Titel Der Bimbes-Kanzler Am Anfang und am Ende der CDU-Affäre steht Helmut Kohl. Das Geld war ein Mittel für ihn, Abhängigkeit zu schaffen, persönliche Beziehungen stellte er höher als Gesetze – und wie Konrad Adenauer verachtet auch Kohl seinen Erben. un ist auch der Geist Konrad Ade- nauers tot. Mit Wolfgang Schäuble, Nder vergangene Woche Platz mach- te für einen „sichtbaren, also auch perso- nellen Neuanfang“ in der CDU, ging der Kronprinz des Enkels des Alten. Sein Rück- tritt beendete wohl endgültig nicht nur das System Kohl, sondern eine Ära. Die aber war bis zuletzt durchtränkt und geprägt vom Geist der westdeutschen Nachkriegs- republik, die Konrad Adenauer schuf. Helmut Kohl gehört seit mehr als einem halben Jahrhundert der CDU an, war 25 Jahre Bundesvorsitzender und 16 Jahre Kanzler. Bis zum Schluss beharrte er darauf, dass er selbst Schäuble als seinen Nachfol- ger ausersehen habe. Von Anfang an sah er sich in der Nachfolge des CDU-Mitbegrün- ders Konrad Adenauer. Kohl repräsentierte mit seiner Karriere die Kontinuität einer deutschen Gemüts- verfassung, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Vom „Schwarzen Riesen“ in Mainz über „Birne“ in Bonn bis zum Kanz- ler der Einheit und Ehrenbürger Europas war Helmut Kohl sich selbst treu. „Ich bin im Prinzip natürlich der gleiche geblieben“, pflegte er zu versichern. „Ich habe mich nicht verändert.“ So ist es. Die persönliche Prägung aus Kriegskindheit, Nachkriegsjugend und ka- tholischem Elternhaus machte ihn histo- risch unverwechselbar. Der Geist Konrad Adenauers imprägnierte ihn mit den Macht- und Feindbildern der autoritären und antikommunistischen Jahre des Kalten Krieges. Dazu kamen die fast hysterische Geld-Fixierung des Wirtschaftswunder- Deutschland und die Herrschaftsattitüden des Patriarchen Adenauer. Das alles verdichtete sich in der Person Kohl zu einem mafiösen System von Ab- hängigkeiten, dessen selbstzerstörerischer und antidemokratischer Kern – obwohl im- mer empfunden und im SPIEGEL und an- derswo oft beschrieben – erst im Rückblick ganz zu Tage tritt. LIMBURGERHOF, ANFANG 1947 Schon den Einstieg in sein Politikerleben organisierte Kohl, so sein Biograf Klaus Dreher, etwas außerhalb der Normalität. R. BOSSU / CORBIS SYGMA Als im Pfarrhaus seines Mentors, des ka- Kanzler Kohl (im Dezember 1989 in Dresden) Platz im Geschichtsbuch tholischen Pfarrers Johannes Fink, die Jun- einer, der sich auskannte mit den Tricks Jahrelang lagen auf dem Grab des Alten in ge Union (JU) von Ludwigshafen gegrün- und Tücken des Daseins. Engert über die- Rhöndorf immer frische Blumen. Stets det wurde, war Kohl dabei – ebenso bei der sen Menschenschlag: „Er knüpfte ein Be- stammte einer der Sträuße von Helmut Neugestaltung der Regularien. ziehungsgeflecht. Er wusste, wo was zu ho- Kohl. Nach der Parteisatzung hätte er erst mit len war. Er hatte den Überblick. Er war Der junge Unions-Politiker aus Ludwigs- 18 in die CDU eintreten können, aber so das spezifische Produkt einer spezifischen hafen, der mit dem Fahrrad zu den Kund- lange wollte der 16-Jährige nicht warten. Zeit.“ gebungen der großen Alten zu radeln pfleg- Also wurde die JU-Satzung geändert, bis Der Typus Kohl, so Engert, wusste sich te, die aus der Weimarer Republik in den sie auf ihn passte: Mitglied, hieß es in der zu behaupten. In der gesetzlosen Zeit un- demokratischen Neubau Bundesrepublik neuen Ludwigshafener Satzung, könne mittelbar nach dem Krieg bestimmte er aus hineinragten, war von Anfang an von Ade- werden, wer 16 Jahre alt sei. Ohne weite- eigenem Ermessen, was richtig und falsch, nauer fasziniert. Häufig hat er den Alten be- re Formalitäten, so Dreher, wurde er auf was gut und böse war. sucht, als der streitlustige Greis längst unter dem Druck seiner Partei- freunde das Kanzleramt geräumt hatte und in Rhön- dorf grollend seine Memoi- ren schrieb. Adenauer mischte sich zwar in den Mainzer Dia- dochenkampf nicht ein. Er lobt Altmeier, weil der im- mer zu den „Treuen und Zuverlässigen gehört“ ha- be. Aber er führt auch Kohl als legitimen Nachfolger ein: „Nun tritt Herr Kohl an seine Seite.“ Das sei „eine andere Generation, aber keine unsympathische Generation“. Fortan tat Kohl so, als habe ihn der Alte zu seinem Enkel er- nannt. Der „Rheinische Mer- kur“ pries den neuen Lan- desvorsitzenden als einen Reformer, der bei dem Wort „konservativ“ nicht nervös und gereizt hochge- he: „Es scheint, dass dieser Nachdenkliche, die Strö- mungen der Zeit vorur- M. EBNER / MELDEPRESS teilslos prüfende Mann sich CDU-Ehrenvorsitzender Kohl (im November 1999): „Ich habe mich nicht verändert“ deutlicher zu Wertzielen aus der Tradition der Partei diese Weise Mitglied der Mutterpartei. Diese angelernte Egozentrik trug ihn Adenauers bekennen wird – wenn er dazu Tatsächlich hatte der Gymnasiast Helmut durch sein gesamtes politisches Leben. Im- stärker genötigt wird.“ Und weiter: „Im Kohl damals schon mehr erlebt als viele mer mehr gewöhnte er sich an, sich als eine Stil wie in der Sache ein Adenauer- Erwachsene heute in ihrem ganzen Leben. Art Retter zu betrachten. Bereits vor An- Schüler.“ 15 Jahre alt war er, als er 1945, nach Kriegs- tritt seiner Kanzlerschaft stellte er sich vor Das ist im Rückblick klarer zu erkennen ende, in seine zerstörte Heimatstadt Lud- als ein Mann, der den Dienst auf sich neh- als damals. Denn in der Partei des Patriar- wigshafen zurückkehrte. Baldur von Schi- me, einen „Saustall“ auszumisten. Er ver- chen war Kohl in den frühen Jahren des rachs Nachfolger, der Reichsjugendführer sprach, den „sozialistischen Dschungel- Aufstiegs immer der Jüngste, und so trat er Arthur Axmann, hatte den Hitlerjungen Staat“, in dem „das Faustrecht herrscht“ auch auf. Es waren die Jahre, in denen er Kohl in Bayern auf den Führer einge- und „geistige Verwahrlosung“, zurückzu- sich den Beinamen „Walz aus der Pfalz“ schworen – im April 1945, kurz vor dem führen in eine bürgerliche Gemeinschaft, in und „schwarzer Riese“ erarbeitete: Wo der Ende. Aber Helmut Kohl wollte nicht sie- der „das blanke ICH wieder aufgeht in stürmische junge Mann mit seinen Ge- gen, sondern überleben. dem WIR des Volkes“. folgsleuten von der Jungen Union auf- Für den nur wenig jüngeren Journalisten tauchte, gab es regelmäßig Krach in den Jürgen Engert ist Kohl ein „deutscher Ty- MAINZ, MÄRZ 1966 Versammlungen. pus“. „Organisieren“ heiße sein Kennwort. Helmut Kohl hat es geschafft. Auf dem Par- Und doch blieb der Hoffnungsträger der Kohl zählt zu jenen Kindern, die der Krieg teitag der rheinland-pfälzischen CDU wird verkrusteten Adenauer-Partei immer der zu Halb-Erwachsenen machte, die Leichen er zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. deutsche Biedermann. Mit Stichworten wie ausbuddeln mussten und die Versorgung Er löst Peter Altmeier ab, dem nur noch Vaterland, Heimatliebe, Pflichtgefühl, der Familie übernahmen. In gesetzloser das Amt des Ministerpräsidenten bleibt. „Stolz auf die kulturellen Leistungen un- Zeit schlug sich der Kinder-Halb-Soldat Bundesweite Aufmerksamkeit erringt der seres Volkes“, Gewissenhaftigkeit, Fleiß, quer durch Deutschland, von Berchtes- damals 35-jährige Kohl, weil es ihm gelun- Maßhalten umschreibt Kohl – damals wie gaden bis Ludwigshafen. Er sah sich als gen ist, den Parteipatriarchen Konrad heute – eine seit Kaisers Zeiten ungebro- Überlebenskämpfer an der Heimatfront, Adenauer als Gastredner zu gewinnen. chene deutsche Bürgermentalität, die „den der spiegel 8/2000 45 Titel Staat“ – welchen auch immer – gehorsam So künden die „Kriegskassen“ der Uni- ter Hildegard Getrey. Am ersten Schultag verinnerlicht. on, die jetzt entdeckt wurden, nicht nur brachte Helmut einen Trupp Jungs mit Das brachte er aus dem Elternhaus mit, von einem „unausgeräumten Keller mit nach Hause, die er bis dahin gar nicht ge- dessen politisches Klima vom Zentrum ge- Vorräten aus dem Kalten Krieg“, wie Gus- kannt hatte. Das waren von da an seine prägt war. Auch in den theoretischen tav Seibt in der „Berliner Zeitung“ ver- Freunde. Von ihnen verlangte der kleine Schriften des Zentrums, der Partei des po- mutete, sondern vor allem von einem la- Knirps auch beim Spiel Gefolgschaft: Wenn litischen Katholizismus, der Vater Hans tenten Bürgerkriegs-Denken, das sich er sich in ein Laken hüllte und einen Kaf- Kohl nahe stand, haben Begriffe wie Au- jederzeit zu „übergesetzlichem“ Handeln feewärmer als Mitra auf den Kopf stülpte, torität, Gehorsam und Gemeinschaft ihren berechtigt fühlte. dann war er der Bischof – die anderen Platz. Und an nationalistischem und wil- Die Art, wie Kohl und sein früherer In- mussten die Schleppe tragen. helminischem Getöse ist auch dort seit Be- nenminister Manfred Kanther diese anti- Seit dem 19. Mai 1969 regierte Helmut ginn des Ersten Weltkriegs, in dem sich Va- demokratische Mentalität und die damit Kohl in Mainz als Ministerpräsident mit dem ter Kohl auszeichnet, kein Mangel. verbundenen Gesetzesbrüche als eine Fra- Gepränge eines Fürstbischofs. Die Grund- ge der Ehre behandeln, erinnert an die züge des Systems Kohl waren schon damals Geisteshaltung einer Kriegerkaste, die im klar erkennbar, erinnert sich sein Biograf wilhelminischen Deutschland den Ton an- Klaus Dreher. Die Trinkgelage im Keller der gab. Beide Männer führen sich auf, als hät- Staatskanzlei wurden ebenso legendär wie ten sie im Dienste einer ehrenwerten Sache die „Scherze“, mit denen er sein Gefolge heroische Opfer gebracht. quälte und demütigte. Nachts befahl er sei- nem Kultusminister Bernhard Vogel, auf MAINZ, MAI 1969 dem Tisch zu tanzen („Mach de Aff“), oder Helmut Kohl hat immer gern „wir“ gesagt. er jagte ihn, obwohl er wusste, dass Vogel „Wir“
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