Goethe Aus Goethe Gedeutet Goethe Aus Goethe Gedeutet
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Eva Hoffmann Goethe aus Goethe gedeutet Goethe aus Goethe gedeutet Eva Hoffmann Goethe aus Goethe gedeutet 2. Auflage Titelbild: Fresko von Stabia/ Flora, Der Frühling Museo Archeologico Nazionale, Neapel Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2., durchgesehene Auflage 2011 1. Auflage 2009 © 2011 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim- mung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: http://www.francke.de E-Mail: [email protected] Satz: Satzpunkt, Bayreuth Druck und Bindung: Hubert&Co., Göttingen Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8413-3 MAGISTRIS TRIBUS PATRI · PAULO · POETAE Inhaltsverzeichnis 1. „Warum ist Wahrheit fern und weit?…“ . 5 2. Trilogie der Leidenschaft . 15 3. Pandora . 101 4. Der Bräutigam. 138 5. Namen, Parechese und Paronomasie, Buchstaben. 157 6. „Vergangenheit und Gegenwart in Eins“ . 165 7. Die Zahl Sieben. Harzreise im Winter . 185 8. Sonette . 210 9. Das geopferte Mädchen . 249 10. Helena . 258 11. Andere Grenzüberschreitungen in Faust II. 270 12. Śakuntalā. Indisches Vor-Bild . 298 13. Das Nußbraune Mädchen . 318 14. Makarie. 341 15. Wandrer und Pächterin . 353 16. Das Märchen . 370 17. West-östlicher Divan . 421 18. Chaos . 471 19. Kästchen und Schloß; Schlüssel und „Schlüssel“. 560 20. Himmel: Firmament und Paradies . 586 Abkürzungen . 612 Goethe-Ausgaben . 613 Benutzte Primär- und Sekundärliteratur . 613 Personenregister. 626 Danksagung . 630 3 1. „Warum ist Wahrheit fern und weit? …“ Dieses Buch geht, wie der Titel sagt, von Goethe aus. Es versucht, seinen Intentio- nen nachzudenken. Über alles von ihm in Worte Gefaßte liegt eine unübersehba- re Menge von Literatur vor. Sollte man – dies nun eine Frage, die sich gleich zu Beginn dieser Arbeit vor über dreißig Jahren stellte – sollte man, wenn man einem Dichter auch als Person gerecht zu werden sucht und seine Absichten zu beden- ken trachtet, das, was er bewußt nicht klar ausgesprochen oder worüber er geschwiegen1 hat, im Zwielicht belassen oder könnte es in mehrfachem Sinne das Rechte sein, aufzugreifen, was zwischen den Zeilen steht? Den Ausschlag geben die unzähligen und vielfältigen Andeutungen und Hinweise von Goethe selbst, die über das gesamte Werk verstreut sind und, einmal als solche wahrgenommen, den „Enkeln“2 eine Botschaft bereitgelegt haben: jene von der Nachwelt immer wieder zitierten und dennoch nie befriedigend zusammengefügten „Bruchstücke einer großen Konfession“. In zwiefachem Wortsinn3 verstanden, wird sich diese „Konfession“ auf Goethes Leben wie auch auf seine Religiosität beziehen lassen, vorausgesetzt, man nimmt die leisen Zeichen auf, die er zu geben nicht müde wurde. Ihre Relationen untereinander fügen sich zu einem Netzwerk, das die ganze Dichtung durchzieht, unleugbar vorhanden für jeden, dem es, einmal gewahr geworden, eine neue Dimension in Goethes Leben und Werk aufschließt. Dabei muß festgehalten werden, daß diese Arbeit ihren eigenen, auf Wegweiser des Dichters ausgerichteten Pfad geht und dabei keinerlei Versuch macht, An- dersmeinende bzw. gängige Überlieferungen zu widerlegen. Daß aufgenommene Erkenntnisse anderer Autoren unter allen Umständen angegeben werden, ver- steht sich von selbst. Grundsätzlich soll Goethe vor allem aus Goethe selbst erklärt werden. Dementsprechend gilt es als eine der wesentlichen Voraussetzungen dieser Stu- die, daß Goethe nach eigenen Aussagen schrieb, was er erlebt, wenn auch nicht eben so, „wie er es erlebt“ habe4, und nichts, das ihm nicht „auf die Nägel brannte und zu schaffen machte“5, wie er ja auch „Liebesgedichte nur gemacht [habe], wenn [er] liebte“6. Ja, er geht so weit, von „der neuesten Ausgabe meiner Lebens- spuren“ zu sprechen, „welche man, damit das Kind einen Namen habe, Werke zu nennen pflegt.“7 Daß für Goethe die Identität von ‚lyrischem Ich’, ‚dramatischem Ich’ (auch aufgeteilt auf Personen, ja gerade auf Antagonisten), ‚Erzähler-Ich’, mit dem ‚auktorialen Ich’ legitimerweise für sein Schaffen durch alle Lebensabschnit- 1 Vgl. Josef Pieper, Über das Schweigen Goethes, München 1951. 2 „Erwachsne gehn mich nichts mehr an, / Ich muß jetzt an die Enkel denken“. („Ist denn das klug“, Zahme Xenien I; FA 2, S. 621.) 3 Vgl. „Bekenntnis heißt nach altem Brauch / Geständnis wie man’s meint; / […]“ FA 2, S. 726. 4 Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Vollständiger Text nach dem 24. Band der Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche Johann Wolfgang Goethes, Zürich 1976. 17. Februar 1830. S. 395. 5 Eckermann, 14. März 1830; a. a. O., S. 733. 6 Ebd. 7 An Zelter, 23. Januar 1815. FA 34, S. 400. 5 te hindurch angenommen werden darf, hat er selbst insofern nahegelegt, als er in späten Jahren in Dichtung und Wahrheit bereits hinsichtlich der Leipziger Zeit (1765–1768) schreibt: Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige was mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wohl Niemand nötiger als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extre- me in das andere warf. Alles was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession, welche vollständig zu machen dieses Büchlein ein gewagter Versuch ist.8 Aber obwohl alles von Goethe Mitgeteilte auf Lebenserfahrung beruhte9, wie er in einem wichtigen Brief festhält, geschah solche Mitteilung, wie erwähnt, in ihrem „Wie“ verändert, geschah sie auf mannigfache Weise verschlüsselt. Fragen wir, welche Mittel der Dichter einsetzte, um auf ein im Mitgeteilten Verborgenes hin- zuweisen, so finden wir eine Vielzahl von Praktiken, die dem Zweck dienen, Geheimnisse zu umkreisen. Eine wesentliche, immer wieder angewandte Metho- de, ist die der Analogie. So stellt Goethe fest: Mittheilung durch Analogieen halt ich für so nützlich als angenehm; der Ana- loge Fall will sich nicht aufdringen, nichts beweisen, er stellt sich einem andern entgegen, ohne sich mit ihm zu verbinden: Mehrere analoge Fälle vereinigen sich nicht zu geschlossenen Reihen, sie sind wie gute Gesellschaft die immer mehr anregt als giebt.10 Wieder spricht Goethe hier von „Mitteilungen“, von Erlebtem. Dieser Verhalten- heit der Vermittlung von Inhalten entspricht auf der Ebene des Stils die Litotes oder Untertreibung. Ein Brief an Schiller klärt darüber auf: […] Der Fehler, den Sie mit Recht bemerken, kommt aus meiner innersten Natur, aus einem gewissen realistischen Tic, durch den ich meine Existenz, meine Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde ich immer gern incognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbe- kannten, den unbedeutendern Gegenstand oder doch den weniger bedeuten- den Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin […].11 Gemäß seinem Analogie-Denken suchte und fand Goethe auch in Leben und Werk früherer Dichter der verschiedensten Zeiten und Zonen Parallelen zu sei- nem eigenen Leben, was er zuweilen bloß mit Zitaten anzeigte, die der Leser 8 DuW II, 7; FA 14, S. 309 f. 9 An Carl Jacob Ludwig Iken, 27. Sept. 1827; HA Briefe 4, S. 250. 10 Sprüche in Prosa; FA 13, S. 77 (1.521; H 1247), s. auch: „Nach Analogien denken ist nicht zu schelten; […]” ebd., S. 44 (1.282; H 532). 11 9. Juli 1796; Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Nach den Handschriften des Goethe- und Schiller-Archivs herausgegeben von Hans Gerhard Gräf und Albert Leitzmann, Frankfurt a. M. / Wien / Zürich 1964. S. 179 f. 6 erkennen sollte. Auf diese Weise konnte Goethe problemlos an bereits vorgegebe- ne Situationen anknüpfen. Meist ließ er es aber nicht dabei bewenden, sondern überbot in solchen Fällen die Haltung des Vorgängers oder setzte einer negativen Einstellung eine eigene, positive, entgegen. Selber sprach er von „Wiederholten Spiegelungen“ (von denen später noch die Rede sein wird) oder er nannte solche Sichtweise in eigener Wortschöpfung „symphronistisch“12, um mit dieser Bezeich- nung das rein Gedankliche, ‚Logische’ der Analogie durch den Einschluß des Gemütes (φρήν) zu erweitern. Analogie oder, eben umfassender, Symphronismus gab Goethe auch die Möglichkeit, sich selbst oder geliebte Mitmenschen in mythi- sche, allegorische oder Figuren der Literatur zu projizieren und so aus der Zeit zu heben. Des weiteren konnte er, Petrarca nachfolgend, Namen verschlüsselt in seine Dichtung übernehmen oder sie in parechetischer Abwandlung in Teile trennen, um sie so in verschiedenster Variation, auch übersetzt, als Chiffren zu verwenden. Er spielte etymologisch mit Namen seiner Umwelt, holte aus Wortfeldern, denen sie angehören, Chiffren zu seinem Gebrauch, gelegentlich auch hier in Überset- zung in eine andere Sprache. Zudem wurden ihm in der Nachfolge Dantes und Petrarcas auch gewisse Zahlen bedeutsam. Geheimes sollte