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Monika Albrecht / Dirk Göttsche (Hrsg.) Bachmann-Handbuch 2

1. Leben und Werk im Überblick – eine Chronik

Kindheit und Jugend in die Personen singen sollten, also habe ich es (1926–1945) selbst schreiben müssen.« (GuI, 124) Zu den ältesten im Nachlaß überlieferten Texten gehören 1926 neben einer Notenschrift zahlreiche Gedichte, Am 25. Juni 1926 wird als das an Schullektüren wie Schiller und Kleist ori- erstes Kind von Olga Bachmann (geb. Haas entierte historische Versdrama Carmen Ruidera 1901–1998) und Matthias Bachmann (1895– (1942) und die ebenfalls in den napoleonischen 1973) in Klagenfurt geboren. Ihre Mutter stammt Kriegen spielende historische Erzählung Das aus Niederösterreich, dem östlichsten, an ›Böh- Honditschkreuz (Ende 1943), die bereits gera- men‹ und Ungarn grenzenden Bundesland, wo dezu als ein »Werk der inneren Emigration«, als ihre Familie eine Strickwarenerzeugung betrieb, Einspruch gegen die Volks- und Heimatideologie ihr Vater, ein protestantischer Volksschullehrer, des herrschenden Nationalsozialismus gelesen der an beiden Weltkriegen als Offizier teilnimmt, worden ist (Höller 1999, S. 13). aus Obervellach bei Hermagor im Gailtal im Dreiländereck Österreich – Italien – Slowenien, 12. 3. 1938 wo die Familie oft Ferien im Auszugshaus des Den Tag des Einmarsches von Hitlers Truppen in großväterlichen Hofes verbringt. Diesen Kärnt- Klagenfurt im Rahmen des »Anschlusses« Öster- ner Grenzraum, in dem Deutsche und Slowenen reichs an das Deutsche Reich hat Ingeborg Bach- zusammenleben, hat Bachmann später in der mann später rückblickend zum symbolischen Be- Nachfolge von Robert Musils utopischem ›Kaka- gründungsdatum ihrer Autorschaft erklärt: »Es nien‹ als Inbegriff eines gewaltfreien Miteinan- hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat ders der Völker mythisiert, als »ein Stück wenig meine Kindheit zerstört. Der Einmarsch von Hit- realisiertes Österreich […], eine Welt, in der lers Truppen in Klagenfurt. Es war etwas so Ent- viele Sprachen gesprochen werden und viele setzliches, daß mit diesem Tag meine Erinnerung Grenzen verlaufen« (W 4, 302). 1928 wird Inge- anfängt: durch einen zu frühen Schmerz, wie ich borgs Schwester Isolde geboren, 1939 ihr Bruder ihn in dieser Stärke vielleicht später überhaupt Heinz. Zunächst wohnt die Familie in einer nie mehr hatte.« (GuI, 111) Zwar darf diese Zu- Wohnung in der Durchlaßstraße Nr. 5, 1933 zieht spitzung nicht wörtlich verstanden werden – am sie dann in ein eigenes Haus in der Hensel- 12. März 1938 war die Elfjährige (nach wider- straße 26. sprüchlichen Mitteilungen) entweder verreist oder sie lag mit Diphtherie im Krankenhaus –, sie 1932–1944 bezeichnet jedoch emphatisch die moralische 1932 bis 1936 besucht Ingeborg Bachmann in Verpflichtung und zeitkritische Ausrichtung ihres Klagenfurt die Volksschule, dann das Bundesreal- Werks als eines Schreibens nach Auschwitz, zu gymnasium, das in ihren späteren Schuljahren im dessen ›Problemkonstanten‹ (W 4, 193) die Aus- ehemaligen Konventgebäude der Ursulinen un- einandersetzung mit den Verflechtungen von In- tergebracht war (von den Nationalsozialisten dividual- und Zeitgeschichte im Zeichen gesell- 1938 in »Oberschule für Mädchen« umbenannt). schaftlicher Gewalt gehört. Den frühen Eintritt Dort legt sie am 2. Februar 1944 ihre Matura ab. des Vaters in die NSDAP (Höller 1999, S. 46) Schon in ihren Schuljahren beginnt Ingeborg wird sie dagegen ihr Leben lang nicht erwähnen, Bachmann literarisch zu schreiben, verfaßt Ge- und sie beteiligt sich auch nicht an der in den dichte und Prosa, komponiert Lieder und ent- sechziger Jahren einsetzenden öffentlichen Aus- wirft Dramen. Im Rückblick hat sie die Musik an einandersetzung mit der Generation der Väter/ den Anfang ihres Schreibens gestellt: »Ich habe Täter. als Kind zuerst zu komponieren angefangen. Und weil es gleich eine Oper sein sollte, habe ich nicht gewußt, wer mir dazu das schreiben wird, was Leben und Werk im Überblick – eine Chronik 3

1944/45 Weise zwischen Liebestext und poetologischem Im letzten Kriegsjahr besucht Bachmann einen Diskurs changiert. Während des Sommerseme- Abiturientenkurs an der Klagenfurter Lehrbil- sters 1946, in dem sie – nun in Graz – Philo- dungsanstalt, wo u.a. der Kärntner Heimat- sophie, Germanistik und Jura studiert, gelingt schriftsteller und zeitweilige Nationalsozialist Jo- ihre erste Veröffentlichung: Die Erzählung Die sef Friedrich Perkonig zu ihren Lehrern gehört Fähre, die als ein Stück sozialkritischer Heimat- und als ein literarischer Mentor fungiert. Der literatur verstanden werden kann, erscheint am Kurs wird bei Kriegsende abgebrochen, und ein 31. Juli 1946 in der »Kärntner Illustrierten« Tagebuch, das Bachmann zwischen Spätsommer (Klagenfurt). 1944 und Juni 1945 geführt hat, dokumentiert das Befreiungserlebnis der alliierten Besatzung in 1946–50 Kärnten (Höller 1999, S. 7ff.), das später als das Im September 1946 vollzieht Bachmann den ent- Motiv des ›schönsten Frühlings‹ in den Roman scheidenden Aufbruch aus der Provinz, indem sie Das Buch Franza eingehen wird. Die Sommer- ihr Studium nun in Wien fortsetzt, wo sie in den monate im großelterlichen Obervellach, wo kommenden Jahren Philosophie mit Germanistik Bachmann Anfang Juni 1945 den britischen Offi- und Psychologie als Nebenfächern studiert. Sie zier Jack Hamesh kennenlernt, einen Sohn exi- wohnt zunächst in der Beatrixgasse 26, seit Juni lierter jüdischer Österreicher aus Wien, erlebt sie 1949 dann in der Gottfried-Keller-Gasse 13 als den »schönste[n] Sommer meines Lebens« (beide im 3. Bezirk) zur Untermiete. Im Septem- (Tagebuch, zitiert nach Höller 1999, S. 9). Die ber 1947 absolviert sie ein Praktikum in der Ner- schon zu Schulzeiten außergewöhnlich belesene venheilanstalt Am Steinhof in Wien. Zu ihren Jugendliche stürzt sich in eine Flut zuvor ver- akademischen Lehrern gehören Hubert Rohr- botener oder unzugänglicher Lektüren von Frank acher (Psychologie) und Viktor E. Frankl (Psycho- Wedekind (N5741) bis Karl Marx (Höller 1999, therapie), der sich früh mit den Konzentrations- S. 9). Sie überarbeitet ihre Jugendlyrik und ent- lagern des Nationalsozialismus auseinandersetzt, wirft eine Fülle neuer Gedichte und Prosastücke sowie die Philosophen Alois Dempf (unter des- (wie z.B. die Erzählung Die Fähre), mit denen ihr sen Leitung sie zunächst eine Dissertation zum Schreiben an die Schwelle vom Jugend- zum »Typus des Heiligen« plant), Leo Gabriel, durch Hauptwerk gelangt. Entwürfe aus dem Sommer/ den sie in und andere Formen Herbst 1945 wie die Gedichte Melancholie, Klage der Existenzphilosophie eingeführt wird, sowie und Ich frage, Prosatexte wie Cälian Hambrusch Viktor Kraft, ein Erbe des Wiener Neopositivis- oder Hel Dörrias und später das Prosadrama Das mus. Bei ihm schreibt sie ihre Dissertation Die Denkmalamt verbinden Erfahrungen des Er- kritische Aufnahme der Existentialphilosophie wachsenwerdens, des Krieges und der unmittel- Martin Heideggers (1949), eine Arbeit »gegen baren Nachkriegszeit mit einem sehr bewußten Heidegger«, wie sie später sagen wird (GuI, 137), Arbeiten an der literarischen Form. die jedoch mit Heidegger in eine Apotheose von Kunst und Literatur als der eigentlichen Aus- drucksformen existentieller Erfahrung mündet. Wien (1945–1953) Auch die Rezension einer wissenschaftlichen Pu- blikation über Heidegger in der Bozener Zeit- 1945/46 schrift »Der Standpunkt« (16. 9. 1949) zeugt von Zum Wintersemester 1945/46 nimmt Ingeborg ihrer Heidegger-Auseinandersetzung. Am 23. Bachmann an der Universität Innsbruck das Stu- März 1950 schließt die feierliche Promotion das dium der Philosophie, Psychologie, Germanistik Studium ab. und Kunstgeschichte auf. Sie wohnt im Vorort Der Wechsel des Studienorts markiert zugleich Arzl, wo sie nicht nur die Gedichtentwürfe des Ingeborg Bachmanns Eintritt in das literarische Sommers 1945 überarbeitet; neben vielen neuen Leben Wiens in den unmittelbaren Nachkriegs- Gedichten wie Vor einem Instrument und Ängste jahren, in denen sich in der alten österreichi- entstehen dort auch die Briefe an Felician, ein schen Metropole aufgrund der offiziellen An- erst posthum veröffentlichter Zyklus lyrischer erkennung Österreichs als des »ersten Opfers Briefprosa, der bereits in charakteristischer Hitler-Deutschlands« – unmittelbarer als in 4 I. Grundlagen

Deutschland – eine Wiederanknüpfung an die »Lynkeus« vier ihrer frühen Gedichte, darunter kulturellen Traditionen der Vorkriegszeit voll- das Gedicht Entfremdung mit seiner charakte- zieht, in deren Rahmen Repräsentanten der alten ristischen, existentialistisch gefärbten Zeitkritik, Generation und zurückgekehrte jüdische Emi- und die »Wiener Tageszeitung« veröffentlicht granten als literarische Mentoren der jungen eine ganze Serie von Erzählungen: Die Fähre Nachkriegsgeneration fungieren. So haben (Neufassung), Im Himmel und auf Erden, Das Größen der Wiener Nachkriegsszene wie Hans schöne Spiel, Das Ufer, Die Versuchung, Das Lä- Weigel (mit seinem legendären Kreis im Café cheln der Sphinx und Die Karawane und die Raimund), Rudolf Felmayr und Hermann Hakel Auferstehung. Seit 1947 arbeitet Bachmann im an Bachmanns literarischem Debüt wesentlichen übrigen an ihrem verschollenen ersten Roman Anteil. Zugleich lernt die junge Autorin durch die Stadt ohne Namen (Brief an die Eltern vom 13. 4. Älteren, von denen sie sich »als ›junge Dichterin‹ 1947), der sie bis 1952 beschäftigen wird. Trotz abgestempelt« sieht (Brief an R. Felmayr vom der Fürsprache von , 30. 10. 1949, zitiert nach Höller 1999, S. 48), aber und gelingt es ihr aller- auch Angehörige ihrer eigenen Generation wie dings nicht, für diesen – nach Ausweis der über- Ilse Aichinger kennen, die erste Repräsentantin lieferten Fragmente Der Kommandant und der jungen Wiener Nachkriegsliteratur, mit der [Anna-Fragment] – parabolisch-surrealen Text sie bei ihrem Aufbruch aus Wien freundschaftlich einen Verleger zu finden, und zu den vom Wiener verbunden bleibt. Über Hans Weigels Revue Sei- Herold-Verlag verlangten Änderungen ist sie tensprünge am Josefstädter Theater entwirft sie 1952 nicht mehr bereit. eine unveröffentlichte Besprechung (1947). 1950/51 1948 Nach ihrer Promotion wird Bachmann »die Ein wichtiges Erlebnis der frühen Wiener Jahre mehrwöchige Vertretung einer Assistentenstelle ist die Begegnung mit , den Bachmann für den erkrankten Ernst Topitsch übertragen« am 16. März 1948 in der Wohnung des surrea- (Weigel 1999, S. 93). Im Oktober 1950 fährt sie listischen Malers Edgar Jené kennenlernt. In den dann nach Paris, um die Beziehung zu Paul Celan Monaten bis zu Celans Weiterreise nach Paris im wiederaufzunehmen. Sie muß allerdings feststel- Juli 1948 entwickelt sich eine intensive persön- len, daß Celan und sie sich »aus unbekannten, liche Beziehung, die als Auseinandersetzung mit dämonischen Gründen […] gegenseitig die Luft der Erfahrung des Holocaust zugleich eine »tief- wegnehmen« (Brief an H. Weigel, zitiert nach greifende Verwandlung ihres Denkens und Steiner 1998), und reist im Dezember nach Lon- Schreibens« (Höller 1999, S. 59) im Sinne jenes don zu Ilse Aichingers Zwillingsschwester Helga Ethos bewirkt, das sie später in die Formel »Die weiter. Dort lernt sie u.a. Hilde Spiel und Erich Wahrheit ist dem Menschen zumutbar« faßt. Es Fried kennen und liest im Februar 1951 vor der ist dies der Anfang einer schwierigen, nur in Anglo-Austrian Society aus eigenen Werken (21. kurzen Intervallen gelingenden Liebesbeziehung 2. 1951). Nach Wien zurückgekehrt, erhält sie und zugleich eines literarischen Dialogs, der mit durch Vermittlung Hans Weigels ein halbjähriges Paul Celans Widmung von »annähernd zwanzig Stipendium zur Arbeit an ihrem Roman Stadt seiner in Wien und in Paris entstandenen Ge- ohne Namen. »Nach einer mehrmonatigen An- dichte« aus dem Band Mohn und Gedächtnis stellung im Sekretariat der amerikanischen Be- (1948/52) an Ingeborg Bachmann beginnt (Höller satzungsbehörde und anderen Gelegenheitsar- 1999, S. 58) und bis zur literarischen Hommage beiten« ergibt sich im Herbst 1951 schließlich an ihn und seinen Freitod in ihrem Roman Ma- »die Möglichkeit zur Mitarbeit im Script-Depart- lina (1971) reicht. ment des Senders Rot-Weiß-Rot«, der amerikani- schen Radiostation in Wien (Höller 1999, 1949 S. 46f.). Das Jahr, in dem Bachmann ihre Dissertation abschließt, ist zugleich das Jahr ihres ersten lite- 1952 rarischen Erfolgs. Anfang 1949 erscheinen im Die Anstellung im Sender Rot-Weiß-Rot (zu- ersten Heft von Hermann Hakels Zeitschrift nächst als Script-Writer, dann als Redakteurin), Leben und Werk im Überblick – eine Chronik 5 für den sie u.a. Beiträge zu der Sendereihe Die Geschäft mit Träumen (3. 11. 1952). Von den Ta- Radiofamilie schreibt (McVeigh 2002), bezeich- gungen des Jahres 1952 datiert auch die Freund- net zugleich den Beginn von Ingeborg Bach- schaft mit Heinrich Böll, der in den fünfziger manns literarischen Arbeiten für den Rundfunk. Jahren zu einem wichtigen Gesprächspartner Schon 1952 werden Bachmanns erstes Hörspiel wird. Ein Geschäft mit Träumen (28. 2. 1952) und ihre Rundfunkbearbeitungen der Dramen Das Herr- 1953 schaftshaus von Thomas Wolfe (4. 3. 1952) und Die Deutschlanderfahrungen des Jahres 1952 er- Der schwarze Turm von Louis MacNeice (8. 10. mutigen Ingeborg Bachmann zu dem Entschluß, 1952) gesendet. Zugleich entstehen in den Jahren den Versuch eines Lebens als freie Autorin zu 1952/53 eine Reihe von Rezensionen (über Ro- wagen: »Vor der Literatur als Beruf fürchte ich mane von Thea Sternheim, José Orabuena, über mich sehr […]. Aber probieren möchte ich es Alfred Mombert und Heinrich Bölls Erzählung trotzdem.« (Brief an H. Böll vom 5. 2. 1953) Daß Der Zug war pünktlich) für die österreichische sie für die vorgetragenen Gedichte ihres entste- Kulturzeitschrift »Wort und Wahrheit«. In der henden Bandes Die gestundete Zeit bei der Ta- akademischen Monatsschrift »Morgen« erscheint gung der Gruppe 47 in Mainz (22.–24. 5. 1953) das Prosastück Auch ich habe in Arkadien gelebt, den renommierten Preis der Gruppe erhält, be- und Hans Weigel veröffentlicht in seinem Jahr- deutet vor diesem Hintergrund nicht nur eine buch »Stimmen der Gegenwart« ihren Gedichtzy- Auszeichnung von weitreichender Bedeutung für klus Ausfahrt. Auch 1951 (Die Mannequins des ihren Durchbruch auf dem literarischen Markt Ibykus) und 1953 (Auszüge aus Ein Geschäft mit der Nachkriegszeit, sondern auch eine nachhal- Träumen) ist sie in dieser österreichischen An- tige Bestätigung ihrer Entscheidung für die thologie vertreten. Schriftstellerexistenz. Ende Juli gibt sie ihre An- Durch Hans Werner Richter, der sie im April stellung beim Sender Rot-Weiß-Rot auf und ver- 1952 in Wien kennengelernt hat, erhält sie die läßt Wien, allerdings nicht, um mit Ilse Aichinger Einladung zur 10. Tagung der Gruppe 47 in Nien- nach Deutschland überzusiedeln, wie sie zu- dorf an der Ostsee (23.–25. 5. 1952), bei der Ilse nächst geplant hatte (Briefe an H. Böll vom Aichinger den Preis der Gruppe erhält und an der 12. 12. 1952, 5. 2. 1953, 21. 4. 1953). Stattdessen auf Bachmanns Vermittlung auch Paul Celan teil- reist sie über Kärnten nach Italien, wo sie am 9. nimmt. Die Aufnahme in den Kreis der Gruppe August auf der Insel Ischia bei Hans Werner 47 ermöglicht ihr schließlich die Emanzipation Henze eintrifft, der ihr in neuer Qualität die Welt von den Verflechtungen des literarischen Lebens der Musik und der Oper erschließt sowie Kon- in Wien. Bachmann bleibt »noch bis Mitte Juni in takte zu Komponisten wie Luigi Nono und Karl Deutschland«, knüpft in Hamburg, »Frankfurt, Amadeus Hartmann vermittelt. Hannover, Stuttgart, Ulm und München« (Brief Nach diesem neuerlichen Aufbruch wird Inge- an W. Bächler vom Sommer 1952) literarische borg Bachmann nur noch zu Besuchen nach Wien und verlegerische Kontakte und beginnt die Serie und Klagenfurt zurückkehren. Ihr Verhältnis zu jener Rundfunklesungen, die in den Folgejahren Österreich wird im Laufe der Jahre immer zwie- ein wichtiges Medium insbesondere der Erst- spältiger. Der deutlichen Kritik an den Verkru- veröffentlichung ihrer Gedichte sein werden. Im stungen der österreichischen Nachkriegsgesell- September unternimmt sie dann zusammen mit schaft, ihrer anachronistischen Reinszenierung ihrer Schwester eine erste Reise nach Italien; im der Habsburger Vergangenheit und ihrer Ver- Oktober nimmt sie an einer Kulturtagung in St. drängung des eigenen Anteils an den Verbrechen Veit teil. Bei der Herbsttagung der Gruppe 47 auf des Nationalsozialismus steht die Utopie vom Burg Berlepsch bei Göttingen lernt sie Ende Ok- »Haus Österreich« als einer transnationalen »gei- tober den Komponisten ken- stige[n] Formation« mit eigener Geschichte ge- nen, mit dem sie eine langjährige künstlerische genüber, deren spezifischer »Erfahrungsfundus, Zusammenarbeit und Freundschaft verbinden Empfindungsfundus« gegen das kulturell domi- wird. Im November sendet der NWDR ihre nante Westdeutschland ihre Identität als Öster- Skizze Biographisches zusammen mit einer Reihe reicherin begründet (GuI, 79, 63f.). In ihren spä- von Gedichten und der Erzählfassung von Ein ten Römischen Jahren wird Bachmann ausdrück- 6 I. Grundlagen lich von ihrem »Doppelleben« zwischen ihrem reits neue Gedichte wie Nebelland, Curriculum Wohnort Rom und dem Wien ihrer literarischen vitae und Lieder von einer Insel, die später in den Arbeit sprechen (GuI, 65). zweiten Gedichtband Anrufung des Großen Bä- Der Aufbruch aus Wien und die durch die ren eingehen werden. In einem Radioessay setzt Gruppe 47 gewonnenen Kontakte bilden von sie sich mit Franz Kafkas Roman Amerika ausein- 1953 an zunächst die Grundlage ausgedehnter ander (9. 12. 1953), in einem anderen mit Robert Reisen, die Bachmanns Leben bis in die Mitte der Musils Der Mann ohne Eigenschaften (April sechziger Jahre prägen werden. So hatte sie 1954; vgl. Brief J. Moras an Bachmann vom 14. 4. schon im April 1953 ihre Eltern in Klagenfurt 1954), in der Zeitschrift »« erscheint ein besucht und dann die Tagung der Gruppe 47 zweiter Essay über Musils Roman: Ins tausend- Ende Mai zum Anlaß für Besuche in Köln, Frank- jährige Reich (Februar 1954). In einem weiteren furt, Hamburg und München genommen. Zu- Radioessay – Sagbares und Unsagbares – stellt gleich erschließt sie sich neue Veröffentlichungs- sie noch einmal die Philosophie Ludwig Wittgen- medien, so die Zeitschrift »Frankfurter Hefte«, in steins vor (16. 9. 1954), obwohl sie zugleich be- denen ihr Essay – Zu einem ginnt, sich von ihrer früheren »Philosophie-Ma- Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte er- nie« zu distanzieren (Brief an H. Kesten vom 6. 7. scheint (Juli 1953), und vor allem den angese- 1954, zitiert nach Weigel 1999, S. 34). henen »Merkur« und den »Jahresring«, in denen Nachdem es Bachmann noch kurz zuvor nicht sie in den Folgejahren regelmäßig Gedichte und gelungen war, ihren ersten Gedichtband bei ei- Prosa veröffentlicht und mit deren Redakteur nem der ›renommierten‹ Verlage unterzubringen Joachim Moras sie bis zu seinem Tod im April (vgl. Brief von A. Andersch in Hotz 1990, S. 238), 1961 in zunehmend herzlicher Verbindung steht. zeugen lange Verhandlungen mit verschiedenen Verlagen – Piper, Kiepenheuer & Witsch und Claassen (sie entscheidet sich schließlich für Italien (1953–1957) Piper) – 1953/54 (nach dem Zusammenbruch der Frankfurter Verlagsanstalt) von der weiteren Pro- 1953/54 fessionalisierung ihrer Schriftstellerexistenz. Ein Bezeichnet der Wittgenstein-Essay Bachmanns entscheidendes Datum für den wachsenden Ruf fortdauerndes Interesse an der Philosophie, so Ingeborg Bachmanns als Dichterin, aber auch für markiert ihre lyrische Neufassung des Textbuchs ihre Stilisierung als »auratische Lyrikerin« zu Tatjana Gsovskys Ballett-Pantomime nach (Bartsch 1997, S. 1) markiert dann die Titelstory, F.M. Dostojewskis Roman Der Idiot, zu der H. W. die das einflußreiche deutsche Nachrichtenmaga- Henze die Musik geschrieben hatte, im Sommer zin »Der Spiegel« ihr am 18. August 1954 widmet. 1953 den Beginn der künstlerischen Zusammen- Gleichwohl bleibt Bachmann bis in die sechziger arbeit mit dem Komponisten. Anfang August bis Jahre auf Nebenarbeiten angewiesen, um ihren Anfang Oktober 1953 wohnt Bachmann in seiner Lebensunterhalt zu bestreiten. So schreibt sie Nähe in San Francesco bei Forio auf der Insel unter dem Pseudonym Ruth Keller zwischen Juli Ischia. Dann zieht sie nach Rom, in die Piazza 1954 und September 1955 regelmäßig »römische della Quercia 1. In diesem Sommer arbeitet sie Reportagen« für Radio Bremen und für die u.a. auch »an einem Hörspiel ›Die Straße der vier »Westdeutsche Allgemeine Zeitung«, kleine (Ra- Winde‹ für den NDR« (Brief an H. Paeschke, dio-) Essays zu politischen Vorgängen, Tages- »Merkur«, vom 30. 7. 1953). Im Herbst 1953 un- ereignissen und Alltagskultur in Italien. terstreicht das Erscheinen ihres ersten Gedicht- Am 16.–18. Oktober 1953 nimmt Bachmann an bandes Die gestundete Zeit, der sich in seinen der Tagung der Gruppe 47 in Schloß Beben- freien Formen und seiner appellativen Zeitkritik hausen bei Tübingen teil und liest dort ihr ly- deutlich von den früheren Gedichten abhebt, in risches Textbuch zu Gsovskys und Henzes Ballett- der Frankfurter Verlagsanstalt (in Alfred An- pantomime: Ein Monolog des Fürsten Myschkin derschs Reihe »Studio Frankfurt«, 2. Aufl. im (Uraufführung dieser Ballett-Neufassung erst am Piper-Verlag 1957) ihren neuen Status als freie 8. 1. 1960 im Titania-Palast Berlin). In München Schriftstellerin. In verschiedenen Zeitschriften begegnet sie am 4. Dezember 1953 bei Wolfgang und Rundfunklesungen veröffentlicht sie aber be- Hildesheimer, mit dem sie in den kommenden Leben und Werk im Überblick – eine Chronik 7

Jahren einen freundschaftlich-selbstironischen von ihrer früheren Parallelarbeit in Wissenschaft Briefwechsel führt, den Komponisten Luigi und Literatur: »Seit fünf Jahren habe ich nicht Nono, Bruno Maderna und Wolf Rosenberg. Auf mehr wirklich etwas in der Philosophie getan, der Rückreise nach Rom macht sie bei ihren das doppelte Geleise hat viel Verführung gehabt Eltern in Klagenfurt Station (Brief an W. Hildes- für mich, aber ohne konzentrierte Arbeit muß heimer vom 13. 12. 1953). Ende April 1954 man unweigerlich entgleisen […].« (Brief an H. nimmt sie an einer weiteren Tagung der Gruppe Paeschke vom 14. 11. 1955) Gleichwohl dankt ihr 47 teil, die diesmal auf ihre Anregung in Cap Siegfried Unseld noch fünf Jahre später für ihren Circeo (San Felice, Italien) im Hotel Magacire Anteil an der Entdeckung Wittgensteins (Brief stattfindet. Im Juli reist sie zur Biennale nach vom 13. 12. 1960 in Höller 1999, S. 169). Venedig und wird von den »schönen Bildern, von Courbet bis Klee« begeistert (Brief an H. Kesten 1955 vom 6. 7. 1954, zitiert nach Weigel 1999, S. 34). Ingeborg Bachmanns wachsender Ruf als die Zu den zahlreich neuen Kontakten dieser ersten wichtigste deutschsprachige Lyrikerin der Nach- römischen Schriftstellerjahre gehören Hermann kriegszeit schlägt sich 1955 in neuen öffentlichen Kesten, Gustav René Hocke, Toni Kienlechner Anerkennungen nieder. Im Mai liest sie auf der sowie die lebenslange Freundschaft mit Marie Tagung der Gruppe 47 im Haus Rupenhorn in Luise Kaschnitz, die 1952 bis 1956 in Rom lebt Berlin (13.–15. 5. 1955) aus ihrem Hörspiel Die und mit der sie in der Folge in Rom, Neapel, Zikaden über das zivilisationskritische Thema Berlin und Frankfurt (Kaschnitz’ Wohnort seit der Weltflucht und erhält den Literaturpreis des Ende 1956) immer wieder zusammentrifft. Kulturkreises des Bundesverbandes der deut- schen Industrie (16./17. 5. 1955). Im Juli nimmt 1954/55 Bachmann auf Einladung von Henry Kissinger an Den Winter 1954/55 verbringt Bachmann gro- der internationalen »Harvard Summer School of ßenteils bei Henze in Neapel. Dort schließt sie Arts and Sciences and of Education« an der Har- u.a. ihr Hörspiel Die Zikaden ab, das seit dem vard Universität in Cambridge/Massachusetts Sommer einen Schwerpunkt ihrer literarischen teil, von wo aus auch ein Ausflug nach New York Arbeit darstellt und zu dem Henze die Musik unternommen wird. Im Februar war sie zwar zum schreibt (Ursendung im NWDR am 25. 3. 1955). ersten Mal mit einem Flugzeug geflogen (Post- Daneben entstehen die Lieder auf der Flucht, karte an H. Kesten vom 28. 2. 1955), in die USA Anrufung des Großen Bären, Schwarzer Walzer reist sie jedoch mit dem Schiff. Allerdings findet und andere Gedichte des zweiten Lyrikbandes, in sie keinen rechten Zugang zum Gastgeberland, »Akzente« erscheint im Februar 1955 u.a. der empfindet es als ›höchst sonderbar‹, will das Essay Was ich in Rom sah und hörte, in »We- Seminar »kaum ausgehalten« haben (Briefe an W. stermanns Monatsheften« die Reflexion [Wozu Hildesheimer vom 15. 7. 1955 und 22. 5. 1959) Gedichte] (April 1955), im »Jahresring 1955/56« und behauptet sarkastisch, sie verstehe »erst jetzt das Prosastück Die blinden Passagiere; der Süd- recht, warum sich soviele Emigranten umge- westfunk sendet den Radioessay Das Unglück bracht haben, denn zu allem andren hat ihnen und die Gottesliebe – Der Weg Simone Weils (5. 8. wohl dieses Land den Rest gegeben« (Brief an H. 1955). Zu neuen literarischen Plänen gehört ein Böll vom 16. 7. 1955). Dennoch verdankt sie der Roman, auf den der Piper-Verlag in den Folge- USA-Reise wichtige Kontakte, so etwa zu dem jahren immer wieder drängen wird und der zu damaligen Lektor des Suhrkamp-Verlages Sieg- diesem Zeitpunkt möglicherweise mit den nach- fried Unseld und zu dem Journalisten Pierre gelassenen Entwürfen Ein Fenster zum Ätna Evrard, mit dem sie eine langjährige Freund- identifiziert werden kann. Außerdem schlägt Joa- schaft verbinden wird. chim Moras ihr eine Monographie über Ludwig Nach der Rückkehr verbringt sie die Monate Wittgenstein als Seitenstück zu einer Wittgen- Oktober bis Dezember bei ihren Eltern in Klagen- stein-Ausgabe in der Deutschen Verlagsanstalt furt und erwägt kurzfristig eine Rückkehr nach vor (Brief an J. Moras vom 2. 2. 1955). Erst im Wien (Brief an M. L. Kaschnitz vom 15. 10. November entschließt sie sich, dieses Angebot 1955). Langlebiger ist der Wunsch, »ein Jahr« in abzulehnen, und nimmt dabei zugleich Abschied Griechenland zu verbringen (Brief an J. Moras 8 I. Grundlagen vom 14. 11. 1955), der sie schon Ende 1954 mit Vortragsreise nach Deutschland führt sie Ende Blick auf das Jahr 1955 umtreibt, im folgenden Februar/März u.a. nach Düsseldorf, Bremen, Bo- Herbst/Winter zu sehr konkreten Plänen erst für chum, Wuppertal, Frankfurt und München. Von das Frühjahr, dann für den Sommer 1956 führt dort aus kehrt sie über Lenggries/Oberbayern und sich schließlich doch nicht verwirklichen läßt (einer ihrer Besuche bei den Freunden Günter (Brief an O. Döpke vom Mai 1956 in »du« 1994, Eich und Ilse Aichinger) und Klagenfurt nach S. 36). Neapel zurück, wo sie u.a. mit über ihre Librettopläne spricht (Kasch- 1955/56 nitz, S. 555, 558). Auch der in diesem Frühjahr Von Klagenfurt aus nimmt Bachmann an der entstehende Prosatext Die wunderliche Musik Herbsttagung der Gruppe 47 in Schloß Beben- reflektiert das für Bachmanns ästhetisches Den- hausen bei Tübingen teil (14.–16. 10. 1955) und ken zentrale Verhältnis von Musik und Dichtung reist Mitte Dezember nach Baden-Baden, um (gedruckt im Herbst im »Jahresring« zusammen dort u.a. Hans Werner Henze zu treffen. Diesem mit neuen Gedichten). Im Juni wird ihre Hör- hat sie »fürs nächste Musikfest in Donaueschin- spielbearbeitung von Robert Musils Drama Die gen« ein Opernlibretto versprochen (Brief an S. Schwärmer aufgenommen (BR), und es erschei- Unseld vom 6. 12. 1955), das neben der Weiter- nen wiederum Gedichte – Mein Vogel, Heimweg, arbeit am zweiten Gedichtband in den Monaten An die Sonne – im »Merkur«, im Juli das berühmt November 1955 bis Juni 1956 einen Schwerpunkt werdende Gedicht Erklär mir, Liebe in der Wo- ihres Schreibens ausmacht. Zusammen mit chenzeitung »Die Zeit« (19. 7. 1956). Im August Henze besucht sie im Januar 1956 »drei Opern- verbringt sie einige Tage auf Ischia, um dann über abende in der Scala« in Mailand, darunter eine Venedig und Klagenfurt zur Premiere von Henzes Generalprobe zu Luchino Viscontis Inszenierung Oper König Hirsch (23. 9. 1956) nach Berlin zu von Guiseppe Verdis Oper La traviata mit Maria reisen. Bei diesem Sommeraufenthalt in Klagen- Callas in der Hauptrolle (24. 1. 1956) – »bei wei- furt wird der zweite Gedichtband Anrufung des tem das Schönste, was ich je auf einer Opern- Großen Bären »endlich fertig« (Brief an H. Böll bühne gesehen habe« (Brief an K. Piper vom 5. 2. vom 18. 8. 1956; erscheint Herbst 1956 bei 1956). Dieses überwältigende Erlebnis, dem sich Piper), der nicht zuletzt wegen seiner traditio- auch ihre spätere Hommage à Maria Callas ver- neller klingenden Form- und Bildsprache nun dankt, gibt dem Librettoprojekt um »die Ge- auch die volle Anerkennung der Literaturkritik schichte eines aus dem neapolitanischen Proleta- findet. riat aufsteigenden Filmstars« namens Belinda (Henze-Interview 1986, zitiert nach Spiesecke 1956/57 1993, S. 83) neuen Auftrieb, dessen Fragmente Nach drei Jahren Italien ist Bachmann im Som- im Nachlaß überliefert sind. Allerdings gelingt mer 1956 auf der Suche nach einem neuen Wohn- Bachmann das notwendige »Hintanstellen der und Arbeitsort. Eine längere Erkrankung in Kla- eigenen Arbeit unter die allein wichtige des Kom- genfurt verhindert zwar eine geplante Berlin- ponisten« (W 1, 434) hier noch nicht, und das reise, und die als ›Übersiedlung‹ bezeichnete Projekt wird aufgegeben. Auch der langjährige Fahrt nach Paris verschiebt sich (Brief an D. Plan, ein Theaterstück zu schreiben, der sich im Lattmann vom 2. 9. 1956), den Dezember ver- Briefwechsel von Dezember 1955 bis Dezember bringt sie dann jedoch in Paris, wo sie zunächst 1958 verfolgen läßt (Brief an S. Unseld vom 6. 12. im Hôtel de la Paix, Rue Blainville 6 wohnt, dem 1955; Brief an H. Böll vom 28. 12. 1958), wird sie das Gedicht gleichen Titels widmet (Hörfunk- nicht verwirklicht. lesung NDR, 1. 2. 1957). Paris entspricht jedoch nicht ihren Erwartungen, zumal der »Rückschlag 1956 der politischen Ereignisse« (Algerienkrieg, Suez- Anfang Januar 1956 kehrt Bachmann nach lan- krise) sie bedrückt (Brief an K. Piper vom 1. 12. gem Aufenthalt in Klagenfurt nach Rom zurück, 1956). Konzentrierte Lektüren wie die von Mar- verbringt dann aber die Monate Februar bis Au- cel Prousts Romanzyklus Auf der Suche nach der gust weithin bei Hans Werner Henze in Neapel verlorenen Zeit können dies nur unzulänglich (Villa Rotondo, Via Bernardo Cavallino 1). Eine kompensieren. Zum Jahreswechsel kehrt sie da- Leben und Werk im Überblick – eine Chronik 9 her nach Rom zurück, sucht eine Wohnung ›für Unseld vom 3. 7. 1957; Brief an H. Kesten vom sich und ihre drei Koffer‹ (Brief an A. Andersch 3. 9. 1957), und nimmt zum September eine vom 9. 1. 1957) und will »ein Jahr lang« in der Via Stelle als Dramaturgin beim Bayerischen Fern- Vecchiarelli 38 bleiben (Brief an H. Paeschke vom sehen in München an. Im Oktober 1957 wird sie 16. 1. 1957). Dort erreicht sie noch in der ersten zum korrespondierenden Mitglied der Deut- Januarhälfte die Mitteilung über die – ebenso schen Akademie für Sprache und Dichtung in ehrenvolle wie in finanzieller Hinsicht willkom- Darmstadt gewählt. mene – Zusprechung des Literaturpreises der Freien Hansestadt Bremen (Rudolf Alexander Schröder-Stiftung), der ihr am 26. Januar 1957 in München und Neapel (1957/58) Bremen für ihren Gedichtband Anrufung des Großen Bären verliehen wird. Es ist dies ein 1957/58 erstes öffentliches Signal für den großen Erfolg Die Anstellung beim Bayerischen Fernsehen gerade ihres zweiten Gedichtbandes, der ihr al- durch dessen Direktor Clemens Münster (Sep- lerdings in dem Maße zum Problem wird, wie sie tember 1957 bis Mai 1958) ist für Bachmann von sich von einer konservativen Literaturkritik als Anfang an ebenso ungeliebt wie die Stadt Mün- ›positive‹ Dichterin vereinnahmt sieht. chen, wo sie »fast alles und fast jedes deprimie- rend« findet (Brief an H. Kesten vom 16. 10. 1957 1957, zitiert nach Weigel 1999, S. 287). Ihre Woh- Im Juni 1957 unternimmt Bachmann eine Be- nung in der Franz Josefstr. 9a, die sie am 1. De- suchsreise nach Innsbruck, Lenggries, Fürth, zember 1957 bezieht, wird daher zum Ausgangs- München, wo sie sich einer Blinddarmoperation punkt vielfältiger Reisen. Gleich im September unterziehen muß, und Stuttgart, um dort u.a. fährt sie über die Schweiz zu einem Urlaub nach wiederzutreffen, der als Heraus- Ischia, sie besucht Freunde und Bekannte in geber ihres ersten Gedichtbandes und Rundfunk- Deutschland, nimmt am 20. Oktober bei den redakteur in den fünfziger Jahren einer ihrer Donaueschinger Musiktagen an der Urauffüh- wichtigen Arbeitsfreunde und Vermittler ist. An- rung von Henzes Nachtstücken und Arien nach dersch ist es auch, der ihr mit dem Ziel einer Gedichten Ingeborg Bachmanns teil und liest bei gutbezahlten Rundfunkreportage eine »Nordafri- der Tagung der Gruppe 47 am Starnberger See kareise« nach Marokko vorschlägt – ein unreali- ihre Gedichte Liebe, dunkler Erdteil und Strö- sierter Plan, auf den er noch 1959 wieder zurück- mung (27.–29. 10. 1957); Weihnachten verbringt kommt (Brief an A. Andersch vom 9. 7. 1957; sie bei ihren Eltern in Klagenfurt. Im März 1958 Briefe von A. Andersch an Bachmann vom 3. 7. fährt sie nach Berlin, wo sie u.a. mit Marie Luise 1957 und 16. 6. 1959). Im Süddeutschen Rund- Kaschnitz den Zoo besucht (24. 3. 1958) und in funk liest sie neue Gedichte (Strömung, Geh Ostberlin Peter Huchel aufsucht (Brief an H. Böll Gedanke, Freies Geleit; 19. 6. 1957). Die zur Ver- vom 25. 3. 1958). Im April tritt sie zusammen mit öffentlichung bereits an Joachim Moras gesandte anderen Mitgliedern der Gruppe 47 dem »Ko- Erzählung Porträt von Anna Maria erbittet sie mitee gegen die Atomrüstung« bei. nach Rücksprache mit dem Ehepaar Eich jedoch Im Oktober 1957 nimmt Bachmann zusammen als unfertig wieder zurück (Briefe an J. Moras mit Peter Huchel, Hans Mayer, Heinrich Böll, vom 16. und 26. 6. 1957). Einen Schwerpunkt Paul Celan u.a. in Wuppertal an einer Tagung ihrer literarischen Arbeit bildet im Sommer/ zum Thema »Literaturkritik – kritisch betrachtet« Herbst 1957 das Hörspiel Der gute Gott von teil (11.–13. 10. 1957). In den Jahren 1957/58 Manhattan, ein Reflexionsmodell der (Un-) stellen Bachmann und Celan gemeinsam die Möglichkeit und Zerstörung absoluter Liebe, das Texte für den deutschen Teil der von Marguerita zunächst den Arbeitstitel »Manhattan-Ballade« Caetani herausgegebenen italienischen Zeit- trägt (Brief an H. Kesten vom 3. 9. 1957, zitiert schrift »Botteghe Oscure« zusammen. Das Wie- nach Weigel 1999, S. 220). Trotz ihrer literari- dertreffen mit Paul Celan in Wuppertal und Köln schen Erfolge sieht sie sich seit Juli 1957 jedoch (14. 10. 1957) und seine anschließenden Besuche genötigt, zum Herbst wieder die »Zwangsarbeit« bei ihr in München (7.–9. 12. 1957, 28./29. 1. einer festen Anstellung einzugehen (Brief an S. 1958, 7. 5. 1958) lassen aber auch die Liebes- 10 I. Grundlagen beziehung zu diesem Dichter wiederaufleben. rückbindet. Allerdings gelangt dieser Roman Diese Phase ihrer Freundschaft endet offenbar nicht über den Status eines Fragments hinaus und mit mehreren Treffen bei einem Parisaufenthalt wird 1962/63 durch den ersten Todesarten-Ro- Ingeborg Bachmanns (30.6.–2. 7. 1958). Dort man abgelöst. Zu nicht abgeschlossenen Erzähl- lernt sie anläßlich einer Aufführung des Züricher fragmenten aus dem zeitlichen Umkreis des Ban- Schauspielhauses, das mit Max Frischs Stücken des Das dreißigste Jahr gehören auch [Der Biedermann und die Brandstifter und Die große Schweisser], [Der Hinkende] und Zeit für Go- Wut des Philipp Hotz in Paris gastiert, am 3. Juli morrha, eine weitere Variation des für diese 1958 auch deren Autor kennen, mit dem sie von Schaffensperiode charakteristischen Motivs vom da an eine Partnerschaft verbindet, die – so Max Grenzübertritt, hier um ein Mädchen aus der Frisch im Interview mit Philippe Pilliod (Berzona Wiener Leopoldstadt, das sich als Schauspielerin 1985) – »alles in allem etwas mehr als vier Jahre« von erlittenen Demütigungen befreit, sowie die dauert. Den Sommer verbringt Bachmann jedoch grenzüberschreitende Geschichte einer Liebe zunächst bei Henze in Neapel (Via Generale Pa- (brieflicher Arbeitstitel »Wien-Venedig«) und die risi 6), bevor sie sich im September mit Max Familienerzählung Der Tod wird kommen (brief- Frisch in La Spezia am Golf von Genua trifft. Im lich unter dem Titel »Unsere Toten«, Brief an R. Oktober reist sie zur Premiere von Henzes Un- Baumgart vom 12. 5. 1960). dine-Ballett nach London (27. 10. 1958) und nimmt dann an der Tagung der Gruppe 47 im Gasthof Adler in Großholzleute im Allgäu teil Zürich und Rom (1958–1963) (31.10.–2. 11. 1958). Anfang November 1958 be- endet sie ihr Münchener Jahr mit dem Umzug 1958/59 nach Zürich zu und den »ersten Nach ihrem Umzug aus München nach Zürich im Schritte[n] in ein neues Leben« (Brief an G. R. November 1958 wohnt Bachmann in der Feld- Hocke vom 19. 11. 1958, zitiert nach Höller 1999, eggstr. 21, vor allem aber in Max Frischs Woh- S. 105). nung in Uetikon am See (Haus zum Langen- baum). Im Oktober 1959 nimmt sie sich im 1958 Gottfried-Keller-Haus (Kirchgasse 33) zusätzlich Neben ihrer Tätigkeit als Dramaturgin des Baye- eine eigene »kleine Arbeitswohnung in der Stadt« rischen Fernsehens stellt Bachmann ihren Radio- (Brief an K. Piper vom 9. 10. 1959). Die Monate essay Die Welt Marcel Prousts – Einblicke in ein Januar bis Juni 1959 arbeitet Bachmann intensiv Pandämonium (BR 13. 5. 1958) fertig, an dem sie an den Erzählungen des entstehenden Bandes (nach der im Dezember 1956 in Paris begonnenen Das dreißigste Jahr, darunter an der Titelerzäh- Proust-Lektüre) seit dem Sommer 1957 gear- lung um die Lebenskrise eines paradigmatischen beitet hat. Im Mai gelangt auch ihr Hörspiel Der modernen Intellektuellen, an Alles und Jugend in gute Gott von Manhattan zur Ausstrahlung (BR/ einer österreichischen Stadt. Diese letzte Erzäh- NDR 29. 5. 1958). Zugleich arbeitet sie an den lung, eine autobiographische Auseinanderset- Erzählungen des Bandes Das dreißigste Jahr, den zung mit der österreichischen Kindheit in Kla- der Piper-Verlag schon für den Herbst 1959 plant genfurt im Zeichen von Nationalsozialismus und (Brief K. Pipers an Bachmann vom 10. 10. 1958). Krieg, die zugleich eine an Walter Benjamin ge- Außerdem erwartet der Verlag ihren »nächsten schulte Gedächtnispoetik entwirft, wird als erster Roman«, für den sie ihre »Wiener Jahre« als der Texte im Frühjahr in Marguerita Caetanis »Ausgangspunkt« angegeben hat (Brief K. Pipers Zeitschrift »Botteghe Oscure« (Rom) vorabge- an Bachmann vom 14. 5. 1958, zitiert nach Höller druckt. Als Nebenarbeit wird im Februar ihre 1999, S. 105). Tatsächlich hat Ingeborg Bach- Funkbearbeitung von Robert Musils Komödie mann schon in ihren ersten italienischen Jahren Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer (1954–57) an einem neuen Romanprojekt um die gesendet (Radio Bremen, 13. 2. 1959). Neue Eh- Figur des Kriegsheimkehrers Eugen gearbeitet rungen unterstreichen Bachmanns gewachsene (Eugen-Roman I), dessen relativ spätere Ent- Bedeutung in der deutschsprachigen Nachkriegs- würfe das Geschehen der überlieferten früheren, literatur. Angesichts der Anfeindungen, denen sie in Rom spielenden Bruchstücke nach Wien zu- in der österreichischen Literaturszene ausgesetzt Leben und Werk im Überblick – eine Chronik 11 ist – so attackiert ihr einstiger Mentor Hans Wei- 1959/60 gel sie im Juni 1958 in der Zeitschrift »Forum« Schon nach einem Monat in Rom (Via della Stel- wegen ihrer Beteiligung an einem Protest gegen leta 23) kehrt Bachmann Anfang August nach die atomare Bewaffnung der Bundeswehr in ei- Zürich zurück, arbeitet weiter an ihren Erzählun- nem »Offenen Brief in Sachen Unterschrift« –, gen und schreibt in freier Bearbeitung des Dra- schlägt ihre Aufnahme in den mas von das Libretto für deutschen PEN vor, und am 17. März 1959 wird Henzes Oper Der Prinz von Homburg. In der ihr im Plenarsaal des Bundesrates in Bonn der Festschrift »Musica Viva« erscheint im Juni 1959 angesehene Hörspielpreis der Kriegsblinden ver- ihr Essay Musik und Dichtung, und sie trägt bei liehen, für den sie sich mit der poetologischen der Tagung der Gruppe 47 im Schloß Elmau bei Rede Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar Mittenwald (23.–25. 10. 1959) ihre Erzählung Al- bedankt. Auch das praktische Leben kommt nicht les vor, eine abgründige Reflexion der pädagogi- zu kurz: Im März besteht Ingeborg Bachmann in schen Utopie eines vollständigen gesellschaftli- Zürich die Fahrprüfung (Brief an G. Grass vom chen Neuanfangs, die zugleich im Bayerischen 29. 3. 1959). Ende März nimmt sie zusammen mit Rundfunk ausgestrahlt wird. Bei dieser Tagung Max Frisch Abschied von dem sterbenden Peter lernt sie den soeben aus der DDR übersiedelten Suhrkamp. kennen, der in der Folgezeit zu einem wichtigen Gesprächspartner wird. Einen 1959 Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet im Herbst/Win- Eine gefährliche Hepatitisinfektion, die Max ter 1959/60 darüber hinaus die Vorbereitung auf Frisch ins Krankenhaus zwingt, verhindert im die Poetik-Vorlesungen an der Universität Frank- Mai 1959 nicht nur eine geplante Spanienreise, furt, zu denen sie als erste Gastdozentin im Win- sie motiviert Bachmann auch, als sie »nichts mehr tersemester 1959/60 eingeladen ist und die ihr tun« kann für ihn, Anfang Juni nach Rom ›voraus- erhebliches Kopfzerbrechen bereiten. Sie eröff- zureisen‹ (Brief an R. Baumgart vom 4. 6. 1959). net die Reihe Frankfurter Vorlesungen: Probleme Auf der Fahrt machen sie und Hans Magnus zeitgenössischer Dichtung, in denen sie eine lite- Enzensberger, der sie begleitet, bei Alfred und rarhistorische Ortsbestimmung der Nachkriegs- Gisela Andersch in Berzona Station. Andersch literatur mit eigenen poetologischen Grundsatz- wiederholt nicht nur seinen Vorschlag einer überlegungen verbindet, am 25. November 1959 Nordafrikareise, er unterstützt Bachmann auch in mit der Vorlesung »Fragen und Scheinfragen«, einem anderen Vorhaben, das sowohl ihre Aben- am 9. Dezember liest sie »[Über Gedichte]«, das teuerlust als auch ihre anhaltende finanzielle Be- Datum der Vorlesung »Das schreibende Ich« war drängnis zeigt: Im Auftrag des Fernsehsenders bislang nicht feststellbar, die Vorlesung »Der Um- Bremen (und des SDR-Rundfunks) will sie (frei gang mit Namen« findet am 10. Februar 1960 statt nach Jules Vernes) unter dem Titel »In achtzig (Kaschnitz, S. 1174), die fünfte und letzte – »Lite- Stunden um die Welt« eine »Doppel-Weltreise in ratur als Utopie« – folgt am 24. Februar. An diese Düsenflugzeugen« unternehmen (Brief A. An- Poetikvorlesungen, die damals ein völlig neues derschs an Bachmann vom 16. 6. 1959). Von Lon- Forum des Dialogs zwischen Literatur und Wis- don aus soll sie »zweimal um die Welt rasen und senschaft darstellten, schließen sich jeweils Se- dann den Text zu einer Fernsehsendung schrei- minare an, deren Diskussion Bachmann ange- ben. Es ist der erste Zivilflug, der in 80 Stunden sichts der unterschiedlichen Erwartungen und alle 5 Kontinente bewältigt; das erstemal fliege Sprachen der Studenten und der Autorin als be- ich mit längeren Zwischenaufenthalten, das sonders schwierig empfindet. Für den Bayeri- zweitemal wirklich in 80 Stunden.« (Brief an schen Rundfunk nimmt sie die Vorlesungen R. Baumgart vom 1. 7. 1959) Allerdings kommt (ohne »[Über Gedichte]«) am 25.–28. April 1960 diese bemerkenswerte literarische Inszenierung in Zürich auf, gekürzte Fassungen erscheinen in moderner Beschleunigungserfahrungen dann der »kulturellen Monatsschrift« »du« (August bis doch nicht zustande (Brief an H. Heissenbüttel Oktober 1960). Die vom Piper-Verlag vorgeschla- vom 8. 9. 1959). gene und von Bachmann Ende 1960 und Anfang 1962 auch konkret geplante Buchausgabe kommt jedoch nicht zustande. Ein persönlicher Ertrag 12 I. Grundlagen der Vorlesungen ist u.a. die Bekanntschaft mit 1961 dem Philosophen Theodor W. Adorno, dem sie Von Dezember 1960 bis März 1963 wohnen Max seither freundschaftlich verbunden ist. Frisch und Ingeborg Bachmann abwechselnd in Zürich und in Rom, dort zunächst in der Via 1960 Giulia 102, ab 5. Juni 1961 dann in der Via de Nach den Frankfurter Vorlesungen wendet sich Notaris 1F, »das ist die langgesuchte und endlich Bachmann wieder ihrem entstehenden Erzähl- gefundene Wohnung, die fast zu schön ist, um band zu und arbeitet vor allem an den Erzählun- wahr zu sein« (Brief an A. Böll vom 26. 5. 1961). gen Unter Mördern und Irren, einer kritischen Im Frühjahr 1961 arbeitet Bachmann weiter an Abrechnung mit der unbewältigten nationalsozia- ihren Erzählungen, vor allem an den Texten Ein listischen Vergangenheit in der österreichischen Wildermuth, einem emphatischen Einspruch ge- Nachkriegsgesellschaft, und an dem späteren gen ein verkürztes Wahrheitsverständnis, und Schlußstück Undine geht mit seiner mythologi- Ein Schritt nach Gomorrha, dem Reflexionsmo- schen Überkreuzung von Geschlechterthematik dell eines mißlingenden Austritts aus der Ge- und Poetologie. Im März nimmt Bachmann zu- schlechterordnung am Beispiel lesbischer Liebe. sammen mit , Walter Im Juni schließlich erscheint der Erzählband Das Jens, Stephan Hermlin, Peter Huchel, Johannes dreißigste Jahr im Piper-Verlag und trifft in der Bobrowski, Ernst Bloch und Georg Maurer an Literaturkritik auf ein skeptisches Echo. Bach- einem von Hans Mayer geleiteten Lyrik-Sym- manns lyrisch und philosophisch geprägte Prosa posium in Leipzig teil. Am 22. Mai besucht sie in wird als das Werk einer »gefallenen Lyrikerin« Hamburg die Uraufführung von Henzes und ihrer (M. Reich-Ranicki) mißverstanden. Oper Der Prinz von Homburg. Im Anschluß trifft Ebenfalls im Juni 1961 erscheint im Suhrkamp- sie sich zusammen mit Max Frisch und Paul Verlag Bachmanns Übertragung von Gedichten Celan in Zürich mit (25./26. 5. 1960), des italienischen Lyrikers Giuseppe Ungaretti, die zur Entgegennahme des Droste-Preises auf an denen sie seit 1960 gearbeitet hatte. Schon vor der Fahrt nach Meersburg ist. Bachmann widmet diesen Buchpublikationen geht sie im Frühjahr ihr im Folgejahr das Gedicht Ihr Worte. Im Sep- auf eine ausgedehnte Lesereise durch West- tember tritt sie zusammen mit Marie Luise deutschland, die sie nach Düsseldorf, Göttingen, Kaschnitz und Klaus Demus in der »Neuen Rund- Braunschweig, Dortmund, Darmstadt, Hamburg, schau« Claire Golls Vorwurf, Paul Celans Lyrik Kiel, Lübeck, Tübingen, Hannover, Remscheid, sei ein Plagiat der Gedichte ihres Mannes Yvan Oberhausen, Münster, Wiesbaden, Duisburg, Goll, entgegen. Ebenfalls im September unter- Wuppertal und Köln führt (10.2.–16. 3. 1961); im nimmt sie gemeinsam mit Max Frisch eine Ur- Juni folgt eine Lesung und Rundfunkaufzeich- laubsreise nach Spanien. Im November fährt sie nung im Schauspielhaus Zürich. Zuvor unter- von Zürich aus kurz nach Rom, um ihre und Max nimmt sie im Mai zusammen mit Max Frisch aus Frischs »Übersiedlung« vorzubereiten (Brief an Anlaß seines fünfzigsten Geburtstags eine Ur- J. Moras vom 23. 11. 1960). Anfang Dezember laubsreise nach Griechenland, das sie nun end- kommt sie noch einmal nach Frankfurt zu einer lich kennenlernt. Über Österreich reist Bach- Aufführung der Kleist-Oper, besucht Adorno und mann im Oktober dann zur Tagung der Gruppe Kaschnitz und lernt deren Familiensitz Bollsch- 47 im Jagdschloß Göhrde bei Lüneburg weil bei Freiburg kennen (Gersdorff, S. 261). (27.–29. 10. 1961). Von Zürich aus fährt sie im Nachdem die Erzählungen des Bandes Das drei- November nach Berlin, wo ihr im Anschluß an ßigste Jahr vor dem Abschluß stehen, konzen- eine Lesung im Rahmen der von Walter Höllerer triert sich eine Verlagsbesprechung auf die Buch- initiierten Veranstaltungsreihe »Literatur im fassung der Frankfurter Vorlesungen sowie auf technischen Zeitalter« für ihre Erzählungen Das einen weiteren »Buchplan«, der in dieser Form dreißigste Jahr der Literaturpreis des Verbands nicht zustande kommen wird, ein »Denkbuch«, der Deutschen Kritiker verliehen wird (19. 11. »also eine Sammlung von halbaphoristischen, 1961; zugleich Fernsehaufnahme des SFB). Diese halbanekdotisch-moralischen Notizen, etwa ein Reise in das geteilte Berlin auf dem Höhepunkt modernes Pendant zu Montaignes Essais« (Proto- des Kalten Krieges wird zum Anstoß für das koll R. Baumgart, 5.–8. 12. 1960). Erzählfragment Sterben für Berlin aus dem Vor-