Zwischen Hiplife Und Afrofunk | Norient.Com 5 Oct 2021 16:43:44
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Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Zwischen Hiplife und Afrofunk by Stefan Franzen Mit der aktuellen Afrofunk-Welle trifft auch die Musik aus dem Ghana der 1970er wieder ans europäische Ohr. Im Land selbst kümmern die alten Helden jedoch fast niemanden – dort regiert der Hiplife. Der Hybrid aus HipHop und lokalen Einflüssen hat eine kurze und schon jetzt wechselvolle Geschichte. Aus dem Norient-Buch Out of the Absurdity of Life (hier bestellbar). Es sind diese irren Melodien. Klebrig-süsse, synthetische Gesangslinien, die einem mehrstimmig aus jedem Soundsystem entgegen springen. Und die sich beim näheren Hinhören, bleibt man einmal auf den riesigen Märkten zwischen Körben voller schwarzer Schnecken, Bergen von Pfefferschoten und Stapeln von Musikkassetten stehen, als Geist in der Maschine entpuppen. Hier singt nicht nur ein Mensch, hier singt vor allem der Vocoder. Dazwischen: Schneller Rap, aus dem Fetzen von Pidgin English ragen, der aber meistens in einem fremden Idiom passiert. Darunter: plakative, programmierte Beats, sie pumpen komplexe, schnelle Rhythmen heraus. Doch es sind vor allem diese irren Melodien der Menschmaschine, die nicht mehr aus den Gehörgängen weichen wollen während der nächsten zwei Wochen. Und die schnell den Verdacht aufkommen lassen, dass Accra mehrere musikalische Realitäten besitzt. Diejenige, der man am wenigsten ausweichen kann, heisst Hiplife. https://norient.com/stories/ghana2011 Page 1 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Die neue Afro-Quelle Trotzdem versuche ich das zunächst. Schliesslich bin ich für eine andere, europäische Vorstellung von ghanaischer Musik hergekommen. Die Eminenz des Afrofunk soll ich treffen, einen der Grossen der 1970er. Denn wenn aus Ghana derzeit irgendetwas in unsere Breiten dringt, dann sind es diese patinabesetzten Grooves. Nicht zuletzt dank der Kompilationen, die Samy Ben Rejeb von Analog Africa und Miles Cleret von Soundway aufwändig erstellen, erfährt die westafrikanische Musik der Siebziger gerade diesen ungeheuren Schub. DJs wie Frank Gossner graben vor Ort in Lagerhallen nach altem Vinyl und stellen die Audio Files in ihrem Blog ins Netz. Was sich parallel zu Fela in den Nachbarstaaten tummelte, gewinnt in unseren Breiten nun Tiefenschärfe, ist das angesagte Ding in europäischen und amerikanischen Clubs – während der afrikanische Kontinent leer gekauft wird, weil keiner Wert auf die alten Scheiben legt. Nachdem der Nachschub an US-Grooves versiegt war, entdeckten die Plattendreher die Afro-Quelle, die seit einigen Jahren munter sprudelt. So ist es auch zu erklären, das 2009 ein Mann wie Ebo Taylor, den der Westen jahrzehntelang mit Nichtbeachtung strafte, plötzlich, im Alter von 73 seine ersten Auftritte überhaupt auf deutschen Festivals bekommt. Taylor ist mit seinen zahlreichen Bands auf fast jeder der Afrofunk- Kompilationen vertreten. Ich höre mich quer durch seinen Backkatalog und muss feststellen – wenn einer den Titel «Fela Kuti Ghanas» verdient, dann er. Und jetzt hat er tatsächlich eine neue Platte mit Mitgliedern der Afrobeat Academy, Jimi Tenors Band Kabu Kabu und den Poets of Rhythm gemacht, mitten in Berlin. Wie es dazu kam, will er mir an der Uni im Norden der ghanaischen Hauptstadt erzählen. Gitarren-Eminenz https://norient.com/stories/ghana2011 Page 2 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Mein Taxifahrer hat Mühe, sich durch den täglichen Verkehrsinfarkt Accras zu kämpfen. Auf mehreren Spuren staut sich die Masse aus klobigen Geländewagen, blau-orangenen Taxis und Tro-Tros, jenen Minibussen, in die sich 20 Menschen quetschen. Zwischen Hupkonzert und den auch hier wummernden Hiplife-Rhythmen balancieren Verkäufer Zuckerrohr, Chips aus Kochbananen, Sonnenbrillen und DVD-Raubkopien. Aus dem Autoradio ebenso: Hiplife, schön abwechselnd mit R&B aus den Staaten, bevorzugt Akon und Beyoncé. Joy FM heisst der Sender, auf dem ein gewisser Mr. Black seine Morgenshow präsentiert. Endlich passieren wir eine Sicherheitssperre und flitzen in eine grosszügige Parklandschaft hinein. Die Legon-Universität zählt zu den besten Afrikas. Ein Lüftchen fegt hier durch die feuchte Hitze, gemächlich schlendern die Studenten umher, die Lautstärke ist gedämpft. Eine Oase voller Würde und Wissen. Das Department of Music liegt am Rande des Campus, hat mit seinen niedrigen Langhäusern fast dörflichen Charme. Ein Durcheinander von Trommelrhythmen und westlichen Tonleitern dringt ans Ohr. Im Innenhof, unter reicher Vegetation sitzt Taylor in einem beeindruckenden blauen Dashiki. Seine Wurzeln liegen in der Fante-Region im zentralen Süden Ghanas, wo er schon als Kind die Palmwine Music von Kwaa Mensah hört, eine in den Hafenkaschemmen gespielte Vorform des später elektrifizierten Guitar Highlife. Als Ghana 1957 seine Unabhängigkeit erklärt, formt er in der Ashanti-Kapitale Kumasi seine erste eigene Band, die sich vor allem dem Bigband-Zweig des Genres widmet. Parallel entdeckt er die Amerikaner: «Ich hörte Miles Davis, Coltrane, Archie Shepp und Sonny Rollins, von Clifford Brown lernte ich viele Phrasen. Auf der Gitarre beeinflussten mich Oscar Moore und Wes Montgomery stark. In meinem Haus gab es 24 Stunden Musik! Damals schon versuchte ich, Highlife und https://norient.com/stories/ghana2011 Page 3 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Jazz zu verweben, aber es geriet immer sehr jazzlastig.» Eine einmalige Chance, seine Experimente zu vertiefen, beschert ihm Ghanas Premier Kwame Nkrumah, dessen erklärtes Ziel es ist, einheimische Musiker durch Auslandsaufenthalte zu fördern. Taylor geht 1962 nach London an die Eric Guilder School of Music, um dort Komposition und Arrangement zu lernen. «Ich diskutierte dort oft mit Fela Kuti in seinem Haus in Notting Hill darüber, wie wir den Highlife weiterentwickeln könnten. Wir Ghanaer haben damals viel mit den Nigerianern gejamt, ein reger Austausch, als Konkurrenz habe ich das nie empfunden. Irgendwann realisierte ich, dass unsere Musik nach der Kolonialisierung sehr nach Dur klang, ganz im Gegensatz zu der unserer Vorfahren. Ich fühlte, dass der Funk ein Weg war, da rauszukommen.» Highlife to Afro-Funk https://norient.com/stories/ghana2011 Page 4 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Zurück in Ghana beginnt seine Blütezeit: Taylor besitzt nun das musiktheoretische Rüstzeug, um Highlife und ghanaische Roots in die Moderne zu übersetzen. Dazu gründet er eine ganze Latte von Bands, unter ihnen die Blue Monks, die legendäre Uhuru Band, die Apagya Show Band oder auch das Underground-Projekt Asaase Ase, mit dem er die Musik der Fante- Küstendörfer und der Kriegerkaste Asafo mit funky Feeling versieht. Er schreibt Hits wie «Heaven» und «Atwer Abroba», veröffentlicht in den Siebzigern Solo-Alben, komponiert und produziert für die führenden Plattenfirmen Ghanas wie Essiebons, betreut deren Highlife-Stars Pat Thomas und C.K.Mann. Sein funky Highlife siedelt dabei immer nahe am nigerianischen Afrobeat: «Der ist nur eine extrahierte Form von Highlife», https://norient.com/stories/ghana2011 Page 5 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 verkündet Ebo Taylor selbstbewusst und hat deshalb auch keinen Grund zum Neid. Im Gegenteil: «Fela hat ihn etabliert und wir müssen heute dafür sorgen, dass er sich weiter entwickelt, weltgewandt wird.» Mitstreiter für dieses Ansinnen hat er 2008 gewonnen. Als Ade Bantu mit seiner Afrobeat Academy in Accra konzertiert, ist der Altmeister restlos begeistert, nicht zuletzt, weil auch zwei seiner eigenen Nummern im Repertoire der Berliner auftauchen. Man setzt sich zusammen, Taylor entwickelt neue Songs und die deutsche Botschaft finanziert eine Aufnahmesession an der Spree. „Love And Death“ heisst das Ergebnis, das Taylors ghanaisch-globalen Afrobeat vorführt. Sozialkritische Kommentare, Kritik an der Verwestlichung und auch ein funkiger Kinderreim siedeln auf dem Album, ein unverhohlener Lobgesang auf die swingende Physis der afrikanischen Frau hat Hitcharakter. Das Titelstück ist ein Taylor-Klassiker und führt die fein nuancierten Unterschiede zwischen purem Afrobeat und der ghanaischer geprägten Rhythmik und Harmonik vor Ohren. Und auch das Loblied des ersten Staatsführers Nkrumah wird im Instrumental «Kwame» noch einmal angestimmt. «Nkrumah wird immer mein Idol bleiben. Es ist eine Schande, dass bis zur heutigen Regierung sich niemand mehr um die Kultur in diesem Land kümmert», schimpft Taylor. «Der Musikunterricht ist abgeschafft, wir haben da heute ein Vakuum, einen Analphabetismus. Kein Wunder, dass sich die Jungen alle dem Hiplife zuwenden.» Um dem Vakuum entgegenzuwirken bringt Taylor den Studenten seit acht Jahren bei, wie man Highlife-Gitarre spielt. Heute gibt es an der University of Legon eine Klasse von zwanzig Schülern, einige kommen sogar aus Amerika. Doch kann es – alle akademischen Anstrengungen in Ehren – auf ghanaischem Boden wirklich zu einem Highlife-Revival kommen? Hat der Hiplife nicht komplett das Ruder übernommen? Und was soll überhaupt das Namensspiel mit dem Highlife, wo die beiden doch offenkundig so gar nichts gemein haben? Der Professor und der Hiplife https://norient.com/stories/ghana2011 Page 6 of 16 Zwischen Hiplife und Afrofunk | norient.com 5 Oct 2021 16:43:44 Ich sollte jemanden fragen, der die Übersicht hat. Einen Experten, der auch heute noch am Puls der Zeit ist. Niemand bietet sich da trefflicher an als der Mann, der Taylor an die Uni geholt hat. John Collins ist nicht nur der derzeitige