C. STACHE / AP Deutsche WM-Spieler, Teamchef Völler (im Trainingsquartier in Miyazaki): Diadochenkämpfe kaum zu erwarten

DEUTSCHE NATIONALMANNSCHAFT Frühstart der Generation 2006 Nach den Absagen etablierter Profis muss Teamchef Rudi Völler bei der WM auf Talente ohne Erfahrung zurückgreifen. Spieler wie , oder gelten als selbstbewusst und arbeitsam. Experten glauben: Das Turnier kommt für sie vier Jahre zu früh.

Der Nationalspieler rückt gegen: Christoph Metzelder, 21, vom Deut- sein Alter enorm abgeklärt“. Der Natio- näher an die Tischkante, schen Meister Borussia , vertei- nalmannschafts-Nestor hält als er die Außenwelt an digte vor zwei Jahren noch bei Preußen ihn für „innerlich erstaunlich gefestigt“. seiner Lebenserfahrung Münster in der Regionalliga. Und es ist Mit all diesen Eigenschaften ist Metzel- teilhaben lässt. Es sei gar nicht lange her, da spielte der Leh- der ein Abbild des deutschen WM-Teams. „schon augenscheinlich“, rerssohn aus dem westfälischen Haltern Sittsam und fleißig, etwas naseweis und im formuliert er geschliffen, lediglich Klarinette. Anspruch vermessen – so inszeniert sich „wie sehr Flexibilität heu- Jetzt gilt er als Kandidat für einen Platz das ganze Ensemble. te gefragt ist“. Insbeson- in der Start-Elf beim Auftakt am Sams- Wie seine Mitstreiter , 22, dere zähle Beidfüßigkeit zu „den Haupt- tag gegen Saudi-Arabien. Der 1,93-Meter- Miroslav Klose, 23, oder Torsten Frings, merkmalen“ im modernen Fußball. Hüne, der im südjapanischen WM-Quar- 25, gehört Metzelder in die Reihe der An- Er persönlich, fährt das Mitglied des tier in Miyazaki „gerade so“ ins knapp be- lernlinge, die durch Absagen, verletzungs- deutschen Weltmeisterschafts-Kaders am messene Hotelbett passt, durfte bei der bedingte Ausfälle und unplanmäßige Leis- sonnigen Mittag eines dieser endlosen Vor- ersten Taktikschulung in einer Dreier-Ket- tungseinbrüche etablierter Fachkräfte in bereitungstage in einer dieser Hotellobbys te proben. Um dem Gegner den Raum zur verantwortungsvolle Positionen gespült fort, würde sich „als Typen bezeichnen, Gestaltung einzuengen, rückt die Abwehr wurden. Die Stammspieler , der früh für sich festgelegt hat: Ich möch- bis zu einer mit gelben Hemdchen mar- , Christian Wörns und Sebas- te das Bestmögliche herausholen“. Etwas kierten Linie auf halber Höhe zwischen tian Deisler gingen verstört oder verwun- großspurig, wie alte Hasen seines Fachs Strafraum und Anstoßkreis auf. Bei Ball- det von Bord. Jörg Heinrich kam das Ver- bisweilen wirken, lässt er sich zu einem besitz des Gegners verwandelt sich die trauen in die eigene Form, Bierhoff das Urteil über die heutige Jugend herbei: Jun- Dreier- zur Fünfer-Formation. Gewohnheitsrecht auf Einsätze abhanden. ge Spieler bekämen leider „viel zu früh Das verlangt eine hohe Auffassungsgabe Selten, fasst der vom Amt des Teamka- dauernd gesagt, wie gut“ sie seien. von den Teilnehmern. Doch Einser-Abi- pitäns zurückgetretene Bierhoff zusam- Der da so weltläufig vorträgt wie ein turient Metzelder, laut „Westdeutscher men, habe Deutschland eine „von der Fußballroutinier mit abgeschlossenem Allgemeiner Zeitung“ der „Traum aller Hierarchie her ausgeglichenere Mann- Rhetorikkurs, sieht in Wahrheit bei der Schwiegermütter“, ist nach Einschätzung schaft“ zu einem Turnier geschickt. Eine WM erst seinem siebten Länderspiel ent- seines Club-Trainers „für interne Rangordnung gibt es quasi nicht.

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Nur sechs Spieler kennen das Gefühl, ihren Fehlern leben. Denn hätten wir alle Denn Sonntag war ein Spiel. Mitschüler bei einer Weltmeisterschaft für die See- an Bord, stünden sie im zweiten Glied“. fragten ihn besorgt, warum er seine Ju- lenlage einer Nation verantwortlich zu sein Deutschlands Torwarttrainer Sepp Mai- gend verschenke. Heute schon glaubt er (siehe Grafik Seite 206). Teamchef Rudi er sieht auch auf Rudi Völler Probleme zu- zu wissen, wofür er so viel investierte. Met- Völler nahm zwar an drei WM-Turnieren kommen: „Trainer nutzen erfahrene Spie- zelder hat einen Meistertitel und eine ei- teil, ist aber als Coach auch ein Neuling. ler gern als eine Art verlängerten Arm auf gene Homepage. Auf der sprach er kurz Wenn nun Eleven wie Frings (acht Län- dem Feld.“ In dieser Hinsicht bietet der nach dem 11. September „den Opfern und derspiele) und Metzelder (sechs) in Japan aktuelle Kader wenig Möglichkeiten. ihren Angehörigen“ staatsmännisch sein Schlüsselpositionen besetzen, erscheint das Kickenden Start-ups wie Metzelder set- „Mitgefühl“ aus. Da war er 20. ähnlich gewagt, als müssten Sieger eines zen Kritik oder Argwohn aber nicht zu. Karaoke-Wettbewerbs die Star-Tenöre in Der Dortmunder Jungspund sagt, er habe der Mailänder Scala ersetzen. sich „ein dickes Fell zulegen müssen“. Wer Dass die DFB-Novizen ein Entwick- bei der Borussia im Deckungszentrum lungspotenzial besitzen, das für die WM in spielt, dem werden Gegentore zuweilen vier Jahren in Deutschland Hoffnung „persönlich angekreidet – das ist halt so“. macht, steht außer Frage. Ob die Vertreter Fehler und Irrtümer gibt er derart ge- dieser Generation 2006 jedoch in der Lage schickt zu, dass die eigene Schuld am Ende sind, schon 2002 die Kohlen aus dem Feu- doch an ihm abprallt. Metzelder hatte ge- er zu holen, ist zweifelhaft. dacht, er könne parallel zur Profikarriere Ex-Europameister Sammer sieht die ein Fernstudium in Betriebswirtschaft ab- Ausfälle der Etablierten nicht als Chance solvieren wie der Kollege Bierhoff. Nach für Metzelder oder Kehl, sondern als Han- einem Semester brach er das Experiment dicap: Andernfalls hätten sich die Jungen ab. Bierhoff, sagt er wie zur Entschuldi- „an gewissen Leitfiguren orientieren“ kön- gung, „hatte in dem Alter noch nicht die nen. Der Alt-Internationale Günter Netzer, hohe Anzahl von Saisonspielen“. ACTION PRESS ACTION Deutscher Meister Metzelder Kickender Start-up

So etwas würde Miroslav Klose, dem DFB-Kollegen von der Abteilung Angriff, nie einfallen. Der blasse Schlesier, der mit acht Jahren aus dem polnischen Oppeln ins pfälzische Kusel kam, machte bei der ersten Einladung im Februar 2001 auf Völ- ler den „Eindruck, dass er nicht auffallen wollte“. Er habe „verlegen“ gewirkt. Vermutlich wird der Torjäger des 1. FC deshalb chronisch unter- schätzt: weil er den Kopf senkt, wenn er spricht, und mit seinem Laufstil an einen flüchtenden Lausbuben erinnert, der den Ball geklaut hat. Klose ist es gewohnt, dass man ihn in der gestylten Scheinwelt der Profis mit den coolen Sprüchen nicht für voll nimmt. „Ich bin halt kein so’n Typ“, und außerdem: Vor vier Jahren kickte er noch bei der SG Blaubach-Diedelkopf in der Bezirksliga Westpfalz, der siebten Liga. Doch der vermeintlich schüchterne DFB-Lehrling kann sich gegen Skepsis wehren. In seinen ersten beiden Länder- spielen traf er jeweils 15 Minuten nach sei- ner Einwechselung ins Tor. Bei der ersten Partie über 90 Minuten im Nationaltrikot traf er dreimal gegen Israel wie neulich wieder gegen Österreich. Auch erste Krisen, etwa als er voriges Jahr wegen Überlastung in ein Leistungs-

ROBERT MICHAEL / DDP ROBERT tief rutschte und die Kaiserslauterer Mit- Stürmer Klose (im Länderspiel gegen Österreich): Anerkennung auf dem Bolzplatz spieler ihn hänselten, vermochte Klose zu überwinden. Dass die Kollegen ihn, wie der schon Stürmer Kloses vergebliche Ver- Metzelder will es wieder versuchen, an sich Marketing-Manager Roman Sindelar suche rügte, Elfmeterpfiffe zu provozieren einer anderen Uni vielleicht. Schließlich vom Ausrüster Nike erinnert, „fertig ma- („International funktioniert das nicht“), folgt er zielstrebig seinem Lebensentwurf. chen“ wollten, hat Klose nicht aus der betrachtet das bevorstehende Turnier als Schon zu Zeiten in der Münsteraner A-Ju- Bahn geworfen. „Es gibt immer Neider.“ Lern-WM für die Grünschnäbel: „Ein Met- gend war es so, dass er sich freitags bei Sogar dem Trainergespann Andreas zelder profitiert enorm von dieser Erfah- Jahrgangsstufenfesten früh verabschiede- Brehme und Reinhard Stumpf trotzte der rung.“ Einstweilen müsse man jedoch „mit te: „Ich muss um zwölf nach Hause.“ gelernte Zimmermann: Als die verlang-

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Grüne Jungs Alter und WM-Erfahrung der deutschen Nationalspieler Nun haben viele alles schon vorher ge- wusst. Kloses früherer Trainer Otto Reh- 1990 1994 1998 2002 hagel etwa, der ihn selten und dann nur im Altersstruktur Mittelfeld spielen ließ, erkennt in dem 93 3 7schlitzohrigen Goalgetter, der seinen Tor- bis 25 Jahre jubel oft mit gekonntem Salto verziert, nun einen „Mittelstürmer wie einst Rudi“. 26 bis 30 Jahre 10 13 9 12 Rudi Völler weiß Frechheit zu schätzen, solange sie überschaubar bleibt. Querelen 31 Jahre und älter 3 6 10 4 muss er in Asien nicht fürchten. So sind Durchschnitts- Diadochenkämpfe, mit denen bei der WM alter 27,2 Jahre 28,5 Jahre 29,8 Jahre 27,7 Jahre 1994 alternde Leitfiguren wie Brehme, Tho- Spieler mit mas Berthold und Lothar Matthäus das Pu- WM-Erfahrung blikum unterhielten, beim bevorstehenden und Zahl ihrer 7 / 40 12 / 87 11 / 68 6 / 17 Event kaum zu erwarten. WM-Spiele Quelle: Kicker Von den zahlreichen WM-Neulingen passiert es allenfalls dem Dortmunder Kehl, dass er „schon mal aneckt“, wie ein Teamgefährte raunt. Zuweilen benehme sich der Gastwirtssohn aus der Rhön, ist Völler aufgefallen, „wie jemand, der schon viel erlebt und erreicht hat“. Im Vergleich zu Kehl bewegt sich der In- stinktfußballer Torsten Frings auf sicherem Terrain. Der Bremer Mittelfeldspieler, der Ende 1996 als Stürmer von Alemannia Aa- chen an die Weser zog, glaubt, er habe im DFB-Team „noch nicht so viel gerissen, dass ich großartig das Maul aufmachen kann“. Andererseits hat ihm die große Klappe nie geschadet. Bei einer seiner ersten Pro- fi-Trainingseinheiten teilte er dem damali- gen Werder-Keeper mit, was er von dessen fußballerischer Begabung hielt: „Geh du lieber ins Tor.“ Als er die wienerisch vorgetragenen An- weisungen des damaligen Teamleaders Andreas Herzog nicht verstand, nannte er den Österreicher respektlos einen „Lut- scher“. Seither ist „Lutscher“ Frings’ Spitz- name. Er soll seine Kessheit karikieren. Frings, im Ehrenamt Präsident der SSG Zopp aus der Kreisliga Aachen, ist der Typ Schelm, mit dem die Kameraden ihren

INA FASSBENDER / REUTERS INA FASSBENDER Spaß treiben, um ihre Zuneigung auszu- WM-Neuling Frings: Erinnerungen an den jungen Matthäus drücken. Bremer Gefährten fingerten heimlich den Scheck für die Jahres-Leis- ten, er solle sich auf „die einfachen Dinge“ ben Polnisch fließend Französisch, als er tungsprämie aus seinem Umschlag und leg- verlegen, bestand der auf seinem Plan über das Sammellager Friedland in die ten läppische 200 Mark Bargeld hinein. Auf („Ich will im Training dazulernen“) und neue Heimat kam. Auf Deutsch jedoch seinen gelben Sportwagen klebten sie ein- übte weiter die riskante Ballannahme mit konnte er nur „ja“ und „danke“. Aner- mal schwarze Posthörner. der Außenseite. „Ich wollte meine Sache kennung bei den Gleichaltrigen empfing Für eine Lachnummer hält sich der durchziehen. Das ist mir gelungen.“ er allein durch Tore auf dem Bolzplatz. Kumpeltyp freilich nicht. Frings begann Manchmal ist Klose richtig stolz auf sich. Ein Nachbar entdeckte ihn beim Schul- seinen Wechsel zu zu Als er jetzt mit Blick auf die Kaiserslaute- turnier und lotste ihn zum ersten Club. Die betreiben, seit er sich in BVB-Coach Sam- rer Einkaufspolitik den Eindruck gewann, Benimmregeln für den Weg auf der Kar- mer „wiedererkannt“ haben will: „Ich bin der Club wolle ihn loswerden, monierte er riereleiter („Immer Sprosse für Sprosse“) auch ein extrem ehrgeiziger Typ.“ genau dies öffentlich und fügte argwöh- erklärten ihm der Vater, ein Schichtarbei- Nach seiner Versetzung ins zentrale Mit- nisch hinzu: „Am Ende drehen sie es noch ter im Rammelsbacher Audiokassetten- telfeld, wo er bei Werder den Grätscher so, als ob ich weg wollte.“ Dank solcher werk von TDK, und Mutter Barbara, früher und den Ästheten Herzog Aussagen bleibt Klose für alle Eventua- Handball-Nationalspielerin in Polen. gleichzeitig ersetzte, galt er als die Ent- litäten des Transfergeschäfts auf der mora- Einmal, als die Verlängerung des Profi- deckung der letzten Saison. Die „Frank- lisch sicheren Seite. vertrags anstand und der Vater in Anbe- furter Allgemeine Zeitung“ erinnert er Der Spätaussiedler hat früh gelernt, un- tracht der Kaiserslauterer Offerte bereits „bisweilen an den jungen Matthäus“. ter schwierigen Bedingungen Freunde zu entflammt war, bediente sich Klose-Bera- Nur dass Frings die internationale Er- gewinnen. Weil sein Vater Josef, ein talen- ter Michael Becker eines Kniffs: Er ließ den fahrung fehlt. Er selbst vermisst die aber tierter Rechtsaußen, eine Zeit lang bei AJ Manager von Borussia Mönchengladbach nicht: „Ich schätze, bei der WM geht es Auxerre in der französischen Liga gespielt im Elternhaus anrufen. Damit war geklärt, um Fußball. Und entweder man kann hatte, sprach der schmächtige „Miro“ ne- dass es noch andere Bieter geben könnte. kicken oder nicht.“ Jörg Kramer

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