Hinrich Alpers Kuss Quartett Marie-Pierre Langlamet Hanno Müller-Brachmann Tehila Nini Goldstein Nabil Shehata Agata Szymczewska (1887–1915) CHaMBER WORKS aND SONGS 1 Groteske für Geige und Klavier (1911) 8.04 13 Liebeszauber (Friedrich Hebbel) (1914) 11.31 Hinrich Alpers piano · Agata Szymczewska violin arranged for baritone and seven stringed instruments by Hinrich Alpers (2003/2013) „Ich will Dir singen ein Hohelied…“ (1913/14) Hanno Müller-Brachmann baritone · Hinrich Alpers piano 6 poems by Gerda von Robertus for soprano and piano Kuss Quartett · Nabil Shehata double-bass 2 I. Kythere 2.09 Marie-Pierre Langlamet harp 3 II. Pantherlied 0.59 14 Mitternacht (Leo Greiner) (1904) 2.53 4 III. Abendfriede 2.08 15 Weihnachtsgefühl (Martin Greif) (1905) 2.05 5 IV. In Nachbars Garten 2.25 6 V. Glück zu Zweien 2.12 Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern (1913/14) 7 VI. Das Hohelied der Nacht 2.34 16 I. Sonntag (Otto Julius Bierbaum) 2.07 Tehila Nini Goldstein soprano · Hinrich Alpers piano 17 II. Pappel im Stahl (Josef Schanderl) 1.50 18 III. Dir (Hinrich Hinrichs) 2.27 8 Waldnachmittag (Maurice Reinhold von Stern) (1904) 3.10 19 IV. Ein Neues (Karl von Berlepsch) 2.58 9 Auf den Tod einer jungen Frau (Anton Lindner) (1904) 2.10 20 V. Im Einschlafen (Bruno Goetz) 4.44 10 Up de eensome Hallig (Detlev von Liliencron) (1914) 2.07 21 VI. Abendlied (Gustav Falke) 3.00 22 VII. Heimat (Richard Dehmel) 3.09 “Zwei ernste Gesänge” for baritone and piano (1913/14) Tehila Nini Goldstein soprano · Hinrich Alpers piano 11 Am Abend (Johann Christian Günther) 1.21 12 Memento vivere (Friedrich Hebbel) 3.52 Hanno Müller-Brachmann baritone · Hinrich Alpers piano

2 Musik für Sieben Saiteninstrumente in a single movement and a postlude (1912) 23 I. Satz 15.02 24 II. Nachspiel 9.14 Hinrich Alpers piano · Kuss Quartett Nabil Shehata double-bass · Marie-Pierre Langlamet harp

A co-production with Deutschlandfunk Kultur Recording: February 21/22 & 24, 2014, Jesus-Christus-Kirche Berlin-Dahlem Executive producer: Stefan Lang Recording producer: Hein Laabs · Sound engineer: Bernd Friebel · Sound technician: Annerose Unger Sound engineer: Hajo Seiler · Sound technician: Clémence Fabre · Idea and conception: Hinrich Alpers Publisher: Schott Music GmbH & CO. KG. · Total time: 1:34:54

Agata Szymczewska recorded on a violin by Antonio Stradivarius (Cremona c. 1680) on loan from Deutsche Stiftung Musikleben./Agata Szymczewska spielt eine Violine von Antonio Stradivari (Cremona ca. 1680), eine Leihgabe der Deutschen Stiftung Musikleben.

Artwork: Christine Schweitzer, Cologne Cover photo: Rudi Stephan © Stadtarchiv Worms M11263

P & g 2017 Deutschlandradio/Sony Music Entertainment GmbH

3 Tehila Nini Goldstein (g Janine Escher) Agata Szymczewska (g Bartek Barczyk) Hinrich Alpers (g Hannes Caspars)

Nabil Shehata (g Stephan Zwickirsch) Kuss Quartett (g Molina visuals)

Hanno Müller-Brachmann Marie-Pierre Langlamet (g Jim Rakete) (g Monika Rittershaus) 4 Danksagung AcknOwledgements Meine Begeisterung für Rudi Stephans Musik entbrannte im My enthusiasm for Rudi Stephan’s music was first fired by zarten Alter von fünfzehn Jahren während eines Konzertes a concert that I attended in my home city at the tender age in meiner Heimatstadt. Die Musik für Orchester stand auf of fifteen. On the pro­gramme was the Music for Orchestra dem Programm, und sofort war ich in Stephans Bann, and I was immediately captivated by it. This feeling of welcher bis heute ungebrochen ist. being spellbound by his music has never left me.

In vielen Konzerten habe ich seitdem Rudi Stephans Since then I have performed Rudi Stephan’s songs and Lieder und Kammermusik auf­ge­führt, doch war es immer chamber works at numerous concerts, but it was always my mein Traum, durch eine Gesamteinspielung einen Beitrag dream to contribute to the events surrounding the centenary zum Gedenken seines 100. Todestages leisten zu können. of his death by making a complete recording of them. The Dass dieses Doppelalbum nun vorliegt, ist beglückend fact that this double album now exists is a source of great und zugleich ein Ansporn. Es wäre jedoch nie zustande joy to me and at the same time a spur. But it would never gekommen, wenn sich nicht auch zahlreiche Weggefährten have come into existence at all if numerous colleagues had von meiner Liebe zu Stephans Musik hätten anstecken lassen. not found my love of Stephan’s music so infectious.

Mein ganz besonderer Dank gilt Stefan Lang (Deutsch- I am especially grateful to Stefan Lang at Deutschland- landfunk Kultur), der sich unermüd­lich für die Vollendung funk Kultur for tirelessly champi­on­ing this project. I should dieses Projektes stark gemacht hat, Dr. Hartwig Lehr also like to take this op­portunity to thank both Dr Hartwig (Worms), der bei der Beschaffung seltener Noten half Lehr of Worms for helping me to obtain a number of und William Aide (Toronto) für seine poetischen Über- hand-to-find scores and William Aide of Toronto for his setzungen der Liedtexte. poetic translations of the song texts.

Hinrich Alpers, März / March 2017

5 RUDI STEPHAN * 29. Juli 1887 Worms – † 29. September 1915 bei Tarnopol „Rudi Stephan war derjenige, der kommen sollte, er war es, auf den wir hofften ... Er war derjenige, welcher berufen war, alles Tastende in der Modernen Musik zu einem großen künstlerischen Werk zu sammeln und ihr eine neue Richtung zu geben.“ Paul Scheinpflug, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie (1925)

Als Sohn einer gutsituierten Wormser Familie – der Vater war Jurist und und sein eigener Kompositionsstil war zweifelsfrei durch die Kenntnis Landtagsabgeordneter, auch die Mutter stammte aus wohlhabendem französischer Musik beeinflusst – viele Musikwissenschaftler heben das Hause – konnte Rudi Stephan schon früh unabhängig von finan­ziellen impressionistische Element in Rudi Stephans Musik ausdrücklich hervor. Zwängen seiner musikalischen Ausbildung nachgehen. Er war ein begabter Wenngleich aus heutiger Sicht schmeichelhaft, greift diese Einord- Pianist und spielte Kontrabass und Harmonium im Orchester des hu- nung allein aber wohl zu kurz. Von Anbeginn seines kompositorischen manistischen Gymnasiums seiner Heimatstadt, welches heute, ihm zu Schaffens fallen nämlich zahlreiche stilistische Eigenarten an Stephans Ehren, seinen Namen trägt. Werk auf, die von großer Selbstständigkeit und starkem eigenem Gestal­ Stephan studierte zunächst in bei , zu dessen tungswillen zeugen. Am offenkundigsten zeigt sich die Unabhängigkeit Schülern später Paul Hinde­mith und Theodor W. Adorno zählen sollten. des Stephanschen Geistes in der Wahl der Titel seiner Werke. Stephan Bereits 1906 zog er nach München und nahm Unterricht bei Rudolf verzichtete bewusst auf etablierte Gattungsbezeichnungen (Symphonie, Louis. Doch blieb er ein Eigenbrötler, der am Münchner Konzertleben Streich­quartett) oder solche, die gerade in Mode gekommen waren – wenig teilnahm, gleichwohl aber den musikalischen Strömungen seiner etwa „Symphonische Dichtung“, neben der Oper das für Richard Strauss Zeit beispiellos offen gegenüberstand. Der Schriftsteller Kasimir Edschmid wohl wichtigste Genre um die Wende zum 20. Jahrhundert. Vielmehr schreibt: „Er war für das Einsame gemacht. […] Er arbeitete mit Hart- wählte er für die meisten seiner Werke schlicht den Titel „Musik“, ergänzt näckigkeit, in sich verschlossen, nur auf die Tätigkeit hin orientiert, um die jeweilige Besetzung, etwa „…für Orchester“, „…für Geige und tage- und wochenlang.“ Orchester“ oder „für Sieben Saiteninstrumente“ (gemeint sind Streicher, Dem angespannten deutsch-französischen Verhältnis zum Trotz (in Harfe und Klavier). welchem spätestens seit dem Krieg 1870/71 die gegenseitige schroffe Man darf dies als Ausdruck äußerster Zurückhaltung und Beschei- Ablehnung aktueller musikalischer Strömungen zum guten Ton gehörte) denheit werten. Es wäre Rudi Stephan wohl ein Leichtes gewesen, gewis- war Stephan der zeitgenössischen Musik Frankreichs gegenüber aufge- sermaßen auf den fahrenden Zug der Zeit (es fällt einem wieder sofort schlossen. Er besaß Partituren­ der wichtigsten Werke Debussys (Pelléas Richard Strauss oder auch Max Reger ein) aufzuspringen. Er vermerkte et Mélisande, Prélude à l’après-midi d’un faune), aber auch Strawinskys jedoch bereits 1907 im Autograph eines verlorengegangenen Orchester- (Le Sacre du Printemps) und Skrjabins (Prometheus, Le Poème de l’extase), stückes: „Keinen poetischen Titel, nicht die Benennung Ton­dichtung und

6 gar nichts“. Musik sollte ohne übersteigerte Erwartungen, gewissermaßen mente von Rudi Stephan erwies sich als hervorragende Lei­stung eines nur durch sich selbst, wirken können und nicht durch einen poetischen bizarrphantastischen, aber selbständigen und reichen Talents“. Er sieht Titel künstlich überhöht oder gar erst ins Interesse des Zuhörers gerückt ferner bereits „eine eigene, neuartige Tonsprache von überraschender werden. Folgerichtig war Stephan selten mit einem Werk völlig zufrie- klang­licher Ausgiebigkeit, deren Absonderlichkeiten auch da, wo sie den – oft arbeitete er bereits abgeschlossene Werke um und verwandte zunächst befremden, den Stempel des Gemußten, nicht des Ertüftelten Themen in späteren Stücken erneut, wo sie dann wieder verblüffend tragen.“ originell auftreten konnten. Ein Jahr später (1913) kam in Jena die zweite Musik für Orchester zur 1911 engagierte Rudi Stephan für die damals exorbitante Summe von Aufführung. Hier äußerte sich die Presse dermaßen überschwänglich, 5000 Mark das Münchener Konzertvereins-Orchester und ließ drei seiner dass mit gutem Recht vom Durchbruch Stephans als Kom­ponist die Rede Werke aufführen – den Liebeszauber in der heute ver­lorenen­ Erstfassung sein kann. „Was in den knapp 20 Minuten dieser Musik an Gehalt, für Tenor und Orchester, die erste Musik für Geige und Orchester (ver- Schöpferpotenz, Ausdruck und Können aufgespeichert ist, steht so weit schollen und nicht identisch mit dem erhaltenen Werk gleichen Titels) über allem, was wir sonst hörten, daß es keine Vergleichspunkte gibt“, und die erste Musik für Orchester, welche anschließend jahrzehntelang schwärmt Eugen Thari. Und auch wieder der zuvor schon zitierte Paul im Dornröschenschlaf lag. Die Reaktion des Komponisten auf den ver- Bekker: „Augenscheinlich hat sich hier in der Stille ein Talent von unge- haltenen Erfolg dieses Konzerts, für den Stephans Freund Karl Holl vor wöhnlichen Maßen entwickelt – noch nicht zu der ihm erreich­baren allem den „mit Todesverachtung taktschlagenden Dirigenten (Paul Prill)“ Reife, wohl aber bis zu einem Grade von künstlerischer Mitteilungsfä- verantwortlich sah, war ein bemerkenswerter Akt der Selbstkritik: Er higkeit, der schon einen neuen Klang in uns ertönen läßt.“ zog alle drei Kompositionen zurück und begann mit ihrer Überarbeitung Rudi Stephan war also im deutschen Konzertleben angekommen. Sein sowie der Arbeit an neuen Werken. fruchtbares Schaffen kam jedoch zum Erliegen, als er 1915 zum Kriegs- Spätestens ab 1912 war Rudi Stephans Begabung aber derart evident, dienst einberufen wurde. Wohl hatte er sich noch einigermaßen­ freiwillig dass nicht nur der renommierte Musikverlag Schott auf ihn aufmerksam gemeldet, doch begann er schon bald nach Kriegsausbruch zu zweifeln. wurde, sondern auch zeitgenössische Musikkritiken des Lobes voll waren. Hinzu kam, dass die Arbeit an seiner Oper Die ersten Menschen, einer Ab- Auf dem Danziger Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Ton- wandlung der biblischen Schöpfungsgeschichte nach einem Libretto künstlerverbandes kam 1912 die Musik für Sieben Saiteninstrumente von Otto Borngräber, bereits weit fortgeschritten war und Stephan be- zur Uraufführung, die der einflussreiche Dirigent und Kritiker Paul rechtigte Sorge hatte, diese für längere Zeit nicht fortführen zu können. Bekker in der Frankfurter Zeitung anerkennt: „Eine Musik für 7 Instru- Und als besondere Ironie erschien ihm der Umstand, den er in einem

7 Brief andeutet, „daß mich die Einberufung zum Kriegsdienst gerade einem verheerenden Luftangriff auf Worms in Flammen auf. So sind bei den Vorarbeiten zu einer neuen Oper antraf, der das Problem des lediglich die wenigen von Karl Holl herausgegebenen Werke Zeugnis der Weltfriedens zugrunde liegt.“ eminenten Begabung Rudi Stephans, dessen Schaffen fast dreißig Jahre Sein Verleger unternahm mehrere erfolglose Versuche, Stephan vom zuvor ein so sinnloses Ende gefunden hatte. Zwar wurden im Jahre 1979 Kriegsdienst freistellen zu lassen. Schließlich kam es zum Schlimmsten – die Groteske für Violine und Klavier und 2003 das „Opus I“ für Orchester am 29. September 1915, nur vierzehn Tage nach seinem Eintreffen an der wieder­entdeckt, jedoch muss man wohl davon ausgehen, dass der Groß- Ostfront, wurde Rudi Stephan in der Nähe von Tarnopol (heute Ternopil, teil der noch im Entwicklungsstadium stehenden Werke Rudi Stephans Ukraine) von der Kugel eines russischen Scharfschützen tödlich in den unwiederbringlich verloren ging. Kopf getroffen. Er hatte die pausenlosen Schreie verwundeter gegneri- Die musikhistorische Bedeutung Rudi Stephans lässt sich also nur scher Soldaten, die nur wenige Meter von den deutschen Stellungen anhand eines relativ schmalen Œuvres ermessen. Und daher gilt – wie entfernt lagen, nicht mehr ertragen und erhob sich schließlich aus dem für alle Musik vergangener Zeiten – vielleicht hier in besonderem Schützengraben. „Wenn nur meinem Kopf nichts passiert, es sind noch Maße: dass nämlich allein die Begeisterung für Stephans Musik sein so viele schöne Sachen drin!“, soll Rudi Stephan seiner Mutter zum Ab- Werk am Leben erhält. schied gesagt haben. Er starb als einziger Soldat seiner Kompanie. Die bittere Tragik der Ereignisse, oft mündend in die Frage „was wäre Nach Stephans tragisch frühem Tod mit nur 28 Jahren sichtete sein gewesen, wenn…“, soll nämlich nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, Freund Karl Holl, Musikwissenschaftler und Kritiker, den Nachlass und dass die wenigen erhaltenen Werke Rudi Stephans bereits ausgereifte traf schließlich 1920 eine Auswahl an Werken, die er für voll gültig und Meisterwerke sind. Führt man seine fulminante Karriere gedanklich somit zur Veröffentlichung geeignet hielt: Zwei Liederzyklen, drei einzelne weiter ins 20. Jahrhundert fort – Stephan hätte möglicherweise bis in Lieder, die Musik für Sieben Saiteninstrumente, die Musik für Geige und die 1960er Jahre gelebt – , so war der Anlass zu größten Hoffnungen Orchester, die zweite Musik für Orchester, die auf dem Tonkünstlerfest in unbedingt gegeben. Auch hätte sich Rudi Stephan als Repräsentant einer Jena 1913 für Furore gesorgt hatte, der Liebeszauber für Bariton und eigenen musika­li­schen Strömung möglicherweise als ein gewichtiger Orchester und die Oper Die ersten Menschen, die 1920 in Frankfurt ur- Gegenpol zu Komponisten wie Richard Strauss, und aufgeführt und für mindestens zwanzig Jahre vielfach an deutschen Arnold Schönberg (überhaupt der Zweiten Wiener Schule) erwiesen. Opernhäusern gespielt wurde. Um so erfreulicher ist die Tatsache, dass das Werk Rudi Stephans seit Doch als hätte das Schicksal noch nicht hart genug zugegriffen, ging einigen Jahren eine, wenn auch noch verhaltene, Renaissance erlebt. So Rudi Stephans gesamter Nachlass 1945 durch einen Bombentreffer bei wurden sämtliche seiner Orchesterwerke vom Melbourne Symphony

8 Orchestra eingespielt und die Oper Die ersten Menschen gleich dreimal mente bis aufs Äußerste aus. Die Grundtonart B-Dur – in der Violinliteratur herausgebracht, nämlich in einer konzertanten Fassung mit dem Kon- eher selten – kontrastiert mit schnellen Akkordwechseln, und virtuose zerthaus Orchester Berlin und einem Mitschnitt von Radio France Paris. Intervallsprünge, raffinierte Trillerketten und Ganztonpassagen verleihen Namhafte Dirigenten wie Kirill Petrenko, Ingo Metzmacher, Jonathan Nott der Groteske Brillanz und Sprunghaftigkeit. und Michael Sanderling setzen Orchesterwerke Stephans aufs Programm, und Noten, welche jahrzehnte­lang nur in Antiquariaten erhältlich wa- „Ich will Dir singen ein Hohelied...“ (1913/14) ren, werden inzwischen wieder durch den Schott Verlag angeboten. 6 Gedichte von Gerda von Robertus Die vorliegende Einspielung schließlich vereint erstmals sämtliche Lieder Von Rudi Stephan sind nur knapp 20 Lieder erhalten geblieben. Jedoch ist und Kammermusikwerke Rudi Stephans. Es ist mir eine Ehre, hierbei deutlich zu erkennen, dass zwei Sujets ihm besonders am Herzen lagen: federführend gewirkt zu haben. Todessehnsucht einerseits und andererseits innige, überschwänglich er- füllte Liebe. Dass sich Stephan durch düstere, todessehnsüchtige Texte angezogen gefühlt zu haben schien, ist manchmal als Vorahnung seines DIE WERKE eigenen Schicksals aufgefasst worden. Doch ist eine solche Präferenz Groteske für Geige und Klavier (1911) durchaus auch bei anderen spätromantischen Komponisten zu finden (man Die Groteske für Geige und Klavier galt nach der Zerstörung des Nachlasses denke etwa an die Kindertotenlieder von Gustav Mahler), weswegen Rudi Stephans als unwieder­bringlich verloren, und es ist ein besonderer man diesen Umstand, insbesondere mit einem Jahrhundert Abstand, Glücksfall, dass sich zwei Abschriften in der Bayerischen Staatsbibliothek vielleicht nicht überbewerten sollte. München befanden, wo die Musikwissenschaftlerin Juliane Brand sie 1979 Unter dem Pseudonym Gerda v. Robertus schrieb Gertrud Borngräber entdeckte. Sie schreibt: „Näheres über den Kompositionsanlass oder die 1911 den Gedichtzyklus Hohelieder an den Unbekannten, aus dem Rudi Verwendung der Groteske liegt nicht vor. Es ist allerdings möglich, dass Stephan acht Texte zur Vertonung auswählte (zwei hiervon blieben unvoll- der Titel im Zusammenhang mit dem Münchener Fasching zu verstehen endet). Da Kythere und Das Hohelied der Nacht musikalisch stark auf- ist. (…) Stephans Benutzung des Wortes „grotesk“, noch dazu als Titelbe- einander Bezug nehmen, darf man annehmen, dass Stephan selbst einen zeichnung, war für die damalige Zeit recht ungewöhnlich. Erst nach dem Zyklus plante, auch wenn die Reihenfolge der Veröffentlichung von Karl Holl Ersten Weltkrieg begann der Begriff häufiger in Erscheinung zu treten.“ vorgenommen wurde. Es findet sich in ihm auch ein typisches Beispiel In tatsächlich „grotesker“ (absurder, auf sonderbare Weise verzerrter) dafür, wie Rudi Stephan fortwährend bestehende Werke veränderte Weise reizt Stephan in diesem Stück die klanglichen Mittel beider Instru- und einzelne Themen in neuem Kontext wiederverwendete: Im ersten

9 Akt seiner Oper Die ersten Menschen (1913–15), der ein Libretto von Gertrud erachtet und nicht veröffentlicht hatte. Sie wurden erst 1988 – wie fünf Borngräbers Mann Otto zugrunde liegt, bildet Kythere die Begleitung einer Jahre zuvor die Groteske für Geige und Klavier – von Juliane Brand her- Arie der Hauptfigur Chawa. ausgegeben. Die Verwendung eines plattdeutschen Textes (Up de eensame Hallig, „Liebeszauber“ für Bariton und Orchester (1914) 1914) ist ein singulärer Fall in Stephans Schaffen. In für ihn nicht untypischer Beim Liebeszauber handelt es sich um eine revidierte Fassung eines heute Weise steht die bedrückende Tragik des Textes in krassem Widerspruch zu verschollenen Orchesterliedes gleichen Titels (ursprünglich für Tenor). den kargen musikalischen Mitteln der Vertonung. Am Abend (1913) und Stephan hat Friedrich Hebbels Ballade, die dem Liebeszauber zugrunde Memento vivere (1914) schließlich sind die beiden einzigen Klavierlieder liegt, stark gestrafft und dabei insbesondere Passagen gestrichen, in denen Stephans, bei denen ein bestimmtes Stimmfach – Bariton – ausdrück- reine Schilderung der das lyrische Ich umgebenden Natur vorherrscht. lich vorgeschrieben ist. Eine innere Nähe zu den Vier ernsten Gesängen Hierdurch treibt er die Handlung rasch voran, musikalisch noch unterstri- von Johannes Brahms, denen freilich Bibeltexte zugrunde liegen, klingt chen durch häufige Tempowechsel, die sehr deklamatorische geführte mancherorts an. Insofern ist der zusammenfassende Titel Zwei ernste Sing­stimme und eine Sprechstelle. Die ziemlich opulente Orchesterbe- Gesänge vom Herausgeber Karl Holl wohl mit Bedacht gewählt. setzung des Liebeszaubers ist wohl der Hauptgrund dafür, dass Auffüh- rungen wie Einspielungen dieses herrlichen Stückes selbst für Stephan’sche Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern (1913/14) Verhältnisse selten sind. So war es beinahe ein Muss, für das vorliegende Auch die Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern wurden erst von Album ein kammermusikalisches Arrangement vorzunehmen, um Karl Holl aus dem Nachlass Stephans zusammengestellt. Es handelt nicht zuletzt auch der kurios instrumentierten Musik für Sieben Sai- sich somit also nicht um einen eigentlichen Zyklus, sondern um eine teninstrumente (Streichquartett, Kontrabass, Harfe und Klavier) ein Lieder­sammlung, welche im Laufe zweier Jahre entstand, sich gleich- Schwesterwerk zur Seite stellen zu können. wohl in eine schlüssige Reihenfolge bringen ließen. Die Anforderungen, die dieser Zyklus an die Singstimme stellt, sind Einzelne Lieder enorm und übertreffen noch die der Hohelieder. Die Melodieführung Es sind aus unterschiedlichen Schaffensphasen Rudi Stephans einzelne geht bisweilen eigenwillige Wege, selbst in höchster Lage verlangt Lieder erhalten geblieben. Wald­nachmittag, Mitternacht, Weihnachtsge- Stephan der Singstimme die zartesten und leisesten Klänge ab. Und fühl und Auf den Tod einer jungen Frau sind Jugendlieder aus den Jahren manche harmonische Vorgänge darf man selbst für spätromantische 1904 bis 1906, die Stephans Freund Karl Holl offenbar nicht als ausgereift Verhältnisse als kühn bezeichnen.

10 Musik für Sieben Saiteninstrumente in einem Satz und einem nimmt durch ver­änderte Instrumentierung und Rhythmisierung aber die Nachspiel (1912) vielfältigsten, oft kaum wiedererkennbaren Formen an, und doch kehren Die Musik für Sieben Saiteninstrumente ist eines der zentralen Werke Themen des ersten Satzes im sogenannten „Nachspiel“, das in Wahrheit ein Rudi Stephans. Zugleich ist sie sein einziges zu Lebzeiten öffentlich auf- ziemliches Eigengewicht hat, in verwandelter Form zurück. geführtes Kammermusikwerk und neben der zweiten Musik für Orchester­ Bemerkenswert ist ferner die Tatsache, dass – für beide Sätze in identischer von 1913 eines der Werke, die nach Stephans Tod eine relativ ungebro- Weise! – genau zwei ver­schiedene Tempi vorherrschen, die sich beständig chene Aufführungs­tradition erfahren haben. Die Entstehung der Musik abwechseln: Adagio („Sehr breit“) und, genau dreimal so schnell vorge- für Sieben Saiteninstrumente zog sich über längere Zeit hin, was eine kurze schrieben, Allegro („Lebhaft und energisch“). Hierdurch schafft Stephan Skizze vom August 1907 (also bereits fünf Jahre vor Vollendung der in sehr hintergründiger Weise eine konstante Basis, von der aus er sich Musik) mit dem Titel Für Harmonium beweist, in der gleich zwei ihrer große harmonische, melodische und rhythmische Freiheiten erlaubt. Flir- Themen bereits unüberhörbar sind. rende Ganztonklänge kontrastieren mit kraftvollen, vollgriffigen Passagen Doch selbst nach der erfolgreichen Uraufführung 1912 war Stephan in reinem C-Dur, und die düstere f-Moll-Harmonik der Einleitung ver- anscheinend mit dem Stück noch unzufrieden. Eintragungen im Manu- wandelt sich zum Beschluss des Stückes schließlich in strahlendes Fis-Dur. skript belegen Pläne für eine Neufassung als Klavierquintett – viel­leicht Trotz der tragischen Umstände, unter denen die Umarbeitung als Kla- wegen der besseren Vermarktungs- und Aufführungschancen eines Stückes vierquintett zum Abbruch kam, können wir heute dankbar sein für die- in traditioneller Besetzung. ses faszinierende Stück Kammermusik, dessen eigenwillige Besetzung Kompositorisch weist die Musik für Sieben Saiteninstrumente viele der „Sieben Saiteninstrumente“ (Streichquartett, Kontrabass, Harfe und für Stephan typischen Stil­ele­mente auf: Das Stück erweist sich bei näherem Klavier) in der Musikgeschichte ohne Vorbild war und ohne Nachah- Hinsehen in beiden Sätzen als eine modifizierte Sonatenhauptsatzform mer geblieben sein dürfte. mit jeweils drei (statt zwei) Themenblöcken. Das musikalische Material Hinrich Alpers

11 RUDI STEPHAN * July 29, 1887 Worms – † September 29, 1915 near Tarnopol “Rudi Stephan was the man who was meant to come, the man we were hoping for. […] He was the man who was destined to focus all that was tenta- tive in modern music and by creating a great work give it a new sense of direction.” Paul Scheinpflug, principal conductor of the Dresden Philharmonic (1925)

Rudi Stephan was born into a well-to-do family in Worms in 1887: his of French music – many musicologists have explicitly drawn attention to father was a lawyer and a member of the regional assembly, while his the Impressionist element in his music. mother, too, came from a wealthy background. As a result, their son was From today’s perspective this may seem like a flattering assessment, able to pursue his musical studies without the fear of financial con- and yet on its own it fails to do justice to Stephan’s achievements. From straint. A gifted pianist, he also played the double bass and the harmo- the very outset the listener is struck by numerous stylistic features that nium in the orchestra at his grammar school in Worms. The school now attest to his great independence and powerful individual voice. His re- bears his name in his honour. fusal to follow the beaten track is most obvious in his choice of titles for Stephan initially studied with Bernhard Sekles in Frankfurt. (Among his works. He consciously eschewed traditional generic terms such as Sekles’s later pupils were Hinde­mith and Adorno.) By 1906 he had moved “symphony” and “string quartet”, but he also avoided fashionable to , where his teachers included . But he remained a phrases such as “symphonic poem”, which for Richard Strauss was ar- loner and played little part in the concert life of Munich, while remain- guably the most important genre in the years leading up to the turn of ing exceptionally receptive to the musical trends of his time. The author the century, eclipsing even his interest in opera at this time. For most of Kasimir Edschmid has written that “He was made for solitude. […] He his works Stephan opted simply for the title “Music”, usually with an worked with obstinacy, self-absorbed and focused only what he was additional reference to the forces for which the work was scored (“for doing for days and weeks at a time.” orchestra”, “for violin and orchestra” or “for seven stringed instruments” In spite of the tense relations between Germany and France, not least in this case, strings, harp and piano). after the Franco-Prussian War of 1870–71, when it became fashionable We may interpret this as an expression of extreme reserve and diffi- for each country to reject out of hand all musical develop­ments in its dence. It would have been easy for Stephan to clamber aboard the passing neighbour, Stephan was open to contemporary French music. He owned bandwagon in the way that Strauss and Max Reger, for example, both did. scores of the principal works by Debussy (Pelléas et Mélisande and the But as early as 1907 he noted in the autograph score of a lost orchestral Prélude à l’après-midi d’un faune) as well as Stravinsky’s The Rite of work: “No poetic title, no appellation such as ‘tone poem’, nothing at Spring and Scriabin’s Prometheus and The Poem of Ecstasy, and there is all.” Stephan believed that music should be able to make an impression no doubt that his own compositional style was influenced by his knowledge by itself, without raising any exaggerated expectations. Its significance

12 should not be artificially inflated by a poetic title, still less should such it “a unique and novel musical language of surprising substance in terms a title be used to enlist an audience’s interest. As a result Stephan was of its sonorities. Even if its peculiarities are initially puzzling, these fea- rarely completely satisfied with a work, and he often reworked finished tures bear the stamp of necessity, not of cerebral fussiness.” pieces and reused related themes in later works, where they could then The following year – 1913 – the second Music for Orchestra received reappear as astonishingly original. its first performance in Jena. On this occasion the reviews were so effu- In 1911 Stephan hired the Munich Konzertverein Orchestra for what sive that we may justifiably speak of Stephan’s breakthrough as a com- was then the exorbitant sum of 5,000 marks in order to perform three poser. “The substance, creative power, expression and ability that are con- of his works: Liebeszauber in its first version – now lost – for tenor and centrated in the barely twenty minutes of this piece are so superior to orchestra; his first Music for Violin and Orchestra (also lost and not the anything we normally hear that there is simply no comparison,” Eugen same as the similarly titled work that has survived); and the firstMusic Thari wrote enthusiastically. And to quote Paul Bekker again: “It is clear for Orchestra, which afterwards fell into neglect and lay undiscovered that a talent of unusual dimensions has developed here in silence – he for decades. The concert was only moderately successful, a state of affairs may not yet have reached the maturity of which he is capable, but he has for which Stephan’s friend Karl Holl blamed the conductor, Paul Prill, already proved himself capable of communicating his artistic ideas to claiming that Prill had “beaten time with deadly contempt”. Stephan’s an extent that is bound to strike a new chord in us.” reaction to the muted success of the concert was a remarkable act of In short, Rudi Stephan had found a place for himself in Germany’s self-criticism: he withdrew all three works and started to revise them, concert life. But his creativity ceased when he was called up for active while also turning his attention to a number of new compositions. service in 1915. True, he had initially volunteered, but shortly after the By 1912, however, Stephan’s gifts were so self-evident that not only outbreak of war he had begun to be assailed by doubts. Moreover, he was the distinguished publishing house of Schott aware of his existence had already made considerable progress on his opera Die ersten Men- but contemporary music critics were full of praise for his work. Stephan’s schen, a retelling of the story of the Creation to a libretto by Otto Born- Music for Seven Stringed Instruments was premiered at that year’s annual gräber, and he was worried – for good reason – that he would not be meeting of the Allgemeiner Deutscher Musikverein in Gdansk, encour- able to continue to work on the score for the foreseeable future. As he aging the influential conductor and critic Paul Bekker to write in the hinted in a letter, there was a particular irony to the fact that “I have Frankfurter Zeitung that the work had “proved to represent an outstand- been called up for active military service at the very time that I am ing achievement on the part of a fantastically imaginative but inde- preparing to work on a new opera that is all about the problem of world pendently and abundantly talented composer.” He could already see in peace”.

13 Stephan’s publisher made several attempts to have him exempted lier. Two additional works were rediscovered in 1979 and 2003 respec- from military service, but in vain, and on 29 September 1915, only two tively: Groteske für Geige und Klavier and Opus 1 for orchestra. But we weeks after being sent to the eastern front, he was shot in the head by a should probably assume that most of the works that Stephan wrote in Russian sniper near what is now Ternopil in the Ukraine. He had been his youth have been irretrievably lost. unable to endure any longer the uninterrupted screams of the wounded In assessing Stephan’s importance in terms of the history of music, enemy soldiers only yards away from the German positions and had we are thrown back, therefore, on a relatively slender body of works. As finally raised his head above the parapet of the trench in which he was with all music from the past, but perhaps more so here than in the case stationed. “As long as nothing happens to my head while there are still of other composers, it is simply enthusiasm for his music that has kept so many wonderful things inside it,” he had apparently told his mother Stephan’s works alive. when saying goodbye to her. He was the only soldier in his company to The bitter tragedy of these events, often culminating in the question die. “What would have happened if…”, should not blind us to the fact that Following Stephan’s tragically early death at the age of only twen- Rudi Stephan’s few surviving works are all mature masterpieces. If we ty-eight, his friend, the critic and musicologist Karl Holl, took charge of were to imagine his dazzling career extending further into the 20th cen- his unpublished papers and in 1920 selected a series of works that he tury – he could, after all, have lived until the 1960s –, then it is clear that felt were suitable for publication: two song cycles, three individual there was every reason to pin the greatest hopes on him. And as the songs, the Music for Seven Stringed Instruments, the Music for Violin representative of an independent current in music, Stephan might have and Orchestra, the second Music for Orchestra that had created a sensa- proved to be an important counterweight to composers such as Strauss, tion at the 1913 Musikverein Meeting in Jena, Liebeszauber for baritone Hindemith and Schoenberg and, indeed, the Second Viennese School in and orchestra and the opera Die ersten Menschen, which received its general. first performance in Frankfurt in 1920 and which continued to be per- All the more gratifying it is to note that in recent years Rudi Stephan’s formed in German opera houses for at least the next twenty years. works have enjoyed a revival, however muted. All of his orchestral As if Stephan had not already suffered enough at the hands of fate, his works have been recorded by the Melbourne Symphony Orchestra and unpublished papers were entirely destroyed during a devastating air his opera Die ersten Menschen has been released on no fewer than three raid on Worms in 1945, with the result that only the few pieces edited by occasions, first a live recording made in 1952 with the Frankfurt Radio Holl have survived to attest to the outstanding gifts of a composer whose Chorus and Orchestra, second a concert version made in 1998 with the creativity had met with such a senseless end almost three decades ear- Berlin Radio Symphony Orchestra and most recently a live recording dat-

14 ing from 2004 from Radio France in Paris. Distinguished conductors plores and exploits the tonal resources of the two instruments at his such as Kirill Petrenko, Ingo Metzmacher, Jonathan Nott and Michael disposal, taking them to their furthest extremes. The home key of B flat Sanderling have all programmed Stephan’s orchestral works, and scores major – relatively unusual in the violin repertory – is contrasted with which for decades had been available only from secondhand dealers are rapidly shifting chords, while virtuoso intervals, sophisticated sequences of again available from Schott Verlag. trills and whole-note passages lend the piece a sense of brilliance and The present recording finally brings together all of Stephan’s songs and volatility. chamber works. It is an honour for me to have contributed the present introduction. Ich will Dir singen ein Hohelied (1913–14) Only some twenty songs by Rudi Stephan have survived, but it is clear that two subjects were particularly close to his heart: on the one hand, THE MUSIC the longing for death and, on the other, the heartfelt love that found fulfilment in only the most effusive ways. The fact that Stephan appears Groteske für Geige und Klavier (1911) to have been drawn to gloomy texts filled with a longing for death has Following the destruction of Rudi Stephan’s unpublished papers in sometimes been interpreted as a presentiment of his own fate, but such Worms in 1945, it was feared that his Groteske für Geige und Klavier a choice of subject matter is regularly found in late Romantic composers was irretrievably lost, so it was a particular stroke of good luck to find that – one thinks of Mahler’s Kindertotenlieder – and so it would probably two copies had survived in the Bavarian State Library in Munich, where be wrong to attach too much importance to this circumstance, espe- the German musicologist Juliane Brand discovered them in 1979. “Noth- cially after a distance of just over one hundred years. ing further is known about the circumstances of the work’s compo­sition Opting to appear pseudonymously under the pen-name of Gerda von or of the use to which it was put,” she writes. “But it is possible that the Robertus, Gertrud Borngräber wrote a cycle of poems in 1911 to which title relates to the Carni­val in Munich. […] Stephan’s use of the word she gave the title Hohelieder an den Unbekannten. Stephan planned to ‘grotesque’, especially as a title, was extremely unusual at this time. set eight of them but completed only six. Kythere and Das Hohelied der Only after the First World War did the term begin to appear more fre- Nacht are musically interrelated, suggesting that Stephan himself qu e nt ly.” planned to write a song cycle, even if it was Karl Holl who determined There is, indeed, something “grotesque” – in other words, something the order in which they were published. They include a typical example absurd and strangely distorted – about the way in which Stephan ex- of the way in which Stephan continued to work on existing pieces and

15 reuse individual themes in a new context: Kythere provides the accom- them as insufficiently mature and so he did not publish them. They paniment to an aria sung by the main character, Chawa, in the opening were first published in 1988 by Juliane Brand, who five years earlier had act of Stephan’s opera Die ersten Menschen (1913–15). The opera’s libret- done the honours for Grotesque for violin and piano. tist was Gertrud Borngräber’s husband, Otto. Up de eensame Hallig dates from 1914 and is the only example of Stephan setting a Low German text to music. In a way that is not untyp- Liebeszauber for baritone and orchestra (1914) ical of his style, the oppressive tragedy of the text is in stark contrast to Liebeszauber is a revised version of a lost song for tenor and orchestra the austere resources that Stephan has used to set the words to music. Am that bore the same title. It is a heavily abridged setting of Friedrich Heb- Abend (1913) and Memento vivere (1914), finally, are the only two pi- bel’s ballad, the principal cuts affecting the descriptions of nature that ano-accompanied songs by Stephan that specifically call for a particu- are seen through the eyes of the poet. In this way Stephan is able to lar voice type: a baritone. There are certain affinities with Brahms’s propel the action forward, an approach underscored by frequent chang- Four Serious Songs, even if the latter are a setting of passages from the es of tempo as well as the declamatory word-setting and a passage in Bible. To that extent, the title proposed by their first editor, Karl Holl, which the performer speaks the words, rather than singing them. The was no doubt deliberately chosen: Two Serious Songs. relatively lavish forces for which the work is scored no doubt help to explain why performances and recordings of this magnificent piece are Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern (1913–14) infrequent even by Stephan’s standards. It was almost essential, there- Like a number of other works included here, the Sieben Lieder nach fore, to record a chamber version of this song for the present release, not verschiedenen Dichtern (Seven Songs after Various Poets) were com- least in order to be able to include a companion piece to the curiously piled from Stephan’s unpublished papers by his executor, Karl Holl. As instrumented Music for Seven Stringed Instruments, namely, string a result, this is not a proper song cycle but a collection of songs written quartet, double bass, harp and piano. over a two-year period. In spite of this, it is possible to group them togeth- er as a coherent set of pieces. All seven songs place enormous demands Individual Songs on the singer, demands even greater than in the case of the Hohelieder A handful of individual songs have survived from different periods of songs. The melodic line occasionally goes its own idiosyncratic way, and Stephan’s creative life. Waldnachmittag, Mitternacht, Weihnachtsgefühl even in his or her highest register the singer is required to produce the qui- and Auf den Tod einer jungen Frau are all early songs dating from be- etest and most delicate sounds. And a number of harmonic procedures tween 1904 and 1906. Stephan’s friend Karl Holl evidently regarded may be described as bold even when judged by late Romantic standards.

16 Music for Seven Stringed Instruments in a single movement and No less remarkable is the fact that each movement has two different a postlude (1912) tempos that keep changing in the same way: the first is an Adagio (“Very Stephan’s Music for Seven Stringed Instruments is one of his key compo- broadly”), the second an Allegro (“Lively and energetic”) that is exactly sitions as well as being his only chamber work to be performed in pub- three times as fast. In this way Stephan manages in an extremely cryp- lic during his lifetime. Along with his second Music for Orchestra of tic manner to create a musical constant that allows him a great deal of 1913 it is one of the few pieces to have enjoyed a relatively unbroken per- harmonic, melodic and rhythmic freedom. Shimmering whole-tone so- forming tradition. The survival of a brief sketch dating from August 1907 norities are contrasted with powerful chordal writing in a pure C major, – five years before it was completed – is an indication of the piece’s pro- while the introduction’s sombre F minor harmonies are transformed into tracted genesis. Headed For Harmonium, it contains clear pointers to two a radiant F sharp major towards the end of the piece. of the later work’s themes. Tragically, Stephan had to abandon his work on the piece before he The first performance in 1912 was a success, yet even afterwards could arrange it as a piano quintet, but in spite of this, today’s audiences Stephan was evidently still dissatisfied with the work, and entries in the can still be grateful to him for composing this fascinating piece of manuscript attest to his plans to rework it as a piano quintet. A version chamber music whose idiosyncratic resources – a string quartet, a dou- scored for traditional forces might have improved the piece’s chances of ble bass, a harp and a piano – had no precedent in the history of music. being marketed and performed. And almost certainly they have found no subsequent imitators either. Compositionally speaking, the Music for Seven Stringed Instruments reveals many of the stylistic features typical of its composer. On closer Hinrich Alpers examination, both movements turn out to have been cast in modified Translation: texthouse first-movement sonata form, each of which has three rather than two subject groups. But the musical material assumes the most varied and often barely recognizable forms as a result of the changes to its instru- mentation and rhythms – one of Stephan’s preferred compositional procedures. Themes from the first movement also return in altered form in the “Postlude”, which in fact has a weight of its own, a point that is more than amply demonstrated by the relative length of the two movements.

17 Für Harmonium Auf den Tod einer jungen Frau © Stadtarchiv Worms Abt. 199/18 Nr. 348 © Stadtarchiv Worms Abt. 199/18 Nr. 351

18 „Ich will Dir singen ein Hohelied...“ (1913/14) 6 Gedichte von/by Gerda von Robertus

2 Kythere Cythere Der Rosen Düfte liebeatmend schwingen The scent of roses carries, breathing love in weichen Wellen, die wie Brüste beben, In gentle waves, the breast’s insurgency, sich zu uns über purpurblaue Meere. To us across an amethystine mere.

Ganz ferne feiner Äolsharfen klingen. From far away Aeolian harps reprove. Die Barke, Liebster, lenk, und laß uns streben My dear one, steer our coracle and ply gen Aphrodites Inselreich: Kythere. To Aphrodite’s island of Cythere.

3 Pantherlied Panther Song Geschmeidig und wild wie ein junger Panther, So lithe and wild, a panther in its prime, so hast Du von mir Besitz ergriffen. Have you like this so taken hold of me? Ach, wie weich ist Dein Sammetfell, Du schöner Panther. How sleek your velvet fur, rare panther, Ach, und die Sammettatzen, wie lieb sie streicheln! And oh your velvet paws, how they play me. Laß mich nie, nie Deine Krallen spüren; O never let me feel your needle claws, neulich im Traum grubst Du sie mir ins Herz! In dreams of late they rake my heart.

4 Abendfrieden Evening’s Peace Das Sonnenfeuer starb – Rubingepränge – The sunset’s blaze expires – a ruby gleam, ganz leis verhallt des Ave letzter Ton. Die Nebel wallen So soft, farewell’s reverberations fade; – eine Prozession – The mists of night begin their promenade, wie Weihrauch schwebt es dunstig um die Hänge. Like incense, over hillsides vapours stream. Und Friede weit die Seele fleht für Dich Such peace descends – the soul implores ein stilles Nachtgebet. This evening quietude be yours.

19 5 In Nachbars Garten In Our Neighbour’s Garden In Nachbars Garten duftet die Lindenblüte schwül, Our neighbour’s garden heaves with linden’s sultry scent doch unter den wuchtigen Zweigen Yet massive boughs conceal ist’s dämmerlauschig kühl. the gentle chill of dawn In Nachbars Garten schatten die Lindenzweige tief, Our neighbour’s linden branches cast their deep design als ob in den Blättern verborgen As if their leafage held ein süß Geheimnis schlief. a sweet presentiment.

In Nachbars Garten rauscht es im Lindenwipfel bewegt, Our neighbour’s canopies thresh in the sudden wind als ob in Sturmes Takte ein Herz am andern schlägt. As if two racing hearts outpace each other’s beating. Heut’ sah ich unter der Linde verschlungen I see their love entwined zwei Liebende stehn. beneath its fragrant netting – Weshalb nur in brennendem Schmerze How can the linden reason why my eyes die Augen mir übergehn? are drowned?

6 Glück zu Zweien Twosome Fortune Wir haben im Lärm der Menge Because we felt the same, im Gleichempfinden geschwiegen; we kept mum in the clamour of crowds, wir sind aus Tal und Enge gemeinsam We climbed to the summit together zu Gipfeln gestiegen. from the narrow valley floor; An Felsengraten standen wir jauchzend We stood at the rocky lip in göttliche Weiten. and rejoiced at the holy pour Zwei Könige wir, die fanden das Reich Of the realm that was ours, ihrer Einsamkeiten. two royalties, two solitudes.

7 Das Hohelied der Nacht Hymn to the Night Zwei Tage reichen sich die Hand – der eine schied, Two days clasp hands, the light of one must part, ein Flüstern raunt es durch die tiefe Stunde. This deepest hour renews its undertone, Es klingt ein Lied, der Nacht ein Hohelied. A song resounds, the anthem of the night Ich sing es mit, Du küßt es mir vom Munde: Draws out my voice, your kiss to me alone.

20 O hehre Nacht, tu auf Dein Wunderland, O night sublime, reveal your wonderland laß alles Leiderinnern Ruhe finden. Let streams of yearning join its murmurous peace, Der Liebe Meer umrauscht ja Deinen Strand, The ocean tide of love engulfs your strand drin alle Ströme meiner Sehnsucht münden. And all remembered sorrows find surcease.

8 Waldnachmittag Afternoon in the Forest 1906; Text/lyrics: Maurice Reinhold von Stern

Feierlich träumt das Gelände schwimmend in Sonntagsruh’, The landscape slumbers, floating in the Sunday tranquillity, blätterbedacht im Geblende ruhen wir, ich und du. while you and I rest beneath the leafy canopy that screens us from the sun. Schläfrig schallt in den Zweigen zärtlicher Vogelsang. In the branches tender birdsong provides us with a lullaby. Süßes, atmendes Schweigen geht seinen Abendgang. Sweet, breathing silence takes an evening stroll.

Sonne in goldigen Tupfen lagert auf moosigem Grund, Golden flecks of sunshine rest on the moss-covered soil, Hirsche und Rehe zupfen grünliche Blätter im Rund. Stags and deer tug at green leaves all around. Fern aus dem Dorf die Choräle mahnen an Lieb und Leid, From the village afar hymns admonish love and sorrow, und die verdämmernde Seele bebt in Vergänglichkeit. and the slumbering soul trembles in its transient state.

9 Auf den Tod einer jungen Frau On the Death of a Young Woman 1906; Text/lyrics: Anton Lindner

Wie Seide war ihr leiser Tritt, Her soft step was as light as silk, ein Flügelschlagen war ihr Gang. like wings flapping as she passed. Der Kies auf ihrem Weg sang The gravel on her path sang ein Lied, wenn sie vorüberglitt. a song as she glided by.

Und manche Blütenknospe sprang And many a flower bud burst open melodisch auf bei ihrem Schritt. in melodic time as her footstep approached. Wie Seide war ihr leiser Gang, Her soft step was as light as silk, ihr Schweigen war ein Harfenklang, her silence was like the sound of a harp, und alle Falter sangen mit! and all the moths joined in the song!

21 10 Up de eensame Hallig Auf der einsamen Hallig On the Lonely Hallig* 1914; Text/lyrics: Detlev von Liliencron

Min Mann is weg, Mein Mann ist weg, My husband is gone, de See geiht holl, die See geht hoch, the sea is rising, min Kind is krank, keen Minsch to Hülp. mein Kind ist krank, kein Mensch zu Hilfe. my child is ill, no one here to help. Ick bün alleen. Ich bin allein. I am alone.

De Mann is dor, Der Mann ist da, The husband has returned, dat Kind is dod, das Kind ist tot, the child is dead, nu ligt int Huus de kranke Frau. nun liegt im Haus die kranke Frau. now the sick woman lies in the house. Se sünd alleen. Sie sind allein. They are alone.

Keen Docter nech, Kein Arzt, No doctor, keen Minsch to Hülp. kein Mensch zu Hilfe, no one to help. De lüttje Frau is bi ehr Kind. die kleine Frau ist bei ihrem Kind. The little woman has joined her child. He is alleen. Er ist allein. He is alone.

11 Am Abend At Evening Time 1913; Text/lyrics: Johann Christian Günther

Abermal ein Teil vom Jahre, abermal ein Tag vollbracht. Yet again a season of the year, yet another day’s work done. Abermal ein Brett zur Bahre und ein Schritt Another plank in the coffin and a step zur Gruft gemacht. nearer the grave. Also nähert sich die Zeit nach und nach der Ewigkeit. And so, little by little, Eternity approaches. Also müssen wir auf Erden zu dem Tode reifer werden. And we on Earth prepare for Death.

22 12 Memento vivere Memento vivere 1914; Text/lyrics: Friedrich Hebbel

Ich ritt einmal im Dunkeln spät durch ein enges Tal; I rode once late in the night through a narrow valley; die Nacht war still und traurig, ich still und traurig zumal. the night was silent and sad, and I too was silent and sad. Ich dachte der wenigen Freunde, die ich auf Erden fand, I thought of the few friends that I had on Earth, ich dachte derer vor allem, die schon bedeckt der Sand. and I thought especially of those who were already dead.

Da scholl’s wie Geisterstimme vom düstern Berg herab: Then I heard a voice, like a ghost’s, resound Mensch, freu Dich heut des Lebens, from the dark mountain, good fellow, be glad of life, denn morgen geht’s ins Grab. for on the morrow you may be dead. War es ein Hirtenknabe, der diese Worte sang? Was it a shepherd’s lad who sang those words? Ich weiß nicht, sie gingen mir durch die Seele bang. I do not know, but they chilled me to the bone.

Einst hatt’ ich sie vernommen aus eines Bruders Mund; I had once heard them from my brother’s mouth; da trank er meine Gesundheit, he was drinking to my health, jetzt lag er im kühlen Grund. and now he lies cold in the ground.

13 „Liebeszauber“ für Bariton und Orchester (1914) Magic of Love for Baritone and Orchestra Text/lyrics: Friedrich Hebbel

Schwül wird diese Nacht, am Himmelsbogen The night grows sultry; up in the vault of heaven zieh’n die Wolken dichter sich zusammen, the clouds crowd more closely together, breit beglänzt von Wetterleuchtens Flammen all lit up by the glow of a summer storm und von roten Blitzen scharf durchzogen. and sharply rent by flashes of red lightning.

Alles Leben ist in sich verschlossen, All that lives is silent and withdrawn; kaum nur daß ich mühsam Atem hole, I almost find it hard to breathe; selbst im Beete dort die Nachtviole in the flowerbed there, even the nightscented violet hat den süßen Duft noch nicht ergossen. has not yet released its perfume.

23 Jedes Auge wär schon zugefallen, Every eye would long since have closed doch die Herzen sind voll Angst und Zittern were it not that hearts are uneasy, von den zwei sich kreuzenden Gewittern, apprehensive of the clashing storms whose deren Donnergrüße bald erschallen. thundering greeting will soon boom out.

Beim Lampenlichte There in the lamplight she sits, sitzt sie, in die weiße Hand das Köpfchen leaning her little head on her white hand, stützend, mit noch aufgeflocht’nen Zöpfchen, her hair still woven in its braids, stillen Schmerz im blassen Angesichte. silent suffering in her pallid face.

Horch, der erste Donnerschlag, es krachen Tür und Tor! Hark, the first clap of thunder! The rattle of door and gate! Sie erhebt sich – schon knarrt die Tür. She rises – already the door creaks: there she comes, Da kommt sie rasch an mir vorbei. and passes swiftly before me.

Doch wohin? Halt ein, Dein Herz muß klopfen! Where is she going? Wait! Your heart must be pounding! Rastlos donnerts ja, zur Feuergarbe For the thunder rolls continuously, schwillt der Blitz, blutrot wird seine Farbe the lightning sweets to a burst of fire, becomes bloodred; und noch immer fällt kein milder Tropfen. and still there fall no cooling drops of rain. Hier zieht der Wald sich düster, Here the forest looms dark and gloomy, und dort wohnt die Alte an der Rüster, and there by the elm dwells the old woman, die in mancher dunklen Kunst Geübte. skilled in many an occult practice.

Da ist die Hütte! Sie pocht, man öffnet ihr. – There is the cottage: She knocks; Ich spähe durch den Ritz, – ein Kreis! the door is opened, Through the crack Sie in der Mitte. I spy a circle, with her in the middle!

Wie sie dasteht, fast zum Schnee erbleichend There she stands, her face almost as white as a sheet, und die Alte, in der Ecke kauernd and the old crone, crouching in the corner, dreht ein Bild aus Wachs, sie sieht es schauernd. fashions an image of wax, Shuddering, she looks at it. Jetzt spricht sie zu ihr, das Bild ihr reichend Now the old woman speaks, handing her the image:

24 „Zieh Dir nun die Nadel aus den Haaren, “Take the pin from your hair, rufe den Geliebten laut und deutlich, call your beloved’s name loud and clear, und durchstich dies Bild, dann wirst Du bräutlich and pierce this image, then you shall embrace him ihn umfangen und ihn Dir bewahren!“ as his bride and keep him yours forever.”

Wie sie zögert! Wie sie mit Erröten How she hesitates! How she blushes in die Locken greift und eine Nadel as she feels in her hair for the pin and auszieht auf der Alten stummen Tadel pulls it out at the old woman’s silent bidding, und noch säumt als gelte es zu töten! irresolute, as if about to murder!

Endlich zückt sie die! Und meine Sinne At last sie thrusts in the pin, and my senses reel! reißen! Ruft, hinein! Zu ihren Füßen! She calls – I want to rush in, fall at her feet, Ruft mich selbst! Mit Worten stammelnd süßen for it is my own name she calls, her sweet voice flattering: als den Einen, den sie heimlich minne! I am the one she names as her secret love!

Sie entweicht mit holden Schamgebärden, She steps back in innocent confusion; da umschließ’ ich sie und Glut und Sehnen I take her in my arms, and passion and longing löset sich in linden Tränen, are released in soothing tears such as die der Mensch nur einmal weint auf Erden. one weeps but once in a lifetime.

Und so stehn wir, wechseln keine Küsse, And thus we stand, exchanging no kisses, still gesättigt und in uns versunken, wordless, contented, absorbed in each other, schon berauscht, bevor wir noch getrunken, intoxicated before we have begun to sip, in der Ahnung dämmernder Genüsse. in the mere presentiment of bliss to come.

Und auch draußen löst sich jetzt die Schwüle, And outside, too, the sultriness is easing; die zerrissnen Wolken, regenschwanger, the ragged clouds, heavy with rain, schütten ihn herab auf Hain und Anger, pour it down upon forest and meadow, und hinein zur Hütte dringt die Kühle. and the coolness spreads into the cottage.

25 Als nun auch der Regen ausgewütet, Now that the rain hat spent itself wollen wir, die Alte gern verlassend, we gladly leave the old woman and kinderfromm uns an den Händen fassend reverently, like children, hand in hand, wieder heim, von Engeln still behütet. make our way home, watched by silent angels.

Als sie aber scheiden will, da ziehen She thinks it is time to part; glühend heiß die Nachtviolendüfte just then the night violets waft their an mir hin im sanften Spiel der Lüfte, warm glowing scent towards me on the gently und nun küss ich sie noch im Entfliehen. playing breezes, and so I kiss her as she turns to go.

14 Mitternacht Midnight 1904; Text/lyrics: Leo Greiner

Still schwebt die Nacht in hehrer Größe Night floats nobly in all her greatness durch den bestirnten Raum. through the starry heavens, Die weiten Schwingen ruh’n nach jedem Schlage. with wide wings that rest after each beat. Mit zarter Mutterliebe schaut ihr segnend Aug’, Her blessed eye looks on all with motherly love, über die schlafende Erde, über das träumende Meer. above the sleeping Earth, above the dreaming Sea.

15 Weihnachtsgefühl Christmas Mood 1905; Text/lyrics: Martin Greif

Naht die jubelvolle Zeit, The joyful time approaches, kommt auch mir ein Sehnen and a longing stirs in me längst verlor’ner Seligkeit. of long-lost bliss. Denk ich nach mit Tränen, Then I reflect, tears in my eyes, und ich schaue wie im Traum and I gaze as in a dream ihren fernen Schimmer to espy that faraway gleam weben um den Weihnachtsbaum, weave around the Christmas tree, kehrt sie selbst auch nimmer. though I know it will never again return.

26 Sieben Lieder nach verschiedenen Dichtern

16 I. Sonntag Sunday Text/lyrics: Otto Julius Bierbaum Sonntagsfriede liegt heilig über der Stadt; Sunday‘s peace, a sacred hover over the town; ach, wie ist mein Herz seiner Wochen satt. How weary through its weeks my heart has grown. Quälen, Keuchen, Kampf um ein kärglich Brot, Pestered, gasping fight for meagre crumb – ach, wann machst Du frei, Lebenssonntag, Tod. Release me, Sunday‘s life, death-hum.

17 II. Pappel im Strahl Poplar in Sunburst Text/lyrics: Josef Schanderl Ein stilles Wiesental A meadow-valley becalmed von Schwalben überflogen, Swallows scythe and soar die Wetter sind verzogen. All thunderheads have cleared.

Ein frischer Sonnenstrahl A new wash of sun befällt mit einemmal Suddenly drenches green die feuchte Blätterfülle Luxuriance, the soaked der Pappel überm Bach. Poplar by the brook.

Sie zittert tausendfach, She trembles thousandfold noch träumerisch verwirrt, Bewildered by dreams of him; er küsst ihr unbeirrt Sun-kissed on every limb die glänzenden Glieder wach. Her leaves awake to gold.

Sie zuckt und blitzt ihn an, She flickers in his sight von Küssen übersprüht, His downpour kisses show und windet sich und schimmert, Her quivering delight im Innersten erglüht. Her summer’s inner glow.

27 Nun fluten die Küsse ohne Zahl Her flashing leaves like coins are spun hinum und ohne Wahl. By ceaseless kissings of the sun.

Sie bietet, kaum bewusst, Enraptured she enjoys die hellen Herrlichkeiten: His inundating fires, so heiß die Küsse gleiten, Igniting kisses, hot rays; so funkelt sie vor Lust. She sparkles her desires.

18 III. Dir Yourself Text/lyrics: Hinrich Hinrichs Meine Seele ist nun still geworden Like a young, consecrated forest wie in einem jungen, heil’gen Hain My soul has ceased its shaking unter vollen, seligen Akkorden Struck by the echoing incandescent chorus bricht des Tages Glanz herein. Of dayshine unmaking.

Eine Klarheit nah und ferne; Near and far a clarity confessing und tritt ernst die Nacht herfür, Through Night’s blanketing solemnity segnend stehn zwei helle Sterne: Two stars lift a radiant blessing Deine Augen über mir. Your eyes on me.

19 IV. Ein Neues A New One Text/lyrics: Karl von Berlepsch Hoch lodern des Abendfeuers Flammen. High spirits on the blazing pyre Auf seines Scheiterhaufens Glut And laughter in the evening flame trugen wir lachend und hochgemut We sear together, one, the same, all unsere Jugendwünsche zusammen. Extinguish our desire.

Wir stehn und sehn wie helle sie brennen, O youth’s intrepid conflagration: wir haben das Alte abgetan Watch the Aged burnt to cinder und sehen ein Neues, ein Herrliches nahn; See the New One’s advent splendour der höchsten Schöpfung höchstes Erkennen. Peerless Creation!

28 Es ist, als ob eines edlen Weines As if the rarest vintage wine tiefernster Geist unsere Sinne umfängt. Spends its deep intoxication Ist kein Gedanke, der süßer sich denkt: Magnifies a sweet elation: Mein Kind und Deines. Your child and mine.

7 V. Im Einschlafen When Falling Asleep Text/lyrics: Bruno Goetz Mich rief ein Ton aus weiter Ferne, Through drowsiness befalling, den ich mit trunkenem Ohr vernahm, Its source unknown ernst lauschend saß ich tief im Dunkel, A distant tone is calling ich wusste nicht, woher er kam. To me alone.

Ich fühlte nur, aus ewgen Räumen ward A secret salutation heimlich mir ein Gruß gesandt. From endless space Ich fühlte nur, wie alles Leben All life’s disintegration tief unter mir in Nichts verschwand. To nothingness.

Mich tragen große starke Flügel erbrausend Gigantic wings propelled me aufwärts durch die Nacht, Through howling black, aus sumpfgebornen dumpfen Träumen bin ich Miasmic dreams have quelled me zu hohem Glück erwacht. And wide awake

Die wilden Flammen sind verlodert Among the smoking embers und lösten sich in dünnen Rauch. I hear felicity, In reiner wunderdunkler Stille vergeh Pure wonderdark remembers ich wie ein leichter Hauch. The breath of me.

29 20 VI. Abendlied Evening song Text/lyrics: Gustav Falke Reglos steht der alte Baum, The ancient aspen stills its leaves alles Leid verwehet, My joys have flown. jedem wünsch’ ich seligen Traum, All blessed dreams to those who sleep der nun schlafen gehet. Beneath the moon.

Mir doch kommt der Schlummer nicht. Yet slumber will not come tonight Mond und liebe Sterne Though moon and star trösten mich mit ihrem Licht: Console me with their dearest light: Hoffen in die Ferne. Hope from afar.

Ach, von aller Lust und Pein My heart, when all your bliss and pain einmal nur entkleidet Disrobe forever wird das Herz geborgen sein, Your safety will revive again. nichts, was es mehr leidet. You will not suffer.

21 VII. Heimat Home Text/lyrics: Richard Dehmel Und noch im alten Elternhause And yet in the parents’ dwelling und noch am Abend keine Ruh? A nocturne of unease? Sehnsüchtig hör’ ich dem Gebrause I hear tumultuous longing der alten Pappeln draußen zu. High in the poplar trees.

Und höre sacht die Türe klinken, And hear the door latch lifting, Mutter tritt mit der Lampe ein, She enters with her light, und alle Sehnsüchte versinken, O Mother, longings drifting o Mutter, in Dein Licht hinein. Into your lamp’s good night.

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