Titel Der Bimbes-Kanzler Am Anfang und am Ende der CDU-Affäre steht Helmut Kohl. Das Geld war ein Mittel für ihn, Abhängigkeit zu schaffen, persönliche Beziehungen stellte er höher als Gesetze – und wie verachtet auch Kohl seinen Erben.

un ist auch der Geist Konrad Ade- nauers tot. Mit Wolfgang Schäuble, Nder vergangene Woche Platz mach- te für einen „sichtbaren, also auch perso- nellen Neuanfang“ in der CDU, ging der Kronprinz des Enkels des Alten. Sein Rück- tritt beendete wohl endgültig nicht nur das System Kohl, sondern eine Ära. Die aber war bis zuletzt durchtränkt und geprägt vom Geist der westdeutschen Nachkriegs- republik, die Konrad Adenauer schuf. Helmut Kohl gehört seit mehr als einem halben Jahrhundert der CDU an, war 25 Jahre Bundesvorsitzender und 16 Jahre Kanzler. Bis zum Schluss beharrte er darauf, dass er selbst Schäuble als seinen Nachfol- ger ausersehen habe. Von Anfang an sah er sich in der Nachfolge des CDU-Mitbegrün- ders Konrad Adenauer. Kohl repräsentierte mit seiner Karriere die Kontinuität einer deutschen Gemüts- verfassung, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Vom „Schwarzen Riesen“ in Mainz über „Birne“ in bis zum Kanz- ler der Einheit und Ehrenbürger Europas war Helmut Kohl sich selbst treu. „Ich bin im Prinzip natürlich der gleiche geblieben“, pflegte er zu versichern. „Ich habe mich nicht verändert.“ So ist es. Die persönliche Prägung aus Kriegskindheit, Nachkriegsjugend und ka- tholischem Elternhaus machte ihn histo- risch unverwechselbar. Der Geist Konrad Adenauers imprägnierte ihn mit den Macht- und Feindbildern der autoritären und antikommunistischen Jahre des Kalten Krieges. Dazu kamen die fast hysterische Geld-Fixierung des Wirtschaftswunder- Deutschland und die Herrschaftsattitüden des Patriarchen Adenauer. Das alles verdichtete sich in der Person Kohl zu einem mafiösen System von Ab- hängigkeiten, dessen selbstzerstörerischer und antidemokratischer Kern – obwohl im- mer empfunden und im SPIEGEL und an- derswo oft beschrieben – erst im Rückblick ganz zu Tage tritt.

LIMBURGERHOF, ANFANG 1947 Schon den Einstieg in sein Politikerleben organisierte Kohl, so sein Biograf Klaus Dreher, etwas außerhalb der Normalität.

R. BOSSU / CORBIS SYGMA Als im Pfarrhaus seines Mentors, des ka-

Kanzler Kohl (im Dezember 1989 in Dresden) Platz im Geschichtsbuch tholischen Pfarrers Johannes Fink, die Jun- einer, der sich auskannte mit den Tricks Jahrelang lagen auf dem Grab des Alten in ge Union (JU) von Ludwigshafen gegrün- und Tücken des Daseins. Engert über die- Rhöndorf immer frische Blumen. Stets det wurde, war Kohl dabei – ebenso bei der sen Menschenschlag: „Er knüpfte ein Be- stammte einer der Sträuße von Helmut Neugestaltung der Regularien. ziehungsgeflecht. Er wusste, wo was zu ho- Kohl. Nach der Parteisatzung hätte er erst mit len war. Er hatte den Überblick. Er war Der junge Unions-Politiker aus Ludwigs- 18 in die CDU eintreten können, aber so das spezifische Produkt einer spezifischen hafen, der mit dem Fahrrad zu den Kund- lange wollte der 16-Jährige nicht warten. Zeit.“ gebungen der großen Alten zu radeln pfleg- Also wurde die JU-Satzung geändert, bis Der Typus Kohl, so Engert, wusste sich te, die aus der Weimarer Republik in den sie auf ihn passte: Mitglied, hieß es in der zu behaupten. In der gesetzlosen Zeit un- demokratischen Neubau Bundesrepublik neuen Ludwigshafener Satzung, könne mittelbar nach dem Krieg bestimmte er aus hineinragten, war von Anfang an von Ade- werden, wer 16 Jahre alt sei. Ohne weite- eigenem Ermessen, was richtig und falsch, nauer fasziniert. Häufig hat er den Alten be- re Formalitäten, so Dreher, wurde er auf was gut und böse war. sucht, als der streitlustige Greis längst unter dem Druck seiner Partei- freunde das Kanzleramt geräumt hatte und in Rhön- dorf grollend seine Memoi- ren schrieb. Adenauer mischte sich zwar in den Mainzer Dia- dochenkampf nicht ein. Er lobt Altmeier, weil der im- mer zu den „Treuen und Zuverlässigen gehört“ ha- be. Aber er führt auch Kohl als legitimen Nachfolger ein: „Nun tritt Herr Kohl an seine Seite.“ Das sei „eine andere Generation, aber keine unsympathische Generation“. Fortan tat Kohl so, als habe ihn der Alte zu seinem Enkel er- nannt. Der „Rheinische Mer- kur“ pries den neuen Lan- desvorsitzenden als einen Reformer, der bei dem Wort „konservativ“ nicht nervös und gereizt hochge- he: „Es scheint, dass dieser Nachdenkliche, die Strö- mungen der Zeit vorur-

M. EBNER / MELDEPRESS teilslos prüfende Mann sich CDU-Ehrenvorsitzender Kohl (im November 1999): „Ich habe mich nicht verändert“ deutlicher zu Wertzielen aus der Tradition der Partei diese Weise Mitglied der Mutterpartei. Diese angelernte Egozentrik trug ihn Adenauers bekennen wird – wenn er dazu Tatsächlich hatte der Gymnasiast Helmut durch sein gesamtes politisches Leben. Im- stärker genötigt wird.“ Und weiter: „Im Kohl damals schon mehr erlebt als viele mer mehr gewöhnte er sich an, sich als eine Stil wie in der Sache ein Adenauer- Erwachsene heute in ihrem ganzen Leben. Art Retter zu betrachten. Bereits vor An- Schüler.“ 15 Jahre alt war er, als er 1945, nach Kriegs- tritt seiner Kanzlerschaft stellte er sich vor Das ist im Rückblick klarer zu erkennen ende, in seine zerstörte Heimatstadt Lud- als ein Mann, der den Dienst auf sich neh- als damals. Denn in der Partei des Patriar- wigshafen zurückkehrte. Baldur von Schi- me, einen „Saustall“ auszumisten. Er ver- chen war Kohl in den frühen Jahren des rachs Nachfolger, der Reichsjugendführer sprach, den „sozialistischen Dschungel- Aufstiegs immer der Jüngste, und so trat er Arthur Axmann, hatte den Hitlerjungen Staat“, in dem „das Faustrecht herrscht“ auch auf. Es waren die Jahre, in denen er Kohl in Bayern auf den Führer einge- und „geistige Verwahrlosung“, zurückzu- sich den Beinamen „Walz aus der Pfalz“ schworen – im April 1945, kurz vor dem führen in eine bürgerliche Gemeinschaft, in und „schwarzer Riese“ erarbeitete: Wo der Ende. Aber Helmut Kohl wollte nicht sie- der „das blanke ICH wieder aufgeht in stürmische junge Mann mit seinen Ge- gen, sondern überleben. dem WIR des Volkes“. folgsleuten von der Jungen Union auf- Für den nur wenig jüngeren Journalisten tauchte, gab es regelmäßig Krach in den Jürgen Engert ist Kohl ein „deutscher Ty- MAINZ, MÄRZ 1966 Versammlungen. pus“. „Organisieren“ heiße sein Kennwort. Helmut Kohl hat es geschafft. Auf dem Par- Und doch blieb der Hoffnungsträger der Kohl zählt zu jenen Kindern, die der Krieg teitag der rheinland-pfälzischen CDU wird verkrusteten Adenauer-Partei immer der zu Halb-Erwachsenen machte, die Leichen er zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. deutsche Biedermann. Mit Stichworten wie ausbuddeln mussten und die Versorgung Er löst Peter Altmeier ab, dem nur noch Vaterland, Heimatliebe, Pflichtgefühl, der Familie übernahmen. In gesetzloser das Amt des Ministerpräsidenten bleibt. „Stolz auf die kulturellen Leistungen un- Zeit schlug sich der Kinder-Halb-Soldat Bundesweite Aufmerksamkeit erringt der seres Volkes“, Gewissenhaftigkeit, Fleiß, quer durch Deutschland, von Berchtes- damals 35-jährige Kohl, weil es ihm gelun- Maßhalten umschreibt Kohl – damals wie gaden bis Ludwigshafen. Er sah sich als gen ist, den Parteipatriarchen Konrad heute – eine seit Kaisers Zeiten ungebro- Überlebenskämpfer an der Heimatfront, Adenauer als Gastredner zu gewinnen. chene deutsche Bürgermentalität, die „den

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Staat“ – welchen auch immer – gehorsam So künden die „Kriegskassen“ der Uni- ter Hildegard Getrey. Am ersten Schultag verinnerlicht. on, die jetzt entdeckt wurden, nicht nur brachte Helmut einen Trupp Jungs mit Das brachte er aus dem Elternhaus mit, von einem „unausgeräumten Keller mit nach Hause, die er bis dahin gar nicht ge- dessen politisches Klima vom Zentrum ge- Vorräten aus dem Kalten Krieg“, wie Gus- kannt hatte. Das waren von da an seine prägt war. Auch in den theoretischen tav Seibt in der „Berliner Zeitung“ ver- Freunde. Von ihnen verlangte der kleine Schriften des Zentrums, der Partei des po- mutete, sondern vor allem von einem la- Knirps auch beim Spiel Gefolgschaft: Wenn litischen Katholizismus, der Vater Hans tenten Bürgerkriegs-Denken, das sich er sich in ein Laken hüllte und einen Kaf- Kohl nahe stand, haben Begriffe wie Au- jederzeit zu „übergesetzlichem“ Handeln feewärmer als Mitra auf den Kopf stülpte, torität, Gehorsam und Gemeinschaft ihren berechtigt fühlte. dann war er der Bischof – die anderen Platz. Und an nationalistischem und wil- Die Art, wie Kohl und sein früherer In- mussten die Schleppe tragen. helminischem Getöse ist auch dort seit Be- nenminister Manfred Kanther diese anti- Seit dem 19. Mai 1969 regierte Helmut ginn des Ersten Weltkriegs, in dem sich Va- demokratische Mentalität und die damit Kohl in Mainz als Ministerpräsident mit dem ter Kohl auszeichnet, kein Mangel. verbundenen Gesetzesbrüche als eine Fra- Gepränge eines Fürstbischofs. Die Grund- ge der Ehre behandeln, erinnert an die züge des Systems Kohl waren schon damals Geisteshaltung einer Kriegerkaste, die im klar erkennbar, erinnert sich sein Biograf wilhelminischen Deutschland den Ton an- Klaus Dreher. Die Trinkgelage im Keller der gab. Beide Männer führen sich auf, als hät- Staatskanzlei wurden ebenso legendär wie ten sie im Dienste einer ehrenwerten Sache die „Scherze“, mit denen er sein Gefolge heroische Opfer gebracht. quälte und demütigte. Nachts befahl er sei- nem Kultusminister Bernhard Vogel, auf MAINZ, MAI 1969 dem Tisch zu tanzen („Mach de Aff“), oder Helmut Kohl hat immer gern „wir“ gesagt. er jagte ihn, obwohl er wusste, dass Vogel „Wir“ gegen „die“ war stets seine Metho- nicht schwindelfrei war, auf einen Hochsitz. de, die Welt zu sortieren. Irritierend wirkt Kohl, der stets den Chef gab, bemühte dabei sein vereinnahmender Sprachge- sich immer, den Kreis seiner Gefolgsleute BUNDESBILDSTELLE E. SULZER-KLEINEMEIER Kohl, Vorbild Adenauer (1967), Parteifreunde Kiesinger, Kohl, Barzel (1971): „Wir haben die Zukunft im Blick“

Mit diesem geistigen und rhetorischen brauch. Mal pflegte er als CDU zu spre- zu erweitern. In seinen Mainzer Rüstzeug war der Enkel Adenauers für die chen, mal als Landes- oder Bundesregie- Jahren war er stets als Head- Zeit des Wirtschaftswunders und des Kalten rung, mal als Deutschland – und je öfter er hunter in eigener Sache unter- Krieges gewappnet. Er musste sich nicht von sich im Plural redete, desto majestäti- wegs. Er ließ sich Namen nen- verbiegen. Seine Bewunderung für die au- scher klang diese Formel: „Wir haben das nen und holte dann über tokratische Figur aus Rhöndorf war echt. Steuer übernommen“, „wir haben die Zu- verschiedene Mittelsmänner Im Namen und unter Berufung auf den kunft im Blick“, „wir sind nicht den be- Einschätzungen ein. Bevor er Alten tradiert Kohl eine Werte-Welt des quemen Weg gegangen“. Einst waren aber selbst zu einem ab- 19. Jahrhunderts. Das Misstrauen gegen- „wir“ die „Kohlianer“ in Mainz, dann der schließenden Urteil kam, lud er über der Herrschaft des Volkes blieb in den freie Westen, zuletzt waren „wir“ das die Kandidaten zum Gespräch Kanzler Kohl, herrschenden Schichten, den „staatserhal- christliche Abendland, der Fußballwelt- unter vier Augen in den Keller tenden“, wie Kohl und Adenauer zu sagen meister oder ein Wirtschaftsstandort. der Staatskanzlei nach Mainz, in Bonn in pflegten, auch in der zweiten deutschen Nach diesem Innen-Außen-Schema hat den Kanzlerbungalow. Bei schweren, süßen Demokratie lebendig. Kohl zeit seines politischen Lebens Ge- Weinen erkundete er nicht nur ihre Trink- Anscheinend glauben – wie noch jetzt folgschaft organisiert. „Wir“ – das war in festigkeit, sondern auch ihr Weltbild. am Beifall der ehrenwerten Hamburger den besten Zeiten die ganze Union, heute So knüpfte Kohl in seinen mehr als 50 Handelskammer abzulesen – so genannte sind „wir“ die richtige CDU, seine. „Die“, Unionsjahren ein verlässliches Netz von „herrschende Kreise“ noch heute Besitz- das waren alle potenziell gefährlichen Ele- Gefolgsleuten, wob ein System von Ver- rechte am Staat zu haben. Im Misstrauen mente. Und zur Verteidigung der eigenen bindlichkeiten, das er auch nach seiner gegenüber dem offenen demokratischen Wagenburg ging Macht allemal vor Recht. Kanzlerzeit weiter pflegte. Er sammelte Staat und den unzuverlässigen Massen hält So hat Helmut Kohl immer getickt. vorwiegend solche Freunde um sich, von sich die Überzeugung, gesetzliche Rege- Schon als Kind habe er es geschafft, Leute denen er sich Hilfe bei der eigenen Kar- lungen seien nur für die anderen da. um sich zu scharen, berichtet seine Schwes- riere versprach. Biograf Dreher: „Sie muss-

46 der spiegel 8/2000 ten sich in die Gruppe einordnen, keinen gerin vom ehemaligen schleswig-holsteini- mus“ 1976 seinen ersten Bundestagswahl- übertriebenen Ehrgeiz entwickeln, ver- schen CDU-Landtagsabgeordneten Trutz kampf gegen Helmut Schmidt führte. schwiegen und diskret und außerdem zu- Graf Kerssenbrock erzählen lassen, der es Nicht, dass er wirklich geglaubt hätte, aus- verlässig sein.“ wagte, die Barschel-Affäre so rückhaltlos gerechnet der stramme Hanseat Schmidt Kohl war immer misstrauisch. „Es ist un- aufklären zu wollen wie jetzt Angela Mer- wäre ein Handlanger des Kreml gewesen. glaublich“, staunt ein Parteifreund, „was kel den Parteispenden-Skandal. Der „Süd- Ihm diente die Feind-Verteufelung vor al- der alles weiß, was dem alles zugetragen deutschen Zeitung“ berichtete er unlängst lem als Machtvehikel. wird.“ Dieses Wissen benutzt er als Waffe. von seinen Erfahrungen: „Wer den Kopf Mit der missionarischen Rigorosität des Helmut Kohl hat seine Informationen zu rausstreckt, wird abrasiert, das war das Sys- Glaubenskämpfers gegen den Kommunis- einem bedrohlichen Machtschatz aufge- tem Kohl. Zur Stabilisierung und Beherr- mus verfolgte der oberste Christdemokrat türmt. Er vergisst nichts, er vergibt nicht. schung dieses Systems hat er sich ein Helmut Kohl zeitlebens alle, die seine ei- Der direkte Zugang zu Menschen ist die Feindbild gebastelt, das unsere Spitzen- gene Vorstellung von der Bundesrepublik Methode, mit der Kohl sich die Welt er- politiker der sechziger und siebziger Jah- zu stören drohten: die 68er wie die Terro- schließt. re bis zur Psychose gepflegt haben.“ risten, die Grünen, die Alternativen, die Nicht dass „der Dicke“ wirklich ein emanzipierten Frauen, im Grunde alle So- Menschenkenner wäre. Er nähert sich an- BONN, JUNI 1973 zialisten, und in Wahrheit auch die libera- deren instinktgelenkt auf der Gefühlsebe- Als Helmut Kohl in der Bonner Beethoven- len Widersacher in der eigenen Partei – von ne, wittert Sympathie oder Abneigung. Für halle zum CDU-Vorsitzenden gewählt wur- Rita Süssmuth bis Richard von Weizsäcker. die Wünsche und Schwächen seiner Mit- de, sah er, wie später noch oft, drohend Das war noch immer Rache für 68. Die menschen, für ihre Schläue, ihre Energie „eine andere Republik“ heraufziehen. Die hessische CDU, angeführt vom Django Al- und ihre Sentimentalität hat er ein feines kulturelle und politische Studenten-Revol- fred Dregger und assistiert von dessen Ge- Gespür. Auf dieser emotionalen Ebene te von 1968 und ihre Folgen betrachtete hilfen Manfred Kanther, hatte sich in den setzt er ein Wechselspiel gegenseitiger Ab- Kohl, je länger die „Sozen“, wie er zu sa- frühen siebziger Jahren in einer Art bür- hängigkeiten in Gang. Diese Beziehungen gen pflegte, regierten, als desto staatsge- gerkriegsähnliche Auseinandersetzung mit gliedern sich hierarchisch. fährdender. den Hausbesetzern und Straßenkämpfern R. SCHULZE-VORBERG Kohl, Strauß (1984): Gespür für die Schwächen

der Frankfurter Szene und ihren intellektu- ellen Vordenkern der Frankfurter Schule gesehen. Mit dem Aufstieg solcher schrillen Figuren wie Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit in die demokratischen Insti- tutionen fühlten sich die angeblichen Ver- teidiger von Recht und Ordnung moralisch-

DPA politisch zum Widerstand herausgefordert. Gratulant Schmidt (1982): Feind-Verteufelung als Machtvehikel Mitte 1983 hieß es in der vom Kohl-Ge- fährten Bruno Heck herausgegebenen Doch wehe dem, der – wie einst Kurt Dieser CDU-Vorsitzende, das hat der Streitschrift „Die politische Meinung“ un- Biedenkopf oder Heiner Geißler – die Stirn PDS-Fraktionschef Gregor Gysi unlängst ter der Überschrift „Hitler, Bonn und die besaß, sich aus der Kohl-Kumpanei zu lösen. im Berliner Reichstag richtig gesehen, war Wende“: „Die Rebellion von 1968 hat mehr Der wurde als Verräter geächtet. Zuletzt tatsächlich eine massive Verkörperung der Werte zerstört als das Dritte Reich. Sie zu traf Angela Merkel des Kanzlers Zorn. Als Bonner Republik: Nicht nur stehe kein an- bewältigen ist daher wichtiger als ein wei- die Generalsekretärin das Ehepaar Kohl vor derer deutscher Politiker so eindeutig für teres Mal Hitler zu überwinden.“ ein paar Wochen in Berlin traf, war es die die Verquickung von Politik und Geld, son- Diese Wende hatte Helmut Kohl im Gattin, die die Exkommunikation besorgte: dern Kohl sei auch aufgewachsen im Geis- Sinn, wenn er immer wieder ein anderes „Du bist doch auch nicht anders als alle an- te jenes militanten Antikommunismus, der, „geistig-moralisches Klima“ ankündigte. deren“, zischte Hannelore Kohl. so Gysi, „für die alte Bundesrepublik iden- Helmut Kohl, der geistig-militante Führer Dass solche Bannflüche lange wirken, titätsstiftend war“. Kein Wunder, dass er der Bundesrepublik Deutschland? Jawohl, kann sich die mögliche Schäuble-Nachfol- mit dem Slogan „Freiheit statt Sozialis- so sah er sich, ohne Wenn und Aber. Das

der spiegel 8/2000 47 seien „Kategorien, auf die nur verfällt, wer den politischen Gegner als Feind ansieht, wer die demokratische Auseinanderset- zung nicht als harte, aber friedliche Kon- kurrenz begreift, sondern als Überlebens- kampf, in dem alle Mittel recht sind“, empört sich erschrocken Günther Non- nenmacher, einer der Herausgeber jener bürgerlichen „FAZ“, die lange die Kohl- Politik kritiklos unterstützt hatte.

BONN, 1. OKTOBER 1982 Helmut Kohl ist Kanzler, endlich nicht mehr nur Adenauers Enkel, sondern auch sein Nachfolger. Als er sein Aquarium auf- gebaut hat, die Fahne neben dem Schreib- tisch drapiert und die Strickjacke in Griff- nähe, fühlt sich der Pfälzer zu Hause im Bonner Kanzleramt.

Was er den Deutschen in seiner Regie- CORBIS SYGMA rungserklärung anbot, klang wie ein Le- Freunde Mitterrand, Kohl (1984 in Verdun): Gefühlsmächtige Inszenierung ben im Heimatfilm: Wärme, Zuversicht, Optimismus, Kindersegen und ein Volk in rungssprecher, der „Bild“-Kolumnist Pe- Dass man national war, verstand sich der Pflicht. ter Boenisch: Hohenzollernstraße 89, Lud- von selbst.“ Er meinte es so. Als lebe er in vormo- wigshafen. Das war kein Scherz. Am Ende Die nahezu heilige Familie muss zugleich dernen Zeiten, bot sich Helmut Kohl – der hieß das Haus Europa. als Keimzelle und als Modell für den Staat sein Volk ins neue Jahrtausend führen Helmut Kohl hat seine Herkunft nie herhalten. Das ist deutsch, abendländisch, wollte – als Abbild einer Welt dar, die es vergessen. Sie prägt sein politisches Denken christlich, frei – das historisch legitimierte nur in nostalgischen Träumen gibt. „Der und Handeln bis heute. Es war „ein ty- „Gute“ schlechthin. Alles was diese Idylle Staatsmann ist für ihn der Vater von Haus pischer kleiner Beamtenhaushalt wie Mil- stört, wird entweder verleugnet und ver- und Gesinde. Der Staat ist für ihn eine Su- lionen andere“, zitieren ihn seine Biogra- drängt oder „dem Bösen“ angelastet, und perausgabe des elterlichen Hauses in Frie- fen Werner Filmer und Heribert Schwan. dazu gehören eben außer den Nazis „im- senheim“, erläuterte sein früherer Regie- „Die Wertskala war eindeutig christlich. mer auch“ die Kommunisten. ist diese Partei immer mehr für Helmut Kohl gewesen als eine bloß politische In- teressen-Union. Die Familie alten Stils zur Keimzelle eines neuen „Klimas der Mit- menschlichkeit und Geborgenheit in unse- rem Lande“ zu machen, das war für Kohl „moderne, progressive Politik“. Längst haben auch seine einst treues- ten Gefolgsleute begriffen, was die schein- bare Idylle verbarg: „Unter Helmut Kohl ist die Partei der Versuchung zum Opfer ge- fallen, sich einer zweifellos imponierenden Führungspersönlichkeit bis an die Grenze der Entmündigung anzuvertrauen und sich auf diese Weise zu entlasten“, sagt Minis- terpräsident Kurt Biedenkopf heute. Die CDU wurde sprachlos. In einem Vierteljahrhundert formte der Vorsitzende seine Partei zu einem zugleich höfischen

A. SCHOELZEL und männerbündlerischen Gebilde, in dem Rivalen Kohl, Geißler (1989): Ausspielen und draufhauen die Kategorien Kameradschaft und Dank- barkeit den rationalen Diskurs, die kriti- Mit der Heimat im Herzen erfuhr der Die scheinbare Einfalt dieses Lebens- sche Auseinandersetzung, letztlich die in- Pfälzer die Welt. Gestützt auf Oggershei- entwurfs hat viele Beobachter dazu ver- nerparteiliche Demokratie ersetzten. mer Erkenntnisse wusste er, was richtig und führt, den suggestiven Sog des schlichten „Sachfragen“, so der CDU-Bundestagsab- falsch, was gut und böse war. Ludwigsha- Musters zu unterschätzen. Aber die Macht geordnete Eckart von Klaeden, wurden fener Weisheiten wie „Soz bleibt Soz, auch zur Definition seiner Umwelt war immer „zuallererst als Ableitung der großen Loya- wenn er mit dem Zylinder ins Bett geht“, die wichtigste Voraussetzung für die robus- litätsfrage begriffen“. kann ihm bis heute niemand nehmen. Kei- te Herrschaft dieses Kanzlers. Nicht wie Dünnhäutiger Argwohn, abtaxieren, ob ne Überzeugung hat er öfter ausgesprochen die Welt ist, sondern wie man sie sehen man mit jemandem kann oder nicht, über und konsequenter gelebt als jene, dass al- muss, erzählt er den Deutschen. den Tisch ziehen, ins Abseits stellen, aus- les, was im privaten Leben gut ist, auch in Und nirgendwo hat dieses System so zu- spielen und draufhauen, das waren die Ka- der Politik taugt. Und umgekehrt. verlässig gegriffen wie in der CDU. Deshalb tegorien der innerparteilichen Kommuni- Titel Hilfe von der Die illegalen Stasi-Protokolle von Telefonaten deutscher Politiker, so will es die SPD, sollen Licht in das Dunkel der CDU-Spendenaffäre bringen.

as brisanteste Erbe der unterge- antrag eingebracht wird. Das Gegen- terpräsidenten Björn Engholm, des gangenen DDR ist bis heute votum des schleswig-holsteinischen ehemaligen CDU-Landesvorsitzenden D„nicht erschlossen“. So nennen Abgeordneten verhinderte dies fürs Er- Gerhard Stoltenberg und anderer Poli- Archivare unsortierte Aktenberge. Es ste. tiker erhalten. sind die wortgetreuen Protokolle der Dabei könnte eine systematische Su- Über die Verwendung entbrannte ein von der Stasi abgehörten Telefonate che in den abgehörten Telefonaten erbitterter Streit. Der damalige Direk- westdeutscher Politiker und Wirt- tatsächlich weiterhelfen. So belauschte tor der Gauck-Behörde und heutige schaftsgrößen. etwa die Stasi den langjährigen Schatz- Justizstaatssekretär Hans- Eigentlich sollte es diese Abschriften meister Walther Leisler Kiep auch, so jörg Geiger hatte keine gar nicht mehr geben, in der Wendezeit steht es im so genannten Zielkon- Bedenken. Das Stasi-Un- hatte die Stasi eine gezielte Vernich- trollauftrag, um „finanzielle Zuwen- terlagengesetz lasse die tungsaktion angeordnet. Doch hun- dungen für die CDU von Firmen“ zu Herausgabe an einen Un- derttausende Seiten der Geheimpapie- erfahren (SPIEGEL 4/2000). Kiep war tersuchungsausschuss zu. re wurden vor dem Reißwolf gerettet kein Einzelfall: Ob Altkanzler Helmut Inwiefern dieser davon Ge- und in den Archiven der Gauck-Behör- Kohl, seine Büroleiterin Juliane Weber brauch mache, müsse er de eingelagert. oder andere Strippenzieher im Kon- selbst entscheiden. Geiger Jetzt werden sie wohl sortiert und ge- rad-Adenauer-Haus – bei allen war die verwies aber ausdrücklich sichtet werden müssen. Denn der Par- Stasi mit in der Leitung. darauf, dass etwa „Inha- teispenden-Untersuchungsausschuss des Natürlich habe man dabei „das eine bern politischer Funktio- Bundestages prüft, ob die Dossiers der oder andere pikante Detail“ erfahren, nen oder Personen der illegalen Lauschangriffe zur Aufklärung bekannte der langjährige Chef der Zeitgeschichte weiterge- der CDU-Affäre beigezogen werden DDR-Funkaufklärung Horst Männchen hende Beeinträchtigungen können. Obmann Frank Hofmann in einer Vernehmung bei der Bundes- ihres Persönlichkeitsrechtes (SPD) möchte die Stasi-Akten anfor- anwaltschaft. Wohl auch deshalb vo- zuzumuten sind als Privat- tierte eine ganz große Ko- personen“. Im Klartext: alition der Parteien für die Die abgehörten Politiker sofortige Vernichtung, als hätten keinen Grund, sich in der Wendezeit beim zu beklagen. Bayerischen Landesamt Schleswig-Holsteins Da- für Verfassungsschutz tenschutzbeauftragter Hel- Überläufer kistenweise mut Bäumler hielt dagegen: Akten der Hauptabteilung „Man kann sich nicht voller III ablieferten. Die Innen- Abscheu und Entsetzen ministerkonferenz wies von Datensammelmetho- im Juli 1990 alle Verfas- den der Stasi abwenden sungsschutzbehörden an, und andererseits ihren

die erbeuteten Dossiers rechtsstaatswidrigen Nach- / CORBIS SYGMA L. ATLAN J. Stasi-Zielkontrollauftrag für Kiep: Mit in der Leitung zu schreddern. Nach den lass begierig ausweiden.“ Vernichtungsaktionen in So sieht es Bäumler noch heute. Eng- dern: „Ich sehe die rechtlichen Schwie- Ost und West schien das Problem erle- holm und andere zogen 1995 vor Ge- rigkeiten, aber wenn es irgendeine Mög- digt – keiner ahnte, was sich in der richt. Das Landgericht Kiel entschied, lichkeit gibt, wollen wir da ran.“ Wie Gauck-Behörde noch alles finden las- die Protokolle dürften nicht verwendet sonst, fragt Hofmann, solle man erfah- sen würde. werden. Ein weiter gehender Versuch ren, „wer in der CDU der achtziger Jah- Erst einmal kam ein Untersuchungs- des damaligen Kieler Bundesratsmi- re noch alles zu den Mitwissern des il- ausschuss auf die Idee, mit den Stasi- nisters Gerd Walter (SPD), auch die legalen Finanzierungssystems gehörte?“ Mitschriften eine westdeutsche Affäre Vernichtung der ihn betreffenden Ab- Doch die Debatte, ob ausgerechnet aufklären zu wollen: der so genannte hörprotokolle im Stasi-Archiv anzu- mit Hilfe der Resultate einer gesetz- Schubladen-Untersuchungsausschuss in ordnen, lehnte das Verwaltungsgericht widrigen Aktion die gesetzeswidrigen der Affäre um den früheren Minister- Berlin allerdings ab. Praktiken der Union nachgewiesen präsidenten Uwe Barschel (CDU), der Doch die grundsätzlichen Rechtsfra- werden dürfen, wird noch für ordent- die Verstrickung der SPD in die Ma- gen sind bis heute nicht endgültig ge- lich Zoff im sorgen. In der chenschaften von Barschels einstigem klärt. Vorsorglich hat die SPD-Arbeits- vergangenen Woche diskutierte bereits Medienreferenten Reiner Pfeiffer prüf- gruppe schon einmal den wissen- die Arbeitsgruppe der SPD-Abgeord- te. 1994 hatten die Parlamentarier von schaftlichen Dienst des Bundestages neten im Untersuchungsausschuss dar- der Gauck-Behörde hunderte Telefon- um Stellungnahme gebeten. über, ob ein entsprechender Beweis- protokolle des ehemaligen SPD-Minis- Wolfgang Krach, Georg Mascolo

52 der spiegel 8/2000 kation. Kohl misstraute nicht nur der Öf- ler Kohl vor dem Kadi. Von dem illegalen tischen Staat“. „Die Seele der Bundesrepu- fentlichkeit, sondern auch seiner eigenen Treiben der „Staatsbürgerlichen Vereini- blik“ sah Fraktionschef Wolfgang Schäuble Parteifamilie. Je länger er residierte, desto gung e. V.“, die ihn seit 1964 mit Spenden bedroht. Nur die pingelige FDP-Justiz- höher wurden die Podien auf den Partei- versorgte, hatte er angeblich nichts ministerin Sabine Leutheusser-Schnarren- tagen. Der Parteichef und Kanzler sprach gewusst – eine glatte Lüge. Die staatsan- berger spielte nicht mit. Sie ließ ihren Re- von oben auf die Seinen herab, und er re- waltliche Ermittlung, die Otto Schily durch gierungschef wissen, das Grundgesetz stehe dete in Bildern. Der rationale und kontro- eine Strafanzeige ausgelöst hatte, wurde „nicht unter einem allgemeinen Krisen- verse Diskurs, wie ihn Kohls Heidelberger eingestellt, weil man Kohl keinen Vorsatz vorbehalt“. Hochschullehrer Dolf Sternberger ver- zur Lüge nachweisen konnte. Doch dass Helmut Kohl sah das lockerer. Wer standen hat, blieb ihm unheimlich. Ein „ge- dem CDU-Chef in seinem gesamten poli- denkt wie er, wer sich auch noch als mäch- sundbeterisches Dauergespräch“ – so der tischen Leben, wie er jetzt bekennt, „per- tiger Regierungschef im vereinten Deutsch- Althistoriker Christian Meier – erstickt jede sönliches Vertrauen wichtiger als rein for- land gegen die Reste der verblichenen SED ernsthafte Diskussion im Ansatz. Seinem male Überprüfungen war und ist“, war „mit dem Rücken zur Wand“ stehen sah, Historikerkollegen Hans-Ulrich Wehler schon damals erkennbar. der glaubte sich auch berechtigt, im Kampf fällt zur Beschreibung solcher Politik nur Auch das hat Helmut Kohl von seinem gegen die PDS schwarze Kriegskassen an- der Begriff „Gehirnleere“ ein. Vorbild Adenauer gelernt: Zimperlichkeit zulegen. Es ist aber die eigene Haltung, Dafür inszenierte Helmut Kohl seine im Umgang mit Gesetzen und Verfassung die den Ausnahmefall suggeriert, nicht der Macht in gefühlsmächtigen Bildern. Als kann hinderlich sein, wenn es gilt, politi- Gegner. Denn genau dieselbe Erklärung sche Gegner zu erle- hatte Kohl schon 1967 zur Hand, als er um digen. In einem SPIE- NPD-Wähler warb: „Wir stehen mit dem GEL-Titel über die Rücken zur Wand. Vaterlandsliebe ist das bedingte Abwehrbe- Gebot der Stunde.“ reitschaft der Bundes- Bei dem Versuch, hinderliche Gesetzes- wehr entdeckte der fesseln abzustreifen, berief er sich stets auf erste Kanzler der dasselbe traditionelle Muster. Es galt, sich Bundesrepublik 1962 irgendwelcher Feinde zu erwehren, realer GAMMA / STUDIO X / STUDIO GAMMA Staatsmann Kohl, Kollegen*: Geld gehörte zur diplomatischen Grundausstattung

Kanzler in der Mediendemokratie hat er einen „Abgrund von Landesverrat“. oder erfundener, die angeblich den Be- den Gebrauch politischer Symbolik bis Staatsanwälte und Polizei rückten in die stand der Demokratie gefährden. über die Grenze vorbedachter Irreführung Redaktionen ein, verhafteten den Heraus- Auch der damalige BDI-Präsident Fritz ausgeweitet. „Symbolische Politik ist eine geber . Der Anschlag auf Berg forderte 1970 in einem Schreiben an kriegswirtschaftlich erdachte Strategie der die Pressefreiheit löste einen Sturm der 55 Industrieführer Hilfe im „Kampf gegen Kommunikation gegen die Adressaten“, Entrüstung aus. Lax entschuldigte sich der Radikalismus und Kollektivismus“. Der schreibt der Politologe Thomas Meyer, „sie CSU-Innenminister Hermann Höcherl, da Feind war die demokratisch gewählte Re- höhlt politische Kultur von innen aus. Sie sei manches wohl „außerhalb der Lega- gierung Willy Brandts. „Das Gebäude des täuscht Partizipation vor, wo sie die ver- lität“ gelaufen. Staates ist gefährdet“, hieß es in dem Brief. hindert. Sie entzieht sich dem Diskurs.“ Helmut Kohl hat diese Lehren nicht ver- Auf Helmut Kohl konnte die „Der-Staat- gessen. Stieß seine Regierung mit ihren po- sind-wir“-Fraktion der Ton angebenden MAINZ, 18. JULI 1985 litischen Wünschen an die Grenzen der Kreise immer bauen. So vor allem in den Nur ein „Blackout“, wie Heiner Geißler Verfassung, wurde der „Staatsnotstand“ siebziger Jahren, als in Teilen der politi- die flattrige Falschaussage seines Chefs ent- beschworen, wie 1992, als die Zahl der schen und gesellschaftlichen Eliten der Re- schuldigend charakterisierte, rettete Kanz- Asylsuchenden ständig weiter anstieg. publik Panik ausbrach, weil Staatsanwälte Wenn jetzt nicht gehandelt werde, be- auf der Suche nach illegalen Parteispen- hauptete der damalige Kanzler, „stehen wir den mit Durchsuchungen begannen. Geld * Links: mit François Mitterrand, George Bush und Mar- garet Thatcher am 9. Juli 1990 in Houston; rechts: mit vor der Gefahr einer tief gehenden Ver- wollten die Spender aus der Wirtschaft nur Michail Gorbatschow am 15. Juli 1990 im Kaukasus. trauenskrise gegenüber unserem demokra- noch gegen Amnestie herausrücken. Hel-

der spiegel 8/2000 53 mut Kohl werde sich „persönlich darum kümmern“, dass ihnen kein Leid geschehe, beruhigte damals Uwe Lüthje, der Gehilfe des CDU-Schatzmeisters, die Gönner. Horst Weyrauch, Kohls Hüter der schwar- zen Kassen, bedrängte die Finanz- und Justizbehörden, die Verfahren niederzu- schlagen. „Das Gleichgewicht der politischen Par- teien“ werde gefährdet, so die Argumen- tation der Kohl-Gehilfen, wenn vor der Bundestagswahl 1976 gegen die Hauptbe- troffenen, CDU und FDP, ermittelt werde. „Schwerer Schaden für die Bundesrepu- blik“ sei zu befürchten. Auch das ominöse Wort, das immer bemüht wird, wenn es eng wird, stellte sich hurtig ein: überge- setzlicher Notstand. Natürlich ging es nur um das brutalst-hehre Motiv, wie es jetzt Wahlkämpfer Kohl (1998 in Ludwigshafen): Triumph der Selbstzerstörung auch Manfred Kanther auftischt: „um die Funktionsfähigkeit der Demokratie“. Mutter Cäcilie „drehte jeden Groschen Immer war Geld im Spiel, wenn der dreimal um, ehe sie ihn ausgab“, schreibt Kanzler seine großen historischen Taten BERLIN, 3. OKTOBER 1990 Biograf Dreher. Zum Wochenmarkt gleich vollbrachte. Mit Milliarden, die er den Rus- Die Deutsche Einheit, die Helmut Kohl mit um die Ecke sei sie vorzugsweise am sen zahlte, erkaufte er den Rückzug der feuchten Augen vor dem Reichstag feierte, frühen Nachmittag gegangen, weil dann russischen Armee aus der ehemaligen sicherte ihm nicht nur seinen Platz im Ge- die Bauern ihre Ware zu Ramschpreisen DDR. Milliarden überwies er den Ameri- schichtsbuch. Der Weg dahin hat sich auch verhökerten – eine lehrreiche Erfahrung kanern, um die Deutschen aus dem Golf- in den Kontoauszügen der Regierung nie- für den kleinen Helmut, den die Mutter krieg herauszuhalten. Den misstrauischen dergeschlagen. Geld gehörte zur diploma- manchmal zu ihren Einkäufen mitnahm. Franzosen bot er den Verzicht auf die tischen Grundausstattung des Staatsman- Geld nannte sie „Bimbes“, und seit der D-Mark zu Gunsten des Euro an: als Preis nes Kohl. Skandal publik wurde, hat die pfälzische für das vereinte Europa. Dass die Kasse stimmen muss, hatte Kohl Wortschöpfung Eingang ins Wörterbuch Geld gab auch den Ausschlag bei den schon in frühester Kindheit verinnerlicht. der Umgangssprache gefunden. entscheidenden Wahlen 1990. Die Deut- Titel

derer Chef der Bundestagsparteien küm- Der zweite große Unionsvorsitzende hielt merte sich so sehr um die Details der Geld- am überlieferten Spendenwesen fest.“ beschaffung Sein großes Vorbild war, auch was BERLIN, 15. FEBRUAR 2000 den „Bimbes“ angeht, Konrad Adenauer. Mag auch das von Helmut Kohl durch- Ungeniert ließ sich der Alte seine Wahl- tränkte Klima nur langsam umschlagen, kämpfe von der Industrie finanzieren. das pubertäre Sozialgefüge der Partei- Adenauer bedachte – wie später der Enkel familie CDU noch eine Weile weiterbeste- – ganze CDU-Landesverbände mit Dota- hen, personell und sichtbar, wie Schäuble tionen, um sie auf seine Linie zu bringen. sagt, ist die Ära Kohl mit einem Triumph Über seinen Gehilfen Hans Globke ließ der Selbstzerstörung zu Ende gegangen. er das Geld verteilen. Erst nachdem Ade- Des ewigen Kanzlers auserwählter Nach- nauer als Kanzler abgedankt hatte, geriet folger konnte sich aus dem mafiosen Sog sein Günstlingssystem in Verruf. Und es des Patriarchen nicht befreien. war Helmut Kohl, der damals das große Wolfgang Schäuble, sein rächender Wort führte. Es sei „doch skandalös“, wie Ziehvater Kohl wird es mit Genugtuung die Union sich finanziere, wetterte er im vermerkt haben, war so konsequent „auf

R. STOCKHOFF / RSP R. STOCKHOFF CDU-Bundesvorstand: „Wenn jemand eine Null“ gebracht worden, wie es Vorbild Dissertation schriebe über das innere Ge- Adenauer einst mit seinem Nachfolger füge der CDU, dann könnte er klar nach- Ludwig Erhard versucht hatte. Und, zu- schen wollten die Wiedervereinigung, ar- weisen, dass die CDU keine demokrati- sätzlicher Gag der Geschichte: Die durch gumentierte er damals im kleinen Kreis, sche Partei ist.“ Helmut Kohl verkörperte Nachkriegszeit aber wenn’s um „Bimbes“ gehe, höre der Nun konnte – nach Ablauf der Archiv- endete genau mit jenem Tag, als der Par- Patriotismus auf. Also ließ er die Wähler im Sperrfristen – der Göttinger Historiker lamentspräsident Wolfgang Thierse die ers- Westen glauben, die Wiedervereinigung Frank Bösch Einblick in jenes „innere Ge- te Rechnung für die Spenden-Affäre prä- werde sie nichts kosten. Und den Ostdeut- füge“ der CDU nehmen, das der junge sentierte. schen versprach er die D-Mark zum Um- Kohl damals so lautstark anprangerte, ehe Seither dümpelt die stolze CDU am Ran- tauschkurs von 1:1. er es, als Parteichef, selbst übernahm. de der Pleite. So bestätigte sich das inoffi- Dass er persönlich käuflich gewesen sei, „Das Finanzgebahren der Ära Kohl“, zielle Leitmotto der Adenauer-Republik unterstellen ihm nicht einmal seine schärfs- schrieb Bösch nach Auswertung der alten am Ende an der Partei ihres Schöpfers: ten Gegner. Aber dass die 25-jährige Herr- Vorstandsprotokolle, „ist in gewisser Wei- „Haste was, biste was.“ schaft über seine Partei auf der Macht des se ein Relikt jener Praxis, die sich bei der Jürgen Leinemann, Paul Lersch, Geldes beruhte, ist unbestritten. Kein an- CDU in den fünfziger Jahren einspielte. Hartmut Palmer