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Musikethnologie 30.Januar 1998 Dani Schneider

Santana Biographie:

Carlos Santana wurde am 20. Juli 1947 in Autlan de Navarro im mexikanischen Bundesstaat Jalisco als Sohn eines professionellen Musikers geboren. Er erhielt seit seinem 5. Lebensjahr - widerwillig - klassischen Violinunterricht durch seinen Vater, später auch kurzzeitig Klarinettenunterricht. Mit 14 Jahren wechselte er zur Gitarre. Die Familie zog zunächst nach Tijuana um, dem Vergnügungszentrum an der mexikanisch/amerikanischen Grenze, und schliesslich ,1962, ins kalifornische San Francisco. kam wenig später nach, nachdem er für eine Weile in Tijuana als - minderjähriger - Barmusiker in Striptease-Shows und Touristenetablissements gearbeitet hatte. In diese Zeit fällt die erste Berührung mit dem nordamerikanischen Blues. In San Francisco gründete Santana Ende 1966 zusammen mit dem Keyboarder die SANTANA BLUES BAND, die in ständig wechselnden Besetzungen bis Mitte 1967 zusammen spielte. Obwohl ab und zu Perkussionisten in der Gruppe waren (u. a. bereits Mike Carabello), stand der Blues im Mittelpunkt des musikalischen Interesses. Ab Juli 1967 spielte die Band mit einem konsolidierten Musikerstamm unter dem verkürzten Gruppennamen SANTANA, zu diesem Zeitpunkt wurden die afrokubanischen Elemente durch das regelmässige Mitwirken eines oder mehrerer Perkussionisten soundbestimmend. In den folgenden zwei Jahren etablierte sich SANTANA als fester Bestandteil der San-Francisco-Szene. Mitte 1969 übernahm der Rock-Promoter , Inhaber der Konzerthalle "Fillmore West", das Management der Gruppe und löste den bis dahin semiprofessionell agierenden Friseur Stan Marcum weitgehend ab; Graham war - mit Unterbrechungen - bis zu seinem Tod im Jahre 1991 Carlos Santanas persönlicher Manager. In die gleiche Zeit fällt die entscheidende Umbesetzung mit nunmehr Mike Carabello, José Areas (Percussion) und Mike Shrieve (Schlagzeug) zum bestehenden Personalstamm von Carlos Santana (Gitarre, Gesang), Gregg Rolie (Keyboards, Gesang) und Dave Brown (Bass). Diese Besetzung, die retrospektiv als die Original-SANTANA-Besetzung angesehen wird, debütierte im gleichen Jahr beim legendären -Festival überregional mit sensationellem Erfolg und veröffentlichte anschliessend die erste Schallplatte, von der innerhalb eines Jahres über 2 Millionen Exemplare verkauft wurden und die den als eigenständige Stilrichtung der Rockmusik durchsetzte. Der internationale Durchbruch gelang 1970/71, als die Gruppe ihre bisher erfolgreichste LP Abraxas veröffentlichte, die die meistverkaufte Schallplatte in dieser Zeit überhaupt war (ein Vergleich: Abraxas 1970: ca. 3,5 Mio. verkaufte Exemplare; Michael Jacksons Thriller 1982: 38 Mio. Exemplare). Als zusätzlicher Gitarrist kam zur Gruppe. Nach der Veröffentlichung von Santana 3 (1971) und einer ausgedehnten Europatournee im gleichen Jahr kam es aufgrund diverser, durch Drogen, Krankheit, persönliche Machtkämpfe und Erfolgszwang verursachter Probleme zur Krise. Die Band brach faktisch auseinander. Zu dieser Zeit wandte sich Carlos Santana verstärkt religiösen Fragestellungen zu. 1972 erschien die LP Caravanserai, die eine Hinwendung zum spirituellen Jazz in der Nachfolge von Santanas Vorbild John Coltrane signalisierte. Im gleichen Jahr schloss sich Santana der spirituellen Kommune des Gurus Sri Chinmoy an, trug die Haare kurz (was damals sensationell war), nahm keine Drogen und kein Fleisch mehr zu sich und distanzierte sich von seinem bislang exzessiven Lebenswandel. Das verstärkte Interesse am Jazz brachte ihn mit seinem Glaubensgenossen und Gitarristenkollegen Mahavishnu John McLaughlin in Verbindung. 1973 heiratete Santana Deborah King, die damals den vom Guru verliehenen Namen "Urmila" trug. Die im gleichen Jahr erschienene LP Welcome (nach einer Komposition Coltranes) brachte eine neue Besetzung, unter anderem mit dem Sänger und dem Keyboarder ; die - im Streit - ausgeschiedenen Gregg Rolie und Neal

1 Schon gründeten die bis heute erfolgreiche Gruppe JOURNEY, andere Ex-SANTANA-Mitglieder schlossen sich zur Latin Rock-Bigband AZTECA zusammen. An der Entstehung von Welcome waren zahlreiche Jazz- und Rockjazzmusiker beteiligt, unter anderem Alice Coltrane, die Witwe des Saxophonisten, Joe Farrell, John McLaughlin und Flora Purim. Auch die 1974 erschienene LP wies starken Jazzeinschlag auf (unter anderem mit Flora Purim, Airto Moreira, Ndugu Leon Chancler und Stanley Clarke). Carlos Santana nahm in diesen Jahren Soloplatten mit John McLaughlin und Alice Coltrane auf, auf denen unter anderem , Jack DeJohnette, Dave Holland und James Mingo Lewis mitwirkten. Seit 1974 nannte er sich Devadip Carlos Santana, Devadip bedeutet "Licht Gottes" oder "Auge Gottes". Die starke Affinität zur Jazzszene brachte Santana einige Anerkennung auf Seiten der Jazzkritik, entfremdete ihn aber zu einem gewissen Grad seinem Publikumsstamm innerhalb der Rockszene. Nach Welcome gelang es Santana trotz durchwegs zufriedenstellender Verkäufe bis heute nicht mehr, mit einer Plattenveröffentlichung die Spitzenposition der Charts zu erreichen. 1975 beschloss Devadip Carlos Santana auf Anraten von Bill Graham, seine religiösen Interessen zurückzustellen und wieder stärker seine musikalischen "Wurzeln" zu betonen. Das erste Ergebnis dieser vielbeschworenen "Rückbesinnung" war das Anfang 1976 erschienene Album Amigos, auf dem Santana die Jazzelemente zugunsten einer tanzbaren Latin/Pop/Funk- Mischung zurückdrängte. Noch stärker auf der populären Linie lag die im gleichen Jahr veröffentlichte LP Festival, die zum Grossteil poppig aufbereitete mittelamerikanische und brasilianische Unterhaltungsmusik enthält. Den Abschluss dieser "heiteren" Phase bildete das 1977 herausgekommene Doppelalbum Moonflower, das neben neuem Material auch Live-Mitschnitte der zurückliegenden Europatournee präsentierte. Anschliessend verliess Tom Costa die Gruppe. Seitdem bedeutet SANTANA endgültig: Carlos Santana plus häufig wechselnde Mitspieler. Das Album von 1978 brachte eine veränderte Mannschaft und ein völlig neues Klangbild. Obwohl die Besetzung auf drei feste Perkussionisten aufgestockt wurde, gerieten die Afro/Latin-Elemente in den Hintergrund. SANTANA schwenkte um auf lateinamerikanisch angehauchten Mainstream-Rock mit dominierendem Gesang und Sologitarrenspiel. Auf den folgenden Schallplatten Marathon (1979), Zebop! (1981) und Shango (1982) überlagerten zunehmend Hardrock-, Funk- und Disco-Elemente den gewohnten Latin-Sound. Die melodische Erfindungskraft lies spürbar nach, während das spieltechnische Niveau aller Beteiligten höher denn je war. Carlos Santana fuhr zu dieser Zeit zweigleisig: Während er mit der Gruppe die kommerzielle Richtung verfolgte, lies ihm sein Vertrag bei CBS Gelegenheit, seine persönlichen Vorlieben auf Soloplatten zu verwirklichen. Ein Höhepunkt dieser Zeit war das Doppelalbum , das 1980 mit Herbie Hancock, Wayne Shorter, Tony Williams, Harvey Mason, Ron Carter und anderen aufgenommen wurde und sich zu einem der erfolgreichsten Alben der auslaufenden Jazz-Rock-Ära entwickelte. Auf der Bühne bildete Santana 1979 mit Mitgliedern seiner Band und dem Saxo-Flötisten Russell Tubbs unter dem Namen DEVADIP ORCHESTRA seine eigene Vorgruppe. Eine Stunde spielte das "Orchestra" spirituellen Rockjazz, bevor praktisch dieselbe Besetzung als SANTANA zwei Stunden Disco und Hardrock bot: eine wohl einmalige Situation. 1982 trennte sich das Ehepaar Santana nach 10jähriger Gefolgschaft von Sri Chinmoy und konvertierte zu einer Art undogmatischem Christentum. Carlos Santana (jetzt ohne "Devadip") lies sich wieder die Haare wachsen und nahm von der strengen Askese Abstand. Die „Rückkehr zur Welt“ dokumentierte die 1983 veröffentlichte Solo-LP , die neben Rhythm & Blues-Nummern mit der Bluesgruppe FABULOUS THUNDERBYRDS und dem Keyboardspieler Booker T. Jones auch ein „Duett“ mit dem Country-Sänger Willie Nelson und einen Mariachi-Titel mit José Santana (dem Vater) enthielt. Die nächste Gruppen-LP Beyonad Appearances erschien erst 1985, weil Carlos Santana seine musikalischen Aktivitäten infolge von Familiennachwuchs etwas eingeschränkt hatte. Sie folgt in der musikalischen Konzeption den vorangegangenen Alben, obwohl sich ein verstärkter Blueseinfluss feststellen lässt, ebenso gewinnen die perkussiven Teile wieder etwas mehr an Gewicht. Dieser Trend bestätigte sich auch bei den folgenden Veröffentlichungen (darunter die stilistisch sehr breit gefächerte Werkschau zum 20jährigen Bestehen der Band Viva

2 Santana! von 1988). Dies scheint teilweise - und unter Kompromissen - gegen den Willen der Plattenfirma CBS (bzw. Sony) durchgesetzt worden zu sein, die eine weitere Kommerzialisierung verlangt hatte. Unter diesen Vorzeichen brachte der Wechsel zu PolyGram Records 1992 eine geradezu spektakuläre Rückorientierung auf die Soundkonzepte der frühen 70er Jahre. Auf der LP Milagro treten sowohl Salsa- und Afro-Elemente mit akzentuierter Percussion und spanischem Gesang in den Vordergrund wie auf der anderen Seite ausgedehnte Gitarren- und Orgelsoli sowie modale Jazz-Rock-Strukturen, was als ostentative Absage an den popmusikalischen Zeitgeist verstanden werden kann. Kaum eine Rockband hatte im Lauf ihrer Geschichte einen ähnlich starken Personalwechsel wie SANTANA; die Zahl der Musiker, die über kürzere oder längere Zeit Gruppenmitglieder waren, liegt weit über 50. Relativkonstante Besetzungen gab es nur bis etwa 1975, ob gleich auch in dieser Zeit kaum zwei LP’s mit den selben Musikern produziert wurden. Die Jahre bis 1975 gelten allgemein als die "Golden Ära" von SANTANA. Von SANTANA angeregte Stilanleihen bei afrolateinamerikanischen Rhythmen und Instrumenten sind in der zeitgenössischen Rockmusik unübersehbar, die ganze „Salsa“ Welle seit Mitte der 70er Jahre hätte ohne die auslösende Funktion von SANTANA kaum in dieser Weise stattgefunden. Carlos Santanas Komposition „Samba Pa Ti“ von der LP Abraxas ist die vielleicht bekannteste Instrumentalballade der Rockmusik überhaupt.

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