STADT ARCHIV

Trümmerfrauen der Kommunalpolitik Frauen im Stuttgarter Gemeinderat 1945 bis 1960 Herausgeberin: Landeshauptstadt Stuttgart, Kulturamt, Stadtarchiv, in Verbindung mit der Abteilung Kommunikation; Redaktion: Ursula Schleicher-Fahrion Gestaltung: Uli Schellenberger Fotos: S.3 Mahlstedt, S. 7, 17, 19, 23, 29, 31, 33f, 36f, 39, 42 Stadtarchiv, S. 9, 12f, 21f, 32, 34 privat, S. 11, 14 Haus der Geschichte Baden Württem - berg, S. 15f Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Baden-Württemberg, S. 20 Friedrich- Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus S. 25f Sammlung Dr. Elmar Blessing, S. 27f Eppler, S. 35, 45 Kraufmann

© Frauenakademie Stuttgart (Carola-Blume-Akademie) 2013

Schutzgebühr: 5. – Euro STADT ARCHIV STUTTGART

Trümmerfrauen der Kommunalpolitik Frauen im Stuttgarter Gemeinderat 1945 bis 1960

1 STADT ARCHIV STUTTGART

Stuttgart, im Dezember 2012

16 Frauen, die zwischen 1946 und Wenn solches Material unter fachkun - 1960 dem Stuttgarter Gemeinderat diger Beratung für die engagierte angehörten, werden in dieser Broschüre bürgerschaftliche Spurensuche heran - vorgestellt. Ihre Kurzbiographien, die gezogen wird und daraus neues histori - im Rahmen eines gemeinsamen Projektes sches Wissen entsteht, sind die Kern - der vhs-Frauenakademie mit dem funktion eines Kommunalarchivs und Stadtarchiv Stuttgart erforscht wurden, zugleich sein historischer Bildungsauf - sind allesamt „Frauengeschichten“, trag in idealer Weise erfüllt. Das Stadt - offenbaren zugleich aber ein ganzes archiv dankt den Bearbeiterinnen unter Spektrum unterschiedlichster Sozialisa - Leitung von Elisabeth Skrzypek für ihr tionen und Erfahrungen. Die Nach - Engagement. Die Ergebnisse erhellen kriegsjahre waren durchaus nicht die einen bislang wenig beachteten Aspekt Zeit geringster weiblicher Präsenz in der Stuttgarter Stadtgeschichte. gewählten politischen Gremien der Bundesrepublik Deutschland. Gleich - Ebenso gilt unser Dank der Landeszen - wohl stößt rasch an Grenzen, wer sich trale für politische Bildung Baden-Würt - dem Kreis der Frauen, die damals Politik temberg, die die Herstellung dieser Bro - mitgestalteten, biographisch nähern schüre unterstützt hat und sie künftig möchte. Wo Literatur fehlt, helfen nur in ihrer Bildungsarbeit einsetzen wird. „Primärquellen“, wie sie das Stadtarchiv Stuttgart zur Nachkriegszeit in reicher Dr. Roland Müller Zahl verwahrt. Direktor des Stadtarchivs Stuttgart

3 Inhalt

Einleitung 5 Charlotte Armbruster 7 Maria Bolz 11 Erika Buchmann 15 Elisabeth Daur 17 Dr. Emmy Diemer-Nicolaus 19 Dr. Roswitha Doch 21 Maria Ernst 23 Anna Herrigel 25 Elsa Koch 27 Emma Lautenschlager 29 Hilde Pesch 31 Dr. Ilse Reinhardt 33 Helene Schoettle 37 Maria Schön 39 Junger Wein in neuen Schläuchen. Die Neue Partei (NP) 41 Johanna Vietzen 45 Elisabeth Weber 47

4 Trümmerfrauen der Kommunalpolitik Frauen im Stuttgarter Gemeinderat 1945 bis 1960

Frauen stellen die Hälfte der Bevöl - mehr Frauen als zum Beispiel in Wie sind wir dazu gekommen? kerung und die Hälfte der Wähler - den 70er Jahren. Was waren das Am Anfang gab es nur eine Liste schaft, aber dennoch sind sie bis für Frauen? Diese Frage war die mit 16 Namen. Diese Namen galt heute in den Parlamenten deutlich Forschungsfrage eines Kurses der es, mit Leben zu füllen. Von Be - unterrepräsentiert. Selbst im Stutt - Frauenakademie Stuttgart im ginn an hat uns Herr Dr. Lotterer garter Gemeinderat sitzen „nur“ Herbst 2011. Ziel war zum einen, vom Stadtarchiv Stuttgart Wege 42,7 Prozent Frauen. Und das anhand eines konkreten Themas aufgezeigt, um mehr über diese ist nicht der höchste Wert, den die Arbeit im Stadtarchiv kennen Gemeinderätinnen der Nachkriegs - Stuttgart erreicht hat. 1999, also zu lernen, und zum anderen zu zeit zu erfahren. Wie geht man vor 14 Jahren, lag der Frauenanteil erfahren, was für Frauen im vor, wenn man nach Material über mit 43,3 Prozent höher. Stuttgarter Gemeinderat der Nach - eine bestimmte Person sucht? kriegszeit gesessen haben. Unser erster Ansatz war die Wie sah die Situation nach dem Zeitungsausschnittsammlung. Über Zweiten Weltkrieg aus? In der Archivarbeit ist wie eine Schatzsuche. einige der Frauen fanden wir hier Nachkriegszeit waren die Frauen Es gibt die unterschiedlichsten Lebensläufe anlässlich ihres 70. besonders gefordert. Viele Männer Wege, die man beschreitet, die Geburtstags, ihres 80. Geburtstags waren im Krieg gefallen oder noch man ausprobiert. Und wenn man oder auch ihres Todes. Dann haben in Gefangenschaft. Die Frauen Glück hat und sich geschickt wir in den Findbüchern des Archivs übernahmen die Aufgaben der anstellt, findet man einen Schatz. weiter gesucht und so einiges Männer. Dazu zählte die Arbeit als Unseren „Schatz“ finden Sie in zusätzliche entdeckt. Es gab auch Trümmerfrauen und auch die Politik. dieser Broschüre. die ersten Bilder der Politikerinnen, So finden wir in den meisten sodass für uns nun die Frauen sicht - Parlamenten der Nachkriegszeit bar wurden. In den Gemeinderats -

5 protokollen von 1945 bis 1960 wer - stitutionen kontaktiert werden, in der. Auffällig ist, dass einige der den die Wortbeiträge festgehalten. denen die Frauen aktiv waren, die Frauen mit Männern verheiratet Da aber die Frauen eher selten zu sie vielleicht sogar aufgebaut hat - waren, die ebenfalls in der Politik Wort gekommen sind, ist dies eine ten. Bei einzelnen konnten auch aktiv waren (Lautenschlager, Buch - Sisyphusarbeit, die wir nur in Ansät - Nachkommen oder Zeitzeugen be - mann, Bolz, Schoettle). Zum Teil zen leisten konnten. In den Proto - fragt werden, die die Gemeinderä - sind die Frauen über ihre Männer kollen des Sozialausschusses dage - tinnen noch kannten. in die Politik gekommen, z. T. gen, wo die Frauen eher zu Wort haben sich die Paare aber auch bei gekommen sind, sind die Redebei - Herausgekommen ist ein sehr viel - ihrer politischen Arbeit kennen träge leider nicht wortgetreu festge - schichtiges Bild über die „Trüm - gelernt. halten. Das war eine Hürde, die uns merfrauen der Kommunalpolitik“ die Arbeit erschwerte. So ist die in Stuttgart. Dabei gibt es große Viele der Frauen haben einen Beruf tatsächliche politische Arbeit der Unterschiede in Bezug auf die erlernt und übten diesen auch aus. Frauen nur ganz schwer zu erfassen. Informationen, die gefunden wur - Das Politikfeld, in dem die Frauen Hier wäre noch ein Ansatzpunkt für den. Über einige Gemeinderätinnen tätig waren, war meist die Sozial - eine weitere wissenschaftliche Arbeit wurde bereits viel geschrieben politik. So saßen alle Frauen im mit dem Thema. (Armbruster, Diemer-Nicolaus), Sozialausschuss, einige waren auch über andere konnte sehr viel Neues in der Schulpolitik aktiv, nur wenige Viele der Gemeinderätinnen waren entdeckt werden (z. B. Schön, saßen im Wirtschaftsausschuss. Lehrerinnen und beim Land ange - Reinhardt, Daur) und über einige Obwohl wir nicht herausfinden stellt. Für diesen Personenkreis ist konnte – trotz intensiver Recherche konnten, ob die Tätigkeit der das Staatsarchiv in Ludwigsburg nicht viel gefunden werden. Frauen in den genannten Aus - mit seinen Personalakten eine schüssen deren eigenen Interessen Fundgrube. Dort gibt es Informa - So saß Elisabeth Weber zwölf Jahre entsprach oder ob sie von der tionen über das private und berufli - im Gemeinderat und dennoch fin - Fraktion in diese „weiblichen“ che Leben der Frauen. Auf einmal det sich in den Unterlagen nicht Politikfelder „geschoben“ wurden, wurden Menschen sichtbar, die viel mehr als ihre Berufsbezeich - waren diese sechzehn Frauen für neben ihrer politischen Arbeit auch nung: Religionslehrerin und Ge - uns interessante, politisch aktive Familie und Beruf hatten, die meindehelferin. Bis 1960 saßen Frauen, die anderen Frauen Mut Stärken und Schwächen hatten. insgesamt 16 Frauen im Stuttgar - machen sollten, ebenfalls politisch Auskunft über ihre Wohnsituation ter Gemeinderat, Frauen aus allen aktiv zu werden. gaben die Adressbücher im Stadt - politischen Lagern. Anders als in archiv, aus denen weit mehr als nur der Zeit der Weimarer Republik die Adressen zu erfahren war. In waren die meisten Politikerinnen Elisabeth Skrzypek einzelnen Fällen konnten auch In - verheiratet, viele hatten auch Kin -

6 Charlotte Armbruster

* 7. November 1886 in Stuttgart † 23. September 1970 in Stuttgart

Charlotte Armbruster wurde 1886 in verliehen. Diesen Orden hatte König Kaufmännische Lehre Stuttgart als viertes von sieben Kindern Wilhelm II. von Württemberg 1916 zu bei Fa. Daimler geboren. Sie wuchs im Eisenbahnerdörfle Ehren seiner Frau, Königin Charlotte, Fürsorgerin in Stuttgart im Nordbahnhofersviertel in geordneten gestiftet. Es bekamen ihn Personen - Verhältnissen auf. Der Vater Martin war ohne Ansehen des Standes, die sich im Eisenbahnbeamter. Sie besuchte die Ersten Weltkrieg in der Verwundeten - 1919 bis 1933 Mitglied im von katholischen Schwestern geleitete fürsorge verdient gemacht hatten, Gemeinderat für die Schlossschule (Volksschule). Danach später auch noch viele Bürger für ihre Zentrumspartei folgte ein hauswirtschaftliches Jahr an Verdienste in der Heimat während der der katholischen Töchterschule (später Kriegszeit. Der Orden wurde ca. 20.000 1946 bis 1959 Mitglied im St. Agnes). Bei der Firma Daimler in Mal verliehen. Gemeinderat für die CDU Stuttgart machte sie eine kaufmännische Ausbildung. Doch dieser Beruf scheint Königin Charlotte zeigte sich den Ent - sie nicht ausgefüllt zu haben. 1905, mit wicklungen der Moderne gegenüber Ausschüsse: 19 Jahren, ging sie nach und ließ aufgeschlossen. Deutlich wird dies an Soziales, Wohnen, sich bis 1910 zur Fürsorgerin ausbilden. ihrem sozialpolitischen Engagement. Verwaltung u.a. Leider war die Recherche über diese Es fällt ein besonderes Interesse für die Jahre erfolglos. „Selbständigmachung der Frauenwelt“ auf, wie es ein zeitgenössischer Beob - Während des Ersten Weltkriegs arbeitete achter nannte. Mit ihrer Autorität als sie im Hilfsausschuss für die Armen mit. Königin unterstützte sie vor allem 1918 wurde ihr das Charlottenkreuz Bildungseinrichtungen, in denen Mäd - für besonders hervorragende Dienste chen zu selbständiger Berufstätigkeit (von Annelie Wieland)

7 ausgebildet werden sollten. So Nachdem schon 1906 in Finnland katholischen Einrichtungen mit, übernahm sie die Patenschaft für als erstem Land in Europa das Frau - teilweise in leitender Funktion. Bis das erste württembergische huma - enwahlrecht eingeführt worden 1933 war sie Gemeinderätin. Mit nistische Mädchengymnasium, das war, wurde schließlich am 12. No - den Gleichschaltungsgesetzen der Stuttgarter Charlottengymnasium vember 1918 verkündet: „Wahlbe - NSDAP wurden Frauen aus den (heute Hölderlin-Gymnasium). rechtigt sind alle deutschen Männer Ratsgremien ausgeschlossen. und Frauen, die am Wahltag das Sie wurden als „politisch nicht Fürsorgerische Tätigkeiten wurden 20. Lebensjahr vollendet haben.“ belastbar“ eingestuft. Dem natio - oft noch von Frauen ehrenamtlich Nach jahrzehntelangem Kampf um nalsozialistischen Verständnis der ohne Bezahlung ausgeübt. Charlotte staatsbürgerliche Gleichstellung Geschlechterrollen entsprechend Armbruster wurde nach ihrer Rück - war damit das Frauenwahlrecht in waren Frauen in der Politik nicht kehr nach Stuttgart als Fürsorgerin Deutschland gesetzlich verankert. vorgesehen. von der Stadtverwaltung angestellt. Von 1914 bis 1943 kümmerte sie 1919 wurde Charlotte Armbruster In den Folgejahren gab es unter OB sich in Stuttgart-West um kranke als eine von vier Frauen unter 65 Strölin als Aus-nahmefall im ge - und arme Familien. Männern in den Stuttgarter Ge - samten Reich den Stuttgarter meinderat gewählt. Sie setzte sich Frauenrat. Er setzte sich allerdings Sie engagierte sich schon früh für vor allem für dringliche Themen fast ausschließlich aus NSDAP- die Zentrumspartei, obwohl sich der sozialen Fürsorge ein. Das ging Frauen zusammen und war ohne die Partei gegen das Frauenwahl - durchaus in Bereiche, die uns besondere Entscheidungsbe fugnis, recht stellte. „Obrigkeit ist männ - heute skurril erscheinen. So bean - hatte lediglich Alibifunktion. Der lich.“ Dieser Ausspruch des Histori - tragte sie am 2. Juli 1921, Vorsitzende war ein Mann. kers von Treitschke entsprach der „gegen Anstand und Sitte versto - in allen Bevölkerungskreisen ver - ßende Elemente müssten aus dem Charlotte Armbruster war kritisch breiteten Einstellung zur politischen Sonnen-, Luft-, Wasserbad auf zum NS-Regime eingestellt. Das Arbeit von Frauen. dem Cannstatter Wasen verwiesen zeigte sich u.a. bei der Teilnahme werden. Dort trügen Männer viel - an einer Flugblattaktion. Hier ent - Dank einiger starker und mutiger fach keine Badehosen, sondern ging sie nur knapp einer Verhaf - Frauen aus bürgerlichen, später „Lätze“. tung. Bei der Arbeit als Fürsorgerin auch sozialdemokratischen Kreisen hatte sie sich 1936 mit offener Tbc wie Luise Otto, Hedwig Dohm und Auch innerhalb des Caritasverban - angesteckt. 1943 wurde sie wegen vor allem Clara Zetkin war die For - des für Stuttgart (gegründet 1917) Krankheit pensioniert. Sie wurde derung nach einem Wahlrecht für war sie tätig. Außerdem arbeitete wieder gesund, war aber danach Frauen immer lauter geworden. sie zeitlebens in verschiedenen nicht mehr berufstätig. Evakuiert

8 nach Leutkirch, wurde sie 1944 verhaftet, kam aber bald durch Unterstützung von Freunden und Helfern wieder frei.

1945 kehrte sie nach Stuttgart zurück. Von der ersten Gemeinde - ratswahl 1946 bis 1959 vertrat sie die CDU im Stuttgarter Gemeinderat. Mit 73 schied sie altershalber aus.

Sie war in verschiedenen Ausschüssen tätig, u.a. im Verwaltungsausschuss, im Wohnungsausschuss und im Sozialausschuss, in dem fast nur Frauen saßen. Viele Frauen mit Kindern mussten arbeiten, um zu überleben. Auch damals, in den Jahren nach dem Krieg, war es für Charlotte Armbruster in ihrem Arbeitszimmer die Mütter sehr schwierig, eine Betreuungsmöglichkeit für ihre Kinder zu finden. Eine Aussage des Grundstücks in der Olgastraße konnte. Sie war sehr auf Ordnung dazu von Frau Armbruster im 62 ging. Später wurde das Heim und Sparsamkeit bedacht. Ich Sozialausschuss 1949: Die Förde - erweitert durch einen Kindergarten, erinnere mich an eine abendliche rung einer guten Kindererziehung ein Tagheim und ein „Heim für alte Runde, in der sie uns den richtigen erscheine ihr fast wichtiger als berufstätige Fräulein“.15 Jahre Umgang mit Klopapier erklärte und Beihilfen für Theater. lang hatte sie die ehrenamtliche ans Herz legte, dass ein Blatt fürs Leitung des Hauses. Auch heute „Kleine“ und zwei Blatt fürs Außerhalb des Gemeinderates trieb noch ist ihr Name im Hildegardishaus „Große“ ausreichend wären und sie den Aufbau des Hildegardis- lebendig. Hier der Bericht einer alles darüber hinaus Verschwendun g hauses voran, einem Wohnheim Heimbewohnerin: „Charlotte sei“. für weibliche Jugendliche. Sie Armbruster, die Leiterin des Hauses, setzte sich im Gemeinderat dafür war eine wirkliche Respektsperson, Sie war beteiligt am Wiederaufbau ein, als es 1948 um die Nutzung der man voll und ganz vertrauen der katholischen Bahnhofsmission,

9 die in der NS-Zeit von 1939 an ver - Frau entgegen. Sie wird als resolut boten worden war. Nach dem beschrieben, als Respektsperson Krieg stand diese dann nicht mehr und als Frau, die sich durchzusetzen nur für Frauen, Mädchen und Kin - wusste. Nicht verheiratet, lebte sie der, sondern auch für Männer und in und mit ihrer großen Familie. Ihr männliche Jugendliche offen. Viele Lebensinhalt aber waren ihre politi - Jahre war sie Vorsitzende des schen und sozialen Aktivitäten. katholischen Mädchenschutzver - bandes der Diözese Rottenburg. „Ich habe immer nur meine Pflicht getan.“ 1956 erhielt Charlotte Armbruster das Bundesverdienstkreuz am Band. Bei der Verleihung durch Oberbürgermeister Klett dankte sie mit der Bemerkung „Ich habe immer nur meine Pflicht getan“. 1959 verlieh ihr Papst Johannes XXIII die Auszeichnung „Pro Ecclesia et Pontifice“ für vorbildliche kirch- liche Arbeit.

Am 23. September 1970 starb sie nach kurzer Krankheit in Stuttgart. Sie wurde auf dem Pragfriedhof beigesetzt. 2003 wurde eine Straße im Stadtteil Bad Cannstatt/Stein - haldenfeld nach ihr benannt. Wie so oft bei nach Frauen benannten Straßen in Stuttgart handelt es sich um eine kurze Sackgasse.

Auf den Fotografien tritt uns Charlotte Armbruster bis ins hohe Alter als hochgewachsene schlanke

10 Maria Bolz geborene Höneß

* 20. September 1882 in † 12. September 1948 in Stuttgart

Maria Bolz wurde am 20. September den Bürgerausschuss (Wirtsverein) und Lehrerin, 1882 als Tochter der Eheleute Georg 1909 in den Gemeinderat gewählt. Ehefrau von Eugen Bolz und Franziska Höneß geboren. Franziska Maria Bolz wuchs in Ulm mit ihren Höneß war eine geborene Kögel aus Geschwistern auf, bei der Verwandt - Wiblingen bei Ulm. Zuvor war Georg schaft in Wiblingen verbrachte sie ihre Januar 1948 bis Höneß mit ihrer früh gestorbenen Ferien, die sie in guter Erinnerung September 1948 Mitglied Schwester verheiratet. Aus dieser ersten behielt. Kontakte hatte sie in Ulm zu im Gemeinderat für Ehe gingen die Halbschwestern Minna Agnes Schultheiß, der Ulmer Frauen - die CDU und Frieda hervor. Aus Georgs Ehe mit rechtlerin und Stadträtin. Franziska entstammen Maria und ihre Schwestern Luise, Hilde, Fanny und Als einzige ihrer Geschwister ging Maria Ausschüsse: Meta. Bolz an die Universität. Sie studierte in Soziales, Wirtschaft, Münster und an der Sorbonne in Paris Verband Stuttgarter Der Vater Georg Höneß war evange - Philologie. Danach arbeitete sie als Krankenanstalten, lisch, getauft im Ulmer Münster, aber Oberlehrerin bzw. Studienrätin in Düren Jugendwohlfahrts- ihre Kinder wurden im strengen katholi - im Rheinland. Mit einer ehemaligen kommission schen Glauben der Mutter erzogen. Schülerin vom Schwarzwald, 104-jährig, Georg Höneß besaß eine Weinhand - die am 15. April 2012 verstarb, hatte lung in Ulm und war bis 1891 der Enkel von Maria Bolz bis zu diesem Besitzer des Gasthofes zum Greifen in Zeitpunkt noch regelmässig Briefkontakt. der Ulmer Frauenstraße, bis er dann im Jahr 1898 das Hotel Baumstark in Ulm Ihren Ehemann Eugen Bolz lernte Maria übernahm. Er wurde 1904 und 1906 in Bolz während seiner Militärdienstzeit (von Siegrun Nieder auer)

11 Maria Höneß und Familie um 1900

in Ulm 1905/1906 kennen. Sie pfleg - wohnung am Karlsplatz mit einem Am 1. März 1922 kam die Tochter ten einen regen Briefwechsel. Die Garten, der an das Alte Schloss Mechthild zur Welt. Auf Wunsch Eheschließung mit dem aufstreben - angrenzte, von 1927 bis 1932 in ihres Vaters studierte Mechthild den Zentrumspolitiker erfolgte am der Relenbergstraße. Der Vermieter Medizin, da sie einen Beruf 11. Oktober 1920 im Benediktiner - dieser Wohnung war der Besitzer brauchte, in dem sie auch mit kloster Beuron. Mit der Heirat gab eines Tierparks auf der Doggen - einer Anstellung rechnen konnte: Maria Bolz ihren Beruf auf und die burg. 1932 kaufte Eugen Bolz das Diesem Wunsch ist sie nachge- Stellung ihres Ehemanns bestimmte Einfamilienhaus Am Kriegsberg - kommen. Sie hat aber niemals ihr weiteres Leben. Den weiteren turm 44 von einem Industriellen praktiziert. Mechthild heiratete am Kontakt nach Ulm pflegte Maria namens Schuster, der sich in 16. November 1946 den Dipl.-Ing. Bolz bei zahlreichen Besuchen. finanziellen Schwierigkeiten Otto Rupf. Aus dieser Ehe gingen befand. Nach dem Krieg wurde vier Kinder hervor. Mechthild Die Eheleute Bolz lebten nach ihrer das Haus in drei Wohnungen Rupf-Bolz hätte es gerne gesehen, Heirat in Stuttgart in einer Dienst - aufgeteilt. dass eines ihrer Kinder in die Politik

12 ginge. Dieser Wunsch wurde ihr ten gewählt und seine Ehefrau zur glied im Frauenbund und war neun aber nicht erfüllt. Nachdem ihre „ersten Frau des Landes“ aufge - Jahre lang im Diözesan-Vorstand Kinder größer waren, hat Mechthild stiegen war, erhöhte sich ihr Pensum tätig. Dem Zweigverein Stuttgart sich mit Philosophie beschäftigt. an „öffentlichen Auftritten“ und stand sie von 1922 bis 1933 vor. Sie war seit längerer Zeit gesund - sie verstand es, mit Würde und Gegen Ende der zwanziger und heitlich angeschlagen und konnte Warmherzigkeit zu repräsentieren. zu Beginn der dreißiger Jahre die Folgen der Nazidiktatur im Maria Bolz engagierte sich in ver - mobilisierte die Frauen insbeson - Dritten Reich nie ganz bewältigen. schiedenen katholischen Verbänden . dere das Thema Arbeitslosigkeit. Am 17. Dezember 2011 ist sie Sie wurde Vorsitzende des Landes - Maria Bolz hat sich leidenschaftlich in ihrer Wohnung in Stuttgart ausschusses der „katholischen mit der Frage der Arbeitslosenhilfe verstorben. Rettungsvereine“, die sich um beschäftigt und die Frauen des straffällig gewordene und „sittlich Frauenbundes immer neu dafür Nachdem Eugen Bolz 1928 zum gefährdete“ Mädchen und Frauen motiviert. Als ihr Mann 1933 wegen württembergischen Staatspräsiden - kümmerten. 1922 wurde sie Mit - seiner politischen Überzeugung sämtliche Ämter verlor, musste auch sie ihren Vorsitz abgeben, weil zu befürchten war, dass sie den Verband gefährden könne. Der Verzicht auf die verantwortliche Frauenbundsarbeit ist ihr allerdings schwer gefallen und hat wohl zeitlebens auf ihr gelastet. Ihrer Arbeit für das „Frauenhilfswerk für Priesterberufe“ (jetzt Päpstliches Werk für Priesterberufe), das sie 1928 in der Diözese Rottenburg eingeführt hatte, konnte sie jedoch auch während des Dritten Reiches weiter nachgehen.

In der nun für sie und ihren Mann schwersten Zeit unterstützte sie ihren Mann in seinen Auseinander - Hotel Baumstark in Ulm setzungen mit den Nationalsozialis -

13 Gesundheitszustand immer mehr verschlechterte. Sie ist am 12. Sep - tember 1948 gestorben.

Der damalige Oberbürgermeister von Stuttgart, Arnulf Klett, ehrte ihre Verdienste, ihre überragende Persönlichkeit, ihre Herzensgüte und ihre lebensbejahende, tiefreli - Eugen (hinten links) und Maria Bolz (vorne rechts) giöse Einstellung. Insbesondere auch ihren Einsatz für die alten Menschen, die nach dem Krieg ten. Als herauskam, dass er Kontakte zum Tode Verurteilten zu bewegen, nicht mehr in der Lage waren, sich zur Widerstandsbewegung gegen blieben ohne Erfolg. Eugen Bolz selbst zu helfen. Sie hatte sich für Hitler hatte, wurde er 1944 verhaftet. wurde kurz vor Kriegsende 1945 neue Altersheime eingesetzt. Maria Bolz und ihre Tochter Mecht - in Berlin-Plötzensee hingerichtet. hild durften den Ehemann und Ihre letzte Ruhe fand sie in Stuttgart Vater zur Jahreswende 1944/1945 Maria Bolz, die gesundheitlich ange - auf dem Pragfriedhof, wo sich zweimal besuchen. Frau Bolz griffen war, hat unter dem Tod ihres auf ihrem Grab eine Gedenktafel durfte mit Erlaubnis des Berliner Mannes sehr gelitten. Ihr Glaube für ihren Mann befindet, da dieser Bischofs ihrem Mann eine geweihte half ihr, diesen Schicksalsschlag zu selbst keine Ruhestätte hat. Hostie überbringen. Diese über - bewältigen, und sie fand wieder brachte sie in einem selbstgestickten Kraft, sich für andere einzusetzen. „Maria Bolz war eine gebildete Täschchen, das sich seit April 2006 Frau, deren Anliegen es war, in der Kirche San Bartolomeo in Nach dem Krieg wurde sie Präsi - auch andere Frauen geistig Rom befindet und von dem Bischof dentin der Hoover-Speisung und anzuregen, um sie zur kritischen von Rottenburg, Gebhard Fürst, in sah sich veranlasst, aktiv in die Auseinandersetzung fähig zu einer Feierstunde zur Erinnerung Politik einzusteigen. Sie schloss machen.“ niedergelegt worden war. Diese sich der CDU an und wurde bei Kirche ist den Blutzeugen des 20. der zweiten Gemeinderatswahl in (Schleinzer, Annette, Frauen Jahrhunderts gewidmet. Die inten - Stuttgart am 7. Dezember 1947 in machen sich stark. Der Katholische siven Bemühungen von Mutter und das Gremium gewählt. Maria Bolz Deutsche Frauenbund der Diözese Tochter, einflussreiche Persönlich - konnte nur bis Mitte 1948 an den Rottenburg-Stuttgart. Rückblick keiten zu einer Intervention für den Sitzungen teilnehmen, da sich ihr und Visionen, Ostfildern 1998)

14 Erika Buchmann geborene Schollenbruch

* 19. November 1902 in München † 20. November 1971 in Ost-Berlin

Erika Buchmann wurde 1902 in Mün - ihrer erneuten Verhaftung 1935 wurde Überlebende chen geboren. Ihr Vater war Arzt und sie zu 3 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. von Ravensbrück wurde in der bayerischen Räterepublik Nach Absitzen der Strafe kam sie nach Minister für das Gesundheitswesen. Ravensbrück, wurde aber nach einem 1946 bis 1949 Mitglied im Er war Mitglied der KPD. Erika gehörte Jahr wieder entlassen. Sie nahm ihre Gemeinderat für die KPD in München dem Kommunistischen illegale Arbeit sofort wieder auf, wurde 1952 bis 1956 Mitglied im Jugendverband an. Sie arbeitete als 1942 aber wieder verhaftet und nach Landtag für die KPD Stenotypistin in der linken Zeitung Ravensbrück gebracht. Zunächst über - „Der Kampf“, später wurde sie Sekre - nahm sie im „Strafblock“ als „Blockäl - Ausschüsse: tärin der KPD-Landtagsfraktion in teste“ die Vertretung der Häftlinge Soziales München. gegenüber der Lagerleitung. Ab 1945 hatte sie die gleiche Funktion im Tuber - 1925 heiratete Erika den kommunisti - kulose-Block. Nach der Befreiung ging schen Reichstagsabgeordneten Albert sie zurück zu ihrer Familie nach Stuttgart. Buchmann, 1927 bekamen sie ihre erste Sie begann, ihre Erlebnisse in Ravens - Tochter Inge. Die Familie zog gemeinsam brück für das Buch „Frauen im Konzen - nach Stuttgart. 1933 wurden Erika und trationslager“ festzuhalten. Albert verhaftet. Während Albert die ganze Zeit inhaftiert blieb, kam Erika 1947 wurde ihre zweite Tochter Bärbel zunächst wieder frei. Sie arbeitete geboren. weiter für die KPD. Ihre Aufgabe war die Aufrechterhaltung des Kontakts 1946 bis 1949 saß Erika Buchmann für (von Ute Blumenstock und zwischen den einzelnen Gruppen. Nach die KPD im Stuttgarter Gemeinderat. Elisabeth Skrzypek)

15 Albert Buchmann Erika Buchmann mit unbekannter Freundin

1952 bis 1956 war sie KPD-Abge - ordnete im Baden-Württembergi - schen Landtag. Nach dem Verbot der KPD 1956 ging sie nach Ost- Berlin, wo ihr Mann Albert bereits seit 1952 lebte. Erika Buchmann schrieb dort 1959 „Die Frauen von Ravensbrück“, ein Buch, das für lange Zeit die wichtigste Veröffent - lichung zu diesem Thema bleiben sollte.

1971 beging ihre Tochter Bärbel Selbstmord, im gleichen Jahr starb auch Erika Buchmann.

16 Elisabeth Daur geborene Dipper

* 1899 in Altenburg/Reutlingen † 28. Dezember 1991 in Stuttgart

Elisabeth Daur wurde 1899 in Alten - nach der Ausrufung der Republik Ehefrau von Pfarrer burg/Reutlingen als Elisabeth Dipper zusammen mit dem König verlassen Rudi Daur geboren. Sie besuchte das Katharinen - mussten. Zusammen mit dem Königs - stift in Stuttgart und später das Private paar gingen sie nach Bebenhausen. Da 1956 bis 1968 Mitglied im Mädchengymnasium, das heutige die Jungen auch ihre Schule, das Eber - Gemeinderat, zuerst für Hölderlin-Gymnasium, wo sie 1918 ihr hard-Ludwig-Gymnasium, verlassen die GVP, dann für die SPD Abitur ablegte. Das Private Mädchen - mussten, suchten nun die Eltern nach gymnasium war das zweite Gymnasium Privatlehrerinnen. Die Mutter der Ausschüsse: in Deutschland, an dem Mädchen Jungen war Karoline Gräfin von Üxküll- Soziales, Schul- und Abitur machen konnten. Es baute auf Gyllenband. Auch die Gründerin des Gesundheitswesen, den Abschluss an einer Höheren Privaten Mädchengymnasiums war eine Jugendamt, Theaterbeirat Töchterschule auf. Die Abiturprüfung geborene Üxküll-Gyllenband, sie ent - musste dann extern an einem Jungen - stammten also beide dem gleichen gymnasium abgelegt werden. Nach baltischen Adelsgeschlecht. Daher lag dem Abitur unterrichtete sie für drei es nahe, dass die Mutter der Stauffen - Monate die drei Söhne der Familie berg-Jungs dort am Privaten Mädchen - Stauffenberg: Claus, Berthold und gymnasium nach geeigneten Privat- Alexander. Deren Vater, Alfred Schenk lehrerinnen für ihre Söhne fragte. Und Graf von Stauffenberg, stand bis 1918, so kam auch Elisabeth Dipper nach bis zur Abdankung des Königs, an der Bebenhausen, wo sie die drei Jungs Spitze des württembergischen Hof - unterrichtete. Daraus entstand eine staats. Sie wohnten im Stuttgarter längere Verbindung mit der Familie der Schloss, das sie nach dem Krieg und Stauffenbergs. Berthold und Alexander (von Elisabeth Skrzypek)

17 waren als Zwillinge 1905 geboren, – einen Pfarrer. Sie bekam drei Kin - die Eltern von Susanne Hirzel, der Claus wurde als jüngster 1907 der. Elisabeth und Rudi waren Mit - Vater war in Ulm Pfarrer. Und so geboren. Er verübte am 20. Juli glieder im „Köngener Bund“, der nahmen sie deren Tochter, die im 1944 das misslungene Attentat auf 1920 gegründet worden war. Er Alter ihrer eigenen Kinder war, Hitler. Er und sein Bruder Berthold hatte sich aus Schülerbibelkreisen gerne für die Zeit des Studiums in wurden hingerichtet. und aus der Jugendbewegung ent - Stuttgart auf. Von ihrem Kontakt wickelt. Diese Gruppierung wurde zur „Weißen Rose“ haben sie wohl Im September 1919 begann 1934 von den Nazis offiziell auf- nichts gewusst. Elisabeth ihr Studium der Theologie gelöst. Rudi Daur leitete die Rest - in Tübingen. Nach eigenen Angaben gruppe als „Freundeskreis der Nach dem Krieg engagierte sich war sie die zweite Frau an der kommenden Gemeinde“. Er stand Elisabeth Daur insbesondere in der evangelisch-theologischen Fakultät dem Nationalsozialismus sehr Friedensbewegung – auch weil ihr in Tübingen. Die erste Frau war kritisch gegenüber und baute in Sohn im Krieg gefallen war. 1956 Lydia Schmied. Sie beide wollten seine Predigten oft versteckte Kritik wurde sie für die GVP (Gesamt - Religionslehrerin werden. Aber ein. Folge war, dass er zwar oft deutsche Volkspartei) in den Stutt - nach einem Jahr brach Elisabeth ihr zum Verhör geholt wurde, aber garter Gemeinderat gewählt. Studium ab. Sie hatte Rudi Daur nie verhaftet wurde. Er kannte an- kennengelernt, der ebenfalls in scheinend Leute, die ihn schützen 1962 war sie Mitglied der SPD- Tübingen Theologie studierte. konnten. Aus dem „Freundeskreis Fraktion. In Möhringen engagierte 1921 heirateten sie und gingen der kommenden Gemeinde“ sich Elisabeth Daur noch bis 1975 zunächst nach Reutlingen, wo bildete sich nach dem Zweiten im Bezirksbeirat und war Mitbe - Rudi Daur eine Pfarrstelle übernahm. Weltkrieg der „Bund der Köngener“ . gründerin des Möhringer Frauen - Elisabeth führte den Pfarrhaushalt. Während des Krieges wohnte eine kreises. 1932 wechselten sie nach Rohr Zeitlang Susanne Hirzel bei den und 1939 an die Markuskirche im Daurs im Pfarrhaus. Diese studierte 1980 erhielt Elisabeth Daur das Heusteigviertel in Stuttgart. Elisabeth an der Musikhochschule in Stuttgart Bundesverdienstkreuz am Bande. Daur führte also von 1921 bis Cello. Susanne Hirzel wurde 1943 1962 einen Pfarrhaushalt. Sie war im Zusammenhang mit der „Weißen „Elisabeth Daur hat laute Töne Pfarrersfrau. Rose“ verhaftet. Ihr wurde vorge - nicht geliebt, und zu den worfen, dass sie Flugblätter der Auffälligen hat sie nicht Ihr Sohn, der 1922 geboren wurde, „Weißen Rose“ verteilt hatte. Da gezählt, auch nicht während fiel im Krieg 1944. Ihre Tochter sie glaubhaft machen konnte, dass ihrer Zugehörigkeit zum war während des Krieges auf dem sie den Inhalt nicht kannte, wurde Stuttgarter Gemeinderat…“ Internat in Salem und heiratete sie lediglich zu einem halben Jahr (Stuttgarter Zeitung, nach dem Krieg – wie ihre Mutter Haft verurteilt. Die Daurs kannten 2. Januar 1992)

18 Dr. Emmy Diemer-Nicolaus geborene Nicolaus

* 31. Januar 1910 in Gießen † 1. Januar 2008 in Stuttgart

Emmy Diemer-Nicolaus wurde am hung der Kinder alleine neben Rechtsanwältin 31. Januar 1910 in Gießen als Tochter Politik und Rechtsanwaltskanzlei. des Architekten und Stadtrats Philipp 1946 trat Emmy Diemer in die DVP (die 1946 bis 1950 Mitglied im Nicolaus geboren. Sie verließ die Ober - spätere FDP) ein und saß von 1946 bis Gemeinderat für die schule und das Elternhaus, besuchte 1950 im Stuttgarter Gemeinderat. Von DVP/FDP die Haushaltungsschule und heiratete 1949 bis 1957 war sie Mitglied des mit knapp 20 Jahren. Sie bekam eine Landtags Baden-Württemberg. 1957 Ausschüsse: Tochter. Mit 22 Jahren wurde sie schon wurde sie in den Bundestag gewählt, Wohlfahrt und Witwe. Sie holte das Abitur nach und dem sie bis 1972 angehörte. Gesundheit, Soziales, studierte Jura, Volks- und Betriebswirt - Wirtschaft schaft in Gießen. Im Gemeinderat hat sie sich für soziale Belange und Wirtschaftsangelegenhei - Nach dem ersten Staatsexamen 1937 ten eingesetzt. Ihr ist es mit zu verdan - arbeitete sie bei der IG Farben in Lud - ken, dass das „Neue Schloss“ wieder wigshafen. Mit ihrem zweiten Mann, aufgebaut wurde. Im Landtag waren mit dem sie zwei Kinder hatte, zog sie Haushalts- und Verfassungsfragen, 1940 nach Stuttgart und arbeitete bei Jugend, Sport und Finanzen ihre der Württembergischen Feuerversiche - Themen. Im Bundestag saß sie als rung. 1944 machte sie das zweite Rechtsanwältin im Rechtsausschuss Staatsexamen und erhielt 1946 die Zu - und in der Strafrechtskommission. Zu - lassung als Rechtsanwältin. Ende der dem hat sie das Ehe- und Scheidungs - 50er Jahre wurde die dreifache Mutter recht mit reformiert. Auch kämpfte sie geschieden und übernahm die Erzie - für den Artikel 3 des Grundgesetzes, (von Renate Schmid)

19 der lautet: „Frau und Mann sind vor dem Gesetz gleich“.

Emmy Diemer-Nicolaus erhielt unzählige Auszeichnungen wie das Große Bundesverdienstkreuz, die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg und die Verdienstmedaille des Europarats, um nur einige zu erwähnen.

Als sie sich 1972 aus der aktiven Politik zurückzog, war sie trotzdem noch politisch tätig. Sie hatte 1968 gegen die Notstandsgesetze gekämpft und war später entsetzt über die Lauschangriffe gegen die Bürger, auch bei nur vagem Verdacht.

Im Alter liebte sie noch immer das Klavierspiel, hatte endlich wieder Zeit für ihre geliebten Bücher und umgab sich gerne mit ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln.

Emmy Diemer-Nicolaus starb 2008 und liegt auf dem Waldfriedhof in Stuttgart begraben.

20 Dr. Roswitha Doch

* 19. Januar 1912 in Mühlhausen in Thüringen † 12. August 1998 in Stuttgart

Dr. Roswitha Doch wurde in Thüringen 1967 erhielt Dr. Roswitha Doch von der Kinderärztin geboren. 1921 zog ihre Familie nach Bezirksärztekammer Württemberg- Stuttgart. 1930 begann sie ihr Medizin - Nord die Albert-Schweitzer-Medaille, 1953 bis 1959 Mitglied im studium in Tübingen, das sie 1932 in 1972 die Hans-Neuffer-Plakette. Gemeinderat für die FDP München und 1933/34 in Berlin fort - setzte. 1935 machte sie ihr Staatsexamen Ausschüsse: in Tübingen. Im selben Jahr erhielt sie Soziales, Krankenhaus im Charlottenhaus in Stuttgart eine Anstellung als Assistenzärztin. Ab 1943 arbeitete sie als Oberärztin an der Kin - derklinik in Stuttgart, Ende 1951 eröff - nete sie ihre eigene Praxis in Stuttgart.

1950 schrieb sie das Büchlein "Die Mutter und ihr krankes Kind", dies erreichte eine Auflage von 800.000 Stück.

Sie engagierte sich im Vorstand der Be - zirksärztekammer Baden-Württemberg, war ehrenamtliches Vorstandsmitglied der Ärzteschaft Stuttgart und im Deut - schen Ärztinnenbund. (von Erika Herrmann)

21 Roswitha Doch 1924 und in den 1960er-Jahren

22 Maria Ernst geborene Riethmüller

* 5. August 1896 in Kirchheim/Teck † 5. Dezember 1977 in Stuttgart

Maria Ernst, die Tochter von Oberreal - Maria Ernst war als Aushilfslehrerin Hilfslehrerin, stark lehrer Christian Riethmüller und seiner in den Jahren 1944 bis 1945 in durch das pädagogische Frau Anna, geborene Göz, besuchte die Biberach/Riss an der Mädchenober - Umfeld geprägt erste bis zehnte Klasse im Königin- schule verpflichtet. Katharina-Stift, danach die Frauenar - 1951 bis 1958 Mitglied im beitsschule und die Mütterschule. Sie 1951 wurde Maria Ernst in den Gemeinderat für die CDU legte 1917 die Volksschuldienstprüfung Stuttgarter Gemeinderat gewählt. ab und unterrichtete von 1917 bis Sie war Gemeinderatsmitglied in der Ausschüsse: 1918. CDU-Fraktion vom 22. Februar 1951 Soziales, Wirtschaft, bis 30. Mai 1958. Schulen, Wohnen, 1917 heiratete sie den Oberreallehrer Gewerbe, Fremdenverkehr, Johannes Ernst. 1919 wurde der Sohn Im Jahr 1953 zog die Familie nach Großmarkt Hans-Otto geboren (gefallen 1941), Stuttgart-Möhringen in die Tailfinger 1921 die Tochter Dorothee und 1926 Straße 28. die Tochter Annemarie. Der jüngste Sohn Paul kam 1929 auf die Welt (ebenfalls gefallen). Die Familie lebte zuerst in Stuttgart-Süd, dann in Schramberg, Schorndorf und ab ca. 1935 wieder in Stuttgart-Süd.

(von Renate Schmid)

23 Anna Herrigel

* 25. Mai 1886 in Monakam/Bad Liebenzell † 6. Februar 1955 in Stuttgart

Anna Herrigel wurde am 25. Mai 1886 Dies hing sicherlich mit ihrer Tätigkeit Handarbeits- und in Monakam/Bad Liebenzell geboren. als Gemeinderätin von 1946 bis 1948 Volksschullehrerin Ihr Vater, Fritz Herrigel, und auch ihr zusammen. Darüber beschwerten sich Großvater waren Lehrer. Ihre Mutter die Eltern beim Schulamt, weil die 1946 bis 1948 Mitglied im war Pauline, geborene Schairer. Kinder, insbesondere im Rechnen, weit Gemeinderat für die CDU zurück waren. Zudem war sie Mitglied Sie selbst erhielt eine Ausbildung als in der Lehrerinnenvereinigung. Anna Ausschüsse: Handarbeitslehrerin und als Kranken - Herrigel war eine sehr strenge Lehrerin, Soziales pflegerin. 1909 wurde sie verbeamtet die auch noch oft den Stock benutzte. und arbeitete als Handarbeitslehrerin in Das wurde von ihrem damaligen Schul - Bad Cannstatt und in der Gaisburger leiter in Gaisburg kritisiert. Ihr dreistö - Volksschule. Nach einer Beurlaubung ckiges Haus in der Faberstraße 12 war im Jahre 1914 nahm sie 1921 ihre 1944 beim Bombenangriff zerstört Tätigkeit als Handarbeitslehrerin an worden. Nach dem Krieg erkämpfte sie der Volksschule in Gaisburg wieder auf. sich die Wiederherstellung des Gebäu - Während des Krieges wurde sie für des, in das sie dann 1949 wieder ein - zwei Jahre nach Löchgau beordert, ziehen konnte. 1954 gründete sie ein kehrte aber nach dem Krieg als ordent - Wohnheim für 18 Lehrerinnen in Bad liche Lehrerin an die Gaisburgschule zu - Cannstatt. Es wurde nach ihr benannt rück. Aus dieser Zeit belegen die Akten, und ist bis heute ein Wohnheim für dass sie des Öfteren zu Besprechungen Studentinnen. Anna Herrigel ist 1955 (von Elke Rautenberg, nach Stuttgart fuhr und deshalb der mit 69 Jahren gestorben. Siegrun Niederauer, Unterricht ausfallen musste. Silvia Dierolf)

25 Anna Herrigel mit der 1. Klasse der Volksschule Gaisburg 1936

Anna Herrigel (1. v. l.) im Kreis ihrer Familie

26 Elsa Koch geborene Grokenberger

* 15. Juli 1904 in Stuttgart † 6. Juni 1990 in Stuttgart

Nach dem Besuch der Volks- und Han - war. Über zwei Jahrzehnte gehörte sie Gewerkschaftssekretärin delsschule war Elsa Koch seit 1928 als dem Aufsichtsrat der COOP Schwaben Sekretärin beruflich bei der Gewerk - an. Im Gemeinderat, dem sie von 1947 1947 bis 1968 Mitglied im schaft tätig. 1923 wurde sie Mitglied bis 1968 für die SPD angehörte, waren Gemeinderat für die SPD der SPD. 1933 wurde sie aus politischen ihr der soziale Wohnungsbau und kul - Gründen arbeitslos. Sie war verheiratet turelle Fragen ein besonderes Anliegen. Ausschüsse: mit Friedrich Koch, der 1933 bei der In all ihren Ämtern setzte sich Elsa Koch Wirtschaft, Aufsichtsrat Stuttgarter Straßenbahn ebenfalls, als vor allem für die Interessen und Bedürf - der Stuttgarter Betriebsrat und Sozialdemokrat, entlas - nisse berufstätiger Frauen ein. Ausstellungs-GmbH sen wurde. Er fand jedoch Arbeit in der Eisengießerei der Firma Mahle. Sie Seit 1964 im Ruhestand, war sie immer lebten in der Pflasteräckerstraße in noch aktiv im Waldheimverein Raichberg Stuttgart-Gablenberg. tätig, dessen Vorsitzende sie ebenso war, wie von der AWO Stuttgart-Ost. Nach Kriegsende trat Elsa Koch wieder in die Gewerkschaft Nahrung, Genuss - 1970 erhielt Elsa Koch das Bundes- mittel, Gaststätten ein und war später verdienstkreuz für ihr politisches und auch stellvertretende Landesvorsitzende soziales Engagement. dieser Vereinigung. Sie leitete zudem den Frauenkreis dieser Gewerkschaft. Bei Konsum (später COOP Schwaben) gründete sie die Frauengilde, deren Ehrenvorsitzende sie bis zu ihrem Tode (von Silvia Dierolf)

27 Elsa Koch und Bürgermeister Hahn

28 Emma Lautenschlager geborene Rustige

* 24. Juli 1881 in der Schweiz (Eltern lebten dort im Exil) † 20. März 1966 in Stuttgart

Emma Lautenschlager war die Ehefrau rief der Schwäbische Frauenverein nach Vorsitzende des des früheren Oberbürgermeisters von ihr und sie konnte 1949 auf dem Grund Schwäbischen Stuttgart, Dr. Karl Lautenschlager (Ober - und Boden des Vereins in der Silberburg - Frauenvereins, bürgermeister von 1911 bis 1933). Sie straße einen Teil des Schulgebäudes wie - Ehefrau des Stuttgarter heirateten 1912 und hatten zwei Töchter. der aufbauen. 1951 legte sie altershalber Oberbürgermeisters Während des Ersten Weltkrieges hatte den Vorsitz nieder. 1953 zum 80-jähri - Dr. Karl Lautenschlager sie mehrere Begegnungen mit Königin gen Bestehen des Vereins erhielt sie das Charlotte, der Protektorin des Schwäbi - Bundesverdienstkreuz. Sie genoss hohes 1946 bis 1948 Mitglied im schen Frauenvereins. Sie schickte Königin Ansehen in der Bevölkerung wegen ihrer Gemeinderat für die Freie Charlotte nach Bebenhausen Kostproben Lauterkeit, Gediegenheit, sozialen Auf - Wählervereinigung aus der Backstube und wurde von ihr für geschlossenheit und Hilfsbereitschaft. Sie die Verwundetenpflege mit dem Charlot - war kein Hausmütterchen, hatte die Ausschüsse: tenkreuz ausgezeichnet. Demokratie im Blut (ihre Mutter war eine Wirtschaft, Wohlfahrt, Tochter des alten schwäbischen Demo - Gesundheit, Soziales Emma Lautenschlager wurde 1917 in kraten Karl Mayer, Redakteur des "Beob - den Vorstand des Schwäbischen Frau - achters"). Annemarie Hassenkamp envereins berufen, dessen Leitung sie schreibt anlässlich des 80. Geburtstages von 1927 bis 1934 innehatte. Dadurch von Emma Lautenschlager, dass sie den hatte sie Gelegenheit, auf Tausende Blick für das Wesentliche und auch das von Mädchen einen bildenden Einfluss Komische hatte, sie hat andere Gemein - auszuüben. Das Regime des Dritten deratsmitglieder zum Lachen gebracht. Reichs traf sie schwer, so dass sie 1934 Sie hatte ein Talent für pointierte, witzige den Vorsitz im Verein niederlegte. 1945 Formu lierungen. (von Erika Herrmann)

29 Hilde Pesch geborene Schabel

* 2. Mai 1899 in Bönnigheim † 10. April 1984 in Stuttgart

Hilde Pesch wurde 1899 in Bönnigheim früher die Caritas-Konferenzen in Kindergärtnerin geboren. Sie besuchte die Mädchen- Deutschland. 1957 gründete sie die Gründerin der Realschule in Aalen und danach das katholische Familienpflege Stuttgart, katholischen Fröbel-Seminar beim Schwäbischen aus der 1960 die Familienpflege für das Familienpflege in Frauenverein in Stuttgart, wo sie eine gesamte Bistum Rottenburg-Stuttgart Stuttgart recht moderne Ausbildung als Erzieherin hervorging. 1957 bis 1983 hatte sie die und Jugendleiterin bekam. Sie arbeitete Leitung der Familienpflege Stuttgart 1958 bis 1969 Mitglied im zunächst drei Jahre in Linz, danach inne, von 1960 bis 1972 die der Gemeinderat für die CDU leitete sie die Kinder- und Jugendarbeit Familienpflege des gesamten Bistums. 1954 bis 1960 und 1969 von St. Fidelis im Stuttgarter Westen. 1966, im gleichen Jahr, in dem ihr bis 1974 Mitglied im Von 1930 bis 1944 arbeitete sie als Mann starb, gründete sie den Deger- Degerlocher Bezirksbeirat Kindergärtnerin in der Kinderklinik der locher Frauenkreis, eine Initiative der städtischen Hautklinik in Bad Cannstatt. Nachbarschaftshilfe. 1972 erhielt sie Ausschüsse: 1944 heiratete sie in Aachen. Als ihr die Silberne Ehrennadel des deutschen Arbeit und Soziales Mann wieder nach Stuttgart versetzt Caritas-Verbandes und 1980 das wurde, engagierte sie sich hier politisch: Bundesverdienstkreuz am Bande. Sie wurde 1951 Mitglied der CDU, 1954 Mitglied des Degerlocher Bezirksbeirats Manfred Rommel nannte sie 1984 eine und 1958 Mitglied des Stuttgarter Ge - große Frau, die sich große Verdienste meinderats, dem sie bis 1969 angehörte. um die Sozialarbeit in der Landeshaupt - stadt erworben hat. Hilde Pesch war langjährige Vorsitzende (von Elke Rautenberg, der Elisabeth-Konferenzen. So hießen Elisabeth Skrzypek)

31 Hilde Pesch bei der Fastnachtsfeier der Familienpflege

32 Dr. Ilse Reinhardt

* 17. Oktober 1895 in Magdeburg † 11. Oktober 1998 in Stuttgart

Ilse Clara Rose Reinhardt wurde am Zwei ihrer Brüder verlor sie im Krieg. Ärztin 17. Oktober 1895 als Tochter des Kauf - Für drei Neffen, Waisen aus der DDR, manns Gustav Adolf Reinhardt und sei - setzte sie sich mit viel Engagement ein 1948 bis 1965 Mitglied im ner Ehefrau Klara Sofia Reinhardt, geb. und verhalf ihnen zu einer guten Gemeinderat für die SPD Bahnson, in Magdeburg geboren. Sie ge - Ausbildung. Dr. Ilse Reinhardt war nie hörte zu den Mädchen, die als erste ein verheiratet. Ausschüsse: Gymnasium besuchen und 1913 Abitur Soziales, Kultur, machen konnten. Aufgewachsen ist sie Auf Wunsch ihres Vaters legte sie 1918 Krankenhaus, Verwaltung, mit drei Brüdern, die sie, wie auch einer ein Lehrerinnenexamen ab, absolvierte Finanzen, Frauenberufs- ihrer Lehrer, mit der Wandervogel- und aber gegen den Willen des Vaters nach und -fachschulen Arbeiterbewegung zusammenbrachten. dem Ersten Weltkrieg ein Studium der Diese Mitgliedschaft war ein Kampf, Medizin in Rostock, Berlin und Göttingen. denn in ihrer großbürgerlichen Familie Nach der Approbation im Jahre 1924 war das absolut nicht akzeptiert. Trotz wurde sie Assistenzärztin in den Kran - alledem hat sie bis ins hohe Alter von kenhäusern Magdeburg und Hamburg, den Erlebnissen in diesen Gruppen ge - der Geburtsstadt ihrer Mutter. Im An - schwärmt. Sie war ein begeisterter Wan - schluss daran war sie als Fürsorgeärztin dervogel, hat viele Bücher gelesen, war der Sozialhygienischen Akademie zeitlebens Vegetarierin und hat zudem Düsseldorf im Landkreis Hörde tätig nie Alkohol getrunken. Zur damaligen und nach dessen Eingemeindung zur Zeit war sie auch in der Arbeiterbewe - Stadt Dortmund Stadtärztin in Dortmund. gung. Auch hier war sie, wie so oft, in Dort hat sie für eine bessere medizini - Opposition zu ihrer Familie. sche Versorgung der ärmeren Bevölke - (von Siegrun Niederauer)

33 versuchte sie sich als praktische ehemaliger Mitarbeiter und Kollege Ärztin in Dortmund-Hörde nieder - aus Hörde hatte eine eidesstattliche zulassen. Sie erhielt aber keine Erklärung abgegeben. So eröffnete Zulassung. Ihre Praxis wurde sie 1950 ihre eigene Praxis als boykottiert und ihre Patienten Fachärztin für innere Medizin in durch die NSDAP belästigt. Die der Wilhelm-Blos-Straße 36 in Einnahmen blieben gering und sie Stuttgart, die sie 20 Jahre lang, bis musste die Praxis wieder aufgeben. zu ihrem 75. Geburtstag, führte. Als ausgeprägte Arztpersönlichkeit Sie stand nun am Ende vor der galt ihr besonderes Interesse neben Frage auszuwandern oder ins ihrer ärztlichen Arbeit den standes - Konzentrationslager verschleppt zu politischen und sozialen Problemen. werden. Auswandern wollte sie Sie interessierte sich sehr für nicht – das Nichts im Ausland vor Homöopathie und die Heilmethoden Augen; ihr glückte der Rückzug in nach Bircher-Benner und Buchinger den Schwarzwald, wo sie in einem und hat diese Methoden auch in homöopathischen Sanatorium die Behandlung ihrer Patienten rungsschichten gekämpft, da dort Unterschlupf fand, bis sie 1940 einfließen lassen. Nach der Auf - vieles im Argen lag. Zu dieser Zeit nach Stuttgart an das homöopathi - gabe der Praxis sind viele ihrer war Ilse Reinhardt bereits Mitglied sche Krankenhaus, das heutige alten Patienten weiterhin zu ihr beim Internationalen Sozialistischen Robert-Bosch-Krankenhaus, not - gekommen und haben sie um Rat Kampfbund, einer sozialistischen verpflichtet wurde. Zehn Jahre gebeten. Sie hielt unzählige Vorträge Absplitterung der SPD. Sie war arbeitete sie dort als Assistenz-, über die vegetarische Lebensweise aktiv im Widerstand gegen den später als Ober- und Chefärztin in ohne Alkohol und Tabak. Nationalsozialismus. der inneren Abteilung. Viele Jahre war sie Vorstandsmitglied Nach der Machtergreifung durch Da es immer ihr Wunsch gewesen der Bezirksärztekammer Nordwürt - die Nationalsozialisten verlor sie war, eine eigene Praxis zu führen, temberg und Mitglied beim Schwä - zum 1. April 1933 wegen ihrer stellte sie einige Jahre nach Kriegs - bischen Frauenverein. Ihr war die Mitgliedschaft in einer sozialistischen ende einen Wiedergutmachungs - Ausbildung von Frauen wichtig Absplitterung der SPD ihre Stelle antrag, um eine Kassenzulassung und sie arbeitete an der Entwicklung als Stadtärztin in Dortmund. zu bekommen. Diesem Antrag des neuen Berufs des Altenpflegers/ Zudem hatte sie eine jüdische wurde nach einigen Recherchen der Altenpflegerin in den Fächern Großmutter. Im Dezember 1933 in Dortmund entsprochen. Ein Medizin und Krankenlehre mit.

34 1946 trat sie der SPD bei, für die sie sich stark einsetzte, und wurde am 7. Dezember 1947 erstmals in den Gemeinderat der Stadt Stuttgart gewählt, wo sie am 9. Januar 1948 in ihr Amt verpflichtet wurde. Ins - gesamt wurde sie dreimal mit ho - her Stimmenzahl gewählt, einmal als Spitzenkandidatin mit der höchsten Stimmenzahl. Im Gemeinderat waren ihre Schwer - punkte der Aufbau des Kranken - hauswesens und vor allem aber auch die Menschen, die sozial nicht in der Lage waren, sich selbst zu helfen. Dr. Ilse Reinhardt ist am 9. Dezember 1965 aus dem Gemeinderat ausgeschieden. Sie Ilse Reinhardt im Alter von 101 Jahren erhielt die Erinnerungsmedaille in Gold für Gemeinderatsmitglieder. 1966 wurde ihr das Bundesver - derat, aber der Umgang mit Män - Dr. Ilse Reinhardt ist am 11. Oktober dienstkreuz am Bande verliehen. nern war nie ein Problem für mich, 1998 kurz vor ihrem 103. Geburts - schließlich bin ich ja mit drei tag im Wohnstift Augustinum Mit 77 Jahren siedelte sie ins Brüdern aufgewachsen.“ verstorben. Oberbürgermeister Wohnstift Augustinum über, des - Schuster würdigte Dr. Ilse Rein - sen Entstehung sie als Gemeinde - Bemerkenswert ist noch die hardt als eine der Frauen der ersten rätin kräftig gefördert hatte. Sie Aussage einer Verwandten: Stunde, die dazu beigetragen ha - war dort im Heimbeirat tätig, gab „Ihre größte Stärke war, dass sie ben, dass sich Stuttgart von den Seniorengymnastik und war weiter - akzeptieren konnte, wenn sich schrecklichen Verwüstungen erholt hin politisch sehr rege. Bei der etwas nicht ändern lässt. Sie hat hat und eine demokratische Kultur Gratulation ihrer Parteifreunde zu zwar immer gekämpft, doch wenn entstanden ist. ihrem 102. Geburtstag erzählte die es sinnlos wurde, suchte sie einen große alte Dame schmunzelnd: anderen Weg und konnte damit „Sie war eine Mutmacherin in „Ich war die erste Frau im Gemein - leben.“ schweren Zeiten.“

35 Der Verwaltungsausschuss 1964 mit Hanne Vietzen, Maria Schön und Dr. Ilse Reinhardt

36 Helene Schoettle geborene Oßwald

* 19. April 1903 in Münster † 24. August 1994 in Stuttgart

Helene Schoettle wuchs als älteste von ihr Leben lang treu blieb. 1925 heiratete Von Kindheit an drei Mädchen in einem politischen sie den Schriftsetzer Erwin Schoettle, sozialdemokratisch Arbeiterhaushalt auf. Ihr Vater war der zu diesem Zeitpunkt Verlagssekretär geprägt, Ehefrau von gelernter Schlosser, allerdings oft bei der „Schwäbischen Tagwacht“ war. Erwin Schoettle arbeitslos. Als Gewerkschafter hatte er Ihre Tochter Doris wurde 1928 geboren. Schwierigkeiten, eine Stelle zu bekom - 1933 musste Erwin Schoettle in die 1951 bis 1976 Mitglied im men. Ihre Mutter war Zeitungsausträge - Schweiz fliehen. Er gründete dort die Gemeinderat für die SPD rin. Auch Helene trug nach ihrer Schul - Zeitung „Roter Kurier“, um von außen zeit schon früh zum Familieneinkommen gegen das Nazi-Regime zu kämpfen. Ausschüsse: bei. Sie arbeitete in der Fabrik und nach Helene versuchte, die Zeitung nach Soziales, TWS, Jugendamt ihrem Neun-Stunden-Arbeitstag be - Deutschland zu schmuggeln. 1934 suchte sie noch abends die Handels - folgte Helene mit ihrer Tochter Doris schule. Sie war ehrgeizig. Da ihre Eltern ihrem Mann in die Schweiz. Dort arbei - nicht gläubig waren, erhielt sie mit tete sie als Haushaltshilfe, obwohl 17 Jahren die Jugendweihe anstatt der offiziell Arbeit für Emigranten verboten Konfirmation. Nach Kriegsende 1919 war. war sie begeistert von den sich anbah - nenden gesellschaftlichen Umwälzun - 1939 floh die Familie weiter nach Eng - gen. Sie demonstrierte für die Republik land, wo sie acht Monate lang getrennt und gründete 1919 mit 16 Jahren die interniert wurden. Die Schweiz war nicht sozialistische Arbeiterjugend Münster, mehr sicher genug gewesen. Nach der trat der SPD bei und arbeitete später in Internierung machte Erwin Radiosen - der Frauengruppe der SPD mit, der sie dungen bei der BBC für deutsche (von Elisabeth Skrzypek)

37 Arbeiter und Kriegsgefangene. Themen waren die Kinder- und die mit Stacheldraht versehen. Ein Helene konnte mit ihrer Arbeit in Altenpolitik. Außerdem war sie weiteres Problem war, dass die der Taschenlampenherstellung den Mitglied im Bezirksbeirat Stuttgart- Vorhänge zu durchsichtig waren Lebensunterhalt mitverdienen. Die Süd, dessen Mandat sie erst 1979 und man von außen durchschauen Tochter Doris ging in die Schule in mit 76 Jahren niederlegte. konnte. Jetzt wurden von außen Cambridge, an der sie auch ihre Jalousien an die Scheiben montiert, Abschlussprüfung machte. Sie war 1962 stellte Helene Schoettle eine damit nicht draußen die Männer künstlerisch begabt und wurde Anfrage nach der Anzahl der stehen und die Schattenspiele später Malerin. Deren Tochter durch das Schlafmittel Contergan hinter den Vorhängen verfolgen wurde 1963 geboren. geschädigten Kinder in Stuttgart. konnten. Zu dem damaligen Zeitpunkt 1946 kehrten Helene und Erwin (13. September 1962) waren elf Helene Schoettle war Mitglied der nach Stuttgart zurück. Da sie aus - Schädigungen in Stuttgart nachge - Arbeiterwohlfahrt, wo sie 1947 bis gebombt worden waren, lebten sie wiesen, aber es bestanden weitere 1973 im Vorstand saß. 1960 zunächst in einer Mietswohnung in Verdachtsfälle. 1963 richteten gründete sie den Verein „Lebens - Heslach, Gebelsbergerstraße 35. Helene Schoettle und Elisabeth hilfe für geistig Behinderte“ und Später kauften sie sich ein Haus in Daur, beide von der SPD, eine war 15 Jahre Mitglied des Vorstands. der Wannenstraße 52. In Stuttgart Anfrage an den Bürgermeister. Das 1962 gründete sie zusammen nahmen sie sofort ihre politische neue Katharinenhospital war be - mit Maria Schön Heslachs ersten Arbeit wieder auf. Erwin machte sichtigt worden und dazu gehörte Altenclub, die „Blaustrümpfler“. Karriere innerhalb der SPD. Er auch ein Schwesternwohnheim. wurde Landesvorsitzender der SPD, Die Schwestern in diesem Wohn - 1980 wurde ihr das Bundesver - ab 1949 saß er im deutschen heim beklagten, dass das Wohnheim dienstkreuz verliehen, 1993 die Bundestag und im Bundesvorstand so ungünstig gebaut sei, dass die Verdienstmedaille des Landes der SPD. Helene Schoettle baute Bewohnerinnen im Erdgeschoss Baden-Württemberg. Außerdem in Stuttgart zunächst ein Netz von ständig von außen belästigt wür - war sie Patin des Heslacher Nähstuben auf. Nach dem Krieg den. Die Anlage forderte zum Tunnels. hatten die Menschen nichts mehr Einsteigen auf. Es gab keine Rolllä - anzuziehen. Selber nähen war den, die Fenster waren sehr niedrig. Helene Schoettle starb am 24. notwendig. Die Gemeinderätinnen fragten, August 1994, ihr Grab befindet ob man nachträglich Rollläden ein - sich auf dem Waldfriedhof. 1951 wurde sie für die SPD in den bauen könnte. Das ging aber nicht. Stuttgarter Gemeinderat gewählt, Zur Abwehr wurden nun die Mau - „Große alte Dame der hiesigen dem sie bis 1976 angehörte. Ihre ern um das Wohnheim erhöht und SPD“

38 Maria Schön geborene Schneck

* 19. Februar 1896 in Stuttgart † 1. Dezember 1987 in Bad Nauheim

Maria Schneck wurde 1896 in Stuttgart 1946 schied sie aus dem Schuldienst Lehrerin geboren. Ihr Vater war der Justizsekretär aus, da sie sich überfordert fühlte Paul Schneck. Sie besuchte die Mädchen - „durch die doppelte bis dreifache 1947 bis 1953 Mitglied im mittelschule in Stuttgart und anschlie - dienstliche Inanspruchnahme bedingt Gemeinderat für die ßend das Lehrerinnenseminar in Mark - durch den Lehrermangel bei schlechter Neue Partei gröningen. Als außerplanmäßige Lehrerin Ernährung und ungeheizten Schulräu - 1956 bis 1965 Mitglied im war sie an der Schreiberschule tätig. men“. 1948 bemühte sie sich erfolglos Gemeinderat für die SPD 1920 heiratete sie Alfred Schön und um Wiedereinstellung in den Schuldienst. zog mit ihm in ein Haus in der Finken - Ausschüsse: straße in Heslach. 1924 wurde ihr Sohn Ohne Parteimitglied zu sein, kam Maria Soziales, Wohnen, geboren. Bis auf eine Unterbrechung Schön bei der Wahl 1947 für die erst - Wirtschaft, u. a. von 1922 bis 1928 war sie bis 1946 als mals angetretene Neue Partei (NP) in außerplanmäßige Lehrerin an verschie - den neuen Stuttgarter Gemeinderat. denen Schulen (Schreiber-, Lerchenrain-, Die NP hatte auf Anhieb 4,2 Prozent Schickhardtschule) im Süden von Stutt - der Stimmen erhalten. In den Chroniken gart tätig. Nach ihrer Meinung wurde der Stadt Stuttgart steht über diese Partei: sie aufgrund ihrer fehlenden Mitglied - „Partei der Parteilosen/Partei des ge - schaft in der NSDAP nicht verbeamtet. sunden Menschenverstandes, die den Maria Schön wird von ihrem Vorgesetz - verbreiteten Unmut in der Bevölkerung ten als tüchtige Lehrerin geschildert, über die Parteien gefühlsmäßig aufgreift.“ „die in Mädchenoberklassen schon immer gute Unterrichts- und vor allem Der Frauenanteil in Stuttgart betrug 60 Erziehungserfolge gehabt hat“. Prozent. Viele Männer waren im Krieg (von Annelie Wieland)

39 gefallen oder in Kriegsgefangen - Nachdem die Neue Partei bei der Heslach sehr verbunden. Sie lebte schaft. Viele Männer waren durch Wahl 1953 nicht wieder angetreten dort seit ihrer Heirat 1921 bis kurz die Nazi-Vergangenheit belastet. war, wurde Maria Schön 1954 vor ihrem Tod 1987, wenige Trotzdem ergriffen die Frauen nicht Mitglied in der SPD. Durch den Tod Monate nach ihrer Übersiedlung die Gelegenheit, in die Politik ein - eines SPD-Gemeinderats rückte sie nach Bad Nauheim. Auf dem zusteigen. Wenn man die noch 1956 in den Gemeinderat nach. Friedhof in Heslach wurde sie starre Rollenverteilung und die 1965 schied sie freiwillig aus. beigesetzt. Lebensumstände nach dem Krieg berücksichtigt, wird klar, warum Ihre Redebeiträge waren engagiert 1966 erhielt Maria Schön das das so war. Die Frau war in erster und emotional, sie fehlte kaum Bundesverdienstkreuz am Bande Linie Hausfrau, obwohl sie in allen einmal bei einer Gemeinderats- und 1976 die Erinnerungsmedaille Bereichen „ihren Mann stehen“ oder Ausschusssitzung. Ihre in Gold der Stadt Stuttgart. musste. Oft ohne Mann, war sie Anträge waren den Bedürfnissen verantwortlich für das Überleben der Menschen angepasst. Sie wird als zugewandte, liebe - der Familie in Mangel und Not. volle, gebildete Frau beschrieben, Wer unverheiratet war, musste die Im Anschluss an ihre Tätigkeit als aktiv aber nicht in der ersten Reihe Angehörigen mit unterstützen. Gemeinderätin war sie bis 1975 – stehend. In ihrer politischen Tätig - Außerdem waren die Frauen der sie war 79 Jahre alt – Mitglied im keit setzte sie sich vor allem, wie Politik „entwöhnt“, da sie sich Bezirksbeirat Süd. sie schon bei einer Wahlveranstal - seit 1933 offiziell nur noch für die tung 1947 versprach, für die NSDAP und ihre Folge-Organisatio - Maria Schön engagierte sich im Belange der Frauen und Kinder, nen engagieren durften. Ortsverein Süd der SPD. Sie nahm der Familien ein. bis ins hohe Alter an den Mitglie - Deshalb ist die Aussage von Maria derversammlungen teil. In Heslach „Ich habe erkannt, dass auch Schön auf einer Wahlveranstaltung gab es schon in den Jahren nach Frauen (politisch) mitarbeiten durchaus beachtenswert: Sie habe dem Krieg eine Frauengruppe, die müssen.“ erkannt, dass auch Frauen mitar - sich regelmäßig im Waldheim traf beiten müssten. Im September und sich auch mit Themen der 1950 hielt sie in der Gaststätte Emanzipation beschäftigte. Anfang David in der Charlottenstraße der 60er Jahre gründete sie zusam - einen Vortrag zum Thema: Politi - men mit Helene Schoettle den sche Mitarbeit als gesellschaftliche Heslacher Altenclub „Die Blau - Pflicht. strümpfler“. Sie leitete ihn viele Jahre. Maria Schön war Stuttgart-

40 Junger Wein in neuen Schläuchen Die Neue Partei (NP)

Bei der Gemeinderatswahl 1947 zur Verfügung gestellt, weil sie erkannt kandidierte Maria Schön für die „Neue habe, dass auch Frauen mitarbeiten Partei“ (NP). In der Chronik der Stadt müssten. Die NP versprach, wenn sie Stuttgart von 1947 steht kurz: „Die gewählt würde, jeden Freitag im Zirkus „Neue Partei“ hatte 34 Bewerber auf Schulte „der Bevölkerung Auskunft zu der Bewerberliste, davon waren nicht geben“. Der Zirkus Schulte hatte am weniger als 18 Frauen“. Marienplatz ein festes Zirkuszelt, in dem jedermann die Möglichkeit hatte Maria Bredow gründete die „Neue Par - zu sprechen. Spitzenkandidat war der tei“. Die Zulassung zur Gemeinderats - Journalist Erich Brazel, ein ehemaliger wahl in Stuttgart durch die alliierte Mitarbeiter der Zeitschrift „Flammen - Besatzungsregierung erfolgte offiziell zeichen“, dem württembergischen am 10. April 1947. Bei den Wahlen am Pendant der NS-Zeitschrift „Stürmer“. 7. Dezember 1947 trat die Neue Partei Als Anschuldigungen gegen ihn durch in Stuttgart erstmals an. In der Presse den Journalistenverband laut wurden, wurden die Wahlversammlungen in ordnete das Befreiungsministerium eine Stuttgart als „gut besucht“ bezeichnet. Sonderuntersuchung im Rahmen der Die Kandidatin Maria Schön sagte von Entnazifizierung an. sich, sie wolle sich im Gemeinderat besonders für die Rechte von Frauen Bei den Wahlen 1947 erhielt die Neue und für die Kinder einsetzen. Sie sei Partei knapp 9.000 Stimmen, d.h. 4,2 nicht Mitglied der NP und habe sich Prozent und stellte damit zwei Gemein - nach anfänglichem Zögern zur Mitar beit deräte: Erich Brazel und Maria Schön. (von Annelie Wieland)

41 Die Partei löste bei der hiesigen Presse und den Gemeinderats - mehrheiten eine heftige Reaktion aus, als sie auf einem Plakat ver - kündete: „50.000 Paar Lederschuhe nicht verteilt“. Die Gemeinde konnte jedoch nachweisen, dass nur 45.700 Paar Schuhe insgesamt zur Verfügung gestanden hatten, wozu auch Holzschuhe gezählt wurden. Die NP musste von ihrer Aussage abrücken.

Erich Brazel war rehabilitiert worden. Er konnte somit sein Amt als Gemeinderat ausüben. Doch schon nach einem Jahr, Ende 1948, schied er auf eigenen Wunsch wieder aus dem Gemeinderat aus. Gegen ihn waren verschiedene Anschuldigungen erhoben worden. So hatte er „ein junges Mädchen geschwängert und zur Abtreibung überredet“. Dafür war er zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, mit Waren spekuliert zu haben. Für ihn rückte Theodor Krug in den Gemeinderat nach. Die NP-Stadt - räte nahmen als Gäste an den Fraktionssitzungen der SPD teil. Bei der Wahl 1953 trat die NP nicht wieder an.

42 Die Parteigründerin Maria Bredow

Maria von Bredow wurde als zweite schied daraufhin aus der Umgebung von Tochter des späteren Generals der Kaval - Papens aus und zog sich auf ihr Gut in lerie und Ritter des Ordens Pour le Pommern zurück. In den weiteren Jahren Mérite, Anatol von Bredow und Gertrud der NS-Zeit entwickelte sich ihr Betrieb von Wedemeyer, am 11. März 1899 in wirtschaftlich positiv. Neben ihrer land - Charlottenburg geboren. Sie entstammte wirtschaftlichen Arbeit wandte sie sich einem der ältesten und angesehensten der Atem-Medizin zu. Sie nahm die als Adelsgeschlechter der Mark Branden - „Atem-, Sprech- und Gesangschule“ burg. Die Familie lebte auf dem Gut bezeichnete „Schlaffhorst-Andersen- Seefeld in Pommern. Nach dem Tode des Schule“ auf ihrem Gut auf. In dieser Vaters 1930 bewirtschaftete sie selbst als Schule sollte man pneumatologisch Besitzerin das Gut. Sie studierte Rechts - korrekt „atmen, sprechen, singen, wissenschaften in Berlin und schloss gehen, lesen, schreiben, essen, husten, 1930 mit der Promotion zum Dr. jur. ab. niesen und lachen“ lernen.

Politisch gehörte sie in der Zeit der 1945 bei Kriegsende floh Maria Bredow Weimarer Republik der Deutschnationa - aus Pommern. Im August 1945 gelangte len Volkspartei (DNVP) an. 1932 wurde sie „mit Rucksack und Fahrrad“ nach sie ehrenamtlich Sekretärin bei Franz von Stuttgart. Von einem Stuttgarter Papen. Nach eigener Aussage wollte sie Gartenhaus aus, in dem sie damals ihn dazu bringen, eine Zusammenarbeit wohnte, sammelte sie einen Kreis aus mit Hitler und der NSDAP abzulehnen. allen Schichten der Bevölkerung um Der Versuch schlug fehl. Frau Bredow sich, darunter auch einige ihrer Gym -

43 nastikschülerinnen. 1947 gründete gende Idealisten gegeben habe. sie zusammen mit Emma Lauten - Obwohl sie selbst Hitler als frag - schlager die „Neue Partei“, in de - würdige Erscheinung abgelehnt ren Vorstand sie den Vorsitz über - hatte, war er ihrer Meinung nach nahm. "die Erfüllung der Sehnsucht des durch den Fortfall der Landesfürs - Die Motivation zur Gründung der ten des Gegenstandes seines Stol - Partei beschrieb Maria Bredow – sie zes und seiner Liebe beraubten hatte inzwischen auf das „von“ deutschen Volkes". ebenso verzichtet wie auf ihren Doktortitel als Juristin mit der Lo - Aus der Vergangenheit meinte sie sung: „Man kann nicht jungen gelernt zu haben, „dass politische Wein in alte Schläuche Extreme in Deutschland ihre Ursa - gießen. In Zeiten tiefer Erschütte - che stets in männlicher Übersteige - rung muss etwas Neues geboren rung hatten. Das weibliche Ele - werden.“ Parteibürokratie lehnte ment soll in die Politik Mäßigung sie ab. Eine Partei habe eine Auf - und Ausgleich bringen“. Schon gabe und dürfe niemals Selbst - bald zog sich Maria Bredow jedoch zweck sein. Ihre Aufgabe sah sie wieder aus der Politik zurück. Das darin, „ehrliche und erfahrene bedeutete auch das Ende der Menschen in öffentliche Ämter zu „Neuen Partei“. bringen, damit sie dort zum Wohle des ganzen Volkes wirken können“. Sie widmete sich ab 1949 mit hohem Einsatz dem Neuaufbau Programmpunkt war neben Frieden der „Schlaffhorst-Andersen-Schule die wirtschaftliche Neuordnung. für Atem- und Stimmbildung“ in Das freie Unternehmertum wollte Lieme an der Lippe. sie erhalten, aber zugleich bestimmte Monopolbetriebe sozialisieren. Den Am 1. Oktober 1958 starb sie in inhaltlichen Standort der Partei sah Eldhagen. sie zwischen Sozialdemokraten und Demokraten. Sie glaubte, dass es im NS-Regime bis in die höchsten Spitzen der Partei zu entschuldi -

44 Johanna (Hanne) Vietzen geborene Zimmermann * 17. Juni 1902 in Stuttgart † 4. April 1991 in Stuttgart

Johanna Vietzen wurde 1902 geboren Mutter war sie kompetent im Umgang Heslacherin, Ehefrau und stammte aus einer alten Heslacher mit städtischen Behörden. Auch Reinhold von Stadtarchivdirektor Weingärtnerfamilie, aber schon ihr Maier, der damalige Ministerpräsident Hermann Vietzen Großvater hatte den Weinberg verkauft. von Württemberg-Baden, hatte sie Ihr Vater wurde dann Optiker und ermuntert, in die Politik zu gehen. 1951 bis 1982 Mitglied im eröffnete 1917 in Ulm ein eigenes Johanna Vietzen war in vielen Organi - Gemeinderat für die Geschäft, in dem Johanna nach ihrem sationen vertreten: im Schwäbischen DVP/FDP Abitur arbeitete. 1928 heiratete Johanna Frauenverein, im Stuttgarter Hausfrau - Hermann Vietzen, mit dem sie nach enbund und im Verbraucherverein. Zu - Ausschüsse: München ging, wo er eine Ausbildung dem war sie eine begeisterte Theater - Verwaltung, Soziales, als Archivar absolvierte. 1938 wurde er gängerin und saß im Theaterbeirat der Jugendwohlfahrt, Stadtarchivdirektor in Stuttgart – ohne Württembergischen Staatstheater. Zehn Krankenhaus, Parteibuch. Fünf Kinder bekam Johanna Jahre lang arbeitete sie auch im Beirat Ausländerbeirat Vietzen: Zwei Jungen und drei Mädchen. vom Stammheimer Gefängnis und Nach dem Krieg baute Hermann Vietzen setzte sich für die Belange der Insassen das Stuttgarter Stadtarchiv neu auf, ein. zudem saß er von 1956 bis 1960 für die FDP im baden-württembergischen 1982 zog sich Johanna Vietzen aus der Landtag. 1950 entschied sich Johanna Politik zurück. 1984 starb ihr Mann und Vietzen, ebenfalls in die Politik zu 1991 starb auch sie. gehen. Sie trat die Nachfolge ihrer Freundin Emmy Diemer-Nicolaus in der „Sie ist, wenn es so etwas gibt, eine (von Ute Blumenstock, DVP/FDP-Fraktion an: Als fünffache schwäbische Dame.“ Elisabeth Skrzypek)

45 Hanne Vietzen während eines Parisaufenthaltes mit dem Verwaltungsausschuss des Gemeinderats

46 Elisabeth Weber

* 19. Juli 1903 in Stuttgart † 21. April 1992 in Stuttgart

Die Gemeindehelferin und Religionsleh - Gemeindehelferin und rerin gehörte jeweils dem Ortsschulrat Religionslehrerin für die Frauenberufsfachschulen und für die Volks-, Mittel- und Sonderschulen 1953 bis 1965 Mitglied im an. Gemeinderat für die CDU

Elisabeth Weber verbrachte ihre letzten Ausschüsse: Lebensjahre im Pflegezentrum Bethanien Soziales, Wirtschaft, in Stuttgart-Möhringen. Krankenhaus

(von Silvia Dierolf)

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