aus Berliner Zeitung vom 30.01.1999 Feuilleton Zeichengeber GALERIEN Von Aureliana Sorrento

Wiedergekäutes": Ein Galerienbesucher in Hülsen von Polaroidkameras. Darin, im dunkeln, Mitte sprach es gerade aus. Vor dem unendlich oft spannt sie Fäden, um die Strecken und Reflexionen umfunktionierten und uminterpretierten schwarzen der Lichtstrahlen nachzuzeichnen. Es sind auch die Quadrat kommt einem nicht viel anderes in den Sinn. Wege, die unsere Blicke zurücklegen, wenn sie einen Das Malewitsch-Zitat, Teil eines Triptychons, das das Raum erkunden. Die Bezüge, die Mirjam Scheitern der Moderne an ihren ideologischen Kuitenbrouwer dadurch sichtbar macht, sind Verstrickungen versinnbildlichen soll, hängt in der metaphorisch übertragbar. Aber mehr als ein Zeichen Galerie Mathias Kampl neben einer umgedrehten, gibt sie dem Betrachter nicht, der Titel "Das Haus der grau bemalten Leinwand. Komplettiert wird das Qualen" ist der einzige Hinweis in diesem Ensemble durch eine schwarzumwölkte Ansicht von Assoziationsspiel. Künstler sind "Zeichengeber, sonst Hitlers Arbeitszimmer. Die Moderne, so verkündet nichts". Kriegszeichen in einem Grenzraum hat der Maler Heribert Ottersbach in einer sich Anthony Haughey vorgenommen, der in der Erläuterungsschrift, sei wegen ihres Galerie Bodo Niemann Fotoarbeiten ausstellt. universalistischen (sprich: totalitaristischen) "Disputed Territory" ist ein Streifen umkämpftes Anspruchs mitschuldig geworden an den Niemandsland zwischen der Republik Irland und Massengräbern des Jahrhunderts. Sie habe den Nordirland. Haugheys Aufnahmen dokumentieren die Menschen Freiheit versprochen, nicht anders als die Zeit des Waffenstillstands zwischen Katholiken und Spruchbänder über dem Eingangstor der Protestanten. Es sind Landschaftsbilder ohne Ruhe Konzentrationslager. Ottersbachs Beitrag zur und ohne Pathos. Die Schärfeeinstellung der Kamera Diskussion über Moderne, Postmoderne und Zweite hebt Details hervor, die keine Beschaulichkeit Moderne - als hinge sie nicht allen schon zum Halse zulassen. Verstörende Zeichen: lichtblitzartige heraus - ergänzt ein Plakat, auf dem derart Planktonbläschen zwischen den Wellenkämmen, ein tiefsinnige Sätze zu lesen sind wie: "Moderne und gerissenes Drahtseil, eine Blechtonne. Nichts Arbeit macht einsam" oder "Moderne und Arbeit geschieht, die Zeit steht. Nur die Wahrnehmung macht frei". Moderne und Ottersbach macht Beine, schreitet voran, die Sicht verändert sich. Eine möchte man hinzufügen, denkt man an die Künstler, gegensätzliche Erfahrung gewährt eine Video- die von den Nazionalsozialisten verfolgt und Installation von Romana Scheffknecht in der Galerie ermordet wurden. Schon viele Künstler sind an Fricke. Während die auf eine Wand und einen solchem Anspruch auf Weltdeutung und schwarzen Spiegel projizierten Zahlen das Geschichtsschreibung gescheitert. Um so besser, Fortschreiten der Zeit wie im Countdown rückwärts wenn sie sich auf das Kleine und Eigene skandieren, wird die Zeitwahrnehmung des beschränken. Um so schöner, wenn sie andeuten Zuschauers angehalten und auf die erlösende Null statt zu verkünden. Solche wohltuende gelenkt. Dann erscheint sie, paradoxes Bescheidenheit findet sich in den Arbeiten von Lebenszeichen, im Spiegel, dessen Schwärze eine Mirjam Kuitenbrouwer, Anthony Haughey und unergründliche Tiefe suggeriert. Dort fängt die Zeit Romana Scheffknecht. Fenster, Auge, Haus, an, das Leben, das erlebte. Berlin (BLN) Kamera sind die Dinge, aus denen die Niederländerin Kunst Ausstellungs-Rezension Mirijam Kuitenbrouwer Reflexionen über Raum und Wahrnehmung entwickelt. Aus Zahnbürstenhüllen hat sie ein Schachtelhaus wie einen durchsichtigen Ameisenhaufen gebastelt, mit winzigen Puppenhausfenstern perforiert und in der Galerie Wohnmaschine an die Wand gehängt. "Vereinte Aussichten" heißt das Werk - das Licht fällt in die zahllosen Plastikwürfel ein, um gebrochen und in alle Richtungen weitergeleitet zu werden. "Da Fenster das Licht in einen Raum leiten, machen sie diesen Raum erst wahrnehmbar", schrieb die Künstlerin 1993. "Ohne Licht oder Öffnungen kann ein Raum für die visuelle Wahrnehmung nicht existieren." Weil vom Licht unsere Wahrnehmung der Umwelt abhängt, untersucht sie dessen Wege mit der Akribie eines Empirikers. Zur Versuchsanordnung dienen ihr gleißende, geomorphe Gipskörper und aus Berliner Zeitung vom 04.02.1999 Feuilleton Der Heilige in der Bibliothek Marino Zorzi spricht in der FU über die Geschichte der Biblioteca Marciana in Venedig

Von Aureliana Sorrento

Sein Gesicht ist bekannt, der Mann aber politische Rolle, die Bessarione der Republik weniger. Carpaccio, sagen einige, hat ihn als Modell zuschrieb: Venedig sollte das Erbe von Byzanz für seinen "Heiligen Hieronymus im Studio" übernehmen und zum Bollwerk des Christentums verwendet, den robenumwandeten langbärtigen gegen die Türken werden. 1468 vermachte der Gelehrten in seiner Bibliothek. Wenn es so ist, wie Kardinal seine griechischen Codices dem kunstbeflissene Gerüchteköche meinen, dann hat der venezianischen Staat. In der Schenkungsurkunde Künstler den Kardinal Bessarione mit seinen Meriten verfügte er, daß die Bände allen zugänglich, nie porträtiert - und sogleich heilig gesprochen. Die veräußert und am Markusplatz untergebracht werden Bücher, die ihn umgeben, wären dann die selben sollten. 1 024 Bände kamen bis 1474 nach Bände, die er zeitlebens gesammelt und schließlich Venedig. Fürs erste wurden sie in einer Kammer des dem venezianischen Staat vermacht hat. Sie stellen Palazzo Ducale verstaut; erst später fand die die älteste Sammlung an altgriechischen Codices kostbare Sammlung einen angemessenen Platz: den dar, ohne die kein Philologe auskommen kann, und von Sansovino gebauten Palast an der Piazzetta, wo gehören zum Urbestand der ältesten öffentlichen sich die alten Codices heute noch befinden. Bibliothek der Neuzeit, der Biblioteca Marciana in Berlin (BLN) Italien (I) Medien Bericht Venedig. Die Geschichte der Biblioteca Marciana Historisches war Thema eines Vortrags, den ihr Direktor Marino Zorzi auf Einladung des Italienzentrums der Freien Universität und des Italienischen Kulturinstituts Berlin gehalten hat. Die Entstehung der Bibliothek, sagte Zorzi, hat mit dem Zerfall des byzantinischen Kaiserreichs zu tun und mit den Bestrebungen des Kardinals Bessarione, dessen Kulturerbe zu erhalten. Bessarione, einer der einfluß- und geistreichsten Persönlichkeiten am Hofe Konstantinopels, war Gelehrter und Diplomat. Als Gelehrtem lag ihm die griechische Kultur und besonders die platonische Philosophie am Herzen. Als Diplomat bemühte er sich um eine Versöhnung zwischen Orthodoxen und Katholiken. Denn nur ein gemeinsamer Kreuzzug aller christlichen Staaten hätte das byzantinische Reich vor den Türken retten können, und eine solche Armee war ohne den Papst nicht zusammenzubekommen. 1439 gehörte Bessarione der byzantinischen Legation an, die bei dem ökumenischen Konzil in Ferrara die Union der zwei Kirchen mit einem Pakt besiegeln sollte. Der Vertrag wurde zwar unterschrieben, der politische Erfolg blieb jedoch aus: Die Griechen in Konstantinopel lehnten die Union ab. Bessarione, enttäuscht, ließ sich in Rom nieder, wo ihn Papst Eugenio IV. zum Kardinal ernannte, und bemühte sich weiterhin darum, einen Kreuzzug zu organisieren. Als ihn 1453 die Nachricht erreichte, daß die Türken Konstantinopel erobert und etliche Bibliotheken zertrümmert hatten, witterte er die Gefahr, die griechische Kultur könne ausgelöscht werden. Seine Sorge war es fortan, eine Bibliothek für seine jetzt heimatlosen Landsleute zusammenzustellen, in der das philosophische und künstlerische Wissen Altgriechenlands verwahrt würde. Zum Standort seiner Büchersammlung wählte er Venedig. Dazu veranlaßte ihn zunächst die an den Kuppeln, an der Architektur der Stadt erkennbare Affinität der Stadt zur byzantinischen Welt, dann die aus Berliner Zeitung vom 04.02.1999 Feuilleton Drei Männer mit einem Bein Ein Festival zeigt neue Filme und restaurierte Klassiker aus Italien Von Aureliana Sorrento

Auch wenn in Deutschland davon wenig zu spüren ist: Der italienische Film hat in den letzten Jahren so etwas wie einen Produktionsboom erlebt. Das war natürlich der Sympathie höherer Stellen zu verdanken. Ex-Kulturminister Walter Veltroni gewährte Italiens Filmemachern Fördergelder, die ihnen zwar dem Gesetz nach auch früher zugestanden hätten, aber eben nur "nach dem Gesetz", was auf Italienisch "auf dem Papier" heißt. In deutschen Kinosälen machen italienische Produktionen nur ein Prozent des Angebots aus. Denn italienische Filme haben, wie europäische Filme überhaupt, bekanntlich Schwierigkeiten, über die Grenzen der Heimat hinaus zu gelangen. Da meinte das italienische Kulturministerium zu Recht, dem heimischen Kino noch einmal helfen zu müssen. Auf Geheiß von Veltronis Nachfolgerin Giovanna Melandri wurde kürzlich zur Auslands-Promotion eine "Agentur für die Förderung des italienischen Kinos" gegründet. Zum Auftakt ihrer Tätigkeit hat die ministerielle Agentur mit der Berliner "european media agency" ein kleines Festival auf die Beine gestellt. Bis zum 9. Februar werden neue Produktionen und einige restaurierte Klassiker im Filmkunst 66 und in den Hackeschen Höfen gezeigt. "Teatro di Guerra" von Mario Martone, "L' albero delle pere" von Francesca Archibugi, Marco Risis "L' ultimo capodanno" und "Del perduto amore" von Michele Placido stehen für jenen Typ Film, der sich wieder an zeitgeschichtliche Themen heranwagt, ohne gleich das Komödienhafte herauszufiletieren. Da aber die Italiener gerade im Genre "Komödie" geübte Meister sind, haben die Organisatoren auch den vorletzten Film des Komikertrios Aldo, Giovanni e Giacomo hergeholt, "Tre uomini e una gamba". Die drei Männer füllen seit zwei Jahren Italiens Kinosäle. Ob die Melange aus südländischem Humor, filmgeschichtlicher Travestie und bitterem Realismus dem deutschen Publikum genauso zusagt? In diesem Fall dürften nationaltypische Geschmäcker keine Rolle spielen. Italiafilm in den Kinos Filmkunst 66 und Hackesche Höfe, 4.-9. Februar. Berlin (BLN) Italien (I) Film Film-Rezension Vorbericht aus Berliner Zeitung vom 06.02.1999 Feuilleton Gehorsam auf italienisch DEBATTE Von Aureliana Sorrento

Pierangelo Schiera schwingt den Arm elegant den zuständigen Behörden kaum beachtet. An nach hinten und erklärt: In den vielen Jahren, die er dieser Stelle seines Vortrags kam zum ersten Mal die in Deutschland verbracht habe, sei ihm die italienische Neigung zur Geltung, Befehle nicht Bedeutung des Wortes "Vergangenheitsbewältigung" auszuführen und Verbote lächelnd zu übergehen - nicht ersichtlich geworden. Das Wort scheine ihm ein Aspekt, der in der italienischen Judenpolitik doch "zu hart". Wenn man es überhaupt nicht unschätzbare Auswirkungen hatte, der aber an vermeiden könne, sagt der Leiter des italienischen beiden Tagen eher verschwiegen als hervorgehoben Kulturinstitus, dann sollten sich die Italiener an die wurde. Mussolinis scheinbarem, in seiner Politik erst eigene Nase fassen. Als Ausdruck dieser 1938 aufgetretenen Antisemitismus widmete Meier Zerknirschungsbereitschaft war die Michaelis seine rhetorisch ausgefeilten Beiträge. Podiumsdiskussion über die Lage der Juden unter Mussolini sei kein Antisemit, sondern ein Opportunist dem Faschismus gedacht, zu der das Institut gewesen, lautete seine These. Zum Beweis führte eingeladen hatte. Der Diskussion folgte am Michaelis die Worte des Duce an: "Die Rasse. Ich Donnerstag ein Vortrag von Meier Michaelis aus lache darüber. Es gibt aber eine Staatsräson, der ich Jerusalem in der FU. Statt des gehorchen muß." Für seine Expansionspolitik Mitschuldeingeständnisses lieferten beide brauchte Mussolini Hitlers Unterstützung: Dies sei Veranstaltungen eher eine Antwort auf die Frage, seine Staatsräson gewesen. "Hitler hat keinen warum das deutsche Wort direkten Druck auf Mussolini ausgeübt", betonte "Vergangenheitsbewältigung" in einen italienischen Michaelis, "ohne Hitler wäre aber Mussolini nie Professorenkopf nicht so richtig passen will. Eine Antisemit geworden." Nicht nur, weil eine Jüdin seine Judenfrage, darüber waren sich die Referenten einig, Geliebte gewesen war. Der Duce bedachte den gab es zur Zeit des faschistischen Putsches in Italien internationalen Judaismus mit großem Respekt. Bis nicht. Der Antisemitismus war wenig verbreitet. Die Februar 1938 hatte er immer wieder beteuert, nichts italienische Bevölkerung brachte den Juden sogar gegen die Juden unternehmen zu wollen. Es seien Sympathie entgegen, 50 Prozent Mischehen zeugten außenpolitische Erwägungen gewesen, so Michaelis, von Assimilation. Auf das Fehlen antisemitischer die Mussolini zu der in seiner Laufbahn gar nicht so Ressentiments und auf die fast vollkommene unüblichen Kehrtwendung führten. Michaelis gab Integration italienischer Juden führte Giuliana Wetzel dennoch zu bedenken, daß Hitler ohne Mussolini nie die außergewöhnliche italienische Hilfsbereitschaft an die Macht gekommen wäre - wie der "Führer" oft gegenüber Juden zurück. Italiener setzten ihr Leben den Gegnern des Bündnisses mit Italien vorhielt. Der aufs Spiel, um Juden zu verstecken. So konnte die Nationalsozialismus habe nur mit äußerster Hälfte der italienischen Juden die deutsche Kohärenz zu Ende geführt, was der Faschismus Besetzung überleben. Auch verweigerten italienische angefangen hatte. Und man kann schließlich den Behörden die Auslieferung der Juden an die Italienern nicht zugute halten, daß sie auch das Wort Deutschen. Nur am Rande der Diskussion sikkerte "Kohärenz" nicht für voll nähmen. Italien (I) durch, daß italienische (faschistische) Generäle in Deutsches Reich (D) Bevölkerung Analyse den italienischen Besatzungszonen Juden vor den Historisches Rezension SS-Kommandos schützten. Dies zu sagen, schien offenbar überflüssig. Die jüdische Emigration in das faschistische Italien ist ein ausreichend paradoxes Phänomen, um die Aufmerksamkeit der Hörerschaft zu fesseln. Eingeweihten und Laien teilte Klaus Voigt mit, daß etwa 20 000 Juden aus den nationalsozialistischen Gebieten zwischen 1938 und 1945 nach Italien auswanderten. Die liberale Ausländergesetzgebung des faschistischen Regimes erleichterte ihnen die Einreise, und auch nach dem Erlaß der Rassengesetze 1938 war die Lage der Juden in Italien in vieler Hinsicht besser als in anderen europäischen Ländern. Die faschistischen Behörden erlaubten aus wirtschaftlichen Gründen die Transitbewegung über italienische Häfen; das Dekret vom 7. September 1938, das ausländischen Juden die Niederlassung in Italien untersagte, wurde von aus Berliner Zeitung vom 09.02.1999 Feuilleton Brösel des Glücks THEATER Von Aureliana Sorrento

Von ihrem Traum vom Glück sind diesen Menschen nur Brosamen geblieben. Menschen? Eigentlich hat Regisseur Jörg Giese einen Karren voller Fastnachtsgesichter auf die Studiobühne Mitte ausgekippt. Das Klischee klebt so üppig und fett an deren Haut, daß man lange schaben muß. Daran ist nicht nur der Regisseur schuld, das Stück "Hinter Mozambique" des Kanadiers George F. Walker ist aus dem Schmierstoff des Trivialkinos geleimt. Nur selten kommt das Menschliche ohne Schaden davon. Vorbildgemäß stakst der naziverdächtige verrückte Arzt Rocco (Sven Falkenrath) mit Leichen auf dem Buckel und irrem Blick daher. Ehefrau Olga (Christin Heinrichs) steigert sich mangels besserer Alternativen in literarische Welten und Grande-Dame- Attitüden hinein, träumt den Traum der "Drei Schwestern"-Olga von Moskau zu Ende. Gar eine Pornodiva (Jule Koch) tritt grätschbeinig auf, wippelt, stöckelt und seufzt sich einer Rita-Hayworth-Karriere entgegen - und das mitten im Dschungel, von Wilden umgeben und dumpfen Trommeln bedröhnt. TV- Satire beim Mummenschanz? Zerrbilder des Medienzeitalters? Meistens. Manchmal aber gelingt es den Schauspielern, den Figuren die dick aufgetragenen Konturen abzuschminken, und deren bescheidenes Geltungsbedürfnis scheint durch. Nächste Vorstellungen: 9., 20., 21. Februar, Studiobühne Mitte Berlin (BLN) Theater Theater-Rezension aus Berliner Zeitung vom 23.02.1999 Feuilleton Bekenntnis zum Dekorativen Robert Metzkes Ton-Skulpturen in der Galerie Berlin Von Aureliana Sorrento

Colombina lugt hinter dem Vorhang hervor und Gemälde. Eine schlichte Kunst, fern von macht erhobenen Hauptes einen Knicks. Harlekin tritt Theoriegebäuden, eine Kunst, welche die eselreitend mit vorgestrecktem Wanst und bedachter altbewährte Schönheit auf den Schild hebt, die sich Lässigkeit auf, grimassiert dabei so garstig, daß man manche wieder herbeiträumen. Galerie Berlin: ihn für eine chinesische Drachenmaske halten Robert Metzkes "Via del Corso", Friedrichstraße 231, könnte. Hingegen schmeicheln sich Colombina die bis 31.3. Di-Fr 11-18/Sa 11-14 Uhr. Berlin Zweite, Pulcinella und der Artist mit einer graziösen (BLN) Bundesrepublik Deutschland (BR) Kunst Schlagseite beim Publikum ein. Alles glatt Ausstellungs-Rezension theatralisch, wie es sich für das Personal der Commedia dell'arte gehört, alles komisch, alles traut. Auf den zweiten Blick erkennt man die Normwidrigkeit: Der Künstler hat seinen Stegreifartisten, die er in der Galerie Berlin über die Rampe schickt, klobige, massige Formen verliehen. Robert Metzkes formte seine kniehohen Standbilder aus zusammengefügten Tonplatten und Tonstangen. Auf diese Art kann man schwer Feinheiten ausarbeiten, vorausgesetzt, man möchte es überhaupt. Das ist gottlob nicht der Fall. Wären sie staubfrei poliert und detailgetreu modelliert, würden Metzkes' bemalte, braun- und blaustichige Terrakotten im Kitsch versinken. Das Schrundige, Ungeschliffene ist der Versuch, dem zu entgehen. Robert Metzkes ist kein Neuerer. Die Motive, die er dreidimensional verarbeitet, hat er mehrfach dem malerischen Repertoire seines Vaters Harald Metzkes entnommen. Metzkes-Senior ist dem Realismus treu geblieben. Auch Metzkes-Junior bemüht sich um dessen Bewahrung - mit kunsthandwerklichen Mitteln. Kein Generationenkonflikt zwischen den beiden - aber eine spürbare Distanz. Deutlich wird sie an ihren Janus-Darstellungen. Harald Metzkes hat einen Januskopf auf ockergelbem leeren Fond gemalt. Trotz seiner scheinbaren Abbildhaftigkeit läßt das Gemälde den Betrachtern Falltüren offen, wodurch sie zu einem verborgenen Hintersinn vordringen können (allerdings hat der Künstler jede Doppelbödigkeit seiner Arbeit immer bestritten). Vor der Janus-Tonfigur Robert Metzkes' stellt sich dagegen die klassische Frage auf: Was will der Künstler sagen? Robert Metzkes hat sich längst zum Dekorativen bekannt. Es dürfte ihn deshalb nicht stören, daß seine Plastiken das Gefällige nicht hinter sich lassen können. Immerhin: Seine bronzenen Frauengestalten, die jetzt ebenfalls in der Galerie Berlin stehen, besitzen jene Anmut, woran die an zuviel Konzeptkunst angetrockneten Augen sich laben können. Die bemalten Terrakotta-Büsten mit ihrem hellen Teint, ihren weinroten Lippen, koketten Gesten, regelmäßigen Zügen, locken einem beglückte Blicke ab, wie sie sonst schönen Frauen zuteil werden. Auf der Rauhschale des unglasierten Tons schimmern die erdigen und pastellenen Farben fleckend herauf wie in einem impressionistischen aus Berliner Zeitung vom 25.02.1999 BerlinBerlin Geistreiches Genre Eher für Erwachsene: Horror-Abende in der Schaubude Von Aureliana Sorrento

Eine Killerpflanze, ein schüchterner Züchter, etwas HipHop und Hardrock, reichlich Horror und etwas Hollywood-Parodie: Das Musical "Der kleine Horrorladen" des Puppentheaters Chemnitz ist heute der Auftakt zur Gastspielserie "Horrorscope", die bis Sonntag dauert. Im zweiten Gang bietet die Schaubude am Sonnabend eine ganz englische, ganz gruselige Spukgeschichte mit allen Attributen des Genres: Eine amerikanische, actionsüchtige Familie kämpft gegen Geister und Blutflecken und wird dabei noch reich. "Das Gespenst von Canterville", frei nach Oscar Wildes Erzählung, ist eine Koproduktion des Puppentheaters auf der Zitadelle mit dem Weiten Theater. Und zuletzt kommt am Sonntag "Der weiße Hammer": eine schaurige Groteske auf Fernsehkrimi-Klischees, in der lebensgroße Puppen ein turbulentes Verwirrspiel um Diebstahl und Totschlag, Agenten und geköpfte Hasen entfesseln. Vorstellungen jeweils um 20 Uhr, Einlaß ab 13 Jahren, Kartentel: 423 43 14. Berlin (BLN) Theater Theater-Rezension aus Berliner Zeitung vom 26.02.1999 Feuilleton Sicher exzentrisch, die Dame! LITERATUR Von Aureliana Sorrento

Mittwoch abend in der Schleiermacherstraße in Wort "Sperma" kommt ihr nicht so leicht über die Kreuzberg: Die Männer spielen Fußball, die Frauen Lippen. "Alfred ist der komplette Idiot", beschließt sie gehen in die Kirche. Punkt 20 Uhr sind die Bänke zuletzt. "Armer Alfred!" bedauert Baker, der sich voll, nicht jeden Mittwoch, nur jeden letzten im Monat. offenbar für das Männliche verantwortlich fühlt, und Dann trifft sich in der Passionskirche auf Einladung nippt an seinem Glas. Der Roman "Es gibt keine der Buchhandlung Chronika das "Lesbische Menschen im Paradies" von Mireille Best sei im Quartett": Manuela Kay, Journalistin, Laura Merrit, Grunde ganz schön, stimmen die Frauen überein. "Sexpertin", Jim Baker, Mann und Verleger, dazu ein Das Buch habe nur ein Manko: Keine Punkte. Gast. Diesmal ist es Sonja Schock vom Info-Radio. "Irgendwie experimentell", sagt Laura Merrit, man Man unterhält sich über lesbische Bücher, die aber könne es relativ gut lesen, würdigt Schock. Jim Baker nicht als lesbische Bücher, sondern einfach als hat Einwände, räumt aber ein, der Roman habe sehr Bücher gelesen werden sollen. Aus den schöne Bewegungen, dummerweise alle nach hinten. Lautsprechern tönen fröhliche Gesänge, weiblich und Im dritten Buch geht es um türkisch. Der Sohn des Herrn blickt schief aus einer Satellitenempfangsschüsseln, Haustiere und IKEA- Ikone. Als das Quartett am Tisch-Altar Platz nimmt, Möbel, das Protagonistinnenpaar ist seit sieben gibt es stürmischen Applaus. Manuela Kay - die als Jahren zusammen, und wir sehen sie nicht ein Moderatorin fungiert, sich aber unbedingt mit allem einziges Mal im Bett. "Das unsexuellste Buch seit identifizieren will - erinnert ihre begeisterten langem", urteilt Manuela Kay kategorisch, und über Zuhörerinnen an das erste Treffen des Lesbischen das vierte: Es sei nur als Türstopper gut. Jemand Quartetts: "Da ging ein Ruck durch die Republik." prustet. Dann holt Laura Merrit das Buch "Mir Heute findet das zweite Treffen statt, und es gibt ein erschien eine Frau" von Renèe Vivien hervor, die Hin-und-Her-Rücken auf den proppenvollen eigentlich nicht Renèe heißt, sondern irgend einen Kirchenbänken. Marcel Reich-Ranicki und das schrecklich bürgerlichen Vornamen trägt. Sehr gesamte Literarische Quartett dürfen ruhig grün und engagiert gibt die "Sexpertin" einige Passagen zum gelb werden vor Neid. Dennoch gibt es besten, in denen die "jungfräuliche Anmut barbarisch Probleme. Damit das dritte Treffen nach Plan geschlachtet wird" und verschiedene weibliche verlaufen kann, teilt die Moderatorin ihrem Verkörperungen der Jahreszeiten erscheinen. So aufmerksamen Publikum mit, soll man noch enger beweist sie, daß das Buch "unglaublich methaphorös zusammenrücken und die als Gast geladene Claudia ausgestattet" ist. Frau Kay schürzt die Lippen und Gehrke die geballte moralische Unterstützung der behauptet, die Autorin habe den ersten Lesbenroman Berliner Lesben spüren lassen. Die Verlegerin nach zweieinhalb Jahrtausenden geschrieben. Und Gehrke habe einen Pornographie-Prozeß am Hals, das ist doch eine Leistung - auch wenn wir das Buch weil man in einem von ihr verlegten Buch eine Möse nicht so lesbisch lesen sollen. Berlin (BLN) entdeckt habe. Um die Solidarität anzufachen, hat Literatur Bericht Rezension Laura Merrit eine Riesenstoffmöse aus ihrem Sexshop mitgebracht, die den erwünschten Beifall erntet. Dann geht es zur Sache. Sonja Schock führt "Zwei Frauen" von Harry Mulisch ein, der als Mann über gleichgeschlechtliche Beziehungen von Frauen geschrieben hat. Das sei nicht weiter störend, sagt Laura Merrit, die eine rote Lederjacke trägt und nach eigener Aussage lange rote Stiefel ganz lecker findet. Wenn ein nicht-schwuler Autor auf schwul mache, finde sie das auch ganz toll. Jim Baker, dem Mann, fehlt im Buch das lesbische Bewußtsein. Manuela Kay lobt, daß die zwei Frauen, um die es schon im Titel geht, gleich im Bett landen und ihnen drei Monate Pizza-Essen und Teetrinken erspart bleiben. Außerdem sei das Buch ein Krimi, und man würde es nicht einmal merken. Erst am Ende werde die Heldin von einem Mann namens Alfred erschossen, weil sie ihrer Geliebten ein Kind schenken wolle und dafür Alfreds Sperma brauche. An dieser Stelle verhaspelt sich die Moderatorin, das aus Berliner Zeitung vom 30.04.1999 Magazin Auf dem Ozeandampfer geboren Alessandro Bariccos melodischer Roman Von Aureliana Sorrento

Die Frage bewegt Alessandro Baricco seit hinterlassen, wird er dort von einem farbigen Jahren: "Wer weiß, ab wann eine Jacke tadellos Maschinisten gefunden, der ihn großzieht und stirbt, paßt, wer weiß, was ausschlaggebend dafür ist, als Novecento acht Jahre alt ist. Eines Tages kann wann ein Bild nicht mehr kann und herunterfällt oder Novecento Klavier spielen, was natürlich aus wann ein seit Jahren regloser Stein sich eine Spur heiterem Himmel eintritt wie alles andere in seinem dreht." Er hat sie in seinem ersten Roman, "Castelli Leben. Fortan spielt er bis zu seinem Lebensende di rabbia", formuliert, der in Italien 1991 erschienen eine Musik, die keine Partitur braucht und niemand je ist. In Deutschland ist der Roman allerdings erst im gehört hat: die Musik des Ozeans. Eine Musik, die letzten Jahr herausgekommen, mit dem Titel "Land Toni Morrisons Jazz in der Fifth Avenue seltsam aus Glas". Seither wirft der Schriftsteller die Frage in ähnlich klingt. "Wir spielten", sagt der fiktive Erzähler, jedem neuen Roman wieder auf, man merkt es nur dem Baricco die Geschichte seines Helden in den nicht. Denn Baricco tut es nur so nebenbei, als Mund gelegt hat, "weil der Ozean groß ist und angst handle es sich um Seifenblasen, die er zwischen die macht, wir spielten, damit die Leute (...) vergaßen, Zeilen pustet. Sie fesseln ihn und den Leser wo sie waren und wer sie waren. Wir spielten, damit sekundenlang, um gleich zu platzen. Denn prompt sie tanzten, denn wenn du tanzt, kannst du nicht kommt ein Satz, wie: "Jedenfalls saß sie tadellos", sterben, und du fühlst dich göttlich." Der Zufall in daran gibt es nichts zu zweifeln, und das Leben geht der Geometrie So, im Tanzrhythmus, schwingt weiter. Es war nur ein Spuk. Die entscheidenden sich Bariccos Prosa von einem Takt zum anderen, Momente In der jüngsten Erzählung von Baricco, von einem Wellenkamm zum anderen, und lullt den "Novecento", ist die Frage aber strategisch in der Leser in seine Märchenwelt ein, die nach Salz riecht, Mitte des Büchleins plaziert und nimmt die die nach Jazz klingt und nach einer sonderbar ansehnliche Länge von eineinhalb Seiten ein. Noch heimeligen Unendlichkeit schmeckt. Man liest und es einmal findet sich hier die Metapher von den Bildern, ist, als ob man in Wirklichkeit tanzt, und man fühlt die herunterfallen, plötzlich, ohne Warnung, niemand sich göttlich. Man liest bis zum Ende, man schaut zu, weiß warum. Es sind die Momente, in denen das wie sich der Held aus einem zur Notwendigkeit Leben einen Knacks macht und sich für etwas gewordenen Zufall in die Luft jagt, man schaukelt entscheidet. Ganz alltägliche, ganz gewöhnliche sich weiter in den melancholischen Schwingungen Momente, in der Regel nimmt man sie gar nicht wahr. dieser Prosa, man bekommt feuchte Augen und Botho Strauß hat sie in mancher Erzählung mit dem übersieht dabei die Hauptsache: Da ist eine Vita aus Sezierbesteck auseinandergenommen. Baricco liest Zufälligkeiten entstanden, die aber keine Brüche im sie auf und baut drumherum märchenhafte Ganzen bewirken. Tragisch, aber unabdingbar. Luftschlösser. In "Novecento" steigt eines Tages Da hat jemand den Zufall in die Geometrie gejagt. der Held aus seinem Bett und entscheidet, den Passiert das eigentlich nicht jeden Tag und jedem? Ozeandampfer, auf dem er geboren ist und sein Alessandro Baricco: Novecento. Die Legende vom ganzes bisheriges Leben verbracht hat, für immer zu Ozeanpianisten. Aus dem Italienischen von Karin verlassen. So, plötzlich, ohne Vorwarnung, ohne Krieger. Piper Verlag, München 1999, 80 S., 24 ersichtlichen Grund. Ebenso unmotiviert bleibt er Mark. Italien (I) Literatur Buch- dann auf der dritten Stufe der Gangway stehen, Rezension verweilt einen Augenblick und kehrt an Bord zurück. So, plötzlich, niemand weiß warum. Das Leben geht weiter, es war nur ein Spuk. Das Leben, durch das Bariccos Held geht, ist ein höchst phantastisches Gefilde. Sein Name schon klingt wie die Lautung aller erfindlichen Unwahrscheinlichkeiten: Danny Boodmann T.D. Lemon Novecento - und wie ein Anagramm für jazzliebende Musikwissenschaftler. Danny Boodmann T.D. Lemon Novecento hat aber gar keine Ahnung von Jazz. Wenn er Jazz auf seinem Klavier spielt, ist das nur Zufall, ein von der auktorialen Schaltstelle bestimmter Zufall. Aus solchen Zufällen hat Baricco seine Geschichte wie ein perfekt symmetrisches Spinnennetz gewoben. Novecento kommt auf dem Ozeandampfer zur Welt, wo sich seine ganze Existenz abspielen wird. In einer Zitronenkiste mutmaßlich von armen Emigranten aus Berliner Zeitung vom 19.05.1999 Feuilleton Das winzige Fünkchen Zufall "Das Versprechen der Fotografie" - In Hannover erscheint sie als das kritische Medium schlechthin

Von Aureliana Sorrento

Fotografieren heißt die Zeit anhalten. Der Fluß bringt die Logik aus dem Lot. Epidermische des Lebens wird unterbrochen, die Vergänglichkeit Spannung erzeugen Marie-Jo Lafontaines rätselhafte ausgetrickst. Nan Goldin zum Beispiel: Nach Girlie-Porträts. Die drei Konterfeis scheinen aus dem eigenem Bekunden lichtet sie wie besessen ihre weißen Hintergrund regelrecht herauszuspringen. Freunde ab, um deren Nähe über den Tod hinaus zu Das beunruhigt, zumal es im Widerspruch zu der spüren. Ebenso fotografisch erhaltenswert ist Beat statischen Haltung der Dargestellten steht. In Streuli alles Beiläufige. Er friert den Schritt des welchem Maß heutige Fotografen sich Stilmittel und Passanten ein oder den Rückstoß des Arms beim Maschen anderer Medien angeeignet haben, läßt Ausschreiten. Walter Benjamin nannte es das sich an den Filmstills von Philip-Lorca diCorcia oder "winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, mit dem die Katharina Sieverdings gigantischen Pixel-Bildern Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt beobachten. Ihre Schädel-Darstellungen verweisen hat". Unter dem Titel "Das Versprechen der auf die Tradition der Vanitasbilder, geben sich Fotografie" präsentiert die Kestner Gesellschaft in zugleich aber sofort als computergeneriert zu Hannover eine Auswahl der fotografischen Schätze erkennen: Vergänglichkeitssymbole im PC-Zeitalter. der DG Bank. Aus 3 000 Werken von 300 Künstlern Vor diesem Hintergrund erhält die wurden 59 "Positionen" ausgewählt. Daß Auseinandersetzung der Fotografie mit der Malerei - Fotokünstler bereits alle Bereiche künstlerischer in der Ausstellung treiben vor allem Louise Lawler, Darstellung und Reflexion besetzt haben, ist keine Thomas Struth, Anton Henning und Thomas Demand neue Erkenntnis, wird in der Ausstellung durch ihre dieses Thema voran - einen zusätzlichen Sinn: Fülle besonders sinnfällig. Fotografie als Kunst Zwischen den traditionellen und neuen Medien betont das Künstliche und vermißt den Raum des erscheint die Fotografie als das kritische Medium Psychischen. Sie konstruiert rätselhafte Bildwelten, schlechthin, das rückschauend überprüft und steigert sich ins Metaphysische und sucht das zugleich den Blick nach vorne richtet. Rollenspiel. Selbst die dokumentarisch angelegten Bundesrepublik Deutschland (BR) Kunst Fotografien Nan Goldins verbergen nicht die Ausstellungs-Rezension Teil Inszenierungslust, die scheinbare Schnappschüsse zu sonderbaren und wohldurchdachten Tableaus macht. Auch Jürgen Klauke leiht sich für seine Travestie-Exerzitien die Kulisse für die Selbstdarstellung vom Theater. Die Ausstellung schafft einen Kontext, in dem Verbindungen so sehr auffallen wie abseitige, individuelle Positionen. Ganz aus der Reihe fällt Bill Henson. In großformatigen Bildern belebt der australische Künstler die Tradition der romantischen Landschaftsmalerei. Neblige Himmelsansichten erinnern an Caspar David Friedrich. Anna und Bernhard Blume konstruieren ihre Visionen: Weiß-gleißende Polyeder versetzen die Bewohner dämmriger Wohnräume in Panik. Mit Kniffen aus der Zeichentricksprache versinnbildlichen die Blumes Schrekken und Entsetzen vor dem Übersinnlichen. Ähnlich paradox mutet das Fotogramm "Der Tanz" von Floris M. Neusüss an, ein Frühwerk von 1965. Blendendweiße Silhouetten bewegen sich auf mattem Grund. Sie entstanden, indem sich die Modelle zur Belichtung auf die Folie legten; kein Abbild, nur der Abdruck der Körper ist geblieben - gesichtslose Urformen aus Licht bestehen, die eine schwerelose Existenz jenseits des Körpers verkünden. Technische Finessen setzt dagegen John Hilliard ein, um Störungen der Wahrnehmung zu erzeugen. Er montiert verschiedene Bildebenen und stellt sie jeweils anderen Ereignissen gegenüber. Gleichzeitigkeit aus Berliner Zeitung vom 08.07.1999 Feuilleton So herrlich, so böse! Vom Überlebenskampf wird auf Rattisch gesprochen: Die 5. Autorentheatertage in Hannover

Von Aureliana Sorrento

Es gibt diese herrlichen Momente bei den verleihen ihr offenbar Flügel. Michael Talke steckte Autorentheatertagen in Hannover, da schwebt jenes Verena Reichhardt, Angela Müthel und Luise Sievers Böse in der Luft, das der Juror Ralph Hammerthaler zuerst in prallwanstige und geschlechtsbetonte beschworen hat. "Bitte das Böse! Bitte das Rohe, das Vermummungen, worin sie wie weißgekalkte Obsessive, die subversive Arroganz!" hatte er in die Kartoffelsäcke aussehen, dann in eine Mülltonne. Der deutschsprechende Welt hinausgeschrieben und sich Autor fühlte sich mißverstanden, die 160 Stücke von Möchte-Gern-Dramatikern Schauspieldamen dagegen nahmen die komische eingehandelt. Der Schon-Dramatiker Moritz Rinke Anmutung ganz ernst an. Quengelnd, seufzend, schrieb in der Theaterzeitung des Schauspiels schniefend und keifend schafften sie es, den Hannover, er hätte im Theater lieber die Sehnsucht, "FrauInnen" so etwas wie Charakter zu geben, einen an etwas zu glauben, vielleicht sogar an Menschen. zum Bersten drolligen. So kommt bei diesen fünften Am ersten Tag des Dramatiker-Festivals wird Autorentheatertagen schnell der Verdacht herauf, "Atlantis" von Dominik Finkelde vorgelesen, einem das Theater könne aus jedem noch so klapprigen der fünf approbierten Autoren. Im Stück gibt es ein Textanstoß ein Spektakel ziehen. Zwischen die Häufchen Gestrandeter auf einer komödiantischen Glanzparaden wurde "23.28. Ein Autobahnverkehrsinsel und all das zeitgemäße Böse: dramatischer Tango" von Anna Momber eingespielt. Bürgerkrieg, Ausländerfeindlichkeit, Bomben, die Ein Stück, das eine Figur umschwärmt, ohne sie je soviel bedeuten, "daß irgendwo irgendwer verdammt zu greifen. Um die monologisierende Protagonistin, beschissen dran ist", eine Gesellschaft, die Gott und Marie Leuner, schwirren Geister und Fragen. Warum die Reinheit verloren hat und alle ohne einen Mucks hat sie einen Killer beauftragt, ihren Vater zu töten? krepieren läßt. Irgendwann hat das ganze Personal Warum hat sie ihre Schwester die Treppe eine Knarre in der Hand, und am Schluß kann der hinuntergestürzt? Um das Geld, um ans Erbe zu Sturm nicht fehlen. Einschlafen oder protestieren? kommen, oder war es ein Aufbäumen à la Die Zuhörerschaft, vornehmlich Dramaturgen, Raskolnikow? Caroline Nagel spielt Marie als höhere schweigt sich eine lange Minute aus, entscheidet sich Tochter im selbstgewählten Salonexil, dann für den taktvollen Protest. Am Ende bleibt fingerschleckend und stöckelnd, als wäre sie gerade Finkelde bloß die bange Hoffnung, Regisseur in die Pumps der Mutter geschlüpft. Sonst eine Upper Wickerts Schaf möge doch noch abhelfen. Das -class-Diva, in deren Gesten und Blicken der Schaf, das Hartmut Wickert als Sound-Beilage aus Wahnsinn knistert, manchmal Verzweiflung. Die dem Bühnenuntergrund einsetzt, kann nicht viel Regie von Volker Schmalöer bringt leider keine anstellen, und es ist auch nicht nötig. In der langen weiterführenden Aufschlüsse über das viele, das Nacht der Autoren, als die ausgewählten Stücke dem zwischen den Zeilen wabert. An "Rattenfaß" von Publikum vorgestellt werden, inszeniert Wickert das Markus Veith und "Gnadenlos" von Melanie Alltäglich-Absurde. Seine "Atlantis" ist eine Gieschen haben sich die Theatermacher gar nicht Autobahnabteilung der allgegenwärtigen Klapsmühle, erst herangewagt. Sie wurden nur in szenischen in der sieben der Contenance verlustige Städter sich Lesungen präsentiert. Zu kompliziert, sprachlich zu schizophrene Gedankenfetzen entgegenschleudern. schwierig, hieß es in der Dramaturgie, in zwei Da aber die Regie das Gesellschaftsgewäsch des Wochen hätte man es nicht bewältigen können. Denn Textes nicht ganz umgehen kann, läßt Wickert die "Gnadenlos", ein Volksstück, ist auf Hessisch Schauspieler so pathetisch in die vollen gehen, so geschrieben; "Rattenfaß" auf Rattisch, eine plastisch als Freiheitsstatuen auf dem Podium von wunderbar knackende und knarzende, eigens Monika Rupprecht paradieren, daß man ihnen eher erfundene Rattensprache. Thema: Überlebenskampf. das Ablachen als den Ernst abnimmt. Das Drama ist Menschen wie Ratten zerfleischen sich gegenseitig reichlich gekürzt worden und endet bald im auf Teufel komm raus. Und doch geht jene ekstatischen Latinotanz. Überhaupt scheinen die Sehnsucht, die sich Moritz Rinke herbeiwünschte, die Kürzungen den Werken zuträglich. In ganzer Länge Sehnsucht, noch an etwas zu glauben, Menschen würde man die fäkalen Ausführungen von Jeff Tapias oder Ratten, im Gemetzel dieser Stücke nicht unter. "FrauInnen" schwer ertragen. Hier haben Fotzen, Bundesrepublik Deutschland (BR) Theater Ärsche, Psoriasis, abnehmbare Busen, Blow-jobs Theater-Rezension Rezension und Stuhlgänge als Gesprächsthemen zweier stocknormalen Frauen, die sich um den Zustand der Gesellschaft Gedanken machen, Hochkonjunktur. Groteske? Klamotte? Zu Recht wird das Ende von der Regie ausgeschlagen. Mängel der Texte aus Berliner Zeitung vom 18.11.1999 Feuilleton Der Widerstand des Einzelnen Sofris "Nahaufnahmen", im Italienischen Kulturinstitut in Berlin vorgelesen Von Aureliana Sorrento

Ein Anflug von Trauer lag auf den Gesichtern allemal. Italien (I) Berlin (BLN) Staat der Gäste. Adriano Sofri konnte nicht kommen. Eine Bericht Rezension wichtige Verhandlung des neu aufgerollten Prozesses gegen ihn finde in diesen Tagen statt, erklärte Sofris Übersetzer Walter Kögler dessen Abwesenheit. Das Gericht habe endlich entlastende Beweismittel anerkannt. Nach den bisherigen Verfahren gegen Sofri, deren Ablauf den Begriff "Rechtsstaat" verhöhnten und die trotz mangelnder Beweise 1997 zur rechtskräftigen Verurteilung wegen Anstiftung zum Mord zu 22 Jahren Gefängnis führten, kann man nun auf den achten Prozess gespannt sein. Sofri - ein Märtyrer der 68er-Bewegung? Ein Opfer politischer Machenschaften? Der Sündenbock einer ganzen Generation? Um diese Fragen ging es nicht am Dienstag im Italienischen Kulturinstitut. Die vierzehn Übersetzer, die für das Buch "Nahaufnahmen" verstreute Texte von Adriano Sofri zusammengelegt und übersetzt haben, wollten mit dem Band den Journalisten und Schriftsteller Sofri dem deutschen Publikum präsentieren. Ein Solidaritätsakt, der dem Intellektuellen galt. Nur dass der Mann der Feder im Fall Sofri - wie bei so vielen italienischen Autoren - vom homo politicus schwer zu trennen ist. Die Übersetzer enthielten sich des Kommentars und lasen aus ihrer Anthologie Texte, die den Kommentar nicht brauchen. "Genosse Hiob" zum Beispiel: Da ist der kritische Altlinke Sofri, der über die Wege der inneren Sammlung Gramscis im faschistischen Kerker reflektiert, darüber, wie diese den kommunistischen Leader allmählich von der offiziellen Parteilinie wegführten. Aber zwischen der Theorie, der Formel der "passiven Revolution", und dem existenziell bedingten "Sich-in-Geduld-üben" des Gefangenen Gramsci, ist es vor allem das letztere, worauf Sofri das Augenmerk lenkt. Der Blick aufs Menschliche, die mitfühlende Achtsamkeit für das, was sich hinter den öffentlichen, der Druckschwärze oder dem physischen Anschein anvertrauten Äußerungen von Politikern, Schriftstellern, aber auch Kriegsopfern und Mithäftlingen verbirgt, hält die Grundnote im disparaten Assortiment von "Nahaufnahmen". Nahaufnahmen - doch nicht allzu nah: Sofri übertritt nie die Schwelle zum Voyeuristischen. Seine Reportagen aus dem kriegsversehrten Sarajevo von 1994 - sowie sein Film "Der Frühling von Sarajevo", der nach der Lesung gezeigt wurde - zeichnen keine Blutwunden, sondern Seelenwunden auf. Was er sucht, ist immer der innere Widerstand des Einzelnen gegen jedwede Verletzung der Menschenwürde. Damit schließt sich ein Lebensbogen. Da musste niemand mehr etwas hinzu sagen. Denn, wenn das keine "passive Revolution" ist, stiller Protest ist es aus Berliner Zeitung vom 21.12.1999 Feuilleton Auftritt der Luftmenschen Literaturwerkstatt Berlin: "Europa erzählt"

Von Aureliana Sorrento

Wenn Dichter und Literaturwissenschaftler Wenn das nicht Heimat ist, jenseits aller ungefähren zusammentreffen, lächeln die Dichter gütig, geben Sprachräume. Berlin (BLN) Bundesrepublik dem Gegenüber die Hand, erkundigen sich nach Deutschland (BR) Europa (EU) Literatur dessen Befinden und merken etwas über ihre Tagungsbericht, Anreise an. Die Literaturwissenschaftler schütteln kurz die Hände, setzen ein Dauerfrostlächeln auf und mit der Erörterung der Frage ein, ob die kategoriale Bestimmtheit der topographischen und zeitgeschichtlichen Paradigmen angesichts des sich veränderten Weltzusammenhangs in der Struktur des Versmaßes zeitgenössischer Dichtung eine Verschiebung erfahren habe. So ist es nicht immer, aber oft. Am Donnerstag hatte die Berliner Literaturwerkstatt zum Abschluss ihrer Reihe "Europa erzählt - Sprachraum und Sprachräume" eingeladen. Deren Idee war, Erzählformen an Sprachräumen festzumachen, aus der sprachlichen Orientierung der Autoren spezifische Erzählmuster abzuleiten. Die Frage war, knapp gesagt, was den Schweizer Peter Bichsel mit dem Schweden Per Olov Enquist, Jurij Brezan aus der Oberlausitz mit dem Slowenen Jani Virk verbindet. Zur Beantwortung kamen im Laufe des Jahres 65 Autoren aus aller europäischen Herren Ländern nach Berlin. Anette Selg, für den Sprachraum "Germania" zuständig, berichtete, dass vielen Autoren das Thema zu abstrakt erschienen sei. "Laden Sie doch Literaturwissenschaftler ein!" hätten einige gesagt. Als ginge es darum, das Konzept nun ad absurdum zu führen, hielt Gert Mattenklott einen Vortrag über literarische "Luftmenschen": schreibende Migranten, in einer Muttersprache aufgewachsen, von der sie sich mit dem Verlassen des ursprünglichen Wohnsitzes ablösen, Heimat- und Ortlosen der Feder. "Der Weltbürger", stellte er fest, "hat weder in der realen Topografie, noch in einer irgendwo verwirklichten Gesellschaft eine Heimat." Brian Poole konnte so etwas wie einen fixen Sprachraum der Erzähler in "Slawia" ausfindig machen: allerdings nicht sprachlich, sondern in der gemeinsamen sowjetischen Erfahrung, die auch ästhetisch prägend gewesen sei. Ein Schimmer von dem Vertrauen, das russische Autoren noch immer in die subversive Macht der Sprache setzen, leuchtete bei den kurzen Lesungen der eingeladenen Schriftsteller auf. Jurij Mamleev las "Der Selbstmörder". Dessen Protagonist stammt aus jenem Schlag gemeiner Pechvögel, mit denen uns die russische Literatur seit Jahrhunderten reichlich beschert. Und als Dmitrij Prigow mit flitzendem Schlitzäuglein und sich überschlagender Stimme, im Tempo eines Maschinengewehrs, das aber über alle Höhen und Tiefen verfügt, aus seiner "Beschreibung der Gegenstände" "Das Ei" las, fragte man sich, ob Majakowskij seine "Sendschreiben an die proletarischen Dichter" ähnlich vorgetragen habe. aus Berliner Zeitung vom 14.02.2000 Feuilleton Die Welt muss entziffert werden "Kosmopolentum" im Literarischen Colloquium Von Aureliana Sorrento

Keine Ortsnamen. Überhaupt keine Namen, es grundsätzlichen Bedingungen des Lebens: "Die sei denn solche, die jeder kennt. Das Romanpersonal Blätter sind in meiner Heimat größer/ und ein von Krzysztof Niewrzedas "Die Suche nach dem bunterer Schmetterling flattert über die Wiese/.... nur Ganzen" heißt ich, er, sie, die Frau, das Kind, der die Erde bleibt wie immer und schweigt überall". Nachbar, der Taxifahrer. Über seine Geschöpfe hat Manchmal zückt sie doch das politische Stilett: der Autor den Fluch der Unpersönlichkeit gelegt, um "Zuerst fliegen die Minderheiten weg./ Dann beginnt sie mit dem Siegel des Allgemeinmenschlichen die Intelligenz zu flattern./ Schließlich bricht das Volk auszustatten. Krzysztof Niewrzeda lebt seit 1989 zum Flug auf. / Als letztes erwacht die Regierung. / In in Deutschland. Die Erfahrung der Fremdheit habe er der Regel erst nach dem Erdbeben." In der Tat verwunden. Jetzt gehe es ihm um die Menschen, um sind nicht alle Kosmopolen ganz aus eigenem Empfindungen und Schicksalschläge. In "Die Suche Antrieb ausgewandert. Bronislaw Swiderski, der aus nach dem Ganzen" ist der Protagonist ein Ausländer: seinem Roman "Worte des Fremden" lesen wird, Als er dank Job und Wohlstand zeigen kann, "wer auf musste 1968 die Warschauer Universität verlassen. wessen Kosten lebt", kann er sich eine gewisse Er lehrt seit Jahren am Kierkegaard-Zentrum in Genugtuung nicht verkneifen. Elf Autoren Dänemark Philosophie. Sein Roman nimmt das Krzysztof Niewrzeda ist einer von den elf polnischen Asylrecht aufs Korn. An dessen Tücken reibt sich Autoren, die das Literarische Colloquium zu einer jedoch ein Außerirdischer ab, nicht der in der Lesereihe eingeladen hat. Bis Juni werden sie dem Geschichte aufkreuzende, aus Polen emigrierte deutschen Publikum eine polnische Literatur Professor. Krzysztof Rutkowski und Bronislaw präsentieren, die von Polen aus gesehen im Ausland Swiderski lesen im Literarischen Colloquium in Berlin entstanden ist und sich unter den Begriff -Wannsee: am Dienstag (15.2) um 20 Uhr. "Kosmopolentum" subsumieren lässt. Diese Berlin (BLN) Polen (PL) Literatur Rezension Wortschöpfung, erklärte die Moderatorin Dorota Danielewicz bei der Lesung am vergangenen Dienstag, sei auf den Schriftsteller Andrzej Bobkowski zurückzuführen, der sie für Joseph Conrad kreierte. Gemeint ist damit das Lebensgefühl polnischer Schriftsteller, welche aus freien Stücken, nicht aus Not oder Zwang, ihr Land verlassen haben. Der Verlust der Heimat spiele in ihrer literarischen Produktion gar keine oder eine sehr geringe Rolle. Vielmehr träten bei ihnen die Suche nach neuen Perspektiven, Lust und Neugier vor. Dieser Definition gemäß findet man das Credo des "Kosmopolentums" auf Seite 181 der "Notizen am Ende des Jahrhunderts" von Krzysztof Rutkowski: "Die Welt ruft auf, gelesen zu werden. Die Welt begeistert. Die Welt muss entziffert werden, sie muss mühsam, langsam und aufmerksam, Buchstabe für Buchstabe, erkannt werden ..." Die Welt Rutkowskis ist vor allem Paris. In dieser Stadt, seit 1985 Rutkowskis Wahlheimat, hat der Schriftsteller seinem Entzifferungsdrang die Zügel schießen lassen. Das Resultat sind bestrickende essayistische Stücke, die zwischen dem Pariser Schlamm des 18. Jahrhunderts und den Sonnencremes des zwanzigsten durch mehrere Jahrhunderte europäischer Kultur umherschweifen. Am Dienstag wird Krzysztof Rutkowski lesen. Auslegungssache Schon die erste Lesung zeigte, dass der Begriff Kosmopolentum durchaus verschiedene Auslegungen verträgt. Im Fall der Lyrikerin Alicja Rybalko, die vor einem Jahr "aus persönlichen Gründen" von Wilna/Vilnius nach Münster zog, bedeutet er die Einsicht in die aus Berliner Zeitung vom 08.03.2000 Blickpunkt Eine Tagung bei Kafka Vom Popliteraten zum Schriftsteller: Wie der Berliner Jochen Schmidt von der Kellerbühne in die Literatur aufstieg

Von Aureliana Sorrento

BERLIN, im März. Geboren wurde er am 9. auftauchte und von seiner Tochter sprach. Jochen November 1970, einem vergleichsweise ruhigen 9. Schmidt redet gern, aber leise. Besonders, wenn es November. Die Jüdische Gemeinde gedachte der um ihn herum laut ist. Vielleicht deshalb, weil ihm das Opfer der Pogromnacht mit einer Kranzniederlegung Forte nicht liegt, rückt er das Mikro so nah an den auf dem Friedhof Weißensee, und im Mund, wenn er vor Publikum liest. Seit Friedrichshainer Krankenhaus gab es einen September gehört Schmidt zur "Chaussee der Stromausfall. Als Frau Schmidt, die im Kreißsaal Enthusiasten", einer Gruppe von vier Ostberliner ohnmächtig geworden war, wieder zu Bewusstsein Kellerbühnenautoren, die sich in einem Anfall von kam, hörte sie die Krankenschwestern merkwürdig Selbstironie zu den "Schönsten Schriftstellern flüstern. Das Geflüster ließ in ihr Zweifel aufkommen: Berlins" ernannt haben. Sie schreiben War das Baby, das ihr in die Arme gelegt wurde, Alltagsgeschichten, meist ohne Anspruch, manchmal wirklich ihr Spross? Hatten die Schwestern nicht im mit Sprachwitz, auf jeden Fall auf Pointen bedacht. Dunkeln die Neugeborenen vertauscht? Dessen Jeden Donnerstag lesen sie im Keller der "tagung", ungeachtet nahm sie den Säugling mit nach Hause in einer Kneipe in Friedrichshain, von deren Wänden die Samariterstraße, und mit der Zeit mehrten sich herab Lenin über Sauf- und Plauschstündchen die sonderbaren Zeichen: Jochen Schmidt wurde als wacht. An einem Gartentisch, zwischen Mauer und Einziger in der Familie blond und fußballbegeistert. Zuschauerbänken gequetscht, sitzen die Heiner Müller bei Biolek Die erste Eigenschaft Schriftsteller, singen gelegentlich ein Lied und gereichte ihm naturgemäß nie zum Nachteil. Doch wechseln sich beim Lesen ab. Wenn Jochen die Fußballbegeisterung hatte es in sich: Als bei der Schmidt an die Reihe kommt, stellt er sich Weltmeisterschaft 1998 Deutschland gegen Kroatien stockgerade vor das Mikrofon, zieht aus einer 3:0 verlor, bekam Jochen Schmidt am nächsten Tag zerfledderten Kladde ein paar Blätter heraus, die eine Gesichtslähmung. Oder war der Roman schuld, rechte Hand in der Hosentasche, und liest. Keine an dem er zu der Zeit zehn Stunden täglich Mätzchen, er liest einfach, Texte wie: "Auch in arbeitete? Die Ärzte konnten die Frage nicht meiner Familie gehörte Angst zum täglichen Brot, beantworten, und Schmidt verpasste das Finale allerdings nicht vor der Stasi. Meine Eltern tablettenbeduselt im Krankenhausbett. Der behaupteten sogar, dass ihnen das Wort Stasi Roman ist immer noch Manuskript, aber Jochen unbekannt war, sie hätten nur Staatssicherheit Schmidt schon wer in Berliner Literaturkreisen. Und gesagt." Er selbst hätte Angst vor viel realeren zwar bei den Vertretern der ernst gemeinten Literatur Sachen gehabt: der Balkonbrüstung, dem und in der popkünstlerischen Szene zugleich. Gipsboden, der Bücherwand, die allesamt Letztere wird von Schmidt mit wöchentlichen herunterzukrachen drohten. Vor der Zentralheizung, Lesungen in einer Friedrichshainer Kneipe bedacht. die sich mal als Zimmerspringbrunnen aufgeführt Den Ersten ist er ein Name, seit er beim Open-Mike- hatte, und selbstverständlich auch vor der Wettbewerb der Literaturwerkstatt Pankow Atombombe der Amerikaner. Jeder, der jetzt lacht, ausgezeichnet wurde. Bisweilen kann man kennt das. Jeder war 18, 19 oder 20, als die DDR Schmidt in einem jener Cafés am Prenzlauer Berg zusammenbrach. Nun ist sie wieder da. Fragt treffen, wo schon nachmittags die Rauchschwaden man Schmidt, ob Ostalgie in seine Lesestücke von einer Wand zur anderen fluten und die Gäste hineinspiele, lacht er. Dann platzt es aus ihm heraus: gelegentlich den Kopf von dem Buch heben, in dem "Mein Gott, der Osten! Manchmal wacht man auf und sie versunken sind, um in den Nebel zu stieren. "Hast denkt: Ein Glück, dass es ihn nicht mehr gibt. Dort du mal was zum Schreiben?", wird man an solchen wäre alles unmöglich gewesen. In einer Kneipe Orten häufig gefragt. Da vermutet man gleich den lesen. Das wäre ü-ber-haupt nicht mö-glich. Aber es nächsten Großstadtpoeten, aber möglicherweise will war meine Kindheit, der Osten." Von seiner Kindheit sich der Fragende nur etwas aus dem Tipp kann Schmidt stundenlang erzählen. Dabei weicht abschreiben. Jochen Schmidt macht die Vorstellung sein Blick stets zur Seite. Als er sieben war, zog von oben genannter Spezies zunichte: "Ich könnte die Familie Schmidt von einem Altbau in der nicht einmal ein Wort an einem öffentlichen Ort Samariterstraße nach Buch. Die Samariterstraße war aufschreiben", sagt er. Dann redet er von New für den kleinen Schmidt ein Abenteuerspielplatz. Da York, wohin er gerne wieder fliegen würde, und gab es die Nachbarin, die kein Klo hatte und ihren natürlich über Literatur. Darüber, dass er wie Kafka, Pisspott in der Regenrinne leerte; andere warfen Beckett oder Heiner Müller hätte schreiben wollen, Schnapsflaschen und Blumentöpfe aus dem Fenster; was ihm bisher nicht gelungen sei. Vom Schock, den eine Verwirrte schrie immerzu "Ulbricht ist ein er erlitten habe, als Müller plötzlich bei Biolek Schwein! Der hat die Russen verraten!". Berlin-Buch dagegen war ein Spießernest und die Plattenbauten habe er später verstanden. Da wechselte er von der alle so gleich, dass er erst mal lernen musste, sein Armee zum Zivildienst, vom Mathematik- zum Haus zu erkennen. Im Grunde sei es dann keine Romanistik-Studium. West-Berlin war ihm zu kalt, glückliche Kindheit gewesen In der Heinrich- hässlich, verwirrend, er fuhr selten "nach drüben". Hertz-Schule, die er ab der 9. Klasse besuchte, Die ersten West-Erfahrungen machte er in Brest, wo wurden die künftigen Ingenieure des Staates von er sich die Möwen anguckte, in Spanien, und in Rom, Kindesbeinen an gedrillt. Er hat noch die Lehrerin wo er Italienisch lernte und sich mit einer klar vor Augen, die ihm die Schulzeit zur Hölle putzbesessenen Mitbewohnerin arrangieren musste. machte, weil sie seinen Wuschelkopf in einen 1997 flog er nach New York. Er wollte den Slang von sonderbaren Zusammenhang mit Obdachlosen lernen. Suchte Warhols "Factory" und konterrevolutionären Umtrieben brachte. erfuhr, dass sie längst abgerissen war. Schluckte Schade, denkt Schmidt heute, dass man nach Aspirin, weil es zu warm und zu laut war und er nicht Brussig nicht mehr über die eigene DDR-Kindheit schlafen konnte. Trotzdem: New York - sein Traum. schreiben kann. "Das ist mein persönlicher Quatsch, Anschließend schrieb er seinen Roman. Im dass ich in der Vergangenheit lebe. Vielleicht Roman hat Schmidt seine Auslandsaufenthalte und schreibe ich nur, damit ich meine Kinder später nicht seine missglückten Liebesbeziehungen damit nerve." Es stand für ihn schon immer fest, aufgearbeitet, das Ganze durch eine Portion Humor dass er schreiben würde. Weil er "die falschen verdaulich und sogar lustig gemacht. Sein Erstling Freunde" hatte, die alle Kunst machten. Als er bei soll nach "Triumphgemüse" erscheinen. Allmählich einem Lagerfeuer in Mecklenburg kein Gedicht dabei möchte er sich aber vom Autobiografischen hatte, das er wie alle anderen hätte vorlesen können, abwenden. Ein Theaterstück über Rousseau schwebt war es ihm peinlich. Von da an schrieb er Gedichte, ihm vor; ein anderes soll von Honecker handeln. die er selber nicht verstand und ging mit der Schmidts Kalender ist für die nächsten drei Jahre Hoffnung ins Bett, er würde am nächsten Tag alles bereits voll. Und jeden Donnerstag will er weiterhin in genial finden. Bei der Wirklichkeit anfangen der "tagung" vor dem Mikro stehen, zwanzig Erst nach langer Mühsal kam er auf die Idee, sich Zentimeter unter der Kellerdecke, unter dem Dinge zu notieren, die er gesehen, gefühlt, erlebt Scheinwerfer, der ihm rote Kreise auf den Scheitel hatte. "Man soll schon bei der Wirklichkeit anfangen", zeichnet. Wird da stehen, lesen, die Augen aufs Blatt sagt er, "selbst Kafka holte seine Geschichten nicht geheftet, die Rechte in der Hosentasche. aus dem Nichts heraus." Jochen Schmidt holt seine Berlin (BLN) Bundesrepublik Deutschland (BR) Geschichten aus der eigenen Vergangenheit heraus. Jochen Schmidt Literatur Reportage Porträt In seinen Erzählungen geht es um persönlich Männliche Person Erlebtes, vor allem dann, wenn er sie in der "tagung" vorliest. Die "tagung"-Storys will er von den anderen unterschieden wissen. Er schreibe sie am laufenden Band, sagt er, zwei Texte pro Woche, das sei keine richtige Arbeit. Die Mühe bringe er für das auf, was er unter Literatur verbucht. Texte wie "Harnusch mäht als wär's ein Tanz". Da hatte er sich an einen Bauern aus dem Brandenburgischen erinnert, aus jenem Dorf, wo er mit den Eltern oft war. Einen Kauz, der Frau und Nachbarn zu Tode gequält hatte, aus Gram über seinen verlorenen Hof. Der aber so gewandt mit der Sense durchs Gras streifte, dass er am Ende den Tod das Handwerk lehrte. Das ist zumindest die literarische Version der Geschichte. Für sie bekam Schmidt den Preis des Open-Mike- Wettbewerbs. Ein Kritiker war von der Erzählung so hingerissen, dass er sich mit Schmidt in Klagenfurt verabredete; die anwesenden Verlagslektoren horchten auf und boten ihm einen Vertrag an. Jochen Schmidts erster Erzählband "Triumphgemüse" wird im Herbst erscheinen. Und siehe da: Darin gibt es keinen Osten. Um die große Geschichte hat sich Schmidt immer herumgedrückt. Zwar ist er gelegentlich in die Gethsemanekirche gegangen, aber was sich dort abspielte, hat ihn damals nur am Rande interessiert. Die Wende kam, ohne dass er es richtig merkte. Am 9. November 1989 erfuhr er aus den Nachrichten, dass die Mauer offen war. "Ich kapierte damals nicht, wie frei ich jetzt war." Das aus Berliner Zeitung vom 29.07.2000 Magazin Katharina Gericke Die bröcklige Wand Sie hat schon in der DDR gelernt, die Gegenwart zu ignorieren. In ihren Theaterstücken lebt die Utopie, das gescheiterte Projekt Von AURELIANA SORRENTO

Von Wannsee bis Griebnitzsee, der ersten Station im der umrahmt von dichten Hecken doch Blicke auf Potsdamer Gebiet, fährt die S-Bahn schneller. Das Bojen und Segelboote freigibt. Sie wohne in einem Schnarren der Räder auf den Schienen lässt die Neubaugebiet - Plattenbauten. Aber zum Fahrgäste verstummen und gedankenverloren ins Griebnitzsee komme sie jeden Mittwoch, seit acht Laubwerk des Waldes blicken. Jahren. Die Musikschule, wo Tochter Anne Geige lernt, liegt unweit von hier. Nachmittags bringe sie "Hier war alles Grenzgebiet vor der Wende", sagt das Mädchen hin, dann gehe sie eine Stunde Katharina Gericke. Sie steht am S-Bahnhof und zieht spazieren, bis der Unterricht vorbei ist. Am See mit dem Arm einen Halbkreis über den See hinaus zu entlang, bergauf zum Babelsberger Schloss, um das den Potsdamer Dächern. "Zonenrandgebiet." Damals Schloss herum, dann schließlich zum durfte man nicht ans Wasser. An der Glienicker drachentötenden Georg. Das Heiligenbild steht auf Brücke standen die Grenzposten. Seltsam, meint sie, einem Platz mit bemoosten Steinbänken. Katharina dass ihr als Kind gar nicht bewusst gewesen sei, wie Gericke streift mit dem Finger über die Sporendecke. nah West-Berlin war. Ein paar Schwimmstöße "Eine verwunschene Landschaft, nicht wahr?" entfernt. Weit weg von der ihr bekannten Welt. Als sie nach Potsdam kam, war sie sechs Jahre alt. "Es war nicht meine Welt", sagt Katharina Gericke. Zwei Autostunden entfernt, in Kyritz, war sie 1966 Auch später hat sich das nicht geändert, als die junge geboren worden. Weil der Vater befördert wurde, zog Frau täglich mit der S-Bahn nach Berlin fuhr - sie die Familie in die Stadt an der Havel. Sie wohnten studierte Szenisches Schreiben an der Hochschule nahe Sanssouci. Im Park führte Katharina den der Künste. Haushund aus. Damals sah sie das Denkmal Friedrichs, das noch in einem Rondell des Gartens Mit ihrer Freundin Maike Techen arbeitete sie dann in stand. Sie staunte über den Preußenkönig, der auf der Berliner Off-Theater-Szene. Katharina Gericke dem Ross so groß schien über den Generälen und schrieb "Gegen Guggenheim", eine Farce, und das Philosophen. Später dann fand sie den Monarchen in Dramolett "Thälmann in Berlin", Maike Techen führte der Oper wieder - als Autor, Zuschauer und Figur in Regie. 1996 holte die junge Frau das Stück einem Stück, das ein beliebter Regisseur nach dem "Maienschlager", das in den Studienjahren Libretto des Königs inszeniert hatte. entstanden war, wieder aus der Schublade hervor. Es erhielt beim Heidelberger Stückemarkt den Preis Aber zunächst interessierte sie viel stärker die Jagd. der Frankfurter Autorenstiftung. Eine Kritikerin Wenn der Vater das Wild, das er erlegt hatte, schrieb zur Uraufführung in Heidelberg, sie helfe der ausweidete, schaute sie stets zu: "Ein sehr Entdeckung eines Talents. Und auch zur zweiten theatralischer Vorgang." Und die Geschichten, die Premiere in Hannover gab es Lob in den Feuilletons. die Jäger nach der Pirsch erzählten, faszinierten das Obgleich die unvorstellbare Liaison zwischen dem Mädchen Katharina. Hitlerjungen Mark Warweser und dem Jüngling Jakob Glücksleben aus jüdischer Familie, die in Ansonsten ging sie zur Schule. Zunächst in eine "Maienschlager" gar eine Trauung bei Wein und nahe gelegene Baracke aus rot gestrichenen Glassplittern nach alter Sitte krönt, geradewegs ins Holzbrettern. Ab der dritten Klasse schickte man sie Utopia gleitet. zu einer Schule mit erweitertem Russisch-Unterricht. Acht Jahre Russisch gelernt und russische Literatur Aufführungen und Aufträge folgten. "Winterkönig", ein gelesen - das habe sie sehr geprägt. Die Suche nach Märchenstück über den jungen Friedrich den Wohlklang, nach Sprachbildern, das Pathetische im Großen, das mit einem geisterhaften Blutbad endet, Ausdruck - all dies komme ihr von der Beschäftigung kam in Mannheim auf die Bühne. Derzeit schreibt mit der russischen Sprache. Katharina Gericke, inzwischen berühmt und gefürchtet für ihre historisch-fabulösen Stoffe, an Dann war es vor allem Potsdam, die Residenzstadt, Stücken für Stuttgart, Bremen und Berlin. Aber in die die sie interessierte. "Man könnte sogar sagen, ich Großstädte, wo sie gespielt wird, hat es sie nie bin eine Lokalautorin, die von den Orten ausgeht, in gezogen. Ihr Schreibtisch blieb all die Jahre in denen sie lebt." Potsdam. Die Figuren für ihr Stück "Maienschlager" "Hier entlang", sagt sie und geht den Weg am See, beispielsweise sind auf den Wegen ihrer Mittwochswanderungen in ihrer Fantasie entstanden. verlief ihre Bewerbung für das Studium der Hinter einer schiefen Birke am Griebnitzsee sah sie Theaterwissenschaften zweimal im Sand. Schließlich das BDM-Mädchen Krista, geistesgestört nach der fand sie sich damit ab, hing den Traum an den Nagel Vergewaltigung durch einen SS-Trupp. Den Rock und studierte Wirtschaftswissenschaft in Leipzig. zerrissen, die Haare wirr, ging sie ins Wasser mit der Damals sei sie ohnehin gewohnt gewesen, das Jackentasche voll Anglerblei. Auch Mark Warweser Gegebene nicht in Frage zu stellen. Und als sie 1989 und Jakob Glücksleben trafen sich nächtens am Ufer nach den Ferien nach Leipzig zurückkam, erinnert sie des Sees. sich, packte sie erst einmal die Angst. "Es war klar, dass mit der DDR auch die soziale Sicherheit Ihr Daheim platzierte Gericke unweit davon, am untergehen würde." Goetheplatz in Potsdam-Babelsberg. Sie zeigt auf ein Einfamilienhaus - "dort, in der Nummer 1, wohnten Die Wiedervereinigung? Sie sei nach dem Mauerbau die Warwesers". "Und Goetheplatz Nummer 9 war geboren, für sie habe die BRD gar nichts bedeutet. das Haus Peter Hundts. Marks Freund, ein Deutschland war für sie ein Phantom aus den Kommunist." Vor der Renovierung, sagt sie, habe an Geschichtsbüchern. Und doch, sagt sie, habe sie der bröckligen Wand die Inschrift gestanden: dem vereinigten Deutschland das Stückeschreiben "Räucherwaren, Paul Erler." Eben deshalb habe zu verdanken. Hundt so viel geraucht, "mit 16 Jahren drei Schachteln pro Tag". Auf dem Platz, den ein paar Nach der Wende erlebte sie in Leipzig, wie die herausgeputzte Häuser um eine Verkehrsinsel Universitätsstrukturen zusammenbrachen, ausmachen, herrscht Totenstille. "Die Starre einer Professoren wegen ihrer Stasi-Kontakte toten Ratte, die in einem wasserleeren Bleirohr liegt", rausgeworfen wurden, an deren Stelle Leute kamen, hat sie geschrieben. die den Studenten, wie sie sagt, das Nilpferd- und Jeanshosenprinzip verklickern wollten. Geschichte und Fiktion - die Linie dazwischen verwischt sie. Wenn man Katharina Gericke fragt, Katharina Gericke brach das Studium ab, ging zurück was denn all die absurd-fabelhaften Wendungen nach Potsdam, wollte Theaterwissenschaft an der ihren historisch angelegten Dramen sollen, sagt sie: Freien Universität studieren oder Szenisches Es sei doch das Schöne am Theater, dass es nicht Schreiben an der HdK. Plötzlich klappte alles. Sie an der Realität kleben müsse. Jemand, der sie in erhielt Zusagen. Sie entschied sich fürs Schreiben. Potsdam auf menschenleeren Bürgersteigen und Rückblickend, so sagt sie, die bessere Entscheidung. öden Straßen träfe - sie trägt Schlaghose, Die Konkurrenz zwischen den Studierenden an der Lederjacke, eine schwarze Umhängetasche über die HdK sei anregend gewesen, und sie habe viel Schulter -, könnte sie leicht mit einer Studentin Handwerklich-Praktisches gelernt. verwechseln. Doch wer ihre Augen durchs dicke Glas der Brille erkennt, sieht den versonnenen Blick. Als Derzeit arbeitet Katharina Gericke an einem spukten sie wirklich in Potsdam herum, die Schachtelroman als Bühnenstück. Ein Mann und eine preußischen Gespenster, Könige und Frau - er Russe, sie Ostdeutsche - lernen sich in den Staatsdompteure. 50er-Jahren in Gera kennen, lieben sich, müssen sich zwangsweise trennen. Er kehrt nach Russland Für ihr Stück "Winterkönig", in dem sich der junge zurück, vierzig Jahre später treffen sie sich in Friedrich als Kronprinz in einer dunstigen Küche mit Deutschland wieder. Gericke will den Stoff über diese dem Gesinde vergnügt, um einen Fischer aus vierzig Jahre Geschichte in Rückblenden aufrollen. Wendland zu verführen, hat Katharina Gericke sogar Sie will, sagt sie, "die DDR- und die sowjetische die Sprache des 18. Jahrhunderts ausgegraben. Da Geschichte mythisch, nicht dokumentarisch gibt es "Krammetvögel" und "Hauptweh", "Buketten" erzählen". Denn an der Historie habe sie schon und "Tritte ins Gemächte". Die Schauspieler mussten immer nur die Idee interessiert, die Utopie, das für die Uraufführung in Mannheim viel üben, die Projekt. Wenn sie auch zum Scheitern verurteilt sind. Kritiker waren nicht erbaut. Gerickes Vokabular ist nun mal nicht für jeden. Sie ist eine Exotin. Wer Es gibt Fragen, die sie nicht so einfach beantworten würde außer ihr heute noch behaupten: "Für mich ist will. Dann zeigt sie sich verblüfft, zögert. Dann hebt Theater gehen, sprechen, deklamieren, schreien"? sie mit einem Ruck den Kopf hoch, schiebt die Brille Dass sich auf der Bühne letztendlich alles um die auf der Nase zurecht, streift die Haare hinters Ohr Sprache dreht? und blickt den Fragenden herausfordernd an. Warum sie immer wieder in die Vergangenheit zurückgehe, "Ob ich will oder nicht, ich schreibe in der DDR- ihre Stoffe aus der Geschichte hole? Die Antwort: Tradition", sagt sie. "Man wusste, dass man Mittel darum. In der Gegenwart kenne sie sich nicht aus. haben müsse, um eine dramatische Geschichte zu Ja, die Gegenwart, sie habe schon in der DDR erzählen, Theatermittel, sprachliche Mittel." Doch den gelernt, sie zu ignorieren, vielleicht komme ja daher Weg ins Theater hatte ihr die DDR verbaut. Nach ihre Vorliebe für die Geschichte. einem Volontariat am Potsdamer Hans-Otto-Theater Und überhaupt. Dramatische Figuren sind im Heute gar nicht vorhanden, sagt sie. "Schauen Sie sich um: nur Kleinbürger, Kleinbürger wir alle, klein, klein, klein... Menschen für Küchenkammerspiele." Sie denkt an Paare, die sich quälen, weil sie sich längst nicht mehr lieben, an Väter, die Töchter vergewaltigen, pubertierende Gewalttäter, und so weiter.

Und auch sonst... Die Gegenwart ist für Katharina Gericke der Alltag: Um sieben Uhr aufstehen, ein Kind erziehen, studieren, schreiben. Oder wie jetzt, unterm Regen auf einen Bus warten, der nicht kommt. aus Berliner Zeitung vom 05.05.2001 Magazin Wie ein Platzregen Der junge Elias Canetti machte im Sommer 1928 Bekanntschaft mit der Berliner Szene Von Aureliana Sorrento

Die Hand wippt über den Seiten, schlägt sie hat Canetti nicht festgehalten. Aber der vorsichtig an den Blattzipfeln auf. Das Papier ist Geräuschpegel, der am ehemaligen Reitweg der vergilbt, aber noch fest, nur die Kanten des Hohenzollern herrschte, blieb ihm im Gedächtnis. Buchdeckels sind abgescheuert. "Berliner Berlin zählte damals über vier Millionen Einwohner, Adressbuch 1930" liest man auf dem Deckblatt. "Man 49 Theater, drei Opernhäuser, drei große Varietees, muss den Band des darauf folgenden Jahres 75 Kabaretts, 363 Kinos, 200 Verlage, 16 000 nehmen", sagt der Museumsmann, "die Gaststätten und 2 633 Zeitungen und Zeitschriften. Adressbücher hat man immer später angefertigt." Die Wogen, die all dies Treiben schlug, brandeten, Gerd Heinemann liest, überliest. Mit der Fingerkuppe gischten und bitzelten am Kudamm. Die modernsten streift er die Spalten, flusekleine Schriftzeichen. Geschäftshäuser, die glitzerndsten Kinos, die Solche, wie sie aus den Buchrücken in den elegantesten Konfektionsläden, die beliebtesten Schränken hervorlugen, die das Depot der Stiftung Theater, die Cafés und Restaurants très en vogue Stadtmuseum füllen. Durch die Fenster zwischen den waren dort zu finden. Auf den Schienen, die den Regalen flirrt blass der Teich, dahinter ragen Boulevard durchschnitten, fuhren die Straßenbahnen neugetünchte Plattenbauten, der Lanzenkopf des im Takt. Autos rollten unablässig über die Alex. Auch das, sicher, wird in den Bänden Fahrbahnen. Köpfe, Köpfe, Köpfe, Bowler, Schals gespeichert sein. Berlin 2001. "Hier!" Die Hand und Pelzkragen, drängten sich dicht an dicht um die ist stillgestanden, der Fingernagel deutet auf den Tischchen der Straßencafés. Ein Gewimmel, in dem Fettdruck: "Kurfürstendamm 76". Mitte Juli 1928 die "Stützen der Gesellschaft" neben Schiebern, fuhr Elias Canetti über die Sommerferien nach Berlin. Künstlern, Geistesarbeitern und Huren tollten. Er war damals 23 Jahre alt, studierte Chemie in Anfangs wunderte sich Canetti, dass er keine zehn Wien, hatte Gedichte geschrieben, Pläne zu einem Schritte gehen konnte, ohne jemandem zu Werk über die Masse geschmiedet, aber noch nichts begegnen, der berühmt war. Heinemann hat veröffentlicht. Nach Berlin kam er auf einen Anruf einen alten Scherl-Stadtplan aus einem metallischen Ibbys, einer befreundeten ungarischen Dichterin. Ibby Schubfach herausgeholt. Er sucht mit der Lupe der muss nicht gerade eine ätherische Erscheinung - Linie des Boulevards entlang zwischen Viktoria- Pomona nennt er sie einmal in seiner Autobiografie - Auguste-Platz und Halensee. Hinter der Linse sticht doch eine Schönheit gewesen sein. Nach kurzer Zeit die Zahl 76 von den ausgeblichenen Farben ab. Er in Berlin kannte sie jedermann, der sich zu findet sie neben dem Lehniner Platz, an der Ecke Kunstzwecken in der Metropole tummelte; schließlich Güstrinerstraße, die es nicht mehr gibt. hatte sie Canetti dem Verleger Wieland Herzfelde Kurfürstendamm 76. Es steht immer noch dort, empfohlen. Herzfelde war so kulant, den wo sich das Haus von Schönberger & Co. befand. Unbekannten aus Wien nicht nur mit der Ein Neubau, Steinplatten und Rechtwinkel, sechs Vorbereitung einer Biografie von Upton Sinclair zu Stockwerke hoch. Gräulich wie der Winterhimmel. An betrauen. Auch überließ er ihm, da er im Sommer mit der Frontecke links der Laden eines Coiffeurs, rechts seiner Familie am Nikolassee wohnte, einen Teil davon ein Küchengeschäft für das Charlottenburger seiner Wohnung am Kurfürstendamm 76. Canetti Meublement. Vom dritten Stock herab blickt ein altes bekam ein kleines Schlafzimmer und ein anliegendes Fensterlieschen auf den Gehsteig, wo der Wind um Arbeitszimmer "mit einem schönen runden Tisch". Glasschaukästen fegt. Eine Einwohnerin in Das Anwesen am Kurfürstendamm 76, so steht im strähnigem Pelz kloppt so lange mit dem Adressbuch, gehörte dem Bankhaus Schönberger & Schlüsselbund am Türschloss bis es knackt und sie Co. Im Erdgeschoss hatte sich ein hineinlässt. Abends wurde der Gast aus Wien Tabakwarenhändler eingemietet, "Gebrüder von Ibby und Herzfelde ausgeführt. Sie stellten ihn Gerstmann, Zigarren" war die Geschäftsadresse. jedem ihrer Bekannten vor, und jeder war irgendwie Wieland Herzfelde, Verleger, Gründer des Malik ein Name. Dem Dreiundzwanzigjährigen schwindelte Verlags, Mitglied der KPD und des Bundes es vor diesem Berlin, in dem das Neue ständig das proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, Bruder des Alte ablöste und "die Dinge wie Leichen im Chaos Dadaisten John Heartfield und Förderer von George umherschwammen"; in dem sich Geist mit Animalität Grosz, wohnte im Dachgeschoss. Seine Wohnung reimte, und beides in höchstem Maße gesteigert wie verfügte über einen Telefonanschluss. "Das ein dauernder Platzregen auf einen schlug. Er nahm Haus lag mitten im Trubel", erinnerte sich Canetti die Schläge an, "wartete auf neue Schläge", riss die Jahrzehnte später, "aber so hoch oben schien es Augen weit auf, schaute und hörte zu. Einige ruhig, da dachte man wenig an den Lärm." Was er Schritte vom Rathaus Schöneberg, nordwärts. Dort, aus den Fenstern von Herzfeldes Dachwohnung sah, wo ein massiges Blockhaus selbst die Möglichkeit irgendeiner Gaststätte zu negieren scheint, so stur Selbst die Laternen haben sich in der Rankestraße stehen da die Haustürchen unter Vordächern in Reih dem Gebot der Nützlichkeit angepasst. Funktional und Glied. Ein Ort, an dem man abends niemanden und mehr nicht sind die Bauten, denen die trifft, es sei denn jemanden, der zur Ampel eilt, um Schuttbrachen gewichen sind. Sichtbeton, auf der anderen Straßenseite beim Schnellimbiss ein quadratische Luken, eng beieinander. Stahlmasten Stück Export-Pizza zu holen. Hier also, in der mit dem Kopf eines Frosches bestrahlen den Lutherstraße 33 - heute haben die Häuser allerdings Gehweg, den Autos immer verstellen, obwohl es andere Ziffern - eröffnete Max Schlichter 1925 ein gleich nebenan ein Parkhaus gibt. Tuckern von Restaurant. An den Wänden hingen zum Verkauf die Motoren beim Einparken. Tuckern von Motoren beim Bilder seines Bruders Rudolf Schlichter. Weil der Ausparken. Stöckeln von Damen ins Wertheim. Künstler-Bruder dem Berliner Dada angehörte, später Stöckeln von Damen aus dem Wertheim. Das der kommunistischen "Roten Gruppe" beitrat, wurde Kaufhaus hat einen Seiteneingang in der das Lokal in linken Künstlerkreisen schnell bekannt. Rankestraße, wo es Rosenthal-Design und Apollo- Erwin Piscator und Egon Erwin Kisch ließen sich Optik ausstellt. Rankestraße 4. Einmal, bestimmt, ist gelegentlich sehen. war bei Schlichter das Haus in Trümmern gewesen. "Es war bei Stammgast. Das Lokal war eines der ersten, das Schwannecke, einem Restaurant, das mir luxuriös Canetti in Berlin besuchte. Komischerweise hatte vorkam, vielleicht weil man nachts und nach dem er den Eindruck, das Restaurant sei besonders von Theater hinging, es wimmelte dann nur so von Schauspielern frequentiert. Unter den Anwesenden berühmten Theaterleuten. Kaum hatte man einen fiel ihm allerdings nur Brecht auf. Er muss an dem bemerkt, ging schon ein anderer vorbei, der als noch Abend die Kluft getragen haben, in der ihn Rudolf bemerkenswerter galt, es gab ihrer so viele in dieser Schlichter porträtiert hatte: Lederjacke mit dicken Blütezeit des Theaters, dass man bald darauf Knöpfen, Lederkrawatte und Zigarre in der Hand. verzichtete, jeden von ihnen zu beachten. Aber es "Seine proletarische Verkleidung", folgerte Canetti, kamen auch Schriftsteller, Maler und Mäzene, Kritiker der dieser Aufmachung nichts abgewinnen konnte. und Nobeljournalisten, und immer war Wieland, mit Von Anfang an war ihm der Mann zuwider: ". seine dem ich gekommen war, so aufmerksam, mir zu Worte kamen hölzern und abgehackt, unter seinem erklären, wer die Leute waren." In der Blick fühlte man sich wie ein Wertgegenstand, der Rankestraße 4, wenige Minuten von der keiner war, und er, der Pfandleiher, mit seinen Gedächtniskirche entfernt, lag die Weinstube stechenden schwarzen Augen, schätzte einen ab." Stephanie. 1921 hatte der Schauspieler Viktor Bertolt Brecht - ein Pfandleiher. So sieht er auch im Schwannecke das Restaurant eröffnet, das er nach Porträt aus, das Rudolf Schlichter von ihm gemalt dem Vornamen seiner Frau benannte. Doch sagte hatte: heruntergekniffene Augenwinkel, man "zu Schwannecke", wenn man dorthin essen, heruntergepresste Mundwinkel. Ernst Joseph schlemmen, plaudern und angeben ging. Der Auricht, der Brecht um ein neues Stück ersuchen Betreiber hatte seine Verbindung zum Theater nicht wollte, verglich seinen Ausdruck mit dem eines abreißen lassen, und sie brachte ihm eine sichere Asketen und eines Galgenvogels. Brecht schlug ihm und ausgefallene Kundschaft ein. Premieren wurden eine Bearbeitung von John Gays "Beggars Opera" ausschweifend bis in die Frühe gefeiert, auf den vor. Für den 31. August 1928 war die Zeitungsjungen wartend, der mit den ersten Uraufführung der Dreigroschenoper angesetzt. Sie Rezensionen hereinkam. An einer Tafelrunde bei fand im Theater am Schiffbauerdamm statt, das Schwannecke lernte Elias Canetti Isaak Babel Publikum quietschte vor Freude und polterte Beifall. kennen. Unter den Künstlern, die viel auf sich hielten Elias Canetti war mit Ibby anwesend, klatschte aber und dies meisterhaft zur Schau trugen, fiel Babels nicht. "Es war der genaueste Ausdruck dieses Zurückhaltung auf. Nicht als "Schauspieler seiner Berlin", schrieb er später, "Die Leute jubelten sich zu, selbst", nicht als "Berliner wie die anderen" war er das waren sie selbst und sie gefielen sich. Erst kam gekommen, er wirkte eher als "Pariser". ihr Fressen, dann kam ihre Moral, besser hätte es Verschwiegen und achtsam. Seine Aufmerksamkeit keiner von ihnen sagen können." B.B. - das wandte er allem und jedem zu, nur für die Eitelkeiten Gottseibeiuns. Canetti sah Berlin mit den Augen der Künstler hatte er offensichtlich nichts übrig. Wo von George Grosz. Nicht erst, nachdem Grosz ihm Canetti Babel beschreibt, beschreibt er seine seine Zeichenmappe "Ecce Homo" geschenkt hatte. fortschreitende Entzauberung. Das Berliner Leben Grosz' Zeichnungen kannte Canetti aus Frankfurt am ging schließlich an die Substanz. Schnell fanden Main, wo er in der Auslage einer Jugendbücherstube der Autor der "Reiterarmee" und der "Geschichten Bücher von ihm gefunden hatte. Dann ging er mit aus Odessa" und der Student aus Wien zueinander. Herzfelde zu Grosz, er sah die Ecce-Homo-Bilder, Wenn sie sich bei Schwannecke oder Schlichter die als pornografisch verboten worden waren, fortan trafen, dann nur, um sich gleich fortzuscheren. Sie fand er sie überall, diese Tiermenschen aus dem fuhren in eine der vielen Aschingers-Bierquellen, die Nachtleben Berlins. Grosz' Homunkuli mit es überall in der Stadt gab. Dort bekam man für 30 gezwirbeltem Schnurrbart, seine Circen und Pfennig Löffelerbsen mit Spitzbein und Brötchen, Scharteken mit entblößten Leibern schoben sich wie man saß mit Arbeitern am selben Tisch. So eine getönte Brille zwischen ihn und die Stadt. verbrachte Elias Canetti seine letzten Wochen in Berlin. Gegen das Café-Geklirre hat das Lied keine Chance, sich durchzusetzen. Es kommt wie gemummelt aus den Boxen, als würde Madonna immer wieder die Stimme versagen. Stoßzeit im Mövenpick, ein Kränzchen an jedem Tisch. Beschürzte Kellnerinnen kreiseln mit Kuchen und Kännchen durch den Saal. Durch die Glaswand dunkelt im Schummerlicht der hohle Torso der Gedächtniskirche. Als der Breitscheidplatz Viktoria-Auguste-Platz hieß und dem Potsdamer Platz den Rang des verkehrsreichsten Platzes Europas abgelaufen hatte, lag zwischen der Budapester und der Tauentzienstraße ein Geschäftshaus in neoromanischem Stil. Das Erdgeschoss auf der Vorderseite gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nahm das Romanische Café ein, das hässlichste und meistbesuchte Kaffeehaus Berlins. Nachmittags, wenn Rauchschwaden über den Tischen waberten, der Boden mit Kippen übersät war und der Geräuschpegel weit über der Verträglichkeitsgrenze stand, lief die Arbeit dort auf vollen Touren. Im Romanischen Café wurden Stücke besprochen, Artikel bestellt, Texte auseinander genommen, Verleger und Intendanten gesucht, Verträge abgeschlossen und die letzten Dinge verhandelt. Es war die Künstlerbörse Berlins. Kurios, dass Canetti sie nur einmal erwähnt und dann auch sozusagen en passant. Wobei die Erwähnung ihm zum Urteil gerät über all das, was er in Berlin gesehen hatte: "Die Besuche im Romanischen Café, . die gewiss auch ein Vergnügen waren, galten nicht diesem allein. Sie entsprangen auch der Notwendigkeit zu einer Selbst- Manifestation, der niemand sich entzog. Wer nicht vergessen werden wollte, musste sich sehen lassen." Was freilich allezeit gilt. Das Europa-Center steht heute dort, wo sich das Romanische Café befand. Aus der Glasfassade des Mövenpick-Cafés in der ersten Etage blickt man auf den Platz hinunter, auf die rote Marmorgruft, die man Brunnen nennt, auf gehetzte Fußgänger, die in Handys palavern. Am Tisch nebenan besprechen zwei längst ergraute Damen Angelegenheiten ihrer Belle Époque. Um diese Uhrzeit geht der Museumsmann nach Hause, den Teich entlang. Ausgeknipst sind schon die Glühbirnen im Depot. Am Tauentzien stürmen Käufer die Geschäfte. Durchs Glas blinken Leuchtreklamen linker Hand. Katzenmutterseelenallein kratzt der Kirchenstumpf die Dunkelheit. Dem Dreiundzwanzigjährigen schwindelte es vor diesem Berlin, in dem das Neue ständig das Alte ablöste und die Dinge wie Leichen im Chaos umherschwammen. Berlin (BLN) Deutsches Reich (D) Österreich (A) Elias Canetti Literatur Alltag und Soziales Leben Bericht Erfahrungsbericht Porträt Männliche Person Historisches aus Berliner Zeitung vom 30.05.2001 Feuilleton ITALIEN Der verschollene Wahlzettel

Von Aureliana Sorrento

Ich durfte nicht gegen Berlusconi wählen. Man eine reuige Terroristin, der man die Reue nicht mag einwenden, dass mein Wahlzettel ohnehin abnehmen will. Jedenfalls kann sich jeder die nutzlos gewesen wäre. Es ist trotzdem ärgerlich, Wehmut ausmalen, die mich beim Gedanken ergriff, wenn man weiß, dass auch daran die dass die deutschen Behörden ihrerseits seit knappen altkommunistischen Ritter der reinen Lehre einen Teil neun Jahren alles von mir wissen und es mich mit der Schuld tragen: Bis heute haben sie verhindert, punktgenauer Regelmäßigkeit spüren lassen. dass Auslandsitaliener per Brief wählen können. Mein Pass wurde nicht verlängert. Erst einmal Denn einst ließen sich jene vornehmlich in Übersee musste meine Identität im Einverständnis aller oder in Wolfsburg nieder, lasen "La Gazzetta dello beteiligten Ämter sichergestellt werden. Das hat 36 Sport" und waren wie Gianfranco Fini der Meinung, Tage in Anspruch genommen. Als ich in meinem Mussolini sei der größte Staatsmann des Briefkasten die Karte vorfand, die mich zur Jahrhunderts gewesen. Oder zumindest stellten sich Verlängerung meines Reisepasses wieder in die die italienischen Kommunisten das so vor. italienische Botschaft einberief, waren die Heutzutage leben die Auslandsitaliener überall, auch Wahlauszählungen in Italien abgeschlossen. All die in Berlin und bevorzugt in Prenzlauer Berg. Da Zeit war ich ohne feste Identität, verschollen, kaufen sie "La Repubblica" am Kiosk in der schlimmer noch: staatsbürgerlich inexistent gewesen. Eberswalder Straße und strömen in aller Und einen inexistenten Staatsbürger kann man Herrgottsfrühe ins Café "Sowohl als auch", weil man natürlich nicht wählen lassen. Nichtsdestotrotz ist dort wie in Italien schon um acht Uhr morgens mein Wahlzettel bei meinen Eltern in Rom frühstücken und so am angenehmsten über den angekommen, und zwar an einer Adresse, an der ich Wahlausgang fluchen kann. Aber solche noch nie gewohnt habe. Wie dem auch sei. Vor Entwicklungen sind an den italienischen ein paar Tagen war ich noch mal in der italienischen Altkommunisten unbemerkt vorbeigegangen. In Botschaft, wurde noch mal vom selben Carabiniere Sachen Globalisierung waren sie nie besonders firm. äußerst höflich empfangen und bekam meine Pass- Hätte ich also gegen Berlusconi wählen wollen, hätte Marke von einer Frau, die sich sehr echauffierte, ich nach Italien fliegen müssen. Wenn man mich in dass ich nicht im Wartezimmer auf sie gewartet hatte. den Flieger reingelassen hätte. Denn einen Man darf im Gang nicht stehen, warnte ein Plakat, Personalausweis besitzen Auslandsitaliener nicht, das ich übersehen hatte. Es muss ein Zeichen der und mein Reisepass war seit dem 8. April berlusconianischen Wende in der Law-and-Order- abgelaufen. Dabei hatte ich rechtzeitig die Politik sein. Auch klebte am Schalter ein Aushang mit Abneigung gegen die landsmannschaftlichen dem Stempel der italienischen katholischen Mission, Behörden überwunden und Anfang April die der aber im Stil einer Berlusconi-Post-Wahl- italienische Botschaft aufgesucht. Ich wurde von Kampagne verfasst war: "Liebe Landsleute, einem äußerst höflichen Carabiniere empfangen, der willkommen! Hier werdet ihr Gehör und Verständnis mir sofort den berüchtigten Reisepass abnahm. In finden, man wird euch helfen, eure Probleme zu dem Zimmer, in das er mich wies, gab es bequeme lösen. Sich aufregen und schimpfen kann nur die Polstersessel und keine Schalter, zwischen denen Dinge verkomplizieren. Die Ruhe zu bewahren, ist hin und her gelaufen und gebrüllt wurde. Niemand ein Zeichen der Zivilisation. Nicht fluchen ist ein stand herum, um auf den nächsten Beamtenruf Zeichen des Respekts." Also, liebe Landsleute, bitte loszusprinten und die anderen Wartenden zu nicht fluchen. Weder über Pässe noch über die überholen. Alle saßen und unterhielten sich brav, Wahlen. "Sarà quel che sarà." - Es wird, was es wird. manche flüsterten sogar. Dann wurde ich von einer Dame, die im Preußenschritt hereinmarschierte, in ihr Zimmer befohlen. Sachlich teilte sie mir mit, ich sei nicht in der Liste der Auslandsitaliener eingetragen und gelte deshalb für den italienischen Staat seit neun Jahren als verschollen. Auf meinen Einwand, mein Reisepass sei doch vor fünf Jahren von einem italienischen Konsulat in Deutschland ausgestellt worden, entgegnete sie, das hätte nichts zu sagen, es sei auf jeden Fall meine Schuld. Ihre Stimme wurde lauter und schriller: Man müsse nun Forschungen über mich anstellen, bei diversen Behörden nachfragen, alle benachrichtigen, dass ich wieder aufgetaucht sei. Beinah fühlte ich mich wie aus Berliner Zeitung vom 18.08.2001 Magazin Grelle Bilder Harun Farocki ist der Wissenschaftler des Kinos

Von Aureliana Sorrento

Er lacht. Von ganzem Herzen und in tiefem ein Berliner Kindl" brachte ihm das erste Bass, und es wirkt ansteckend. Man muss mitlachen, "Durchgefallen" ein. Dass sich Farockis Kamera hier obwohl man nicht weiß, ob er über den Fragenden darauf beschränkte, über die Werbeplakate der Kindl- lacht, der nicht im Bilde sein kann über das Brauerei zu fahren, während seine Stimme die Gewesene oder über sich selbst, über "den gezoomten Details aus den Postern kommentierte, Verrückten, der ich halt bin". Sollte einer derjenigen, das war den Prüfern schlichtweg zu wenig. Zu kahl, die sich an der Jahreszahl '68 verbeißen, ihn nach zu streng, zu minimalistisch. "Minimalismus war jener Zeit fragen, würde er das Wort: "Kinderkram" damals nicht akzeptiert als Stil", erinnert er sich. Über hören. Und Lachen. Es ist aber nicht das Lachen "Die Worte des Vorsitzenden" seien die Dozenten des Renegaten. Harun Farocki hat nie einen Hehl dann "völlig entsetzt" gewesen. Da las jemand aus aus seinem Engagement gemacht. Und die achtzig einer Mao-Bibel vor, faltete eine Seite zu einem Pfeil Filme, die er seit 1969 gedreht hat, sind immer und warf ihn einem Maskierten zu, der eine wieder der Versuch gewesen, Schrauben im Papiertüte mit den Zügen des Schahs auf dem Kopf kapitalistischen System locker zu machen, mit der trug. Solche Masken hatten die Studenten getragen, Kamera die Funktionsweisen des Apparates die am 2. Juni gegen den Schahbesuch bloßzulegen. "Gefängnisbilder", der jüngste: ein demonstrierten. In folgender Studienarbeit "Ihre Essay über den Topos Gefängnis in der Zeitungen" ließ Farocki Springer-Blätter auf Berliner Filmgeschichte, zugleich eine Anklage gegen das Straßen regnen und Gläser bei schwarzem Bild industriell organisierte, keimfreie Barbarentum klirren. Am 2. Februar 1968 wurden die Scheiben der amerikanischer Strafanstalten. 1968 studierte Berliner Morgenpost-Redaktion eingeschlagen. Es Harun Farocki an der Deutschen Fernseh- und gab dann noch einen Spot, der in einer Pause auf Filmakademie Berlin, ein Eleve des einem Dach gedreht wurde. Titel: "Anleitung, Gründungsjahrgangs. Erst zwei Jahre zuvor war Polizisten den Helm abzureißen." Den Polizisten Westdeutschlands erste Lehranstalt für Film und spielte der kurzhaarigste und dickste aller Fernsehen aus der Taufe gehoben worden. 1967, Kommilitonen. Die stoische Ruhe, mit der nach dem Schahbesuch am 2. Juni und dem Tod von Farocki auf seinem Stuhl sitzt, ein wenig an die Wand Benno Ohnesorg, brodelte es in der DFFB wie auf gelehnt, langsam Tee trinkend und Tee dem Pflaster der geteilten Stadt. Ende Mai 1968 war einschänkend - "Ayurvedischer Tee, höchst es soweit: Aus Protest gegen die Notstandsgesetze spirituell!" - ist rasch verflogen, wenn er darauf zu besetzten die Studenten die Filmakademie, sprechen kommt. Dann wedelt er mit der Hand, als benannten sie zur Ehre des sowjetischen Regisseurs wäre sie ein Fächer, der zum Scheuchen lästiger Dziga Wertow in Dziga-Wertow-Akademie um und Fliegen parat lag. Im Rückblick findet er das Niveau hissten auf dem Dach des Deutschlandhauses, wo beschämend, auf dem die Diskussionen in den Aulen die DFFB Unterschlupf gefunden hatte, eine rote stattfanden und Film-Messages in die Welt lanciert Fahne. Der SFB-Intendant Franz Barsig, der aus wurden. Im Klima jener Tage hätten Spots wie seine dem benachbarten Sendergebäude die Flagge des "Anleitung, Polizisten den Helm abzureißen" die Feindes flattern sah, kam persönlich vorbei, um Funktion von Propagandaplakaten gehabt, gesteht er seinem Ärger Luft zu machen. Akademiedirektor ein. Ähnlich manchen Kriegsplakaten, auf denen man Heinz Rathsack behielt hingegen einen kühlen Kopf einen Soldat stürmen sieht. "Implizit sollte damit und schickte die Polizei. Das Haus wurde geräumt, gesagt werden: Vorwärts oder Attacke oder was weiß die 18 Rädelsführer - darunter: Holger Meins - mit ich was, so was ganz Vages und Blödes." "So einem Kündigungsschreiben bedacht. Harun Farocki was ganz Vages und Blödes" war "Nicht löschbares war einer der Relegierten. Der "Kinderkram" war für Feuer" nicht mehr. In dem Film, den Farocki 1969 in ihn vorbei. "Wissen Sie, dass die DFFB jetzt in drei Monaten drehte und schnitt, montierte er ihren Broschüren meinen Namen erwähnt?" sagt er Fernsehbilder von brennenden Kindern in Vietnam mit Genugtuung. Seitdem ihn Cathrine David zur auf kurze Spielszenen. Wie in einem Brecht'schen documenta X eingeladen hat, gilt Harun Farocki als Lehrstück wurde darin die Situation der Klassiker eines eigenen Filmgenres. Seine Filme Wissenschaftler durchgespielt, die sich bei der werden auf Festivals und in Museen rund um den Napalmproduktion verdingt hatten. Im Fokus stand Globus gezeigt; im Februar widmete ihm das die Firma Dow Chemical, die in normalen Zeiten Museum of Modern Art eine Retrospektive. Aber Klarsichtfolie für den Haushalt herstellte, während damals an der Akademie hatten die Professoren des Vietnamkrieges jedoch das "nicht löschbare nicht nur an seinen politischen Aktivitäten Anstoß Feuer" erzeugte. An deren Beispiel führte Farocki genommen, sie hatten auch die Filme durch den Wolf vor, wie labil die Grenze zwischen Friedens- und gedreht, die er für die Prüfungen produzierte. "Jeder Kriegsindustrie ist. In "Zwischen zwei Kriegen" nahm er dann die wirtschaftlichen und technischen nicht. Das "Warum" ist eine verfängliche Frage. "Ich Entwicklungen ins Visier, die vom Kapitalismus in möchte keine Erzählabsichten haben", bricht nach den Nationalsozialismus und zum Zweiten Weltkrieg langem Tippen auf die zusammengepressten Lippen geführt hatten. Ein Film, stringent wie ein Theorem, aus ihm heraus. Manchmal schneidet er Grimassen der eine These Horkheimers demonstrierte. Es wie ein Bengel, der auf frischer Tat ertappt wurde. waren aber vielleicht nicht nur Lektüren, die den Dabei ist Harun Farocki ein Wissenschaftler des Krieg zu "seinem" Thema machten. Harun Faroqhi - Kinos. Farocki umzirkelt seine Themen wie den Familiennamen deutschte er später ein - ist ein Erkenntnisfelder. "Ich sammle Informationen, Ideen, Kriegskind, im wörtlichen Sinn. Geboren wurde er Vorstellungen." Intentionen sind ihm suspekt. Und 1944 in Neutitschein, ehemals Sudetengau, heute wenn er früher Thesen aufstellte, will er heute nur Novy Jicyn, Tschechien. Mutter Lili Faroqhi war Fragen aufwerfen. Eines gilt jedoch immer noch: während der Bombardierung Berlins dorthin evakuiert Das, was aus "Zwischen zwei Kriegen" immer wieder worden. Vater Abdul Qudus Faroqhi, ein indischer zitiert wird, um das Besondere seiner Filme Arzt, war in den 20er-Jahren nach Deutschland herauszustreichen: "Wenn man kein Geld hat für eingewandert. Er hing einer Fraktion der indischen Autos, Schießereien, schöne Kleider - wenn man Kongresspartei an, die während des Krieges mit den kein Geld hat für Bilder, die die Filmzeit wie von Nazis gegen die Engländer kollaboriert hatte. Die selbst verstreichen lassen, dann muss man seine Familie kam nach dem Ende des Krieges in Hamburg Kraft in die Intelligenz der Verbindung der einzelnen zusammen; 1947 wurde sie nach Indien repatriiert. Elemente legen." So viel Geld hatte er nie, "Dann sind wir furchtbar herumgefahren in Indien", weder für Nervenkitzel noch für Netzhautkaressen. erzählt Harun Farocki, "es gab ja Bürgerkrieg, den Denn er war immer sehr darauf bedacht, sich den großen Krieg zwischen Hindus und Islams." Man Kinoproduktionsmoloch vom Leibe zu halten. Seine lebte auf großem Fuß, solange Vater Abdul als Filme finanzierte er mit Auftragsarbeiten für das Leibarzt dem Fürsten von Bhopal diente, kurz darauf Fernsehen oder mit Fördergeldern. Für "Zwischen saß man wieder in einer Baracke des Roten Kreuzes. zwei Kriegen" sorgte er sogar selbst für die Werbung: Von Indien flohen die Faroqhis nach Indonesien, das Besprühte in Berlin Außenwände und sich gerade von den holländischen Herrschern Autobahnunterführungen, lief mit einem Plakat auf befreite; Jakarta war die erste Etappe, dann ließen dem Bauch herum und ließ sich bei der Berlinale mit sie sich in West-Java nieder, wo der Vater ein Schokoküssen bewerfen. Eine Form des Guerilla- Hilfskrankenhaus errichtete. 1956 konnte die Familie Marketings - wie sein Werkmonograf Tilman schließlich nach Deutschland zurückkehren, ins Baumgärtel befand - oder eine aussichtsreiche Art, Deutschland der Adenauer-Ära. In Bad Godesberg sich selbst zum Außenseiter zu machen. Heute erlebte der Schüler Farocki den katholischen ist Harun Farocki Inhaber einer Filmproduktionsfirma Klerikalismus, in Hamburg die "Herrschaft der mit einem einzigen Angestellten, ihm selbst, und Sitz Bourgeoisie". Vehementer wehrte er sich allerdings in seiner Lichtenberger Wohnung. Da stehen gegen "das verrückt anachronistische Regiment", das Equipment und Schnittplatz, an den hohen der Vater zu Hause führte, "weil ihm nach zwei Altbauwänden entlang passiert man sein Buch- und Kriegen und mehreren Kulturwechseln jeder Filmarchiv, im Hausflur stößt man auf Kartons mit der Realitätssinn abhanden gekommen war". Als sich der Aufschrift "VHS...Harun Farocki Production". achtzehnjährige Harun 1962 nach Berlin absetzte, "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges", der 1988 war es nicht sein erster Fluchtversuch. Nur der erste, beim Internationalen Filmfestival Edinburgh Premiere der ihm gelang. Aber für die rastlose Kindheit sei hatte und von den Kritikern für sein Meisterwerk er dankbar, sagt er. "Wenn man als Kind so oft gehalten wird, verbindet scheinbar disparate Sachen: umzieht und immer wieder alles verliert, von den Besitz von Kolonien in Algerien 1960 und Freunden, Haus, Garten Abschied nehmen muss, Auschwitz 1944, Bilder aus einer Kunstakademie und dann prägt man sich alles gut ein, dann erinnert man von Maschinenarbeitern in einer Fabrik, die sich an jede Einzelheit." Doch von den Bildern, die er Geschichte des Messbildes und Luftbilder von bei jedem Ortswechsel mit sich nahm, erzählt er Auschwitz. Am Anfang sieht man Wellen in einer nichts. Eher müht er sich, die persönlichen Versuchsanlage, in der die Bewegung des Wassers Erinnerungen in einen historischen und erforscht wird. "Diese Bewegung bindet den Blick, gesellschaftlichen Kontext zu fügen. Redet von den ohne ihn zu fesseln und setzt Gedanken frei", lautet Unabhängigkeitsbewegungen in Asien während des der Text zum Bild - eine Einladung an den letzten Weltkrieges, vom Zustand der deutschen Zuschauer, ins Tohuwabohu der Erscheinungen frei Gesellschaft in den fünfziger Jahren, vom Skandal einen Sinn zu legen. Den einzigen eines Lehrers, der, obgleich antinazistisch gesinnt, Orientierungspunkt in dem Film stellen Flugfotos von jeden Schüler aus proletarischem Milieu vom Abitur Auschwitz dar. Am 4. April 1944 waren sie von einem fernhielt. Davon, dass der Vater-Sohn-Konflikt in amerikanischen Bomberflugzeug aufgenommen seinem Fall sich nicht mit dem typischen Konflikt der worden, aber erst 1977 erkannten CIA-Agenten bei Zeit gedeckt habe. Harun Farocki ist ein Kriegskind einer erneuten Auswertung, was die Kamera und ein Nachkriegskind, mit Sonderlasten. Aber abgelichtet hatte. Das bisher unkenntliche Raster, all dies zur Leinwand zu bringen, daran denkt er das die Luftaufnahmen zeigten, erwies sich als Komplex von Gaskammern, Verbrennungsöfen, Musterhemd, Jeans und Sportschuhe. Um ein Baracken. Eine verschwommene Linie von Punkten professorales Erscheinungsbild hatte er sich nicht wurde als Schlange von Häftlingen identifiziert. Um bemüht. Wählte umsichtig die Worte, ließ Pausen richtig gelesen zu werden, brauchten die Fotos einen zwischen den Sätzen. War da, um die Bilder, die bereits aufgeklärten Leser. Sie konnten von hinter ihm an der Wand abliefen, zu erklären, Auschwitz nichts erzählen, solange man von kommentieren, analysieren. Bild-Analyse - sein Auschwitz' Existenz nichts wusste. Auschwitz wurde Heftklammerentferner: ein Werkzeug, um die nicht bombardiert. Der Film, in dem der Begriff Wirklichkeit von deren menschengeschaffenen Aufklärung als variable Sprachhülse entlarvt wird - Larven zu unterscheiden. Man bekam es "ein Wort in der Geistesgeschichte, ein Wort in der zweifach an jenem Abend. Hinter dem Schreibtisch Militärsprache, ein Wort in der Polizeisprache" - sprach der Filmemacher von den Bildern in den markiert das Debakel der Aufklärung als Debakel der Filmen, in denen er Bilder der Filmgeschichte Bilder. Seitdem hat Farocki nicht aufgehört, die kommentiert hatte. Es waren Szenenfolgen, Frage nach dem Bild zu stellen. Nach den Bildern, Schnipsel von Klassikern und längst vergessenen die die Wirklichkeit ablichten oder sie konstruieren. Streifen. Aus Archiven hatte er sie geholt, gesichtet, Nach den Bildern der Reklamen und denen der gewählt, zusammenmontiert. So ist "Arbeiter Medien; nach jenen, die Individuen einer verlassen die Fabrik" entstanden, ein Essay über die kapitalistischen Gesellschaft von sich selbst Fabrik und ihre Arbeiter, wie sie in den Kinos hundert ersinnen, um Teil der Warenwirtschaft zu werden. Jahre lang zu sehen waren. So auch "Der Ausdruck Nach den (Fernseh-)Bildern, aus denen Geschichte der Hände", über die Rolle der Hände im Film. Aber gemacht wird. 1993: "Videogramme einer bei "Gefängnisbilder" kamen die Aufnahmen von Revolution". Mit Andrej Uijca trug Farocki alle Überwachungskameras hinzu, die er in Fernseh- und amateurhaften Videoaufnahmen der amerikanischen Gefängnissen gesammelt und den rumänischen Revolution von 1989 zusammen, die filmgeschichtlichen Ausschnitten beigelegt hat. ausfindbar zu machen waren. Aneinander Ätzende, grelle Bilder, die jede Spur des geschnitten in strenger chronologischer Reihenfolge menschlichen Auges vermissen lassen. Wie auch der ergaben sie einen Film, der eher einer Operette Alltag in amerikanischen Strafanstalten jeder Spur ähnelt denn einer Dokumentation historischer von Humanität entbehrt. Oft schossen die Wärter, Ereignisse. In diesem Fall ließen die Bilder die Frage wenn auf den Bildschirmen eine Schlägerei, ein Streit offen, was zwischen dem 21. und dem 26. Dezember zu sehen war. Oft gab es Tote - aber die 1989 in Temesvar und Bukarest wirklich geschehen Überwachungskamerabilder, die den Tod war. In "Ein Bild", "Der Auftritt", "Image und Umsatz" dokumentieren, unterscheiden sich nicht von allen oder "Stilleben", der für die zehnte documenta anderen. Sie sind - scheinbar objektiv, scheinbar entstand, nahm Farocki die Darstellungsmuster der authentisch. Szenen, die mit ihrer aufgeblasenen Werbung aufs Korn. "Die Schulung", "Die Authentizität einen neuen Mythos aufrichten mögen: Umschulung" und "Leben BRD" lüfteten die Paranoia das "Authentische", wonach man allenthalben lechzt. von Trainings- und Lehrkursen, in denen man lernt, Aber Farocki lässt die Bilder nicht allein. Er dreht und sein Image zu verkaufen. Auch Filme über Shopping wendet sie in der Pfanne seiner Kritik, bis jede Malls hat er gemacht, aber er glaubt nicht, dass "der schöne Aura davon abgedampft ist. "Mein Programm letzte Dinosaurier Europas", wie Benjamin den ist nicht Remythisierung", sagt er. Sein Programm, Konsumenten nannte, die Schaufenster noch nötig darf man daraus schließen, ist immer noch habe. "Wenn man die Ware sieht", sagt er, "denkt Aufklärung - über die Bilder, die nicht mehr aufklären. man sofort an all die Filme, die es für diese Ware Farocki lässt die Bilder nicht allein. Er dreht und schon gibt." Man braucht also gute wendet sie in der Pfanne seiner Kritik, bis jede Heftklammerentferner, um die Ware vom Werbespot, schöne Aura davon abgedampft ist. die Dinge von deren Schein zu trennen. Längst Bundesrepublik Deutschland (BR) Film ist Harun Farocki kein Revoluzzer mehr, sondern Innenpolitik Bericht Film-Rezension Allgemeines selbst Dozent. In den Neunzigern pendelte er Porträt Männliche Person Einzelzitat zwischen Berlin und Berkeley, wo er eine visiting professorship innehatte. Neulich macht er sich rar in den Filmdepartments und Filmhochschulen des neuen und alten Kontinents. Aber wenn er zu einem Symposium einlädt wie im März in die Berliner "Kunst -Werke", ist der Vortragssaal überfüllt. "Suchbilder" war der Titel der Veranstaltung. Zur Sprache stand sein Projekt, ein Bildarchiv filmischer Ausdrücke zu realisieren: eine Bildkollektion, in der man nachschlagen könne wie in einem Wörterbuch, das über einzelne Begriffe Auskunft gibt. Farocki saß auf dem Podium hinter einem ellenlangen Schreibtisch. Zerzauste schwarze Locken, buntes aus Berliner Zeitung vom 06.10.2001 Der Abbruch einer Häuserwand StadtGestalten - der Dichter Durs Grünbein lebt seit ein paar Jahren im Osten und Westen Berlins

Von Aureliana Sorrento

Vor seinem Fenster fegen die Züge über die Hause und nie angekommen". "Transit Berlin" Eisenbahnbrücke. S-Bahn-Züge, ICEs, war der Titel der Schrift. In der aus zwei graffitibekleckste osteuropäische Fabrikate. Sie unzusammenhängenden Welten, Zeiten und rumpeln und fauchen und fiepen in den Ohren, als Daseinswesen nun wieder zusammengezimmerten rasten sie durch das Zimmer. "Wenn ich telefoniere, Stadt erblickte der Autor jenen provisorischen Raum, fragen die Leute, ob ich auf dem Bahnsteig sitze", in dem das unbehauste Künstler-Ich, millionenfach kommt wie auf einer gestörten Ätherwelle. Indessen zerlegt, von Reiz zu Reiz flüchtend, eine Art Dasein sitzt er auf einem nietenbeschlagenen Lehnstuhl vor pflegen kann. Berlin - eine Zwischenzone - schien seinem Schreibtisch. Darüber hängen im Sommer die ihm die einzig mögliche Heimat der Heimatlosen. Fensterflügel sperrangelweit offen. Das Haus ist Dahin zog Durs Grünbein 1985, 23-jährig. Aus ein Altbau mit glatter Fassade gegenüber dem Dresden, "die Restestadt . ein Hinterhalt/ für Engel, Hochgleis der S-Bahn. Keine zehn Meter vom die der Krieg hier internierte/ Vorm Rückflug." "Dort Schreibtisch entfernt verlaufen die Schienen, hat bin ich geboren", hat er geschrieben, "und es Durs Grünbein in seinem jüngsten Diarium "Das brauchte viel List, da herauszukommen." Aber nach erste Jahr" festgehalten. Jenseits von Pfeilern und Dresdner Maßstab war ihm Berlin wesensfremd. Eisenbrücke die Ahornbäume des Savigny-Platzes. Nach dem Maßstab des rußgeschwärzten, Über deren Kronen sah er im Winter Krähen kreisen. zerbombten Barock, mit dem sich das Elbflorenz "Es heißt, sie seien aus Russland noch zierte, der Erinnerungen an Italien, Österreich herübergekommen", liest man unter dem Datum 13. und Polen, die dort zwischen Plattenbauten spukten. Januar, "wie seinerzeit die Truppen der Roten In der Hauptstadt der DDR gab es nur Unter den Armee". Wie jetzt Immigranten, die in den grünenden Linden Schinkels Vision eines Spree-Athen, von Nischen des Platzes die neue "rodina-mat" aus Einschusslöchern aus dem Zweiten Weltkrieg weichen Zischlauten herausfabulieren, während Ami- gezeichnet. Zuerst war er hier Student, exerzierte Smalltalk und Mahlzeitgeklirre aus den Bistros und Theaterwissenschaften in den Humboldt-Sälen, kam Cafés auf den Bürgersteigen herüberweht. Von der in der Warschauer Straße, dann in Prenzlauer Berg Kantstraße her, die den Platz durchschneidet, das unter. Schräg gegenüber einem Energiewerk, das Rauschen von Autos und Lastwagen. Auf den nachts immer brummte, war seine Wohnung mit Zebrastreifen klappern die Hacken gepuderter Ofenheizung und Außentoilette. Er hätte weg gewollt, Damen in grellseidenen Röcken. Girlies auf stellte 1987 einen Ausreiseantrag. Aber bevor ihm Keilabsätzen schlendern, mit Schlaghosen und eine Antwort darauf erteilt worden wäre, holte ihn die Handys im Anschlag. So sieht der Trubel aus in West Öffentlichkeit ein. Auf Vermittlung Heiner Müllers -Berlin, Charlottenburg. "Emsiges Hin und Her, erschien "Grauzone morgens", sein erster Geschäftigkeit den ganzen Tag über." Und alles Gedichtband, 1988 im Suhrkamp Verlag. Danach verklingt im Geratter der Züge. Stimmen, Sätze, kam die Wende. Ein Zug nähert sich, Laute. Aber das stört ihn nicht. Der Dichter, vom Warschauer Waggons, er erkennt sie von weitem. Getöse permanent durchströmt, thront auf seinem Sie ringen ihm eine Pause ab, ein Lächeln, Stuhl wie auf einem friedsamen Eiland. Eine Ikone Reminiszenzen an die eigene Biografie. Ist ein jenes "neuen Künstlers", von dem er einst schrieb, er Dichter-Bewusstsein nicht auch ein Speicher für habe kein Programm mehr, sondern nur noch Nerven Überreste vergangenen Lebens? In den Danziger und einen feinen Spürsinn für Koordinaten. Das war Werften fing die Geschichte an, die ihn an den im zweiten Jahr nach der Wiedervereinigung, als betriebsamen Platz spülte. Am 9. November 1989 Grünbein, endlich entlassen aus der DDR-Grauzone war er mit der Menge zur Bornholmer Brücke ins buntschrille Gemenge der freien Welt, die gepilgert. "In dieser Nacht, als man die Schleusen "Situation des Künstlers jetzt" in einem Essay zu aufzog, / Ergoß ein Menschenstrom sich in den erörtern suchte. "Sein Weg führt ihn im Zickzack hellen Teil/ Der Stadt, die eine Festung war seit durch die urbanen Gefahrenzonen", lautete sein dreißig Jahren, / Geschleift von einem falschen Wort Befund, "nicht anders als der von Kinderbanden, die im Protokoll." "Mit einer letzten Drohung, einer ihre Zeit mit Autojagden, S-Bahn-Surfing oder Atempause" wurde seine "Geiselnahme" beendet. Kaufhaus-Piraterie verbringen." Schwankend Am Morgen des folgenden Tages erschien ihm als zwischen Wachsamkeit und Versagen, Neugier und Zeichen der Umwälzung an einer Kreuzung ein Flucht sah er eine neue Generation schöpferischer abgebrannter Trabant, dessen Schlüssel die Besitzer Gammler durch die Weltstädte wandeln, "eine an einen Baum gehängt hatten. Nicht daran, am Generation von Jet-settern, immerfort unterwegs, Wechsel vom östlichen Schwarzweiß in den beschäftigt mit Uhrenvergleichen und Übersetzungen Technicolor-Film der Marktwirtschaft erlitt er einen von einer Lebenssphäre in die nächste, nirgends zu Schock. Immer noch muss er manchmal die Augen zusammenkneifen, damit das regenbogenartige Weile in Schöneberg gewohnt, in der Bamberger Tohuwabohu die Sehkraft nicht überfordert. Doch das Straße, unweit vom Haus, in dem Gottfried Benn Einzige, was ins Gewicht fiel zu jener Zeit, war die seine Praxis hatte. Um 1998 sei er in die Parole: "Wir wollen raus hier, hört ihr. Wir wollen Grolmanstraße gezogen. "Als ich hier ankam, war es raus." Seine "Giftküche" - so nennt er im Diarium eine Ankunft", sagt er, mich hinaus auf den Weg seine Charlottenburger Wohnung - ist ein staubfreies, weisend, den er täglich beschreitet. Des Dichters makellos aufgeräumtes Kabinett, in dem ein Allerlei Dienstweg sozusagen. Rechts zur Hausecke, wo das an Kulturzitaten der strengsten Liebe zur Geometrie "Rocky's Inn", eine Boxerkneipe, Glanz und Gloria untergeordnet wurde. Einem Plakat von 1932 mit des gegenüberliegenden, weiland von Brecht dem ukrainischen frauenwerbenden Sowjetspruch besuchten "Diener" nachfeiert. Dann links, unter der "Arbeiterinnen erneuern die Technik!" entspricht, im S-Bahn-Brücke, über die Straßenkreuzung, zum Eingang postiert, der amerikanische Aufruf zur Eisenwarenladen C. Adolph, der "alle Theater des Kriegsarbeit "Find your war job". Eine ganze Westens mit Bühnenbedarf versorgt", aber heute in Bücherzeile der Wand ist Klassikern der Antike Sachen Kindersicherungen für die nun einjährige gewidmet. Zwischen den Büchern ein Bild von Tochter zu Rate gezogen wird. "So schrecklich Montaigne. Aber nirgendwo lassen sich die "Porträts bürgerlich sie auch ist, von Osten aus gesehen war der wichtigsten Täter des letzten Jahrhunderts", diese Gegend für mich die Reizvollste in Berlin", Stalin, Mao, Lenin, Trotzki und Ho Chi Minh ausfindig bekennt er mit dem gütigen Lächeln, das ihm eigen machen, von denen er in "Das erste Jahr" schreibt, ist. Dann biegen wir in die Carmerstraße ein, sie seien überall in seiner Giftküche versteckt. Er schlendern unter Schattenbäumen an Prunkpalästen wollte früh in den Westen. Nach dem Mauerfall, sagt entlang, die Sonne umspielt die Stuckaturen der er, habe er sich treiben lassen durch die Stadt. Fassaden, ab und an kommt uns grüßend ein Zunächst verschlug es ihn nach Tiergarten, in die Passant entgegen. So hat er die Städte früher Kurfürstenstraße/ Ecke Potsdamer Straße. "Ein nicht gekannt. "Menschenlager, Tierkäfige, typisches Dienstleistungsgebiet", wo die Arbeitsstädte" waren die Ruinen- und Geschäftstüchtigkeit der Ladeninhaber mit dem Fleiß Bauansammlungen, in denen das DDR-Kind der Strichmädchen konkurrierte. Später habe er ein aufwuchs. Grau in Grau. Aber von den Lektüren her Dachgeschoss in Neukölln bezogen. "Die Fenster, kam bald die Sehnsucht auf nach der Stadt der aus denen ich auf den Himmel starre, sind so weit Flaneure, nach der Metropole als Kaleidoskop des oben, daß sie schon schräg liegen, in einem Winkel Möglichen und Treffpunkt von Künstlereliten. von ca. 60°", notierte er im "Brief über die Wolken". Charlottenburg rund um den Savigny-Platz mit seinen Von den Dachluken zur Beobachtung von Zirren, Buchhandlungen, Galerien, Cafés und Boutiquen, Nimbostraten und Stratokumuli verführt, konnte er schien der Chimäre am nächsten. Aber das wahre sich in Sicherheit wähnen vom Treiben, Schachern Bild der Großstadt - "das habe ich, ehrlich gesagt, bis und Schlachten der Menschen darunter. Denn: "Eine heute noch nicht gefunden". Es liegt in der Mitte einzige Wolke kann ein ganzes Schlachtfeld ad des Bandes "Nach den Satiren": Berlin, das alte absurdum führen." Auf Erdgeschossebene war Zentrum, zerbombt, verschüttet, der Toten und die Umwelt nicht ganz so friedlich. Geht der Mensch Untoten voll. Ein Ort, wo sich Geister sammeln, wo an einem Sommertag durch die Hasenheide, den Zähne aus den Wänden wachsen und Zeitungen Park, den sich Neuköllner mit Kreuzbergern teilen, hinter den Tapeten noch vom "Krieg an allen wird er wissen, wie bedrohlich in den Stoppeln Tritte Fronten, von Mannverlust und Landgewinn / und vom knistern können, Kippen- und Dosenhäufchen vom Verschwinden ganzer Städte in Minuten" berichten. Wegesrand herüberschielen. Wird auf Paare treffen, Vom Potsdamer Platz ist die Rede, vom Schädel des die zechen und zetern, und auf Voyeure, die unter Wehrmachtssoldaten, den dort ein Bagger bei den Bäumen hockend spitz auf Rendezvous harren mit Bauarbeiten ausgrub. Eine Landschaft aus Unbekannt. "O diese Hundekämpfe an jeder zerwühlter Erde, aus Kabelschächten und Leichen im dritten Ecke, das Rangeln / Um den Blick eines Schlamm. Beschrieben wird die Hünenarbeit der Mannes im Dickicht. Dafür spielen die Muskeln / Vor Maschinen, die den Boden umschaufeln, geöffneter Kühlerhaube wie geölt überm Motorblock./ durchfurchen und abkippen, um die neue Mitte Dafür schimmern die Beine durchs Nylon, drohen Berlins aus der Asche zu heben, allerdings nicht in Parolen / An den rauchdunklen Mauern mit den Zeilen. Man gewahrt sie im Hintergrund. Klar ungeheuren Verbrechen." So ist in der ersten seiner wird auf jeden Fall, dass Baueifer auf solchem Grund vier Satiren "Nach den Satiren" zu lesen. Was in den Zerstörungswut gleichkommt: "Berlin, das letzte, / Seiten als Vers gebündelt steht, sah er damals in sah man verschwinden, wiederkehren und erneut Neukölln. Den Skatspieler in der Kneipe, erschlagen, verschwinden", heißt ein Vers mitten in der weil er zu laut war. Den Verletzten, halbtot, durch Bilderhölle. Es ist ein Schwindel, der einen Glasscherben sich schleppend. Und den Verkäufer, erfasst. Ein Schwindel angesichts des der die Rosen anpreist "wie ein gehetztes Tier". Dort Verschwindens. Sehr früh habe er es vor der Brache fand er sich wieder als Zeitgenosse Juvenalis, des des Anhalter Bahnhofs gespürt. Von wo die Züge an Römers, der schrieb: "In der Stadt zu schlafen, kostet die Ostfront fuhren, "hier haben die Panzer viel Geld. Daher die Übel." Er habe dann eine gewendet". Hier bleibt heute nurmehr das Bruchstück einer Fassade, drei Bögen, drei Kreuzgewölbe, von polnische Kommunisten zum Zeichen erneuerter Drahtzaun umzingelt. Ein Witz, dass obenauf noch Freundschaft den deutschen Genossen schenkten. ein bronzener Jüngling Augen und Arm gen Himmel Erspähte den Alten Fritz - eine neuerdings hebt. Ein Omen, glaubt er, vielleicht für Berlin. Eines aufgestellte Kopie - auf der Säule, unter der seine Tages wird die Stadt aus Kulissenfragmenten originale, vom Hofschneidermeister Freitag gestiftete bestehen, eingefügt ins Mauerwerk der neuen Büste noch gesucht wird. Auf Umwegen geriet er Gebäudekolosse. Oder auch unter Glas gestellt, ins dann in den Friedhof der März-Gefallenen. Die Stätte Schaufenster, damit die Nachfahren sie dereinst heißt noch so, aber die Gräber von 1848 haben beäugen können. Seit drei Jahren wohnt Durs längst russische Panzer geschleift, damit Platz frei Grünbein wieder in Prenzlauer Berg. Weil seine Frau wurde für drei Steinkloben, die der November-Helden dort ihre Wohnung hatte, zog er zu ihr an den von 1918 mit eingravierten Losungen gedenken. Der Friedrichshain. Anfangs musste er gegen das Gefühl Dichter entdeckte, dass der Park in Wahrheit ein ankämpfen, "gegen einen gewaltigen Strom zu Denkmalparcours ist. Oder ein Märchenparcours, der schwimmen". Ost-Berlin - das war seine auf Pegasos Rücken an die Geschichte des 19. und Vergangenheit. Als er sich zur Rückkehr entschloss, 20. Jahrhunderts heranführt wie zu einer Fata wurde die Wohnung am Savigny-Platz zu seinem Morgana. "Vor allem abends, im Winter, wenn der Arbeitsraum. Dorthin fährt er täglich um die Nebel steigt, wirkt dieser Park wie verzaubert." Jetzt Mittagszeit herum. Einen Pendler nennt er sich, aber brütet die Sommerhitze. Aber der nackte Faun, der einen, der es gerne ist. "So habe ich all die Jahre aus dem Friedhof hinter die Bäume huscht, passt zu immer wieder erfahren, wie geteilt Berlin immer noch dem Zauber. Merkwürdig dann, dass er, Bier ist, und wie verschieden sich seine Teile verändern." schlürfend im Café des Parks, von der Härte des Früher ist er oft um den Bahnhof Zoo gewandelt. Es Endkampfs redet: "Für mich liegt sie immer noch in war die Öde, die ihn anzog. Die Öde der Großkinos der Luft, diese Gewalttätigkeit am Ende des Zweiten und Kaufhausketten und Einkaufsmeilen. Da erfuhr Weltkriegs." Die Sowjets kamen von Osten, fuhren er zum ersten Mal die Einsamkeit in der Masse. Er mit schwerem Geschütz herein, um die zwei weiß, dass man im Westen besser einsam sein kann Flakbunker im Park niederzuwalzen, heute zwei unter vielen. Einsam wie die zwei Nachtbummler in Hügel aus zwei Milliarden Kubikmeter einem Gedicht, die "entlang der Alptraumwege zu Trümmerschutt. Um den Friedrichshain, im den Clubs und Bars" streunen, "vorbei an Grill, Prenzlauer Berg, war der Häuserkampf heftig Bestattungsfirma, Reisecenter, / Und an Vitrinen, wo gewesen. Man sieht es an den Einschusslöchern in zu Stapeln aufgebahrt, die Prosa der Saison auf den noch nicht sanierten Fassaden und in den Kundschaft wartete". Oft ging er auch in den Zoo, Steinplatten, auf denen das neue Berlin von Bar zu weil es ihn seit frühester Kindheit in alle Tiergärten Bar promeniert. "Wen würde es wundern", liest man gezogen hat. Den Berliner hält er für einen der in Grünbeins Tagebuch, "tauchten dort schönsten. "Vor allem die Architektur dürfte Geistersoldaten aus den Gebüschen auf, versprengte bewundert werden, die Pracht der Tierhäuser und Truppenreste der Armeen des letzten Weltkriegs?" großen Volieren, Spezialitäten wie das Der Krieg ist der Mittelpunkt, der seinen Gedanken Sumpfvogelpanorama oder der Vierwaldstätter See, über Berlin das Maß ihres Radius vorgibt. Sie an dessen Ufer sich Rosaflamingos tummeln", hat er schreiten kreisend fort. Von den Verwandlungen, in einer Essay-Hommage zum 150. Jubiläum des denen die Stadt seit der Vereinigung unterworfen ist - Zoologischen Gartens gepriesen. Doch fiel ihm der "Weshalb ich kaum heimisch werde hier, und es stört Gegensatz auf zwischen den exotisch gestalteten, mich doch gar nicht!" - zu der Einsicht, dass diese phantasmagorischen Pavillons und dem desolaten rasante Veränderung "unmittelbar aus den Zustand der Bevölkerung, die sich hinter der Antagonismen folgt, von denen die neue Hauptstadt Parkmauer scharrt. Berlintypisch fand er das geprägt ist". In Berlin habe man den Kalten Krieg Aufeinanderprallen des Unvereinbaren. Zehn abgebildet, hier könnten Touristen die beiden Hälften Schaumkronen plätschern im grünlichen Wasser der der Welt von vorgestern besichtigen. Alex und runden, gestaffelten Becken. Der Märchenbrunnen Bahnhof Zoo - was verbindet die beiden Zentren der gleicht heute einer Oase in dem sonnendurchglühten geteilten, vereinigten Stadt außer die Schienen der S Park. Die Ahorn- und Kastanienblätter sind schon -Bahn? Alles sei doppelt in der "Hauptstadt in spe". blass von dem Glast. Aber Parkgänger fahren Doch wandle sie sich im Takt von Sekunden. Wie ein sonntags zum See. Nur ein Pärchen, sehr jung, Armstumpf, dem eine Prothese implantiert wird, und hampelt und turtelt auf einem Sockel, der sein noch eine, noch eine. Im Kern bleibt der Standbild verloren hat. Hier lang geht Durs Kriegsversehrte, der Abbruch einer Häuserwand. Grünbein mit dem Schäferhund spazieren, seit er am "Einestags entdeckt man, hoch an den Glasfassaden Friedrichshain wohnt. An dem Haudegen vorbei, der festgeschraubt, Reptile / Die neutralen Augs den mit Ernst Buschs Gesicht, Faust und Schwert zum Kehraus überwachen. - Daß ihm nichts entgeht / Nur Himmel gestreckt, sich über zwei Klötzen die Gewohnheit, diese Arbeitslose, kehrt zurück an taube Gliedmaßen verrenkt, dem Spanienkämpfer aus dem Stellen." Berlin (BLN) Berlin West (WBE) Jahr 1968. Bald auch fand er die Inschrift "Za nascha Ostdeutschland (BRO) Durs Grünbein i wascha wolnosc" auf der massigen Schranke, die Bauen und Wohnen Alltag und Soziales Leben Reportage Porträt Männliche Person Einzelzitat Allgemeines Serie aus Berliner Zeitung vom 10.11.2001 Feuilleton NACHWUCHS Aobababa Von Aureliana Sorrento

Schwer zu sagen, ob es sich um eine Folge der waaars?" begrüßten. Offenbar war ihnen das sonore höchstrichterlich durchgedrückten Treiben ihrer Jüngsten, das sich vermutlich nicht auf Kindergelderhöhung handelt oder des vor ein paar die Frühstückszeit beschränkt, kein Hindernis, Jahren in Umlauf gebrachten Viagra-Elixiers. In den Berichtenswürdiges zu erleben und mitzuteilen. zentrumnahen Ostbezirken der Stadt ist jedenfalls Daran ist eigentlich nichts Verwunderliches, waren eine Zunahme des Nachwuchses zu beobachten, die sie doch alle drei recht guter Dinge, hübsch, allen katastrophischen Prognosen zum künftigen schulterfrei und einwandfrei geschminkt. Nichts Rentner-Beitragszahler-Verhältnis zu widersprechen gegen die Reize der Prenzlauerberg'schen Mütter: scheint. Vielleicht ein reines Ost-Berliner Phänomen, Sie machen der Ehegöttin Hera alle Ehre. Dass Zeus' das ministeriale Rechnungen nicht zu beeinflussen Gattin vom wohlgebauten Paris den Apfel der vermag? Nimmt man nämlich in einem Café in Schönheit nicht bekam, lag schließlich nicht an ihrem Charlottenburg Platz, wird man an den benachbarten mangelhaften Äußerem, sondern an der Schläue Tischen vor allem auftoupierte grausträhnige Damen ihrer Rivalin Aphrodite. Hera war majestätisch schön, wahrnehmen, welche Erkundigungen über die besagt die Überlieferung, nur halt etwas zänkisch. Meinung gleichaltriger Herren zur jüngsten Weshalb Homer sie wenig liebte und an der Opernpremiere einziehen. Man wird die Herren ihre Vernichtung des alten Troja für mitschuldig hielt. Hornbrillen zur Spitze der Nase herunterschieben So was kann unseren holden Müttern niemand und dem Pinscher auf ihrem Schoß das flauschige anlasten. Trotzdem ist es empfehlenswert, ihren Haupt streicheln sehen. Derart werden sie ansetzen: Ingrimm zu umgehen. Er würde nicht weniger Wie außerordentlich die Leistung der Sänger, wie bedrohlich ausfallen als der Zorn der göttlichen Hera. wild die Regieführung gewesen sei, und ob man Als ich neulich im oben erwähnten Straßencafé ein heute noch überhaupt mit so abgetakelten Mitteln Scheppern dicker Steine auf Blech vernahm und eine jemand zu provozieren glaube. Und so weiter und so Rotte winziger Rüpel erblickte, die mit Kopfpflaster fort, bis die Nachfragende ihren Sekt ausgetrunken um sich warfen, entfuhr mir das Protestwort "Ruhe!" - hat und sich des nächsten Termins entsinnt. Ihre womit ich sogleich Mutterwut erregte. "Wir sind hier ja Hornbrillen vornehm hochgerückt, das Maul des wohl nicht im Sanatorium!", keifte mich die Gebärerin Pinschers, das am Marmortisch lehnt, ein wenig nach des Steinewerfers an. Angesichts der kompakten unten gepresst, werden sich die Herren wieder hinter Majorität, die die Mütter in dem Café inzwischen der "Neuen Zürcher Zeitung" verkriechen. Das gebildet hatten, verkniff ich mir die Antwort. hehre Journal mit der gebührenden Aufmerksamkeit Außerdem hatte sie Recht. Sanatorien sind Anstalten zu Ende zu lesen, würde den Charlottenburger zum Versüßen des Alterns. In unserem heimeligen Herren in einem Kaffeehaus des Prenzlauer Bergs Viertel hat jedoch die Jugend das Sagen: Aobababa, nie gelingen. Ich, obzwar nicht Herr und nicht Hiiiiii, Tjetjetje, Gogaugaugau. Feuilleton Charlottenburger, habe mir derlei Unternehmungen abgeschminkt. Wo auch immer ich unter Markisen und Platanen mich niederlasse, in der Absicht, einem Druckwerk meine Freizeit zu widmen, lässt mich ein frohgemutes "Aobabababa", ein verzweifeltes "Hiiiiii", ein vergnügtes "Tjetjetje", ein grimmiges "Huhuhuhua" aufhorchen. Gestern war es zunächst das "Pipipipip" eines Mädchens, das Ohr und Auge für sich in Anspruch nahm. Es balancierte mit gen Himmel geworfenen Armen auf einer Biergartenbank und ahmte die Spatzen nach, die vom Boden Krümel pickten, tschilpten und flatterten. Weil die Spatzen irgendwann aufflogen, war zu befürchten, dass das Mädchen es ihnen gleichtun müsste. Dann wurde es aber von einem "Macht schnell, macht schnell, wir müssen den Tisch besetzen!" verscheucht. Zwischen meinen Rücken und den Fahrradständer des Cafés schob sich ein Buggy. Der darin eingezwängte Säugling fuchtelte mit einer Plastikperlenkette zu einem anderen Baby hin, das ebenso eingezwängt, aber glücklich ein Croissant mampfte. Im Handumdrehen sah ich mich von drei Müttern umgeben, die sich mit dem Ausruf "Und, wie aus Berliner Zeitung vom 08.01.2002 Seite 3 Der Botschafter spielt Klavier Frank Schüttig ist Berliner Redakteur des "Diplomatischen Magazins". Er berichtet über Empfänge, Vernissagen und gesellige Abende. Die Zeitschrift ist eine Fachzeitschrift, sagt er

Von Aureliana Sorrento

BERLIN, im Januar. Ein ganz normaler Tag im Mittagspause liest er die Post. Im Schnitt liegen Leben des Frank Schüttig beginnt um halb acht. Da täglich drei bis fünf Einladungen im Briefkasten, alle steht er auf. Wie viele andere Bundesbürger. Obwohl mit dem Kürzel "u.A.w.g." versehen: Um Antwort wird es, genau genommen, in Schüttigs Leben gar keine gebeten. Meist schickt Frank Schüttig die normalen Tage gibt. Denn wer geht schon an ein und Antwortfaxe gleich ab. "Es passiert häufig", sagt demselben Tag zu einer Party im Berliner Ritz- er, "dass mehrere Veranstaltungen zur gleichen Zeit Carlton-Hotel und zur feierlichen Eröffnung einer stattfinden. Dann stellt sich die Frage: "Welcher Botschaft? Frank Schüttig tut so was. Fast alle Termin ist wichtig?" Die Eröffnung einer neuen Tage sind Festtage im Leben des Frank Schüttig. Botschaft in Berlin ist es sicher. Auch wenn nichts Das gehört zu seinem Beruf. Schüttig ist 47 Jahre alt passiert, wenn es regnet und die Festredner es für und Berliner Redakteur des "Diplomatischen unerlässlich halten, auf die Witterung Bezug zu Magazins", einer Zeitschrift "mit Informationen für das nehmen. Und wenn schließlich der Außenminister Konsularkorps in Deutschland" - wie der Untertitel zum Podium geht und versichert, die Beziehungen präzisiert. Es ist ein Blatt über Diplomaten für zwischen den Staaten seien auf jeden Fall besser als Diplomaten. "Eine Fachzeitschrift", sagt Redakteur das Berliner Wetter. Schüttig schreibt mit. In einem Schüttig, "die von Leuten gelesen wird, die sich für grauen Anzug und makellos weißem Hemd, auf dem Botschaftsempfänge, Außenpolitik und eine blaue, von kleinen lila und rosa Karos Personalwechsel in den Botschaften interessieren." durchwirkte Krawatte prangt, hält er Stellung neben Bisher erschien das Magazin nur in deutscher dem Band, das die Journalisten, Kameraleute und Sprache, nun wird es auch in Englisch gedruckt. unbedeutende Gäste von den Honoratioren trennt. Bezogen werden die zwölftausend Exemplare des Der Flügel im Musikzimmer Schüttig kennt sie monatlich erscheinenden Blattes in erster Linie von alle persönlich, den Botschafter der Slowakei und den Botschaften und Konsulaten anderer Länder in den Botschafter von Schweden, den Vorsitzenden Deutschland und von den Botschaften der des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages und Bundesrepublik im Ausland. Hier erfahren den jungen ungarischen Botschafter, über den er Exzellenzen, was einer der neuen Kollegen in Berlin schon in einer Ausgabe des "Diplomatischen für sein Land tun möchte, wie er sich in seiner Magazins" ein Porträt veröffentlicht hat. "Im Residenz eingerichtet und in der Stadt eingelebt hat. Musikzimmer setzt sich der Botschafter an den Im Teil mit der Überschrift "Botschaften und Yamaha-Flügel und spielt ein paar Takte." Seit Konsulate" finden sie dann Berichte über gesellige November 1999 ist Frank Schüttig Berliner Redakteur Abende, Antrittsbesuche und Vernissagen. Ein des "Diplomatischen Magazins". Nachdem der Besuch bei Rolls-Royce "Über 300 Gäste Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin feierten mit dem spanischen Generalkonsul Enrique beschlossen war und die ersten Botschaften in Berlin Iranzo und seiner Gattin Carina im spanischen eingeweiht wurden, suchte der Verlag dringend Kulturinstitut", liest man und erfährt von den jemand, der das diplomatische Leben in der neuen Führungen für Diplomaten durch die Rolls-Royce- Hauptstadt beobachten könnte. Also habe sich der Werke, von einer belgischen Musikfeier in München Verleger und Chefredakteur des Diplomatischen und einem Preußen-Abend der Hanse-Merkur- Magazins, Jürgen Eppinger, an ihn gewandt, sagt Versicherungsgruppe. Auch der "Embassy Cup" wird Schüttig. Damals arbeitete er als Journalist bei einer gewürdigt: "Dr. Thomas Borer-Fielding, Botschafter Zeitung in Berlin. "Ich habe nicht lang überlegt, die der Schweiz, hatte die Schirmherrschaft. 80 Golfer Gelegenheit ist so günstig, dachte ich mir, die werde und Aspiranten waren der Einladung zum 5. ich ergreifen." "Wenn man vom "Diplomatischen Embassy Cup im Palmerston Golf Resort in Bad Magazin" kommt, stehen einem alle Türen offen", Saarow am Scharmützelsee gefolgt. Die neuen sagt Schüttig. Dafür muss er allerdings etwas tun. Mitglieder der diplomatischen Golfszene fühlten sich Manche Anlässe nimmt er auch zur Pflege der in dieser Umgebung schnell wohl." Solche Anzeigenkunden wahr. Schließlich finanziere sich Berichterstattung ist mit einer strengen Tagesplanung das "Diplomatische Magazin" vor allem mit Werbung. verbunden. Um halb neun sitzt Frank Schüttig am In den vergangenen Jahren sei das Frühstückstisch, isst Müsli und liest die Zeitungen. Anzeigenvolumen der Zeitschrift erheblich Sein Arbeitszimmer liegt in seiner Lichterfelder gewachsen, heißt es im Verlag. "In Berlin hat Wohnung, hier schreibt er am Vormittag Texte, wählt das diplomatische Leben einen großen Aufschwung Fotos aus, bespricht mit Verleger Eppinger die genommen", sagt Schüttig. "Früher spielten Termine und empfängt Telefonate. Nach der Diplomaten kaum eine Rolle im Stadtbild. Wenn man heute durch die Stadt fährt, sieht man öfter Autos mit diplomatischen Kennzeichen. Eine diplomatische Szene hat sich etabliert." Seite 3 Frank Schüttig Porträt Männliche Person, aus Berliner Zeitung vom 30.03.2002 Ich habe aufgegeben zu sterben StadtGestalten. Bibiana Beglau spielt gegen das Seichte an. Fast könnte man sie eine Tragödin nennen

Von Aureliana Sorrento

Es ist ein mieser Sonntagmorgen, draußen baumelnden Händen zwischen den Knien. Erstarrt. schummert's und nieselt's, und keinem Bibiana Beglau als Untote, die in den Abgrund Schaubühnengänger ist es bislang in den Sinn geschaut hat. Selbst in den Strudel gerissen, den gekommen, das Theatercafé aufzusuchen. Vor vor ihrem Freitod in dem Stück Schreck zucken die Kellner zusammen, als plötzlich protokollierte. Jetzt lächelt sie zutraulich vor das Telefon schrillt. Bibiana Beglau am Apparat. einem frisch gepressten Orangensaft, war alles Lug Atemlos. Der Termin, der, glaubte sie, wäre zwei und Trug, zum Glück. Einfach nur Theater. Stunden später. Aber gerade sei sie von jemandem Ungläubig hört man ihr zu, wenn sie feststellt: "An daran erinnert worden, sorry sorry, sie werde sofort einen Selbstmordgedanken kann man sich nur kommen. Die Stimme klingt heller als von der Bühne, annähern." Oder selbstkritisch zugibt: "Gerade bei überschlägt sich in der Eile, sich zu entschuldigen. Psychose kommt man sehr schnell an einen Punkt, Eigentümlich. Wann hat sich je eine Diva so herrlich wo man als Schauspieler nicht weiterweiß." Von ehrlich fürs Zuspätkommen entschuldigt? Als Verzagen redet sie jedoch nicht, das würde man "Diva ihrer Generation" wird Bibiana Beglau seit einer Bibiana Beglau nicht abnehmen. Nicht einmal von Weile gehandelt. Für ihre zapplige Mücker in Enda Castorf ließ sie sich kleinkriegen, wenn er sich bei Walshs "Disco Pigs", von als der Arbeit an "Berlin Alexanderplatz" verzweifelt gab Schnellfeuer des Erwachsenwerdens inszeniert, und und klagte, die Proben seien ein Horror. Beglau ihre abgewrackte Mieze in Frank Castorfs "Berlin antwortete: "Es stimmt, es ist eine ziemlich Alexanderplatz". Angeschwärmt wurde sie vor allem langweilige Scheiße, gehen Sie bitte, auf für die Rolle der RAF-Terroristin Rita Vogt in Volker Wiedersehen! Oder soll ich gehen?" Frank Castorf ist Schlöndorffs Film "Die Stille nach dem Schuss", der sie dankbar dafür, dass er sie in die ihr auf der Berlinale 2000 den Silbernen Bären für die Eigenverantwortlichkeit entließ. beste Darstellerin einbrachte. Und jetzt, nachdem sie Eigenverantwortlichkeit, bekennt sie, sei das in Stefan Jägers "Birthday" jene Bibi gespielt hat, die Allerschwierigste. Sie liebt Hürdenläufe. Oder zu ihrem 30. Geburtstag das Jenseits erreichen will zumindest das Wagnis. 1971 in der Nähe von und sich zu diesem Zweck mit Tabletten vollpumpt, geboren, dort aufgewachsen, schmiss nachdem sie für in Zürich Bibiana Beglau ein Jahr vorm Abitur die den Alb einer augenrollend überexpressiven Ophelia Waldorfschule, wollte Malerin oder Bildhauerin verkörpert hat, und für Falk Richter in Sarah Kanes werden. Weil sie ihre Bewerbungsmappe für die "4.48 Psychose" als wütige Todesgängerin Kunsthochschule nicht rechtzeitig fertig brachte, aufgetreten ist, könnte man ihr fast den Titel Tragödin entschied sie sich kurzerhand fürs Schauspiel. Sie verleihen. Aber das wäre ihr wahrscheinlich egal. sprach in Essen vor, erfolglos; an der Hochschule für Starallüren sind ihre Sache nicht. Hereingestürzt Musik und Theater in Hamburg wurde sie gleich kommt sie, der rote Schopf völlig zerzaust. Auf angenommen. Jutta Hoffmann, ihre Lehrerin von einmal steht sie da mit eingeknickten Knien, hat im damals, ist immer noch ihr großes Vorbild. "Wenn Lauf gestockt, schaut sich blitzrasch um, hält still und Frau Hoffmann Kleist spricht, ist das aktuell", lächelt breit. Strahlt. Als wäre sie nicht durch den schwärmt sie, "es gibt nicht so viele Schauspieler, die Berliner Regen gegangen, sondern direkt vom es können: Die Worte eines Dichters für sich so zu lichtesten Himmel rübergeflogen. Todessehnsucht? bearbeiten, dass sie einen Realitätsbezug Die hat sie mit der Schminke von "4.48 Psychose" wiederherstellen." Schwärmen kann Bibiana weggewischt. Mit achtzehn, erzählt sie, habe sie auf Beglau allerdings hemmungslos für viele. Lynch, einem Reno-Hocker von Ikea darauf gewartet, tot Cronenberg und Francis Bacon sitzen in ihrem Kunst umzufallen. Aber die Zeit sei längst vorbei. "Ich habe -Pantheon; im Theater sind Schleef, Castorf und aufgegeben zu sterben", sagt sie, "Bin jetzt dabei zu Schlingensief ihre Leitbilder und Regie-Mentoren. Bei leben, ich versuch's." Und lacht auf. Abends auf aller Widersprüchlichkeit. "Weil sie alle Theaterleute dem Podest, das Katrin Hoffmann für Falk Richters sind, die sich den Kopf gegen die Theaterstrukturen Inszenierung von "4.48 Psychose" in den Hauptsaal einrennen." Solch anregende Querköpfe hatte der Berliner Schaubühne hingestemmt hat, sieht man sie bei ihrem ersten Engagement am Schauspielhaus Bibiana Beglau höchstens höhnisch lachen. Düsseldorf vermisst. Zwei Jahre lang war sie dort Zornzitternde Lacher zwischen Sätzen wie: "Ich will festes Mitglied des Ensembles, eine schwierige Zeit. nicht leben müssen in so einer Welt", oder "Ich kann Einzige Glanzlichter: die Mitarbeit an Einar Schleefs nicht mehr weiter". Glasklar sagt sie das, jede Silbe "Salome", in dem sie die Herodias spielte, und die eine klimpernde Münze. In schwarzer Robe, die an Hauptrolle in Falk Richters "Kult". Aber in der Stadt ihrem Leib schlottert, schlurft sie lemurenhaft über fand sie keinen Halt, am interessantesten erschien es die Bretter, sitzt mit gebeugten Schultern und ihr, sich am Bahnhof oder in Kleingärten herumzutreiben, Sozialbeobachtungen anzustellen. Fahndungsplakate der RAF-Terroristen hingen, das Am Schauspielhaus wurde ein Theater exerziert, an Leben der RAF-Aussteigerin Inge Viett nachleben, dem sie partout keinen Geschmack finden konnte. die sich in die DDR abgesetzt hatte. Da stand die "Ich habe gedacht, es kann doch nicht alles ins Welt der Kindheit, so säuberlich geteilt in Gut und Seichte gehen." Als sie Wedekinds Lulu in der Regie Böse, auf einmal Kopf. Aber Bibiana Beglau stürzte von Anna Badora spielen musste, ging ihr die Rolle sich auf die Bücher, las den "Baader-Meinhof- erst recht gegen den Strich. Eine Projektionsfläche Komplex", kramte Zeitungsnachrichten hervor, von Männerträumen hätte sie zeigen wollen, schaute sich Dokumentationen an. Sie überließ sich stattdessen war Lulus Nacktheit als Augenfang der Macht der Worte, die Wolfgang Kohlhaase aus gefragt. Bibiana Beglau sauste und strampelte über Vietts Autobiografie zu einem Drehbuch verarbeitet die Bühne und schämte sich jahrelang dafür. "Man hatte, vertraute dem Feingefühl des Regisseurs und muss es doch zeigen können, den Leuten, die da wurde eine Rita Vogt, die den Zuschauern an die bezahlt haben. Die Wut und den Trotz gegen alles, Nieren ging, wenn sie gegen Ende des Films und der auch gegen die eigene Unfähigkeit, sich Versuchsanordnung DDR ihre Kolleginnen in der auszudrücken. Halt nicht spielen, nicht sagen: Alles Kantine anschrie: "Das war doch ein großer Versuch ist in Butter, wir haben alles im Griff, es ist witzig. Es hier. Das war doch eine Revolution, bei allem Mist, ist nicht witzig gewesen." Im Nachhinein betrachtet, bei aller Dummheit, ihr wart doch dabei." Ein war es vielleicht gerade jene gescheiterte Lulu in Kurzschluss. Denn an der Stelle musste es jedem Düsseldorf, die sie zu "der" Beglau gemacht hat: aufgehen, dass es - bei allem Mist, bei aller Eine, die das Schauspielen als Seelenporno begreift, Dummheit - auch einen Idealismus gegeben hatte, Abend für Abend dieses Porno hinlegt, aus jeder der sich der Wirklichkeit nicht beugte. Irrsinnig blind, Faser einer Figur den eigenen Zorn und Trotz seiner Blindheit wegen tragisch, auf jeden Fall mit auspresst. Seit 1998, als Thomas Ostermeier einer Daseinsberechtigung versehen: "Das ist Enda Walshs "Disco Pigs" - eine Koproduktion mit einfach die Verbesserung der Welt, der dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg - in die Weltverbesserungsgedanke", sagt Beglau. "Die Baracke am Deutschen Theater brachte, sind vier Frage bleibt, sie ist heute wieder die große Frage: Jahre vergangen, das Stück ist mittlerweile in der Wie verbessert man die Welt? Mache ich das mit der Schaubühne zu sehen, und die Vorstellungen sind Knarre in der Hand, schlage ich einem Polizisten mit immer ausverkauft. Die Spielfläche grenzt ein einem Feuerlöscher die Birne ein und werde dafür weißes, an der Wand gespanntes Laken ab. An erschossen oder halte ich meine Hände hoch?" einem Rand hockt Thomas Witte am Schlagzeug, Darauf habe sie keine Antwort, aber die Kunst, meint gibt den Takt an, nach dem Mücker und Schwein, sie, die Kunst müsste es ausmachen. Aber wie? alias Bibiana Beglau und Marc Hosemann, zum Auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses im gemeinsamen Geburtstag ihre siebzehn Lebensjahre Pfauen ist Bibiana Beglau nun ein lebensmüdes durchspielen. Ein rasender Takt. Gegeben wird Mädchen in einer offenen psychiatrischen Anstalt, zunächst ein heilloses Rambazamba, Hopsen und von ganz normalen Irren umgeben, die die Hechten und Brüllen und Raufen und Feixen. Bibiana Gesellschaft aus ihrem kühlen Schoß Beglau durchtost den Raum, als wäre er ein Boxring; hinausgeschleudert hat. Falk Richter hat Lars Norens eine Göre aus der trostlosen irischen Provinz, "Klinik", eine Choralstudie des realen sozialen Kratzbürste, Lausebengel und Wüterich zugleich. Bis Desasters, ohne jedweden Theaterflitter inszeniert. sie plötzlich innehält. Bis sie stehen bleibt, ihr Blick "Eine Zumutung", befindet die Kritik, wie so oft, wenn ins Leere stiert, und die Anspannung jeden Muskel die Kunst dem Leben zu nahe kommt. Bibiana des angewinkelten Arms herausmeißelt. Flugs Beglau passt diese Rolle. Die Frage bleibt, sie ist verwandelt in ein lohendes Standbild, redet sie sich heute wieder die große Frage: Wie verbessert man den Ingrimm gegen sich und die vertanen Flegeljahre die Welt? Es stimmt, es ist eine ziemlich langweilige von der Leber weg. "Seit siebzehn Jahren hat sich Scheiße, gehen Sie bitte, auf Wiedersehen! nix verändert, gar nix!", heißt es sachte. Dann wird Bundesrepublik Deutschland (BR) Bibiana der Gedanke ein Schrei: "Auf auf auf auf auf auf .: Beglau Film Theater Gespräch Porträt Mädchen auf geht's!" Da sieht der Zuschauer eine Weibliche Person Serie startende Rakete und Bibiana Beglau ganz bei sich selbst. Ausbrechen, Aufbrechen, es müsse was Anders geben auf der Welt: Der Gedanke, der Mücker auf einmal durchströmt, sei ihr vertraut gewesen, sagt die Schauspielerin. So war für sie auch Rita Vogt in erster Linie jemand, der aufsteht und loszieht, um die Welt zu verändern. Sicher kein Zufall, dass Volker Schlöndorff ihr die Rolle antrug, nachdem er in Hamburg Beglaus Mücker gesehen hatte. In seinem Film "Die Stille nach dem Schuss" durfte die Tochter eines Grenzbeamten aus Helmstedt, in dessen Büro einst die aus Berliner Zeitung vom 13.04.2002 Der glückliche Anarchist Peter-Paul Zahl nannte sich selbst einen Knastschreiber. Jetzt hat er auf Jamaika eine urkomische Abrechnung mit der deutschen Justiz verfasst Von Aureliana Sorrento

Bei Biolek war er neulich zu sehen. Gestreng Geldverdienen", dann lacht er. Nein nein, so sei es kam er daher. Saß kerzengerade da und antwortete nicht, an Deutschland vermisse er doch noch seine süffisant wie ein Professor, dem die immer Freunde, die gute Wurst, den guten Käse und das wiederkehrenden Fragen der Studenten seit Jahren gute Brot. Geboren wurde Peter-Paul Zahl 1944 schon Überdruss bereiten. Bio rieb an seinem in Freiburg/Breisgau. Aufgewachsen in Feldberg in Spickzettel mit den Fingern. Dann gab es diesen Mecklenburg, einem 3 000-Seelen- Dorf, wo der Mann im ICE nach Hamburg, der unablässig in Vater, früh ein Kriegskrüppel, 1946 einen seinen Laptop hämmerte. "Sagen Sie mal, haben Sie Kinderverlag gründete. Feldberg war die heile Welt was mit Peter-Paul Zahl zu tun?", fragte er plötzlich, der Kindheit, das weite Land und fünf Frauen: das Buch anvisierend, das ich gerade las. "Die Urgroßmutter, Großmutter, Mutter, Kindermädchen Glücklichen", ein Schelmenroman, Peter-Paul Zahls und Verlagssekretärin. Niemand sagte dem Bengel, meistverkauftes Werk. Ich wiegelte ab. "Hab' ich vor wie man leben solle. Die "bürgerlichen Werte", die er Jahren gelesen. Ein wunderschönes Buch", sagte er. vorgelebt bekam: Hilf dem Schwachen, sei Seine Augen leuchteten. "Es war ja ein Kultbuch." Er selbstbewusst, lass dir nichts gefallen. Vater Zahl ließ senkte den Kopf und hämmerte weiter. "Die sich nicht gefallen, dass die DDR-Oberen seinem Glücklichen" hat derweil seine 26. Auflage erreicht. Verlag zu wenig Papier zuteilten, schloss sich den Als der Roman 1979 zum ersten Mal erschien, war von CIA und Axel Springer gesponserten KGU es ein Skandal. Peter-Paul Zahl hatte ihn im Knast (Kampfgruppen gegen die Unmenschlichkeit) an und geschrieben, in Köln Ossendorf, Bochum und Werl. floh 1953 mit der Familie ins Rheinland. "Ein Hatte damit jenen früheren Weggefährten eine Nase Kulturschock" war das für Peter-Paul Zahl. Der gedreht, die sich um des Parteigehorsams willen auf Neunjährige wurde in eine Zwergschule eingewiesen, die Tage der Kommune nicht mehr besannen, auf die in der die Kinder zu beten hatten. Im Westen, wo der Straßenkämpfe und Sprechchöre, die Demos und Vater keinen Job fand, litten die Zahls zum ersten Steinwürfe. Für die Bonner Republik andererseits war Mal Not. Als "Gesocks" stempelte ein Lehrer den das Buch ein 524 Seiten langes Ständchen mit dem Gymnasiasten, der dank guter Leistungen kein Refrain: "Ich kenn ein putzig Städtchen am Rhein / Schulgeld zahlen musste. "Die Klassengesellschaft in da behaupten die Beschränktesten / Sachwalter ganz Deutschland ist mir sehr sinnlich eingegangen", sagt Deutschlands zu sein./ Sie verwalten die Kohlen und er heute ohne Verbitterung. Zahl machte eine halten die Macht / aber jetzt jetzt werden sie Druckerlehre, engagierte sich in der Gewerkschaft, ausgelacht." Dass der Knastschreiber, zu dem ging dann 1964 nach Berlin als Zahl sich selbst ernannte, daraufhin den Förderpreis Kriegsdienstverweigerer. Da begannen erneut die der Freien Hansestadt Bremen erhielt, ließ die "fetten Jahre". Eine zweite Kindheit. Jahre des Lordsiegelbewahrer des freien bundesdeutschen Protests. In den Zeitungen von damals ist es Staates aufschreien. Das hieße sozialdemokratische nachzulesen. Als "Schlüsselfigur der Kulturpolitik, posaunte Helmut Kohl an Straußens Anarchistengruppe 2. Juni" und "Anführer eines Statt. Gerade ist Peter-Paul Zahl in Deutschland Banküberfalls in Berlin-Britz" wird Peter-Paul Zahl in zu Besuch. Seit 1985 lebt er in Long Bay, Jamaika. In einem Artikel vom 10. Juli 1973 bezeichnet. Er sollte Hamburg hält er sich bei seiner Tochter auf. "N. Zahl" die Befreiung Ulrike Meinhofs geplant haben. steht auf dem Klingelschild. Nadeshda Zahl. Nicht Anschuldigungen, die in den 70ern schwer wogen. Vera wie die Tochter im Roman, die den Vornamen Ein Linker war er, ein antiautoritärer Linker, das jener Frau Sassulitsch verpasst bekam, die einst in würde er nie verleugnen. Nach und nach war er in Russland den antizaristischen Terror eingeläutet Berlin in die Szene reingekommen. Zunächst trieb er hatte. Nadeshda wohnt in Hamburg-Eppendorf, ist sich mit Kriegsdienstverweigerern rum, dann lernte er mittlerweile dreißig, große grüne Augen, ein rundes "die Schwarzbrotfresser" kennen, die bei Tee und Bäuchlein, ein Kind ist unterwegs. Vater Peter-Paul Kerzenlicht Marx einstudierten. Er war dabei, als strahlt schon Großvaterfreude aus. Er selbst hat Rudi Dutschke den Arbeitern Marx und Freud sechs Kinder gezeugt. Drei in Europa, drei in der beibrachte, auf dass sie die Befreiung der neuen Welt. "The first set and the second set", erklärt Gesellschaft mit der des Selbsts zu verbinden er. Ist nicht mehr der junge Heißsporn, aber die lernten. Er schloss sich der Apo-Bewegung an, hielt Zeitläufe haben sein Gesicht gekerbt, ohne ihm das sich aber die Leninisten vom Leib. Holger Meins Quecksilber aus dem Leib austreiben zu können. Auf kriegte eins auf den Deckel, als er Zahl weismachen dem Küchenstuhl lümmelnd, springt er auf wie ein wollte, der bewaffnete Kampf sei nun angesagt. "In Roß, wenn die Erzählung zur Nachäffung alter Berlin konnte man ja den Eindruck haben, wenn man Bekannten Anlass bietet. Hält man ihm seinen die Tür aufmacht, wartet draußen die Weltrevolution", Gastarbeiterspruch entgegen: "Deutschland gutt fürs erzählt der ehemalige Revoluzzer. "Aber ich war nach Rating im Rheinland gefahren, hatte dort die "innenwelt" der Zelle - "zwanzig meter vor meinen Arbeiter am Samstag ihre Wagen waschen und augen/ die außenmauer: sehr hoch sehr weiß/ wachsen sehen. Ich musste mir eingestehen: Die darüber ein leerer himmel/ der wird nie richtig blau" - Weltrevolution steht nicht vor der Tür. Man kann ja behielt er weiterhin die Außenwelt im Auge. "Ich die Weltrevolution nicht nur in Kreuzberg machen." hatte eine wunderbare Kindheit in Mecklenburg Seine Revolution betrieb Peter-Paul Zahl nicht aus erlebt", sagt er. "Und in den Jahren der Apo hatte ich dem Untergrund, sondern vor aller Welt mit Feder die Utopie in Arbeit gesehen, eine gelebte Utopie. und Druckplatten. 1970 kam sein erster Roman, "Von Die Erinnerung daran konnte mir niemand nehmen." einem, der auszog, Geld zu verdienen", heraus: ein Niemand konnte ihm die Vision entwenden, die sich Abschied eigentlich von allen Weltverbesserungs- in der letzten Seite von "Die Glücklichen" ausbreitet: Träumen. Aber in der Druckerei, die Zahl mit seiner Hügelhänge, Hitze, grüne Felder, Weinlaub, Farben, ersten Frau Urte Wienen gegründet hatte, stellte er Reden und Lachen, ein Haus und ein Weinlaub. falsche Pässe her. Für Amis, die in den Vietnam- "Dann Amerika, dann immer mehr, die Große Weite Krieg nicht ziehen wollten, und Griechen, die Welt und dann. Dann fingen sie an." Nach Aktionen gegen die Junta vorbereiteten. Als Amerika ist er nach der Entlassung tatsächlich Lohndrucker war er an der Herstellung der Zeitschrift ausgewandert, wenn auch freilich nicht in die USA. In "883" beteiligt. Eine fluktuierende Redaktion, die aus Grenada sah er die "beautiful Revolution" von Delegierten aller Protest-Gruppen West-Berlins, von Maurice Bishop kurz aufblühen, bevor sie von der Kinderladenbewegung zur RAF, bestand, Stalinisten und Amis niedergeschlagen wurde. In veröffentlichte dort Berichte, Aufsätze und Aufrufe. Nicaragua arbeitete er für die sandinistische Das Gründungspapier der RAF erschien darin, und Regierung am Aufbau eines Theaters. Schließlich prompt hatte der Drucker ein Ermittlungsverfahren ließ er sich in Jamaika nieder. Dort hat er seine am Hals. Dank eines guten Alibis kam er jüngste, urkomische Abrechnung mit der deutschen ungeschoren davon. Aber die Besuche der Polizei Justiz, "Der Domraub", niedergeschrieben. Aber auch häuften sich. "Wann wurde Ihnen, meine Damen, Gewöhnlicheres gemacht: "Geheiratet, Kinder mein Herr, das letzte Mal um fünf Uhr in der Frühe gezeugt, Bäume gepflanzt, ein Haus gebaut. Alles, von Beamten die Tür eingetreten?", liest man in was Martin Luther sagte, das man tun sollte." Mit seinem neuesten, "Der Domraub" betitelten Roman. Luther also wurde der Anarchist glücklich. Man kann "Das ist Ihnen noch nicht passiert? Dann haben Sie ja die Weltrevolution nicht nur in Kreuzberg machen. Deutschland in seinem Urgrunde noch nicht sinnlich Bundesrepublik Deutschland (BR) Jamaika (JA) erlebt, sind also zutiefst undeutsch." In dem Peter-Paul Zahl Recht Porträt Männliche Roman, der sich an eine wahre, aber nicht seine Person, Geschichte anlehnt, hält die Ironie den Grundton. Aber Peter-Paul Zahl wird jählings nachdenklich, wenn man ihm das Selbst-Erlebte in Erinnerung ruft. Er habe es gesehen, erzählt er, wie ein Freund bei einer Razzia ohne Grund erschossen wurde. Der Beamte zielte aufs Auge, aus einer Entfernung von anderthalb Metern. Den Namen des Schützen gab die Behörde nie bekannt. Andere Zeiten. Die heiße Phase des Terrors. Zahl bewaffnete sich. Bei einer Polizeikontrolle versuchte er zu fliehen. Die Beamten feuerten ab, trafen ihn an beiden Armen, er schoss seitwärts, verletzte einen der Staatshüter. 1972. Verhaftung. Zwei Jahre Untersuchungshaft. Prozess. 1974 wurde Peter-Paul Zahl zu vier Jahren wegen Körperverletzung und schwerem Widerstand verurteilt. In einem Revisionsprozess 1976 setzten die Richter die Strafe auf 15 Jahre herauf. "Wegen zweifachen Mordversuchs" und "weil Zahl ein Gegner des Staates ist und zur allgemeinen Abschreckung". Der Protest befreundeter Schriftsteller und der liberalen Presse gegen das offensichtlich politische Urteil bewirkte wenig. Peter-Paul Zahl saß bis 1982 seine Strafe ab, die restlichen Jahre wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zahl saß, zürnte und schrieb. Nicht nur "Die Glücklichen". Im Gefängnis entstanden etliche Gedichtbände, mit denen er sich als Lyriker und Knast-Poet etablierte. Er ließ sich jedenfalls nicht zermürben von den als unmenschlich empfundenen Zuständen im Zuchthaus. Aus der aus Berliner Zeitung vom 22.06.2002 Magazin Bekenntnisse eines Unpolitischen StadtGestalten: André Kubiczek ist das junge Talent in Prenzlauer Berg Von Aureliana Sorrento

Wann hat er um Gottes willen angefangen, so habe für den Roman aus eigenen Erinnerungen zu denken? Mauern aus Abwehr hochzuziehen, geschöpft, weist der Jungschriftsteller weit von sich. Gänge zu bauen aus abgebrochenen Sätzen wie "Quasi-Literatur" nennt er abschätzig jene Bücher, Stacheldrahtzäune zum Schutz seines Grübelns? die erlebte Anekdoten erzählerisch verbrämen. André Kubiczek, 1969 geboren, hat dieses Jahr Außerdem: Seine Kindheit sei ganz normal gewesen. seinen ersten Roman veröffentlicht: "Junge Talente". Normal? Ganz normal. Man ging zur Schule, die Den vom Verlag gewählten Titel hat die Kritik gleich Eltern gingen zur Arbeit, abends traf man sich beim auf den Autor gemünzt. "Hier schreibt ein junges Abendessen. Was gibt's da zu erzählen? Mitten Talent", urteilte eine Rezensentin in dieser Zeitung. im Erzählfluss stockt er, schweigt, greift nach Als ich ihn zum ersten Mal suchte, erhielt ich von ihm Zigaretten und Bier wie nach Rettungsringen. Als eine E-Mail. Wir könnten uns irgendwo abends in fürchte er, Verfängliches auszuplaudern. Als verfalle Prenzlauer Berg treffen. Wann? Wo? mailte ich er in jenen Zustand, der ihn über den Protagonisten zurück. Aber meiner Antwort folgte keine Antwort. seines Romans schreiben ließ: "Das Raunen der Jemand hat ihn damals auf der Leipziger Buchmesse Natur verdichtete sich nun tatsächlich zu Wörtern, gesehen. Während einer Pause zwischen den und es erstaunte ihn, dass er sie mit Leichtigkeit zu Lesungen. Er soll an einem Tisch vor einem Bier Sätzen fügen konnte, was er auch getan hätte, wäre gesessen haben, fluchend vor sich hin gegen den da nicht ein seltsames Grauen vor der Aussage Rummel und all die Fragesteller, die ihn gewesen, die sich hinter der scheinbaren Beliebigkeit umschwärmten. Less heißt der Held von "Junge ihrer Silben tarnte. Das konnte nichts Gutes Talente", was auf Englisch "geringer, weniger" bedeuten." Der Vater lehrte bedeutet, und das ist kein Zufall. Denn Less ist ein Politikwissenschaften. Die Mutter, die aus Laos kam Eigenbrötler aus der Harzer Provinz, wächst in einer und ihren Bräutigam beim gemeinsamen Studium in Kleinstadt auf, "mit der er gerne weniger zu schaffen Moskau kennen gelernt hatte, war irgendwo in der gehabt hätte, als es ihm möglich war". Gerne wäre er Forschung tätig. Eine "hochgebildete und sehr an den Sonntagen seiner Kindheit im Zimmer belesene Frau", wie der Sohn sie beschreibt. In der geblieben, statt sich auf der Straße den Prügeleien gutbestückten Bibliothek zu Hause stöberte der Teen mit den anderen Kindern auszusetzen. Dazugehören lieber, als zum Eishockeytraining zu gehen. Später möchte er nicht. Das Mauerblümchen spielen - daran hielt er selbst nach den Autoren Ausschau, die ihm kann er auch nichts finden. Eines Tages schlüpft er in "am asozialsten" vorkamen. Leute wie Huysmans, den Anzug seines Großvaters, schmiert sich Wilde, Baudelaire, Nietzsche und Majakowski. Zur Rasiercreme in die Haare, auf dass sie strähnig vom Favoritenkette gehörte Letzterer, weil er "ein Kopf abstehen, und geht so ausstaffiert zum Bohemien und ein Linksradikaler war", sagt Wettsingen der Kanarienvögel, bei dem die gesamte Kubiczek. "Er hatte Stil", meint sein Held, der Stadt versammelt ist. André Kubiczek trägt eine irgendwann die Welt nur mehr nach ästhetischen dunkelblaue Matrosenjacke, als er bei Dr. Stockmann Kriterien sortiert. "Neugierig bist du", protestiert erscheint. Mandelaugen in einem Jünglingsgesicht, er, wenn mein Blick auf die Bücher fällt, die neben die zaghafte Begrüßungsgeste eines schüchternen dem I-Book auf seinem Schreibtisch liegen. Heranwachsenden. Es ist dämmrig bei Dr. "Anatomie der konservativen Revolution" und ein Stockmann. Und eine Weile ganz still, bevor der alter Band über Stefan George. Viel lieber lässt er Kneipier die Kaffeemaschine anschmeißt und mich die Stapel betrachten, die er zu entsorgen Schlager aus den Golden Twenties in den CD-Player gedenkt. Wirtschaftswälzer, Presseexemplare, die er schiebt. Von Kubiczeks Wohnung ist das Lokal zwei mal für einen Online-Händler rezensierte. Das Katzensprünge entfernt. Hierher komme er Zimmer ist sein Reich. Da verbringt er die Zeit. Die manchmal, um Ruhe zu haben, sagt er. Selten meiste Zeit. Schreibt. Mindestens drei Seiten pro schauen andere Gäste herein. Trotzdem: Könnten Tag. Nirgendwo ein Ort, der ihm wichtiger wäre. wir uns nicht nach hinten setzen, hinter den Doch bevor ich mich umblicken kann, führt er mich Paravent? André Kubiczek wurde in Potsdam hinaus durch den Flur ins Treppenhaus mit den geboren, nicht im Harz wie sein Less. Nur die Ferien geschnitzten weinroten Türen auf die verbrachte er dort bei den Großeltern. In Thale, einer baumbeschattete Straße zwischen den zwei Zwanzigtausend-Seelen-Stadt mit einem großen östlichen Verkehrsschneisen in Prenzlauer Berg. An Stahlwerk mittendrin, die Less' Geburtsstadt der Ecke ist der Getränkeshop, in dem Kubiczek geworden ist. Auch die Thälmannstraße 4, in der seine Zigaretten besorgt. Ein paar Häuser weiter das Less' Großeltern wohnen, war die wirkliche Adresse Geschäft des stillen Vietnamesen, "Vine and von Kubiczeks Großeltern. Aber den Verdacht, er Greengrocery", da kauft er Frisches ein. Wenn man ihm glaubt, spielt sich sein Leben hier ab. Zwischen erlebt die letzten Jahre der DDR-Hauptstadt. Zimmer, Getränkeshop, Gemüseladen und dem Lidl Freundet sich mit Punks und einem Anarchisten an, auf der Greifswalder Straße. Wenn man ihm glaubt, der die Revolution mit "l'art pour l'art" verwechselt. kennt er den Rest von Berlin fast nur aus Nicht von ungefähr hat die Kritik an ihm einen Narren Stadtplänen. Er guckt gerne in Stadtpläne. An gefressen. In Sachen Politik ist Less ein Agnostiker, der Schule in Potsdam wurde André Kubiczek der aus purem Zufall in die Kreise der Prenzlauer- gefragt, ob er in Moskau Wirtschaftswissenschaften Berg-Boheme gerät. Im Hause seines Onkels lernt er studieren möchte. Er stimmte zu, weil er nicht bänkelsingende Wänste kennen, "Heulsusen mit wusste, was er wollte, und zog für zwei Jahre nach langen Haaren und Vollbart . Klampfenheinis mit Halle, um eine Schule zu besuchen, in der die ihrem Lagerfeuerdreck und der Hirschbeutelromantik künftigen Kader der DDR auf die Zukunft vorbereitet und der sanften Kritik zwischen den poetischen wurden. In Halle trieb er sich in Museen herum, Zeilen." Da sind sie nicht schwer zu erkennen, die tourte durch Buchläden und Antiquariate, hörte Punk- Bürgerrechtler und Intellektuelle, die sich nach einem Musik und las. Nach dem Abschluss, das war 1987, anderen als dem Stasi-Staat sehnten. André ließ er die Moskau-Pläne fallen, bewarb sich für Kubiczek wird tatsächlich ungehalten, wenn man ihn Germanistik in Leipzig und musste erst mal drei auf sie anspricht. Er habe manche von den Alt- Jahre Wehrdienst in einem Hubschrauberbataillon Dissidenten kennen gelernt, ja. Wo und in welchem absolvieren. Ein feiner Job, den Funkverkehr zu Zusammenhang wolle er nicht sagen. Sie hätten ihn überwachen. Er saß im Tower, trank Kaffee und las. nicht interessiert. Sie hätten eine falsche politische 1989 war er in Moskau bei einem Schulfreund zu Aussage gehabt. Welche? Wisse er nicht. Für ihn sei Besuch, als es in Deutschland brodelte. Durch die es eine Frage der Form gewesen. Er konnte Wolf Undergroundkultur des Arbats lernte er Glasnost und Biermann nicht leiden. Punktum. Nach einigen Perestroika genießen. Vom Mauerfall erfuhr er am Partys, viel Herumsitzen und manchem Tag danach durchs Radio, er nahm noch sein Liebesabenteuer kehrt Less in den Harz zurück, Frühstück und ging auf den Tower. Im Januar 1990 erklimmt einen Aussichtspunkt, um den wurde er aus dem Militärdienst entlassen. Sonnenuntergang zu betrachten. In Berlin sucht man Fakten, Fakten, Fakten. Bloß kein Gefühl zeigen, im Biergarten nach der Sonne. Sie schimmert matt Junge! Wie ist es dir ergangen damals, am 10. über den Kastanien, ein helleres Quadrat zwischen November in der Kaserne? Hast du geheult, vielleicht grauen Wolken. Ausreichend jedenfalls, um das vor Freude? Oder war es dir bange um deine Weiße glänzen zu lassen, das hier und da das Haar Leipziger Straße, in die du noch hinziehen würdest, des Schriftstellers durchwirkt. Er ist ja nicht so jung, wären die Mieten jetzt in Mitte nicht so gestiegen? wie sein Jünglingsgesicht vorgibt. Sein zweiter Die damals nur so wimmelte von Geschäften, eine Roman ist schon geschrieben, wird nächstes Jahr prächtige Einkaufsstraße, wie du erzählst. Und den herauskommen. Er darf sich jetzt ruhig ein bisschen Alexanderplatz, den du für einen der schönsten Zeit gönnen im Freien. Obwohl er draußen, wie er Plätze Berlins hältst, wie hast du ihn dir vorgestellt, sagt, keine Gedanken hat. Draußen gucke er lieber danach? Hast du auch damals bloß die Augen 'rum. Jetzt vielleicht die Schlange vor der zusammengekniffen und beiseite gesenkt? All das Currywurstbude. Oder den breitschultrigen Mann, der hätte ich ihm entgegenschleudern wollen. Er wäre durch die Bänke schlingert, um eine aber fuchtig geworden. In Leipzig fing er das Obdachlosenzeitung feilzubieten. Es ist nicht leicht Studium an. Nazis fuhren in Patrouillen durch die zu sagen, wohin seine Augen wandern. Aber Straßen, überfielen Passanten mit wahrscheinlich schaut er gerade nirgendwo hin. Es Baseballschlägern, warfen Brandsätze in Kneipen. ist Feierabend, Zeit für Entspannung. Am Kubiczek zog nach Bonn, dann nach Berlin. Mitte der Entspannendsten findet er, Taxi zu fahren, nachts. Neunziger. Er studierte eine Weile an der Humboldt- "Weil man da nichts mehr sieht."Dazugehören Universität, schmiss dann das Studium hin. Hatte es möchte er nicht. Das Mauerblümchen spielen - daran satt, sich das "Geseiere der Kommilitonen kann er auch nichts finden. Magazin anzuhören, die alle zum Fernsehen und in die André Kubiczek Männliche Person Porträt, Werbebranche wollten". Es gibt immer neue Kategorien von Menschen, die er mit Geringschätzung bedenkt. Ein Blitz in den Pupillen, er richtet sich auf, wenn er die Nase rümpfen kann. Eine Attitüde? Der Misanthrop ist en vogue. Andererseits kommt Hybris oft als Abfallprodukt einer Demütigung zu Stande. Einmal bestimmt hat sich Kubiczek als Paria gefühlt und ziemlich einsam in diesem Land. "Es war noch in Potsdam. Ich kam von einer Party, wartete an der Bushaltestelle mit einer Freundin. Dann kamen sie. Nazi-Skins. Verprügelten mich. Wegen der Schlitzaugen, die ich von meiner Mutter habe." Less zieht es früher nach Berlin, er aus Berliner Zeitung vom 03.08.2002 Magazin Das Fräulein und das Biest StadtGestalten - Wenn Tanja Langer in das Fell eines anderen schlüpft, lernt sie die eigene Haut kennen

Von Aureliana Sorrento

Es ereignete sich auf Zypern, an einem wurde erwähnt, dass die Nazis Eckart rühmten als wunderbaren Mittelmeerstrand, wie sie geschrieben einen, der sich in einen "wohlgesitteten bürgerlichen hat. Eine Urlaubsbekanntschaft, ein Berliner Beruf nicht einordnen ließ". Später habe sie in der FU Radiologe, kam auf sie zugerannt. "Du bist das -Bibliothek neben einem Buch von Beckett, das sie deutsche Fräuleinwunder", verkündete er und packte leihen wollte, einen alten Band gesehen: "Der zum Nachweis eine Seite der "Zeit" aus seiner völkische Publizist Dietrich Eckart". Sie nahm ihn mit. Sporttasche heraus. Darin fand sich tatsächlich ihr "Immer war es am Ende meiner Schwangerschaften, Name in einem Artikel, in den auch die Wörter dass er aufkreuzte und sich in meinen Träumen "ungehemmtes Ficken" Einlass gefunden hatten. Der festsetzte, mich dickbäuchig und schwerfällig in Radiologe kicherte, Tanja Langer war entgeistert. All Bibliotheken trieb", sagt die Icherzählerin in "Der das wegen eines Romans, in dem ein zart Morphinist oder Die Barbarin bin ich" über Dietrich orchestrierter, vom Rauschen der Côte d'Azur Eckart. Sie, eine Mutter von drei Kindern, die um ihr begleiteter Stimmenreigen Kindheits- und Selbstwertgefühl ringt, kreist um den Liebestraumata ans Licht heraufspült. "Cap Esterel", drogensüchtigen Altnazi, wie man um einen blinden 1999 bei Volk & Welt erschienen, hatte sie in das Fleck im eigenen Gedächtnis kreist. Stochert nach "Spiegel"-Phänomen "deutsches Fräuleinwunder" der Stelle, an der Frust und Wut des gescheiterten katapultiert. Der Saal war voll, die Luft stickig, als Künstlers in Hass umschlagen. Spürt die Gefahr, sie im Roten Salon der Volksbühne ihren neuesten selbst ein Eckart zu werden. Kommt dem Unhold Roman vorstellte, "Der Morphinist oder Die Barbarin sehr nah. So nah, dass es dem Leser schwindelt. "In bin ich". Ein bisschen Freak, ein bisschen Maid, trug das Fell eines anderen zu schlüpfen bedeutet, die sie Stiefeletten, Blümchenkleid und Fuchsfellstola; eigene Haut kennen zu lernen", sagt sie auf Seite 22. das Haar, hochgesteckt, fiel ihr in aschblonden Wie der Heimsucher ihrer Icherzählerin hat Tanja Strähnchen auf die Wangen. Als sie zu lesen anhob, Langer sich früh geweigert, einen "wohlgesitteten zuckte das Publikum auf den Plastestühlen, so bürgerlichen Beruf" zu lernen. Nach dem Abitur an kindlich hell erscholl trotz Heiserkeit die Stimme, die einem humanistischen Gymnasium in ihrer aus dem ollen untergegangenen Deutschland Geburtsstadt Wiesbaden zog sie in Europa umher. Vergessenes hervortat: "Dietrich Eckart, Antisemit Belegte Sprachkurse an der Sorbonne, liebäugelte in und ,Dichter der Bewegung', Fast-Gründungsmitglied Rom mit dem Plan, Kunstgeschichte zu studieren, der Deutschen Arbeiterpartei, der erste Redakteur kehrte schließlich nach Deutschland zurück, weil sie des ,Völkischen Beobachters'." Hitlers Vordenker, ein Stipendium der deutschen Studienstiftung Hitlers Mentor. Einst ein kaum beachteter bekommen hatte. Zwei Jahre München, dann Berlin. Dramatiker, hatte er den späteren Führer in München "Berlin kam mir vielleicht in dem Sinne entgegen, in die einschlägigen Kreise eingeführt, für ihn die dass ich da meine Unruhe nicht mehr auf der intellektuelle Vorarbeit geleistet. Das Laub Landkarte nachzeichnen musste." Verschiedene flimmert vom Nieselregen, als Tanja Langer die Tür Welten eröffneten sich ihr innerhalb einer Stadt. ihres Hauses in Zehlendorf aufreißt. Unweit vom S- Genug für ihre Neugierde. Dann gab es diese Bahnhof Wannsee, gegenüber den rostigen Gleisen, Aufführung von "Antonio und Cleopatra", in der wohnt sie seit anderthalb Jahren mit Ehemann und Freien Volksbühne wurde das Stück geprobt. Die Töchtern. Weil der Lärm der Züge viele abschreckt, Studentin marschierte ins Theater, um heimlich vom ist die Miete bezahlbar. Im Garten sind Rollschuhe, Foyer in den Proberaum zu spähen. Die Souffleuse, Kinderräder und Werkzeug über den üppigen Rasen die sie dabei erwischte, verwies den Eindringling an verstreut, eine Schaukel baumelt vor dem Gatter, das den Dramaturgen. "Normalerweise bewirbt man sich das Grundstück umzingelt. Wie aus dem schriftlich!", rief der Mann. Aber nach der Märchenbuch geschnitten wirkt der Altbau mit dem Wortkaskade, mit der Langer ihre Shakespeare- spitzen Dach. Ihre Kinder sollten im Grünen Begeisterung unwiderlegbar bewies, bot er ihr eine aufwachsen, deshalb seien sie von Schöneberg an Hospitanz an. Sie prustet los, wenn sie an die Szene den Stadtrand gezogen. Obwohl sie jetzt unbedingt denkt. Oder daran, wie sie später für die Studiobühne ein Auto brauche, um Josefine, die Älteste, von der der Freien Universität "Othello" inszenierte. Knapp Schule abzuholen und die jüngeren fünf Desdemonas musste der Held da töten, hatte er Zwillingsschwestern vom Kindergarten. Zu Hause eine umgebracht, zack gellte Gesang: "Nur nicht aus erzählt sie, beim Einräumen von Quark und Gemüse Liebe weinen, es gibt im Leben nicht nur den in den Kühlschrank, wie sie auf Eckart stieß. Es muss einen..." "Es gibt ein unausrottbares vierjähriges Anfang der neunziger Jahre gewesen sein, dass sie Mädchen in mir", sagt sie. Von oben schallen die Erika Manns Buch "10 Millionen Kinder" las. Dort vergnügten Schreie der Töchter, die im Kinderzimmer spielen. Ein Stockwerk darüber ist ihre Schreibstube, unbehauster Künstler gewesen, süchtig nach ein Dachzimmer mit steil schrägen Wänden. Als Anerkennung und erbittert über die Ablehnung einziges Möbelstück steht ein kleiner Tisch an der seitens des Vaters zuerst, dann der Kritik. Nazis Wand. Den großen, auf dem das Buch über Eckart und Antisemiten werden wir erst los, wenn wir sie in entstanden ist, hat sie weggeräumt. Sie konnte den Augenhöhe ansehen. Als Menschen, keine Anblick nicht mehr leiden, der sie an den Alb jener Außerirdischen. Tanja Langer glaubt es. Deshalb hat Arbeitsstunden erinnerte. Ein Jahrzehnt lang hat sie sie über Eckart geschrieben. Ohne ihn zu entlasten. sich mit dem nationalsozialistischen Vorreiter Aber wahrscheinlich hätte sie das Buch nie zu Ende herumgeschlagen. Immer wieder schaffte sie gebracht, hätte sie ihr Lektor nicht nachdrücklich Schriften und Dokumente beiseite, weg mit dem Mist, dazu aufgefordert. Wahrscheinlich hätte sie sich und holte sie immer wieder heraus. Furchtbar war es, einen Eckart vom Leib gehalten, wäre sie nicht Blätter zu lesen wie "Auf gut deutsch!" oder den Mutter geworden. Plötzlich plärrten Neonazis in ihren "Völkischen Beobachter", antisemitischen Seim, Nächten. Rotznasen, blindwütig. Raubten ihr den verquaste Hetzpamphlete. Sie sei nicht jemand, der Schlaf. Wie viel Liebe muss ein kleiner Mensch wie ein Maulwurf aus der Vergangenheit unbedingt erfahren, um Niederlagen verkraften zu können, um Scheußliches herausgraben muss, sagt sie. Aber die nicht ein Ungeheuer zu werden aus Protest? Wie gibt blinden Flecken der Gegenwart - man solle doch man Geschichte weiter und behält für sich die herausfinden, woher sie kommen. Mitten in den Wunden, die sie einmal aufriss? An diesem Jahren, als sie das Studium beinah vergaß und als Nachmittag sind Josefine, Saskia und Zoê wunderbar Regisseurin durch die Off-Theaterszene tingelte, artig gewesen. Sie haben sich ins Kinderzimmer meldeten sich die Opfer des Jahrhunderts an ihrer zurückgezogen. Nun trudelt Josefine herein. Hast du Schreibstatt zu Wort. Ihr Stück "Ich bin die Nacht" Hunger, meine Liebe? Und wo bleiben die über die jüdische Dichterin Selma Meerbaum- Schwestern? Zeit, ein Märchen vorzulesen, Eisinger, die mit 18 im KZ starb, wurde 1992 im Abendbrot zu machen. Später, wenn die Kinder im Modernen Theater Berlin uraufgeführt. Ihr sei es um Bett liegen, wird Tanja Langer aufs Dach steigen. den Einbruch der Geschichte in eine Kindheit Lesen. Schreiben. Dieses Mal aber vom Glück. gegangen, sagt Langer. Aber nach etlichen Tanja Langers Roman "Der Morphinist oder Die Regiearbeiten und einem Kinderstück über Hexen Barbarin bin ich" ist im Luchterhand Verlag wurde sie schwanger, die Fantasmen aus der erschienen. Magazin Berlin (BLN) eigenen Kindheit kamen herauf. Sie schrieb fürs Bundesrepublik Deutschland (BR) Tanja Langer Theater etwas, aus dem ein Hörspiel wurde: Literatur Weibliche Person Porträt Buch- "Fluchtpunkte". Ihre Familiengeschichte. Eine Rezension deutsche Geschichte. 1962 kam die Schriftstellerin in Wiesbaden auf die Welt. Ihre Eltern stammten aus Oberschlesien, 15-jährig war die Mutter vertrieben worden, Obdach fand sie zunächst in einem Flüchtlingslager in der Oberpfalz. Die Oberpfalz, wo Dietrich Eckart 1868 geboren wurde. Merkwürdige Schleifen machen die Zeitläufte. Als junges Mädchen besuchte Tanja Langer den Ort, an dem die Jugendträume ihrer Mutter gestrandet waren. Keine Bibliothekarin, eine Köchin war das Flüchtlingskind geworden, hatte mit ihrem Mann ein Restaurant aufgebaut, den Laden zum Erfolg geführt. Aber in der Tochter hallte die Wehmut nach, die in der Mutter nie zum Ausdruck kommen durfte. "Ihr durftet ja nicht trauern, ihr musstet das Land aufbauen", heißt es im Hörspiel. "Der Inbegriff der Aufbaugeneration war für mich meine Mutter", sagt Langer. Im Restaurant der Eltern schuftete die Gymnasiastin mit. Lernte, zwischen den Welten zu leben. Auf der einen Seite die Bücher, auf der anderen die Küche. Einschneidendes, das nicht nur in "Fluchtpunkte" seinen Niederschlag gefunden hat. In "Der Morphinist oder Die Barbarin bin ich" rollt die Icherzählerin der Autorin eigene Jugend auf. Es sind Schwären persönlicher Erinnerungen, die sie nach der Bedeutung ihres Mutter-Seins suchen lassen. Und nach Eckarts Beweggründen. Die sie empfindlich machen für die Seelennöte des Monsters. Eckart, findet sie heraus, war ein aus Berliner Zeitung vom 24.10.2002 Feuilleton WOLKEN Machos Innenwelt Von Aureliana Sorrento

Es muss am Wetter gelegen haben. Es war ein "Ich bin eigentlich ein Ungeheuer!", sagte ich, schwarzer Abend. Die Wolken hingen tief und diesmal mit aller Bestimmtheit. Der schienen sich bald in ein Gewitter entladen zu Nachrichtensprecher sprach von Amokläufern in müssen. Jedenfalls fühlte ich mich so, als hätte mir Australien. Mir riss bald der Faden. Ich jemand einen Weltempfänger in den Schädel beschloss, den Tee zu servieren. Als ich mit dem gesteckt. Dabei wollte ich sie nur loswerden. Bloß Tablett, auf dem die frisch gespülten Tassen keine Verbindlichkeiten eingehen. Ein Künstler kann thronten, hereinkam, räkelte sich die Dame sich kein Privatleben leisten. Ich oder der genussvoll unter der Decke und lächelte mit blöden Weltempfänger wälzte Wellensalat wie: "Wie jedes Schlafaugen. Unfassbar! Harte Maßnahmen waren natürliche Phänomen hat die Liebe einen vonnöten. Den Fernseher ausgeschaltet und Lebenszyklus." Oder: "Wir Männer, wenn wir dem einen Band meiner Brechtkompaktausgabe aus dem Menschlichen nicht fern stehen, kennen bestimmte Regal hervorgekramt, strich ich zärtlich über den Lebenslagen unerträglichen Erbarmens." Die rauleinenen Buchdeckel, schlug die vom Lage war misslich. Die Dame, mit der ich die letzten Lesezeichen vermerkte Seite auf und hob an, mein zwei Nächte verbracht hatte, kauerte in Fötusstellung Lieblings-Brecht-Gedicht vorzulesen: "An jenem Tag unter einem Plaid auf meinem Ledersofa. Sie im blauen Mond September/ still unter einem jungen schaute fern und zappte bienenfleißig mit der Pflaumenbaum/ da hielt ich sie, die stille bleiche Fernbedienung. Unter anderen Umständen hätte Liebe/ in meinem Arm wie einen holden Traum." Ich mich diese Tätigkeit zur Weißglut gebracht. Aber jetzt bemühte mich redlich, brechtähnlich zu grimassieren. musste ich eine Rede improvisieren. Ich rang nach Mit meinem Gerstenkorn muss es wohl grässlich Worten. Obendrein war mir ein Gerstenkorn auf dem ausgesehen haben. "Und fragst du mich, was mit der rechten Lid gewachsen, dessen Jucken meine Liebe sei?/ So sage ich dir, ich kann mich nicht Konzentration permanent schwanken ließ. erinnern/ ...Und auch der Kuss, ich hätt ihn längst "Möchtest du einen Tee?", setzte ich an. "Jöö", vergessen/ Wenn nicht die Wolke da gewesen wär/ antwortete die Fernhypnotisierte, ohne den Blick vom Die weiß ich noch und werd ich immer wissen..." Um Fernseher abzuwenden. "Darjeeling oder Earl Grey?" jedes Missverständnis auszuschließen, stellte ich das "Egal." In der Küche sah es aus, als hätte ein Wort Wolke mit Nachdruck heraus und Landserschwadron darin gehaust, ich konnte keinen paraphrasierte: "Ein Künstler vergisst die Küsse, einzigen sauberen Becher ausfindig machen. Mir erinnert sich nur an die Details des Augenblicks, an blieb nichts Anderes übrig, als zwei Tassen eine Wolke, z.B., verstehst du?" Leider gab es in abzuspülen. Es war ja auch nicht verkehrt, da sich meiner Wohnung keine Wolke. Als ich den Kopf vom das Blubbern des Wassers in der Spüle auf mich Buch erhob, schlief die Dame schon fest. Küssen und immer beruhigend auswirkt. Ich überwand mich, zum Schütteln halfen nichts. Sie lag auf meinem Sofa und Eigentlichen fortzuschreiten. "Ich bin ein ganz pennte wie ein Murmeltier. Feuilleton schlechter Mensch", schrie ich ins Wohnzimmer rüber. Von dort erschallte irgendwas von Putin. Mitten in der Suada des Nachrichtersprechers war allerdings ein "Ahmm" zu vernehmen: Die Dame war offenbar zum Monosyllabismus übergegangen. Dann schellte es an der Tür. Die Nachbarin vom unteren Stockwerk, deren Flur seit Jahrzehnten durch eine Plakette mit der Inschrift "Haxen abkratzen" geschmückt ist, stand auf meiner Schwelle und krakeelte: Was würde ich denn des Nachts im Schlafzimmer anstellen, dass es stets über ihrem Bett polterte. In Wahrheit ist das, was sie mein Schlafzimmer nannte, mein Arbeitszimmer. Abends betrete ich es nur, um die angekommenen Faxe aus dem Gerät zu holen. Ich versprach der Nachbarin, dies demnächst nur noch barfuß zu tun. "Ich bin ein ganz schlechter Mensch", schrie ich abermals ins Wohnzimmer hinüber, "und vor allem ein ganz schlechter Partner". Wahrscheinlich war die Dame auf meinem Sofa bei n-tv hängen geblieben. Vom Wohnzimmer her kamen nur mehr Nachrichten. aus Berliner Zeitung vom 26.04.2003 Magazin Lästige Nachrichten Curzio Maltese ist der bissigste Kritiker Berlusconis. Er schreibt die Leitartikel in "La Repubblica"

Von Aureliana Sorrento

Meine E-Mails beantwortete er nicht. Ich hatte Flieger nach Rom. Er lachte. Ein sympathisches seine Kommentare in der web-Ausgabe von "La Lachen. In Rom stehe ich vor dem Repubblica" gelesen, mich diebisch gefreut über Verlagsgebäude der zweitgrößten italienischen seine Beschreibungen der Katastrophen Marke Tageszeitung und frage mich, ob ich nicht am Berlusconi. Curzio Maltese ist der gefürchtetste falschen Ort gelandet sei. Der Eingang zur "La Leitartikler Italiens. Und wahrscheinlich der am Repubblica"-Redaktion ist geschützt wie eine Bank. meisten gehasste. Im Web kursieren Schmähungen Vier Wächter hinter einer Glasscheibe. Ich muss gegen ihn. "Der Mann ist so parteiisch", schreibt ein meinen Pass vorzeigen, werde einige Sekunden gewisser Dino Cofrancesco, "dass nur Furio gemustert, dann drückt einer der Türhüter auf einen Colombo und Enzo Biagi ihm das Wasser reichen Knopf, die Glasdrehtür geht auf. Ins dritte Stockwerk, könnten." Furio Colombo und Enzo Biagi sind zwei wo sich das Zimmer von Curzio Maltese befindet, ergraute Altmeister des italienischen Journalismus, begleitet mich ein Schutzmann in Uniform mit berühmt dafür, dass sie kein Blatt vor den Mund Schulterklappen. Beinah hätte Berlusconi auch nehmen, möge man ihnen auch Auspeitschung "La Repubblica" aufgekauft. Als er 1989 die Mehrheit androhen. Curzio Maltese ist jünger. Auf jeden Fall der Aktien vom Verlag Mondadori übernahm, sollte beantwortete er meine E-Mails nicht. An seiner auch die linksliberale Zeitung seinem Medienkonzern Festnetznummer meldete sich nur ein einverleibt werden. Aber die Redakteure wehrten Anrufbeantworter. Ich fühlte mich schon wie ein sich. Der ehemalige Chefredakteur Eugenio Scalfari vierzehnjähriger Fan, der einen Pop-Sänger erklärte den neuen Verleger für "unempfangbar". Es vergeblich belagert. Tututut, tagein tagaus, "Qui è la kam zu einem Kompromiss mit Carlo De Benedetti, segreteria telefonica .", tututut . "Bleib ruhig", einem Industriellen aus der IT-Branche, der den mahnte ein befreundeter italienischer Kollege, der zu Linken näher stand als andere Magnaten. Ihm seinem Glück vor dem jüngsten Amtsantritt Silvio gehören jetzt "La Repubblica" und die Zeitschrift "L Berlusconis das Rentenalter erreicht hatte. "Du Espresso" - mittlerweile fast die einzigen italienischen kannst dir die Lage hier nicht vorstellen. Wir müssen Medien (neben den auflagenschwächeren linken genau aufpassen, wem was wir sagen." Maltese Parteizeitungen), die es wagen, die Regierung offen müsse sich schützen. Alle müssten sich schützen. zu kritisieren. Im Flur der Redaktion hört man nur Regierungskritische Journalisten stünden unter das Summen der Computer und das Schnauben der Beschuss. Wie die Staatsanwälte. "Du machst eine Klimaanlage. Neonröhren und gelbe Wandpaneele. Aussage vor der falschen Person und zack, am Linoleumböden. Ästhetik nach dem Motto: Arbeite nächsten Tag findest du alles verdreht in den oder stirb. Curzio Maltese sitzt vor Zeitungen wieder." Inzwischen waren zwei Star- heruntergelassenen Jalousien in einem großen Journalisten des italienischen Staatsfernsehens RAI Raum an seinem Schreibtisch. Geht seine E-Mails aufs Abstellgleis geschoben worden. Sie hätten durch. Ob er sie mal doch beantwortet? Er dreht sich kriminellen Gebrauch vom öffentlichen Rundfunk um, bittet mit einem Wink, Platz zu nehmen, holt ein gemacht, hatte Ministerpräsident Berlusconi auf Buch aus einem Päckchen heraus, schweigt. Voilà, Staatsbesuch in Bulgarien vor laufenden Kameras der gefürchtetste Leitartikler Italiens. Ein kleiner behauptet und die Führungsriege der RAI - damals Mann im herbstfarbenen Sakko, mit Glatzenansatz kurz zuvor von seiner Regierung eingesetzt - und einem spöttischen Blick hinter der Nickelbrille. aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen. Daraufhin "Information ist in Italien etwas Lästiges", sagt er. warfen sich zwei hohe Angestellte des Pafft eine Zigarette, schiebt einen Aschenbecher auf Ministerpräsidenten, berühmte Namen aus seinem einem Papierturm näher zu sich, lehnt sich zurück in Fernsehimperium, für die Meinungsfreiheit in die seinem Bürostuhl. Der Bürostuhl quietscht. Hinter Bresche. Sie würden sich an die Gitter des RAI- den Unterlagen sehe ich gerade noch den Kopf des Sitzes anketten, drohten sie, sollten die Kollegen Leitartiklers. Wenn man sich seinen Schreibtisch gefeuert werden. Die Sendungen von Enzo Biagi und ansieht, wirkt es ziemlich unglaubhaft, was er sagt: Michele Santoro wurden eingestellt, aber niemand Dass kein Journalist in Italien sich mehr die Mühe kettete sich an irgendwelche Gitter an, wie Curzio mache, an echte Informationen heranzukommen, Maltese in einem Artikel festhielt. Irgendwann Dokumente zu suchen und durchzuarbeiten. Dies gilt bekam ich seine Handynummer. Handynummern offenbar nicht für ihn. Dass sich alle nur an die müssen in Italien eine Misstrauens- oder Berlusconi- Informationsstellen der Regierung wendeten und freie Zone bilden. Curzio Maltese antwortete. Sofort. dann das verlautbarten, was ihnen von den obersten Wir könnten uns gleich morgen treffen, sagte er. Propagandamachern als Nachricht kredenzt würde. Moment, sagte ich, ich kriege nicht gleich einen Ihm kredenzen die Propagandamacher bestimmt nichts, in solchen Kreisen gilt Curzio Maltese als der chilenischen Verhältnissen" zurück, wie man damals Feind Nummer eins. Dass nur die Quellen in den die Gefahr eines Putsches umschrieb. italienischen Medien zum Vorschein kämen. Weshalb Nichtsdestotrotz ist eine Mehrheit der Berlusconi- er als Leitartikler gezwungen sei, erst mal die Fakten Wähler davon überzeugt, Italien sei fünfzig Jahre zu benennen, auf die er sich beziehe, er müsse lang von Kommunisten regiert worden. Der Kampf davon ausgehen, dass der Leser sie nicht kennt. Im gegen den Kommunismus ist eine der höchsten Fernsehen würden bestimmte Nachrichten einfach Prioritäten der italienischen Politik, das unterschlagen, in den Zeitungen kämen sie meist kommunistische Kulturerbe ein Thema, das die nicht als Fakten vor, sondern als Gemüter erhitzt. In der Weltanschauung des Meinungsäußerungen des einen oder anderen Ministerpräsidenten, um deren Verbreitung sich seine Politikers. Sämtliche Zeitungen würden mit Interviews Medien eifrig bemühen, sind nun selbst Richter und voll gestopft. Die Desinformation blühe und gedeihe. Staatsanwälte zu "roten Roben" mutiert. Ein Wunder Tatsächlich hatte die Desinformation im letzten eigentlich, dass eine Zensurbehörde nach real- Sommer gar das Parlament infiziert. Vier kommunistischem Vorbild in Italien nicht vorhanden Abgeordnete und der Präsident einer Region, ist. Silvio Berlusconi braucht sie erst gar nicht. Es meldete die Kulturzeitschrift "Micromega" - jenes geht auch anders. Sollte Curzio Maltese seinen Philosophieperiodikum, das im Italien Berlusconis Job bei "La Repubblica" verlieren, hätte er kaum zum Widerstandsorgan avanciert ist - hatten eine Hoffnung auf eine neue Anstellung. "Heutzutage wundersame Erklärung verfasst: Man wolle den würde kein Sender und keine Zeitung außer "La italienischen Premier Silvio Berlusconi für den Repubblica" einen regierungskritischen Journalisten Friedensnobelpreis vorschlagen. Seine mehr anstellen", sagt er. "La Repubblica ist eine außenpolitischen Verdienste, die von ihm maßgeblich einsame Insel in einer Informationslandschaft, die initiierte Aufnahme Russlands in die Nato, die Politik direkt oder indirekt vollständig von Berlusconi der atomaren Abrüstung und die Vermittlung für den beherrscht wird." Früher hätten auch die zwei Frieden im Nahen Osten sollten gebührend gewürdigt anderen großen Zeitungen des Landes, "Il Corriere werden, meinten die Unterzeichner. Maltese della Sera" und "La Stampa", dem Neuen Mann der grinst in sich hinein. Die Verwunderung in meinen italienischen Politik auf die Finger gesehen. "Deren Augen scheint ihn zu irritieren. "Kommen Sie vom Kritik kam nicht aus linken Positionen. Sie kam aus Mond?", ist in seinen zu lesen. Dann besinnt er sich der Sorge um die Grundsätze der Demokratie." Aber darauf, dass ich gerade aus Berlin eingeflogen bin. beide Zeitungen gehören Industriellen-Gruppen im Von Italien aus betrachtet muss Deutschland Dunstkreis des Fiat-Konzerns. Kein Unternehmen wahrlich wie der Mond aussehen. Himmlische legt in Krisenzeiten Wert darauf, es sich mit der Sphären. Listfreie Gefilde. Maltese versucht, sich in Regierung zu verderben. Silvio Berlusconi besitzt meine Naivität zu versetzen: "Sehen Sie", sagt er drei Fernsehsender, die ihre Programme landesweit plötzlich nachsichtig, "Vermutlich weiß jeder ausstrahlen. Marktanteil: 45 Prozent. Außerdem die Deutsche, dass die Wirtschaftsleistung Deutschlands Mehrheit der Aktien vom Verlag Mondadori, dem 2002 kaum gewachsen ist. Wenn Gerhard Schröder größten Buch- und Zeitschriftenverlag Italiens. Zwei sagen würde, dass sie um drei Prozent gewachsen Zeitungen, früher ebenfalls in seinem Besitz, hat er sei, wüsste jeder Deutsche, dass er unverfroren lügt." Familienangehörigen überschrieben. Als Aber das Selbstverständliche ist jenseits der Alpen Regierungschef kontrolliert Silvio Berlusconi das nicht selbstverständlich. In Italien habe man Radio und die drei Fernsehkanäle des öffentlichen monatelang über eine Wachstumsrate von drei Rundfunkunternehmens RAI, zu 99,55 Prozent Prozent diskutiert, die das Wirtschaftsministerium Eigentum des Finanzministeriums. Der angegeben hatte. Dank internationalen Statistiken sei entscheidende Verwaltungsrat der RAI wird von den herausgekommen, dass die Wirtschaftsleistung Präsidenten der zwei Parlamentskammern ernannt, Italiens 2002 nur um 0,3 Prozent angestiegen sei. beide gehören Berlusconis Regierungskoalition an. Allzu viele Worte über die neue Zahl hätten die Curzio Maltese hockt jetzt auf dem Rand seines italienischen Medien aber nicht verloren. "In diesem Bürostuhls, die Hände auf die Knie gestützt, als Lande", skandiert er, als wollte er mir die Sätze auf wollte er gleich aufspringen und losrennen. Er muss die Stirn nageln, "in diesem Lande wird nicht die bald gehen. Abends arbeite er seit kurzem an einer Meinung von irgendwelchen radikalen Gruppen satirischen Sendung mit, erzählt er, die nachts vom zensiert. In diesem Lande wird die Meinung vom dritten RAI-Kanal ausgestrahlt wird. Der einzige Internationalen Währungsfonds zensiert, den man Sender, der der Opposition übrig geblieben ist. Und offenbar für eine Organisation hält, die sich in den die Satire sei das einzige Genre, in dem man die Händen von Kommunisten befindet." Silvio Dinge noch beim Namen nennen könne. "Da gilt die Berlusconi ist angetreten, um Italien vom Freiheit der Kunst, man kann nicht so leicht für seine Kommunismus zu befreien. Zwar war die Aussagen gerichtlich belangt werden." Kommunistische Partei Italiens nie an einer der Inzwischen hat Maltese selbst Klage erhoben. vielen Regierungskoalitionen der Nachkriegszeit Wegen Verleumdungen, die gegen ihn und seine beteiligt. Und als sie 1974 den Sprung ins Kabinett Familie verbreitet wurden. "Jeden Tag werde ich in hätte wagen können, hielt sie sich aus Angst "vor den Zeitungen und Zeitschriften Berlusconis attackiert." Das Thema bringt den Leitartikler in Wallung. "Nur weil ich als der regierungskritischste Journalist Italiens gelte", zischt er. Dabei hat er auch an der linken Opposition kein gutes Haar gelassen. Als sie, noch an der Regierung, den Ministerpräsidenten Romano Prodi stürzte und sich unter Federführung des realpolitisch nach rechts gewendeten Ex-Kommunisten Massimo D Alema Berlusconi anbiederte. Den Präsidenten der Linksdemokraten nennt Curzio Maltese "die Opposition Seiner Majestät". Freilich hat er sich mit solchen Positionen auch auf der Linken mehr Feinde als Freunde gemacht. Zumindest in den Parteispitzen. Dem linken Volk, das seine gewählten Vertreter mittlerweile für völlig untauglich hält, spricht der Leitartikler aus der Seele. Er ist längst eine Identifikationsfigur geworden. Er würde sich bloß eine wirklich freie Presse wünschen, sagt er. Und holt dann aus zu einem neuen Rundumschlag: Da Italien das Land der Gegenreformation sei, in dem die meisten Häretiker verbrannt und verquere Meinungen nie toleriert wurden, könne man von den Italienern keine Mediengesetze erwarten, welche die Meinungsfreiheit garantieren. Schlussfolgerung: "Ich hoffe, dass wir eines Tages von einem deutschen oder einem französischen Premier regiert werden. Warum sollen wir ewig auf die Italiener insistieren?" Magazin Italien (I) Curzio Maltese Medien Porträt Männliche Person Analyse Fall, aus Berliner Zeitung vom 14.06.2003 Magazin Ein Traum und das Trauma Fausto Paravidino hat die Ereignisse des G-8- Gipfels in Genua 2001 rekonstruiert. Sein Stück "Genua 01" hatte gerade in der Schaubühne Premiere Von Aureliana Sorrento

Wie bitte? Das sagt er aber nicht, der Junge mit 200 Leichensäcke wurden bereitgestellt, den braunen, lang geschlitzten, wachen Augen, der Raketenabwehrgeschütze rund um Genua postiert, noch jünger wirkt in Jeans, Adidasschuhen und nicht nur 18 000 Polizisten, sondern auch eine blauem Polohemd. Er blickt nur etwas ungläubig. Der Spezialeinheit der Marine, die Froschmänner, an die Reporter bohrt und bohrt. Gerade aus Rom ligurische Küste berufen. Denn neben den illustren eingeflogen, wo jetzt schon die Hitze brütet, fühlt sich Fremden erwartete man in Genua der Junge vermutlich etwas verloren im Café der Globalisierungsgegner aus aller Herren Länder. In Schaubühne, da rieseln die Sonnenstrahlen nur der Tat reisten sie zahlreich und pünktlich an, um kreideblass durch die Glaswände, draußen bläst gegen das Spektakel der Mächtigen zu Wind. Der Junge hält sich mit einer Hand am Rand demonstrieren. Warum es aber zu den blutigsten des Holzstuhls fest, hebt sie langsam zur Stirn, streift Ausschreitungen in der Geschichte der weltweiten sich eine lange Haarsträhne übers Ohr, hört Protestbewegung kam, ist strittig. Zwar lieferten die konzentriert zu: "Ist es nicht gefährlich, so einen wie üblichen Krawallmacher, Black Blocks genannt, Carlo Giuliani zu mythisieren?", will der immer wieder einen Anlass zum Eingreifen der Reporterwissen. Das Band läuft. Carlo Giuliani Polizei. Man konnte sich jedoch des Eindrucks nicht ist tot. Ermordet worden. 23-jährig. Am 21. Juli 2001. erwehren, dass sie sich als agents provocateurs Durch einen Pistolenschuss in den Kopf. Der Schütze verdingten. Denn einige sahen sie aus Polizeiautos war der 20-jährige Polizist Marco Placanica. Einer aussteigen; in den Arbeitervierteln der Stadt der 18 000 Beamten, die Silvio Berlusconi zum randalierten die Black Blocks ungestört, bis der Schutze des G-8-Gipfels nach Genua Ordnungsdienst der neukommunistischen Partei zusammengetrommelt hatte. "Ist Carlo Giuliani "Rifondazione Comunista" ihnen das Handwerk legte. wirklich eine tragische Figur?", will der Reporter Derweil gingen die Beamten auf brutalste Weise wissen. Das Band läuft. Der Junge stiert auf den gegen Demonstranten friedfertiger aber politisch Reporter. Überlegt und stößt einen Lacher aus, wie relevanterer Gruppierungen und auch gegen ein Kind, das aus einem lustigen Traum erwacht: unbeteiligte Passanten vor. Genua im Kriegszustand. "Fragen Sie doch seine Mutter, ob er wirklich eine Am 21. Juli fiel Carlo Giuliani durch den Kopfschuss tragische Figur ist!" Der Junge heißt Fausto eines Carabiniere; am 22. stürmten 200 Paravidino, Schauspieler, Dramatiker, Regisseur, Staatsschützer in Kampfanzügen eine Schule, in der Drehbuchschreiber. Mit 13 hat er zum ersten Mal die Eingereisten ihr Schlaflager - mit offizieller eine Bühne betreten, in Rocca Grimalda, einem 1 Genehmigung - eingerichtet hatten. Die 000-Seelen-Dorf des Basso Piemonte, wo er vor 27 Ordnungshüter knüppelten alles nieder, was sich Jahren geboren wurde. Heute lebt er aber in Rom mit bewegte - oder auch nicht: Die meisten Gezüchtigten fünf oder sechs Millionen mehr oder weniger amtlich hatten zum Zeitpunkt der Erstürmung bereits gemeldeten Einwohnern sehr nah an den geschlafen. 60 Verletzte, 3 lebensgefährlich, und Existenzfragen der Mehrheit und ziemlich weit 600 Festgenommene waren das Ergebnis der Aktion. entfernt von der heilen Welt der Einige der Verhafteten erzählten später von Theaterwissenschaftsseminare. Das Stück, das Folterungen in der Polizeikaserne, unter er 2001 im Auftrag des Londoner Royal Court Mordandrohung hätten sie "Viva il Duce" skandieren Theatre verfasst hat, und das jetzt im Studio der müssen. Währenddessen hielt sich Gianfranco Fini, Berliner Schaubühne am Lehniner Platz Berlusconis Stellvertreter und Vorsitzender der Deutschlandpremiere hatte, darf man nach den neofaschistischen Alleanza Nazionale, im strengen Regeln der dramatischen Kunst mutmaßlich Polizeihauptquartier auf, um die Operationen der nicht einmal ein Stück nennen. "Genua 01" ist eine Beamten zu koordinieren. Fakten, über die nur Tragödie. Eine, die nicht erdichtet werden musste, teilweise in den italienischen und ausländischen weil sie geschah. Zwischen dem 20. und dem 23. Juli Medien berichtet wurde. Fakten, die Fausto 2001, als Silvio Berlusconi die mächtigsten Männer Paravidino in "Genua 01" zusammengeschnürt hat. der Welt zu einem Gipfeltreffen nach Genua einlud, Er war nicht in Genua während der Horrortage. Er um unter der Mittelmeersonne und künstlichen hing in Rom am Telefon, telefonierte unablässig mit Zitronen, die er an Nylonfäden hängen ließ - zu den Freunden, die dorthin gefahren waren, und mit schäbig erschienen ihm die echten für die Linsen der jenen, die in der Stadt wohnten. Am 21. Juli setzte er Fernsehkameras - den wirtschaftlichen Status des sich an den Schreibtisch. Schrieb "Peanuts". Anhand Erdballs zu erörtern. An das Wohl seiner Gäste einer Horde Halbwüchsiger und eines dachte der kurz zuvor Gewählte in großem Maßstab: albtraumartigen Szenen- und Zeitenwechsels durchleuchtet das Stück die Mechanismen von Trastevere. Dort, wo seit Jahrzehnten ein Penner um Unterdrückung und Unterwerfung, Machtmissbrauch den barocken Springbrunnen herum einen kleinen und Duckmäuserei. "Peanuts war bloß eine spontane Holzkarren hin und her schleppt, an dem Blechtöpfe Reaktion auf die Geschehnisse", sagt Paravidino an einer Schnur hängen und auf dem bescheiden. Als ihn aber ein Auftrag vom Royal Kopfsteinpflaster klappern, war an jenem Abend ein Court Theatre London ereilte, machte sich der anderer da, der ein noch merkwürdigeres Ritual Dramatiker wie ein Journalist ans Werk: Sammelte vollführte. Mit Tomatendosen hatte der Zeitungsartikel, Dokumente, Fotos und Videobänder, Stadtstreicher einen Kreis auf dem Boden abgesteckt suchte Zeugen, verglich deren Aussagen. "Genua und scheuchte die Spaziergänger davon. Ein heiliger 01" wurde eine Anklageschrift. Oder, so könnte man Zirkel, eine Bühne, ein Theater!, dachten sich die es auch bezeichnen, ein chorales Epos, das jeden Mimen in spe. So einfach ist das. Und weil der Mann Anflug von Subjektivität vermeidet. Oder einfach eine seine Performance "Gloria Babbi" benannte, journalistische Arbeit - dennoch aus Zeilen, die sich entschieden sie, als "Gloriababbi Teatro" aufzutreten. einhämmern, als wären sie Schlagbohrer. Im Ein Name als Glücksbringer. Im folgenden Sommer Februar 2002 wurde das Stück dem Londoner tourten sie mit ihrem "Sommernachtstraum" fünf Publikum präsentiert. In Italien dauerte es lange, bis Tage lang an der Riviera. Gratis et amore dei, sich ein Theater fand, das es zur Aufführung brachte. versteht sich, aber immerhin ein Anfang. Um ihr Brot Zunächst tingelte der Autor mit ein paar Freunden zu verdienen, heuerten die Gloriababbis bei durch die römischen Hinterwelten, Sozialzentren und verschiedenen Theater- und Filmprojekten an, besetzte Häuser, las vor zwei- bis dreihundert verloren sich aber nicht aus dem Blick. 1997 Menschen und tauschte mit ihnen bis in die Nächte schrieb Paravidino sein erstes Stück, "Trinciapollo". hinein Wissen und Meinungen aus. "Agitprop war Nicht Shakespeare stand dem Erstling Pate, wenn, das", sagt er ohne Umschweife. Wie ihm auch das dann sollte man Büchner und Pirandello als ideelle Wort "Dokumentar" völlig ungeniert über die Lippen Mentoren heranführen. In Wahrheit, sagt der geht, wenn er das Genre seines Werkes zu Dramatiker, vollzog sich der Sprung vom Spielen definieren sucht. Hätte er auf eine der üblichen zum Schreiben auf eine vollkommen natürliche, dramatischen Formen zurückgegriffen, wäre eine beinah unfreiwillige Weise. "Wenn man unter "Metapher der Metapher" entstanden. Für ihn sind Schauspielern lebt, kaspert man jeden Abend rum. die Ereignisse von Genua im Juli 2001 eine Metapher Ein Wort zieht das andere, jeden Abend ein Sketch. der Weltlage gewesen. "Eine Generalprobe der Und eines Tages sitzt du da alleine und fängst an, dir weltweiten Repression." Dies sagt er mit einer die Sketchs selbst auszudenken." Mit "Zwei knarzenden Stimme, die gar nicht passt zu seinem Brüder", das 1999 den Tondelli-Preis gewann, gelang Knabengesicht. Für einen Bürgerschreck würde Paravidino und dem "Gloriababbi Teatro" der Fausto Paravidino nirgendwo durchgehen, ihm haftet Durchbruch. 2000 bekamen sie ein Engagement die Aura eines wohl erzogenen italienischen beim "Teatro Stabile di Bolzano", mit dem sie Bürgersohns an wie anderen ihr Körpergeruch. Was weiterhin zusammenarbeiten. Nur der ganz große er gewiss nicht als Kompliment verstünde, aber mit Wunsch ist noch nicht erfüllt: Ihr Theater in eine dem Selbstbewusstsein des gesicherten Weltbilds "Bewegung" zu verwandeln, in welche immer neue einhergeht: "Theater ist immer politisch", ist ein Mitstreiter einsteigen und neue Ideen einfließen Postulat. Paravidinos zwingendes Argument: "Weil können. Funktionieren sollte das Projekt ungefähr so es immer kontrastierende Kräfte gegeneinander wie jene politische Protestbewegung, die auf das prallen lässt." Daran ist nicht zu rütteln. Ebenso Schlagwort "Antiglobalisierung" die disparatesten wenig wie an dem Satz: "Shakespeare ist die Bibel, Gruppen und Bestrebungen unter einen Hut bringt. dann gibt es noch die Heiligen." Das Theaterleben Ansonsten hat der junge Dramatiker keine konkreten des Fausto Paravidino begann, wie es sich gehört, im Pläne für die fernere Zukunft. Er sei einfach unfähig, Namen des Verehrtesten aller Bühnenväter. Kurz gesteht er, sich mit Gedanken darüber zu tragen, hatte der Dreizehnjährige darüber nachgedacht, was in sechs Monaten denn sein solle. "Ich lebe nur Boxer zu werden, dann schloss er sich, noch in der in der Gegenwart." Weil er 27 ist. Außerdem ein achten Schulklasse, einer Gruppe von Theatermensch. Einer, der die Welt um sich wahr- Amateurschauspielern an und durfte Jago, Pisanio und aufnimmt. Für Selbstverwirklichungsträume und Heinrich IV. sein. Nach dem Abitur ging er bleibt da offenbar keine Zeit. Magazin erst einmal nach Genua, ein Jahr Schauspielschule Berlin (BLN) Bundesrepublik Deutschland (BR) Italien beim Teatro Stabile, dann brach die Langeweile aus. (I) Fausto Paravidino Theater Innenpolitik Paravidino wollte nicht auf den Steinen sitzen Gespräch Porträt Männliche Person bleiben, tat sich mit anderen Mitschülern zusammen und gründete eine freie Schauspieltruppe; frohgemut und erlebnishungrig zog die Bande nach Rom. Kaum Geld, keinen richtigen Plan, allenfalls den Traum, den "Sommernachtstraum" auf irgendeine Bühne zu bringen, bummelten sie gedankenverloren und angesäuselt auf der Piazza Santa Maria in aus Berliner Zeitung vom 10.07.2003 Tagesthema HILFERUF Europa, rette uns! DEUTSCH-ITALIENISCHE FREUNDSCHAFT - Wegen unflätiger Worte eines Staatssekretärs hat der Kanzler seinen Adria-Urlaub gestrichen. Italiener sind entsetzt über ihre Regierung.

TAGESTHEMA Von Aureliana Sorrento

Es fehlte nur noch das. Nach Silvio Berlusconis des Unternehmer-Präsidenten Einhalt gebieten. Wirft Nazi-Vergleich der Schmähbrief eines man einen Blick in die wenigen übriggebliebenen TourismusStaatssekretärs der rechtspopulistischen italienischen Oppositionszeitungen, liest man Lega Nord gegen "die Deutschen", den er unentwegt den Hilferuf: Europa, rette uns! Die bedeutungsträchtig in La Padania, dem offiziellen Italiener wissen, dass ihr Wohlstand entscheidend Organ der separatistischen Partei, abdrucken ließ. von Europa abhängt. In ihrem Sinne ist es nicht, Dabei hätte man die Beschimpfungen als wenn die römische Regierung ihre europäischen leganordtypische Fäkalentäußerungen abtun können, Partner brüskiert. Aber Berlusconi hat bislang Politik denen allzu viel Aufmerksamkeit nicht gebührt. nur für sich selbst, nicht für sein Land gemacht. Es Schließlich hatte sich der Urheber Stefano Stefani wird Zeit, dass die Regierungen in Berlin, Paris und ganz im Stil seines Chefs Umberto Bossi London darauf entschieden reagieren. Ohne ausgedrückt, eines Mannes, der schon öfter Rückendeckung aus Europa wird die italienische verkündete, Europa sei ein Galgenland, und mit der Opposition dem Spuk kein Ende setzen können. italienischen Trikolore würde er sich am liebsten den Die Autorin ist italienische Journalistin und lebt in Hintern abwischen. Alarmierend ist Stefanis Berlin. Tagesthema Italien (I) "Wir" - es suggeriert, der Tourismusstaatssekretär Bundesrepublik Deutschland (BR) Europäische würde im Namen aller Italiener sprechen. Als würden Union (EG) Internationale Beziehungen alle Italiener sein Bild der Deutschen als Analyse Teil Barbarenhorden, die betrunken über italienische Strände herfallen, teilen. Als wären alle Italiener mit der europafeindlichen Gesinnung ihrer Regierung einverstanden. Diesen Eindruck zu zerstreuen reichen die heftigen Proteste von Mitgliedern der Regionalregierungen der Toskana und der Emilia Romagna sowie die Solidaritätsbekundungen beschämter Italiener vor der deutschen Botschaft freilich nicht aus. Denn Silvio Berlusconi, sein Adlatus Gianfranco Fini, Vorsitzender der neofaschistischen Alleanza Nazionale, und sein hauptamtlicher Hofnarr Bossi sind in freien Wahlen bestimmte Vertreter des italienischen Volkes. Sie haben bislang ihr Möglichstes getan, den Zusammenhalt der EU zu unterminieren. Verstimmungen im europäischen Lager verursachte Berlusconi zuletzt mit seiner proamerikanischen Position im Irak-Krieg. Dass er da keineswegs den Rückhalt des Volkes hatte, wurde nördlich der Alpen kaum registriert. Mittlerweile ist klar, dass Berlusconis Schmusekurs mit der Bush-Regierung Teil einer Strategie ist: Der Italiener setzt alles daran, Sturm zu bringen in die Gemeinschafts-Gewässer der EU. Und dass er die Mehrheits-Übernahme des für Europas Rüstungsinteressen wichtigen Flugzeugbauers FiatAvio durch die amerikanische Firma Carlyle einfädelte - ein Manöver hinter den Kulissen, um das Projekt eines US-unabhängigen, europäischen Waffensystems zu untergraben - das dürfte den europäischen Partnern übel aufgestoßen sein. Der Medientycoon hat gute Gründe, Italien außerhalb Europas zu lenken. Persönliche Gründe: Nur allgemeinverbindliche europäische Regeln und Gesetze könnten schließlich der ausufernden Macht aus Berliner Zeitung vom 14.07.2003 Seite 3 Familienprogramm Wenn Silvio Berlusconi verbal entgleist, erfährt das in Italien kaum jemand. Weil der Premier das Fernsehen kontrolliert - und noch vieles mehr Von Aureliana Sorrento

ROM, im Juli. Das schmiedeeiserne zwar einen Bericht, aber ohne die entscheidende Eingangstor quietscht bei jeder Bewegung. An Szene. Später wurde von fast allen italienischen diesem Nachmittag hasten viele Menschen durch das Medien die Version der Vorgänge verbreitet, wie der Tor in der Viale Aventino. Das Quietschen wird zu Premier sie dargelegt hatte: Er und mit ihm das einem Dauerton. Die Menschen steigen über die italienische Volk seien von einem SPD- Steintreppe hinauf zum Palazzo, eine dreistöckige Parlamentarier beleidigt worden. Berlusconi sei so Villa mit einem Turm wie auf einer Sahnetorte. Im kulant gewesen, auf die bösartige Provokation mit Innereren des Redaktionshauses von TG 5, dem Ironie zu antworten. Dass alle übrigen wichtigsten Nachrichtenmagazin aus Silvio europäischen Medien eine ganz andere Schilderung Berlusconis Medienhaus "Mediaset", funken des Schlagabtausches lieferten, erschien in Italien Überwachungskameras laserrote Pünktchen, der nur der linksliberalen Zeitung "La Repubblica" und Aufzug surrt unablässig und durch die mit Marmor der Opposition im Parlament von Bedeutung zu sein. ausgelegten Gänge hallendie Schritte geschäftiger Der Schriftsteller Umberto Eco hatte schon vor den Redakteure. Cesara Buonamici, die Dame mit Wahlen im Mai 2001 gewarnt, dass Berlusconi als dem rotbraunen Haar, die allabendlich die Premierminister nicht mehr nur drei Fernsehsender Nachrichtensendung moderiert, lächelt noch besitzen würde, sondern gleich drei weitere, die charmanter als im Fernsehen. Sie sitzt ungeschminkt öffentlich-rechtlichen nämlich, kontrollieren könnte. In an ihrem Schreibtisch und erklärt den "familiären Stil" Italien würde sich ein "De-facto-Regime" einstellen, des Senders. "Es ist so, als würde ein Freund zum so Eco. Curzio Maltese, Leitartikler der "La Abendbrot bei dir vorbeikommen und die wichtigsten Repubblica", sagt nun: "Die Kontrolle des Ereignisse des Tages erzählen." Unfälle und Fernsehens in diesem Lande ist bereits die eines Raubüberfälle, Erdbeben und andere Katastrophen, Regimes." Und da 90 % der italienischen rührige Geschichten aus dem Alltag von Herrn Bevölkerung sich über das Fernsehen informieren, Jedermann - vor allem darüber wird im beliebten gibt es ein Ereignis, das im Fernsehen nicht Fernsehjournal pünktlich und ausführlich berichtet. stattfindet, einfach nicht. Zwar hat die Im ersten Quartal dieses Jahres haben Berlusconis außerparlamentarische Opposition, die seit Mediaset-Sender Canale 5, Italia 1 und Rete 4 einen Berlusconis Regierungsübernahme zu einer Anteil von 45,19 Prozent am gesamten italienischen gewaltigen Bürgerbewegung gewachsen ist, immer Fernsehmarkt erreicht und somit zum ersten Mal die wieder lauthals dagegen protestiert. Zwar scheinen drei Kanäle der staatlichen RAI hinter sich gelassen. die linken Oppositions-Parteien mittlerweile die Cesara Buonamici lobt den Weitblick von Gefahr begriffen zu haben, die von Berlusconis Chefredakteur Enrico Mentana, die vorzügliche erdrückender Medienmacht für die Demokratie Teamarbeit und die Schnelligkeit, mit der man auf die ausgeht. Aber sie sind machtlos. Lamberto allerneuesten Ereignisse reagieren könne. Selbst Sposini, Ko-Direktor von Berlusconis Fernsehjournal eine Minute vor der Sendung würde man bei TG 5 TG 5, bemüht sich, die Unabhängigkeit seiner den Sendeplan notfalls umwerfen, um neue Redaktion von Silvio Berlusconi, dem Hausherrn, Nachrichten zu berücksichtigen. "Die RAI mit ihren glaubhaft zu machen. "Unsere Mitarbeiter genießen schwerfälligen, bürokratischen Strukturen schafft das eine größere Freiheit als die Angestellten der RAI", natürlich nicht", sagt sie. Nun gab es neulich sagt er. Er macht mit seinem Arm eine Bewegung, so einen Tag, da haben es auch die Mediaset- als wolle er sämtliche Grenzen der Freiheit, die es Journalisten nicht so richtig geschafft. Als der irgendwo noch geben könnte, sofort zum Einsturz deutsche SPD-Abgeordnete Martin Schulz im bringen. "Unsere Moderatoren schreiben ihre Texte Europaparlament den italienischen selbst und wir kontrollieren nicht mal, was sie in der Ministerpräsidenten scharf kritisierte und von Silvio Sendung sagen. Von mir aus können sie live Berlusconi mit einem KZ-Aufseher verglichen wurde, herumspinnen, das geht mich nichts an." Nun ist sendete TG 5 zwar die Bilder, allerdings ohne Ton. es so, dass in Italien im Jahre 2003 kaum noch ein Technische Probleme soll es gegeben haben. Journalist herumspinnt. In die Chefsessel des Vielleicht wollte man auch einfach nur verhindern, Staatsfernsehens hat Berlusconis Rechts-Koalition dass Berlusconis Entgleisungen, für die er sich bald nach Amtsantritt ihre Männer eingesetzt. Nur der später entschuldigen musste, in Italien im Originalton dritte und kleinste RAI-Kanal wurde der Opposition zu hören sind. Der erste Kanal des überlassen. Es reichte aber die Ausstrahlung eines Staatsfernsehens zeigte in den Mittagsnachrichten Beitrags über den Prozess gegen Berlusconi, in dem nicht einmal Bilder. Der Vorfall wurde mit keinem man einen Zuschauer dem Premier im Zeugenstand Wort erwähnt. Die Hauptausgabe um 20 Uhr brachte ein "Schäme dich, du Hanswurst!" entgegenschreien hörte - schon fühlte sich der Generaldirektor des stellen sollte. Aber was soll das heißen? Ein Staatsrundfunks Flavio Cattaneo bemüßigt, eine Journalist soll keine Fragen stellen?" Ähnliches Inspektion in den Finanzbüchern des beklagte noch im Mai die neue Präsidentin des RAI- Fernsehjournals von RAI 3 zu veranlassen. Im Verwaltungsrates Lucia Annunziata. In den RAI- zweiten Programm der RAI hätte ein solcher Beitrag Kanälen könne keine politische Satire mehr gar nicht erst gesendet werden können. stattfinden, sagte sie. Jeder Politiker würde sich mit Chefredakteur ist dort Clemente Mimun. Einer, der einer Anruf-Kampagne und Drohungen rächen, wenn früher für Bettino Craxis sozialistische Partei auch nur ein harmloser Witz über ihn erzählt wird. Propaganda machte und heute für seinen Freund Indes kann die Präsidentin sagen, was sie will, ihre Silvio Berlusconi dasselbe tut. Das schreibt Stimme gilt wenig. Mit der Unterstützung der linken zumindest "La Repubblica". Und für den Artikel Opposition auf ihren Posten gehievt, steht sie einem erhielt der Autor prompt eine Abmahnung von der RAI-Verwaltungsrat gegenüber, der vollständig mit italienischen Journalistenkammer. Der Autor hätte Gefolgsleuten Berlusconis besetzt ist. Außerdem ist zwar nichts Falsches geschrieben, aber so dürfe man der Staatsrundfunk dem Kommunikationsminister über Kollegen einfach nicht schreiben, begründete Maurizio Gasparri zur Rechenschaft verpflichtet. die Journalistenkammer ihre Rüge. Roberto Den Namen des Kommunikationsministers trägt auch Taglialegna sitzt im Nachrichtenraum und haut in die ein Gesetzesvorhaben, das derzeit im italienischen Tasten. Er arbeitet als Redakteur beim zweiten Senat verhandelt wird. Demnach soll ein Programm der RAI. Während er schreibt, gibt ihm die Privatunternehmer künftig bis zu zwanzig Prozent Ressortleiterin Monica Petacco genaue des gesamten Medienmarktes besitzen dürfen. Sollte Anweisungen. "Alle unsere Texte werden nicht nur Gasparris Gesetzentwurf die zwei Kammern des vom Ressortleiter, sondern auch von der Parlaments passieren, könnte Silvio Berlusconi nicht Chefredaktion überprüft", sagt Taglialegna. Für ihn ist nur seine drei Fernsehsender behalten, sondern das eine Selbstverständlichkeit. Auf dem Weg ins auch Zeitungen kaufen. Wie etwa den "Corriere della Studio wirft er einen argwöhnischen Blick auf den Sera", die auflagenstärkste Tageszeitung Italiens, auf Kollegen, der gerade den Raum betritt. Francesco die der Premier seit geraumer Zeit ein Auge hat. Vitale, Mafia-Experte und langjähriger Korrespondent Berlusconis Medienreich wäre sodann vollkommen, aus dem Süden, hat nichts zu tun. Außer Zeitung seine Kontrolle über die Meinungsbildung im Lande lesen, auf und ab gehen und schimpfen: "Ein absolut. Bislang ist ihm der Coup nicht gelungen. Mit Berichterstatter zu sein bedeutet in diesem Lande, über 5 000 Verbesserungsanträgen verhinderte die sich den Mächtigen zu unterwerfen." Francesco Opposition am 9. Juli die Durchsetzung des Vitale erklärt, dass ein normales Arbeiten gar nicht Gesetzes im Senat. Am 17. Juli wird noch einmal mehr möglich ist. Normalerweise sollte man zuerst abgestimmt. Minister Maurizio Gasparri ist die Bilder für seinen Bericht auswählen, dann den sichtlich nervös, als er den Gästesaal der Text dazu schreiben, erläutert er eine der Auslandspresse in Rom betritt. Die erste Frage Grundregeln des Fernsehjournalismus. "Hier wollen kommt: "Wie steht es heute mit der Meinungsfreiheit sie, dass wir als Erstes die Texte in diesen in diesem Lande?" Gasparri duckt sich kurz, findet verdammten Computern speichern, damit sie eine aber recht schnell seine Haltung wieder. Erst vor absolute Kontrolle über jedes Wort ausüben können." kurzem, lässt er die Versammelten wissen, habe er Klar sei Kontrolle notwendig, sagt er, schließlich mit Redakteuren des dritten RAI-Kanals einen Streit könne jeder Fehler machen. "Aber hier werden die austragen müssen. Wegen einer Sendung, in der Texte nicht auf Wahrheitsgehalt und Genauigkeit kritische Beiträge über die Regierung gelaufen überprüft, sondern auf ihre politische Ausrichtung." waren. "Zur Zeit Mussolinis sind regierungskritische Laut Gesetz ist ein fest angestellter RAI-Journalist Beiträge gar nicht vorgekommen", sagt der Minister. unkündbar. Es gibt aber kein Gesetz, das es Seite 3 Italien (I) Silvio Berlusconi verbietet, einem fest angestellten RAI-Journalisten Innenpolitik Medien Reportage Analyse keine Arbeit mehr zu geben. Das haben im Frühjahr Personalie 2002 auch zwei Stars des Fernsehens erfahren müssen: Enzo Biagi und Michele Santoro, Moderatoren zweier sehr erfolgreicher Politik- Magazine, wurden trotz anhaltenden Protestes der Öffentlichkeit auf Wunsch Silvio Berlusconis aufs Abstellgleis geschoben. Die Sendungen wurden eingestellt. Das war ein so deutliches Signal, dass es nun kaum noch jemand wagt, die neuen Regeln zu verletzen. "Das Schlimmste ist, dass man heutzutage den Politikern keine wirklichen Fragen mehr stellen kann", sagt der RAI-Redakteur Francesco Vitale. Wer Fragen stellt, bekommt Probleme. "Dann wird dein Chefredakteur angerufen. Dann wird gesagt, dass man solche Fragen nicht aus Berliner Zeitung vom 19.07.2003 Magazin Wir schlagen keine tiefen Wurzeln Die Schriftsteller Kolja Mensing und Tobias Hülswitt über Provinzler, Öko-Eiferer, Heimatgefühl und das Leben in der Großstadt Von Aureliana Sorrento

Über die Provinz schreiben: Ist das nicht bekommen konnte. Man zieht sich in ein Tal oder ein altmodisch? HÜLSWITT: Es gibt schon genug Dorf zurück und wurstelt vor sich hin. Klar, dass Berlin-Romane. Ich wollte keinen neuen hinzufügen. einige ziemlich verschrobene Typen geworden sind. MENSING: Es gibt ja auch eine interessante neue Fühlten Sie sich dort isoliert? HÜLSWITT: Vor Provinz-Literatur. Christof Peters "Stadt, Land, Fluß" allem nach dem Abitur. Denn die interessanten Leute schätze ich sehr. Mir ging es vor allem darum, gegen gingen dann schnell weg, ich blieb allein in der das Gefühl anzuschreiben, dass man aus der Provinz totalen Leere, in einem absoluten Vakuum. Zu dem unbedingt weg muss. Mich interessiert mehr, wie sie Zeitpunkt habe ich angefangen zu schreiben. Sie eigentlich funktioniert. "Die hässlichste sind aber nicht gleich weggezogen... Landschaft der Welt" nennen Sie in Ihrem Buch die HÜLSWITT: Ich kannte keine andere Welt, ich kannte Provinz, in der Sie aufgewachsen sind. Konnte sie nur jene Welt, die für mich nicht funktionierte, ich deshalb keine Heimat für Sie sein? MENSING: wusste nicht, ob es woanders besser ist. Es kostete Das war nicht das Wichtigste. Was einem den Weg mich eine ungeheure Kraftanstrengung, mich zu diesem Heimatgefühl versperrt hat, war eine loszureißen. So ein Dorfleben erzeugt eine Geisteshaltung, die man dort einstudiert hat. Von Sogwirkung. Irgendwann wurde es mir klar, dass ich Kind auf bekam man gesagt: Das hier ist nur der sofort alle Stricke kappen musste, wollte ich nicht Anfang, ein Trampolin, hier geht es los, es gibt aber ewig da stecken bleiben. Komisch. Wenn man da draußen die große weite Welt, wir sind die Mensings Buch "Wie komme ich hier raus?" liest, hat aufgeschlossene, aufgeklärte Provinz, also mach man den Eindruck, es gäbe nichts Leichteres, als die dich auf den Weg, gehe zur Schule und sieh zu, dass Provinz zu verlassen. Und in der Provinz sind die du deinen Weg nach draußen findest. Das ist eine Menschen ungeheuer aufgeschlossen, ungeheuer provinzielle Denkfigur aus den siebziger und informiert, ungeheuer weltoffen, fortschrittlich, achtziger Jahren. Die neue Provinz hat nichts mehr umweltbewusst. Eine Art rot-grünes Musterländle. zu tun mit der in Hermann Hesses tragischen MENSING: Ich bin davon überzeugt, dass die rot- Bildungsromanen. Es ist ganz leicht, da grüne Koalition in der Provinz vorbereitet worden ist. rauszukommen. Dich hält ja niemand. Die neue Diese Form von ökologisch korrekter, politisch Provinz? MENSING: Ich spreche von der korrekter Weltläufigkeit haben wir dort in den modernen Provinz der Neubaugebiete, die in den Achtzigern während der Projektwochen und späten Siebzigern, Anfang der achtziger Jahre ihren Umwelttage brav eingeübt. Es lag wahrscheinlich ersten Höhepunkt erreicht hat. Die Provinz der daran, dass viele der so genannten Eigenheime, die alle zur gleichen Zeit gebaut Achtundsechziger, die in den Großstädten studiert wurden, der ausufernden Gewerbe- und und den Aufstand geprobt hatten, anschließend in die Einkaufsparks auf dem Land. Wenn man mit dem Dörfer und Kleinstädte zurückgegangen sind. Und als Zug durch Deutschland fährt, sieht man heute überall meine Generation, die der um 1970 Geborenen, in mitten in der Landschaft McWash und real, Aldi und die Schule kam, hatten diese Leute relativ Deichmann... Es ist eine künstliche Welt. Die einflussreiche Posten: Lehrer, Pastoren, Provinz, die Tobias Hülswitt in "Saga" beschrieben Schuldirektoren, Jugendpfleger, Sozialarbeiter. Es hat, sieht hingegen ziemlich ursprünglich aus: Wald, war eine neue kleinstädtische Provinzelite Schatten, Burgen. HÜLSWITT: Mit vier bin ich entstanden, die nichts mehr zu tun hatte mit der mit meinen Eltern von Hannover in die Südpfalz düsteren Adenauer-Provinz, in der jeder in Verdacht gezogen, nach Bad Bergzabern, einem Kurort südlich stand, ein Nazi oder ein Reaktionär zu sein. von Kaiserslautern. Da gibt es den Pfälzer Wald und HÜLSWITT: So war es aber nur in solchen auf fast jedem Berg steht eine Burg. Sehr viele Provinzen, die völlig neu gebaut worden sind, in der Spuren der Vergangenheit. Sehr abgeschieden, weit Neubaugebiet-Kleinstadt-Provinz. Auf die Feld-und- weg von allem. Es klingt nach Dorfidylle. Der Wald-Provinz, auf die pfälzische Provinz beste Ort, um den Rückzug in die deutsche beispielsweise, trifft das nicht zu. Denn dort gibt es Innerlichkeit, in die eigene Fantasiewelt anzutreten. so viel Altgewachsenes. Die Achtundsechziger sind HÜLSWITT: Genau das ist das Gefährliche: dass auch zurückgekommen, haben in den Theatern man so viele Startschüsse nicht hört. Ich kannte dort gearbeitet, waren Deutsch-Leistungskurslehrer, auch Leute, die schrieben, die aber nie den haben Ökoläden aufgemacht. Aber sie mussten mit Gedankenaustausch mit anderen Schriftstellern dem Altgewachsenen koexistieren. Mit dem suchten, und wenn, dann waren es bekiffte Zurückgezogenen, Widerständigen. Woran Gespräche am Lagerfeuer. Das war das Höchste an macht man das fest? HÜLSWITT: Man spürt es intellektueller Auseinandersetzung, das man dort sofort. Beispielsweise sprechen die Einheimischen Dialekt, Pfälzisch. Es gibt zwar auch Leute, die Dorf wie das in der Nähe von Bad Bergzabern, in irgendwo studiert haben und Hochdeutsch sprechen. dem ich aufgewachsen bin, könnte dir nicht egal sein. Sie haben andere Ideen aus den Städten Es ist ein Dorf mit 200 Menschen, jeder kennt jeden, mitgebracht, denen sich die Dagebliebenen nicht jeder beobachtet jeden. Du musst dich ständig mit völlig verweigern können, aber richtig mitmachen den anderen auseinander setzen, die da leben. So wollen sie auch nicht. Sie tragen eine komische ein Dorf kann dir nicht egal sein. Es war sehr Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und schwierig für mich, ein Verhältnis dazu zu finden, ein trotzigem Selbstbewusstsein mit sich gegenüber Verhältnis zwischen Flucht und ... Heimatgefühl? jenen, die studiert haben und anders denken. HÜLSWITT: Nein. Ich konnte mich dort nicht MENSING: Der letzte große Schlag gegen das beheimatet oder geborgen fühlen. Schon wegen der provinzielle Selbstbewusstsein erfolgte durch die Sprache. Ich kam aus Hannover, zu Hause wurde Gebietsreform Ende der sechziger Jahre. Bis dahin Hochdeutsch gesprochen. Ich habe dann schon bestand die Bundesrepublik aus sehr kleinen Pfälzisch gelernt, sprach aber einen überkorrekten Verwaltungseinheiten. Das war unpraktisch. Die Dialekt, woran man mich sofort als Nicht-Dazu- ehemalige sozialliberale Regierung beschloss, die Gehörigen erkannte. Ihr Roman "Saga" liest sich Kommunen, Stadtgebiete, Landkreise, etc. neu an vielen Stellen wie ein reflektierter einzuteilen, verschiedene kleine Einheiten zu Bewusstseinsstrom, als hätten Sie Ihre Gedanken im größeren Landkreisen zusammenzufassen. In den Fluss beobachtet und das Fließen durchs Schreiben Provinzen gab es aber erbitterten Widerstand gegen festgehalten. HÜLSWITT: Es liegt vielleicht die Reform. Viele, die sich mit den bisherigen daran, dass ich mich dort vor allem mit mir selbst Verwaltungseinheiten identifiziert hatten, beschäftigt habe. Und ich habe dauernd über protestierten, und zwar heftig. Damals wurde eine Geschichten nachgedacht, die teilweise 15 Jahre erbitterte Schlacht geschlagen. Was machte es zurücklagen, die aber aus dem Gedächtnis nicht für einen Unterschied, ob man in einem kleineren verschwinden wollten. Erst nachdem ich sie oder einem größeren Landkreis wohnte? aufgeschrieben hatte, haben sie aufgehört, mich MENSING: Das traditionelle provinzielle heimzusuchen. Und komischerweise konnte ich Selbstbewusstsein war mit der Vorstellung plötzlich auch vieles vergessen, das ich damals im verbunden, in kleinen selbstregierten Einheiten zu Dorf erlebt habe, das aber in das Buch nicht leben. Das hatte eine eigene Tradition und einen eingegangen ist. Jetzt ist alles nicht mehr so eigenen Mythos. In Anthologien, die in den 50er- und bedrückend. Mittlerweile freue ich mich sogar, 60er-Jahren in der BRD erschienen, wurde gerne zurückzufahren. Jetzt schätze ich dort auch Dinge, darauf hingewiesen, dass schon das Römische Reich die ich früher als belastend empfand. Die vom Rand her - aus seinen Provinzen - zerstört Dorfbewohner in "Saga" sind aber gar nicht worden war. Dieses Selbstbewusstsein ist Ende der unsympathisch. Eher tragische Figuren, Sechziger gebrochen worden. Erst in den Achtzigern Selbstmörder, Handwerker, die hart arbeiten, die bildete sich ein anderes provinzielles aber mit sich selbst nicht im Reinen sind. Selbstbewusstsein: Man war stolz darauf, dass man HÜLSWITT: Mich faszinieren diese seltsamen in der besseren Welt wohnte, dass man längst Gestalten, die dort leben und mit so einem Leben Solarzellen auf dem Dach hatte, und dass alle im Bio ringen. In einer Stadt wie Berlin ist es sehr einfach, -Laden einkauften. Das prägt offenbar. Sie seine Identität zu wechseln. In einem Dorf müssen schreiben: Wir sind die erste Generation, die ohne die Menschen zurechtkommen mit dem einzigen Minderwertigkeitskomplex die Provinz verlassen hat. Leben, das da ist. Ich habe das Gefühl, dass das Mensing: Sicher: Man geht weg, und diese große Dasein in einem Dorf viel massiver und viel echter ist, weite Welt ist keine Überraschung mehr. Dank man kann sich dem Gegebenen nicht entziehen. Ich Kabelfernsehen, Internet, Schule und aufgeklärten habe großen Respekt vor diesen Menschen, die sich Lehrern hat man schon viel darüber erfahren. Doch dort durchschlagen müssen. Aber natürlich sind sie das Verrückte ist, dass man die Provinz im Kopf auch krasser und finsterer als die meisten immer mitnimmt. Man zieht nicht einfach nach Berlin Großstädter. Herr B., der Proto-Provinzler aus und ist plötzlich Großstädter. Man merkt dann, dass Mensings "Wie komme ich hier raus?", ist dafür ein die Bewegung, der Fluchtimpuls, den man in der nerviger Spießer, der die Autofahrer, die seiner Provinz trainiert hat, diese Denkfigur: "Kleine Stadt - Meinung nach zu schnell an seinem Fenster da musst du weg", nicht aufhört. Man ist da und vorbeifahren, mit Drohungen behelligt. denkt: Wo geht s als Nächstes hin? New York? MENSING: Herr B. ist eine Provinzkarikatur. Aber Tokio? Zurück in die Provinz? MENSING: spießig lebende Menschen gibt es überall, nicht nur Die Tragik liegt darin, dass man sich den Weg zurück in der Provinz. Viel interessanter finde ich das definitiv verbaut hat. Ich würde niemals sagen, dass Aufkommen eines neuen Spießertums, das zwar aus Westerstede meine Heimat ist. Dafür habe ich mich der Provinz stammt, auf das man aber mittlerweile mit 19 Jahren viel zu einfach von ihr verabschieden überall stößt. Es sind die Öko-Übereifrigen, die ihre können. Es gibt da kein Pathos. Ich hasse diese provinzielle Weltsicht auch in der Stadt Stadt auch nicht. Sie ist mir - leider - egal. durchzusetzen versuchen. Die jungen Eltern, die HÜLSWITT: Weil Westerstede eine Kleinstadt ist. Ein unbedingt wollen, dass ihre Kinder auch mitten in der Großstadt auf der Straße spielen können. Jene, die HÜLSWITT: Ich empfinde es ganz anders. Mir ständig dafür eintreten, dass man im Bio-Laden erscheint die Berliner Republik schon sehr anders als einkauft. Die, die an Fahrraddemos teilnehmen, weil die Bonner. Vielleicht deshalb, weil ich aus der West- sie der Meinung sind, man müsse auch in der Stadt Provinz zunächst nach Leipzig gezogen bin. Es war nur Fahrrad fahren, damit die Luft besser wird. Da eine wunderbare Erfahrung. In Leipzig hatte ich das fragt man sich, warum ziehen sie nicht einfach aufs Gefühl: Da gibt es Platz für neue Ideen, für Land? Ist das der Sieg der neuen Provinz, den Gestaltung, da ist nicht alles dicht und fest wie im Sie in Ihrem Essay diagnostizieren? MENSING: Westen. Das habe ich auf mich selbst und mein Sehen Sie, wo kommt der Schröder her? Aus einem Leben bezogen. MENSING: O.k., es stimmt, kleinen Provinznest bei Hannover. Und seine dass sich mit der Wiedervereinigung einiges politische Karriere ist an Göttingen und Hannover verändert hat in diesem Land. Aber das Land hat gebunden. Die so genannte Berliner Republik ist teils seine Seele nicht geändert. Wir leben noch in einem in der Provinz verwurzelt. Bei der letzten Spannungsfeld zwischen provinziellen Wurzeln und Bundestagswahl hat Stoiber um Wähler geworben, großstädtischen Ambitionen. Apropos Wurzeln: indem er auf die Hightech-Industrie-Parks in Bayern Haben Sie in Berlin das Gefühl, hier könnten Sie verwies: Die Zukunft dieses Landes liegt in der Wurzeln schlagen? HÜLSWITT: Ich habe mich Provinz, das war seine Botschaft. HÜLSWITT: In daran gewöhnt, portable Wurzeln zu haben, die ich Berlin hatte er aber gerade deshalb große Probleme, überall ein bisschen anlege, aber nie richtig in die weil er ein Bayer ist. MENSING: Das lag aber Tiefe treibe. Tatsächlich entsteht dadurch eine nicht an dem provinziellen Gründergeist, den er gewisse Mobilität. Man ist ständig unterwegs und wieder auf den Plan gerufen hat und von dem sich kommt überall einigermaßen zurecht. Bestimmt hängt die BRD über fünfzig Jahre genährt hat. Stoiber hat es damit zusammen, dass man auch hier nicht die Wahlen verloren, weil er nicht dem Bild des Wurzeln schlagen will. MENSING: Es ist ja das aufgeklärten Neu-Provinzlers entspricht, wie Attraktive an Berlin, dass es einen nicht dazu Schröder es tut. Er hat zu viel Folklore. Schröder ist ermuntert, Wurzeln zu schlagen. HÜLSWITT: jemand, der heimatlos wirkt, er hat keinen Akzent, Man kann hier sehr gut leben, ohne Wurzeln zu keine sichtbare Heimatbindung. Wie die meisten schlagen. Das nimmt dir keiner übel. Das ist sehr Deutschen: Wir sind doch fast alle in einer schön, wahrscheinlich einzigartig in Deutschland. provinziellen Neubausiedlung aufgewachsen. Die MENSING: Einzigartig ist es auch, dass die BRD ist in der Provinz neu gegründet worden, nicht Koexistenz für beide Seiten kein Problem ist, weder in der Großstadt. Die Bonner Republik. für die eingeborenen Berliner noch für die MENSING: Bonn stand als Regierungssitz für ein Zugezogenen. HÜLSWITT: Die Berliner wissen, Deutschland, das sich zur friedlichen, idyllischen dass ihre Stadt uns gehört, und wir wissen, dass sie Provinz bekannte. Man wollte damit ausdrücken, ihnen gehört. Das Gespräch führte Aureliana dass man aus der Geschichte gelernt hatte. Man Sorrento. Magazin Bundesrepublik wollte der Welt sagen: Nichts Böses kommt mehr aus Deutschland (BR) Kolja Mensing, Tobias Hülswit Deutschland, denn nichts Böses kommt aus der Literatur Alltag und Soziales Leben Interview Provinz. Jetzt ist aber Berlin die Hauptstadt Männliche Person Allgemeines Deutschlands, und Berlin ist ganz bestimmt eine Großstadt. Und alle Welt will nach Berlin, weil es "die" deutsche Metropole ist. MENSING: So lebt man jetzt in Berlin als Provinzler unter tausend anderen Provinzlern - in einer Großstadt. Toll! Westberlin war früher eine Kleinstadt, die nur Leute anzog, die nicht zum Wehrdienst wollten. 1990 hat man sich daran erinnert, was Berlin früher, in den zwanziger Jahren, gewesen war: eine Metropole wie London oder Paris. Darauf konnte der Berlin-Hype dann aufbauen. Oder nehmen Sie die Formel "Berliner Republik": eine Worthülse. Reine Projektion. Man hat auf diese Stadt den Wunsch projiziert, die BRD möge sich endlich aus ihren provinziellen Wurzeln herausreißen und zugleich vom blutigen Erbe der Vergangenheit lösen. Aber Deutschland ist natürlich kein Land mit einer Hauptstadt-Metropole geworden, nur weil man den Regierungssitz nach Berlin verlegt hat. Es war eine Illusion. Wie es eine Illusion ist, zu glauben, Großstädter werden zu können, indem man seinen Wohnsitz in die Großstadt verlegt. Deshalb ist vermutlich auch nicht mehr so häufig die Rede von der Berliner Republik. aus Berliner Zeitung vom 30.08.2003 Tagestipp KONZERT Rendezvous von Oper und Operette

TAGESTIPP Von Aureliana Sorrento

Der Chorus Berlin präsentiert erstmals ein musikalisches Zusammenspiel von Oper und Operette. Bei "Carmen meets Quasimodo" werden sowohl bekannte Opernchöre u.a. aus "Nabucco" und "Carmen" als auch Medleys aus den Musicals "Der Glöckner von Notre Dame" und "Les Misérables" aufgeführt. Der Chor wird unterstützt von den Sängerinnen Esther Lee und Sabra Sduntzig und der Pianistin Maria Grimm, begleitet von der Filharmonia Zielonogorska unter der Leitung von Peter Aust. Der 1997 gegründete Chorus Berlin zählt heute 60 Sänger. Sa 19.30 Uhr, Heilig-Kreuz-Kirche, Zossener Str. 65, Karten: & 61 10 13 13 (13 Euro). Tagestipp aus Berliner Zeitung vom 18.10.2003 Das Erbe der Wertheims Am Leipziger Platz stand einst das berühmte Warenhaus der jüdischen Familie Von Aureliana Sorrento

Die Reiseführerin auf dem Dach des cremefarbenen, Brandenburg, der, wie der Berliner Volkswitz old-time-gestylten City-Tour-Wagens hat sich ein behauptet, mit seinem Visavis, dem General rotes Tuch um den Kopf gebunden. Wie eine Wrangel, über das Wetter spricht...; neben diesem Babuschka sieht sie aus. Ob sie Russen gerade Kriegsmann stehn wieder in langer Reihe die erzählt, was hier einmal war? Worte gehen im Blumenfrauen. Vor uns der Seiteneingang und die Straßenlärm unter, dann biegt der Freiluft-Omnibus in stolz steigenden schmalen Pfeiler und Metallzierate die Stresemannstraße ab. des Warenhauses Wertheim." So sah Franz Hessel den Leipziger Platz im Jahre 1929. Der Bericht seiner Als Schinkels Wachhäuser anstelle der Glaskuben Rundfahrt in einem Sightseeing-Omnibus ist im standen, die jetzt zu den unterirdischen Gängen des berühmten Buch des Flaneurs "Spazieren in Berlin" S-Bahnhofs Potsdamer Platz führen, hieß die nachzulesen. Damals müssen Blumenverkäuferinnen Stresemann- Königsgrätzerstraße. Sie markierte die das Bild des Potsdamer und des Leipziger Platzes alte, 1734 um Berlin errichtete Akzisemauer. Wer geprägt haben, in Notizen und Gemälden aus der Lebensmittel und Haushaltswaren in die Zeit findet man sie immer wieder. Edvard Munch hat Residenzstadt einführte, musste eins der vierzehn sie sogar vor einem Leichenwagen posieren lassen: Stadttore passieren, an denen die Akzise erhoben putzige Puppen auf schwarzem Grund. Hingegen wurde. Im 18. Jahrhundert war das Potsdamer Tor scheinen die Standbilder der Grafen Brandenburg die frequentierteste aller Berliner Zollschranken. und Wrangel, im 19. Jahrhundert mitten in den von dem Landschaftsarchitekten Lenné gestalteten Diesseits der Akzisemauer hatte Oberbaudirektor Gärten aufgestellt, den Zeitzeugen kaum ins Johann Philipp Gerlach einen achteckigen Platz Bewusstsein gedrungen zu sein. Schließlich waren anlegen lassen, das "Octogon am Potsdamer Tor". sie stets von üppigem Laub umgeben. Eine Nach dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht Fotografie von 1930 zeigt den Leipziger vom bei Leipzig 1814 erhielt es den Namen Leipziger Potsdamer Platz aus. Wie geduckt unter Platz. Nach und nach rückten der Potsdamer Platz, Baumkronen stehen Schinkels Tempelchen am wie die offene Fläche vor dem Potsdamer Tor nun Eingang des Platzes. Die Wipfel sind so hoch, dass hieß, und der angrenzende Leipziger Platz ins Herz sie den meisten Bauten die Schau stehlen. Nur die Berlins. "stolz steigenden schmalen Pfeiler und Metallzierate des Warenhauses Wertheim" können sie nicht 1838 war der Potsdamer Bahnhof eröffnet worden. verdecken. Scharen von Fußgängern spuckten die Züge auf den Potsdamer Platz. Der Kreuzweg von sechs Maßwerkfenster, Rundbögen, schlanke Rippen: der ehemaligen Landstraßen avancierte zum belebtesten Eingang des Warenhauses am Leipziger Platz war so Verkehrsknotenpunkt Berlins. "Im Durchschnitt deutlich an ein hochgotisches Portal angelehnt, dass passieren diesen Platz täglich von der sechsten das Warenhaus den Titel "Kathedrale des Morgen- bis zur zehnten Abendstunde Kommerzes" verpasst bekam. Dabei war der Eckbau neunzigtausend Fußgänger und achtzehntausend nur der krönende Abschluss eines architektonischen Wagen", schrieb der Publizist Paul Lindenberg 1895. Meisterwerks. 1892 hatten die Gebrüder Wertheim, die schon mehrere Geschäftshäuser in Berlin Wer heute hierhin gehört, in die Glas- und betrieben, ihr erstes Haus an der Leipziger Straße Steingiganten von Sony und DaimlerChrysler, hastet 111 eröffnet: das erste überhaupt,das vom Keller bis vorbei. Wallendes blondes Haar, zentnerweise zum Dach dem Verkauf diente und offiziell Schminke, dunkle Anzüge, Schlipse und Fliegen, "Warenhaus" bezeichnet wurde - den Begriff kein Blick nach rechts und links. Aller Sinn steckt im Warenhaus fügten die Wertheims ihrem Signet bei, Portefeuille, das Mann und Frau vor- und rückwärts um dem Schmähwort "Ramschbazar" schwenkt. Aber die Mehrzahl der Passanten sind entgegenzuwirken, mit dem die antisemitische Fremde, Touristen. Links steht das Kanada Haus, Presse gegen jüdische Warenhausbesitzer daneben das Mosse-Palais, das ein Nachfahre des Stimmung machte. jüdischen Zeitungsverlegers entwarf. An der Ostseite aber ist nur Staub. 27 000 Quadratmeter Das Geschäft lief so gut, dass man schon vier Jahre Niemandsland. später an einen Erweiterungsbau denken musste. Der beauftragte Architekt Alfred Messel entwarf ein "Grünes Licht am Verkehrsturm. Wir umkreisen den Gebäude ganz neuen Typs. Ein Stahlskelett trug die Potsdamer und fahren an den weißen Säulen der Konstruktion. Es wurde nicht kaschiert, sondern mit beiden Tortempelchen vorbei, den Leipziger Platz den Granitpfeilern verbunden, die über die gesamte entlang. Rechts und links von dem erzenen General Fassade zum Dach emporklommen. Nicht nur die beiden unteren, wie bisher bei Geschäftshäusern kam, aus Amerika übernommen, eine neue üblich, sondern alle Etagen konzipierte Messel als Verkaufspsychologie. Nach dem Prinzip "Alles unter Schaufenster. Von den tragenden Pfeilern und der einem Dach" sollten alle Bedürfnisse der Kunden, Steinzierde abgesehen, bestand die Straßenfront aus und zwar aller Käuferschichten, in ein und demselben Glas. Haus befriedigt werden. Luxus- wie Massenartikel lagen auf den Ladentischen. Zum Anfassen. "Befreiung!" schrieb Alfred Lichtwark in der Zeitschrift Zwischen den Auslagen konnten die Kunden "Pan". "Das ist das Gefühl, mit dem ein Laie vor der herumlaufen, mustern, Preise vergleichen. Ob Gräfin großartigen Fassade, die ihm mehr imponiert als oder Hausmädchen durfte nun jeder, auch nur zum hundert Staatsbauten, den Kopf in den Nacken Lustwandeln, ins Warenhaus gehen. Belästigt von zwingt!" Selbst der mokante Alfred Kerr, dem die überredungseifrigen Verkäufern wurde man nicht; die Verwandlung der Leipziger Straße in eine Preise standen fest, auf Schildchen sichtbar "Kaufstraße ersten Ranges" mitnichten behagte, aufgezeichnet; das Erworbene konnte man sich nach zollte Lob. Der Wertheimpalast sei zum Vorbild eines Hause schicken lassen und auch wieder Zukunftstils berufen, befand er. Tatsächlich maß sich umtauschen. Nur klingende Münze brauchte man die Berliner Kaufhausarchitektur fortan an dem dafür. Der Kunde war König, solange er bar zahlte. Wertheim-Modell. Shopping bei Wertheim bedeutete, sich einer Dabei hatte die Erfolgsgeschichte ganz bescheiden ästhetischen Heraus- oder gar Überforderung begonnen. 1875 eröffneten Abraham und Ida auszusetzen. Alles im Haus war bis ins kleinste Wertheim in Stralsund einen kleinen Laden, in dem Detail durchgestylt, überall ein Hauch von Prunk und sie Kurz- und Raumausstattungswaren preiswert Vornehmheit. Hatten sich Aristokraten und anboten. Abraham Wertheim war ein religiöser Jude Großbürger bis dahin geschämt, in Kauf- und und ein gutherziger Mensch, aber ein schlechter Warenhäusern einzukaufen, ließen sie in Wertheims Kaufmann. Seine Frau organisierte das Geschäft. Bis Palast alle Vorurteile fallen. Der Kaiser war hier mal 1876 die älteren Söhne Georg und Hugo, die eine zu Besuch, an einem Sonntag im Januar 1910. In der kaufmännische Lehre in Berlin absolviert hatten, Putz-Abteilung, hielt Georg Wertheim in seinem einstiegen. Schon bald konnten die Wertheims Tagebuch fest, sah er sich besonders die vielen Filialen in Rostock und in der Hauptstadt eröffnen. künstlichen Blumen an.

Wo die Kathedrale des Kommerzes stand, ist heute Eine Ruine an der Leipziger Straße, Ecke nur eine Brache, von grauen Mietskästen, Wilhelmstraße. Unten, im Keller, wo seit dem kasernenartigen Ruinen und den luxuriösen Mauerfall Techno getanzt wird, lag einst das Geld der Neubauten einiger Ländervertretungen umrahmt. Wertheim-Bank. Gesichert durch ein trichterförmiges, Zerschellte Bierflaschen, Plastiktüten, allerlei Dosen tonnenschweres Eisentor. Jetzt lehnt es an der zwischen Unkrautbüscheln. Wie Vorboten einer Oase Wand, spinnwebenstarr. Seit dem Krieg hat wohl in der Wüste wachsen vereinzelt Bäume aus der niemand ausprobiert, ob es sich noch in den Angeln ausgedörrten Erde. dreht. Kerzenstummel und schäbige Aschenbecher stehen in den rostigen Tresorregalen. 1900 und noch einige Jahrzehnte danach war die Leipziger Straße die vornehmste Einkaufsmeile Mit dem Warenhaus am Leipziger Platz und seinen Berlins. Der "berühmte, vor Lichtern funkelnde, vor sukzessiven Erweiterungen war Wertheim der schönen Frauen gleißende Boulevard", wie es ein Durchbruch zum Großunternehmen gelungen. Um Zeitzeuge beschrieb. Nicht zuletzt wegen des die Jahrhundertwende machte es einen Umsatz von Wertheim-Warenhauses. Nach dessen Gründung 33 Millionen Mark. Der höchste Umsatz wurde 1929 hatten sich hier Herpich und Grünfeld, Stiller und mit 131 Millionen Reichsmark erzielt. Man gründete Zuntz, eine Vielzahl von Spezialläden und Boutiquen, die Wertheim-Bank, einen Verlag, erwarb zahlreiche Cafés und Restaurants, die Rheinischen Weinstuben, Grundstücke an der Leipziger Straße und rund um Aschinger und Kempinski niedergelassen. Außerdem den Leipziger Platz. zwei weitere Warenhäuser: Jandorf zum Spittelmarkt hin und Tietz am Dönhoffplatz. Mit Ozeandampfern Solange Juden winzige, finstere Kramläden verglich sie Paul Göhre, ein Sozialist: "Beide ein betrieben, mochte sie der deutsche Biedermann Triumph moderner, gesellschaftlich organisierter leiden. Als sie aber ihrer Kundschaft Paläste menschlicher Arbeit." errichteten, die an Pracht und Pomp mit den Sitzen des Adels konkurrierten und Millionen Die Warenhaus-Gründer, die Wertheims vorneweg, erwirtschafteten, begannen die Angriffe. Durch das hatten Neuerungen in den Handel eingeführt, die den große Angebot seien die Kunden "sittlich gefährdet", wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmungen las man in den Zeitungen, die Warenhäuser kriegssicher machten. Weil sie in großen Mengen "Totengräber des deutschen Mittelstandes". einkauften, konnten sie die Waren von den Nachdem Wilhelm II. das Wertheim-Haus am Lieferanten wesentlich günstiger bekommen. Hinzu Leipziger Platz besichtigt hatte, meinten die Schreiberlinge, den Kaiser warnen zu müssen. Ihre und Aufsichtsratsvorsitzender bemühte sich Arthur Durchlaucht, wie können Sie nur, "mit dem Instinkt Lindgens 1951 um die Abwicklung der der Rasse" werden "die Juden ihr deutsches Wiedergutmachungsansprüche der in die USA Wirtsvolk zerklüften und zersetzen!" Die Kaiserliche emigrierten Erben. Nach den Verwaltung berichtigte umgehend: "Georg Wertheim Wiedergutmachungsgesetzen, die in West- ist übrigens Christ." Darum scherten sich die Deutschland nach Kriegsende erlassen wurden, hätte Untertanen jedoch nicht. Dass Georg Wertheim eine er die ehemals verfolgten Juden über den aktuellen evangelische Frau geheiratet hatte, dass er und Wert des Unternehmens wahrheitsgemäß seine Brüder sowie die meisten "jüdischen" informieren und mit ihnen einen angemessenen Warenhausbetreiber sich längst hatten taufen lassen, Entschädigungsbetrag vereinbaren sollen. Den spielte kaum eine Rolle. Aufforderungen, nicht mehr Wertheim-Brüdern, die er im Sommer 1951 in den in Warenhäusern einzukaufen, wurden immer USA aufsuchte, berichtete Lindgens aber, das häufiger in der Presse lanciert. Mit wenig Erfolg Unternehmen sei pleite und eine Weiterführung der allerdings, bis die Nazis Gewalt anwendeten. Im Geschäfte nur durch Aufnahme eines Kredits aus März 1933, kurz nach Hitlers Putsch, kam es zu dem Marshall-Plan möglich. Der Kredit würde einem allgemeinen Boykott aller jüdischen Geschäfte wiederum erst dann gewährt werden, wenn die und Warenhäuser. SA-Posten hinderten die Kunden Wiedergutmachungsfrage erledigt sei. So gelang es am Betreten des Geschäfts an der Leipziger Straße. dem Ariseur, die Erben zu einem Vergleich zu In der Hoffnung, das Unternehmen dadurch zu retten, bewegen. Für lächerliche 5 100 Dollar verzichteten schenkte Georg Wertheim 1934 sein gesamtes sie auf die Fortsetzung des Vermögen seiner nicht-jüdischen Frau Ursula, die Wiedergutmachungsverfahrens. Dabei hatte sich kurz darauf scheiden ließ. Lindgens bereits mit Konkurrent Hertie, der aus dem arisierten Tietz-Konzern hervorgegangen war, ein so Nach der Weltwirtschaftskrise hatte Wertheim einen genanntes "secret sale s agreement" (geheime Kredit in Höhe von 20 Millionen Reichsmark Verkaufsvereinbarung) abgeschlossen: Hertie sollte aufnehmen müssen, um die hohen Steuern zahlen zu die Mehrheit der Wertheim-Aktien übernehmen, dafür können (seit 1900 lastete auf den Warenhäusern war dessen Geschäftsführer Georg Karg bereit, ein eine vom eigentlichen Gewinn unabhängige Vielfaches von dem zu zahlen, was Lindgens den Sondersteuer). Die Anteile anderer Erben zugestanden hatte. Ende 1951 wurde aus dem Familienmitglieder waren als Sicherheit hinterlegt geheimen Papier ein Kaufvertrag. worden; diesen sprach das Konsortium der Gläubiger -Banken mit der Deutschen Bank an der Spitze Dass ausgerechnet die KarstadtQuelle AG, seit lächerliche Rendite-Summen zu. Nach der Anfang der neunziger Jahre Inhaberin von Hertie, im Schenkung Georg Wertheims stand der "Arisierung" Jahre 2000 das Dokument des "secret sale s des Unternehmens durch die Banken nichts mehr im agreement" aus ihren Archiven ans Licht gebracht Wege. Ursula Wertheim wurde gezwungen, die hat, mutet fast paradox an. Freilich bestreitet sie, Verwaltung ihrer Anteile einem Kuratorium zu dass das Dokument eine Verkaufsvereinbarung überlassen, dem Emil Georg von Stauß, ein Mann enthalte. Vielmehr handele es sich um ein der Deutschen Bank, vorstand. 1937 musste Georg Strukturpapier, sagt Karstadt-Sprecher Elmar Kratz, Wertheim den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden, das "die Neuordnung der Interessen der bisherigen den er seit 1934 nur noch formal innehatte, endgültig Wertheim-Gesellschafter im Fall der Umsetzung räumen. Mit ihm wurden alle Mitglieder der Gründer- einer möglichen Herthie-Beteiligung handschriftlich Familie aus dem Unternehmen geschasst, alle beschreibt". Dabei wollte der deutsche Konzern mit jüdischen Mitarbeiter entlassen. Der ehemalige eben diesem "Strukturpapier" seinen Anspruch auf Firmenchef starb 1939 an einer Lungenentzündung. die früheren Wertheim-Grundstücke im Osten des Seine Frau Ursula Wertheim heiratete den Justiziar wiedervereinigten Deutschlands beweisen. Indessen des Unternehmens Arthur Lindgens, der mittlerweile gab das Schriftstück den natürlichen Wertheim-Erben der Arisierungsgruppe angehörte. Fünf Angehörige Anlass, in New York Klage einzureichen. Wegen der Familie Wertheim kamen in Lager, drei von ihnen Betrug. Denn durch Lindgens Lüge waren die wurden in Auschwitz umgebracht. Nur wenige fanden Wertheim-Brüder um den wahren Wert ihrer Anteile im Ausland Zuflucht. Vom einstigen Reichtum blieb am Familien-Unternehmen betrogen worden. Also ihnen nichts. auch um den Wert der Grundstücke, die sich in West- Deutschland befanden. Darunter: das Lenné-Dreieck 1945 fielen alle Wertheim-Filialen, bis auf das Haus am Westrand des Leipziger Platzes. Seit 1988, als am Moritzplatz, sowie alle Wertheim-Grundstücke im ein Gebietsaustauschabkommen mit der DDR Osten Berlins und in den anderen Städten geschlossen wurde, war das Grundstück Teil von Ostdeutschlands der Sowjetischen Zone zu. Da sie West-Berlin. als Besitz der arisierten Wertheim GmbH galten, wurden sie von der Sowjetischen Militärregierung 1990 begann die Berliner Verwaltung, nach den entschädigungslos enteignet. Im Westen bestand das ursprünglichen Eigentümern zu suchen. Als solcher Unternehmen jedoch weiterhin; als Geschäftsführer meldete sich prompt der Hertie-Konzern, dem die Berliner Beamten ohne weitere Überprüfung die Der Bund hat seine Klage bis heute nicht begründet. wertvolle Fläche übertrugen. Später hat die Inzwischen hat er aber verschiedene Vereinbarungen KarstadtQuelle AG, Hertie-Rechtsnachfolgerin, durch mit KarstadtQuelle getroffen, die auf der Annahme den Verkauf des Lenné-Dreiecks an die Beisheim- beruhen, sie sei die rechtmäßige Inhaberin der Gruppe 260 Millionen DM erzielt. ehemaligen Wertheim-Grundstücke im Osten Deutschlands und in Ost-Berlin. Eine Fläche an der Jetzt will der deutsche Konzern die Klagen der Rosenthaler Straße beispielsweise, auf der einst eine Wertheim-Erben in den USA stoppen. Die deutsche Wertheim-Filiale stand, wurde Anfang der neunziger Bundesregierung hilft ihr nach Kräften, indem sie auf Jahre verkauft. Den Erlös, 62 Millionen DM, hat der die amerikanische Administration Einfluss zu nehmen Bund damals an KarstadtQuelle überwiesen. Dafür versucht. Wären die Wertheims in der NS-Zeit nicht musste sich KarstadtQuelle nur vertraglich dazu arisiert worden, wird argumentiert, hätte Arthur verpflichten, den Betrag zurückzuzahlen, wenn das Lindgens sie beim Wiedergutmachungsvergleich Vermögensamt einen anderen Anmelder als 1951 nicht betrügen können. Somit sei der in den anspruchsberechtigt anerkennen sollte. In Folge USA betrügerisch erfolgte Vergleich ein NS-Fall, der eines Vermögensamtsbescheids hat KarstadtQuelle vom Abkommen zur Entschädigung von die Summe im Jahre 2001 zurücküberwiesen, Zwangsarbeitern und NS-Opfern abgedeckt sei. Eine einschließlich der Zinsen, heißt es. Über die Höhe wunderliche Schlussfolgerung? der Zinsbeträge, die dem Unternehmen vom Bund tatsächlich angerechnet wurden, geben die Seitdem die Geschichte 1990 ihren zweiten Anlauf Vertragspartner keine Auskunft. Auf ähnliche Weise nahm, haben noch wunderlichere Ereignisse unterm hat sich der Bund mit KarstadtQuelle verständigt, wo Berliner Himmel stattgefunden. Nach dem Gesetz für es um andere Wertheim-Flächen ging, welche, in der offene Vermögensfragen, das 1990 in Kraft trat, DDR "Eigentum des Volkes", 1990 der BRD sollten alle von der DDR beschlossenen zugefallen sind. Enteignungen einst arisierter Vermögen und Grundstücke rückgängig gemacht und das noch Auf der Brache am Leipziger Platz, dem früheren vorhandene Gut an die ehedem verfolgten Juden Standort des Wertheim-Palastes, wurde bislang nicht bzw. derenErben rückübertragen werden. Es gab gebaut. Denn dort will die TLG Immobilien, ehemals dennoch eine Frist, um Anspruch auf früher jüdischen Treuhand Liegenschafts-Gesellschaft, mit zwei Besitz in Ost-Deutschland anzumelden: den 31. 12. Partnern selbst als Investor tätig werden. Dafür hat 1992. Falsch informiert, ließen die Wertheim-Erben die TLG Immobilien eine Tochtergesellschaft die Frist verstreichen; nach Recht und Gesetz sollte gegründet, an der sich die Partner beteiligen sollten. die Jewish Claims Conference dann an ihrer Stelle Zwar sollen andere Investoren für die Fläche einen als Anspruchsberechtigte zum Zuge kommen. höheren Betrag geboten haben, als das Grundstück von der TLG Immobilien für Wert gehalten wird. Aber Aber vor der JCC setzte sich wieder einmal der nach Beendigung des beim Verwaltungsgericht Berlin Hertie-Konzern in Aktion. Da er der jetzige anhängigen Verfahrens bekämen die Wertheim- Eigentümer der Wertheim GmbH sei, erläuterten Erben nur den Erlös, den die TLG Immobilien beim seine Anwälte, sei der Konzern im Sinne des Erstverkauf des Grundstücks erzielt hat. Verkauft sie Vermögensgesetzes restitutionsberechtigt. Das an eine Tochtergesellschaft, kann sie den Preis Vermögensamt antwortete ablehnend: Die Wertheim selbst bestimmen. Was sie auch immer durch GmbH sei von der Sowjetischen Militärverwaltung Planungsleistungen hinzuverdienen könnte, bleibt in enteignet worden und damit laut Einigungsvertrag ihrer Kasse. nicht zu entschädigen. Hertie gab nicht nach. Nach diesem ersten abschlägigen Bescheid des Zunächst aber wolle man sich um einen Vergleich Vermögensamtes rückten die Anwälte des bemühen, hieß es lange in den Ministerialstuben. In mittlerweile zu KarstadtQuelle AG gehörenden der Tat hat es vor kurzem Verhandlungsgespräche Konzerns das Papier des "Secret sale s agreements" gegeben. Die vom Bund vorgeschlagene oder Strukturpapier heraus: es sollte beweisen, dass Entschädigungssumme sei so niedrig gewesen, so Herthie "arisierte Aktien" von Lindgens erworben Wertheim-Anwalt Matthias Druba, dass man das hatte, weshalb es - als wäre der Käufer selbst Opfer Angebot als "eine Unverschämtheit" bezeichnen der Nazi-Verfolgung gewesen - Anrecht auf müsse. Wie die Sache ausgeht, hängt nun allein vom Wiedergutmachung hätte. Auch dieses Argument Verwaltungsgericht ab. überzeugte das Vermögensamt nicht: In einem Bescheid von 2001 hat es festgestellt, dass die Eine detaillierte Geschichte des Warenhauses Wertheims in der NS-Zeit verfolgt worden waren, Wertheim findet man in dem Buch von Simone restitutionsberechtigt sei jetzt aber an ihrer Stelle die Ladwig-Winters "Wertheim, Geschichte eines JCC und nicht KarstadtQuelle. Warenhauses", das 1997 im be.bra Verlag erschienen ist. Gegen diesen Bescheid des Vermögensamtes haben sowohl KarstadtQuelle wie der Bund Klage erhoben. aus Berliner Zeitung vom 30.04.2004 Magazin Die Tauben bröckelten aus ihrem Flug Eine Begegnung mit dem Lyriker Jan Wagner Von Aureliana Sorrento

Ich" sagt er nie. Oder zumindest höchst selten. läute das Telefon selten, kaum Post, ein guter Ort Etwa am Ende eines langen Gesprächs kann ihm zum Arbeiten. Meist sitze er am Schreibtisch. Wie zu zwischen zwei Kommas entfahren: "...wie immer Hause. Wie, im Grunde, überall. Hier ein drücke ich mich vor eindeutigen Aussagen", der Satz Schreibtisch, darauf ein Laptop, links ein Fenster, unterlegt von einem selbstironischen Lächeln. Öfter rechts ein Fenster. Dazwischen die Stille. Oder auch erklingt ein "wir" in seiner Rede. Und in seinen das Verkehrsrauschen, das aus der Sonnenallee Versen: "Wir, die wir geschäftig sind/tief in uns selbst herüberschallt. Das Schreien der Möwen, die über - wir merken nicht/wie sich die welt um uns allmählich dem Landwehrkanal segeln - so tönt es in seinem leert,/bis die stille so groß ist, daß wir Berliner Arbeitszimmer am Rande Neuköllns. zusammenzucken." Großer Rummel wurde um Aber was macht es, wo man ist? Mögen sich andere ihn gemacht, 2001, als sein erster Gedichtband denken, der Dichter, stets auf Reisen, klaube in der "Probebohrung im Himmel" erschien. Ein Büchlein, Ferne Reize und Ansichten auf, die Arbeit am 79 Seiten schmal, doch genug für den Rezensenten Wortwerk ist immer ein Tasten "in den schubladen einer überregionalen Tageszeitung, in Jan Wagner meines schreibtisches/nach den abstecknadeln der einen neuen "Götterliebling auf dem lyrischen worte". So mühsam, so unscheinbar. Zehn Jahre Königsweg des Bildungsreisenden" zu erkennen. Ein lang hat kaum jemand bemerkt, was er tat, während seltener Jubel-Eifer schien in jenem Frühling die seine Gedichte in Zeitschriften und Anthologien sonst so mäkeligen Lordsiegelbewahrer der hohen erschienen. Lyrik sei schließlich keine Tätigkeit, der Schriftkunst befallen zu haben. "Hier öffnet sich die sich jemand mit der Erwartung widme, davon leben lyrische Epiphanie zur Welterfahrung", las man über zu können, sagt er. Bloß eine ganz natürliche für die Neuerscheinung auf einer Zeitungsseite, vom einen, der, mit 15 oder 16 vom Klang eines Dichters "leisen Knacken des Wohllauts im Inneren des berauscht, die Reime des Meisters sofort Wortgebälks" auf einer anderen. Wann war es nachzuahmen anfing. Ein Lehrer habe ihm damals denn zuletzt geschehen, dass ein Debütant, ein die Liebe zur englischen Sprache und Literatur Dreißigjähriger noch, Stile und Formen aus eingeimpft. Zu Shakespeare, W.H.Auden, Dylan Jahrhunderten lyrischer Tradition in einer Hand voll Thomas. Elektrisiert durch die Verse des Walisers, Seiten unbekümmert durchspielte und ebenso konnte er dann nicht umhin, sich selbst an Metren, souverän von Omas "champignons farcis" durch die Reimen und Halbreimen zu versuchen. "Natürlich", sibirische Taiga, über kretische Gipfel, an einem sagt Wagner unterm Klirren der Milchkaffeetassen; tschechischen Grenzschild vorbei, bis in eine sieht dabei die Kinder an, die durch den Raum urdeutsche Provingaststätte umherschweifte, um dort rennen und kreischen. Ein Vorbeigehender, der ihn das eingerahmte Foto einer Fußballmannschaft in hörte, würde denken, er spräche gerade von ihrem den Fokus eines Vierzeilers zu nehmen? "Sieh da, Fangespiel. Als er Kind war, in Ahrensburg, hatte dort oben an der Wand, über dem Tresen.!": Mit der er es nicht weit zum Wald und zum Geste des ausgestreckten Fingers, mit vor Schlittschuhlaufen und zur See. Die kleine Stadt, 20 Verblüffung geweiteten Pupillen kommen seine Verse Minuten S-Bahn-Fahrt von Hamburg entfernt, bot nur daher. Noch staunt er. Über die Elogen. Über ein schneeweißes Schloss mit Wassergraben, sonst das Aufheben. Über die Öffentlichkeit. Und nichts. Aber die Nordsee zeichnete die Linie am manchmal keilen sich eine Sekunde lang zwei Horizont. Ein Onkel, Hobbykapitän, nahm ihn mit auf senkrechte Fältchen zwischen seine Brauen, wenn Segelschiffen. Leider nur auf der Elbe, und man in ihn bohrt mit Fragen. "Interessiert es Sie Seemannsgarn spann der Onkel nicht. Doch wirklich?", gibt er zurück, die Stimme sanft und Geschichten der See, die die Menschen holen samten. Wir gingen in Berlin-Mitte durch die Häuser kommt, kennt jeder dort oben an der Küste. Man am Hackeschen Markt. "Interessiert es Sie wirklich?" wuchs damit auf. Er ist damit aufgewachsen. Und Und sogleich trat er beschwingten Schrittes über die man wird das Meer nicht los, an dem man Straße, strahlte Wände, Straßenbahnen, Standleiter, aufgewachsen ist. Nicht den Seewind und die Gischt Bauzäune und Glasfenster so an, dass niemand sich und den Sand und die Abende, "wenn das meer gewundert hätte, wäre ihm aus mausgrauem Himmel hinter der sonne/ins schloss fällt". Auch die ein leises "Schön, hier zu sein" über die Lippen Seegeister nicht. Als Jan Wagner bei Günter Eich auf gekommen. Doch, er vermisse Berlin. Man hat ein Gedicht über Störtebeker stieß, den edlen ihm das Heinrich-Heine Stipendium verliehen, so Seeräuber, sorgte er sich, über den Held seiner bewohnt er jetzt in Lüneburg das einstige Domizil Kindheit nun selbst nichts schreiben zu können. Doch Heines. Lüneburg - hübsch. Seine Unterkunft - Verse stibitzen ist kein Verbrechen, er nahm dem schlauchförmig, mit Ausblick auf ein Gefängnis auf bekannteren Lyriker eine Halbzeile weg und setzte der einen Seite, auf das Gericht auf der anderen. Da fort: "noch läuft er, sieht der kopf dem körper zu/bei seinem vorwärtstaumel. aber wo ist er, er selbst?" um stück ihr stuck zu boden fiel:/die tauben Wo ist er, er selbst, der Autor? In seinen Versen nicht bröckelten aus ihrem flug". Die Melancholie über den zu finden. Mit Vorliebe überlässt er einem anderen Verfall einer Ära, die sich frohgemut an den die Rede. Ob Saint-Just oder Starbuck, Otto von Emblemen des Christentums festhielt, zieht sich Guericke oder ein namenloser Dritter - in Jan durch die 15 Sonette. Und mittendrin erklingt, ein Wagners neuestem Lyrikband "Guerickes Sperling" Unkenruf aus der Ferne, doch vom Heute beglaubigt, treten sie alle auf als sinnende Fantasmen. Erstatten Zarathustras Kunde einer neuen Zeitrechnung unter Bericht über einen Augenblick. Da sprang die Welt kühleren, gottverwaisten Himmeln. "Herr oder ein Ausschnitt davon scharf konturiert ins Auge. Wagner, sind Sie religiös?" "Nun gut, ich lehne Die Sprache gibt das Bild präzise wieder. Der Dichter Religion nicht ab. Aber es hält sich die Waage aber, der sie flocht zu einem Klanggewebe - vor ihm zwischen Glauben und Skepsis." "Aber der hängen die Verse wie ein Schleier. "Das Gedicht ist Kirchturm und der bröckelnde Himmel, die keine Form, in der ein Autor versucht, sich selbst Marmortafeln." "Sogar Tauben gibt es im auszudrücken", sagt er. Vielmehr interessieren ihn Gedicht, Friedenssymbole. Doch in Berlin nennt man "die Triebräder und die Riemen, die Maschinerie des sie Ratten der Lüfte." Jetzt schwirren Möwen Schnürbodens, die Aufzüge und die Versenkungen", über dem Kanal, hinter der Trauerweide reiben sich die laut Edgar Allan Poe "das Handwerkzeug des Stockenten das Gefieder blank. Ratten der Lüfte - literarischen Histrionen" ausmachen. Es ist kein nirgendwo in Sicht. Aber der Dichter hat seine Zufall, dass er Poes Essay "The Philosophy of Zögerlichkeit verloren: "Man muss nicht religiös sein, Composition" bei mehreren Anlässen zitiert hat. um zu bedauern, dass der Blick für das Wunderbare Sonst äußert er sich ungern zu Fragen der Poetik, manchen abhanden gekommen ist. Einer kalten schwärmt dennoch von Sestinen, Assonanzen, Rationalität gewichen. Es lohnt sich, nach dem Reimen und unreinen Reimen, ein Spieler eigentlich Besonderen zu schauen. Im ganz Alltäglichen. beim vermeintlich Allerernstesten. Ein Spieler mit Magazin Bundesrepublik Deutschland (BR) klaren, zutraulichen Augen, einem Jungengesicht Jan Wagner Literatur Porträt Männliche und dem Habitus des frisch aus dem Seminar Person Rezension Gespräch gepellten Literaturstudenten. Tatsächlich hat er Anglistik studiert, in Dublin ein Studienjahr verbracht, ist dann beinah aus Zufall nach Berlin gezogen. "Reich und schön" sei das Leben in Irland gewesen, wunderschön die Landschaft am Nordwestzipfel der Insel. Und, was wichtiger war: An der Universität besetzten nicht Literaturwissenschaftler die Lehrstühle, sondern Lyriker. Brendan Kenelly beispielsweise, den man immer wieder in Kaffeehäusern sitzen sah, Gedichte schreibend über Irlands Historie und den Alltag, der vor der Fensterscheibe verlief. Am Einfluss des irischen Dichters muss es liegen, dass der ehemalige Studiosus Jan Wagner keine Scheu hat vor Sujets und Genres der Vergangenheit. Dass er Sätze ausspricht derart: "Einen Sonettenkranz zu schreiben ist eine fantastische Art, den Berliner Winter durchzustehen." Einen Sonettenkranz hat er vor zwei Jahren im Winter geschrieben - nach einem Wochenendausflug nach Görlitz. Das Grab Jacob Böhmes, des Mystikers, hatte er in der Grenzstadt besichtigt, und eine dunkle Baude am Stadtrand, als "Haus des letzten Henkers" bekannt. Auch war ihm die Sage vom dreibeinigen Hund zu Ohren gekommen, jenem zottligen Biest, das alljährlich zu Weihnachten, einem Wasserloch am Jakobshospital entstiegen, auf drei Beinen durch die Stadt zu tappeln pflegte. "Ich war nur zwei Tage dort und wusste, dass ich auf jeden Fall ein Gedicht über Görlitz schreiben würde." Aus dem ersten Gedicht, zufällig einem Sonett, habe sich, sagt Wagner, der Sonettenzyklus "Görlitz" wie von selbst entwickelt. Von Marmortafeln, die im Grüne kentern, ist hier die Rede, vom Besuch an Böhmes Grab - "es schien umsonst" -, von einem Himmel, "so fragil,/daß stück aus Berliner Zeitung vom 17.09.2005 Tauchgänge ins Gehirn Ein Porträt des Schriftstellers Aris Fioretos

Von Aureliana Sorrento

Die S-Bahn war es. Ihr fernes Grollen, das wie Roman. "Ich war und bleibe grundsätzlich ein unterirdischer Donner klang. Als er, die Hände im Schriftsteller", sagt er. Und lächelt sanftmütig. Nacken verschränkt, auf dem Sofa liegend, dem Die Sanftmut des Überfliegers, der es gewohnt ist, Geräusch lauschend, dabei einschlief, ahnte er, den "den Menschen ihre Unwissenheit nachzusehen. Puls der Stadt gefunden zu haben. Den Soundtrack Sehr höflich, ein kluger Kerl mit dem Habitus des Berlins. Ein beständiges Rasseln, "wie Rosenkränze geschliffenen Akademikers und den guten Manieren in den Händen Herthas". Ungefähr so hat er in der Stewards an Deck alter Ozeandampfer" - so hat einer hiesigen Tageszeitung davon berichtet, wie alle ihn der Dichter Durs Grünbein beschrieben, und es Eindrücke damals, bei seinem ersten Berlin-Besuch wäre müßig, eine zutreffendere Beschreibung zu Ende der Siebzigerjahre, in einem einzigen Ton suchen. Damals, als sie sich Mitte der zusammenschmolzen. Wie sich der Ton dann, Jahre Neunzigerjahre zum ersten Mal trafen, gab Aris später, als ein Topos herausstellte. Zufällig stieß er in Fioretos den Übersetzer bei einem Los Angeles auf eine englische Ausgabe von Schriftstellertreffen in der Nähe Berlins. Seitdem ist "Maschenka", Vladimir Nabokovs Debütroman, 1925 Durs Grünbein - unter den Zeitgenossen - sein in Berlin fertig geschrieben. Auch darin war von Geisteskomplize. In der Gegenwart seiner Romane, Berliner Eisenbahnschienen und S-Bahnzügen die die - zumindest die bislang erschienenen - in den Rede, in der Metropole der Zwanziger müssen sie Zwanzigerjahren spielen, gibt es dann einen nicht anders gedröhnt haben als in der Baustelle von anderen, der immer wieder durch die Zeilen spukt: heute. Er sehnte sich nach beiden. Kehrte, wenn Vladimir Nabokov. Fioretos hat Nabokov ins auch einige Jahre später, nach Berlin zurück. Immer Schwedische übersetzt, die Stationen seiner Berliner wieder. Und irgendwann wurden die Aufenthalte Jahre abgesucht, über ihn ein Feature geschrieben länger. Und eines Tages - da lebte er mit seiner für den schwedischen Hörfunk. Am Anfang seines Familie schon eine Weile an der Spree - kam der ersten Romans "Stockholm noir" stößt die Anruf der schwedischen Kulturministerin. Sie stellte Protagonistin Vera Grund an einem Dezembertag ihm den Posten eines Botschaftsrates für kulturelle des Jahres 1925 in einer Station der Berliner S-Bahn Fragen in Aussicht. "Botschaftsrat für kulturelle mit einer gleichaltrigen Frau zusammen, die ebenfalls Fragen". Klingt so unerbittlich nach Kanzlei, dass Vera heißt. Ein eleganter junger Mann ruft sie aus man Hemmungen hat, ihm diesen Titel anzuheften. dem Inneren des Wagens. Die kurze Beschreibung In der Kulisse des Cafés Einstein an der seines Äußeren entspricht so unverkennbar dem Bild Kurfürstenstraße, wo sich die Ausstatter alle Mühe des jungen Nabokovs von den Fotos jener Jahre, gegeben haben, den Chic der vorletzten dass der Leser sich gar nicht mehr fragt, warum Vera Jahrhundertwende nachzuäffen, sieht Aris Fioretos Grund in der Nestorstraße wohnt, wo der große aus, als hätte man ihn gerade aus einem historischen Exilrusse an der "Gabe" schrieb. Auch nicht, warum Fotoband herausgeschnitten: eine schlanke Gestalt der Roman 1925 spielt, wo das Figurenpersonal trotz in Jackettanzug und Hornbrille, die Gesichtszüge allen Zeitkolorits sich doch so heutig ausnimmt. Im allzu jungenhaft weich für einen Bürokraten. Doch im April 1925 hatte Vladimir Nabokov Vera Slonima Dienste der schwedischen Krone, nicht weit von der geheiratet. Der Romancier Fioretos ist ein Botschaft entfernt, ist er schon zwei Jahre als fintenreicher Spieler, der es liebt, Referenznetze zu Botschaftsrat für kulturelle Fragen in Berlin. Wie spinnen. Und wenn man sich darin verfängt . jeden Dienstag hat er auch an diesem, als er sich um "Das sind aber nur Nebensächlichkeiten", bremst er. 15 Uhr ins Kaffeehaus begibt, zwei Sitzungen hinter Ihm ginge es darum, Probleme, mit denen wir uns sich. Um neun traf das gesamte Botschaftspersonal heute herumschlagen, zur besseren Anschauung in zusammen. Besprochen wurde, was man bei solchen weite Ferne zu rücken. Die Frage "Was ist der neue Anlässen so bespricht: das Geschehene, das Mensch?" beispielsweise. Und überhaupt: Was ist Anstehende, und das, was in absehbarer Zeit der Mensch? Mit dessen Erkundung beschäftigten vermutlich nicht passieren wird. Die "Tendenz der sich viele nach 1919, Philosophen, Dichter, Künstler Woche" nennt man das im Diplomatenjargon. und Wissenschaftler, eine Reihe von ihnen in Berlin. Und angesichts der anrückenden Wahlen kann die Dass Aris Fioretos Ende der Siebziger zum ersten Tendenz der Woche von höchster Bedeutung sein. Mal Berlin besuchte, hatte aber einen anderen Jedenfalls tagten ein paar Stunden später die Grund: "Ich wollte David Bowie treffen ." Der Star höheren Botschaftschargen zur Erörterung taktischer wohnte damals in der Nähe vom Kleistpark, das Fragen in kleinerem Kreis. Und so vergehen die Tage Hansastudio, wo seine Platten aufgenommen mit Konferenzen und Besprechungen. Nur von fünf wurden, lag dicht an der Mauer, die ersehnte bis neun Uhr morgens bleibt ihm Zeit für das Begegnung fand aber nicht statt. Dafür sei er um Eigentliche. Da schreibt er an seinem nächsten einen Irrtum leichter abgereist. "Als Halbösterreicher war ich in dem Glauben aufgewachsen, Wien sei das Kopf. Und die plötzliche, schaurige Gewissheit: "Du Zentrum des deutschsprachigen Raums. In Berlin bist allein mit deinem Gehirn, und du musst daraus merkte ich: Dies ist keineswegs der Fall." Dass Wien kommen, darauf kommt es an!" So hat Literatur noch im 19. Jahrhundert steckt, Berlin, das heutige, für ihn zuallererst den Zweck, Verbindungen zu in dem er lebt, sei dagegen im Begriff, sich zu erzeugen. Obgleich er sich der Wandlung bewusst mausern. Eine Stadt mit verschiedenen Tempi und ist, die den vom Schriftsteller eingegebenen Signalen mehreren Schichten. Eine Stadt, die mit ihrer Identität auf dem Weg zum Leser widerfährt. "Als ich Trumbos hadert. Ein passender Ort für einen wie ihn. Film sah, wusste ich bereits instinktiv, dass es eine 1960, in Göteborg, Schweden, geboren, Sohn einer Grenze dessen gab, was sich vermitteln lässt", liest Österreicherin und eines Griechen, der aus man in seinem Essay "Mein schwarzer Schädel". politischen Gründen in den Fünfzigerjahren aus "Aber erst jetzt wurde mir klar, dass diese Grenze Griechenland geflohen war, ist Aris Fioretos in einer aus einem zwei, drei Millimeter dicken Kranium Familie groß geworden, in der die Sprachgrenzen bestand: meinem eigenen Schädelhelm." Dem zergingenund "nationale Identität" als etwas Prosaisten bleibt also nichts anderes übrig, als durch wahrgenommen wurde, das nur für die anderen galt. die Grenze des Schädels hindurch ins Dunkle des Indes hat er sich angewöhnt, sich selbst als den eigenen Gehirns hinabzusteigen: ein "Kranionaut", so Unterschied zwischen einem Schweden, einem nennt er ihn, der abenteuerliche Tiefseetauchgänge Griechen und einem Österreicher zu definieren. Kurz unternimmt, um Bewusstseinssplitter ansLicht zu nach dem Abitur ging er nach Athen, studierte dann zerren. Nicht, dass er wirklich wüsste, wie sich die in Paris und in den Staaten, wurde mit den Jahren zu Splitter auf dem Papier zusammenfügen. Ein Rest einem "Auslandsschweden". Zum "Nomaden" aber Mysterium bleibt. Ein unerklärliches Fragment. Eine nicht, darauf legt er Wert. "Ich bin kein Nomade, Seelenspur. ------Foto : Aris höchstens eine unruhige Seele", sagt er. Als Fioretos Berlin ( BLN ) Schweden ( S ) Emigrantenkind, schwarzhaarig im blonden Griechenland ( GR ) Österreich ( A ) Aris Schweden, war ihm sein Anderssein früh bewusst. Fioretos Literatur Männliche Person Porträt Deshalb setzte er vierjährig gegen seine Eltern durch, dass man auch zu Hause Schwedisch sprach. "Sprache ist Verschleierung. Und als Kind von Ausländern versucht man, sich durch die Sprache so zu verschleiern, dass man möglichst nicht auffällt. Es gibt aber auch die Kehrseite: Man will die Sprache so gut beherrschen, dass man sie besser spricht als die Einheimischen. Statt grau zu bleiben, fällt man auf. Es ist paradox: Irgendwie versucht man, sich als Pfau zu camouflieren." Eine Art Transvestismus - das Thema seines zweiten Romans "Die Wahrheit über Sascha Knisch". Aus jener Grauzone der Sprache jedoch, die das Kind zuvor kennen gelernt hatte, in der die Bedeutung der Wörter unscharf ist und die Unsicherheit ebenso groß wie die Lust am Durchspielen der semantischen Möglichkeiten, erwuchs seine Neugier für die Literatur. Hinzu kam, als er zwölf Jahre alt war, ein aufwühlendes Erlebnis: Der Vater eines Spielkameraden, Leiter eines Filmclubs, nahm die Jungen ins Kino mit. Der Film war eigentlich erst ab achtzehn freigegeben: "Johnny zieht in den Krieg" von Dalton Trumbo. Man sah in einem europäischen Militärkrankenhaus gegen Ende des Ersten Weltkrieges einen amerikanischen Soldaten unter Laken liegen, oder das, was nach dem Tritt auf eine Mine von ihm übrig geblieben war: Rumpf und Kopf. Kein Mund, keine Nase, keine Augen und keine Ohren mehr, nichts, was ihm ermöglicht hätte, mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Nur ein Gehirn; dessen stummer Monolog war als voice over zu hören. Trotz des Wegfalls aller Anhaltspunkte, aller Werkzeuge der Wahrnehmung, versuchte das Denktier, sich in Zeit und Raum zu orientieren. Wie viel von einem Menschen verschwinden kann, ohne dass er aufhört, ein Mensch zu sein, ging dem Zwölfjährigen durch den Berliner Zeitung · Nummer 12 · 14./15. Januar 2006 3 ...... Magazin

Annette Kuß mit einer der Darstellerinnen bei einer Probe im Freudenhaus Hase

Eine halbe Stunde kostet … Annette Kuß ist zu den Huren gegangen. Heraus kam ein Theaterabend im Bordell

VON AURELIANA SORRENTO BERLINER ZEITUNG/MARKUS WCÄHTER (2) WCÄHTER BERLINER ZEITUNG/MARKUS

ines Abends saß Annette Kuß in einer grell blinkendes Ladenschild auf. Im Inneren, selbst sagte. Eine, die ins Bordell gegangen Leben, mit dem sie nicht immer klar kam, oft Ins hinterste Moabit fuhr sie der Taxifah- Theaterkantine. Über den Proben an einem schmalen Gang mit Stehtischchen war, um der Kontrolle ihrer alles allzu rasch als schizophren empfunden. Als sie darauf- rer. Das erste Freudenhaus, das sie je betre- ihrem vorigen Stück hatte sie den Ter- gegenüber einem Bartresen, herrscht reger einordnenden Vernunft zu entkommen. hin ans Theater ging, setzte sie vorerst eine ten hat, war ein miefiger, düsterer Schup- min versäumt, die Fördergelder für Betrieb. Unbeschäftigte Damen räkeln sich Es gab dann noch die Frau, die als Mäd- Collage aus Texten von Dichtern in Szene, die pen, in dem ein Häuflein Nachteulen vor Edas nächste zu beantragen. Sie starrte, den auf den Hockern, mit gelangweilten Blicken chen auf den Strich ging in dem Wahn, damit sie durch ihre Sprachgewalt bestrickt hatten. seinen Biergläsern hing. Nichts, was man Kopf tief gebeugt, in ihr Weinglas, und mur- das Dämmerlicht durchforstend. Dass da an dem Geliebten, der sie sitzen gelassen hat- Später inszenierte sie „Alpenglühen“ von Pe- mit Erotik hätte in Verbindung bringen kön- melte leise: „Was meinst du, soll ich es trotz- Fremdlinge weiblichen Geschlechts nichts te, Rache üben zu können. All die Geschich- ter Turrini am Staatsschauspiel Hannover nen. Nicht die Bardame, die, von den son- dem machen?“ Aber keiner hätte die Zeit ge- anderes als Störenfriede sein können, daran ten lassen Annette Kuß nicht mehr los, ob- und „Tender Loops“ nach Gertrude Stein am derlichen Besuchern recht amüsiert, für sie habt, etwas zu entgegnen. Denn gleich reck- lassen ihre Mienen keine Zweifel. Fünf Minu- wohl sie sich bemüht, davon zu reden wie Schauspiel Nürnberg. Es folgten, unter ande- um eine Stange tanzte. Und auch nicht der te sie den Kopf, strahlte sämtliche Anwesen- ten unbehaglicher Ungewissheit vergehen. eine Reporterin, die sich ein Thema mög- rem, Inszenierungen in Göttingen, Zürich, Striptease, den eine andere, der sie in ein den und den ganzen schummrigen Raum an Dann stürmt eine Frau auf die Fremde zu, lichst weit vom Leib hält, um es besser zu Oberhausen. 2003 führte sie mit Christoph Zimmer folgten, extra für sie hinlegte. Eher und sagte: „Ich mach das. Prosit!“ reicht, freundlich lächelnd, die Hand und durchdringen. Freilich: Es wird wieder Thea- Marthaler Coregie bei den Zürcher Festspie- verdattert denn angeregt schauten sich die Auf ihrem Schreibtisch türmen sich jetzt fragt umstandslos, was sie denn suchen wür- ter sein. Die Sätze, die sie aus dem Interview- len. Aber je länger sie durch den Theaterbe- Freunde die Show an. Aber Annette Kuß ging die Geschichten. Stapelweise Blätter mit ab- de. „Die Chefin“, antwortet Annette Kuß. Haufen herausdestilliert und aneinander trieb tingelte, desto stärker wurde die Neugier die Frage nicht mehr aus dem Kopf, worin gedruckten Interviews. In Nachtbars, in Bor- Aber die Chefin ist nicht im Hause und die montiert hat, werden Schauspieler ausspre- auf die Welt jenseits von Lesesaal, Bühnen- der Reiz denn liege, auf dem das weltweite dellen, durch die Prostituierten-Vereinigung unverhoffte Gastgeberin ziemlich redselig. chen. Sie dahinschmettern, auf dass sie auch raum und Theaterkantine. Am Schloßtheater Prostitutionsgeschäft basiert. Hydra hat sie all die Lebensberichte gesam- Sie trägt dezente Kleidung, keinen Nagellack, jenen in die Knochen fahren, die immer noch Moers erarbeitete sie „Happy Hours“: ihr ers- Eine schlüssige Antwort hat sie auch heu- melt. Monatelang war Annette Kuß auf Re- kaum Schminke. Wäre nicht das Blinzeln der so tun, als gehörten all die Bordelle und tes auf einer journalistischen Recherche ba- te noch nicht parat. Im Sexdienstleistungsge- cherche im Rotlichtmilieu. Hat Prostituierte, Pupillen, die hin und her flitzen und nach Strichmeilen und die eine Million Sexdienst- sierendes Theater-Projekt. „Eiaskurre, Eias- werbe, hat sie herausgefunden, sind die Men- Puffbetreiber, Barkeeper und Freier nach Freier-Blicken fahnden, würde man sie mit leistungen, die in Deutschland pro Nacht er- kurre“, im Dezember vergangenen Jahres am schen genau so unterschiedlich wie überall ihrem Werktag, nach Trott, Muße, Motiven, einer Verwaltungsangestellten verwechseln. bracht werden, nicht zu ihrer Welt. gleichen Theater uraufgeführt, war dann ein sonst. Deshalb werden in ihrem Stück, das sie nach Vorleben und Aussichten ausgefragt. In- Immerzu explodieren die Berliner „k“s in „Freudendienste“ heißt das Stück. Es wird Ausflug in die zerbröselnden Gedächtnisräu- lieber Projekt nennt, die disparatesten Aussa- formationen zusammengetragen, Daten, ihrem Redefluss. Sie erzählt vom ersten Kun- dennoch aus echten Sätzen echter Menschen me demenzkranker Menschen, die Annette gen aufeinander prallen. Gespielt wird im Zahlen, wo sie sie nur finden konnte. Eine dendienst, als sie sich übergeben musste, un- bestehen. Von solchen, die ein wirkliches Le- Kuß als Protagonisten und Darsteller zu- Bordell, dem „Freudenhaus Hase“, mitten im eigenartige Tätigkeit für eine Theaterregis- vorsichtigerweise hatte sie davor gegessen. ben führen, wirkliche Nöte erleiden. Auf die- gleich in die Inszenierung einband. Nach Wedding. „Wie det so ist“ – nach der Wort- seurin. Aber wehe, man bringt ihr einen sol- Von den Schulden, derentwegen sie einge- ses „wirklich“ legt Annette Kuß Wert. Denn in Berlin zurückgekehrt, wollte sie eigentlich wahl eines Straßenmädchens – kann der chen Einwand vor: „Ach, das Theater! Soll es stiegen sei in das älteste Gewerbe der Welt. ihrer Geschichte etwa nichts mit dem Leben zu tun haben? Von den Preisen, die in Berlin abgesackt sind, geht es, wie so oft, Soll es der Elfenbeinturm sein, in dem man es gäbe halt zu viele mittlerweile, die – aus um die Umkeh- Das erste Freudenhaus, das sie je betreten hat, war ein miefiger, düsterer Schuppen, sich einsperrt?“ Not oder Jux – auf Anschaffe gehen. Und sie rung des ur- in dem ein Häuflein Nachteulen vor seinen Biergläsern hing. Es gebe ja genug Theaterleute, die sich nur hatte ein Studium angefangen, musste dann sprünglich Eige- mit ihren Theaterwelten beschäftigten, und den Studiengang wechseln, weil die Profs von nen. „Solange ich nur von den Problemen der Menschen Notiz dem Job Wind gekriegt hatten. Ja, doch, sie mich erinnern nähmen, die am Theater arbeiten. Völlig un- studiere noch, aber ein anderes Fach. Ein kann, neigte ich schon immer dazu, mich in nichts weiter als einen entspannten Abend Theaterbesucher dort am besten erspüren. In interessant! „Ich lebe ja auch in dieser Welt“, Mauerblümchen sei sie früher gewesen, jetzt phantastischen Elfenbeinturmwelten aufzu- verbringen, als sie, gänzlich unerwartet, auf den Zimmern liegen Plüschteppiche; orange- sagt sie. Und zieht die langen, geschwunge- wisse sie, dass die Typen in Wahrheit auf das halten“, gesteht die Regisseurin ein. In Mün- das „Freudendienste“-Projekt geriet. ne Vorhänge und aprikosenfarbene Wände nen Augenbrauen zu spitzen Winkeln hoch. Äußere pfeifen. Na, ab und an habe man so- chen als Professorentochter aufgewachsen, Sie hatten nichts abgesprochen. Sie und sorgen für die Wohlfühlatmosphäre, die Diese Welt ist öder und bunter zugleich, als gar guten Sex bei der Arbeit. Komme zwar sel- fühlte sich Annette Kuß nie wohl unter der der Freund, mit dem sie essen gegangen einem Kindergarten angemessen wäre. Der sie das Theater gewöhnlich erfasst. ten vor, aber immerhin. Einen Kunden brau- bürgerlichen Glasglocke. Sie kam nach Ber- war. Auf dem Weg vom Restaurant zu einer Laden hat um 22 Uhr Betriebsschluss, und Es war nach einem lustigen Theaterabend che sie jedenfalls noch an diesem Abend, die lin, um sich in die Wirrnis der Stadt zu stür- Kneipe, in der sie noch einen Drink nehmen wenn Annette Kuß eine halbe Stunde später – ein nagelneues Stück über Ehe- und Bezie- nächste Miete sei noch nicht drin. Harte Zei- zen, in eine Wirklichkeit, deren krasse Kon- wollten, sahen sie auf der Straße des 17. Juni dort auf die Probe geht, reißt sie zuallererst hungs-Clinch in Zeiten des Krieges wurde ge- ten derweil. Hauptsache, sie schaffe es noch traste sich dem Versuch einer begrifflichen ein Straßenmädchen. Dem Freund fiel ein, alle Fenster auf, um die entsetzlichen Gerü- rade als Humoreske in der Schaubühne gege- bis zur letzten S-Bahn. Einordnung immerzu entzogen. Studierte Li- dass er noch nie mit einer Prostituierten ge- che aus den Räumen zu treiben. Manchmal ben –, als sie das Café „Psst!“ aufsuchte. Eine An diesem Abend schnellten die Augen- teratur und Philosophie, nebenbei Kunstge- sprochen hatte, und ihr schien es auch steht noch die Puffmutter im Flur, den Staub- feuchtkalte Nacht, der Weg vom Kudamm brauen der Annette Kuß in die Höhe, dann schichte und – sehr kurz – Theologie, machte nicht abwegig, die Frau auszuforschen über sauger in der Hand, das Telefon ans Ohr ge- zum Nachtlokal in der Brandenburger Stra- flugs fiel die rechte herab, um sich waage- gleichzeitig eine Tanzausbildung und schloss das Thema, um das sich das Gespräch wäh- klemmt. Weit nach Dienstschluss verhandelt ße, in Berlin als Anbahnungsgaststätte be- recht zu strecken. Ein Mienenspiel, das ihr ihr Studium mit einer Arbeit über Wahrneh- rend des Abendessens rankte: den Boom sie mit Kunden: „Eine halbe Stunde kostet …“ rühmt, kam ihr unendlich lang vor. Ewig eigen ist, Verwunderung, Skepsis, Einfühlung mung, Imagination und Sprache am Beispiel von Seitensprungagenturen. Auf dem Rück- nichts in Sicht außer Ampeln, Tankstellen und Neugier mischen sich darin. Und das von Rainer Maria Rilke ab. Ob das auch eine weg fanden sie das Mädchen aber nicht und vorbeidonnernden Autos. Dann, unauf- sich wiederholte, als sie die 19-Jährige traf, Flucht vor dem Leben gewesen sei? mehr, beschlossen kurzerhand, in ein Taxi „Freudendienste“. Ein Theaterabend von fällig und wie verloren in der Eintönigkeit der eine engelhaft schöne Abiturientin, unge- Jedenfalls habe sie den Widerspruch zwi- zu steigen und sich in ein Bordell kutschie- Annette Kuß. Premiere am 14. Januar 21 Uhr im Schnellstraße, taucht aus der Düsternis ein mein klug, und ungemein „verkopft“, wie sie schen ihrer Phantasie und dem praktischen ren zu lassen. Freudenhaus Hase, Hochstraße 45.

BERLINER BLICKE Frank Silberbach fotografierte in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel. aus Berliner Zeitung vom 04.02.2006 Bilder von Eden Skandale, Liebe, späte Anerkennung. Das Künstlerleben der Dorothy Iannone

Von Aureliana Sorrento

Zuerst klingelt der Postbote. Dann schellt das Künstler widmete. "Der König ist Tod, lang lebe sein Telefon. Dorothy - "nennen Sie mich einfach Werk!", schickte sie als Gruß aus dem Bild dem Dorothy", hat sie gesagt - eilt von der Tür zum Freunde hinterher. Ihre Liebesbeziehung lag schon Apparat, nimmt den Telefonhörer ab, bittet den Boten lange zurück, ihre Freundschaft hielt aber bis zum herein. Das Paket ist noch nicht fertig. Das Paket, Tod. Mit einem in Zeitungspapier gewickelten das jede Menge Kunstkataloge enthält, Dokumente Fisch unterm Arm hatte Dieter Roth am Pier ihrer Ausstellungen der letzten Jahre. Das Paket soll gestanden, als das Frachtschiff "Bruarfoss" am 24. gleich in die Staaten. Eine Schau ihres Werkes läuft Juni 1967 in den Hafen von Reykjavik einlief. Mit gerade in New York. Und jetzt hat man sie auch zur Emmett Williams, der ein Buch über Roth Whitney Biennale eingeladen. Dorothy trippelt zum herausgeben wollte, waren James Upham und Schreibtisch. Sie kritzelt mit Filzstift noch ein paar Dorothy Iannone nach Reykjavik gefahren, um dort Zeilen auf ein Blatt. Hebt den Kopf. Senkt ihn wieder. ein paar Tage zu verbringen und Dieter Roth kennen Die Unterschrift fehlt. "Sorry, sorry, just ein Moment!" zu lernen, der zu der Zeit auf Island lebte. Als sie Sie strahlt den Boten an, der sich indessen etwas vom Frachtschiff ausstiegen, war alles entschieden. verdutzt umsieht in ihrer lichtdurchfluteten Wohnung "And when I saw Dieter I knew I would change my in Charlottenburg. "Nu, so was", wahrscheinlich denkt life", hat Dorothy Iannone in ihrem palimpsestartigen, er das. Leuchtende Gemälde, Zeichnungen, Drucke, aus Schrift und Zeichnungen bestehenden Bildroman Wandteppiche, orientalische Statuetten, poppiges "An Icelandic Saga" festgehalten. Sie zögerte keinen 70er-Jahre Mobiliar, bunte Holzskulpturen, bemalte Augenblick, ihr großbürgerliches, wattesicheres und beschriftete Riesenkästen, aus denen Leben als Gattin des Millionärs James Upham für Bildschirme hervorlugen. Und dann noch diese den genialen Künstler aufzugeben, dem in Reykjavik kleine, zierliche, aparte, stets lächelnde Dame, die in ein einziges Lokal Zutritt gewährte, weil er nicht nur dem Farben-Tohuwabohu herumschwirrt, als hätte keine Krawatte besaß, sondernauch in einem sie die Energie von hundert Bengeln im Leibe. knopflosen, mit Sicherheitsnadeln "Ach, endlich Pause!" Endlich aufatmen. Endlich zusammengehaltenen Hemd herumlief. Fünf Tage kann sie in einem ihrer thronähnlichen blauen Sessel verbrachten die Freunde in Reykjavik zusammen. Platz nehmen. Und wieder aufspringen, es ist ja Dann flog das Ehepaar Iannone-Upham nach New Teatime. Dorothy liebt Rituale, die das Leben York zurück. Dort angekommen, teilte Dorothy ihrem lebenswert machen. Schon Wochen wirbelt sie durch Ehemann mit, dass sie ihn verlassen würde. Am die Wohnung, kramt Drucke, Hefte, Objekte und darauffolgenden Tag nahm sie den nächsten Flug Bücher hervor, die verstaut lagen. Telefonieren. nach Reykjavik. Es soll "ein wunderbarer, sonniger Bilder abhängen. Bilder aufhängen. Aber: "Sure, I Junitag" gewesen sein. Die Sonne scheint enjoy it.".Natürlich genießt sie das. Die späte immer, wenn ich sie besuche, was im Winter in Berlin Anerkennung. Den Erfolg, der lange auf sich warten fast einem Wunder gleicht. Dorothy sitzt dem Fenster ließ. "Es ist, als würde plötzlich ein neuer, frischer gegenüber, blinzelt und strahlt ein Lichtmeer zurück. Wind wehen." Was eigentlich paradox ist. Zumindest so kommt es einem vor, wenn man sie Gerade jetzt, wo Amerika in Prüderie und Frömmelei ansieht. Vielleicht sind ihre großen, braunen, versinkt und das alte Europa eher mit der Sicherung brennenden Augen schuld daran. Oder ihr schönes, des Daseins als mit der Freiheit des Seins befasst ist, markiges, quecksilbriges Gesicht. Es gibt keinen wird das Werk der Dorothy Iannone hüben und Augenblick, der es nicht wert wäre, gelebt zu werden, drüben entdeckt. In den so Swinging Sixties und so sagt dieses Gesicht. Ob sie von der Kindheit in freien Siebzigern pflegten Kritiker die Nase zu Boston redet, von ihrer Mutter, die sie lange pflegen rümpfen über ihre farbig naiven, frohsinnstrotzenden musste, vom Studium in Stanford, von den Ehejahren Darstellungen des Eros. Iannones Arbeiten wurden im Luxus und der Zeit der Bedrängnis . ganz gleich, als obszön und pornografisch verschrien und immer was Dorothy erzählt - und das ist das Unfassbare, wieder aus Ausstellungsräumen entfernt. Dass sie Betörende an ihr- jede Faser ihres Wesens erzählt das weibliche Begehren nach dem männlichen immer nur vom Glück. 1933 wurde Dorothy Körper so frohgemut unbekümmert zum Kunstmotiv Iannone, Kind einer italienischen Einwandererfamilie, machte, muss die männlichen Rezensenten mächtig in Boston geboren. Sie wuchs in einem Viertel der verstört haben. Und dass sie noch, die tradierten Stadt auf, in dem fast nur Italiener und Iren lebten. Verhältnismuster umkehrend, einen Mann zu ihrer Ein schönes, ruhiges Viertel, sagt sie, bloß etwas Muse erkor - das war ein Skandal. Ihre Muse: langweilig. Nach der High School jobbte sie in der Dieter Roth. "Miss my Muse" betitelte sie noch im Staatsverwaltung, fing ein Jura-Studium an, Jahre 2000 ein Bild, das sie dem zwei Jahre zuvor wechselte zur Literaturwissenschaft, die ihrer verstorbenen, inzwischen international gefeierten Neigung eher entsprach, machte ihren Bachelor of Arts an der Boston University und war kurz davor, lebte Dorothy eine Weile aus den Koffern zwischen eine Doktorarbeit an der Stanford University in Köln, Basel, Stuttgart und London. Damals war ihr Kalifornien zu beginnen, als sie 1958 in der die Zensur regelrecht auf den Fersen. In Stuttgart, wo Künstlerkolonie Provincetown James Upham kennen Hansjörg Mayer Iannones "People" ausstellen wollte, lernte. Sie hängte alles an den Nagel, akademische schritt die Polizei sofort ein: Sie konfiszierte die Laufbahn, Literaturkritik, Karriere, und übersiedelte Arbeiten und gab sie der Künstlerin erst ein Tag vor mit ihrem neuen Geliebten, der in Kürze ihr Mann dem Ende der Schau zurück. 1969 folgte "The story wurde, nach New York. Upham besaß genug of Bern", die Künstlerin hat sie in einer munter Geld, dass sich das Paar keine Sorgen um den ironischen Bilderzählung rekonstruiert. Diesmal Lebensunterhalt machen musste. Dorothy Iannone waren es Künstler, die als Korpsbrüder der stand zum ersten Mal in ihrem Leben vor der Frage: Gegenreformation agierten. Harald Szeemann, Leiter Was will ich wirklich? Endlich frei, das zu tun, was sie der Kunsthalle Bern, hatte Dieter Roth, Andrè wollte, aber unsicher "inmitten dieses Ozeans, der Thomkins, Karl Gerstner und Daniel Spoerri nichts war als Möglichkeit", und aus dem Bedürfnis eingeladen, mit ihnen befreundete Künstler zu einer heraus, sich selbst zu entwickeln, ging sie in die "Ausstellung der Freunde" mitzunehmen. Dieter Roth Psychoanalyse. Dann, von Upham angeregt, der wollte Emmett Williams und Dorothy Iannone dabei selber den Großteil seiner Zeit in einem Atelier haben. Als aber Dorothys "Dialogues" an der Wand verbrachte, fing sie an zu malen. Mit den bloßen hingen, forderten die anderen an der Schau Fingern zunächst, dann mit dem Spachtel. Abstrakte Beteiligten, Penisse und Vulven auf den Bildern mit Ölbilder, in denen leuchtende Farbfelder aufeinander braunem Klebeband zu überkleben. Am Ende prallen, waren die ersten Ergebnisse ihrer Suche. Sie wurden Iannones Arbeiten von der Ausstellung reiste viel mit ihrem Gatten. Das Paar fuhr nach entfernt. Daraufhin zog auch Dieter Roth seine Indien, Kambodscha, Thailand, Kyoto, Griechenland, Arbeiten zurück. Die "Dialogues3", der Stein des Süditalien, Cap d'Antibes, in die Türkei - nicht zuletzt, Anstoßes, waren Bilderbuchblätter, auf denen um Kunst zu betrachten. Allmählich begannen die Dorothy Iannone Szenen und Gespräche aus ihrem anfangs klecksartig ineinander laufenden Farbflächen Leben mit Dieter Roth festgehalten hatte. Weiße, in Dorothy Iannones Bildern, sich stärker scherenschnittartig gezeichnete Figuren sind darin voneinander abzusetzen, eine scharf konturierte die Liebenden, in einem Geflecht ornamentaler Bildtextur trat hervor. Den nächsten Schritt weg von Muster eingebettet, das die realen Orte mit einer der Abstraktion markierten schemenhaft gezeichnete Metapher des Edens ersetzt. Auch in den folgenden Figuren, die aus dem Farbgeflecht herausstachen. großformatigen Gemälden feierte die Künstlerin ihre Dann tauchten Körper mit deutlich erkennbaren Liebesbeziehung mit Roth als paradiesischen Geschlechtspartien auf. Auch ihre "People", Zustand. Eros ohne Scham. Sex als Verschmelzung ausgeschnittene und bemalte Holzfiguren, ein bunter von Körpern, die, mit den Attributen der Göttlichkeit Kosmos aus Pop-Ikonen von Bob Dylan bis ausstaffiert - Armreifen, Ketten, Pfauenfedern - Napoleon, trugen Genitalien zur Schau. "Das ebenso rein und unschuldig auftreten wie die kam wie von selbst", sagt Dorothy Iannone, Wiederauferstandenen des Luca Signorelli nach dem unbewusst, wahrscheinlich habe sie betonen wollen, Jüngsten Gericht. Ihrer Sehnsucht nach dass wir alle eine sexuelle Natur haben. Es ging ihr vollkommener seelischer und körperlicher Einheit ist nicht darum zu provozieren. Oder etwa auf die Dorothy Iannone auch nach der Trennung von Dieter amerikanische Bigotterie loszuschlagen. Denn sie Roth 1974 nachgegangen. Sie hat sie in Bildern, selbst nahm sie damals gar nicht wahr. Das Amerika, Videoboxen, Filmen, Bilderbüchern, bemalten und in dem sie lebte, war der Kontinent eines erlesenen beschrifteten Objekten ausgedrückt. Zum Ärger der Kreises von Akademikern, Künstlern und Moralapostel sowie der moralinsauren Feministinnen. Intellektuellen, welche die von ihr und Upham "Ich war einfach ehrlich", sagt sie. Und lacht darüber. geführte "Stryke-Gallery" in der 10th Street Sie lacht über die Saubermänner, die frequentierten. Mit der anderen Seite der Vereinigten komischerweise an anderen, recht schlüpfrigen Staaten geriet sie erst 1961 in Konflikt, als sie auf Darstellungen des Sex nichts auszusetzen hatten. dem Rückflug von Paris nach New York eine Obwohl deren Missbilligung für sie die Ausgabe von Henry Millers "Wendekreis des jahrzehntelange Verbannung aus dem offiziellen Krebses" mit sich trug. Der US-Zoll beschlagnahmte Kunstbetrieb bedeutete. Nur durch Stipendien, kleine das Buch, denn zu der Zeit waren Millers Werke in Verkäufe und Zuwendungen von Freunden konnte den USA verboten. Iannone verklagte die Regierung sie sich nach 1976, als sie mit einem daad- der Vereinigten Staaten auf die Rückgabe des Stipendium nach Berlin zog, über Wasser halten. Buches - und gewann. Fortan durften Millers Harte Zeiten seien es gewesen. Aber sie bereut Schriften auch in den USA gelesen werden. Der nichts. "Die Liebe", sagt sie, "ist eins der Schriftsteller, der seine Leserin kurz darauf kennen fantastischsten Gefühle, die man erleben kann. Es zu lernte, prophezeite beeindruckt, sie würde es weit verleugnen oder abzuwehren wäre doch seltsam. Ich bringen. "Ja, aber wohin?", soll Dorothy Iannone folgte meinem Herzen." ------nach dem Bericht von Zeitzeugen entgegnet haben. Foto : Dorothy Iannone in ihrer Berliner Wohnung vor Nach Island ging es 1967, zu Dieter Roth. Mit ihm einem ihrer Bilder USA ( US ) Berlin ( BLN ) Dorothy Iannone Kunst Homestory Porträt Weibliche Person 4 * Berliner Zeitung · Nummer 72 · 25./26. März 2006 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Den zunehmend emotionsgeladenen Wahl- Die Ohnmacht kampf in Italien kommentiert die Mailänder Tageszeitung der Ärzte Corriere della Sera VON CHRISTIAN LIPICKI Es schien zunächst, dass sich das Schreck- ast schon haben wir uns an die seit Wo- gespenst eines Wahlkampfes, der wie ein si- Fchen immer wieder aufwallenden Ärzte- mulierter Bürgerkrieg geführt wird, aufge- proteste gewöhnt – und dennoch sind sie löst hat. So schien es. Aber die vergiftete etwas Besonderes. Während Metallarbeiter Luft, die man 15 Tage vor den Wahlen atmet, und Bauleute keine Scheu haben, für die zeigt, wie sehr in Italien noch die apokalyp- Durchsetzung ihrer Interessen auf die Stra- tische Verzerrung des politischen Kampfes ße zu gehen, galten solche Aktionen unter präsent ist. Es war zu hoffen, dass ein de- Medizinern lange Zeit als unfein und wur- mokratisches Abwechseln zwischen ent- den daher abgelehnt. Dass sich das geän- gegengesetzten Bündnissen endlich wie ein dert hat, zeigt deutlich, wie groß das Aus- normales, physiologisches, nicht traumati- maß der aufgestauten Wut sein muss. sches Ereignis gelebt wird. Aber leider ist es Der Zorn der Mediziner kommt nicht nicht so. Was immer noch vorherrscht ist von ungefähr. Täglich erleben sie in den das Gefühl von Beunruhigung und Hyste- Arztpraxen, dass sie den Patienten – entge- rie, das Klima eines letzten und tödlichen gen der Politikerversprechen – längst nicht Kampfes. mehr alles zukommen lassen können, was deren Krankheiten heilt oder wenigstens Die jüngste Ankündigung der Führung der lindert. Zugleich wird ihnen vorgeworfen, baskischen Untergrundorganisation ETA, dass sie zu teure Medikamente verordnen die Waffen niederzulegen, bewertet die fran- würden und mitschuldig an der finanziellen zösische Zeitung Misere des Gesundheitswesens seien. Diese Vorwürfe schmerzen, zumal den niederge- Le Monde lassenen Ärzten jährlich Milliarden-Beträge entgehen, weil sie viele Leistungen von den Der spanische Regierungschef JosÚ Luis Krankenkassen nicht bezahlt bekommen. Zapatero hat sich strikt davor gehütet, die Das muss sich ändern. Ankündigung der ETA triumphierend auf- Aber woher soll das zusätzliche Geld Einbürgerungstest auf integrative Art Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller zunehmen. Und doch hat er seit Wochen kommen? Das zu erklären, überlassen die darauf gewartet, bringt die Entscheidung Ärzte den Politikern – und machen es sich der ETA-Führung doch die Hoffnung mit damit sehr einfach. Die Regierungspartei- sich, diesen in den letzten Jahren des Fran- en, die in den nächsten Monaten eine Re- co-Regimes begonnenen Konflikt zu been- form der Gesundheitsfinanzen auf den Weg O den. Seit dem Wahlsieg der Sozialisten im bringen wollen, stehen vor der Herausfor- März 2004 hatte Zapatero diskret Kontakte derung, gegensätzliche Interessen unter Schering hat Zukunft mit den Vertretern der ETA geknüpft. Er hat- einen Hut zu bringen: Zwar fordern die Bür- te dabei das irische Vorbild vor Augen, also ger im Krankheitsfall für sich die beste Me- VON HENDRIK MUNSBERG die Vereinbarung der britischen Regierung dizin. Aber in den eigenen Geldbeutel mag mit der IRA, die es 1998 ermöglicht hatte, sich keiner greifen lassen. Über diesen Wi- ür Hubertus Erlen, den Vorstands- ein wichtiges Standbein des neuen Unter- Produkte beider Unternehmen sind viel die Nationalisten in das politische Leben zu derspruch sollte jeder einmal nachdenken. chef des Schering-Konzerns, ge- nehmens bleiben; im Zweifel jedoch hät- zu unterschiedlich. integrieren und die Terrororganisation zu hörten die vergangenen Tage zu te die Spitze des Konzerns, der fest in Ohnehin ist die Öffentlichkeit gut be- entwaffnen. Zapatero weiß, dass das erst den schwierigsten seines Mana- Darmstadt verwurzelt ist, die Belange der raten, wenn sie skeptisch wird, sobald nach langer Zeit gelungen ist, und er weiß Weißrussland bleibt Fgerlebens. Seit die Darmstädter Merck AG Heimat höher veranschlagt als die Bedürf- Manager kühne Strategien ausbreiten. auch, dass es Rückschläge und Unterbre- Mitte des Monats überraschend auf den nisse der Region Berlin. Besten Anschauungsunterricht dafür lie- chungen gab. So dürfte es zweifellos jetzt vor der Tür Plan getreten war, um den Berliner Kon- Gewiss, auch das Zusammengehen ferte die Stuttgarter Daimler AG. Deren auch zwischen der ETA und Madrid ablau- kurrenten zu schlucken, suchte Erlen fie- mit Bayer bedeutet, dass Schering, Ber- damaliger Chef, Edzard Reuter, hatte einst fen. VON ALOIS BERGER berhaft nach Möglichkeiten, um eine lins „Grüne Apotheke“, die Eigenstän- die Vision eines integrierten Technologie- feindliche Übernahme abzuwehren. Jetzt digkeit verliert und dass auch in dem konzerns ersonnen, um unabhängiger Die wogende Debatte um die Fragebögen im bscheu und Entsetzen, die üblichen hat der Schering-Lenker eine Lösung ge- neuen Konglomerat 6 000 Arbeitsplätze vom Autogeschäft zu werden. Das Experi- Einbürgerungsverfahren kommentiert die AFloskeln halt, dazu ein paar Sanktionen, funden, die einen schweren Rückschlag wegfallen. Noch ist unklar, wie stark und ment ging gründlich schief und wurde Berliner Tageszeitung viel mehr fällt den EU-Regierungen nicht für sein Unternehmen, aber auch für den in welchem Zeitraum der Stellenabbau vom Nachfolger Jürgen Schrempp rabiat ein, um auf die Wahlfarce und die Polizei- hiesigen Wirtschaftsstandort verhindert. beendet, der sich fortan wieder aufs Kern- Die Welt prügel in Weißrussland zu reagieren. Das Nun verkündete Deutschlands größter geschäft mit Automobilen konzentrieren heißt, es würde ihnen schon noch was ein- Gesundheitskonzern, die Leverkusener Der Übernahme-Krimi wollte – diesmal jedoch im globalen Maß- Die Lage hat sich verändert, die Tendenz ist fallen, um Weißrussland aus dem Griff des Bayer AG, sie wolle stolze 16,3 Milliarden um Schering stab: DaimlerChrysler schluckte den erfreulich. Deutschland, die Deutschen letzten europäischen Diktators zu befreien. Euro – und damit fast zwei Milliarden illustriert,wie amerikanischen Konkurrenten Chrysler entdecken sich wieder als Subjekt. Nach Aber diesmal trauen sie sich nicht. Denn Euro mehr als Merck – ausgeben, um ih- heikel die Situation und wurde zur Welt AG. Inzwischen hat zwei verlorenen Weltkriegen wollte sich das vermutlich könnte die EU das Nachbarland rerseits Schering zu übernehmen und um auch Schrempp das Unternehmen verlas- Volk ins „postnationale“ Zeitalter verab- zügig in die Demokratie führen. Das hat sie anschließend die Pharmasparten beider am Wirtschaftsstandort sen – als Gescheiterter. schieden. Inzwischen stößt als Vaterlands- schon ein paar mal vorgeführt, und es gibt Unternehmen unter gemeinsamen Na- Berlin ist. Zum unternehmerischen Erfolg gehö- ersatz auch die Europäische Union an ihre Anzeichen, dass das auch in Minsk klappen men zu bündeln. Schon wenige Stunden ren eben nicht nur großspurige Pläne. Ge- Grenzen. Die Alternative zum weltfremden würde. Doch der Preis dafür ist hoch: Die später gab Merck den Bieterkampf auf. rade bei Übernahmen und Firmenzusam- Postnationalismus der Nachkriegszeit ist EU müsste den Weißrussen für die Zeit nach Gut für Schering, gut für die Bundes- den Standort Berlin betreffen wird. Doch menschlüssen ist von entscheidender Be- freilich nicht der Rückfall in den Dreißigjäh- Lukaschenko eine europäische Perspektive hauptstadt. der Bayer-Konzern will Teile seiner welt- deutung, ob die Unternehmenskulturen rigen Krieg, sondern die affektfreie Aneig- anbieten, einschließlich einer realistischen Aus Berliner Perspektive, aber auch weiten Aktivitäten bündeln und nach zusammenpassen und ob es gelingt, die nung von deutschen Traditionen und histo- Chance auf einen EU-Beitritt. unternehmerisch sprechen alle Argumen- Berlin verlagern. Konzernchef Wenning betroffenen Mitarbeiter zu überzeugen. rischen Erfahrungen, die sich als vernünf- Diese Aussicht hat bisher noch überall te für Bayer: Konzernchef Werner Wen- steht im Wort. Auch so betrachtet, ist eine freundliche tig, als zukunftsfähig erwiesen haben. Inte- gewirkt und die Demokratisierung be- ning und Erlen verständigten sich darauf, Aus betriebswirtschaftlicher Logik ist Übernahme wie die von Bayer der feindli- ressanterweise waren die Deutschen über schleunigt. Beitrittszusagen waren nie dass die gemeinsam gebildete Pharma- das Zusammengehen mit Bayer ebenfalls chen Offerte Mercks überlegen. Jetzt be- Jahrhunderte die weltoffenste Leistungsge- Selbstzweck, sie kamen aus der Angst vor sparte ihren Sitz in der Bundeshauptstadt schlüssig. Auch Schering ist international nötigen Wenning und Erlen vor allem sellschaft Europas. Nicht Religion, Herkunft instabilen Nachbarn. Doch dieser Preis ist haben wird. Und eben das ist die überra- ausgerichtet, durch die Fusion entsteht eines: Fortüne. und Gesinnung waren ausschlaggebend, es inzwischen den EU-Politikern zu hoch. Die gend wichtige Botschaft für Berlin. Denn die Nummer sieben weltweit für Spezial- Die deutsche Hauptstadt wird sie den zählten vor allem Talent und Tüchtigkeit. Bevölkerung in der Europäischen Union Manager, das hat die Vergangenheit oft pharmazeutika. Mercks Übernahmepläne Managern wünschen. Der Übernahme- Die Fürsten pflegten einen elitären Multi- will keine weiteren Beitritte mehr. Die Fran- genug gelehrt, lassen sich bei Entschei- waren von Anfang an wenig überzeugend. Krimi um Schering illustriert, wie heikel kulturalismus, um die Besten und Klügsten zosen und die Niederländer haben aus Pro- dungen, die das Entstehen und Ver- Dem Management in Darmstadt ging es die Situation am Wirtschaftsstandort Ber- ins Land zu locken. test sogar die EU-Verfassung platzen lassen, schwinden von Arbeitsplätzen betreffen, vor allem darum, eilig zu wachsen und lin ist. Es gibt viel zu viele Arbeitslose und und auch in Deutschland löst allein das von regionalen Bezügen leiten, was sie öf- den Wert zu steigern, um sich selber gegen viel zu wenige große Arbeitgeber. Ein fern- Wort EU-Erweiterung bei vielen heftige All- fentlich meist bestreiten. Auch das Merck- eine drohende feindliche Übernahmen zu gesteuerter Schering-Konzern wäre eine ergien aus. Niemand hat einen Anspruch Management hatte beteuert, im Falle wappnen. Das war die Flucht nach vorn, Katastrophe. Diese Gefahr scheint nun, auf eine EU-Mitgliedschaft, auch Weißruss- einer Übernahme solle in der Hauptstadt aber keine zukunftweisende Strategie: die vorerst, gebannt. PFLICHTBLATT DER BÖRSE land nicht. Wir können auch nicht alle Pro- BERLIN-BREMEN bleme dieser Welt durch EU-Beitritte lösen. Chefredakteur: Dr. Uwe Vorkötter Stellv. Chefredakteure: Brigitte Fehrle, Dr. Hendrik Munsberg Aber wir sollten uns im Klaren sein, was es Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner heißt, nein zu sagen. In Minsk wird es ver- ch gebe zu: Das jüngste Buch über ihn macher, ruft, alle Unternehmer, die nicht Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, mutlich die Diktatur verlängern. Ihabe ich nicht gelesen. Es gab derer vie- mit ihm seien, hätten wohl Dreck am Ste- Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester, Arno Widmann. le seit 2001. Als ich vor einer Woche in Rom Ach, wie wir cken, und kanzelt schließlich einen Con- Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. war, sah ich eine neuere Schrift über ihn findustria-Vorstand ab. Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE an jeder Ecke lauern: „Le mille balle blu“ Schon das hätte genügt, um Italien für Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin (Die tausend blauen Lügen) von Marco ihn lieben! ein paar Tage in Stimmung zu halten. Aber (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. O Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina Travaglio. Darin kann man angeblich alle VON AURELIANA SORRENTO Berlusconi war der Coup noch nicht ge- Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin Lügen des Ministerpräsidenten Silvio Ber- nug. Er fuhr nach Genua, um eine Wahl- Stemmler. Bild: Jane Dulfaqar. lusconi nachlesen. Das Gegenstück „Die kampfrede zu halten. Ein Besuch, der Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Huise und Crussein Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. tausend Lügen über Silvio Berlusconi“ ist Hunderte von Jugendlichen wenig amü- O Art Director: Annette Tiedge. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. ine kleine Meldung ging jüngst im Tru- in den Zentren der Forza- Italia-Jugend er- sierte. Vor dem Theater, in dem der Cava- Potsdam: Andrea Beyerlein. Ebel der Ereignisse unter: Laut einer Ma- hältlich. Es dient in Wahlkampfzeiten den liere auftrat, schwenkten sie Transparente Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja gazin-Umfrage würden mehr Leute (41 Po- Aktivisten der Berslucon-Partei als „Hand- und rote Halstücher. Die Polizei griff ein, Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia zent) Tom Cruise von der Bettkante schub- buch der politischen Konversation“. Denn ein Mädchen wurde schwer verletzt. Es Schoeller. sen als Saddam Hussein (39 Prozent). Mei- auch zu ihnen ist inzwischen die Nach- fehlte nur noch, dass Berlusconi selbst die Berliner Verlag GmbH & Co. KG ner Meinung nach kann man sich diesem richt gedrungen, die Mehrheit der Italie- Schlachttrommeln rührte. Er beschränkte Geschäftsführer: Peter Skulimma. Anzeigenleitung: Oliver Hauf. ungeheuren Ergebnis nur anhand von zwei ner misstraue ihren parlamentarischen sich aber darauf, auf dem Nachhauseweg Vertriebsleitung: Sandra Blühdorn, Stefan Wiegandt. Modellen nähern. Erstens: Der abgebroche- Vertretern. Um Lügen geht es sowieso, aus seiner Limousine zu steigen, auf einen Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 ne, ewig naiv wirkende Babypopo-Strahle- wenn von Politik die Rede ist – so denken Demonstranten zuzumarschieren und www.berliner-zeitung.de/leserservice mann Cruise stinkt ab gegen den rauen al- die meisten. den Jungen mit dem Titel „Du Hoden- Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- ten Zausel Hussein, der sich auf seine alten Und nicht wenige halten es für uner- sack!“ zu ehren. Ach, wie wir ihn lieben! knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33 Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: [email protected]

Tage noch einen sexy Bart hat wachsen las- heblich, auf welchem Parteiemblem sie PRIVAT Im Grunde hat er Recht: Sollte er abge- Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; sen. Zweitens: Tom Cruise Mapother IV jet- am 9. April ihr Kreuz machen. Wie soll man wählt werden, wird er uns fehlen. Nicht Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 tet zwar laut Internet als einer der wichtigs- diese Agnostiker, von denen wohl der Aus- nur, weil die von Romano Prodi geschmie- Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 18, gültig seit 1.1.2006. Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 ten Scientologen durch die Welt. Aber er gang der Parlamentswahlen abhängen tiert – Romano Prodis Mitte-Links-Union dete Mitte-Links-Union fast nur die Aver- Berlin, Internet: www.berlinerzeitungsdruck.de würde gewiss mit Strahlelächeln abstreiten, wird, für sich gewinnen? Berlusconis immer noch vorne sehen. Also setzt der sion gegen Berlusconi eint. Ohne ihn wür- Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich dass seine Sekte ihre Mitglieder abhängig Wahlkampfberater scheinen die Methode Cavaliere im Endspurt auf das, was er am den den Italienern tatsächlich nur Steuern 18,40 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 21,40 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 21,75 ! (nur in Berlin und Branden- macht und manipuliert. Wie anders Sad- „Lügendetektor“ gefunden zu haben. Sie Besten kann: Spektakel. Wenn schon kein und Mortadella bleiben, wie er sagt. Wobei burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 10,95 !, außerhalb von dam Hussein: Da lächelt nichts, da tritt uns funktioniert ungefähr so: Das Land geht panem, wenigstens circenses. man wissen muss, dass „Mortadella“ die Berlin und Brandenburg 11,95 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- zin tip 13,20 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- ein Finsterling und Schurke in Urgestalt ge- den Bach runter? Eine Lüge der Linken. Berlusconi holpert, nachdem er den landläufige Beschimpfung für Prodi ist. beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- genüber. Wenn schon böse, dann richtig! Die Zahlen sagen, die Wirtschaft lahme? Termin abgesagt hat, unerwartet in den Zum Alleinunterhalter der Nation taugt er anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Neueren Vermutungen der Astrophysik Eine Erfindung der Linken. Sagen es auch Kongress der italienischen Industriellen- wahrlich nicht. Andererseits: Mit Staatsar- Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- zufolge bestehen 95 Prozent des Univer- noch Eurostat und die Industriellenverei- Vereinigung herein, nimmt, die Hand auf tisten allein macht man auch keinen Staat. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. sums aus unbekannter dunkler Materie nigung Confindustria? Beide in der Hand dem Rücken zum Zeichen seiner Schmer- Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. und Energie. Vielleicht gehört auch ein Teil der Linken. Aber auch diese Methode zen, auf dem Podium Platz, brüllt den Mo- Die Berliner Zeitung hat gemäß der unabhängigen Mediaanalyse 2005 von uns dazu – ein weitaus größerer, als wir greift wohl nicht mehr, wenn die Umfra- derator an, beschimpft sämtliche Zei- Aureliana Sorrento (35) ist italienische Journa- täglich 446 000 Leser und ist damit Berlins größte Abonnementzeitung. wahrhaben wollen. Torsten Harmsen gen – außer jenen, die Berlusconi selbst zi- tungs- als demokratiegefährdende Mies- listin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII 4 Berliner Zeitung · Nummer 89 · 15./16./17. April 2006 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Die Eskalation des Atomstreits mit Iran be- Die ersten Pflöcke schäftigt die nationale und internationale Presse. Es kommentieren Tageszeitungen in von Kurt Beck Brüssel, Zürich, Berlin und Frankfurt am Main: VON JÖRG MICHEL De Morgen urt Beck ist überall. Der kommissari- Ksche SPD-Vorsitzende ist kaum im Amt, Es ist allgemein bekannt, dass der US-ame- und es gibt es kaum ein Thema, zu dem sich rikanische Präsident George W. Bush die Beck nicht äußern würde: Eine Koalition militärische Option jedenfalls nicht aus- der SPD mit der FDP halte er für möglich, schließt, trotz der schlechten Erfahrungen ein Fondsmodell in der gesetzlichen Kran- in Afghanistan und vor allem im Irak. Wohl kenversicherung sei mit ihm nicht machbar gerade aus diesen beiden Gründen, dass die und die Kanzlerkandidatur, die halte er sich Militärstrategen rund um das Weiße Haus offen. Dies und noch viel mehr sagt Beck, den Präsidenten dringend zur Vorsicht und als Beobachter muss man schon auf- mahnen und ihn davor bewahren wollen, passen, da nicht den Überblick zu verlieren. neben Afghanistan und dem Irak nun auch Kurt Beck dürfte es ähnlich gehen. Wie noch ein drittes militärisches Abenteuer sonst soll man sich seine Äußerungen zum einzugehen. Aber der US-Präsident bleibt Thema Steuer erklären? Beck sagt, dass er davon überzeugt, dass dem „neuen Hitler“ mittelfristig die Steuern erhöhen will, damit Ahmadinedschad Benehmen beigebracht der Staat mehr investieren kann. Das kann werden muss mit militärischer Spitzentech- man so sehen. Doch Beck sagt dies, da viele nologie, Atomwaffen womöglich einge- die bevorstehende Erhöhung der Mehr- schlossen. wertsteuer noch nicht akzeptiert haben und führt auch nicht aus, welche Steuern er Neue Zürcher Zeitung meint. Beides ist fahrlässig. Denn das sorgt für Unsicherheit bei Bürgern und Firmen Ist Iran noch zu stoppen? Auf die bisher ver- ausgerechnet in einem Moment, da die folgte Weise vermutlich nicht. Alles hängt Wirtschaft wieder in Schwung kommt. am Wörtchen „inakzeptabel“. Hätte Iran ein Zwar hat Beck Recht, wenn er sagt, dass anderes Regime, wäre das Problem leichter der Staat zu wenig Mittel für Bildung und zu ertragen oder gar zu bewältigen. Doch Infrastruktur hat. Doch er trägt dafür Mit- Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller einen weiteren Regimewechsel manu mili- Verantwortung. Die SPD-geführte Bundes- tari, mit Geheimdienst- oder andern Mit- regierung machte es möglich, dass Konzer- teln zu betreiben, ist Wunschdenken und ne jahrelang keinen Cent Steuern zahlen kaum das Gebot der Stunde. Die Kraft des mussten. Sie ließ es zu, dass Milliardenbe- iranischen Nationalismus wäre ohnehin träge in Uralt-Branchen wie die Steinkohle O nicht zu unterschätzen. oder in Forschungsgräbern à la Transrapid versenkt wurden. Wenn Kurt Beck also erste Das Ego, nicht die Ehre Die Welt politische Pflöcke einschlagen will, dann muss er auch sagen, wie er das korrigieren VON CHRISTIAN BOMMARIUS Der iranische Präsident Ahmadi-Nedschad will. Also wer mehr zahlen sollte und wo ge- erklärt sein Land zum Nuklearstaat. Gleich- spart werden kann. So lange er das nicht tut, orde zur Verteidigung der gen. In einem offenen Brief klagte er: „Die ter die Tat und das Geständnis erlaubte, zeitig verkündet er frei nach Walter Ul- ist seine Präsenz allüberall nichts wert. Ehre gehören, wie jeder halb- Arroganz, die alle Menschen dazu zwin- und es ist auch das einzige Motiv, das das bricht: „Niemand hat die Absicht, eine wegs ungebildete Deutsche gen will, so zu denken wie wir, ist eine über türkische Lebens- und Bewusst- Atombombe zu bauen.“ Der Westen glaubt weiß, zur bevorzugten Betäti- schreckliche Leidenschaft; aber ist es seinsformen bestens unterrichtete deut- Ahmadi-Nedschad nicht. Und auch Mos- Ein Osterei Mgung islamischer Türken. Weil das so ist, nicht der Gipfel des Wahnsinns anzuneh- sche Publikum als selbstverständlich zur kau wird skeptischer. Teheran aber über- berichten die Zeitungen alle paar Monate men, man könne die anderen zu unseren Kenntnis nahm. Aber welche Ehre wurde geht die Warnzeichen, brüskiert den Chef für Telefonkunden von einem „Ehrenmord-Prozess“ gegen Dogmen bekehren, indem man sie stän- hier verletzt und welche verteidigt? Was der Atomenergiebehörde und setzt auf den junge türkische Männer in Deutschland, dig durch widerwärtige Verleumdungen bedeutet Ehre, wenn sie nur mit drei töd- Zwist im UN-Sicherheitsrat. Der Sicher- VON THOMAS H. WENDEL die die Gewissheit des Publikums mittels in Empörung versetzt...?“ lichen Schüssen auf die Schwester wie- heitsrat wird das nicht akzeptieren können. Dolch oder Pistole immer wieder auf die Ayhan Sürücü hat seine Schwester Ha- derhergestellt werden kann? Doch selbst wenn es zu keiner Einigung stern ist die rechte Zeit für überra- blutige Weise zu bestätigen scheinen. Be- tun ermordet. Mit drei Schüssen in den Hätte das Opfer, hätte Hatun Sürücü kommen sollte, sind Europa und die USA Oschende Geschenke. Das muss sich der merkenswerter als die Taten ist aber die Kopf tötete er die 23 Jahre alte Mutter ei- als Zeugin vor Gericht erscheinen kön- auch allein in der Lage, zu schmerzhaften Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Bereitschaft der Öffentlichkeit, das von nes kleine Sohnes, nach eigenen Anga- nen, hätte sie vermutlich Folgendes er- Maßnahmen zu greifen. Eines muß Teheran Kurth (SPD), gedacht haben. Er hat deshalb den Tätern behauptete Motiv – die ver- klärt: „Hohes Gericht, für meinen Vater klar sein: Eine atomare Bedrohung kann der Deutschlands Telefonkunden ein besonde- letzte Ehre – ohne zu zögern als wahr zu und für meine Brüder war ich nicht Toch- Westen nicht hinnehmen. res Ei ins Nest gelegt: Von Juni an, entschied unterstellen. Ebenso wie der vermeintli- „Hohes Gericht, ter und nicht Schwester – ich war ein Spie- Kurths Regulierungsbehörde, müsse die che Ehrenmord kann sich diese Gutgläu- für meinen Vater und gel. Fiel ihr Blick auf mich, dann sahen sie Frankfurter Rundschau Telekom die Tarife für die Mitnutzung ihrer bigkeit auf eine lange Tradition berufen. für meine Brüder war sich selbst. Dann sahen sie, dass sie ihre Netze durch Wettbewerber senken. Jean Calas zum Beispiel hat sie am 10. ich nicht Tochter und alte Heimat zwar verloren, in Deutschland Ahmadinedschad hat geprahlt. Es ist nicht Das ist vor allem eine frohe Botschaft für März 1762 mit dem Leben bezahlt. Der 62 aber eine neue nicht gefunden hatten. das erste Mal. Offenkundig ist ein Motiv: jene Kunden, die der Telekom den Rücken Jahre alte, protestantische Familienvater nicht Schwester – Weil sie nicht in der Lage waren, hier ein Dem Sicherheitsrat wurde die Stirn gebo- gekehrt haben. Die Konkurrenten des Kon- wurde in Toulouse – nach gründlicher Fol- ich war ein Spiegel.“ neues Leben zu beginnen, blieben sie zu- ten. Iran ist groß, und wie die Zuhörer skan- zerns müssen schließlich künftig weniger ter – gerädert. Seine Richter hielten ihn rück im alten. So wurden sie Verlierer. Und dierten: Allah ist groß. Was in diesem Fall an den Ex-Monopolisten zahlen. Diese Ein- und seine Familie für überführt, den ältes- sie verloren alles – sie verloren ihren Platz nicht viel mehr ist als ein Ausruf der Begeis- sparungen werden über kurz oder lang bei ten Sohn Marc-Antoine getötet zu haben, ben, nach Überzeugung des Gerichts und in der Gesellschaft, noch ehe sie ihn je ge- terung. Die herzustellen gelingt dem Präsi- den Konsumenten ankommen. Der intensi- weil dieser vom protestantischen zum ka- der Öffentlichkeit, weil er den westlichen funden hatten, sie verloren ihren Platz in denten nicht durch die Verwirklichung sei- ve Wettbewerb auf dem Markt wird dafür tholischen Glauben habe konvertieren Lebensstil seiner Schwester missbilligte der Familie, denn als Patriarch hat ausge- ner Wahlversprechen auf Wohlstand für schon sorgen. Allein bei der Telekom ist das wollen. Schon vor den Richtern hatte die - und die Ehre der Familie beschmutzt sah. spielt, wer nicht nur nicht mehr schützen alle. Dem Nationalismus Futter zu geben ist Gejammer wieder groß. Der Bescheid der überwiegend katholische – Öffentlichkeit Was hat der Fall Sürücü mit dem Fall Calas kann, sondern selbst dringend Schutz einfacher. Die Wirkung ist gleichwohl ver- Netzagentur bedeute Gewinneinbußen von ihr Urteil über Vater Calas gesprochen. zu tun? Anders als dieser hat jener den und Hilfe benötigt, und sie verloren sich heerend. Auf die Fortführung der Anreiche- 200 Millionen Euro binnen drei Jahren, er- Zwar gab es keine schwer wiegenden Indi- Mord tatsächlich begangen; anders als auch selbst – ein Blick auf mich genügte rungs-Experimente hätte das Land verzich- rechneten flink Strategen des Unterneh- zien für einen Mord – tatsächlich stellte Jean Calas hat Ayhan Sürücü die Tat ge- und ihr Selbstbewusstsein zersprang wie ten sollen, bis das UN-Gremium über Sank- mens, dessen Aktie schon lange eine sich der Tod des Sohnes später als Selbst- standen und als Motiv die Konversion sei- ein zerberstender Spiegel. Weil sie ihren tionen befindet. Es besteht aber auf der zi- schlappe Nummer auf dem Börsenparkett mord heraus –, kein Augenzeuge sprach ner Schwester vom Islam zur Shopping- Anblick nicht ertragen haben, zerschlu- vilen Nutzung der Atomenergie und hat da- abgibt. Und natürlich drohte der Konzern gegen den Angeklagten, er selbst galt als Mall behauptet. Aber beide haben die Er- gen sie den Spiegel. Nicht verletzte Ehre, bei, so unbequem das der Außenwelt sein Kurth mit einem Gang zum Gericht. tolerant, zumal in Glaubensfragen. Aber wartungen der Öffentlichkeit vortrefflich ihr vernichtetes Ego gab dazu den Befehl.“ mag, das internationale Nuklearrecht (den Doch statt Geld in Prozessen zu verbren- weil den Protestanten im katholischen bestätigt – Jean Calas durch hartnäckiges So könnte Hatun Sürücü sprechen. Na- Atomwaffensperrvertrag) auf seiner Seite. nen, wäre die Telekom wesentlich besser Frankreich nicht zu trauen, aber ihnen al- Bestreiten der Tat, Ayhan Sürücü durch türlich, das wäre für manchen enttäu- beraten, ihr Angebot attraktiver zu machen. les zuzutrauen war, wurde Calas schon vor das bereitwillige Geständnis des Mordes schend – zu bemerken, dass die meisten So könnte der Konzern das Gros seiner Fest- der Anklage verurteilt.Voltaire hat diesen und vor allem des Motivs. deutschen Türken, zumal junge Frauen, netz-Telefonate nicht mehr wie bisher in Fall seinerzeit bekannt gemacht und die Ein Mord aus verletzter Ehre? Vermut- genug Ego haben, um für die vermeintli- Vier-Minuten-Blöcken abrechnen, sondern Rehabilitierung der Familie Calas erzwun- lich ist das das einzige Motiv, das dem Tä- che Ehre nicht schießen zu müssen. PFLICHTBLATT DER BÖRSE wie die Konkurrenz im Ein-Minuten-Takt. BERLIN-BREMEN Solche Kundenfreundlichkeit würde sich Chefredakteur: Dr. Uwe Vorkötter Stellv. Chefredakteure: Brigitte Fehrle, Dr. Hendrik Munsberg langfristig auszahlen. Und zwar gewiss Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner mehr als jeder gewonnene Prozess, der 200 rstmal vorweg: Ein finanziell abgesi- ist das Besorgnis erregende Fazit der ver- Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, Millionen Euro bringt. Echerter Rentner, der, wie jener, der mir worrenen Wahltage: Dass ungeachtet der Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester, Arno Widmann. neulich begegnete, sich einen Anarcho- Nach den Wahlen vernünftigen Gründe, die jeder italieni- Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. Sozialisten nennt, aus praktischen Grün- sche Bürger hätte – besser: mit Sicherheit Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE den (weniger Steuern) rechts wählt, aber hat – Berlusconis Mitte-Rechts- Regierung Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin beteuert, er hätte gewiss links gewählt, die Piazza abzuwählen, die Hälfte der Bevölkerung (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. O Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina wäre anstelle von Romano Prodi Fausto immer noch hinter dem Cavaliere steht. Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin Bertinotti von Rifondazione Comunista VON AURELIANA SORRENTO Sie hat ihn offenbar nicht für das gewählt, Stemmler. Bild: Jane Dulfaqar. der Spitzenkandidat des Mitte-Links- was er gemacht hat, sondern für das, was Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Moptoddel Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. Bündnisses gewesen – solche Wähler sind er darstellt: einen Mann, der sich über al- O Art Director: Annette Tiedge. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. eine Frau und ich haben ’ne Macke. in Italien keine Seltenheit. Seit der Antike les hinwegsetzt, um das Eigene durchzu- Potsdam: Andrea Beyerlein. MWir reden gern in Reimen. Beim Ge- wird hier der Individualismus als Prinzip setzen. Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja schirrspüler-Ausräumen: „Du besitzt kein kultiviert. Inzwischen ist er so weit gedie- Damit hat der italienische Hang zum Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia Grappaglas?/Dann zählst du nicht zur up- hen, dass ein Individuum mehrere, auf Individualismus eine Volte geschlagen, die Schoeller. per class!“ Schon kugeln wir uns. Wir kön- den ersten Blick inkompatible Seelen in schon einmal für das Land verhängnisvoll Berliner Verlag GmbH nen auch oft gar nicht mehr reden, ohne sich tragen kann, ohne Spuren innerer war: Er hat sich in Personenkult verkehrt. Geschäftsführer: Peter Skulimma. Anzeigenleitung: Oliver Hauf. dass der andere sofort ein geschütteltes Zerrissenheit aufzuweisen. In der Regel ist In diesen Tagen haben Vertreter von Berlu- Vertriebsleitung: Sandra Blühdorn, Stefan Wiegandt. Echo zurückwirft: „Ich: „Guck, da kommt es das Pragmatischste der Seelchen, das sconis Koalition die siegreichen Kontra- Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 die Straßenbahn.“ Sie: „Baßenstrahn?“ Das schließlich Handlungsmacht bekommt – henten vor Racheakten gewarnt, indem www.berliner-zeitung.de/leserservice meiste ist sinnlos, manchmal aber kommt und darauf kommt es an. Auf das Politi- sie das Gespenst der Piazza Loreto be- Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; auch etwas echt Komisch-Verschrobenes sche übertragen: Koalitionen der dispara- schworen. Auf der Mailänder Piazza wur- Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- zeitung.de raus. Glücksmomente nach 20 Jahren Ehe. testen politischen Kräfte sind in Italien PRIVAT den einst die Leichen Mussolinis und sei- Ich: „Na, was macht der Rittmeister?“ – keine Sache der Unmöglichkeit, sondern ner Geliebten vom aufgebrachten Volk Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 Sie: „Mit reist er!“ In der Stadt steht ein fet- eine Notwendigkeit. Hauptsache, das kopfüber gehängt. Soweit wird es wohl Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 18, gültig seit 1.1.2006. ter BMW, Typ mit Sonnenbrille, Goldkett- scheckige politische Subjekt verfügt über rungsgegnern, Radikal- Liberalen und Li- nicht kommen, bis sich Italien vom Berlu- Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 chen. Sie: „Russenmafia“ – Ich: „Mussen raf- einen Kopf, der ausgleichend wirkt. beralsozialisten ein recht vollständiges sconi-Kult auskuriert hat. Aber Berlusco- Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich fia!“. Beim Essenmachen, ich: „Unser guter Es ist daher müßig, sich über die kun- Spiegelbild der italienischen Gesellschaft nis Haften an der Macht, die Hetze Tau- 18,40 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 21,40 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 21,75 ! (nur in Berlin und Branden- Curryhahn …“ – Sie: „… flog davon im Hur- terbunte Zusammenstellung des Mitte- abgeben, die sich jetzt zusammenraufen sender Berlusconi-Anhänger gegen die burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 10,95 !, außerhalb von rikahn!“ Am schlimmsten war’s, als die Kin- Links-Bündnisses, das nun Italien regie- muss, will sie aus den Ruinen herausfin- angeblichen linken Wahlfälscher stimmen Berlin und Brandenburg 11,95 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- zin tip 13,20 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- der eine Serie sahen, in der es darum ging, ren sollte, Sorgen zu machen. Romano den, die fünf Jahre Berlusconi zurückge- nachdenklich. Piazza Loreto? Momentan beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- Mädchen zu Mannequins aufzustylen. Ich Prodi, der parteilose Führer der Allianz, ist lassen haben. Der Haken ist nur: Dieses sieht man einen Noch-Premier, der die anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte rief: „Kleid’ di um – wie Heidi Klum!“ Meine zwar keine charismatische Persönlichkeit, Mitte-Links-Kunterbunt gibt bloß das Massen auf der Piazza anstachelt, weil er Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- Frau schrie: „Und werd’ aus einem Moptod- aber ohne Zweifel ein geschickter Modera- Spiegelbild der einen Hälfte der Gesell- seine Niederlage nicht eingestehen will. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. del – zum Topmodel!“ Wir brüllten. Die Kin- tor. Und genau besehen könnte dieses schaft wider. Die andere Hälfte hat Berlu- Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen der blickten furchtsam und verließen Mitte-Links-Bündnis, mit seinen Ex- sconi gewählt. Sie hat ihn gewählt – trotz unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. Die Berliner Zeitung hat gemäß der unabhängigen Mediaanalyse 2005 schnell den Raum. Ich glaube, wir müssen Christdemokraten, Ex- und Neo- Kommu- des institutionellen und ökonomischen Aureliana Sorrento (35) ist italienische Journa- täglich 446 000 Leser und ist damit Berlins größte Abonnementzeitung. mal zum Psychologen. Torsten Harmsen nisten, Sozialisten, Pazifisten, Globalisie- Desasters, das er zu verantworten hat. Das listin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII aus Berliner Zeitung vom 06.05.2006 Das andere Italien Berlusconi ist abgewählt, aber eine Rückkehr zu den guten alten Zeiten scheint illusorisch

Von Aureliana Sorrento

Es muss sich wohl um ein Missverständnis die der ersten Gruppe zugehörten und zirka die handeln, denke ich seit Wochen jedes Mal, wenn mir Hälfte der Dreißig- bis Vierzigjährigen von heute zum Ausgang der italienischen Parlamentswahlen ausmachen, ähnlich aufgewachsen sind. Dass ihnen gratuliert wird. Dazu, dass mein Heimatland den allen "Bella Ciao" als Schlaflied in die Wiege Cavaliere, diese für Nord-Europäer zwar höchst gesungen und ein paar Jahre später bei besonderen amüsante, zu feuilletonistischen Höhenflügen Anlässen ein rotes Tuch um den Hals gebunden anregende, zur Bestätigung aller Italien-Klischees wurde. So geschmückt und selbst rot vor lauter Stolz immer gute, aber ihrer Lächerlichkeit und ihrer marschierten sie dann auf Papas Schultern auf jeder Prozesse wegen leider ziemlich peinliche Figur, Demo mit und hielten sich bei den Feste dell'Unità endlich losgeworden ist. Nun, ja, es stimmt, jetzt die Ohren zu, wenn die Songs der linken können wir aufatmen. Vorerst. Vorerst können wir Liedermacher aus den Boxen dröhnten. uns einen Augenblick in dem frommen Glauben Spätestens mit zwölf wurde ihnen vermutlich Leo wiegen, dass nach Berlusconis Niederlage nun der Trotzkis "Geschichte der russischen Revolution" in Weg frei sei für die Rückkehr zur Normalität. Selbst die Hand gedrückt, Ignazio Silones und Cesare wenn diese Normalität auf Grund der natürlichen Paveses Romane, auf dass sie die Wahrheit über Ordnung der italienischen Dinge aus dem Faschismus, Weltkrieg und Partisanenkampf sprichwörtlichen Polit-Theater bestehen soll. Jener rechtzeitig erfuhren und "endlich aufhörten, Bühne, auf der parlamentarische Repräsentanten realitätsverzerrende Romantik zu lesen". 1984, als nichts Wichtigeres zu tun zu haben scheinen, als sich Enrico Berlinguer, der KP-Chef, starb, da waren sie um Posten und Pöstchen zu zanken, an längst aufgeklärt über den Eurokommunismus, über pseudoprogrammatischen Halbsätzen zu wetzen Pro und Contra des "historischen Kompromisses", oder in großmütiger Pose im Rampenlicht Verzicht zu mit dem Berlinguers PCI der Democrazia Cristiana üben, um -machiavellisch, wie es sich gehört, und im "die Hand reichte". Da wussten sie auch, dass es Halbdunkel, wie eingeübt - Deals auszuhecken, von leider leider gar nicht koscher und auch nicht wirklich denen die Öffentlichkeit zunächst nichts erfahren kommunistisch zuging im kommunistischen darf. Back into the past. So unkt der Mutterland UdSSR. Die Fernsehbilder der "Economist". Und eine Sekunde noch können wir uns Menschenmassen, die vor Berlinguers Bahre in Sicherheit wähnen, wenn wir das bestens schluchzend die Faust streckten, der Anblick der informierte Blatt aufschlagen und lesen, dass, nach Eltern, Onkel und Tanten, die fassungslos den den ersten Schritten der Prodi-Koalition zu urteilen, Fernseher anstarrten, stellten einen wesentlichen Teil Italien in die Vergangenheit abzurutschen droht. In ihrer sentimentalen Erziehung dar. Die PCI, die manchen Lebenslagen ist selbst der kritischste Kommunistische Partei Italiens, war damals, trotz Außenblick der beste Trost. Ob wir ihn, schon aus aller Abspaltungen, immer noch die Alma Mater der Gründen der seelischen Hygiene, noch ein wenig Linken - eine, an der man sich reiben, mit der man auskosten sollten? Weil uns der Schrecken noch im sich aber, Berlinguer sei Dank, auch identifizieren Nacken sitzt und der Gedanke, alles möge wieder konnte. Als hätte man geahnt, dass sein Tod ihren seinen gewohnten, wenn auch holprigen und Niedergang einläutete, trauerte man auch um sie bei unerquicklichen Gang gehen, auf jeden Fall seiner Beerdigung. Zu ihr hatte man eine emotionale beruhigend wirkt? Back into the past? Schön wär's. Beziehung. Um die Partei-Ideologie, die in Italien In der nicht mal allzu entfernten Vergangenheit war ohnehin dauernd gerupft, umgewälzt und die Welt südlich der Alpen noch sauber und überarbeitet wurde, kümmerte man sich viel weniger. wohltuend klar getrennt: Auf der einen Seite war man "Der Kommunismus waren wir", hat ein italienischer links, auf der anderen rechts. Eine Konfrontation, in Schriftsteller gesagt, der 1969 vor den Toren einer der sich zwei Kultur-Welten gegenüberstanden, und FIAT-Fabrik als Streikposten gewacht hatte. Die die einen entscheidenden Vorteil mit sich brachte: Nachfolge-Generation kannte den Kommunismus Jeder wusste, wo er hingehörte, was er sollte und zuallererst als Credo ihrer Großfamilie. Hätte jemand wer er war. Auf der einen Seite waren jene, die 1968- diese Nachfahren gefragt, wo er ansonsten zu Hause 69, wenn sie nicht selbst an den Streikposten vor den sei, hätten sie ohne Zögern "In Bologna" geantwortet. FIAT-Toren in Turin und an den Nicht, weil der Regisseur Nanni Moretti die Stadt zur Basiseinheitskomitees in Mailand teilnahmen, auf Kapitale ihrer familiären Utopia auserwählt hat. Dies jeden Fall mit den Arbeitern und Studenten ist erst in seinem halbdokumentarischen Film "Aprile" mitgefiebert hatten. Auf der anderen waren die, die geschehen, als die Berlusconi-Ära schon jeden Sonntag in die Kirche gingen, Beichte ablegten angebrochen war, Utopia endgültig verloren und und die Kommunion empfingen. Es ist nicht "Nach Bologna" tatsächlich schon wie Tschechows abwegig anzunehmen, dass die Kinder derjenigen, "Nach Moskau, Moskau, Moskau...!" klang. In Moskau gab es keine echten Kommunisten mehr, zwischen dem linken und dem rechten Italien im dafür wiegelte der Cavaliere Berlusconi zur Jagd auf Alltag als Kultur-Kampf. Indem man dem Freund und Kommunisten-Gespenster in Italien auf. In jener politischen Gegner die einschlägigen Werke ferneren Zeit aber, als noch die natürliche Ordnung schenkte, und, mit ihm bei Tisch, die besseren der Dinge waltete und Italien sauber geteilt war, Argumente servierte, setzte man sich für die passte Berlinguers historischer Kompromiss viel Kulturhegemonie nicht nur angenehmer, sondern besser in die Erfahrungswelt der italienischen Linken auch wirkungsvoller ein als durch Anfeindung. als jede dogmatische Abgrenzung. Denn die andere, Geradezu kuriose Formen nahm der Kultur-Kampf breitere, rechte Seite des Landes, die sich der Linken dann an, wenn es um die Kindererziehung ging. entgegenstellte, bildeten damals Christdemokraten. Wurden etwa die Kommunisten-Kinder von den Zumindest waren diese die einzigen Christdemokraten-Kindern zu einem Tischtennisspiel ernstzunehmenden (und regierenden) politischen im Hof des Gemeindezentrums eingeladen, dem Gegner. Bei aller Dissonanz und trotz des Anscheins unausweichlich ein biblischer Vortrag folgte (vom unüberwindbarer Unterschiede kamen sie und die Pfarrer höchstpersönlich oder von einer Nonne), war Linken sehr gut miteinander zurecht. Freilich daraufhin der häusliche Vortrag darüber, dass und wurden kurz vor Wahlen die gegensätzlichen warum Jesus nicht Gott, sondern der erste Weltbilder immer wieder betont. Die Kirche, die die Kommunist der Menschheitsgeschichte gewesen sei, Christdemokratische Partei unterstützte, propagierte auch nicht zu vermeiden. Die politischen die abstrusesten Kommunisten-Märchen Differenzen in Sachen Kindererziehung machten sich allwöchentlich. Auch hatte sich Giulio Andreotti, der auch an anderer Stelle bemerkbar. Während siebenmalige DCI-Ministerpräsident, auf der linken überzogene Konsumwünsche im linken Lager Seite der italienischen Sphäre schon früh einen regelmäßig mit dem Satz abgeschmettert wurden: Namen als Obermafioso gemacht; weshalb es "Ist es dir klar, dass das Ding ungefähr soviel kostet, ratsam war, das Gespräch nicht auf ihn kommen zu wie ein FIAT-Arbeiter im Monat verdient?", durften lassen, wenn Vertreterdes linken und des rechten unsere Schulkameraden aus dem Christdemokraten- Italiens zusammentrafen. Dennoch: Sie trafen Lager schamlos konsumieren. Zumindest aber zusammen - und sie sprachen miteinander. Nicht nur: Konsumwünsche äußern, ohne sich Gedanken über Über die politischen Grenzen hinweg gingen die die Gehälter der FIAT-Beschäftigten machen zu freundschaftlichen Verhältnisse manchmal so weit, müssen. Deshalb waren die Ersteren auf Letztere dass man Weihnachten und Ostern, Geburtstage, neidisch. Diese wiederum beneideten Erstere dafür, Hochzeiten und Taufen zusammen feierte. Und hatte dass ihnen fast alles erlaubt war, außer unpolitisch man sich über das jüngste politische Ereignis ein und faul zu sein. Früh hatten sie gelernt, autoritäre paar Stunden hitzig gestritten, dann legte man Anwandlungen der Eltern mit der Anmerkung zu Kubricks "Clockwork Orange" in den Videorecorder kontern: "Despotisch führst du dich gerade auf. Das oder einen Tango auf den Plattenspieler - schon ist völlig gegen deine Prinzipien!" Und wenn der kehrte Ruhe ein. Der Katho-Kommunismus ist Einwand beleidigte Mienen und endlose keineswegs eine Erfindung der "Don Camillo und Diskussionen nach sich zog, waren diese Peppone"-Filmer gewesen. Für dieses im Unannehmlichkeiten durchaus erfreulicher als ein Grunde ziemlich friedliche Miteinander gab es vom Gottesgesetz gebotener Gehorsam. Aber sich schlichte historische Gründe. Hatte die gegenseitig wegen Jesus, Marx, Togliatti oder des Kommunistische Partei Italiens dank ihrer Pfarrers anzukeifen, oder ob der kirchlichen flächendeckenden Untergrundorganisation den Sexualmoral etwa - auf die Idee wären Linke und antifaschistischen Widerstand nach 1943 am besten Rechte samt Nachkommen damals nie gekommen. koordinieren können, so hatten auch Das entzweite Italien, das ich 1992 verlassen habe, Christdemokraten, Sozialisten, Republikaner, war, obgleich es niemand merkte, eine Idylle. Dieses Liberale sowie kleinereGruppierungen gegen die Land kannte Armut, Arbeitslosigkeit, Arbeiterkämpfe, deutschen Besatzer und die Faschisten der Saló- Analphabetismus, Mafia-Kriege, Republik gekämpft. Die republikanische Geheimdienstaffären, Rechts- und Links- Nachkriegsverfassung - war sie etwa nicht als Extremismus, terroristische Bombenanschläge, gemeinsames Werk aller politischen Kräfte Banken- und Korruptionsskandale, Geheimlogen, entstanden, die sich gegen den Faschismus in den Putschversuche und so weiter. Es kannte aber auch Nationalen Befreiungskomitees einen Konsens der Sprache. Diesseits und jenseits zusammengeschlossen hatten? Und hatte nicht der Trennlinie, die sich zwischen den politischen schon Antonio Gramsci, der Gründer der Blöcken und gesellschaftlichen Lagern entlang zog, Kommunistischen Partei Italiens, einen gab es eine Sprache - eine gemeinsame - in der alles Zusammenschluss aller progressiven Kräfte der verhandelt wurde: politische Ziele sowie italienischen Gesellschaft angestrebt? Vom Alltagsfragen, das Tagesgeschehen und die Stalinismus hielt er gar nichts, geschweige denn vom Weltanschauung. Ob der Vehemenz vielleicht, mit dogmatischen Sektierertum. Hauptsache, es gelang, der diese Sprache manchmal verwendet wurde, fiel eine "Kulturhegemonie" zu errichten. So, ganz es damals niemandem auf, dass es auch ein anderes nach Gramsci, gestaltete sich der politische Kampf Italien gab. Eines, das nicht zur Sprache kam. Das man nicht zu Wort kommen ließ. Bis 1992, solange politische Bühne zu treten. Ein Prometheus für all das bewährte Parteiensystem der Nachkriegszeit jene, denen man bis dato nicht die Spur einer Bestand hatte, war es ein Leichtes, dieses andere politischen Idee zugetraut hatte. In der Tat brachte er Italien zu ignorieren. Im Süden Italiens nannte ihnen das Feuer zum Leuchten. Die Ära der "cafoni man sie "cafoni rinisciuti". Eine abfällige rinisciuti", der arrivierten Berghirten, begann. Nicht Bezeichnung, die ungefähr "arrivierte Berghirten" nur auf Sizilien, wo der neue Mann - sei es mit oder bedeutete und für einen unzivilisierten und ohne Hilfe der Mafia - plebiszitäre Wahlerfolge arroganten Menschenschlag stand, der allerdings erzielte. Auf den ersten Blick änderte sich nichts nicht nur im Süden verbreitet war. Zu der Spezies außer den Schlagzeilen der Zeitungen. Denn zählte man die Nachbarn, die ihre Wohnung mit Berlusconi hatte schon in den Achtzigern buntem Marmor ausgekleidet hatten, die eigene angefangen, Italien zu ändern. Vom Italien, das mit Türschwelle täglich blitzeblank scheuerten, aber ihm heraufzog, lieferte Federico Fellini im Jahre 1985 ihren Müll vom Balkon aus direkt auf die Straße ein visionäres Bild. "Ginger e Fred", in dem Giulietta warfen. Wenn man sie darauf hinwies, dass das Masina und Marcello Mastroianni ein rührendes Ergebnis ihres Müllentsorgungsverfahrens ziemlich alterndes Tänzerpaar spielen, das in die Räder des unappetitlich war, und dass vor dem Haus Massenfernsehwahns gerät, war nicht mehr der Müllcontainer standen, belferten sie, die Straße sei überbordenden Fantasie eines Genies der Groteske schließlich öffentlicher Grund, mit welchem sie geschuldet - es war wieder Neo-Realismus. An machen dürften, was sie wollten. Und wehe, man die allenthalben laufenden, Nonsens schallenden würde sich noch einmal in ihre Angelegenheiten Fernseher hatte man sich anfangs der Neunziger einmischen! Dazu hatte wahrlich niemand Lust. bereits gewöhnt. Oder die Neurose entwickelt, beim Genauso wenig interessierte es jemanden, in Betreten eines Raumes, so weit es ging, alle Erfahrung zu bringen, was diese Menschen trieben, Fernseher auszuschalten. Für mich, die ich an dachten oder gar: was für eine Partei sie wählten. dieser Art Nationalneurose seit der Pubertät leide, Gelegentlich wunderte man sich über die wurden die Veränderungen nach 1992 bei meinen Reichtümer, die sie offensichtlich anhäuften, denn Familienbesuchen in Rom erst langsam merklich. gerne stellten sie schwarze BMWs, Nerzpelze und Solange ich mich in meinem vertrauten Kreis aufhielt, viel Gold zur Schau. Aber auch darüber zuckte man schien das Leben so weiterzulaufen wie bisher. die Schultern. Mit "denen da" wollte man nichts zu Sicher, die Zeitschrift "Avvenimenti", an der ich früher tun haben. Und dass sie niemals eine politische Rolle mitgearbeitet hatte, konnte den Berlusconismus nicht spielen würden, war eine ausgemachte Sache. Man überstehen. "Avvenimenti" wurde Ende der konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie an der Achtziger von einer Gruppe von Alt-Kommunisten um Politik irgendein Interesse hegten. Das Einzige, das den ehemaligen Moskau-Korrespondenten Claudio man "denen da" zutraute, war Geldgier. Also: Bloß Fracassi gegründet. Freilich waren sie Alt- immer auf Abstand halten, lautete die Devise. Die Kommunisten im italienischen Sinne: solche, die gleiche Haltung, die man gegenüber Faschisten und Gorbatschows Kurs befürworteten, aber die Mafiosi einnahm. Anfang der Neunziger ging das Wandlung der PCI in die neue "Linksdemokratische gesamte Parteiensystem Italiens baden. Die Partei" nur mit Bauchschmerzen hinnahmen. Als die Kommunistische Partei schwor ihrer Vergangenheit Berliner Mauer fiel, knallten in der Avvenimenti- ab, änderte ihren Namen und ihr Symbol und Redaktion die Korken. Franco Fracassi, der in mutierte quasi über Nacht zu einer Moskau aufgewachsene Sohn des Chefredakteurs, sozialdemokratischen Partei à la Blair. Die der dort die Funktion eines Schlussredakteurs, Democrazia Cristiana, die Sozialistische Partei und Reporters, Archivars, Quellenjägers, kurz des ihre Verbündeten zerbrachen in einer Reihe von journalistischen Faktotums übernommen hatte, war Korruptionsskandalen. Während ein neuer Wind zu an jenem 9. November so aus dem Häuschen wehen schien, der die verkrusteten und korrupten geraten, dass man ihn überhaupt nicht gebrauchen Strukturen der so genannten "Ersten Republik" konnte. Er hüpfte um die anderen an den wegfegen sollte, entstand ein Vakuum, in dem die Schreibtischen herum, sang laut vor sich hin und lud alten Koordinaten nicht mehr galten. Rechts? Links? alle zum Tanz oder zur sofortigen Abreise auf. Wäre Die Staatsanwälte des Mailänder Pools Mani Pulite es nach ihm gegangen, hätte die gesamte Redaktion bewiesen, dass nicht das Politische, sondern das vom Zentrum Roms nach Berlin-Mitte gebeamt private Interesse der höheren Polit-Chargen fast werden müssen, damit sie alle am Zerklopfen der fünfzig Jahre lang Italien beherrscht hatte. Das Mauer eigenhändig mithelfen können. Aber die Resultat war ein Land in der Führungs- und "Avvenimenti"-Gründer hatten sich vorgenommen, Identitätskrise, aber von der Aussicht berauscht, die Majorität der Italiener, die statistisch nur fernsah - endlich würde Gerechtigkeit geschaffen. Jenseits und nur fernsieht -, durch einen für Italien neuen der Parteien, weit weg von der Politik. Der erste Journalismus britischer Prägung (das heißt durch Theatercoup des Silvio Berlusconi, der sein zwar politische, aber für alle verständliche Artikel) in Fernsehimperium auf der Männerfreundschaft mit ein Volk von Zeitungslesern und Berlusconi-Gegnern Sozialistenchef und Ministerpräsident Bettino Craxi zu verwandeln. Da aber das Gros des gegründet hatte, war es, als Unpolitischer auf die Werbeaufkommens, das unter den italienischen Medien verteilt werden kann, von Berlusconis Firma lassen) jenen "Idioten eines kommunistischen "Pubblitalia" kontrolliert wurde, bekam "Avvenimenti" Widerstandskämpfers" vor Gericht gezerrt?, fragte keine Werbeaufträge, dafür Drohungen und einer. Durch seinen "terroristischen Anschlag" hatte Unterlassungsklagen zuhauf. Die Zeitschrift wurde der Idiot Priebkes Vergeltungsaktion ja erst eingestellt. Als eine Mitarbeiterin der ersten Stunde provoziert. Erschießen sollte man die zu "Il sole 24ore" wechselte, dem Blatt des kommunistischen Idioten. Sofort. Mitsamt den Industriellenverbands Confindustria, wurde auch mir Gewerkschaftern, die das Land in den Abgrund klar, dass sich Italien stark verändert hatte. Als treiben würden. Es war kein Parteikader, der so ich einmal eine Silvesterparty im Haus meiner Eltern sprach, sondern nur ein Parteigänger, und er meine in Rom veranstaltete, kam es zum Eklat. Da ich alles, sagte er, nur als Scherz. Den Studenten, mittlerweile in Deutschland lebte und nur die denen ich im März dieses Jahres im römischen Weihnachtsferien zu Hause verbrachte, hatte ich die Hauptsitz der Forza-Italia-Jugend begegnet bin, war Party-Organisation samt Gästeliste meinen aber gar nicht nach Scherzen zu Mute. Sie meinten römischen Freunden überlassen. Und da ich an dem es ernst, als sie behaupteten, die "Linke" hätte Abend noch andere Gäste vom Bahnhof abholen "unsere Jugend" verdorben, sie zum musste, kam ich selbst erst zu der Party, als die Drogenmissbrauch angestiftet, sie den Hass auf meisten Gäste schon eingetrudelt waren und meine Leben, Kirche, Familie und "gerechte Konkurrenz" Mutter das Essen herumreichte. Zu meinem gelehrt. Nur Silvio Berlusconi könne Italien vor dem Erstaunen war mein Vater nicht in Sicht. Nach einem Werteverfall retten. Und jeder, der gegen ihn sei, sei langen Hin und Her verklausulierter Botschaften, die gegen das Gute. Im März war es noch möglich mir Mutter und Schwester in verärgertem Ton zu denken, solche Überzeugungen würde nur eine zukommen ließen, verstand ich, dass er sich in Minderheit der Italiener hegen, so blinder Eifer nur seinem Zimmer eingesperrt hatte. Der Grund, so ein Häuflein umtreiben. Der 10. April hat aber alle Mutter, waren zwei Gäste, die ich nicht hätte einladen eines Besseren belehrt. Nicht vor dem Herrn mit dem dürfen. Einen solchen Satz hatte ich von meinen transplantierten Haaransatz bekamen wir an diesem Eltern noch nie vernommen. Weder Asyl-Suchende Tag kalte Füße. Die Null vor dem Komma, die über aus Tallin, noch Heroinsüchtige auf Entziehungskur das Wahlergebnis entschied, versetzte uns einen hatten sie je aus der Ruhe bringen können. Schock. Es war jene Hälfte Italiens, von der wir bis Gastfreundschaft genoss bei ihnen jeder. Also suchte vor kurzem nichts wussten. ------ich unter den Gästen den Casus belli, um ihn mir - Foto (2): Anhänger Berlusconis im März diesen genau zu besehen. An den zwei Inkriminierten Jahres beim Wahlkampf in Neapel. Das Land konnte ich aber, außer einem etwas eigentümlichen dramatisch verändert. Berlusconi nach einem Geschmack, nichts Besonderes feststellen. Sie Fernsehauftritt im Februar 2006 in Rom. trugen künstlich schimmernde dunkle Anzüge, Italien ( I ) Silvio Berlusconi Innenpolitik kleinkarierte Hemden und goldene Uhren auf den Allgemeines Länder-Porträt Männliche Person Manschetten. Die unerhörte Reaktion meines Vaters Reportage war erst einmal ziemlich rätselhaft. Vor zirka einem Jahr besuchte ich zum ersten Mal eine Versammlung von Anhängern der Berlusconi-Partei Forza Italia. Und da traten sie in Scharen auf, Braungebräunte jeden Alters in künstlich schimmernden dunklen Anzügen, karierten Hemden und mit goldenen Uhren auf den Manschetten. Es muss wohl in den Kreisen eine Art Uniform sein, dachte ich. "Aus welchen unterirdischen Höhlen sind all die Leute auf einmal hervorgekrochen?", fragte ich mich. Sie witzelten ununterbrochen. Über Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter, über Homosexuelle, Kommunisten, Frauengruppen und Partisanenvereine, über moslemische Einwanderer und Moslems im Allgemeinen, über Historiker, Staatsanwälte, Antimafia-Richter und "linke Unternehmer". In ihren Witzen hießen all diese Kategorien von Bürgern "die Linken" und landeten alle beisammen vor einem Erschießungskommando. Erschießen schien da ohnehin ein beliebtes Wort zu sein. Und offensichtlich war die Geschichte des 20. Jahrhunderts extra für diese Menschen komplett neu geschrieben worden. Warum hatte man nicht statt Erich Priebke (ein SS-Offizier, der während der Besetzung Italiens 335 Zivilisten hatte erschießen 4 * Berliner Zeitung · Nummer 117 · 20./21. Mai 2006 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Zum Rechtsextremismus in Deutschland be- Verdi müsste merkt die Berliner dankbar sein Tageszeitung

VON THORSTEN KNUF Es gibt in Deutschland Gegenden, in denen Schwarze um Fußballplätze und Bahnhöfe ehr als drei Monate hat der Streik im besser einen großen Bogen machen. Solche MÖffentlichen Dienst der Länder ge- No-go-Areas liegen keineswegs nur, aber dauert. Gestern Abend stimmte die Ge- vor allem im Osten. Dass sich Nichtdeut- werkschaft Verdi einem Kompromiss zu, der sche oder nichtweiße Deutsche dort kaum eine deutliche Abweichung von der 38,5- gefahrlos bewegen können, ist ein Skandal – Stunden-Woche nach oben festschreibt. und nicht, dass Ex-Regierungssprecher Dennoch muss Verdi den Arbeitgebern fast Uwe-Karsten Heye dies kritisiert hat. Doch dankbar sein: Sie haben die Gewerkschaft mal wieder verteidigen ostdeutsche Politi- zwar lange vorgeführt, sie aber am Ende ker wie Matthias Platzeck das Ansehen ihres nicht gedemütigt. Landes. Der brandenburgische Innenmi- Die Länder sind Absprachen eingegan- nister Schönbohm meint sogar, dass solche gen, die den Flächentarif weitgehend erhal- Gegenden schlicht nicht existieren. Im Be- ten. Verdi kann seinen Mitgliedern sagen, richt des Brandenburger Verfassungsschut- der Kampf habe sich deshalb gelohnt. Doch zes von 2005 werden 17 Orte aufgezählt, an es hätte auch anders kommen können: Die denen rechtsextreme Subkulturen aktiv Arbeitgeber wissen, dass Verdi stark in den sind, die spontan auf alles losgehen, was Kommunen, aber schwach in den Ländern anders aussieht als sie selbst. Vorgestellt hat ist. Dort kann die Gewerkschaft mit Streiks den Bericht übrigens Jörg Schönbohm. nur geringen Druck erzeugen. Die Länder hätten den Arbeitskampf noch lange aus- Den von der neuen italienischen Regierung halten und dem Flächentarif den Garaus angekündigten Rückzug der Truppen aus machen können. Es ist bekannt, dass einige dem Irak kommentiert die Londoner Tages- Ministerpräsidenten genau danach trach- zeitung ten. Spätestens bei der kommenden Tarif- runde wird sich die Frage nach der Zukunft The Guardian des Flächentarifs wieder neu stellen. Dieses Mal haben sich die Länder noch BND beendet Überwachung von Journalisten Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller Romano Prodis Ankündigung zum Trup- anders entschieden. Aus gutem Grund. Jetzt penabzug aus dem Irak kam nicht überra- können sie den nächsten Gegner zappeln schend. Der neue Ministerpräsident hat lassen: den Marburger Bund, der gerade die dies in seiner ersten Rede seit der Regie- Ärzte an den Universitätskliniken und Lan- rungsbildung angekündigt und so die deskrankenhäusern streiken lässt. Mit dem O Dringlichkeit seiner Entscheidung betont. Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst ha- Es ist von Bedeutung, dass der Ministerprä- ben die Arbeitgeber ein formidables Druck- Alles muss raus sident eines Landes, das bislang zur „Koali- mittel in der Hand. Schließlich vertritt Verdi tion der Willigen“ im Irak-Konflikt gehörte, auch Klinikärzte – und auf zwei grundver- VON BRIGITTE FEHRLE das Vorgehen im Irak als „schweren Fehler“ schiedene Tarifverträge für dieselbe Berufs- bezeichnet. Prodi will die italienische Au- gruppe werden sich die Länder kaum ein- eheimdienst und Demokratie und Kritiker des Bundesnachrichten- Grauzone entweder nicht verstanden ßenpolitik wieder mit den Europäern ab- lassen müssen. sind ein Widerspruch in sich. Die dienstes Schmidt-Eenboom. Er glaubte, oder verinnerlicht. In der Grauzone ge- stimmen, statt wie sein Vorgänger Berlusco- Demokratie lebt von Öffentlich- mit dem BND – wie er es nennt – Katz- deiht die Komplizenschaft. Dort wird man ni mit den Amerikanern. Prodi hat offen ge- keit und Transparenz. Die Ge- und-Maus zu spielen. Er merkte gar nicht, zum Mittäter. Nur wer sich als solcher sagt, wie er über den Irak-Konflikt denkt, Verschleppung auf Gheimdienste vom Dunkelland und dem dass er die Maus und nicht die Katze war fühlt, wird die Geheimhaltung der Akten und damit vielen in Europa aus dem Her- Verschweigen. Geheimdienste haben in und diese ihm längst das Genick gebro- fordern. Jeder andere Journalist muss an zen gesprochen. Argumente wie, „wir müs- Vertragsbasis der Demokratie nur deshalb eine Berech- chen hatte. Es gibt andere, möglicherwei- Öffentlichkeit interessiert sein. Nur so sen den Job zu Ende bringen“, überzeugen tigung, weil die Demokratie Feinde hat. se auch welche, die wir noch gar nicht können persönliche Integrität und der Ruf niemanden mehr. VON ROLAND HEINE Diese Feinde aufzuspüren, sie zu beob- kennen, die die Trennschärfe zwischen der gesamten Branche gewahrt werden. achten und an ihrem Tun zu hindern, ist Recherchieren und Benutztwerden für Nur so können wir lernen, wie die Dienste Das verschärfte französische Ausländerge- ndlich: Das UN-Komitee gegen Folter ihre Aufgabe. Dafür brauchen sie einen sich selbst verwischt haben. Aus niederen arbeiten, zu welchen Mitteln sie greifen. setz und dessen mutmaßliche Folgen kriti- Ehat die USA aufgefordert, ihr Gefange- gewissen Geheimnisschutz. Und damit Motiven oder aus Idealismus oder einfach Das Argument, es stünde auch viel Fal- siert die Pariser Tageszeitung nenlager Guantanamo auf Kuba sowie sind wir in einer Grauzone mit unzähligen aus Unerfahrenheit und Naivität. In der sches in den Akten und das müsse korri- sämtliche Geheimgefängnisse im Ausland Schattierungen angelangt. Jeder, der sich giert werden, ist seinerseits falsch. Dieses „Libération“ zu schließen. Die Häftlinge müssten entwe- mit den Geheimdiensten mehr als theore- Argument wird seit 16 Jahren von den der freigelassen oder vor Gericht gestellt tisch beschäftigt, ist darin verwoben. Journalisten können Gegnern der Öffnung der Stasi-Akten ver- Frankreich wird ab dem 30. Juni ein merk- werden, verlangt der Ausschuss. Zudem sei Journalisten sind eigentlich die natürli- und dürfen aber wendet. Und schon in diesen Fällen war würdiges Land werden: Tausende von Kin- die Anwendung aller Verhörtechniken, die chen Feinde der Geheimdienste. Journa- für sich selbst keine und ist es ein Hilfsargument. Denn auch der werden dann im Untergrund leben. Sie auf Folter hinausliefen, zu unterbinden. listen wollen herausfinden, was Geheim- Sonderregeln fordern. das Falsche sagt etwas Richtiges. Es erklärt werden sich verstecken, um nicht aus Der Bericht ist eine schwere Niederlage dienste verbergen wollen. So weit ist die die Arbeit der Dienste, ihre Irrungen und Frankreich ausgewiesen zu werden – dem für die Bush-Regierung, die in der Vergan- Sache einfach. Aber auch Journalisten, die Jedenfalls nicht Wirrungen. Jede Korrektur an dem Bericht Land, in dem sie geboren wurden – denn genheit relativ erfolgreich dabei war, derart sich den Geheimdiensten nähern, bege- unbeschadet. wäre eine Zensur. ihre Eltern werden ohne Aufenthaltserlaub- klare Stellungnahmen durch UN-Institutio- ben sich in die Grauzone zwischen Öffent- Wer in der Vergangenheit wissen woll- nis nicht mehr bleiben dürfen. Doch über- nen zu verhindern. Besonders wichtig ist, lichem und Geheimem. Es wäre eine Illu- te, was Helmut Kohl am Telefon gespro- all in Frankreich organisiert sich, ausge- dass der Ausschuss seine Kritik an den USA sion zu glauben, dass jeder Journalist mit Grauzone ist man allein, und es kann chen hat, in welcher Weise Gregor Gysi hend von den Klassenzimmern, eine Welle nicht auf das Stichwort Guantanamo be- allem, was er erfährt oder weiß, sofort auf schnell geschehen, dass man die Orientie- mit dem DDR-Geheimdienst kungelte, der Solidarität und dahinter stehen oft die schränkt, sondern den systematischen den Marktplatz rennt. Recherchen bei Ge- rung verliert. wie oft die CIA über Deutschland geflogen Klassenkameraden dieser Kinder. Innenmi- Charakter der Menschenrechtsverletzun- heimdiensten bedürfen in gewisser Weise Weil das alles so ist, muss der Bericht ist oder wie Menschen in den Terrorver- nister Nicolas Sarkozy versteckt sich hinter gen durch die USA deutlich werden lässt. der Geheimhaltung. Nicht nur Quellen, über die Bespitzelung von Journalisten dacht kommen können, der muss auch seiner verwaltungstechnischen Logik, der Und der Bericht zwingt abermals dazu, also Informanten, müssen geschützt wer- durch Journalisten an die Öffentlichkeit. zulassen, dass die Öffentlichkeit erfährt, Logik der Zahlen von Abschiebungen, die er über die Rolle der Europäer im Allgemeinen den durch Geheimhaltung. Manch einer Er muss in allen Teilen und ohne Ein- wie und warum und von wem Journalis- morgen den Wählern präsentieren will. und die der Bundesrepublik im Besonderen schreibt auch etwas nicht, obwohl er es schränkung zugänglich gemacht werden. ten ausgeschnüffelt wurden. Auch wenn Doch wenn es um Kinder geht, könnte sich nachzudenken. Denn neben den illegalen weiß, weil er noch etwas ganz anderes Es gibt einen einzigen Grund, der es recht- dabei nicht nur Angenehmes oder eben dieses Rechnung als explosiv erweisen: Folterflügen der CIA, von denen hier angeb- oder mehr erfahren will. Er agiert in der fertigt, Teile davon zu schwärzen: dass auch Randbereiche von Persönlichem zu Denn glücklicherweise gibt es noch Franzo- lich niemand etwas wusste, gibt es ein Grauzone – aber er tut das nur, um sie zu persönliche Informationen, die mögli- Tage gefördert werden, und gerade weil sen, die sich an einen alten Slogan erinnern, kaum debattiertes Problem: das 2003 von verlassen und der Öffentlichkeit aus ge- cherweise sogar unbeteiligte Dritte be- dadurch auch die Arbeit von Medien der immer mehr in Vergessenheit gerät: der EU mit den USA geschlossene Abkom- nau diesem Innenleben zu berichten. treffen, die Öffentlichkeit nichts angehen. transparent wird. Das ist für Journalisten „Frankreich – Land des Asyls“. men über erleichterte Auslieferung, das So sollte es jedenfalls sein. Wie wir in- Das ist geltendes Gesetz. so unangenehm, wie es für jeden anderen derzeit in den EU-Staaten ratifiziert wird. Es zwischen aber wissen, gibt es Journalis- Wer jetzt fordert – wie dies einige Jour- unangenehm ist. Journalisten können gibt den USA unter anderem die Möglich- ten, die die helle und die dunkle Welt nicht nalisten tun – den Bericht über die Bespit- und dürfen aber für sich selbst keine Son- keit, Gefangenentransporte aus einem mehr voneinander unterscheiden kön- zelung von Journalisten geheim zu halten derregeln fordern. Drittland in die Vereinigten Staaten via EU nen. Extremes Beispiel ist der Buchautor oder zu zensieren, hat das Prinzip der Jedenfalls nicht unbeschadet. PFLICHTBLATT DER BÖRSE abzuwickeln, ohne dass die Betroffenen an- BERLIN-BREMEN schließend in den USA auch vor ein Gericht Chefredakteur: Dr. Uwe Vorkötter Stellv. Chefredakteure: Brigitte Fehrle, Dr. Hendrik Munsberg gestellt werden müssen. EU-Unterstützung Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner für Gefangenenverschleppungen, diesmal s war ein Herr mit rosa Krawatte und gungsdruck. Bei allgemeiner Geldknapp- Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, in offizieller Dokumentenform. Erosa Hosenträgern, der den im Haus heit wird die Frage, ob die öffentliche Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester, Arno Widmann. der Berliner Festspiele Versammelten Die Kunst Hand die üppige Stadttheaterlandschaft Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. Dogma Nummer Eins einpaukte: „In dem weiterhin und im gleichen Umfang finan- Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE Moment, in dem du das Theater betrittst, zieren könne und solle, häufiger aufge- Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin ist die Wirklichkeit vorbei, dann kommt trägt Rosa worfen. Berlins Finanzsenator Thilo Sarra- (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. O Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina Kunst. Kunst, ja?“ Allerheiligstes, capito? VON AURELIANA SORRENTO zin fände es z.B. gar nicht übel, wenn die Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin Dass beim diesjährigen Berliner Thea- hiesigen Theater, wie jene anderer Länder, Stemmler. Bild: Jane Dulfaqar. tertreffen Allerheiligstes verhandelt wer- ihre Kosten durch Eintrittsgelder und Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Lebenswerk Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. den sollte, war schon an der Umbenen- Sponsoring deckten. Als Diskutant zum O Art Director: Annette Tiedge. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. er Moderator sucht seine Chance, eine nung der Zusammenkunft in Konzil zu er- Theaterkonzil eingeladen sagte er es klipp Potsdam: Andrea Beyerlein. Dkleine Pause, ein Räuspern nur. Doch kennen. Kardinäle waren da nicht zu be- und klar. Vielleicht täte es den Berliner Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja der Moderator hat keine Chance. Der Mann sichtigen, dafür der Herr in Rosa mit sei- Konzil-Teilnehmern gut, sich in dem Lan- Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia links von ihm auf dem Podium redet immer nen Glaubenssätzen. Und eine feinsinni- de umzuschauen, wo üblicherweise Kon- Schoeller. weiter, verliert sich in Anekdoten, hält sei- ge, ob der langen, vielleicht allzu vielen zile abgehalten werden. In Italien sind die Berliner Verlag GmbH nen Basston auf Reiseflughöhe und spricht Theaterabende bleiche Kritikerin, der sich Staats-Zuschüsse fürs Theater gering. Geschäftsführer: Peter Skulimma. Anzeigenleitung: Oliver Hauf. über sich in der dritten Person: „Der Moritz beim Kunst-Gepolter die Stirn bewölkte. Theatergruppen müssen als private Vertriebsleitung: Sandra Blühdorn, Stefan Wiegandt. Hunzinger hat ja ...“ Der Moritz Hunzinger Vergeblich versuchte sie dem Herrn in Unternehmer agieren und um die Gunst Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 hat seinen Anteil daran, dass Rudolf Schar- Rosa entgegenzuhalten, dass ein Theater, einer politisch bestallten Organisation www.berliner-zeitung.de/leserservice ping, Cem Özdemir und Walter Döring ihre das sich nicht mit Wirklichkeit auseinan- buhlen, die über die Zuteilung von Gast- Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; Karrieren knicken konnten. Und wahr- dersetze, höchstens tote Kunst sein könne. spielabenden in den Regionaltheatern Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- zeitung.de scheinlich haben Scharping, Özdemir und Der Herr in Rosa herrscht über das Feuille- PRIVAT entscheidet. Die Folge – von der musealen Döring einen noch größeren Anteil daran, ton eines Blattes, das wiederum die öffent- Beschaffenheit dessen abgesehen, was für Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 weil sie sich mit dem PR-Berater und Politik- liche Meinung im Lande beherrscht. Da- gewöhnlich auf die „öffentlichen“ Bühnen Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 18, gültig seit 1.1.2006. Lobbyisten Hunzinger eingelassen haben, her ist wichtig, was er sagt. Es hat den An- gertum rekrutieren. Dieser im Schwinden kommt: Theatermacher sind von den Kul- Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 der sich noch immer für den Allergrößten schein, dass man das ganze Theatertreffen begriffenen Klasse schreiben manche turpolitikern unmittelbar abhängig. Zwei- Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich hält. Er sitzt auf einer kleinen Bühne im Ber- ihm zu Ehren ausgerichtet hat. Die einge- Theaterleute das dringende Bedürfnis zu, tens: kaum jemand geht ins Theater. 18,40 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 21,40 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 21,75 ! (nur in Berlin und Branden- liner Regierungsviertel und soll über Journa- ladenen Inszenierungen – mit zwei Aus- ihr ramponiertes Seelchen nicht nur vor- Gleichzeitig bestürmen Massen die Sta- burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 10,95 !, außerhalb von lismus, Politik und Kommerz reden. Aber er nahmen: Andreas Veiels „Kick“ und Rimi- mittags im Spiegel, sondern auch all- dien, um Kabarett zu sehen. Bizarr? Mit- Berlin und Brandenburg 11,95 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- zin tip 13,20 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- redet über Hunzinger, Hunzinger und Hun- ni Protokolls „Wallenstein“ – haben nichts abendlich auf der Bühne zu bestaunen. nichten. Kabarett ist Politik plus Narren- beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- zinger. „Die tausenden von Pressekonferen- mit Wirklichkeit und viel mit Kunst zu tun: Wen wunderte es, würde nun in Berlin, freiheit. Das geht offenbar jeden an. „Neue anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte zen, die ich ...“ Da endlich sieht der Modera- feinziselierte, durchchoreographierte, nach der hinlänglich debattierten Neuen Bürgerlichkeit“ und „Neue Empfindsam- Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- tor eine Chance und unterbricht ihn: „Zu blank polierte Stücke über die innerli- Bürgerlichkeit, die „Neue Empfindsam- keit“ nur wenige. Mich gewiss nicht. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. ihrem Lebenswerk kommen wir später.“ „Ja chen Wehwehchen des zersprengten bür- keit“ ausgerufen? Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen ...“, sagt Hunzinger. Und der Moderator gerlichen Subjekts. Jemand hat nämlich Bedauernswerterweise befindet sich unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. Die Berliner Zeitung hat gemäß der unabhängigen Mediaanalyse 2005 muss fürchten, dass der Mann auf das Ange- die Meinung durchgesetzt, dass sich Thea- der staatlich subventionierte deutsche Aureliana Sorrento (35) ist italienische Jour- täglich 446 000 Leser und ist damit Berlins größte Abonnementzeitung. bot zurückkommt. Jochen Arntz terzuschauer vornehmlich aus dem Bür- Theaterbetrieb gerade unter Rechtferti- nalistin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII 4 Berliner Zeitung · Nummer 133 · 10./11. Juni 2006 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Die 1943 geborene russische Schriftstellerin Fußball schauen Ljudmila Ulitzkaja erklärt im mit dem Iran „Freitag“

VON DANIELA VATES Für alle, die sich selbst nichts vormachen, war der Chodorkowski-Prozess traumati- un kommt doch ein hoher Repräsen- sierend. Wir haben wieder ein System der Ntant der iranischen Regierung zur Fuß- Einschüchterung und da bekommt man es ball-Weltmeisterschaft: Der iranische Vize- tatsächlich mit der Angst. Chodorkowski ist präsident Mohammed Aliabadi wollte sich nicht mehr und nicht weniger schuldig als das Eröffnungsspiel in München ansehen die anderen, die in den letzten Jahren zu und am Sonntag das erste Spiel der irani- Reichtum gekommen sind. Trotzdem wird schen Mannschaft in Nürnberg besuchen. er als Schuldiger hingestellt und verurteilt. Aliabadi gehört einer Regierung an, de- Deshalb müssen heute alle, die es zu Reich- ren Präsident Mahmud Ahmadinedschad tum gebracht haben, Angst haben. Ich ge- den Holocaust leugnet und das Existenz- höre zwar nicht dieser Kategorie an, doch recht Israels in Frage stellt. Aliabadi hat sich ist es wirklich beängstigend, wenn jemand nicht von den Äußerungen seines Vorge- sozusagen als Warnung für andere willkür- setzten distanziert. Das kann und muss lich bestraft wird. Das erinnert sehr an die man ihm vorhalten. Ein Besuchsverbot für Prozesse der Vorkriegszeit, als niemand si- die WM leitet sich daraus nicht ab, es wäre cher sein konnte, dass er nicht morgen das unverhältnismäßig und kontraproduktiv. Opfer sein wird. Es ist eine sehr beunruhi- Denn ein Verbot würde dem iranischen Prä- gende Situation. sidenten und seiner Theorie von der allge- Der Nationalismus sieht seinen Feind meinen Iran-und Moslem-Phobie des Wes- heute in den kaukasischen Völkern. Die Ju- tens unnötig in die Hände spielen.Es wäre den sind im Alltag von heute nicht mehr der zudem eine Sanktion, die den hoch sensib- wichtigste Feind. Vor kurzem wurde in Pe- len diplomatischen Prozess über das irani- tersburg ein tadschikisches Mädchen von sche Atomprogramm gefährden könnte. Jugendlichen der „Schwarzhemden“ er- Mit der Entscheidung, zunächst einmal nur schlagen. Die sind absolut blind und ver- den Vize-Präsidenten nach Deutschland zu wahrlost, eine unheimliche Herde, die nur schicken, hat auch der Iran gezeigt, dass er auf ein Signal zu warten scheint. In der rus- die Schwierigkeit der diplomatischen Ver- Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller sischen Provinz, wo es keine Arbeit gibt, das hältnisse durchaus zur Kenntnis genom- Leben armselig und die Versorgungslage men hat. schlecht ist, entstehen viele solcher Briga- All das bedeutet nicht, dass man die Kri- den. das ist sehr beunruhigend. Man könn- tik der Diplomatie unterordnen sollte. Ein te etwas dagegen machen, doch diese Be- Anlass, in dem Sport und nicht Politik im O wegung scheint eine elementare Unterstüt- Vordergrund steht, kann aber eine Möglich- zung zu genießen, denn es gibt eine Woge keit sein, Beziehungen zu entspannen. Es Eine Kriegserklärung der Sympathie, die ihr entgegenschlägt. ist ein Anlass, in dem kein politischer Druck Dass diese Bewegung von oben dirigiert aufgebaut werden muss. Es gibt die Mög- VON CHRISTIAN BOMMARIUS wird, steht für mich außer Zweifel. lichkeit informeller Kontakte. Das Zugangs- Ich möchte mein Land nicht verlassen, recht zur Fußball-Tribüne kann auch eine icht die Armut ist zu bekämp- von den Rechtsproblemen seines Ange- neralverdacht des Missbrauchs zu be- doch ich schließe nicht aus, dass sich die Chance sein. fen, sondern der Missbrauch stellten erfährt). Und da nicht nur die Kor- gründen. Nicht nur indiskutabel, sondern Lage irgendwann so verändert, dass ich des Sozialstaats durch die Ar- ruption nach dem Grundsatz des Gebens beeindruckend in ihrer Trivialität war die dazu gezwungen sein werde. Ich gehöre men. Nicht das Schicksal der und Nehmens funktioniert, sondern Aufforderung Kurt Becks an die Hartz-IV- nicht zu denjenigen, die mit der Macht Die späte Rache NHartz-IV-Empfänger gehört ins Zentrum künftig auch der Sozialstaat, hat der Emp- Betroffenen, „nicht alles herauszuholen, kämpfen. Ich habe nicht gegen die sowjeti- der Debatte, sondern ihr Versuch, diesem fänger der Prozesskostenhilfe für die Hilfe was geht“. Denn erstens gehört der sche Macht gekämpft und kämpfe nicht ge- von Merck Schicksal mit legalen oder halblegalen, 50 Euro zu bezahlen, unabhängig vom Er- Grundsatz „Jeder nimmt sich, was er gen die, die heute an der Macht sind. Beide jedenfalls aber für den Staat, den „Steuer- folg oder Misserfolg des Verfahrens. kann“ längst zur mentalen Grundausstat- sind mir ziemlich unangenehm. Die Frage VON PETER KIRNICH zahler“ kostspieligen Methoden zu ent- Immerhin gehen die Autoren des Ent- tung eines Bundesbürgers – ohne ihn ist, wie lange sie meine Anwesenheit ertra- kommen. Darum ist beispielsweise über- wurfs nicht so weit zu behaupten, die Ex- wäre die Branche der Steuerberater längst gen werden und die Bestimmtheit meiner er Deal war eigentlich schon perfekt: haupt kein Problem, dass für immer mehr plosion der Kosten sei vor allem durch die zusammengebrochen. Zweitens wäre, Ansichten. Während mir in jungen Jahren DNachdem der Bayer-Konzern den Menschen ohne Prozesskostenhilfe der „missbräuchliche Inanspruchnahme“ der selbst wenn jeder zweite Hartz-IV-Emp- schien, das man alle Probleme lösen kann, Schering-Aktionären ein lukratives Angebot Rechtsweg verschlossen bleibt, aber ein Prozesskostenhilfe verursacht. Im Gegen- fänger durch Lug und Trug seine Armut wenn man sich nur lange genug damit be- für den Kauf des Unternehmens unterbrei- Skandal ist, dass die den Ländern dadurch veredelte, der Schaden des Fiskus noch schäftigt, habe ich im Laufe der Zeit ver- tet hatte, rechneten viele Experten mit einer entstehenden Kosten seit Jahren explo- immer lächerlich gering verglichen mit standen, dass es eine große Zahl von Prob- schnellen Abwicklung des Geschäfts. Zumal dieren. Diesen Skandal haben jetzt sehr Nichts gegen verbesserte dem, was ihm Jahr für Jahr durch Steuer- lemen gibt, die man nicht lösen kann. Wie Bayer mit seinem freundlichen Angebot als schön die Länder Baden-Württemberg Einkünfte der Anwaltschaft – hinterziehung entgeht. viele chronische Krankheiten, die man sogenannter Weißer Ritter gilt: Mit seiner und Niedersachsen erkannt und be- aber ist das ein Das Vergnügen, das nicht nur der weit- nicht heilen kann, mit denen man einfach Offerte fegte Bayer einen feindlichen Über- schlossen, ihm herzhaft ein Ende zu be- hinreichender Grund, aus größte Teil der so genannten Leis- zu leben lernen muss. nahmeversuch des Berliner Konzerns durch reiten. Wer den Gesetzentwurf (Bundes- tungselite an dieser Form des Betrugs den Darmstädter Konkurrenten Merck mit ratsdrucksache 250/06) liest, der erfährt, die Armen zu potenziellen empfindet, wird noch übertroffen von der Der Literaturwissenschaftler George Steiner Pauken und Trompeten vom Tisch. dass Prozesskostenhilfe und deren „miss- Verbrechern zu erklären ? Unerschütterlichkeit des Bewusstseins, sagt in einem Interview im Folgt nun die Rache von Merck? So kann bräuchliche Inanspruchnahme“ bisher keineswegs Täter der Steuerhinterzie- man es nennen. Denn klammheimlich offenbar untrennbar miteinander ver- hung zu sein, sondern Opfer des Staates, „Magazine Littéraire“ kauften die Darmstädter Schering-Aktien bunden waren, vor allem aber lernt er, wie teil: „ Die Gewährung von Prozesskosten- dessen ungerechtes Steuerrecht die Hin- auf dem freien Markt auf und verdoppelten diesem Missstand nunmehr ein Ende be- hilfe belastet die Staatskasse in erster Li- terziehung geradezu erzwingt. Dieses Be- Ich leugne die Schrecken des Gulag nicht ihre Anteile am Unternehmen auf zehn Pro- reitet werden soll – tritt das Gesetz in nie durch Zahlungen an beigeordnete wusstsein hat bemerkenswerte Folgen. und mich ekelt vor allen, die ihre stalinisti- zent. Das muss den Riesen Bayer schmer- Kraft, dann ist das eine Kriegserklärung Rechtsanwälte.“ Diese Zahlungen haben Der Schaden, der dem Staat jährlich durch sche Vergangenheit leugnen, aber der Kom- zen, zumal die Schering-Aktionäre bisher des Sozialstaats an die Bedürftigen. sich seit 1981 verfünffacht, von 2002 auf Steuerhinterziehung (und nicht gezahlte munismus war eine ungeheure Hoffnung. nicht gerade mit wehenden Fahnen überge- Das Ende des – zuletzt vom SPD-Vor- 2003 stiegen sie in der ordentlichen Ge- Sozialabgaben) entsteht, beläuft sich auf Es gibt im Marxismus – das ist sehr jüdisch laufen sind. Nur 40 Prozent der Schering- sitzenden Kurt Beck beklagten – Sozial- richtsbarkeit – Zivil- und Strafgerichte – rund 200 Milliarden Euro – und abgese- – eine verrückte Überschätzung des Men- Anteile befinden sich derzeit in Bayer- missbrauchs sähe danach folgenderma- um 20 Prozent. Nichts gegen verbesserte hen von Bußgeldern haben die Täter kei- schen. Er bringt uns dazu zu glauben, wir Hand, 75 Prozent müssen es sein. Sonst ßen aus: Prinzipiell ist jeder Bedürftige Einkünfte der Anwaltschaft – aber ist das ne Bestrafung zu fürchten. Denn eher spa- seien Wesen, die zur sozialen Gerechtigkeit platzt der Deal vorerst. verdächtig, sich die Prozesskostenhilfe er- ein hinreichender Grund, die Armen zu ziert ein Steuerhinterzieher mit einem Ka- fähig wären. Ein schrecklicher Irrtum, den Was hat Merck vor? Das weiß derzeit nie- schleichen zu wollen. Diesen Generalver- potenziellen Verbrechern zu erklären und mel durch ein Nadelöhr als ins Gefängnis. zig Millionen Menschen mit ihrem Tod be- mand genau. Alles ist Spekulation – etwa, dacht haben Richter und Rechtspfleger zu ihnen die grundgesetzliche Rechtswegga- Das ist tröstlich, denn flexibel ist die Leis- zahlt haben, aber eine generöse Idee und dass Merck Bayer zwingen will, den Kauf- überprüfen, einerseits durch Abfrage per- rantie (Art. 19 Abs. 4 GG)aufzukündigen? tungselite nur auf freiem Fuß. Aber wir ein großes Kompliment an die Menschheit. preis für Schering-Papiere zu erhöhen. sönlicher Daten des Antragstellers bei Fi- Über die Grenzen des Sozialstaats, sollten uns daran erinnern, wenn dem- Dann könnte sich Merck von den zehn Pro- nanzämtern, Banken und Sparkassen, an- über seine Leistungsfähigkeit, seine Leis- nächst wieder einmal der Skandal einer zent schnell wieder trennen und Kasse ma- dererseits durch Erkundigung beim tungsbereitschaft und seine Leistungsver- rechtswidrig öffentlich bezuschussten chen. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Arbeitgeber über die Höhe des Einkom- pflichtung lässt sich reden. Indiskutabel Nutzung einer elterlichen Einliegerwoh- Darmstädter strategische Ziele verfolgen. mens (womit der Arbeitgeber zugleich aber ist, Leistungskürzungen mit dem Ge- nung das Land erschüttert. PFLICHTBLATT DER BÖRSE Sie würden gerne an der Partnerschaft teil- BERLIN-BREMEN haben, das Schering-Vertriebsnetz nutzen, Chefredakteur: Josef Depenbrock Stellv. Chefredakteure: Brigitte Fehrle, Dr. Hendrik Munsberg Patentrechte kaufen, Kooperationen einge- Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner hen. Das lässt sich leichter erkaufen, wenn atürlich ist Fremdenfeindlichkeit kei- abzugeben. Was er und seine Statthalter Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, man im Gegenzug lukrative Anteile bietet. Nne Malaise, die Deutschland exklusiv nicht mehr leisten können, wird vom Indi- Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester, Arno Widmann. gepachtet hat. Schon gar nicht Ost- Zu Gast bei viduum verlangt. Zivilcourage, beispiels- Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. Deutschland. Die Angst vor dem Fremden, weise gegen rechte Gewalt, Initiative, Bür- Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE dem Anders-Aussehenden, Anders-Den- gersinn, Menschlichkeit, Altruismus, de- Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin kenden gibt es überall. Aber reden wir jetzt Freunden mokratische Werte, und was man sich in (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. O Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina einmal von Deutschland. Laut Umfragen VON AURELIANA SORRENTO einer heilen aber dynamischen Welt alles Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin haben 54 Prozent aller Deutschen „Angst noch wünschen kann. Stemmler. Bild: Jane Dulfaqar. vor Überfremdung“. Nur: nicht überall in Als die Debatte um rechtsextreme Ge- Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Stunde der Patrioten Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. diesem Land schlägt diese Angst in bru- walt in Ostdeutschland und darum, ob es O Art Director: Annette Tiedge. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. etzte Meldung der Woche: Der neue pol- talste Gewalt um. Nicht überall stößt Ge- hier für Ausländer lebensgefährliche Ge- Potsdam: Andrea Beyerlein. Lnische Bildungsminister fordert die Ein- walt gegen Ausländer und Fremde auf die biete tatsächlich gäbe, noch kochte, schal- Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja führung des Fachs Patriotismus. Warum nur Gleichgültigkeit oder gar die stillschwei- tete ich eines Morgens das Radio ein. Ich Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia die Polen? Brauchen das deutsche Kinder gende Zustimmung der Umgebung. Wenn kann nicht sagen, ob mich das, was aus Schoeller. nicht auch ganz dringend? Wir haben zwar dies, wie es scheint, in weiten Teilen Ost- den Lautsprechern tönte, deshalb ärger- Berliner Verlag GmbH keinen Pilsudski und Poniatowski, ansons- deutschlands tatsächlich geschieht, wäre lich stimmte, weil ich meinen zum Aufwa- Geschäftsführer: Peter Skulimma. Anzeigenleitung: Oliver Hauf. ten aber alles, neuerdings sogar den Papst. es anständig, nach den Ursachen zu for- chen unentbehrlichen zweiten Espresso Vertriebsleitung: Sandra Blühdorn, Stefan Wiegandt. Deutscher Patriotismus-Unterricht, ers- schen, anstatt von Mal zu Mal, wenn die noch nicht getrunken hatte. Da bemängel- Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 te Stunde. Der Lehrer: „So, jetzt lassen wir Schlagzeilen es erfordern, zum Aufstand te ein wichtiger Volksvertreter, dass viele www.berliner-zeitung.de/leserservice mal das Kippeln und Quatschen. Kleine Pa- der Anständigen aufzurufen. Komischer- Eltern in manchen Gegenden Ostdeutsch- Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; trioten sitzen gerade und blicken stets nach weise stellen sich ausgerechnet jene, die lands nicht in der Lage seien, ihre Kinder Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- zeitung.de vorn! Erste Frage: Was haben wir Deutschen dafür zuständig wären, die Frage nach den PRIVAT zu liberalen und gewaltfreien Bürgern zu der Welt gegeben? Richtig, fast alles, von Ursachen am wenigsten. Täten sie es, erziehen. Und vor oder nach Koffein- Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 Airbag bis Zahnpasta. Denn wir sind das müssten sie nämlich erkennen, dass sie schub: Kann man von einer Eltern-Gene- Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 18, gültig seit 1.1.2006. Land der Ideen. Sarah, Kopf von der Bank! seit Jahren, besser gesagt: seit eineinhalb menbruch ihrer ökonomischen und ideel- ration, die in einer Diktatur aufgewachsen Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 Kleine Patrioten sind hellwach und stets am Jahrzehnten, an der Erschaffung der Be- len Grundfesten gerade erst erlebt hat. Sie ist, jetzt womöglich von Hartz IV lebt, und Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich Erfinden. Ich meine jetzt nicht die Ausre- dingungen mitwirken, bei denen die hat sich davon, trotz aller Geldtransfers, gerade des Sozialmissbrauchs pauschal 18,40 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 21,40 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 21,75 ! (nur in Berlin und Branden- den, warum ihr die Hausaufgaben wieder menschlich-allzumenschliche Angst vor noch lange nicht erholt. Die Bürger der bezichtigt wird, ernsthaft verlangen, dass burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 10,95 !, außerhalb von nicht gemacht habt. Wie lautete unsere dem Anderen zu Hass, Brachialgewalt und DDR erlebten ihren Staat als einen, der sie ihren Kindern Humanität und demo- Berlin und Brandenburg 11,95 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- zin tip 13,20 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- Hausaufgabe? Richtig: Was schmiedete die Mordlust wird. dem Einzelnen gegenüber zugleich als kratische Werte beibringt? Sollten nicht beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- deutsche Nation zusammen? Eure Urgroß- In ganz Deutschland haben Arbeitslo- Unterdrücker und allmächtiger Schutz- eher jene, die so salbadern, sich darum anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte väter hätten gesagt: die Schlacht von Sedan. sigkeit, Globalisierung, Deregulierung herr entgegentrat. kümmern? Aber klar, wir wissen schon: Sie Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- Blut und Eisen. Schmiede des Kaiserreichs. und die permanente Reformierung des Der Staat, der nun für den Zusammen- müssen sparen. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. Und bei uns? Was, die Wiedervereinigung? bereits reformierten Sozialstaates ein Kli- halt der gesamtdeutschen Gesellschaft Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen Falsch. Basti weiß es. Richtig Basti: das ma des „Rette sich, wer kann!“ geschaffen. sorgen müsste, sorgt sich hingegen derzeit unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. Die Berliner Zeitung hat gemäß der unabhängigen Mediaanalyse 2005 Wunder von Bern. Schweiß und Leder. Eins Im Osten trifft die allgemeine Verunsiche- nur um Eines: den Haushalt zu führen, Aureliana Sorrento (35) ist italienische Jour- täglich 446 000 Leser und ist damit Berlins größte Abonnementzeitung. rauf mit Mappe.“ Torsten Harmsen rung auf eine Gesellschaft, die den Zusam- Steuern einzutreiben und Verantwortung nalistin und lebt in Berlin ISSN 0947-174x IIIIII 4 Berliner Zeitung · Nummer 175 · 29./30. Juli 2006 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Michael Wolffsohn – Historiker an der Uni- Nur versität der Bundeswehr in München – ist entschieden gegen den Einsatz von UN- elf? Truppen im Nahen Osten. Seine Gründe legt er da in VON CHRISTIAN BOMMARIUS „Jüdische Allgemeine“ s ist unmöglich, die Korruption in der EAutobranche zu betrachten und nicht Nach dem Libanonkrieg von 1982 entsand- zugleich die Korruption in der Baubranche. ten sogar die USA unter Präsident Ronald Wer aber über die Korruption in der Bau- Reagan dorthin Friedenstruppen mit ro- branche schreibt, darf natürlich nicht die bustem Mandat, auch die Europäer, zum Korruption in der Gesundheitsbranche Beispiel Frankreich und Italien. Als es nicht übersehen, wobei in diesem Falle auch die nur klimatisch, sondern militärisch heiß Korruption in der .... Das Bemerkenswertes- wurde, zogen diese beiden zuerst ab, und te an der Korruption in Deutschland ist, die Amerikaner wurden vom Hisbollah-Ter- dass sie bis heute als Einzelfall wahrgenom- ror hinausgebombt. „Für den Libanon und men wird. Tatsächlich weisen etwa 3000 auch Israels Sicherheit sterben?“ Hierfür Korruptionsfälle, die die polizeiliche Krimi- waren 1982-83 alle so zu begeistern, wie nalstatistik im Jahr registriert, und rund 500 Großbritannien und Frankreich 1939 nach Verurteilungen pro Jahr dem Delikt einen dem Überfall Deutschlands auf Polen. eher unteren Platz auf der Skala der belieb- Der jetzige Vorschlag, im Libanon UN- testen Delikte zu. Andererseits ist unter Ex- oder andere Schutztruppen zu stationieren, perten umstritten, ob die Dunkelzahl der ist im historischen Zusammenhang be- Korruption in Deutschland mit 95 Prozent urteilt geradezu zynisch. Ausgerechnet Kofi anzusetzen sei oder wohl doch eher mit 98 Annan stellte sich an die Spitze der Bewe- Prozent. Auch ist nicht entschieden, ob der gung. Rechnet er mit unserer Vergeßlichkeit durch Korruption verursachte Schaden bezogen auf Ruanda und Srebrenica oder noch in zwei- oder schon in dreistelliger die UNIFIL im Libanon? Milliardenhöhe zu beziffern sei. Ohne Wi- „Robust“ solle die neue Truppe sein, des- derspruch bleibt nur die Behauptung, Kor- halb will Annan Europäer als Friedens- ruption sei überall, wo sie gesucht werde. mächte gewinnen. Die Robustheit soll unter Das ist der einzige Grund, warum man ihr anderen die Bundeswehr garantieren. Ist sie in Deutschland bis heute so selten begegnet Verliert die Hisbollah Sympathien? Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller „robuster“ als die USA und Europäer – denn Korruption ist nirgends, wenn nie- 1982/83? Ausgerechnet diese überstrapa- mand nach ihr sucht. zierte, überdehnte und unterfinanzierte Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Truppe? Kann sie mit anderen ähnlich „ro- Main hat jetzt wieder einmal gesucht, also busten“ die Hisbollah eher entwaffnen, ihre gefunden. Interessanter als die Nachricht, O Raketen finden und einmotten, also die dass elf Zulieferer-Firmen der Autobranche Entschließung 1559 umsetzen als Israel? unter Verdacht geraten sind, wäre die Aus- Kein Platz für die Uno in Nahost Auch andere Europäer sollen dabei sein. kunft, welche Firmen nicht unter Verdacht Etwa Spanien, dessen Premier Zapatero Is- geraten sind. Denn das möchte man VON ROLAND HEINE rael vor wenigen Tagen mit Freundlichkei- schließlich doch gerne wissen: Wie sie es ge- ten bedachte, die ihm den Vorwurf des Anti- schafft haben, nicht unter Verdacht zu gera- s ist grotesk. Nach dem Bundesau- neuen Auftrieb geben würde – keine Ab- dende Rolle. Fest steht doch, dass das semitismus einbrachten? Italien, das sich ten. ßenminister und diversen ande- lenkung vom Atomprogramm also. Und fragliche Areal stundenlang von der israe- 1983 im Libanon glanzvoll bewährte und, ren europäischen Politikern hat schließlich zeigte schon die verhaltene lischen Armee beschossen wurde. Auch wo Prodi sich von Israel distanzierte? gestern auch ein US-Außenamts- Reaktion der arabischen Regierungen auf dass es immer wieder Appelle an die israe- Schutz für Israel durch antiisraelische Poli- An die Weltspitze Esprecher das Statement der israelischen die US-Invasion im Irak, dass ein Schul- lische Seite gab, den Beschuss wegen der tiker? Will Frankreich unter Chirac so tapfer Regierung kritisiert, wonach diese sich terschluss der islamischen Welt unwahr- Gefahren für die Blauhelme einzustellen, wie 1982/83 unter Mitterand den soge- katapultiert durch die Krisenkonferenz in Rom zur scheinlich ist. ist nicht bestritten worden. Das Leben der nannten Libanon-Frieden retten? Hat Fortsetzung der Angriffe im Libanon er- Viel plausibler ist dagegen eine andere UN-Soldaten wurde also zumindest be- Großbritannien von Afghanistan und dem VON EWALD B. SCHULTE mächtigt sehe. Der Sprecher nannte die Lesart: Israel geht davon aus, dass die USA wusst riskiert – was nichts anderes heißt Irak noch nicht genug? Will man die Erklärung sogar skandalös – ganz so, als tatsächlich den Iran angreifen. Es hat eine als: Verschwindet aus dem Libanon! Srebrenica-gestählten Niederländer statio- it ausdrücklicher Rückendeckung ob nicht gerade der Kurs der USA Israel zu aktuelle Provokation durch die Hisbollah Inzwischen scheint das Ziel erreicht, nieren? Will Bush kriegsmüden, Republika- Mihrer Regierung haben Spaniens Ener- dieser Interpretation ermutigt hätte. Seit genutzt, um in enger Abstimmung mit wie gestern bekannt wurde, zieht die Uno ner kritischen Amerikaner auch noch in gie-Regulierer alle Register gezogen, um dem 12. Juli, als Israel als Antwort auf die Washington eine seit langem geplante ihre Blauhelme offenbar ab. Unabhängige den Libanon entsenden, um im November dem deutschen Energieriesen Eon den Entführung zweier Soldaten seine gewal- internationale Beobachter des Krieges im sicher die Kongresswahlen zu verlieren? Al- Spaß an der Übernahme des größten iberi- tige Militärmaschinerie in Bewegung setz- Südlibanon wird es damit nur noch weni- les absurd und unrealistisch. schen Stromversorgers Endesa doch noch te, starben im Libanon hunderte Zivilis- Wie und vor allem ge geben. Zugleich aber ist mit dem UN- Was tun? Israel gewähren lassen, denn zu verleiden. Erfolg haben werden sie damit ten, Hunderttausende sind auf der Flucht. wann man übereinkommt, ist Abzug eine wichtige Vorentscheidung dessen Kampf gegen Hisbollah und Hamas kaum, da ein Teil der verfügten Auflagen wie Und dennoch verhinderten die Vereinig- völlig unklar. Bis dahin über den Charakter der vieldiskutierten gilt nicht nur nationalem Eigeninteresse, es etwa die komplette Abgabe der nuklearen ten Staaten sowohl am Mittwoch in Rom gilt Israels Interpretation der internationalen Nahost-Sicherheitstrup- ist ein Kampf gegen den islamistischen Ter- Stromerzeugungssparte oder der Verzicht als auch Donnerstag im UN-Sicherheits- pe gefallen. Neue Blauhelme unter der ror, der Nahost und die Welt bedroht, denn auf die besonders lukrative Stromversor- rat sogar das Selbstverständlichste: einen Rom-Konferenz: breiten Kontrolle der Vereinten Nationen, welche konkreten bilateralen Probleme hat gung der spanischen Ferieninseln mit den Aufruf zu sofortiger Waffenruhe. Wenn das einfach weitermachen. von Israel ohnehin nicht gewollt, werden Hisbollah mit Israel? Keine, „nur“ existen- Wettbewerbsregeln des europäischen Bin- keine Aufforderung zum Weiterbomben wohl kaum noch entsandt werden. Statt zielle. Sie will, wie ihre Schutzmacht Iran, nenmarktes kaum vereinbar ist. ist, was dann? dessen ist die Wahrscheinlichkeit gestie- den Israelis zunächst durch Terror das Le- Es wird also noch intensive Verhandlun- Da das Unverhältnismäßige am israeli- große Militärkampagne gegen den Ver- gen, dass eine solche Truppe, käme sie zu ben zur Hölle machen, um Israel irgend- gen geben, in denen sich Eon – diesmal üb- schen Vorgehen unübersehbar ist, wird bündeten Teherans vor der eigenen Haus- Stande, westlich geführt würde. wann zu vernichten. rigens mit ausdrücklicher Rückendeckung das Geschehen im Libanon inzwischen tür zu starten. Flurbereinigung vor der In einer Phase, da im UN-Sicherheits- der Brüsseler EU-Kommission – um eine immer häufiger zum Existenzkampf des großen Schlacht sozusagen. Für diese rat große Uneinigkeit darüber besteht, KORREKTUR Abmilderung der Auflagen bemühen wird. Staates Israel hochstilisiert. Demnach hat Sicht spricht Einiges. Da sind die von Be- welches Mandat ein solches Militärkon- Daran aber, dass der spektakuläre Milliar- der Iran die Absicht, mittels der Hisbollah ginn an martialischen Reaktionen Israels tingent haben könnte, ist diese Entwick- – Am Donnerstag berichteten wir auf Sei- den-Deal zu Stande kommt, besteht spätes- einen Nahostkrieg zu provozieren, um auf die Soldatenentführung, das offen- lung von zusätzlicher Brisanz. Denn die te 7 über den Besuch von Kanzlerin Merkel tens jetzt kein Zweifel mehr. von seinem, ebenfalls gegen Israel gerich- sichtliche Timing zwischen Israel und den USA und Israel wollen eine Truppe zur beim Führungskommando in Geltow. In Eon katapultiert sich mit der Endesa- teten, Atomprogramm abzulenken und USA bis hin zu aktuellen Waffenlieferun- Entwaffnung und Auflösung der Hisbol- dem Artikel war die Rede von einem Telefo- Übernahme an die Weltspitze der Strom- einen islamischen Schulterschluss zu be- gen (Laserbomben), schließlich die wie- lah, UN-Generalsekretär Kofi Annan da- nat mit der Weltraumstation ISS. Dabei hat und Gasversorger. Davon können neben wirken. Diese Argumentation ist nicht der lauter werdenden Forderungen der gegen möchte in erster Linie Hilfe für die sich ein Fehler eingeschlichen: Merkel den Aktionären auch die Verbraucher profi- einmal logisch. Zum einen braucht der Falken in Washington, nun doch endlich Flüchtlinge und Unterstützung für die li- sprach mit dem Astronauten Thomas Reiter, tieren. Immerhin repräsentiert der neue Iran auch US-Geheimdiensten zufolge gegen den Iran loszuschlagen. banesische Armee. Auch Russland, China nicht wie genannt mit Reinhold Ewald. Konzern mit mehr als 50 Millionen Kunden noch viele Jahre bis zur Atombombe – was Das israelische Verhalten gegenüber und Frankreich wollen eine Stärkung des eine immense Marktkraft, die auch von nützt es dann, im Sommer 2006 einen der Uno passt jedenfalls in dieses Bild. Ob Staates Libanon. Wie und vor allem wann sonst sehr selbstbewusst agierenden Ener- Krieg anzuzetteln? Zweitens war von die Tötung der vier Unifil-Beobachter in man übereinkommt, ist völlig unklar. Bis gielieferanten wie der russischen Gasprom vornherein klar, dass die Entwicklung im Chaim nun im Wortsinne vorsätzlich war dahin gilt Israels Interpretation der Rom- nicht einfach ignoriert werden kann. Zu- Libanon den Hardlinern in Washington oder nicht, spielt dabei nicht die entschei- Konferenz: einfach weitermachen. PFLICHTBLATT DER BÖRSE dem ist der Konzern spätestens jetzt in der BERLIN-BREMEN Lage, die für die Versorgungssicherheit Chefredakteur: Josef Depenbrock Stellv. Chefredakteure: Brigitte Fehrle, Dr. Hendrik Munsberg zwingend notwendigen, aber sündhaft teu- Geschäftsführender Redakteur: Holger Zöllner ren Investitionen in den Flüssiggassektor on einer liberalen Revolution hat Ro- In einem solchen Lande die Märkte zu Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, aus eigener Kraft zu schultern. Vmano Prodi gesprochen. Und vom Postfeudal öffnen bedeutet, ein in Jahrhunderten ver- Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester, Arno Widmann. Spaß, den er gerade daran habe. Zu Recht: krustetes Unrechtssystem von Begünsti- Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. Trotz der Misslichkeiten, die den italieni- gungen und Vorteilen auszuhebeln, um Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE schen Bürgern Streiks, Verkehrschaos und – liberal endlich Chancengleichheit zu schaffen Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin O Krawallen bereiten, ist das Spektakel, das und nicht zuletzt die Allmacht des Vitamin (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. Italien seit einigen Wochen bietet, eins der B- Prinzips zu brechen. Eine „liberale Re- Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina VON AURELIANA SORRENTO Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin amüsantesten seiner Polittheaterge- volution“ eben – auf die die postfeudale Stemmler. Bild: Jane Dulfaqar. schichte. italienische Gesellschaft schon allzu lange Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Telegramm II Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. Der Stein des Anstoßes ist diesmal ein gewartet hat. Warum sollte eine linke Re- O Art Director: Annette Tiedge. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. ante Frieda, 82, aus Berlin, will ein Tele- Dekret, das nach seinem linksdemokrati- gierung eine solche „liberale Revolution“ Potsdam: Andrea Beyerlein. Tgramm schicken: Onkel Willi liegt im schen Urheber, dem Minister für Wirt- nicht auf den Schild heben? Und wen Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja Krankenhaus in Stuttgart und wird 75. Tan- schaftsentwicklung Pierluigi Bersani, Ber- wundert es, dass dies den angeblich Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia te Frieda wählt die Nummer des Kunden- sani-Dekret genannt wird. Es sieht eine rechtsliberalen und postfaschistischen Schoeller. dienstes der Telekom. Es meldet sich die Reihe von Maßnahmen zur Liberalisie- Parteien gar nicht geheuer ist? Demnächst Berliner Verlag GmbH nette Stimme eines jungen Mannes. „Herz- rung des Dienstleistungsmarktes und zur wird es wohl deren Anführer an den Kra- Geschäftsführer: Peter Skulimma. Anzeigenleitung: Oliver Hauf (stellv. Geschäftsführer). lichen Glückwunsch und baldige Gene- Förderung des Wettbewerbs vor. Was nor- gen gehen. Vertriebsleitung: Philipp Froben (stellv. Geschäftsführer). sung. Friedel“, will Tante Frieda telegrafie- malerweise die linken Protestler auf den Die EU-Kommission hat der italieni- Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 ren. Bis zu zehn Wörter kosten 14,83 Euro, Plan ruft. Doch sieh da: Die roteste aller schen Regierung nämlich mitgeteilt, dass www.berliner-zeitung.de/leserservice billiger wird’s nicht. – Gibt’s auch Schmuck- italienischen Gewerkschaftsorganisatio- das noch gültige Mediengesetz, welches Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; blatt? – Ja. – Wie sehe ich das? – Im Internet. nen, die Cigl, klatscht Beifall. Die an der das mediale Duopol vom staatlichen Sen- Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- zeitung.de – Hab ich nicht. – Ich kann Ihnen die be- Regierung beteiligte Neugründung der PRIVAT der RAI und Berlusconis Mediaset von der schreiben, sagt der junge Mann und klärt Kommunistischen Partei steht kompakt Konkurrenz abschirmt, mit der europäi- Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 Tante Frieda auf, dass nur noch Inland geht. hinter dem Ministerpräsidenten. Indessen schen Gesetzgebung unvereinbar ist. Me- Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 18, gültig seit 1.1.2006. Tante Frieda ist froh, dass sie nicht nach legen die Taxifahrer die Großstädte lahm, Absurdes Theater? Ja sicher. Überall auf dienminister Paolo Gentiloni war es offen- Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 Brasilien telegrafieren muss. Und ausgelie- halten Bürgermeister in ihren Wagen fest, der Welt, aber eben nicht in Italien. Hier sichtlich ein Vergnügen, zu antworten, das Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich fert werde das Telegramm sowieso erst am vermöbeln Journalisten und zanken sich wird der „freie“ Markt von uralten Zünf- Gesetz werde schnellstmöglich verändert. 19,20 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 22,20 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 22,55 ! (nur in Berlin und Branden- nächsten Tag, sagt die Stimme. Und bitte le- mit Autofahrern, denen die Straßenblo- ten, ständischen Körperschaften und bis- Ob es der Prodi-Regierung tatsächlich ge- burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 10,95 !, außerhalb von gen Sie nicht auf, beantworten Sie jetzt die ckaden entschieden zu weit gehen. Dann lang unantastbaren Mono- und Oligopo- lingt, die längst fällige „liberale Revolu- Berlin und Brandenburg 11,95 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- zin tip 13,20 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- Fragen nach Ihrer Zufriedenheit mit dem treten die Anwälte in den Ausstand, da- len beherrscht. Innungen mittelalterlicher tion“ auch im Bereich der Medien fortzu- beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- Kundendienst. – Ich bin ganz und gar nicht raufhin die Apotheker. Prägung und Kammern faschistischen An- setzen, lässt sich aber nicht absehen. Ber- anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte zufrieden, empört sich Tante Frieda, der Und die rechte, angeblich so liberale gedenkens – zum Beispiel jene der Taxi- lusconi & Co. sind in Italien immer noch Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- Geburtstag ist heute! Nur mich, sagt der Opposition von Berlusconis Haus der Frei- und Gondelfahrer und die der Apotheker mächtiger als die Taxifahrer. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. junge Mann, Sie sollen nur mich bewerten, heiten? Sie beschwört einmal mehr wieder – kontrollieren sowohl den Zugang zu den Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen nicht die Dienstleistung der Telekom. Eins, das Gespenst des Kommunismus und Freien Berufen wie auch die urkapitalisti- unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. Die Berliner Zeitung hat gemäß der unabhängigen Mediaanalyse 2005 sagt Tante Frieda, sehr gut. Dann schreibt stempelt Bersanis Deregulierungsvor- sche Freiheit, ein Einzelhandelsgeschäft Aureliana Sorrento (35) ist italienische Journa- täglich 446 000 Leser und ist damit Berlins größte Abonnementzeitung. sie Willi einen Brief. Renate Rauch schriften als sowjetische Maßnahmen ab. zu eröffnen. listin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII 4 Berliner Zeitung · Nummer 41 · 17./18. Februar 2007 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Nach dem Urteil gegen den Holocaust-Leug- In die City nur ner Zündel schreibt die mit Plakette Frankfurter Rundschau

VON PETER NEUMANN Zu bedauern ist nur, dass dieses Urteil zwei Anläufe und 15 Monate gebraucht hat. In urra, in Berlin gibt es wieder eine Zone! denen sich der Gerichtssaal in einen Gestri- HEine Umweltzone. So viel steht schon gen-Treff wandelte. Mit einem Publikum, mal fest: Bei der Wahl eines Namens für die das fast komplett dem rechtsextremen Mi- Innenstadtbereiche, in denen Autos künftig lieu zuzuordnen war. Mit Strafverteidigern, bestimmte Abgasnormen erfüllen müssen, die ihrem Stand zur Schande gereichten. ist der Verwaltung nicht gerade ein Genie- Die im Plädoyer aus Hitlers „Mein Kampf“ streich gelungen. Zone – das erinnert an un- lasen und Briefe ans Gericht mit „Heil Hit- verhältnismäßige staatliche Eingriffe. Lei- ler“ zeichneten. Die Atmosphäre gemahnte der ist der Eindruck nicht ganz falsch. Da- mitunter an eine braune Parallelwelt, in der mit laut Senat zirka 10 000 Anwohner stark nicht nur die Nazi-Vergangenheit geleugnet belasteter Straßen nicht mehr so viel ge- wurde, sondern die Gegenwart gleich mit. sundheitsschädlichen Feinstaub atmen müssen, sollen allein in Berlin 1,2 Millionen Mit der CDU-Familienpolitik und Ministe- Fahrzeugbesitzer anstehen und zahlen – rin von der Leyen beschäftigt sich in Wien um die Plakette zu erhalten, die sie vor dem sonst drohenden City-Fahrverbot bewahrt. Standard Zugleich müssen sich in Berlin die Besit- zer von mindestens 80 000 Autos und Last- Seit die Niedersächsin als Ministerin ange- wagen ernsthaft Gedanken machen, wie sie treten ist, hat das traditionelle Familienbild und ihr Unternehmen mobil bleiben. Viel- der Union schwere Schrammen abbekom- leicht kommen noch 100 000 dazu, obwohl men. Zunächst hat von der Leyen das von ihre Fahrzeuge einen Katalysator haben – in der SPD favorisierte Elterngeld durchge- der Verordnung sind sie einfach vergessen. setzt. Kaum haben sich die Konservativen Während es für Privatpersonen zumutbar in der Union von diesem Schock erholt, will ist, auch mal mit der BVG zu fahren, fühlen von der Leyen Kinderkrippen ausbauen. sich Gewerbetreibende zu Recht in ihrer Doch viele Unions-Männer wollen die Rea- Existenz bedroht. Wer nicht mal eben für Phobie als Chance Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller lität nicht sehen. Dabei leistet Verbraucher- eine sechsstellige Summe einen neuen Lkw minister Horst Seehofer (CSU) mit Frau, kaufen kann, muss das Zentrum (und damit drei Kindern und schwangerer Freundin Kunden) meiden. Nur gut, dass die Polizei ohnehin unfreiwillig praktische Nachhilfe. schon inoffiziell mitgeteilt hat, dass sie Pla- Deutlicher als er kann man kaum zeigen, kettenmuffel nicht mit Blaulicht und quiet- O dass es die heile Familienwelt immer selte- schenden Reifen verfolgen wird. Doch so ner gibt und jede Frau auf ihre finanzielle berechtigt manche Kritik ist: Um die Um- Die Profiteurin Angela Merkel Unabhängigkeit achten sollte. weltzone kommt Berlin nicht herum, weil europäisches Recht sie fordert. Bliebe der VON HOLGER SCHMALE Die Putin-Nachfolge kommentiert die Mos- Senat untätig, drohten Klagen. Klar ist aber kauer Zeitung auch: Gerichtsverfahren wird es auch bei ls im Bundesrat gestern ihr wich- leicht auch gar nicht so genau wissen. wann und wie der SPD-Vorsitzende Kurt Einführung der City-Zone geben. tigstes Reformwerk aufgerufen Zum großen Streit um die Familienpolitik Beck ins Kabinett einrücken könnte sind Kommersant wurde, verließ die Kanzlerin ei- schweigt die Kanzlerin gleich ganz (Ach- Anzeichen der wachsenden Nervosität. lends das Plenum. Die Gesund- tung: innenpolitische Niederung!). Im- Beck dürfte allerdings wenig Neigung zu Für Ex-Verteidigungsminister Sergej Iwa- Die Mehrwertsteuer heitsreformA ist abgehakt, Angela Merkel merhin ist zu erfahren, dass sie im Präsi- so einem Wechsel zeigen. Er würde ihn now ist es nicht einmal so wichtig, um wel- setzt jetzt andere Prioritäten. Europa und dium der CDU zu ihrer im Feuer konser- vom Niveau gleicher Augenhöhe von Par- che Aufgaben er sich in Zukunft kümmern verliert ihren Schrecken die Welt sind die Themen der EU- und G8- vativer Kritik stehenden Familienministe- teichef zu Parteichefin unter die Richtli- wird, sondern vielmehr welche nicht mehr Vorsitzenden, die Innenpolitik mag ru- rin gehalten hat. Ursula von der Leyen ist nienkompetenz der Kanzlerin zwingen in seine Verantwortung fallen. Der Abgang VON SEBASTIAN WOLFF hen. Dies entspricht voll und ganz den derzeit wahrscheinlich die einzige Minis- und ihn seiner soliden Machtbasis als ab- aus dem Verteidigungsministerium schafft Vorstellungen und Erwartungen der Stra- terin, die richtig froh über die große Koali- soluter Herrscher von Rheinland-Pfalz Iwanow einen ganzen Berg von Problemen as hatten sich Wirtschaftsforscher und tegen im Kanzleramt, und die Umfrage- tion ist. Die Unterstützung der Sozialde- berauben. Da müsste das Elend der So- vom Hals, die seine Aussichten für die Prä- WOppositionspolitiker aufgeregt! Die werte geben ihnen recht. mokraten hilft ihr bei der Durchsetzung zialdemokraten schon sehr groß werden, sidentenwahl 2008 ernsthaft getrübt haben. Anhebung der Mehrwertsteuer um gleich Die CDU-Vorsitzende enteilt nicht nur ihrer Politik in der Öffentlichkeit – schadet ehe Kurt Beck sich auf so eine Notopera- Denn seine Erfolge in der Rüstungsindus- drei Prozentpunkte werde den Aufschwung den innenpolitischen Niederungen, sie tion einließe, die ihn am Ende – nach viel- trie wurden regelmäßig von Skandalen in in Deutschland jäh abwürgen, hatten sie bei und ihre Partei lassen auf diesem Wege leicht verlorener Wahl als Kanzlerkandi- der Armee überschattet. Von nun an muss jeder sich bietenden Gelegenheit gewarnt. auch den Koalitionspartner SPD immer Die Regierungskunst der dat 2009 – sogar ohne jedes Amt dastehen jemand anders unangenehme Fragen zu Tatsächlich hat es eine solch drastische An- weiter hinter sich zurück. 35 Prozent für Kanzlerin scheint in großen lassen könnte. verkrüppelten Rekruten, gesunkenen U- hebung der Mehrwertsteuer in der Ge- die Union und nur noch 26 Prozent für die Teilen darin zu Viel wahrscheinlicher ist, dass die So- Booten oder explodierten Raketen beant- schichte der Bundesrepublik noch nie gege- SPD lauten die jüngsten Zahlen der Sonn- bestehen, ihre wahre zialdemokraten den Ton in der Koalition worten. Iwanow kann sich dagegen den ben. Die Angst vor negativen Folgen war tagsfrage. Und Merkel ist zur beliebtesten verschärfen. Dazu eignet sich das Thema Russen als leuchtendes Beispiel eines wirt- also verständlicherweise groß. Jetzt aller- Politikerin aufgestiegen. Position – so sie denn eine hat – Mindestlohn, und auch in der Familien- schaftspolitischen Machers präsentieren. dings müssen sich die Kritiker verwundert Man darf sich schon wundern, warum zu verschleiern. politik werden sie versuchen, die Christ- die Augen reiben: Im Januar sind die Ver- das so ist. Weil sie gerade über so viele rote demokraten vor sich her zu treiben und Zum gleichen Thema meint die braucherpreise nicht etwa stark gestiegen, Teppiche läuft und binnen kürzester Frist, deren innerparteilichen Streit anzufeu- sondern sogar leicht zurückgegangen. Die fast gleichzeitig, in Sotschi und Davos, in allerdings andererseits ihrer Reputation in ern. Irgendwann wird dann die Kanzlerin Moskowskije Nowosti Industrie und der Einzelhandel sind – bis- Doha und Paris, in Brüssel, London oder der eigenen Partei. auch mal wieder eine innenpolitische lang jedenfalls – faktisch auf der höheren Cannes auftaucht? Oder ist es doch wegen Die Umfragezahlen sind der äußere Stellung beziehen müssen – wohl sogar Nun hat die Regierung also zwei Erste Vize- Mehrwertsteuer sitzen geblieben: Um ihre ihrer erfolgreichen Politik? Aber welche Ausdruck eines sich verschiebenden Kräf- gegen ihren Fraktionsvorsitzenden, denn regierungschefs. Doch es geht dabei weni- Kunden nicht an die Konkurrenz zu verlie- Politik ist das? Die Regierungskunst der teverhältnisses in der Koalition. Trotz der Volker Kauder betreibt in dieser Frage of- ger um die formalen Positionen im Kabi- ren, haben sie sich nicht getraut, die Preise Kanzlerin scheint in großen Teilen darin weit verbreiteten Unzufriedenheit mit fene Opposition gegen seine Parteichefin. nett. Wenn der andere Erste Vizeregierungs- anzuheben. Den Verbrauchern wird es zu bestehen, ihre wahre Position – so sie diesem Parteienbündnis und seinen Je mehr vom Koalitionsvertrag abge- chef Dmitri Medwedew seinen Stuhl behält, recht gewesen sein. denn eine hat – zu verschleiern. wichtigsten Projekten wie der Gesund- arbeitet ist – und da ist schon jetzt nicht ist eine mehr als interessante Variante für Doch Fakt ist auch, dass viele Händler Ihre widersprüchlichen Äußerungen heitsreform profitiert Angela Merkel of- mehr viel übrig – und je näher das Land- die Präsidentenwahl 2008 abzusehen. Mit schon im vergangenen Jahr die Preise zum Klimaschutz und der Rolle der deut- fenbar von dem ebenso weit verbreiteten tagswahljahr 2008 rückt, umso unfriedli- einem Kandidatenpaar hätten die Bürger klammheimlich angehoben haben, um sie schen Autoindustrie sind dafür ein gutes –und durch die Fakten gestützten – Ge- cher wird es werden in diesem von seinen Russlands dann die Wahl zwischen dem im Januar werbewirksam nicht mehr zu ver- Beispiel. Mal ermahnt sie die Autobauer fühl, dass es unter ihrer Führung immer- Mitgliedern mindestens ebenso wie von konservativen Iwanow und dem liberalen ändern oder sogar wieder zu senken. Der streng, umweltfreundlichere Autos zu hin wirtschaftlich in Deutschland wieder den Wählern ungeliebten Regierungs- Medwedew. Werbeslogan: „Wir schenken Ihnen die bauen. Mal nimmt sie sie in Brüssel dafür aufwärts geht. Und dass davon endlich bündnis. Das hat auch etwas Positives. Mehrwertsteuer“ zog bei vielen Kunden. in Schutz, dass sie genau dies nicht tun nicht nur die Unternehmen, sondern Politischer Streit ist für die Demokratie Natürlich erklärt das nicht alles. Und es ist und engagiert sich dafür, dass sie es auch auch viele Menschen profitieren. um ein Vielfaches gesünder als die läh- richtig, dass viele Hersteller und Händler so bald nicht tun müssen. Was gilt denn Die Sozialdemokraten muss das alar- mende Kompromisssoße, die die große jetzt noch stärker als zuvor unter Druck ste- nun? Man weiß es nicht, man soll es viel- mieren. Die jüngsten Spekulationen, ob, Koalition über das Land gegossen hat. PFLICHTBLATT DER BÖRSE hen. Zu hoffen ist nur, dass sie in ihrer Not BERLIN-BREMEN jetzt keine Abstriche bei der Qualität ma- Chefredakteur: Josef Depenbrock chen, um am Ende doch noch auf ihre Kos- Stellv. Chefredakteur: Dr. Hendrik Munsberg ten zu kommen. Das wäre für die Verbrau- s war eine Zerreißprobe. Aber am Ende bei der Senatswahl, wurde klar, dass die Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, cher noch unangenehmer als höhere Preise. haben sich die Minister der italieni- Mitte-Links-Wähler von den alten ideolo- Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester. E Nach den Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. schen Regierung über den Wortlaut eines gischen Grabenkämpfen nichts mehr wis- Nachrichten/Tagesthema: Jutta Kramm. Politik/Bundesbüro: Bettina Gesetzes für nichteheliche Partnerschaf- sen wollten. Und wenn heute die Links- Vestring, Holger Schmale (Pol. Korrespondent). Seite 3: Jochen Arntz. GLOSSE ten geeinigt. Wer hätte damit gerechnet? Grabenkämpfen demokraten, die Kultur und Geschichte Feuilleton: Dr. Harald Jähner. Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin (Leitung), Christine Richter (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. O Da der Entwurf der Ministerinnen Bindi der Kommunistischen Partei Italiens ge- Sport: Jens Weinreich. Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina und Pollastrini von allen Seiten unter Be- VON AURELIANA SORRENTO erbt haben, mit den katholischen Liberal- Cosack. Wissenschaft: Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin schuss stand – niemand. Nicht nur die demokraten der Margherita-Partei zusam- Stemmler. Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Quasseln mit Chinesen rechte Opposition und der Vatikan hatten menwirken, ist das kein Skandal, sondern Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. den Text, nach dem nicht verheiratete O Realpolitik. Chef vom Dienst: Bettina Urbanski. ann zu seiner Frau: „Hier, guck mal, Partner auch in Italien eheähnliche Rech- Am Dienstag haben die „zwölf Weisen“ Potsdam: Andrea Beyerlein. Schatz: Die Unicef hat diese Woche te bekommen sollen, für indiskutabel er- des Olivenbaums ein „Manifest der Demo- Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja M Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia verkündet, dass mehr als die Hälfte der klärt. Den radikalen Linken im regieren- kratischen Partei“ veröffentlicht: Sie werde Schoeller. deutschen Kinder behauptet, ihre Eltern den Mitte-Links-Bündnis ging er nicht sich auf die Prinzipien des Christentums Berliner Verlag GmbH würden zu selten mit ihnen reden. Wo ist ei- weit genug. Die Katholiken der verschie- und der Aufklärung stützen und auf die Geschäftsführer: Peter Skulimma. gentlich unsere Tochter? Wie, die quasselt denen Mitte-Parteien, die in Prodis Union Geschichte ihres konfliktreichen Verhält- Anzeigenleitung: Oliver Hauf (stellv. Geschäftsführer). seit zwei Stunden mit ihrer Freundin Maria? verbündet sind, hatten ihrerseits allerlei nisses. Für April sind Parteitage anbe- Vertriebsleitung: Philipp Froben (stellv. Geschäftsführer). Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 Typisch! Wir Deutschen stehen weltweit zu beanstanden: Der Gesetzesvorschlag raumt, bei denen Linksdemokraten und www.berliner-zeitung.de/leserservice doof da. Alles nur wegen unserer Gutmütig- gefährde die Institution Ehe, die katholi- „La Margherita“ entscheiden wollen, ob Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- keit. Wie schon bei Pisa. Wir haben den sche Identität der Italiener, schaffe Ehe- sie zu guter Letzt zu dieser großen Demo- knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- Rohrstock abgeschafft, und schon sind die bündnisse zweiten Grades, komme vor al- kratischen Partei fusionieren. Wäre ihre zeitung.de

Kinder in Mathe nicht mehr Spitze. Wir er- lem homosexuellen Paaren zugute ... BLZ/GERD ENGELSMANN Allianz am Gesetzentwurf für die nicht- Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; lauben ihnen, stundenlang zu telefonieren, Während die Kurie versuchte, auf die ehelichen Partnerschaften zerbrochen – Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 19, gültig seit 1.1.2007. zahlen ihre Handykosten. Doch statt sich zu katholischen Minister Einfluss zu neh- wie zunächst zu befürchten war–, könnte Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 bedanken, jammern sie, dass wir nicht mit men, um das Gesetz abzuwenden, drohte tei“ Wirklichkeit wird. Eine Synthese aller man das Großprojekt schon jetzt zu Grabe Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de ihnen reden. Währenddessen müssen japa- das Thema zur Rutschbahn zu werden für demokratischen und progressiven Kräfte tragen. Sie hat standgehalten. Trotz des Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich 19,20 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg nische Kinder rund um die Uhr zum Pauker Romano Prodis Bündnis, das Katholiken sollte sie sein – jenseits der traditionellen enormen Drucks des Vatikans. Kommt es 22,20 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 22,55 ! (nur in Berlin und Branden- rennen, um bei Pisa zu siegen. Die haben und laizistische Linke versammelt. Jetzt Spaltung von Katholiken und Kommunis- im April tatsächlich zur Fusion, gehen burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 11,45 !, außerhalb von Berlin und Brandenburg 12,45 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- gar keine Kraft mehr, zu jammern. Die Eng- könnte der Gesetzentwurf zwar noch am ten. 2003 wurde die Idee geboren, 2006 Linksdemokraten – also Ex-Kommunisten zin tip 13,70 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei länder wollen jetzt übrigens, dass die Kin- Parlament scheitern. Dass sich aber die gab es die Generalprobe: Linksdemokra- und Liberaldemokraten – zumeist beken- Arbeitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte der in der Schule Mandarin lernen, damit Minister auf die Gesetzesvorlage erst ein- ten, Liberaldemokraten der Margherita- nende Katholiken – in einer großen Partei Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. sie sich mit den Chinesen unterhalten kön- mal verständigen konnten, u.a. über ein Partei und „Europäische Republikaner“ auf, dann kann man auch in Italien den Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- nen. Hoffentlich schwappt das nicht auch für Gläubige so heikles Thema wie die Le- stellten sich mit einer gemeinsamen Liste Kalten Krieg für beendet erklären. gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen auf uns über. Die Handykosten nach China galisierung homosexueller Partnerschaf- für das Unterhaus zur Wahl. Da der Zu- unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. können wir doch gar nicht bezahlen. Und ten, gibt Anlass zu einer kühnen Hoffnung: sammenschluss unter dem Namen Oli- Die Berliner Zeitung ist die größte Abonnementzeitung Berlins (IVW 4/2006) und sie erreicht laut Mediaanalyse 2006 in Berlin und Brandenburg 471 000 dann stehen wir bei der Unicef schon wie- Dass die seit Jahren vom Mitte-Links- venbaum mehr Stimmen brachte als die Aureliana Sorrento (35) ist italienische Leser. der als Rabeneltern da.“ Torsten Harmsen Bündnis anvisierte „Demokratische Par- verbündeten Parteien zusammengezählt Journalistin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII 4 Berliner Zeitung · Nummer 53 · 3./4. März 2007 ...... Meinung

KOMMENTARE PRESSESTIMMEN O O Zu den Pannen im BND-Untersuchungsaus- Nicht nur schuss äußert sich der Bonner das Leben der Anderen Generalanzeiger

VON HENDRIK MUNSBERG Langsam wird es richtig unruhig im BND- Untersuchungsausschuss. Denn ganz of- en Deutschen wird immer klarer, was fensichtlich gibt es innerhalb der Bundes- Ddie alarmierenden Prognosen der Kli- regierung sehr interessierte Stellen, die maforscher für ihr eigenes Leben bedeuten: überhaupt kein Interesse daran haben, dass Nicht nur im Leben der Anderen muss sich bestimmte Unterlagen des Bremer Landes- etwas ändern, nein, jeder muss sein Verhal- verfassungsschutzes eine größere Öffent- ten umstellen, muss versuchen, den kon- lichkeit erreichen. Warum wohl? Für den sumptiven Umgang mit den natürlichen heutigen Außenminister Frank-Walter Ressourcen einzuschränken, wenn die Ka- Steinmeier könnte es noch einmal eng wer- tastrophe noch abgewendet werden soll. den. Sollte sich bewahrheiten, dass die Er- Wohnen, Auto, Reisen, Urlaub – kein Le- kenntnislage gegen Kurnaz mehr als dünn bensbereich darf ausgenommen bleiben. war, müsste Ex-Kanzleramtschef Stein- Nach einer aktuellen Meinungsumfrage meier damaliges Regierungshandeln schon sind 92 Prozent der Bundesbürger zu klima- wie aus der Wundertüte begründen. Wenn schonendem Verhalten bereit, viele wollen es so ist, hat man besser keine Akten. Jeden- bei Strom, Heizung und sogar beim Auto- falls nicht öffentlich. fahren sparsamer werden. Doch der Einzel- ne ist bei weitem überfordert, das Weltklima Zum gleichen Thema meint zu retten. Das kann nur der Staat, indem er angemessene Ziele und Handlungsanreize taz setzt und indem er sich darüber hinaus mit den anderen Staaten der Erde koordiniert. Die sogenannte Aufklärungsarbeit der Re- Es reicht aber nicht, wie die Bundesregie- gierung im Fall Kurnaz wird immer peinli- rung das Gewissen zu beruhigen, indem cher. Weil wichtige Akten unter Verschluss man etwa zum Ausgleich für eigene Dienst- gehalten werden, musste der BND-Unter- reisen mit Millionenbeträgen Klimaschutz- suchungsausschuss seine gestrige Sitzung projekte in Indien oder Afrika finanziert, wo abblasen. Damit verschiebt sich auch der das eingesetzte Geld fraglos die größten Karikatur: Berliner Zeitung/Bernd Zeller Auftritt von Außenminister Steinmeier. Ein Früchte trägt. Nein: Wir, die Bewohner der bisher beispielloser Vorgang, der sich mit Industrieländer, müssen uns selbst erkenn- Schlamperei oder Faulheit nicht erklären bar einschränken und umstellen. Sonst lässt. Dass die Unterlagen – einen Monat werden wir aufstrebende Länder wie China nach der Anfrage – nicht geliefert wurden, oder Indien nie dazu überreden, unseren O verstärkt vielmehr den Verdacht, dass in bisherigen Öko-Wahnsinn nicht nachzuah- den Akten nicht das zu finden ist, was Stein- men. Die Klimakatastrophe noch abzuwen- Die globale „Korrektur“ meier braucht: handfeste Belege für Kurnaz den, ist eine Überlebensfrage der Mensch- angebliche Gefährlichkeit. heit. Sie zu lösen stellt die Gattung homo sa- VON STEPHAN KAUFMANN piens sapiens vor die größte Herausforde- Der Vorfall bewegt auch die rung ihrer Geschichte. Davor zu kapitulie- s war der 10. März 2000. Der „Neue des Jahr um einen bestimmten Prozent- Händler als schönste Aktie betrachten. ren wäre das Dümmste. Markt“ – das Segment der Deut- satz steigen werden, etwa um acht Pro- Sind alle der Meinung, dass die anderen Rhein-Neckar Zeitung schen Börse, an dem die Aktien zent. Warum acht? Weil in den letzten 50 eine bestimmte Aktie am attraktivsten fin- der Technologie-Unternehmen Jahren die Kurse im Durchschnitt um die- den, wird sie gekauft, ihr Kurs steigt, und Verschwundene Akten sind weder ein Der Minister träumt Egehandelt wurden – erreichte seinen Hö- se acht Prozent gestiegen sind. Steigen die auf diese Weise gibt sich der Markt selber Schuldbeweis noch eine Entlastung. Und hepunkt. Dann aber bröckelten die Akti- Kurse einige Jahre schwächer, dann haben recht – eine sich selbst erfüllende kollekti- ein Fernseh-Interview mag Stimmung er- von Raketen enkurse. Am 7. April hatte der Markt 23 sie noch „Potenzial“. Steigen sie stärker, ve Prophezeiung. Harte Daten wie Wirt- zeugen – beurkunden kann es nichts. Inso- Prozent an Wert verloren. Alle waren ner- dann droht „Überbewertung“. Der lang- schaftswachstum, Gewinn oder Kapital- fern ist gestern nicht viel passiert, was Au- VON GEROLD BÜCHNER vös. Doch Deutsche-Börse-Vorstand Jörg fristige Durchschnittswert dient den Bör- rendite dienen den Börsianern bei diesem ßenminister Frank-Walter Steinmeier mehr Franke beruhigte: Das sei eine „ganz nor- sianern als Anker. Ähnlich wie der Unter- Spiel nur als Indikatoren dafür, wie „der Sorgen machen sollte – als die ganze Kur- as die Anzahl abstruser Vorschläge an- male Korrektur“. In den nächsten zehn Ta- nehmensgewinn. Ob eine Aktie über- Markt“ – also sie selber – eine Aktie bewer- naz-Affäre an sich. Und doch wirkt die oh- Wbelangt, so hat die Bundesregierung gen ging es nochmal 16 Prozent abwärts, oder unterbewertet ist, messen Börsianer ten wird. Insofern ist der Kurs einer Aktie nehin eher verschrobene Verteidigungsfüh- einen heimlichen Superstar. Verteidigungs- was Börsenhändler Siegfried Konrad gern am Jahresgewinn: Sie teilen den Akti- zwar verbunden mit dem Erfolg des Un- rung des Außenministers noch unglaub- minister Franz Josef Jung weicht keinem kommentierte: „Hightech-Aktien waren ternehmens, aber nicht mit ihm iden- würdiger als bisher. Es sieht so aus, als ob Fettnapf aus und zeigt damit Traditionsbe- überbewertet, diese Korrektur war über- tisch. Der pseudo-technische Börsianer- Kurnaz' Angaben und Beschuldigungen im wusstsein oder besser: den Willen, in die fällig.“ Ein Jahr später, die Kurse waren um Der Laie fragt sich: Slang von Kurs/Gewinn-Verhältnis, Cross Großen und Ganzen stimmen. Die der rot- Fußstapfen seines Vorvorgängers Rudolf weitere 67 Prozent eingebrochen, sah Was ist gesund daran, Asset Allocation, Liquiditätsaustattung, grünen Bundesregierung aber nicht. Scharping zu treten. Jetzt hat Jung wieder Commerzbank-Geschäftsleiter Horst Hel- dass sich an einem Tag Zinsspread, Push- und Pull-Faktoren oder zugeschlagen. Beim Treffen der EU-Vertei- penstein den Boden erreicht: „Nach jeder 1340 Milliarden Dollar Sektorrotation kann nicht verbergen: Die Zum Konflikt zwischen den USA und Iran digungsminister forderte er, die von den Korrektur geht es wieder kräftig nach Kursentwicklung von Aktien ist unvorher- schreibt die dänische USA geplante Raketenabwehr doch der oben.“ Auch er sollte sich irren. Erst im Aktienkapital sagbar. Ihre Bewertung ist nur vorder- Nato zu unterstellen. Das sei der beste Weg, Oktober 2002 erreichte der Markt seinen in Luft auflösen? gründig rational. Letztlich folgt sie nichts Jyllands-Posten um das besorgte Russland zu besänftigen. Tiefpunkt. Gegenüber März 2000 hatte er weiter als der Einschätzung der Börsianer, Es gibt viele Gründe, ohne Abwehrrefle- 96,76 Prozent an Wert verloren. Was für wie sich die Bewertung entwickeln wird. Tatsache ist, dass sowohl der Iran wie die xe über den Raketenschild nachzudenken. eine Korrektur! enkurs durch den Gewinn und erhalten Bei diesem Geschäft kann man sehr USA ein Interesse daran haben, Verhand- Wenn Staaten wie Iran weit reichende Ra- Auch dieser Tage fallen wieder die Kur- eine Maßzahl, das „Kurs/Gewinnverhält- reich werden. Wie geht es also weiter? lungsmöglichkeiten auszutesten. Für Tehe- keten entwickeln und zudem nach Atom- se. Auch diesmal sprechen die Experten nis“ (KGV). Derzeit liegt es bei 13. Damit Größte Gefahr für die Börsianer ist ihr ei- ran geht es darum, dass das dortige Regime waffen streben, muss sich der Rest der Welt von einer „gesunden Korrektur“, von ei- seien Aktien „moderat“ bewertet, heißt es, gener Pessimismus. Fürchten sie einen eine Entwicklung im Irak fürchtet, bei der Gedanken über seinen Schutz machen. Das nem „heilsamen Schock“. Und der Laie also nicht überbewertet. Warum nicht? Crash, dann verkaufen sie in Panik, und man selbst in einen Krieg zwischen Schiiten passiert seit Jahren, auch in der Nato und fragt sich: Was ist gesund daran, dass sich Weil im langjährigen Durchschnitt das der Crash wird Realität. Doch dazu und Sunniten gezogen wird. Umgekehrt unter Einbeziehung Russlands. Der osten- an einem Tag 1 340 Milliarden Dollar Akti- KGV bei 15 lag. Man sieht: Börsianer sind kommt es nicht. Der US-Wirtschaft ge- spielt der Iran eine entscheidende Rolle für tative Moskauer Protest ist daher mehr enkapital in Luft auflösen? Die Krankheit, Traditionalisten. Per Vergangenheitsbe- lingt eine weiche Landung, der China- Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten. Show als echte Sorge. Ob aber ein kompli- die durch den Absturz geheilt werden soll, trachtung versuchen sie, ihrer luftigen Boom geht weiter. Der Gewinntrend der Der zunehmende Einfluss des Landes be- ziertes, teures und anfälliges System, wie es heißt „Überbewertung“. Die Kurse seien Spekulation eine solide Basis zu geben. Unternehmen setzt sich abgemildert fort. unruhigt die USA. Verhandlungen wären al- Washington vorschwebt, die richtige Ant- zu schnell, zu lange und zu hoch gestie- Zwar bezieht sich der Aktienhandel auf Die Liquidität an den Kreditmärkten lemal einen Versuch wert. In jedem Fall wort auf die neuen Bedrohungen darstellt, gen. Sicher, seit Februar 2003 hat der Fundamentaldaten wie Gewinn oder Um- trocknet nicht aus. Ende 2007 steht der würde das Klarheit darüber bringen, wo der bezweifeln Fachleute. Interessant wäre es Deutsche Aktienmarkt um 175 Prozent satz. Letztlich gründet er sich aber auf an- Dax bei 7 400 Punkten. Also: Aktien kaufen Iran beim Nahost-Konflikt wirklich steht. außerdem, von Jung etwas zur Finanzie- zugelegt. Aber wann ist hoch „zu hoch“, dere Regeln, die der Ökonom John May- gemäß der Börsenweisheit „The trend is rung zu hören. Ein umfassender Raketen- wann ist schnell „zu schnell“? nard Keynes als „Schönheitswettbewerb“ your friend“! Und stürzen die Märkte schild soll mindestens 20 Milliarden Euro Die Diagnose „Überbewertung“ spie- bezeichnet hat: An der Börse kommt es doch ab, tröste man sich mit einer ande- kosten; das ist fast ein kompletter Jahresetat gelt das Weltbild der Börsianer wider, in nicht darauf an, die schönste Aktie zu kau- ren Börsenweisheit: „Die Börse ist keine der Bundeswehr. Deren Offiziere werden dem – vereinfacht gesagt – die Aktien je- fen, sondern die Aktie, die die anderen Einbahnstraße.“ PFLICHTBLATT DER BÖRSE begeistert sein, wenn sie wegen des High- BERLIN-BREMEN Tech-Projekts weiter sparen müssen. Jung Chefredakteur: Josef Depenbrock sollte sich einen Abwehrschild gegen krau- Stellv. Chefredakteur: Dr. Hendrik Munsberg se Ideen und lose Worte aufbauen; das kann ir sind im Land der Irren“, sagte Mas- demokratischen Kräfte nach Volkes Willen Leitende Redakteure: Christian Bommarius, Thomas Leinkauf, Renate Rauch, Ewald B. Schulte, Regine Sylvester. nicht die Welt kosten. simo D’Alema nach dem Debakel repräsentiert würden. Auch wäre dem Bi- W Nach deutschem Autoren: Dieter Schröder, Dr. Stephan Speicher. vom Aschermittwoch. Seine Außenpolitik polarismus von zwei schon vor den Wah- Politik/Tagesthema: Jutta Kramm. Bundesbüro: Holger Schmale, war gerade im Senat durchgefallen, und len mühsam zusammengeschusterten Ko- Bettina Vestring. Seite 3: Jochen Arntz. Feuilleton: Dr. Harald Jähner. GLOSSE der italienische Außenminister wollte sei- alitionen, die stets an ihren inneren Wider- Berlin/Brandenburg: Hartmut Augustin (Leitung), Christine Richter Vorbild (Landespolitik). Wirtschaft: Matthias Loke. Sport: Jens Weinreich. O nem Herzen Luft machen. Es hatte ge- sprüchen zusammenzubrechen drohen, Medien: Ralph Kotsch. Vermischtes: Bettina Cosack. Wissenschaft: reicht, dass zwei Senatoren (die „Irren“) VON AURELIA SORRENTO ein Ende gesetzt. Lilo Berg. Ombudsfrau/Leserbriefe: Karin Stemmler. gegen den Afghanistan-Einsatz stimmten, Vernünftige Überlegungen. Und ohne Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Redakteure im Sinne des Berliner Pressegesetzes. um die Mitte-Links-Koalition von Romano Zweifel ist die Debatte über ein neues Studium am Bau Chef vom Dienst: Bettina Urbanski; Hans-Richard Edinger (Foto), Prodi nach nur neun Monaten Regie- O Wahlrecht, das nun in Italien zugange ist, Martin Sasse (Layout). ie Studiengebühren, neuerdings an vie- rungsarbeit in die Krise zu stürzen. Eine unerlässlich. Aber der Entwurf und die Potsdam: Andrea Beyerlein. Dlen deutschen Unis eingeführt, sollten solche Linke, die sich der Realität ver- Verabschiedung eines neuen Wahlgeset- Brüssel: Gerold Büchner, London: Sabine Rennefanz, Moskau: Katja Tichomirowa, Paris: Axel Veiel; Rom: Oliver Meiler; Washington: Olivia eigentlich direkt die Lehre verbessern. schließt, brauche das Land nicht, befand zes erfordert nicht nur Zeit, sondern eine Schoeller. Doch was musste man in dieser Woche le- D’Alema. Jetzt scheint Prodis Mehrheit Mehrheit im Parlament. Zeit hat Prodis sen: Statt neue Computer zu kaufen oder erst einmal geflickt worden zu sein. Der Regierung kaum: In Kürze soll wieder über Berliner Verlag GmbH Geschäftsführer: Peter Skulimma. Bücher zu bestellen, druckt die Uni Aachen Schlamassel hat aber bewiesen, dass Ita- den Afghanistan-Einsatz abgestimmt wer- Anzeigenleitung: Oliver Hauf (stellv. Geschäftsführer). von dem Geld Imagebroschüren. Hildes- lien vor allem das Wahlgesetz nicht den, und die zwei „irren“ Senatoren haben Vertriebsleitung: Philipp Froben (stellv. Geschäftsführer). heim stopft Haushaltslöcher, und Freiburg braucht, mit dem im vergangenen Früh- bereits angekündigt, dass sie sich auch Leser-Service Telefon: (030) 23 27 - 77, Fax: (030) 23 27 - 76 will Heizkosten bezahlen. jahr gewählt wurde. Die frühere Regierung dann nicht der Staatsräson beugen wer- www.berliner-zeitung.de/leserservice Verlag und Redaktion: Postadresse 10171 Berlin. Besucher: Karl-Lieb- Ich würde vorschlagen, konsequent zu Berlusconis hatte es ein paar Monate vor den. Außerdem: Welcher italienische knecht-Straße 29, Telefon: (030) 23 27 - 9; Fax: (030) 23 27 - 55 33; sein und das Geld gleich dorthin zu stecken, den Wahlen durchs Parlament gepeitscht – Volksvertreter sollte einem Wahlgesetz Internet: www.berliner-zeitung.de; E-Mail: leserbriefe@berliner- zeitung.de wo die größte Not herrscht – auch außer- und so ausgetüftelt, dass es auf keinen Fall BLZ/GERD ENGELSMANN nach deutschem Vorbild zustimmen? Soll Anzeigen: Postfach 02 12 84, 10124 Berlin; halb der Uni. Berlin will bis jetzt keine Ge- stabile Mehrheiten hervorbringen konnte. die Regierbarkeit des Landes gewährleis- Anzeigenannahme: (030) 23 27 - 50; Fax (030) 23 27 - 66 97 bühren einführen. Schön doof! Man denke: Nach dem Urteil des Urhebers des Ge- tet werden, wäre eine Fünf-Prozent-Sperr- Es gilt Anzeigenpreisliste Nr. 19, gültig seit 1.1.2007. Wenn nur die Hälfte der 133 000 Berliner setzes Roberto Calderoli, dem es nach- konkurrierenden Bündnisse im Senat letz- klausel unentbehrlich. Casini selbst führt Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH, Am Wasserwerk 11, 10365 Berlin, Internet: www.berliner-zeitungsdruck.de Studenten 1 000 Euro im Jahr zahlt, dann träglich auffiel, dass sein Werk eine „porca- ten Endes auf. Das ist der eigentliche Aber- eine Partei an, die jetzt laut Umfragen auf Die Berliner Zeitung erscheint sechs Mal in der Woche. Bezugspreis monatlich sind das 66,5 Millionen. Damit lässt sich ta“, ein Schweinstück, war, wird das Ela- witz – auf den leider nicht Außenminister rund vier Prozent käme. In Prodis Union 19,20 ! einschl. 7% Mehrwertsteuer, außerhalb von Berlin und Brandenburg 22,20 !; AboPlus, inklusive Stadtmagazin tip 22,55 ! (nur in Berlin und Branden- manches Schlagloch füllen. Man könnte borat gemeinhin „Porcellum“ genannt. D’Alema hingewiesen hat, sondern sein sind Parteien vertreten, die allein Drei- burg). Bezugspreis des Studentenabonnements monatlich 11,45 !, außerhalb von natürlich die Gebühr auch gleich in Form Demnach werden die Senatoren, die die Gegner Pierferdinando Casini. Prozent-Hürde nicht überspringen wür- Berlin und Brandenburg 12,45 !; Studentenabonnement Plus, inklusive Stadtmaga- den. Für all diese Klein- und Kleinst-Par- zin tip 13,70 ! (nur in Berlin und Brandenburg). Im Falle höherer Gewalt und bei Ar- von Leistungen erheben. Hundert Studen- zweite Parlamentskammer bilden, an- Casini, Anführer der Zentrums-Partei beitskampf (Streik/Aussperrung) besteht kein Belieferungs- und Entschädigungs- ten mit Hammer und Spitzhacke sind beim hand regionaler Auszählungen bestimmt. UDC und bis vor kurzem mit Berlusconi teien bedeutete ein Wahlrecht nach deut- anspruch. Erfüllung und Gerichtsstand Berlin-Mitte. Für unaufgefordert eingesandte Abriss des Bahnhofs Ostkreuz gewiss billi- Bei der Wahl gilt das Proporzwahlrecht, es verbündet, fordert mit Vehemenz und völ- schem Muster der politische Selbstmord. Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Die Auflage der Berliner Zeitung wird von der unabhängigen Informations- ger als jedes große Gerät. Ingenieurstuden- gibt aber eine Mehrheitsprämie für die lig zu Recht ein neues Wahlgesetz. Ihm gemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern geprüft. ten lernen gleich etwas über historische Ei- Siegerkoalition in der jeweiligen Region. wäre ein personalisiertes Proporzwahl- Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Berliner Verlages, einzusehen senkonstruktionen. Und wenn einer run- Da die politische Landkarte Italiens aus recht nach deutschem Muster am liebs- unter www.berliner-zeitung.de/agb-blz. Die Berliner Zeitung ist die größte Abonnementzeitung Berlins (IVW 4/2006) terfällt, dann haben die Medizinstudenten traditionell „roten“ und „braunen“ Regio- ten. Das hätte den Vorteil, ein Parlament Aureliana Sorrento (35) ist italienische Journa- und erreicht laut Mediaanalyse 2006 in Berlin und Brandenburg 471 000 Leser. sofort was zum Üben. Torsten Harmsen nen besteht, heben sich die Stimmen der hervorzubringen, in dem tatsächlich alle listin und lebt in Berlin. ISSN 0947-174x IIIIII 4 * Berliner Zeitung · Nummer 272 · 21./22. November 2009 ...... Meinung

KOMMENTARE ANALYSE O O Das Ende Merkels Mann für des Staunens das Konservative

VON MARKUS LOTTER VON JÖRG MICHEL

as Spiel ist aus. Der Sport beziehungs- us Sicht von Angela Merkel gibt es viele Dweise der Geldsport, um gegenüber Agute Gründe, ausgerechnet Günther den Freizeitsportlern sogleich eine Diffe- Oettinger in die EU-Kommission zu schi- renzierung vorzunehmen, war chancenlos cken. Der Noch-Ministerpräsident von Ba- gegen seine Profanierung. Er ist entwürdigt den-Württemberg versteht halbwegs etwas und entweiht, seit geraumer Zeit im Allzu- von Wirtschaft, was man seit dem Rückzug weltlichen angekommen, er taugt nicht von Friedrich Merz nur noch von wenigen mehr als Ersatzreligion, als schöne, ideale CDU-Politikern sagen kann. Oettinger ist Gegenwelt, in der parallel zur tristen Reali- hinreichend spröde, um sich quasi ge- tät unschuldige Tugend und hohe Moral ge- räuschlos im Beamtenapparat der EU ein- feiert werden. Er ist gezeichnet vom aus- zufügen. Seine Beliebtheitswerte im Ländle sichtslosen Kampf um eine Zukunft, die sind seit Jahren auf einem Niveau, dass die mehr Freude denn Probleme bringen soll. Kanzlerin den berechtigten Grund zur An- Das ist freilich keine neue Erkenntnis, nahme hatte, er sei in Brüssel vielleicht bes- sondern eine fatale Gewissheit, die durch ser aufgehoben als in Stuttgart. den jüngsten Manipulationsskandal im eu- Doch das wichtigste Argument für Oet- ropäischen Klubfußball nur noch einmal tingers Beförderung heißt Stefan Mappus. aufgefrischt worden ist, allerdings mit ei- Der Nordschwarzwälder hat jahrelang an nem tosenden Sturm, mit dem in dieser Oettingers Stuhl gesägt und ist seit gestern Form wohl kaum einer gerechnet hat. sein Nachfolger als Chef der Südwest-CDU. Schon gar nicht der deutsche Fußball mit Bald wird er ihm auch als Ministerpräsident seinen Ordnungshütern im Verband und in nachfolgen. Für das Ländle ist das eine Zä- der Liga, die nach dem Fall Robert Hoyzer sur: Während Oettinger seine Partei moder- ein paar gutgemeinte Sicherheitsvorkeh- nisieren wollte und sich als großstädtisch-li- rungen getroffen hatten und sich leidlich si- beral gab, gilt Mappus als barock-konserva- cher fühlten. Zu sicher, wie ihnen nun ein tiv. Wie die CSU befürwortet er ein Betreu- Netz von Betrügern erneut eindrucksvoll Europa lernt laufen. Karikatur: Berliner Zeitung/Thomas Plaßmann ungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hau- vor Augen geführt hat. se erziehen. Er bekennt sich zur deutschen Mit seinem Zugriff bestraft das organi- Leitkultur, fordert einen starken Staat und sierte Verbrechen den Sport für seine Aus- den Einsatz der Bundeswehr im Inneren. lieferung an den Kapitalismus, durch den Die Homo-Ehe ist ihm ein Gräuel. Koalitio- sich die Heldenverehrung des Athleten ins O nen mit den Grünen kann er sich anders als Perverse gesteigert hat, durch den sich der sein Vorgänger nur schwer vorstellen. Die Sport an den Rand eines tiefen Abgrunds Europas Ritter von der traurigen Gestalt schwarz-grünen Sondierungsgespräche hat führen lassen. Es ist das Ende des Stau- Oettingers nach der letzten Landtagswahl nens, das Ende der uneingeschränkten Be- VON THORSTEN KNUF hatte Mappus als Chef der mächtigen Land- geisterung für außerordentliches Talent. Ei- tagsfraktion eigenhändig gestoppt. gentlich wundert man sich nur noch über er Satz der Woche fiel am Don- gegenüber den Mitgliedstaaten äußerst zufordern. Niemand wird den mächtigen Zwar wird sich Mappus als Landesvater das Ausmaß der Problematik. nerstagabend um kurz nach handzahm. Anfang Dezember tritt der Staatslenkern die Show stehlen in Europa weniger ideologisch geben müssen als bis- neun. In Brüssel war gerade der EU-Reformvertrag von Lissabon in Kraft. und dem Rest der Welt. Die Brüsseler lang. Schon, weil in weiten Teilen zwischen EU-Gipfel zu Ende gegangen, Eigentlich erhofft sich die Union davon Amtsträger wissen zu genau, wem sie ihre Rhein und Donau die Zeit auch nicht ste- Der Druck Dund Bundeskanzlerin Angela Merkel frischen Schwung und mehr Schlagkraft, Karrieren zu verdanken haben. hen geblieben ist. Trotzdem könnte Map- kommentierte die Ergebnisse. Sie lobte unter anderem durch neue Posten mit Dabei gab es andere Kandidaten mit pus mittelfristig zum neuen Vorzeige-Kon- auf Schüler wächst den künftigen EU-Ratspräsidenten Her- neuen Kompetenzen. Jetzt stehen an der anderem Kaliber für die neuen Spitzen- servativen aufsteigen in einer ansonsten man Van Rompuy aus Belgien und die Spitze der Gemeinschaft drei Ritter von Jobs. Persönlichkeiten wie Tony Blair oder weichgespülten Merkel-CDU. Die Kanzle- VON MARTIN KLESMANN neue Chefdiplomatin Catherine Ashton der traurigen Gestalt. Jean-Claude Juncker hätten sich in der rin, die mit derlei konservativem Eifer in- aus Großbritannien. Merkel sprach viel Gleichwohl gibt es Leute in Europa, die Funktion des EU-Ratspräsidenten als haltlich an und für sich wenig anfangen chon seit Wochen demonstrieren die vom Konsens in Europa. Dann sagte sie: mit den jüngsten Personalien sehr zufrie- primus inter pares gesehen und nicht als kann, verfolgt damit ein klares strategisches SStudenten gegen die starren Bachelor- „Ich gehöre zu den Menschen, die wissen, den sein dürften. Allen voran Kommissi- Generalsekretär der Mitgliedstaaten. Und Ziel. Sie kann die Volkspartei CDU mit Map- Studiengänge, die ihnen kaum Freiräume dass Persönlichkeiten in Aufgaben hin- ons-Chef Barroso. Die beiden Neulinge jemand wie der Italiener Massimo D’Ale- pus wieder breiter aufstellen und dem lan- für selbstbestimmtes Lernen geben. Nun einwachsen können.“ ma oder der Spanier Miguel Angel Mora- ge verwaisten rechten Flügel wieder ein hat der Protest auch die Schulen erreicht. Eleganter hätte die Kanzlerin gar nicht tinos wäre vom ersten Tag an ein selbstbe- prominentes Gesicht geben. Mappus könn- Ganz konkret in Berlin-Britz besetzten einräumen können, dass sie gemeinsam Zwei graue Novizen sollen wusster europäischer Außenminister ge- te Schritt für Schritt sogar zu einer Art Schüler ihr Gymnasium, erzwangen „Pro- mit ihren Kollegen zwei Leichtgewichte in künftig die EU leiten, wesen und kein Lehrling auf diplomati- Franz-Josef-Strauß light aufgebaut werden. jekttage“ und diskutierten darüber, wie das die Spitzen-Ämter gehievt hat. Van Rom- gemeinsam mit dem schem Parkett. Damit versucht die CDU-Vorsitzende, Lernen besser werden kann. Wahrschein- puy und Ashton sind solide und boden- Kommissionspräsidenten Überhaupt, die neue Außenbeauftrag- jene konservativen Wähler wieder für die lich haben die Schüler dabei in den vergan- ständige Politiker. Man könnte sie auch te: Die Nominierung Catherine Ashtons Partei zu gewinnen, die wegen der gesell- genen Tagen mehr gelernt als in zwei Unter- als „unauffällig“ beschreiben. Er ist seit elf José Manuel Barroso unterstreicht, in welch desolatem Zu- schaftspolitischen Reformagenda von der richtswochen. Gut ist auch, dass die Schul- Monaten Premierminister seines Landes, aus Portugal. stand sich inzwischen die Sozialdemokra- Leyens oder Röttgens oft zu Hause geblie- leitung sich darauf eingelassen hat. sie seit etwas mehr als einem Jahr EU- tie in Europa befindet. Die Parteienfami- ben sind. Bei der Bundestagswahl erreichte Doch hinter diesem Protest steckt die Handelskommissarin. Der Belgier gehört lie stellt nur noch in wenigen Staaten die die Südwest-CDU eines ihrer schlechtesten ernste Sorge vieler Schüler, dass vor lauter den Konservativen an, die Britin den Sozi- werden sich auf absehbare Zeit kaum als Regierung. Folglich wird ihre Personalde- Wahlergebnisse. Südlich des Mains konn- Klausuren- und Prüfungsstress an ihrem aldemokraten. Auf der internationalen Konkurrenten profilieren können. Auch cke immer dünner. Sind wie jetzt interna- ten viele CDUler mit Ideen wie den Väter- Gymnasium die wirklich umfassende Bil- Bühne haben die zwei bisher kaum eine nicht als Gegengewichte im Gefüge der tionale Spitzenposten zu vergeben, fehlt monaten oder dem Krippenausbau wenig dung zu kurz kommt. Denn Berlin reduziert Rolle gespielt. Demnächst repräsentieren EU-Institutionen, so wie das von den Ur- es an überzeugenden Kandidaten mit anfangen. Von dem hemdsärmligen Haude- wie andere Bundesländer auch die Zeit zum sie 500 Millionen Menschen. Die beiden hebern des Lissabon-Vertrags eigentlich Sachkenntnis und Erfahrung. Noch gen Mappus sind vergleichbare Experimen- Abitur von 13 auf zwölf Jahre. Nur an den Ernennungen sind das Minimalergebnis gewünscht ist. Unter Blinden ist der Ein- schwieriger wird es, wenn die Sozialde- te dagegen kaum zu erwarten. neuen Sekundarschulen soll man auch eines monatelangen Geschachers zwi- äugige König. Barroso hat den Vorteil von mokraten gezielt eine Frau auf den Schild Also spielt die Kanzlerin ein Doppelspiel. nach 13 Jahren Abi machen können. An den schen den politischen Lagern. Van Rom- fünf Jahren Amtserfahrung. Er verfügt heben wollen. Das ist an sich ja sehr lo- Während sie in Berlin an ihrer betont libe- Gymnasien aber wird ein ganzes Schuljahr puy gilt als kompromissbereiter Verhand- über gute Kontakte in die Hauptstädte der benswert. Die Personalie Ashton aller- ral-pragmatischen Politik festhält, lässt sie gestrichen, mit gravierenden Folgen: Die ler. Im Kreise der europäischen Staatslen- EU. Selbst das müssen sich Van Rompuy dings wird nicht dadurch besser, dass eine am fernen Bodensee, auf der Schwäbischen Stundenzahl pro Jahr steigt, einer Prüfung ker ist er noch nicht mit eigenen Initiati- und Ashton erst noch erarbeiten. Frau zum Zuge gekommen ist. Alb oder im Hotzenwald die konservativen folgt die nächste. Da bleibt oft keine Zeit ven aufgefallen. Ashton wiederum, die Zufrieden sind bestimmt auch Angela Baroness Ashton soll das Amt des EU- Hardliner gewähren. Parteiinterne Konkur- mehr für ein intensives Hobby, die Schüler- neue Außenbeauftragte, steht im Ruf, sehr Merkel, Frankreichs Staatschef Nicolas Chefdiplomaten vom Spanier Javier Sola- renz durch Mappus muss sie auf absehbare band oder gar ein Auslandsjahr. Hinzu umgänglich und gesellig zu sein. Sie hat Sarkozy und Großbritanniens Premier na übernehmen. Der war früher Außen- Zeit trotzdem nicht fürchten. Denn der 43- kommt die Aussicht, dass 2012 wegen der keine Erfahrung in auswärtigen Angele- Gordon Brown. Trotz des Lissabon-Ver- minister seines Landes und Nato-Gene- Jährige dürfte erstmal damit beschäftigt Abiturzeit-Verkürzung ein doppelter Jahr- genheiten. Eigentlich ist sie Bildungspoli- trags werden die großen Mitgliedsländer ralsekretär. Er war schon ein Hauptdar- sein, seine eigene Machtbasis zu festigen gang an die Berliner Hochschulen und Aus- tikerin. Bis in ein Ministeramt hat sie es in auf absehbare Zeit die wahren Herren der steller in Europa, bevor er sein Büro im und beim Wahlvolk bekannter zu werden. bildungsstätten drängt. Das führt zu weite- ihrer Heimat nie geschafft. Gemeinschaft bleiben. Wenn sie gnädig Brüsseler Europaviertel bezog. Hält man Umfragen zufolgen kennt immerhin die rer Verunsicherung und zu noch mehr Leis- Zwei graue Novizen sollen künftig die sind und es die Umstände erfordern, neh- sich das vor Augen, wird vollends klar, was Hälfte der Baden-Württemberger ihren tungsstress. Angesichts der parallel geplan- EU leiten, gemeinsam mit dem Kommis- men sie noch die Italiener mit hinzu. Kein die Staats- und Regierungschefs der Uni- künftigen Landesvater noch nicht oder ten Schulreform sind die Berliner Schulen sionspräsidenten José Manuel Barroso Barroso, kein Van Rompuy und keine Ash- on jetzt antun. Die EU braucht starke Leu- kann ihn nicht einschätzen. Solche Männer darauf noch nicht vorbereitet. aus Portugal. Der ist auch recht blass und ton wird sich trauen, die Großen heraus- te. Sie bekommt das letzte Aufgebot. kommen Angela Merkel gerade recht.

ÜBRIGENS GASTKOMMENTAR O Volkszorn und Volksliebe Pro „Richtig leben“ VON AURELIANA SORRENTO dass er sich für die Straftaten, derer er an- Sekretär des Partito Democratico, Pierluigi bewarfen und Scharmützel lieferten, iebe Kinder, die ihr nach 2000 geboren geklagt ist, vor Gericht verantwortet. Bersani, konsequenterweise kundgetan, er müsste man am 5. Dezember eine Eskalati- Lseid. Die Hälfte von euch wird voraus- s klingt wie das Akronym einer Firma Die NBD-Site hat mittlerweile mehr als werde am NBD nicht teilnehmen. Anders on der Gewalt befürchten. Indessen zeigen sichtlich über 100 Jahre alt werden. Aber Eoder einer Institution, NBD steht aber 290 000 Fans. NBD-Gruppen haben sich in die Berlusconi-Anhänger. Einer von ihnen, sich die NBD-Sympathisanten absolut ab- freut euch nicht zu sehr darüber: Ihr werdet für einen Tag, den 5. Dezember 2009: den London, San Francisco, Madrid, Montreal der PDL-Abgeordnete Stracquadanio, hat geneigt, auf Provokationen tätlich zu rea- vielleicht die letzten zwanzig oder dreißig „No Berlusconi Day“. Datum und Motto und Brüssel formiert. Es ist in der von ihm geleiteten on- gieren. Zumindest die Initiatoren des NBD Jahre davor nicht mehr allzu viel Spaß beim haben sich fünf italienische Blogger ausge- zwar nicht abzusehen, wie viele line-Zeitung „Il predellino“ zu haben angekündigt, sie würden die Gegen- Leben haben. Nicht nur, weil ihr viel länger dacht, die am 9. Oktober 2009 eine entspre- Berlusconi-Verdrossene am einem „Sì B-Day“ aufgerufen: demonstranten mit Umarmungen begrü- und viel mehr für eure Altersvorsorge spa- chende Seite im Social Network Facebook 5. Dezember auf der Piazza del- einer Demonstration, die am ßen. Das könnte dem Fernsehen recht ku- ren müsst, sondern weil ihr ständig Weh- eröffneten. Nachdem das italienische Ver- la Repubblica in Rom und vor selben Tag und am selben Ort riose Bilder bescheren und Berlusconis wehchen haben werdet. Sagen jedenfalls fassungsgericht den „Lodo Alfano“– jenes den italienischen Botschaften wie die NBD-Kundgebung Hetze gegen „rote Roben“ und „Kommu- Studien, die jetzt herausgefunden haben: Gesetz, das den obersten Amtsträgern des im Ausland erscheinen werden. stattfinden soll, um Berlusconi nisten“ verpuffen lassen. Dass sich der um- Die Alten von heute sind weniger gesund als Staates (zuallererst Silvio Berlusconi) Im- Aber die Initiative hat bereits der „Liebe des italienischen Vol- strittene Ministerpräsident durch die die Alten von gestern. Und dieser Trend soll munität garantierte – als verfassungswidrig die gesamte Riege italienischer kes“ zu versichern und die Friedfertigkeit seiner Kritiker die Lust am sich fortsetzen. Immer älter bei fortschrei- kassiert hatte, nach den darauf folgenden Polit-Profis in Unruhe versetzt. Richter, die „auf die Politik Regieren verleiden lässt, ist jedoch un- tender Hinfälligkeit. Die früheren Alten sa- Attacken des Ministerpräsidenten gegen Denn die NBD-Initiatoren leh- Druck ausüben“, in die Schran- denkbar. Mag er auch den Einfluss des hen zwar beim Gesundsein nicht so gut aus, die Richter und den Staatspräsidenten, nen politische Parteien ab. Un- ken zu weisen. Offenbar will das Webs zu spüren bekommen, gar anerken- wie wir es heute mit Botox, Lipofilling und hatten es die fünf Web-Nutzer satt. Nach ter ihnen sind sowohl links- als BLZ/GERD ENGELSMANN Berlusconi-Lager die Drohung nen – angesichts seines Selbstbewusstseins diversem Nip Tuck hinkriegen, aber sie lit- dem Beispiel Beppe Grillos, der schon eine auch rechtsgesinnte Bürger, al- Aureliana Sorrento seines Führers wahr machen, aber eher unwahrscheinlich –, dass nicht ten dafür weniger an Kniereißen und Weile sein Blog als Sprachrohr des Protests len gemein ist nur die Abscheu ist italienische gegen seine Gegner notfalls das das ganze italienische Volk hinter ihm Schlafstörungen. Ja, „Rücken haben“ war gegen die politische Kaste Italiens ge- vor einer politischen Praxis, die Journalistin. Volk zu mobilisieren. Und da di- steht, wird Berlusconi nie freiwillig abdan- nahezu völlig unbekannt. braucht, riefen sie in Facebook zu einer moralische Prinzipien und Sie lebt in Berlin vide et impera seit je zu dessen ken. Von der politischen Bühne werfen Es liege daran, dass auch die Ungebilde- Kundgebung gegen den Premier auf. rechtsstaatliche Regeln zertritt und Rom. politischer Strategie gehört, ist könnte ihn nur eine glaubwürdige parla- ten älter werden, heißt es. Diejenigen, die „Wir können den Machenschaften eines und die res publica als Privatge- auch der Gedanke nicht ganz mentarische Opposition, die ihn rigoros sich schlecht ernähren und falsch leben. Mannes, der seit 15 Jahren das Land in Gei- schäft behandelt. abwegig, die Berlusconianer wollten vor al- auf den Wortlaut der Verfassung verweist Liebe Kinder, kämpft für das Schulfach selhaft hält, nicht mehr tatenlos zusehen“, Die nachgiebige Politik der Oppositi- lem die Stimmung anheizen. und die Mehrheit der Italiener mit einem „Richtig leben“. Damit ihr es mal besser liest man in ihrem Appell. Sie fordern den onsparteien gegenüber Berlusconi geht Wären es die Siebzigerjahre, als rechte klaren politischen Programm überzeugt. habt. Renée Zucker sofortigen Rücktritt Silvio Berlusconis, und diesen Bürgern gegen den Strich. So hat der und linke Demonstranten sich mit Steinen Die aber ist in Italien nicht vorhanden.