Über Den Küstenhandel Und Die Handelsfahrten Der Estnischen Bauern Im 17
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630 Arnold Soom Über den Küstenhandel und die Handelsfahrten der estnischen Bauern im 17. Jahrhundert von Arnold Soom In der vorgeschichtlichen Zeit und im früheren Mittelalter waren der Handel und die Handelsfahrten in den nordeuropäischen Ländern für jedermann frei, dem sich Möglichkeiten dazu boten und der Interesse da- für hatte. Später dagegen, als in diesem Gebiet bereits Handelsstädte ent- standen waren, wird es deutlich, daß die Kaufmannschaft den Handel als ihre bevorrechtigte wirtschaftliche Betätigung betrachtete. Alle bekannten Küstenhandel und Handelsjahrten estnischer Bauern im 17. Jh. 631 Handelsstädte an der Ostsee beschafften sich von den Herrschenden ent- sprechende Privilegien oder aber schlössen Bündnisse zum Schutz ihrer wirtschaftlichen Rechte und Ansprüche; unter diesen Zusammenschlüssen ist die Hanse allgemein: bekannt. Im 17. Jahrhundert hatte sich das Bild infolge des Monopolverlustes seitens der Hanse wohl in gewissem Maße verändert. Aber diese Tatsache als solche bedeutet keinesfalls, daß der Handel freizügiger geworden wäre; denn die Auffassung der Kaufmann- schaft der Seestädte von den Handelsvorrechten stimmte vollständig mit den Ansichten einer Reihe von Regierungen überein, welche die merkanti- listische Wirtschaftstheorie vertraten und die Kaufmannschaft unterstütz- ten. Sogar bei den als Zünfte organisierten städtischen Handwerkern traten nun die Monopolbestrefoungen in bezug auf das flache Land stärker hervor. Die Landbevölkerung, sowohl der Adel als auch die Bauern, erkannten jedoch eigentlich niemals richtig das vollständige Handelsmonopol der Städte an und versuchten soviel wie möglich, die auf diesem Gebiet gel- tend gemachten amtlichen Bestimmungen und Vorschriften zu umgehen. Wir wissen unter anderem, daß die Ritterschaften Est- und Livlands im 17. Jahrhundert einen erbitterten Kampf um die Beschränkung der Han- delsvorrechte von Riga und Reval (Tallinn) führten, allerdings mit gerin- gem Erfolg.1 Abgesehen von ihrem allgemeinen Wohlwollen gegenüber dem Adel, konnte die schwedische Regierung nämlich gerade die Handels- fragen nicht ganz gegen die Interessen der Städte entscheiden; denn sie mußte unbedingt mit den in den Städten erhobenen Zolleinnahmen rech- nen, Praktisch viel einfacher mußte es für die Regierung sein, einen Standpunkt zu den örtlichen Handelsbestrebungen der Bauern einzu- nehmen. Der aus eigener Initiative betriebene Handel der Bauern bestand teils aus dem Küstenhandel, teils auch aus selbständigen Seefahrten in die näheren Städte und in die Nachbargebiete, wogegen allerdings von seifen der Revalenser zur Beschränkung des Kleinhandels im Interesse des Schutzes ihres Stapelrechts ein energischer Kampf geführt wurde. Jedoch zwangen die hiesigen etwas komplizierten Verhältnisse die schwedische Regierung, auch in dieser Frage, in der die wirtschaftlichen Interessen gegeneinanderstanden, den Weg des Kompromisses einzuschlagen. Das gilt besonders für die an der Nordküste des Finnischen Meerbusens und auf den Inseln lebenden finnischen Bauern und Fischer mit ihren traditio- nellen Handelsfahrten an die estländische Küste. Teilweise heimlich, teils amtlicherseits bis zu einem gewissen Grade sogar erlaubt (z. B. auf Dago 1) A. Soom: Der baltische Getreidehandel im 17. Jahrhundert, Lund 1961, S. 130—163. — Die Namen größerer geographischer Einheiten (Landschaften, Inseln, Städte, Flecken) werden in der deutschen Form gebracht, wobei die ent- sprechende estnische Namensform in Klammern beigefügt ist. Bei kleineren Einheiten (Kirchspielen, Dörfern und Gütern) wird in der Regel umgekehrt verfahren. Bei Orten Finnlands steht aus historischen Gründen die auch im Deutschen geläufigere schwedische Namensform an erster Stelle, die finnische in Klammern dahinter. 53S Arnold Soom [Hiiumaa]) , wurden auch von den Bewohner n der Westküste Estland s Hande l getrieben und Warentransport e durchgeführt . In diesem Artikel geht es in der Hauptsach e um den Hande l und den Frachttranspor t im zuletzt erwähnte n Gebiet . Bevor wir uns aber dieser Materi e zuwenden , wollen wir doch einen flüchtigen Blick auf die Handelstätigkei t des Bauernstande s an der Nordküst e Estland s werfen. Der Finnisch e Meerbuse n war schon seit vorgeschichtliche n Zeite n ein Wirkungsfeld regen Bauernhandel s gewesen.2 Dieser Handel , obwohl seit Jahrhunderte n hier von den Finne n aktiv betrieben , spielte sich in vollem Umfan g an der estländische n Küste ab. Die Finne n brachte n ihre Waren, vor allem Fisch (in .großer Menge den Strömling) , in geringe- rer Menge auch ander e Produkte , mit ihren Booten an die an der Küste Wierlands (Virumaa ) und Harrien s (Harjumaa ) gelegenen Handelsplätz e und tauschte n sie dort gegen Getreid e ein, das die estnische n Bauern mit- brachten . An diesem Hande l auf estländische r Seite nahme n bis zu einem gewissen Grad e außer den Bauern auch die Güte r teil. Dagegen ist aber von Handelsfahrte n der Esten über den Meerbuse n nach Finnlan d in den Quellen niemal s die Rede gewesen. Auf Grun d verschiedene r Quellen erhalte n wir den Eindruck , daß dieser Hande l im Finnische n Meerbuse n zeitweilig sogar ziemlich umfangreic h gewesen ist und in manche n sog. „Land" - oder „Beihäfen" , wie in Mah u (Maholm , Hafen ) im Kirchspie l Viru- Nigula, in For m eines Jahrmarkte s durchgeführ t wurde. Leider ist es nich t möglich, über den Umfan g der dort im Laufe des Jahre s stattgefundene n An- und Verkäufe irgendwelch e zahlenmäßig e Unterlage n zu finden , da darübe r keinerlei amtliche s Register geführt wurde. Die Bewohne r der südfinnische n Küste und der Inseln unternahme n zur gleichen Zeit Handelsfahrte n auch nach Reval, in seltenere n Fällen sogar nach Riga. Über diesen Hande l sind wir auf Grun d der an der Zoll- stelle am Barösun d geführten Zollregister vom Jahre 1655 an verhältnis - mäßig gut informiert. 3 Obgleich die Handelsfahrte n der Finne n nach Reval wahrscheinlic h wohl noch häufiger waren als in die oben erwähnte n „Land - häfen" Estland s und der Warenaustausc h auch vielseitiger, waren die Revalenser nich t damit einverstanden , daß die Finne n sich die Freihei t nahmen , auch an die „verbotene n Handelsplätze " der Küste zu fahren . Der Revaler Rat und die Kaufmannschaf t führte n im Verlauf des gesamten 17. Jahrhundert s einen zähen Kamp f um die völlige Sperrun g des Han - delsverkehrs an der dortigen Küste durch die schwedische Regierung . Zur 2) s. dazu folgende Arbeiten: G. Kerkkonen : Bondesegel pä Fińska viken. Kustbor s hande l och sjöfart unde r medeltide n och äldsta "Wasatid (Skrifter utgivna av Svenska Litteratursällskape t i Finland , Bd 369), Helsingfor s 1959; O. Luv: Iseloomustis i Tallinna-Soom e vahelisele kaubandusele , peamiselt XVII sajandi löpul ja Eesti koloniides t Soome s [Charakteristisch e Züge des Handel s zwischen Reval und Finnland , hauptsächlic h am End e des 17. Jhs., und über die estnische n Kolonie n in Finnland] , in: Ajalooline Ajakiri VIII (1929), Dorpa t 1930; Soom , Getreidehandel , S. 193—204. 3) A. Soom : Zur Geschicht e des Handel s zwischen Reval und Finnlan d im 17. Jahrhundert , in: Annales Societati s Litteraru m Estonica e in Svecia, Bd IV, Stockhol m 1966, S. 123—133. Küstenhandel und Handelsfahrten estnischer Bauern im 17. Jh. 633 gleichen Zeit verlangten jedoch die südfinnischen Städte mit Helsingfors (Helsinki) an der Spitze, daß die Regierung die Handelsfahrten der finni- schen Bauern und Fischer über den Finnischen Meerbusen, d. h. auch nach Reval, überhaupt verbieten sollte, da, wie sie behaupteten, diese gegen ihre Handelsprivilegien gerichtet seien. In diesem komplizierten Wider- streit der wirtschaftlichen Interessen der Landbewohner und der Privi- legien der Städte war die Regierung gezwungen, in ihren Schlichtungs- versuchen einen Kompromißweg zu wählen. Unter anderem gab es hier zwei Punkte, die die Regierung nicht außer acht lassen zu 'können glaubte. Bei dem einen Punkt handelte es sich um einzelne Mitglieder der est- ländischen Ritterschaft — Besitzer von küstennahen Gütern mit kleinen „Landhäfen" in diesem Gebiet —, die ihre Rechte durch Sperrung dieser Häfen nicht beschränken lassen wollten. Zum anderen vermochten es die Bewohner der südfinnischen Küste und der Inseln, der schwedischen Regierung klarzumachen, daß ihre Handelsfahrten, teils nach Reval, teils an die Nordküste Estlands, auf uralten Traditionen beruhten und für sie lebensnotwendig seien. Insbesondere wurde behauptet, daß der alljährliche Ankauf von Getreide im Austausch gegen Fische niemals durch den städti- schen Handel ersetzt werden könne. In ihrem Beschluß vom 31. August 1641 ließ die Regierung den Warenaustausch an der estländischen Küste praktisch als erlaubt gelten, doch bestimmte sie, daß dieser von nun an nur in bestimmten, dafür vorgesehenen „Landhäfen" stattfinden dürfe. Dorthin durften die Finnen wie seit jeher mit ihren Fischerbooten fahren, doch durften die dazu benutzten Fischerboote keinen größeren Rauminhalt haben als den von 2 Last.4 Dieses äußerste Maß mochte tatsächlich die Mehrheit der finnischen Fischer befriedigen, kaum aber die estländischen Gutsbesitzer, die bekanntlich häufig die „Schuten" genannten kleinen Küstenschiffe, deren Tragfähigkeit viel größer war, benutzten, um ihr Getreide und andere landwirtschaftliche Produkte nach Narva, Reval, Finnland, Schweden oder anderswohin zu schicken. Für diesen Fracht- verkehr fanden u. a. häufig die aus Björkö (Koivisto) stammenden finni- schen Schuten Verwendung. Trotz dieser Anordnungen hörten die Klagen der Revalenser über den Warenaustausch und den Frachtverkehr