aussage Hau- bachs wiedergegeben:

Leber hat Haubach von einer der bekannten schiefgelaufenen Sitzungen berichtet, in der er bei dem Versuch, für eine künftige Regierungserklärung eine geeignete Formel für eine christliche Charakterisierung des Staates zu finden, äußerst heftig mit den Christen anei- nander geraten sei. Leber habe betont, daß er „nicht zulassen werde, auf Kosten der ge- wünschten Einigkeit wichtige Grundsätze der alten Sozialdemokratie einfach über Bord ge- hen zu lassen“. Einer der christlichen Vertreter […] habe eine Formulierung vorgelegt, in der von der „göttlichen Mission der christlichen Kirche im weltlichen Staat“ die Rede ge- wesen sei. Leber habe sich darüber sehr aufgeregt und eine solche Ausdrucksweise mit starken Worten verworfen.2017 Hier handelte es sich wohl um Diskussionen im Goerdeler-Kreis. Im Kaltenbrunner Bericht ist auch von einem Entwurf eines Vorspruchs für einen Volksbewegungs- Aufruf mit christlichem Bezug die Rede, der „den äußersten Widerspruch“ Lebers her- vorgerufen habe. Der Vorspruch soll dann in der Kompromissformel gelautet haben: „Die Volksbewegung bekennt sich zur deutschen Kultur und zur christlichen Vergan-

2014 Bleistein, Rösch 1998, S. 139. 2015 Bleistein, Rösch 1998, S. 139. 2016 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 370. 2017 KB S. 234 f. 342 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand genheit des deutschen Volkes.“2018 Bei der ursprünglichen Diskussion der Kreisauer über die Bejahung des christlichen Glaubens als Richtlinie der von ihnen angestrebten ideellen Staatsinhalte im Sommer 1942 begann die Präambel mit den Worten: „Wir se- hen im Christentum wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, […] für den Neuaufbau des Abendlandes, für das friedliche Zusammenarbeiten der Völker.“2019 Dazu gab es auch bei den Freunden mit „unkirchlicher Vergangenheit“ Zustimmung. Gerstenmaier, der aus theologischen und politischen Gründen eigentlich für eine „zurückhaltendere Bekenntnisformel war“, zeigte sich überrascht, dass sie ihre „ehemaligen Vorbehalte gegen die Kirchen so gründlich zurückstellten“2020. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass Leber an diesen Diskussionen noch nicht teilge- nommen hatte; er stieß erst Ende 1943 zu den Kreisauern. Wenn die sozialistischen Kreisauer eine Entwicklung hin zur Religion vollzogen, dann gilt das auch für Leber, wie noch zu zeigen sein wird.

Von den drei „militanten Sozialisten“ soll zunächst Haubach, der Philosoph, betrachtet, werden, dessen Entwicklung zum christlichen Glauben, die in den Eintritt in die evan- gelische Kirche mündete, gut nachvollziehbar ist.

5.2.1 Haubach

Der Widerstand des KZ-Häftlings Haubach hatte wohl zunächst politische und ethische Gründe. Mit Erstarken seines Glaubens, besonders nach dem Tod seiner Mutter2021, scheinen stärker christliche Motive in den Vordergrund zu treten. „So sah er ‚in der Ab- kehr von Gott die letzten Ursachen der Unabwendbarkeit dieses furchtbaren politischen Geschehens’2022 des NS-Regimes.“2023 In der schon erwähnten Bruegel-Betrachtung sah er den Menschen zum „boshaften, entarteten Fratzenwesen“2024 verzerrt. In den Men- schen sah er „kein Ebenbild Gottes“ mehr, sondern sie waren nach ihm „unteilhaftig dem göttlichen Bereich, abgekehrt dem numinosen Bereich und in sich selbst verunstal-

2018 KB S. 501. In dem wahrscheinlich gemeinten Aufruf zur „Sozialistischen Aktion“ heißt es unter Punkt 3: „Achtung vor den Grundlagen unserer Kultur, die ohne das Christentum nicht denkbar ist“; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 294. 2019 Ergebnisse der 1. Kreisauer Tagung (22.-25.05.1942) vom 27.05.1942; in: Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 209. 2020 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 160. 2021 L’Aigle, Briefe 1947, S. 35, Brief vom 07.10.1939. 2022 Schellhase, Anneliese, Vortragsmanuskript; zit. nach Ringshausen, Widerstand und christlicher Glau- be 2007, S. 320. 2023 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 320. 2024 L’Aigle, Briefe 1947, S. 59, Brief vom 06.12.1942. 343 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand tet“2025. Haubach stellte fest: „Das Göttliche erscheint nicht mehr im Menschen und eben darum – in der Abwesenheit des Göttlichen – das Satanisch-Vereinzelte.“2026

So wie bei Haubach der christliche Glaube seinen Widerstand bestärkte, so half dieser immer stärker wachsende Glaube auch, die Lasten des Widerstandes zu ertragen. Im Februar 1943, angesichts der immer aussichtsloseren Kriegslage, sprach er von der not- wendigen Gnade, damit Verborgenes offenbar werde, und „verzagt“ sprach er, ohne sich zu schämen, die Gethsemane-Bitte aus: „Mein Vater, ist’s möglich, daß dieser Kelch an mir vorübergehe.“2027 Er beteuerte seiner Freundin Alma, dass er in keiner Phase des Lebens die Ehrfurcht vor Gott und dem Göttlichen verloren habe, und bat um ihr Gebet, da nach seinem Ermessen alles, was noch bevorstehe, „jedes Menschen Kräf- te übersteige“2028. Vom Dämonischen müsse man sich abwenden und ihm „keine unse- rer Anliegen mehr anvertrauen“2029. „Wir dürfen“, fuhr er fort, „die Mächte des Ab- grundes, die das Schwere leicht machen ‚und ein Ding wie Gold aus Lehm …’2030 (George) nie wieder zu Hilfe rufen, sondern müssen den Weg der Wahrheit gehen.“2031 Zimmermann sieht in seiner Haubach-Biographie hier einen Hinweis auf Haubachs Be- stätigung seines Widerstandes, denn Haubach schrieb in seinem Brief an Alma weiter: „In der Wahrheit aber ist das Schwere schwer, das Steile steil, das Steinige steinig.“2032 Nach dem schmerzlichen Tod seines Freundes Mierendorff und dem Verlust seiner Wohnung mit der geliebten Bibliothek von über 3000 Büchern durch einen Bombenan- griff Ende 1943 schrieb er an Erika Bausch: „Es hat Schläge geregnet und niemand weiß, ob Gottes unerbittliche Hand einzuhalten gedenkt.“2033 Auf diese „Schläge“ ant- wortete Haubach demutsvoll: „Herr, so geschehe Dein Wille.“2034 In einem weiteren Brief bemerkte er, dass der Verlust des Freundes und Gefährten in höchst sonderbarer Weise mit dem Verlust der Wohnung verschwistert sei. Er beklagte sich nicht und be- gann zu begreifen, „daß eine jener schmerzhaften Metamorphosen eingesetzt hat, die, wenn wir Menschen gehorsam sind, uns in eine höhere Ordnung hinaufverwandeln

2025 L’Aigle, Briefe 1947, S. 59 f., Brief vom 06.12.1942. 2026 L’Aigle, Briefe 1947, S. 60, Brief vom 06.12.1942. 2027 L’Aigle, Briefe 1947, S. 61, Brief vom 14.02.1943. 2028 L’Aigle, Briefe 1947, S. 62, Brief vom 06.12.1942. 2029 L’Aigle, Briefe 1947, S. 62, Brief vom 06.12.1942. 2030 Hier zitiert Haubach wieder das Stefan-George-Gedicht „Der Widerstreit“. 2031 L’Aigle, Briefe 1947, S. 62, Brief vom 06.12.1942. 2032 L’Aigle, Briefe 1947, S. 62, Brief vom 06.12.1942. 2033 Haubach: Brief an Erika Bausch, 13.12.1943; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 60. 2034 Haubach: Brief an Erika Bausch, 13.12.1943; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 60. 344 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand können“2035. In der Zeit seiner Haft vom August 1944 bis zu seiner Hinrichtung am 15. Januar 1945 waren ihm der Glaube und die Liebe, die er durch seine Braut Annelie- se Schellhase erfuhr, eine Stütze, die ihn aus der Verzweiflung riss. Er bekannte seiner Braut, dass ihn „in langen Nächten der Widersacher mit Angst, Not, Verzweiflung“ überfalle und dass er ihre Stärke, ja Härte, den Strom ihrer Liebe brauche und Gottes Hilfe durch sie bedürfe.2036 Die Mittlerrolle seiner Braut zu Gott beschrieb er, wenn er sagte: „Dich hat der Ruf aus der Höhe erreicht, denn Du hast eine Kraft, Weisheit und Großmut des Herzens gezeigt, die dem Menschen nur dann möglich ist, wenn ihm die Gnade und Liebe von Oben her weckt und führt.“2037 Ihre Sendung ihm gegenüber habe den Zweck, dass er den Sinn der existenziellen Bedrängnis erkenne: „Dich hat mir Gott gesandt, damit ich erkenne, warum der Mensch zu Zeiten seines Lebens in die Tiefe fahren muß.“2038 Dafür führte er vier Gründe an: „1. damit er lerne, zu Gott zu rufen und zu schreien; 2. daß er seine Sünden erkenne; 3. daß er sich bekehre; 4. daß er Gott fürchte.“2039 Im Advent bedankte sich Haubach, daß Gott ihn „in so dunkler Stunde“ in diesen Wochen mit „Zeichen seiner Gnade überschüttete“2040. Den Advent in der Haft erfuhr Haubach als eine „heilige Zeit“, da er „lerne und erfahre, wer ER ist, der über allen Himmeln thront“2041, und zitierte dabei Jesaja 57,152042. Daraufhin sah Haubach auch keine „Not“, dass sein Verhandlungstermin vor dem VGH verschoben würde, „auch aus praktischen Gründen!!!“2043, fügte er an. Er mag wie die anderen Mitgefange- nen gehofft haben, von den Russen befreit zu werden. Vor dem Prozess fügte sich Hau- bach jedoch aufgrund seines gewachsenen Glaubens ganz in sein Schicksal. Er schrieb in seinem letzten Brief an seine Braut: „Wir wollen doch die Dinge richtig sehen. Ent- weder lässt Gott in Gnade und Barmherzigkeit zu, daß alles gut geht […] oder er lässt es nicht zu, dann helfen auch alle Götter nicht …“2044

2035 Haubach: Brief an Erika und Viktor Bausch, 28.12.1943; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis, 1955, S. 61. 2036 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 23.11.1944. GDW, NL Schellhase-Haubach. 2037 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 23.11.1944. GDW, NL Schellhase-Haubach. 2038 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 23.11.1944. GDW, NL Schellhase-Haubach. 2039 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 23.11.1944.GDW, NL Schellhase-Haubach. 2040 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 29.11.1944; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 66. 2041 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 07.12.1944; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 67. 2042 Denn also spricht der Hohe und Erhabene, der ewiglich wohnt, dessen Name heilig ist: Der ich in der Höhe und im Heiligtum wohne und bei denen, so zerschlagenen und demütigen Herzens sind, auf daß ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen. 2043 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 07.12.1944; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 67. 2044 Haubach: Brief an Anneliese Schellhase, 29.11.1944; in: Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 68. 345 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Den Briefverkehr zwischen Haubach und seiner Braut machte wie bei Moltke Poelchau möglich. Später schrieb er über Haubach: „Dankbar nahm er in den letzten Wochen von mir nicht nur das freundschaftliche Du, sondern auch die gemeinsame Beugung vor Gott an, die uns zutiefst verband.“ 2045 Gerstenmaier sagte mit Recht über Haubach: „An ihm ist mir am unmittelbarsten der Weg eines gereiften Mannes, der aus weiter Ferne zum christlichen Glauben kommt, vor Augen getreten.“2046

5.2.2 Mierendorff

Bei Mierendorff und vor allem bei Leber muss der Widerstand ohne die Kategorie des christlichen Glaubens erklärbar sein, da sich ihr christlicher Glaube erst in der Zusam- menarbeit mit den Kreisauern oder später in der Haft entwickelte.

Mierendorff, der 1938 aus der KZ-Haft entlassen wurde und sich dabei wieder der Reli- gion angenähert hatte2047, konnte dies in der Kreisauer Arbeit vertiefen. Er bereitete mit Maaß und Delp die Kreisauer Tagung im Oktober 1942 vor, worauf im Kapitel „Mit- wirkung und Treffen“ bereits eingegangen wurde. Dabei kam ein „konspirativer Kon- takt zwischen dem demokratischen Sozialismus und der freien Gewerkschaftsbewegung mit einem Vertreter der katholischen Soziallehre“2048 zustande. Moltke bestätigte in seinem Brief vom 31. Juli 1942, dass „zwischen diesen Leuten die notwendige Vertrau- ensbasis geschaffen worden ist“2049. Der Sozialist Mierendorff schien sich auch nicht daran zu stören, dass Delp und König im Auftrag der drei Bischöfe Faulhaber, Preysing und Dietz2050 verhandelten. Delp brachte zudem eine Einladung der Bischöfe für Mie- rendorff und Moltke mit, um über die sozialen Fragen zu beraten. Noch 1942 meinte Mierendorff zu Delp, nur die deutsche Kapitalistenfreundschaft [wohl mit der Kirche; A. d. V.] hindere ihn, positiv zur Kirche zu stehen. Dies war anlässlich der Besprechung in Fulda über die Enzyklika QA und deren Auslegung durch Delp im Sinn des von ihm entwickelten „personalen Sozialismus“2051. Mierendorff war 1933 aus rein politisch bedingter Kirchenfeindlichkeit „ganz im Traditionsstrang der deutschen Sozialdemokra- tie mit einer Polemik gegen die fehlerhafte Haltung der Kirche in Vergangenheit und

2045 Hammer, Haubach zum Gedächtnis 1955, S. 82. 2046 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 182. 2047 Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff. AdsD, Signatur 270, S. 10. 2048 Brakelmann, folgenreiche Begegnungen 2004b, S. 349. 2049 MB S. 396. 2050 Johannes Baptista Dietz war Bischof von Fulda und bischöflicher Vorsitzender des Ausschusses für Ordensangelegenheiten. 2051 Delp V S. 182. 346 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Gegenwart“2052, namentlich der evangelischen und ihres „Gegensatzes zur Arbeiterbe- wegung“2053 aus der Kirche ausgetreten.

Gleissner, vormals Landeshauptmann von Oberösterreich, nach dem Anschluss im KZ Dachau inhaftiert, 1940 nach seiner Freilassung dann wie Mierendorff in der Braunkoh- le-Benzin-AG beschäftigt, sagte über Mierendorffs Verhältnis zu Religion und Sozia- lismus:

Haubach und Mierendorff waren in diesem Sinne [Sozialreform und Überwindung der Klassengegensätze; A. d. V.] sehr fortschrittliche Sozialisten, die gegen eine geistig erstarr- te dogmengläubige Parteiprogrammatik und Parteibürokratie waren. Beide glaubten an die Möglichkeit einer allgemeinen Lebenserneuerung durch die Verbindung sozialistischer Re- formen in Wirtschaft und Gesellschaft mit vaterländischer Gesinnung. Zum Christentum suchten sie ein neues Verhältnis.“ Ihre Grundeinstellung sei gewesen, „daß gegen die Dä- monie einer völlig gottlos gewordenen Politik am besten der christliche Staat sich behaup- tet.“2054 Von der Tradition des religiösen Freidenkertums hätten sich die Sozialisten völlig los- gelöst.2055 Dies zeigt sich auch bei den Programmpunkten der „Sozialistischen Aktion“ Mierendorffs, in der unter Punkt 3, worauf bereits hingewiesen wurde, die Achtung vor den Grundlagen unserer Kultur, die ohne das Christentum nicht denkbar sei,2056 einge- fordert wird.

Mierendorff sagte im September 1943 noch kurz vor seinem Tode zu Pater Rösch: „Ich habe lange ohne Religion gelebt. Aber ich bin zur Überzeugung gekommen, daß nur das Christentum dem Leben Sinn und Halt geben könnte. Und ich gehe jetzt diesen Weg zu Gott. Ich denke, es macht Ihnen Freude, Pater, dieses von mir zu hören.“2057 Rösch be- richtete von dieser Begegnung in Berlin, dass Mierendorff wieder positiv christlicher Protestant geworden sei, und er nur in einem wirklichen Christentum die Erneuerung einer gesunden Arbeiterbewegung sehen könne.2058 Auch wenn also das Christentum nicht die Widerständigkeit Mierendorffs auslöste, so bestärkte es diese im doch späteren Verlauf.

Seine Wandlung zur Religion, die ihm auch half, seine Widerständigkeit zu leben, scheint auch in seinen Abschiedsworten 1942 für die ihm seit zwanzig Jahren bekannte Jüdin Lussja Firle, die wegen der Verfolgung den Freitod gewählt hatte, auf:

2052 Albrecht, Der militante Sozialdemokrat 1987, S. 322. 2053 Mierendorff, Carl Mierendorff, M. d. R., Darmstadt 1933, S. 25-26. 2054 Gleissner, Heinrich. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3. 2055 Gleissner, Heinrich. IfZ, ZS/A-18, Bd. 3; siehe auch Gleissner, Theodor Haubach zum Gedenken 1955, S. 53. 2056 Albrecht, Der militante Sozialdemokrat 1987, S. 223. 2057 Steltzer, Von Deutscher Politik 1949, S.74 f. 2058 Rösch, Kampf gegen den Nationalsozialismus 1985. S. 266 347 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Was war der Sinn Deines Lebens? […] Du hast uns ein Leben vorgelebt, einzigartig in sei- ner Güte, Unbestechlichkeit und Seelengröße, ein Vorbild dazu angetan, das Bild des Men- schen, nur allzu oft von seiner eigenen Hand verzerrt, geschändet und in den Dreck gesto- ßen, zu reinigen und zu retten. So hast Du uns den Glauben an den Menschen und das Men- schentum im Menschen nicht verlieren lassen. Das war Deine Tat.2059 Mierendorff beendete seine Rede mit dem Abschiedsgruß: „Liebste Lussja, Adieu! Schlummere in Frieden, schlafe in Gott. Vor dem Vollendeten treten wir in Ehrfurcht zurück.“2060

5.2.3 Leber

Es wurde schon dargestellt, dass die von christlichen Grundüberzeugungen geprägten Neuordnungsvorstellungen des Kreisauer Kreises Leber weitgehend fremd waren, ob- wohl er bereits im Untersuchungsgefängnis im Jahr 1933 geistige Reflexionen ange- stellt hatte. Ihn quälten das ewige Denken an und die Sorge um die Familie. Dies sei aber nicht nur Qual, sondern auch Notwendigkeit. „Denn etwas bindet mit dem Leben, das sonst verblaßte und in der Ferne verschwände. Zum ersten Mal im Leben bekomme ich hier Verständnis für das Klosterleben. Schon im Kriege klang diese völlige Einsam- keit manchmal in mir an.“2061 Die Einsamkeit schien ihn sich selbst finden zu lassen. In einem weiteren Brief tröstete er sich sogar mit dem Gedanken, dass er mit der Gefäng- niszeit „Sünden auf diese Weise abbüße“2062. Dies ist möglicherweise ein Reflex seiner katholischen Erziehung in der Jugendzeit. Die Selbstfindung und die Ruhe in der Zelle begrüßte der sonst stets umtriebig gewesene Leber. Er schrieb seiner Frau:

Diese innere Sammlung und Konzentration durch die vier Wände der kleinen Zelle schaf- fen tatsächlich einen Zustand, der mehr inneres Glück in sich birgt als die zerrissene Hast des freien Lebens. Heute bekomme ich allmählich eine Vorstellung von den Beweggrün- den, die zu allen Zeiten Menschen in die Klosterzelle getrieben haben.2063 Am 13. August 1933 verglich er seine Zelle mit dem „Gehäuse [s]eines Namenspatrons des Hl. Hieronymus“2064. Leber war nach seinem Großvater Schubetzer auf die Namen Jérôme Jules getauft worden. Seine Herkunft aus einer katholischen Bauernfamilie war ihm also noch bewusst. Während seiner Untersuchungshaft erinnerte er sich an die Un- bilden der Kriegswinter mit dem Leben in Unterständen, an die schweren Wintermonate der Ypern-Überschwemmung und die damals ersehnte Geborgenheit, die dem „launigen

2059 Mierendorff, In Memoriam Lussja Firle 1964, S. 28. 2060 Mierendorff, In Memoriam Lussja Firle 1964, S. 28. 2061 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 31.05.1933, S. 254. 2062 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 04.07.1933, S. 262; Brief vom 04.08.1933, S. 271. 2062 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 13.08.1933, S. 273. 2062 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 18.08.1933, S. 275. 2063 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 04.08.1933, S. 271. 2064 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 13.08.1933, S. 273. 348 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Menschen“ auch nicht immer genüge. „Aber etwas von der Zufriedenheit, die ich mir damals erträumte, fühle ich doch hier in meiner engen Klause, die mir allein gehört und der niemand etwas anhaben kann. Denn das Zellenleben ist nur im Geistigen möglich und erträglich. Und im Geistigen ist die körperliche Unfreiheit doch nur etwas Neben- sächliches.“2065 Trotz der schweren Zeiten, in denen er „unter einem Unrecht wehrlos leiden“ musste, fühlte er sich als Gefesselter, mundtot Gemachter, nicht wehrlos.

Denn sein Geist lebt ja noch und ist ein Teil einer geistigen Wirkung, die solange wirkt, als sie ein echtes geistiges Fundament hat. […] Wo eine Idee ist, da ist auch Hoffnung und wo Hoffnung ist, lebt das Leben sich nicht sinnlos weg, sondern stapelt sich auf, sammelt sich, speichert Stärke und Willenskraft.2066 Dies sind im eigentlichen Sinne noch keine religiösen Überlegungen, wohl aber eine Vorstufe dazu. Diese kann man aber erahnen, wenn Leber an seine Frau schreibt:

Meine Verbundenheit mit dir, mein Glaube und jenes Höhere, was man so oft mit der ab- gegriffenen Münze des Worts Liebe bezeichnet, was aber mehr ist, weil es Schicksal ist über die Liebe hinaus, – sie werden der Inhalt und der Grund meines Lebens sein in den nächsten zwei Jahren.2067 Trotz dieser Annäherung an seinen christlichen Glauben in den 30er-Jahren konnte er mit dem christlichen Gehalt der Kreisauer Gedanken als Maßstab für politisches Han- deln nichts anfangen.2068 Eine weitere Wandlung erfolgte bei Leber erst nach seiner Verhaftung am 05. Juli 1944 mit den verschärften Verhören nach dem Attentat. Er be- reitete sich auf seinen Tod vor und wusste, dass es diesmal keine Rückkehr zu seiner Familie gab. Die Frage ist nun, in welcher Weise dieser bei ihm aufkeimende christliche Glaube ihm in dieser Situation half. Wie Haubach, aber auch Moltke, sah Leber in der Liebe seiner Frau eine Art Gottesbegegnung: „Immer trug mich das Vertrauen in deine Liebe und die Stärke deiner Seele über alles Schwere und quälend Ungewisse hin- weg.“2069 In Ravensbrück fühlt er sich wie die „mittelalterlichen Mönche, die aus der Welt ausscheiden, um sich in vier engen Wänden ihren Gedanken hinzugeben“2070. Er dachte über einen Spruch des Breslauer Mystikers Angelus Silesius2071 nach, den er in einem Buch seiner Frau fand: „’Man redt von Zeit und Ort, von Nun und Ewigkeit.’ Was ist denn Zeit und Ort und Nun und Ewigkeit? Viel habe ich darüber nachge-

2065 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 18.08.1933, S. 275. 2066 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 18.08.1933, S. 276. 2067 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 31.08.1933, S. 280. 2068 Siehe die bereits angeführten Stellen in: KB S. 234 f, 501. 2069 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 07.08.1944, S. 295. 2070 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 14.08.1944, S. 297. 2071 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, S. 379, Fn. 82: Angelus Silesius, eigentlich Johann Scheffler (1624-1677): Der cherubinische Wandersmann. Sinnliche Beschreibung der vier letzten Dinge. München 1925, Bd. 1, S. 46: Spruch 177: Im Grunde ist alles eins. 349 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand dacht.“2072 Die folgenden Briefe bis zu seiner Hinrichtung am 05. Januar 1945 sind Zeugnis einer innigen Beziehung zu seiner Frau, die er während der Haftzeit sechsmal sehen konnte. Die „grenzenlose“2073 Liebe zu ihr gab ihm die Kraft, diese schwere Zeit zu überstehen:

Ich habe mir viele Gedanken gemacht in den letzten Wochen und ich bin doch zu der Über- zeugung gelangt, daß die Liebe, deren die menschliche Seele fähig ist und die stärker ist als alles andere im Menschen und in der Welt, beweist, daß die Seele göttlichen Ursprungs sein muß. Ich komme also zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie du, mein lieber Paulus, denn göttlichen Ursprungs bedeutet auch unsterblich.2074 In der Erkenntnis, dass das, was von Gott herrühre, auch unsterblich sein müsse, ge- wannen Leber und auch seine Frau Trost in ihrem Schmerz.2075

Nach einem Besuch seiner Frau gestand er,

… die stille Beglückung, daß ich dir doch noch einige liebe Worte sagen konnte, denn du weißt ja sehr wohl, wie sehr mein Gewissen [Leber hatte eine uneheliche Tochter; A. d. V.] mich mahnt, die Jahre unseres Zusammenlebens zu überprüfen. Du hast es mir leicht ge- macht, mein Herz zu entlasten, und dafür danke ich dir ganz besonders.2076 Auch hier ein Bezug auf die katholische Praxis der Beichte. Kurz vor Weihnachten schrieb er: „Ich weiß, was ich mir und dir usw. schuldig bin. Meine Seele ist in sich fest und sicher und meine Selbstbeherrschung infolgedessen stark genug, um aller Schwankungen im Gemüt Herr zu werden. Ich weiß, daß mein Schicksal nicht sinnlos ist.“2077 Was genau seine Seele so bestärkte, ist allerdings nicht auszumachen. In seinem letzten Brief an seine Frau aus dem berüchtigten Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße bekannte er: „Und ich bitte täglich das Schicksal, das große Schicksal, möge wenigstens dir die Gnade der Gesundheit gewähren in einem langen und reichen Leben.“2078 Wenn man hier das Wort Schicksal durch das Wort Gott ersetzte, dann hieße es: Ich bitte täg- lich Gott, den großen Gott um Gnade.

Leber erwarb aufgrund der Haftbedingungen in einem Selbstfindungsprozess eine ge- wisse Religiosität, die den Wert der Liebe und der Gnade anerkannte. Zu seiner Kirche fand er allerdings nicht zurück. Er suchte zwar auf Wunsch seiner Frau, also nicht aus eigenem Antrieb, den katholischen Gefängnisgeistlichen auf, um ihn als Fürsprecher für seine Entlassung zu gewinnen. Seine Frau Annedore bat auch mehrfach den Osnabrü- cker Bischof Wilhelm Berning, in dessen Diözese das KZ Esterwege lag, um Vermitt-

2072 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 14.08.1944, S. 297. 2073 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, Brief vom 25.10.1944, S. 332. 2074 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, Brief vom 15.11.1944, S. 332. 2075 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, Briefe vom 25.10.1944 und 15.11.1944, S. 331 ff. 2076 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 06.12.1944, S. 299. 2077 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 06.12.1944, S. 299 f. 2078 Leber: Schriften, Reden, Briefe 1976, Brief vom 01./02.01.1945, S. 300 f. 350 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand lung und Fürsprache.2079 Schon in den dem 20. Juli 1944 folgenden Tagen hatte Ernst von Harnack mithilfe der katholischen Kirche den Aufenthalt der in Sippenhaft ge- nommenen Kinder seines Freundes Julius Leber zu ermitteln versucht.2080

5.2.4 Reichwein

Der religiöse Sozialist Reichwein sah im Christentum eine Möglichkeit zur Verwirkli- chung der sozialen Gerechtigkeit. So berichtet Gotthold Müller, ein enger Freund Reichweins aus Halle, „dass Reichwein zur Religion, also zum Christentum, völlig positiv stand und seine Kinder im christlichen Sinne erzogen hat, steht für mich außer jedem Zweifel. Das Christliche und das Sozialistische hat er in seiner Seele harmonisch vereint.“2081 Auch sein Bildungsverständnis war religiös orientiert. Bildung, alle Grund- dimensionen der Beziehung des Menschen zur Wirklichkeit umfassend, sollte nicht zu- letzt auch „die Dimension der individuell und gemeinschaftlich zu vollziehenden Be- sinnung auf ethische und religiöse Sinnorientierung des menschlichen Lebens und der Bemühung darum, das als richtig, als verbindlichen Anspruch Erkannte in der eigenen Lebenspraxis zu verwirklichen“2082 umfassen. Dieses Verständnis ging auch in die sitt- lichen Grundsätze der Erziehung des nach Huber Reichwein zumindest z. T. zuge- schriebenen Papiers „Gedanken über Erziehung“ vom 18. Oktober 19412083 ein. Hoh- mann2084 bezweifelt die Autorenschaft oder Mitwirkung Reichweins an diesem Memo- randum, das man 1969 unter den Papieren von Gablentz fand, u. a. wegen der in der Schrift zum Ausdruck gebrachten Religiosität. Hohmann schreibt das Papier stattdessen Gablentz zu. Darin wird von der notwendigen „erzieherischen und religiös-sittlichen Berufung“, von dem verpflichtenden „abendländischen Glauben“2085 des Erziehernach- wuchses und davon, dass der Religionsunterricht angesichts „seiner religiös-sittlichen inneren Bindung und angesichts der Bedeutung der Kirchen und ihres erzieherischen Auftrages“ in „die Hand der Kirchen und außerhalb der Schulen zu legen“2086 sei, ge- sprochen. Diese Aussagen stehen jedoch dem religiösen Verständnis Reichweins durch- aus nicht entgegen.

2079 Beck, Leber Sozialdemokrat 1983, Brief vom 25.10.1944, S. 363, Fn. 42. 2080 Leber, Annedore, Das Gewissen steht auf 1984, S. 101. 2081 Müller, Gotthold: Brief an Roon, 07.09.1964. IfZ, ZS/A-18, Bd. 5. 2082 Klafki, Reichwein 2000, S. 23. 2083 Beiner, Adolf Reichwein 1995, S. 102-108. 2084 Hohmann, Dienstbares Begleiten 2007, S. 189. 2085 Beiner, Adolf Reichwein 1995, S. 103. 2086 Beiner, Adolf Reichwein 1995, S. 107. 351 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Huber stellt bei Reichwein, wie bei anderen Kreisauern, durch die lebendige Erfahrung im Kreisauer Kreis eine religiöse Wandlung fest, „auf die auch für das ganze Volk als Kern subjektiver Erneuerung und struktureller Neuordnung zugleich gehofft und deren Anzeichen aufmerksam registriert wurden“2087. Diese religiöse Wandlung führte zur Erkenntnis, „daß der Grad der Gefährdung und Belastung unter der Diktatur zum Den- ken und Handeln mehr verlange als gute ethische Prinzipien und Motive des geläuterten Selbstinteresses oder des Idealismus“2088. Somit sei neben der sozialethischen nun auch für Reichwein stärker die transzendente Seite des christlichen Glaubens an Gott, die von Hoffnung und Schuld, Vergebung und Befreiung, auch stellvertretendem verantwortli- chem Handeln wisse, in den Vordergrund getreten.2089 Diese stärker transzendente Sicht kommt in verschiedenen Zeugnissen von Reichwein zum Ausdruck. In der 1942 gehal- tenen „Rede am Sarge von Gertrud Hermes“2090 spricht Reichwein von „Gnade und Behütung einer höheren Hand [zum] inneren Gelingen“ eines Erdenlebens2091, von Lei- den, „in Willen zur Überwindung und geistige Kraft umgesetzt“2092, und vom Ringen um den religiösen Standpunkt durch freimütige und unerschrockene Haltung, auch wenn dies abseits und einzeln geschehen müsse.2093 Vor seiner letzten Weihnacht 1943 schrieb er, auch eingedenk des Todes von Mierendorff am 04. Dezember 1943, an Al- bert Krebs2094: „Es ist diesmal um mich alles so voller Grauen, daß es nur der Bemü- hung gelingt, die Vorstellung der weihnachtlichen Gnade, des Friedens auf Erden und des Wohlgefallens lebendig zu machen.“2095 Trotz des Grauens baute er also auf die Gnade der Weihnacht. Die fand er dann in Kreisau2096 bei der Familie: „[…] und daß wir noch andere Lebenskräfte haben, hat sich jetzt in den Weihnachtstagen bestätigt und bewährt.“2097 In einem Osterbrief im Jahre 1944 an eine befreundete Ärztin beklagte er, dass man selten Menschen begegne, „die aus dieser schweren Prüfungszeit, die doch auch eine Gelegenheit zur Um- und Einkehr ist, die persönlichen Folgerungen ziehen.“ Reichwein war enttäuscht über die moralische Abstumpfung in der Bevölkerung und

2087 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 346. 2088 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 346. 2089 Huber, Museumspädagogik und Widerstand 1981, S. 346. 2090 LBDII S. 174-177; Gertrud Hermes war eine Erwachsenenbildnerin. 2091 LBDII S. 174. 2092 LBDII S. 175. 2093 LBDII, S. 176. 2094 Nach dem ersten Weltkrieg Sozialpädagoge und später Direktor einer thüringischen Strafanstalt, auch bekannt mit Poelchau; mit Reichwein seit der Wandervogelzeit bekannt und seit der gemeinsamen Zeit an der Front im Ersten Weltkrieg befreundet; LBDII S. 288. 2095 Reichwein: Brief an Albert Krebs, 18.12.1943; in: Krebs, Neue Beiträge 1981, S. 42. 2096 Nachdem die Wohnung der Reichweins zerstört wurde, fanden sie Aufnahme in Kreisau. 2097 LBDI, S. 210. Brief an Brigitte Hensel, 27.12.1943. 352 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand das Versagen der Kirche während der Kriegsjahre: „Sie leben unter Katholiken. Man wird Ostern gewiß begehen. Aber wo leuchten die Osterkerzen wirklich in die Herzen, daß den Menschen selbst vor dem was da drinnen ist an Dumm- und Dumpfheit, Engig- keit, Kleinmut und hartem Egoismus anfängt ein wenig bange zu werden.“2098 Aber er verzagte nicht und versuchte, den religiösen Festen eine Mission zuzusprechen. Daß er das „Fehlen des Kapuzinerordens dieser Zeit“ beklagte, „die aufstören und erregen an- statt zu beruhigen und zu glätten“2099, weist nicht auf Ablehnung der Katholiken, son- dern eher auf gelebte Ökumene im Kreisauer Kreis hin.

Reichwein wagte den Widerstand nicht nur aus ethisch-sittlichen Gründen, sondern schöpfte aus dem christlichen Glauben auch Trost und Kraft vor seiner Hinrichtung. Im Abschiedsbrief an seine Frau Romai brachte er dies so zum Ausdruck: „Seit dem 5. Juli war mein tägliches Gebet das Vater Unser, dem sich die Fürbitte für Dich, die Kinder und die Eltern anschloß. Ich verdanke diesem Gebet tägliche Stärkung. – Möge Gott Euch stärken, das Schwere zu überwinden und das Leben in Stärke fortzusetzen.“2100

Bezeichnend für Reichweins religiöse Haltung ist auch der an Harro Siegel anlässlich des Todes des mit ihm befreundeten Medienpädagogen Wilhelm Helmbrecht geschrie- bene Satz: „Und zuletzt dienen wir alle, die Toten und die Lebenden, der einen unendli- chen Aufgabe, den unheimlich mächtigen Stein vom Grabe der Menschheit wegzuwäl- zen; damit Menschen sein dürfen.“2101

5.2.5 Trott

Geht man bei Trott der Frage nach, ob Widerstand bei ihm ohne die Kategorie des christlichen Glaubens überhaupt erklärbar ist, dann kann u. a. auf zwei authentische Aussagen von ihm verwiesen werden. Schon 1936 schrieb er seiner Oxforder Freundin Hubback, er sei zu der Überzeugung gelangt, dass die christliche Ethik für die Wieder- aufrichtung der zerstörten Würde des Individuums von entscheidender Bedeutung sei.2102 Krusenstjern vermutet, dass diese Erkenntnis Trotts ein Ergebnis seiner Gesprä- che mit Tracy Strong am Rande einer Tagung des YMCA-Weltbundes in Kassel war.2103 Die zweite Aussage bezieht sich auf Trotts Stellungnahme zum Friedenspro-

2098 Brief an Irmgart Bernt, 09.04.1944. LBDII S. 233. 2099 Brief an Irmgart Bernt, 09.04.1944. LBDII S. 233. 2100 LBDII S. 249. 2101 LBDII S. 168. 2102 Trott, Adam von: Brief an Diana Hubback, 26.06.1936. BC, The papers of Adam von Trott zu Solz. 2103 Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 306. 353 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand gramm der amerikanischen Kirchen, „die er im Namen der Freunde abfasste“2104. Dort verband er die durch Widerstand wiederzugewinnende Freiheit mit dem Christentum. Er schrieb hierzu im Abschnitt VI: „Die Christen aller Länder werden sich die Forderung nach religiöser und geistiger Freiheit zu eigen machen“, und fügte hinzu, „dass das Maß dieser Freiheit praktisch umso größer sein wird, je mehr das persönliche und öffentliche Leben in Wirklichkeit begründet und gestaltet wird.“2105 Damit bekräftigte er die Not- wendigkeit des christlichen Glaubens auch im öffentlichen Raum und forderte den schrittweisen Abbau der „gewaltigen Diskrepanz zwischen der grundsätzlichen christli- chen Forderung und dem Maß ihrer irdischen Verwirklichung in der zukünftigen inter- nationalen Zusammenarbeit“2106. „Den wesentlichsten und unmittelbaren Beitrag zur Friedensgestaltung von christlicher Seite“ sah Trott in der „Überwindung der Massen- existenz durch eine christliche soziale Ordnung und vor allem in der Formung und Be- gegnung christlicher Persönlichkeiten.“2107

Als Trott dies 1943 schrieb, stand er jedoch noch nicht gefestigt auf dem Boden des Christentums. 1939 führte er z. B. zwar in einem Londoner Club intensive Gespräche mit Oluf Berntsen, einem dänischer Bankier, über die gemeinsame innere Beteiligung an religiösen Erneuerungsversuchen in Mitteleuropa2108, aber als er 1941 die Konver- sion seiner Brüder Werner und Heinrich zum katholischen Glauben kommentierte, hielt er die Erneuerung aus Gnade und aus dem Glauben notwendig, aber die Kirche erschien ihm mehr als „ein politisches Machtgebilde“2109. Pfingsten 1944 nahm er das erste Mal seit seiner Konfirmation wieder an einer Abendmahlsfeier teil, aber er fühlte sich noch nicht als ein Glied der Kirche, denn im Juni 1944 fragte er sich, ob nicht eine weit ge- spannte Weltreligion Lessing‘scher Prägung eine adäquatere Antwort sei auf die „Irre- führungen, Illusionen und Enttäuschungen“, denen seine Generation ausgesetzt sei, als ein christlicher Kinderglaube, der auszuweiten sei, um „die ganze Wucht und Intensität unserer heutigen Probleme“ zu bewältigen.2110 Trott war aber weiterhin ein Suchender, er beherzigte den Ausspruch von Pater Rupert Klingseis aus dem Benediktinerkloster Tokwan in Korea, den er 1938 besucht und ihm seine Glaubenshemmnisse gestanden hatte. Dieser schrieb ihm: „Es hat mich gefreut, in Ihnen einen so lieben, objektiv den-

2104 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 179. 2105 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 323. 2106 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 323. 2107 Brakelmann, Kreisauer Kreis 2004a, S. 323. 2108 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 182. 2109 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 211. 2110 Trott, Adam von an Clarita, Juni 1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 182, 354 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand kenden und ehrlich nach Wahrheit suchenden Menschen kennen lernen zu dürfen. Die hl. Schrift sagt: ‚Gott ist gut denen, die ihn suchen.’ Mögen Sie diese Güte Gottes im- mer mehr verspüren.[…].“2111 „Er suchte ein selbständiges Verhältnis zur Bibel“2112, so Bethge. An seine Frau Clarita schrieb er in diesem Zusammenhang: „Z. Zt. bemühe ich mich mit einiger Schwierigkeit um das Johannes-Evangelium; meine Verschlossenheit gegen so vieles davon ist komplex und schwer zu besprechen in Worten.“2113 Hier mag er die Hegel‘sche „Idee“ aus dessen „Ästhetik“, über die er am Anfang des Briefes sprach, mit dem „Logos“ des Johannes-Evangeliums in Beziehung gesetzt haben. Im Juni 1944 beschäftigte er sich mit Jeremias und mag von dessen nicht von Gott los- kommender Prophetenstimme2114 in dieser schlimmen Zeit angezogen gewesen sein: „Mit großem inneren Gewinn lese ich jetzt Jeremias“, schrieb er, „und freue mich, in dieser gewaltigen Stimme einen Grundton unseres eigenen Zeitlebens aufklingen zu hören.“2115 Ende 1943 sah Trott den Beginn der „großen, erwarteten Heimsuchung“ und mahnte seine Frau „ihre innere Ruhe“2116 zu bewahren, indem er auf Gott verwies: „[…] Über all dem steht ein höherer Wille, der sich nicht korrigieren lässt und in dessen tiefe- rer Erforschung und gehorsamerer Befolgung alle Freude und Ruhe beschlossen ist.“2117 Im März 1944 sprach er von „Zwiegesprächen mit dem Tode“, die Gott ihn lehren wol- le. Diese sollen nicht zaghaft, „sondern entschlossen“ geführt werden, um „daraus einen festeren Grund“2118 in seinem weiteren Dasein zu finden. An Pfingsten, als er das letzte Mal seine Familie in Imshausen besucht hatte, schien er aufgrund des sich verfestigen- den Glaubens zu einem Sicheinfügen in Gottes Wille gekommen zu sein. Über sein von ihm erwartetes Los sagte er zu seiner Frau: „Werde er noch gebraucht, so werde Gott sein Leben erhalten; wenn nicht, so sei er auch darüber im Frieden.“2119 Trotz dieser bemerkenswerten Aussage über „Gott und die letzten Dinge“, über die seine Frau zu- gleich ebenso beglückt wie erschreckt war, scheute er noch im Sommer 1944 eine voll- ständige Hingabe, wie man dies in der gleichen Situation bei Moltke bemerken kann. Es heißt da bei ihm: „Aber in der Frömmigkeit, wie in der Liebe gibt es ein Extrem der

2111 Klingseis, Rupert an Adam von Trott, 29.05.1938, BA N1416-12. 2112 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 216. 2113 Trott, Adam von an Clarita, 1943; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 211. 2114 Bethge, Trott und der deutsche Widerstand 1963, S. 216. 2115 Trott, Adam von, Juni 1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 212. 2116 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 189. 2117 Trott, Adam von an Clarita, 03.02.1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 189. 2118 Trott, Adam von an Clarita, März 1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 189. 2119 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 194. 355 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand inneren Preisgabe, das ich zutiefst scheue und für pflichtwidrig halte […]“2120 Er war sich seines Christseins immer noch nicht sicher und antwortete einem Theologen auf die Frage nach seiner religiösen Selbsteinschätzung: „Noch bin ich kein Christ, aber ich hoffe einer zu werden.“2121 Gleichwohl sprechen aus seinen Abschiedsbriefen an seine Frau und besonders an seine Mutter, mit der er seit seiner Jugend religiöse Dinge be- sprach, ein tiefer Glaube, der ihm half, von dieser Welt Abschied zu nehmen. Seine Frau bat er aus Plötzensee kurz vor der Hinrichtung, die beiden Töchter zu lehren, die tieferen Zeichen „unseres Gottes dankbar, aber auch tätig und kämpferisch zu verste- hen“2122. Seiner Mutter gestand er in seinem Abschiedsbrief vom gleichen Tag: „Gott ist mir in diesen Wochen gnädig gewesen und hat mir frohe, klare Kraft zu allem, fast al- lem geschenkt – er hat mich auch gelehrt, wo und wie ich fehlte.“ Er bat seine Mutter um Vergebung für den ihr zugefügten Schmerz und schloss mit den Worten: „In deinen Geist, Herr …“2123

5.3 Una sancta in vinculis

Nach den Ereignissen des 20. Juli wurde etwa die Hälfte der Kreisauer verhaftet oder ging in den Untergrund, nachdem vor dem Attentatsversuch bereits Leber und Reich- wein nach der Kontaktaufnahme mit der Kommunistengruppe Saefkow-Jacob in Haft genommen worden waren. Yorck (08. August 1944), Haeften (15. August 1944), Trott (26. August 1944), Reichwein (20. Oktober 1944) und Leber (05. Januar 1945) wurden noch vor oder kurz nach Jahresende hingerichtet, Rösch2124 und König waren unterge- taucht, Gerstenmaier, Delp2125, Steltzer, Haubach, Lukaschek und Husen kamen in Ber- liner Gefängnisse. Moltke wurde aus der Schutzhaft in Ravensbrück nicht noch vor dem 20. Juli, wie geplant, entlassen, sondern weiterhin in Haft nach Berlin transferiert. We- gen der Beschädigung durch die Bombenangriffe waren die Häftlinge im Zusammen- hang mit dem Attentatsversuch auf verschiedene Gefängnisse in Berlin verteilt. Moltke, Gerstenmaier und Delp waren in Zellen nebeneinander im Gefängnis Tegel unterge-

2120 Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 211. 2121 Trott, Eleonore von an John W. Darr, 22.01.1947; in: Krusenstjern, Trott Biographie 2009, S. 489. 2122 Trott, Adam von an Clarita, 26.08.1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 213. 2123 Trott, Adam von an Eleonore von Trott, 26.08.1944; in: Trott, Clarita, Lebensbeschreibung I 1994, S. 213 f. 2124 Rösch wurde nach einem Verrat am 11.01.1945 von der Gestapo verhaftet. 2125 Delp war der Anweisung Röschs unterzutauchen nicht gefolgt, da er neben anderen Gründen den Termin für die für den 15.08.1944 angesetzten letzten Gelübden, die wegen Vorbehalten des Jesuitenor- dens schon verschoben worden waren und auf die er sich in achttägigen Exerzitien in der Stille vorberei- ten wollte, nicht riskieren wollte; siehe Bleistein, Geschichte eines Zeugen 1989, S. 295. 356 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand bracht und hatten über den Gefängnispfarrer Poelchau2126, einen Kreisauer, der an der 1. Tagung teilgenommen hatte, und teilweise über den katholischen Gefängnispfarrer Buchholz2127 Kontakt untereinander. Dieser Kontakt wurde noch durch alte preußische Justizvollzugsbeamte, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, begüns- tigt. Diese drei Gefangenen hatten über den sogenannten Wäschetausch mit ihrer Um- welt über einen regen Kassiberwechsel Verbindung. Moltke und Gerstenmaier wurden von ihren Frauen und Delp durch die beiden Mariannen2128 versorgt. Im Falle Moltke fand vom 29. September 1944 bis 23. Januar 1945 ein ständiger, durch Poelchau unter Lebensgefahr ermöglichter Briefwechsel mit seiner Frau Freya2129 mit drei bis vier Brie- fen pro Woche statt. Dies war möglich, weil Freya von Moltke in dieser Zeitspanne meistens bei Poelchaus wohnte, wenn sie nicht ab und an in Kreisau war, um dort nach dem Rechten zu sehen und neue Nahrungsmittel für ihren Mann, die Poelchaus und an- dere Bedürftige zu besorgen. Zwischen den drei Kreisauern Moltke, Gerstenmaier und Delp bildete sich eine Bibellese-2130 und Gebetsgemeinschaft2131 heraus, die Delp die „Una sancta in vinculis“2132 nannte. Die Glaubensentwicklung, die diese drei Kreisauer während ihrer Haftzeit in Tegel durchmachten, ist quellenmäßig gut belegt; bei Delp

2126 Prégardier, Hapig 2007, S. 41: Marianne Hapig bei dem Besuch in Tegel im Herbst 1944: „Herrlich! Ich traf den jungen evangelischen Pfarrer Dr. Poll [Deckname für Poelchau; A. d. V.]. Er hat sich dort im Haus halten können trotz der Umwandlung in ein Gestapo-Gefängnis.“ 2127 Prégardier, Hapig 2007, S. 40. 2128 Marianne Hapig (Sozialarbeiterin) und Dr. Marianne Pünder (Leiterin der katholischen Frauenfach- schule). Delp sagte ungefähr acht Tage vor seiner Verhaftung zu einem Bekannten (Prof. Fritz Valjavec): „Wenn ich in irgendeine Not komme, die mit Berlin zusammenhängt, gehen Sie bitte zu Marianne Hapig, Berlin mit meinen Grüßen und erzählen ihr meine Not“; in: Prégardier, Hapig 2007, S. 30. Am 07.08. tat dies der Bekannte. Delp kannte Hapig seit 1939, als er im St.-Hedwig-Krankenhaus hospitierte, um sich auf die angestrebte Funktion eines Wehrmachtspfarrers vorzubereiten. Delp übernachtete in Berlin nämlich aus Geheimhaltungsgründen nicht in der Berliner Jesuitenniederlassung, sondern immer im katholischen St.-Hedwig-Krankenhaus, wo Marianne Hapig Krankenhausfürsorgerin war. 2129 Diese Briefe von Helmuth James und Freya von Moltke befinden sich wie ihre gesamte Korrespon- denz im Deutschen Literaturarchiv Marbach und sind editiert in: Moltke, Helmuth James Graf von und Freya; Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944-Januar 1945. München 2011 (zit.: HFM). 2130 HFM S. 19, 23, 286, 302, 435, 438, 444, 448, 450, 458, 463. 2131 Diese Bibellese- und Gebetsgemeinschaft ist ausführlich beschrieben in: Saltin, Botschaften aus dem „Kloster zum harten Leben“ 2008, S. 130-150. 2132 Delp an seinen Mitbruder P. Franz von Tattenbach SJ am 18.12.1944: „Was für ein Leben, was? Wir fühlen uns ganz komisch. Alles so auswegslos und wir haben bei aller Anerkennung des Ernstes nicht das Gefühl der Verlorenheit. Auf Weihnachten haben wir 4 [„Moltke, Fugger und Gerstenmaier (Pastor) und ich“; Delp IV S. 34] wieder eine Novene [ein neuntägiges Gebet in katholischer Tradition, angelehnt an die neuntägigen gemeinsamen Gebete zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten, dem Tag der Geist- sendung, Apg. 1,12-14; A. d. V.] angefangen. Diese betende Una sancta in vinculis. Für Mo(ltke) wird in der Krypta von St. Gereon in Köln jeden Tag Messe gelesen. Ich lese hier, St(öttner) [Der Jugendseelsor- ger Wendelin Stöttner wohnte mit Delp im Pfarrhaus St. Georg/Bogenhausen zusammen; A. d. V.] in München. Ach, wenn doch endlich der Weihnachtsstern aufginge. – Verständigung ziemlich zeitraubend, wegen der Isolierung [„seit dem 13. Oktober 1944 waren die Besuche der beiden Gefängnisgeistlichen [Poelchau und Buchholz; A. d. V.] von der Gestapo verboten worden. […] Es ist zu vermuten, daß sie Teil einer Strategie war, Delp zum Austritt aus dem Jesuitenorden zu bewegen“; Delp IV S. 26, Fn. 23.] Alles Gute; Vergelts Gott und diesen Schlußsegen“; in: Delp IV S. 60 f. 357 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand durch seine „Gesammelten Schriften“ Bd. IV „Aus dem Gefängnis“, bei Gerstenmaier durch seinen Lebensbericht „Streit und Frieden hat seine Zeit“ im 7. und 8. Kapitel und besonders eindrücklich bei Moltke durch seine „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel“. Die höchst interessante theologische Bewertung dieser Glaubensentwicklung kann nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, aber es soll ansatzweise auch für diese Zeitspanne des Widerstandes die Eingangsfrage gestellt werden, wie der christliche Glaube diesen Männern im Widerstand half. In diesem Fall war es ihre existenzielle Frage im „Ange- sicht des Todes“, denn sie mussten alle drei gemäß der Anklage2133 mit dem Todesurteil rechnen.

Bei der Entwicklung Moltkes ist vorauszuschicken, dass er während der Schutzhaft in Ravensbrück2134 quasi „ein geregeltes theologisches Studium aufgenommen hatte“2135. Dies erkannte Gerstenmaier aus der Liste der von Moltke erbetenen theologischen Wer- ke. Die erzwungene Ruhe erlaubte ihm nach den Jahren pausenloser Arbeit und Gesprä- che eine Vertiefung der Fragen, die ihn seit der tieferen Erkenntnis christlicher Grund- sätze2136, die er schon in seinem Brief an Curtis vom 18. April 19422137 erwähnt hatte, bewegten.2138 Diese Studien setzte Moltke in Tegel fort und erwarb sich ein tiefes Ver- ständnis der Bibel, das besonders in der theologischen Übersicht über die gesamte Bi- bel, die er seiner Frau im Brief vom 21. Oktober 1944 gab, zum Ausdruck kommt:

Da ich mich nun schon viele Monate mit der Bibel befasst habe und dabei viele Umwege habe machen müssen, weil ich mich nicht immer zurecht fand, denke ich, dass Du vielleicht etwas von mir profitieren kannst, jedenfalls will ich versuchen, Dir einiges von dem zu be- richten, was ich gefunden zu haben glaubte.2139 Er trat in einen geregelten, täglichen Bibelleseplan ein, den er auch seiner Frau zum parallelen Mittun mitteilte2140, er memorierte Bibelverse2141 und Kirchenlieder2142, in denen er Trost fand2143. Er beschäftigt sich immer wieder mit der Frage der Gnade, um die er bat2144 und rang2145.Von seinem tiefen Eintauchen in den christlichen Glauben

2133 HFM S. 547 f.; Delp IV S. 332 ff. 2134 HFM S. 150. 2135 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 180; siehe auch Moltke, Land der Gottlosen 2009. 2136 HFM S. 150. 2137 Brief Moltkes an Lionel Curtis, 18.04.1942. BLO, Lionel Curtis Papers, Box 99. 2138 Ringshausen, Widerstand und christlicher Glaube 2007, S. 380. 2139 HFM S. 91 ff. 2140 HFM u. a. S. 272, 286, 302, 435, 438, 444, 448, 450, 458, 463. 2141 HFM u. a. S. 42, 52, 107, 140. 2142 HFM S. 224, 584. 2143 HFM S. 115, 131, 140. 2144 HFM S. 114. 2145 HFM S. 164. 358 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand zeugen auch seine Ausführungen über den Schöpfungsgedanken2146 und sein Verständ- nis vom Jenseits2147 und der Auferstehung2148.

Die unterschiedliche Theologie der beiden Theologen und des nun theologisch gebilde- ten Laien Moltke zeigt sich besonders in dem glaubensorientierten existenziellen Rin- gen bei der geistigen Bewältigung des erwarteten Todes. Gerstenmaier und Delp glaub- ten beide, eine Zusage Gottes zur Rettung, „Verheißungen“2149, zu haben, während Moltke ständig zwischen einem Sichfügen in Gottes Willen und berechtigter Lebens- hoffnung schwankte, was in dem von ihm immer wieder zitierten Bibelvers „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn“2150 seinen Ausdruck findet.

Gerstenmaier beschreibt seine „Verheißung“ in seinem Lebensbericht so:

[…] als [ich] einfach da saß, ging mir plötzlich ein Bibelwort durch den Kopf. „Ich werde nicht sterben, sondern leben und …“ Der Schluß war mir abhanden gekommen. Ich begann in meinem Gedächtnis nach ihm zu suchen. Da durchzuckte mich der Gedanke: das gilt ja dir. Ich sprang auf und starrte zu dem Zellenfenster empor. Mein nächster Gedanke war: Bilde Dir bloß nichts ein. Verlier die Balance nicht. Nichts dümmer als das Opfer seiner eigenen Wünsche und Vorstellungen zu werden. Vorstellungen, die die Realität, die massi- ve Wirklichkeit geschlossen gegen sich hatten. Aber immer wieder fiel in meine Zweifel und Selbstermahnungen tonrein und sich verstärkend die innere Stimme: „Ich werde nicht sterben, sondern leben.“2151 Gerstenmaier konnte dieser Verheißung zunächst nicht glauben, da dies gegen sein theologisches „Erkenntnishandwerk“ sprach. Aber er akzeptierte diese Verheißung und ordnete ihr das dritte Element des Glaubens zu:

1. Notitia – die Kenntnisnahme der geschichtlichen und geschichtlich tradierten Tatbe- stände der biblischen Botschaft, 2. Assensus – die intellektuelle Zustimmung, für mich ihre Hinnahme. Jetzt aber wurde von mir Fiducia verlangt – das Vertrauen, der Verlaß auch gegen allen Augenschein.2152 Dieses Verheißungserlebnis vom 17. August gab ihm Kraft bei den fortgesetzten ver- schärften Vernehmungen. „Es drohte zwar zeitweilig von Zweifeln erstickt zu werden, aber es rang sich immer wieder frei.“2153 In einem Brief vom 01. Januar 1945, also vier Tage vor dem Gerichtstermin, teilte Gerstenmaier seiner Frau Brigitte mit, dass er sich innerlich weigere, einen Abschiedsbrief zu schreiben, da er sich von Gott gerettet fühle:

2146 HFM S. 481. 2147 HFM S. 533. 2148 HFM S. 447. 2149 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 202. 2150 HFM S. 179; Röm. 14,8. 2151 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 202. Der ganze Vers lautet: „Ich werde nicht sterben, son- dern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden“; Psalm 118,17. 2152 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 203. 2153 Gerstenmaier, Streit und Friede 1981, S. 207. 359 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Ich lebe in einem atemberaubenden, das Herz jagenden Dialog mit Gott, dem lebendigen Gott und seinem Wort, seinem mir gegebenen. Darum, geliebtes Leben, und wenn die Welt zerbricht: ich kann Dir jetzt keinen Abschiedsbrief schreiben, […] Gott lässt mir keine Freiheit dazu. Ich empfinde ganz deutlich das Wagnis. Aber es muß sein. Gott will es! Er helfe uns! Amen. Für immer und immer.2154 Gerstenmaiers stark intellektuell geprägte Form seines Glaubens wich nach der Beob- achtung von Marion Yorck in diesen Tagen und Wochen der Zuversicht einer im Ge- fängnis persönlich erlebten Gotteserfahrung. „Eugen Gerstenmaier war ein Intellektuel- ler, selbst seine Frömmigkeit ging über den Kopf. Aber es war ein starker Glaube. Als er von einem Gefängnis in das andere gebracht wurde, schrieb er mir auf eine Karte, die er herausschmuggelte: „Deus est – pro nobis.“2155 Diese spirituelle Erfahrung stärkte seine Hoffnung auf ein letztlich gutes Ende.

Auch Delp glaubte, eine Verheißung empfangen zu haben, auf die er zunehmend baute. Er schrieb am 30. September 1944 an die beiden Mariannen: „Und die Urbi täglich [im Gebet; A. d. V.] an ihr Wort erinnern. Das muß sie jetzt halten.“2156 Delp spielte auf das Lebensangebot von Frau Maria Urban (1891-1944), Direktorin des Städtischen Kinder- gärtnerinnenseminars München-Bogenhausen, an. Frau Urban hatte in einem Brief vom 15. Februar 1943 ihr Leben Gott angeboten, damit P. Delp den Krieg und den Wider- stand gegen das Dritte Reich überlebe. Sie war schon Wochen vor Delps Verhaftung, am 13. Juni 1944, im Keller ihres Hauses bei einem Bombenangriff ums Leben ge- kommen. Delp erfuhr erst wenige Tage nach ihrem Tod von diesem Lebensopfer.2157 Auf dieses ihn rettende „Urbi-Lebensopfer“ nahm er immer wieder Bezug, was zeigt, dass er darauf vertraute. Vor dem zunächst angenommenen VGH-Termin am 07. oder 08. Dezember 1944, bei dem „man ja mit allem rechnen“2158 musste, schrieb er am 22. November 1944 Worte des Dankes an die beiden Mariannen: „Ich tue das, obwohl ich immer noch an das Wunder glaube, das sich zwischen mich und den Galgen stellt. Das Herz der Urbi hat nicht umsonst ein Jahr lang Todesangst gelitten. Sie hat ihr An- gebot gemacht im Zusammenhang mit einer Sache, um die es jetzt geht.“2159 Damit meinte Delp wohl die im Februar 1943 stattgefundenen Besprechungen des Kreisauer Kreises in München. Delp fuhr fort: „Das Datum des Briefes: 15.2.43 ist so tröstlich – und ihr Opfer wurde angenommen – ein paar Tage nach einer anderen Sache, um die es

2154 Gerstenmaier, Zwei können widerstehen 1992, S. 91. 2155 Meding, Mit dem Mut 1992, S. 199. 2156 Delp IV S. 21. 2157 Delp IV S. 21, Fn. 4. 2158 Delp IV S. 28. 2159 Delp IV S. 28 360 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand jetzt geht.“2160 Damit wird darauf angespielt, dass wenige Tage vor dem Tod von Frau Urban (13. Juni 1944) Sperr und Delp am 06. Juni 1943 getrennt Stauffenberg in Bam- berg besucht hatten. Dieser offensichtliche Bezug zur Realität muss Delp sehr beein- druckt haben und ließ ihn dies als eine göttliche Zusage bewerten. Dann nimmt es auch nicht wunder, dass er diesen Lebensopfer-Brief in der Nähe des Allerheiligsten aufbe- wahrte: „Ich habe den Brief da, das Sakrament2161 liegt auf ihm.“2162 Am Herz-Jesu- Freitag2163, dem 01. Dezember 1944., wies er die beiden Mariannen wieder auf den „Opferbrief“ hin, den er auch an einem Herz-Jesu-Freitag, immer ein besonderer Tag für ihn, bekommen habe.2164 Darin sah Delp wieder ein zusagendes Zeichen und fuhr mit den „schönen Worte[n]“ im Introitus der am gleichen Tage in der Zelle zelebrierten Messe fort: „Ut eruas a morte et alas eas in fame.“2165

Am 06. Januar, also wenige Tage vor dem VGH-Termin, vor dem er mehr Angst hatte als vor dem Ergebnis selbst, denn er war sich ja des Urbi2166-Lebensopfers nun ziemlich sicher und hatte noch „die volle Zuversicht des Lebens“ und die „innere Gespüre wissen nichts von Aufhören“, schrieb Delp an die Mariannen: „Mein Nachbar hat mich leise für verrückt erklärt, als ich ihm sagte, ich müsste am 15.II., am Tag, an dem 1943 der Urbi- Brief geschrieben ist, zu Hause sein.“2167

Nach dem VGH-Prozess am 10. und 11. Januar mit dem verkündeten Todesurteil schien Delps Zuversicht, gerettet zu werden, gesunken zu sein. Er sah keinen Ausweg, „für einen Jesuiten haben sie keine Gnade“2168. Aber „ob Plötzensee dazugehört, weiß ich noch nicht.“ Ganz hatte er seine Hoffnung noch nicht aufgegeben und brachte das Gna- dengesuch2169 ins Spiel. Aber er schien auch bereit zu sein, sich in das unvermeidliche

2160 Delp IV S. 28 2161 Damit ist eine in der Gefängniszelle konsekrierte Hostie gemeint. 2162 Delp IV S. 28. 2163 Nach katholischer Tradition immer der erste Freitag des Monats. 2164 Delp IV S. 34. 2165 Delp IV S. 35. „Denn er will sie dem Tod entreißen und in der Hungersnot ihr Leben erhalten“; Psalm 33,19. 2166 Bei Moltke spielte in ähnlicher Weise die sog. Ulla eine Rolle, „die für ihn arbeiten musste“. Ulla Oldenbourg, Anhängerin der Sekte der Christian Science, war eine Freundin der Eltern Moltkes. Moltke spricht ihr eine besondere Nähe zum Heiligen Geist zu, wenn er am 06.11.1944 Freya von zwei Lebens- schichten schreibt, in denen man leben kann: einer emsigen und einer beschaulichen, diese Letztere sei „aus Urgründen dem Heiligen Geist geöffnet, Gründen, die wir nicht kennen. Das ist, wenn Du es er- reichst, wohl noch etwas Besseres, weil Sichereres als die geistige Kapazität, die Ulla z. B. hat. Die kannst Du Dir schenken, oder wenn Du sie hast, dann ist sie zusätzlich.“ Um diese „zusätzliche“ Unter- stützung bittet Moltke Ulla über seine Frau über 60-mal. 2167 Delp IV S. 91. 2168 Delp IV S. 125. 2169 Delp IV S. 361 f. 361 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Schicksal zu fügen, wenn er in einem PS an die beiden Mariannen vom 14. Januar 1945 schrieb:

In dem weißen Umschlag für Luise […] befindet sich die letzte Nachricht von Urbi. Dieser erste Satz [Die Anrede im Brief lautete: Dear Father2170,] war das einzige Wort dieser Art, das dieses herbe Herz sich entschlüpfen ließ und das noch in fremder Sprache und nach dem Tode. Wenn ich heimgehe, freu ich mich schon auf das Wiedersehen mit Urbi. Dann braucht sie nicht mehr englisch zu reden.2171 Moltke hatte in der Zeit vor dem VGH-Prozess keine „Verheißung“. Er rang mit dem Tode und teilte dieses existenzielle Ringen in fast 50 Briefen seiner Frau Freya mit. Moltke sagte seiner Frau, sie solle mit seinem Tod rechnen2172, er wolle den Tod geistig vorwegnehmen2173 und von ihm nicht überwältigt werden.2174 Moltke strebte eine „Mit- telsphäre“ an, „sich zum Sterben bereiten und sich im Kampf um das Leben berei- ten“2175, und sah dies im, in diesem Zusammenhang immer wieder zitierten, Bibelvers Röm 14,82176 aufgelöst. Er wollte jede Stunde nutzen, sich auf den Tod zu rüsten, aber auch sein Vertrauen, dass Gott sein Leben erhalten könne, zu verankern.2177 Freya war „wohl angetan“, wie sie in einem Brief vom 24. November 1944 schrieb, dass Moltke diese Spannung zwischen Leben und Tod unter dem „Tenor ‚wachet und betet’“ aus- hielt:

Ich war voller Sorge, wie Du das so lange aushalten solltest, aber so ist es richtig angese- hen, denn so ist es nicht nur der Tod, auf den Du ausgerichtet zu sein brauchst, und auch nicht nur das Leben, sondern Du bejahst die unvermeidliche Spannung zwischen den bei- den Polen und nimmst sie auf Dich und lebst in ihr, so gut Du kannst. Das ist sehr schön und tröstet mich sehr!2178 Während es Moltke Ende November noch als eine „Anmaßung und mangelnde Erge- bung in Gottes Wille“2179 empfand, um sein Leben zu bitten, und die Hoffnung auf ein Kriegsende vor dem Prozess ihm geradezu „peinlich“ erschien, änderte er wohl unter dem Einfluss der beiden „wildgewordenen Theologen“2180 seine Haltung kurz vor dem Prozesstermin am 10. und 11. Januar 1945:

Wir müssen getrost und unverzagt durch jene Tage hindurch, und steht an ihrem Ende der Galgen, so müssen wir auch da getrost hinauf. Und mit seiner Hilfe geht das ganz gewiss.

2170 Der Brief war in Englisch verfasst, um keinen Verdacht auf einen deutschen Ordensmann fallen zu lassen; Delp IV S. 126, Fn. 253. 2171 Delp IV S. 126. 2172 HFM S. 155. 2173 HFM S. 156. 2174 HFM S. 164. 2175 HFM S. 179. 2176 Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn. 2177 HFM S. 223. 2178 HFM S. 230. 2179 HFM S. 274. 2180 HFM S. 392; gemeint sind Gerstenmaier und Delp. 362 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Aber dass er mich zu retten vermag, dass wir ihn darum bitten, ja dass wir ihn mit Bitten darum bestürmen dürfen, das ist ganz gewiss.2181 Vorausgegangen waren Glaubensgespräche zwischen dem „Dreigespann“2182. Die bei- den Theologen behaupteten gegenüber Moltke, „man müsse beten für sein Leben und daran glauben, dass diese Bitte erfüllt wird“, während Moltke immer wieder sagte, dass das zu weit gehe: „Was Gott will, kann ich ihm nicht vorschreiben, auch nicht vorglau- ben. Ich kann nur glauben, dass er mein Bestes will.“2183 Aber das Glaubensgespräch schien ihn doch beeindruckt zu haben, denn er schrieb tags darauf nach einer nächtli- chen Reflexion seiner Frau, er sei Gott dankbar, sicher zu fühlen, „dass er mich […] festhält, wenn jeder Schimmer menschlicher Hoffnung dahin war, und ganz sicher und klar kam seine Verheißung: Ich kann dich auch am Leben erhalten. Es war also eine schöne wache Nacht.“2184 Moltke verwendete in seiner Verheißung das Wort „kann“ und nicht „wird“, wie Gerstenmaier und Delp es glaubten. Die theologische Tiefe der Glaubensgespräche wird deutlich, wenn Moltke in seinem Brief an Freya vom 02./03. Januar 1945 im Streitgespräch „Helmuth contra Eugen“ relevante Bibelstellen gegenüberstellte: „1. Johannes 5,14+15“2185, und die aus Sicht Moltkes viel schwierige- re Stelle „Markus 11,24“. Die erste Bibelstelle führte Poelchau, der mit dieser Frage auch konfrontiert wurde, als Lösung der Streitfrage an, das befriedigte Moltke aber vor dem Hintergrund der Markusstelle2186 nicht.2187

Vor dem Prozessbeginn wusste Moltke seiner Frau gar nichts mehr über „seinen Tod“ zu schreiben: „Du weißt alles ganz genau. Ich bin wahrlich kein Heroe, habe auch keine Lust zu sterben, aber irgendwie wird es mir schon so gelingen, dass ich keinen Augen- blick dabei vergesse, dass ich in Gottes Hand bin und bleibe, ja ganz fühlbar in seine Hand zu fallen im Begriffe bin.“2188 Einen Tag später schrieb er: „Bleibe ich am Leben, so danken wir Gott, nimmt er mich zu sich, so danken wir ihm auch.“2189

2181 HFM S. 446. 2182 HFM S. 420. 2183 HFM S. 303. 2184 HFM S. 304; mit dem Ausdruck „Verheißung“ übernimmt Moltke die Wortwahl von Gerstenmaier über eine Lebenszusage. 2185 Und dies ist die Zuversicht, die wir haben zu ihm, dass er uns erhört, wenn wir nach seinem Willen um etwas bitten. Und wenn wir wissen, dass er uns in dem, was wir erbitten, erhört, wissen wir, dass wir erhalten das Erbetene, das wir erbeten haben von ihm. 2186 Darum sage ich euch: Bei allem, um was ihr betet und fleht, glaubet, dass ihr empfangen habt, und es wird euch geschehen. 2187 Der theologische Disput zwischen Moltke auf der einen und Gerstenmaier und Delp auf der anderen Seite drehte sich um die Frage, wie denn dem Gott geschuldeten Vertrauen am ehesten entsprochen wer- den könne; siehe Saltin, „Geweiht zu einer neuen Sendung“ 2011. 2188 HFM S. 449. 2189 HFM S. 457. 363 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Das Prozessergebnis empfand Moltke dann geradezu als moralischen Sieg über Freisler und den Nationalsozialismus. Alle konkreten Vorwürfe hätten sich als unhaltbar erwie- sen und seien fallen gelassen worden. Ein Privatmann mit Verbindung zu beiden Kon- fessionen habe über Dinge gesprochen, „die zur ausschließlichen Zuständigkeit des Führers gehören“2190 und somit nach der Definition Freislers Hochverrat2191 seien, und nur deswegen sei er verurteilt worden. Er sah in diesem Prozessverlauf ein Eingreifen Gottes2192 und sprach für seine Frau „kraft des Schatzes der aus ihm gesprochen“ habe und „der dieses bescheidene irdene Gefäß“2193 [das er darstellte; A. d. V.] erfülle, einen Segen.2194 Er betrachtete sein Leben als vollendet, er würde aber gern weiterleben, dann bedürfe es aber eines neuen Auftrages Gottes.2195 Diesen Auftrag erkannte Moltke in der Lektüre des von Gerstenmaier für den 13. Januar, also drei Tage nach der Gerichts- verhandlung, angesetzten Bibeltextes unter Jona 2.2196 Dort wird beschrieben, wie Jo- nas, der von seinen Feinden ins Meer geworfen wurde, wundersam von einem Fisch verschlungen wurde und nach drei Tagen nach dem Gebet Jonas wieder ausgespien wurde. Er begründet Freya seinen neuen Auftrag am 13. Januar 1945:

Jene dramatischen Worte, die Freisler mir sagte und deren Höhepunkt der Satz war: „Sehen Sie, Ihr Christentum und wir haben nur eines gemeinsam: Wir verlangen den ganzen Men- schen“, die sind gar nicht gesagt, um diesen bedeutenden Repräsentanten des Nazismus zu zwingen, sich klar zu bekennen, sie sind nicht gesprochen, um Leute unseres Schlages, die noch nicht alles begriffen haben, die Augen endgültig zu öffnen, denn dann hätten sie eben nicht zu mir allein gesprochen werden dürfen, sondern vor einem viel größeren Forum – nein, mit diesem Wort hat Freisler als Prophet Gottes mir Gottes Auftrag an mich erteilt. Darum ist es nur an mich gerichtet gewesen. Das heißt aber, dass Gott mich auf dieser Welt noch brauchen will, ja überhaupt erst anfangen will, mich zu brauchen, dass der 10.1.45 nicht der Schluss meines Lebens, sondern der Schluss meiner Lehrjahre war, dass ich jetzt wie Jona im Bauch des Walfisches bin und wieder ausgespien werde.2197 Moltke war ganz gewiss, „einen Auftrag von Gott empfangen zu haben“2198. Er sah dies zwar nicht als feste Verheißung für ein Weiterleben an, aber dieser Auftrag sei nur durch Weiterleben erfüllbar. Wenn er dies mit der wunderbaren Geschichte von Jona 2 zusammenhalte, dann käme das aber „einer Verheißung weiteren Lebens sehr nahe“2199.

2190 HFM S. 478 2191 HFM S. 469. 2192 HFM S. 479 f. 2193 HFM S. 469. 2194 HFM S. 482: Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen. 2195 HFM S. 481. 2196 HFM S. 490. 2197 HFM S. 490. 2198 HFM S. 506. 2199 HFM S. 506. 364 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Moltke gewann nach einigen theologischen Reflexionen2200 die Überzeugung, dass er nur am Leben bleiben werde, wenn er bedingungslos daran glaube, dazu bedürfe es aber der Gnade.

Freya glaubte nicht an die Jonas-Verheißung, da sie aufgrund ihrer Begegnungen wegen der Gnadengesuche die eigentliche Urteilsbegründung erfuhr. Sie schrieb am 15./16. Januar 1945 an ihren Mann: „An den Walfisch, mein Geliebter, glaube ich nicht! Das schlägt zu sehr in Eugens Fach, aber wer kann es wissen.“2201 Darauf antwortete Moltke einen Tag später:

Der Walfisch ist nicht so wie Eugen. Eugen will Antworten erzwingen und sucht sie in der Schrift. Ich hingegen wollte gar nichts, sondern war ganz naiv und wurde plötzlich von die- ser Mitteilung überrascht. Ich kann nicht sagen, dass die Tatsache, dass ich diese Mitteilung genau 3 Tage nach Freislers Angebrüll erfuhr. Die Stelle war auf den vierten Tag nach meiner Vernehmung angesetzt, und ich kam 24 Stunden später dran, die Stelle sollte am Morgen im Bett gelesen werden und durch den Schreibfehler2202 wurde es später Vormittag, fast Mittag; nie haben Eugen und ich über die Stelle gesprochen, und ausgerechnet an dem Tage musste er mir sagen, Jona 2 sei dran.2203 Bei dieser Glaubensprüfung setzte er sich mit einem Kassiber von Gerstenmaier an ihn auseinander. Dieser bestärkte Moltke, wenn er schrieb: „Warum sollten die ‚Schuppen’, die von Ihren Augen fielen, nicht auf Befehl Gottes gefallen sein?“2204 Gerstenmaier war „sehr dankbar“, dass Gott Moltke „der Todbesessenheit“ entrissen hatte. Aber, so mahnte Gerstenmaier, es müsse geglaubt sein2205, und zog für den inzwischen bibelkun- digen Moltke nicht weniger als zehn Bibelstellen heran. Diese Glaubensauseinanderset- zung fiel Moltke sehr schwer und er gestand am 18. Januar, also fünf Tage vor seinem Tod, dass „so eine Sache wie der Walfisch“ ihm „ganz rasend“ zusetze, da „alle rationa- len Gesichtspunkte“ dagegen sprechen.2206 Diesen schien er sich nun doch zu beugen und schrieb Freya: „So wie ich das jetzt ansehe, ist es so, dass Gott von mir den Glau- ben fordert, dass er mein Leben erretten wird, und zwar auch dann, wenn ich tatsächlich gehenkt werde.“2207 Er fuhr fort: „Du siehst Deinen vor kurzer Zeit noch ganz geklärten Wirt2208 jetzt in Zweifeln auf einer ganz anderen Ebene zerrissen. Mir scheint, der Wal- fisch hat mich am Samstag nicht ausgespien, sondern vielmehr erst in seinen Bauch

2200 HFM S. 506 f: Moltke zieht dabei verschiedene Bibelstellen heran wie Richter 3, Röm 4, 18+21, den Philipperbrief. 2201 HFM S. 512. 2202 HFM S. 490: Moltke hatte Jona 2 mit Josua 2 verwechselt. 2203 HFM S. 514. 2204 Eugen Gerstenmaier an Helmuth James von Moltke, 18.01.1945, in: HFM S. 566. 2205 Eugen Gerstenmaier an Helmuth James von Moltke, 18. 01.1945, in: HFM S. 567. 2206 HFM S. 524. 2207 HFM S. 524. 2208 Moltke benutzte in den Briefen an Freya für sich den Ausdruck Ehewirt oder Wirt. 365 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand aufgenommen, und da sitze ich nun und bete und schreie zum Herrn.“2209 Dieses Abrü- cken von der Walfisch-Verheißung zeigt sich auch in dem Brief von Moltke an Delp vom 15. Januar:

Glauben wir fest an unseren weiteren Auftrag! Aber Sie wissen, dass ich für meine Person der Meinung bin, dass, obwohl der Herr mir durch Freislers Mund einen Auftrag gegeben hat, er mir damit nicht kundtun wollte, ob er mir zur Erfüllung dieses Auftrages auch eine Lebensspanne von Stunden, Tagen oder Jahren gibt. Darum müssen wir ihm im Glauben sicheren, festen, freudigen Schrittes unsere Bahn gehen, auch wenn wir den Weg nicht se- hen. Darum Gott befohlen! Der Weg führe uns in die Freiheit oder zum Galgen.2210 Den erhaltenen Auftrag wollte Moltke mit der Ausbreitung der „Legende“2211, der Bot- schaft an ein viel „größere[s] Forum“2212, dass das Christentum den ganzen Menschen erfordere und dass er nicht als Befürworter des 20. Juli2213, sondern als „Christ und gar nichts anderes“2214 gehängt wurde, durch den Jesuitenorden erfüllen, wie er es schon kurz nach seinem Prozesstermin und in seinem vorletzten Brief am 21./22. Januar Freya mitgeteilt hatte.2215 Diese Legende sollte aber nicht von ihm, sondern sie sollte von den Jesuiten oder von „der Hapig“2216 ausgehen. Damit wollte Moltke sich nicht von einer Verantwortung für die Urheberschaft drücken, sondern damit seine Familie schützen. Freisler hat nämlich vor jeder VGH Sitzung die Prozessbeteiligten und die Zuhörer- schaft zur Geheimhaltung verpflichtet. Die Jesuiten und Frau Hapig mussten nicht für eine Familie sorgen, deshalb sollten sie die Urheberschaft für die Legende übernehmen.

Moltke erkannte in den letzten Tagen, wie Freya vorher schon2217, dass für Thierack2218 und Freisler der „Kreisauer Kreis“ das „Hauptgravamen“2219 war. Er korrigierte damit

2209 HFM S. 524 f. 2210 Helmuth James von Moltke an Pater Alfred Delp, 15.01.1945 (das Datum ergibt sich aus dem Brief von Helmuth James an Freya vom 15.01.1945, HFM S. 506); HFM S. 565 f. 2211 Es war immer ein Anliegen von Moltke, dass die Welt weiß, dass er nicht im Zusammenhang mit dem Attentat verurteilt wird; HFM S. 330. Deshalb hatte er sich von den „Goerdeler’schen Machenschaften“ im Verhör „zu gründlich“ distanziert. Das in diesem Zusammenhang preisgegebene Detailwissen bedau- erte er immer wieder als „Fehler“ „Ich habe einen Fehler gemacht, kein Zweifel, aber nicht in bösem Willen, sondern im Nachlassen der Widerstandskraft. […] Ich will. dass Du das weißt, denn die Sache könnte später einmal aufkommen und nicht verstanden werden“; HFM S. 45 f. Moltke wollte für seine eigenen Gedanken in den Tod gehen und nicht für die von Goerdeler. 2212 HFM S. 490. 2213 HFM S. 331: „Ich möchte mit dem 20.7. wahrlich nichts zu tun haben, und es ist wichtig, dass eine positive Gegenparole erscheint; bloßes Bestreiten ist zu wenig. Mit dieser Legende würden wir durch unseren Tod wenigstens auch noch gleich etwas zur Ausrichtung der Gegenkräfte beitragen. 2214 HFM S. 480. 2215 HFM S. 481. 2216 HFM S. 331: „Die Hapig soll nur sehen, dass das in Schlesien gut verbreitet wird.“ 2217 HFM S. 517: Freya legte dem Pflichtverteidiger Hercher am 17.01. ein Gnadengesuch, bei dem Molt- ke noch von seiner Urteilsinterpretation vom 10./11.01.1945 ausging, zur Begutachtung vor. Hercher war nicht einverstanden: „Du seiest wegen eigenem Hochverrat verurteilt; die Erwägung von Landesverwe- sern für eventuell besetzte Gebiete und u. Umständen das ganze Reich, die Erwägung, dass dann die NS- Regierung verschwunden sein könne durch Gewalt des Feindes, die Besprechung der Einheitsgewerk- 366 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand seine ursprüngliche Interpretation seines Urteils, nur wegen eines nicht stichhaltigen Hochverrats verurteilt worden zu sein, und sah darin auch den Grund für die Ablehnung der verschiedenen Gnadengesuche:

Sie haben eben begriffen, dass in Kreisau die Axt an die Wurzel des N.S. gelegt werden sollte und dass nicht nur wie bei G. [Goerdeler; A. d. V.] eine gewisse Fassadenänderung vorgenommen werden sollte. Es ergibt sich auch aus einer Bemerkung von Fr. [Freisler; A. d. V.] in der Sitzung, die ungefähr so war: Wenn Stauffenberg die Triebkraft im militäri- schen und G. im organisatorischen Sektor war, so war es Moltke im geistigen Sektor.2220 Aufgrund dieser authentischen Quelle, bei der Moltke auf eine Stufe mit Stauffenberg und dem Umsturzplaner Goerdeler gestellt wird, muss das Bild von Moltke im Wider- stand, der im Gedenken häufig mit dem Attribut „denn wir haben nur gedacht“2221 in Verbindung gebracht wird, zurechtgerückt werden. Er dachte zwar mit seinen Kreisau- ern, stieß aber auch Aktionen an, die nach damaligem Recht Hochverrat waren.

Moltke drückte in seinem vorletzten Brief an Freya seine Dankbarkeit wegen ihrer Er- mahnungen, nicht an die Walfisch-Verheißung zu glauben, aus; damit sei die Periode der Anfechtung vorbei. Er wünschte nur noch, „mit einem Kreuzchen vom Pim2222 zum Galgen zu gehen“2223. Die Ablehnung des Gnadengesuches2224 durch Müller2225 habe ihm „riesig geholfen“2226 und ein Druck sei von ihm gewichen: „[…] und dieser Druck war die menschliche Hoffnung; mir wurde es leichter, als die nun vergangen war und ich sozusagen keine Kräfte mehr aufwenden brauchte, um sie aufrecht zu erhalten.“ Im wieder gewonnenen seelischen Gleichgewicht fuhr er fort: „ Der Herr ist wieder sehr gnädig mit mir […]. Es ist alles wieder eingependelt auf der alten Linie der Bereitschaft und freudig Gottes Willen zu erfüllen.“2227

Die Verheißung von Gerstenmaier hatte sich erfüllt, Moltke hatte sich von der mensch- lichen Hoffnung befreit und Delp wurde nach dem Weggang Moltkes am 23. Januar 1945 schmerzhaft allein zurückgelassen und schrieb am 26. Januar, drei Tage nach

schaft, die Erwägungen über die Karte, das sei alles Hochverrat und stehe auch so im Urteil“; siehe auch HFM S. 527. 2218 Reichsjustizminister. 2219 HFM S. 531. 2220 HFM S. 531. 2221 So bei der Feier des 100. Geburtstages 2007 durch die Evangelische Akademie Berlin. 2222 Kosenamen für Freya. 2223 HFM S. 354. 2224 Es fällt auf, dass die Anzahl der Gnadengesuche der drei im Verhältnis zu ihrem Vertrauen zu ihrer „Lebens-Verheißung“ steht. Gerstenmaier hat keines gestellt, Delp lediglich eines und Moltke ein ganzes Bündel verschiedener Gnadengesuche. Moltke zog „an allen Gnadenstrippen“; HFM S. 310, 320. 2225 Chef der Gestapo im Reichssicherheitshauptamt. 2226 HFM S. 532. 2227 HFM S. 532. 367 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Moltkes Tod und eine Woche vor seinem eigenen, an seine Sekretärin Luise Österrei- cher:

Diese Woche war die härteste und elendeste Zeit seit Juli. Der Tod der Freunde, besonders Helmuths, ist an sich schon bitter. Dazu das so nahe und grausame Erlebnis der Logik des Unheils, des Vernichtungswillens bis zuletzt. Und dann wieder dieses so eigenartige Übrig- gelassenwerden. Ich fühle mich dadurch neu verpflichtet, zu leben und zu hoffen.2228 Delp hoffte also bis zuletzt und so lautete auch sein letzter Kassiber am 30. Januar 1945: „Beten und glauben.“2229

Betrachtet man den Umgang Moltkes, Gerstenmaiers und Delps mit ihrer existenziellen Frage „im Angesicht des Todes“, so kann man ohne Einschränkung zu dem Ergebnis kommen, dass der christliche Glaube ihnen half, die Widerständigkeit in ihrer letzten Phase zu bewältigen. Delp hätte sich möglicherweise retten können, wenn er aus dem Jesuitenorden ausgetreten wäre.2230 Darauf hatte es Freisler angelegt und deswegen wurde Delps Todesurteil so lange nicht vollstreckt. Dieser Schritt wäre mit Sicherheit propagandistisch ausgeschlachtet worden.2231 Sie kamen alle drei zu verschiedenen Er- gebnissen im Suchen nach einer Antwort, alle drei fühlten sich jedoch in Gottes Hand geborgen.

Dies galt auch für Freya, um deren Bewältigung seines Todes sich Moltke stets gesorgt hatte; er hatte nur einen Weihnachtswunsch: „[…] dass der Herr uns spüren lassen mö- ge, wie er es bisher getan hat, dass er uns in seiner Hand hält.“2232 Freya bestätigte ihrem Mann am 18. Januar 1945: „Wir sind untrennbar in Gott verbunden, wir sind bei ihm ganz sicher aufgehoben.“2233 Die Glaubensgeborgenheit, die auch Freya durch die ständige mit ihrem Mann geführte Glaubensdiskussion errungen hatte, wird auch durch ihre Empörung über Brigitte Gerstenmaier deutlich, die zur Bewältigung ihrer existen- ziellen Ängste um ihren Mann kurz vor dem Prozess eine Kartenlegerin2234 konsultiert hatte.

Die „Una Sancta in vinculis“ war wirklich gelebte Ökumene. Unterschiede zwischen den Konfessionen waren kein Problem, sondern wurden als Bereicherung gesehen. Moltke ging auch auf solche konfessionellen Unterschiede ein, wenn er sagte: „Der

2228 Delp IV S. 146 f. 2229 Delp IV S. 147 2230 Delp: Brief an Franz von Tattenbach, nach dem 18.12.1944; in: Delp IV S. 63. 2231 Nach Einschätzung der Delp-Gesellschaft Mannheim ist das Hinauszögern der Vollstreckung des Todesurteils vermutlich dadurch bedingt, dass ein Schauprozess gegen die Jesuiten vorgesehen war, aber Pater König als Mitbeteiligter noch nicht gefunden worden war. 2232 HFM S. 369. 2233 HFM S. 523, 212. 2234 HFM S. 466. 368 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Weisheit letzter Schluss ist für die Protestanten eben, dass es [damit meinte Moltke: „Das Problem des Todes ist doch in der tieferen Sphäre nur eine Fragen des Glau- bens“2235] nur aus Gnade geschehen kann, und um die muss man bitten, und das ist gar nicht leicht.“2236 Leichter hätten es vielleicht Katholiken, meinte Moltke: „Wären wir Katholiken, so gäbe es sicher Übungen und feste Gebetsformeln. Diese Stützen fehlen einem Protestanten.“2237 Diese Unterschiede hielten Moltke und Gerstenmaier jedoch nicht davon ab, an den von Delp initiierten Gebetsnovenen vor den Gerichtstagen teil- zunehmen und auch mit Delp in einen theologischen Austausch zu treten. Freya sah es mit Dankbarkeit, dass für Moltke jeden Tag in der Krypta von St. Gereon in Köln eine Heilige Messe gelesen wurde.2238 In seinem oft zitierten Abschiedsbrief stellte Moltke fest:

[…] und dann wird Dein Wirt ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freund- schaft mit Katholiken2239 attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freis- ler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher – das alles ist ausdrücklich in der Hauptversammlung ausgeschlossen […], sondern als Christ und gar nichts anderes.2240 Tags davor schrieb er Freya, dass die Zuspitzung der Verhandlung auf das kirchliche Gebiet dem inneren Sachverhalt entspreche und dass er nun für etwas umgebracht wer- de, was sie getan haben und was sich lohne, und er fügte ironisch an: „Aber dass ich als Märtyrer für den heiligen Ignatius von Loyola sterbe – und darauf kommt es letztlich hinaus, denn alles andere war daneben nebensächlich –, ist wahrlich ein Witz, und ich zittere schon vor dem väterlichen Zorn von Papi, der doch so antikatholisch war.“2241 Seine ökumenische Gesinnung teilte er auch in seinem Brief an Delp nach dem Prozess mit, wenn er aus seiner Sicht die eigentlichen Anklagepunkte für die Verurteilung aus- schloss:

So bleiben Sie, Gerstenmaier und ich als das wahre Objekt des Prozesses übrig und damit ging die wahre Offensive Freislers gegen die katholische Kirche und gegen die protestanti- sche Kirche, gegen mich, der ich von allen Interessen, von aller Gewalt befreit war, der ich ein protestantischer Laie, dessen Beziehungen zu Katholiken Gegenstand der schwersten

2235 HFM S. 164. 2236 HFM S. 164. 2237 HFM S. 166 f. 2238 HFM S. 133; Delp IV S. 60. 2239 Die ganze Kreisauer Planungsarbeit ist neben den sozialistischen ein Ergebnis der konfessionell orientierten Diskussionen. Moltke traf über 40-mal Conrad (Bischof Conrad von Preysing) in Berlin und einige Male Erzbischof von Faulhaber in München; siehe KB S. 438: „Moltke selbst, der evangelisch war, hatte auf der katholischen Seite Verbindungen aufgenommen mit Erzbischof Bertram, Faulhaber, Preysing, dem Bischof von Fulda [Johannes B. Dietz; A. d. V.] und dem Fürsterzbischof von Salzburg [Andreas Rohrbacher; A. d. V.].“ 2240 HFM S. 480. 2241 HFM S. 473. 369 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Angriffe waren, gegen mich konnte der Nationalsozialist Freisler eben nur vorgehen als gegen den Christen schlechthin.2242 Damit bestätigte Moltke die mit Gerstenmaier und Delp eingegangene „Una sancta in vinculis“ in bestem Sinne.

In diesem Kapitel wurde gefragt, inwieweit der christliche Glaube half, die Widerstän- digkeit zu bewältigen, oder ob der Widerstand der Kreisauer, dies insbesondere im „Angesicht des Todes“, ohne die Kategorie des christlichen Glaubens überhaupt erklär- bar ist. Die kirchlich-religiöse Ausgangsposition der Kreisauer war, wie in Kapitel 3 beschrieben wurde, überaus unterschiedlich, deshalb war auch der Weg der christlichen „Karriere“ der Einzelnen ebenso verschieden.

Zu den Kreisauern, die seither fest im Glauben und der Kirche verankert waren, gehör- ten Haeften, Yorck, die Michaelsbrüder Gablentz und Steltzer sowie die Jesuiten Rösch und König sowie Peters, Lukaschek, Husen und Poelchau. Letztere begründeten ihre Widerständigkeit fest von ihrem christlichen Glauben her, ohne dass eine bedeutende Änderung in ihrem Glaubensverhalten bekannt ist. Moltke, Gerstenmaier und Delp er- fuhren in ihrer „Una sancta in vinculis“ eine besondere Bedeutung.

Haeften verlangte von seiner protestantischen Kirche, dass sie endlich in der Lage sein müsse, Antworten auf die existenziellen Fragen zu geben. Bezogen auf seine Zustim- mung zum Attentat beschuldigte er sich, dass er das fünfte Gebot nicht „heilig“ gehalten und in all den Zweifeln nicht still und geduldig genug gewartet habe, bis Gott seinen Willen kundgetan habe. Yorck trat dafür ein, dass das Christentum wieder die tragende seelische Kraft der Zukunft sein müsse, und beklagte den Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Ver- pflichtungen Gott gegenüber. Seine existenziellen Überlegungen am Ende seines Le- bens führten ihn zu der demutsvollen Erkenntnis der eigenen Ohnmacht und zu dem gelebten Wunsch, alles in zuversichtlicher Ruhe in Gottes Hand legen zu können. Für Gablentz hatte der Staat hat nur einen Sinn, soweit er sich ausrichtete nach dem Maß- stab des Reiches Gottes, nämlich durch den freien Menschen die richtige Ordnung der Dinge zu verwirklichen. Gablentz wurde durch seinen christlichen Glauben in seinem Widerstand zum Nationalsozialismus sehr bestärkt und trat für die Ökumene ein. Man solle nicht über Konfessionen, sondern über die Christenheit sprechen, war seine Devi- se. Steltzer beklagte die „Zerreißung der Kirche in mehrere Konfessionen“ und die Ver- leugnung jeder inneren Beziehung nach der Trennung von Staat und Kirche. Aufgabe

2242 HFM S. 565. 370 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand der Kirche sei es, Wächter zu sein über den Menschen, über sein Menschsein und seine Freiheit, gegenüber allen politischen Gewalten, die seine Freiheit gefährden. Als Grund für seine Todesgelassenheit gab er an, er habe eine Lebensverheißung und sich nach dem Grundsatz „sperare contra spem“ verhalten. Rösch und König ging es letzten En- des darum, die Kirche, in diesem Fall die katholische Kirche, vor dem Vorwurf zu be- wahren, nichts gegen die Übergriffe der Nationalsozialisten auf Freiheit sowie Leib und Leben getan zu haben. Deshalb ergriffen sie die Initiative für den Ordensausschuss: Mit König besuchte Rösch deutsche Bischöfe, um diese nicht nur über den „Klosterkampf“ im Einzelnen zu informieren, sondern sie „zu einer härteren kirchenpolitischen Linie“ zu bewegen. Die Zeit, die Rösch in Moabit verbrachte, war für ihn eine Zeit unermüdli- cher Seelsorge bei seinen Mitgefangenen, die mit dem treffenden Ausdruck „Katakom- ben-Seelsorge“ belegt wurde.

Der religiöse Weg der Repräsentanten der Arbeiterschaft im Widerstand war besonders interessant, aber auch sehr unterschiedlich. Bei Haubach ist ein Erstarken seines Glau- bens festzustellen. Besonders nach dem Tod seiner Mutter schienen stärker christliche Motive in den Vordergrund zu treten. So sah er in der Abkehr von Gott die letzten Ursachen der Unabwendbarkeit „dieses furchtbaren politischen Geschehens“. Er beteu- erte seiner Freundin Alma, in keiner Phase des Lebens die Ehrfurcht vor Gott und dem Göttlichen verloren zu haben, und bat um ihr Gebet. Der Glaube war in Haubach so gewachsen, dass er sich vor dem Prozess ganz in sein Schicksal fügte. Mierendorff war 1933 aus rein politisch bedingter Kirchenfeindlichkeit ganz im Traditionsstrang der deutschen Sozialdemokratie mit einer Polemik gegen die fehlerhafte Haltung der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart, namentlich der evangelischen, und ihres Gegensatzes zur Arbeiterbewegung aus der Kirche ausgetreten. Gleichwohl suchte er wie Haubach ein neues Verhältnis zum Christentum. Ihre Grundeinstellung war, dass sich gegen die Dämonie einer völlig gottlos gewordenen Politik am besten der christliche Staat be- haupten könne. Mierendorff bekannte Pater Rösch freimütig, dass er lange ohne Reli- gion gelebt habe, aber nun zur Überzeugung gekommen sei, dass nur das Christentum dem Leben Sinn und Halt geben könne. Jetzt wolle er diesen Weg zu Gott gehen. Leber, dem Kirchenfernen, der mit dem christlichen Gehalt der Kreisauer Gedanken als Maß- stab für politisches Handeln nichts anfangen konnte, schien seine Herkunft aus einer katholischen Bauernfamilie in der Zelle wieder bewusst zu werden. Seine tiefe Verbun- denheit mit und die von ihm empfundene Liebe zu seiner Frau, die stärker sei als alles andere im Menschen und in der Welt, bedeutete für ihn, dass die Seele göttlichen Ur-

371 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand sprungs und deshalb auch unsterblich sein müsse. Leber erwarb aufgrund der Haftbe- dingungen in einem Selbstfindungsprozess eine gewisse Religiosität, die den Wert der Liebe und der Gnade anerkannte. Der religiöse Sozialist Reichwein sah im Christentum eine Möglichkeit zur Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit und sein Bildungsver- ständnis war religiös orientiert. Die lebendige Erfahrung im Kreisauer Kreis bewirkte insofern bei Reichwein eine religiöse Wandlung, als sie zur Erkenntnis führte, dass der Grad der Gefährdung und Belastung unter der Diktatur vom Denken und Handeln mehr verlange als gute ethische Prinzipien und Motive des geläuterten Selbstinteresses oder des Idealismus. Reichwein fand im christlichen Glauben auch Trost und Kraft vor seiner Hinrichtung. Trott gelangte zu der Überzeugung, dass christliche Ethik für die Wieder- aufrichtung der zerstörten Würde des Individuums von entscheidender Bedeutung sei. Er bekräftigte deshalb die Notwendigkeit des christlichen Glaubens auch im öffentli- chen Raum und hielt die Erneuerung aus Gnade und aus dem Glauben für notwendig. Trott blieb aber weiterhin ein Suchender und bemühte sich ein selbstständiges Verhält- nis zur Bibel. Gott war ihm nach seinem eigenen Empfinden in den letzten Wochen seines Lebens gnädig und hatte ihm „frohe, klare Kraft zu allem, fast allem geschenkt“.

Eine besondere Situation ergab sich für Moltke, Gerstenmaier und Delp im Totenhaus für das letzte halbe Jahr ihres Lebens bzw. im Falle Gerstenmaiers seiner Haft. Sie gin- gen eine Bibellese- und Gebetsgemeinschaft ein. Eine besondere Rolle spielten bei die- sem Dreigespann die sogenannten Lebensverheißungen, die das Einfügen in Gottes Wil- len unterschiedlich prägten. Gerstenmaier war sich seiner Lebensverheißung vollkom- men gewiss, aber er machte die Erfahrung, dass neben Notitia und Assensus nun auch Fiducia verlangt wurde, das Vertrauen, der Verlass auch gegen allen Augenschein. Delp hoffte auf die Erfüllung des „Urbi-Lebensopfers“ und betete darum. Als er nach dem Prozess aber sah, dass seine Überlebenschancen sanken, war er auch bereit, sich in das unvermeidliche Schicksal zu fügen. Er hätte sich möglicherweise retten können, wenn er dem Jesuitenorden abgeschworen hätte, aber wie wäre dies für ihn möglich gewesen, hatte er doch überglücklich erst am 8. Dezember die für ihn schmerzlich mehrfach ver- schobenen ewigen Gelübde im Gefängnis ablegen können. Für Moltke spielte die soge- nannte Lebensverheißung, „der Walfisch“, nur eine Nebenrolle. Es gelang Moltke, der sich in ungewöhnlicher Weise während seiner Haft religiös weiterbildete, zusammen mit seiner Frau ein seelisches Gleichgewicht zu erreichen in der Bereitschaft, freudig Gottes Willen zu erfüllen.

372 Christlicher Glaube und Ökumene im Kreisauer Widerstand

Bei allen Kreisauern, wenn auch in unterschiedlichem Grade, kann festgestellt werden, dass der christliche Glaube half, die Widerständigkeit, dies insbesondere im „Angesicht des Todes“, zu bewältigen und dass ihr Widerstand ohne die Kategorie des christlichen Glaubens nicht erklärbar wäre. Es kann weiterhin beobachtet werden, dass alle Kreisau- er, vielleicht mit Ausnahme von Leber, durch die gemeinsame Anerkennung des Chris- tentums als eine der Säulen der Erneuerung, offen für die Ökumene waren. Einige der Kreisauer verfochten diese geradezu.

373 Schlussbetrachtung

6 Schlussbetrachtung

Ziel dieser Arbeit war, die Genese des Kreisauer Kreises darzustellen und besonders dem Phänomen der Vergemeinschaftung trotz großer Heterogenität der Mitglieder nachzuspüren. Dabei wurde die qualitative Netzwerktechnik zu Hilfe genommen, um – neben der Visualisierung durch diese sozialwissenschaftliche Methodik – zunächst spe- zifische Charakteristika dieses bürgerlichen Widerstandskreises herauszuarbeiten.

Die Geburtsstunde des Kreises wird allgemein mit der Diskussion Moltkes mit Yorck über die Grundlagen einer positiven Staatslehre nach dem gewonnenen Frankreichfeld- zug 1942 angenommen. Die Kreisauer hatten dabei nicht den Umsturz im Sinn, sondern die Vorbereitung dessen, was nach der Stunde X kommen sollte. Es ging um mehr als nur politische Reformen, es ging um eine völlige Neuordnung des menschlichen Zu- sammenlebens, um einen Neuaufbruch der Menschheitsgeschichte. Die Initiative zur Auswahl der Mitglieder des sogenannten engeren Kerns ging weitgehend von Moltke aus, der über mehr als zwei Jahre zuverlässige Gleichgesinnte „rekrutierte“, die die Arbeiterschaft und die beiden christlichen Kirchen repräsentierten und über den not- wendigen Sachverstand in Außenpolitik, Staatsrecht, Wirtschaftspolitik, Erziehungs- und Sozialwesen verfügten. Durch diese „Rekrutierung“ ergab sich eine für diese Zeit beispiellose Koalition heterogener Mitglieder. Neben den drei großen Tagungen auf dem Gut Kreisau in den Jahren 1942 und 1943, die diesem Widerstandskreis den Na- men gaben, fanden viele vorbereitende und entscheidende Tagungen in den Wohnungen der Berliner Kreisauer, vor allem bei Yorck in der Hortensienstraße, auf seinem Gut in Klein-Öls in Schlesien, auf dem Landsitz von Borsig sowie in München, meistens bei den Jesuiten, statt. Erschwerend für die noch zu betrachtende Vergemeinschaftung wa- ren neben der Heterogenität auch die sehr verschiedenartige Sozialisation, die Zugehö- rigkeit zu zwei Generationen und die recht unterschiedlichen Charaktere.

Mithilfe der Netzwerktechnik wurden unter dem definierten Stichwort „Reichweite“ die verschiedenen Strukturparameter wie emotionale Relationen, die Außenbeziehungen, die Cliquenbildung und die treibenden Kräfte sowie die Zentralität des Kreises analy- siert. Es wurde herausgearbeitet, dass die Sympathieintensität und der Grad emotionaler Verbundenheit zwischen den Kreisauern variierten, sodass nicht von einer einheitlichen Reichweite von Moltke zu seinen Freunden und zwischen diesen untereinander gespro- chen werden kann, ein wichtiges Indiz dafür, dass keinerlei normativer Druck vorlag. Die sehr unterschiedlichen und weit gefächerten Außenbeziehungen der einzelnen

374 Schlussbetrachtung

Kreisauer bilden ein anschauliches Beispiel des netzwerkanalytischen Theorems der „weak and strong ties“, wonach die Stärke schwacher Bindungen in Form einer höheren Effizienz des Netzwerkes deutlich gemacht werden konnte. So ließ sich die Beschränkt- heit kohäsiver Kreise besser überwinden und die Akteure hatten Zugriff zu unterschied- lichen Informationen – eine Stärke, die dem Kreisauer Kreis bei seiner breiten Pla- nungsarbeit zugutekam. Die mithilfe der Netzwerkanalyse dargestellten Cliquen konn- ten als wirkungsvolle Bausteine der Vergemeinschaftung gedeutet werden. Dann wurde die für das Funktionieren der Gruppe konstitutive Frage nach der treibenden Kraft und nach der Zentralität des Kreises bzw. der Symmetrie oder Asymmetrie des Netzes untersucht. Es wurde dargestellt, dass trotz der herausragenden Stellung Moltkes und auch Yorcks keine durchgehende Asymmetrie, keine großen Informations- und Macht- vorsprünge vorlagen. Aufseiten Moltkes lagen keineswegs die Vorteile des „tertius gaudens“; er musste ständig darum kämpfen, den Kreis „auf Linie zu halten“, beson- ders was die Frage des Umsturzes betraf.

Der Kreisauer Kreis hatte beständig Konflikte zu bewältigen, es handelte sich nicht durchgängig um eine dichte, multiplexe Netzstruktur, sondern es waren auch oft weni- ger dichte und eher uniplexe Phänomene feststellbar, was keinen hohen Grad an Kon- formität und Kontrolle einzelner Akteure bedeutet und die beschriebenen Konfliktfälle erklärt. Mannigfaltige Beispiele für dieses soziologische Phänomen der Dekonstruktion konnten bei fast allen Kreisauern festgestellt werden.

Um die Situation der Kreisauer am Beginn ihrer Tätigkeit festzustellen, wurde ihre ge- sellschaftspolitische und religiöse Verortung als Ausgangspunkt für ihre Vergemein- schaftung herausgearbeitet.

Zur Haltung der betrachteten Personen, die später den Kern des Kreisauer Kreises aus- machten, kann gesagt werden, dass die meisten auf dem Boden der Weimarer Verfas- sung standen und die Monarchie ablehnten. Einzig Steltzer hatte sich wohl davon abge- wandt und jegliches Vertrauen in den Staat verloren. Gemeinsam war allen jedoch eine eindeutige Ablehnung des Nationalsozialismus. Am Ausgangspunkt ihrer politischen Planungsarbeit waren die Kreisauer trotz weitgehender Übereinstimmung in ihrer repu- blikanischen Haltung doch sehr verschieden, sodass das Vergemeinschaftungspotenzial der politischen Ausgangshaltung eher als gering eingestuft werden muss. Das kommt auch in dem langen Ringen in ihrer Planungsarbeit zum Ausdruck.

375 Schlussbetrachtung

Der Aussage Gablentz‘, dass alle Kreisauer ein gleiches christliches Grundverständnis hatten, ist nach den angestellten Betrachtungen, zumindest für den Beginn der Kreisauer Arbeit, nicht zuzustimmen. Es gab Kulturprotestanten, Nicht-Gläubige wie Leber, grundsätzliche, aber kirchenferne Christen sowie religiöse und kirchennahe Christen. Die Kirchennahen, religiös Praktizierenden scheinen aber überwogen zu haben und in- sofern war in der ausgeübten Religion doch ein vergemeinschaftendes Element am An- fang festzustellen. Auf dieser Basis konnte Moltke neben der Arbeiterschaft auch die Kirchen als Säulen seiner Planungsarbeit in Anspruch nehmen. Dies war allerdings mit vielfältigen Diskussionen verbunden.

Nach Darlegung der Struktur des Kreisauer Kreises wurde dann versucht, die Quellen und den Prozess der Vergemeinschaftung nachzuzeichnen. Aus der Vielzahl der Ein- flussfaktoren wurden die Prädisposition durch die Jugendbewegungen, die Erfahrungen in der Löwenberger Arbeitsgemeinschaft und die Motivationslage zum Widerstand nä- her betrachtet.

Die beschriebene Heterogenität der späteren Kreisauer dokumentierte sich auch in der Mitgliedschaft in ganz unterschiedlichen Jugendbünden, soweit die späteren Kreisauer in ihrer Jugendzeit eine Sozialisation in Bünden erfuhren. Trotz der großen Verschie- denartigkeit der bündischen Bewegung wurde jedoch als gemeinsamer Kern die Hohe- Meißner-Formel festgestellt, die die Prinzipien der Selbsterziehung, der Selbstbestim- mung, der Selbstverantwortung und der wahrhaftigen Lebensführung betonte. Die von Kulturreformern, ausgehend von breit gestreuter Zivilisationskritik, aufgezeigte Mög- lichkeit eines „dritten Wegs“ jenseits von Kapitalismus und Sozialis- mus/Kommunismus, einer unpolitischen Form der Gesellschaftsveränderung ließ An- klänge an die Denkschrift über „Die kleinen Gemeinschaften“, einen Programmaus- gangspunkt der Kreisauer, zu. Weiterhin war das Zentralerlebnis der Jugendbewegung, die Erweckung zur Gemeinschaft, ein nicht zu unterschätzender Baustein für die Ver- gemeinschaftung im Kreisauer Kreis. Einzelaspekte der verschiedenen bündischen Pro- gramme prägten einzelne Kreisauer in besonderer Weise, z. B. die Betonung des Deutschtums bei den Nibelungen oder die Gültigkeit des Grundsatzes der stets hilfsbe- reiten Nächstenliebe bei den Pfadfindern, der erkennen ließ, dass schrankenlose Unge- bundenheit in der Freiheit zur Selbstsucht führt und deshalb völlig dem sozialen Gedan- ken widerspricht, sowie die Pflege des sozialen Gedankens, der die Gebundenheit in der Freiheit mit einschließt. In den Leitsätzen des Neudeutschen Bundes konnten Gedanken aufgezeigt werden, die gerade auf den Kreisauer Kreis ausgerichtet zu sein schienen. Da 376 Schlussbetrachtung wird von Menschen gesprochen, die auf den Ruf des Vaterlandes hin helfen wollen und dies in einer Gemeinschaft mit treuer Gefolgschaft. Aber es ist auch von dem Willen zur Tat die Rede, einer Haltung, die einem Teil der Kreisauer eigen war.

Ein weiterer Baustein für den Kreisauer Kreis wird in den schlesischen Arbeitslagern gesehen. Diese in der Literatur umstrittene These, die Löwenberger Arbeitsgemein- schaft als Keimzelle des Kreisauer Kreises zu bezeichnen, wurde zu verifizieren ver- sucht. Es konnte dargelegt werden, dass allein schon wegen der hohen personellen De- ckung und des Arbeits- und Planungsstils die Löwenberger Arbeitsgemeinschaft erheb- lichen Einfluss auf den späteren Kreisauer Kreis hatte und dass das Kreisauer Programm auch zum Teil in nuce damals schon im Arbeitsprogramm und in den Ergebnissen der Arbeitslager vorhanden war. Dies konnte an der Initiativrolle des erst 20-jährigen Stu- denten Moltke, der Einladung aller Gesellschaftsschichten, auch gegnerischer, dem spe- zifischen Einsatz des Gedankens der Arbeitsgemeinschaft und der Arbeitsausschüsse, dem Nichtvorhandensein von Generationenschranken, der Schaffung einer Vertrauens- basis bei unterschiedlichsten Teilnehmern, dem Nachspüren der Zersetzungs- und Neu- bildungsvorgänge sowie der Suche nach einem neuen Menschenbild festgemacht wer- den. Die Gedanken der späteren Moltke‘schen Denkschrift „Die kleinen Gemeinschaf- ten“ schienen schon angelegt, denn es galt, in der kleinen Gemeinschaft des Arbeitsla- gers Verantwortung zu übernehmen und auch in rechter Zusammenarbeit mit anderen zu führen. Der Ausbau der Selbstverwaltung und der damit einhergehende Aspekt der Subsidiarität waren ebenfalls in den Arbeitslagern thematisiert. Diese Aspekte konnten als Hinweise für die Gültigkeit der aufgestellten These gedeutet werden.

Bevor auf die Motivation der Widerständigkeit, zweifellos ein deutlicher Aspekt der Vergemeinschaftung, eingegangen wurde, waren einige Grundtatbestände des Wider- stands und der Widerstandsdiskussion darzulegen. In dem Eingangsexkurs über die Vergemeinschaftung wurde gezeigt, dass, bezogen auf die Außendimension, das Zu- standekommen einer gemeinschaftlichen Ordnung überhaupt nur durch den strukturel- len Ausschluss anderer vollzogen werden kann. Als „Exklusionsgestalt“ wurde im Fall des Kreisauer Kreises der Nationalsozialismus, der Totalitarismus, der Rassenwahn, die erlebte Rechtlosigkeit identifiziert. Neben der Frage und Definition der Widerständig- keit wurde auch die des Widerstandsrechts und des Verrats in Form des Hoch- und Landesverrats betrachtet. Auch wenn nach der Rechtsprechung der Weimarer Zeit kein Landesverrat vorlag, wenn das Gesamtverhalten durch den Vorsatz bestimmt war, grö- ßeren Schaden vom Kriegspotenzial des Reichs abzuwenden, als durch den Akt des 377 Schlussbetrachtung

Verrats verursacht wurde, achteten die Kreisauer stets darauf, keine militärischen Ge- heimnisse zu verraten.

Daraufhin wurden die Motivation zum Widerstand, die Emigrationsfrage und die Hal- tung der Kreisauer zum Attentat auf ihr vergemeinschaftendes Potenzial untersucht. Die Motive zum Widerstand konnten unterteilt werden in ästhetische, politisch-rechtliche, ethisch-humanistisch-sittliche und christlich-religiöse. Dabei ließ sich eine eindeutige Trennung in diese Kategorien natürlich nicht vornehmen und es lag bei allen Kreisauern eine Multikausalität vor. Auch hatten die dargestellten Motive nicht bei allen das glei- che Gewicht.

Anhand von Quellen konnte gezeigt werden, dass die Gräuel des Krieges die ethisch- humanistisch-sittliche Haltung vieler Kreisauer verletzten. Die Auflehnung gegen den großen Mord, der sich in Polen, in der Ukraine, in Russland, in den baltischen Regio- nen, in Rumänien und später in Ungarn vollzog, konnte als eines der brennenden Moti- ve des Widerstandes identifiziert werden. Die Judenverschleppung, als verdammens- werter Eingriff einer äußeren Macht in die Freiheit, stellte eine weitere Begründung ihrer Widerständigkeit dar. Ein Übriges bewirkten die Berichte über den Kommissarbe- fehl und über Geiselerschießungen und die mörderische Kriegsführung im Osten. Der Totalitätsanspruch des Staates gegenüber dem Staatsbürger unter Ausschaltung seiner religiösen und sittlichen Verpflichtungen war aber wohl der Hauptauslöser des Wider- standes vieler Kreisauer.

Die dargestellten Motivationen der 20 Freunde des Kreisauer Kreises konnten nur bei- spielhaft aufgeführt werden. Es sollte keine Gewichtung der Einzelmotivationen vorge- nommen werden, bei jedem war mit Sicherheit eine andere Mischung von Beweggrün- den für den Widerstand gegeben.

Ein vergemeinschaftendes Moment neben der oft gleichen Motivation zur Widerstän- digkeit stellte die Tatsache dar, dass die jüngeren Kreisauer ihre angestrebten Berufe nicht ergreifen konnten, die älteren aus ihren angestammten Berufen herausgerissen oder in ihrem Fortkommen gehindert wurden. Ein wichtiger vergemeinschaftender, existenzieller Aspekt war mit der Motivation zum Widerstand verbunden: das Bewusst- sein, das eigene Leben einzusetzen. Diese Bereitschaft war wohl die größte existenzielle Gemeinsamkeit zwischen den Kreisauern.

Das Leben der einzelnen Kreisauer im Widerstand war natürlich trotz der gemeinsamen Grundeinstellung überaus unterschiedlich. Die Widerständigkeit wurde in verschiede- 378 Schlussbetrachtung nen Berufs- oder Beschäftigungsverhältnissen und an verschiedenen Orten gelebt. Eine personenunabhängige Schilderung der Situation des Widerstands wurde anhand eines Briefes an Curtis vom März 1943, den Moltke über Schweden nach England schicken wollte, um einen englischen Ansprechpartner für den deutschen Widerstand zu erhalten, vorgenommen.

Zwei Aspekte des widerständigen Lebens wurden näher beleuchtet: die Emigrationsfra- ge und die Haltung zum Attentat. Die Frage der Emigration fiel bei den Kreisauern, denen sie sich stellte, bemerkenswert eindeutig aus, sodass hier geradezu von einem konstitutiven Element der Vergemeinschaftung gesprochen werden kann. Wenn auch nicht bei jedem von ihnen Emigrationsüberlegungen, die aus Sorge um Deutschland abgelehnt wurden, quellenmäßig nachgewiesen werden können, so ist doch festzustel- len, dass kein Kreisauer emigrierte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Vergemeinschaftung war die unterschiedliche Hal- tung zum Attentat, dies insofern, als die differierende Auffassung in dieser Frage den Kreisauer Kreis nicht sprengte. Nach der Verhaftung Moltkes im Januar 1944 vollzogen besonders die in Berlin verbliebenen Mitglieder des Kreisauer Kreises einen engen Schulterschluss mit Claus Schenk von Stauffenberg. Mitglieder verschiedenster Wider- standskreise waren zu einer engen Zusammenarbeit bereit, um den Staatsstreich mit der Tötung Hitlers durchzuführen. Die zunächst uneinheitliche Haltung der Kreisauer zum Attentat, das sich als einzige Umsturzmöglichkeit herauskristallisierte, ließ sich ange- sichts der dramatischen militärischen Lage im Jahre 1944 nicht länger durchhalten. Der aktiv gebliebene Teil der Kreisauer wurde nach der Verhaftung Moltkes Teil der Ver- schwörung unter der Führung Stauffenbergs, die am 20. Juli das Attentat wagte.

Die Haltung zum Attentat war im Kreisauer Kreis uneinheitlich und mit dem Lauf der Ereignisse Änderungen unterworfen. Besonders Moltke und Yorck lehnten ein Attentat zunächst ab. Selbstquälerische Zweifel plagten jahrelang einen Teil der Kreisauer, theo- retische Rechtfertigungen wurden nicht einfach übernommen. Eine einheitliche Linie zum Attentat konnte es im Kreisauer Kreis schon deshalb nicht geben, weil die Anru- fung des Gewissens in einer derartigen Grenzsituation geradezu die individuelle Suche nach dem sittlich verantwortbaren Weg erforderte. Durch diese unterschiedliche Hal- tung war aber die Vergemeinschaftung im Kreis niemals ernstlich bedroht, da Moltke seine persönliche Ablehnung des Attentats und zeitweilig auch des Staatsstreichs über- haupt für den Kreis als solchen nie hatte verbindlich machen wollen. Moltke war aber

379 Schlussbetrachtung klar, dass mit einem Attentat das geistige Grundübel nicht beseitigt wäre und ohne eine langfristige Änderung der geistigen Grundhaltung gegenüber dem Staat und der Demo- kratie die Deutschen keine politische Zukunft hätten. Es ging ihm um die geistige Überwindung des Nationalsozialismus, ohne die ein politischer Neuaufbau nicht mög- lich war.

Im letzten Kapitel wurde gefragt, inwieweit der christliche Glaube half, die Widerstän- digkeit zu bewältigen, oder ob der Widerstand der Kreisauer, dies insbesondere im „Angesicht des Todes“, ohne die Kategorie des christlichen Glaubens überhaupt erklär- bar ist. Die kirchlich-religiöse Ausgangsposition der Kreisauer war, wie in Kapitel 3 beschrieben wurde, überaus unterschiedlich, deshalb war auch der Weg der christlichen „Karriere“ der Einzelnen ebenso verschieden.

Zu den Kreisauern, die seit jeher fest im Glauben und der Kirche verankert waren, ge- hörten Haeften, Yorck, die Michaelsbrüder Gablentz und Steltzer, die Jesuiten Rösch und König sowie Peters, Lukaschek, Husen und Poelchau. Letztere begründeten ihre Widerständigkeit fest von ihrem christlichen Glauben her, ohne dass eine bedeutende Änderung in ihrem Glaubensverhalten bekannt ist. Der religiöse Weg der Repräsentan- ten der Arbeiterschaft im Widerstand und Trotts war besonders interessant, aber auch sehr unterschiedlich. Höchst unerwartet war die religiöse Entwicklung des kirchenfer- nen Lebers, der mit dem christlichen Gehalt der Kreisauer Gedanken als Maßstab für politisches Handeln nichts anfangen konnte. Während der Haftzeit vor seiner Hinrich- tung jedoch entdeckte er in der Liebe zu seiner Frau, dass die Seele göttlichen Ur- sprungs und deshalb auch unsterblich sein müsse. Leber erwarb aufgrund der Haftbe- dingungen in einem Selbstfindungsprozess so eine gewisse Religiosität, die den Wert der Liebe und der Gnade anerkannte.

Eine überaus beachtenswerte Situation ergab sich für Moltke, Gerstenmaier und Delp im Totenhaus in ihrer „Una sancta in vinculis“ für das letzte halbe Jahr ihres Lebens bzw. im Falle Gerstenmaiers seiner Haft. Sie gingen eine Bibellese- und Gebetsgemein- schaft ein. Eine besondere Rolle spielten bei diesem Dreigespann die sogenannten Le- bensverheißungen, die das Einfügen in Gottes Willen unterschiedlich prägten.

Bei allen Kreisauern, wenn auch in unterschiedlichem Grade, kann festgestellt werden, dass der christliche Glaube half, die Widerständigkeit, dies insbesondere im „Angesicht des Todes“, zu bewältigen und dass ihr Widerstand ohne die Kategorie des christlichen Glaubens nicht erklärbar wäre. Es konnte weiterhin beobachtet werden, dass alle Kreis-

380 Schlussbetrachtung auer, vielleicht mit Ausnahme von Leber, durch die gemeinsame Anerkennung des Christentums als eine der Säulen der Erneuerung, offen für die Ökumene waren. Einige der Kreisauer verfochten diese geradezu.

Die Arbeit hat an den beschriebenen vielgestaltigen Beispiele der Dekonstruktion, die ihre besondere Ausprägung in der existenziellen Zuspitzung in der Haft erfuhren, ge- zeigt, dass der Kreisauer Kreis kein monolithischer Block mit zentraler Führung war, sondern ein Freundeskreis mit selbstständig agierenden Mitgliedern, die, auf ein ge- meinsames Ziel gerichtet, um Kompromisse rangen. Umso bedeutender war deshalb die Frage nach den Quellen und dem Prozess der Vergemeinschaftung. Es konnten mithilfe der Theorie der Gemeinschaft mannigfaltige Vergemeinschaftungsquellen freigelegt werden. Teilweise waren diese bereits durch die Sozialisation in den Jugendbünden und bei einer großen Anzahl der Kreisauer in der schlesischen Volksbildungsarbeit angelegt. Durch die breit gefächerte Motivation zum Widerstand, die Weigerung, zu emigrieren, und die Bereitschaft, das eigene Leben einzusetzen, wurde eine feste Vergemeinschaf- tung trotz Heterogenität erreicht, die die Kreisauer zum Eingehen von Kompromissen bei der Planungsarbeit an der Neukonzeption für das Deutschland „danach“ befähigte. Diese Vergemeinschaftung konnte auch nicht durch die unterschiedliche Haltung in der Attentatsfrage gesprengt werden.

Auch die freigelegten Dekonstruktionsbeispiele schmälern nicht die außerordentliche Konzeptionsarbeit des Kreisauer Kreises, sie lassen ihr Schaffen und ihr Opfer nur noch menschlicher und nachahmungswerter erscheinen.

381

382 Quellen- und Literaturverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

A Unveröffentlichte Quellen

1 Archivalien

Auswärtiges Amt, Politisches Archiv, Bonn – zit.: PA

R 82843 Lukaschek, Antrittsrede als Oberpräsident von Ober- schlesien aus dem Jahre 1929, Bl. 154-166, hier 160.

Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich Ebertstiftung, Bonn – zit.: AdsD

Bestand Carlo Mierendorff (Sammlung Richard Albrecht) Kleine Erwerbungen I

Signatur 260 „Nach 14 Jahren. Heidelberg 1918 und 1932. Wie wir es uns damals dachten und was daraus geworden ist.“

Signatur 265 Lebenslauf

Signatur 270 Halperin, Ernst: Carlo Mierendorff

Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, St. Augustin – zit.: ACDP

Sammlung Gerstenmaier

I-210-037 Husen, Paulus van: Brief an Eugen Gerstenmaier, 08.10.1967

I-210-038/I Schreiben des Sekretariats von Eugen Gerstenmaier an Amanuens Henrik Lindgren, 04.06.1969

I-210-004/I Schreiben Eugen Gerstenmaiers an Wilhelm Bachmann, 02.10.1937

I-210-004/I Schreiben Eugen Gerstenmaiers an Fabian von Schla- brendorff, 05.07.1963

I-210-004/1 Erklärung Eugen Gerstenmaiers vor der Rostocker Stu- dentenvollversammlung, 16.06.1933

383 Quellen- und Literaturverzeichnis

Archiv Deutscher Caritas Verband, Freiburg – zit.: ADCV

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Balliol College, Oxford – zit.: BC

The papers of Adam von Trott zu Solz

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Trott, Adam von an Diana Hubback, 04.08.1933,

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Karl Mierendorff, Lebenslauf; Berlin, Mai 1938, Bestand Reichsschriftumskammer

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Reich 57, Yorck, Marion/Moltke, Freya: Ausführungen über den Bl. 46-48d Kreisauer Kreis, datiert Kreisau, den 15.10.1945

Reich 382 Valdmanis, Alfred: Erinnerungen an Adolf Reichwein, 28.04.1946

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Nachlass A:Moltke

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Moltke, Helmuth an Freya, 27.06.1936; 05.05.1938; 02.08.1938; 31.08.1938

Moltke, Helmuth an seine Granny (Großmutter), 08.09.1938; 23.04.1939; 02.06.1940

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Rothfels, Hans: Der Kreisauer Kreis

Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Hammer, 23.12.1953

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Werth, Alexander an Hammer, 06.11.1954

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Beyerle, Karl: Brief an Roon, 28.08.1964

Blessing, Karl: Brief an Roon, 24.01.1963

Bonnesen, Merete: Brief an Roon, 28.06.1962

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Dovifat, Emil: Neuordnung der Presse nach dem Sturz des Hitlerregimes. Überlegungen aus den Jahren 1943/44

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Krimm, Herbert: Brief an Roon, 05.09.1963

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Mowrer, Lilian T.: Brief, 01.03.1964

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Müller, Gotthold, Brief an Roon, 07.09.1964

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Schäffer, Hans: Meine Erinnerungen an Hans Lukaschek, Oktober 1963

Schmid, Carlo: Brief, 31.12.1948

Siegel, Harro: Brief an van Roon, 31.07.1962

Siegel, Harro: Brief an van Roon, 06.11.1964

Stauffenberg, Christoph von: 02.08.1963

Steltzer, Theodor: Brief an Roon, 07.12.1961

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Steltzer, Theodor: Die Arbeit des Kreisauer Kreises

Steltzer, Theodor: Handschriftliche Charakterisierung der Kreisauer auf Anfrage von Roon, 18.07.1961

11-seitiger Auszug aus einer 26-seitigen Broschüre von Steltzer an Roon über: Grundsätzliche Gedanken über die deutscher Führung“ , Memorandum an Schuschnigg 1933

ZS/A-18-8 Rosenstock-Huessy, Eugen: Brief an Roon, 15.01.1947 (dieser Brief befindet im Konvolut „Trotha“)

Tattenbach SJ, Franz von: (Pater Lothar König S.J. ist am …)

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Trotha, Carl Dietrich: Lebenslauf

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Yorck, Paul von: Brief an Roon, 01.10.1963

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390 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv, Schleswig – SHLA

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391 Quellen- und Literaturverzeichnis

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Gablentz, Otto Heinz von der: Trauerrede für Carl Dietrich von Trotha vom 22. Juli 1952. Privatbesitz von Christoph von Trotha (zit.: Gablentz, Trauerrede für Trotha 1952)

Haeften, Hans Bernd und Barbara von: Aus unseren Briefen. 1931-1944. Privatbe- sitz von Anita Benita von Hofacker (zit.: Haeften, Briefe 1931-1944)

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Knauft, Wolfgang: Unveröffentlichtes MS: P. Alfred Delp 1907 (zit.: Knauft, Delp Berlin 2009/2010)

Möckel, Andreas: Kreisau und die Tradition der Freiwilligendienste, unveröffentlich- tes 18-seitiges Manuskript, gehalten bei der Podiumsdiskussion am 25.05.2006 in Krei- sau aus Anlass der Maikonferenz (zit.: Möckel, Freiwilligendienste 2006)

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