STUDIEN ZUR KIRCHENMUSIK UND WELTLICHEN VOKALMUSIK

IM HAMBURG DER ERSTEN HÄLFTE DES 18. JAHRHUNDERTS

EEN ONDERZOEK NAAR DE KERKMUZIEK EN WERELDLIJKE VOCALE MUZIEK IN HAMBURG GEDURENDE DE EERSTE HELFT VAN DE ACHTTIENDE EEUW

(met een samenvatting in het Nederlands)

PROEFSCHRIFT

ter verkrijging van de graad van doctor aan de Universiteit Utrecht op gezag van de rector magnificus, prof. dr. G.J. van der Zwaan, ingevolge het besluit van het college voor promoties in het openbaar te verdedigen op maandag 3 november 2014 des middags te 2.30 uur

door

Steffen Voss

geboren op 15 juni 1969 te Hamburg

Promotor: Prof. dr. A.A. Clement

© Steffen Voss

INHALT Abbildungen 6 Notenbeispiele 7 Vorwort 9 Einleitung 11 I. Johann Mattheson als Komponist kirchenmusikalischer Werke: Forschung und Perspektive 15 I.1 Historischer Überblick 19 II. Kirchenstil und Theatralischer Stil in den Oratorien Johann Matthesons 33 III. Werke in Einzeldarstellungen 49 III.1 Das Weihnachtsoratorium „nach dem Evangelisten Lukas“ 49 III.2 Chera, oder die leidtragende und getröstete Witwe zu Nain 52 III.3 Das größte Kind , Matthesons Weihnachtsoratorium von 1720 55 III.4 Der liebreiche und geduldige David 58 IV. Das Oratorium "auf das Absterben des Königes von Großbritannien Georg I." 61 V. Das Glockenspiel in Johann Matthesons Oratorien für den Hamburger Dom 75 V.1 Anhang: D-Hs, Cod. hans. IV: 38-42: 10: 20: Beschreibung eines gewißen Glockenwercks. 89 VI. Führte Joh. Seb. Bach in Leipzig Kirchenmusik von Johann Mattheson auf? 91 VII. Johann Matthesons Hochzeitsmusiken 97 VII.1 Anhang: Textdrucke zu Hochzeitskompositionen in der Commerzbibliothek Ham- burg S/279 (1713-1721) 128 VIII. Die Verwendung der Holzblasinstrumente in Werken Hamburger Opernkomponisten der Barockzeit 145 IX. Händels Borrowings aus Johann Matthesons Oper Porsenna (1702) 175 X. „...Dieses musikalische Bund Stroh“. Ein unbekanntes Oratorium von Georg Philipp Tele- mann im Urteil Carl von Winterfelds und Friedrich Chrysanders 191 XI. „Der aus der Löwengrube errettete Daniel“: Eine unbekannte Hamburger Michaelismusik von 203 XII. Frömmigkeit, Weisheit und Herrlichkeit. Salomonisches aus dem Jahre 1759 bei Händel und Telemann 219 XIII. “... sur les loix d’une certaine societé” Die Mizlersche Societät der musikalischen Wissenschaften im Urteil Georg Philipp Telemanns und Johann Matthesons 231 Schlussbetrachtung 241 Samenvatting 245 Literatur- und Quellenverzeichnis 253 Abkürzungen 271 Curriculum Vitae 273

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Abbildungen

Abbildung II.1: zum Oratorium Die gnädige Sendung (1716), NL-DHnmi, Sammlung Scheurleer, Signatur 2-I-123 40 Abbildung V.1: Chera , Autograph D-Hs, ND VI 116, Choral „Nun lasst uns den Leib begraben“ 77 Abbildung V.2: Johann Mattheson, Der verlanget und erlangte Heiland (D-Hs, ND VI 120), Arie des Asaph 79 Abbildung V.3: Brockes-Passion , Autograph D-Hs, ND VI 130, Beginn der Arie „Gott selbst der Brunnquell“, Autograph 81 Abbildung V.4: Unbezeichnete autographe Glockenspiel-Stimme zur Brockes-Passion von Matthe- son, Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: f 83 Abbildung V.5: Unbezeichnete Glockenspiel-Stimme zur Arie „Gott selbst“ aus der Brockes-Passion von Mattheson, Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: k 84 Abbildung V.6: Trauermusik für Georg I. (D-Hs ND VI 146), Arie des Gerüchts „Angenehme Trauerglocke“ 87 Abbildung V.7: D-Hs, Cod. hans. IV: 38-42: 10: 20: Beschreibung eines gewißen Glockenwercks. 90 Abbildung VII.1: Die über die Entfernung triumphierende Beständigkeit ND VI 127, S. 10, Arie des Phoebus. 117 Abbildung VII.2: ND VI 137, Der Verlohrne und wiedergefundene Amor , Titelblatt. 121 Abbildung VIII.1: Georg Philipp Telemann, Einlagearie zu Händels Riccardo primo (1729) (TAA 46) 166 Abbildung IX.1: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D-Hs, ND VI 110, f.57r. 180 Abbildung IX.2: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D-Hs, ND VI 110, f.20v. 185 Abbildung IX.3: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D-Hs, ND VI 110, f.50v. 187 Abbildung IX.4: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D-Hs, ND VI 110, f.66r. 190 Abbildung XII.1: Rollenverzeichnis und erste Textseite des Telemann-Oratoriums, D-Ha, Cl. VII, Ga, Pars 2, No. 6 230 Abbildung XII.2: Rollenverzeichnis und erste Textseite des Händel- von 1759. 230 Abbildung XIII.1: Épigramme sur les XXXII Articles de la Societé musicale . Johann Mattheson an Georg Philipp Telemann, 24. Februar 1746 234 Abbildung XIII.2: Réponse à un[e] Épigramme sur les loix d’une certaine societé. Georg Philipp Telemann an Johann Mattheson, 3. März 1746 235 Abbildung XIII.3: Réplique à la Réponse à une Épigramme . Johann Mattheson an Georg Philipp Telemann, 3. März 1746 239

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Notenbeispiele

Notenbeispiel II.1: Die gnädige Sendung , Beginn des Choralsatzes „Komm Gnadentau“ 39 Notenbeispiel II.2: Chera , Beginn der Arie „Netzt ihr Augen“ 42 Notenbeispiel II.3: Boris Goudenov 1710, Arie des Gavust „Was Wiedersehn für Freude macht“, T. 7-10. 43 Notenbeispiel II.4: Die durch die Auferstehung Christi ….. 1721, Arie der Freude „Hebe dich“, T. 21-23. 43 Notenbeispiel II.5: Pascal Colasse, Entrée des Pastres troyens, aus Achille et Polixène. 44 Notenbeispiel II.6: Die durch Christi Auferstehung. .. 1721, Chorsatz „Muss Israel gleich vieles leiden“, Takt 5 45 Notenbeispiel II.7: Johann Mattheson, Das irrende […] Sünden-Schaaf , Aria a 2 „Folge mir“, Beginn. 47 Notenbeispiel IV.1: Trauermusik für Georg I., Eingangschoral, Takt 43 68 Notenbeispiel IV.2: Trauermusik für Georg I., Arie „Füllt die Luft betrübte Klagen“, Takt 6ff. 70 Notenbeispiel IV.3: Trauermusik für Georg I., Arie „Wischt die Thränen vom Gesichte“, Takt 39 71 Notenbeispiel IV.4: Trauermusik für Georg I., Arie „Wischt die Thränen vom Gesichte“, Takt 51 72 Notenbeispiel IV.5: Trauermusik für Georg I., Schlusschor, erster Einsatz der Singstimmen Takt 5 73 Notenbeispiel V.1: Johann Mattheson, Brockes-Passion , Arie „Gott selbst“, mit einstimmiger Glockenspiel-Begleitung 85 Notenbeispiel VII.1: Die keusche Liebe (D-Hs, ND VI 118), erste Arie der „Nacht“ (Anfang). 111 Notenbeispiel VII.2: ND VI 127, Die über die Entfernung triumphierende Beständigkeit , zweite Arie der Terpsichore (Anfang B-Teil). 115 Notenbeispiel VII.3: ND VI 127, Der verlohrne und wiedergefundene Amor , Sinfonia (Beginn) 123 Notenbeispiel VII.4: Die vergnügte Nacht (D-Hs, ND VI 138), erste Arie der „Nacht“ 127 Notenbeispiel VIII.1: Beispiele für Arien in Triobesetzung für 2 Oboen mit Singstimme als : Kusser, Erindo (EdM II/3), Keiser, Octavia (ChrA Suppl. 6), Händel, Almira (ChrA 55), Matthe- son, Porsenna (MEO 9) 149 Notenbeispiel VIII.2: , Desiderius , Arie des Desiderius „Funkelt eine Demant- Krone“ (nach Ausgabe in MEO 7) 152 Notenbeispiel VIII.3: Reinhard Keiser, Desiderius , Arie des Desiderius „Es ist zu viel“ (nach Ausgabe in MEO 7) 153 Notenbeispiel VIII.4: Johann Mattheson, Das Größte in dem Kleinen, Arie „Wenn Satan und Hölle“ 157 Notenbeispiel VIII.5 Christoph Graupner, Dido Königin von Karthago (1707), Arie der Anna „Holde Nahrung reger Herzen“ 161 Notenbeispiel VIII.6: Reinhard Keiser, Heraclius (1712) 163

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Notenbeispiel VIII.7: Reinhard Keiser, Tomyris (1717), “Concerto avanti l‘ à 5” (nach Ausgabe Die Oper 1 ) 168 Notenbeispiel VIII.8: Georg Philipp Telemann, Der Sieg der Schönheit (1722), Beginn der Arie „Placidia mein schönstes Kind“ 171 Notenbeispiel VIII.9: Georg Philipp Telemann, Das selige Erwägen (1722), Ausschnitt aus der Sinfonia 172 Notenbeispiel IX.1: Händel, Agrippina , Beginn der Arie „Sotto il lauro“ (ChrA 58) 181 Notenbeispiel IX.2: Händel, Muzio Scevola , Arie der Fidalma „A chi vive di speranza“, Beginn der Melodiestimme 182 Notenbeispiel IX.3 Händel, Radamisto (erste Fassung), Beginn der Arie „Dolce bene di quest‘ alma“ (ChrA 63) 184 Notenbeispiel IX.4: Mattheson, Porsenna , Beginn der Arie „Es mag rasen es mag toben“ / Händel, Rinaldo , Beginn der Arie „Sovra balze scoscesi“ 188 Notenbeispiel IX.5: Beginn des Sextetts aus Porsenna / Händel: Beginn des Gloria patri aus dem Laudate pueri (HWV 237) 189 Notenbeispiel XI.1 Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Einsatz des Chors der Engel „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ innerhalb der Arie der Freude „Freudige Seraphim schwinget die Flügel“ 210 Notenbeispiel XI.2: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Arie des Arbaces „Recke deines Szepters Spitze “, T. 13–18 212 Notenbeispiel XI.3: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Arie des Daniel „Ach seufze nicht, mitleid’ger Fürst “ , T. 87–102. 213 Notenbeispiel XI.4: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Chor der vertrauenden Seelen „Die Engel sind alle dienstbare Geister “, Beginn 215 Notenbeispiel XI.5: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Beginn der Arie des Daniel „Vertrauen reizt die Allmacht an “. 216

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Vorwort

Vorliegender Band vereinigt mehrere ältere Aufsätze des Autors, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen wissenschaftlichen Publikationen erschienen sind, sowie als Kapitel I-II einen Originalbeitrag zum Oratorienschaffen Johann Matthesons. Die Beiträge behandeln verschiedene Gattungen der Vokalmusik im Hamburg der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit einem Schwerpunkt auf dem Schaffen Johann Matthesons und Georg Philipp Telemanns. Im Mittelpunkt steht dabei die Kirchenmusik, vor allem das Oratorium, doch werden auch weltliche Gattungen wie Serenata und Oper behandelt. Dabei soll der große Einfluss der aktu- ellen Opernmusik auf die kirchlichen Kompositionen der damals führenden Hamburger Kom- ponisten aufgezeigt werden, die als führende Vertreter der sogenannten theatralischen Kir- chenmusik ihrer Zeit gelten. Die Artikel wurden dabei für die Neuveröffentlichung sprachlich überarbeitet, inhaltlich erweitert und dem aktuellen Forschungsstand angepasst.

Für die Möglichkeit, diese Arbeit bei der Universität Utrecht als Dissertation einreichen zu können, für die inhaltlichen Anregungen und die große Hilfe bei der Erstellung der endgülti- gen Fassung möchte ich meinem Doktorvater Albert Clement besonders danken. Auf die Anregung meines verehrten Hamburger Lehrers Hans Joachim Marx gehen einige der in diesem Band enthaltenen Artikel zurück. Die beiden Aufsätze zu den fälschlich Händel zugeschriebenen Telemann-Oratorien sind direkte Ergebnisse von Quellenforschun- gen, die ich an dem von ihm geleiteten DFG-Projekt „Georg Friedrich Händel – Kompositio- nen zweifelhafter Echtheit“ durchführen konnte. Von den zahlreichen Bibliotheken, deren Quellen ich für meine Arbeiten nutzen konn- te, steht an erster Stelle die Staats- und Universitätsbiblothek Hamburg Carl von Ossietzky. Dem Leiter der Musik- und Handschriftenabteilung, Dr. Jürgen Neubacher, und Frau Marion Sommer sei für die langjährige fachliche und logistische Unterstützung bei den Arbeiten an den Quellen gedankt. Weitere Institutionen, ohne deren Unterstützung diese Arbeit nicht hätte entstehen können, sind die Musikabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz mit Mendelssohn-Archiv, die Hamburger Commerzbibliothek, das Staatsarchiv Hamburg, das Nederlandse Muziek-Archiv Den Haag und die Litauische Natio- nalbibliothek Vilnius.

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Zahlreiche Einzelpersonen standen mir bei der Suche nach Quellen und Sekundärliteratur und bei der Beantwortung von Fragen zur Hamburger Musikgeschichte mit Rat und Tat zur Seite. Genannt seien (in alphabetischer Reihenfolge) Christine Blanken (Leipzig), Hansjörg Drauschke (Halle/Salle), Michael Maul (Leipzig), Johannes Pausch (Hamburg), Ute Poetzsch (Magdeburg), Brit Reipsch (Magdeburg), Ralph Jürgen Reipsch (Magdeburg), Reginald San- ders (Gambier / Ohio), Wolfgang Schult (Dillenburg) und Wolfgang Hirschmann (Hal- le/Saale). Zuletzt sei ganz besonders Johannes Pausch und Lars Henrik Riemer (München) für die große Hilfe bei den Korrekturarbeiten gedankt.

Steffen Voss (München 2014)

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Einleitung

Hamburg gilt vor allem seit der Eröffnung des Gänsemarkt-Theaters 1678 als eine der bedeu- tendsten und fortschrittlichsten Musikmetropolen im protestantischen Deutschland der Ba- rockzeit. Gleichzeitig blickte die Stadt mit ihren fünf großen, noch heute das Stadtbild beherr- schenden Hauptkirchen auf eine reiche kirchenmusikalische Tradition zurück und galt als eines der wichtigsten Zentren der norddeutschen Orgelspielkunst. Im Spannungsfeld zwischen liturgischen und seelsorgerischen Ansprüchen an die Kirchenmusik und den immer stärker werdenden Einflüssen der Opernmusik wurde Hamburg zu einer zentralen Entwicklungsstätte des norddeutsch-protestantischen Oratoriums. Neben berühmten Komponisten lebten hier auch für die Ausprägung der Gattung bedeutende Dichter, die die Texte zu einigen Schlüs- selwerken lieferten.1 Ein wichtiges „Einfallstor“ für die von manchen konservativen Kritikern leidenschaftlich bekämpfte theatralische Kirchenmusik war dabei der Hamburger Dom, jene exterritoriale Kathedralkirche, die institutionell weitgehend unabhängig vom Einfluss des Rats und des Geistlichen Ministeriums agieren konnte und bei der Besetzung ihres Kantoren- amtes Musiker aus dem Umfeld der Oper bevorzugte. Erst unter Leitung des städtischen Musikdirektors Georg Philipp Telemann, der, an- ders als sein Vorgänger Joachim Gerstenbüttel, bei seinem Amtsantritt 1721 bereits auf eine beeindruckende Karriere als Opernkomponist zurückblicken konnte, fanden oratorische Kir- chenmusiken (neben den schon seit langer Zeit etablierten oratorischen Passionen) Eingang in das Repertoire der Hamburger Hauptkirchen: Einige der Kantaten aus den von Telemann in Hamburg komponierten Jahrgängen sind tatsächlich vollständig in der Form von Oratorien gehalten. Im Gegensatz zu Mattheson, dessen eher sporadischen Kirchenmusik-aufführungen vor allem zu hohen Kirchenfesten erklangen, führte Telemann damit oratorische Werke im wöchentlichen Abstand auf, was zu einer Konsolidierung der Gattung beitrug. Arnold Schering beginnt sein Kapitel zum protestantischen norddeutschen Oratorium mit ei- ner längeren Ausführung zu den Oratorien Johann Matthesons, den er als bedeutenden frühen Vertreter der Gattung noch vor Reinhard Keiser behandelte. In den beiden ersten Beiträgen in diesem Buch sollen die historischen Voraussetzungen dargestellt werden, unter denen diese Werke entstanden, und einige Charakteristika des zum Teil recht eigenwilligen Personalstils

1 Genannt seien an erster Stelle Christian Hunold (Menantes) und Barthold Heinrich Brockes. 11 des Komponisten hervorgehoben werden. Obwohl Mattheson das Oratorium als eine Art von geistlicher Oper ansah und deshalb auch nicht vor zum Teil sehr theatralischen Effekten in seinen Partituren zurückschreckte, finden sich daneben doch immer wieder Einflüsse des tra- ditionellen Kirchenstils, wobei er nicht nur rein vokale Formen, sondern auch Gattungen der Orgelmusik, vor allem Fugen und Choralbearbeitungen, rezipierte. Gerade das spannungsvol- le Verhältnis zwischen opernhaften und kirchenmusikalischen Elementen, die in den Oratori- en Matthesons in schroffer Unmittelbarkeit aufeinanderstoßen, ja die sogar bisweilen in einem einzigen Satz kombiniert werden können, macht den ungewöhnlichen Reiz dieser Werke aus. Im dritten Teil der Arbeit sollen exemplarisch vier Einzelwerke in detaillierteren Beschrei- bungen vorgestellt werden, wobei auch der dramatische Verlauf der Oratorien eine Rolle spie- len soll. Als Sonderfall einer geistlichen Gelegenheitsmusik in Form eines Oratoriums nimmt Matthesons Trauermusik für Georg I. von Großbritannien (1727) eine Sonderstellung ein. In diesem Werk greift Mattheson auf geradezu mustergültige Weise auf Mittel zurück, die er in seinen theoretischen Schriften zur musikalischen Affektenlehre beschreibt. Ein Vergleich mit einem ähnlichen Werk, der Trauermusik für König Karl XII. von Schweden (1719), zeigt, dass Mattheson mit seiner jüngeren Komposition das ältere, beim Publikum begeistert aufge- nommene Werk zu übertreffen suchte. Die zeremoniellen Verwicklungen, die dann schließ- lich zu dem Verbot der Aufführung des Oratoriums führten, werden dabei an Hand von archi- valischen Quellen nachgezeichnet. Matthesons zum Teil sehr orginelle Instrumentationstechnik gipfelt in dem Einsatz des Glockenspiels oder Carillons, das er unter anderem im mehrfach in seinen Werken verwende- te, darunter auch in dem oben behandelten Traueroratorium. Das Instrument hatte für Matthe- son eine starke klangsymbolische Bedeutung, wie eine eingehende Untersuchung der Partitu- ren, in denen es zum Einsatz kommt, zeigt. Dies ist auch im Vergleich mit Werken anderer Komponisten wie Gottfried Heinrich Stölzel, Georg Philipp Telemann, Reinhard Keiser und Georg Friedrich Händel zu sehen, die ebenfalls obligate Glockenspiel-Partien in ihren Werken einsetzten, an denen sich parallele Beobachtungen anstellen lassen. Das einzige nicht-oratorische Werk, das Mattheson im Hamburger Dom zur Auffüh- rung brachte, war sein doppelchöriges deutsches Magnificat von 1716. Der Text des Canti- cums erklang dabei in einer dichterischen Paraphrase von der Feder der Gräfin Maria Aurora von Königsmarck, einer bedeutenden adligen Intellektuellen ihrer Zeit, die Mattheson sehr bewunderte. Erstaunlicherweise erklang eine Komposition mit dem selben Text 1725 am Tag

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Visitationis Mariae in der Leipziger Thomaskirche, also vielleicht unter der Leitung Johann Sebastian Bachs. Es ist sicherlich eine reizvolle Frage, ob das Magnificat in Leipzig ebenfalls in der Vertonung Matthesons erklang. Ein Sonderfall Hamburger Festmusiken der Barockzeit sind die Kantaten, Serenaten und Oratorien, die zu Hochzeitsfeiern reicher Hamburger Familien aufgeführt wurden. Von Mattheson sind einige Partituren zu solchen Werken überliefert, die eine besondere Betrach- tung verdienen. Mattheson galt neben Reinhard Keiser und dem heute völlig unbekannten Matthias Christoph Wiedeburg als beliebtester Komponist für solche Gelegenheitsmusiken, bevor Georg Philipp Telemann ab 1721 zu beherrschenden Musikerpersönlichkeit der Stadt aufstieg. Matthesons Werke sind repräsentative Beispiele für die Gattung der weltlichen Hochzeitsmusiken, die ebenso wie das Oratorium unter dem starken Einfluss der Oper stan- den. Archivalische Quellen und eine Untersuchung eines größeren Korpus an weiteren Text- drucken zu weltlichen und geistlichen Hochzeitskompositionen stellen die Kompositionen dabei in ihrer Funktionalität innerhalb der bürgerlichen Repräsentationskultur dar und unter- suchen ihren gattungsgeschichtlichen Kontext. Die für die Hamburger Gänsemarktoper komponierten Opernpartituren zeichnen sich durch eine besonders farbenreiche Instrumentationskunst aus. Exemplarisch kann dies an Hand der Verwendung der Holzblasinstrumente in den Partituren der führenden Hamburger Opernkomponisten gezeigt werden, wobei auch hier ein großer Einfluss der Oper auf andere vokale Gattungen wie Serenata und Oratorium zu beobachten ist. Bei Komponisten wie Rein- hard Keiser, Johann Mattheson, Georg Philipp Telemann, aber auch in den Hamburger Wer- ken Georg Friedrich Händels lassen sich häufig vergleichbare Instrumentationstechniken in ihren Opern- und Oratorienpartituren beobachten. Der starke Einfluss, den die Hamburger Oper auf den jungen Georg Friedrich Händel ausübte, wurde schon häufiger behandelt, wobei vor allem die zahlreichen „Borrowings“ aus Opern- partituren Reinhard Keisers diese These belegen. Aber auch Mattheson, dessen direkter musi- kalischer Einfluss auf den berühmten Hallenser Meister bisher bestritten wurde, lieferte einige musikalische Ideen, die Händel bereitwillig in eigene Werke übernahm, keineswegs nur in Opernpartituren, sondern auch in einer römischen Psalmvertonung. Matthesons sauertöpfische Reaktion auf die Entdeckung einer dieser Übernahmen ist bekannt, aber durch eine genauere Untersuchung der Partitur, aus der Händel sein Motiv entlehnt hatte, der wenig bekannten Oper Porsenna von 1702, konnten nun noch weitere auffällige „Borrowings“ ermittelt wer- den. Dabei fällt die Kreativität auf, mit der Händel die fremden Ideen in seine eigenen Werke

13 integriert, andererseits sind die Übernahmen keineswegs nur aus rein musikalischen Gründen gewählt. Häufig stimmen die affektive Situation in der Vorlagekomposition und in der Neu- schöpfung Händels auffällig überein. Georg Philipp Telemann schrieb im Jahr 1731 einen großen oratorischen Kantaten- jahrgang auf Texte des Dichters Albrecht Jacob Zell. Dieser Jahrgang zeichnet sich durch die dramatische Anlage der Texte aus, die von Telemann mit entsprechenden theatralischen Mit- teln vertont wurden. Drei in allen erhaltenen Quellen fälschlich Georg Friedrich Händel zuge- schriebene Oratorien gehören in Wirklichkeit zu der verschollenenen zweiten Hälfte dieses Jahrgangs. Vor allem die beiden zweiteiligen Festoratorien zum Johannis- und Michaelisfest, die als sogenannte Quartalsmusiken besonders prachtvoll und aufwändig vertont wurden, ste- hen in der Tradition der von Mattheson am Hamburger Dom etablierten Kirchenoratorien. Das erste der beiden Werke, das in einer Berliner Partitur überliefert ist, erlebte auf Grund der Fehlzuschreibung an Händel im 19. Jahrhundert eine spannende Rezeptionsgeschichte durch seine Erwähnung in Schriften von Carl von Winterfeld und Friedrich Chrysander. Während dieses Oratorium durch das erhaltene Hamburger Stimmenmaterial und einen Textdruck zweifelsfrei Telemann zugeschrieben werden kann, mussten bei dem Oratorium zum Michae- lisfest genauere stilistische Untersuchungen an der Partitur vorgenommen werden. An zahl- reichen Stellen bietet die Partitur dabei zweifelsfreie Hinweise auf eine Autorschaft Tele- manns, zumal ein struktureller Vergleich der beiden Libretti zeigt, dass sie von einem und demselben Dichter stammen müssen. Ein wenig beachtetes Oratorienlibretto, das dem Spätwerk Telemanns zuzuordnen ist, der Text zu dem Oratorium der Kapitänsmusik von 1759, teilt mit den in den vorigen Kapiteln behandelten Werken sein alttestamentliches Sujet. Es behandelt Episoden aus dem Leben Kö- nig Salomos und weist damit erstaunliche Übereinstimmungen zu dem Libretto zu Händels berühmtem Londoner Oratorium Solomon auf, die so weit reichen, dass von einer direkten Beeinflussung des Hamburger Dichters durch den englischen Text ausgegangen werden kann, auch wenn sich beide Werke durch ihren völlig unterschiedlichen Funktionsrahmen unter- scheiden. Im letzten Abschnitt, der als heiterer Epilog anzusehen ist, kommen noch einmal die bei- den Protagonisten dieser Studie, Mattheson und Telemann, mit drei Gedichten zu Wort, die die beiden sich im Jahr 1746 gegenseitig zugesandt hatten. Wenn dieser kleine Beitrag zwar nicht mit dem Hauptthema dieser Arbeit direkt zusammenhängt, so wirft er doch ein interes- santes Licht auf den Charakter dieser beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten.

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I. Johann Mattheson als Komponist kirchenmusikalischer Werke: Forschung und Perspektive

Johann Mattheson (1681-1764) ist heute vor allem als Musiktheoretiker durch seine Schriften zu Fragen der Kompositionslehre, Aufführungspraxis und Musikkritik bekannt. Er entwickel- te ein System der musikalischen Affektenlehre, das zum unentbehrlichen Hilfsmittel für die praktische und theoretische Interpretation der Musik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts geworden ist. Im Unterschied zu dieser breiten Rezeption des Theoretikers Mattheson fällt ein Desinteresse gegenüber seinen Kompostionen auf. Wenige musikwissenschaftliche Studien widmen sich seinen Werken, und im aktuellen Konzertleben spielt seine Musik ebenfalls nur eine untergeordnete Rolle, auch im Vergleich zu anderen "wiederentdeckten Meistern" der Barockzeit, wobei auffällt, dass Mattheson ein katastrophaler Ruf als Komponist gerade bei Musikern der "Alte Musik"-Bewegung vorauseilt, der eine unvoreingenommene Beschäfti- gung mit seinen Stücken erschwert. Lange Jahre waren auch nur wenige Werke des Komponisten Mattheson bekannt und in Neuausgaben zugänglich. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass der autographe Nachlass des Komponisten, den dieser der Hamburger Stadtbibliothek vermacht hatte, nach dem 2. Weltkrieg verschollen war. Die in der Hamburger Staatsbibliothek gelagerten Manu- skripte waren, um sie vor der Zerstörung durch die drohende Bombardierung der Stadt zu bewahren, nach Sachsen ausgelagert worden. Dort wurden sie zusammen mit anderen "Beu- tekunst"-Beständen von der Roten Armee requiriert und in die Sowjetunion verbracht. 2 Es war schon länger bekannt, dass der Mattheson-Nachlass keineswegs als Kriegsver- lust zu beklagen war. 1998 wurde ein Großteil der seit Ende des 2. Weltkrieges vermissten Bestände aus dem Besitz der Hamburger Stadtbibliothek in der Staatsbibliothek der Republik Armenien in Eriwan aufgefunden und der Stadt Hamburg großzügig zurückerstattet. 3 Vier Partituren waren schon wenige Jahre zuvor aus Hamburgs Partnerstadt Leningrad nach Ham- burg zurückgelangt, sie waren im Keller des dortigen Konservatoriums entdeckt worden. 4 Die somit seit mehreren Jahren nun wieder fast vollständig vorliegenden autographen Partituren

2 Vgl. Marx 1983 1. 3 Vgl. Neubacher 1999 1. 4 Es handelte sich um die Zweitfassung des Weihnachtsoratoriums Die gnadenreiche Geburt (Signatur ND VI 119a), um das Osteroratorium Der allererfreulichste Triumph (ND VI 131), das Joseph -Oratorium zum IV. Sonntag nach Trinitatis (ND VI 146) sowie um die Trauermusik auf Georg I. (ND VI 147). 15 der Werke Matthesons erlauben auch eine Neubewertung des praktischen Musikers Matthe- son. Die 1715 -1728 entstandenen 20 erhaltenen Oratorien, die Mattheson als Kantor des Hamburger Domkapitels komponierte und aufführte, stellen den bei weitem bedeutendsten Werkkomplex seines kompositorischen Gesamtschaffens dar. Gleichzeitig sind sie auch die einzigen überlieferten umfangreichen musikalischen Zeugnisse der Musikpflege an der Ham- burger Kathedralkirche. In dreifacher Hinsicht ist die Beschäftigung mit Matthesons Oratorien deswegen von Bedeutung: als Studie zum Werk eines berühmten, aber in neuerer Zeit mit keiner ausschließ- lich dem kompositorischen Schaffen gewidmeten Monographie bedachten Komponisten, als gewichtiger Beitrag Geschichte des Oratoriums im frühen 18. Jahrhunderts sowie als Studie zur einem in Vergessenheit geratenen Teilaspekt der Hamburgischen Musikgeschichte.

In der deutschsprachigen Musikgeschichtsschreibung vor 1945 fanden sich gelegentliche Be- sprechungen der Oratorien Matthesons. Auch wenn die meisten damaligen Musikwissen- schaftler ein kritisch-distanziertes Verhältnis gegenüber diesen Werken an den Tag legten, das jedoch vergleichbar ist mit ihrer Beurteilung anderer, inzwischen "rehabilitierter" Komponis- ten dieser Epoche, so waren sie sich gleichzeitig einig in der Einschätzung ihrer gattungsge- schichtlichen Bedeutung. Mattheson wurde neben Keiser und Telemann als Vertreter jener Hamburger Kompo- nisten anerkannt, die als Wegbereiter des Oratoriums in Norddeutschland hervorgetreten wa- ren. Die Kritik an Matthesons Musik entsprach einer allgemeinen kritischen Haltung gegen- über der Kunst des Barockzeitalters, die sich etwa auch in dem Unverständnis gegenüber dem dichterischen Werk von Matthesons Hamburger Zeitgenossen Barthold Heinrich Brockes ma- nifestierte. Als hinderlich für eine unvoreingenommene Beurteilung des Komponisten Johann Mattheson erwies sich auch das ausgesprochen negative Bild, das der Händel-Biograph Fried- rich Chrysander im 19. Jahrhundert von Mattheson gezeichnet hatte und das bis heute eine vorurteilsfreie Beurteilung von dessen Leistungen im Wege steht. 5 Eine Ausnahme bildet die Einzelstudie von Schmidt, die ein ausgesprochen positives Bild von Matthesons kompositori- scher Leistung zeichnete, und dieses auch durch einige aussagekräftige Notenbeispiele il-

5 Chrysander 1858, S. 88ff., S. 448 (über Mattthesons Vertonung der Brockes-Passion). 16 lustrierte, vor allem mit Ausschnitten aus dem Oratorium Der reformierende Johannes sowie der Oper Enrico IV. 6 Während die meisten Autoren des 19. Jahrhunderts fast ausschließlich die Brockes- Passion behandelten, untersuchte Hermann Kretzschmar auch die übrigen Oratorien Matthe- sons, deren Musik er als „würdig, wohldurchdacht und gebildet“ bezeichnet.7 Er stellt einige Charakteristika der Libretti heraus, zum Beispiel die Kombination allegorischer und bibli- scher Figuren und den dramaturgisch begründeten Einsatz von Chorälen (etwa die Trauerge- sänge aus Chera ). Kretzschmar verurteilt zwar die modische tänzerische Umrhythmisierung und Kolorierung von Choralmelodien, Ungeschicklichkeiten der melodischen Erfindung in einigen Arien sowie die allzu drastische Umsetzungen heftiger Affekte (die er auch Telemann und Keiser vorwarf), kommt jedoch am Ende zu einem überraschend positiven Urteil über Matthesons kompositorische Fähigkeiten. 8 Nach Kretzschmar und Schmidt beschäftigt sich auch Arnold Schering 9 mit den Orato- rien des Komponisten. Während er, Kretzschmar folgend, die stark theatralischen Elemente einiger Sätze als übertrieben verurteilt, kommt er zu einer lobenden Beurteilung einzelner Arien, deren melodischen Schwung er bewundert und die er zum Teil als Händel ebenbürtig bezeichnet. Er hebt die mustergültige Deklamation in Matthesons Rezitativen hervor, und beschreibt einige Choralbearbeitungen, deren Kunstfertigkeit ihn beeindruckte. So erwähnt er unter anderem die Choralfantasie über „Vom Himmel hoch“ (es handelt sich um den Satz „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes“ mit dem Choral-Cantus firmus „Sey willkom- men du edler Gast“) aus dem Weihnachtsoratorium Die gnadenreiche Geburt . Daneben er- wähnt er auch den Choralsatz über „Ein feste Burg ist unser Gott“ aus dem Siegenden Gideon , den er allerdings fälschlich ebenfalls als Choralfantasie bezeichnet. 10

6 Schmidt 1897. 7 Kretzschmar 1932, S. 93-97, dort auch der interessante Hinweis, Johannes Brahms habe Sätze aus dem Lied des Lammes abgeschrieben. Dies hängt sicherlich mit Brahms‘ großem Interesse an Kanontechniken zusam- men, denn in den Turba-Chören des Passionsoratoriums wendet Mattheson teilweise sehr komplexe kontra- punktische Techniken an. 8 Falsch ist die kritische Bemerkung Kretzschmars, in den allegorischen Oratorien Matthesons gäbe es keine „Gegenspieler“, sondern nur tugendhafte Figuren. Vgl. das Irrende Sünden-Schaaf („Weltlust“), Die Göttli- che Vorsorge („Mammon“, allerdings eine sehr kleine Rolle), Die durch die Auferstehung Christi … („Die Rache“), Joseph („Unbarmherzigkeit“). In der Glücklich-streitenden Kirche versuchen gleich 3 Widersacher („Werkheiliger, Wahlheiliger, Scheinheiliger“), die „Gläubige Seele“ von der reinen Lehre der lutherischen Orthodoxie abzubringen (vermutlich sollen sie Pietismus, Calvinismus und Katholizismus repräsentieren). 9 Schering 1911, S. 335-339. 10 Es handelt sich um einen homophonen, in einen tänzerischen 6/8-Rhythmus gekleideten Satz mit selbständi- ger Instrumentalbegleitung, der mittlere Abschnitt des Satzes ist als fugierender alla breve-Teil im Stil eines Choralvorspiels mit vorausimitierenden Unterstimmen vertont. Mattheson verwendet den Satz ein Jahr später 17

Das erwachende Interesse nach 1945 an der Musik der Barockzeit jenseits der Werke der verehrten Heroen-Gestalten Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel leitete eine eingehende Beschäftigung mit den theoretischen Schriften Matthesons ein, während sei- ne Musik weitgehend unbeachtet blieb. Eine ungewöhnlich ausführliche Würdigung erfuhren die Opern Matthesons noch einmal in Helmuth Christian Wolffs Studie zur Hamburger Gän- semarktoper.11 Beekman C. Cannons Beschreibung der autographen Partituren in seiner biographisch- bibliographischen Studie Johann Mattheson, Spectator in Music 12 basierte noch auf vor 1945 durchgeführten Quellenstudien, leider fiel die Beschreibung der Musik der untersuchten Wer- ke äußerst knapp aus, da sie nicht zu den vorrangigen Zielen der Arbeit gehörte. Doch hatte der Autor wenigstens das Autograph eines der Oratorien, des Passionsoratoriums Das Lied des Lammes , verfilmen lassen. Auf Grund dieses Mikrofilms konnte Cannon später seine Edi- tion des Oratoriums vorlegen. In der bisher bedeutendsten Veröffentlichung zu Leben und Schaffen Matthesons, den 1983 von George Buelow und Hans Joachim Marx veröffentlichten New Mattheson Studies , stellte Cannon dar, wie Mattheson dieses Oratorium als Gegenmodell zu einem älteren anonymen Passionsoratorium über die gleiche Textvorlage, das früher Hän- del zugeschrieben wurde, vertonte, wie Mattheson in seiner Critica musica selbst dargestellt hatte. 13 Neben dem Lied des Lammes war noch eine Abschrift der Brockes-Passion von 1718 in der Berliner Staatsbibliothek erhalten, die von Henning Frederichs für seine Dissertation von 1975 herangezogen w erden konnte, in der er die vier bekannten Parallelvertonungen des Textes untersuchte. 14 Frederichs widmet Matthesons Vertonung, die weitläufig als die schwächste Fassung gilt, besondere Aufmerksamkeit. So untersucht er an den längeren Soli- loquien des Werkes, wie es Mattheson gelingt, durch Überschreitung der strengen Gattungs- grenzen zwischen Rezitativ und Arie fließende Übergänge und größere musikalische Zusam- menhänge zu schaffen, die eine dramatische Straffung des textreichen Werkes bewirken.

wieder in seinem ähnlich kämpferischen Oratorium zum 18. Sonntag nach Trinitatis Die glücklich streitende Kirche (Autograph: ND VI 132, vgl. die Neuausgabe des Werkes durch N. Klose = Mattheson 1999, S. 105ff. und S. 155ff., der Choral wird hier gleich zweimal auf unterschiedliche Strophen gesungen). 11 Wolff 1957. Wie Cannon (siehe unten) basieren auch Wolffs Ausführungen noch auf Arbeiten der Vorkriegs- zeit, so dass er Musik beschreiben konnte, die zwischenzeitlich als verschollen galt. 12 Cannon 1968. 13 Cannon 1983. Zur Diskussion über die Autorschaft der angeblichen Händel-Passion siehe unter anderem Kümmerling 1986, Marx 1987 und Kleinertz 2003. 14 Frederichs 1975. 18

Auch Frederichs fällt, wie schon vor ihm Schering, die kunstvolle Ausarbeitung der Chorals- ätze gegenüber seinen Zeitgenossen auf. Ein weiterer Fund, der ein erneutes Interesse an Matthesons Oratorien anregte, war die Entdeckung einer modernen Abschrift des Reformierenden Johannes von 1717 aus dem Nachlass des Hallenser Musikwissenschaftlers Max Schneider. Eine kurze, aber gründliche Untersuchung zu diesem Werk legte Werner Rackwitz vor. 15 Rackwitz referierte nicht nur die oben skizzierte Rezeptionsgeschichte, aus der die besondere Wertschätzung einiger älterer Autoren (Schmidt, Schering) gerade für dieses Werk zu ersehen war, sondern ging auch auf den Librettisten des Werkes, die geistige Situation im damaligen Hamburg, den Entstehungs- anlass und die damalige Aufführungspraxis ein. Nach Rückkehr der ersten Mattheson-Partituren aus Leningrad untersuchte Günther Massenkeil diese Werke erstmalig für seine Gesamtdarstellung der Gattung, dabei kam er allerdings zu einem eher negativen Urteil über Matthesons Kompositionsstil. 16 Mit dem Gesamtkorpus der Oratorienpartituren beschäftigte sich bisher nur eine litera- turwissenschaftliche Studie: In Irmgard Scheitlers Studie zur Geschichte des deutschsprachi- gen Oratoriums der Barockzeit findet sich eine ausführliche Besprechung der Libretti der Ora- torien Matthesons. 17 Das zunehmende Interesse an institutionsgeschichtlichen Fragestellungen in der histo- rischen Musikwissenschaft erlaubte in den letzten Jahren eine Beurteilung der historischen Bedeutung des Hamburger Domkantorats, wobei besonders der Vergleich mit der städtischen Musikorganisation aufschlussreich war. Besonders die Arbeiten von Joachim Kremer und Jürgen Neubacher enthalten hierzu zahlreiche neue Erkenntnisse.18

I.1 Historischer Überblick

Das Kantorat des Hamburger Doms stellt einen Sonderfall in der Musikgeschichte der Hanse- stadt dar, die mit der besonderen politischen Stellung dieser ältesten Hamburger Kirche zu- sammenhängt.

15 Rackwitz 1996/97. 16 Massenkeil 1998, S. 205-207. 17 Scheitler 2005, S. 301-311. 18 Kremer 1995, vor allem S.90-107; Kremer 1997 1; Neubacher 2009, S.19-22, 219-225, 407-410; Neubacher 2010. 19

Das Domkapitel gehörte politisch zum Erzbistum Bremen und war somit eine politi- sche Exklave innerhalb der Stadtrepublik. Es unterstand dem jeweiligen Herrn des Erzbis- tums, das nach dem 30-jährigen Krieg säkularisiert und zum Herzogtum Bremen-Verden mit dem Regierungssitz Stade umgeformt wurde. Das so neugeschaffene Herzogtum wurde bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden der Siegermacht Schweden zugesprochen. Nach König Karl XII. Niederlage im nordischen Krieg fiel die Regierung an den mit Russland verbündeten Kurfürsten von Hannover, Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, der seit 1714 als Georg I. gleichzeitig der erste englische König aus dem Hause Hannover war. 19 Die Mitglieder des Domkapitels hatten sich im 16. Jahrhundert zunächst gegen die Einführung der Reformation durch den Rat der Stadt gewehrt. Deswegen übernahm ein geist- liches Ministerium die Verwaltung der Hamburger Haupt- und Nebenkirchen, die Aufgaben der ehemalige Domschule gingen an die neugegründete Schule des Rates, das Johanneum, über. Dort erteilte ein von der Stadt angestellte Kantor und Musikdirektor den Musikunter- richt, er war auch für die Versorgung der Hauptkirchen mit Figuralmusik zuständig. 20 Dies war das Amt, das durch Persönlichkeiten wie Thomas Selle, Christoph Bernhard, Georg Phi- lipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach Hamburg zu einem der wichtigsten Zentren der lutherischen Kirchenmusik werden ließ. In vorreformatorischer Zeit gehörte der Domkantor zu den canonices maiores , war also Mitglied des Domkapitels und stand als Praefekt der Domschule vor. Nach Einführung der Reformation in der Stadt beschränkte sich auf Grund der oben geschilderten Umstände das Amt auf den rein praktisch-musikalischen Aufgabenbereich, entsprechend war das Dom- kantorat nur noch mit einem kleinen Kanonikat verbunden.21 Wenngleich städtisches Kantorat und Domkantorat also eigentlich organisatorisch vollständig voneinander getrennte Ämter waren, so war es doch über viele Jahre üblich, diese beiden Ämter in Personalunion ausüben zu lassen. Da bei den musizierenden Ensembles per- sonelle Übereinstimmungen üblich waren, wurder es nötig, dass die Figuralmusik am Dom terminlich mit den Musiken an den vier (später fünf) Hauptkirchen abgestimmt wurde. Die parallele Amtsführung war von 1581 bis 1630 unter den städtischen Kantoren Joachim De- cker und Erasmus Sartorius sowie noch einmal von 1642 bis 1674 unter ihren Nachfolgern Thomas Selle und Christoph Bernhard für viele Jahre praktiziert worden. In den dazwischen

19 Ein Überblick über die Geschicht und Organisationsstruktur des Domkapitels bei Otto 1962. 20 Kremer 1997 1, S. 134. 21 Kremer 1997 1, S. 135 20 liegenden zwölf Jahren 1630-1642 war der Ratsmusiker Johann Schop für die Figuralmusik am Dom zuständig gewesen, und nach Christoph Bernhards Weggang aus Hamburg 1674 übernahm wieder ein Ratsmusiker, Dietrich Becker, dieses Amt. Von nun an blieb es die Re- gel, dass der Leiter der Ratsmusik oder ein Kapellmeister der 1678 gegründeten Gänse- marktoper das Amt des Domkantors ausübte. Christoph Bernhards Nachfolger als Kantor und städtischer Musikdirektor, Joachim Gerstenbüttel (1647-1721) wehrte sich zwar über Jahre hinweg gegen diese Entscheidung und pochte auf das durch seine Vorgänger etablierte Ge- wohnheitsrecht der Ausübung beider Ämter, auch führte er über mehrer Jahre hinweg seine für die Hauptkirchen entstandenen Quartalsmusiken auch noch im Dom auf, doch verteidigte das Domkapitel seine autonome Entscheidungsgewalt.22 Joachim Kremer nimmt zu Recht an, dass hier auch grundlegend unterschiedliche Auf- fassungen von den Aufgaben und der Beschaffenheit der Kirchenmusik eine Rolle spielten. 23 Gerstenbüttel vertrat den Typus des konservativen protestantischen Lehrer-Kantors, dem jeder musikalische Fortschritt als gefährliche Verweltlichung der Kirchenmusik erschien, während der Geschmack des aus Patriziern und in Hamburg ansässigen Adligen zusammengesetzten Domkapitels die Musik der 1678 gegründeten Oper favorisierte und deren Musikstil auch in der Kirche erleben wollte. Die enge Verbindung zwischen Dom und Oper wird deutlich, be- denkt man, dass zeitweise das Refektorium des Doms (genannt "Remter") für Opernauffüh- rungen genutzt wurde und hier die geistlichen Konzerte des Collegium musicum unter dem Jacobi-Organisten Matthias Weckman durchgeführt wurden. 24 Aus dieser Zeit sind bereits die ersten Textdrucke zu oratorischen Passionsvertonungen erhalten, die die moderne stilistische Ausrichtung der Dommusiken belegen. 25 Als Nachfolger Beckers als Domkantor fungierten zunächst die Opernkapellmeister Nikolaus Adam Strungk und Johann Wolfgang Franck. Ab 1685 wirkte dann für viele Jahre wieder ein Ratsmusiker in diesem Amt, Friedrich Nikolaus Brauns (Bruhns), ein Verwandter des berühmten Husumer Organisten Nicolaus Bruhns. Als für den altersschwachen Brauns Ende 1715 ein Substitut gesucht wurde, entschied sich das Domkapitel für Johann Mattheson,

22 Krüger 1933, S. 240-243. 23 Kremer 1997 2, S. 73-75. 24 Zur Frühgeschichte der Hamburger Oper und den Aufführungen im Remter des Doms vgl. Braun 1987. 25 Hierzu Melamed/Sanders 1999. 21 den neben Reinhard Keiser damals führenden Hamburger Komponisten. 26 Mattheson konnte zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine Karriere als Opernsänger und Komponist von Opern und weltlichen Festmusiken zurückblicken und galt als wichtige Persönlichkeit des öffentlichen Musiklebens. Zwischenzeitig hatte er seine Hauptbeschäftigung auf völlig anderem Gebiet, als Sekretär des englischen Gesandten der Hansestädte im Niedersächsischen Reichskreis sowie der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Holstein-Gottorf Cyrill von Wich, gefun- den, so dass er kein hauptamtlicher Musiker mehr war. Konsequenterweise hatte er sich mit seinem letzten Bühnenwerk Henrico IV bereits 1711 von seiner Tätigkeit als Opernkomponist verabschiedet. Er hatte sich jedoch inzwischen durch seine erste musiktheoretische Schrift, das Neueröffnete Orchester von 1713, einen weit über die Grenzen Hamburgs reichenden Ruf als Vertreter einer progressiven Musikanschauung erworben. Nach Brauns Tod 1718 übernahm Mattheson auch offiziell das Kantorat und wurde Canonicus minor am Dom. In den Jahren zwischen 1715 und seiner vorzeitigen Niederlegung des Amtes im Jahre 1728 komponierte er zahlreiche große Kirchenkompositionen für den Dom. Er gab das in seinen Augen sehr prestigeträchtige Amt nicht ganz aus freien Stücken auf, seine fortschreitende Taubheit, die ihm die musikalische Direktions-Tätigkeit erheblich erschwerte, war vermutlich nur einer von mehreren Gründen für diesen Schritt: Zuvor war es nämlich zu erheblichen Verstimmungen mit den für die Oratorienaufführungen engagierten Sängern gekommen, die nach polemischen Angriffen auf den Berufsstand des Opernsängers im Musicalischen Patrioten eskalierten, und in einem regelrechten Boykott der Sänger des Domchors gipfelten, da sie sich weigerten, weiter unter der Leitung Matthesons zu singen.27 Die letzte nachweisbare Oratorienaufführung Matthesons am Dom fand wohl am 3. Osterfei- ertag 1728 statt, an dem eine Wiederholung eines älteren Werkes, Der Überwindende Imma- nuel , erklang. Nach diesem Termin verabschiedete sich Mattheson zu einem 6monatigen Kur- aufenthalt und ließ sich von einem Substituten vertreten, im September reichte er schließlich sein Entlassungsgesuch ein, das ihm nur widerwillig vom Domkapitel gewährt wurde.28 Als Nachfolger Matthesons wurde Reinhard Keiser erwählt: Er war neben Mattheson der etablierteste Oratorienkomponist der Stadt, und die einzige Musikerpersönlichkeit, die vor Ort mit dem allesbeherrschenden Talent eines Georg Philipp Telemann konkurrieren konnte.

26 Matthesons Anwartschaft auf das Domkapitel äußerte sich auch in der Verleihung einer kleinen Präbende ("Vicaria tertia ad Altare St|ae Catharinae in Petro"), die ihm am 21. November 1715 vom Domkapitel zuer- kannt wurde. Hierzu Marx 1982, S. 62. 27 Hierzu Neubacher 2010. 28 Cannon 1968, S. 60-61. 22

Keiser komponierte geschickterweise nicht nur neue Werke, sondern griff auch auf ältere Kompositionen zurück, darunter sein berühmtes Passionsoratorium Der blutig-schwitzende Jesus auf den Text von Menantes,29 zum Teil vertonte er wohl auch Texte, die schon in Ver- sionen Matthesons erklungen waren (am 3. Sonntag nach Trinitatis 1735 etwa eine neue Fas- sung des Irrenden Sündenschafs ).30 Einige Jahre nach seiner Amtsübernahme wurden aller- dings die Musiken am Dom um die Hälfte reduziert, wobei die Aufführungen zu Pfingsten, sowie an den Sonntagen vor Johannis und vor Michaelis wegfielen. 31 Nach Keisers Tod über- nahmen die ehemaligen Opernsänger Johann Gottfried Riemschneider und Johann Heinrich Möhring (ab 1741) kurz nacheinander die Leitung der Dommusik, ironischerweise zwei der Sänger, die Mattheson mit seiner Sänger-Polemik, die letztendlich zu seiner Resignation führ- te, besonders angegriffen hatte. Auf Grund der Trennung des Domkantorats vom Stadtkantorat und der daraus resul- tierenden Nähe zur Oper war die Aufführung oratorischer Kompositionen im theatralischen Stil schon früh üblich geworden, ohne dass Einwände konservativer Theologen oder Stadtvä- ter zu befürchten gewesen wären. Die Tradition oratorischer Passionsaufführungen im Dom reicht weit ins 17. Jahrhundert zurück. Textdrucke von Passionskompositionen von Becker, Franck und Brauns sind noch erhalten und belegen den fortschrittlichen Musikgeschmack des Domkapitels. 32 So konnte beispielsweise die durch eine Abschrift von Johann Sebastian Bach bekannt gewordene, angeblich von Reinhard Keiser komponierte Markus-Passion aufgrund eines erhaltenen Librettodruckes als Dommusik identifiziert werden, Komponist war vermut- lich Matthesons Vorgänger Brauns, der im Textdruck genannt wird; gegen Keisers Autor- schaft sprechen auch stilistische Gründe. 33

Die Aufführung von Figuralmusiken im Dom war mindestens seit Thomas Selles Amtszeit in den Gesamtturnus kirchenmusikalischer Aufführungen in Hamburg integriert. 1657 wurde in der Stadt das Kompendium Ordnung der Musik veröffentlicht, in dem die Verteilung der Fi- guralmusiken auf die vier Haupt- sowie die Nebenkirchen und den Dom beschrieben ist, die

29 Zu diesem Werk siehe Blanken 2009. 30 Vgl. die chronologische Übersicht am Ende dieses Beitrags. 31 Vgl. hierzu Marx 1982, S. 81, (Anm.) „daselbst heuer weder die Passion abgesungen noch eine Ostermusik gehalten worden ist“. 32 Mehrere Textdrucke mit Passionstexten für den Dom sind in dem Sammelband Scrin A/1997 (D-Hs) überlie- fert. 33 Vgl. Melamed / Sanders 1999, S. 35-50. Die Vertonung könnte allerdings auch von Reinhard Keisers Vater Gottfried Keiser (geboren 1650) stammen. 23 mit Modifikationen für die nächsten 150 Jahre, also noch bis in die Zeit Carl Philipp Emanuel Bachs, gültig war. 34 Danach gab es neben den Passionsaufführungen, die eigenen Regeln folgten, fünf über das Kirchenjahr verteilte große Zyklen, die sogenannten Quartalsmusiken. Es handelte sich um die großen Kirchenfeste Weihnachten, Ostern und Pfingsten sowie um die Sonntage um die Feiertage St. Johanni (24. Juni) und St. Michaelis (29. September). 35 Die Termine für die Aufführung von Figuralmusik im Dom waren von dem Kursus der Aufführungstermine dieser Quartalsmusiken abhängig. Dies lässt sich an Hand der über- lieferten Aufführungsdaten der Oratorien Matthesons zweifelsfrei belegen. Damit zeigt sich, dass trotz der personellen Unabhängigkeit des Domkantorats Überschneidungen mit den Quartalsmusiken der Hauptkirchen systematisch vermieden wurden. Dies ist sicherlich noch ein organisatorisches Relikt aus der Amtszeit von Thomas Selle und seinem Nachfolger Christoph Bernhard, die beide noch die zwei Ämter von städtischem und Domkantorat in Per- sonalunion ausgeübt hatten. Für den Dom bestand der Vorteil dieser Regelung in der Tatsa- che, dass die Sänger der Hamburger Kantorei an den entsprechenden Terminen für die Dom- musiken zur Verfügung standen, und dass musikinteressierte Gottesdienstbesucher nicht zwi- schen zwei gleichzeitig stattfindenden Aufführungsorten wählen mussten.

Nach dem regelmäßig wieder kehrenden Schema erklang eine große Musik am Dom an fol- genden sechs Zeitpunkten des Kirchenjahres, wobei die Passionsmusiken nicht zu den Quar- talsmusiken gehörten, sondern wiederum eigenen zyklischen Regeln unterworfen waren:

• Weihnachten: 3. Weihnachtsfeiertag (27. Dezember) • Passionsmusik: 1. oder 2. Sonntag vor der Karwoche (Judica oder Palmarum) • Ostern: 3. Osterfeiertag (Osterdienstag) • Pfingsten: 3. Pfingstfeiertag (Pfingstdienstag) • Johannisfest: Sonntag vor Johannis (24. Juni) • Michaelisfest: Sonntag vor Michaels (29. September)

Zu diesen regulären Terminen kamen noch außerordentliche Anlässe zu Trauerfällen und be- sonderen kirchlichen und politischen Jubiläen, die jedoch nicht zu den Amtspflichten gehör- ten, sondern als extraordinäre Aufgaben vom Domkapitel zusätzlich bezahlt werden mussten.

34 Erstmals beschrieben bei Krüger 1933, S. 81-85. 35 Vgl. Sanders 2001, Kapitel 1: “The Scheduling of Figural Music Performances”, S. 6-34. 24

Während Matthesons Amtszeit trat dieser Fall allerdings nur dreimal ein: Zum 200. Reforma- tionsjubiläum am 31. Oktober 1717 entstand Der reformierende Johannes auf einen Text von Johann Gottfried Glauche. Daneben gab es Anlass für zwei Trauermusiken, da mit Karl XII. von Schweden 1719 und Georg I. von Großbritannien 1727 zwei Souveräne des Domkapitels verstorben waren. Zu diesen Anlässen komponierte Mattheson die Traueroratorien oder „E- picedien“ Das betrübte Schweden und Auf das Absterben des Königs von Großbritannien Georg I. 36 Ein viertes Werk, Der siegende Gideon , ist ebenfalls politisch motiviert, da es als Festoratorium anlässlich der Eroberung Belgrads durch österreichische Truppen unter Prinz Eugen im Jahre 1717 konzipiert ist, ein Ereignis, das in Hamburg aufwendig gefeiert wurde. 37 Allerdings erklang dieses Werk an einem offiziellen Dommusik-Termin, dem 18. Sonntag nach Trinitatis 1717, an dem im Dom in diesem Jahr die Michaelis-Quartalsmusik erklang. Auch wenn Matthesons Oratorien in seiner Funktion als Domkantor entstanden waren, und somit zu seinen Amtspflichten gehörten, scheint er doch ein Interesse gehabt zu haben, ein breites Publikum für seine Aufführungen zu sensibilisieren, denn er annoncierte diese Aufführungen mit großer Regelmäßigkeit im Hamburgischen Relations-Courier , der führen- den damaligen Tageszeitung, die in ganz Deutschland gelesen wurde. 38 Durch die Auswer- tung dieser zusätzlichen Quelle lassen sich auch Aufführungen von Werken Matthesons nachweisesen, zu denen weder Partituren noch Libretti erhalten sind, und die auch in der Au- tobiographie des Komponisten nicht erwähnt wurden.

Anhand einer Gesamtübersicht der von Mattheson und seinem Nachfolger Reinhard Keiser zu den Domgottesdiensten aufgeführten Oratorien soll der regelmäßig wiederkehrende Kursus veranschaulicht werden. In der Tabelle finden sich Aufführungsdatum, Stellung im Kirchen- jahr, Titel des Werkes (bei erhaltenen Oratorien Matthesons mit Signatur der Partitur), Er- wähnung im Relationskurier sowie die Erwähnung in Matthesons Autobiographie in der Mu- sicalischen Ehrenpforte .

36 Zu diesem Werk vergleiche Teil IV dieser Studie. 37 Höhepunkt was sicherlich die Aufführung der zu diesem Anlass entstandenen Oper Trajanus von Reinhard Keiser. Siehe zu diesem Werk und seinem Aufführungsanlass Schröder 1998, S. 156-173. 38 Vgl. Becker 1956, S. 22-45. 25

Tabelle I.1: Oratorienaufführungen am Hamburger Dom zur Amtszeit Matthesons und seiner Nach- folger Keiser, Riemenschneider und Möhring.

Datum Liturgische Hamb. Mattheson Funktion Werk Relations- Ehren- Courier 39 pforte 40 27.12.1715 Weihnachten III Die Heylsame Geburth (ND VI 119) 62 5. 4. 1716 Palmarum [Vermutlich eine Passion von Brauns] 14. 4. 1716 Ostern III Unbekanntes Werk 2. 6. 1716 Pfingsten III Die Gnädige Sendung Gottes (ND VI 122) 28. 6. 1716 3. n. Tr. Unbekanntes Werk 27. 9.1716 16. n. Tr. Chera, oder die leidtragende und getrö- 64 41 stete Wittwe zu Nain (ND VI 123) 27.12.1716 Weihnachten III Der Verlangte und Erlangte Heiland (ND VI120), Magnificat a due cori (ND VI 121) (Libretto: M. A. v. Königsmarck) 14. 3.1717 Judica 42 Johannes-Passion von J. N. Brauns (Textdruck D-Hs A/70002) 30. 3. 1717 Ostern III Unbekanntes Werk 18. 5. 1717 Pfingsten III RC: "neue und ungemeine Music" 17, 74/76 20. 6. 1717 4. n. Tr. Unbekanntes Werk 26. 9. 1717 18. n. Tr. Der siegende Gideon (ND VI 128) (Lib- 17, 149/ 151 66 retto: J. G. Glauche) 31.10.1717 200-Jahrfeier Re- Der reformierende Johannes (ND VI129) 17, 169 66 formation (Libretto: J. G. Glauche) 27.12.1717 Weihnachten III Unbekanntes Werk 7. 4. 1718 Do. vor Palmarum 10. 4. 1718 Palmarum Der für die Sünden der Welt leidende und 18, 54 67 sterbende Jesus (= Brockes-Passion), (Libretto: B. H. Brockes (ND VI 130) 19. 4. 1718 Ostern III Der allererfreulichste Triumph (ND 18, 59 67 VI131) 7. 6. 1718 Pfingsten III RC: "wieder eine große Music" 18, 87 7. 8. 1718 8. n. Tr. Die glücklich-streitende Kirche (ND 18, 120/ 122 VI132) 25. 9. 1718 15. n. Tr. Die Göttliche Vorsorge über alle Kreatu- 18, 149 ren (ND VI 133) (Libretto: J. U. König) 27.12. 1718 Weihnachten III Der verlangte und erlangte Heiland / 18, 202 Magnificat (Wiederholung von 1716) 26.02.1719 Parentalia für Carl Das betrübte Schweden (ND VI 134) 19, 34 68 XII. v. Schweden (Libretto: G. W. Hero) 26. 3. 1719 Judica Brockes-Passion, Wiederholung von 19, 48 1718 11. 4. 1719 Ostern III "eine große Music" 19, 56

39 Jahrgang / Nummer. 40 Seitenzahlen nach Marx 1982. 41 Irrtümlich 17. 9. angegeben. 42 Da in diesem Jahr der Feiertag Mariä Verkündigung mit Palmarum zusammenfiel, kam es zu einer Verschie- bung der Passionstermine. 26

30. 5. 1719 Pfingsten III Die Frucht des Geistes (ND VI 135) 19, 83 (Libretto: E. Neumeister) 9. 7. 1719 5. n. Tr. Christi Wunderwerke bei den Schwach- 19, 106 gläubigen (ND VI 136) (Libretto: G. D. Hoefft) 24. 9. 1719 16. n. Tr. Chera (Wh.) 19, 150 27.12.1719 Weihnachten III "großes Oratorium" 19, 202 10. 3. 1720 Laetare "Die Passion" 20, 39 2. 4. 1720 Ostern III Die durch Christi Auferstehung bestätig- 20, 51 71 te Auferstehung aller Todten (ND VI 139) (Libretto: Ch. F. Weichmann) 21. 5. 1720 Pfingsten III "ein starkes Oratorium" 20, 78 30. 6. 1720 5. n. Tr. "Ein groß Oratorium" (Wiederholung 20, 100 Christi Wunderwerke bei den Schwach- gläubigen von 1719) 8. 9. 1720 15. n. Tr. Vermutlich Wiederholung der Göttlichen Vorsorge 27.12. 1720 Weihnachten III Das größte Kind (ND VI 140) 20, 200 30. 3. 1721 Judica Der blutrünstige Kelter-Treter (Musik 21, 49 72 verschollen, Libretto in NL-DHnmi) 15. 4. 1721 Ostern III Die durch Christi Auferstehung... (Wie- derholung lt. Weichmann, Poesie der Niedersachsen ) 3. 6. 1721 Pfingsten III (Eventuell Wiederholung eines älteren Werkes) 29. 6. 1721 3. n. Tr. Das irrende und wieder zurecht ge- 21, 99 brachte Sünden-Schaaf (ND VI 141) 21. 9. 1721 15. n. Tr. Die Göttliche Vorsorge über alle Kreatu- 73f. 43 ren (Wiederholung von 1718) 27.12.1721 Weihnachten III Die freudenreiche Geburth und Mensch- 74 werdung (ND VI 119a) (= Bearbeitung von Die gnadenreiche Geburt ) 22. 3. 1722 Judica RC: "Oratorium Passionale" 22, 44 7. 4. 1722 Ostern III Der unter den Todten gesuchte, und unter 74 den Lebendigen gefundene Siegesfürst (verschollen) 26. 5. 1722 Pfingsten III Das Große in dem Kleinen (ND VI 142) 22, 79 74 21. 6. 1722 3. n. Tr. RC: "...wird der Herr Capellmeister 22, 94 Mattheson im Dom musiciren..." (Ver- mutlich Wiederholung eines älteren Werkes, möglicherweise Sünden-Schaaf ) 20. 9. 1722 16. n. Tr. Chera (Wiederholung von 1716) 27.12.1722 Weihnachten III

43 Fälschlich ist hier der 17. 9. als Datum angegeben. 27

14. 3. 1723 Judica Das Lied des Lammes (Johannes- 23, 39 76 44 Passion) (olim ND VI 143, Microfilm in Yale University libary) (Libretto: Ch. H. Postel) 30. 3. 1723 Ostern III Unbekanntes Werk 18. 5. 1723 Pfingsten III Unbekanntes Werk 27. 6. 1723 5. n. Tr. "ein schönes Oratorium" 23, 99 26. 9. 1723 18. n. Tr. Der Liebereiche und Gedultige David 23, 152 76 (ND VI 144) 27.12.1723 Weihnachten III Unbekanntes Werk 26. 3. 1724 Judica "Die Passion" [Brockes?] 24, 48 11. 4. 1724 Ostern III Der überwindende Immanuel (vermutlich = Der allererfreulichste Triumph ) 30. 5. 1724 Pfingsten III Vermutlich Wiederholung eines älteren Werkes 25. 6. 1724 3. n. Tr. Vermutlich Wiederholung eines älteren Werkes ( Sünden-Schaaf ?) 17. 9. 1724 15. n. Tr. "ein Oratorio" ( Göttliche Vorsorge ?) 24, 146 27.12.1724 Weihnachten III "eine Music" 24, 202 11. 3. 1725 Laetare "-Oratorium" (Datierung im 25, 38 Schreib-kalender diesen Jahres auf Judi- ca, dies wurde im RC korrigiert.) 3. 4. 1725 Ostern III Der aus der Löwengrube befreyte himm- 25, 50 78 lische Daniel (ND VI 145) (Libretto: T. H. Schubart) 22. 5. 1725 Pfingsten III 17. 6. 1725 3. n. Tr. "instehende Music im Dom" (Datierung 25, 92 im Schreibkalender auf Johannis, korr. im RC) 16. 9. 1725 16. n. Tr. Erlesener Davidischer Trost (Psalmver- 25, 144 78 tonung von Benedetto Marcello, über- setzt von Mattheson) (olim ND VI 148) 27.12.1725 Weihnachten III Das gottselige Geheimnis (verschollen) 25, 200 78 (Libretto: Erdmann Neumeister) 14. 4. 1726 Palmarum deest 45 23. 4. 1726 Ostern III 11. 6. 1726 Pfingsten III 14. 7. 1726 4. n. Tr. 22. 9. 1726 14. n. Tr. Der undankbare Jerobeam (verschollen) 26, 147 79 46 (Libretto: Mattheson) 27.12.1726 Weihnachten III 30. 3. 1727 Judica keine Aufführung 15. 4. 1727 Ostern III keine Aufführung 3. 6. 1727 Pfingsten III

44 Mattheson kündigt dagegen in der Critica musica (Bd. 1, S. 188) bereits eine Aufführung für Laetare, den 7. März, an. Wie Cannon im Vorbericht zu seiner Ausgabe des Werkes (Mattheson 1968, S. V) auf den Auffüh- rungstermin Palmarum kam, ist nicht nachvollziehbar. 45 Öffentliche Anzeigen für Dommusiken waren in diesem Jahr vom Rat verboten worden, da es Unstimmigkei- ten mit dem Domkapitel und der Stader Regierung wegen der Besetzung der Dompredigerstelle gab. 46 Giovanni Battista Palemerini, ein italienischer Bass, der in Diensten des Düsseldorfer Hofes stand und Ende 1726 von der Royal Academy of Music nach London engagiert wurde, nahm an dieser Aufführung teil. 28

6. 7. 1727 4. n. Tr. Der gegen seine Brüder barmherzige Jo- 27, 101 80 seph (ND VI 146) (Libretto: T. H. Schubart) Juli 1727 Parentalia für Trauer-Musique auf das Absterben des 80 Georg I. (nicht Königs von Großbritannien, Georg I. aufgeführt (ND VI 147) (Libretto: Ch. G. Wend) 21. 9. 1727 15. n. Tr. (vermutlich entfallen wegen Trauer?) 27.12.1727 Weihnachten III Das erfüllte Wort der Verheißung (Lib- 27, 200 80 retto: Wend) (verschollen) 7. 3. 1728 Laetare "Die Paßions-Music" 28, 36 30. 3. 1728 Ostern III Der überwindende Immanuel (vgl. 11. 28, 48 4.1724), vermutlich letzter Auftritt Matthesons im Dom. 18. 5. 1728 Pfingsten III (Mattheson auf 6-monatigem Kuraufent- halt. Eventuell wurden unter Leitung seines Substituten Muchsel an den ent- sprechenden Terminen Musiken aufge- führt.) 20. 6. 1728 4. n. Tr. 26. 9. 1728 18. n. Tr. Am 15.Oktober bittet Mattheson das Kapitel um seine Entlassung 27.12.1728 Weihnachten III "Der Herr Capellmeister Keiser, wird ... 28, 200 zum erstenmahl, eine starcke Geistl. Mu- sic ... aufführen." (Libretto: Wend) 3. 4. 1729 Judica Die durch den blutigen und sterbenden 29, 52 JEsum getröstete Tochter Zion (vermut- lich Keisers Überarbeitung des Pas- sionsoratoriums Der blutige und sterben- de Jesus , Libretto von Hunold, autogra- phe Partitur: D-B, Mus.ms.anon.1569)47 19. 4. 1729 Ostern III "gantz neu componirtes Oratorio" 29, 60 (Wend), vermutlich Die auf die Auferste- hung Jesu Christi sich gründende Ge- wißheit der Auferstehung aller Men- schen , Textdruck aus D-Hs verschollen 7. 6. 1729 Pfingsten III 19. 6. 1729 1. n. Tr. 25. 9. 1729 15. n. Tr. Das irdische Vergnügen in Gott (Libretto 29, 150 von "Selimantes" = Wend) Textdruck D- Hs verschollen 27.12.1729 Weihnachten III Freude derer Engel und Menschen wegen 29, 202 der Geburth des Welt-Heilandes "dies- mahl extraordinair-starck besetzte Mu- sic" 26. 3. 1730 Judica "neue Paßions-Music" 30, 48 11. 4. 1730 Ostern III "neue und starck-besetzte Music von der 30, 56 Auferstehung Christi" 30. 5. 1730 Pfingsten III

47 Vgl. Blanken 2009, S.152. 29

18. 6. 1730 2. n. Tr. fiel vermutlich aus, stattdessen: 26. 6.1730 200. Jubiläum Der bekennende und jubilierende Luthe- Augsburger Kon- raner (Libretto: M. Richey), Text in DHs fession und DHa (Nr. 5 in Smbd A 610/0052) 27. 8. 1730 12. n. Tr. 27.12.1730 Weihnachten III Die zur Erlösung des ganzen menschli- 30, 202 chen Geschlechts von Gott erfüllete Ver- heißung der Gnadenreichen Geburt JEsu Christi 11. 3. 1731 Judica "ein starckes Passions-Oratorium" 31, 39 27. 3. 1731 Ostern III Die (wegen der Auferstehung Christi) 31, 47 nach dem Schall der letzten Posaune gläubig seufzende Seele 15. 5. 1731 Pfingsten III 17. 6. 1731 4. n. Tr. Das Irdische Vergnügen in Gott (Wh. 31, 93 von 1729) 23. 9. 1731 18. n. Tr. 27.12.1731 Weihnachten III Die über die Zukunft des Herrn Christi 31, 198 ihres Königs erfreuete und jauchzende Tochter Zion , Text aus D-Hs verschollen 30. 3. 1732 Judica Die blutig untergehende Sonne der Ge- 32, 51 rechtigkeit , Text aus D-Hs verschollen 15. 4. 1732 Ostern III Der durch das Elend seines Lebens nie- 32, 59 dergeschlagene, durch die Auferstehung Christi aber wieder aufgerichtete Mensch 3. 6. 1732 Pfingsten III 22. 6. 1732 2. n. Tr. 21. 9. 1732 15. n. Tr Der gläubigen Seele Vergnügen in GOtt 32, 149 (Wend?) 27.12.1732 Weihnachten III 22. 3. 1733 Judica Seelige Betrachtungen der vorgesetzten 33, 44 Steinigung, des Leydens und Grabes Christi , Textdruck verschollen 7. 4. 1733 Ostern III Das große Zeichen der Zeit, an den Salz- 33, 48 burgischen Emigranten zu erkennen (Libretto: Ch. G. Wend) Textbuch in NL- DHnmi. 26. 5. 1733 Pfingsten III Der bekennende und dankende Luthera- 33, 79 ner (Wh. des Reformations-Oratoriums von 1730?) 21. 6. 1733 3. n. Tr. Das große Zeichen unserer Zeit (Wh. von 33, 94 Ostern) 20. 9. 1733 16. n. Tr. Die christliche Unerschrockenheit vor 33, 146 dem Tode 27.12.1733 Weihnachten III Die allergrößte und erfreulichste Post 33, 200 aus dem Reiche Gottes 11. 4. 1734 Judica Der willige Todes-Gang des Herrn Jesu , 34, 57 Textdruck verschollen

30

27. 4. 1734 Ostern III 1. vor der Predigt: Die Danckbarkeit an 34, 65 den gerechten Held (Textdruck in B-Br 48 und in D-Kl, 9958-23, Nr.11) 2. nach der Predigt: Die christliche Uner- schrockenheit vor dem Tode (Vermutlich Wiederholung der Kantate zum 16. Sonn- tag nach Trinitatis 1733), Textdruck in D-Kl 15. 6. 1734 Pfingsten III Die um des rechten Glaubens vertriebe- 34, 92 nen Exulanten (Wh. von Das große Zei- chen unserer Zeit ) 20. 6. 1734 Trinitatis ? (fiel evtl. aus) 26. 9. 1734 14. n. Tr. Die Erlösung des Volkes Israel aus der 34, 149 Egyptischen Dienstbarkeit 49 27.12.1734 Weihnachten III Die zur Erlösung des gantzen Menschli- 34, 203 chen Geschlechts von Gott erfüllete Ver- heißung der Gnaden-reichen Geburth Jesu Christi 27. 3. 1735 Judica Die gecreuzigte Liebe, oder: Der 35, 48 Schmerzens-Gang des leydenden Hey- landes (Libretto: J. U. König, Musik zum Teil erhalten, Überarbeitung des Ortori- ums "Tränen unter dem Creutz Christi", Hamburg 1711) 12. 4. 1735 Ostern III 31. 5. 1735 Pfingsten III 26. 6. 1735 3. n. Tr. Die himmlische Freude, über das irrende 35, 98 und wieder zu recht gebrachte Sünden- Schaaf (vgl. Matthesons Oratorium von 1721, vermutlich Vertonung des gleichen Textes) 25. 9. 1735 16. n. Tr Der gestürtzte Pharao, oder: Auszug der 35, 150 Kinder Israel aus Aegypten (Wh. von Die Erlösung des Volkes Israel von 1734? Vgl. auch Fußnote 49) 27.12.1735 Weihnachten III ? (Nach einem Beschluss des Dom- Kapitels vom Vorjahr wurden die Musi- ken ab 1736 auf Passion, Ostern und Weihnachten reduziert.)50 16. 3. 1736 Judica Gottseelige Betrachtungen über den blu- 36, 42 tig gegeißelten, gekrönten und sterben- den Jesum 3. 4. 1736 Ostern III Der Sieg des Lebens über den Tod 36, 52 (Libretto: Johann Jacob Rambach, Text- druck: D-B, TK 216 Mus.)

48 Vgl. Wollny 1999. 49 Telemanns Oratorium zum Johannisfest aus dem Oratorischen Jahrgang? Vgl. zu diesem Werk Abschnitt X. in dieser Arbeit. 50 Im Hamburger Schreibkalender für 1738 wird für Pfingstdienstag allerdings noch eine Musik im Dom ange- geben, die Termine vor Johannis und Michaelis fallen aber schon weg. 31

27.12.1736 Weihnachten III Geistliches Hirten-Gedichte 36, 201 7. 4. 1737 Judica Die gecreuzigte Liebe, oder Thränen 5.4.1737 über das Leyden und Sterben unseres Heylandes (Wh. von 1735) 23. 4. 1737 Ostern III Das große Zeichen unserer Zeit, oder : 37, 54 Die ausziehenden und an dem Orte ihrer neuen Wohnstadt glücklich angelangten Saltzburger (Wh.) 1738 sind keine Aufführungen im Dom nachzuweisen. Vgl. hierzu Marx 1982, S. 81, Anm.** 15. 3. 1739 Judica 31. 3. Ostern III Nach Keisers Tod am 12. September 1739 übernimmt Johann Gottfried Riem- schneider das Kantorat 27.12.1739 Weihnachten III „Ein neues Oratorium“ von J. G: Riem- 39, 200 schneider Im September 1741 wird der J. H. Möhring Nachfolger J. G. Riemschnei- ders 3. 4. 1746 Palmarum Passionsmusik von Möhring 29.3.1746 26. 3. 1747 Palmarum Passionsmusik von Möhring 23.3.1747

32

II. Kirchenstil und Theatralischer Stil in den Oratorien Johann Matthesons

Mattheson war ein erklärter Anhänger der Idee einer "Theatralischen Kirchenmusik". Wie Erdmann Neumeister, der „Erfinder“ der protestanischen Kirchenkantate, sah er es als legitim an, sich an der Oper als poetischem und musikalischem Vorbild für die zeitgenössische Kir- chenmusik zu orientieren. So wie Mattheson die "Theatralischen Kirchenmusik" gegen die Angriffe des Göttinger Theologen Joachim Meier mit aller ihm eigenen polemischen Schärfe verteidigen sollte, wurde sie von ihm auch in der kompositorischen Praxis gepflegt.51 Es ver- wundert deshalb kaum, dass unter den für Mattheson tätigen Textdichtern drei Librettisten der Gänsemarktoper, Johann Ulrich König,52 Johann Georg Glauche 53 und Christian Gottlieb Wend 54 vertreten waren. Daneben schrieben auch einige der Dichter aus dem Kreis der Teutschübenden Gesellschaft Texte für den Dom: Neben Johann Ulrich König und Barthold Heinrich Brockes auch Christian Friedrich Weichmann, der Herausgeber der Anthologie Poe- sie der Niedersachsen , und der weniger bekannte Georg Jacob Hoefft.55 Der berühmte Erd- mann Neumeister,56 Hauptpastor an der Jacobi-Kirche, und Tobias Heinrich Schubart (1699- 1747), Kandidat des Geistlichen Ministeriums und später Prediger an der Michaelis-Kirche,57 der einen vollständigen Jahrgang mit Kantatentexten im oratorischen Stil für Telemann dich- tete, schufen ebenfalls Oratorientexte für Mattheson. Mattheson sah rückblickend seine langjährige Erfahrung als Sänger und Komponist an der Hamburger Oper als optimale Voraussetzung für die spätere Ausübung seines kirchenmu- sikalischen Amtes an.58 Seine musikalisch-stilistischen Vorlieben wirkten sich auch auf seine Besetzungspolitik während seiner Amtszeit als Domkantor aus: So war er ständig darum be- müht, die berühmtesten Sänger der Gänsemarktoper oder sogar aus Braunschweig für sein Ensemble zu engagieren, was auch die ungewöhnliche Virtuosität einiger Vokalpartien in den

51 Zur Auseinandersetzung Matthesons mit Joachim Meier, vergleiche Heidrich 1995. Auch Erdmann Neumeis- ter setzte sich mit Meyers Kritik auseinander, vgl. Poetzsch 2006, S. 57. 52 Die Göttliche Vorsorge über alle Creaturen (1718). 53 Der siegenden Gideon (1717), Der reformierende Johannes (1717). 54 Trauermusik für Georg I. (1727). 55 Weichmann: Die durch Christi Auferstehung bestätigte Auferstehung aller Todten (1722), Hoefft: Christi Wunderwerke bei den Schwachgläubigen (1719). Zu Teutschübenden Gesellschaft vgl. Petersen 1847. 56 Die Frucht des Geistes (Pfingsten 1719), Das gottselige Geheimnis (Weihnachten 1725, verschollen). 57 Der aus der Löwengrube befreyte himmlische Daniel (1725), Der gegen seine Brüder barmhertzige Joseph (1727). 58 Vergleiche die Ausführungen bei Mattheson 1728, S. 140, zitiert nach Böhning 2011, S. 371. 33

Oratorien erklärt. 59 Opernstars wie der junge Johann Adolf Hasse,60 der Kastrat Giuseppe Gualandi (detto Campioli), Johann Gottfried Riemschneider, Johann Heinrich Möhring (die beiden letzteren übten später selbst das Amt des Domkantors aus) und die gefeierte Sopranis- tin Margaretha Susanna Kayser, übernahmen Rollen in den Werken Matthesons, allerdings traten im Dom auch die an den Hauptkirchen für den städtischen Kantor tätigen Kirchensän- ger auf, etwa der Diskantist Oswald, der Altist Adam Rose oder der Bassist Conrad Arnoldi. Eine Synthese aus Elementen der protestantischen geistlichen Dialogdichtung und dem opernhaft-dramatischen italienischen Barockoratorium lässt sich an beinahe allen von Mattheson vertonten Texten beobachten; die Wahl unterschiedlicher Handlungsebenen – einer dem barocken imago-Begriff entsprechende Darstellung biblischer, häufig alttestamentlicher Figuren sowie einer interpretatorisch-meditativen allegorischen Ebene – lässt sich mit zeitge- nössischen Techniken der Bibelexegese vergleichen. Matthesons Weihnachtsoratorium von 1715, seine erste Figuralmusik für den Dom, ist textlich und formal noch an die früheren Dialog- und Actus-musicus-Kompositionen und die oratorischen Passionen seiner Amtsvorgänger angelehnt, da wie in Bachs Weihnachts- oratorium der Perikopentext aus dem Lukas-Evangelium vertont wird, wozu an besonderen Stellen betrachtende Arien und Choralstrophen eingefügt werden, die noch keinen konkreten "handelnden" oder "redenden" Personen zugeordnet sind. Die Soliloquenten-Partien sind als Accompagnato-Rezitativ (Engel) und als polyphone Turba-Chöre (Engel, Hirten) vertont, die Evangelistenpartie als Secco-Rezitativ. Matthesons Oratorien sind im Rahmen seines kirchlichen Amtes entstanden, es han- delte sich also um Werke, die ihren Platz im regulären Gottesdienst hatten, nicht etwa um Konzertoratorien. Umso erstaunlicher ist der stark theatralische Charakter dieser Werke. Der liturgische Rahmen, in dem sie erklangen, hinderte den Komponisten nicht daran, sich formal und stilistisch an der zeitgenössischen Opernproduktion zu orientieren. Dies brachte Matthe- son den Tadel späterer Musikschriftsteller ein, die, den ästhetischen Prämissen des 19. Jahr- hunderts folgend, den opernhaften Charakter der Kirchenmusik des frühen 18. Jahrhunderts

59 Zu Matthesons Sängerensemble vergleiche die Aufstellungen bei Neubacher 2009, S.407-410. Besonders hervorgehoben seien einige Arien, die Mattheson für Margaretha Susanna Kayser schrieb, etwa in dem Pfingstoratorium Die Frucht des Geistes , oder die hochvirtuose Altpartie des „Glaubens“ in dem Oratorium Christi Wunderwerke bei den Schwachgläubigen , die er für den Kastraten Antonio Campioli komponierte. 60 Hasse trat in Chera (1716) sowie in den beiden Festoratorien von 1717 auf. Siehe die Abbildung des Perso- nenverzeichnisses zum Reformierenden Johannes in Jaacks 1999, S. 159, Abbildung 55. 34 grundsätzlich verurteilten. Mattheson hebt selbst in seiner Autobiographie die außergewöhnli- che Form dieser Musiken hervor, wenn er bemerkt:

Man muß nicht meinen, dass diese Wesen aus gewöhnlichen Kirchenstücken bestehen; son- dern alles ist dramatisch abgefaßt, und von ziemlichen Umfange, wie ein völliger Actus. 61

Die Verwendung der Oratorien im Gottesdienst bedingte ihre in der Regel zweiteilige Form, da ihr Platz innerhalb des Gottesdienstes vor und nach der Predigt lag. 62 Häufig wurde diese Funktion durch die formale Gestaltung hervorgehoben, indem der am Ende des ersten Teils gesungene Choral gleichzeitig auf den Text einer anderen Strophe am Beginn des zweiten Teils wiederholt wurde, wodurch die Musik gleichermaßen eine Klammer um die Predigt leg- te. Verschiedene Strophen des Chorals "Vom Himmel hoch" ziehen sich etwa wie ein roter Faden durch das Weihnachtsoratorium von 1715, dabei sind die Vertonungen des Eingangs- und Schlusschorals sowie der beiden den ersten Teil beschließenden und den zweiten Teil eröffnenden Verse jeweils identisch, so dass das Gesamtwerk einen achsensymmetrischen Aufbau erhält. Das gleiche Prinzip wendet Mattheson auch bei einem späteren Weihnachtso- ratorium, Das größte Kind (1720), an, dort dienen zwei Strophen des Luther-Liedes "Gelobet seist du Jesu Christ" als äußerer Rahmen, während zwei Strophen von "Lobt Gott ihr Christen alle gleich" als Abschluss des ersten und als Einleitung des zweiten Teils die Predigt einrah- men. Zwei identische Choralbearbeitungen als äußere Ecksätze finden sich auch in dem frü- hen Pfingstoratorium Die gnädige Sendung (1716), in dem Oratorium zum 16. Sonntag nach Trinitatis Chera finden sich zwei Strophen desselben Liedes zwischen erstem und zweiten Teil, als Rahmen zur Predigt.

Nach Matthesons eigener Definition, die er später im Vollkommenen Capellmeister formulieren sollte, war das Oratorium eine klar zu beschreibende musikalische Gattung, die sich von anderen Formen deutlich unterschied:

61 Zitat nach Marx 1982, S. 67. 62 Es handelte sich also um sogenannte "Große" oder "Doppelte" Musiken. An den Hauptkirchen wurden dage- gen als "Große Musiken" während Telemanns und Carl Philipp Emanuel Bachs Amtszeit meistens zwei Kan- taten musiziert: Eine große, festlich besetzte Kantate als Quartalsstück, das in allen Hauptkirchen wiederholt wurde, erklang vor der Predigt, und eine kleinere Kantate mit eindeutigem de-tempore-Bezug, die also von Kirche zu Kirche wechselte, nach der Predigt. 35

§. 62. Obigen Gesprächen [den geistlichen Dialogen in der Tradition des 17. Jahrhunderts, Anm. des Verf.] hat man denn billig vorgezogen XIV. Das Oratorium, dessen Arten sind

* Die Passiones oder Vorstellungen des Leidens Christi. * Epithalamia, Hochzeit=Stücke. * Epicedia, Trauer=Musiken. * Epinicia, Sieges=Gesänge &. &.

In denselben werden entweder durch die Prosopopöie oder Persondichtung, da aus Dingen Personen gemacht werden, die sonst keine sind; oder ohne Verblümung, durch Einführung wircklicher Personen, solche Vorträge gethan, die nicht in einem dürren Gespräch, oder in ei- ner Erzehlung allein, sondern in beweglichen Sätzen von allerhand Art, schöne Gedancken und Erwegungen an den Tag legen; die Gemüther sowol zur Andacht und heiliger Furcht, als auch zum Mitleiden und andern Regungen, vornehmlich aber zum Lobe Gottes und zur geist- lichen Freude antreiben; durch Choräle, Chöre, Fugen, Arien, Recitative &. die artigste Ab- wechselung treffen, und selbige mit verschiedenen Instrumenten, nachdem es die Umstände erfordern, klüglich und bescheidentlich begleiten.

§. 63. Ein Oratorium ist also nichts anders, als ein Sing=Gedicht, welches eine gewisse Handlung oder tugendhaffte Begebenheit auf dramatische Art vorstellet. Die Gemüths=Bewegungen sind hier wiederum [wie in der Oper, Anm. Verf.], wie man siehet, das vornehmste, worauf der Componist Achtung zu geben hat. Es haben aber die Oratorien, wenn sie geistliche Dinge abhandeln, ein anders und höheres zum Vorwurff, als sonst: nehmlich Gott und seine grosse Thaten, die freilich weit ernsthafftere Ausdrückungen und Gedancken geben, auch wichtigere Wirckungen bey den Zuhörern thun, als die verstellten oder gefärbten Affecten des weltli- chen Schauplatzes. 63

Gegenüber Matthesons ausführlicher Beschreibung fällt die Definition, die Johann Gottfried Walther einige Jahre zuvor in seinem Musicalischen Lexikon formuliert hatte, wesentlich knapper aus. Das Oratorium ist für ihn

eine geistliche Opera oder musicalische Vorstellung einer geistlichen Historie in den Capellen oder Cammern grosser Herrn, aus Gesprächen, Soli, Duo und Trio, Ritornellen, starcken Chören etc. bestehend. Die musicalische Composition muß reich an allen seyn, was nur die Kunst sinn- reiches und gesuchtes aufzubringen vermag. 64

Für Mattheson war, ähnlich wie auch für Walther, der dramatische Charakter der Oratorien gattungsbestimmend. Beide weisen des Weiteren auf die Vorschrift der stilistisch-formalen

63 Mattheson 1739, S. 220. [Hervorhebung (fett) von mir.] 64 Walther 1732, S. 451f.a. 36

Vielfalt hin. Es fällt auf, dass sich bei der Aufzählung der verschiedenen musikalischen For- men, die als Bestandteil des Oratoriums dienen können, gleichermaßen typische kirchenmusi- kalische Formen zu finden sind (Choräle, Chöre, Fugen), wie auch Formen, die primär dem Bereich der theatralischen Musik zuzurechnen sind (Arien, Rezitative, „Soli, Duo und Trio“), aber auch seltener dem sogenannten „Cammer-Styl“ (etwas das Madrigal). Dies ist nun ein besonders wichtiges Element der Oratorien Matthesons, die sie über den Typus einer reinen geistlichen Oper hinausheben. Ohne auf die bereits von Claude Palisca als problematisch in ihrer mangelnden Systematik und ihrer schwierigen Anwendung auf die musikalische Realität erkannte Stilkunde des Musiktheoretikers verweisen zu müssen 65 , fällt in seinen Oratorien eine deutliche kontrastive Gegenüberstellung der beiden Stilebenen auf.

Nach Lektüre von Matthesons musiktheoretischen Schriften könnte man den oberflächlichen Eindruck gewinnen, er hätte den traditionellen kirchenmusikalischen Stil („Stylus ecclesiasti- cus“) als veraltetes musikalisches Mittel grundsätzlich zugunsten des theatralischen Stils ab- gelehnt, etwa wenn er exzessive Wortwiederholungen in traditionellen polyphonen Motetten verurteilt. Dies wird jedoch durch einen Blick in seine Oratorienpartituren widerlegt. Er selbst arbeitet in fast allen seinen Oratorien mit zum Teil sehr komplexen kontrapunktischen For- men. Vor allem die als Chorsätze vertonten biblischen Dicta wurden von Mattheson häufig als kontrapunktisch gearbeitete Sätze bearbeitet, meistens im traditionellen alla breve-Stil. Beispielhaft sei hier auf die an Chorsätzen besonders reiche Partitur des Oratoriums Die durch Christi Auferstehung bestätigte Auferstehung aller Toten 66 , oder an den Engelschor „Ehre sei Gott in der Höhe“ aus dem Weihnachtsoratorium Die gnadenreiche Geburt verwie- sen. Letzterer Satz galt Mattheson später noch als mustergültiges Beispiel einer alla breve- Fuge mit unregelmäßigen Themeneinsätzen, er verwendete Ausschnitte aus dem Satz zur Er- läuterung von Techniken der Fugenkomposition in seinem Vollkommenen Capellmeister. 67 Daneben wurden von ihm auch Choräle in kunstvoller Form behandelt, wobei er in seinen vokalen Kirchenliedbearbeitungen häufig auf Formen wie die Choralfuge oder die Choralfan- tasie zurückgriff, die aus der Organistenpraxis stammen.

65 Vgl. Palisca 1983, S. 422f. 66 Vor allem die besonders klangschönen Sätze „Wir aber hoffeten: Er sollte Israel erlösen“ und „Der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöstet“. 67 Mattheson 1739, S. 388-391 und 418. 37

Das frühe Pfingstoratorium Die gnädige Sendung von 1716 enthält eine besonders kunstvolle Form der Choralbearbeitung. Es handelt sich um eine sogenannte Choralfantasie, eine Form, die sonst nur aus der Orgelmusik bekannt ist. Die verschiedenen Cantus-firmus- Abschnitte des Chorals werden in den Satz nacheinander von einer der vier Stimmen inner- halb eines komplexen kontrapunktischen Gewebes vorgetragen. Gleichzeitig handelt es sich bei dem Satz um eine Choraltropierung, da die einzelnen Abschnitte des Kirchenliedes mit solistischen, von Streicher-Tremoli begleiteten Einwürfen der Christus-Partie alternieren.. Der artifizielle Charakter des Satzes wird durch die Technik des "Contrapunto alla diritta" er- höht:68 Eine der drei begleitenden Stimmen bewegt sich dabei ausschließlich in Sekundschrit- ten (zu Beginn übernimmt der Tenor diese Funktion). In der letzten Choralzeile erklingt der Cantus firmus schließlich als Kanon zwischen Diskant und Bass, während die beiden Begleit- stimmen Alt und Tenor ebenfalls kanonisch in „alla diritta“-Bewegung geführt werden. (No- tenbeispiel II.1 und Ausschnitt aus dem Libretto, Abbildung II.1) Innerhalb des Oratoriums wird der Choral in dem Moment der Pfingsterzählung von den Jüngern angestimmt, in dem der auferstandene Jesus zu ihnen ins Haus eintritt. Das (neu gedichtete) Kirchenlied wird zu der Melodie des bekannten Chorals "Wie schön leuchtet der Morgenstern“ gesungen. Der Satz stellt den musikalischen und theologischen Höhepunkt des Oratoriums dar, denn in ihm wird das zentrale Ereignis der Pfingstgeschichte, die Ausgießung des heiligen Geistes, geschildert.

68 Zur Erläuterung des Begriffs vgl. Mattheson 1739, S. 247, § 16. 38

Notenbeispiel II.1: Die gnädige Sendung ,, BeginnBeginn desdes ChoralsatzesChoralsatzes „Komm„Komm Gnadentau“Gnadentau“

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Abbildung II.1: Libretto zum Oratorium Die gnädige Sendung (1716), NL-DHnmi, Sammlung Scheurleer, Signatur 2I123

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Weitere umfangreiche Choralfantasien finden sich in der Brockes-Passion 69 sowie in dem Passionsoratorium Das Lied des Lammes . Letzteres Beispiel ist insofern interessant, als hier der Choral-Cantus firmus dem Text des frei gedichteten Schlusschors simultan gegenüberge- stellt wird.70 Ein ähnliches Verfahren wendet Mattheson in seinem Weihnachtsoratorium Die freudenreiche Geburt an. In einem wesentlich kompakteren Satz wird hier wird der Choral- Cantus firmus des Liedes „Vom Himmel hoch da komm ich her“, zeilenweise auf alle Stim- men verteilt, mit dem Dictum „Aus Zion bricht an der schöne Glanz Gottes“ kombiniert, der als fugierter Kontrapunkt in schnellen Notenwerten behandelt wird. In diesem Satz fehlen allerdings die sonst für Choralfantasien charakteristischen längeren Cantus firmus-freien Zwi- schenabschnitte. Ein weiteres Beispiel für einen äußerst kunstvollen kontrapunktischen Satz, der den strengen Kirchenstil repräsentiert, stellt eine Doppelfuge aus dem gleichen Oratorium dar, in der nacheinander zwei fugierende Teile mit jeweils 2 soggetti erklingen und in einem dritten Teil, der die Funktion eines stretto-Abschlusses übernimmt, die vier soggetti alle gleichzeitig verwendet werden. Hier handelt es sich um ein Dictum über die Worte "Nun gibst du Gott / einen gnädigen Regen / und dein Erbe das dürre ist / erquickst du"; ein Text also, der schon in sich eine viergliedrige Anlage aufweist, wodurch sich die Aufteilung in die vier soggetti an- bietet. Mattheson hat diesen Satz als paradigmatisches Beispiel für eine chorische Doppelfuge in seinem Vollkommenen Capellmeister zitiert, wobei er den klimaktischen Stretta-Abschnitt, in dem alle Themen gleichzeitig erklingen, als Notenbeispiel anführt.71 Einen ähnlichen Satz mit vier kontrastierenden Themen, die am Ende im mehrfachen Kontrapunkt zusammenge- führt werden, ist der Chor „Der Herr hat Großes an uns getan“ aus dem Oratorium Der sie- gende Gideon . Mattheson schätzte dieses Stück so sehr, dass er es quasi unverändert, mit zu- sätzlichen klangverstärkenden Hornstimmen, in das Oratorium Christi Wunderwerke bei den Schwachgläubigen übernahm. Selbst der Fall einer Permutationsfuge kommt in einer Partitur Matthesons vor: Es handelt sich um den Chor der fliehenden römischen Soldaten „Auf lasset uns fliehen“ aus dem Osteroratorium Der allererfreulichste Triumph (Autograph: D-Hs, ND VI 131), eine rasche Gigue-Fuge im 6/8-Takt.

69 Es handelt sich um den ersten Choral des Werkes, „Ach Gott und Herr“, vgl. Frederichs 1975, S. 192f. 70 Vergleiche Mattheson 1968, S. 152-173. 71 Mattheson 1739, S. 445. 41

Wie eng andererseits die Sprache der Oper und die des Oratoriums bei Mattheson verwandt sind, zeigen einige Beispiele, in denen musikalische Überschneidungen zwischen seinen früheren Opernpartituren und den Oratorien zu beobachten sind. Mattheson hat in keinem Fall vollständige Sätze aus Opern in seine Oratorien übernommen, doch es finden sich einige mo- tivische Übernahmen. Sehr auffällig ist die Wiederverwendung eines ostinaten Bassmotivs aus dem Klage-Terzett zwischen Candace, Ptolomäus und Antonius „Augen weint für bittre Tränen“ aus der Oper Cleopatra ,72 das quasi unverändert für die Begleitung der Arie "Netzt ihr Augen netzt die Wangen" aus Chera (1716) wiederverwendet wird (siehe Notenbeispiel II.2).

Notenbeispiel II.2: Chera , Beginn der Arie „Netzt ihr Augen“

Wie ähnlich Mattheson die Darstellung von Affekten in weltlichen und geistlichen Werken umsetzt, kann an dem folgenden Beispiel gezeigt werden. In zwei im tänzerischen Gavotte- Rhythmus gehaltenen Tenorarien, die beide den Affekt der Freude ausdrücken, wird eine markante absteigende Sequenzenkette aus Sextsprüngen eingesetzt. Es handelt sich um die Rondo-Arie des Gavust "Was Wiedersehn für Freude macht" aus der Oper Boris Gudenow (1710) und um die Arie der Freude "Hebe dich aus deinen Banden" aus dem Osteroratorium

72 EDM 69, S.207-209. 42

Die durch die Auferstehung Christi bestätigte Auferstehung aller Toten von 1721. Hier und dort wird der gleiche Affekt durch eine identische musikalische Figur dargestellt (Notenbe i- spiel e II.3 -4):

Notenbeispiel II.3: Boris Goudenov 1710, Arie des Gavust „Was Wiedersehn für Freude macht“ , T. 7 -10.

Notenbeispiel II.4: Die durch die Auferst ehung Christi ….. 1721, Arie der Freude „Hebe dich“ , T. 21 -23. Auch Chorsätze können im theatralischen Stil geschriebenieben sein,sein, wofürwofür dasdas folgendefolgende BeispielBeispiel herangezogen werden kann. Es handelt sich um einen Chor aus dem oben erwähnten Aufe r- stehungsoratorium von 1721. Er erklingt im Anschluss an eine "Aria a 2" in d -moll, und zwar an Stelle eines da capos als homophoner Chorsatz in D -Dur mit Begleitung des vollen O r- chesters,ters, inklusiveinklusive derder TrompetenTrompeten undund Pauken.Pauken. DiesesDieses StStück ist im Rhythmus einer Courante ausgeführt. Der Text "Muss Israel gleich vieles Leiden, s o wird es von Egyptens Sklaverei

43 doch endlich frei" rechtfertigt hier den Einsatz einer Tanzform, die nach Matthesons Definit i- on besonders zum Ausdruck des Affektes der Hoffnung geeignetgeeignet ist.ist. 73 Sätze wie diese kön n- ten direkt der Ballettmusik einer französis chen Oper entnommen worden sein: Der melod i- sche Beginn des Satzes weist eine auffällige Analogieie zuzu einemeinem EntréeEntrée ausaus derder TragTrag édie ly- rique Achille et Polix ène (Paris 1687 ) von Pascal Colasse auf, einem Werk, das auch auf dem Spielplan der Hamburger Gänsemar ktoper stand ,, und und das das Mattheson Mattheson deshalb deshalb vermutlich vermutlich kannte (vgl. Notenbeispiel II.5 -6)

Notenbeispiel II.5: Pascal Colasse, Entrée des Pastres troyens, aus Achille et Polix ène.

73 Mattheson 1739, S. 231. 44

Notenbeispiel II.6: Die durch Christi Auferstehung... 1721, Chorsatz „Muss Israel gleich vieles leiden“, Takt 5

Neben diesen Beispielen für die Anlehnung Matthesons an den Kirchen- und Opernstil in ei- nigen seiner Oratoriensätze lassen sich auch einige Fälle beobachten, in denen die beiden ge- gensätzlichen Stile in einem Satz miteinander kombiniert werden. Das Oratorium Das irrende und wieder zurecht gebrachte Sünden-Schaaf von 1721 (autographe Partitur: D-Hs ND VI 141) stellt eine geistliche Variante des in der Barockzeit überaus beliebten Sujets der „Psychomachie“ dar, des Kampfes zwischen Lastern und Tugen- den um die menschliche Seele, deren bekanntestes antikes Vorbild die Erzählung von Herku-

45 les am Scheideweg darstellt. Gerade im katholischen Bereich war dieses Thema ein beliebtes Oratorien-Sujet, neben verschiedenen Maria Magdalena-Oratorien seien als bekannte Beispie- le Emilio de Cavalieris Rappresentazione di Anima e di Corpo (Rom 1600) und Händels rö- misches Oratorium Il Trionfo del Tempo e del disinganno HWV 46a genannt.74 In dem Oratorium Matthesons streiten sich die Allegorien der "Weltlust" und der "Gottesfurcht" um die Seele eines vom Wege abgekommenen "Sündenschafes". Beide ver- sprechen dem Verirrten den "Weg zur ew‘gen Sicherheit", während dieser jedoch von der Weltlust als ein bequemer Weg durch "Lust und Freuden" bezeichnet wird, verlangt die Got- tesfurcht, ihr durch "Kreuz und Leiden" zu folgen. Diese beiden gegensätzlichen Affekte werden nun von Mattheson sinnfällig durch die Gegenüberstellung eines chromatisch aufstei- genden Themas (eines Passus duriusculus ) und eines freudig bewegten Kontrasubjekts be- handelt, die auch in den beiden obligaten Instrumentalstimmen selbständig verarbeitet wer- den. (Notenbeispiel II.7) Ein Satz von noch strengerer kontrapunktischer Dichte ist die als "Ricercar" bezeich- nete Arie „Nach dem Schaf das irre gehet“ von Jesus , die als vierstimmige Fuge durchgeführt ist. Die zahlreichen, durch die Technik der Synkopatio gehäuft auftretenden Dissonanzen zeichnen das Suchen des „guten Hirten“ nach seinem verlorenen Schaf nach, vermutlich han- delt es sich bei der Satzbezeichnung "Ricercar" sogar um ein auf den Gesangstext bezogenes etymologisches Wortspiel. Gleichzeitig handelt es sich bei dem kontrapunktisch streng gear- beiteten Satz jedoch auch um eine regelmäßige da-capo-Arie, theatralischer Stil und Kirchen- stil reichen sich hier in kunstvoller Synthese die Hände.

74 Zur Stoffgeschichte dieser allegorischen Oratorien vgl. Riepe 2008, vor allem S. 71-73. 46

Notenbeispiel II.7: Johann Mattheson, Das irrende […] Sünden -Schaaf ,, AriaAria aa 22 „Folge„Folge mir“,mir“, BeginnBeginn . Abschließend sei auf einen kuriosen Fall hingewiesen, bei dem Matthesons Streben nach größtmöglicher stilistischer Vielfalt ihn dazu verlei teten,teten, dasdas vollständigevollständige WerkWerk eineseines anderenanderen 47

Komponisten in eines seiner Oratorien zu integrieren. Es handelt sich um das berühmte 5stimmige Madrigal In una siepe ombrosa von Antonio Lotti aus dessen Sammlung Duetti, terzetti, e madrigali a più voci (Venedig 1705). 75 Mattheson verfasste einen deutschen Paro- dietext und fügte den Satz damit in sein Oratorium Der gegen seine Brüder barmhertzige Jo- seph (Partitur D-Hs ND VI 146) ein. Der neue Text geht mit großer Sicherheit auf Mattheson selbst zurück. Der Autor des Oratorientextes, der Hamburger Geistliche Tobias Heinrich Schubart, hatte eigentlich an dieser Stelle ein gewöhnliches Rezitativ vorgesehen, wie der spätere Abdruck des Textes in Schuberts Gedichtesammlung Ruhe nach geschehener Arbeit (Hamburg 1733) zeigt 76 , der neue Text paraphrasiert die originalen Verse Schubarts.

Lotti: Mattheson: In una siepe ombrosa Des Neiders Auge weinet quando il Sol cò suoi raggi i monti indora, wenn die Sonne der Freude den Nächsten bescheinet pompa ed onor di Flora, Häupter, die Rosen schmücken apre il bel seno una vermiglia rosa. Will seine freche Faust in Dornen drücken. Ma le foglie odorate e porporine Bloß aus Sehnsucht nach Gütern im ird’schen Ge- tümmel circondano le spine verlacht er den Himmel e cade in sù lo stelo, versinket aus Eigenliebe con pallide agonie, In den Abgrund vermessener Triebe quando de lumi il Rè parte dal cielo. Die Menschheit hat sein Herz ganz fahren lassen Quindi ben lasso apprendo Er kann sonst leider nichts als hassen che terrena beltà simile à un fiore Seine Freude nur ist alles verachten, circondata da pene stets nach Vorzug trachten con effimera vita e langue e more. Und ihm anderer Wohlfahrt zum Opfer schlachten 77

75 RRMB 44/45, S. 177-200. 76 S. 227. Vgl. Scheitler 2005, S. 305, Fußnote 96. 77 Schubarts Text lautet: „Also verfährt die Welt; / Ihr falsches Auge weinet, / Wenn eine holde Sonne / Ge- wünschter Wonne / In eines andern Wohnung scheinet. / Das Haupt, das selbst dem Himmel wohlgefällt / Mit Rosen auszuschmücken, / Will ihre freche Faust in Dornen drücken, / Des Zeitlichen sich nur allein zu freuen, / Will sie sich gar nicht scheuen, / des ewigen beraubt zu seyn. / Es treibt der Neid ihr Auge, Hand und Bein, / Biß ihrer Grausamkeit und List / So Freund, als Feind, ein Opfer ist.“ 48

III. Werke in Einzeldarstellungen

III.1 Das Weihnachtsoratorium „nach dem Evangelisten Lukas“

Matthesons erste nachweisbare Aufführung einer eigenen Komposition am Hamburger Dom fand am 3. Weihnachtstag 1715 statt. Es war das Oratorium "Die heylsame Geburth und Men- schwerdung unsers Herrn und Heylandes Jesu Christi“, gleichzeitig wohl auch die älteste au- tograph überlieferte geistliche Komposition Matthesons. Das Werk nimmt eine Sonderstel- lung unter Matthesons Oratorien ein, da sein Text auf der Weihnachtsgeschichte aus dem Evangelienbericht des Lukas basiert, ähnlich wie Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratori- um BWV 248. Gegenüber dem sechsteiligen Werk von Picander und Bach ist Matthesons Erstlingswerk für den Hamburger Dom einfacher und weniger "oratorienhaft" gestaltet, da sich die poetischen Einlagen innerhalb des Evangelienberichtes auf wenige Arien in da capo- Form sowie rahmende Choralstrophen beschränken, während Bachs Textdichter Picander bekanntlich in den "betrachtenden" Abschnitten auch frei gedichtete madrigalische Rezitativ- verse verwendet, meist als Einleitung zu einer nachfolgenden Arie. Der Weihnachtsbericht aus dem Lukas-Evangelium bietet jedoch auch ohne solche Einschübe genügend Möglichkeiten zu einer abwechslungsreichen und dramatischen musika- lischen Gestaltung, da mit den Hirten, dem Engel und dem Chor der himmlischen Heerscha- ren gleich an drei Stellen des Textes handelnde Personen eingeführt werden, eine Qualität, die Mattheson als wichtiges Merkmal für die Definition der Gattung Oratorium ansah. 78 Die Umstände der Aufführung des Oratoriums sind aus Matthesons Autobiographie bekannt. Er hielt vor allem die Besonderheit der Mitwirkung von drei Sängerinnen im Gottes- dienst für Erwähnenswert, obwohl es solche Auftritte in Hamburg auch schon früher gegeben hatte. 79 Mattheson berichtet, er hätte die drei Opernsängerinnen Schwartz, Schober und Rischmüller engagiert. Rischmüller und Gertrud Schwarz (die spätere Ehefrau des auch für

78 Siehe S. 42. 79 Auftritte von Sängerinnen bei Passionsaufführungen sind hingegen schon früher belegt, etwa 1704 in der Zuchthauskirche (vgl. Kremer 1995, S.103). Außerdem haben Frauen vermutlich auch bei den sogenannten „Organisten-Musiken“mitgewirkt, denjenigen Figuralmusiken also, die nicht im Aufgabenbereich der Kanto- rei lagen und die vom jeweiligen Organisten der Kirche geleitet wurden, der früheste Nachweis hierfür ist schon für 1692 in der Jakobi-Kirche belegt, wobei hier schon jene Frau Rischmüller mitwirkte, die auch 1715 bei Mattheson auftrat (vgl. Kremer 1997, S. 196). 49

Mattheson tätigen Dichters Johann Ulrich König) hatten auch in Matthesons letzter Oper für das Gänsemarkttheater, Henrico IV (1711) mitgewirkt, waren also Interpretinnen, mit denen er schon seit einiger Zeit zusammengearbeitet hatte. Über die weiteren Mitwirkenden der Auf- führung ist nichts bekannt, es ist anzunehmen, dass auch die Männerstimmen aus dem Umfeld der Oper rekrutiert wurden. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Bass-Partie dem in diesen Jahren in Hamburg sehr aktiven Sänger Petzold übertragen wurde, der die Titelrolle in Hen- rico IV. gesungen hatte und auch in anderen Kirchenkompositionen aus diesen Jahren nach- weisbar ist. Durch die altertümlichen alla-breve-Vertonungen der beiden Turba-Chöre und durch die liedartige Melodik der meisten Arien, die an frühe Hamburger Opern erinnert, hat das Werk einen stark retrospektiven Charakter. Dies ist vielleicht durch ein früheres Kompositi- onsdatum zu erklären: Mattheson griff nämlich vermutlich auf eine bereits zehn Jahre alte Komposition zurück, wie ein heute verschollener Textdruck von 1705 aus der Hamburger Stadtbibliothek belegt. 80 Die dort angegebene Jahreszahl stellt keineswegs einen Druckfehler dar, wie Cannon vermutete, der diesen Textdruck der Aufführung am 27. Dezember 1715 im Hamburg Dom zuordnete. 81 Der Rückgriff auf den unveränderten Evangelientext und die dar- aus resultierende gute liturgische Verwendbarkeit lässt allerdings vermuten, dass Mattheson dieses Oratorium zunächst in einer der Hamburger Hauptkirchen, oder sogar schon im Dom, aufgeführt haben könnte, bevor er es in einem nicht-kirchlichen Rahmen zu Konzertzwecken wiederholte. 82 Zweifel an der These der frühen Entstehung des Werkes – immerhin gelten die Quel- len, die diese frühe Aufführung belegen sollen, alle als im 2. Weltkrieg verschollen – lassen sich durch einen außergewöhnlichen Quellenfund in der Berliner Staatsbibliothek ausräumen. Aus dem Nachlass von Hilde Mühlen-Adrio, in dem sich wertvolle Frankfurter Kantaten- handschriften aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts befanden, gelangte auch die Partitur eines Weihnachtsoratoriums von Johann Mattheson in der Handschrift von Telemanns Amtsnach- folger Johann Balthasar König nach Berlin. 83 Bei diesem Werk handelt es sich um eine Vari-

80 Scheitler 2005, S. 305. 81 Ein undatierter Textdruck mit dem geänderten Titel Die freuden-reiche Geburt und Menschwerdung unsers Herrn und Erlösers Jesu Christi (NL-DHnmi, Sammlung Daniel F. Scheuerleer, Signatur 2 – I – 132) er- schien vermutlich anlässlich einer späteren Aufführung des Werkes. 82 1707 wurde im Drillhaus ebenfalls ein kleines Weihnachtsoratorium aufgeführt; vergleiche Scheitler 2005, S. 193-194, dieses Werk bot die Textgrundlage für spätere Vertonungen durch Keiser ( Dialogus von der Geburt Christi ) und Mattheson ( Das Größte Kind ). 83 Signatur N.Mus.ms. 10758, vgl. Jaenecke 1997, S. 116. 50 ante der im Autograph überlieferten Fassung, die ein früheres Stadium der Komposition re- präsentiert. Es handelt sich bei dieser Quelle um die einzige nichtautographe Abschrift eines Mattheson-Oratoriums neben der bekannten Berliner Abschrift der Brockes-Passion. Die Fas- sung weicht in mehreren Punkten deutlich von der in Hamburg überlieferten Version ab: Vor allem steht die Grundtonart des Werkes einen Ganzton tiefer, in C-Dur. Die Trompeten, die in der späteren Fassung den Eingangs- und Schlusschoral sowie den Chor der Engel begleiten, fehlen in der Frankfurter Fassung, an Stelle der "Traverse" werden in der Arie "Flauti", also Blockflöten eingesetzt. Schließlich wird das Oratorium in der König-Abschrift mit einer fran- zösischen Ouverture eingeleitet, während die spätere Fassung direkt mit dem Eingangschoral beginnt. Eine dritte Fassung des Werkes liegt wie die Version von 1715 als Autograph Matthe- sons vor (Signatur ND VI 119a). Für eine spätere Aufführung unterzog er das Werk noch einmal einer grundlegenden Revision. So komponierte er den Evangelistenbericht völlig neu, diesmal für eine Baritonstimme. Gegenüber der älteren Fassung sind die neuen Rezitative wesentlich differenzierter in Bezug auf die musikalische Deklamation gestaltet. Auch die ers- te Arie des Werkes, ursprünglich eine Alt-Arie, wurde stark bearbeitet, wobei Mattheson zum Teil sogar Änderungen am melodischen Verlauf vornahm. In der „Ehre sei Gott“ – Fuge ver- besserte er die Deklamation, in dem er das Fugenthema umrhythmisierte. Außerdem ergänzte er den Orchestersatz des Duetts für 2 Sopranstimmen am Ende des Werkes, in den älteren Versionen nur für Solovioline und Streicher gesetzt, um zwei klangverstärkende Trompeten- stimmen. Beide Teile werden zudem von kurzen Instrumentalsätzen eingeleitet. Beim Ein- gangschoral fällt schließlich auf, dass der in der Fassung von 1715 extrem hoch liegende Can- tus firmus nach unten oktaviert und in die Altstimme verlegt wurde.

51

III.2 Chera, oder die leidtragende und getröstete Witwe zu Nain

Das am 16. Sonntag nach Trinitatis 1716 urauffgeführte Oratorium Chera war vermutlich das erfolgreichste Oratorium Matthesons, insgesamt zwei Wiederaufführungen des Werkes (1719 und 1722) sind nachweisbar. Es handelt sich um eine dramatisierte Umsetzung des Evangeli- entextes zu dem entsprechenden Sonntag. Damit ähnelt es anderen Oratorien Matthesons, in denen der Perikopentext in dramatisch-dialogisierender Form behandelt wird: Dem Pfingsora- torium Die gnädige Sendung (1716), dem Osteroratorium Der allererfreulichste Triumph (1717) oder dem Oratorium zum 5. Sonntag nach Trinitatis Christi Wunderwerke bei den Schwachgläubigen (1719), sowie in dem verschollenen Passionsoratorium Der blutrünstige Keltertreter von 1721. 84 In dem Evangelium zum 16. Sonntag nach Trinitatis wird die Ge- schichte der Auferweckung des Jünglings von Nain erzählt, der hier den Namen Neaniscus trägt. Hauptfigur des Oratoriums, dessen Textdichter nicht überliefert ist, ist Chera, die Witwe von Nain, die Mutter des Jünglings. Mattheson nennt die Sänger der drei Hauptpartien (Chera, Neaniscus, Der Glaube) auf der Rückseite der letzten Seite seiner Partitur. Danach wurde die Titelrolle 1716 erstmals von der bekannten Primadonna Margaretha Susanna Kayser gesun- gen, an deren ausdrucksvolle Verzierungen, die sie in der Arie „Ich will dulden“anbrachte, er sich noch 1739 erinnerte.85 Als Neaniscus trat der junge Johann Adolf Hasse auf, die Partie des Glaubens wurde von dem Opernbariton Petzold gesungen.86 Die erste Hälfte des Werkes behandelt den Tod des Neaniscus, hier wird das selige Sterben eines gläubigen Christen vorgestellt. Das Oratorium wird mit dem Sterbechoral Was ist der Mensch ein Erden-Kloß eröffnet, .dessen Melodie vor dem Einsatz der Singstimmen zunächst in einem kurzen Vorspiel von den Bassinstrumenten vorgestellt wird. Dem Jüngling erscheint ein Engel, der ihm den nahen Tod verkündet und mit ihm ein tänzerisches Duett im ¾-Takt anstimmt, in dem er ihn auf die nahenden himmlischen Freuden vorbereitet. In einem ergreifenden Accompagnato-Rezitativ verabschiedet sich der Sohn von seiner trauernden Mutter. Nach seinem Tod erklingt ein von einem bewegten Orchestervorspiel eingeleiteter Halleluja-Chor der Engel mit einem homophonen Mittelteil im 6/4-Takt, in dem die Seele des

84 Textdruck in NL-DHnmi. 85 Er nennt sie als Beispiel für den „Überschlag“, siehe Mattheson 1739, S. 113-114. 86 Die Besetzung von 1719 setzte sich aus „Mlle Endradi“ (Chera), Gottfried Grünewald (Neaniscus) und Con- rad Arnoldi (Glauben) zusammen, 1722 wurden die Partien von „Mlle Monjo“ (einer der beiden an der Oper tätigen Schwestern dieses Namens), Johann Heinrich Möhring und Johann Gottfried Riemschneider gesun- gen. 52

Verstorbenen im Himmel begrüßt wird. Mittelpunkt des als A-Teil fungierenden Halleluja- Teils ist ein 20-taktiger kontrapunktischer Abschnitt, in dem ein Thema und zwei Kontrasub- jekte nacheinander abwechselnd in Dux- und Comes-Gestalt im dreifachen Kontrapunkt der Oktave kombiniert werden. Mattheson übernahm diesen kunstvollen Abschnitt später, nach D-Dur transponiert und um Blechbläser und Pauken erweitert, als Abschlusspassage für den Eingangschor seines Weihnachtsoratoriums Das größte Kind von 1720. Nachdem die Allego- rie des Glaubens in der Arie „O wie süße lässt sichs sterben“ Betrachtungen über das glückli- che Sterben anstellt 87 , erklingt die Trauerarie der Mutter in h-moll mit dem charakteristischen Bassmotiv, das Mattheson seiner Oper Cleopatra entnommen hatte. 88 Der folgende Choral der Sargträger „Nun laßt uns den Leib begraben" wird von Pizzicato-Streichern und einem Glockenspiel begleitet (vgl. hierzu Abschnitt V: Das Glockenspiel in Johann Matthesons Ora- torien für den Hamburger Dom, S.75ff.), nach der Predigt erklingt darauf eine zweite Strophe dieses Chorals. In der zweiten Hälfte des Oratoriums, in der Jesus mit seinen Jüngern auftritt, wird die Auferweckung des Jünglings behandelt. Nachdem Chera, durch die Worte Jesu be- stärkt, ihre Hoffnung und ihr Vertrauen in der bereits erwähnten Arie „Ich will dulden“ aus- drückt, geschieht das Wunder der Auferweckung. An dieser Stelle wird erneut eine allegorische Betrachtung des Glaubens eingeschaltet, in der die theologisch-exemplarische Deutung des Evangeliums erklärt wird: Der Tod er- scheint nicht mehr als Bedrohung, da der Gläubige in der Gewissheit der Auferstehung lebt. Die Es-Dur-Arie „Ich sterbe vergnügt“steht in einem ruhigen Sarabanden-Metrum im 3/2- Takt, die ersten beiden Abschnitte sind jeweils über einer absteigenden Basslinien aufgebaut. Hieran schließt sich ein geradtaktiger Presto-Abschnitt in g-moll mit energischen Tonrepititi- onen und Koloraturen in der Singsstimme auf die Worte „Was schadt‘ mir der Tod?“ an. Der folgende Abschnitt wechselt wieder in den ruhigen 3/2-Takt, Singstimme und Bass verlaufen in einer parallel aufsteigenden Linie, durch die die im Text angekündigte Auferstehung illus- triert wird, hierauf schließt sich auf die gleichen Textworte noch einmal ein Presto-Abschnitt an, diesmal in B-Dur, wobei nun die Koloraturen auf dem Wort „Leben“ liegen. Mit dem kur- zen da capo der ersten 6 Takte endet die streng symmetrisch aufgebaute Arie.

87 Mattheson übernahm diese Arie textlich abgewandelt in seine letzte Komposition, das Traueroratorium Das fröhliche Sterbelied (Textdruck: Staatsarchiv Hamburg, Signatur A 710/85), das er zu seiner eigenen Be- gräbnisfeier 1765 in der St. Michaeliskirche komponiert hatte. Die Arie fehlt in den autographen Skizzen zu diesem Werk (vgl. Marx 1983 2, S. 233). 88 Vgl. Notenbeispiel II.2, S. 46. 53

Ein fröhliches Duett von Chera und Neaniscus, in dessen ausnotiertem da capo-Teil ein Stimmtausch zwischen Sopran und Tenor erfolgt, leitet über in einen homophonen Chor- satz im Gigue-Rhythmus, in dem die Auferstehung des Sohnes gefeiert wird. Nach einem kurzen Accompagnato-Rezitativ der „Andacht“, in der sie Jesus für seine Wundertaten dankt, folgt die Schlussfuge des Oratoriums, die wieder in der dunklen Anfangstonart c-moll des Eingangschorals steht. Diese Fuge wurde später leicht abgeändert von Mattheson als Klavier- fuge bearbeitet und in seiner Händel gewidmeten Fugensammlung Die wohl-klingende Fin- gersprache von 1735 aufgenommen. 89

89 Fuga Nr. 2, Neuausgabe: Mattheson1953, S. 8 -11. Zwei weitere Fugen dieser Sammlung (Nr 4 in B-Dur, Nr. 5 in Es-Dur) sind Bearbeitungen der Chorfugen „Verfolgt uns gleich die Welt“ und „Drum weg ihr Eitelkei- ten“, die am Ende des ersten und zweiten Teils des Pfingstoratoriums Das Große in dem Kleinen von 1722 (Autograph D-Hs, ND VI 142) stehen. 54

III.3 Das größte Kind , Matthesons Weihnachtsoratorium von 1720

Der Text zum Größten Kind ist keine Originaldichtung sondern basiert auf dem bereits er- wähnten Dialogus von der Geburt Christi, der 1707 vermutlich mit Musik Reinhard Keisers aufgeführt wurde. 90 Eine Vertonung dieses Textes durch Keiser ist jedenfalls erhalten, ver- mutlich führte er das Werk später sogar ebenfalls am Dom auf, wo er seit 1729 als Nachfolger Matthesons wirkte.91 Mattheson notierte in seiner Partitur die Besetzung der Uraufführung. Fast alle betei- ligten Sänger waren Mitglieder des Opernensembles, unter ihnen ragen als berühmteste Inter- preten die Primadonna Margaretha Susanna Kayser, die die Rolle der Maria sang, und der Bariton Johann Gottfried Riemschneider heraus. Namentlich werden sechs Sänger erwähnt, vermutlich gab es keine weiteren Sänger für die Chöre, so dass man mit einer Besetzung aus 2 Sopranen, je einem Alt und Tenor und 2 Bässen auskommen musste – diese waren allerdings zum Teil hochprofessionelle Stars des Gänsemarkttheaters, die sicherlich kein Problem hat- ten, sich stimmlich gegen das opulent besetzte Orchester durchzusetzen. Der architektonische Aufbau des zweiteiligen Oratoriums wird durch die einrahmen- den Choräle in D-Dur bestimmt, die alle mit der Tutti-Besetzung aus Hörnern, Trompeten, Pauken sowie Oboen, Fagotten und Streichern rechnen. Der Eingangschoral – „Gelobet seist du Jesu Christ“ – wird am Ende des Oratoriums wiederholt, am Ende des ersten Teils und am Anfang des zweiten Teils stehen je eine Strophe von „Lobt Gott ihr Christen alle gleich“. Zu- sätzlich werden in einem eigenen Block im zweiten Teil drei Strophen von „In dulci jubilo“ mit solistischen Abschnitten, die allegorischen Figuren zugewiesen sind, kombiniert. Die Handlung des Oratoriums spielt im Stall zu Bethlehem nach der Geburt Christi. Maria und Joseph preisen das frohe Ereignis, ihre Verse sind mit zahlreichen Anspielungen aus prophetischen Texten des Alten Testaments durchsetzt. Allegorische Figuren erläutern die heilsgeschichtliche Bedeutung des Ereignisses. Im zweiten Teil naht sich eine Gruppe von Hirten und berichtet Maria und Josef von der Erscheinung des Engels. Der Lobgesang der himmlischen Heerscharen wird nun durch den Choral „In dulci jubilo“ vertreten, nach weite-

90 Keiser ist im Textdruck zu diesem "Dialogus von der Geburt Christi zwischen Maria, Joseph, einem Fremd- ling, einer Hirtin und einem Hirten" nicht genannt, Irmgard Scheitler bezweifelt deshalb seine Autorschaft, vgl. Scheitler 2005, S. 194. 91 Vgl. Blanken 2001. 55 ren allegorischen Betrachtungen endet das Oratorium mit einer Wiederholung des Ein- gangschorals . Das Größte Kind gehört zu Matthesons am reichsten besetzten Partituren. Besonders auffällig ist die gleichzeitige Verwendung von Hörnern und Trompeten in den Chorsätzen, die sonst in keinem Werk Matthesons zu finden ist. Die Choräle sind in einem konzertierenden Stil geschrieben, einer Art aufgelockerten homophonen Schreibweise, bei der die Choralme- lodie zum Teil verziert, umrhythmisiert, oder durch sequenzierende Einschübe erweitert wird, wozu selbständige Vor- und Nachspiele des Orchesters angefügt werden. Bei dem Eingangs- und Schlusschoral fällt auf, dass Mattheson den traditionellen „Kyrieleis“-Schluss am Ende des Luther-Liedes durch ein freudiges „Halleluja“ ersetzt. Mattheson übernahm hierfür einen Chorsatz aus seinem älteren Oratorium Chera, oder die leidtragende und getröstete Witwe zu Nain , den er um zusätzliche Blechbläserstimmen erweiterte. Die Choralbearbeitung über „Lob Gott ihr Christen” beginnt mit einem prachtvollen Orchestervorspiel, das von einem nacheinander von Trompete und Horn unbegleitet vorgetra- genene Signal-Motiv eingeleitet wird, das thematisch auf melodisches Material aus der letzten Choralzeile zurückgreift. Die Singstimmen setzen von der tiefsten bis zur höchsten Stimme mit einer regelmäßigen Vorausimitation der ersten Choralzeile ein, worauf die gesamte Zeile im homophonen Satz in langen Notenwerten erklingt. Nach einem viertaktigen Zwischenspiel folgt die zweite Choralzeile, von der zunächst nur die erste Hälfte mit den Worten „Er liegt dort elend nackt und bloß“ bearbeitet wird. Der Abschnitt wird, ähnlich wie der erste Teil, durch eine Vorausimitation eingeleitet. Bevor aber die Melodie im homophonen vierstimmi- gen Kantionalsatz erklingt, wird der letzte Takt der Choralzeile zu den Worten „nackt und bloß“ nacheinander von Alt, Sopran und Tenor auf unterschiedlichen Tonstufen einstimmig a capella („nackt“) vorgetragen; der Tutti-Einsatz, bei dem die Sopranstimme wirkungsvoll in die Oberoktave wechselt, wird zudem durch eine Generalpause zusätzlich verzögert. 92 Der gesamte Abschnitt wird dann noch einmal wiederholt, unterbrochen von einem kurzen Zwi- schenspiel, in das der Chor die Worte „nackt und bloß“ noch einmal hineinskandiert. Nach der Wiederholung dieses Abschnitts wird die zweite Hälfte der Melodiezeile, aus der das me- lismatische Tonleitermotiv der Vorspiels stammt, in spielerischer Imitation zwischen den

92 Gegen dieses Beispiel besonders drastischer Wortausdeutung richtete sich der Spott von Matthesons Gegnern in ihrem gegen den Musicalischen Patrioten 1728 gerichteten Pamphlet Ein paar derbe Musicalisch- Patriotische Ohrfeigen (Hamburg 1728), vgl. Böning 2011, S. 393. 56

Singstimmen verarbeitet; nach einer kurzen, auf dem Schlusston der Choralmelodie aufbau- enden Sequenzpassage folgt der kadenzierende Abschluss des Satzes. Das vielleicht ungewöhnlichste Stück der Partitur ist das Terzett der drei Hirtinnen, für 2 Soprane und Alt gesetzt. Auffällig ist das über weite Strecken fehlende Mitwirken von Bas- sinstrumenten, so dass der Altstimme, unterstützt von den Violen, als Bassettchenstimme fun- giert. Mattheson arbeitet mit klangmalerischen Effekten, um das Zittern der Hirten, die ihren Schrecken über die Erscheinung des Engels darstellen, zu illustrieren. So wird das Klopfen der Herzen durch die dreistimmigen gebrochenen Dreiklänge, auf die das Wort „klopft“ ge- sungen wird, illustriert, während das Wort „lechzen“ den Komponisten zu ausgedehnten Seufzerpassagen anregte. Die geheimnisvolle Stimmung des Satzes wird durch die außerge- wöhnliche Instrumentalbegleitung aus Pizzicato-Streichern, Oboen und einer gedämpften Pauke unterstrichen. Eine Besonderheit des Oratoriums sind die Arien mit Chorbeteiligung. In zwei Stü- cken übernimmt der Chor die Wiederholung des A-Teils innerhalb der traditionellen Dacapo- struktur, wobei auch die Orchesterbesetzung erweitert wird: In Marias triumphaler erster Arie „Israel freue dich“ – die als Bravourarie für die „Kayserin“ angelegt ist - treten beim Chor- einsatz die Trompeten und Pauken klangverstärkend zu dem aus Hörnern und Streichern mit Oboen gebildeten Orchestersatz der Arie hinzu; in der ersten Solonummer des Werkes, dem Duett "Sei willkommen tausendmal" für Maria und Joseph wird die einstimmige Violinbeglei- tung der Solopassagen beim Choreinsatz zum vierstimmigen Streichersatz erweitert.

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III.4 Der liebreiche und geduldige David

Im Jahr 1724 fiel der Termin für den Sonntag vor Michaelis, an dem im Hamburger Dom Fi- guralmusiken erklangen, auf einen 24. September, der im damaligen Kirchenjahr der 18. Sonntag nach Trinitatis war. Deshalb ist das Oratorium, das Mattheson im Herbst 1724 kom- ponierte, für diesen Sonntag des Kirchenjahres entstanden. Das Oratorium Der liebreiche und geduldige David 93 erzählt die Geschichte vom Kampf König Davids gegen seinen rebellischen Sohn Absalon und seine Klage über dessen Tod, ein äußerst beliebter Oratorienstoff im 17. und 18. Jahrhundert. 94 Die Wahl dieses Sujets hängt mit dem Sonntagsevangelium (Matthäus 22, 34-46) zusammen, in dem Jesus die Phari- säer befragt, warum Christus gleichzeitig als Davids Sohn und Davids Herr bezeichnet wird. Ein weiterer Bezug zum Sonntagsevangelium wird durch die Wahl des Schlusschorals des ersten Teils des Oratorium hergestellt: Es handelt sich um eine Strophe des an diesem Tag als de tempore-Lied gebrauchten Chorals „Herr Christ der ein’ge Gottessohn“. Im Gegensatz zu den drei oben beschriebenen Werken verzichtet Mattheson in diesem Oratorium fast vollstän- dig auf diffizile kontrapunktische Satztechniken oder auf stilistische Archaismen, wodurch das Werk besonders modern und theatralisch wirkt. Im Zentrum des Oratoriums steht die übermenschliche Liebe König Davids gegenüber seinem undankbaren Sohn, die ihn am Ende des Werkes, als er von dessen erbärmlichem Tod auf der Flucht erfährt, eine ergreifende Klage anstimmen lässt. Davids Situation und Reaktion wird christologisch gedeutet, denn Jesus ist ähnlich von Mitlied über die ihn verfolgenden Menschen erfüllt, wie der König gegenüber seinem undankbaren Sohn. Der unbekannte Text- dichter löst die Frage der Verbindung zwischen alttestamentlicher Handlung und theologi- scher Deutung auf außergewöhnliche Weise. Üblicherweise unterbrechen in den zeitgenössi- schen Oratorien allegorische Figuren die dramatische Handlung, um ihre Betrachtungen anzu- stellen, wobei es zu geschlossenen kantatenartigen Blöcken aus Rezitativen und Arien

93 Neuausgabe: Mattheson 2005. 94 Besonders beliebt war der Stoff in Wien, Beispiele sind Assalone punito von Pietro Antonio Ziani (1667) sowie ein gleichnamiges Werk von Antonio Draghi, La Ribellione d'Assalone von Antonio Caldara (1720) und Assalone nemico del padre amante (1726) von Giuseppe Porsile. Weitere Oratorien mit diesem Sujet sind Giovanni Paolo Colonnas L'Assalone (Bologna 1686), Gregor Joseph Werners Absolon (Eisenstadt 1743), die fünfteilige Lübecker Abendmusik Absalom von Adolf Carl Kunzen von 1761 (zum Textdruck sie- he Scherliess 2003) oder das lateinische Ospedale-Oratorium Absalom von Domenico Cimarosa. Der Des- sauer Hofkapellmeister Friedrich Schneider griff noch 1831 auf diesen Stoff für ein romantisches Chororato- rium zurück. 58 kommt, häufig als „Soliloquia“ bezeichnet. Die allegorische Figur im David-Oratorium, vom Dichter als „Meditatio“ bezeichnet (dies entspricht der deutschen Rollenbezeichnung "Be- trachtung", die in zahlreichen Oratoriendichtungen der Zeit, besonders in oratorischen Passio- nen, zu finden ist), greift dagegen unmittelbar in die Handlung ein, indem sie an besonders dramatischen Momenten in einen Dialog mit dem Protagonisten tritt. Im Oratorium spielt sich die biblische Handlung aus der Sicht Davids und seiner treu- en Begleiter ab, die sich auf der Flucht vor den Rebellen verschanzt haben. David ist die gan- ze Zeit über auf der imaginären Bühne präsent, während seine Begleiter die Funktion von Boten übernehmen, die den Fortgang der Handlung erzählen. Nach einer bewegten Sinfonia und dem dramatischen, homophon vertonten Chor der Soldaten König Davids kommt es zu einem ersten Zusammentreffen zwischen der Meditatio und David: In einem dialogisierenden einteiligen Duett ruft erstere den Himmel um Rache gegen den rebellischen Sohn an, David antwortet dagegen, dass der Himmel befiehlt, die ei- genen Kinder zu lieben, nicht sie zu bestrafen. In Matthesons Vertonung werden die wüten- den Ausrufe der Meditatio im stile concitato, mit schnellen Tonrepetitionen und Tremolo- Begleitung der Streicher, den kantablen und ruhigeren Passagen Davids gegenübergestellt. Im folgenden Dialog äußert David sein Gottvertrauen, bevor er sich mit seinen Getreuen zur Flucht vorbereitet. Die Meditatio vertraut, dass Gott gerechte Strafe an den Sündern üben wird. Davids treuer Gefolgsmann Ithai (Tenor) tritt mit einer bewegten Arie auf und bietet seinem König an, ihm in der Not beizustehn. David entgegnet, er vertraue weiterhin allein auf Gottes Gnade. Schließlich nimmt er jedoch das Angebot Ithais an, worauf Meditatio, von It- hais Treue begeistert, in einer brillanten, von Hörnern begleiteten Koloraturarie ein Preislied auf die Tugend singt. Auf ihrer Flucht besingen die Israeliten in einem Klagechor in f-moll die Wandelbarkeit des Geschicks. Meditatio antwortet mit einer solistischen Strophe auf die- selbe Melodie. Davids Geduld wird weiterhin auf die Probe gestellt: Ein Verwandter König Sauls, der Benjaminiter Simei, verflucht und beschimpft den gedemütigten König. Während die Ge- treuen Ithai und Abisai Rache fordern, reagiert der König gleichmütig: in einer kurzen Kolo- raturarie mit nervösen Synkopen-Motiven in der Violinstimme trotzt er dem Lästerer. Auf die Frage der Meditatio, woher David seine übergroße Menschenliebe und Geduld hernehme, antwortet er, dass diese direkt aus seiner Liebe zu Gott entspringe. Ein Choral der Christli-

59 chen Gemeinde, von Mattheson ungewöhnlicherweise als schlichter Kantionalsatz ohne obli- gate Instrumentalstimmen vertont, beendet den ersten Teil des Oratoriums. Der Zweite Teil beginnt mit einer schlichten Arie der Meditatio im 6/4-Takt, in der die akkordischen Begleitfiguren der Streicher durch Sechzehntelläufe einer Solovioline unterbro- chen werden. Sie bekennt, endlich die überwältigende Macht der Gottesliebe erkannt zu ha- ben und preist Christus als „Davids wahrer Sohn und Herr“. Das Heer König Davids rüstet sich zur Schlacht, der aggressive, von Hörnern begleite- te Kriegschor wird an mehreren Stellen von zweistimmigen Einwürfen Davids und der Medi- tatio unterbrochen, die nun gemeinsam um Gnade für Absolom bitten. In einem Duett versichern Ithai und Abisai dem König weiterhin ihre Treue. Mattheson fügte dem Männerstimmen-Duett, das ursprünglich nur mit Continuo-Begleitung vorgesehen war, nachträglich eine obligate Violoncello-Stimme bei. Kurz vor der Schlacht stimmen die Soldaten im kraftvollen Unisono den Luther- Choral „Ein' feste Burg ist unser Gott“ an, der von Mattheson im 6/8-Takt rhythmisiert wurde. Die einzelnen Choralzeilen werden dabei von kommentierenden Einwürfen der Meditatio unterbrochen, die den Choraltext tropieren. König David, allein zurückgeblieben, zittert um seinen Sohn in einem melismatischen, wortmalerisch vertonten Rezitativ und einer bewegten Gleichnisarie. Da überbringt der Die- ner Chusi die Nachricht vom Tode Absalons. Während der Bote zufrieden über dessen Ge- schick ist, bricht David in eine ergreifende Klage aus, die als ausdrucksvolles Continuo- Arioso vertont ist. Meditatio stellt in einem abschließenden Accompagnato-Rezitativ den Be- zug zum Neuen Testament her, in dem sie das Mitleid Davids mit demjenigen von Jesus ver- gleicht. Mit einer Strophe aus dem Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, in dem mit der Erwähnung des davidischen Musikinstrumentes Cythara noch einmal auf den Protagonis- ten des Oratoriums verwiesen wird, endet das Werk. Die Choralmelodie wird im homophonen Satz im tänzerischen 3/8-Takt vorgetragen, wobei das Orchester mit konzertierenden Hörnern eine selbständige Begleitung und konzertierende Zwischenspiele beisteuert. Die Textzeile „Singet, klinget“ wird sinnfällig vertont, indem das erste Wort a capella gesungen wird, wäh- rend zum zweiten Wort das Orchester einfällt und das überleitende Zwischenspiel zur nächs- ten Textzeile anstimmt.

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IV. Das Oratorium "auf das Absterben des Königes von Großbritannien Georg I."

Unter Johann Matthesons Kantorat vollzog sich der Wechsel der Herrschaft über das Her- zogtum Bremen-Verden. Als König Karl XII. 1719 durch einen feindlichen Schuß in seinem Feldlager in Norwegen verstarb, wurde Georg I. von England in seiner Funktion als Kurfürst von Hannover sein Nachfolger als Titularbischof des Domkapitels. Zunächst wurde jedoch am Dom des toten Königs mit einem aufwändigen Traueroratorium Matthesons gedacht, dem Betrübten Schweden (Libretto: Gustav Wilhelm Hero), das im Rahmen eines Trauergottes- dienstes aufgeführt wurde.95 Mattheson beschrieb mit der ihm eigenen Selbstgefälligkeit Auf- führung und Wirkung dieser repräsentativen Staatsmusik:

Das Epicedium, so er um diese Zeit, auf den Tod Carl XII. Königs von Schweden, verfertiget, und am 26. Febr., mit sehr anständigem Traur-Gepränge, bey schwartz-bezogener Kantzel, Chor, Herren-Sitzen etc. im Dom aufgeführet hat, bewegte etliche tausend Zuhörer so unge- mein, zurAufmercksamkeit und Mitleiden, dass sich fast keiner rührte; auch die nicht, welche sonst keine Musik kennen noch lieben. Man hielte diese piece und die Jubel-Musik 96 für ein Paar Meisterstücke.

In einer Fußnote zu diesem Abschnitt bemerkt Mattheson:

Niemand darf zweifeln an der Würde einer solchen Musik, die da wircket und sich empfinden lässet. Denn da ihre Absicht auf nichts anderes gehet, als die Seelen der Zuhörer zu bewegen, so sind alle Schönheiten, die sie sonst haben kann, nur zu diesem Zweck bestimmet, und machen sie dazu geschickt, oder es sind Tändeleien und Kinderspiele, in Vergleichung des vornehmsten Ziels. So bald als eine Musik das Hertz rühret, und einem vernünfftigen Menschen ins Gemüthe dringet, so bald ist sie wundernswürdig, und es braucht weiter keiner Untersuchung. Hergegen, wo man von einem Oratorio oder Dramate sagen kann, dass auch die besten Gönner im Ge- müthe keine Aenderung davon spüren, sondern eben so klug weggehen, als sie gekommen sind; da taugt die Musik nichts .97

Das Oratorium ist als großer zweiteiliger Dialog zwischen verschiedenen allegorischen Figu- ren aufgebaut, Chöre dienen als Rahmensätze. Gedämpfte Trompeten und Pauken werden zur

95 Autographe Partitur mit angeheftetem Textdruck in der Staatsbibliothek Hamburg, ND VI 134. 96 Mattheson meint damit sein Oratorium Der reformierende Johannis , aufgeführt anläßlich des 200. Reforma- tionsjubiläums am 31. Oktober 1717. 97 Marx 1982, S. 68. 61

Unterstützung der festlich-traurigen Stimmung eingesetzt, ein repräsentativer Topos barocker Trauermusiken, wie man sie auch aus den entsprechenden Werken des späteren Hamburger Kantors Georg Philipp Telemann kennt: In Telemanns Funeralmusik auf den Tod Kaiser Karls VII. wird dieser klangliche Topos sogar im Text evoziert. In einem Rezitativ heißt es:

Ja! fahre fort, gedämpftes Klang=geräthe, / Und stimme dem, an heil’ger Stätte / Erhob’nen Klaggeschrey, / Durch Thränen=reizendes Geweine matter Sayten, / Durch Seufzer weh- muthsvoller Flöten, / Durch die bey dunklem Paukenhallen / Anjetzt nur girrenden Trompe- ten, / Mit traurigem Zusammenschallen / Beweglich bey .98

Die "Handlung" des Werkes stellt die Personifikation Schwedens vor, die die Nachricht des Todes ihres Herrschers durch "Fama", das Gerücht, überbracht bekommt. Auch wenn das "Verhängnis" mit Hinweis auf die Heldentaten des Königs, die seinen Ruhm verewigen wer- den, zu trösten sucht, stimmen am Ende des ersten Teils die "traurigen Untertanen" in den Klagegesang des betrübten Schwedens mit ein. Im zweiten Teil erscheint "Der betränte Elbe- fluß" als Allegorie des Domkapitels, um des verlorenen "Schutzherrn" zu gedenken. In direk- ter Anspielung auf den Trauerflor im Dom heißt es in seinem Rezitativ:

Das Haus / da die geweihte Schaar / auf dem geheiligten Altar / An seinem Schutz-Herrn stets gedachte / Wenn es in Andacht GOtt ein Opffer brachte / Ist / da sich seine Stütze hat gebogen / Bereits mit Trauer-Boy bezogen.99

Am Ende erscheint der "Tröstende Himmel" und spendet Hoffnung durch den Hinweis auf die erwählte Nachfolgerin, Karls Schwester Ulrika Eleonora, und den Ehrenplatz, der den König im Himmel erwartet. Der Chor ruft zum Abschluss dem entschlafenen Herrscher ein letztes "Ruhe wohl" nach. Am 22. Juni 1727 verstarb Georg I. von Großbritannien auf dem Schloss seines Bru- ders, des Bischofs von Osnabrück, während einer geplanten Reise von London nach Hanno- ver. Das Domkapitel war sich sicher, dass nach dem Ableben dieses Regenten eine ähnliche Zeremonie wie bei dem Schwedenkönig angemessen wäre. Deswegen wurde die Regierung in

98 Zitiert nach Schröder 1991, S. 71. 99 Boy ist eine Art Flanellstoff, schwarz gefärbt diente er als Trauerschmuck. Siehe die Abbildung einer ge- dämpften Pauke in Reipsch 2010, S. 212, Abbildung 6. 62

Stade über die üblichen Zeremonien in Form von Extracten aus den entsprechenden Protokol- len unterrichtet:

Wie nun solcher hohe Trauer-Fall dem gantzen König-Reich und Churfürstenthumb, auch zu- gehörigen Landen und Provincien, nebst hiesigem Thumb-Capituli und uns dessen Membris, ja einem großen Theil der Welt, höchstschmertzlich und empfindlich fallen muß, so gereicht es je- dem noch zu einem künftigen Trost und mächtiger Auffrischung, dass der königl. Thron von ei- nem so würdigen Successore wiederum bestiegen, der seines Herrn Vaters königl. Mayest. glohrwürdigstem Andenckens angestammter ausnehmende königl. Qualitäte nicht nur zu ver- ewigen, sondern auch der gantzen Welt eclatantes marques davon zu geben. [...] Was die übli- chen Trauer-Ceremonien betrifft, so werden Ew: Excell: und Hoch= Wohlgeb. aus beygehenden Extracten Protocolli Capitularis mehrern Inhalts ersehen, wie bey solchen hohen Trauer-Fällen es hie bevor allemahl gewöhnlich gewesen, und soll von Ew: Excell: und Hoch: Wohlgeb: fern- ermaßen geben, wie unseren gehorsamsten Pflichten nach, mit Läutung der Glocken, Inngehal- ten der Orgel- Kirchen-Music, und Trauer-Bekleidung des Capitular-Gestühls, Cantzel, und ho- hen Chors, ohngesäumt verfahren werde. 100

Gemeinsam mit seinem Textdichter Christoph Gottlieb Wend wurde Mattheson beauftragt, eine formal dem Betrübten Schweden ähnliche Trauermusik zu verfassen. Tatsächlich schufen die beiden mit dem erhaltenen Oratorium ein Werk, das inhaltlich und musikalisch an das Vorgängerstück von 1719 anknüpft, doch in Umfang und künstlerischem Anspruch das ältere Werk weit hinter sich lässt. Doch sollten die Mühen der beiden umsonst bleiben, sieht man ab von dem Honorar, dass ihnen für die erledigte Arbeit vom Domkapitel zuerkannt wurde.101 Die Protokolle des Domkapitels im Hamburger Staatsarchiv berichten von Zwistigkeiten mit der Hannoverischen Regierung in Stade, die über den geplanten Trauerfestivitäten entbrannten.102 Die dortige Be- hörde hatte nämlich einen Termin für die Gedenkveranstaltung im Dom festgelegt und gleich- zeitig den Text, der zu diesem Anlass an Stelle einer Predigt von der Kanzel verlesen werden sollte, vorgeschrieben. Mit Wegfall der Predigt entfiel auch die als Rahmen dienende zweitei- lige Trauermusik. Wegen der verordneten Eile bei der Abhaltung der Zeremonie blieb sogar

100 D-Ha, Cl. 8 Nr. 6 (Dom) 53, Band 3: Missivale des Domkapitels, 1722-1728, S. 542f. (Brief ad Regim. Stad.). 101 D-Ha, Cl. 8 Nr. 6 (Dom), 7 Bd. 15 Protokollbuch des Domkapitels (1719-1728), S. 573 (Sitzung vom 19. September 1727): "Dnus Senior referiret dass er gehabter Comission zufolge sowohl dem H Capell-Meister Mattheson wegen geschehener Composition der vorgesehenen Trauer-Music, als auch dem Verfasser der Po- esie, und zwar dem erstern 50 Mk dem letzteren aber 15 Mk zugestellet wofür sie sich beide bedancket." 102 Ebda, S. 566 (Protokoll vom 9. August), S. 568 (Protokoll vom 18. August) und Missivale des Doms (wie Fußnote 100), S. 552f. (Rechtfertigungsbrief des Domkapitels). 63 die Auskleidung der Chorgestühle und des Altars mit Trauerflor aus. Dies führte nun wiede- rum zu einer Verstimmung der Regierung in Stade. Was aus den Domprotokollen nicht direkt zu erkennen ist, ist die Tatsache, dass der Wegfall der Musik Folge einer Anweisung aus Sta- de war. Mattheson vermerkt auf seiner autographen Partitur (Signatur ND VI 147) : " Auf das / Absterben des / Königes von Großbritannien / Georg I. / --- / so aber von Hannover aus / verboten worden, weil man / die Beisetzung in aller Stille halten wollen " und am unteren lin- ken Rand die enttäuscht-resignative Notiz " nimmer gehört ". Der Grund für diese auf den ersten Blick schwer nachvollziehbare Entscheidung scheint nun mit dem Willen des Verstorbenen selbst zusammenzuhängen: In seinem Testa- ment von 1716 schrieb Georg Ludwig:

Wegen Beerdigung Unseres Cörpers ist Unser Wille, und verordnen wir hiemit, dass derselbe, so bald es nach Unserem Tode füglich wird seyn können, ohne alle unnötige Ceremonien und Gepränge, zumahlen auch ohne vorgängige Exentrierung, Balsamierung oder Exposition in der Stille geschehen solle. 103

Mattheson vermerkte dazu in seiner Autobiographie:

Dem gottseeligen Könige, als Bischofen der bremisch-hamburgischen Kirche, sollte die Be- gängniß im Dom alhier gehalten werden; < Wend machte die Verse u. Mattheson bezahlte sie noie [nomine] Capituli > [handschriftlicher Zusatz Matthesons] Mattheson setzte zu solchem Ende ein starckes Epicedium, und ließ es ausschreiben; 104 allein das hanöversche Ministerium verbat alles Gepränge inständigst, weil es mit der Beerdigung selbst in großer Stille zugegangen war. 105 Neben diesen Überlegungen spielt wohl auch die Tatsache eine Rolle, dass die endgültige Beisetzung des Monarchen in Hannover erst am 8. September stattfand, da zunächst langwie- rige Verhandlungen über das Zeremoniell zwischen London, Hannover und Osnabrück ge- führt wurden. 106 Matthesons Oratorium besteht, wie Das betrübte Schweden , aus zwei Teilen, die vor und nach der Predigt erklingen sollten. Die "Recitierenden Personen" des Stückes sind: Han- nover (Sopran), Britannien (Bass), der Dom (Tenor), das Gerücht (Alt, im zweiten Teil: Bass), die göttliche Vorsorge (Bass). Die Parallele zu dem älteren Traueroratorium ist nicht

103 Winter 1904, S. 272-287, S. 285f. 104 Neben der Partitur war also auch das Aufführungsmaterial schon fertig und vielleicht bereits an die Sänger verteilt worden. 105 Marx 1982, S. 80. 106 Marx 1982, S. 286f. 64 zu übersehen. Auch hier verkündet das "Gerücht" den Tod des Herrschers, den seine Unterta- nen vergeblich von einer Reise zurückerwarten. 107 Mit Trauer und Verzweiflung reagieren Hannover und Britannien, auch der Hamburger Dom beweint seinen "Bischof". Im zweiten Teil, der von dem Choral "Wer weiß wie nahe mir mein Ende" eingeleitet wird, tritt als trös- tende Stimme die "göttliche Vorsorge" auf. Ein Trompetentusch kündigt die erneute Ankunft des Gerüchtes an, das die Thronbesteigung von einem "würd'gen Sohn", also Georg II., und den triumphalen Einzug der Seele des Verstorbenen im Himmel verkündet, der von dem Klang einer "angenehmen Trauer-Glocke" begleitet wird. Wie an der folgenden Übersicht über Handlung und Verlauf der beiden Werke zu se- hen ist, scheint sich Wend direkt an dem Vorgängerwerk von 1719 orientiert zu haben.

Tabelle IV.1 Vergleich des Ablaufs der Trauermusiken für Karl XII. und Georg I. Das betrübte Schweden Oratorium auf das Absterben... Georgs I. Rollen: Rollen:

Fama (Bass) Das Gerücht (Rumour) (/Bass) Das Verhängnis (Bass) Hannover () Das betrübte Schweden (Soprano) Britannien (Bass) Der bethränte Elbfluß (Tenor) Der Dom (Tenor) Der tröstende Himmel (Soprano) Die göttliche Vorsorge (Bass) Chor der traurigen Untertanen Chor (nicht spezifiziert)

Teil 1 Teil 1 1. Sinfonia und Trauerchoral 1. Sinfonia + Trauerchoral "Ach wie nichtig, ach wie flüchtig" "Ich hab' vor mir ein' schwere Reis'"

Schweden hört von Ferne das Echo der Trauergesän- Der König befindet sich auf einer Reise von England ge widerhallen und fragt, von dunklen Vorahnungen nach Hannover, letzteres erwartet ihn voller Sorge: geplagt, Fama über den Grund dieser Klagen aus: (Aria "Ach eile doch, Geliebter") (Aria "Meine leidensvolle Seele"). Britannien beklagt sich dagegen über die vorüberge- Als Fama mit dem Bericht über die traurige Nach- hende Trennung von seinem Herrscher und wünscht richt ansetzen will, versucht das Schicksal, sie noch ihm eine glückliche Reise. zurückzuhalten, da es ahnt, dass Schweden durch (Aria "Schiffe mit geneigten Winden") diese Neuigkeit untröstlich sein wird. Beide werden dabei von düsteren Vorahnungen ge- (Duett Fama / Verhängnis "Ich fliege und eile / Ach plagt eile mit Weile") (Recitativo a due) Schließlich berichtet Fama trotzdem von dem Tod Der Klang der Trompete des Gerüchts erschallt. Der des Königs: gedämpfte Klang des Instrumentes lässt eine Un- (Aria "Seufzet trauret tapfre Schweden") glücksbotschaft erahnen:

107 In den Rezitativen der beiden Allegorien wird häufiger auf das Problem der Personalunion angespielt, indem sie sich über die seltene Anwesenheit des Herrschers beklagen, eine äußerst konkrete Anspielung auf die rea- len Zustände, verglichen mit den üblichen generischen Kasualdichtungen der damaligen Zeit. Das betrübte Schweden verzichtete wohl auch angesichts einer problematischen Herrschergestalt wie Karl XII. noch be- wusst auf solche personenbezogenen Details. 65

(Aria "Betrübte Todespost erschalle") Im folgenden Rezitativ wird der Tod des Königs verkündet. Schweden beklagt seinen Verlust. Britannien und Hannover reagieren verzweifelt und (Aria "Matte Seufzer, heiße Thränen"). traurig: Es beschließt, dem König in den Tod zu folgen, das (Aria Britannien "Auf nimmer wiedersehen" und Verhängnis versucht, Trost zu spenden: Aria Hannover "Meine Sonne geht zu Rüste") (Aria "Besinne dich geliebtes Schweden") Der Dom tritt auf und fällt in die allgemeinen Kla- Der Chor der Untertanen verfällt in tiefe Trauer, er gen ein: glaubt, dass er über diesen Verlust nie hinwegkom- (Aria "Echte Perlen heißer Thränen") men wird: Das Gerücht beurteilt die Klagen als angemessen (Chor "Unser Jammer, unsre Klagen", eine Tutti- und fordert die Untertanen auf, einen allgemeinen Wiederholung der Arie „Matte Seufzer“) Trauergesang anzustimmen. (Chor "Brecht vollends nur")

Teil 2 Teil 2 Die Nachricht vom Tod des Königs haben auch den Trauerchoral "Wer weiß wie nahe mir mein Elbfluss erreicht Ende" (Aria "Lispelt sanft beperlte Fluten") Die Göttliche Vorsorge erscheint und fordert die Mit dem Tod des Königs verliert der Hamburger Untertanen auf, die Klagen einzustellen: Der ver- Dom seinen Bischof. Schweden und der Elbfluss storbene König, dessen Tod durch himmlischen beklagen nun gemeinsam ihren Verlust. Dabei wer- Ratschluss feststand, wird sicher gen Himmel gelei- den sie jedoch vom tröstenden Himmel unterbrochen, tet werden. der die Nachricht überbringt, dass bereits ein Nach- (Accompagnato und Aria "Schweigt nur und haltet folger für den schwedischen Thron erwählt wurde. stille") Trotzdem setzen die beiden ihre Klagen fort Trotz dieses Einwandes der Vorsorge hadern Britan- (Duett "Meinen überhäuften Thränen") nien, Hannover und der Dom mit ihrem Schicksal, Das Verhängnis versichert jedoch, dass Raum für ihre Klagen steigern sich dabei immer mehr: neue Hoffnung sei: (Accompagnato und Aria Britannien "Grausamkeit (Aria "Ergeistert das Herze"). erzürnter Blitze", Accompagnato und Aria Hannover "Unvergleichlich ist mein Kummer", Accompagnato Der tröstende Himmel ermahnt sie schließlich, dass und Aria Dom "Füllt die Luft betrübte Klagen") es ihre Pflicht sei, ihr übermäßiges Trauern einzustel- Doch nun werden sie von der Vorsehung unterbro- len, da der König einen ewigen Aufenthalt im Him- chen: Sie verkündet, dass mit dem Sohn des Königs mel gefunden habe und dort erneut gekrönt wird: ein würdiger Nachfolger den Thron besteigen wird, sie sollen darum ihre Thränen trocknen und den (Aria "Stopft den trüben Thränen-Brunnen") Ratschlüssen des Himmels vertrauen. (Aria "Wischt die Thränen vom Gesichte) Nun erscheint das Gerücht erneut mit einem Trom- peten-Tusch: Georg II., der neue König, wurde ge- krönt, gleichzeitig zieht sein Vater triumphierend im Himmel ein. Diese Kunde wird auf Erden durch allgemeines Glockengeläut begleitet. (Accompagnato, Aria "Angenehme Trauerglocke") Zwar ist der Verlust des Königs für Hannover, Bri- tannien und den Dom weiterhin schwer zu tragen, doch ergeben sie sich ihrem Schicksal und zollen dem Herrscher einen letzten Tribut. Schweden ergibt sich daraufhin dem Schicksal, (Arioso-Terzett "Mein König, Ach! Mein Kurfürst stimmt aber noch ein letztes Mal mit seinem Volk und mein Herr") einen ergreifenden Abschiedsgesang für den König Daraufhin stimmt der ganze Chor einen letzten Ab- an: schiedsgesang an: (Chor "Ruhe wohl entschlafner König") (Final Chorus "Schlaf theures Haupt", musikalische Wiederholung des Abschlusschors von Teil 1) 66

Die Vorbildfunktion von G. W. Heros Text für die spätere Dichtung lässt sich auch an einigen textlichen Parallelen feststellen:

Das betrübte Schweden Trauermusik für Georg I. Aria 19. Der tröstende Himmel. Aria 25. Die göttliche Vorsorge

Stopft den trüben Thränen-Brunnen Wischt die Thränen vom Gesichte Der bisher gequollen hat. Hemmt der Seufzer klammes Ach! Laßt euch nicht mehr trostlos finden, Der Himmel wird es fügen, Eure Wunden zu verbinden Euch folgt ein neu Vergnügen Schafft der Himmel selber Rath.

Schlusschor 21: Schlusschor 29:

Ruhe wohl, entschlafner König, Schlaf theures Haupt in deiner Höhle, Bis dich Gott einst wieder weckt, Du bleibst in uns'ren treuen Seelen nie g'nug beklagt, nie g'nug gepreist. Läßt man gleich den Leib versenken Weil uns die Augen offen stehen Bleibet doch dein Angedenken Soll nicht bei uns dein Ruhm vergehen, Uns und aller Welt entdeckt. Wir wollen unsre Kinder lehren, Des Enkels Enkel soll es hören Wie lieb du uns gewesen seist.

Besonderer auffällig an Matthesons Partitur ist die farbenreiche Orchestrierung, mit Travers- und Blockflöten, Oboen, Fagotten, 2 gedämpften Trompeten, Pauken, Streichern sowie einem Glockenspiel. Die chorischen Rahmensätze werden von den obligatorischen gedämpften Trompeten und Pauken begleitet. Durch die Holzdämpfer erklingen die Trompeten einen Ganzton höher, wodurch die Chorsätze, aber auch die Arie des Gerüchtes im ersten Teil, die von einer Solo-Trompete begleitet wird, in der ungewöhnlichen Tonart E-Dur stehen. 108 Eine weitere Besonderheit ist die große Bandbreite an verschiedenen Tonarten, die Mattheson zur Darstellung extremer Affekte heranzieht. In keiner anderen Komposition Matthesons scheint seine berühmte Tonartencharakteristik aus dem Neu-eröffneten Orchestre auf solch bemerkenswerte Weise umgesetzt zu sein. 109

108 Mattheson beschreibt diese Technik anschaulich im Neueröffneten Orchestre (= Mattheson 1713), S. 266: "Wenn man die so genandten Sordinen, (welche kleine ausgehölte Höltzgen sind) unten in die Trompeten stecket / so klingen sie gantz sanffte / als wenns von weiten gehöret würde / und dabey um einen Tohn höher / welches im Cammer-Tohn e.dur ist / und einen unvergleichlichen Effect, sonderlich bey Trauer-Geprängen hat [...]". 109 Mattheson 1713, S. 236-251. 67

Der einleitende Choral "Ich hab vor mir ein schwere Reis" verwendet zwei Strophen des bekannten Begräbnisliedes "O Jesu Christ meins Lebens Licht". Die ersten beiden Cho- ralzeilen der zweiten Strophe erklingen dabei als "Fuga in conseguenza" 110 (Themeneinsätze im gleichen Abstand und im Einklang) von vier gleichhohen Stimmen a capella vorgetragen, ein merkwürdiger Kontrast zu der festlichen Tutti-Besetzung des restlichen, einfach homo- phon gesetzten Choralsatzes (Notenbeispiel IV.1).

Notenbeispiel IV.1: Trauermusik für Georg I., Eingangschoral, Takt 43

Die erste Arie Hannovers ist ein Satz in e-moll 111 im raschen Gigue-Rhythmus, begleitet von Violinen und Blockflöten unisono; die folgende Arie Britanniens wird von einem dreistimmi- gen Satz aus Violinen und Oboen unisono, Violen und Basso continuo begleitet. Nach der Trompetenarie für das Gerücht wechselt Mattheson für die nächsten beiden Arien, die die Reaktion Britanniens und Hannovers auf die traurige Nachricht wiedergeben, in die entfernt liegenden b-Tonarten c-moll und f-moll. Die fahle Stimmung der Sopranarie "Meine Sonne geht zur Rüste" wird durch den Einsatz von Violen und Fagotten unisono unterstrichen, die Singstimme wird von einer Solo-Oboe colla parte mitgespielt. Zärtlich-melancholische Töne stimmt der nun zu den handelnden dazutretende Dom mit einer A-Dur Arie im 6/8-Takt an, die von vierstimmigen Streichern, verdoppelt durch zwei Traversflöten, begleitet wird.

110 Mattheson scheint in diesem Jahr besonderes Interesse an dieser Satztechnik gehabt zu haben: Der zweite Teil seines Oratoriums zum 5. Sonntag nach Trinitatis Der gegen seine Brüder barmhertzige Joseph (Partitur D-Hs ND VI 146) beginnt sogar mit einer kompletten Choralbearbeitung für vier Tenorstimmen a capella als "Fuga in conseguenza". 111 Mattheson schreibt zu dieser Tonart: „pensif, tieffdenckend / betrübt und traurig […] doch so / daß man sich noch dabei zu trösten hoffet“ (Mattheson 1713, S. 239). 68

Der zweite Teil wird von dem Choral "Wer weiß wie nahe mir mein Ende" eröffnet, der eine transponierte und durch Trompeten und Pauken ergänzte Bearbeitung eines Choral- satzes aus dem Oratorium Die göttliche Vorsorge über alle Creaturen von 1718 darstellt (dort mit dem Text „Was helfen uns die schweren Sorgen“, eine Strophe aus dem Lied „Wer nur den lieben Gott lässt walten“). Bei dem Textabschnitt „Ach, wie geschwinde, wie behende“, der Wiederholung des Stollens, der in der Vorlage notengetreu wiederholt wurde, diminuiert Mattheson nun den Beginn der Melodie und läßt dabei den unbegleiteten Sopran mit den Un- terstimmen und dem Orchester alternieren, um die Worte „wie geschwinde“ zu illustrieren, nachdem das „Ach“ als abgetrennte exclamatio vorausgestellt wurde. 112 Als Besonderheit des zweiten Teils fallen die zahlreichen Accompagnato-Rezitative auf, die den Worten der in diesem Teil neu auftretenden "göttlichen Vorsorge" besonderes Gewicht verleihen, die aber auch die intensiven Affekte der Trauer und des Schmerzes der übrigen Personen unterstreichen. Die tröstende Arie der Göttlichen Vorsorge, "Schweigt nur und haltet stille" wird von Traversflöten und Violinen unisono, Violen und pizzicato-Bässen, also einem dreistimmigen Satz, begleitet. Über weite Strecken wird die Gesangsstimme nur von der obligaten Viola-Stimme begleitet, während die instrumentale Oberstimme aussetzt. Die Arie Britanniens in h-moll "Grausamkeit erzürnter Blitze" mit der besonderen Tempoan- weisung grave e sdegnato drückt Trotz und Wut über die Grausamkeit des Schicksals aus, hier begleitet wieder das vollstimmige vierstimmige Streichorchester. Die satztechnisch und harmonisch komplexe Adagio-Arie für Hannover in der seltenen Tonart fis-moll "Unver- gleichlich ist mein Kummer" verlangt wieder Traversflöten und Violinen unisono, Violen und Basso continuo. Der Dom stimmt erneut mit in die Klagen ein, über einem Klangteppich aus mehrfach geteilten Streichern treten in der Arie "Füllt die Luft betrübte Klagen" obligat ge- führte Blockflöten hervor und verbinden sich mit der Singstimme zu einem wehmütigen zweistimmigen Gesang (Notenbeispiel IV.2).

112 Vermutlich fügte Mattheson den Choral noch einmal 1764 in sein Fröhliches Sterbelied ein, in dessen Lib- retto der Text abgedruckt ist. In den Skizzen zu diesem Werk fehlt die Musik zu diesem Satz. (vgl. Marx 1983 2, S. 233). 69

Notenbeispiel IV.2: Trauermusik für Georg I., Arie „Füllt die Luft betrübte Klagen“, Takt 6ff.

Im 6/8-Takt in g-moll tröstet die Vorsorge zu den Worten "Wischt die Thränen vom Gesich- te", begleitet von Oboen und Violinen unisono, aus denen sich abwechselnd eine Oboe und eine Violine als Soloinstrument herauslösen, Violen und Basso continuo. Die göttliche Auto- rität wird durch die kontrapunktisch komplexe Anlage des Satzes unterstrichen: das Ab- schlussritornell des A-Teils arbeitet mit einem kunstvollen doppelten Kontrapunkt zwischen Oberstimme und Bass: Das mit einem Sextsprung beginnenden Bass-Motiv und die fallenden Sechzehntelfiguren der Violinen und Oboen (Takt 43-45) werden in Takt 47-49 „vertauscht“ (Notenbeispiel IV.3).

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Notenbeispiel IV.3: Trauermusik für Georg I., Arie „Wischt die Thränen vom Gesichte“, Takt 39

Im B-Teil der Arie entspinnt sich sogar ein regelrechter Kanon zwischen Sing- und Instru- mentalstimme, der das im Text geschilderte „Nachfolgen“ illustriert (vgl. Notenbeispiel IV.4, Taktt 55ff.).

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Notenbeispiel IV.4: Trauermusik für Georg I., Arie „Wischt die Thränen vom Gesichte“, Takt 51

Das Accompagnato des Gerüchtes – in der Partitur ist die Partie von nun an im Bassschlüssel notiert, was auf eine kurzfristige Besetzungsänderung für die letztendlich ausgefallene Auf- führung hinweist – wird von einer Trompetenfanfare eingeleitet, nun ungedämpft in der kö- niglichen Tonart D-Dur, womit die Krönung Georgs II. angekündigt wird. Die folgende Glo- ckenarie ist das klanglich ungewöhnlichste Stück der Partitur. Die Begleitstimmen der Pizzi- cato-Streicher werden von einem „Carillione“ mitgespielt, einem mit Klaviatur versehenen Glockenspiel, das Mattheson auch in anderen Werken einsetzte. 113 Ein dreistimmiges Rezita- tiv-Arioso – nach Matthesons Terminologie handelt es sich bei dem kurzen Satz am ehesten um eine Cavata – leitet über zum Schlusschor, der musikalisch identisch mit dem Chor am Ende des ersten Teils ist, dessen Text in der Partitur nicht vollständig überliefert ist – nach dem Scheitern der geplanten Aufführung sah Mattheson vermutlich keinen Sinn mehr darin, den Text nachträglich in die Gesangsstimmen der Partitur einzutragen. Reizvolle Echo-

113 Die Idee, Carillon und pizzicato-Streicher zur Imitation von Trauerglocken einzusetzen, begegnete bereits in dem Oratorium Chera, die leidtragende und wieder getröstete Witwe zu Nain von 1716, vgl. hierzu den fol- genden Abschnitt V. „Das Glockenspiel in Johann Matthesons Oratorien für den Hamburger Dom“ in diesem Band. 72

Effekte (vgl. Notenbeispiel IV.5) charakterisieren den schlichten, homophonen Satz, der mit einem pianissimo-Schluss endet, in dem nur noch die Gesangsstimmen a capella zu hören sind.

Notenbeispiel IV.5: Trauermusik für Georg I., Schlusschor, erster Einsatz der Singstimmen Takt 5

Welchen Zweck verfolgten solche repräsentativen barocken Trauermusiken? Dienten sie al- lein dem Ziel, Loyalität gegenüber dem verstorbenen Herrscher zu demonstrieren? Mattheson schrieb 1728, ein Jahr nach der Komposition seines Oratoriums, in seinem Musicalischen

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Patrioten einen längeren Abschnitt über das Thema der Trauermusiken in Kirchen, wobei er scharf gegen das an zahlreichen Orten angeordnete Verbot von Figuralmusik und Orgelspiel nach nationalen Trauerfällen polemisierte. Wie so häufig in seiner Argumentation, beruft er sich auch an dieser Stelle wieder auf das Alte Testament als Zeugen.

[...] nun komt die Reihe an ein Epicedium, an ein Trauer-Stück, davon es 2. Paral. XXXV. so lautet: Und Jeremias klagte Josia, und alle Sänger und Sängerinnen redeten , (das ist: sie musi- cirten; nam per musicam pulchre loquitur. Cassiod.var.Epist.L.II. Epist. 40.) ihre Klagelieder über Josia, bis auf diesen Tag, und machten eine Gewohnheit daraus in Israel. In dem Christlichen Israel scheinet diese gute Gewohnheit nach gerade so abzukommen, daß man auch die besten Könige, schier ohne Gesang und Klang, zu beerdigen anfängt. [....] Die meisten Menschen stehen in dem falschen Wahn, die Musik sei zu nichts anders in der Welt nutz, als die Leute lustig zu machen, und zwar lustig, auf eine ausschweifende Art.[....] Ver- stünden nun die Menschen, was durch bewegliche Töne und Dissonantien für betrübte Wirckungen hervor gebracht werden können, und wollten denn ja ihrer Traurigkeit mit allem Fleiß den Zügel schiessen lassen, so würden sie nirgend ein bequemers Mittel dazu finden, als in einem Lamento, das gar füglich auch den allerruchlosesten die Thränen aus den Augen pres- sen kann. 114

Gelungene Aufführungen von Trauermusiken haben für Mattheson also eine geradezu thera- peutische Wirkung, der Hörer soll durch sie zu zusätzlicher Trauer und Mitleiden angeregt werden, wobei die kollektive Erfahrung in einer größeren Gemeinschaft den Effekt noch ver- stärkt. Wie ein Kommentar zu den Ereignissen um die Absage der Trauermusik klingt sein abschließender Satz zu diesem Thema:

Eine hertz-bewegende Trauer-Music, und ein den Egyptischen Pyramiden an Dauer gleichendes Mausoleum, verewigen den glorreichen Namen eines gutthätigen Regenten viel besser, als die jämmerliche Versperrung des Chors und Orgelwercks. 115

Nachweis: Dieser Beitrag ist die stark erweiterte und durch Notenbeispiele ergänzte Neufassung des Aufsatzes: Johann Matthesons Oratorium „auf das Absterben des Königs von Großbritannien Georg I.“ , in: W. Schult / H. Verkerk (Hrsg.), „England und Deutschland. Beiträge zur Musikfor- schung“ (= Jahrbuch der Bachwochen Dill 2002), Haiger 2002, S. 11-20.

114 Mattheson 1728, S. 81-82. 115 Mattheson 1728, S. 85. 74

V. Das Glockenspiel in Johann Matthesons Oratorien für den Hamburger Dom

Während seiner Zeit als Musikdirektor des Hamburger Doms 1715 bis 1728 schuf Johann Mattheson eine Reihe von Oratorien für den Gottesdienst, in denen er exemplarisch sein Ideal einer theatralischen Kirchenmusik umzusetzen trachtete. Zu den instrumentalen Besonderhei- ten einiger dieser Werke gehört der ungewöhnliche Einsatz von Glockenspiel-Instrumenten. In insgesamt vier seiner Oratorien verlangt Mattheson nach einem Glockenspiel. Inte- ressanterweise differieren, wie an den folgenen Beispielen gezeigt wird, die Benennungen dieses Instrumentes von Werk zu Werk, ein Zeichen dafür, dass es sich für Mattheson noch um ein ungebräuchliches, nicht fest etabliertes Instrument handelte. Neben Mattheson setzten auch Reinhard Keiser und Georg Philipp Telemann dieses Instrument in Kirchenkompositio- nen ein, auch in ihren Werken werden wiederum andere Bezeichnungen gewählt. Trotzdem ist anzunehmen, dass alle drei Komponisten das gleiche Instrument zur Verfügung hatten. Reinhard Keiser nannte das Glockenspiel in seinem Oratorium Der siegende David „Spinetto di campanelle“ (also „Glöckchenspinett“), 116 Telemann verlangt in seiner Osterkantate von 1723 So du mit deinem Munde bekennest Jesum TVWV 1:1350 „Campanelli“. Da die Kantate auch in Eisenach erklang, könnte es auch dort solch ein Instrument gegeben haben; denkbar ist allerdings auch, dass das Glockenspielregister der Orgel in der Eisenacher Georgenkirche, in der die Kantate erklang, für die obligate Campanelli-Partie herangezogen wurde. 117 Im Folgenden sollen die Glockenspiel-Sätze aus den vier Werken Matthesons vorgestellt werden und untersucht werden, wie das Instrument von dem Komponisten eingesetzt wird.

Das älteste zu betrachtende Werk ist das für den 16. Sonntag nach Trinitatis bestimmte Orato- rium Chera oder die Leidtragende und wieder getröstete Witwe zu Nain von 1716. 118 Wie fast alle Hamburger Kirchenoratorien ist Chera ein zweiteiliges Werk, dessen zwei Abschnitte vor und nach der Predigt erklangen. Typisch ist die Wiederholung des Cho- ralsatzes vom Ende des ersten Teils als Eröffnungssatz des zweiten Teils, wodurch die Predigt von zwei identischen Choralsätzen eingerahmt wird.

116 Vgl. Koch 1999, S. 67. 117 Claus Oefner verdanke ich den Hinweis, dass die Orgel der Georgenkirche, in der die Kantate in Eisenach erklang, ein Glockenspielregister besaß, das für die obligate Partie in dieser Kantate herangezogen werden konnte. 118 Autographe Partitur in D-Hs, ND VI 123, vgl. auch Abschnitt III.2 in diesem Buch. 75

Chera behandelt die Perikope des 16. Sonntags nach Trinitatis, das Wunder der Erweckung des Jünglings von Nain (Lukas 7, 11-16). Der erste Teil endet nach den Klagen der Witwe, der Protagonistin des Oratoriums, mit dem Trauerchoral Nun lasst uns den Leib begraben , der laut Libretto und Partitur von den Leichenträgern angestimmt wird, die den Leichnam des Sohnes zum Grab tragen. Mattheson vermied in seinen Oratorien schlichte Kantionalsätze, auch in diesem Fall schreibt er eine kunstvolle Choralbearbeitung mit instrumentalen Zwischenspielen. Zum Chor tritt ein vierstimmiges Streicherensemble; das Mitwirken eines Glockenspiels wird durch einen eingeklammerten Satz am Ende der ersten Akkolade angezeigt: „ (Das Accompagnement kann mit dem Glockenspiel, vulgo Strohfiddel, verstärket werden und wird dazu die oberste Stimme nebst dem Bass ausgezogen.) “ (Vgl. Abbildung V.1). Es sollte also eine Art Klavierauszug aus erster Violine und Bass für den Spieler des Glockenspiels erstellt werden. Interessant ist die Instrumentenbezeichnung Strohfidel, die darauf hinweist, dass Mattheson tatsächlich ein Stabspiel (wie das moderne Glockenspiel oder Celesta) und kein Instrument mit schalenförmigen Glocken meinte. Wegen des großen Umfangs (A-g‘‘‘) muss aber bereits ein Instrument mit Tastatur gemeint gewesen sein. Ein Blick in Matthesons Neu-eröffnetes Orchestre bestätigt diese Annahme. Es heißt dort im § 13 im Kapitel zu den Musicalischen Instrumenten :

Was die gewaltigen Glockenspiele anlanget, so kann man dieselben wol kaum unter die Musicalischen Instrumente mitrechnen, man möchte denn ihren Bastards, welche von Eisen oder Holtz Clavier-weise gemacht, und wo mir recht, Strohfiddeln genandt werden, ein Räumchen gönnen wollen; allein ihr Usus ist sehr geringe. 119

119 Mattheson 1713, S. 273f. 76

Abbildung V.1: Chera , Autograph D-Hs, ND VI 116, Choral „Nun lasst uns den Leib begraben“

Die Verwendung eines Glockenspiels in einer Trauermusik ist in der protestantischen Ba- rockmusik durchaus zu erwarten. Man vergleiche die früher Johann Sebastian Bach zuge- schriebene Trauer-Arie Schlage doch gewünschte Stunde BWV 53 (vermutlich ein Werk von Georg Melchior Hoffmann), in der solch ein Instrument, als Campana bezeichnet, verlangt wird. Mit dem Instrument soll der Glockenschlag, der die erwartete Todesstunde des Beten- den begleiten wird, dargestellt werden. Bach und andere Komponisten der Zeit verwenden häufig das Streicher-Pizzicato, um solch einen Glockenklang zu imitieren, besonders ein- drucksvoll etwa am Ende des Alt-Rezitativs „Der Schluss ist schon gemacht“ aus der Kantate Komm du süße Todesstunde BWV 161 bei der letzten Textzeile „So schlage doch, du letzter

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Stundenschlag“. 120 In dem Choralsatz Matthesons werden nun pizzicato-Klang und ein echtes Glockenspiel kombiniert, wobei in den Zwischenspielen als Imitation des Trauergeläuts Quintsprünge auf den leeren Saiten erklingen, die das Glockengeläut einer Kirchenuhr imitie- ren.

Das Weihnachtsoratorium Der verlangte und erlangte Heiland ist das einzige Oratorium Matthesons, das nur aus einem Teil besteht. 121 Er führte es am 3. Weihnachtsfeiertag 1718 als Musik vor der Predigt zusammen mit dem 1716 entstandenen doppelchörigen Magnificat im Dom auf, wie durch eine Anzeige im Hamburgischen Relations-Kurier belegt ist. 122 Es handelt sich bei diesem textlich eher adventlich als weihnachtlich gehaltenen Stück um einen Dialog, in dem alttestamentliche Figuren die Ankunft des Heilands herbeisehnen und voraussagen. Das Personal des Oratoriums setzt sich aus Sulamith, der Geliebten aus dem Hohelied, König David, Asaph, einem der drei Chorleiter unter König David, der als Verfas- ser mehrerer Psalmen gilt, sowie dem personifizierten Zion zusammen. Der biblischen Figur des Asaph widmete Mattheson ein paar Jahre später in seiner Schrift Der musicalische Patriot besondere Aufmerksamkeit:

Das Hauptinstrument des Assaphs, mit welchem er zugleich dirigierte, waren ein paar eherner Cymbeln oder Glocken, helle zu klingen. Man lieset, [...] dass die eine solcher Glocken mit einer Gegen-Glocke gespielet werden, welches zwei weite und ziemlich große Gefäße von Kupfer gewesen sind, die künstlich an- und aufeinander geschlagen wurden, und zwar solcher Gestalt, dass [...] auch der Ton hoch oder niedrig, halb oder gantz geklungen, und so stark geschallet hat, dass der ganze Chor, von hundert und etlich fünfzig Personen, seinen Haupt-Baß und sein Fundament daran gefunden. 123

Asaph singt in dem Oratorium eine Arie, nachdem der groß besetzte Psalm-Chorsatz Machet die Tore weit zum ersten Mal erklungen ist. Der Text der Arie lautet:

Bewegt euch ihr Zungen der heiligen Sayten, stimmet zuhauff. Ehre, Psalter, Harffenklang, wachet auff!

120 Eine ähnliche Sterbeglockenimitation findet man auch in Bachs Orgelwerk, und zwar in BWV 768, Var. 7, wie bei Clement 1989, S. 136 unter Hinweis auf BWV 73.4, 83.1, 95,5 105.4 und 127.3 gezeigt wurde. 121 Autographe Partitur in D-Hs, ND VI 120. 122 Siehe die tabellarische Übersicht über die Oratorienaufführungen: Tabelle I.1, S. 28ff. 123 Mattheson 1728, S. 68. 78

Mein erfreuter Lobgesang soll itzo den König der Ehren begleiten.

Asaph tritt hier als Vorsänger des Chors der Tempelsänger auf, der diese zum Gesang und zum Spielen auffordert. Nach der Arie setzt entsprechend eine Wiederholung des Chorsatzes ein, erweitert durch Alt-Soli, die der Rolle Zions zugewiesen sind. Mattheson setzt in der Arie das im obigen Zitat erwähnte klangliche Attribut Asaphs, die Glocken, ein. In der bewegt vertonten Arie wird die Solostimme von den Unisono- Violinen und dem Continuo begleitet. Über der Violinstimme steht dabei die Angabe mit dem Stählern Geläut , wobei nicht klar ist, ob, wie im Falle des Chera -Chorals, ein Auszug aus Violinstimme und Bass gespielt werden soll, oder ob ausschließlich die Oberstimme zu ver- doppeln ist (siehe Abbildung V.2). Auffällig ist die idiomatische Faktur der Stimme mit ihren gebrochenen Akkorden, die typisch für zeitgenössische Carillon-Sätze sind. Der Ambitus des Glockenspiels im Satz beträgt 4 Oktaven (D-d3) in der zweistimmigen Aufführungsvariante bzw. 2 Oktaven (c 1-d3) bei der einstimmigen Version.

Abbildung V.2: Johann Mattheson, Der verlanget und erlangte Heiland (D-Hs, ND VI 120), Arie des Asaph

Die Assoziation mit alttestamentlichem Musizieren und dem Klang des Glockenspiels als Imitation der hebräischen Cymbeln begegnet 20 Jahre später wieder bei Georg Friedrich Hän- del, der das Instrument in seinen Oratorium Saul zur Begleitung der israelitischen Jungfrauen einsetzt, die Davids Sieg über Goliath feiern. Durch den Librettisten Charles Jennens wissen

79 wir, dass das Instrument eine Neuheit in England war. Händel nannte das Instrument halb scherzhaft „Tubal-Cain“, was sich auf die biblische Gestalt eines Sohnes des Kain bezieht, der als Erfinder des Schmiedehandwerks gilt, während sein Bruder Jubal der erste Musiker war. 124 Im Mittelalter war die Legende von Tubal-Cain verbreitet, der durch das Schlagen auf seinen Amboss verschiedene gestimmte Töne erzeugen konnte, hier liegt vermutlich auch der wahre Hintergrund der Bezeichnung „Harmonious Blacksmith“ für das bekannte Air mit Va- riationen aus Händels E-Dur Suite HWV 430. 125

Die umfangreichste Partie für Glockenspiel begegnet uns in Matthesons 1718 entstandener Brockes-Passion. 126 An insgesamt drei Stellen verlangt Mattheson das hier als Carillione be- zeichnete Instrument. Die Brockes-Passion ist das einzige Stück Matthesons, in dem das Glo- ckenspiel tatsächlich konzertierende oder zumindest obligate Funktion übernimmt und nicht nur als Collaparte-Instrument mit den Streichern eingesetzt wird. Zunächst erklingt es als obligates Begleitinstrument der 2. Strophe einer Arie der Tochter Zion in der Abendmahl-Szene, Gott selbst der Brunnquell .127 (Abbildung V.3) Mattheson verlangt, dass sowohl die instrumentale Oberstimme, als auch der Bass von dem Carillon und den Cembali unisono gespielt werden, weitere Instrumente sind an der Beglei- tung nicht beteiligt. Da in der Arie der Wein als Symbol des Blutes Christi behandelt wird, soll vermutlich der silbrige Klang dieser Instrumentenkombination dazu dienen, das Fließen des Blutes klangmalerisch darzustellen.

124 Smith 2007, S. 173-178, siehe auch die spätmittelalterlichen ikonographischen Darstellungen in dem Arti- kel, S. 176/177. 125 Smith 2007, S. 175. 126 Autographe Partitur D-Hs, ND VI 130. 127 Die musikalisch identische erste Strophe ist hingegen für Violinen und Blockflöten unisono und Basso con- tinuo instrumentiert. 80

Abbildung V.3: Brockes-Passion , Autograph D-Hs, ND VI 130, Beginn der Arie „Gott selbst der Brunnquell“, Autograph

Wie in Chera , verwendet Mattheson auch in der Brockes-Passion zwei Strophen eines Cho- rals ( Ach Gott und Herr wie groß und schwer bzw. Lief ich gleich weit zu dieser Zeit ), um das Ende des ersten und den Beginn des zweiten Teils zu markieren (dies stellt eine Änderung gegenüber der Originaldichtung Brockes‘ dar, der hier nur eine Choralstrophe vorgesehen hatte). An dieser Stelle wird der Carillon nun als konzertierendes Instrument eingesetzt, das in den Zwischenspielen zwischen den verzierten Choralzeilen hervortritt. Die synkopierende Verschiebung zwischen rechter und linker Hand, die in parallelen Oktaven oder Terzen ver- laufen, soll vermutlich einen besonders flirrenden Klang erzeugen, wie man ihn von Zim- belsternen an Orgeln kennt. Geradezu virtuos ist die Carillon-Partie im homophonen, aber in einen tänzerischen 6/8-Takt umryhthmisierten Schlusschoral Mein‘ Sünd‘ mich werden kränken sehr gestaltet, das Instrument tritt dabei in den konzertierenden Zwischenspielen mit perlenden Figurationen hervor, auf deren motivische Verwandtschaft mit Johann Sebastian Bachs Orgel-Pastorale BWV 590 bereits in der Literatur hingewiesen wurde.128 Nachträglich hat Mattheson für die Arie Gott selbst der Brunnquell eine Alternativbesetzung genannt: Mattheson fügte sowohl über der Oberstimme als auch über dem Bass seiner Partitur über die Bezeichnung Carillon noch den Zusatz Verillon ou... ein, wobei leicht zu erkennen ist, dass es sich um einen späteren Zusatz handelt. Vermutlich stand ihm dieses Instrument bei späteren Aufführungen zur Verfügung; tatsächlich sind Auftritte von Musikern mit einem derartigen Glasinstrument in Hamburg belegt. Der Verillon erscheint als obligates Instrument in einer Serenata von Gottfried Heinrich Stölzel für den

128 Frederichs 1975, S. 193. 81

Sondershauser Hof und wird in Johann Gottfried Walthers Lexikon sowie in Eisels Musicus autodidaktos (Erfurt 1738) beschrieben, so dass er zumindest in Mitteldeutschland bekannt war.129 Für alle drei Sätze gibt es im Nachlass Mattheson eine in Klaviernotation geschriebene Carillon-Stimme (Signatur Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: f, Abbildung V.5), die vermutlich bei der Aufführung verwendet wurde und die mit der Carillon-Partie des Partiturautographs identisch ist. Daneben befindet sich im Nachlass noch eine weitere, völlig unbezeichnete Stimme, die Hans Joachim Marx als Alternativ-Stimme für die drei Carillon-Sätze der Brockes-Passion identifizieren konnte (Signatur Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: k, Abbildung V.6). 130 Diese Stimme ist nur auf einem System im Diskantschlüssel notiert, der Ambitus ist auf zwei Oktaven reduziert, wobei die Basslage völlig ausgespart bleibt. In der Arie wurde an Stelle der Klaviernotation aus Oberstimme und Bass eine völlig neue einstimmige Begleitstimme entwickelt, die Elemente der Bassstimme und der Oberstimme vereint, dabei auch Akkordbrechungen verwendet, so dass sie als solistische Bassettchen-Begleitstimme gedient haben könnte.

129 Vgl. Ahrens 2003, S. 31-39. Hier auch der Hinweis auf Telemanns Kapitänsmusik von 1724, in der eben- falls ein Verillon zum Einsatz kam. Ein Faksimile der Sonderhauser Verillon-Stimme bei Ahrens 2003, S. 32. 130 Marx 1983 2, S. 227-229. 82

Abbildung V.4: Unbezeichnete autographe Glockenspiel-Stimme zur Brockes-Passion von Mattheson, Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: f

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Abbildung V.5: Unbezeichnete Glockenspiel-Stimme zur Arie „Gott selbst“ aus der Brockes-Passion von Mattheson, Cod. hans. IV: 38-42: 11: 10: k

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Notenbeispiel V.1: Johann Mattheson, Brockes-Passion , Arie „Gott selbst“, mit einstimmiger Glocken- spiel-Begleitung

Bei dem Choralsatz am Ende des ersten und am Beginn des zweiten Teils wurden in dieser Fassung die synkopischen Verschiebungen aufgehoben, die beiden Stimmen verlaufen in einträchtigen Terzparallelen. Lediglich der Schlusschoral ist bis auf die Reduzierung und Hochoktavierung der Bassstimme beinahe identisch gegenüber der originalen Carillon- Stimme aus der Partitur. Da die Stimme jünger zu sein scheint als die auf zwei Systemen notierte, dem Noten- text der Partitur entsprechende Carillon-Stimme, ist anzunehmen, dass sie Mattheson für spä- tere Aufführungen anfertigte, vielleicht, weil ihm nun nur noch ein kleineres Instrument zur

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Verfügung stand – oder handelt es sich bei dieser Stimme um einen Alternativpart für das in der Partitur nachträglich eingetragenen Verillon? Ein Vergleich mit der von Ahrens beschrie- benen Verillon-Stimme in Stölzels Serenata bekräftigt diese These, da auch diese auf einem System notiert ist und einstimmig oder in Terzparallelen verläuft. Dies spricht in beiden Fäl- len für ein Instrument, das nicht über Tastatur, sondern mit Schlägeln angeschlagen wurde.

Das letzte Werk der vier hier behandelten Oratorien hat ein seltsames Schicksal, denn es wur- de zu Matthesons Lebzeiten nie aufgeführt. Es handelt sich um die oratorische Trauermusik für den 1727 verstorbenen König Georg I. von England, deren Aufführung von der Regierung von Hannover überraschend untersagt wurde. 131 Somit wäre ein großes „Pompe funebre“ im politisch eher unbedeutenden Hamburger Dom unangemessen gewesen. 132 In dem prachtvoll besetzten Werk, das auf einem Text des als Librettisten für Opern Telemanns bekannten Hamburger Dichters Christoph Gottlieb Wend basiert, dienen, wie schon in Chera , Glocken als Sinnbild der Trauer. Am Ende des Werkes singt die Allegorie des Gerüchts zur Vorberei- tung der Apotheose des Monarchen eine Arie mit dem Text „Angenehme Trauerglocke, die von Triumph und Ehre tönt“. Sie wird dabei begleitet von Unisono-Violinen, Violen und Bäs- sen pizzicato. Auch hier steht zu Beginn des Stückes wieder eine differenzierte und aufschlussreiche Instrumentationsangabe (siehe Abbildung V.7): Über der Violinstimme notiert Mattheson: „Violini unisoni, pizzicati senza Oboe, ma con Carillione (stählern Geläute)“, unter der Con- tinuostimme: „Bassi pizzicati, senza Fagotti e Cembalo. mit dem Glockenspiel, so aus stäh- lern Clavibus bestehend mit zwey verbundten Stecken geschlagen wirdt, oder wie ein kleines Pedal-Clavier“ Hier finden wir nun den Beleg, dass das „Stählerne Geläut“, das Instrument aus dem Verlangten und Erlangten Heiland , identisch ist mit dem in der Brockes-Passion so bezeichneten „Carillon“, da nun beide Bezeichnungen in einem Stück synonym verwendet werden. Eine Parallele zu dem Choral aus Chera ist in dem Festhalten an Quintsprüngen in der Violini pizzicati / Carillione-Stimme zu finden (auch hier wieder unter Bevorzugung der leeren Saiten der Violinen, was durch die auch hier gewählte Tonart D-Dur begünstigt wird);

131 Vgl. hierzu S. 67ff. 132 Dies ist der Grund dafür, dass weder Händel noch einer der in Frage kommenden englischen Komponisten für Georg I. eine Trauermusik komponierten, während für seine Vorgängerin Queen Anne und seine Schwie- gertochter Caroline von Ansbach Trauer-Anthems entstanden (von William Croft und Händel resp.). 86 die Betonung dieses Intervalls in Kombination mit der spezifischen Klangfarbe soll auch bei diesem Stück eine recht naturalistische Imitation des Klangs von Kirchenglocken erzielen.

Abbildung V.6: Trauermusik für Georg I. (D-Hs ND VI 146), Arie des Gerüchts „Angenehme Trauerglo- cke“

Matthesons Interesse an einem als vollwertiges mehrstimmiges Instrument einsetzbaren Me- tallophon war, wie wir sehen konnten, recht groß, bedenkt man, dass in vier seiner 20 erhalte- nen, innerhalb von 12 Jahren komponierten Oratorien solche Instrumente verlangt werden, also immerhin bei einem Fünftel der Werke. In Hamburg war ein vergleichbares Instrument durch den Organisten der St. Petri-Kirche Johann Jacob Hencken bekannt, der darauf laut einer Anzeige im Hamburger Relationskurier vom 10. 2. 1733 Konzerte gab. 133 Von großem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Hinweis Matthesons auf ein verwandtes Instru- ment des Zittauer Kantors Johann Krieger, das dessen Sohn nach Hamburg gebracht hatte und das mit einer Walze versehen war, also auch als mechanisches Instrument nutzbar war. Im Nachlass Matthesons ist eine unveröffentlichte Notiz (vermutlich nicht autograph) enthalten, auf der sich eine Skizze dieses Instruments befindet, die auch die Maße und den Ambitus mit- teilt (Signatur Cod. hans. IV: 38-42: 10: 20, vgl. die Transkription des Textes und Abbildung V.8 im Anhang dieser Studie). Besonders wird hervorgehoben, dass das Instrument zum „ac- compagnement von Instrumental- und Vokal-Musik“ geeignet sei. Ein beinahe ideales In- strument also für den Einsatz in seinen Oratorien, auch wenn der Ambitus von 3 Oktaven für die umfangreicheren Partien in seinen Werken nicht ausgereicht hätte. Allerdings klingen in

133 Vgl. Frederichs 1975, S. 194, Fußnote 6 und Ahrens 2003, S. 36. 87 dem Krieger-Instrument echte Glocken, also Metallschalen, keine Klangstäbe wie bei den oben beschriebenen „Stroh-Fideln“.

Die Suche nach dem idealen barocken Klaviatur-Glockenspiel hat begonnen. Wohl- möglich verdankt Händel seine Idee des Tubal-Cain – nach dem erfolgreichen Einsatz im Saul verwendet er es später noch in einer Neufassung von Acis and Galathea (HWV 49b) sowie in den weltlichen Oratorien L’Allegro il Pensieroso ed il Moderato (HWV und The Triumph of Time and Truth (HWV 71) – ebenfalls Hamburger Anregungen, seine Kontakte zur Hansestadt waren bekanntlich vielfältig. Könnte er vielleicht sogar ein altes Hamburger Instrument für seine Oratorienaufführungen erworben haben?

Nachweis: Erschienen als: Das Glockenspiel in Johann Matthesons Oratorien für den Hamburger Dom , in: M. Lustig / U. Omonsky / B. Schmuhl (Hrsg.): “Perkussionsinstrumente in der Kunstmusik vom 16. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts“ (= Michaelsteiner Konferenzberichte, Band 75), Augsburg 2010, S. 185-198.

88

V.1 Anhang: D-Hs, Cod. hans. IV: 38-42: 10: 20: Beschreibung eines gewißen Glockenwercks.

Ein von Holtz verfertigter, wohl geschilderter, und mit güldnen Leisten gezierter Kasten, einer Elle, und was drüber, hoch, und 1. u. 1/4 Elle lang, bedecket die darinnen steckende Machine, so auf einen Tisch gesetzet wird. Diese Machine bestehet aus 37 in 2 Reyhen gestellten, sauberen Silber Metallen von Glocken, welche theils von einer, durch ein Uhrwerk umbgetriebenen Welle, worauf die Noten mit meßingnen Stiften angedeutet, theils auch durch ein ordentliches Clavier, angeschlagen werden. Die gröste Glocke hält über dem Diameter 5 Zoll, die kleinste 2 und sind an einer Stange gleichsam angereyhet, ohngefähr in folgender Figur:

[Skizze] (B. Hammer so auf die Glocken schlagen. / Clavier / Uhrwerk.)

Das Uhrwerk befindet sich an der Seite in einem Gehäuse, und vermittelst desselben, und der Welle, spielet das Werk von selbst, mit 4 Stimmen die drey Choräle: Wer nur den lieben GOtt läst walten p. Nun danket alle Gott p. und: Ich heb meine Augen seehlich auf p. das Clavier hingegen, so von A. bis ins a" gehet, und also 3 Octaven mit vollen gantzen und halben Tonen ausmacht, auch sehr tractable ist, hat seine Connexion mit den Glocken, durch höltzerne, oben mit Metall beschlagene Tangenten, und man kan darauf spielen, was man will, auch zu Instrumental- und Vocal-Music accompagniren. Es lässet sich auch vermittelst einer Demmung der Ton der Glocken, so überaus angenehm und rein, stär- ker, und schwächer machen. Man kan mit Wahrheit versichern, dass dergleichen Glockenwerk nir- gends zu finden sey. Der Inventor davon ist der seel. Johann Krieger 134 , Director Chori musici zu Zittau.

[nachträglich ergänzt:] Es ist zu sehen bey seinem Sohn, in Hamburg

134 Krieger verstarb 1735, die Notiz entstand also weit nach Matthesons Tätigkeit am Hamburger Dom. 89

Abbildung V.7: D-Hs, Cod. hans. IV: 38-42: 10: 20: Beschreibung eines gewißen Glockenwercks.

90

VI. Führte Joh. Seb. Bach in Leipzig Kirchenmusik von Johann Mattheson auf?

Eine der wenigen noch offenen Fragen an die Bach-Forschung ist die Rekonstruktion des Re- pertoires an Kirchenmusiken, das Bach in Leipzig im Jahr 1725 aufführte, nachdem es zu dem abrupten Ende des großen Zyklus der Choralkantaten kam. Die „Übergangslösung“ mit Ver- tonungen von Texten Mariane von Zieglers endete mit der Kantate BWV 176 Es ist ein trot- zig und verzagt Ding zum Trinitatisfest. Erst mit dem Anfang des dritten Leipziger Kan- tatenzyklus (1725-1727), beginnend mit Tue Rechnung Donnerwort BWV 168 zum 9. Sonn- tag nach Trinitatis, kann eine engere chronologische Werkfolge fortgesetzt werden, in diese Zeit fiel auch die Aufführung von 18 Kantaten von Johann Ludwig Bach. Bereits 1971 brachte Wolf Hobohm durch einen Fund in der Saltykow-Schtschedrin- Bibliothek Leningrad (heute Russische Nationalbibliothek St. Petersburg) Licht in dieses Dunkel. Dort entdeckte er einen Leipziger Textdruck aus dieser Zeit, der die Kirchenmusik- texte vom dritten, fünften und sechsten Trinitatissonntag sowie zum Johannisfest und zu Visi- tationis Mariae, also der Zeitspanne vom 17. 6. bis zum 8. 7. 1725 enthält. 135 Auffälligerweise ist jedoch keinem dieser Texte eine erhaltene Bachsche Komposition zuzuweisen. Lediglich bei der ersten Kantate, einer per-omnes-versus-Vertonung des Chorals „Ich ruf zu dir Herr Jesu Christ“ für den 3. Sonntag nach Trinitatis, könnte eine Verbindung zu einer Komposition Bachs vorlegen: Das Werk könnte identisch sein mit der gleichnamigen Choralkantate BWV 177, jedoch ist die heute überlieferte autographe Partitur des Werkes erst 1732 entstanden. Drei weitere Kantatentexte sind dem 3. Jahrgang der Fünffachen Kirchenandachten von Erd- mann Neumeister entnommen, vermutlich führte Bach hier Telemanns Kantaten TVWV 1: 596, TVWV 1: 310 und TVWV 1: 1600 aus dessen 1710/11 für Eisenach vertontem Jahrgang Geistliches Singen und Spielen auf. In Bachs Nachlass befand sich nachweislich eine Kantate dieses Jahrgangs, Gesegnet ist die Zuversicht TVWV 1: 616. 136 Der letzte verbleibende Text dieser Gruppe, geschrieben zum Fest Visitationis Mariae (2. Juli), ist eine dichterische Paraphrase des Magnificat, des Lobgesangs der Maria (Lukas 1: 46-55), der im Zentrum der Perikope dieses Kirchenfestes steht. Dabei wurde für die äußeren Verse, die als chorische Dictum-Vertonungen konzipiert sind, der originale Text der Luther-

135 Texte zur Leipziger Kirchen-Music, Auf den Dritten Sonntag nach Trinitatis, Das Fest Johannis des Täuf- fers, Ingleichen Den fünfften Sonntag Trinitatis, Das Fest der Heimsuchung Mariä, Und den sechsten Sonn- tag nach Trinitatis, 1725 / Leipzig, Gedruckt bey Immanuel Tietzen, RUS-SPsc, Signatur 6.34.3.208. Zu der Sammlung vgl. Hobohm 1971, speziell zu den Leipziger Drucken Hobohm 1973. 136 Hobohm 1973, S. 31. 91

Bibel beibehalten. 137 Hier fällt die große konzeptionelle Ähnlichkeit des Textes mit der ent- sprechenden Dichtung zur Visitationis-Kantate des Vorjahrs auf, der dem Zyklus der Choral- kantaten zugehörigen Kantate BWV 10, die mit dem gleichen Textincipit „Meine Seele erhebt den Herrn“ beginnt. Doch ist es wahrscheinlich, dass Bach dann schon ein Jahr später eine ähnliche Magnificat-Paraphrase zu dem gleichen liturgischen Anlass vertonen sollte? Von Johann Mattheson ist die auf März 1716 datierte autographe Partitur eines Magni- ficat a due cori in D-Dur erhalten. 138 Es wäre zu vermuten, dass er das Werk für eine Auffüh- rung am Hamburger Dom schuf, dies wird unterstrichen durch einen erhaltenen Textdruck sowie durch eine Erwähnung im Hamburgischen Relations-Courier . In der Regel führte Mattheson am Dom zweiteilige Oratorien auf. Ein einziges Mal wich er von dieser Regel ab, bei seinem relativ kurzen Weihnachtsoratorium Der verlangte und erlangte Heiland .139 Die Partitur des Werkes ist undatiert, allerdings wird eine Auffüh- rung am 3. Weihnachtsfest 1718 im Relations-Courier angekündigt,140 wodurch das späteste mögliche Entstehungsdatum feststeht. Da das Werk einteilig ist, wurde es vollständig vor der Predigt musiziert, als ergänzendes Werk für die Musik nach der Predigt wurde das Magnificat aufgeführt, wie auch durch einen undatierten Textdruck bestätigt wird.141 Für eine Datierung des Oratoriums auf das Jahr 1716, die Cannon vornahm, gibt es keinen Beleg.142 Es ist wahr- scheinlicher, dass das Werk erst 1718 für die im Relations-Courier angekündigte Aufführung entstand. Der Text der Magnificat-Bearbeitung Matthesons ist identisch mit der Leipziger Visitationis-Musik von 1725. Mattheson vertont den Eingangschor als Doppelchor, wobei auch das Streichorchester geteilt wird. Die festtägliche Bestimmung des Werkes wird durch zwei Trompeten und Pau- ken unterstrichen, die zudem an den Höhepunkten der einzelnen Abschnitte die Melodie des Psalmtons, auf dem das Magnifat in der Regel gesungen wurde, des „Tonus peregrinus“, an- stimmen, der somit als krönendes instrumentales Choral-Zitat über dem Vokalsatz hervortritt.

137 Text erstmals wiedergegeben bei Hobohm 1973, S. 18-19; Faksimile-Ausgaben: Neumann 1974, S. 435-436 und Petzold 2000, Heft 3, fol. 5v-7r. 138 Autographe Partitur D-Hs, ND VI 121. Neuausgabe dieses Werkes durch Norbert Klose (= Mattheson 2001), zum Teil allerdings mit erheblichen editorischen Fehlern. 139 Autographe Partitur D-Hs, ND VI 120. 140 Anzeige im Hamburger Relations-Courier 202/1718. 141 Der / Verlangte / Und / Erlangte Heiland / Zur Bezeugung GOtt-gewidmeter / Weynachts-Freude / Sammt angehängtem / Zwey-Chörichten / MAGNIFICAT, / Oder / Lob-Gesang Mariä / Musicalisch gesetzet / Und / Aufgeführet / Von / MATTHESON. / --- / HAMBURG [o.J.], einziges erhaltenes Exemplar: NL-DHnmi, Sammlung Daniel F. Scheuerleer), Signatur 2 - I – 125. 142 Cannon 1968, S. 163. 92

Die folgenden solistischen Sätze (drei von Secco-Rezitativen eingerahmte Arien) sind auf Sänger aus beiden Chören verteilt. Der Schlusschor ist eine vierstimmige Fuge im stile antico mit colla-parte-Begleitung der Streicher und einer obligaten Stimme für die unisono spielen- den Trompeten.

Übersicht über das Magnificat a due cori von Johann Mattheson 1. Eingangschor c D-Dur: SATB coro 1, SATB coro 2, Trp 1, 2, Pk, Vl 1, 2, Va, Vc Coro 1, Vl 1, 2, Va Coro 2, Bc 2. Rezitativ „Elende Magd“ S Coro 2, Bc 3. Arie „Heilig, heilig heißt sein Name“ S Coro 1, Vl solo, Bc 4. Rezitativ „Mit seinem Arm übt er gewalt’ge Streiche“ B Coro 2, Bc 5. Arie „Sein Arm zerstreut und übt Gewalt“ B Coro 1, Vl 1, 2, Va, Bc 6. Rezitativ „Wer hungrig ist, komm her!“ A Coro 1, Bc 7. Arie „Ich leide Durst“ S Coro 2, Fl trav, Bc 8. Rezitativ „Es fällt ihm ein“ T Coro 1, Bc 9. Tutti „Wie er geredet hat unsern Vätern“ SATB, Trp 1, 2, Pk, Vl 1, 2, Va, Bc 10. Eingangschor Da capo 143

Es stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Hamburger Komposition von 1716 und der Leipziger Aufführung von 1725. Könnte vielleicht Bach eine Abschrift von Matthesons Partitur besessen haben? Da in Telemanns Vertonung des 3. Neumeister- Jahrgangs keine Visitationis-Kantate enthalten ist, hätte Matthesons Magnificat als Lücken- büßer in einer Serie von Telemann-Kantaten dienen können. Einiges könnte Bach an Matthe- sons Komposition gefallen haben. Besonders reizvoll wird ihm das instrumentale Zitat des Tonus peregrinus durch die Trompeten an zwei Stellen des Eingangschores erschienen sein, hatte er doch selbst diese gregorianische Psalmformel als Choral-Cantus-firmus im Eingangs- satz zu BWV 10 verwendet. Auch könnte Bach der doppelchörige Aufbau des Werkes gereizt haben, der sich auch auf die Stimmverteilung in den solistischen Sätzen auswirkt. Da Bach Partituren verschiedener Hamburger Kirchenmusiken besaß und diese auch nachweislich aufgeführt hat (etwa die Markus-Passion von Reinhard Keiser bzw. Friedrich Nikolaus Brauns, sowie die Brockes-Passion von Händel), ist es nicht auszuschließen, dass er auch Partituren von Kompositionen Johann Matthesons besaß. Eventuell könnte er seinen Hamburg-Besuch von 1720 auch zum Erhalt solcher Musikalien genutzt haben.

143 Mattheson fügt in der Partitur noch eine alternative, breiter ausgeführte Schlusswendung für den Chor Nr. 9 an, durch die die Wiederholung des Eingangschores ausgespart werden kann. 93

Vor einigen Jahren gelang es dem Leipziger Musikwissenschaftler Michael Maul, die Textdichterin der Magnificat-Paraphrase zu ermitteln. 144 Es handelt sich um die von Matthe- son mehrfach erwähnte, in zwei seiner Publikationen als Widmungsträgerin geehrte Maria Aurora von Königsmarck (1662-1728). Die berühmte Gräfin, ehemalige Mätresse Augusts des Starken und Administratorin – also stellvertretende Äbtissin – des Reichsstiftes Quedlin- burg, stand in engem Kontakt zu Musikern und Dichtern der Hamburger Oper, vor allem zu Reinhard Keiser und Johann Mattheson. In ihrer Jugend hatte sie im bei Stade gelegenen Schloss Agathenburg gelebt, von wo aus sie häufige Ausflüge nach Hamburg unternahm. Sie war eine angesehene Dichterin, die unter anderem das Libretto zu der Oper Die drei Töchter Cecrops von Johann Wolfgang Franck (Ansbach 1693, spätere Aufführungen in Hamburg nachweisbar) verfasste; Mattheson vertonte eines ihrer Gedichte als Arientext für seine letzte Oper Henrico IV. (1711). Michael Maul konnte die Autorschaft Maria Auroras auf Grund mehrerer Zitate aus dem Magnificat-Gedicht in Christian Lehms’ 1715 in Frankfurt am Main erschienener Anthologie Teutschlands Galante Poetinnen Mit Ihren sinnreichen und netten Proben; Nebst einem Anhang Ausländischer Dames so sich gleichfalls durch Schöne Poesien Bey der curieusen Welt bekannt gemacht ermitteln. Lehms schreibt in seinem Buch, dass ihm der Text zu dem Gedicht von Reinhard Keiser aus Hamburg zugesandt worden war. 145 Lehms, und ihm folgend Michael Maul, nehmen an, dass Keiser selbst auch den Text der Grä- fin vertont hatte, er kommt dabei zu dem Schluss, dass dieses Werk zwischen 1708 und 1713 entstanden sein muss. Ähnlich wie bei der Brockes-Passion und dem Weihnachtsoratorium Das größte Kind von 1720 läge also auch hier ein Fall vor, in dem Mattheson einen Text ver- tonte, von dem bereits eine Komposition Keiser vorlag. Eine der von Maul formulierten offenen Fragen lautet, ob die Komposition des Magni- ficat durch Mattheson mit der zu erwartenden Wahl Maria Auroras zur Äbtissin – die von mächtigen Gegnerinnen jedoch letztendlich erfolgreich hintertrieben wurde – im Zusammen- hang stand. Hierfür gibt nun die bisher in diesem Zusammenhang übersehene Widmungsvor- rede der von Mattheson herausgegebenen Schrift VERITOPHILI Deutliche Beweis-Gründe von 1717 eine ziemlich genaue Antwort. In dieser Passage, in der die Gräfin als Förderin und Kennerin der modernen Kirchenmusik (in den Worten Matthesons: "eine besondere Beförde- rin GOtt-geheiligter Music-Andachten") gepriesen und um Schutz angerufen wird, erwähnt er

144 Maul 2006. 145 Zum Verhältnis Maria Aurora von Königsmarcks zu Reinhard Keiser siehe Koch 2000. 94 nicht nur ihre Anwesenheit bei der Aufführung des Oratoriums Chera am 16. Sonntag nach Trinitatis 1716 im Hamburger Dom 146 , sondern geht vor allem auf den Entstehungshinter- grund des Magnificat ein: Sie habe nämlich

sowohl dem ehmahls auff Dero hohen Nahmens-Tag von mir in Dero eigenen Stiffts-Kirchen aufgeführtem Magnificat, als auch der unlängst in hiesigem Dom angestellten Nainischen Wittwen-Musique mit GOtt- und Menschen-gefälliger Vergnügung jederzeit zugehöret.147

Durch diesen Hinweis ist mit großer Sicherheit belegbar, dass das Werk erstmals in Quedlin- burg unter Matthesons Leitung erklang, die Aufführung am Dom stellte somit eine "Zweit- verwertung" des Werkes dar.

Damit rückt nun wieder die Frage nach dem Komponisten der Leipziger Visitationis-Musik von 1725 in den Mittelpunkt der Überlegungen. Nach Mauls Ausführungen erschien es zu- nächst wahrscheinlicher, dass die Erstvertonung des Textes durch Keiser in Leipzig erklang, bedenkt man dessen größere Bedeutung gegenüber dem in Mitteldeutschland als Komponis- ten fast völlig unbekannten Mattheson. Da nun aber belegt ist, dass auch Matthesons Verto- nung außerhalb Hamburgs bekannt war und der repräsentative Anlass der Quedlinburger Auf- führung für ein überregionales Interesse an der Komposition gesorgt haben wird, könnte es doch möglich sein, dass man in Leipzig auf dieses Werk zurückgriff. So kann die Frage nach der Autorschaft der in Leipzig aufgeführten Vertonung von Meine Seele erhebt den Herren zwar noch immer nicht eindeutig beantwortet werden. Doch führt die Hamburger Spur vielleicht zu neuen Erkenntnissen. Hier zeigen sich erneut die en- gen und vielfältigen Verbindungen Bachs zum reichen musikalischen Leben der Hansestadt und sein seit der Begegnung mit Jan Adam Reincken gewecktes Interesse an Werken Ham- burger Komponisten.

Nachweis: Der Artikel erschien zunächst in englischer Sprache als: Did Bach perform sacred music by Johann Mattheson in Leipzig? , in: Bach-News. Newsletter of the American Bach Society, Nr. 3, Spring 2005, S. 1-5. Nach der Identifizierung der Textdichterin durch Michael Maul (vgl. Maul 2006) musste der Artikel für vorliegende Fassung stark überarbeitet und dem aktuellen Forschungsstand angepasst werden.

146 Zu diesem Werk siehe Abschnitt III.2. 147 Raupach 1717, Widmungsvorrede von Mattheson. 95

96

VII. Johann Matthesons Hochzeitsmusiken

Unter den kostbaren Mattheson-Autographen, die nach ihrem Verlust nach dem 2. Weltkrieg in der Armenischen Staatsbibliothek Eriwan wiederentdeckt und an die Hamburger Staatsbib- liothek zurückerstattet wurden, befinden sich neben vier Opernpartituren und den Oratorien für den Hamburger Dom auch vier weltliche Hochzeitskompositionen. Zusammen mit einer in Hamburg erhaltenen Hochzeitsserenata (der sogenannten „Viedtischen Serenate“ Die keusche Liebe ) liegen damit insgesamt vier Serenaten und eine Kantate vor, die Mattheson zu Hoch- zeitsfeiern in der Hansestadt komponiert hatte. Da neben diesen Werken nur noch zwei ande- re weltliche Hochzeitsmusiken aus dieser Zeit erhalten sind, stellen sie bedeutende Zeugnisse für unsere heutigen Kenntnisse Hamburger Gelegenheitskompositionen des frühen 18. Jahr- hunderts dar. Die musikalische Ausschmückung von Hochzeitsfeiern gehörte in der Barockzeit in Hamburg zu den unverzichtbaren Bestandteilen Hamburger bürgerlicher Repräsentations- kultur. 148 Seit 1629 waren Trauungen auf Anordnung des Rates aus dem öffentlichen Kir- chenraum verbannt. Die priesterliche Zeremonie fand von nun an im gleichen Raum wie das anschließende Festmahl – die "Köste" – statt. Aber weiterhin wurden geistliche Festkomposi- tionen aufgeführt und – bis dieses aus Furcht vor zu großer Luxusentfaltung unterbunden wurde – im Druck veröffentlicht. 149 In späteren Jahrzehnten scheint das Verbot öffentlicher Trauungen teilweise in Verges- senheit geraten zu sein. Als im Jahr 1714 der Kaufmann Johannes Luis am Sonntag Mise- ricordias Domini in der Petri-Kirche anläßlich seiner bevorstehenden Trauung mit Anna Eli- sabeth Sontum eine Cantata sacramentale im Stile eines Oratoriums aufführen ließ, beschloß der Senat, "dass hinkünftig keine Brautmessen mehr in denen kirchen gesungen werden" soll- ten. Die eigentliche Trauung fand erst zwei Wochen nach dem erwähnten Gottesdienst statt; somit handelte es sich hier strenggenommen gar nicht um eine echte Brautmesse, wohl aber um eine jener "privaten musiqen" während der Kommunion, die dem bekanntlich in liturgi-

148 Dieses Repertoire ist beschrieben in Wittnebel 1992. 149 Zu einem Beispiel von Matthias Weckman vergleiche Maus 2001. 97 schen Fragen sehr konservativen Kantor Joachim Gerstenbüttel schon 1685 als ein "greüel der Verwüstung" vorgekommen waren. 150 In der um 1690 entstandenen, handschriftlich in Kopenhagen aufbewahrten Chronik des Joachim Sperling findet sich die Schilderung des Ablaufs einer großen bürgerlichen Hoch- zeitsfeier. Nach der Beschreibung der komplizierten Einladungsbräuche, der Sitzverteilung an den verschiedenen Tischen, der Tisch- und Raumdekoration sowie der Begrüßung der Gäste kommt Sperling auf die Trauungszeremonie zu sprechen:

Wenn nun alle Mannsleute gekommen, gehen die Brautführer und bringen die Braut vor den Schemel; ihr folgen die Bräutigamsführer, die bringen Ihn auch zu der Jgf. Braut vor den Sche- mel, zu sammt allen anwesenden Mannsgästen, und die Brautmisse wird gespielt etc.. 151

Mit "Brautmesse" konnte nach damaligem Sprachgebrauch sowohl die eigentliche Trauungs- zeremonie, als auch die begleitende Figuralmusik gemeint sein, Sperling verwendet den Ter- minus jedoch bewußt in seiner musikalischen Bedeutung. Nach der Trauung ging man zum eigentlichen Fest über:

Wenn sie nun endlich alle gelagert, so wird aufgetragen auf allen Tischen, und wenn dieselben voll, so thut ein Prediger das Gebett, und sodann von Klock 3 bis Klock 10 des Abends herdurch wird gegessen und gedrunken. 152

Sieben Stunden lang dauerte also in der Regel die Hochzeitstafel. In dieser Zeit wird sicher- lich auch die Aufführung der weltlichen Hochzeitskompositionen anzusetzen sein.

Wenn nun genug gegessen, wird die Speise und das oberste Tischlaken weggenommen, Gott ge- dankt und allerhand Früchte und Confect hergesetzet, wenn man davon nach Genüge genossen, so stehet man auf umb zu tanzen bis an den hellen lichten Morgen. Wenn der Morgen heran- bricht, so zwischen zwei und drei Uhr, so wird eine Weinkalteschale gereichet, sich daran zu er- frischen nach dem Dantzen, nach welcher Erquickung sich dann allgemählig hie und da Etzliche verlieren, bis auf die nägesten Freunde, die erst mit den Musicanten weggehen. 153

Raum für Musik war also prinzipiell an drei Stellen gegeben: zunächst als geistliche Musik zur Trauung, dann als repräsentative weltliche Festmusik zur Tafel, und schließlich zum

150 Kremer 1997, S. 203. 151 Finder 1930, S. 47. 152 Ebd. 153 Finder 1930, S. 48. 98

Tanz. Wurden bis ca. 1700 für geistliche und weltliche Musik die traditionellen Formen des geistlichen Konzertes und der Hochzeitsaria gepflegt, setzten sich bald danach in beiden Fäl- len Kompositionen auf die neuartige madrigalische Dichtungsform mit Rezitativen und Arien durch. 154 Die Kombination geistlicher und weltlicher Festmusiken war nicht auf Hochzeitsfei- ern beschränkt: die Kopplung eines Oratoriums mit einer Serenata oder war das besondere Charakteristikum der jährlich stattfindenden Festmusiken zum Convivium der Hamburger Bürgerkapitäne. 155

Die Hamburger Commerzbibliothek besitzt eine zehnbändige Sammlung mit Hamburger Ge- legenheitsgedichten des späten 16. - frühen 19. Jahrhunderts (Signatur S/279), die zum Teil aus dem Besitz Michael Richeys stammt. 156 Drei der Bände enthalten ausschließlich Gelegen- heitsdrucke zu Hochzeitsfeiern, darunter auch einige gedruckte Stimmbücher mit Hochzeits- gesängen von Thomas Selle und Johann Schop, die das Repertoire der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts repräsentieren. An der Fülle der überlieferten Texte zu geistlichen und weltlichen Hochzeitskomposi- tionen des frühen 18. Jahrhunderts in diesen Sammelbänden lässt sich ablesen, dass Auffüh- rungen derartiger Werke zum regulären Festablauf gehörten. Die Sammlung bietet durch ih- ren Umfang einen recht umfassenden Überblick über die inhaltliche und formale Beschaffen- heit der Texte der verschiedenen Gattungen Hamburger Hochzeitskompositionen. Zu den in den Texten besungenen Feiern lassen sich die entsprechenden Einträge in den Hochzeitsbü- chern der Hamburger Wedde, der Polizeibehörde der Stadt, im Hamburger Staatsarchiv zu Vergleichen heranziehen. 157 Die Wedde überwachte die Einhaltung der Hochzeitsordnungen und sorgte für die Einholung der Gebühren. In den Einträgen finden sich Angaben zum Beruf des Bräutigams 158 und zum Ort der Hochzeitsfeier.159 Sie sind auch deshalb für die genauere

154 Kremer 1998, S. 245-274, S. 272. 155 Siehe hierzu Maertens 1988, S. 55-62 sowie den Abschnitt XII. „Frömmigkeit, Weisheit und Herrlickeit“ in dieser Studie. 156 Eine Auflistung der genealogischen Daten, die aus diesen Personalschriften ermittelt werden konnten, findet sich in Plöhn 1960. 157 D-Ha, Bestandsnummer 332-1 I: Wedde I, Signatur 29: Hochzeitenbuch der Wedde: Bd. 3 1712-1713, Bd. 4 1714-1715, Bd. 5 1716-1719, Bd. 6 1719-1723. 158 Der größte Teil der Kompositionen entstand zu Feiern in Familien der Kaufmannschaft, gefolgt von Hoch- zeiten von Juristen und Theologen. Daneben ist auch der Text zu einer Kantate zur Hochzeit zwischen dem Bassisten Conrad Arnoldi und der Tochter des Direktors der Ratsmusik Hieronymus Oldenburg am 19. 11. 1719 nachweisbar (S/279 Bd. IX, Nr. 4: Die Freude der Musen, Eintrag im Hochzeitenbuch Band 6, S. 84). 159 Bezeichnenderweise fanden die meisten Feiern im reichen Katharinenviertel statt, wo viele der Kaufleute prachtvolle Häuser besaßen, besonders häufig in der Straße Wandrahm. 99

Einordnung der Textdrucke von großer Hilfe, weil sie die Vornamen der Brautleute mitteilen, die meistens auf den Titelblättern der Drucke fehlen, womit die mühsame Suche in den Kir- chenbüchern der verschiedenen Kirchspiele wegfällt. Gelegentlich finden sich in den Hoch- zeitsbüchern auch einige interessante Details zu musikalischen Fragen. So wird häufig ange- geben, ob eine Brautmesse gespielt wurde, wie viele Musiker und Sänger beteiligt waren, und zum Teil werden sogar Namen von Interpreten genannt: Am 11. August 1716 nahmen Johann Adolf Hasse und der Bassist Petzold an einer Hochzeitsfeier teil, auf der die Dialog-Kantate Der Sieg der Liebe über die Kaufmannschaft (Textdruck S/279 Bd. II, 29 + VIII, 30, Dichter: Michael Richey) aufgeführt wurde, im Eintrag ist außerdem die Mitwirkung zweier Waldhor- nisten vermerkt. 160 Diese Vermerke hängen mit den alten Hochzeitsordnungen zusammen, die die Teilnahme von Musikern zu den Feierlichkeiten reglementierten: Verstöße wurden von der Wedde streng verfolgt und hatten die Zahlung von Bußgeldern zur Folge. 161 Auf Grund dieser Verordnungen muss man sich die Ensembles, die die Oratorien und Serena- ten aufführten, sehr klein vorstellen, die Streicher wurden vermutlich solistisch besetzt, hinzu kamen 2-3 Holzbläser, die auf verschiedene Instrumente wechseln konnten. Die Chöre in den Serenaten, das verraten auch die wenigen erhaltenen Partituren, wurden ausschließlich von den Solisten gesungen. Als Trauungsmusik wurde entweder ein zweiteiliges Oratorium – manchmal auch als "musicalische Andacht" bezeichnet – oder eine ein- bis zweiteilige geistliche Kantate aufge- führt. Die beiden Teile der Komposition wurden vor und nach der Trauungszeremonie aufge- führt. Unter "Oratorio" versteht man im Kontext der Hochzeitsmusiken ein umfangreicheres Werk mit dialogischem Textaufbau, aufgeteilt unter unterschiedlichen "redenden Personen", allegorischen oder biblischen Gestalten, wobei dem Chor die Rolle einer Gemeinschaft wie der "christlichen Kirche", dem "Chor der gottseeligen Versammlung" oder "Chören der Kir- che, der Betenden mit den Verlobten, der andächtigen Christen" übertragen wird. Diese Ora- torien bestehen meist aus einer Textmischung von Dicta und Kirchenliedstrophen einerseits sowie frei gedichteten Rezitativen und Arien. Wenn Johann Mattheson das "Epithalamum" ausdrücklich als eine der vier Hauptformen des Oratoriums bezeichnet – die übrigen sind das Passionsoratorium, die Trauermusik ("Epicedium") und der Siegesgesang ("Epinicium") –, so

160 Wedde, Hochzeitenbuch (wie Anmerkung 157) Bd. 5, S. 89. 161 Wittnebel 1992, Kapitel 4 (S. 56-84). 100 versteht er darunter sicherlich diesen in Hamburg gängigen, auch von ihm in mindestens zwei Fällen vertonten Texttypus. 162 Während der Tafel wurde üblicherweise als weltliches Pendant zum Oratorium eine Se- renata aufgeführt – synonym hierzu findet sich auch der Terminus Taffel-Music . Mit dem Aufkommen des modernen italienischen Opernstils wurde auch die Form der Serenata von Italien aus nach Deutschland importiert, wobei sie zunächst als typische Form der Festmusik für aristokratische Kreise gepflegt wurde. Zu Beginn des Jahrhunderts waren Serenaten auch an norddeutschen Höfen als Bestandteil der repräsentativen Festkultur weit verbreitet. 163 Wie in den öffentlichen Theatern, übernahm die städtische bürgerliche Oberschicht auch bei ihren privaten Lustbarkeiten bald Formen, die ursprünglich dem Adel vorbehalten waren, und pass- ten sie ihren eigenen Zwecken an. In Hamburg gab es zahlreiche Anlässe für die Komposition und Aufführung von Serenaten. Im Gänsemarkt-Theater und in den großen Sälen der Stadt wurden häufig dynastische und politische Ereignisse wie Hochzeiten, Geburten oder Krö- nungsfeierlichkeiten befreundeter Herrscherhäuser und Friedensschlüsse durch Aufführungen von Prologen und Serenaten festlich begangen. Anstelle der umfangreicheren Serenata konnte auch eine weltliche Kantate für ein bis zwei Singstimmen und Instrumente erklingen, wobei die Grenzen zwischen den Gattungen fließend sind: Es gibt relativ kurze Serenaten mit ledig- lich zwei handelnden Personen und ohne Chor, andererseits aber auch dialogische Kantaten, in denen die Sänger unterschiedliche Rollen verkörpern, während im Regelfall die Handlung in den Kantaten erzählend geschildert wurde. Im Falle der wohl mit besonderer Pracht began- genen Hochzeit von Johann Höckenkamp und Catharina Elisabeth Mohrmann vom 12. 4. 1717 wurden neben dem geistlichen Oratorium von Mattheson eine weltliche Kantate – ver- mutlich gedichtet und gesungen von Margaretha Susanna Kayser – und eine Serenade von Reinhard Keiser aufgeführt. 164 Die Kantaten sind häufig im pastoralen Milieu angesiedelt, wobei die Brautleute als ver- liebtes Schäferpaar dargestellt werden, während in den Serenaten antike Götter oder allegori- sche Gestalten auftreten, doch gab es auch hier Überschneidungen, so konnte einerseits in einer Kantate von Wideburg auf einen Text von Glauche Amors profitable Liebesreise 165 ge- schildert werden, andererseits handelte es sich bei Der Abschied, die Wiederkunft und Paa-

162 Vgl. Mattheson 1739, S. 220. 163 Vgl. Joachim Kremer 1998. 164 Oratorio: S/279 Bd. II, Nr. 40b / Bd. VIII, Nr. 43. Kantate: Bd. II, Nr. 40a / Bd. VIII, Nr. 45. Serenata: Bd. II, Nr. 40c / Bd. VIII, Nr. 44. 165 Textdruck S/ 279 Bd. II, Nr. 94 / Bd. VIII, Nr. 108. 101 rung der Geliebten von Barthold Feind und Reinhard Keiser zur erwähnten Hochzeit Luis / Sontum von 1714 um eine "Serenata pastorale", in der ausschließlich Hirten und Schäferinnen als allegorische Verkörperungen des Brautpaars und ihres Familien- und Freundeskreises agierten. 166 Dieses Werk ist aufgebaut wie eine „Miniaturoper“, eingeteilt in drei als „Introdu- zzioni“ bezeichnete Akte, zudem stehen das Abschiedsduett am Ende des ersten Teils sowie der Schlusschor in italienischer Sprache, ein besonderes Charakteristikum der zeitgenössi- schen Hamburger Oper.

Die Texte der Kantaten und Serenaten sind nicht allein von musikhistorischer Bedeutung, sondern enthalten auch zahlreiche interessante sozialgeschichtliche Informationen zur Ham- burger Gesellschaft des frühen 18. Jahrhunderts. So lässt sich beispielsweise ein stereotypes panegyrisches Programm feststellen, in dem wirtschaftlicher Erfolg, Weltgewandtheit und hohe Bildung des Bräutigams hervorgehoben werden. Eine der am häufigsten in den Texten auftretenden Göttergestalten ist darum Mercurius, der Schutzpatron der Kaufmannschaft, während bei Hochzeiten in Juristenkreisen die Gerechtigkeitsgöttin Astrea oder die Göttin der Weisheit, Minerva, auftritt. Der häufige Auftritt der Göttin Venus und/oder ihres Sohnes Amor sollen die Liebe der Jungvermählten symbolisieren. „Bürgerliche“ Tugenden wie wirt- schaftlicher Erfolg und kosmopolitische Weltgewandtheit werden einem Bräutigam aus der Kaufmannschaft zuerkannt, Angehörige des Klerus oder Rechtsgelehrte werden für ihre Ge- lehrtheit, Bildung und Weisheit gepriesen. Wichtige Attribute der Bräute sind hingegegen Schönheit, Bescheidenheit, Kunstfertigkeit und Keuschheit. Häufig finden sich auch patrioti- sche Motive in den Texten: So werden die wohlgeordnete Regierungsform, der Wohlstand, die wirtschaftliche Sicherheit und der Frieden innerhalb der Mauern der Stadt gepriesen. An- gesichts der Tatsache, dass die wohlhabenden Bräutigame häufig selbst Angehörige der Re- gierung waren oder zumindest aus Ratsfamilien stammten, macht auch dieses allgemeine poli- tische Lob zu einem verdeckten Lob des Brautpaars. Ein interessantes Beispiel stellt die Se- renata Die glücklich-getroffene Wahl von der Feder des berühmten Operndichters Johann Ul- rich König dar. 167 Ein Jüngling namens „Adalberto“ wird hier von den Allegorien Italien und Deutschlands umworben, die in Begleitung „italienischer und deutscher Nymphen“ auftreten. Die beiden Nationen besingen nacheinander die Vorzüge ihrer Töchter, aber am Ende ent-

166 Textdruck S/279 Bd. II, Nr. 56c / Bd. IX, Nr. 76. 167 Libretto siehe Anhang, Nr. 8b. 102 scheidet sich Adalberto für eine deutsche Braut. Die ein wenig dürftige allegorische Handlung ist eine eindeutige biographische Anspielung: Der Bräutigam, der aus Regensburg stammende Kaufmann Hans Albrecht Dimpfel, hatte für viele Jahre in Venedig gelebt, wie wir aus dem Munde Italias erfahren: „ Du pflegst schon zweymahl sieben Jahr / in meiner schönsten Stadt zu wohnen “. Ein Hinweis auf den "bürgerlichen" Charakter der Texte ist der besonders bei Michael Richey vorherrschende humorvolle bis ironische Tonfall, der sich etwa in den Auftritten des zynischen Gottes der Kritik, Momus, manifestiert, der mit seinen scharfzüngigen Kommenta- ren die allgemeine Lobhudelei der übrigen Dialogpartner wirkungsvoll konterkariert. Die Fi- gur des Momus findet sich des öfteren in den Hamburger Serenadentexten, 168 sie bietet dem Dichter die Möglichkeit, die häufig etwas einseitige Huldigungslyrik durch ironische und kri- tische Untertöne aufzurauhen, hier zeigt sich die enge Verbindung dieser Figur zur obligatori- schen komischen Diener-Figur der Hamburger Oper. Ein alter volkstümlicher Hochzeitsbrauch findet häufig seinen Niederschlag in den Ab- schlusspassagen der Kantaten und Serenaten. In den Schlusschören finden sich fast immer Glückwünsche für eine vergnügliche Hochzeitsnacht, manchmal auch für eine zahlreiche Nachkommenschaft. Diese sprachlichen Topoi sind vermutlich noch Anklänge an den in Norddeutschland verbreiteten Brauch der „Bettleite“, bei der das Brautpaar am Ende der Feier durch die Hochzeitsgäste mit Glückwünschen für die Hochzeitsnacht bis an das Brautbett geführt wurde. 169 Im Schlusschor der Serenata pastorale von Keiser und Feind singen die Freunde und Verwandten des Paares etwa die folgenden Verse:

Amanti scherzate con bocca di rosa, Godete, sanate la piaga amorosa, Ma l’ardor mai venga men! Tutto sia gioia, sia riso, sia gioco, Quando al vostro casto fuoco Ha’l suo rogo amante sen.

168 Beispiele: Serenata zur Hochzeit Luis/Boonin 1716 „Entlaubte Wälder“ (Richey/Keiser, s.o.), Serenata zur Hochzeit Eding/Lochau 1721 (Text G. Blyvers, S. 279 Bd. II Nr. 28 / Bd. IX, Nr. 27). 169 Wettlaufer 1998. 103

Für die Aufführungspraxis hochinteressant sind die szenischen Anweisungen in verschiede- nen Texten, die auf eine halbszenische Aufführung hinweisen. So heißt es in Matthesons noch näher zu betrachtender "Viedtischer Serenade", der Keuschen Liebe , im Personenverzeichnis: "Der Auftritt geschieht bey Nacht / in einem mit vielen Lichtern erleuchten Hochzeit-Saal", und auf der ersten Seite: "Nach einer muntern Ouverture von vielen freudigen Instrumenten erscheinet die Nacht / begleitet von den Abend-Stunden". In Matthesons Serenata Das Mer- curialische Opffer 170 wird im Personenverzeichnis ebenfalls auf den Ort der Handlung hinge- wiesen: "Der Auftritt geschicht im Tempel des Mercurii, welcher mit vielen Fackeln zum Opffer-Fest erleuchtet ist." In der erwähnten Kantate Amors profitable Liebesreise heißt es über die auftretenden Kontrahenten Amor und Mercur: "Beyde im Anfange von einander unwissend, machen unter einer lustigen Intrade Anstalt zur vorhabenden Reise". Ein typisches Eröffnungstableau zeit- genössischer Hamburger Barockopern, die Thronsaalszene, wird in der umfangreichen Se- renata von Daniel Gottfried Schultze Die von denen vier Jahres-Zeiten erörterte Frage: Zu welcher Zeit es am besten zu heyrathen? 171 von 1718 zitiert: "Venus auf einem Throne / Jupi- ter, Mars, Neptunus zu der Rechten / Apollo, Mercurius, Aeolus aber zu der lincken Hand sitzend / Cupido.", sie beginnt zudem mit einem typischen Huldigungschor: "Lebe lange, gro- ße Königin!" Gegen eine szenische Darstellung der Serenaten spricht allerdings die Tatsache, dass die Chöre von den Solisten gesungen wurden. Die oben erwähnte Serenata von Schultze verlangt außerdem derartig viele Rollen, dass sie unter den in Hamburg üblichen Rahmenbe- dingungen nur mit Mehrfachbesetzungen realisierbar war. Durch die den barocken Opernsän- gern vertraute Kunst der theatralischen Gestik wird es auch ohne Kostüme und Dekorationen schon durch die dramaturgische Anlage der Texte möglich gewesen sein, eine theatralische Situation während der Aufführung zu vermitteln. Die Liste der in der Commerzbibliothek überlieferten Texte zeigt deutlich, dass spätes- tens um 1715 eine regelmäßige Produktion von Hochzeitsoratorien, -kantaten und -serenaten einsetzte. Dies scheint kein Zufall zu sein: 1715 war auch das Gründungsjahr der "Teutschü- benden Gesellschaft", einer reformatorische Ansätze verfolgenden Literatengruppe, der die damals bedeutendsten Hamburger Dichter angehörten. In den Zirkeln der Teutschübenden

170 Textdruck S/279 Bd. IV, Nr. 91b / Bd. VIII, Nr. 97. 171 S/279 Bd. II, Nr. 12 / Bd. VIII, Nr. 7. Brautpaar: Philipp Boetefeur und Margaretha Mattfeld. 104

Gesellschaft wurden häufig musikalische Textgattungen diskutiert. 172 Die Dichter hatten selbst bedeutende Anstöße zu den in Hamburg gepflegten Gattungen wie Kantate, Oratorium und Serenata geliefert, als Beispiele seien die berühmten Passionsoratorien von Barthold Heinrich Brockes und Johann Ulrich von König genannt. Später veröffentlichte Gründungs- mitglied Christian Friedrich Weichmann zahlreiche Hamburger Hochzeitstexte in seiner mehrteiligen Anthologie Die Poesie der Niedersachsen (PdN).173 Unter den Dichtern der Hochzeittexte begegnen neben Weichmann auch andere Mitglieder der Gesellschaft wie Mi- chael Richey, Johann Ulrich von König, Georg Jacob Hoefft und Johannes Hübner. Unter den übrigen für die Hamburger Musikgeschichte bedeutenden Dichtern sind Barthold Feind, Jo- hann Georg Glauche, Johann Philipp Praetorius, Johann Samuel Müller, Johann Georg Ha- mann und Georg Blyvers vertreten – letzterer bekannt durch seine Teilnahme am Mattheson- Weichmann-Disput und bisher für eine von Mattheson erfundene Phantasiegestalt gehalten. 174 Zum Teil geben die Textdrucke auch Auskunft über die Komponisten. In der Zeit vor 1721, dem Antrittsjahr Georg Philipp Telemanns, müssen sich danach drei Musiker Gunst der Hamburger Familien geteilt haben: Reinhard Keiser, Matthias Christoph Wideburg und Jo- hann Mattheson. Besonders Wideburg, der 1719 die erste aus Oratorium und Serenata beste- hende Hamburger Kapitänsmusik komponierte und damit mit dem Dichter Michael Richey eine fast hundertjährige Hamburger Tradition begründete, war als Komponist privater Fest- musiken beliebt, 12 Einzelwerke konnten von ihm an Hand der Textdrucke der Commerzbib- liothek nachgewiesen werden, leider ist keine seiner zahlreichen dokumentierten Kompositio- nen heute erhalten. Nach 1721 begegnet uns dann auf den gedruckten Libretti nur noch ein einziger Kompo- nistenname: Georg Philipp Telemann. 175 Sein Vorgänger Joachim Gerstenbüttel war aus- schließlich seinen Pflichten als Kirchenmusiker und Schullehrer nachgegangen, so dass Te- lemanns Eindringen in Bereiche, die zuvor von anderen Musikern abgedeckt wurden, für er- hebliche Irritationen gesorgt haben muss.176 Innerhalb kürzester Zeit gelang es Telemann,

172 Vgl. Petersen 1847. 173 Nachdrucke der Hamburger Hochzeitstexte in den verschiedenen Teilen der Poesie der Niedersachsen konn- ten ermittelt werden durch die Nachweise bei Perels 1983, vgl. den Anhang zu diesem Artikel. 174 Die beiden von Telemann vertonten Serenatentexte Hamanns vom 30. Oktober und 29. November 1731 sind erwähnt bei Maertens 1997, S. 223. Zu Blyvers vgl. Clostermann 2000, S. 52 und 238. 175 Einzige Ausnahme ist Filippo Finazzis italienische Kantate Amor piangente zur Heirat der Tochter des Bür- germeisters Scheele mit dem Sekretär Faber von 1747, S/279 Bd. IX, Nr. 30. 176 Gerade Mattheson reagierte zunächst sehr empfindlich, vgl. Clostermann 2000, S. 97. 105 auch auf Grund seiner großen Beliebtheit beim Hamburger Publikum, das gesamte öffentliche Musikleben der Hansestadt zu beherrschen. 177

Bis vor kurzem waren nur zwei Partituren Hamburger weltlicher Hochzeitskompositionen bekannt: Die Serenata von Reinhard Keiser auf einen Text von Michael Richey für die Hoch- zeit von Otto Luis und Anna Maria Beltgens von 1716 178 sowie die sogenannte "Viedtische Serenade" von 1715 von Johann Mattheson. Neben den vier wiederentdeckten Werken Matthesons erhielt die Staatsbibliothek aus Eriwan auch einen Sammelband mit Kompositio- nen Georg Philipp Telemanns zurück, der eine Serenade von 1754 zur Hochzeit von Alexand- er Richter und Rosina Brietta Gude zusammen mit einem anonymen Hochzeitsoratorium ent- hält. 179 Dieses Werk stellt die wohl einzige erhaltene Hamburger Brautmessen-Komposition dar, neben einem Dialog für zwei Singstimmen und Instrumente von Reinhard Keiser aus dem Jahre 1709 in der Landesbibliothek Schwerin (Signatur MS. mus. 3075), die den bezeichnen- den Titel Braut-Messe Einer gläubigen Seele mit Christo trägt. 180 Die einzige nachweisbare Partitur einer Serenata von der Feder Wideburgs ist leider nicht mehr erhalten: Es handelt sich um die Musik zu der Serenata für die Hochzeit Lohe / Tönnies (Textdruck siehe den Anhang zu diesem Artikel, No. 22 a/b), die Bestandteil der Musikaliensammlung des Mediziners Gott- fried Jacob Jänisch war. Der Verlust dieser Partitur ist umso bedauerlicher, da keine einzige vollständige Komposition dieses in Hamburg sehr beliebten Komponisten erhalten zu sein scheint. 181

Beekman C. Cannon führt unter Matthesons Hochzeitskompositionen Textdrucke zu zwei Oratorien, zwei Kantaten und fünf Serenaten an, zu denen noch fünf Partituren erhalten sind. 182 Zwar sind die von Cannon zitierten gedruckten Quellen aus der Hamburger Stadtbib- liothek im Krieg vernichtet worden, doch konnten Exemplare von sieben der neun Drucke

177 Zu Telemanns Hochzeitskompositionen und den Textdrucken vgl. Neubacher 2009, S. 90-91. 178 Erwähnt u. a. bei Koch 1999, S. 43. Partitur D-B Mus. ms. 11 495, Textdruck S/279 Bd. II, Nr. 57 / Bd. VIII, Nr. 64, auch in Poesie der Niedersachsen, Band II, 123 (vgl. Perels 1983). Zur Musik Keisers verglei- che Drauschke 2004, S. 83-94. 179 Vgl. Neubacher 1999, S. 398f., wo auch der Textdruck der Serenata nachgewiesen ist. 180 Vgl. Koch 2000, S. 127, missverständlich unter "Meßsätzen" im Werkverzeichnis aufgeführt. 181 Brinzing 2002, S. 36: „WIEDEBURG, Matthias Christoph: Musick auf d. Lohe= und Tönnische Hochzeits- Festin, Nr. 1901“. 182 Cannon 1968. 106 unter den Hochzeitscarmina der Commerzbibliothek nachgewiesen werden. Von den zwei nicht erhaltenen Drucken ist Text durch die erhaltenen Partiturautographe überliefert. Die früheste durch einen Textdruck nachweisbare Hochzeitskomposition Matthesons entstand für seinen Dienstherrn Cyrill von Wich anlässlich von dessen Hochzeit mit Anna Christina von Wedderkop, der Tochter des Holsteinischen Ministers Magnus von Wedder- kopp, der zu Ehren Mattheson schon 1712 eine Geburtstagsserenade aufgeführt hatte. 183 Wich ließ die Hochzeitskantate auf einen Text Johann Ulrich Königs öffentlichkeitswirksam wäh- rend der Hamburger Feierlichkeiten zur Krönung Georgs I. 1714 aufführen, während derer auch Matthesons ebenfalls von König gedichtete Serenade Die frohlockende Themse erklang. Der Titel der Hochzeitskantate, Vermählung der Klugheit mit der Tugend ,184 soll natürlich die Vorzüge des Bräutigams und der Braut hervorheben. Matthesons erste erhaltene Hochzeitskomposition ist Die vergnügte Treue , die Cantata a due voci con str[omenti] per le Nozze del Sig re Krause e la Sig ra Köhler – so der Titel der Partitur – für den Kaufmann Ferdinand Heinrich Krause zu dessen Hochzeit mit Anna Maria Kähler [sic!] am 10. Juni 1715. 185 Das Hochzeitsbuch der Wedde 186 verzeichnet zu dieser Fei- er die Mitwirkung von 8 Musikern und die Aufführung einer B[raut]-Messe, also wird auch geistliche Musik erklungen sein, die vielleicht ebenfalls von Mattheson komponiert wurde, allerdings ist nur der Textdruck der weltlichen Kantate überliefert. Die Anzahl von 8 Musi- kern erscheint bei dem reich instrumentierten Werk sehr gering, zu diesen muss allerdings noch der am Cembalo akkompagierende Komponist dazugezählt werden. Die einzige erhaltene weltliche Hamburger Hochzeitskantate schildert das Werben eines Schäfers – Celindo – um seine Doris, die ihn zunächst trotz ihrer "Gegengunst" aus Züchtig- keit und Ehrgefühl zurückweist, dann jedoch der Eindringlichkeit seiner Bitten nachgibt. Zwar trübt die Ankündigung, man müsse sich für einige Zeit trennen, da die Pflicht ihn aus der Heimat ruft, die Vorfreude, doch wird schließlich Hochzeit gefeiert, wozu der Chor der Schäfer herbeieilt, um dem jungen Paar zu gratulieren und es zur "Ruh", also zu einer glückli- chen Hochzeitsnacht zu geleiten. Wie der Titel der Kantate zeigt, ist das Stück für zwei Solostimmen und Orchester ge- schrieben. Dabei wird der erste Teil von einem Bariton, der zweite dagegen von einem Tenor

183 Cannon 1968, S. 155f..Wedderkop ist allerdings niemals Lübecker Bürgermeister gewesen, wie hier von Cannon behauptet. 184 Cannon 1968, S. 159, Textdruck S/279, Bd. II, Nr. 98 / Bd. VIII, Nr. 107. 185 Cannon 1968, S. 161, Signatur der Partitur ND VI 117, Textdruck S/279, Bd. II, Nr. 45. 186 Bd. 4, S. 300, vgl. Fußnote 157. 107 vorgetragen, am Ende vereinigen sich die beiden Stimmen zum Schlussgesang. Die Auftei- lung auf die beiden Solisten entspricht der Anlage des Textes: Die in der ersten Hälfte enthal- tenen beiden Arien sind Celindo in den Mund gelegt, die folgenden beiden geben die Worte der geliebten Schäferin Doris wieder. Die Symmetrie des Aufbaus der Kantate lässt sich noch weiter verfolgen: Die erste Arie Celindos ist eine kurze Continuo-Arie, die nach einer motivisch verwandten 10-taktigen Sinfonia mit zwei Hörnern, "Cornette da caccia", einsetzt. Sie wird zusammen mit dem kur- zen Instrumentalsatz zu den Worten einer zweiten Strophe wiederholt. Nach einem längeren Secco-Rezitativ, das Celindos Liebeswerben und Doris’ anfängliche Verweigerung schildert, folgt eine Arie mit Unisoni-Begleitung im tänzerischen 3/2-Takt. Der Bass schildert nun die Reaktion Doris’ auf die Klagen des Schäfers. Bei einem "keuschen Wechsel-Kuß" gibt sie endlich ihre Liebe zu. Hier setzt nun der Tenor-Solist ein, ebenfalls mit einer zweistrophigen Continuo-Arie. Da es sich um eine Tanz-Arie in binärer Form handelt, wird sie von Matthe- son als Arietta bezeichnet. Mit den Strophen alternierend erklingt ein vierstimmiges Ritornell, das den Bass der Arietta übernimmt und dessen Überschrift Polonese auf den Tanzcharakter des Satzes hinweist. 187 Höhepunkt der Kantate ist die Abschiedsarie "Fahre wohl mein Schatz", in der die lebhafte Begleitung der Streicher und Oboen durch drei Fagotte in der un- teren Oktave unterstützt wird.

Am 2. September 1715 fand die Hochzeit des Kaufmanns Martin Viet mit Engel Maria Mohrmann im Haus des Bräutigams in der Bohnstraße statt. Komponist des Oratoriums war Reinhard Keiser,188 während die Serenata Die keusche Liebe 189 von Mattheson vertont wurde. Beide Texte wurden von König verfasst. 190 Während der Vorbereitung der Aufführung kam es zu einem Éclat: Für die Feier waren drei Sopranistinnen und ein Bassist, Madame Kayser, Mademoiselle Schwartz, Madame Rischmüller sowie Monsieur Petzold engagiert worden. Die Primadonna Margaretha Susanna Kayser weigerte sich aber, "über Tafel aufzuwarten", da sie solches nicht einmal bei ihrem damaligen Dienstherrn, dem Landgrafen von Hessen-

187 Im Libretto ist die Arie dagegen als "Menuetto" bezeichnet. 188 Keisers Autorschaft ist durch Matthesons unten erwähnten Kommentar belegt. Der Textdruck des Oratori- ums Musicalische Andacht Bey der Viet und Mohrmannischen Trauung ist gleich dreimal überliefert: S/279 Bd. II, Nr. 93 / Bd. IV, Nr. 94 und Bd. VIII, Nr. 101. 189 Cannon 1968, S. 160, Signatur der Partitur ND VI 118. Textdruck S/279, Bd. VIII, Nr. 100. 190 Text des Oratoriums: S/279, Bd. II, Nr. 93 / Bd. IV, Nr. 94 / Bd. VIII, Nr. 101. Text der Serenade: Bd. VIII, Nr. 100. 108

Darmstadt, zu tun pflegte, sie bestand darauf, nur in dem geistlichen Oratorium mitzusingen. Mattheson vermerkte den Vorfall in der Partitur mit dem süffisanten Kommentar "Quel point d'honneur!". Nun musste die Sopranistin Mademoiselle Schwartz neben der Partie der "Treue" auch noch die Hauptrolle, die "Nacht", übernehmen. Mattheson muss die Weigerung der Kayserin während der Komposition erfahren haben, da die Ensemblesätze des Werkes zu Beginn noch vierstimmig, später dann nur noch dreistimmig gesetzt sind. Außerdem trägt die Partitur noch die Bezeichnung " Serenata a 4 voci ". Für eine Änderung der Partitur war keine Zeit mehr gegeben, da sie unter erheblichem Zeitdruck entstanden war, wie Mattheson in seiner Autobi- ographie mitteilt:

Er hat übrigens ... innerhalb 12. nächtlicher Stunden, eine gewisse Hochzeits=Serenata, von 8. Bogen Partitur, verfertiget, dieselbe auch, so wie sie aus der Feder geflossen, ausschreiben, pro- biren, und des folgenden Tages [...] in seiner Gegenwart aufführen lassen. 191

Die vier Personen der Serenata sind die Nacht, begleitet vom Chor der Abendstunden, die keusche Liebe mit dem Chor der Liebesengel, die Treue mit dem Chor der ehelichen Tugen- den sowie der Bestand mit dem Chor der Vergnüglichkeiten, die Chöre werden dabei wie üb- lich von den Solisten gesungen. Die durch Rezitative verbundenen Sätze verraten eine plan- volle textliche Anlage: Jede Partie hat eine Arie zu singen, der ein meist sehr kurzer Ensem- blesatz ihres Gefolges vorausgeht. Dabei sind jedoch die Arien des Bestandes und der Treue vertauscht, so dass nach dem Chor der eheliche Tugenden zunächst Rezitativ und Arie des Bestandes folgen, und erst nach dem Chor der Vergnüglichkeiten als letzte Person die Treue eine Arie zu singen hat. Das abschließende Duett zwischen Nacht und Bestand wird durch einen zum Schluss-Tutti erweiterten da-capo-Teil beendet. Die Nacht tritt nach einer festlichen Sinfonie (die im Libretto erwähnt wird, aber nicht erhalten ist) auf und äußert ihre Verärgerung über den Festlärm, der ihren ruhigen Stunden nicht angemessen ist. Den von ihr herbeigerufenen Chor der Abendstunden fragt sie nach dem Grund für das fröhliche Treiben. Die Nacht ahnt, dass ein besonderes Freudenfest anliegt. Doch bittet sie, der Freude mit stillen Tönen Ausdruck zu geben, mit "sanften Flötentönen" und "gelindem Saitenspiel".

191 Marx 1982, S. 62. 109

Dies wird in einer Arie mit reizvollen tonmalerischen Effekten ausgedrückt wird, die ei- nen überraschenden Sinn des Komponisten für musikalischen Humor erkennen lässt. So setzt das Orchester jedes Mal völlig unerwartet bei den Worten "Stille, still!" aus, das "sanfte Stei- gen und Sinken" der Flötentöne wird durch simple Aufwärts-Abwärts-Tonleitern der Flöten und der Singstimme geschildert. (Notenbeispiel VII.1) Nach dem letzten unbegleiteten "Still!"-Ruf der Sängerin bleibt das erwartete Orchesternachspiel tatsächlich aus und das fol- gende Rezitativ schließt nahtlos an. Nun platzt die Schar der Liebesengel herein und preist die Macht der "keuschen Liebe". Diese versucht, den Zorn der Nacht mit der Beschreibung der Tugenden der Braut zu dämp- fen. Unterstützt wird sie von der Treue, deren Gefolge sogleich die Vorzüge einer aus Treue und Tugend gespeisten Liebesflamme mit einer Menuett-Arie preist. Der Bestand beschreibt die verliebten Gefühle des Bräutigams. Durch diese Ausführungen vollkommen überzeugt ist die Nacht sogar bereit, selbst mit in den Jubel einzustimmen, worauf der Chor der Vergnüg- lichkeiten seinen Glückwunsch überbringt. Die Treue bittet nun die Abendstunden und Schat- ten der Nacht, dem Paar einen angenehmen Schlummer zu bereiten. Die Nacht ver- spricht, das Paar vor üblen Träumen zu bewahren und alle vier allegorische Gestalten spre- chen nacheinander Glückwünsche für die Zukunft aus. Nacht und Bestand beschwören die ewige Dauer der Liebesbande der Neuvermählten, worauf ihre Worte vom ganzen Chor über- nommen werden.

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Notenbeispiel VII.1: Die keusche Liebe (D-Hs, ND VI 118), erste Arie der „Nacht“ (Anfang).

Die Orchesterbesetzung dieser ältesten erhaltenen Hamburger Serenata ist noch recht sparsam gehalten. Das vierstimmige Orchestertutti begleitet die Chöre sowie die Arie der Nacht, in der zur Unterstreichung des Textes zudem noch zwei Blockflöten mitwirken. Die Arietta der keu- schen Liebe wird nur von Traversflöten oder Violinen colla parte mitgespielt. Die beiden üb- rigen Arien werden von den Violinen unisono begleitet. Die Serenata ist, verglichen mit spä- teren Werken, von bescheidenen Dimensionen, die Sätze sind knapp gehalten, was besonders für die äußerst kurzen, syllabischen Choreinwürfe gilt.

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Oratorium und Serenata zur Hochzeit der Eltern des berühmten Hamburger Rechtsge- lehrten Johann Paul Trummer (1718-1795), des Kaufmanns Paul Hermann Trummer (1686- 1759) und seiner Verlobten Catharina Margaretha Conau (Konow) am 18. November 1716 in deren Haus am Wandrahm, stammen ebenfalls von Mattheson. 192 Leider ist die Musik zu bei- den Werken nicht erhalten. In der Serenata Das Mercurialische Opferfest tritt Gott Mercur auf und verlangt als "Opfer" für sich die Elbnymphe Conavia, die eigentlich dem Dienste an Amor geweiht ist. Der Liebesgott will das schöne Mädchen natürlich nicht hergeben. Doch dann stellt sich heraus, dass sich unter der Verkleidung als Mercur niemand anders als der Bräutigam Trummer verbirgt. Nun willigt Amor gerne in die Verbindung des Paares ein, zu- mal er diese bereits geplant hatte.

Waren die bisher beschriebenen Serenaden und Kantaten für Hochzeiten innerhalb von rei- chen Kaufmannsfamilien entstanden, komponierte Mattheson 1717 die Musik zu einer Hoch- zeitsfeier, die im Kreis der bedeutendsten Theologenfamilien der Hansestadt stattfand. Balthasar Mentzer war der Sohn des gleichnamigen Rektors des akademischen Gymnasiums. 1714 wurde er zum Nachfolger Esdras Edzardis als Pfarrer der evangelisch-lutherischen Drei- einigkeitskirche in London berufen, die Ordination dafür fand in Hamburg statt. 193 Er heirate- te am 12. August 1717 Johanna Hedwig Winckler. Ihr Vater Johann, gestorben 1705, war der zweite Hauptpastor in der Geschichte der neuen großen St.-Michaelis-Kirche und ab 1699 Senior des Geistlichen Ministeriums, ihre Brüder Johann Anton und Johann Friedrich gehör- ten als Ratssyndikus resp. Professor am akademischen Gymnasium und Hauptpastor an St. Nicolai ebenfalls zu den einflußreichsten Hamburger Persönlichkeiten ihrer Zeit. 194 Die Hochzeit fand im Hause "aufm Neuen Wall bey H. Professor Mentzer", also dem Vater des Bräutigams, statt. 195 Als Dichter für das Oratorium 196 wurde Johann Georg Glauche ausge- wählt, der wenige Monate später auch die Texte zu den beiden von Mattheson vertonten Fest- oratorien für den Hamburger Dom, Der siegende Gideon und Der reformierende Johannes schreiben sollte.

192 Text des Oratoriums in S/279 Bd. IV, Nr. 91a / Bd. VIII, Nr. 96; Serenata in Bd. IV, Nr. 91b / Bd. VIII, Nr. 97. Cannon liest fälschlich "Lonau". Vgl. Koerner 1911, S. 408. Es handelt sich bei dem Paar um die Eltern des berühmten Hamburger Rechtsgelehrten Johann Paul Trummer (1718-1795). Eintrag der Hochzeit im Hochzeitenbuch, Bd. 5, S. 123, dort Hinweis auf Mitwirkende: "8 Musicant und ein junger VioldeGamb." 193 Bruhn 1963, S. 158. 194 Jensen 1958, S. 158f.. 195 Hochzeitenbuch Bd. 5, S. 216. 196 Textdruck S/279 Bd. IX, Nr. 85. 112

Für die Serenata 197 lieferte dagegen der nach Dresden umgezogene Johann Ulrich von König die Textvorlage. Die Dichtung ist reich an biographischen Bezügen zu dem Brautpaar und ihrer Familie. Euterpe ruft den Chor der öffentlichen Lustbarkeiten zur Feier des beson- deren Tages herbei. Auch Terpsichore will mit ihrer Zither ein Lob auf das Paar anstimmen, dessen Kunstliebe besonders hervorgehoben wird. Phoebus beschließt deshalb mit den beiden Musen zu Ehren des Brautpaars eine Kantate mit dem Titel Die triumphierende Beständigkeit aufzuführen. Phoebus schlägt vor, das Stück von allen drei abwechselnd singen zu lassen und legt fest, wer welches Instrument zu spielen hat:

Euterpe / spiele du die Flöte mit darzu / Terpsichore / laß du die Zither klingen / Ich will dabey die Lautte künstlich zwingen.

Nachdem der Tadlergott Momus, der Beckmesser der barocken Opern- und Serenadendich- tung, sich als Kritiker anbietet, beginnt der Vortrag der Kantate, die nicht zufällig den oben beschriebenen weltlichen Hochzeitskantaten ähnelt. Die Kantate erzählt von dem Verlieben, dem Abschied und der langen Trennung des Paa- res und der Belohnung für ihr langes Aufeinander-Warten. Nach der Aufführung muss sogar der Tadler-Gott Momus, sonst immer schnell mit negativer Kritik zur Hand, sein Lob zum Ausdruck bringen, allerdigs vermißt er in der Kantate eine Herausstellung der beispiellosen Tugenden des Paares. Phoebus schildert nun den Ruhm Mentzers, den sich dieser schon wäh- rend seiner Studien in Wittenberg, Gießen und Leipzig und schließlich bei seiner Gemeinde in London erworben hat, während die beiden Musen die Schönheit und Musikalität der Braut anpreisen. Inzwischen treffen "Themse-Schäfer" an der Elbe ein, um ihren neuen "Ober- Hirten" in ihrer Heimat willkommen zu heißen. Momus hält schließlich noch eine ausschwei- fende, in bürgerliche Rührseligkeit abschweifende Lobesrede auf die verwitwete Mutter der Braut und ihre dem berühmten Vater nacheifernden Söhne, nicht ohne auf den das Familien- glück überschattenden, nur kurz zurückliegenden Tod einer anderen Tochter hinzuweisen, der auch schon in der Kantate erwähnt worden war. Phoebus, inzwischen etwas ungeduldig ge- worden, unterbricht die Tirade. Am Ende der Serenata, nach einer Wiederholung des Chors

197 Vgl. Cannon 1968, S. 167f., Signatur der Partitur ND VI 127. Text Bd. II, Nr. 63. 113 der Themse-Schäfer, werden von den vier Gottheiten Glückwünsche ausgesprochen und der ganze Chor beschwört noch einmal das Motto der Serenata: "Es hersche bey euch jederzeit / Die triumphierende Beständigkeit". Formal originell an diesem Text ist natürlich die Integrierung einer Kantate in die Hand- lung der Serenata. Vorbilder für solch eine Situation mag König in der zeitgenössischen Operndichtung gefunden haben: In Keisers L'Inganno fedele von 1714 trägt die Schäferin Silvamire in einem Konzert eine italienische Solokantate vor, wobei sie auf der Bühne mit Traversflöte, Cembalo und Calichon begleitet wird. 198 Die Besonderheit dieses Einfalls wird in dem Libretto durch die Kennzeichnung des Kantatentextes mit Anführungszeichen hervor- gehoben. Die Serenata wird von einer französischen Ouverture eröffnet. Ihr festlicher Anfangsteil beginnt mit dem unbegleiteten Einsatz der Oberstimme, die im zweiten Takt vom Bass imitie- rend beantwortet wird, entsprechend einer von Mattheson gerade für derartige Ouverturen- Sätze besonders geschätzten Technik. 199 Ein extravaganter Einfall beherrscht die anschließende Auftrittsarie der Euterpe. Die Singstimme bleibt den gesamten A-Teil über unbegleitet, nur an einigen Stellen bei dem Wort "Liebe" wird der Gesang durch einen Achtel-Quartsprung des Basses unterbrochen. Im Nach- spiel des Continuos wird die Schlusskoloratur der Singstimme motivisch weitergeführt. Im B- Teil setzt der Bass überraschend bei dem Wort "scherzen" kanonisch imitierend zum sequen- zierten Koloratur-Motiv der Singstimme ein. In dieser Arie erfüllt also die Continuo-Stimme an keiner Stelle ihre traditionelle Funktion als begleitende Harmoniestimme. Die fast durch- gehend fehlende Begleitung gibt der Evokation, die in dem Text ausgedrückt wird, besonde- ren Ausdruck: Erst mit den herbeigerufenen Lustbarkeiten kommt auch das Orchester in dem folgenden Ensemblesatz wieder zum Einsatz. Die instrumentale Beleitung der Kantate ist nicht zufällig gewählt, sondern spielt auf die von Phoebus erwähnten Musikinstrumente an. Die erste Arie, die die Worte des verliebten "Hirten" wiedergibt, wird von Phoebus selbst gesungen. Die Begleitung besteht aus Travers- flöten und einem sehr virtuosen obligaten Cembalopart, was als Darstellung der Instrumente

198 Vgl. das Vorwort von Max Schneider zur Ausgabe von Reinhard Keiser, Krösus / Sätze aus L'Inganno fede- le, DDT 37/38 (1912), Reprint 1958, S. X. 199 Man vergleiche hierzu Mattheson 1739, S. 336. Es handelt sich übrigens um den Beginn der Ouverture zur Oper Boris Goudenow (Partiturautograph: D-Hs, ND VI 114). 114

Euterpes und Terpsichores gemeint ist. Mattheson schrieb selbst zur Erklärung in die Partitur den Hinweis "ci representa la cetra" über die Cembalostimme.lostimme. (Abbildung(Abbildung VII.1) In Terpsichores Ar ieie spielenspielen nunnun wiederwieder diedie Flöten,Flöten, EuterpesEuterpes InstrumeInstrument, unisono mit den Violinen. Die virtuosen Spielfiguren der Instrumente werden im Verlauf der Arie von der Singstimme übernommen, im B -Teil entspinnt sich eine längere imitatorische Passage zw i- schen den b eiden Oberstimmen als Quintfallsequenz. (Notenbeispiel VII. 2) In der folgenden Nummer, einem Abschiedsduett des verliebten Paares, dasdas vonvon EuterpeEuterpe undund PhoebusPhoebus gesugesu n- gen wird, setzt Mattheson in den Ritornellen wieder dasdas obligateobligate CembaloCembalo ein,ein, diesmaldiesmal wenwen i- ge r virtuos und im aus der französischen Lautenmusik hervorgegangenen style brisé. Matth e- son schreibt dazu kommentierend in die Partitur "a guisa di liuto". Diesmal begleitet also der lautespielende Gott selbst den Gesang. Euterpes Adagio -Arie, die den Schme rz der einsamen Braut schildert, wird von den Violinen unisono begleitet. Phoebus' Schluss arie tritt aus dem Rahmen der kammermusikalischen Kantate: Hier setzt das ganze Orchester ein, die Dre i- klangsfiguren des Basses werden zudem teils von einer Trompete mitgespielt. Damit erhält die Kantate einen dem freudig -festlichen Anla ss entsprechenden Ab schluss .

Notenbeispiel VII.2: ND VI 127, Die über die Entfernung triumphierende Beständigkeitt , zweite Arie der Terpsichore (Anfang B -Teil).

115

Der ausgedehnten Lobeshymne auf den gelehrten und weitgereisten Bräutigam folgt ein fröh- licher Chor der "Themse-Schäfer", der sich durch seine obligate, rhythmisch stark akzentuier- te Orchesterbegleitung von den wesentlich einfachereren Ensemble-Sätze der Viet-Serenade absetzt. In dem Text des Schlusschores der Serenade wird das Motto der Schlussarie der Kan- tate wieder aufgenommen. Mattheson übernimmt die Musik dieser Arie und erweitert sie zum vollstimmigen Ensemblesatz mit zwei obligaten Clarino-Stimmen. Der formal originelle Text, die kunstvolle Instrumentation und die sorgfältige Satztech- nik lassen die Serenata als ungewöhnlich anspruchsvolle Komposition erscheinen, die dem hohen intellektuellen Niveau der der geistigen Elite Hamburgs angehörenden Auftraggeber entspricht. Im Jahr 1719 wurde die Volljährigkeit des jungen Herzogs Karl Friedrich von Holstein Got- torf begangen. Der Regierungsantritt stand jedoch unter keinem günstigen Stern: als Karl Friedrich aus Schweden, wo er seine gesamte Jugendzeit verbracht hatte, in Norddeutschland anlangte, war das Gebiet seines winzigen Herzogtums als Folge des Nordischen Krieges komplett von den Dänen eingenommen worden. Er begab sich am 15. Juni nach Hamburg, wo bereits der Großteil seiner Minister residierte. Er wurde mit großen Ehren vom Rat empfan- gen und bezog mit seinem kleinen Hofstaat ein Stadtpalais am Gänsemarkt. In den folgenden Monaten reiste Karl Friedrich nach Hannover und Wien, um als Angehöriger des Niedersäch- sischen Kreises vom Kaiser Unterstützung in der Gebietsfrage zu erlangen. Die folgenden Jahre lebte er in St. Petersburg, wo er großen Einfluß bei Hofe ausübte. Seine Hoffnung auf den Zarenthron erfüllten sich zwar nicht, doch kehrte er 1727 mit seiner Gattin Anna Pet- rowna, der Tochter Peters des Großen, nach Holstein zurück, wo er von nun an im Kieler Schloß residierte. 200

200 Zu den Hintergründen des Rußlandaufenthaltes von Karl Friedrich vgl. Bischoff 1999, S. 85-99. 116

Abbildung VII.1: Die über die Entfernung triumphierende Beständigkeit ND VI 127, S. 10, Arie d es Pho e- bus.

117

Am 30. Juni, also nur zwei Wochen nach seiner Ankunft in Hamburg, ernannte er Mattheson zum holstein-gottorfischen Kapellmeister. 201 Es ist nicht bekannt, wie Mattheson zu dem Ehren-Titel kam, doch könnte es sein, dass Mitglieder des holsteinischen Adels durch ihre Zugehörigkeit zum Hamburger Domkapitel in engem Kontakt zu Mattheson standen. Empfehlende Worte von Matthesons Dienstherrn von Wich könnten ebenfalls ausschlagge- bend gewesen sein, bemerkt doch Mattheson selbst in seiner Autobiographie: "Um diese Zeit stund bey dem Gottseel. Hertzog, Carl Friedrich, der Herr von Wich dermaassen in Gnaden, dass er nur sprechen durfte, so geschah was er verlangte." 202 Ein besonderer Förderer Matthe- sons war vor allem Freiherr Johann Adolf von Roepstorff, Oberkammerherr, Hofmarschall und Ober-Hofintendant des Herzogs und dessen engster Vertrauter, zeitweilig auch holsteini- scher Oberpostmeister und Propst des Hamburger Domkapitels, später Amtmann von Rein- bek.

...da ich nun eines Theils schon ein Jahr lang die Gnade geniesse / durch Eur. Hoch-Wohlgeb. Vorschub / auch unter Dero gütigsten Direction, in Ihro Königl. Hoheit Dienste / als Capellmeis- ter zu stehen; auch würcklich einige diesem Caractêre zukommende functiones, mit Herrschaftl. gnädigster approbation verwaltet habe

So heißt es in der an Roepstorff gerichteten Widmung der von Mattheson herausgegebenen Musicalischen Handleitung, zur Variation des General-Basses von Friedrich Erhard Niedt (1721),203 auch erfahren wir hier, dass Mattheson Musiklehrer von Roepstorffs Ehefrau war. Als Hof-Intendant war der Freiherr für "Festins" und "Réjouissances" am Hofe des Herzogs verantwortlich, zu denen Mattheson Musik beigesteuert hat. 204 Die jungen Söhne Johann Adolfs, Detlev und Karl Friedrich, Widmungsträger von Matthesons Gesamtausgabe der Cri- tica musica (1726), 205 hatten ihn während eines Besuches im Vorjahr durch ihr kunstvolles Clavierspiel begeistert. In seiner Widmung erinnert er noch einmal an die "von dero Hohem Hause genossenen Gutthaten und Ehrbezeigungen". Alle diese Aussagen weisen darauf hin, dass Mattheson häufiger durch Kompositionen und die Leitung der Aufführungen am hamburgischen Exilhof des Herzogs in Erscheinung getreten ist. Als zweimal im Oktober 1719 in Anwesenheit des Herzogs Hochzeiten gefeiert

201 Hamburgischer Relations-Courier vom 4. Juli 1719. 202 Marx 1982, S. 70. 203 Faksimile-Ausgabe Buren 1976 (=Bibliotheca Organologica 32). 204 Er wohnte ebenfalls in einem Haus am Gänsemarkt, Vgl. Jetztlebendes Hamburg, Hamburg 1723, S. 7. 205 Faksimile-Ausgabe Amsterdam 1964. 118 wurden, war es naheliegend, wiederum Mattheson mit den Kompositionen zu diesen Festlich- keiten zu betrauen. 206 Er griff dabei auf die in Hamburg etablierte Form der Hochzeitsserenata zurück, die in höfischen Kreisen in Norddeutschland ebenfalls bekannt und verbreitet war, 207 wenn auch prunkvolle Aufführungen wie diese für den jungen Herzog, der fast sein ganzes bisherige Leben am spartanischen Hof des Soldatenkönigs Karl XII in Stockholm verbracht hatte, eine völlig neue Erfahrung darstellten. 208 Über die Adressaten beider Stücke finden sich weder in der Literatur zum Holstein-Gottorfischen Hofe noch im Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv in Schleswig weiterführende Hinweise. Die von Cannon beschriebenen Text- drucke gelten heute als verschollen. Die Aufführungen müssen für Mattheson von großer Bedeutung gewesen sein, da er sie in seiner Autobiographie erwähnt: "Den 8. October aber hielt er, auf Befehl, eine starcke Abendmusik bei Hofe, und den 30. noch eine andere". 209 Die erste Serenata mit dem Titel Der Verlohrne und wiedergefundene Amor entstand zu dem "Hecklau-Roepstorffischen Vermäh- lungs-Feste" (Titelblatt siehe Abbildung VII.2). 210 Der Bräutigam gehörte einer Familie an, die mehrere hohe Beamte in der herzoglichen Regierung stellte, es könnte sich beispielsweise um Christian Anton von Hecklau handeln, der seit 1724 bis vor 1740 Mitglied der Kanzlei war. Die Braut war sicherlich eine Tochter des Oberkammerherrn, ein weiterer Hinweis für die enge Verbindung Matthesons zur Familie Roepstorff. 211 Während über die Identität dieses Brautpaars somit wenigstens ungefähre Aussagen getroffen werden können, war im Falle der Adressaten der zweiten Serenata vom 30. Oktober bisher nichts näheres herauszubekommen. Anlass der Aufführung war laut dem verschollenen Textdruck und dem wortgleichen Titel- blatt der Partitur die "Rich-Thibouische Vermählung". Unter den Personen, die mit dem hol-

206 Den Quellen selbst ist nicht zu entnehmen, ob die Feiern tatsächlich in Hamburg stattfanden. Der Beleg hierfür sind die regelmäßig geführten Protokolle des in Anwesenheit des Herzogs tagenden geheimen Regie- rungs-Conseils, das sich im entsprechenden Zeitraum tatsächlich in Hamburg versammelte. Vgl. Schleswig- Holsteinisches Landesarchiv Schleswig, Abteilung 8.1: Schleswig-Holsteinisches Geheimes Regierungs- Conseil. Nummer 2975: Konferenzprotokolle. 207 Beispiele bei Kremer 1998, S. 245-247, darunter auch eine Serenata in Kiel 1725 anläßlich der Hochzeit des Herzogs mit Anna Petrovna. 208 Er teilte dies Mattheson nach der Aufführung der ersten Serenata mit, vgl. Johann Mattheson, Grundlage einer Ehrenpforte , Hamburg 1740, Reprint Berlin 1910, S. 64. 209 Marx 1982, S. 70. 210 Vgl. Cannon 1968, S. 172, Signatur der Partitur D-Hs ND VI 137. 211 Eine Auflistung von Schriftstücken des Herzogs von 1735, die diesem nach dem Tode von Roepstorffs resti- tuiert wurde, ist mit "Roepstorff Wittwe" und "E. v. Hecklau" unterzeichnet, was auf eine gemeinschaftliche Verwaltung des Nachlasses durch Witwe und Tochter schließen lässt. Vgl. Schleswig-Holsteinisches Lan- desarchiv Schleswig, Abteilung 8.1: Schleswig-Holsteinisches Geheimes Regierungs-Conseil. Nummer 1359: Akten zum Hofstaat Herzog Karl Friedrichs. 119 steinischen Hof in Beziehung standen, konnte weder ein Herr (von) Rich, noch ein Fräulein oder eine Frau Thibou(t) nachgewiesen werden. Mit "Rich" könnte vielleicht der Etatsrat Ernst Christian von Rieck gemeint sein. Beide Partituren haben auf der Rückseite des Titelblattes – wie im Falle der Viedtischen Serenade – ein Verzeichnis der singenden Personen oder "Characteres" mit Angabe der Aus- führenden. Drei der vier Sänger waren berühmte Interpreten der Gänsemarktoper, die Sopra- nistin Berenice Puchon (deren Vorname durch diese Quelle erstmals bekannt wurde), der Alt- Kastrat Giuseppe Gualandi, genannt Campioli, sowie der Bariton Johann Gottfried Riem- schneider. Als zweite Sopranistin wirkte eine Mademoiselle Reins mit. Mattheson teilt in der Partitur der ersten Serenade die Honorare für die Musiker mit:

la premiere [Puchon] eut 18 Duc. d'or. la seconde [Reins] autant. le troisieme [Campioli] } chacun 12 Duc. d'or. le quatrieme [Riemschneider] Le compositeur eut 50. Ecus. et les 8. symphonistes deux Duc d'or par tête &c.

Für die zweite Serenata galten die gleichen Tarife, denn Mattheson vermerkt dort unter dem Personenverzeichnis: "Die reconaissances waren ebens so wie bey voriger Serenate vom 6. Oct." 212 Durch diese Angaben erfahren wir von der sehr kleinen Besetzung der Instrumentalen- sembles bei den Aufführungen. Allerdings muss erwähnt werden, dass zu dem kleinen Hof- staat des Herzogs in dieser Zeit auch zwei Waldhornisten gehörten, die sicherlich die Horn- partien in den Stücken übernahmen und eventuell in der zweiten Serenata auch als Trompeter eingesetzt werden konnten. 213 Erstaunlich an der Auflistung der Gagen ist die Tatsache, dass die Sopranistinnen wesentlich mehr Geld erhielten als ihre männlichen Sängerkollegen.

212 Die Musiker müssen aus einer Privatkasse bezahlt worden sein, da sich in dem Cassa-Buch der Rentekam- mer keine Hinweise auf Ausgaben für Musikaufführungen finden: Schleswig-Holsteinisches Landesarchiv Schleswig, Abteilung 8.2.: Rentekammer, Nr. 1399: Cassa-Buch. 213 Sie sind erwähnt in der Aufstellung der Angestellten des Herzogs in den Akten zum Hofstaat Herzog Karl Friedrichs. 120

Abbildung VII.2: ND VI 137, Der Verlohrne und wiedergefundene Amor , Titelblatt.

Der Dichter des Verlohrnen und Wiedergefundenen Amor konnte bisher nicht ermittelt we r- den, doch ist eine Autorschaft Matthesons nicht auszuschließen. Interessanterweise sind säm t- licheliche ArienArien sowiesowie dasdas vonvon demdem KastratenKastraten CampioliCampioli gegesungene Rezitativ des Bacchus in itali e- nischer Sprache ge dichtet, entsprechend der an der Hamburger Oper üblichenichen ZweisprachiZweisprachi g- keit. Die Handlung stellt Göttin Venus in den Mittelpunkt,lpunkt, derder einmaleinmal wiederwieder ihrihr ungehorsungehors a-

121 mer Sohn entwischt ist. 214 Nacheinander bittet sie drei andere olympische Gottheiten, Pallas, Phoebus und Bacchus, um Hilfe bei der Suche. Während die ersten beiden keine Idee haben, meint der in Venus verliebte Bacchus, dass er Amor mit Hilfe seiner Satyrn und Faune finden wird, da Wein und Liebe untrennbar zusammengehören. Die Götter geben darauf eine launige Beschreibung des Liebesgottes ab. Phoebus bemerkt, dass sich Liebe und Eifersucht unmög- lich lange versteckt halten können. Pallas fordert die Schönen der Festgesellschaft mit einer Menuettarie zum Tanz auf und hält sie ebenfalls zur Suche an. Da entdeckt Venus ihren Sohn unter eben jenen Gästen: es hat ihn also in "Holsteins Lust-Reviere" verschlagen. Venus drückt nun ihre Freude über diese Entdeckung in einer weiteren Menuett-Arie aus. Phoebus überbringt darauf die obligatorischen Glückwünsche für die Hochzeitsnacht und der ganze Chor preist die Vorzüge einer von Treue und Beständigkeit geleiteten Liebe. Cannon charakterisiert das Werk treffend mit dem Satz: "The tone of Mattheson's score is typically secular". 215 Tatsächlich herrschen tänzerische Rhythmen und einfache Melodien in dem heiteren Stück vor. Erstaunlicherweise ist allerdings der überwiegende Teil der Sätze in Moll-Tonarten gehalten. Schon die Sinfonia für dreistimmiges Streicherensemble (ohne Viola), in der italienischen dreiteiligen Form, überrascht durch den stürmischen Beginn und die dichte, durch Chromatik aufgerauhte Harmonik. (Notenbeispiel VII.3) In der Besetzung der Arien überwiegt wieder die Unisono-Begleitung, die allerdings durch unterschiedliche Instrumentenfarben klangliche Abwechslung erfährt. Die durch muntere Synkopen-Rhythmen charakterisierte Arie der Pallas "Spera si scuoprir tua prole" wird beispielsweise von Jagdhör- nern, Oboen und Violinen unisono begleitet, in der zweiten Phoebus-Arie, "Amor e gelosia", verdoppeln Blockflöten die Violinstimme. Nach der ersten Arie des Bacchus erklingt eine instrumentale Loure pour les Faunes , ein Hinweis auf die Nähe des Werkes zur Form des höfischen Divertissement. Eine Besonderheit dieses Satzes ist die Tatsache, dass er als dop- pelter Kontrapunkt angelegt ist, indem in jedem der zwei Teile ein Stimmentausch zwischen Oberstimme und Bass vorgenommen wird. Gefolgt wird dieser Satz von einem ausgesprochen kunstvollen Duett des Liebespaares Venus / Bacchus, das im Stil eines generalbassbegleiteten Duetto da camera gehalten ist. Die Partie des Bacchus ist ausgesprochen virtuos gehalten, vermutlich lag es nahe, den Kastraten Campioli mit besonders brillianten Arien in den Vordergrund zu stellen. Das ab-

214 Dies scheint ein beliebter Handlungstopos für Hochzeitsserenaden zu sein, vergleiche Alessandro Scarlattis Serenata Venere, Amore e Ragione (Rom 1706, Libretto: Silvio Stampiglia). 215 Cannon 1968, S. 172. 122 schließende tänzerische Chor-Rondeau im Gavotte-Rhythmus führt zur Anfangstonart c-Moll zurück.

Notenbeispiel VII.3: ND VI 127, Der verlohrne und wiedergefundene Amor , Sinfonia (Beginn). Im Gegensatz zur eben betrachteten Komposition ist die Serenade Die Vergnügte Nacht 216 an Kunstfertigkeit und Reichtum der Ideen der Mentzer-Winckler-Serenade an die Seite zu stel- len. Dabei handelt es sich um keine absolute Neuschöpfung: Mattheson griff auf den König- Text der Serenata für die Viet-Mohrmann-Hochzeit von 1715, Die keusche Liebe , zurück. Trotzdem bezeichnete er sich in einer handschriftlichen Notiz in dem verschollenen Libretto auch als Textdichter. Dabei betätigte er sich jedoch vielmehr als Bearbeiter des älteren Textes. Dem Beispiel des Verlohrenen und Wiedergefundenen Amor folgend, ersetzte er den größten

216 Vgl. Cannon 1968, S. 172, Signatur der Partitur ND VI 138. 123

Teil der deutschen Arientexte durch italienische Neudichtungen. Das fehlerhafte, holprige Italienisch dieser Texte erinnert an ähnlich geartete Passagen aus Matthesons selbstgedichte- tem Libretto zu seiner nie aufgeführten Oper Boris Gudenow von 1710. 217

Vier Stücke aus der König-Serenata wurden in das neue Stück übernommen: die Ariette der Liebe, die Arie des Bestandes, der Menuett-Chor "Edle Flammen" sowie das Duett zwischen Nacht und Bestand. An Stelle des kurzen Chors der Abendstunden wurde eine solistische Arie für den "Abend" eingelegt, die von Campioli gesungen wurde, der auch die Partie der "Treue" interpretierte. Neben den Ersatzstücken hat Mattheson außerdem am Schluss zwei weitere italienische Arien eingefügt. Dadurch verliert der Text zwar seinen klaren architektonischen Aufbau, gibt aber Anlass zu reicherer musikalischer Entfaltung. An einigen Stellen wurde auch der Rezitativ-Text geringfügig verändert. Vor allem Abschnitte, in denen die Keuschheit der jungen Braut hervorgehoben wurde, sind in der Bearbeitung merkwürdigerweise unter- drückt worden - ob Fräulein Mohrmann einen tugendsameren Lebenswandel führte als die unbekannte Mademoiselle/Madame Thibou? An einer Stelle scheint sich Mattheson befleißigt gefühlt zu haben, die Vorlage Königs zu ändern, um den herzoglichen Gastgeber zu würdi- gen, indem er ihn durch die Worte der "Liebe" als Stifter der Ehe hervorheben lässt und gleichzeitig die versammelte Hofgesellschaft umschmeichelt:

Die Keusche Liebe (1715) Die vergnügte Nacht (1719) Durch unsers Hohen Fürsten Hand Ein schönes Kind von der die Großmuth längst bekandt Das ich mit reiner Glut entzündt und dessen Herz voll Gnaden-Triebe, Ist in dem Ehstands-Orden sind heut' im Ehstand Orden Heut' eingezeichnet worden. zwo treue Seelen eingezeichnet worden. Hie sitzt das holde Bild Hie sitzt der güt'ge Printz, komm / schau es an schau ihn mit seiner Hofstatt an, und sprich, und sprich, ob man viel schöners finden kann? ob man viel schöners finden kann?

Interessant an Matthesons musikalischer Neufassung ist die Tatsache, dass die Rezitative über weite Strecken neu komponiert wurden, wobei eine wesentlich differenziertere musikalische Deklamation zu beobachten ist. 218

217 Partitur D-Hs ND VI 114, handschriftliches Textbuch verschollen. 124

Zu Beginn der Serenata folgt auf eine kurze, anspruchslose Sinfonia für Trompete, zwei Violinen und Continuo ein festlich-virtuoser konzertierender Ensemble-Satz für den "Chor der Liebes-Engel". Damit wirkt der Auftritt der in ihrer Ruhe gestörten Nacht nun wesentlich motivierter als in der älteren Serenata, deren Ouverture ja fehlte. Die neue Arie der Nacht "Piano, piano", die die oben beschriebene Arie "Stille, still" aus der älteren Serenade ersetzt, ist wesentlich umfangreicher als jene und setzt drastische dyna- mische Effekte ein. Die Anfangsworte werden einhaltgebietend nach einem munteren Orches- tervorspiel für Trompete, Oboen und Violinen von der Singstimme in langen Werten nur vom Continuo begleitet vorgetragen. Zu dem Text "Sotto voce io vò cantar / flauti soli farò suonar / non rimbombar le trombe si lontano [!]" wird in ein ruhigeres Siciliano-Tempo gewechselt, die Stimme wird nurnoch von zwei Traversflöten und pizzicato-Bässen begleitet. (Notenbei- spiel VII.4) Bei dem Wort "rimbombar" imitiert die Stimme den Trompetenklang durch Dreiklangs- motivik. Zwischendurch unterbricht das Orchestertutti den Gesang, um von der Sängerin er- neut zur Ordnung gerufen zu werden. Im zweiten Dreizeiler der Arie heißt es "Questo Cemba- lo vuò temprar, dolcemente m'accompagnar / con la senestra mano", und bei der letzten Zeile spielt tatsächlich nur noch das Cembalo tasto solo , also allein mit der linken Hand. Nachdem die Nacht von den übrigen Figuren "bekehrt" worden ist, stimmt sie einen virtuosen Wechsel- gesang mit dem Chor der Vergnüglichkeiten (von den übrigen drei Solisten gesungen) an, der die Liebesgötter herbeiruft. Im Orchester sorgen zwei hohe Jagdhörner für besonderen Glanz. Wie in der älteren Serenata bittet auch hier nun die "Treue" die Abendstunden herbei, um dem Paar einen angenehmen Schlaf zu bereiten. Im Gegensatz zu der nicht besonders charakteristi- schen Arie aus der Viet-Serenade trifft das neue Stück "Sospiri dormite", für den Altisten Campioli komponiert, durch die Tonart f-Moll und die Pizzicato-Begleitung der Bässe die durch den Text vorgegebene dunkle Stimmung. Die abschließenden Glückwünsche an das Brautpaar werden zweimal durch Arien unter- brochen. Die Arie "Scherzate sù scherzate", von der Nacht gesungen, ist eine Parodie der Schlussarie des Phoebus aus der Kantate der Mentzer-Winkler-Serenade, wobei lediglich die Singstimme oktaviert und der neue Text unterlegt wurde. Die Arie für die Liebe, "Caccia og-

218 Ein vergleichbarer Fall liegt in der späteren Fassung des Weihnachtsoratoriums Die gnadenreiche Geburt (Neuer Titel: Die freudenreiche Geburt , Partitur D-Hs, ND 119a) vor, auch hier wurde die musikalische De- klamation der Evangelistenpartie gegenüber der älteren Fassung (Partitur D-Hs, ND 119) wesentlich verfei- nert. 125 n'uno il suo dolore", ist eine Polonaise, wie die erste Tenor-Arie der Krause-Kähler- Hochzeitsmusik von 1715. Das Schlussduett zwischen Nacht und Bestand erhält an Stelle des Tutti-Abschlusses ein reguläres Da-Capo für die beiden Solisten. Hierauf folgen ein neuge- dichtetes Rezitativ für die Liebe und ein neuer Schlusschor, der die Worte des A-Teils der Arie der Nacht wiederholt. Mattheson griff auch hier auf die Serenata von 1717 zurück, näm- lich auf den Schlusschor "Es herrsche bei euch jederzeit". Die Frage, ob die beiden Holsteiner Serenaden als dem höfischen Milieu zurechenbar von den "bürgerlichen" Hochzeitsmusiken zu unterscheiden sind, muß nach der Untersuchung dieser Werke wohl verneint werden. Ein äußerlicher Unterschied mag in der Verwendung der italie- nischen Sprache zu finden sein, doch enthielt ja bereits Barthold Feinds Text für Reinhard Keisers Serenata pastorale von 1714 italienische Arientexte. Die glanzvolle Instrumentation und die virtuose Gestaltung der Gesangspartien in den beiden holsteinischen Serenaten lässt sich auch in der Triumphierenden Beständigkeit wiederfinden, ebenfalls in der von Reinhard Keiser vertonten Hochzeitsserenata für Otto Luis von 1716. So wie die Hamburger Gänse- marktoper gleichermaßen von adligen Gästen wie von der ortsansässigen Oberschicht fre- quentiert, unterstützt und beeinflusst wurde, so können auch auf dem Gebiet der "privaten musiqen" keine stilistischen Unterschiede zwischen höfischem und bürgerlichem repräsenta- tiven Kompositionsstil festgestellt werden. Ein besonders deutlicher Hinweis hierfür ist die beobachtete Übernahme einer für die traditionelle "große Köste" einer Kaufmanns-Hochzeit gedichteten und komponierten Serenata anläßlich einer Hochzeitsfeier im höfischen Milieu. Ein ähnlicher Sachverhalt ist auch bei zwei weltlichen Kantaten Johann Sebastian Bachs zu beobachten, die ebenfalls durch Umtextierungen einem neuen Adressaten aus einer höheren sozialen Schicht angepasst wurden. 219 Dort wie hier war die ältere Fassung die für die Angehörigen des bürgerlichen Standes geschaffene Version, während für die adligen Ad- ressaten die Umarbeitung vorgenommen wurde. Das spricht gegen die These einer einseitigen Transformation einer höfischen Gattung in das bürgerliche Umfeld und für eine kulturelle Wechselbeziehung zwischen den beiden gesellschaftlichen Klassen.

219 So in BWV 210 (Kantate für ein Leipziger Bürgerhochzeit) / BWV 210a (Huldigungskantate für den Grafen Flemming) und in BWV 207 (Kantate zur Antrittsvorlesung des Leipziger Professors Kortte / BWV 207a (Glückwunschkantate zum Namenstag von Friedrich August II.). 126

Notenbeispiel VII.4: Die vergnügte Nacht (D-Hs, ND VI 138), erste Arie der „Nacht“

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VII.1 Anhang: Textdrucke zu Hochzeitskompositionen in der Commerzbibliothek Hamburg S/279 (1713-1721)

Anmerkungen zu diesem Verzeichnis: Die Titel sind in chronologischer Reihenfolge aufge- führt und mit laufenden Nummern versehen, wobei verschiedene Texte zu einer Hochzeit die gleiche Nummer erhalten, sie werden dabei durch die Buchstaben a/b/c unterschieden. Nach dem Titel wird die Bandzahl als römische Zahl und die Nummer innerhalb des Bandes aus der Sammlung S/279 angegeben. Das genaue Datum zur Hochzeitsfeier, die vollständigen Namen der Brautleute, Beruf des Bräutigams und Angaben zum Ort der Feier, gelegentlich auch zur Anzahl der mitwirkenden Musiker, sind dem Hochzeitenbuch der Wedde (siehe Anmerkung 157) entnommen.

1. Die Alleredelste Freyheit im Ehestande (Cantata) II, 89a + IX, 138 Datum: 5. Dez. 1713 Dichter: "vorgestellet durch einen beyderseits vornehmer Familien verbundensten Diener" Brautpaar: Franciscus Stubbe, Catharina Maria Möllers (Wedde, Bd. 3 S. 297), Stubbe war Vicar am Domkapitel und J.U.D. Druck: Greflinger

2.a Die geistliche Vermählung Christi mit der Tochter Zion (Cantata sacramentale/Oratorium) II, 56a + VIII, 63 + IX, 74 Datum: Sonntag Misericordias 1714 Brautpaar: Johannes Luis, J.U. Dr., Anna Elisabeth Sontum "des hochgeachten Herrn Adolph Sontum Ehleiblicher Jungfer Tochter die Hochzeit wird in Wandtrahm in dessen Haus" (Wedde Bd. 4 S. 67). Luis Personen: Christus, Tochter Zion, Engel Gabriel, Wächter Druck: Greflinger

2.b Der Abschied, die Wiederkunft und die Paarung der Geliebten (Serenata pastorale) II, 56c + IX, 76 Datum: 1. Mai 1714 Dichter: Barthold Feind Komponist: Reinhard Keiser Personen: Silvius, ein Elb-Schäfer, Muntosa, eine Elb-Schäferin, seine Verlobte, Albinus, ein junger benachbarter Schäfer, ihr Verwandter, Tugenilda, Mutter des Silvius, Justina, Mutter der Muntosa, Damon, Vetter des Silvius. Druck: Greflinger

3.a Musicalische Andacht bey der Höefft- Und Ottischen Copulation (Oratorium) II, 41+ IX, 54 Datum: 17. 5. 1714 Dichter: Johann Ulrich von König Brautpaar: Georgius Jacobus Höefft J.U.Dr. Anwalt, 1719 Richter am Niedergericht, Mitglied der Teutsch-übenden Gesellschaft von 1715 220 , † 1719, Catharina Gerdruth Ott(e) (Wedde S. 98, Ort: "in der Bohnstraße in Madam Otten ihrem Hauß"), Schwägerin von B. H. Brockes. Personen: Die göttliche Schickung, Die Ehliche Liebe, Sulamith, Sulamithin, Chöre der Engel, der Christlichen Gemeine, der Bürger und Töchter Jerusalem Druck: Greflinger

220 Hoefft war der Dichter von Matthesons OratoriumChristi Wunderwerke bei den Schwachgläubigen. 128

3.b Die listige Liebe (Serenata) IX, 55 Dichter: Johann Ulrich von König Personen: Venus, die Göttin der Liebe, Mercur, der Götter-Bothe, Hymen, der Braut-Gott, Chöre der Gratien, der Geschicklickeiten, der Amouretten Druck: Greflinger

4. Vermählung der Klugheit mit der Tugend (Kantate) II, 98 + VIII, 107 Datum: 1714 (anläßlich der Krönungsfeiern für Georg I.) Dichter: Johann Ulrich von König Komponist: Johann Mattheson Brautpaar: Cyrill v. Wich (Englischer Gesandter beim Niedersächsischen Reichskreis, Dienstherr und früherer Schüler Matthesons) , Anna Catharina von Wedderkop (Tochter des holsteinischen Ministers Magnus von Wedderkop, 1637-1721) Druck: Greflinger

5. Die vergnügte Treue (Cantata a due) II, 45 Datum: 10. Jun. 1715 (Textdruck) / 17. Juni (Wedde) Komponist: Johann Mattheson Brautpaar: Ferdinand Heinrich Kraus(e) (Wedde S. 300: "ein Kaufmann"), Maria Kähler Druck: ohne Angabe "8 Mus. B[raut]. Messe." Also wurde auch eine geistliche Musik aufgeführt.

6.a Musicalische Andacht Bey der Viet und Mohrmannischen Trauung (Oratorium) II, 93 + IV, 94 + VIII, 101 Datum: 2. September 1715 Dichter: Johann Ulrich v. König Komponist: Reinhard Keiser Brautpaar: Martin Viet "Ein Kaufmann" (Wedde S. 336), Engel Maria Mohrmann, Viet gehörte der Bürgerschaft an und war 1723 in den Deputationen der Gassen-Ordnung und der Schoß-Tafel St. Nicolai vertreten, er wohnte in der Bohnstraße Personen: Die Andacht, Die himmlische Vorsehung, Ein Engel, Der göttliche Seegen, Chöre der an- dächtigen Seelen, der Engel, der christlichen Kirche Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird in der Bohnstraße"

6.b Die keusche Liebe (Serenata) VIII, 100 Dichter: Johann Ulrich von König Komponist: Johann Mattheson Personen: Die Nacht, Die keusche Liebe, Die Treue, Der Bestand, Chöre der Abendstunden, der keu- schen Liebes-Engel, der ehlichen Tugenden, der Vergnüglichkeiten Druck: Greflinger

7. Die zärtliche und auffrichtige Liebe (Cantata) II, 35 + IX, 49 Datum: 28. Oct. 1715 Brautpaar: Johann Jacob Harries (Wedde: Horres) "Ein Kaufmann", Anna Dorothea Bolhorn (Wedde S. 360) Personen: Serrano, Camillo Druck: im güldenen ABC "3 Mus. über der Mahlz. / Braut Meß

8.a Musicalische Andacht Bey der Dimpfel und Alphusiuschen Trauung (Oratorium) II, 25b + VIII, 25 Datum: 26. November 1715 Dichter: Johann Ulrich v. König Brautpaar: Hans Albrecht Dimpfel "Ein Kauffmann", Cicilia Maria Alphusius (Wedde S. 363) 129

Personen: Die keusche Treue, Die ehliche Segen-Treue, Der Engel des Bundes, Chöre der Engel, Der christlichen Versammlung Druck: Greflinger "Die Hochzeit wirdt im Alten Wandtrahm", kein Vermerk zur Musik

8.b Die glücklich-getroffene Wahl (Serenata) II, 25a + VIII, 26 Dichter: Johann Ulrich von König Personen: Italia, , Adelberto, Chöre der welschen und teutschen Nymphen Druck: Greflinger

9. Auf das von Bobart-Und Edingische Hochzeits-Fest (Kantate) II, 11 + VIII, 6 (auch in PdN I, 150) Datum: 3. 12. 1715 Dichter: Michael Richey Brautpaar: Albert von Bobart "Ein Kaufmann", Catharina Elisabeth Eding (Wedde S. 386) Druck: Greflinger

10. Das mit Amor einige Geschick (Cantata pastorale) II, 71 + IX, 102 Datum: 9. Juni 1716 Brautpaar: Johann Albert Pape "Ein Kaufmann", Anna Stellings (Wedde Bd. 5 S. 68) Druck: ? "Die Hochzeit wird aufm Neuen Wall" / 8 Mus. / Braut Messe

11. Streit des Glückes und der Tugend (Cantata) II, 60 + VIII, 65 (auch in PdN II, 102) Datum: 22. Juni 1716 Dichter: Michael Richey Brautpaar: Gustav Lüttkens "Ein Kaufmann", Margareta Dunte (Wedde Bd. 5 S. 73) Personen: Tychander, Philaretus Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird im Wandrehm in H. Lütkens Haus"

12. Sieg der Liebe über die Kauffmannschafft (Kantate) II, 29 + VIII, 30 (auch in PdN II, 115) Datum: 11. August 1716 Dichter: Michael Richey Brautpaar: Albert Elers, Subdiakon in St. Nikolai, Maria Bührings Personen: Argentino, Gelante Druck: Greflinger Wedde, S. 89 Angaben zur Musik: "umb 3 Uhr Waldhörner. 8 Mus. [...] Sänger Mons. Betzhold und Hasse" "Die Hochzeit wurde in der Deichstraße"

13. Die befriedigte Astraea (Cantata) II, 90a + VIII, 95 Datum: 14. Okt. 1716 Dichter: Michael Richey Brautpaar: Joh. Julius Surland J.U.L., er verfaßte Hochzeitsgedicht für B. H. Brockes, in PdN II, 82, 1719 Syndikus, Catharina Rebecca Fürsen (Wedde S. 108) Personen: Astraea, Amor Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird hinter St. Petri"

14. Als (S.S.T.T.) Monsieur Luis mit Madame Beltgens gebohrner Boonin ...sich höchstglücklich ver- mählete, ward mit einer Serenata schuldigst aufgewartet II, 57 + VIII, 64 (auch in PdN II, 123) Datum: 30. 11. 1716 Dichter: Michael Richey Komponist: Reinhard Keiser (Musik erhalten)

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Brautpaar: Otto Luis, 1723 Mitglied im Admiralitäts-Gericht, 1720 Provisor am Spinnhaus, Anna Maria Beltgens geb. Boonin (Wedde S. 135) Personen: Venus, Arethusa, Apollo, Momus, Chöre der Nymphen, der Musen Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird im Wandrahm" "8 Musicanten 1 Mich Reinwaldt zum Clavir umb 2 Uhr"

15.a Oratorium auf die Trummer- und Conauische Verehligung IV, 91a + VIII, 96 Datum: 18. 11. 1716 Komponist: Mattheson Brautpaar: Paul Hermann Trummer (Wedde S. 123) (1686-1759, Kaufmann zu Hamburg, Cathathari- na Margaretha Conau (Konow) Personen: Die Liebe, die Andacht, der Segen / Chöre der Kirche, der Betenden mit den Verlobten, der andächtigen Christen Druck: Greflinger "8 Musicant. und einer junger/VioldeGamb" "Die Hochzeit wird am Wandrahm"

15.b Das Mercurialische Opffer (Serenata) IV, 91b + VIII, 97 Komponist: Mattheson Personen: Amor, Mercurius, Conavia, Chor von Nymphen und Schäfern Druck: Greflinger

16. Der Hirten und Nymphen zu Wohltorp getreue Wunsches-Erstlinge (Cantata) II, 4 + VIII, 2 Datum: 3. 12. 1716 Brautpaar: Wolter / Walther Beckhoff "Ein Kaufmann in Wandrahm" (Wedde S. 135), Beckhoff war Ratsherr seit 1698, er verstarb 1727, Sara Elisabeth Schröder. "Hochzeit wirdt in Wandrahm" Druck: Th. Wierings Erben

17.a Oratorio, oder: Musicalische Andacht II, 40b + VIII, 43 Datum: 12. 4. 1717 Dichter: Johann Ulrich v. König Komponist: Reinhard Keiser Brautpaar: Johann Höckenkamp "Ein Kaufmann", Catharina Elisabeth Mohrmann (Wedde S. 161) "Die Hochzeit wird im Grün [Grimm]" Personen: Die ehliche Neigung, die Einigkeit, der göttliche Beystand / Chöre der keuschen Liebes- Engel, der andächtigen Versammlung Druck: Greflinger

17.b Die glückliche Liebes-Schiffarth (Cantata) II, 40a + VIII, 45 Dichter: Margaretha Susanna Keiser Druck: Greflinger

17.c Die glückliche Verbindung der Schönheit und Jugend (Serenata) II, 40c + VIII, 44 Dichter: Johann Ulrich von König Komponist: Reinhard Keiser Personen: Hebe, Comus, Pan, Chöre der Nymphen und Jünglinge, der Fröhlichkeiten, der Faunen Druck: Greflinger

18. Streit zwische der Schönheit, Vernunft und Tugend (Serenata) II, 58 Datum: 25. 5. 1717 Dichter: Barthold Feind Brautpaar: Helwig Ludwig Luis "Ein Kaufmann", Anna Thorbeeke (Thorbeck) (Wedde S. 186) Personen: Die Schönheit, die Vernunft, die Tugend / mit deren Gefolge von Plaisirs, Musen, und Künsten, Socrates mit Academisten "Die Hochzeit wird im Wandrahm in Herrn Luisen Haus"

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19. Bey dem Rendorff- Und Grevischen Hochzeit-Feste (Serenata) II, 77a + VIII, 76 Datum: 8. Juni 1717 Dichter: "ein guter Freund" = Georg Jakob Hoefft (hs. Anmerkung von Richey) Brautpaar: Hermann Rendorff / Rentorp (Wedde, S. 194: Rondtorff) (1679-1735), Kaufmann in der kleinen Bäckerstraße, Dorothea Greve (1693-1770) 221 Personen: Venus, die Göttin, Hammonia, Hymen der Gott des Ehestandes, Mercur der Gott der Kauf- fmannschafft, Chöre von Gratien, von Plaisirs und Amouretten, von dem Gefolge der Hammonia Druck: Greflinger "die Hochzeit wird auf der holländischen Riege in der Frauw Dunden ihr Hauß"

20.a Oratorio bey der Trauung.... IX, 85 Datum: 12. Aug. 1717 Dichter: Johann Georg Glauche Komponist: Johann Mattheson Brautpaar: Balthasar Mentzer "Pastor der unveränderten Augspurgischen Confession zugethanen Schwedischen Kirche zu London in England", Johanna Hedwig Winckler Personen: Der himmlische Seelen-Freund, Die Göttliche Wahrheit, Der Evangelische Prediger, Die Eheliche Treue, Chöre. Der Englischen Schutz-Geister, Der Evangelischen Gemeine Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird aufm Neuen Wall bey H. Professor Mentzer" (Wedde, S. 216)

20.b Die Über die Entfernung triumphirende Beständigkeit (Serenata) II, 63 Dichter: Johann Ulrich von König Komponist: Johann Mattheson (Musik erhalten) Personen: Phoebus, Euterpe, Terpsichore, Momus, Chöre der öffentlichen Lustbarkeiten, der Musen an der Elbe, der an dem Elbe-Strohm sich aufhaltenden Themse-Schäfer Druck: Greflinger

21. Zu der wohl-überlegten Goebel- und Nagelischen Vermählung wolte in einer schlechten Taffel- Music.... (Kantate/Taffel-Music) II, 31+ IX, 39 Datum: 12. Oktober 1717 Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Johann Gerhardt Goebel (Wedde S. 229), „Hofmeister des Hospitals zu St. Georg“, Susan- na Maria Nagel Personen: Daphnis, ein Schäffer Druck: Neumann "Die Hochzeit wirdt zu St. Jürgen" (=St. Georg)

22.a Musicalische Andacht bey der Lohe- und Tönnieschen Trauung II, 54a Datum: 23. Nov. 1717 Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Andreas Lohe "Ein Kaufmann", Catharina Dorothea Tönnies (Wedde S. 251) Personen: Die andächtige und auf Gott trauende Seele, Der Göttliche Trost Druck: Neumann "Die Hochzeit wird im Wandrahm"

22.b Die beständige Liebe (Serenata) II, 54b + IX, 73 Komponist: Matthias Christoph Wideburg Personen: Die Liebe, Der Bestand

221 Nachweise bei Koerner 1927, S. 375, Porträt der Braut. 132

Druck: Neumann

23. Die von denen vier Jahres-Zeiten erörterte Frage: zu welcher Zeit es am besten zu heyrathen? (Serenata) II, 12 + VIII, 7 Datum: 25. 1. 1718 Dichter: Daniel Gottfried Schultze, Stud. Med. (Vgl. Schröder VII, S. 93) Brautpaar: Philipp Boetefeur "Ein Kaufmann“, Magaretha Mattfeld (Wedde S. 269) Personen: Venus, Jupiter, Apollo, Mars, Mercurius, Neptunus, Aeolus, Cupido, die vier Jahreszeiten mit ihrem Gefolge: Früling / Artius, Aprilis, Majus, Sommer / Junius, Julius, Augustus, Herbst / Sep- tember, October, Novembris, Winter / Decembris, Januarius, Februarius Druck: J. H. Richter, Leipzig "Die Hochzeit wird in der Rehmstraße...Herr Böetefeurs Haus"

24. Als Monsieur Kopp Und Mademoiselle Rumpfinn Ihr Hochzeitsfest ... celebrirten (Serenata) II, 43 + VIII, 53 Datum: 15. Febr. 1718 Dichter: "ein bekandter Ungenannter" (lt. Richey: Matth. Joh. Rulant) Brautpaar: Hinrich Ludolph Kopp "Ein Kaufmann", gehörte der Deputation der Bürgerschaft bei dem Admiralitäts-Zoll an, wohnte in der Catharinenstraße, Anna Rumpf (Wedde S. 267) Personen: Die Schönheit, Der Reichthum, Die Tugend, Cupido, Amando, Cupidinis geheimer Secreta- rius Druck: ohne Angabe Die Hochzeit wird in der Catrinenstraße..."

25. Musicalische Andacht Bey dem Von Niendahl und Atekens Trauungs-Feste (Oratorio) II, 68 Datum: 18. Mai 1718 Dichter: "ein dazu ersuchter Freunde" Brautpaar: Johan von Niendahl (Wedde S. 296) "Ein Kaufmann", Hanna Maria Atkens Personen: Der Engel des Bundes, Die eheliche Treue, Choral der Christlichen Gemeine Druck: Jakhel (Dom-Kirchhof) "Die Hochzeit wird beym Dohm in Niendahls Haus"

26. Das durch Göttl. Raht-Schluß und Liebe gebundene Weber-Scheidemannische Ehe-Band (Cantata) II, 97 + VIII, 105 Datum: 21. Nov. 1718 Dichter: J. von Essen Brautpaar: Weber (nicht in der Wedde), Scheidemann Personen: Göttlicher Raht-Schluß, Liebe Druck: C. Neumann

27. Der Wechsel der Zeit mit Freud und Leid "anstatt einer Braut-Messe" II, 72 Datum: 1718 Dichter: J. H. (Johannes Hübner?) Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Eberhard Pell "Rahtmann" seit 1715, wohnte in der Gr. Reichestraße, Margaretha Elisabeth Möller (Wittwe) (Wedde S. 370) Personen: Tempus, die Zeit, Cherander, der Verlaßne, Solimene, die Einsahme "Die Hochzeit wird in der Rehmstraße"

28. Bey dem Marquard- und Berghauerische Hochzeit-Feste (Serenata) IX, 82 Datum: 23. Jan. 1719 Dichter: "Ein verbundener Diener" Brautpaar: Johann Conrad Marquard "Pastori zu Collmar", Magdalena Elisabeth Berghauer "...Andreas Berghauers Pastor in Ochsenwerder ehleibl. Jungfer Tochter" (Wedde, S. 388)

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Personen: Albis, der Gott des Elbe Stroms, Die Nymphen der Elbe zu Ochsenwerder, Invidia, die Göt- tin des Neides, Mirindo, ein Schäfer Druck: König

29. Amors profitable Liebes-Reise (Cantata) II, 94 / VIII, 102 Datum: 20. Febr. 1719 Dichter: Johann Georg Glauche Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Bernhard Vogelbusch, Subdiakon zu St. Petri im Kollegium der 180, Magret Elisabeth Schütt (Wedde S. 399) Personen: Amor, Patron der Verliebten; Mercurius, Patron der Kauffmanschafft Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird im Crehmon" "8 Mus."

30. Das bey der Frühlings-Lust erlangte Liebes-Glück (Ecloga / Cantata) VIII, 24 Datum: 9. Mai 1719 Dichter: Nicolao Junge Brautpaar: Clas Dee junior "Ein Kaufmann" / Margreta Gerber (Wedde Bd. 6, S. 9) Druck: Fr. C. Greflinger "Die Hochzeit wird in der Deichstraße in H Deen Haus"

31.a Liebe, Freude und Andacht vergesellschaftet bey der Trauung... (Oratorio) II, 14a + VIII, 8 (auch in PdN IV, 187) Datum: 1. 8. 1719 Dichter: Michael Richey Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Johann Joachim Boetefeur "Ein Kaufmann" (Wedde, S. 49), Anna Tönnies (Wedde: Ton- sen) Personen: Liebe, Freude, Andacht, Chor der gottseeligen Versammlung Druck: Greflinger "Die Hochzeit wird in der Rehmstraße"

31.b Treu ist Wildprät (Dialogo) II, 14b + VIII, 9 (auch i PdN IV, 194) Dichter: Michael Richey Komponist: Matthias Christoph Wideburg Personen: Amoena, Polites, Sylvius Druck: Greflinger

32. Die Freude der Musen (Cantata) IX, 4 Datum: 19. 11. 1719 Dichter: von einem guten Freunde Brautpaar: Conrad Arnoldi 222 "Ein fremder Musicus", Magaretha Oldenburg "Jeronimus Oldenburgs ehl. Tochter" (Wedde, S. 84), Oldenburg war Direktor der Ratsmusik Druck: Greflinger "die Hochzeit wird auf dem Hof von Holland..."

33. Trauungs-Music (geistl. Kantate) II, 46a + VIII, 55 Datum: 28. 11. 1719 Dichter: R[ichey]

222 Zu Arnoldi vgl. Neubacher 2009, S. 411-412. 134

Brautpaar: Jeremias Siegmund Krause "Ein fremder Kaufmann", Adolphine Christiana Neumeister "des hochgelehrten Herrn Erdmann Neumeistern eheleibliche Jungfer Tochter" Wedde S. 86 Druck: Gennagel "wird bey dem H Past. Neumeister"

34. Sieg der Liebe über Zeit und Glück (Serenata) IX, 123 Datum: 14. Febr. 1720 Dichter: J. G. Glauche Komponist: "Die wegen eingefallener Trauer nicht aufgeführte Music hatte Monsr. Wideburg compo- nirt." (Textbuch) Brautpaar: Andreas Schacht, "Commissaire du S.R.M. du Preusse", Wedde: "Ein frembder aus Har- burg", Elisabeth Gerdruth Pape (Wedde, S. 108) Personen: Eros, vorstellend die Liebe, Tyche, vorstellend das Glück, Pronoea, vorstellend die Vorse- hung, Chronus, vorstellend die Zeit, Chöre der Vergüglichkeiten, der Quaalen, der Stunden Druck: T. Wierings Erben "Die Hochzeit wird im Wandrahm in des Herrn Bürgermeister Mattfeldts Haus"

35.a Die göttliche Vorsorge (Cantata, eigentlich Oratorium) II, 27a + VIII, 28 Datum: 9. April 1720 Dichter: J.H.R. (Johann Hübner Rector) Komponist: M.C.W. (Wideburg) Brautpaar: Hieronymus Heinrich de Drusina (1693-1729) "Ein Kaufmann" (Wedde S. 114), Maria Amsinck (1697-1749) 223 Personen: Providentia, die göttliche Vorsorge, Fides, der Glaube, Charitas, die Liebe, Spes, die Hoff- nung, Chor der christlichen Versammlung Druck: Neumann "im Wandrahm"

35.b Das alte Sprich-Wort: Gleich und Gleich gesellt sich gern (Taffel-Music / Serenata) II, 27b Dichter: Johann Hübner Komponist: Matthias Christoph Wideburg Personen: Venus, die Göttin der Liebe, Mercurius, der Patron der Kauff-Leute, Malcontento, Furioso: zwey unvergnügte Seelen Druck: Neumann

36. Die Unumstößige Warheit des gemeinen / aber auch warhafftigen Sprichwortes: Was sein sol / schickt sich wohl (Cantate) IX, 11 Datum: 14. Aug. 1720 Dichter: „Ein Des Hrn. Bräutigam alter und wohlbekandter Academischer Freund K.“ Brautpaar: Borgeest, Richter Druck: Spieringk Keine Hochzeit mit Brautpaar dieses Namens in Hamburg in diesem Jahr nachweisbar. Borgeest war aber ein verbreiteter hamburgischer Familienname.

37. Die mit der Gerechtigkeit bereinigte Liebe (Dialogo) VIII, 71 Datum: 16. Sept. 1720 Dichter: C. H. Mezner (Secretar)

223 Siehe Koerner 1910, S. 16. 135

Brautpaar: Johann Ulrich Pauli "Dr. und Rahtmann" (Wedde S. 179), Helena Ursula Schaffhausen Personen: Justitia, Amor "in dessen Haus [des Bräutigams] hinter Bleich"

38.a Musicalische Andacht bey der Möller- und Persentschen Copulation (Oratorio) IX, 95 Datum: 15. Okt. 1720 Dichter: Johann Georg Glauche Komponist: Matthias Christoph Wideburg Brautpaar: Peter Möller "Ein Kaufmann", Catharina Margaretha Persent (Wedde: Present) (Wedde, S. 188) Personen: Die Freude, Die Andacht, Die segnenden Hertzen Druck: T. Wierings Erben

38.b Neptunus und Mercurius, sammt denen Elb- und Alster-Nymphen (Tafel-Music / Serenata) IX, 96 Dichter: Johann Georg Glauche Komponist: Matthias Christoph Wideburg Personen: Neptunus, Beherrscher des Meeres, Mercurius, Vorsteher der Handelschafft, Die Elb- und Alster-Nymphen Druck: T. Wierings Erben

39. Die Stärcke der Liebe (Cantata a 2 voci con stromenti) II, 44 Datum: 1720 oder 1710? Brautpaar: Kopp, Emsteck (nicht im Wedderegister nachweisbar) Personen: Mars, Cupido

40. Bey der Höchst-beglückten Rentzelisch-Vegesackischen Ehe-Verbindung (Serenata) VIII, 77 Datum: 1720 Dichter: P. Stüven Brautpaar: Rentzel (nicht im Wedderegister nachweisbar), Vegesack Personen: Elpin, Melpomene, Apollo, Cupido, Fortuna, Chöre der Musen, der Glückseeligkeiten Druck: Gennagel Wittwe

41. Die mit Venus versöhnte Astraea (Serenata) VIII, 80 Datum: 25. Februar 1721 Dichter: C.H. Müller Brautpaar: Carl Schenck L[icentia]t., Magdalena Grootschilling (Wedde, S. 235) Personen: Astraea, Venus Druck: in Wittenberg

42. Tugendhaffte und beglückte Liebe (Serenata) II, 85 + VIII, 93 Datum: 21. April 1721 Dichter: Weichmann Brautpaar: Joh. Hinrich v. Spreckelsen J.U.L., Sarra Poppe (Wedde S. 240) Personen: Amor, Juno, Fortuna, Chöre der Amouretten, der Glück-wünschenden Hochzeit-Gäste, der Glückseeligkeiten Druck: Gennagel "in der Catrinenstraße"

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43. Die mittelst der Eding- und Lochauischen Vermählung entschiedenen Mißhelligkeiten, in Form einer Serenata II, 28 + IX, 27 Datum: 25. Nov. 1721 Dichter: Georg Blyvers, Not. Publ. Brautpaar: Benedict (Wedde: Bendix) Eding, Mitglied der Deputation bei der Schoßtafel St. Cathari- nen, Agatha Hanna Lochau (Wedde S. 336) Personen: Astraea, Vorsteherin der Gerechtigkeit, Uranie, Betrachtung des Himmels, Mercur, Patron der Kauffmannschafft, Hymen, Vorsteher der Hochzeiten, Cupido, Momus Druck: Piscator

44. Die Kunst wohl zu heyrathen und ehelich zu lieben (Cantata) IX, 81 Datum: 9. Febr. 1722 Dichter: I. K. Mag. Komponist: Georg Philipp Telemann (TWV deest) Bräutigam: Lukkas / Braut: Tecklenburg

45. Als (S.S.T.T.) Monsieur Wichmann Lastrop Peters Sohn, mit Mademoiselle Ilsabe Tönnies... (Se- renata) VIII, 60 (auch in PdN II, 134) Datum: 21. April 1722 Dichter: Christian Friedrich Weichmann Komponist: Telemann (TVWV 11: 2) Bräutigam: Wichmann Lastrop / Braut: Ilsabe Tönnies Personen: Boreas, Zephyr Druck: Gennagel Wittwe Wedde S. 373: "Die Hochzeit wird im Wandrahm in Madam Lastroppen ihr Haus" "12 Mus. 2 Sän- ger"

46. Gott allein die Ehre (Musicalische Andacht) II, 95 + VIII, 103 Datum: 15. Mai 1722 Dichter: Michael Richey (nach PdN, II, 151) Komponist: Telemann (TVWV 11: 2) (Autorschaft nicht sicher) Bräutigam: Paul Volckmer / Braut: Margareta Elisabeth Drape Personen: Eusebia, Gamophilus, Prudentius, Elpidius Verlag: Gennagel Wittwe Wedde S. 380: "12 Musiker 3 Sänger"

47a Das nötige Band der Gottesfurcht und Klugheit beim Heyraten (Oratorio) VIII, 3 (auch in PdN II, 160 ff.) Datum: 21. Juli 1722 Dichter: C. F. Weichmann Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV 11: 4, 1) Bräutigam: Hans Jacob Bene / Braut: Gertrud Block Personen: Gottesfurcht, Klugheit Verlag: Gennagel Wittwe Wedde S. 421: "auf der Neuen Burg bey H Conrad" "10 Musicanten"

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47.b Dass die Tugend das Schönste an der Schönheit sey (Titel von Richey durchgestrichen, neuer Titel "Streit der Tugend und Schönheit“). (Serenata) VIII, 4 (auch in PdN II, 166) Datum: 21. Juli 1722 Dichter: Weichmann Komponist: Telemann (TVWV 11: 4, 2) Personen: Philaretus, Pulcherius Verlag: Gennagel Wittwe

48. Die unvermerkt genommene Oberhand der Liebe (Serenata) VIII, 59 (auch in PdN V, 140) Datum: 3. Dez. 1722 Dichter: Weichmann Komponist: Telemann? Bräutigam: Hinrich Lastrop "Ein Kaufmann" / Braut: Barbara Dunte Personen: Hymen, Solitario, Amando Verlag: Gennagel Wittwe Wedde S. 461 "im Wandrahm"

49. Die Priesterliche Trauung und Einsegnung ... ([geistl.] Cantata) VIII, 75 (auch in PdN III, 151) Datum: 21. Jan. 1723 Dichter: Weichmann Komponist: Telemann? Bräutigam: Jobst Christoph* Remmers "Ein Kaufmann" / Braut: Anna Ida* Musick Verlag: Gennagel Wittwe "Aufm Neuen Wall"

50.a Zur Priesterlichen Trauung... ([geistliche] Cantata) VIII, 16 (auch in PdN IV, 243) Datum: 9. Feb. 1723 Dichter: Weichmann Komponist: Telemann? Bräutigam: Burmester / Braut: Prüsse Verlag: Gennagel Wittwe

50.b Die vergnügliche Ehe-Verbindung (Serenata) VIII, 17 (auch in PdN, 248) Datum: 9. Feb. 1723 Dichter: Weichmann Komponist: Telemann? Personen: Pacifico, Bellicoso, Amante Verlag: Gennagel Wittwe

51. Das Lob Gottes "Lobet den Herren, denn er ist recht freundlich" (geistl. Kantate) IX, 26 Datum: 11. Feb. 1723 Dichter: Johann Georg Glauche (Schlusschoral: Erdmann Neumeister) Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV deest) Bräutigam: Johann Eckhoff / Braut: Margaretha Elisabeth Meyers

52.a Die Geistliche Liebe als der Grund und das Vorbild der Ehelichen (Oratorio) II, 83a + VIII, 89 (auch PdN III, 158)

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Datum: 8. April 1723 Dichter: Christian Friedrich Weichmann Komponist: (Telemann?) Bräutigam: Samuel Seumnicht / Braut: Anna Elisabeth Borkenstein

52.b Die Dicht- und Singe-Kunst (Serenata) II, 83b + VIII, 90 (Titel in PdN III 164: Die vertheidigte Ticht- und Singe-Kunst ) Datum: s.o. Dichter: Christian Friedrich Weichmann. Komponist: (Telemann?) Personen: Musa, Musophilus, Amusos Verlag: König

53. Die Priesterliche Trauung ... wurde mit folgendem Oratorio begleitet (Oratorio) VIII, 78 (auch in PdN III, 135) Datum: 25. Mai 1723 Dichter: C. F. Weichmann Komponist: Bräutigam: Lorenz Roost "Raths-Verwandter in Tundern" / Braut: Anna Maria Victor Personen: Die Andacht, Die Freude Verlag: König

54. Der gegen die Winckel-Ehen (sonst les Mariages des Conscience genannt) vertheidigte Ehe-Stand (Moralischer Dialogo) IX, 145 Datum: 21. Sept. 1723 Dichter: J. G. Glauche Komponist: ? Bräutigam: Michael Witte, J.U. Hochberühmten Doctoris / Braut: Anna Elisabeth Wiese Personen: Eusebie, Themis, Gamotimon, Cryptogamus

55. Das Concert des Ehestandes (Serenata, "Poetischer Schertz") II, 21 + VIII, 19 (auch in PdN V, 173) Datum: 18. 4. 1724 Dichter: Michael Richey Komponist: Telemann (TVWV 11: 6) Bräutigam: Paridon Coldorff / Braut: Margaretha Tönnies Personen: Eumeles, Charinda Verlag: Beneke

56.a Gott als die reine Quelle wahrer Liebe "Gott ist die Liebe" (Oratorium) II, 18a und VIII, 14 Datum: Juni 1724 Dichter: Johann Philipp Praetorius Komponist: Georg Philipp Telemann (TVWV deest) Bräutigam: Hinrich Burmester / Braut: Anna Rosina Lukkas Verlag: Greflinger

56.b Die unschuldig beschuldigte Liebe (Serenata) II, 18b und VIII, 15

139

Datum: Juni 1724 Dichter: Johann Philipp Praetorius Komponist: Georg Philipp Telemann (TVWV deest) Personen: Misogynus, Philogamus, Aretine Verlag: Greflinger

57. Die siegende Minerva (Serenata) II, 59 + VIII, 66 (auch in PdN III, 117) Datum: 26. Sept. 1724 Dichter: Michael Richey Komponist: Telemann (TVWV 11: 8) Bräutigam: Johann Lutterloh J.U.Dr. / Braut: Anna Catharina Beltgens Personen: Minerva, Amor, Pluto, Ardentius, Commodianus Verlag: Beneke

58. Schönheit, Freundlichkeit und Klugheit als ein vollkomnes Klee-Blat (Serenata) IX, 83 Datum: 24. Oct. 1724 Dichter: Johan Philipp Praetorius Komponist: ? (Telemann?) Bräutigam: David Matttsen / Braut: Wilhelmina Wolpmann Personen: La Bellezza, La Graziosità, La Saviezza Verlag: Piscator

59. Der Vorzug Teutscher Annehmlichkeit (Serenata) II, 36 + VIII, 42 (auch in PdN IV, 204) Datum: 25. Oct. 1724 Dichter: Michael Richey Komponist: Telemann (TVWV 11: 9) Bräutigam: Nicolas Hinsche / Braut: Anna Faber Personen: Aglaia, Cleander, Ventidius, Platto Verlag: Beneke

60. Wett-Streit der Vergnüglichkeiten (Serenata) VIII, 13 (auch in PdN VI, 111) Datum: 28. Nov. 1724 Dichter: Michael Richey (ermittelt durch Abdruck in PdN) Komponist: Telemann? (TVWV deest) Bräutigam: Hieronymus Burmester / Braut: Maria Jacobina Schröder Personen: Clio, Ceres, Bacchus, Hymen Verlag: Beneke

61. Der beste Tag des Lebens ("Sing-Gespräche" = Serenata) II, 33 + VIII, 34 (auch in PdN V, 159) Datum: 17. Juli 1724 Dichter: Michael Richey Komponist: Telemann (TVWV 11: 7) Bräutigam: Giese Greve / Braut: Lucia Gull / Guhl Personen: Sofronia, Gustavino, Musamico, Coramente Verlag: Beneke

62. Das Paradieß der Ehe (Cantata) VIII, 35

140

Datum: 1724 Dichter: „V.“ Bräutigam: Giese Greve / Braut: Lucia Gull / Guhl

63. Der vergnüglichste Zeit-Vertreib (Serenata) II, 70 + VIII, 70 (auch in PdN III, 175) Datum: 17. April 1725 Dichter: Weichmann (ermittelt nach PdN) Komponist: Telemann (TVWV deest) Bräutigam: Jobst von Overbeke / Braut: Elisabeth Catharina von Lengerke Personen: Vertumnus, Gott der Gärten, Minerva, Göttin der Künste, Venus, Göttin der Liebe Verlag: Beneke

64. Bey dem Hahnisch- und Hübnerischen Hochzeits-Festin (Serenata) II, 34 + IX, 42 Datum: 8. Oct. 1725 Dichter: "Der Jungfer Braut Herrn Vater gehorsamste Discipuli, S. und S." Komponist: ? Bräutigam: Philipp Friedrich Hahn (Wedde S. 328) / Braut: Johann Sybilla Hübner Personen: Apollo, Clio, Amor, Choro Apollo und der Dichter Verlag: Beneke

65. Bey dem hochansehnlichen Hochzeit-Mahle (Dialogo pro musica) II, 13 + IX, 9 (auch in PdN IV, 228) Datum: 21. 5. 1726 Dichter: Michael Richey Komponist: Georg Philipp Telemann (TVWV 11: 12), Telemanns Autorschaft zweifelhaft Bräutigam: Philipp Boetefeur / Braut: Elisabeth Coldorff Personen: Charis, Bombastus, Levino, Metrocles

66. Bey der den 16. Juli 1726 glücklichst- vollzogenen Music- und von Arenschen Verbindung... (Mu- sicalischer Dialogo) IX, 97 Datum: 16. Juli 1726 Bräutigam: Music / Braut: von Arens Personen: Mercurius, der Gott der Kaufmannschaft, unter der Person eines vornehmen Kaufmannes, Cupido, der Gott der Liebe, als ein Müller, Hymen, der Gott der Heyrathen, als ein Tablet-Krähmer, Apollo, der Gott der freyen Künste, und insbesonderheit der Music, als ein Haderlump

67. Astreae und Mercurii vergnügt und gütlich beygelegter Streit (Serenata) II, 100 + IX, 143 Datum: 9. Febr. 1728 Dichter: "des Herrn Bräutigams ergebenster Diener" Komponist: Telemann? Bräutigam: Petrus Theodorus Wiese (Wedde S. 166) / Braut: Gerdruth Bene (Behn) Personen: Mercurius, Astraea Verlag: König

68. Die durch Liebe, Reichtum und Ehre belohnte Tugend (Musicalischer Dialog) II, 23 + IX, 22 Datum: 24. Mai 1728 Dichter: Johann Richey

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Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV 11: 13) Bräutigam: Lucas Corthum / Braut: Johann Catharina Greve Personen: Giustizia, Amore, Richezza, Honore

69. Bey der Anno 1728 d. 28. Junii glücklich vollzogenen Vermählung ... in einem ... Hirten- Gespräche (Serenata) II, 91 + IX, 139 Datum: 28. Juni 1728 Dichter: Johann Richey Komponist: Telemann (TVWV 11: 14) Bräutigam: Joachim Helwig Hylms / Braut: Catharina Elisabeth Greve Personen: Mirtenia, Corydon, Amyntas, Daphnis, Chor der Schäffer und Schäfferinnen Verlag: König

70. Die beste Lust in läben/ und lieben zu einer Lustigen Ehe (Oratorio) IX, 48 Datum: 28. Jun. 1728 Dichter: Barthold Wichers Komponist: Telemann? Bräutigam: Harmsen / Braut: Lustig Personen: Philagyrus, der geld-geitzige, Kenodoxus, der ehr-süchtige, Hedonius, der wollüstige, Phila- retes, der tugend-freund, Hilarius, der lustige Verlag: Schiffbeck, Holle

71. Das Hoch-Adeliche Beylager (Serenata) IX, 150 Datum: 12. Mai 1729 Dichter: "durch einen alten Freund und Diener" Bräutigam: Johann Andreas v. Zimmermann, von und zu Waldhausen, Kölner Hof- und Regierungsrat / Braut: Maria Francisca von Kurtzrock, Tochter von Max Heinrich v. K., kaiserlicher Resident in Hamburg Personen: Die Elbe, die Donau, der Rhein, Chor der Nymphen der Schäfer an der Elbe Verlag: Trausold Wittwe

72. Die der Liebe günstige Winters-Zeit (Pastorella / Cantata a due) II, 52 + IX, 69 Datum: 4. Jan. 1730 Dichter: "eIn verPflichteter Knecht" (J P K) Komponist: ? Bräutigam: Wichman Lastrop / Braut: Anna Garthrud von Beseler (Wedde S. 26) Personen: Amyntas, Sylvia Verlag: Stromer

73.a Musicalische Texte, bey der Meyer- und Wellmannischen Hochzeit (geistl. Kantate) an IX, 87 Datum: 30. Okt. 1731 Dichter: J. G. Hamann Komponist: Telemann (TVWV deest) Bräutigam: Meyer / Braut: Wellmann Verlag: Conrad König

73.b Serenata, so beym Meyer- und Wellmannischen Hochzeit-Feste... (Serenata) IX, 87

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Datum: 30. Okt. 1731 Dichter: J. G. Hamann Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV deest) Personen: Die Zärtlichkeit, Die Treue, Die Vernunft, Die Eifersucht, Die Sprödigkeit in der Liebe Verlag: Conrad König

74.a Musicalische Texte, bey der Beckmann- und Darrenschen Hochzeit ("Oratorio", eigentlich geistl. Kantate) an IX, 5 Datum: 29. Nov. 1731 Dichter: J. G. Hamann Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV deest) Bräutigam: Beckmann / Braut: Darre Verlag: König

74.b Serenata, so am Beckmann- und Darreschen Hochzeitlichen Ehre- und Freuden-Tage (Serenata) IX, 5 Datum: 29. Nov. 1731 Dichter: J. G. Hamann Komponist: G. Ph. Telemann (TVWV deest) Personen: Die Ernsthaftigkeit, Die Fröhlichkeit, Die Liebe Verlag: König

75.a Bey dem Pichel- und Droopischen Hochzeits-Feste (geistl. Cantate) IX, 106 Datum: 13. Okt. 1732 Komponist: Telemann? Bräutigam: Johann Christian Pichel / Braut: Margaretha Elisabeth Droop Verlag: König

75.b Als Monsieur Johann Christian Pichel mit Mademoiselle Margaretha Elisabeth Droopen, am 13. October 1732 vermählet wurde (Serenata) IX, 105 Datum: 13. Okt. 1732 Dichter: Johann Samuel Müller Komponist: Georg Philipp Telemann (TVWV deest) Personen: Vertumnus, Flora, Ceres, Boreas, Chor der Götter und Hirten Verlag: König

76. An dem Poppe und Mattfeldschen Hochzeit-Fest (Cantata) II, 74d + IX, 109 Datum: 18. Nov. 1738 Dichter: Scheffel Komponist: Telemann? Bräutigam: Daniel Poppe / Braut: Maria Elisabeth Mattfeld (Wedde S. 143) Personen: Venus, Cupido, Hymenaeus, Die Najaden Verlag: Beneke

77. Amor piangente (Cantata) IX, 30 Datum: 31. Okt. 1747 Dichter: Filippo Finazzi

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Komponist: Filippo Finazzi Bräutigam: Johann Joachim Faber (Sekretär) / Braut: Catharina Caecilia Scheele Verlag: Spieringk

78. Bey der Langermann- und Soppischen Vermählung "Begleitet, ihr Kräfte begeisternder Töne" (Geistliche Kantate) X, 78 Datum: 6. Sept. 1759, wiederholt am 8. 11. 1759 im Drillhaus (Hamb. Korrespondent 176/1759) Komponist: Georg Philipp Telemann (TVWV 11: 19) Bräutigam: Jacob Langermann, Lt. / Braut: Gertrud Sopp Verlag: Piscator

79. Das im Lieben beglückte Paar Scilindo und Dorimene (Cantata) Signatur: VIII, 81 Datum: o.D. Dichter: Dan. Schulteto Bräutigam: Schilling / Braut: Schulte

Nachweis: Der Artikel erschien als Johann Matthesons Hochzeitsmusiken , in: Marx, H. J. (Hrsg.): „Beiträge zur Musikgeschichte Hamburgs vom Mittelalter bis in die Neuzeit“ (= Hamburger Jahrbuch für Musikwissenschaft 18), Hamburg 2001, S. 233-256. Einige Ergänzungen sowie der Anhang gehen auf folgenden, ursprünglich auf Italienisch veröf- fentlichten Artikel zurück: La serenata epitalamica ad Amburgo nella prima metà del Settecento , in: N. Maccavino (Hrsg.): „La serenata tra Seicento e Settecento. Musica, poesia, scenotecnica. Atti del Convegno Internazionale di Studi, Reggio Calabria, 16-17 maggio 2003”, Reggio Calabria 2007, S. 627-664.

144

VIII. Die Verwendung der Holzblasinstrumente in Werken Hamburger Opernkomponisten der Barockzeit

Das 1678 eröffnete Hamburger Gänsemarkttheater war nicht nur das erste öffentliche Opern- haus in Deutschland, sondern auch für 60 Jahre eine der fortschrittlichsten musikalischen In- stitutionen Deutschlands. Bedeutende Komponisten prägten das Repertoire dieses Hauses, einige darunter, wie etwa Georg Friedrich Händel und Christoph Graupner begannen hier ihre Karriere, der junge Johann Adolf Hasse sammelte hier als junger Mann Bühnenerfahrungen als Sänger, bevor er zu einem der einflussreichsten Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts avancierte. So verwundert es auch nicht, dass von der Hamburger Oper auf dem Gebiet der Orchestration ebenfalls wichtige Impulse ausgingen. 224 Eine Schlüsselrolle nimmt in dieser Beziehung der in Frankreich unter Jean Baptiste Lully ausgebildete Johann Sigismund Kusser (16601727) ein. Nach Aussage Johann Matthe- sons war es vor allem Kusser, der den disziplinierten französischen Orchesterstil in Nord- deutschland etablierte, obwohl er nur relativ kurz, zwischen 1693 und Ende 1695, in der Han- sestadt wirkte. Dies betraf neben den einheitlich festgelegten Stricharten der Streicher, die für einen homogenen und rhythmisch akzentuierten Gesamtklang sorgten, insbesondere den Ein- satz der modernen, in Frankreich entwickelten Holzblasinstrumente. Das Repertoire der Hamburger Oper war schon vor dem Eintreffen Kussers von einem Nebeneinander eigener Kompositionen und Übernahmen älterer italienischer und französi- scher Vorlagen geprägt. So wurden unter Kussers Vorgänger Johann Georg Conradi drei Opern Lullys (in deutscher Übersetzung gesungen) aufgeführt, die Tragédie en musique Al- ceste , die Pastorale Acis et Galathée sowie die nach Lullys Tod von seinem Schüler Pascal Colasse vollendete Tragédie lyrique Achille et Polixène . Daneben wurden in Hamburg auch einige der Opern nachgespielt, die Agostino Steffani für das Hoftheater in Hannover ge- schrieben hatte, darunter sein berühmtestes Werk Enrico Leone (1689, in Hamburg 1696 be- arbeitet als Heinrich der Löwe ). Durch die Aufführung der französischen Werke und der Hannoveraner Hofopern Stef- fanis in den 1690er Jahren ist belegbar, dass in Hamburg bereits zu dieser Zeit eine Verwen- dung der Holzbläser nach französischem Vorbild üblich war. Steffani orientiert sich in der

224 Die erste Beschäftigung mit diesem Thema bei Kleefeld 1899, später vor allem McCredie 1964. 145

Orchestration seiner Werke nämlich ebenfalls an der französischen Orchesterkultur. Wichtigs- tes Merkmal in Bezug auf die Verwendung der Holzbläser ist die starke Hervorhebung der Außenstimmen (Dessus und Basse) und deren Verdopplung durch Oboen und Fagotte sowie die Verwendung von Holzbläsern in obligaten Triosätzen (2 Oboen und Fagott bzw. 2 Block- flöten und Bass), sowohl in selbständigen Instrumentalsätzen als auch zur Begleitung solisti- scher Gesangspartien. Die einzige erhaltene Hamburger Opernpartitur aus dieser Zeit, Johann Georg Conra- dis Ariadne von 1691, enthält ein Duett für das Liebespaar Phädra und Theseus, das Ritornel- le für 2 Oboen und Bass aufweist, ein weiterer Hinweis darauf, dass schon vor Kussers Amts- antritt als Operndirektor französische Orchestertechniken und Spielpraxis bekannt gewesen sein müssen. Ein wichtiger Unterschied der frühen Hamburger Opern gegenüber den Partituren aus Frankreich – darin der Praxis Steffanis folgend – war allerdings die Bevorzugung des vier- stimmigen Streichersatzes gegenüber dem fünfstimmigen Satz aus Dessus (in den Trios in erste und zweite Stimme geteilt), Hautecontre, Taille, Quinte und Basse. 225 Allerdings zeigt die Schlüsselung in den frühen Werken – auch noch in den älteren Opern Reinhard Keisers – die Abhängigkeit vom Lully-Stil, da hier noch häufig der G-1-Schlüssel für die Oberstimme sowie der C-1-Schlüssel für die 2. Stimme (entsprechend dem französischen Hautecontre de Violon) verwendet wurden, ein Charakteristikum, das sich auch in den in Hamburg nachge- spielten Hannoveraner Opern Steffanis beobachten lässt. 226 Durch Oboen verstärkt wurde in der französischen Orchesterpraxis grundsätzlich nur die Dessus-Partie. In Deutschland wurde später dazu übergegangen, erste und zweite Violine, die meist paarig geführt werden, mit Oboen zu verdoppeln. Besetzungsformen wie sie hier vorgestellt wurden, begegnen noch bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein, so in Opern Reinhard Keisers, Christoph Graupners, Johann Matthesons sowie in Georg Friedrich Händels einzigem erhaltenen Werk aus seiner Hambur- ger Zeit, Almira (HWV 1) von 1704. Leider ist keine der in Hamburg entstandenen Opern Kussers vollständig überliefert. Doch erschienen die Arien seiner Pastoraloper Erindo oder die unsträfliche Liebe von 1694 im Druck; diese Stücke erlauben interessante Einblicke in die Instrumentationstechnik des

225 Vgl. Eppelsheim 1961, S. 177ff. 226 Beispiele aus Keisers Adonis (1697) in Zelm 1975, S. 159. 146

Komponisten. Danach fällt gegenüber der Oper Conradis der bevorzugte Einsatz obligater solistischer Instrumente auf, darunter vor allem der Holzbläser. Kusser verwendet die Instrumente entweder solistisch oder im französischen Triosatz. Solistisch kommen Blockflöte (Arie Nr. 1), Oboe (Arie Nr. 7), Flauto tedesco / Traversflöte (Arie Nr. 15, in der ungewöhnlichen Tonart f-moll) und „Tromba overo Hautbois“ (Arie Nr. 20) vor. Paarig werden zwei Oboen (in Nr. 4 und Nr. 11), zwei obligate Fagotte (Nr. 34) so- wie zwei Blockflöten (Arie Nr. 38, im Diskantschlüssel notiert, vermutlich sind Tenorflöten gemeint) eingesetzt. Die Bevorzugung der Oboe als solistisches Blasinstrument, die schon bei diesem Bei- spiel auffällt, lässt sich auch in den folgenden Jahren beobachten. Dokumente belegen, dass spätestens seit den 1690er Jahren die Mitglieder des Hamburger Hautboisten-Corps (vermut- lich sechs Musiker) neben den Ratsmusikern im Opernorchester mitspielten. 227 Werner Braun spricht in diesem Zusammenhang regelrecht von einer „Oboisierung der Hamburger Oper“. Dabei wies er vor allem auf das besonders beliebte Besetzungsmodell der Sopranarie mit ob- ligater Oboe hin; in den folgenden Jahren entstandene Opern enthalten fast immer mindestens ein Stück in dieser Besetzung. Dabei lässt sich ein Wandel beobachten, der von einer gleich- berechtigten Kombination von Singstimme und Soloinstrument, bei der die Oboe als Duett- partner der Stimme eingesetzt wird (so in der Arie der Eurilla „Ach dass doch meine Pein“ aus Kussers Erindo ), zu einer virtuosen, instrumententypischen Verwendung führt, etwa in der Arie „Che più mi piace io voglio“ aus Händels Almira , ein Phänomen, das vermutlich mit dem Engagement herausragender Spieler wie dem von Mattheson gelobten Oboisten und Tra- versflötisten Freymuth 228 oder dem ebenfalls zeitweise im Gänsemarkt-orchester wirkenden Johann Christoph Schickardt (ca.1680-1762) zusammenhängt. Ein Satztypus, der direkt von französischen Vorbildern übernommen wurde, ist das Trio mit Vokalbass, in dem die Singstimme colla parte mit dem Generalbass verläuft, wäh- rend die beiden Oberstimmen eine Art ausgesetzte Generalbass-Begleitung hierzu spielen. 229 Sehr häufig handelt es sich bei Arien in dieser Besetzung um Stücke in Tanz-Rhythmus und homophoner Satzart, wodurch sie ihre Herkunft von dem französischen Air verraten. Ein Bei- spiel für diese Besetzung findet sich schon in Kussers Erindo , aber auch in späteren Werken, etwa Keisers Octavia (Arie des Seneca „Ein kleiner Knabe liebt das Spielen“) und Händels

227 Braun 1987, S. 136. 228 Johann Mattheson, Critica musica (= Mattheson 1722/23), Teil 1, S.113. 229 Eppelsheim 1961, S. 232–233. 147

Almira (Arie des Tabarco „Komm vermehrt der Torheit Ruhm“); in Matthesons Porsenna findet sich ein ähnlicher Satz, allerdings mit zwei Blockflöten an Stelle der Oboen, die Arie des Mamilius „Es kann nicht anders sein“ (Vgl. Notenbeispiel VIII.1). Auch in die zeitgenös- sische Kirchenmusik hat diese Satzform Eingang gefunden: Unter anderem verwendete sie Georg Philipp Telemann mehrfach in seinem sogenannten „Französischen Jahrgang“ (Eisen- ach 1714/15) 230 Ein vierstimmiger Satz liegt hingegen vor, wenn eine hohe Singstimme mit zwei obligaten Instrumenten und Generalbass kombiniert werden. Auch für dieses Modell finden sich Vor- bilder bei Lully und seinen Zeitgenossen. Neu ist, dass unterschiedliche Instrumente kombi- niert werden können, während im französischen Stil fast immer zwei gleiche Oberstimmen (Violinen, Oboen oder Blockflöten) verlangt werden. Diese gemischte Triosonatenbesetzung findet sich bereits in Opern Steffanis, von diesem wurde sie beispielsweise von Keiser (so in Adonis und Tomyris , Arie der Tomyris con Oboe e Violino „Umwölke doch Vergessenheit“) und Mattheson (in Porsenna : Junia: „Ich bin fern von euren Strahlen“ mit Oboe und Violine solo, Horatius, „Süßeste Hoffnung du schmeichelst dem Herzen“; in Henrico IV : Theresia, „Entschlafe kalter Sinn“, die beiden letzten für Blockflöte, Violine und Continuo) übernom- men.

230 Poetzsch 2006, S.183, Notenbeispiel 3, Takt 44; S. 189, Notenbeispiel 8, S. 190; Notenbeispiel 190 (ab Takt 5) 148

Notenbeispiel VIII.1: Beispiele für Arien in Triobesetzung für 2 Oboen mit Singstimme als Bass: Kusser, Erindo (EdM II/3), Keiser, Octavia (ChrA Suppl. 6), Händel, Almira (ChrA 55), Mattheson, Porsenna (MEO 9)

149

Reinhard Keiser war sicherlich der für die Entwicklung der Hamburger Oper bedeu- tendste und einflussreichste Komponist. Seine Werke standen seit 1694 bis zum Ende der Unternehmung im Jahr 1739 auf dem Spielplan, insgesamt schrieb er ungefähr 70 Werke für das Hamburger Theater. Neben dem melodischen Erfindungsreichtum seiner Partituren fällt seine große Instrumentationskunst auf. Dies betrifft besonders Keisers Verwendung der Holz- blasinstrumente. Sicherlich überwiegen auch in seinen Werken standardisierte Orchesterbe- setzungen: Bevorzugt wird die „Aria con tutti gli strumenti“ (vierstimmiges Streicherensem- ble, verdoppelt durch Oboen und Fagotte) sowie die „Aria con unisoni“, in der die Singstim- me von einer instrumentalen Oberstimme, die von Violinen und Oboen gespielt wird, und dem Basso continuo begleitet wird. Daneben finden sich jedoch auch solistisch- kammermusikalische Besetzungen sowie ausgefallenere Klangkombinationen. Insgesamt muss Keiser mindestens über sechs Musiker in seinem Orchester verfügt haben, die verschie- dene Holzblasinstrumente beherrscht haben können, was durch die Mitwirkung der Hautbois- ten gut erklärbar ist.

In der folgenden Übersicht soll die Verwendung der verschiedenen im Hamburger Opernor- chester gebräuchlichen Holzblasinstrumente in den Opern- und Oratorienpartituren der füh- renden Hamburger Komponisten dargestellt werden.

Oboe Für Reinhard Keiser ist die Oboe das wichtigste Holzblasinstrument, das bei ihm regelmäßig sowohl als Tutti- wie auch als Soloinstrument eingesetzt wird. Dabei treten die Oboen in den „Arie con tutti stromenti“ bei ihm häufig mit solistischen Einwürfen hervor, Klaus Zelm beo- bachtet diesen Effekt erstmals in der Partitur der Oper Janus (1698). 231 Neben der kammer- musikalischen „Aria con Hautbois solo“ finden sich auch Stücke mit zwei oder drei obligaten Partien für Oboen, mit oder ohne Streicherbegleitung. Drei Oboen und Continuo begleiten die Arie des Tigranes aus Thomyris „Nell'apparenza del gran delitto“. Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von drei obligaten Oboen mit Streicherbegleitung findet sich in der Arie der Floriana „Occhi flebili piangete“ aus Desiderius (1709). Hier werden die Oboen als dreistim- miges Concertino behandelt, wobei die dritte Oboe bei den Tutti-Passagen die Bratschen-

231 Zelm 1975, S. 162. 150 stimme mitspielt. In einer weiteren Arie in dieser Oper (vgl. Notenbeispiel IX.2), werden so- gar jeweils drei obligate Oboen und drei obligate Fagotte mit den Streichern kombiniert, wo- mit wohl das höchste an möglicher Besetzungs-Differenzierung mit dem damaligen Opernor- chester erreicht wurde. Ähnlich reiche Bläserbesetzungen finden sich auch in den Oratorien Keisers, dreifach geteilte Oboen kommen unter anderem in dem Dialogus von der Geburt Christi sowie in dem Siegreichen David von 1716 zum Einsatz. In seiner Oper Croesus (Fassung von 1731) gelingt Keiser ein eindringlicher Effekt, indem er in den beiden Lamento-Arien des Titelhelden „Niemand kann aus diesen Ketten“ und „Solon, weiser Solon ach“ die Melodie der Singstimme eine Oktave höher von einer Oboe verdoppeln lässt. Als mit der Singstimme konzertierendes Soloinstrument mit Streicherbegleitung setzt Keiser die Oboe dagegen in der Arie „Es ist zu viel“ in seiner ‚Oboen-Oper’ Desiderius ein, in der Singstimme und Soloinstrument parallele Zweiunddreißigstel-Figuren ausführen, um das im Text erwähnte Donnern nachzuzeichnen (vgl. Notenbeispiel VIII.3).

151

Notenbeispiel VIII.2: Reinhard Keiser, Desiderius , Arie des Desiderius „Funkelt eine Demant-Krone“ (nach Ausgabe in MEO 7)

152

Notenbeispiel VIII.3: Reinhard Keiser, Desiderius , Arie des Desiderius „Es ist zu viel“ (nach Ausgabe in MEO 7)

Keisers jüngere Kollegen Mattheson, Händel und Telemann sind insgesamt bei ihrer Verwen- dung der Oboen im Orchester weniger experimentierfreudig. Bei allen drei findet sich dabei noch das beliebte Modell der „Aria con Oboe solo“. Besonders attraktive Partien für Oboen enthält Händels Almira : Neben Solo- und Triobesetzungen, finden sich auch konzertierende Oboensoli mit Streicherbegleitung: Fernandos Wut-Arie „Schäumt dein Mund wie Plutos Rachen“ wird von einer Concertino-Passage für zwei Oboen und Fagott eingeleitet, bevor das Streicherensemble einsetzt. In dem Lamento der Protagonistin „Geloso tormento“ erklingt ein hochexpressives, reich verziertes Oboensolo, während die erbarmungslos pochenden Streicher den am Herzen nagenden Verdacht der eifersüchtigen Königin illustrieren. In seiner aus London nach Hamburg geschickten Brockes-Passion scheint sich Händel des hohen Niveaus der Hamburger Oboisten erinnert zu haben, neben expressiven Soli („Die ihr Gottes Gnad’ versäumet“) findet sich auch ein reiner Triosatz für zwei Oboen und Conti- nuo („Jesu dich mit unsern Seelen“), eine kammermusikalische Besetzungsform, die Händel zu dieser Zeit in England in seinen großformatigen Vokalwerken schon nicht mehr pflegte: Hier scheint er bewußt an das aus eigener Erfahrung bekannte Hamburger Idiom anzuknüp- fen. In Matthesons Opern finden sich weniger Beispiele für die ungewöhnliche oder be- sonders virtuose Verwendung der Oboe. In der Regel hat das Instrument bei ihm die typische Tutti-Funktion zur Verdopplung der ersten Violinen, in den drei Opern Porsenna , Cleopatra und Henrico IV. finden sich daneben auch Arien mit einer oder zwei Oboen und Generalbass,

153 wobei ihn eher die kantablen Qualitäten des Instruments (Mattheson hatte die Ähnlichkeit der Oboe mit der menschlichen Stimme geschätzt) 232 als die Hervorhebung virtuoser Spielfiguren interessierten. So alternieren im ersten Akt der Cleopatra in dem tänzerischen Duett zwischen Cleopatra und Antonius „Ich bleibe dein / Du bleibest mein“ die beiden Singstimmen mit zwei Oboen, in einem Satz, der an das identisch besetzte Duett aus Conradis Ariadne erinnert. Wie bei Händel, und später auch Telemann, sind die Oboen bei Mattheson maximal zweifach geteilt. Die in Keisers Partituren häufig anzutreffenden drei obligaten Oboenstimmen finden sich nur an zwei Stellen, einer kurzen Triopassage in der Schlusschaconne seiner letzten, nie aufgeführten Oper Boris Gudenow von 1710, sowie zur colla parte-Begleitung eines kurzen Terzetts für 2 Soprane und Alt in dem Oratorium Christi Wunderwerke bei den Schwachgläu- bigen von 1719. Zwischen 1707 und 1709 wirkte Christoph Graupner, der spätere Darmstädter Hofka- pellmeister, als Cembalist an der Hamburger Oper. Von seinen in dieser Zeit komponierten sechs Opern sind nur zwei erhalten, Dido Königin von Karthago (1707) und L'Amore am- malato oder Antiochus und Stratonica (1708). Graupners Partituren zeichnen sich durch gro- ßen Erfindungsreichtum aus, dies betrifft auch die farbenreiche Instrumentation seiner Arien. In einer Arie aus Antiochus und Stratonica werden sogar vier Oboen verlangt: Es handelt sich um den Klagegesang des Antiochus „Vicino al morir alma mia langue“. Neben einer So- looboe wirken an dem Satz drei Ripieno-Oboen mit, die mit repetierenden Achtel-Akkorden einen Begleitteppich bilden; auf den schweren Taktzeiten werden sie dazu von den Streichern und dem Continuo unterstützt. 233 Georg Philipp Telemann, der seit 1723 bis zur Schließung des Opernhauses 1739 Werke an dem Theater aufführte, setzt die Oboen ebenfalls ausschließlich paarig oder solis- tisch ein. Insgesamt scheint Telemann besonders die Kombination von zwei obligaten Holz- blasinstrumenten und Streichern geschätzt zu haben; eventuell könnte dies damit zusammen- hängen, dass gegen Ende der Gänsemarktoper die Zahl der Holzbläser im Orchester zurück- ging: Telemanns Opern lassen sich grundsätzlich mit einem Orchester aus vier Holzbläsern und Streichern realisieren, wenn man etwa davon ausgeht, dass die Fagottisten auch die Tra- versflötenstimmen übernahmen. Kammermusikalische Solo- und Triobesetzungen finden sich nur in seinen frühen Werken, in der Regel werden in seinen späteren Opern Holzbläser mit

232 Mattheson 1713, S. 268 „… die gleichsam redende Hautbois“. 233 McCredie 1987, S. 289. 154

Streichern kombiniert. Als Neuerung findet sich bei Telemann auch die sonst vor allem aus geistlicher Musik und Instrumentalwerken bekannte Oboe d'amore, die er ebenfalls gerne doppelt besetzt, so in seinen Opern Der Sieg der Schönheit (1722) und Emma und Eginhart (1729, siehe die Arie der Fastrath „Verlängert euch ihr schönen Stunden“). Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Verwendung der Oboe d'amore als Soloinstrument mit Strei- cherbegleitung ist die Arie der Pulcheria „Komm sehnliches Sterben“ aus dem Sieg der Schönheit .

Fagott Das Fagott wird von Reinhard Keiser relativ häufig obligat verwendet, nicht nur in seiner herkömmlichen Funktion als Bassinstrument. Auch die Fagottstimmen können dabei, wie bei dem Beispiel aus Desiderius gezeigt wurde, bis zu dreifach geteilt sein, eine Besetzung, die schon in Kussers Erindo zu finden war. Zum Teil werden die Fagottstimmen von den Strei- chern in der Oberoktave verdoppelt, ein Klangeffekt, der später auch bei Telemann anzutref- fen ist. 234 In der Arie des Don Pedro „Die Tugend Vernunft und die Liebe“ aus Masaniello furioso werden die drei im Bassschlüssel notierten Fagottstimmen von den Violinen und der Viola in der Oberoktave mitgespielt. In der Octavia findet sich neben zwei Arien mit der schon von Kusser verwendeten Begleitung aus zwei Fagotten und Continuo vor allem die oft zitierte Arie der Protagonistin, „Geloso sospetto“, die von fünf Fagotten begleitet wird. 235 Bis zu drei Fagotte verwendet Keiser auch in einigen seiner Oratorien, die in ihrer Orchesterbe- handlung an die in der Oper entwickelten Instrumentationstechniken anschließen: In dem Dialog von der Geburt Christi wird die zweite Strophe des Chorals „In dulci jubilo“ von ei- nem Solotenor angestimmt, der von drei Fagotten und Continuo begleitet wird. In der Aria con Coro „Eilt ihr angefochtnen Seelen“ aus der Brockespassion von 1712 werden Streicher mit Oboen und drei obligate Fagotte kombiniert. 236 Händel setzt das Fagott in seiner einzigen erhaltenen Hamburg Oper nicht obligat ein, abgesehen von der Verwendung als Concertino-Bass in der oben erwähnten Tenorarie. Dies fällt umso mehr ins Gewicht, da Keisers Octavia zur gleichen Zeit auf dem Spielplan des Theaters stand, in dem es verschiedene Arien mit obligaten Fagotten gibt. Auch Mattheson

234 Noch in der Johannes-Passion 1765 TVWV die Arie des Jesus „Sucht ihr den mich“. 235 Da das 4. Fagott zum Teil unterhalb der Bassstimme geführt wird, und die Partitur Generalbassziffern ent- hält, traten mit Sicherheit weitere Continuo-Instrumente, darunter zumindest Cembalo und 16'-Violone zur Partie des fünften Fagottes hinzu. 236 Notenbeispiel bei Winterfeld 1847, S. 142. 155 setzt das Instrument zunächst nur in der üblichen Bassfunktion ein, erst in seiner letzten auf- geführten Oper, Henrico IV. , finden sich interessante obligate Partien für Fagotte, darunter ein Terzett für drei Bässe (Heinrich, Bertrand und Alfonso), „Das Schicksal spielt mit vielen“, in dem zwei der Singstimmen von den Fagotten colla parte mitgespielt werden. 237 In den späteren Kirchenoratorien Matthesons für den Hamburger Dom (siehe hierzu Kapitel I-III) finden sich ebenfalls häufig obligate Fagottstimmen, fast immer rechnet der Komponist dabei mit einer mehrfachen Besetzung, denn er nennt die Instrumente im Plural. Zum Teil verlaufen dabei die Instrumente unisono mit den Violoncelli 238 , seltener auch mit den Violen, zum Teil werden sie aber auch völlig selbständig eingesetzt. Ein Kuriosum ist die Verwendung von zwei „Fagottini“, kleinen Fagotten in Tenorlage,239 die im Altschlüssel no- tiert werden und in zwei Arien seines Pfingstoratoriums Das Große in dem Kleinen 240 Ver- wendung finden. In der Arie des Jesus „Aus Liebe Mitleid und Erbarmen“ wird die instru- mentale Oberstimme, die im Altschlüssel notiert ist, von „Violette und Fagottini unisono“ gespielt, wozu zusätzlich eine oktavierend im 4’-Register spielende Traversflöte verlangt wird. Die Arie für Gott Vater „Wenn Satan und Hölle, wenn Sünde und Menschen“ (vgl. Notenbeispiel VIII.4) weist eine bewegte Tutti-Begleitung auf, in der die Streicher von Holz- bläsern verdoppelt werden, die Violinen von Oboen, die Violen von den Fagottini (Ambitus: f–d2) und die obligaten Violoncelli von gewöhnlichen Fagotten. Da alle drei verschiedenen Blasinstrumente in der autographen Partitur im Plural genannt werden, muß wohl, ähnlich wie in dem Beispiel aus Keisers Desiderius , mit sechs mitwirkenden Doppelrohrbläsern gerechnet werden, die zu dem vollstimmigen Streicherensemble hinzutreten. Auch hier wird Mattheson sicherlich mit der Mitwirkung der städtischen Hautboisten gerechnet haben, sonst hätte er ein derartiges Stück wohl kaum besetzen können.

237 In der nicht aufgeführten Oper Boris Gudenow von 1710, 3. Akt, ist die Arie Irina: „Ein unbekanntes Leiden für 2 Fagotte, und Flauti mit Violini unisoni besetzt. 238 Ein eindrucksvolles Beispiel aus dem Reformierenden Johannes ist das Duett „Die wilden Fluten mögen brausen“, vgl. Rackwitz 1997, S. 188. 239 Zu diesem Thema siehe Hubmann 2011. 240 Autographe Partitur in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, Signatur ND VI 142. 156

Notenbeispiel VIII.4: Johann Mattheson, Das Größte in dem Kleinen, Arie „Wenn Satan und Hölle“

Händel wird sicher gewußt haben, dass es die Möglichkeit zur Verwendung mehrerer obliga- ter Fagotte in Hamburg gab; in seiner für eine Konzertaufführung im Hamburger Dom ent- standenen Vertonung des Passionsoratoriums nach Bartold Heinrich Brockes finden sich gleich zwei Arien mit selbständigen Fagottstimmen. In der ersten von beiden, „Die Ihr Gottes Gnad’ versäumet“, unterstützen die Fagotte mit teils selbständig geführten Mittelstimmen den akkordischen Begleitteppich der Streicher, über dem sich ein expressives Oboensolo entfaltet.

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Der dunkle Klang der Fagotte dient schließlich der Schilderung der Sonnenfinsternis in der Arie „Was Wunder dass der Sonnen Glanz“, in der sie die beiden Violinen in der Unteroktave verdoppeln. Besonders reiche Verwendung findet das Fagott in einigen Opernpartituren Georg Philipp Telemanns. Bereits in seiner schon für das Leipziger Opernhaus entstandenen Oper Der neumodische Liebhaber Damon werden in der Arie des Ergasto „Ich will hinfort mir selbst gelassen“ zwei obligate Fagotte colla parte mit geteilten Violen geführt. Besonders anspruchsvolle und vielfältige Aufgaben werden dem Instrument in den beiden späteren Opern Der Sieg der Schönheit und zugedacht. In der Arie des Bertaridus „Du stiller Wohnplatz aller Freude“ wird die instrumentale Oberstimme von Violen, Violetten und Fagotten unisono gespielt, hierzu begleiten die Bässe im Pizzicato. Die gleiche Person singt eine auch eine Arie („Cari lidi amate arene“), die ausschließlich vom Solofagott und Continuo begleitet wird. Die Fagottstimme enthält virtuose Sechzehntelfiguren, vor allem Dreiklangsbrechungen, und konzertiert mit der Singstimme in ausgedehnten parallel geführ- ten Triolen-Passagen. Sowohl Der Sieg der Schönheit als auch Flavius Bertaridus enthalten je eine Arie für Traversflöte und Solofagott mit Streicherbegleitung: Das Eingangsritornell der Arie der Eudoxia aus dem Sieg der Schönheit „Schmeichelt gleich Amor mit Purpur“ wird ausschließlich von den beiden Soloinstrumenten gespielt, die zunächst auch alleine die Ge- sangsstimme begleiten, bevor die Streicher hinzutreten. In der melancholischen Arie der Fla- via aus Flavius Bertraridus „Ach komm und schwebe mir zum Troste“ konzertieren die bei- den Instrumente mit der Singstimme und illustrieren mit ihren Spielfiguren den von Flavia besungenen Schatten ihres ermordeten Sohnes. Die Koppelung von Fagotten und Violinen im Oktavabstand wird von Telemann schließlich in einem seiner geistlichen Werke, dem populären Passionsoratorium Das selige Erwägen in der Arie des reuegeplagten Petrus „Mir ist die ganze Welt zu eng“ äußerst wir- kungsvoll verwendet.

Blockflöte Keisers Opernpartituren enthalten zahlreiche Arien, in denen Blockflöten („Flauti“) besetzt sind, womit bei ihm in der Regel die Altblockflöte in f 1 gemeint ist. Wie die Oboe, wird auch die Blockflöte auf unterschiedliche Weise als Solo- oder Ensembleinstrument eingesetzt. So kann das Instrument als Klangfarbe unisono mit den Violinstimmen einer Arie verwendet werden oder in kammermusikalischer Solo- oder Triobesetzung auftreten. Während die Oboe als Standard-Instrument in Arien der vielfältigsten Affekt-Bereiche auftreten kann, wird die

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Blockflöte charakteristischerweise nur in speziellen Situationen verwendet. Keiser lehnt sich dabei an die Traditionen Lullys und Steffanis an, deren Partituren ja, wie oben gezeigt wurde, in Hamburg bekannt waren. Aus Werken wie Lullys Alceste 241 oder Steffanis Enrico Leone ist etwa die Verwendung der Blockflöte in Trauermusiken sowie in Traumszenen oder bei Geis- tererscheinungen übernommen (Keiser übernahm später die Arie der Matilde aus Steffanis Enrico Leone „Ossa care“, die von zwei Blockflöten und Basso continuo begleitet wird, in sein Opernpasticcio Circe von 1734). 242 Daneben wird das Instrument gerne in idyllischen Pastoralszenen eingesetzt: Die Opern Adonis , Cupido , Arsinoe und Masaniello etwa beginnen alle mit solchen Naturszenen, in denen der Klang der Blockflöte in dieser Weise genutzt wird. In den Texten dieser Arien wird häufig die „sanfte Stille“ eines Ortes gepriesen, zarte Winde, das Plätschern einer Quelle oder süßer Vogelgesang sind die üblichen sprachlichen Topoi, bei denen Keiser, wie seine Zeitgenossen, auf Blockflöten im Orchester zurückgreifen. So wird die Oper Masaniello furi- oso mit einer Ensemble-Arie eröffnet, die von drei obligaten Blockflöten begleitet wird und in der sich die adligen Hauptpersonen des Stückes in lyrischen Naturbetrachtungen ergehen, während die Titelheldin der Oper Arsinoe den Gesang der Vögel allein mit Unterstützung von vier „Flauti dolci“ imitiert, während die Generalbassinstrumente durchgehend pausieren, wie die Anweisung „senza Cembalo e l'altri Bassi“ in der autographen Partitur hervorhebt. Bei der Verdopplung von Streicherstimmen durch Flöten können letztere auch im 4'- Register eingesetzt werden, in diesem Fall findet sich häufig eine Besetzung mit zwei im Dis- kantschlüssel notierten Violetta-Stimmen, die von „Flauti all'ottava alta“ verdoppelt werden. Ein Beispiel für diese Besetzungsform findet sich in der Arie des Atis aus der Erstfassung der Oper Croesus von 1711 „Ist niemand bewußt“; auch in der Brockes-Passion von 1712 wird diese Besetzungsform an einer Stelle angewandt, der Arie des Petrus „Heul du Schaum der Menschenkinder“. In der autographen Partitur der Oper Claudius geht Keiser den umgekehr- ten Weg, hier werden in der Arie „Laß mich erblaßte Seele“ die Flöten klingend im Violin- schlüssel notiert, die verdoppelnden Streicher werden durch die Anweisung „Violette all'ottava bassa“ vorgeschrieben. 243 Mit Violetten sind vermutlich kleine Violen gemeint, die dem französischen „Hautecontre de Violon“ entsprechen. Die Oktavkopplung kann jedoch

241 Vgl. Eppelsheim 1961, S. 207. 242 Zelm 1975, S. 111. 243 Vgl. die Abbildung bei Zelm 1975, S. 245. 159 auch mit ‚normalen’ Violinen erfolgen, hierfür finden sich etwa Beispiele in Masaniello furi- oso und Octavia . Johann Mattheson übernimmt diese Besetzung in seiner Oper Boris Gou- denow (Arie der Irina „Die Neigung widerspricht“). In seltenen Fällen besetzte Keiser seine Arien mit einer größeren Zahl von Flöten 244 : In der erwähnten Eingangsarie der Oper Arsinoe begleiten vier Blockflöten „senza Cembalo e l'altri Bassi“, also ohne Generalbassbegleitung, den Gesang der Titelheldin, die während der Morgentoilette in ihrem Garten dem Gesang der Vögel lauscht. 245 Dieser delikate Klangeffekt wird in der folgenden Arie „Quante dolci“ noch gesteigert: Hier spielen eine Oboe und eine Sologeige zur Begleitung von drei Flöten und drei Violinen, unterstützt von Pizzicato-Bässen. In der Arie „Ihr fliegenden Sänger“ aus dem 5. Akt der Oper treten zu einer Solovio- line und einem Violone ein Consort aus fünf Blockflöten, auch hier wird der Einsatz eines Blockflötenconsorts durch die auf der Bühne besungenen Vögel gerechtfertigt. In diesem Satz sind die beiden tiefsten Flötenstimmen nicht mehr auf der gewöhnlichen Altblockflöte in f 1 spielbar, Meierott vermutet deshalb, dass diese Stimmen für Tenorflöten in c 1 gedacht waren, Flauto 5 könnte sogar eine Bassflöte in f oder g gewesen sein. In der Oper Trajanus (1717) findet sich eine Arie, in der einerseits wieder zwei Violetten von Blockflöten verdoppelt wer- den, aber auch eine obligate Cellostimme im Bassschlüssel mit colla parte-Anweisung für Flauto versehen ist: Auch diese Stimme kann nur von einer Bassflöte gespielt worden sein. 246 Ähnliche kühne Klangexperimente wie Keiser finden sich in den Werken seiner jünge- ren Kollegen eher selten: Eine Ausnahme bilden die Partituren Graupners, vor allem Antio- chus und Stratonica . Graupner übernimmt einige Besetzungen von Keiser, etwa den Triosatz aus zwei von Blockflöten verdoppelten Violetten und Bass (Beispiele aus Dido : die Arie der Anna „Holde Nahrung reger Herzen“, vgl. Notenbeispiel VIII.5, und die Arie des Juba „Luci belle ma rubelle“), aber er erfindet vor allem völlig neue und originelle Klangkombinationen: So werden in der Arie des Antiochus „Ja hochgekränkter Geist“ drei Blockflöten mit einer Solobratsche und begleitenden Streichern kombiniert. 247

244 Meierott 1974, S. 222. 245 Abbildung der ersten Seite der autographen Partitur in Zelm 1975, S. 242. 246 Zelm 1975, S. 166. Das einzige weitere mir bekannte Hamburger Werk, das eine Bassflöte verlangt, ist Matthesons „Brockes-Passion“, wo das Instrument in der Arie des Petrus „Heul du Schaum der Menschen“ zur Verdopplung der Violen, also im 8'-Register, eingesetzt ist; die für Flöten und Violinen vorgesehene Oberstimme wird zudem kurioserweise von einer „Zampogna“, also einem Dudelsack, mitgespielt. 247 McCredie 1987, S. 291. 160

Notenbeispiel VIII.5 Christoph Graupner, Dido Königin von Karthago (1707), Arie der Anna „Holde Nah- rung reger Herzen“

Händel verwendet Blockflöten in drei Arien aus Almira . In der Arie des Fernando „Liebliche Wälder“ konzertieren zwei Flöten mit dem Streichorchester. In der sehnsüchtigen Arie des Osman „Sprich vor mir ein süßes Wort“ begleiten die Blockflöten eine in Achtelfigurationen bewegte Solobratsche, ein für Händels Schaffen einzigartiger Klangeffekt, der an die späteren Experimente Graupners erinnert. Besonderst interessant ist die Arie der Edilia „Schönste Ro- sen und Narzissen“: dort ist der A-Teil mit Streichern und Oboen besetzt, während in dem kontrastierenden Mittelteil, der sich auch durch den Taktwechsel vom Vorigen abhebt, zwei Blockflöten und zwei arpeggierende Sologeigen spielen. Über weite Strecken setzt in dieser Passage der Bass aus, die Sopranstimme Edilias bildet dabei das Bassettchen-Fundament für die beiden höher liegenden Flötenstimmen. Ähnlich wie in diesem Beispiel werden in dem Duett Elvira / Alfonso „Non vi son delizie eguali“ aus Matthesons Henrico IV. die Blockflöten ausschließlich in dem ruhigen ersten Abschnitt des B-Teils im 3/2-Takt verlangt, die solistische Triobesetzung kontrastiert auch hier mit der vierstimmigen Tutti-Begleitung des bewegten A-Teils. Erwartungsgemäß finden sich auch in den Opern und Oratorien Georg Philipp Tele- manns interessante und spieltechnisch anspruchsvolle Blockflötenpartien. Kammermusikali-

161 sche Besetzungen, ohne Mitwirkung des Streichorchesters, finden sich in der frühen Oper , darunter die Arie der Rodisette „Mich tröstet die Hoffnung“ mit Flauto solo, die in ihrer Virtuosität an vergleichbare Arien aus dem Kantatenjahrgang Der harmoni- sche Gottesdienst erinnert. Im Eingangschor des Neumodischen Liebhaber Damon werden Blockflöten in einer tombeau-artigen Szene verwendet. Für den Einsatz von Blockflöten in Trauermusiken finden sich im Repertoire der Hamburger Oper schon ältere Beispiele, wie weiter oben an Beispielen von Lully und Steffani gezeigt werden konnte. Aber auch in der zeitgenössischen protestanti- schen Kirchenmusik wird das Instrument entsprechend eingesetzt: Johann Sebastian Bachs Actus tragicus BWV 106 ist sicherlich das bekannteste Beispiel hierfür. Im vorliegenden Chor, in dem die Schäfer den vermeintlichen Tod der Tyrsis betrauern, beweist Telemann seine meisterhafte Instrumentationskunst. Neben den unisono die Oberstimme spielenden Flöten besetzt er in dem Stück eine Solovioline, die in durchgehenden wiegenden Achtelbe- wegungen verläuft, während die Streicher mit pizzicato-Akkorden begleiten. Im Dienste der Affektausdeutung stehen die Blockflöten in einer Arie aus : Der zwischen Strenge und Vaterliebe hin- und hergerissene Carolus singt hier „Die Majestät will Straf‘ und Rache / Jedoch die Liebe saget Nein“. Wird bei der Vertonung der ersten Satzhälfte die Singstimme nur von den unisono mit den Bässen geführten Streichern begleitet, wobei eine eckige, energische Melodieführung zu beobachten ist, so setzen zur zweiten Texthälfte die zwei Blockflöten ein, die in einem wiegenden Rhythmus parallel zur Singstimme geführt werden, wozu die Streicher vierstimmige Begleitakkorde beisteuern. Traversflöte Sieht man von der ungewöhnlichen Verwendung eines „Flauto tedesco“ in Kussers Erindo ab, scheint sich die Traversflöte im Hamburger Opernorchester erst relativ spät durchgesetzt zu haben, auf jeden Fall erst nach dem Wirken Händels, Graupners und Matthesons: Obwohl alle drei Komponisten, besonders Graupner, in späteren Werken eine große Vorliebe für die Tra- versflöte hegten, scheinen sie in Hamburg keine Verwendung für sie gefunden zu haben. Tat- sächlich ist das älteste nachweisbare Stück mit Traversflöte in einer Hamburger Oper nach dem frühen Erindo -Beispiel von 1694 Reinhard Keisers Heraclius , die im Jahr 1712 aufge- führt wurde. 248 In der Arie der Honoria „Es scherzet die Hoffnung“ konzertieren eine zum

248 Autographe Partitur: PL-Kj (ehemals D-B), bei Zelm 1975 ist die Oper noch als verschollen bezeichnet. 162

Teil virtuos geführte „Flute allemande“ mit einer Solovioline, die mit den Unisono-Violinen des Orchesters alterniert (vgl. Notenbeispiel VIII.6).

Notenbeispiel VIII.6: Reinhard Keiser, Heraclius (1712)

Im gleichen Jahr wie der Heraclius entstand auch die Erstvertonung des berühmten Pas- sionsoratoriums Der für die Sünden der Welt gemarterte und sterbende Jesus von Barthold Heinrich Brockes. In der Arie der Tocher Zion „Heil der Welt dein schmerzlich Leiden“, wird die gleiche Besetzung aus Traversflöte, Solovioline und Unisono-Violinen wie in dem Bei- spiel aus Heraclius verlangt, wobei die Begleitfiguren der Streicher pizzicato zu spielen sind. Ein kürzeres Traversflötensolo findet sich am Beginn des Soliloquiums des Christus in der Ölbergzene. Das eröffnende c-moll-Arioso „Mein Vater schau wie ich mich quäle“ wird von einer Soloflöte („Flute allem:[ande]“) und einem Continuo aus „Liuto con Violonc[ello] piz- zicato“ gespielt. Das zweite Arioso dieser Szene, „Ist's möglich dass dein Zorn sich stille“, wird auf die gleiche Musik gesungen, nur dass die Begleitung jetzt von Oboe und Fagott übernommen wird. In der Pastoral-Oper L’Inganno fedele von 1714 wird sogar eine Traversflöte auf der Bühne gespielt: Die Heldin des Stückes, Silvamire, hat zu einem Konzert eingeladen und führt dort eine komplette italienische Solokantate auf, „Mi lasci dunque sospirata Dori“, wo- 163 bei sie drei ihrer Gäste auffordert, sie mit „Querflöt“, „Clavecin“ und „Calichon“ (einer zu dieser Zeit als Continuo-Instrument beliebten Bass-Mandora) zu begleiten. Tatsächlich wer- den die beiden Arien der Kantate von einer anspruchsvollen Traversflötenstimme und Gene- ralbass begleitet. Während es sich bei den beiden Continuo-Spielern tatsächlich um Figuren aus der Oper (Asteria und Sireno) handelt, ist der Flötist, der im Libretto als „ein anderer Schäfer“ bezeichnet wird, lediglich ein anwesender Statist. 249 Dies könnte darauf hinweisen, dass hier ein Musiker des Orchesters auf der Bühne stand. Im Dienste der Klangmalerei setzt Keiser die Traversflöte in einem besonders delikat besetzten Satz in seiner Oper Die großmütige Tomyris ein. In der Arie der Tomyris „Strahlt ihr Sterne meiner Liebe“ wird die Soloflöte einem tiefen Streichersatz aus zwei Violoncelli und Kontrabass gegenübergestellt, um den hellen Glanz der Sterne vor dem Hintergrund des dunklen Nachthimmels musikalisch abzubilden. In der Hochzeitsserenata „Entlaubte Felder“ von 1716 wird das Instrument schließlich in der Arie der Arethusa „Die Wehmut will der Treuen Turteltauben“ zur Nachahmung des Klangs der in dem Gleichnis-Text besungenen Vögel eingesetzt. An verschiedenen Stellen seiner späteren Opern verwendet Keiser die Traversflöte auch zur Verdopplung der Singstimme, in seiner Oper Crösus finden sich hierfür allein drei Bei- spiele, Elmiras „Sobald dich nur mein Auge sah“, Cleridas „Liebe treibst du denn nur Spiel“ und Atis’ „Alle Freude leicht verstiebet“. In dieser späten Fassung von 1731 fällt auf, dass Keiser insgesamt sehr viele Stücke mit Traversflöte besetzt, während es keine einzige Arie mehr mit Blockflöte gibt (die oben beschriebene Atis-Arie von 1711 wurde 1731 durch ein neues Stück ersetzt). Mattheson bevorzugt seit seiner Tätigkeit am Hamburger Dom die Traversflöte ein- deutig gegenüber der von ihm nicht besonders geschätzten Blockflöte: Während Blockflöten nur in vier seiner Oratorien ( Die Gnädige Sendung Gottes , Brockes-Passion , Die durch Chris- ti Auferstehung bestätigte Auferstehung aller Toten , sowie die Trauermusik auf König Georg I.) vorgeschrieben sind, kommen Traversflöten in einem Großteil seiner kirchlichen Werke zum Einsatz. Meist werden sie – von Mattheson im Plural vorgeschrieben, also mehrfach be- setzt – als Klangfarbe zur Verdopplung der Streicher eingesetzt, seltener mit obligaten Solo- Passagen. Wie bei Keiser, findet sich auch bei Mattheson gelegentlich die colla-parte- Verdopplung der Singstimme mit einer Traversflöte. Der Bevorzugung der Traversflöte ge-

249 Vgl. die Ausgabe von Max Schneider, DDT 37/38, Vorwort, S. X. 164 genüber der Blockflöte lässt sich auch an Matthesons Bearbeitungs- und Entlehnungspraxis beobachten: In einer frühen Fassung in C-Dur des Weihnachtsoratoriums Die Heilsame Ge- burt und Menschwerdung , die in einer aus Frankfurt stammenden Abschrift in der Staatsbibli- othek Berlin überliefert ist (Signatur N.Mus.ms.10758), sind in einer Arie Blockflöten vorge- schrieben, aber in der in Hamburg als Autograph erhaltenen D-Dur-Fassung für den Hambur- ger Dom (Staatsbibliothek Hamburg, Signatur ND VI 119, Erstaufführung vermutlich 27.12.1715) werden in der nun transponierten und leicht veränderten Arie Traversflöten ein- gesetzt. Ähnliches ist in einer Arie zu beobachten, die Mattheson ursprünglich für seine Hochzeitsserenata Der verlorene und wiedergefundene Amor (Signatur D-Hs ND VI 119) von 1719 komponiert hatte, die d-moll-Arie des Phoebus „Amor e gelosia“, ein Stück mit Beglei- tung von Unisono-Violinen, die von „Flauti“ colla parte mitgespielt werden sollen. Mattheson setzte sie 1723 wieder als Einlagearie in seiner Bearbeitung von Giuseppe Maria Orlandinis Oper Nerone (Signatur D-B, Mus.ms.16370) ein, in dieser Partitur sind für die Arie aber Tra- versflöten vorgeschrieben. Die erste Oper, die Georg Philipp Telemann in Hamburg zur Aufführung brachte, Der geduldige Socrates (1721), und der auf einem älteren Leipziger Stück basierende Der neumo- dische Liebhaber Damon (in Hamburg 1724 gespielt), enthalten ausschließlich Partien für Blockflöte. Erst in seinen folgenden Werken finden sich zum Teil sehr anspruchsvolle Passa- gen für Traversflöten; in einigen späteren Opern, wie (1728), werden die Blockflö- ten sogar komplett durch die moderneren Traversflöten ersetzt. Während Keiser das Instru- ment überwiegend solistisch einsetzte, braucht Telemann häufiger zwei Traversflöten, die er mit dem Streichorchester kombiniert. Seine wachsende Vorliebe für das Instrument erklärt sich auch aus seiner stilistischen Hinwendung zum zeitgenössischen galanten Stil. In solchem galanten Duktus ist etwa die Arie des Philippus „Weine zwar gekränkte Seele“ gehalten, die Telemann 1729 als Einlagestück zu seiner Bearbeitung von Händels Riccardo primo kompo- nierte (vgl. Abbildung VIII.1). Philippus (Berardo in Händels Original) ist die Stimme der Vernunft in dieser Oper, er hält Berengera (so der Name der Heldin in der deutschen Fassung) in der ersten Szene vom Selbstmord zurück und warnt sie davor, sich unkontrolliert ihrer Ver- zweiflung zu ergeben. An ähnlich bedeutender Stelle, diesmal am Ende der Oper, erscheint eine Arie im galant- tänzerischen 3/4-Rhythmus in Emma und Eginhard . Dort hält eine „Himmlische Stimme“ Kaiser Karl mit den Worten „Widerstrebe nicht der Regung, die dich zum Erbarmen zeucht“ von der Hinrichtung der eigenen Tochter und ihres Geliebten ab. Auch hier dienen die solisti-

165 schen Einwürfe von zwei Traversflöten vermutlich als Sinnbild von Vernunft und Aufklärung gegenüber atavistischer Leidenschaft; mit ihrem galanten Timbre waren diese Instrumente wohl die idealen Klangträger für solch modernes Gedankengut. Ein geistliches Gegenstück ist sicherlich die Arie „Ich treff auf deinen blutgen Rücken“ aus dem Passionsoratorium Das selige Erwägen , wo ein Concertino aus zwei Flöten und Violoncello mit den Streichern und der Singstimme alterniert. Der ausgesprochen anmutige Charakter dieses Stückes transportiert die tröstliche, erlösende Botschaft und sublimiert das grausame Passionsgeschehen. Telemann schreibt bisweilen sehr virtuose Solopassagen für die Traversflöte. Die Arie der Rodelinda „Dormi pur amato figlio“ aus Flavius Bertaridus eröffnet eine pastorale Szene, in der die Heldin, die sich mit ihrem Sohn auf der Flucht befindet, am Ufer des Flusses Ticino das Kind in den Schlaf wiegt. Die Begleitung besteht aus Flöte und hohen Streichern (zwei Violinen und Viola), hier liegt also wieder ein Bassettchen-Satz vor, der von den Hamburger Komponisten gerne im Zusammenhang mit Stücken mit Block- und Traversflötenbegleitung verwendet wurde. Die Flöte wird hier zum Teil parallel zur Singstimme geführt, teils alter- niert sie mit dieser in virtuosen Spielfiguren, die das sanfte Wogen der Wellen nachzeichnen.

Abbildung VIII.1: Georg Philipp Telemann, Einlagearie zu Händels Riccardo primo (1729) (TAA 46)

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Die Partitur der Oper Emma und Eginhard enthält neben Arien, in denen ‚gewöhnliche’ Tra- versflöten verlangt werden, auch Stücke, in denen ein „Traverso grosso“ vorgeschrieben ist. In der A-Dur Arie des Eginhard (Bariton) „Mich kützelt die Hoffnung" wird die Singstimme von unisono-Violinen als Bassettchen-Bass begleitet und von der Flöte – bei der es sich mit großer Sicherheit um einen Flauto d’amore (eine Terz tiefer als die Traversflöte in d 1, also mit dem tiefsten Ton h) handelte – eine Oktave höher mitgespielt; in den Koloraturpassagen lösen sich Singstimme und Instrument und werden in Parallelen und mit alternierenden Spielfiguren geführt. Theoretisch wäre die Arie auch einem gewöhnlichen Traverso spielbar – der tiefste Ton der Arie ist dis 1, ein eher unbequemer Ton auf dem Instrument –, dies wäre aber für eine Komposition Telemanns ungewöhnlich, der gerade dafür bekannt ist, dass er seine Instrumen- te immer in der optimalen Tessitura einsetzte. Der Beleg dafür, dass eine tiefe Traversflöte in der Oper mitspielte, ist die Arie des Wolrad „Nichts sonst bringt Berg und Tal zusammen als Amors wunderstarke Hand“. Dort werden tatsächlich in der solistischen Flötenstimme im B- Teil die Töne h und cis 1 verlangt, die nur auf dem Flauto d’amore spielbar sind.

Kleine Flöten Ein aufführungspraktisches Problem bereiten die in verschiedenen Opern Keisers und Tele- manns vorgeschriebenen kleinen Flötentypen, da nicht immer klar ist, welches Instrument sich genau hinter den verschiedenen Bezeichnungen versteckt. Keiser nennt das von ihm verlangte kleine Flöteninstrument Zuffolo. 250 Dies ist die italienische Bezeichnung für eine kleine Blockflöte, die auch in der heutigen Volksmusik Ita- liens noch eine Rolle spielt. Keiser schreibt den Zuffolo als Soloinstrument erstmals in dem einleitenden Konzertsatz zu seiner Oper Die großmüthige Tomyris vor, wo es sehr rasche, virtuose Spielfiguren auszuführen hat (Vgl. Notenbeispiel VIII.7, als Alternativinstrument ist noch die „normale“ Traversflöte genannt). Die oben erwähnte Hochzeitsserenata Entlaubte Wälder enthält ebenfalls eine Arie für Zuffolo und Streicherbegleitung, „Die Sonnen-Blicke süßer Liebe“, in der ähnliche rasche Spielfiguren in Zweiunddreißigstel-Bewegung verlangt werden, wie in der Tomyris -Ouvertüre. Schließlich wird der Zuffolo von Keiser noch in einer komischen Arie in seiner Pasticcio-Oper Der lächerliche Prinz Jodelet sowie in zwei Instru- mentalsätzen der späten Croesus -Fassung, der Eingangssinfonie und dem Ritornell zu Beginn

250 Vgl. zu den folgenden Ausführungen Meierott 1974, S. 225–229. 167 des 2. Aktes eingesetzt. Wird der scharfe Klang der kleinen Flöte in der zusätzlich mit Trom- peten und Pauken besetzten Sinfonia zur Unterstreichung des militärischen Charakters ver- wendet, so soll es in dem Ritornell die volkstümlich-rustikale Sphäre der Landleute illustrie- ren und in das mit einer den Klang eines Dudelsacks imitierenden Begleitung aus zwei Oboen und zwei Fagotten versehene Lieder der Bauern „Kleine Vöglein“ überleiten.

Notenbeispiel VIII.7: Reinhard Keiser, Tomyris (1717), “Concerto avanti l‘opera à 5” (nach Ausgabe Die Oper 1)

Als Ensemble-Instrumente erklingen zwei „Zuffoli“ in der Arie des Tirsis „Klarer Spiegel meiner Leiden“ aus der Oper Der sich rächende Cupido von 1724: Dort verdoppeln zwei Zuf- foli die beiden von Blockflöten und Violinen gespielten Oberstimmen. Die Zuffolo-Partien Keisers sind vermutlich für eine Sopranflöte in d 2 (der englischen Sixth-Flute) geschrieben, es könnte sich bei dem Instrument jedoch auch um eine Art Flageo- lett in dieser Stimmlage gehandelt haben. Telemann bezeichnet seine kleinen Flöten als Flauto piccolo und als Flauto all’ottava. In beiden Fällen sind sicherlich Blockflöten, keine Querflöten gemeint. Im Sieg der Schönheit wird der Flauto piccolo an drei Stellen verwendet, darunter in der komischen Arie des Turpin „Die Schöne soll bei Sonnenschein“, in der die Flöten mit Oboen kombiniert werden. Der Ambitus dieser Flötenstimmen reicht von d 1–h2, deshalb ist auch hier von einer Sopranflöte in

168 d2 auszugehen, Meierott nimmt sogar an, dass die Begriffe Zuffolo und Flauto piccolo das gleiche Instrument bezeichnen. 251 Zwei konzertierende „Flauti all’ottava“ wetteifern mit der Singstimme in der Arie der Flavia „Mischt ihr muntern Nachtigallen“ aus Flavius Bertaridus , einem Stück, das Meierott übersehen hatte. Die Arie steht in F-Dur, durch den Ambitus der beiden Flötenstimmen ist anzunehmen, dass mit den Instrumenten hier Blockflöten in f 2, also Sopraninoflöten, gemeint sind. Ein ähnliches Instrument scheint auch von Händel in seinem Riccardo primo für das virtuose Solo in der Arie „Il volo così fido“ verlangt worden sein, die 1729 in Telemanns Bearbeitung in Hamburg erklang. Auch in seinen Oratorien und weltlichen Vokalwerken setzt Telemann gelegentlich kleine Blockflöten ein. Zwei „Flauti piccoli“ und Streicher begleiten zum Beispiel die Arie „Soll ich deiner wohl vergessen?“ aus dem Seligen Erwägen ; in dem Passionsoratorium Die gekreuzigte Liebe werden zwei Piccoloflöten und zwei Oboen in der besonders rührenden Christus-Arie „Aus Liebe lag ich in der Krippen“ kombiniert, eine Klangkombination, die auch in der noch in Frankfurt entstandenen Frühlingskantate „Alles redet jetzt und singet“ verlangt wird. In beiden Fällen soll ein anmutiger, liebevoller Charakter durch die Musik dar- gestellt werden, allein auf Grund dieser Tatsache ist es naheliegend, diese Stücke mit Block- flöten, nicht mit den scharf und aggressiv klingenden kleinen Traversflöten zu besetzen. Letz- tere scheinen sich in der Kunstmusik auch erst in den 1730er Jahren in Frankreich durchge- setzt zu haben. In seinen späteren Kapitänsmusiken (etwa in TVWV 15:11) verwendet Tele- mann gelegentlich „Quer-Pfeifen“ in Kombination mit kleiner Trommel (Tamburino): In die- sen Stücken ist sicherlich die militärisch konnotierte Piccolo-Traversflöte gemeint. Auch die von Telemann häufiger vorgeschriebene Quartflöte scheint eine hohe Traversflöte zu sein, wie Meierott überzeugend dargestellt hat. 252

Chalumeau Reinhard Keiser und Georg Philipp Telemann schrieben in einigen ihrer Werke auch Partien für ein oder zwei Chalumeaux vor. Das Instrument scheint in Hamburg insgesamt weniger verbreitet gewesen zu sein, als etwa in Darmstadt oder Wien, doch wird es bereits 1711 in der ersten Fassung von Keisers Crösus eingesetzt. In Elmiras dreistrophiger Arie „Meiner Seelen Lust und Wonne“ wird jede der Strophen von drei Violinen begleitet, die in den Ritornellen

251 Vgl. Meierott 1974, S. 229. 252 Meierott 1974, S. 231: "Ohne Zweifel ist hier eine Querflöte in F gemeint". 169 nacheinander von drei Chalumeaux, drei Blockflöten und drei Oboen als colla-parte- Instrumente verdoppelt werden. In der Chalumeau-Strophe sollen die Streicher noch mit Dämpfern spielen, was eine besonders reizvolle Klangmischung mit den zart klingenden Kla- rinetten-Instrumenten ergibt. Interessanterweise sind die Ritornelle wieder als dreistimmiger Satz in enger Lage, mit der dritten Stimme als Bassettchen-Stimme, komponiert, der Continuo begleitet nur die Gesangsabschnitte, in denen die Holzbläser pausieren. In der späteren Fas- sung der Oper wurde eine auf dem gleichen motivischen Material basierende Ersatzarie mit dem Text „Traure nicht“ eingefügt, die für drei Chalumeaux gesetzt ist, die mit den sordinier- ten Streichern (Violine 1, 2 und Viola) colla parte spielen. Die Tonart A-Dur und der Ambitus der Stimmen ist hier aber weniger instrumentengerecht gewählt. Vermutlich waren hier zwei Alt- und ein Tenorchaulumeau vorgesehen. Die Besetzung wird für alle drei Strophen beibe- halten, der interessante Registerwechsel der älteren Fassung wird also aufgegeben. Das zweite Werk Keisers, in dem Chalumeux besetzt sind, ist die durch ihre besonders farbige Instrumentation auffällige Hochzeitsserenata Entlaubte Wälder von 1716. 253 Auch hier werden wieder zwei hohe Chalumeaux mit gedämpften Streichern und zusätzlich colla parte spielenden Oboen kombiniert. Die bekannteste und ungewöhnlichste Verwendung des Chalumeau bei Keiser findet sich jedoch in einem geistlichen Werk, dem Oratorium Der siegende David : Hier werden zwei Chalumeaux mit einem obligaten Glockenspiel („Spinetto di campane“) zusammen ge- führt; diese besonders delikate Klangkombination begleitet den Gesang Davids vor dem ge- mütskranken König Saul. 254 Telemann kannte den Chalumeaux sicherlich aus seiner Frankfurter Zeit, da im be- nachbarten Darmstadt einige der Hofmusiker ausgesprochene Virtuosen auf diesem Instru- ment waren, wie die erhaltenen Kompositionen Graupners bezeugen. 255 In seinen Hamburger Werken verlangt er meistens die Kombination von Alt- und Tenorchalumeau (Grundton c und f), so auch in der Arie des Olybrius „Placidia mein schönes Kind“. Dort besetzt er zwei Blockflöten und Chalumeaux, Fagotte, Streicher und Basso continuo. Die Blockflöten sind klingend notiert, in den Systemen der Flöten findet sich der Hinweis auf die colla-parte- Mitwirkung der Chalumeux, die nicht gesondert notiert wurden. Die einzig mögliche Reali- sierung dieser Spielanweisung ist die Oktavtransposition, wobei Flauto 1, deren tiefster Ton

253 Zu Besetzung und Aufbau dieses Werkes vergleiche Drauschke 2004, S. 83–94. 254 Vgl. Koch 1999, S. 67. 255 Vgl. Lawson 1981. 170 c2 ist, von dem Altchalumeau, Flauto 2 (tiefster Ton f 1) vom Tenorchalumeau in der Unterok- tave mitgespielt werden können (vgl. Notenbeispiel VIII.8).

Notenbeispiel VIII.8: Georg Philipp Telemann, Der Sieg der Schönheit (1722), Beginn der Arie „Placidia mein schönstes Kind“

Der Sieg der Schönheit ist die einzige bekannte Oper, in der Telemann den Chalumeau vor- schreibt, doch setzt er das Instrument häufiger in seinen Oratorien und Gelegenheitswerken ein. Besonders bemerkenswert sind die beiden Chalumeau-Sätze im Seligen Erwägen : Der 2. Satz der Sinfonia ist für ein Concertino aus Oboe sowie Alt- und Tenorchalumeau und Strei- chern gesetzt, wobei die Chalumeaux auch in den Ripieno-Passagen der Streicher mitspielen. Über weite Strecken spielen die drei Blasinstrumente unbegleitete Soloepisoden. Wie schon in der oben beschriebenen Opernarie, finden sich auch in den Begleitpassagen dieses Sinfo- niesatzes repetierende Achtelgruppen, die mit einer Art Bogenvibrato ausgeführt werden sol- len, eine typische Spielfigur in Chalumeau-Partien der Zeit (Vgl. Notenbeispiel VIII.9). Das zweite Stück des Oratoriums, in dem die ungewöhnlichen Blasinstrumente besetzt sind, das Arioso des Christus „Es ist vollbracht“, ein Satz von geradezu impressionstischer Farbigkeit,

171 zeichnet die dunkle Stimmung der Todesstunde Jesu durch zwei Chalumeaux, zwei Hörner, Fagott und gedämpfte Streicher nach.

Notenbeispiel VIII.9: Georg Philipp Telemann, Das selige Erwägen (1722), Ausschnitt aus der Sinfonia

Resumee Im Hamburger Opernorchester wurden Holzblasinstrumente mit bedeutenden Aufgaben be- traut. Durch die Adaption des französischen Orchesterstils waren vor allem Oboen und Fagot- te bereits früh essentieller Bestandteil des Tuttiklangs. Kussers Erindo ist ein frühes Beispiel für die solistische Verwendung fast aller damals gebräuchlicher Holzblasinstrumente, die al- lerdings noch hauptsächlich kantabel, noch nicht mit instrumentenspezifischem Passagenwerk eingesetzt werden. Neben der Verwendung als Tutti- und Soloinstrument wurden Holzbläser spätestens seit dem Wirken Keisers daneben in originellen Klangkombinationen eingesetzt, der Typus der Aria con molti stromenti kennt Besetzungen mit bis zu fünf oder sechs eigen- ständigen Holzbläsern, wobei auch das Fagott häufig aus seiner Rolle als reines Continuoin- strument heraustritt; als ebenbürtig in der Erzielung origineller Klangeffekte muß vor allem der nur kurz in Hamburg wirkende Christoph Graupner genannt werden. Reizvolle Effekte werden vor allem durch die Verwendung der Bassettchen-Technik erzielt, gerade in Stücken, die mit Flöten besetzt sind. Flöteninstrumente werden vor allem affektbezogen eingesetzt, daneben auch in Arien, die Naturschilderungen, besonders im pastoralen Kontext, zum Inhalt haben. Um 1720 beginnt dabei die Traversflöte allmählich, die Blockflöte zu verdrängen, auch wenn gerade Telemann beide Instrumente noch parallel verwendet. Auf der Suche nach neuen Klangkombinationen werden gelegentlich ‚exotische’ Instrumente wie Piccoloflöte, Flauto d’amore, Oboe d’amore oder Chalumeau eingesetzt. Ab 1720 lässt sich beobachten, 172 dass kammermusikalische Besetzungen dabei seltener werden, solistische Holzbläser treten nun fast ausschließlich in Kombination mit den begleitenden Streichern auf. Das Interesse an neuen Orchesterfarben wird auch in die Kirchenmusik übertragen; es lassen sich zahlreiche Analogien zwischen Opern- und Oratorienpartituren der Zeit erkennen, die dem fortschrittli- chen Ideal einer theatralischen Kirchenmusik geschuldet sind.

Nachweis: Der Beitrag erschien als Artikel in: Die Verwendung der Holzblasinstrumente in Werken Hamburger Opernkomponisten der Barockzeit , in: Ch. Ahrens / G. Klinke (Hrsg.): „Flöte, Oboe, Kla- rinette und Fagott. Holzblasinstrumente bis zum Ende des 18. Jahrhunderts.“ Symposiumsbericht Her- ne 2008, München / Salzburg 2011, S. 85-111.

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IX. Händels Borrowings aus Johann Matthesons Oper Porsenna (1702)

Zum Reisegepäck des jungen Händel auf dem Weg nach Italien muss eine umfangreiche Sammlung von Partituren und Einzelabschriften von Opernarien aus dem Repertoire der Hamburger Gänsemarktoper gehört haben, wie die zahlreichen Entlehnungen aus diesen Wer- ken in seinen römischen und venezianischen Kompositionen belegen. Schon Friedrich Chry- sander wies auf die motivischen Anleihen aus Reinhard Keisers Oper Octavia hin,256 die Händel in seine italienischen Werke einfließen ließ. Die Forschungen John H. Roberts haben sogenannte Borrowings aus vielen weiteren Partituren Keisers nachgewiesen, die teilweise sogar zu melodischen Prototypen wurden, auf die Händel noch viele Jahre später zurück- griff. 257 Der einzige Komponist, dessen melodischer Erfindungsreichtum ihm später eine ähn- liche Inspirationsquelle bot, war Georg Philipp Telemann. Hier waren es die gedruckten Kir- chenkantaten des Harmonischen Gottedienstes und die Musique de Table , die er vor allem in den späteren Londoner Opern, Oratorien und Orgelkonzerten in den 30er - 50er Jahren auf vielfältige Weise zitierte und weiterverarbeitete. 258 Es fragt sich, ob Keiser und Telemann gewußt haben, bis zu welchem Ausmaße der berühmte Kollege und Freund in seinen erfolgreichen Werken auf ihre Ideen zurückgriff. Es sind hierzu keine Äußerungen überliefert. Zumindest Keiser muss doch bei den Hamburger Wiederaufführungen von Händel-Opern immer wieder auf überraschende Begegnungen mit Melodien aus eigenen Werken gestoßen sein. Ein anderer Hamburger Musiker verhielt sich jedoch weniger zurückhaltend. Es war Händels streitbarer Freund Johann Mattheson, dessen „stachlichte" Kritikerfeder in ganz Deutschland gefürchtet war. Als im Jahre 1718 eine italie- nische Truppe im Gänsemarkttheater Händels 1709 entstandene Oper Agrippina (HWV 6) aufführte, bemerkte er erstaunt – und mit ihm sicherlich auch große Teile des Publikums –, dass zahlreiche Melodien dieser venezianischen Partitur aus älteren Opern Keisers stammten. Daneben begegnete er auch einer offensichtlichen Entlehnung aus seiner eigenen Oper Der edelmüthige Porsenna von 1702. 259 Und zufälligerweise gelangte mit dem gemeinschaftlich mit Filippo Amadei und Giovanni Bononcini komponierten Muzio Scevola (HWV 13) – zu- dem auch noch eine Oper mit dem gleichen Sujet wie Matthesons Porsenna – 1723 eine wei-

256 So erschien das Werk als bedeutende Händel-Quelle 1902 als Anhangband der Händel-Gesamtausgabe (ChrA Anh.6). 257 Roberts 1986. 258 Roberts 1985; zur Musique de Table auch schon Seiffert 1927. 259 Neuedition der Oper: MEO 9. 175 tere Händel-Oper auf den Spielplan der Gänsemarktoper, in der sich ein Zitat aus Matthesons Arie wiederfand. In seiner Critica musica weist nun Mattheson in einem Kapitel über die freie Verwendung der verminderten Quinte ("Hemidiapente") auf diese Entlehnungen hin, nach- dem er auch noch Händels Vorlage für eine andere Arie aus Muzio Scevolo , "Lungo pensar", angibt, die Arie von Antonio Lotti "Bramo aver per più goder" (aus Giove in Argo, Dresden 1717), in der die gleiche harmonische Devise der unvorbereiteten verminderten Quinte anzu- treffen ist.

In der Oper Porsenna, von meiner composition, so wie dieselbe vor 20 Jahren hier aufgeführet und von Händel unter meiner Direction accompagnirt ward, befindet sich eine Aria, deren An- fangs-Worte heissen: Diese Wangen will ich küssen. Es kann wohl sein, dass dem Händel die Melodie nicht uneben gefallen haben mag: denn er hat nicht nur in seiner Agrippina, so wie sie in Italien hervorgekommen; sondern auch in einer andern neuen Opera, die jüngst in Engelland gemacht wurde, und vom Mutio Scaevola handelt, eben dieselbe modulation, fast Note vor No- te, erwehlet. In der Agrippina ist er auch bey eben dem Ton geblieben, nemlich: beym B. Und lauten die Worte so: Sotto il lauro che hai su'l crine &c. In der andern aber ist der Ton changirt, und heissen die Worte: A chi vive di speranza &c. 260

Spätere Generationen haben Mattheson dieses Verhalten als kleinliche Rechthaberei ange- kreidet. Neidisch habe er seine eigene Bedeutung für Händels Erfolg hervorkehren wollen, statt großmütig zu schweigen, wie es sein höflicher Kollege Keiser tat. 261 Diese Vorwürfe lassen sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn man die Angelegenheit aus der Sicht einer ein- seitigen Händel-Apologetik betrachtet. Um Matthesons Beweggründe besser zu verstehen, muss man seine persönliche Situation in den Jahren der Veröffentlichung der Critica musica betrachten. Denn während sich der Theoretiker Mattheson allgemeiner Autorität erfreuen konnte, war sein Ruf als Komponist gerade zur Zeit seiner Tätigkeit als Musikdirektor am Hamburger Dom 1715-1728 mehrfach in der Öffentlichkeit in Frage gestellt worden, eine Lage, in der sich der überaus beliebte Keiser niemals befand. 262 Ein Hinweis darauf, dass selbst der große Händel, der erfolgreichste deutsche Musiker seiner Zeit, melodische Ideen aus Werken Mattheson verarbeitete, konnte als Beleg für die künstlerische Qualität seiner Kompositionen herangezogen werden. Matthesons Anmerkung ist zwar in einem etwas ironi-

260 Mattheson 1722/25, S. 71f. 261 So Bernd Baselt im Händel-Handbuch, Band IV (= Baselt 1985), S. 106, wo der Text als "charakteristisch für Matthesons Stolz und mitunter kleinliche Eifersucht" bezeichnet wird. 262 Hierzu: Hobohm 19872 sowie Kleinertz 2003, besonders S. 375. 176 schen Ton gehalten, andererseits lässt er aber auch durchhören, dass er sich durchaus geehrt fühlte durch ein musikalisches Zitat seitens einer solch berühmten Feder. Da es bisher keine Vergleichsmöglichkeit zwischen Händels Arie und der angeblichen Vorlage gab – die Porsenna -Partitur galt nach dem 2. Weltkrieg als verschollen – , ließ sich nicht überprüfen, inwieweit Händel Matthesons Vorlage übernahm und modifizierte. Durch die Wiederentdeckung der Mattheson-Autographe in Eriwan und ihre Rückführung nach Hamburg im Jahre 1998 ist es nun möglich, musikalische Vergleiche vorzunehmen, um die Relevanz von Matthesons Aussage zu überprüfen. Porsenna ist die am wenigsten bekannte Oper Matthesons. Während Helmuth Christi- an Wolff in seiner epochalen Monographie zur Geschichte der Hamburger Oper 263 die drei Nachfolgewerke Matthesons, Cleopatra (1704), Boris Goudenow (1710) und Henricus IV (1711) sehr ausführlich besprach und durch zahlreiche Musikbeispiele aus diesen Werken auch während der langen Abwesenheit der Quellen nach 1945 einen Eindruck von der Be- schaffenheit der Musik vermitteln konnte, erwähnt er den Porsenna mit keinem Wort. Ver- mutlich erschien ihm der Aufbau des Werkes und das klassisch-römische Sujet zu konventio- nell im Vergleich zu den drei teils geradezu reißerischen späteren Opern mit ihren originellen Libretti. Mattheson selbst scheint den Porsenna jedoch sehr geschätzt zu haben, zumal er in der führenden Tenorrolle des Mutius auch als Darsteller einen großen Erfolg erlebt hatte. 264 Das Libretto des Braunschweiger Dichters Friedrich Christian Bressand 265 nach einer Vorlage von Nicolò Minato schildert die Belagerung der Stadt Rom durch den Etruskerkönig Porsenna als Verbündeten der gestürzten Tarquinier und die edelmütigen Heldentaten der Römer Muti- us, Horatius und Clelia. Es wurde erstmals von Keiser unter dem Titel Clelia 1696 für eine Aufführung in Braunschweig vertont, eine weitere Fassung schuf im Jahre 1718 der Braun- schweiger Hofkapellmeister Georg Caspar Schürmann. Auf welchem Wege Händel Matthesons Partitur tatsächlich kennenlernte, ist nicht eindeutig zu sagen. Dem oben genannten Zitat Matthesons lässt sich entnehmen, dass Händel in Aufführungen des Werkes als Cembalist mitgewirkt haben soll. Dies verwundert: Es gibt weder erhaltene Textdrucke noch andere Hinweise, die für eine Wiederaufnahme von Por-

263 Wolff 1957. 264 Siehe Marx 1982, S. 43, 46. 265 Faksimile des Hamburger Librettos von 1702 in: Meyer 1980, Bd. 2, S. 1-62. Hieraus auch die folgenden Textzitate. 177 senna nach dem Jahr der Uraufführung 1702 sprechen. 266 Andererseits wissen wir wenig über die Produktionsumstände an der Hamburger Oper in diesen Jahren, sicherlich konnten Wie- deraufnahmen von erfolgreichen Stücken aus dem Vorjahr stattgefunden haben, die nicht do- kumentiert sind. Auf jeden Fall muß Händel auf irgendeine Weise die Möglichkeit gehabt haben, die Partitur intensiver kennenzulernen. Außer der Arie „Diese Lippen will ich küssen“ hat Händel nämlich Material aus mindestens drei weiteren Nummern des Porsenna in eigene Kompositionen einfließen lassen. Da bisher schon zwei motivische Entlehnungen aus Cleo- patra (1704) in Agrippina bekannt waren, 267 können jetzt insgesamt sechs Mattheson- Borrowings in Händels Werken nachgewiesen werden. Im Folgenden werden diese Beispiele aus Porsenna näher beschrieben und in Bezie- hung zu Händels Bearbeitungen gesetzt. Als erstes sei das aus der Literatur bekannte Agrippi- na -Beispiel genauer betrachtet. Vorlage ist, wie erwähnt, die Arie „Diese Lippen will ich küssen“ aus der fünften Szene des dritten Aktes von Porsenna . In dieser äußerst rührenden Szene versucht Mutius, seine Geliebte Clelia zu überzeugen, das Heiratsangebot des Königs Porsenna, der zuvor allen römischen Geiseln die Freiheit geschenkt hat, anzunehmen. Porsen- na lässt die beiden Liebenden allein. Seine Abgangsarie drückt seine freudige Erwartung der Hochzeit mit Clelia aus:

Diese Wangen Will ich küssen Und so büßen Das Verlangen Meiner Brunst.

Ich will wissen Zu umfangen Zu umschließen Zu genießen Meine Lust.

Obwohl die Arie in ihrem typischen zweistrophigen Aufbau eine ideale Vorlage für eine Dacapo-Arie abgegeben hätte, wählt Mattheson die schlichte Form der zweiteiligen Menu- ettarie. Später sprach Mattheson dieser Tanzform den Affekt der „mässigen Lustigkeit“ zu,

266 Immerhin kann ein diplomatischer Nachdruck des Textbuches nachgewiesen werden, was für eine spätere Aufführung spricht, siehe Marx / Schröder 1995, S. 143. 267 Vgl. Buelow 1986, Appendix S. 105-128 ("0. Sinfonia", "48. Coro: Lieto il Tebro"). 178 was dem Charakter der vorliegenden Komposition vollkommen entspricht.268 Die viersilbigen Kurzverse der Dichtung entsprechen den zweitaktigen, aus einem Jambus und einem Trochä- us bestehenden Gliedern, die Mattheson als Bestandteile eines regelmäßig gebauten Menuetts benennt. 269 Die der Tanzform inhärente Reprisenform A :||: B A‘ ermöglicht die Wiederho- lung der ersten Strophe als quasi-Dacapo. Der Text wird, wie in einem Tanzlied zu erwarten ist, ohne Wortwiederholungen und Koloraturen vorgetragen. Sowohl der erste 10taktige Ab- schnitt mit der Periode A als auch der doppelt so lange zweite Abschnitt mit den Perioden B und A‘ werden zunächst von der Singstimme allein, danach von den Instrumenten vorgetra- gen. Der streng symmetrische Aufbau der Komposition erinnert an das Beispiel des Menuetts im Vollkommenen Kapellmeister , an dem Mattheson sein System der musikalischen Inzisions- lehre erläutert. 270 (Siehe Abbildung IX.1) Händel verwendete Matthesons Menuett in einer Zweitfassung der Arie des Nero in der vierten Szene des zweiten Aktes von Agrippina , die eine kurze, aber formal ausgereifte Dacapo-Arie darstellt. Die dramatische Situation ist eine völlig andere als in Matthesons Hamburger Oper. Durch die Intrigen der Agrippina scheint es, als wäre der kurz zuvor noch von Kaiser Claudio als Held gefeierte Ottone ein Verräter. Alle Personen wenden sich voller Verachtung von ihm ab, um ihn dann der Verzweiflung über seinen tiefen Fall zu überlassen. Besonders sein Rivale Nero übergießt ihn mit hämischem Spott, als er sich hilfesuchend an diesen wendet:

Sotto il lauro che hai sul crine Le sciagure e le ruine Tu non puoi già paventar.

Anch’il fulmine rispetta Quella fronda, ch’è oggi eletta La tua fronte à coronar. 271

268 Mattheson 1739, S. 324. 269 Mattheson 1739, S. 165, §§ 17-18. 270 Ebd. 271 „Unter dem Lorbeer, den du im Haar trägst, brauchst du keine Schicksalsschläge und Niederlagen zu fürch- ten. Selbst der Blitzstrahl verschont jene Zweige, die heute erkoren sind, dein Haupt zu krönen.“ (Übers. d. Verf.). 179

Abbildung IX.1: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D -Hs, ND VI 110, f.57r.

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Der „harmlose“ Charakter des Tanzliedes, das völlig auf eine musikalische Illustration des bilderreichen Textes verzichtet, wird hier eingesetzt, um seine ironische Bedeutung zu unter- streichen; aus dem dramatischen Kontext gelöst würde man hier eine heroische Koloraturarie erwarten. Außerdem steht die sorglose Tanzmelodik natürlich im heftigsten Kontrast zu Otto- nes anschließender tragischer Verzweiflungsszene „Otton, Otton, qual portentoso fulmine“. Händel verwendet für die Arie die erste Periode des Matthesonschen Menuetts. Da durch die drei Ottonari der ersten Strophe vier Silben mehr zu vertonen sind als in dem Text von Bressand, erweitert Händel die Melodie um zwei Takte. Die Arie beginnt mit einem Ri- tornell, das entsprechend Matthesons A‘-Teil auf der Tonika endet. Die Singstimme trägt nun mit Bassettchenbegleitung der zweiten Violinen die komplette Textstrophe vor. Dabei modu- liert Händel nun zur Dominante und schließt eine Koloratur auf der Schlusssilbe an. Hierauf folgt eine zweite Durchführung des Textes, bevor das Orchesterritornell mit dem Menuett- Thema als Abschluss wiederholt wird. Der B-Teil hat melodisch nichts mit der Mattheson- Vorlage gemein, doch hält Händel auch hier an dem zweitaktigen ostinaten Rhythmus fest. (Siehe Notenbeispiel IX.1)

Notenbeispiel IX.1: Händel, Agrippina , Beginn der Arie „Sotto il lauro“ (ChrA 58)

Auffällig sind die melodischen und harmonischen Veränderungen, die Händel an Matthesons Menuett vornimmt. Besonders der dritte Takt unterscheidet sich deutlich von der Vorlage. Während Mattheson den rhythmischen Schematismus hier durch Durchgangsnoten auflockert, wird er von Händel durchgehalten. Interessanterweise lehnt sich Händel in der Arie der Fi- 181 dalma "A chi vive di speranza" aus dem 3. Akt zu Muzio Scevola , in der er zum zweiten Mal auf Matthesons Vorlage zurückgreift, in diesem Punkt wieder enger an die Originalmelodie an. Dafür verwendet Händel hier jedoch nur die ersten vier Takte des Menuett-Themas, im Weiteren nimmt die Arie einen völlig anderen Verlauf, imitiert also keineswegs "Note für Note" die beiden Vorgängerinnen (s. Notenbeispiel IX.2). 272 Matthesons Aussage in der Critica musica ließ vermuten, dass die Händel-Arien ledig- lich mehr oder weniger getreue Parodien seiner Menuett-Arie waren. Der Vergleich hat dage- gen gezeigt, dass es sich bei beiden Arien, so stark sie auch von der melodischen Vorlage geprägt sind, um formal eigenständige Stücke handelt, die sich auch untereinander stark un- terscheiden.

Notenbeispiel IX.2: Händel, Muzio Scevola , Arie der Fidalma „A chi vive di speranza“, Beginn der Melo- diestimme

Der elften Szene des ersten Aktes von Porsenna entstammt ein weiteres motivisches Borro- wing in eine Händelsche Komposition. Es handelt sich um eine Soloszene der Heldin Clelia. Sie hat sich in Männerkleidung in die Nähe des feindlichen Lagers gewagt, da sie auf der Su- che nach ihrem Geliebten Mutius ist. Während sie sich ihre langen Haare aufsteckt, um sie unter ihrem Helm zu verbergen, fleht sie den Liebesgott an, ihr bei der Suche nach dem Ge- liebten zu helfen. Dabei wird sie von den Etruskern später überrascht und gefangengenom- men. Der Text der Arie ist einteilig, wobei die Anfangszeile am Ende der Strophe wieder- holt wird. Diese Form findet sich sehr häufig in frühen deutschen Opern- und Oratorienlibret- ti, sie stellt eine Art primitiver Dacapo-Form dar.

272 Eine frühere Verwendung der Vorlage Matthesons findet sich in dem Kantatenzyklus Amore uccellatore , der aus den Kantaten HWV 176, HWV 175 sowie einer weiteren Folge von Rezitativen und Arien zusammenge- setzt ist. Diese weiteren drei kurzen Kantaten sind bisher nicht im HWV verzeichnet, obwohl ihre Echtheit wohl gesichert ist. Die entsprechende Arie aus der Kantate Non fu gran tempo lieto für Alt und Basso conti- nuo beginnt mit dem Text „Quivi Amor non può venire“. Vgl. hierzu Roberts 2011, S. 198-200. 182

Amor steh‘ mir bei, Dass die Ruhe meines Lebens Nicht vergebens Hier von mir gesuchet sey. Amor steh mir bei!

Händel verwendet die ersten zwei Takte des Orchestervorspiels (siehe Abbildung IX.2), die auch von der Singstimme aufgegriffen werden, fast notengetreu und in der gleichen Tonart g- Moll für eine Arie aus Radamisto (HWV 12a), seiner ersten Oper für die 1720 eröffnete Ro- yal Academy of Music. Schon äußerlich unterscheidet sich dieses Stück allerdings von der Mattheson-Vorlage durch den üppigen Orchestersatz mit obligaten Holzbläsern und durch die großangelegte Dacapo-Form. Der Text der Arie

Dolce bene di quest’alma, no, giammai ti lascerò.

Del tuo cor avrò la palma, del tuo amor trionferò. 273 ist ein begeistertes Bekenntnis des Helden Radamisto zu seiner Gattin Zenobia, die in die Hände des Tyrannen Tiridate gefallen ist. Die dramatische Situation ist also eine ähnliche: In beiden Fällen will ein Liebender seinen in Gefahr geratenen Partner retten und drückt seine Treue und seinen unbeirrbaren Willen, ihn wiederzuerlangen, aus. Hierzu hat Mattheson ein melodisches Motiv von großem emphatischen Schwung geschaffen, das ein ideales Ausgangsmaterial für Händels Arie ab- gibt. Sicherlich wird Mattheson auch diese Entlehnung aufgefallen sein, denn er schuf selber 1722 eine Bearbeitung des Radamisto für die Hamburger Oper unter dem Titel Zenobia oder das Muster rechtschaffender Ehelichen Liebe .274 (Siehe Notenbeispiel IX.3)

273 "Süßes Gut dieser Seele, nein, niemals werde ich dich aufgeben. / Von deinem Herzen werde ich die Sie- gespalme erhalten, durch deine Liebe werde ich triumphieren." (Übers. d. Verf.). 274 Die Partitur liegt in der Berliner Staatsbibliothek, Signatur Mus.ms. 9051. Mattheson verwendete Händels bekanntere Zweitfassung HWV 12b, in der die Arie "Dolce bene" nach d-moll transponiert ist. 183

Notenbeispiel IX.3 Händel, Radamisto (erste Fassung), Beginn der Arie „Dolce bene di quest‘alma“ ( ChrA 63)

Der dritte Akt von Porsenna wird von einer Arie der Julia eingeleitet (siehe Abbildung IX.3), in der die als Gefangene im Lager der Etrusker weilende Römerin ihre Standhaftigkeit gege n- über dem Schicksal ausdrückt:

Es mag rasen, es mag toben Glück und Zeit an meine Brust mit den härtsten Unglücks -Proben.

Soll doch die Beständigkeit meines Herzens jederzeit trotz dem Glücke bleiben oben.

184

Abbildung IX.2: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D -Hs, ND VI 110, f.20v.

185

Händel übernahm das charaktervolle Anfangsmotiv in erweiterter Form – auffällig ist in der Gegenüberstellung (siehe Notenbeispiel IX.4) besonders die Sequenzierung der fallenden Tonleiter in Takt 7 – für den Beginn des Ritornells der Arie des Goffredo ("Sovra balze scoscese e pungenti") in der ersten Szene seiner ersten Londoner Oper Rinaldo (HWV 7) von 1711. Das Motiv mit seinen gewaltigen Intervallsprüngen, das in der Julia-Arie das Rasen und Toben von Glück und Zeit charakterisierte, beschreibt in diesem moralisierenden Stück die steilen und spitzen Klippen ("balze scoscesi e pungenti"), die ein Held auf dem Weg zum Tempel des Ruhms zu überwinden hat. Während das Motiv bei Mattheson auch als Aus- gangsmotiv des Gesangsteils dient und im weiteren Verlauf immer wieder abwechselnd von Singstimme und Instrumenten aufgenommen wird, nutzt Händel das Motiv nur für den Be- ginn des Ritornells. Gerade in diesem Beispiel zeigt sich die Komplexität und der kombinato- rische Charakter von Händels Borrowing-Technik, denn neben dieser Mattheson-Anleihe werden noch zwei Motive von Reinhard Keiser in der Arie zitiert: eine kurze, charakteristi- sche Orchesterfigur im weiteren Fortgang des Eingangsritornells entstammt der Arie "Febo in Cielo" aus Claudius ,275 der melodische Verlauf des Einsatzes der Gesangsstimme entspricht dagegen dem Beginn der Arie des Piso "Porto il seno trafitto" aus Octavia . Somit sind motivi- sche Elemente aus drei verschiedenen Vorlagen aus Hamburger Opern in dieses eine Stück eingeflossen.

275 Facsimile-Ausgabe: Handel-Sources, Vol. 3: Reinhard Keiser: Claudius / Nebucadnezar , hrsg. von John H. Roberts, Garland, New York & London 1986, die Arie auf S. 21. 186

Abbildung IX.3: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D -Hs, ND VI 110, f.50v.

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Notenbeispiel IX.4: Mattheson, Porsenna ,, BeginnBeginn derder ArieArie „Es„Es magmag rasenrasen eses magmag toben“toben“ // HänHändel, Rinal- do , Beginn der Arie „Sovra balze scoscesi“

Ein besonders überraschender Fall ist die Übernahme eineseines MotivsMotivs ausaus Porsenna in eine l a- teinischeteinische KirchenkompositionKirchenkomposition Händels.Händels. EsEs handelthandelt sisich um das Orchestermotiv aus dem Se x- tetttett derder dreidrei LiebespaareLiebespaare ausaus derder ScenaScena ultimaultima derder Oper. Dieses Motiv durchzieht mit seinen fröhlichen Achtelrepititionen als gliederndes Element den gesamten Satz, in dem sich die Pe r- sonen paarweise duettierend ihre Freude über den glücklichen Ausgang der Handlung zurufen (vgl. Abb ildung IX. 4):

Clelia / Mutius: Mein Leid ist verschwunden, Junia / Horatius: Mein Glücke gefunden, Valeria / Herminius: Verbunden mein Schmerz. Alle 6: So lachet, so scherzet mein fröhliches Herz.

In harmonisch und melodisch erweiterter Form übernimmt nun Händel das Eingangsmotiv für das Obo ensolo, das die Doxologie seines römischen Vesperpsalms Laudate pueri (HWV 237) für Sopran, Chor, 2 Oboen, Streicher und Basso continuoinuo einleiteteinleitet (Siehe(Siehe NotenbeispielNotenbeispiel IX.5) Während in dem Sextett dieses Motiv als obligate Orchesterfigur das im Text erwähnt e "La- chen" und "Scherzen" ausdrückt und durchgehend präsent ist, verwendet es Händel nur als einleitenden Gedanken, der von einem prächtigen punktierten Orchestertutti abgelöst wird und im weiteren Verlauf nicht mehr in Erscheinung tritt, somit auch keine strukturelle Bede u- tung für den Satz hat.

188

Notenbeispiel IX.5: Beginn des Sextetts aus Porsenna / Händel: Beginn des Gloria patri aus dem Laudate pueri (HWV 237)

So stellt dieses kurze Zitat eine flüchtige, aber markante Reminiszenz Händels an seinen Hamburger Freund dar, dem er vielleicht doch nicht nur in theoretischen Fragen viele Anre- gungen für sein späteres Schaffen verdankte. Auch wenn J. Merrill Knapps These, der Einfluß Matthesons auf Händels Kompositionsstil sei nicht besonders groß gewesen, 276 mit den hier gemachten Beobachtungen nicht völlig widerlegt werden soll, so lässt sich doch zeigen, dass er durchaus die melodischen Qualitäten, die Matthesons Opernpartituren auszeichnen, zu schätzen wußte.

Nachweis: Der Artikel erschien unter dem Titel: Händels Entlehungen aus Johann Matthesons Oper Porsenna (1702) , in: Göttinger Händel-Beiträge, Band 10 (2003), S. 81-94.

276 "Mattheson may have tamed Handel's counterpoint, shown him the value of more conciseness, and demon- strated the value of the grand scena in opera, but he hardly had much influence on his basic style." (Knapp 1983, S. 314). 189

Abbildung IX.4: Johann Mattheson, Porsenna (Autograph), D -Hs, ND VI 110, f.66r.

190

X. „...Dieses musikalische Bund Stroh“. Ein unbekanntes Oratorium von Georg Philipp Telemann im Urteil Carl von Winterfelds und Friedrich Chrysanders

Im musikalischen Nachlass von Johann Friedrich Reichardt befanden sich die Partituren von drei Georg Friedrich Händel zugeschriebenen deutschsprachigen Oratorien.277 Die drei Hand- schriften wurden nach Reichardts Tod von dem Leipziger Thomaskantor Johann Gottfried Schicht erworben. 278 Eines der drei Werke mit dem Titel Die Erlösung des Volks Gottes aus Egypten gelangte aus Schichts Nachlass in die Sammlung von Georg Poelchau, die sich seit 1841 im Besitz der Königlichen Bibliothek zu Berlin – der heutigen Staatsbibliothek – befin- det.

Die Partitur (Signatur Mus. ms. 9003) 279 ist eine 37 Blätter starke Handschrift aus der 2. Hälf- te des 18. Jahrhunderts im Querquartformat 25 x 31,5 cm. Das von dem Schreiber der Hand- schrift angefertigte Titelblatt trägt die Aufschrift

Die Erlösung des Volks Gottes aus Egypten. Ein Oratorium auf das Fest Joh: des Täufers v. Haendl.

Singende Personen Gott Basso Moses Tenor Pharaoh Basso Mirjam im letzten Chor Sopran der Glaube Alto Vertrauen Sopran Gottseel. Erwägung Basso

4 Corni o 2 Corni et 2 Clarini in D Tympani 3 Flauti Trav: 2. Oboi 2 Violini, Viola, et Fundament .

277 Vgl. Wagner 1992, Anm. 232 (S. 96). 278 Versteigerungs-Katalog der von dem verstorbenen Herrn J. G. Schicht, Cantor an der Thomaskirche zu Leipzig hinterlassenen Musikaliensammlung , Leipzig [1832] (Exemplar in D-B), S. 537. 279 Die Untersuchung der Partitur fand im Rahmen des von Hans Joachim Marx geleiteten DFG-Projektes „Georg Friedrich Händel – Kompositionen zweifelhafter Echtheit“ am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg statt. 191

Ein Vergleich mit Werner Menkes Verzeichnis der Vokalwerke Georg Philipp Telemanns (TVWV) zeigt, dass das Händel zugeschriebene Werk in Wirklichkeit eine Komposition Te- lemanns darstellt. Menke hat die beiden Teile des Werkes, die nach Hamburger Gepflogenheit jeweils vor und nach der Predigt musiziert wurden, trotz der durchgehenden alttestamentli- chen Handlung (Exodus 12, 30 – Exodus 15, 21) als zwei getrennte Kirchenkantaten behan- delt und jeweils mit einer eigenen Werknummern versehen (1.: Gelobet sei der Herr TVWV 1: 602; 2.: O weh schaut der Ägypter Heer TVWV 1: 1216), ein inkonsequentes Verfahren, da Menke in der Regel selbstverständlich zweiteilige Kirchenkantaten als ein Werk behandelt. Generell stellt sich bei Werken wie dem vorliegenden Stück ein systematisches Problem: Durch seine liturgische Funktion und die Einreihung in einen Jahrgang wird das Werk als Kirchenkantate bezeichnet, obwohl es sich durch den gesamten Aufbau und Umfang eindeu- tig als Oratorium erweist. In der Berliner Staatsbibliothek ist das von Telemanns Hauptkopisten B angefertigte originale Hamburger Stimmenmaterial überliefert; auf dem Umschlag sind als Aufführungs- daten 1731 und 1733 angegeben. 280 Mit dem ersten Datum stimmt auch ein Textdruck dieses Kantaten-Oratoriums überein, der in einer umfangreichen Sammlung Hamburger Kirchenmu- sik-Texte aus Telemanns Amtszeit in der Universitätsbibliothek Rostock überliefert ist: 281

J.N.J. Texte / zur / MUSIC / am Feste Johannis des Täuffers / 1731. / in der Kirche / zu St. PETRI / in HAMBURG / aufgeführet / von / Georg Philipp Telemann, / Chori Musici Directore, / auch bey eben demselben zu bekommen. / Hamburg, / gedruckt bey Rudolf Beneken. / Wird vor 1 Sechsling verkaufft.

Auf der ersten Seite dieses Druckes findet sich das Personenverzeichnis des Oratoriums, das sich über weite Strecken mit den Angaben auf dem Titelblatt der Händel zugeschriebenen Partitur deckt: A & Ω / Vor der Predigt / Singende: / Gott. Moses. Pharao. Gottselige Er- / wegung. Christliche Vorsicht. Vertrauen. / Glaube. Chöre der Israeliten, der Aegyptier, / der Königl. Bedienten.

280 Signatur D B Mus. ms. 21733/12, die gemeinsame Stimme für die Partien „Gottselige Erwägung“ und „Gott“ befindet sich als Beilage 1 unter dem Stimmsatz Mus. ms. 21743/10 zu der Kantate TVWV. 1: 1256. Vgl. Jaenecke 1993, S. 238. Abbildungen von vier der Berliner Stimmen in Menke 1987, S. 135. 281 Signatur D-ROu FK-3459, Nr. 129. Der Autor dankt Herrn Dr. Jürgen Neubacher für eine Bereitstellung einer Kopie dieses Textdrucks. 192

Interessant ist nun der Kontext, in den dieses Kirchenoratorium Telemanns gehört. Die Jah- reszahl sowie der dialogisch-oratorische Charakter des Textes weisen darauf hin, dass diese große Johannis-Musik dem „Oratorischen“ oder „Zellischen“ Jahrgang Telemanns angehört, also jenem Jahrgang auf Texte des späteren Bückeburger Hofbibliothekars Albrecht Jacob Zell, der komplett aus mehr oder weniger umfangreichen Oratorien besteht. 282 Die Musik zur ersten Hälfte dieses Jahrgangs ist erst vor kurzem durch die Wiederentdeckung des Notenar- chivs der Sing-Akademie zu Berlin aufgetaucht. Menke hatte die Kantaten einem fiktiven Jahrgang 1740/41 zugeordnet,283 ohne hierfür eine überzeugende Erklärung zu bieten. Auch wußte er noch nicht, dass es sich bei dem Textdichter eben um jenen Albrecht Jacob Zell handelte, der auch den Text des verschollenen, ebenfalls 1731 komponierten Passionsoratori- ums Die Bekehrung des Hauptmanns Cornelius verfasste. 284

In den oratorischen Dichtungen Zells werden allegorische Figuren eingeführt, die die theolo- gischen Aussagen der Sonn- und Festtagsperikopen kommentieren – Mattheson bezeichnet dieses Verfahren im Vollkommenen Kapellmeister als „Prosopopöie oder Persondichtung, da aus Dingen Personen gemacht werden“. 285 Gelegentlich, besonders an hohen Kirchenfesten, werden jedoch auch Episoden aus dem alten Testament dargestellt (Mattheson, a.a.O.: „...durch Einführung wircklicher Personen“), die für eine auf das jeweilige Sonn- oder Fest- tagsevangelium bezogene eschatologische Deutung herangezogen werden. So treten in der Kantate bzw. dem Oratorium Das Bläken der Schafe T.V.W.V. 1: 170 zum Tag Mariae Ver- kündigung mit dem Übertitel „Der für Saul erwählte und gesalbte David“ als „Dramatis per- sonae“ Samuel (Tenor), Isai (Bass) und Gott (Bass) sowie der Chor der Ältesten von Bethle- hem auf. In dem Stück wird der Auftrag Gottes an Samuel geschildert, nach Bethlehem zu gehen und einen der Söhne Isais als Nachfolger des von Gott abgefallenen Saul als neuen Kö- nig zu salben, wobei die Wahl zur Verwunderung des Vaters auf den jüngsten Sohn, den Knaben David, fällt. Allegorische Figuren (Andacht, Gottgefälligkeit, Glaube) kommentieren die Handlung und stellen die Beziehung zum Neuen Testament her. Der junge David wird so

282 Hierzu Poetzsch 1998. 283 TVWV, Vol. 1, S. 282. 284 Menke ordnete dem Jahrgang zudem fälschlich die Johannis-Kantate "Heut lebst du heut bekehre dich" TVWV 1:790 zu, an deren Stelle jedoch das hier behandelte Oratorium "Gelobet sei der Herr" gehört. Zur korrekten Einordnung des Zell-Jahrgangs vgl. Poetzsch 1998, S. 318. 285 Mattheson 1739, S. 220. Weiter unten: „Ein Oratorium ist also nichts anders, als ein Sing-gedicht, welches eine gewisse Handlung oder tugendhafte Begebenheit auf dramatische Art vorstellet.“ 193 in seiner Funktion als Vorläufer des durch den Erzengel Gabriel bei seinem Erscheinen vor der Jungfrau Maria angekündigten Heilands dargestellt. In dem kürzeren Himmelfahrtsoratorium „Es kommt die Zeit heran“ T.V.W.V. 1: 521 treten der Prophet Elias und sein Schüler Elisa auf, die Entrückung des Propheten in dem feu- rigen Wagen wird in einer traditionellen, aus zahlreichen ikonographischen Quellen bekann- ten Deutung als Vorbild für Christi Himmelfahrt gesetzt. Auch das vorliegende Oratorium zum Johannistage folgt diesem Prinzip. Im ersten Teil wird geschildert, wie Pharao nach der letzten der Plagen, der Tötung der Erstgeborenen der Ägypter, endlich das Volk Israel ziehen lässt, kurz darauf aber beschließt, sich an ihnen zu rächen und ihnen mit seinem Heer nachzusetzen. Zu Beginn des zweiten Teils, der nach der Durchquerung des auf wunderbare Weise geteilten Schilfmeeres spielt, wird die Angst der Juden vor dem herannahenden ägyptischen Heer geschildert. Die Gefahr wird jedoch abge- wandt, Pharaos Truppen werden von den zurückkehrenden Fluten verschlungen, ein Lobge- sang der Israeliten, angeführt von der Schwester von Moses und Aaron, beendet die Hand- lung. Die Perikope des Johannistages behandelt die Geburt des Täufers als Erfüllung des Prophetenwortes von der „Stimme des Predigers“ (Jesaja 40, 1-5), zentraler Text ist der Lob- gesang des Zacharias. Indem der Beginn dieses Canticums im Eingangschor dem Volk Israel als Dankgesang in den Mund gelegt wird, stellt der Librettist schon zu Beginn des Oratoriums einen deutlichen Bezug zur liturgischen Bestimmung des Werkes her. Traditionsgemäß steht im Mittelpunkt der Predigten zum Johannisfest nicht die Geburt des Täufers, sondern die Tau- fe Christi im Jordan, was die Verwendung des Luther-Liedes „Christ unser Herr zum Jordan kam“ als de-tempore Lied deutlich macht. 286 Entsprechend wird in dem Oratorium die Episode aus dem alten Testament symbo- lisch ausgelegt: Die Sklaverei des Volkes Israel wird als Bild der Knechtschaft des Menschen unter dem Joch der Sünde verstanden. Der wortbrüchige und rachgierige Pharao wird als Vorbild des „Bösen Feindes“ behandelt. Im zweiten Teil wird der Gang durch das Rote Meer als Sinnbild der Taufe erklärt: Während der „alte Mensch“ (dargestellt durch das ägyptische Heer) in den Fluten ertrinkt, wird der „neue Mensch“ geboren, dargestellt durch das sicher das gegenüberliegende Ufer

286 Vgl. auch Bachs Choralkantate über diesen Text, BWV 7. 194 erreichende Volk Israel. 287 Gleichzeitig wird eine Analogie zwischen dem Wasser des „Roten Meers“ und dem Blut, das durch Christi Opfertod vergossen wurde, hergestellt.

Dem unbekannten Schreiber, der die Partitur vermutlich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts angefertigt hat, mag die komplexe Homilie des Textes ein wenig befremdlich und altertüm- lich vorgekommen sein. Vermutlich interessierte er sich stärker für die dramatische Schilde- rung der alttestamentlichen Historie, als für deren symbolisch-theologische Auslegung. Der Vergleich mit dem Libretto und dem originalen Hamburger Aufführungsmaterial zeigt, dass wesentliche Teile aus der ersten Hälfte des Werkes in der Partitur weggelassen wurden. Hier- durch gerät das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen den beiden Teilen vor und nach der Predigt in eine erhebliche Schieflage: Neben drei Chören findet sich nur noch eine Arie im ersten Teil, Pharaos Rachegesang „Israel nachzujagen“, die zudem diesen Teil beschließt, da auch der abschließende Choral fehlt, der an die Arie der „Christlichen Vorsicht“ anschließt. Es fällt auf, dass in der Besetzungsangabe der Quelle drei Traversflöten genannt sind, die aber in der Partitur nicht vorkommen. Telemann setzte sie aber eben in jener gestrichenen Arie ein, deren Text „Locke mit Pfeifen“ durch die ungewöhnliche Besetzung klangmalerisch umge- setzt wird. Die Erwähnung der Instrumente auf dem Titelblatt weist darauf hin, dass dem Schreiber die vollständige Fassung des Oratoriums vorgelegen haben muss. Die folgende Übersicht stellt den Inhalt der Berliner Partitur dar. Die gestrichenen Sätze Telemanns wurden in eckige Klammern gesetzt.

Teil 1 Chor der Israeliten. Tutti. „Gelobet sei der Herr der Gott Israel“ D-Dur Rezitativ Pharaoh „Nun endlich bricht mein fester Muth“ Chor der Egyptier. „Ach Leid, ach Qual!“ Chor, Str., Ob. I/II unis., B.c. f-Moll Rezitativ Pharaoh . „Zieht hin“. Chor. „Packt euch fort / Wir eilen von hinnen“. Israeliten (S/A), Egyptier (T/B), Orchester tutti D-Dur [Rezitativ: Gottselige Erwägung : „So hat auch Gott die Christen ausgeführt“] [Arie Gottselige Erwägung : „Als Sclaven mußten wir am Joch der Sünden ziehen“] Rezitativ Pharaoh / Chor der königlichen Bedienten „So ist das Volk entwischt?“. Aria Pharaoh „Auf Israel nachzujagen“. Orchester tutti, D-Dur [Rez.: Christliche Vorsicht: „So braucht ein Seelen-Feind“] [Arie Christliche Vorsicht: „Locke mit Pfeifen“]

287 Die heilsgeschichtliche Deutung des Exodus und die Verbindung zur Taufe geht auf Paulus zurück: vgl. 1. Kor. 10, 1-2. 195

[Choral „Ach sagt mir nichts“]

Teil 2 Vorspiel nach der Predigt. Orchester tutti, D-Dur Chor der Israeliten . „O Weh! Schaut der Egypter Heer“. Chor, Str. und B.c., h-Moll Aria Moses. „Nur getrost“ Orchester tutti, D-Dur Accompagnato Gott „Was schreyest Du?“ Str., B.c. Rezitativ. Das Vertrauen. „Auch dies kann ich von meinem Jesu sagen“. Choral. „Unter seinen Schirmen“ Chor, Instrumente colla parte e-Moll Chor der Israeliten und Egypter „Das Meer ist getheilet / Jagt nach!“. Israeliten (S/A), Egyptier (T/B), Orchester tutti D-Dur Rezitativ Moses / Pharaoh 6 Takte „Herr sey gerühmt!“. Chor der Egypter . „Entflieht vor Israel!“ Tutti. D-Dur Rezitativ Moses / Chor der Israeliten / Der Glaube „Die sind ersäuft“. Aria. Der Glaube . „Hier quillt ein offner freier Born“. Ob. I/II, Str., B.c. e-moll [Choral: Gott Vater Sohn und Geist] Zum Beschluss. „Schlaget die Pauken mit Wirbeln und Rollen“ Miriam , Chor, Orchester Tutti. D-Dur Rezitativ Glaube / Vertrauen / Christl. Vorsicht / Gotts. Erwägung und B.c. „Auf dann!“ Choral „Singt geg’n einander“ Tutti, Fis-Dur.

Das „falsche Händel-Oratorium“ wurde im 19. Jahrhundert von zwei bedeutenden Autoren beschrieben, die dabei zu völlig unterschiedlichen Bewertungen des Werkes kamen. Beide Positionen, stark beinflußt durch die irreführende Zuschreibung des Werkes auf der Berliner Quelle, sind interessante Zeugnisse für unterschiedliche ästhetische Bewertungsmaßstabe bei der Beurteilung „älterer Musik“ im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter des Historismus. Beide Autoren kannten natürlich nur die unvollständige Version des Werkes, was zusätzlich berück- sichtigt werden muß. Durch das Fehlen der beiden intimer besetzten Arien der allegorischen Figuren im ersten Teil und von zwei kontemplativen Chorälen bekommen die festlichen D- Dur-Tuttisätze des Werkes ein störendes Übergewicht. Sowohl die Arie des Pharao als auch die des Moses im zweiten Teil verlangen die vollständige Orchesterbesetzung mit 4 Hörnern und Pauken, das gleiche gilt für die meisten der Chöre. Ausnahmen sind die beiden Moll- Sätze, der ergreifende Klagegesang der Ägypter, und der kurze Anfangschor des zweiten Teils. Carl von Winterfeld 288 hielt das Werk für eine authentische Komposition Händels und verlegt das Oratorium in die Hamburger Zeit des Komponisten, also in die Jahre 1703-1705.

288 Winterfeld 1847, S. 160-164. 196

Der typische „hamburgische“ Tonfall des Librettos – Winterfeld kannte die bekannten Orato- rientexte von Hunold, Brockes und König – führten ihn vermutlich zu der Annahme, zudem wird ihm aufgefallen sein, dass die Musik des Oratoriums kaum etwas mit Händels bekannten späteren Werken zu tun hat. Dass Winterfeld so bedingungslos an die Authentizität des Wer- kes glaubte (schon die ungewöhnliche Schreibweise des Komponistennamens „Haendl“ hatte ihn stutzig machen können) ist symptomatisch für den gelegentlich unbedarften Umgang mit Quellen dieses sonst so verdienstvollen Autors. 289 In Winterfelds Händel-Kapitel nimmt die Beschreibung des Oratoriums Die Erlösung des Volks Gottes weiten Raum ein, er bespricht es gleich nach der ebenfalls zweifelhaften frühen Choralkantate „Ach Herr mich armen Sünder“ 290 und einer kurzen Erwähnung des Ungeratenen Sohnes .291 Ist es Ehrfurcht vor dem großen Namen, oder ahnte der Autor, dass er hier eine außergewöhnliche Komposition vorlag? Dieses Stück theatralischer Kirchenmusik in reinster Form hätte eigentlich ein eindeutig negatives Urteil Winterfelds als eines leiden- schaftlichen Anhängers des „wahren Kirchenstils“ erwarten lassen. Auch nimmt der Umfang der Notenbeispiele ungewöhnlich breiten Raum ein, was dafür spricht, dass der Autor dem Werk eine große Bedeutung zuerkannte. Winterfeld gibt den Inhalt des Oratoriums in einer detaillierten Beschreibung wieder, die er mit ausführlichen Textzitaten dokumentiert. Er vermeidet hierbei jegliche qualitative Wertung und führt dabei geschickt die auffälligsten Charakteristika der Komposition an, etwa die reiche Blechbläserbesetzung, die Gegenüberstellung der Israeliten durch die hohen und der Ägypter durch die tiefen Stimmen in den beiden Doppelchören, den Parallelismus zwi- schen den beiden heroischen D-Dur-Arien Pharaos und seines Widersachers Moses, die au- ßergewöhnlichen Dissonanzen in dem F-moll-Klagechor „Ach Leid ach Qual“, die feierliche Schlichtheit der beiden überlieferten Choräle, das naturalistische Schildern des Ertrinkens der Ägypter durch das plötzliche Ersterben der Stimmen in dem Chor „Entflieht vor Israel“, der ausschließlich von der Pauke begleitete Sologesang der Mirjam im Wechsel mit dem Tutti,

289 So hält Winterfeld das sogenannte „Passions-Pasticcio“, einer Zusammenstellung verschiedener Sätze aus den Brockes-Vertonungen Keisers, Telemanns, Händels und Matthesons für die Originalpartitur von Tele- manns berühmter Frankfurter Brockes-Passion von 1716, vgl. Winterfeld 1847, S. 195; vgl. Friedrich Chry- sanders Richtigstellung: Chrysander 1858, S. 439. 290 Vgl. Winterfeld 1847, S. 158f. Die Handschrift der Kantate aus dem Besitz Franz Commers ist verschollen. Heute ist nur noch eine anonyme Abschrift des Werkes aus Grimma erhalten (D Dl Mus.2-E-545). 291 Vermutlich kannte er dieses Oratorium aus den Beständen der Berliner Singakademie, in deren Archiv eine weitere Abschrift aufbewahrt wird (Signatur SA 77, olim ZC 364). 197 der die Bibelstelle Exodus 15, 20-21 292 aufgreift. Am Ende seiner Betrachtung kommt er zu einem überraschenden Resumee:

Dem Wesentlichen nach ist er [der Standpunkt Händels] wenig verschieden von demjenigen, auf dem wir ihn in den beiden zuvor besprochenen [Werk] fanden; der Fortschritt aber kündet dadurch sich an, dass neben derWortmalerei, die nun schon mehr zurücktritt, auch das belebte Tonbild erscheint, das in der Folge der größeste Schmuck seiner reiferen Werke werden sollte. Die beiden hier erschienenen Choralsätze, wenn auch nicht ausgezeichnet, sind doch würdig gehalten, dienen dem ganzen zur Zierde, und geben uns die Überzeugung, dass der große Meis- ter, mehr als seine zuvor besprochenen Vorgänger [Reinhard Keiser und Johann Mattheson], von der Würde und Bedeutung des Gemeindegesanges durchdrungen gewesen sei. 293

Telemanns dramatische Ensemblesätze werden so – da sie für Händelsche Jugendwerke ange- sehen werden – zu Vorläufern der im 19. Jahrhundert so bewunderten „großen Volkschöre“ aus den berühmten späteren Oratorien. Es ist mehr als zweifelhaft, ob Winterfeld dem Oratorium ein ähnlich positives Urteil zuerkannt hätte, hätte er gewußt, dass es sich um ein Werk Telemanns handelte. Auch wenn sich Winterfeld über Telemann, dessen Werke er wie kein anderer seiner Zeitgenossen mit großer Sorgfalt studiert hatte, mehrfach anerkennend äußerte und einzelnen Werken wie den beiden Gesängen aus Klopstocks Messias und dem Tag des Gerichts große Bewunderung entgegenbrachte, so stand er doch dem Schaffen des Komponisten mit einer gewissen ableh- nenden Haltung gegenüber. Während beispielsweise die Schlichtheit der Choräle in dem oben angegebenen Zitat besonders gewürdigt und als Zeichen der Reife des jungen Händel („...von der Würde und Bedeutung des Gemeindegesanges durchdrungen“) gedeutet wird, werden die in einem ähnlichen Stil gehaltenen Choräle Telemanns aus dem Ramlerschen Tod Jesu von 1750 einem viel strengeren Urteil unterzogen werden, zumal sich der Vergleich mit der im 19. Jahrhundert noch immer sehr bewunderten Parallelvertonung Karl Heinrich Grauns anbot: „Die Choräle, so klangreich, so erhebend in Grauns Werke sind hier eben so vernachlässigt wie in Telemanns anderen geistlichen Werken.“ 294

292 „Die Prophetin Mirjam, die Schwester Aarons, nahm die Pauke in die Hand, und alle Frauen zogen mit Paukenschlag und Tanz hinter ihr her. Mirjam sang ihnen vor: ‚Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer.‘“ Zur ungewöhnlichen Vertonung dieses Satzes vgl. Reipsch 2010, S. 205-209. 293 Winterfeld 1847, S. 163f. 294 Winterfeld 1847, S. 231. 198

Friedrich Chrysander geht in seiner Händel-Biographie eingehend auf Winterfelds Bespre- chung des Oratoriums ein. 295 Es fällt auf, wie heftig die Kritik Chrysanders gegen den älteren Autoren an dieser und anderen Stellen seines Buches ausfällt, ein Beleg auch für die gewan- delten philologischen Ansprüche der Zeit. Chrysander ist überzeugt davon, dass das Werk auf keinen Fall ein Jugendwerk von Händel sein kann, zumal er richtig erkennt, dass die Datie- rung nicht nur aus personalstilistischen Gründen, sondern auch im Vergleich mit allgemeinen stilistischen Entwicklungen viel zu früh angesetzt ist. Interessant wirkt die Vermutung, die Fehlzuschreibung könne mit einer Verwechslung des Titels mit Händels „Israel in Egypt“ zusammenhängen. Chrysander sieht in dem unbekannten Komponisten einen routinierten, aber mittelmäßigen Vertreter seines Faches: „In dem Ganzen ist eine völlig ausgebildete Fer- tigkeit, aber ein äußerst geringes Talent wahrzunehmen.“ Mit ironischem Spott kommentiert er Beispiele aus der schon erwähnten Pharao-Arie „Israel nachzujagen“ mit den langen Kolo- raturketten auf die Worte „zu Pferde, jagt zu“;296 die schon von Winterfeld als ungewöhnlich hervorgehobene Stelle, an der das Ertrinken der Ägypter so drastisch geschildert wird, brandmarkt er als Plattitüde; die im typisch telemannischen synkopischen Stil verlaufende Melodie der Arie des „Glaubens“ „Hier quillt ein offner freier Born“ nennt er einerseits un- sanglich, vergleicht sie aber immerhin mit dem galanten Stil eines Karl Heinrich Graun. Mir- jams paukenbegleiteteter Freudengesang ist für ihn nur ein unwürdiger „Gassenhauer“. Im Ganzen vermißt er in dem Werk das Pathos, die „Idealität“ der Werke des späteren Händels, so dass die ganze Partitur für ihn nichts als ein „musikalisches Bund Stroh“ darstellt. Immer- hin erkennt er progressive Züge in dem Werk, das er deshalb in die Zeit von 1740-1770 ver- legt, also mindestens 10 Jahre später als das belegte Entstehungsdatum, ein beeindruckendes Zeugnis für die außergewöhnliche Modernität Telemanns. Schließlich sucht Chrysander noch nach einer Erklärung für Winterfelds Leichtgläu- bigkeit gegenüber der unzuverlässigen Quelle, wobei erneut seine Kritik gegen diesen Autor zum Ausdruck kommt: „Winterfeld ging hier und öfter in seinem dritten Bande wohl haupt- sächlich deshalb fehl, weil er die Kirchencantaten und Opern von 1680 bis 1720 nicht hinrei- chend untersucht hat; und wie es scheint ist ihm diese Lücke niemals zum Bewußtsein ge- kommen.“ 297

295 Chrysander 1858, S. 65-70. 296 „Diese närrische Polterei mit dem schönen Triller!“, Chrysander 1858, S. 68. 297 Chrysander 1858, S. 70. 199

Der in der Kollegenschelte so selbstsicher erscheinende Chrysander verfällt aber selbst einem Irrtum, wenn eine Entstehung des Werkes in Süddeutschland vermutet (wegen der un- gewöhnlichen Schreibweise des Komponistennamens „Haendl“) und sich in der Datierung fast um 20 Jahre („...dieses etwa um 1750 entstandene Oratorium“) verschätzt.298 Im Gegensatz zu zahlreichen seiner Zeitgenossen 299 hielt sich Chrysander in seinen Schriften mit negativen Urteilen über den „Vielschreiber“ Telemann zurück, er würdigte ihn als anregenden und geistreichen Freund des jungen Händel und als genialen Organisator des hamburgischen öffentlichen Musiklebens. 300 Erhellend ist jedoch der Satz „Telemann’s und Mattheson’s Compositionen [= die Vertonungen des Passionsoratoriums von Brockes] haben weder zu Händel eine nähere Beziehung, noch sind sie an sich so wichtig, dass wir uns weiter darauf einlassen müssen.“ 301 Wenn selbst eines der berühmtesten Werke Telemanns für Chry- sander uninteressant war, verwundert es nicht, dass er nicht einmal die so offensichtlichen Entlehnungen Händels aus Telemanns leicht zugänglichen Drucksammlungen Harmonischer Gottesdienst, Teil 1 und Musique de Table bemerkt hat: Der Komponist Telemann hat ihn schlechterdings nicht interessiert. Durch seine Kritik an dem Johannis-Oratorium von 1731 scheint es ziemlich sicher zu sein, dass Telemanns plastischer, aphoristischer Stil (man ver- gleiche etwa den tänzerischen Schlussgesang der Myriam „Schlaget die Pauken mit Wirbeln und Rollen“ mit Händels die gleiche Situation schilderndem „Sing ye to the Lord“, dem hym- nischen Abschluss seines nur 8 Jahre später entstandenen Chororatoriums Israel in Egypt ) nicht dem hehren Kunstideal Chrysanders entsprach. Die Abneigung gegenüber der „musika- lischen Malerei“ Telemanns wirkt dabei wie ein Reflex auf die damals aktuellen Auseinan- dersetzungen zwischen den dem Ideal einer absoluten Musik verschriebenen „Brahminen“, denen auch bedeutende Musikhistoriker wie Spitta und Chrysander verbunden waren, und der Berlioz und Liszt nacheifernden neudeutschen Schule. Wenn wir heute mit Unverständnis manchen negativen Urteilen des 19. Jahrhunderts über Werke aus früheren Epochen begegnen, dürfen wir nie vergessen, dass diese Urteile häufig mehr über die Stellung der Autoren im zeitgenössischen Musikleben aussagen, als über den eigentlichen Gegenstand der Betrachtung. Winterfelds Ablehnung der „theatralischen Kirchenmusik“ der Barockzeit, die für ihn ein historischer Irrtum war, und Chrysanders

298 Später sollte er diese These allerdings revidieren und Telemanns Autorschaft erwägen, siehe den folgenden Teil XI., S. 212, Anmerkung 308. 299 Vgl. hierzu zahlreiche Beispiele bei Klein 1998. 300 Vgl. Klein 1998, S. 246-252. 301 Chrysander 1858, S. 448. 200

Betonung des „Idealischen“ einer absoluten Musik im Gegensatz zu oberflächlicher Programmusik sind hierfür besonders offensichtliche Beispiele.

Nachweis: Der Artikel erschien als: „Dieses musikalische Bund Stroh“: Ein unbekanntes Oratorium von Georg Philipp Telemann im Urteil Carl von Winterfelds und Friedrich Chrysanders , in: Göttinger Händel-Beiträge, Band 11 (2006), S. 125-134.

201

202

XI. „Der aus der Löwengrube errettete Daniel“: Eine unbekannte Hamburger Michaelismusik von Georg Philipp Telemann

Unter den zahlreichen Kompositionen zweifelhafter Echtheit, die in Quellen des 18. Jahrhun- derts Georg Friedrich Händel zugeschrieben wurden, fällt eine besondere Werkgruppe heraus, die aus drei deutschsprachigen Kirchenoratorien besteht. Da Händel mit Ausnahme seiner Brockes-Passion kein Werk dieser Gattung geschaffen hat und seine Biographie auch keine Anhaltspunkte für weitere derartige Kompositionen bietet, kann die Echtheit dieser Werke kategorisch ausgeschlossen werden, zumal sich auch keine Übereinstimmungen mit Händels doch recht ausgeprägtem Personalstil feststellen lassen. Eines der drei Werke, ein Oratorium zum Johannisfest mit dem Titel Die Erlösung des Volks Gottes , liegt als Partitur in der Berli- ner Staatsbibliothek. 302 Die anderen beiden Werke mit den Titeln Der ungeratne Sohn ("ein Drama auf den 3. Sonntag nach Trinitatis") und Der aus der Löwengrube errettete Daniel ("ein Oratorium auf das Michaelisfest") waren, zu einem Band zusammengebunden, in der lange Zeit als verschollen angesehenen Sammlung des Königsberger Gymnasialrektors Fried- rich August Gotthold überliefert, bis zum Ende des 2. Weltkrieges aufbewahrt in der Königs- berger Universitätsbibliothek. Heute befinden sich diese Partituren in der Handschriften- und Rara-Abteilung der Litauischen Nationalbibliothek in Vilnius. 303 Eine Abschrift dieser Quelle mit den beiden Werken befindet sich im Nachlass Friedrich Chrysanders in der Hamburger Staatsbibliothek, 304 beide Werke sind zudem in Einzelabschriften im Archiv der Berliner Singakademie (Staatsbibliothek Berlin) erhalten. 305 Provenienzforschungen haben ergeben, dass die beiden Königsberger Oratorien und das in Berlin aufbewahrte Johannis-Oratorium ehemals zusammengehörten. Alle drei tauchen im Nachlassverzeichnis von Johann Friedrich Reichardt auf;306 nach Reichardts Tod wurden sie von dem Leipziger Thomaskantor Johann Gottfried Schicht erworben. Erst nach Schichts Tod wurde die Partitur mit dem Johannis-Oratorium von den beiden anderen Werken ge- trennt, ersteres wurde von Georg Poelchau angekauft, dessen Sammlung später in den Besitz

302 Hierzu der vorige Abschnitt X. „Dieses musikalische Bund Stroh….“. 303 Müller 1870, S. 193. Die ehemaligen Königsberger Signaturen Ms. No. 13598 (1)/(2). Von Müller stammen die für Friedrich Chrysander 1870 in Bonn erstellten Abschriften der beiden Königsberger Oratorien (D-Hs, Signatur M A / 465). Über den Verbleib der Königsberger Partituren informierte mich freundlicherweise Herr Alexander Staub, Leipzig, die neue Signatur in Vilnius ist F105-50. 304 D-Hs, Signatur M A/465. 305 Der ungeratne Sohn : Signatur SA 77; Daniel (unvollständig): Signatur SA 70 (Abschrift von Johann August Patzig, 1738-1816). (Quellenangaben nach RISM A/II) 306 Vgl. Wagner 1992. 203 der Berliner Bibliothek gelangte, während die beiden anderen Stücke in die Gotthold- Sammlung gelangten. Ein Vergleich der nun wieder zugänglichen Handschriften zeigt, dass alle drei Werke von dem gleichen Schreiber kopiert wurden. 307 Dies wurde schon von Chry- sander erkannt, von dessen Hand ein Brief erhalten ist (datiert 16. August 1874), der als An- lage zur Königsberger Partitur in Vilnius überliefert ist und in dem auf die Verwandtschaft der Quellen hingewiesen wird. Chrysander unterstreicht in seinem Brief noch einmal die Un- möglichkeit einer Autorschaft Händels dieser Werke, er nennt nun zum ersten Mal Telemann als wahrscheinlichen Komponisten für alle drei Werke. 308 Da große stilistische Ähnlichkeiten zwischen den Kompositionen zu erkennen sind und zudem die Libretti einige strukturelle und sprachliche Übereinstimmungen aufweisen, muss davon ausgegangen werden, dass die Oratorien aus der Feder eines Komponisten stam- men. Für das Oratorium zum Johannisfest (21. Juni) Die Erlösung des Volks Gottes konnte, wie oben dargelegt wurde, eine Autorschaft Telemanns zweifelsfrei festgestellt werden und mit Hilfe des erhaltenen Textdruckes auf das Johannis-Fest 1731 datiert werden. Im Kirchen- jahr 1730/31 führte Telemann in Hamburg seinen „Oratorischen Jahrgang“ auf Texte von Albrecht Jacob Zell auf, der in der Literatur nach seinem Textdichter zum Teil auch als „Zel- lischer Jahrgang“ bekannt geworden ist. Wie die im Archiv der Singakademie zu Berlin erhal- tenen 38 Kantaten aus der ersten Hälfte dieses Jahrgangs (es handelt sich um die Werke vom ersten Advent bis Pfingstsonntag) zeigen, sind die Stücke tatsächlich durchgehend als Orato- rien konzipiert, also als Werke mit dialogischer Anlage, in der biblische und allegorische Fi- guren auftreten, formal also nicht unähnlich den Oratorien Johann Matthesons für den Ham- burger Dom.

Im Folgenden soll nachgewiesen werden, dass nicht nur das Johannis-Oratorium, sondern auch die beiden „Königsberger“ Werke Kompositionen Georg Philipp Telemanns sind und dass sie ebenfalls dem verschollenen zweiten Teil des "Zellischen Jahrgangs" zuzuordnen sind. Dabei soll vor allem das „Daniel“-Oratorium näher untersucht werden, da es sich um das

307 Vgl. Marx / Voss 2010, S.177-179. Eine Schriftprobe bei Reipsch 2010, Abbildung 4a. 308 „Bergedorf b. Hamburg / Aug. 16 - 74. / der k. Universitätsbibliothek / Übersende ich anbei mit vielem Danke für die mir so lange erwiesene Nachsicht den Band Musik, enthaltend zwei angeblich Händel’sche Oratorien. Dieselben sind nicht von Händel, u. die Vergleichung mit einem ebenfalls untergeschobenen, von derselben Hand geschriebenen Oratorium in der k. Bibliothek zu Berlin [= Die Erlösung des Volks Gottes ] macht es wahrscheinlich, daß sie von Telemann herrühren. / Hochachtungsvoll / Fr. Chrysander“. 204 umfangreichere und musikalisch vielgestaltigere Werk handelt und zugleich interessante Pa- rallelen zu dem Johannis-Oratorium aufweist. Der liturgische de tempore-Bezug beider Oratorien wird in den Quellen explizit er- wähnt. Der Ungeratene Sohn ist dem 3. Sonntag nach Trinitatis zugeordnet, dem Sonntag, an dem das Gleichnis vom verlorenen Sohn als Perikope behandelt wurde. Das Daniel-Oratorium wird als Oratorium auf das Michaelisfest bezeichnet. Hier ist die behandelte biblische Histo- rie – die Rettung des Propheten Daniel aus der Löwengrube – nicht so eindeutig mit dem kirchlichen Festtag in Zusammenhang zu bringen. Ähnlich wie beim Oratorium zum Johan- nisfest wurde auch hier eine Erzählung aus dem Alten Testament in einen heilsgeschichtli- chen Zusammenhang gestellt. War dort der Zug des Volkes Israel durch das Rote Meer als Sinnbild der von Johannes dem Täufer eingeführten Taufe behandelt worden, so dient hier die Rettung Daniels durch einen Engel als Exempel für den himmlischen Beistand, den Gott den Gläubigen in ihren Anfechtungen sendet. Inhaltliche Übereinstimmungen zwischen dem Buch Daniel und der Offenbarung des Johannes sind offensichtlich, der Textdichter bezieht sich auch hier auf eine ältere Auslegungstradition. Das zum Michaelisfest gesungene Lied "Herr Gott dich loben alle wir", das auf eine lateinische Dichtung von Philipp Melanchton zurückgeht, erwähnt beispielsweise zwei Episo- den aus dem Buch Daniel, die Geschichten der Rettung der Jünglinge aus dem Feuerofen und eben von der Rettung Daniels aus der Löwengrube, und gerade dieser Choral erklingt in dem Oratorium an zwei Stellen. Das Michaelisfest war in Hamburg neben dem Osterfest das am reichsten musikalisch ausgestaltete Kirchenfest. Da das Michaelisfest auch als das Fest der Kirche verstanden wurde, hatte es zudem einen stark kämpferisch-konfessionellen Charakter, eine Facette, die besonders im lutherisch-orthodoxen Hamburg eine wichtige Rolle spielte. Unschwer konnte der Fürst Arbaces, der in dem Oratorium als Intrigant den Untergang des Propheten betreibt, aber am Ende mit seinen Verbündeten im wahrsten Sinne des Wortes in die Grube fällt, die er zuvor einem anderen gegraben hatte, als Sinnbild für die Feinde der lutherischen Kirche gesehen werden. Dieser theologischen Haltung entsprechend martialisch ist der Grundcharakter des Daniel-Oratoriums: Dies wird durch den intensiven Einsatz des Trompetenchors und die dadurch festgelegte Zentraltonart D-Dur hervorgehoben, ohne dass dies vordergründig durch die biblische Handlung gerechtfertigt wäre.

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Durch zwei Quellen des 18. Jahrhunderts ist belegt, dass ein Michaelis-Oratorium Telemanns mit dem Sujet "Daniel in der Löwengrube" existiert hat. Ein erster Nachweis findet sich in einem Brief Johann Friedrich Agricolas an Telemann (24. Mai 1757), in dem er nach lobender Erwähnung von vier Stücken aus dem oratorischen Jahrgang die Übersendung des Textes des 2. Teils von einem "Michaelisstück vom Daniel" erbittet. 309 Und 1782 bietet der Hamburger Musikalienhändler Westphal unter den aufgelisteten Telemann-Kompositionen auch die Parti- tur eines Oratoriums "Daniel in der Löwengrube" an. 310 Die folgende Übersicht stellt den Aufbau des Johannis-Oratoriums "Gelobet sei der Herr" dem Michaelis-Oratorium gegenüber, um die strukturelle Verwandtschaft beider Werke zu veranschaulichen, und um die These der gemeinsamen Zugehörigkeit zu dem Zell- Jahrgang zu bekräftigen. Besonders auffällig ist die ähnliche Positionierung der betrachtenden Soliloquien der allegorischen Figuren (in der Tabelle sind diese Teile typographische hervor- gehoben): Sie finden sich in beiden Werken sowohl im ersten als auch im zweiten Teil jeweils an zentraler Stelle als gliederndes Element, das die alttestamentliche Historie kommentierend unterbricht; außerdem schließen beide Werke mit einem von einem Rezitativ eingeleiteten allgemein-theologisch ausgerichteten Schlussgesang, nachdem bereits am Ende der biblischen "Handlung" ein Schlusschor erklungen war: Hierdurch kommt es zu einer Art doppelter Fi- nalwirkung.

309 Grosse/Jung 1972, S. 371. Die Kenntnis über diesen und den nachfolgenden Nachweis verdanke ich einem freundlichen Hinweis von Dr. Ralph-Jürgen Reipsch (Telemann-Zentrum Magdeburg). 310 Hobohm 19871, S. 11. 206

Tabelle XI.1: Vergleich des Aufbaus der beiden Oratorien Die Erlösung des Volks Gottes aus Egypten. Der aus der Löwengrube errettete Daniel. Ein Oratorium auf das Fest Joh. des Täufers Ein Oratorium auf das Michaelisfest.

Teil 1 (TVWV 1: 602) Teil 1 Chor der Israeliten „Gelobet sei der Herr“ 1. Intrada. 2. Rezitativ (Pharaoh) „Nun endlich bricht mein 2. Rezitativ (Daniel) „Gottloses, schändliches fester Muth“ Gebot“ 3. Chor der Egyptier. „Ach Leid, ach Qual!“ 3. Aria (Daniel) „Brüllende Henker“ 4. Rezitativ (Pharaoh) „Zieht hin“. 5. Chor (Israeliten, Egyptier) „Packt euch fort / Wir eilen von hinnen“ 6. Rezitativ (Gottselige Erwägung) „So hat 4. Rezitativ (Die Freude) „So kann man schon auch Gott die Christen ausgeführt“ auf Erden“. 7. Aria (Gottselige Erwägung) „Als Sclaven 5. Aria Die Freude. „Freudige Seraphim“ / mußten wir am Joch der Sünden ziehen“ Chor der Engel. „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“. 8. Rezitativ (Pharaoh, Chor der königlichen Be- 6. Rezitativ (Arbaces, Chor der Ankläger) dienten) „So ist das Volk entwischt?“ „Schon gut, der Fallstrick war beglückt gestellt“. 9. Aria (Pharaoh) „Auf Israel nachzujagen" 7. Terzett / Fuga (Andächtige Seelen / Freunde Daniels) „Sie haben eine Grube gegraben“ 8. Rezitativ (Arbaces, Darius, Chor der Perser) „Großmächtigster Monarch“ 9. Aria (Darius) „Das Laster ist eine wilde Fluth“. 10. Rezitativ (Arbaces, Darius) „Ein Richter ist der Bosheit Feind“ 11. Aria (Arbaces) „Recke deines Szepters Spit- ze“ fis-Moll 12. Rezitativ / Accompagnato (Darius, Chor der Perser) „Entsetzlicher Verdruß!“ / „Gekränkter Fürst“ 13. Aria (Darius) „Es konnte zwar des Hasses Glut“ 10. Rezitativ (Christliche Vorsicht) „So braucht ein Seelen-Feind“ 11. Arie (Christliche Vorsicht) „Locke mit Pfeifen“ 12. Choral „Ach sagt mir nichts“ (Melodie: 14. (fehlt in der Partitur) Choral „Der alte „Wer nur den lieben Gott läßt walten“) Drach‘“

Teil 2 (TVWV 1: 1216) Teil 2 13. Vorspiel nach der Predigt. 14.a Choral (2. Strophe, Text unbekannt) 207

14. Chor der Israeliten. „O Weh! Schaut der 15. Rezitativ (Darius, Daniel) „Ach weh! Dort Egypter Heer“ kommt er schon“ 16. Aria (Daniel) „Ach seufze nicht“ 17. Rezitativ / Accompagnato (Darius, Chor der Perser) „Ach! Liebster Daniel“ / „Ach Daniel! Wie quälst du mich“ 15. Aria (Moses) „Nur getrost“ 18. Aria (Darius) „Unschuldvoller Daniel“ 16. Accompagnato (Gott) „Was schreiest Du?“ 19. Rezitativ (Darius) „Doch morgen will ich“ 17. Rezitativ (Das Vertrauen). „Auch dies 19.a Rezitativ (Vertrauen) kann ich von meinem Jesu sagen“ 18. Choral. „Unter deinen Schirmen“ 20. Chor der vertrauenden Seelen (Duett und Chor, Dictum) „Die Engel sind allzumal dienstbare Geister“ 19. Chor (Israeliten, Egyptier) „Das Meer ist getheilet / Jagt nach!“ 20. Rezitativ (Moses, Pharaoh) „Herr sey ge- rühmt!“. 21. Chor der Egypter. „Entflieht vor Israel!“ 22. Rezitativ (Moses, Chor der Israeliten) „Die 22. Rezitativ (Darius, Daniel) „Ach Daniel, des sind ersäuft lebend‘gen Gottes Knecht“ 22.a Rezitativ (Der Glaube) 22.a Rezitativ Der Mut 23. Aria. (Der Glaube). „Hier quillt ein offner 23. Aria Der Mut „Die glänzenden Helden“ freier Born“ 24. Choral: „Gott Vater Sohn und Geist“ 24. Chor der mutigen und vertrauenden See- len (Dictum) „Ich fürchte mich nicht“ 25. Rezitativ (Daniel, Darius) „Mein Daniel, laß dich erfreut umfangen“ 26. Aria Daniel „Vertrauen reizt die Allmacht“ 27. Rezitativ (Darius, Arbaces, Chor der Perser) „Verräter, seht ihr nun“ 28. Accompagnato (Darius) „Es soll hinführo jedermann“ 25. Zum Beschluß. (Miriam, Chor) „Schlaget die 29. Chor der Großen von Darius Hofe. „Erhebet Pauken mit Wirbeln und Rollen“ und rühmet des Daniels Gott“ 26. Rezitativ (Glaube, Vertrauen, Christliche 30. Accompagnato (Die Freude) „So laßt uns Vorsorge, Gottseeliges Erwägen „Auf dann“ auf des Höchsten Wundermacht“ 31. Doppelchor „Herr der starken Seraphimen / Herr der hohen Cherubinen“ 23. [Choral] „Singt geg’n einander“ 32. Choral "Herr Gott dich loben wir"

Ein weiteres Charakteristikum – das sich auch in dem intimeren dritten Werk, dem Un- geratnen Sohn , wiederfindet – ist der Einsatz des Chors als Dialogpartner in den rezitativi- schen Passagen: Im Johannes-Oratorium sind dies die Worte der Ägypter im ersten Teil, die mit dem Pharao kommunizieren, im Michaelisstück kommen die Feinde des Daniel zu Wort, 208 die von dem Fürsten Arbaces angeführt werden. Betrachtet man nun die Vertonungen dieser Passagen, so fällt auf, wie ähnlich sie vom Komponisten behandelt wurden: Sie sind überwie- gend homophon gehalten, dabei werden jedoch einige Worte in anschaulicher Tonmalerei ausgedeutet. Bei den Arien fällt die Vorliebe des Komponisten für D-Dur-Stücke mit voller Blech- bläser-Besetzung auf, die vor allem den königlichen Bass-Rollen Pharao und Darius zuge- dacht sind. Doch auch unabhängig vom Vergleich mit dem als gesicherte Telemann- Komposition nachgewiesenen Johannes-Oratorium erweist sich Der aus der Löwengrube er- rettete Daniel als typisches Werk des Hamburger Musikdirektors. Die Handlung des Oratoriums lehnt sich eng an die biblische Erzählung des 6. Kapi- tels des Buches Daniel an. Nach einer festlich-kriegerischen Intrada tritt Daniel auf. Er wider- setzt sich dem Gebot des Königs Darius, der verlangt hatte, dass seine Untergebenen ihn al- lein als Gott anbeten sollten. Daniel fürchtet auch nicht die drohende Todesstrafe in der Lö- wengrube, so lange er seine Pflicht, seinen Gott zu loben, erfüllen kann. Entsprechend hero- isch ist der Charakter dieser Arie gehalten, der durch den Einsatz der Blechbläser unterstrich- ten wird, während die sehr bewegten Streicher das "Wüten" der Löwen illustrieren. Die Allegorie der Freude erwägt, dass sich der Mensch durch sein Gotteslob auf die Höhe der Engel erheben kann. In ihren Gesang mischt sich der Chor der himmlischen Heer- scharen ein, der völlig überraschend das dreifache himmlische „Sanctus“ mitten in dem B- Teil der Arie anstimmt (vgl. Notenbeispiel XI.1). Spätestens bei diesem Choreinsatz wird unverkennbar, dass Telemann der Komponist des Werkes sein muss: Die auffällige Akkord- folge Tonika - Tonikaparalle - Tonika-Sextakkord - Subdominante) zu Beginn des Satzes fin- det sich nämlich in anderen "Heilig"-Vertonungen Telemanns wieder: Einerseits in dem latei- nischen Sanctus D-Dur TVWV 9:16,311 vor allem aber in dem berühmten Es-Dur- Eingangschor der Festmusik zur Einweihung der Trinitatis-Kirche in Hamburg-St. Georg TVWV 2:6 (26. Oktober 1747).312

311 Abbildung der ersten Seite als Faksimile in Jaenecke 1993, S. 373. 312 Der Chorsatz wurde nicht bereits 1730 zur Feier des Reformationsjubiläums im Hamburger Johanneum aufgeführt, wie Werner Mencke (T.V.W.V. 2) fälschlich behauptete; siehe hierzu Hirschmann 1997, S. 112. 209

Notenbeispiel XI.1 Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Ei n- satz des Chor s der Engel „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“ innerhalbinnerhalb derder ArieArie derder FreudeFreude „Freudige Seraphim schwinget die Flügel “

Die Szene wechselt zu Daniels Feinden, die von dem persis chen Fürsten Arbaces (Sopran) angeführt werden, der Daniels Gesetzesübertretung beobachtet hat, und nun erfreut ist, ein Mittel gegen diesen in der Hand zu haben. Arbaces tritt vor den König und klagt Daniel an. Vergeblich versucht Darius, seinen Freund und Ratgeber zu retten; Arbaces gemahnt ihn an die Pflicht des Herrschers, die eig e- nen Gesetze zu befolgen. Darius erkennt, dass es Daniels vorbildhafte Tugend ist, die seine neidischen Feinde gegen ihn eingenommen hat, wie er in der folgenden erregten Gle ichnisarie darlegt.

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In heuchlerischem Ton gemahnt ihn Arbaces in der Arie "Recke deines Szepters Spit- ze" daran, dass der König allein die Unschuld durch seine Gnade schützen sollte, während Gesetzesbrecher gerechte Strafe fürchten müssten. Telemanns musikalische Charakterisie- rungskunst wird in dieser Arie offenbar: Der gleisnerische Charakter des unsympathischen Höflings wird durch die vertrackten Chromatismen der Singstimme, die seltsam "ver-rückte" Textdeklamation und die unruhige Begleitung ausgedrückt (vgl. Notenbeispiel XI.2).

Darius ist verzweifelt, seine eigenen Gesetze sind Schuld an dem Untergang des Freundes. An dieser Stelle setzt Telemann zum ersten Mal das Mittel des Accompagnato-Rezitativs ein, wodurch auf den tragischen Konflikt des Darius hingewiesen wird, der die folgenden Szenen des Oratoriums beherrschen wird. Die vierte Strophe des Michaelis-Liedes „Herr Gott dich loben alle wir“ beendet den ersten Teil des Oratoriums, allerdings ist die Musik zu diesem Choral nicht erhalten; in der Partitur findet sich lediglich das Textincipit.

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Notenbeispiel XI.2: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Arie des Arbaces „Recke deines Szepters Spitze “, T. 13 –18

Nach einer zweiten Choralstrophe (in der Partitur stehtteht nurnur derder HinweisHinweis aufauf eineeine "altra"altra strofa",strofa", es ist nicht zu ermitteln, welche Strophe des Liedes hier zu singen war) beginnt der zweite Teil mit der Konfrontation des Königs mit dem zum Tode verurteilten Daniel. Diese Szene stellt den emotionalen Höhepunkt des Werkes dar. Der Prophet tröstet den König, er gehe standhaft und fröhlich in den Tod, wie er in der ergreifenden E -Dur-Arie „Ach seufze nicht, mitleid’ger Fürst“verkündet, deren expressive Schlichth eit wiederum typisch für Telemanns Stil ist: Auffällig ist dabei die nachschlagende Melodiklodik derder SingstimmeSingstimme imim BB -Teil sowie der heroische Duktus, der in den entsprechenden Takten bei den Worten "so mögen Löwen mich

212 verderben" durch eine aufsteigend sequenzierende Figur erzielt wird (vgl. Notenbeispiel XI.3).

Notenbeispiel XI.3: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Arie des Daniel „Ach seufze nicht, mitleid’ger Fürst “ , T. 87–102.

In einem Accompagnato-Rezitativ und einer lyrischen Arie mit Begleitung geteilter Oboen und Fagotte in A-Dur beklagt Darius das Schicksal seines unschuldigen Freundes. Die poeti- sche Form der Arie ist ungewöhnlich: Es handelt sich um 4 Strophen, die jede mit einer ähn- lich lautenden Zeile beginnen, die Anfangszeile wird dabei nach Art der in älteren Opern- und Oratorienlibretti beliebten „Ringelstrophe“ am Ende noch einmal wiederholt. Telemann ver-

213 tont die Arie als eine Art modulierendes Rondo, bzw. als Arie in Ritornellform, wobei die ersten Zeilen jeder der vier Strophen sowie die abschließende Dacapo-Zeile (der „Ringel- Vers“) die Couplets des Rondos bilden, die jeweils von einem instrumentalen Zwischenspiel abgeschlossen werden, während die Zeilen 2-4 der vier Strophen als modulierende Zwischen- teile vertont sind.

1. Unschuldvoller Daniel, Vorspiel und Couplet mit Nachspiel A-Dur denkend seh ich hin und wieder die geriss‘nen blut’gen Glieder wie der Löwen Maul sie frißt! 2. Tugendhafter Daniel, Couplet mit Nachspiel E-Dur bald bedünkt mich daß die Löwen sich vor deiner Großmut scheuen, ihre Wut der Wut vergißt. 3. Gottesfürcht’ger Daniel Couplet mit Nachspiel fis-moll bald will ich die Hoffnung nähren, Gott wird auch den Löwen wehren, da du sein Geliebter bist. 4. Hart verfolgter Daniel Couplet mit Nachspiel cis-moll bald will mich der Zweifel drücken, muß dem Haß es soweit glücken, daß er ferner glücklich ist. 1. Unschuldvoller Daniel! Couplet mit Nachspiel A-Dur

Die Allegorie des Vertrauens verweist auf den himmlischen Beistand, den Gott in der größten Gefahr sendet, und ein Chor vertrauender Seelen, zunächst als Duett zwischen Sopran und Alt mit luftiger Sechzehntelbegleitung der Streicher, dann im Tutti, stimmt die Worte aus dem Hebräerbrief des Paulus an: „Die Engel sind allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer Willen, die ererben sollen die Seligkeit“, ein häufig in Michaelismusiken vertonter Text. Die Begleitfigur der Streicher ähnelt auffällig der entsprechenden Begleitung bei der Erwähnung der „Himmlischen Heerscharen“ im Sopran-Accompagnato „And sudden- ly there was with the angel“ aus Händels Messiah (vgl. Notenbeispiel XI.4).

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Notenbeispiel XI.4: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Chor der vertrauenden Seelen „Die Engel sind alle dienstbare Geister “, Beginn

Die folgende Szene zeigt Darius am nächsten Morgen am Rande der Grube, wo er ängstlich den Namen des Freundes ruft. Da antwortet ihm dieser aus der Tiefe. Er berichtet, ein Engel habe ihn vor dem Angriff der Löwen bewahrt und diese besänftigt. Freudig befiehlt Darius seinen Dienern, Daniel aus der Grube emporzuziehen. Die Allegorie des Mutes verweist in einer Arie erneut auf den himmlischen Beistand der Engel, die für alle Verfolgten streiten, worauf ein ganzer Chor mutiger und vertrauender Seelen mit einem kurzen Fugato-Satz mit massiver Blechbläserbegleitung das Psalmwort „Ich fürchte mich nicht vor viel hunderttausend, die sich um mich lagern“ anstimmt. Als Darius nun Daniel befragt, wie es zu seiner Rettung kam, lautet dessen lapidare Antwort: „Ich habe Gott vertraut“. Dieser schlichte Glaubensgrundsatz wird in der folgenden tänzerischen Arie "Vertrauen reizt die Allmacht an" mit rhythmischem Esprit unterstrichen, dessen besondere Wirkung vor allem auf dem von Telemann so häufig angewandten Wechsel zwischen triolischem und duolischem Rhythmus basiert (siehe Notenbeispiel XI.5).

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Notenbeispiel XI.5: Georg Philipp Telemann, Der aus der Löwengrube errettete Daniel TVWV deest, Beginn der Arie des Daniel „Vertrauen reizt die Allmacht an “.

In der folgenden, sehr dramatischen Szene wendet sich Darius wütend an Arbaces und dessen Mitläufer. Diese Szene greift auf musikdramatisch geschickte Weise auf die Arie des Arbaces

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"Recke deines Szepters Spitze" aus dem ersten Teil zurück, deren Text hier wiedergegeben ist: Arbaces (Aria) Recke deines Szepters Spitze schwacher Unschuld gnädig dar

Aber führst du auch das Schwert ei so laß es tapfer schneiden, dass kein Rost es in der Scheiden, kein Verräter dich versehrt. Zürne, räche, strafe, blitze, wo die Bosheit offenbar.

In dem Dialog zwischen Darius und den persischen Anklägern wird daraus die folgende Pas- sage: Chor der Perser Ach recke doch des Szepters Spitze... Darius "... ja schwacher Unschuld gnädigst dar!" Allein ihr saget selbst: Mein Schwert soll tapfer schneiden, damit kein Rost es in der Scheiden, kein Verräter mich versehrt. Nun schaut, ich zürne, strafe, blitze, weil eure Bosheit offenbar! Chor Ach recke doch des Szepters Spitze... Darius „... ja schwacher Unschuld gnädigst dar!“ Chor Ach Gnade!

Darius Nichts, hinab zum Graben, die Löwen können nun ein besser Futter haben!

Der erste melodische Abschnitt der Arie wird zunächst vom vierstimmigen Chor der Perser vorgetragen, worauf ihnen Darius mit der Fortsetzung der Phrase ironisch ins Wort fällt, um dann das von Arbaces im B-Teil seiner Arie besungene Rache-Schwert gegen die Ankläger selbst zu wenden. Die von Darius vorgetragenen Arioso-Takte nehmen dabei die kriegerische Motivik der Arie wieder auf. Nach einer Art kurzem dacapo folgt darauf das lapidar ausge- prochene Todesurteil als Secco-Rezitativ.

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In einem feierlichen Accompagnato-Rezitativ verkündet Darius nun sein neues Gesetz, mit dem in der Bibel das sechste Buch Daniel endet: „Es soll hinführo jedermann / den Gott des Daniels mit Ehrfurcht schauen, / denn er ist der lebend’ge Gott, / der ewig bleibt und ewig war“, worauf die Perser einen fröhlichen Lobgesang auf Jehova anstimmen. In einem allegorischen Nachspiel fordert nun die Freude die Gemeinde auf, ebenfalls in den Lobgesang auf Gott und seine himmlischen Helfer einzustimmen. Ein prachtvoller Doppelchor preist darauf den „Herr[n] der lichten Seraphimen / Herr der hohen Cherubinen“, wobei der erste Chor von den Trompeten und Pauken, der zweite Chor von den in flirrenden Sechzehntelbewegungen fortlaufenden Streichern begleitet werden. Der Schlusschoral, die erste Strophe des deutschen Te Deums „Herr Gott dich loben wir“, ist ähnlich wie der Choral am Ende des ersten Teils in keiner der erhaltenen Quellen überliefert, doch wird er durch eine Textmarke in allen erhaltenen Quellen angezeigt. 313 Die erhaltenen Kantaten / Oratorien aus dem bisher wenig erforschten oratorischen Jahrgang gehören sicherlich zu den erstaunlichsten kirchenmusikalischen Werken Telemanns aus seiner Hamburger Zeit. Auffällig sind die opernhaften Elemente, die Telemann dank der dramatischen Texte Zells an zahlreichen Stellen zu einer Musik anregte, die an seine zeit- gleich entstandenen Opern für das Gänsemarkt-Theater erinnern. Mit dem Daniel-Oratorium, dessen Zugehörigkeit zu diesem Jahrgang kaum zu bestreiten ist, kann ein weiteres Meister- werk in die Gruppe der großen oratorischen Werke des Komponisten eingereiht werden. 314

Nachweis: Der Artikel erschien als „Der aus der Löwengrube errettete Daniel“: Eine unbekannte Hamburger Michaelismusik von Georg Philipp Telemann? , in: C. Lange / B. Reipsch (Hrsg.): „Tele- mann und die Kirchenmusik“ (= Telemann-Konferenzberichte, Bd. XVI), Hildesheim 2011, S. 369-383.

313 Für die Ersteinspielung des Werkes mit dem Ensemble "La Stagione Frankfurt" unter der Leitung von Mi- chael Schneider bei dem Label cpo wurde auf Anregung des Verfassers der von der Besetzung her genau passende Eingangschoral der Kirchenmusik zur Goldenen Hochzeit des Ehepaars Mutzenbecher (TVWV 11:15a) von 1732 gewählt; es ist auch wahrscheinlich, dass Telemann den Satz aus seinem wenige Monate älteren Michaelis-Oratorium in diese Festmusik übernahm. 314 Eine Edition des Werkes zusammen mit anderen Kantaten des Zell-Jahrgangs wird der Autor gemeinsam mit Ute Poetzsch im Rahmen der Telemann-Auswahlausgabe vorlegen. 218

XII. Frömmigkeit, Weisheit und Herrlichkeit. Salomonisches aus dem Jahre 1759 bei Händel und Telemann

Georg Friedrich Händels Oratorien wurden – im Gegensatz zu seinen Opern – zu seinen Lebzei- ten außerhalb Großbritanniens kaum zur Kenntnis genommen, zu speziell waren die Werke auf die Bedürfnisse und den Geschmack des englischen Publikums zugeschnitten. Erst nach Händels Tod fanden einige dieser Werke in Deutschland Verbreitung und erlebten er- folgreiche Wiederauffühungen, ein Phänomen, bei dem gerade Hamburg eine bedeutende Vorreiterrolle übernahm. Vermutlich scheinen aber die Libretti einiger englischer Oratorien Händels schon früher in Hamburg bekannt gewesen zu sein, dies zeigt sich an einem bisher wenig beachteten rezeptionsgeschichtlichen Fall. Händels Oratorium Solomo (HWV 67, London 1749) ist eng mit dem Hamburger Schaffen Georg Philipp Telemanns verbunden, da Händel in diesem Werk ausgiebig auf Motive aus Kompositionen des Freundes zurückgriff, die er den Drucksammlungen Musique de table (1733) und Der Harmonische Gottesdienst (1725-26) entnommen hatte, darunter etwa das Ritornell des Eingangschors, die Flötenmotive aus dem "Nachtigallenchor" und die Arie der Kö- nigin von Saba "Will the sun forget to streak". 315 Doch besteht zwischen diesem Werk und dem Schaffen Telemanns noch eine weitere Verbindungslinie, die in diesem Falle in die entgegenge- setzte Richtung weist, denn das Solomon -Libretto könnte als Vorbild für ein von Telemann in Hamburg vertontes Oratorium gedient haben. Georg Philipp Telemann führte alljährlich am ersten Donnerstag nach dem St. Bartho- lomäus-Tag (24. August) eine Festmusik für die Konvivien der Hamburger Bürgerkapitäne auf, die jeweils aus einem geistlichen Oratorium und einer weltliche Serenata bestanden. Diese beiden formal eigenständigen Werke rahmten das mit großem zeremoniellem Gepränge durch- geführte Festmahl für die Hamburger Bürgerwehr ein. 316 Üblicherweise traten sowohl im Oratorium als auch in der Serenata allegorische Figu- ren auf, die die überwiegend patriotisch ausgerichteten Texte in Gesprächsform wiedergaben. Wiederkehrende Themen der Texte waren das Lob auf das gute Regiment der Stadt, die Be- schwörung der Notwendigkeit der Selbstverteidigung, und die Hervorhebung der Vorzüge der

315 Es konnten insgesamt 18 Übernahmen aus dem Harmonischen Gottesdienst und eine Übernahme aus der Musique de Table (die als "Arrival of the queen of Sheba" bekannte Sinfonia) nachgewiesen werden, vgl. Roberts 1984, S. 167-171. 316 Vergleiche Maertens 1988, S. 55-62. 219 bürgerlichen Einheit, des Friedens und der Freiheit, wobei grundsätzlich auch Hamburgs Loyalität zum Kaiser erwähnt wurde. Das von einem unbekannten Dichter stammende Oratorium der Kapitänsmusik von 1759 TVWV 15: 22 mit dem Titel Salomons Frömmigkeit, Weisheit und Herrlichkeit 317 , deren Vertonung durch Telemann leider nicht erhalten ist, weicht von dem Prinzip der abstrakten Allegorese ab und verkündet seine Botschaft mittels eines alttestamentlichen Sujets, ähnlich wie dies in älteren Hamburger Kirchenoratorien von Reinhard Keisers und Johann Mattheson, aber auch in Telemanns oratorischem Jahrgang von 1730/31 auf Texte von Albrecht Jacob Zell üblich war. 318 Der Librettist greift in seinem Text auf Episoden aus dem Leben des Königs Salomo zurück. Die Person Salomos stand als Sinnbild für einen gerechten, friedliebenden und from- men Regenten, der dem Wohlstand und dem Wohlergehen seines Volkes diente. Der im Lib- retto als ein „hiesiger junger Poet" bezeichnete Textdichter teilt das relative kurze Oratorium in drei Teile ein, die er analog zu dem Titel des Werkes mit den folgenden Zwischenüberschriften versah:

1. Der fromme Salomo 2. Der weise Salomo 3. Salomons Herrlichkeit

Der erste Teil beginnt mit einer Huldigung des Volkes an seinen König, dessen weise Regie- rung dem Reich Frieden und Wohlstand verschafft haben. In diesen Teil werden politische und theologische Betrachtungen Salomos und seines Ratgebers über die Pflichten und Funkti- onen von Regierung und Untertanen eingeflochten und somit ein Bezug zum Entstehungsan- lass des Werkes hergestellt. Der zweite Teil stellt Salomo als weisen Richter vor, indem die Geschichte der zwei Mütter dargestellt wird, die um den überlebenden Säugling streiten und die bekanntlich mit dem sprichwörtlichen salomonischen Urteil endet. Der letzte Teil führt den Reichtum des Monarchen und sein Ansehen bei auswärtigen Herrschern vor, exempla- risch wird hier der Besuch der legendären Königin von Saba behandelt.

317 Der Textdruck Ehren- und Freudenmahl der Bürger-Capitaine am 30. 8. 1759 ; Oratorium: Salomons Frömmigkeit, Weisheit und Herrlichkeit, nebst Serenade , Hamburg 1759, liegt im Hamburger Staatsarchiv (D-Ha), Signatur Cl. VII, Ga, Pars 2, No. 6; für die Anfertigung von Reproduktionen für den vorliegenden Beitrag sei dieser Institution herzlich gedankt. 318 Auf die Einzigartigkeit dieses Textes wies bereits Maertens hin, vgl. Maertens 1988, S.61, mit einer kurzen Inhaltsangabe des Oratoriums. 220

In den Personenverzeichnissen zu Oratorio und Serenata werden die ausführenden Sänger genannt, alle Rollen wurden danach von männlichen Interpreten übernommen, es mussten Mehrfachbesetzungen vorgenommen werden, da nur fünf Sänger an der Aufführung teilnahmen, gegenüber acht vorgeschriebenen Rollen im Oratorium. 319 Die Parallelen zwischen diesem Werk und Händels Solomon-Oratorium, dessen Lib- retto vermutlich von Thomas Morrell verfasst wurde, sind unübersehbar. In der Originalfas- sung des Händel-Oratoriums von 1749 wurden allerdings insgesamt vier Episoden behandelt: Das Werk beginnt mit der Einweihung des Tempels von Jerusalem, darauf folgt eine intime Szene zwischen dem König und einer seiner zahlreichen Ehefrauen, der Tochter des ägypti- schen Pharao. Erst dann schließen sich die Urteilsszene mit den zwei Müttern an, am Ende steht die Begegnung mit der Königin von Saba, die wie in dem Telemann-Oratorium den Namen Nicaule trägt. Als literarische Quellen griff der Textdichter neben Ausschnitten aus dem 1. Buch der Könige und dem 1. und 2. Buch der Chronik auch auf die Antiquitates Ju- daicae des Flavius Josephus zurück, in dem sich eine detailliertere Schilderung des Besuches der Königin von Saba findet, auf den im Alten Testament nur sehr flüchtig eingegangen wird. 320 In dieser sehr langen Originalfassung wurde Solomon allerdings zu Händels Lebzeiten nicht mehr aufgeführt. Bei einer Wiederaufnahme in der Fastenzeit des Jahres 1759, die be- reits von seinem Assistenten John Christopher Smith geleitet wurde, nahmen Händel oder sein Bearbeiter erhebliche Kürzungen vor. 321 Und diese stark gekürzte Fassung, in der die Einweihung des Tempels und die eheliche Liebesszene mit Pharaos Tochter wegfielen, also der gesamte erste Teil, weist nun auffällige strukturelle Ähnlichkeiten mit dem oben be- schriebenen Oratorium der Hamburger Kapitänsmusik auf. Die Tatsache, dass beide Werke im gleichen Jahr erklangen, verstärkt den Eindruck, dass hier ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Londoner und dem Hamburger Oratorientext vorliegen könnte. Ein verglei- chender Blick auf die Rollenverzeichnisse verrät bereits die thematische Verwandtschaft der beiden Werke:

319 Vgl. die Abbildung des Rollenverzeichnisses und der ersten Textseite am Ende des Beitrags (Abbildung XII.2) 320 Vgl. Dremel 2011. 321 Textdruck: Solomon. An oratorio. With alterations and additions. As it is perform'd at the Theatre-Royal in Covent-Garden. Set to musick by George-Frederick Handel, Esq., London 1759 , Exemplar in der British Li- brary (zitiert nach der digitalen Ausgabe in Eighteenth Century Collections Online, Gale Digital Collections). 221

Tabelle XII.1 Händel: Telemann: Solomon Salomo, König in Israel Zadok, the High Priest Zadock, Hohepriester A Levite Benaja, Feldhauptmann und Minister An Attendant Josaphat, Kanzler Der Betrachtende (allegorische Figur) Nicaule, Queen of Sheba Nicaule, Königin aus Reich Arabien 1st Harlot Caßbi, 2nd Harlot Milca (Mütter). Chorus of Priests Chor der Priester und Leviten Chorus of Israelites Chor des Volks Chor der Gerichtsbeamten Chor der Hofstatt Chor Hamburgischer Christen

Tatsächlich folgen beide Werke einem relativ ähnlichen Ablaufschema, wie sich an der sy- noptischen Übersicht über die Gliederung der beiden Oratorien zeigt:

Tabelle XII.2: Vergleich der Struktur der beiden Oratorien Händel, Solomon HWV 67 „with alterations and Telemann, Oratorium zur Kapitänsmusik 1759 additions" (1759) TVWV 15: 22 (1) Part I Teil 1 Der fromme Salomo 1. Doppelchor: "From the censor curling rise" 1. Chor: "Herr unser Gott von deiner Huld" 2. Rezitativ: "Prais'd be the Lord" 2. Rezitativ: "Der du von deinen Höhen Israels Gott" 3. Aria (Solomon): "When the sun o'er yonder 3. Arie (Salomo): Wer trägt die drückenden Be- Hills" schwerden 4. Rezitativ: "Great Prince" 4. Rezitativ: "Oh du der über uns regieret" 5. Arie (Levit): Thrice blessed that wise" 5. Duett (Salomo, Zadok): "Frömmigkeit du bist die Stütze" 6. Doppelchor: "Beglücktes Volk aus Israels Samen" Teil 2: Der weise Salomo 6. Rezitativ: "My sovereign liege" 7. Rezitativ: "Es eilet im Gedränge" 7. Arie (Solomon) "Wise great and good" 8. Arie (Salomo): "Erleuchte mich mit deinem Lichte" 8. Rezitativ: "Thou son of David" 9. Rezitativ: "Herr! König! Höre mich!" 10. Arie (Caßbi): "Die Wollust lacht mit heiterm Angesichte" 11. Rezitativ: "So lebt ich, als ich Milca kennen- lernte" 12. Arie (Josaphat): "Für das zärtliche Geschlech- te" 9. Terzett (Solomon, Harlot 1, 2): "Words are weak to paint my fear"

10. Rezitativ: "What says the other?" 13. Rezitativ: "Wie strafbar habt ihr euch" 11. Arie (2 nd Harlot): "Thy sentence great king" 12. Rezitativ: "Withhold, withhold the executing hand!" 222

13. Arie (1 st Harlot): "Can I see my infant gor'd?" 14. Arie (Caßbi): "Ach lass ihn leben lass ihn le- ben!" 14. Accompagnato (Solomon): "Israel attend to 15. Rezitativ: "Nimm, Caßbi, nimm ihn hin!" what your king shall say" 15. Duett (1 st Harlot, Solomon): "Thrice blessed be the king" 16. Chor: "From the East unto the West" 16. Chor: "Es schalle Salomo zum Preise" Part II Teil 3: Salomons Herrlichkeit 17. Sinfonia 18. Rezitativ: "From Arabia's spicy shores" 19. Arie (Nicaule): "To view the wonders of thy throne" 20. Rezitativ: "Thrice welcome queen" 17. Rezitativ mit Chor: "Lass große Königin" 21. Arie (Nicaule): "Every sight these eyes be- hold" 22. Rezitativ: "Sweep, sweep the string" "Ode" (Solomon, Chor): 23. Arie und Chor: "Mu- sic spread thy voice around" / 24. Arie und Chor: "Now a different measure try" / 25. Rezitativ: "Then at once from rage" / 26. Chor: "Draw the tear" / 27. Rezitativ: "Sad solemn sound" / 28. Arie: "Sad solemn sound" / 29. Rezitativ: "Next the tortured soul release" / 30. Arie und Chor: "Beneath the vine" / 31. Rezitativ: "Love from such parent sprung" / 32. Arie und Chor: "Love from such parent sprung" / 33. Arie mit Chor: "Thus rolling surges rise" Part III 34. Rezitativ: "Ages to come shall hail" 35. Arie (Solomon): "Haste to the cedar grove" 36. Arie (Nicaule): "This music is divine o king" 37. Accompagnato (Nicaule): "But when the tem- ple I behold" 38. Arie (Levit): "Pious king and virtous queen" 39. Rezitativ: "Thrice happy king" 40. Arie (Zadok): "Golden columns, fair and bright" 41. Doppelchor: "Praise the Lord with Harp and Tongue" 42. Rezitativ: "Gold is now common" 43. Arie (Solomon): "How green our fertile pas- tures look" 44. Rezitativ: "May peace in Salem ever dwell" 45. Arie (Nicaule): "Will the sun forget to streak" 46. Rezitativ: "Adieu fair queen" 47. Duett (Nicaule, Solomon): "Every joy that 18. Duett (Nicaule, Salomo): "Von allen die auf wisdom knows" Erden leben" 48.Chor: "The name of the wicked" 19. Rezitativ: "Erhabne Zeugin unsrer Freuden" 20. Arie (Benaja): "Die Hoheit fürstenwürd'ger Ehre" 21. Rezitativ: "Wenn aber sich hinführo Feinde regten" 223

22. Choral: "Verleih uns Frieden gnädiglich"

Händels abendfüllendes dreiaktiges Werk ist dabei selbstverständlich wesentlich umfangrei- cher als das Oratorio Telemanns, das zusammen mit einer Serenata aufgeführt wurde und als musikalische Umrahmung eines Festbanketts diente (vom Textdichter wurde dieser Bezug sehr geschickt hergestellt, indem auch die Königin von Saba als Gast Salomos bei einem prachtvollen Gastmahl auftritt). 22 Arien und Ensembles und 5 Chöre Händels stehen den 8 Arien und Ensembles und 4 Chören bei Telemann gegenüber. Dabei kommt in der Spätfas- sung des Solomon dem Besuch der Königin ein besonderes Gewicht zu, indem diese – eigent- lich völlig undramatische – Episode nun insgesamt zwei Akte in Anspruch nimmt, während die Gerichtsszene auf den ersten Akt verlegt wird. Die große Chorszene, in der Salomo und der Chor als Konzertdarbietung für die Köni- gin die Macht der Musik besingen, wird der Abschied der Königin durch zusätzlich eingefüg- te Arien zu einem eigenständigen 3. Akt erweitert, in den auch zwei Arien aus der Szene zwi- schen Solomon und der Tochter des Pharao aus dem gestrichenen 1. Akt integriert wurden. Hierdurch bekommt allerdings die Begegnung zwischen Solomon und seinem königlichen Gast eine zweideutige, auf eine erotische Beziehung hinweisende Note, die in dieser Form sicher nicht vom Librettisten der Originalfassung beabsichtigt war. 322 Im Hamburger Oratorio ist die Königin dagegen eine episodenhafte Figur, die lediglich in einem Rezitativ und in dem Duett mit Salomo zu Wort kommt: Ihre Funktion liegt allein darin, als auswärtige Zeugin ein weiteres Lob auf den König von Israel auszusprechen. Im Vergleich dazu wird die Urteilsszene in den beiden Werken fast ähnlich ausführ- lich dargestellt - allerdings erhält in der Hamburger Fassung die negative Figur der zweiten Frau, die hier den Namen Milca trägt, keine eigene Arie. So tritt an Stelle des hochdramati- schen Terzetts bei Händel ein etwas moralinsaurer Tadel aus dem Munde des königlichen Ministers Josaphat, der den beiden Frauen ihren sündhaften Lebenswandel vorhält. 323 Schließlich sei auf die formale Ähnlichkeit des Beginns der zwei Stücke hingewiesen: Beide werden durch einen Huldigungschor des Volkes eröffnet, gefolgt von einem gebetsarti- gen Monolog des Titelhelden, der aus einem Rezitativ und einer Arie besteht, und aus einem

322 Dies bezieht sich vor allem auf Solomons ursprünglich aus dem ersten Teil stammende Arie "Haste to the cedar grove", mit der er die Königin recht eindeutig zu einem intimen Rendezvous an einem idyllischen Ort auffordert. 323 Die Frauen hatten ihre Kinder durch außereheliche Beziehungen bekommen; deshalb werden sie in der eng- lischen Version sogar als harlots (= Dirnen) bezeichnet. 224

Gespräch zwischen Salomo und einem seiner Priester, bei Händel ist es der namenlose Levit, bei Telemann der Oberpriester Zadok. Während diese Szene aber bei Händel nur als Einlei- tung zu der Gerichtsszene dient, wird sie in dem Hamburger Oratorium zu dem eigenständi- gen, "Salomos Frömmigkeit" behandelnden Teil aufgewertet, deswegen erhält sie hier einen Abschlusschor, der eine Erweiterung gegenüber dem Londoner Text darstellt. Die Idee, hier einen Doppelchor für das Volk und die Priester einzufügen, könnte ebenfalls durch die Kenntnis des englischen Solomon-Librettos angeregt worden sein, das durch einen ähnlich aufgebauten Doppelchor ("From the censor curling rise") eröffnet wird. Auffällig ist, dass es nicht nur strukturelle Entsprechungen zwischen beiden Werken gibt, sondern dass sich auch einige sehr direkte textliche Übereinstimmungen finden, die die These von einer Hamburger Rezeption des englischen Oratorienlibrettos unterstützen. Wenn in dem prachtvollen Doppelchor Händels das Volk und die Priester um langes Leben für den König bitten:

Chor 1: Heaven blesses David's throne, happy, happy Solomon Chor 2: Live for ever, pious David's son, live for ever, mighty Solomon. so heißt es ganz ähnlich in Hamburg:

Chor: Herr unser Gott! [....] Laß ihn noch lange leben, den König, den du uns gegeben dem du dein Bild so strahlend eingedrückt!

Noch stärker ist die Übereinstimmung im folgenden Beispiel. Die ergreifende Arie der ersten Mutter, in der sie sich bereit erklärt, ihr Kind ihrer Konkurrentin zu überlassen, endet bei Händel mit dem verzweifelten Ausruf:

Rather be my hopes beguil-'d, take him all --- but spare my child!

Fast wie eine Übersetzung des gleichen Gedankens klingt die selbe Stelle in der Arie der Caßbi bei Telemann: 225

Du magst ihn gern der andern geben nur lass ihn leben, lass ihn leben!

Das Lob des Volkes im Schlusschor des Gerichtsteils (also dem Abschluss von Part 1 ) soll die ganze Erde umspannen, ein beliebter rhetorischer Huldigungs-Topos:

From the east unto the west: who so wise as Solomon? Who like Israel's King is bless'd? Who so worthy of a throne?

Während hier also mit einem geographischen Bild argumentiert wird, verwendet der Hambur- ger Oratorien-Text eine verwandte Übertreibungsform, indem das Lob hier in die zeitliche Unendlichkeit ausgeweitet wird:

Es schalle Salomo zum Preise, in lauten jubelvollen Tönen und von Geschlechtern zu Geschlechtern: Der uns beherrscht ist fromm und weise.

In beiden Stücken drückt die Königin von Saba ihr Erstaunen und ihre Bewunderung über die erblickten Reichtümer aus. Während dies bei Händel in einer Arie geschieht:

226

Nicaule (Arie, A-Teil): Every sight these eyes behold does a different charm unfold;

Flashing gems, and scultured Gold still attract my ravished sight. wird diese Aussage bei Telemann in ein Rezitativ verlegt:

Nicaula (Recitativo): O König welch ein Glanz! Wohin mein Blick sich wendet wird er geblendet.

Der theologisch bedeutsame Aspekt, nach dem Salomos Tugenden und Reichtümer Gott zu verdanken sind und deshalb allein diesem Lob und Dank zukommen, wird auf ähnliche Weise im Solomon im Duett zwischen Solomon und der First Harlot und in dem abschließenden Du- ett zwischen Salomo und Nicaula bei Telemann ausgedrückt; in beiden Stücken entgegnet der König auf ganz ähnliche Weise den Lob- und Dankesworten der beiden Frauen:

1st Harlot: Thrice blessed be the King, for he's virtuous and wise Solomon: The Lord all these Blessings has giv'n. Harlot: My gratitude calls streaming , tears from my eyes Solomon: Thy thanks be returned all to heaven.

Nicaula: Von allen die auf Erden leben, seh ich den Glücklichsten in dir. Salomo: Gott hat mir dieses Glück gegeben Ihm dankt mein ganzes Herz dafür.

Bei all diesen Übereinstimmungen, die hier aufgezeigt wurden, gibt es sicherlich auch einige auffällige Unterschiede, wie auch schon durch den tabellarischen Vergleich der beiden Stücke zu sehen war. Auf die wesentlich gewichtigere Darstellung des Besuchs der Königin von Saba bei Händel wurde schon hingewiesen, diese Episode nimmt ja in der späteren Fassung zwei Drittel des Werkes in Anspruch. Das Motiv des Tempelbaus, das zwar in der 1759-Fassung durch die gestrichene erste Szene an Gewicht verlor, jedoch im 3. Teil durch den Auftritt des

227

Oberpriesters Zadok und durch die Worte der Königin noch einmal Erwähnung fand, fehlt in dem Hamburger Text völlig. Dafür verzichtet der englische Text auf die moralische Verurtei- lung der beiden ehebrecherischen Mütter, die bei Telemann nacheinander von Salomo und Josaphat getadelt werden; schon zuvor kommt es in der ersten Arie der Caßbi zu einer Selbst- anklage über den begangenen Fehltritt. Schließlich finden sich im Hamburger Text zahlreiche Anspielungen auf den zeremoniellen Anlass des Werkes. Am deutlichsten wird dies im ersten Teil "Salomos Frömmigkeit", wo der König ein Loblied auf seine tapferen, wehrhaften Unter- tanen singt – eine versteckte Anspielung auf die im Oratorium gefeierte Hamburger Bürger- wehr. Dieser Zusammenhang wird am epilogartigen Ende des Werkes noch einmal deutlich. Nachdem der Feldherr Benaja ein Loblied auf die Friedensherrschaft Salomos angestimmt hat, wird die biblische Handlung abrupt von der allegorischen Figur des "Betrachtenden" un- terbrochen, wodurch eine Überleitung in die Gegenwart und zum konkreten Anlass der Feier hergestellt wird, so dass am Schluss der Chor der "Hamburgischen Christen" auf gut lutheri- sche Weise den Choral "Verleih uns Frieden gnädiglich" anstimmen darf. Der Hinweis auf die Göttliche Gnade, auf die Salomos Gaben zurückgehen, steht bei Händel im Vordergrund und zieht sich durch alle Teile des Werkes. Bei Telemann wird dieser Aspekt zwar ebenfalls erwähnt, er wird dabei aber nicht so stark in den Mittelpunkt gerückt, spielen doch in dem von ihm vertonten Text das Verhältnis zwischen der Regierung und dem Volk sowie das Loblied auf den Frieden ein bedeutendere Rolle, es handelt sich hier also um einen Text mit einer deutlichen politischen Aussage.

Abschließend lässt sich feststellen, dass es wohl kaum als Zufall anzusehen ist, wenn genau im Jahr, in dem Händel sein Oratorium Solomon in stark revidierter Form in London aufführen ließ, noch im Spätsommer in Hamburg zu einer politischen Feier ein Werk in völlig anderem Kontext und mit anderer inhaltlicher Gewichtung entstand, dass aber bei der Wahl des Sujets und der dramaturgischen Gesamtanlage überraschende Übereinstimmungen mit dem englischen Oratorium aufweist. Möglicherweise hat ein Hamburger Reisender einer Aufführung des Werkes in London beigewohnt oder hatte zumindest ein Exemplar des Text- druckes mitgebracht. Ein möglicher Kandidat für den unbekannten "hiesigen jungen Poeten" könnte Daniel Schiebeler sein, der schon sehr früh als Textdichter für Telemann wirkte und der selbst Gedichte in englischer Sprache verfasste, somit mit der englischen Literatur ver-

228 traut gewesen sein muss. 324 Beide Werke feiern den biblischen Monarchen als aufgeklärten Souverän, der sich als „1. Diener des Staates“ versteht. Die politische Allegorie des weisen Königs Salomo und seines Volkes Israel war mit leichten inhaltlichen Veränderungen so- wohl in der konstitutionellen Monarchie Großbritanniens wie in der freiheitlich gesinnten Stadtrepublik Hamburg ein durchaus angebrachter Lobgesang auf die staatliche Obrigkeit und die patriotisch gesinnte Bevölkerung.325 Zur Beliebtheit des Sujets mag auch der Umstand beigetragen haben, das die Figur König Salomos, vor allem in seiner Funktion als Bauherr des Tempels, eine wichtige Symbolfigur aus dem Bilder-Kanon der seit Ende der 20er Jahre in England immer stärker an Einfluss gewinnenden Freimaurerbewegung. gilt. 326 Bereits 1737 war die erste deutsche Loge in Hamburg gegründet worden, so dass das Interesse für den eng- lischen Oratorienstoff vielleicht auch in diesem Zusammenhang zu sehen ist. Ob die versteck- te freimaurerische Symbolik jedoch tatsächlich ausschlaggebend bei der Wahl des Sujets für eine Festmusik für die Hamburger Bürgerkapitäne war, mag dahingestellt sein. Gegen die Theorie spricht die Tatsache, dass die beiden Sätze des Händel-Oratoriums, in denen auf das zentrale Bild des Tempels von Jerusalems hingewiesen wird – Nicaules Accompagnato „But when the temple I behold” und Zadoks Arie “Golden Columns” – keine Entsprechung im Hamburger Text aufweisen. Ob Telemann, als er seine Kapitänsmusik komponierte, wissen konnte, dass die Vor- lage zu dem Oratorientext von seinem Freund Händel in London vertont worden war, und dass sich in dieser Vertonung so zahlreiche Rückgriffe auf eigene Kompositionen fanden, ist allerdings nicht mehr nachweisbar.

Nachweis: Der Artikel erschien als: Frömmigkeit, Weisheit und Herrlichkeit. Salomonisches aus dem Jahre 1759 bei Händel und Telemann , in: B. Reipsch / C. Lange (Hrsg.): „Telemann und Händel. Mu- sikerbeziehungen im 18. Jahrhundert“ (= Telemann-Konferenzberichte, Bd. XVII), Hildesheim 2013, S. 102-110

324 Vgl. die Biographie des Dichters von Johann Joachim Eschenburg, abgedruckt in Schiebeler 1773, S. XIV-XV. 325 Zur Deutung des Solomon-Librettos als Allegorie auf Georg II., vergleiche Smith 1995, S. 309-317. 326 Dieser Zusammenhang wird von Ruth Smith bestritten, in neuerer Zeit bot aber Angela Baier eine überzeu- gende freimaurerische Deutung des Oratorientextes, vgl. Baier 2010, S. 272-299. 229

Abbildung XII.1: Rollenverzeichnis und erste Textseite des Telemann -Oratoriums, D -Ha, Cl. VII, Ga, Pars 2, No. 6

Abbildung XII.2: Rollenverzeichnis und erste Textseite des Händel -Librettos von 1759.

230

XIII. “... sur les loix d’une certaine societé” Die Mizlersche Societät der musikalischen Wissenschaften im Urteil Georg Philipp Telemanns und Johann Matthesons

In einem Konvolut aus dem Nachlass Johann Matthesons in der Hamburger Staats- und Uni- versitätsbibliothek befindet sich auf einer ungehefteten Lage aus zwei ineinandergelegten Blättern dessen eigenhändige Abschrift der 1745 aufgestellten 32 Gesetze der Correspondi- renden Societät der musikalischen Wissenschaften , die wortgenau mit Lorenz Christoph Miz- lers Abdruck von 1746 im zweiten Teil des dritten Bandes der Musikalischen Bibliothek 327 übereinstimmt (Signatur Cod. hans. IV. 42, 11, 3). Eingefügt in diesen Text fand der Verfas- ser bei der Durchsicht des erhaltenen Teils des Mattheson-Nachlasses drei kleine beschriftete Papierzettel, die sofort seine Aufmerksamkeit erregten. Auf diesen Zetteln sind in Alexandri- nern gedichtete französische Epigramme aufgezeichnet, die sich durch die charakteristischen Handschriften unschwer als autographe Texte von Johann Mattheson und Georg Philipp Te- lemann erkennen lassen. Das erste Epigramm von Mattheson ist am 24. Februar 1746, Tele- manns Antwort am 3. März verfaßt worden. 328 Noch am gleichen Tag schrieb Mattheson da- raufhin eine "Replik auf die Antwort". Während Telemanns Text in seiner bekannten kalli- graphischen Schrift aufgezeichnet ist, sind die beiden Mattheson-Gedichte durch zahlreiche Korrekturen gekennzeichnet, es handelt sich bei ihnen wohl um Entwürfe der an Telemann gesandten Reinschriften. Der inhaltlich-formal sehr offene, unfertig wirkende Aufbau des letzten Gedichtes lässt sogar vermuten, dass es zumindest in dieser Form nicht an Telemann geschickt worden ist. Die Aufbewahrung der Blätter gerade an dieser Stelle des Konvoluts ist nicht zufällig gewählt, denn beide Autoren setzen sich kritisch mit der Societät und ihrem Gründer ausei- nander. Das gegenseitige Einverständnis der beiden in ihrer Ablehnung der Ziele und Ideen Mizlers zeigt sich in dem satirischen Ton, der in allen drei Epigrammen vorherrscht. Matthe- son, der zunächst Mizlers Pläne zur Gründung der Societät begrüßt hatte, nahm bald eine un- versöhnliche Haltung gegenüber Mizler ein, zumal dieser gewagt hatte, Matthesons Schriften öffentlich zu kritisieren. Telemann war zwar selber Mitglied, doch war es im Zusammenhang

327 Mizler 1746, Teil 1, S. 348-356. Die Gesetze stammten aus dem Jahr 1745 und stellten eine Erweiterung und Konkretisierung der bei Gründung der Societät 1738 aufgestellten Artikel dar. 328 Vgl. die Abbildungen XIII. 1-3. Originalgröße der Blätter: 9, 5 x 7,5cm, 18, 5 x 11,5cm, 19,5 x 18 cm. 231 mit der kritischen Besprechung von Telemanns Neuem musikalisches System, einer Methode zur Intervallberechnung, durch Mitglieder der Societät zu Unstimmigkeiten gekommen. 1753 scheint er sogar Mizler gegenüber mit Austritt aus der Gesellschaft gedroht zu haben. 329 Interessant ist die Form des Gedankenaustausches durch übersandte satirische Gedich- te, bedenkt man, dass beide Männer dicht beieinander wohnten und sich theoretisch täglich hätten sehen können. Matthesons Taubheit machte jedoch eine konventionelle Konversation unmöglich. Telemann und Mattheson machten nun aus der Not eine Tugend, indem sie ihre Ansichten in kunstvolle französische Verse kleideten. Der vertrauliche Tonfall in den Gedich- ten ist ein Hinweis auf ein gutes, wenn nicht sogar freundschaftliches Verhältnis der beiden zueinander (die pathetische Apostrophe "Melante, ah!" in Matthesons zweitem Epigramm wird sicherlich zur Erheiterung ihres Adressaten beigetragen haben), nachdem bekanntlich in früheren Jahren besonders die "stachlichte Feder" Matthesons für gelegentliche Unstimmig- keiten gesorgt hatte. 330 Im folgenden sollen die drei Gedichte in moderner bzw. korrigierter Orthographie wiedergegeben werden, wobei altertümliche Formen wie das Verb "dancer" allerdings unverändert bleiben und auch die individuelle Großschreibung einiger Substantive beibehalten werden; jedem Gedicht ist eine kommentierte Übersetzung beigefügt. 331

329 Die Hintergründe für Telemanns kritische Haltung, vor allem die heftigen Auseinandersetzungen um das neue System, sind geschildert bei Jung 1969, S. 84-97. 330 Vgl. hierzu Marx 1986. 331 Der Verfasser bedankt sich herzlichst bei Prof. Dr. Margot Kruse, Emerita am Romanistischen Institut der Universität Hamburg, für die Hilfe bei der korrekten Übertragung und Übersetzung der Texte. 232

Texte

1. Johann Mattheson a Mr. Telemann

Épigramme sur les XXXII. Articles de la Societé musicale.

De ces charmantes loix le tour est tout nouveau. Oh, membres trop heureux d'un Corps si bon et beau! Onze en sont honorez, qui font voir de leur eau; ceux qui lui font honneur sont Teleman e Grau.

Fevr. 24 1746

[Übersetzung:] an Monsieur Telemann

Epigramm über die 32 Artikel der musikalischen Societät.

Die Art dieser reizenden Gesetze ist ganz neu. Oh, ihr überglücklichen Glieder einer so guten und schönen Körpers! Elf von ihnen wurden geehrt, die ihr ganzes Können zeigen, diejenigen, die ihm Ehre erweisen sind Telemann und Graun.

24. Februar 1746

Die Zahl elf bezieht sich auf die 1746 noch lebenden Mitglieder der Gesellschaft (die Grün- dungsmitglieder Conte Giacomo de Lucchesini und Georg Bümler waren bereits 1739 resp. 1745 verstorben). Graun war gerade in diesem Jahr in die Gesellschaft aufgenommen worden. Warum Mattheson die bedeutenden und von ihm so sehr geschätzten Komponisten Georg Friedrich Händel und Christoph Heinrich Stölzel nicht mit unter diejenigen zählte, die der Gesellschaft zur Ehre gereichten, ist verwunderlich. Im Falle Händels hängt es wohl damit zusammen, dass dieser sich nicht um die Migliedschaft beworben hatte, sondern ohne eigenes Zutun als Ehrenmitglied berufen wurde. Die Auslassung des -n- im Namen von Graun dient wohl nur der korrekten Reimbildung.

233

Abbildung XIII.1: Épigramme sur les XXXII Articles de la Societé musicale . Johann Mattheson an Georg Philipp Telemann, 24. Februar 1746

2. Georg Philipp Telemann

Réponse à un[e] Épigramme sur les loix d'une certaine societé.

Loin de m'assujettir à ces loix si sevères Ni de subir le joug du tribut exigé, Je ne fais, qu'admirer de mes savants Confrères La sueur pretieuse et la sagacité. Je baise le vainqueur de nos Quintes cachées; Un Poète fameux, des Rimeurs le plus grand; M'entreloüe avec eux de nôtre renommée; Encore je dis plus: Je dance à leurs dépens.

Mars 3. 1746

234

[Übersetzung:]

Antwort auf ein Epigramm über die Gesetze einer gewissen Societät

Weit davon entfernt, mich diesen so strengen Gesetzen zu unterwerfen oder das Joch des geforderten Tributs zu ertragen, beschränke ich mich darauf, den kostbaren Schweiß und den Scharfsinn meiner gelehrten Mitbrüder zu bewundern. Ich küsse den Besieger unserer verdeckten Quinten; einen berühmten Dichter, den größten unter den Reimeschmieden; ich tausche mit ihnen Lob aus über unser Ansehen; ja ich sage noch mehr: ich tanze (ich mache mich lustig) auf ihre Kosten.

3. März 1746

Abbildung XIII.2: Réponse à un[e] Épigramme sur les loix d’une certaine societé. Georg Philipp Telemann an Johann Mattheson, 3. März 1746

Der "geforderte Tribut" sind die alljährlich von sämtlichen Mitgliedern der Gesellschaft ein- geforderten theoretischen Abhandlungen (vgl. das 8. Gesetz) sowie die Teilnahme an einem gesellschaftsinternen Wettbewerb (Gesetze 12-15), Saumseligkeit sollte sogar durch Geldstra- fen geahndet werden. Mizler wird von Telemann als "Besieger unserer verdeckten Quinten" bezeichnet; er entlarvt ihn damit als pedantischen Besserwisser, dessen Autorität durch den

235 schlechten Ruf seiner eigenen Kompositionen ohnehin kein Gewicht unter Musikern besaß. Die im folgenden Vers bespöttelten Reimkünste beziehen sich vermutlich auf die fünf selbst- gedichteten Texte in Mizlers schon früher von Telemann und Mattheson öffentlich angegrif- fener Odensammlung. Das plump-blutrünstige Soldatenlied "Blitz, Donner und Carthaunen- knall", I, 28, hatte Mattheson schon in der Ehrenpforte verspottet. 332

3. Johann Mattheson

Réplique à la Reponse à une Épigramme sur les loix d'une certaine societé. Mars 3. 1746

Melante, ah! vous rimez, vous rimez à merveille. Je voudrois pouvoir vous rendre la pareille. Un accès de rimer m'a depuis peu saisi, Surtout quand c'est pour vous, très harmonieux ami! Or 333 , que prédise enfin quelqu'exellent Prophète Qui de nous deux sera le plus gentil Poëte? De la Societé connuë, dont il s'agit, Vous parlez comme il faut, entre nous soit dit: J'approuve tout à fait vos sages sentimens; Si vous savez dancer, je chante, à leur depens.

Tout cela est bon mais changeons le ton.

La fantaisie m'a pris d'admirer la Morale, Que Metastasio dans ses écrits étale, Pour montrer à nos Saints, quel'on peut en tout cas Tirer beaucoup de bien même des Opéras. De 334 grace, ditez moi, la feuille parcouruë,

332 Matthesons Kritik findet sich in der Zugabe zur Grundlage einer Ehrenpforte, Hamburg 1740, vgl. die Neu- ausgabe durch Max Schneider, Berlin 1910, S. 420-426. Telemann greift Mizlers Oden indirekt im Vorbe- richt zu seinen eigenen Vierundzwanzig, theils ernsthaften, theils schertzenden, Oden von 1741 an, vgl. Jung 1969, S. 96 Zu den Dichtungen Mizlers vgl. das Nachwort der von Dragan Plamenac besorgten Faksimile- ausgabe der 1738-1742 erschienenen drei Teile von Mizlers Sammlungen auserlesener moralischer Oden (= Mizler 1972), S. 105. 333 Der folgende Zweizeiler steht am Ende des Blattes und ist mit einem Einfügungszeichen versehen. Die ge- naue Bedeutung dieses Einfügungszeichen ist jedoch nicht klar, es könnte auch sein, dass Mattheson den Vers verworfen hat oder ihn doch am Ende des Gedichtes belassen wollte. Vgl. die Abbildung des Originals in diesem Aufsatz. 236

Si peutêtre ce n'est de la peine perduë?

[Übersetzung:]

Replik auf die Antwort auf ein Epigramm über die Gesetze einer gewissen Societät. 3. März 1746. Melante, ach! Ihr reimt, Ihr reimt ganz wunderbar. Ich wünschte, ich könnte Euch gleichermaßen erwidern. Ein Anfall von Reimlust hat mich seit kurzem ergriffen, zumal, wenn es sich um Euch handelt, sehr harmonischer Freund! Nun, es möge endlich ein herausragender Prophet voraussagen, wer von uns beiden der lieblichere Dichter sein wird? Über die bekannte Societät, um die es sich handelt, sprecht Ihr, wie es sich gehört, unter uns sei es gesagt: Ich stimme ganz und gar Euren klugen Ansichten zu; Wenn Ihr es versteht zu tanzen, singe ich, auf ihre Kosten.

All dies ist gut, aber ändern wir den Ton

Die Laune hat mich gepackt, die Moral zu bewundern, die Metastasio in seinen Schriften darlegt, um unseren Heiligen zu zeigen, dass man auf jeden Fall selbst aus Opern viel Nutzen ziehen kann. Um Gottes Willen, sagt mir, wenn Ihr dieses Blatt durchflogen habt, Ob es nicht vielleicht vergebliche Mühe ist?

Das Wortspiel "dancer/chanter a leurs dépens" soll wohl bedeutenden, dass Mattheson sich nicht nur, wie Telemann, insgeheim über Mizler und die Societät lustig machen wird, sondern seinen Spott auch in aller Öffentlichkeit verbreiten will. Im zweiten Teil des Gedichtes findet sich eine eindeutige Stellungnahme Matthesons zu den von Mizler 1740 im zweiten Band der musikalischen Bibliothek veröffentlichten opernkritischen Aufsätzen Muratoris, Gottscheds

334 Auch dieser Zweizeiler könnte nach dem nicht ganz eindeutigen Einfügezeichen in den ersten Teil des Ge- dichtes gehören, vor den in Anmerkung 6 beschriebenen Zweizeiler. Der ganze zweite Teil des Gedichtes wirkt etwas zusammenhanglos, ihm fehlt der für das Epigramm charakteristische pointierte Abschluss, der sich dafür schon am Ende des ersten Teils ("J'approuve..." bis "...à leur depens") findet. Dies spricht für den oben erwähnten fragmentarischen Charakter des Epigramms. 237 und anderer Autoren. 335 Die "Heiligen" sind wohl entweder die Mitglieder der Societät, oder die Verfasser der erwähnten Schriften. Der Opernstreit hatte bekanntlich zu heftigen Ausei- nandersetzungen zwischen Mattheson und Gottsched geführt. Mit Pietro Metastasio, dessen Libretti sich durch ihre ernsthafte ethische Haltung auszeichnen, führt Mattheson einen be- kannten und anerkannten Autor an, durch dessen Werke er die Vorwürfe der Operngegner zu entkräften sucht. 336 Zur Zeit des Austauschs der Epigramme standen zahlreiche Werke Meta- stasios in Interpretationen der Truppe Pietro Mingottis auf dem Spielplan des Hamburger Opernhauses. 337 Sie könnten für Mattheson eine Bestärkung seiner Idee von der Oper als „Moralische Anstalt“gewesen sein. 338

Nachweis: Der Artikel erschien unter: “... sur les loix d’une certaine societé” Die Mizlersche Societät der musikalischen Wissenschaften im Urteil Georg Philipp Telemanns und Johann Matthesons , in: W. Hobohm / B. Reipsch (Hrsg.), „Telemann und Bach“ (= Magdeburger Telemann-Studien, Bd. XVIII), Hildesheim 2005, S. 206-213.

335 Vgl. Mizler 1736, S. 1-27 (D. Ludwig), S. 28-37 (Pater Porée), Mizler 1740, S. 162-198 (Muratori), Mizler 1746, S. 1-49 (Gottsched). Mizler veröffentlichte in der Musikalischen Bibliothek allerdings auch die Ver- teidgungsschriften zugunsten der Oper von Ludwig Friedrich Hudemann und Johann Friedrich v. Uffenbach, zudem fügte er den Ausführungen kritische Kommentare bei, die zeigen, dass er selbst keineswegs die Gat- tung Oper verurteilte. 336 Vgl. Kross 1983. 337 Zahlreiche Nachweise bei Marx/Schröder 1995. 338 Vgl. Böning 2011, S. 371-377. 238

Abbildung XIII.3: Réplique à la Réponse à une Épigramme . Johann Mattheson an Georg Philipp Tele- mann, 3. März 1746

239

240

Schlussbetrachtung

Seit den negativen, zum Teil völlig verständnislosen Kritiken des 19. Jahrhunderts über die „opernhafte“ Kirchenmusik gerade der Hamburger Komponisten des frühen 18. Jahrhunderts und ihrer Textdichter 339 haben sich die ästhetischen Urteile zur deutschen protestantischen Musik des Spätbarock beträchtlich gewandelt. Vor allem das kirchenmusikalische Schaffen Georg Philipp Telemanns hat in den letzten Jahren eine eindrucksvolle Neubewertung erlebt, was auch an der zunehmenden Präsenz dieser Werke, vor allem der Oratorien und Passionen, im heutigen Konzertleben zu beobachten ist. Seine Werke sind auch, etwa durch die bei Bä- renreiter veröffentlichte Telemann-Auswahlausgabe, relativ gut in zuverlässigen Editionen zugänglich, auch wenn einige bedeutende Werkgruppen, etwa die späten oratorischen Passio- nen, oder die Kantaten bzw. Oratorien aus dem sogenannten „Oratorischen Jahrgang“ von 1731/32 auf die Dichtungen Albrecht Jacob Zells, noch nicht ausreichend erschlossen sind. Durch die Wiederentdeckung des Großteils der für lange Zeit verschollenen Oratorien Matthesons, aber auch von zwei bedeutenden Oratorien Reinhard Keisers (dem Weihnachts- dialog und dem Passionsoratorium nach Hunold von 1729; die Brockes-Passion und der Sie- gende David waren schon seit langem bekannt), ist zu hoffen, dass auch diese beiden Ham- burger Musikerpersönlichkeiten zunehmend im öffentlichen Musikleben als Komponisten attraktiver Kirchenmusiken wahrgenommen werden. Für die erfolgreiche Aufführung dieser Werke ist jedoch immer wieder darauf hinzuwei- sen, dass es sich um echte dramatische Musik handelt. Sie bedarf gerade bei der Ausführung der Gesangspartien Interpreten, die den opernhaften Gestus transportieren können, wozu Ex- pressivität, Virtuosität und eine vorbildliche Deklamationskunst benötigt werden.: Nicht um- sonst hatte Mattheson für seine Dommusiken bevorzugt Sänger und Sängerinnen der Ham- burger Oper engagiert. Orchestrale Effekte, wie der solistische Einsatz der Holzbläser, unge- wöhnliche Klangkombinationen unter Verwendung seltener Instrumente wie dem Glocken- spiel dienten ebenfalls nicht allein dem „Nervenkitzel“ eines sensationshungrigen Publikums, sondern wurden gezielt zur Darstellung von seelischen Zuständen oder auf Grund einer be-

339 Friedrich Chrysander bezeichnete den Text der Brockes-Passion noch als „Machwerk“, vgl. Chrysander 1858, S. 447. 241 sonderen Klangsymbolik eingesetzt. Ziel dieser Musik ist die Erregung heftiger Affekte, wo- für häufig drastische Mittel eingesetzt werden, die im Gegensatz zu dem tradierten Bild von "wahrer Kirchenmusik" stehen, ein Bild, das heute noch oft durch die Ästhetik des späten 18. und des 19. Jahrhunderts geprägt ist. Mattheson bekennt selbst im Musicalischen Patrioten:

Ich habe sonst in der Kirche (so fremd einem auch die Worte scheinen) eben die Absicht mit der Music, als in der Opera, nemlich diese: Daß ich die Gemüths-Neigungen der Zuhörer rege machen, und auf gewisse Weise in Bewegung bringen will, es sey zur Liebe, zum Mitleid, zu Freude, zur Traurigkeit &c. 340

Vielleicht ändert sich durch die zunehmende Beschäftigung mit dieser „theatralischen“ Kir- chenmusik auch der Umgang mit den auf den ersten Blick so völlig anders gearteten großen Kirchenkompositionen Johann Sebastian Bachs. Gerade seine Musik wird häufig auf Grund überkommener Aufführungstraditionen und der geänderten Auffassung von der Funktion und Wirkung von Kirchenmusik mit einer gewissen Ausdrucksarmut oder „Schlichtheit“ aufge- führt, um nicht mit dem Vorwurf einer zu weltlichen oder dramatischen Interpretation kon- frontiert zu werden. Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass Bach in Leipzig einerseits Kanta- ten von Telemann, Arien aus der Brockes-Passion von Händel und vielleicht sogar ein Magni- ficat von Johann Mattheson im Gottesdienst aufführen ließ, aber, anders als bei den Werken dieser auswärtigen Meister, bei seinen eigenen Kantaten und Passionen einen vollständig an- deren, "zurückgenommenen" Interpretationsstil von seinen Musikern verlangt hätte. Die meisten von Bachs Kantaten entsprechen formal dem Typus der von Erdmann Neumeister geschaffenen Form des auf Kombination von madrigalischer Dichtung, biblischen Dicta und Liedstrophen basierenden „ordentlichen Kirchenstückes“,341 stellen also nach der Definition von Theoretikern wie Neumeister oder Scheibel ebenfalls „theatralische Kirchen- musik“ dar, die nach einer entsprechenden Interpretation verlangen. 342 Bachs bekanntes Paro- dieverfahren, also die Praxis, durch Kontrafakturen weltliche Glückwunsch-Serenaten (die er selbst häufig als „Dramma per musica“ bezeichnete) in geistliche Kantaten umzuwandeln, zeigt, dass er selbst diese Werke ganz eindeutig als theatralische Musik betrachtete. Selbst die strengen, im kontrapunktischen Stil gesetzten fugierenden Chorsätze und Choralbe- arbeitungen dienen, ähnlich wie in Matthesons Kirchenkompositionen, auch der stilistischen

340 Mattheson 1728, S. 105, zitiert nach Böning 2011, S. 371. 341 Mattheson 1739, S. 215. 342 Vgl. Poetzsch 2006, S. 54-69. 242

Vielfalt, die von Mattheson und Walther 343 als besonderes Qualitätsmerkmal des Oratorium in seiner protestantisch-norddeutschen Ausprägung hervorgehoben wurde.

343 Vgl. S. 36. 243

244

Samenvatting

I. JOHANN MATTHESON ALS COMPONIST VAN KERKMUZIKALE WERKEN : ONDERZOEK EN PER-

SPECTIEVEN De Hamburgse muziekgeleerde en componist Johann Mattheson (1781-1764) was in 1715- 1728 als muziekdirecteur verbonden aan de Dom in Hamburg. Gedurende deze jaren compo- neerde hij een reeks oratoria, waarvan er 20 bewaard zijn gebleven. De receptie en historische achtergrond van deze werken, die als belangrijke bijdrage aan het genre van het Noord-Duitse protestantse oratorium gelden, worden in dit hoofdstuk behandeld. De oratoria van Mattheson en zijn tijdgenoten stonden onder invloed van de in het Ganzenmarktheater gevestigde Duitse barokopera. De Hamburgse Dom bezette een bijzondere positie onder de grote kerken van Hamburg, aangezien deze als extraterritoriaal gebied door buitenlandse mogendheden werd beheerd en onafhankelijk was van de gemeentelijke overheid. Tijdens de periode van Matthe- sons cantoraat viel het Domkapittel achtereenvolgens onder het gezag van de Zweedse en Engelse koning. Deze bijzondere status betekende dat de muzikale organisatie in de Dom vanaf het einde van de 17de eeuw onafhankelijk van het gemeentebestuur verliep. Vooral tijdens het cantoraat van de conservatieve plaatselijke muziekdirecteur Joachim Gerstenbüttel fungeerde de Dom als een kweekvijver voor de moderne, theatrale kerkmuziek, waarbij vaak zangers en zangeressen van de opera optraden, ook in de binnen de liturgische context thuis- horende Figuralmusiken .

II. KERKMUZIKALE EN THEATRALE STIJL IN DE ORATORIA VAN JOHANN MATTHESON Matthesons oratoria zijn in gelijke mate beïnvloed door zowel de Italiaanse, Duitse en Franse operamuziek als de traditionele kerkmuzikale stijl. De laatste manifesteert zich in complexe contrapuntische vormen (fuga’s, canons) en uitgebreide koraalbewerkingen. De synthese van verschillende stijlelementen in Matthesons kerkcomposities wordt hier aan de hand van gesel- ecteerde voorbeelden onderzocht.

III. AFZONDERLIJK GEPRESENTEERDE WERKEN Vier individuele composities van Mattheson, te weten twee qua vorm zeer verschillende Kers- toratoria ( Die heilsame Geburt en Das größte Kind ), een oratorium op een Evangelietekst (Chera ) en een werk met een oudtestamentisch onderwerp ( David ) worden afzonderlijk ge- presenteerd. Naast de muziekdramaturgische totaalopbouw komen hierbij ook enkele opmer-

245 kelijke individuele delen aan de orde. Van het Kerstoratorium Die heilsame Geburt , Matthe- sons oudste kerkmuzikale werk, vermoedelijk omstreeks 1705 ontstaan, zijn in totaal drie versies bekend, die in enkele opzichten aanzienlijk van elkaar verschillen.

IV. HET ORATORIUM “AUF DAS ABSTERBEN DES KÖNIGES VON GROßBRITANNIEN GEORG I” De uitvoering van de treurmuziek die Mattheson schreef naar aanleiding van de dood van koning George I van Groot-Brittannië in 1727, werd door de buitenlandse autoriteiten onder wier gezag het Domkapittel viel, verboden. De omstandigheden die tot dit besluit leidden kunnen aan de hand van bronnen in archieven worden blootgelegd. Mattheson en zijn libret- tist Wend oriënteerden zich bij hun tweedelige Uitvaartoratorium of Epicedium aan een op vergelijkbare wijze samengesteld werk uit 1719, dat Mattheson bij gelegenheid van de dood van de koning van Zweden had gecomponeerd. De partituur laat een uitgesproken gevarieerd beeld zien, onder meer qua instrumentatie, keuze van de toonsoorten en compositietechniek – middelen die Mattheson inzet ten behoeve van de uitbeelding van affecten. Karakteristiek voor de treurmuziek van destijds is het gebruik van gedempte trompetten en pauken.

V. HET KLOKKENSPEL IN JOHANN MATTHESONS ORATORIA VOOR DE DOM TE HAMBURG Een bijzonderheid die men in de partituur van de hierboven beschreven treurmuziek aantreft, namelijk het gebruik van een klokkenspel, staat hier centraal. In totaal vier afzonderlijke wer- ken van Mattheson vragen om het gebruik van dit instrument, dat waarschijnlijk een instru- ment met klaviatuur, een klokkentoetsenbord, was. De symboliek van de klank die Mattheson tot het gebruik van dit instrument aanleiding zal hebben gegeven, varieert van werk tot werk. In het Uitvaartoratorium en in Chera zal dit, overeenkomstig een wijd verbreid barok concept, voor de weergave van treurklokken zijn geweest. In het Kerstoratorium Der verlangte und erlangte Heiland begeleidt het instrument een aria van de oudtestamentische zanger Asaf, waarbij de klank dient ter imitatie van de instrumenten die in het oude Israël bij de tem- pelzang werden gebruikt. De omvangrijkste partij voor het klokkenspel bevindt zich in de Brockes-Passion van 1718, waarin de zilveren klank van het instrument wordt gebruikt om in de scène van het Laatste Avondmaal een “Brunnquell” (bron) uit te beelden. Daarnaast bevinden zich in twee grote koraalbewerkingen van deze compositie uitvoerige, voor een deel virtuoos geschreven passages voor het instrument. Terwijl in de partituur van dit werk de partij in klaviernotatie is vastgelegd, bevindt zich om de nalatenschap van Mattheson een handschrift met een niet na-

246 der gespecificeerd alternatief. Vermoedelijk werd deze vervaardigd ten behoeve van een aan- passing van de partij waarbij Mattheson in een latere uitvoering een verillon inzette.

VI. VOERDE JOH . SEB . BACH IN LEIPZIG KERKMUZIEK VAN JOHANN MATTHESON UIT ? Hier wordt de mogelijke receptie van Matthesons muziek door Johann Sebastian Bach be- sproken. Mattheson componeerde een Duitstalig dubbelkorig Magnificat, dat hij zelf tijdens Kerstmis in 1718 samen met Der verlangte und erlangte Heiland in de Dom te Hamburg uit- voerde. Het Magnificat ontstond echter reeds in maart 1716. De parafraserende dichtkunst die aan het stuk ten grondslag ligt, is afkomstig van de invloedrijke gravin Maria Aurora von Kö- nigsmarck, proost en administrateur van “Reichsstift” Quedlinburg, die zich vaak in Hamburg ophield. Interessant is de vaststelling dat dezelfde dichtkunst aanwezig is in een tekstdruk voor de kerkmuziek die tijdens Visitationis Mariae in de Thomaskirche te Leipzig werd uit- gevoerd, misschien zelfs onder leiding van Bach. Uit een opdracht aan het begin van een publicatie van Mattheson, die tot nu toe in het onderzoek over het hoofd werd gezien, kan men afleiden dat Mattheson het Magnificat in 1716 te Quedlinburg ter gelegenheid van de naamdag van de dichteres uitvoerde. Door deze aanwijzing wordt de hypothese ondersteund dat te Leipzig daadwerkelijk de compositie van Mattheson kan zijn uitgevoerd.

VII. JOHANN MATTHESONS HOCHZEITSMUSIKEN Naast zijn oratoria en opera’s componeerde Mattheson ook een reeks kortere wereldlijke ge- legenheidswerken voor huwelijksfeesten in Hamburg. Hiervan bleven vier serenatas en een cantate bewaard. De bijzondere maatschappelijke context waarin in Hamburg de bruiloftsmu- ziek van Mattheson en zijn tijdgenoten tot klinken kwam, kan worden gereconstrueerd aan de hand van talrijke andere gedrukte teksten uit de Hamburgse Commerzbibliothek, die als ap- pendix bij deze bijdrage zijn gevoegd. Hiertoe diende ook het onderzoek in het Staatsarchief te Hamburg, ten gevolge waarvan plaatsen van handeling, biografische informatie over bruid en bruidegom, en in sommige gevallen zelfs informatie over de deelnemende muzikanten konden worden bepaald. De allegorische inhoud van de stukken waarin doorgaans goden uit de antieke oudheid ten tonele worden gevoerd, bevatten eveneens vaak zeer specifieke toe- spelingen op de biografieën van de opdrachtgevers. Bij Mattheson is het genre van de Hochzeitsserenata sterk door de stijl van de toenma- lige opera beïnvloed. Interessant is het geval van een cantate, die binnen de serenata Die über die Entfernung triumphierende Beständigkeit door de god Apollo en twee muzes wordt ge-

247 presenteerd – een scène die vermoedelijk op Reinhard Keisers opera L’Inganno fedele van 1714 zinspeelt, waarin een vergelijkbare situatie voorkomt. Naast de drie werken, geschreven voor bruiloften van rijke burgerlijke families, componeerde Mattheson in 1719 ook twee se- renatas voor feesten aan het hof van de hertog van Holstein-Gottorf, die bij tijden in Hamburg resideerde. Aan deze optredens werkten vier bekende operazangers mee, onder wie de Ita- liaanse castraat Campioli. Een van de beide werken voor het hof van Holstein, Die Vergnügte Nacht , is gebaseerd op een libretto van Johann Ulrich von König uit 1715 met de titel Die keusche Liebe , oorspronkelijk ontstaan vanwege een huwelijk in Hamburg, en waarvan de muziek eveneens bewaard is gebleven.

VIII. HET GEBRUIK VAN HOUTEN BLAASINSTRUMENTEN IN WERKEN VAN HAMBURGSE OPERA-

COMPONISTEN UIT DE BAROK De partituren van Hamburgse operacomponisten uit de vroege 18de eeuw onderscheiden zich door een zeer vernuftige instrumentatietechniek. Vooral de houten blaasinstrumenten werden voor een deel op een originele manier ingezet. Ten behoeve van het onderzoek naar deze in- strumenten worden hier allereerst de weinige bewaard gebleven partituren onderzocht (Con- radi, Kusser, vroege werken van Reinhard Keiser), waarbij een grote invloed van de Franse orkestrale techniek valt waar te nemen. Vervolgens worden geselecteerde partituren van de componisten Reinhard Keiser, Johann Mattheson, Georg Philipp Telemann, Christoph Graupner en Georg Friedrich Händel behandeld. Daarin worden niet alleen opera’s, maar ook oratoria, alsmede Reinhard Keisers enig bewaard gebleven Hochzeitsserenata ter vergelijking betrokken. Alle in Hamburg gebruikelijke houten blaasinstrumenten worden hierbij na elkaar behandeld: hobo, fagot, fluit en traverso, kleine fluiten (piccolo of flageolet) en chalumeau. Hierbij toont zich vooral bij Keiser en Graupner een voorliefde voor extravagante bezettingen en klankcombinaties. Onderzoek van oratoriumpartituren van Keiser, Mattheson en Tele- mann, maar ook van Händels Brockes-Passion laat zien, hoezeer de kerkmuziek in die tijd ook met betrekking tot de instrumentatie van de gelijktijdige operamuziek afhankelijk was.

IX. HÄNDEL ’S BORROWINGS UIT JOHANN MATTHESONS OPERA PORSENNA (1702) Mattheson schreef in zijn Critica musica uit 1726 dat Georg Friedrich Händel in een aria uit diens opera Agrippina een melodie had geciteerd uit Matthesons opera Porsenna daterend van 1702. Nu Matthesons muzikale nalatenschap sinds enige tijd weer toegankelijk is, kon deze opmerking aan de hand van de autografische Porsenna -partituur worden geverifieerd. Daarbij

248 viel op dat Händel nog in drie andere gevallen thema’s uit Matthesons opera citeerde, name- lijk in de opera‘s Rinaldo en Radamisto , alsmede in de Latijnse Vesperpsalm Laudate Pueri (HWV 237). Door het vergelijken van de door Händel geparodieerde originelen uit Matthe- sons opera kunnen verschillende aspecten van Händels borrowing technique worden ge- presenteerd. Bijzonder interessant is het voorbeeld uit Rinaldo : in de aria “Sovra balze scoscesi” worden naast het Porsenna -thema ook twee motivische bouwstenen ingevoegd die afkomstig zijn uit opera’s van Reinhard Keiser.

X. „...D IESES MUSIKALISCHE BUND STROH “. EEN ONBEKEND ORATORIUM VAN GEORG PHILIPP

TELEMANN NAAR HET OORDEEL VAN CARL VON WINTERFELD EN FRIEDRICH CHRYSANDER

In dit en het volgende hoofdstuk staan drie oratoria van Georg Philipp Telemann centraal die in afschriften uit de tweede helft van de 18de eeuw ten onrechte aan Georg Friedrich Händel zijn toegeschreven. Een van deze werken, Die Erlösung des Volks Gottes aus Egypten , waar- van de partituur zich in Berlijn bevindt, behandelt de uittocht van het volk van Israel uit Egypte en de ondergang van het Egyptische leger in de Rode Zee. Telemanns auteurschap is niet geheel zeker, doordat het Hamburgse materiaal voor de uitvoering van dit werk, dat als oratorium voor het Johannisfest in 1731 in de Hamburgse hoofdkerken tot klinken werd ge- bracht, eveneens in Berlijn bewaard ist; daarnaast is ook de gedrukte tekst overgeleverd. Door deze vondst kan het werk als onderdeel van de slechts ten dele bewaard gebleven, zogenoem- de “Oratorische Jahrgang” geïdentificeerd worden, die Telemann op door Albrecht Jacob Zell gedichte teksten schreef. De muziekgeleerde Carl von Winterfeld, die de Berlijnse partituur onderzocht, hield het werk echter voor een jeugdwerk van Händel, en beoordeelde de compo- sitie relatief positief. Friedrich Chrysander ging in het eerste deel van zijn Händel-biografie eveneens op het oratorium in, waarbij hij de mening van Winterfeld weerlegde, de muzikale makelij van het werk heftig bekritiseerde en met name de voor Telemann kenmerkende klank- schilderingen aanviel. Chrysanders oordeel is karakteristiek voor de negatieve beoordeling van Hamburgse oratoria uit de barok door muziekhistorici uit de tweede helft van de 19de eeuw.

XI. „D ER AUS DER LÖWENGRUBE ERRETTETE DANIEL “: EEN ONBEKENDE HAMBURGSE ‘M ICHA- ELISMUSIK ’ VAN GEORG PHILIPP TELEMANN

Een tweede groot oratorium, een werk voor Michaelis met de titel Der aus der Löwengrube errettete Daniel , kan eveneens aan Telemann worden toegeschreven, hoewel er geen bronnen 249 zijn die dit rechtstreeks bewijzen. De aan Händel toegeschreven, sinds lang vermiste partituur van het werk, die in de universiteitsbibliotheek van Königsberg (thans Kaliningrad) werd be- waard, dook enige tijd geleden op in de Litouwse nationale bibliotheek te Vilnius. Opvallend genoeg stamt het afschrift van dezelfde schrijver die ook de Berlijnse partituur van Die Erlö- sung des Volks Gottes maakte. Een vergelijking van beide werken laat zien dat ze qua opbouw sterk op elkaar lijken. De beide tweedelige composities, die in de traditie van de mede door Mattheson in het leven geroepen Hamburgse kerkoratoria staan, behandelen een dramatisch verhaal uit het Oude Testament, dat door allegorische figuren becommentarieerd en geïnter- preteerd wordt, en door wie een theologische duiding van het bijbelverhaal wordt geformu- leerd. Via exemplarische muziekvoorbeelden worden enkele elementen van de partituur blootgelegd die zeer karakteristiek zijn voor Telemanns persoonlijke stijl uit deze jaren. Op grond van de structurele gelijkenissen met het Johannis-Oratorium kan er bovendien van worden uitgegaan, dat ook Der aus der Löwengrube errettete Daniel als behorend tot de “Oratorische Jahrgang” moet worden beschouwd.

XII. VROOMHEID , WIJSHEID EN HEERLIJKHEID : ‘S ALOMONISCHES ’ UIT HET JAAR 1759 BIJ HÄN- DEL EN TELEMANN

Voor de feesten van de Hamburgse Bürgerkapitäne creëerde Telemann elk jaar een groot feestelijk muziekstuk, bestaande uit een geestelijk oratorium en een wereldlijke serenata. Slechts een deel van de partituren van deze werken is overgeleverd. Het libretto van het ver- dwenen oratorium uit 1759 is van bijzonder belang, omdat het hetzelfde onderwerp behandelt als datgene wat ook als basis voor Händels Londense oratorium Solomon HWV 67 diende. In beide werken worden verschillende episodes uit het leven van koning Salomo uitgebeeld, waarbij naast een huldigingscène voor de koning het beroemde oordeel van Salomo en het bezoek van de koningin van Sheba tot thema worden genomen. Koning Salomo wordt hierbij tot zinnenbeeld van een rechtvaardig, godvruchtig, door buitenlandse gasten bewonderde heerser, wat in gelijke zin op de Engelse koning Georg II en op het bestuur van de stad Ham- burg kan worden toegepast. Een sterke structurele verwantschap is vooral waarneembaar met de tweede versie van Händels oratorium uit 1759, die tegenover het orgineel sterk is ingekort. Ten dele betreft het opvallende tekstuele overeenkomsten, die tot de veronderstelling aanlei- ding geven dat Telemanns tekstdichter het Engelse oratoriumlibretto kende. Eventueel komt de jonge dichter Daniel Schiebeler als tekstdichter van het oratorium in aanmerking. Schiebe- ler is naar Engeland afgereisd en heeft vertalingen van Engelse teksten gemaakt.

250

XIII. “... SUR LES LOIX D ’UNE CERTAINE SOCIETE ”. DE “M IZLERSCHE SOCIETÄT DER MUSIKALI- SCHEN WISSENSCHAFTEN ” VOLGENS HET OORDEEL VAN GEORG PHILIPP TELEMANN EN JOHANN MATTHESON

Het laatste hoofdstuk van deze dissertatie bevat een becommentarieerde transcriptie en ver- taling van drie Franse epigrammen uit 1746, die de auteur van deze bijdrage in de nalaten- schap van Johann Mattheson ontdekte. Deze in een autograaf bewaard gebleven epigrammen ontstonden als reactie op de verzonden Statuten van de Societät der musikalischen Wissen- schaften en zijn afkomstig van Mattheson zelf (nrs. 1 en 3) en zijn Hamburgse collega en vriend Georg Philipp Telemann (nr. 5). Beiden verraden door de in een spottende toon ge- schreven gedichten hun kritische houding tegenover de Theoreticus Lorenz Christoph Mizler, de oprichter en leider van de sociëteit.

251

252

Literatur- und Quellenverzeichnis

1. LIBRETTI / TEXTDRUCKE ZU MATTHESONS ORATORIEN

Textdrucke in NL-DHnmi (ehemals Musiksammlung des Gemeente-Museums Den Haag, Sammlung Daniel F. Scheuerleer)

Der / aus dem Löwen-Graben / befreyte, himmlische / DANIEL. / Bey Heiliger Oster-Feyer / In einem / ORATORIO / aufgeführet / Von / MATTHESON. 2 - I - 122

Die gnädige Sendung / Gottes / Des / Heiligen Geistes / Zur Erweckung / Christlicher An- dacht / Am / Dritten heiligen Pfingst-Tage / in hiesiger Stiffts-Kirche / auffgeführet / Von / Mattheson / --- / HAMBURG 2 - I - 123

Der / aller-erfreulichste / TRIUMPH / in einem / ORATORIO / vorgestellet / und / Zu GOttes Ehren / auch mehrerer Auffnahm und / Beförderung der Music / am dritten / H. Oster-Tage / in hiesiger / Cathedral-Kirche / auffgeführet / von Mattheson. / Direct. /---/ HAMBURG 2 - I - 124

Der / Verlangte / Und / Erlangte Heiland / Zur Bezeugung GOtt-gewidmeter / Weynachts- Freude / Sammt angehängtem / Zwey-Chörichten / MAGNIFICAT, / Oder / Lob-Gesang Ma- riä / Musicalisch gesetzet / Und / Aufgeführet / Von / MATTHESON. / --- / HAMBURG 2 - I - 125

Die / durch / Christi Auferstehung / bestätigte / Auferstehung aller / Todten / Musicalisch gesetzet / und / am Heil. Oster-Feste / aufgeführet / von / J. MATTHESON, / Hoch-Fürstl. Schleswig-Hollsteinischem Capellmeister. 2 - I - 126

Der / Blut-rünstige / Kelter-Treter / Und / Von der Erden erhöhete / Menschen-Sohn / Zur Fasten-Zeit / In Melodien / gebracht / Von / MATTHESON, / Ihro Königl. Hoheit / des regie- renden Hertzogs zu Schleswig-Holstein ecc. / Capellmeister / auch Directore der Music in der Hamburgischen / Stiffts-Kirche 2 - I - 127

Christi / Wunder-Wercke / Bey den / Schwachgläubigen. / In die Music gebracht / Und / Am fünfften Sonntage / nach Trinitatis / aufgeführet / von / MATTHESON. / Hochfürstl. Schles- wig-Holsteinischem Capellmeister. 2-I-128 253

Die / glücklich-streitende / Kirche / auf / den achten Sonntag nach / Trinitatis / gerichtet / und / componiret / von / Mattheson. / --- / In Hamburg. 2 - I - 129

Das / irrende / und / wieder zu recht gebrachte / Sünden-Schaaf / am / Dritten Sonntage / nach / Trinitatis / in einem / ORATORIO / vorgestellet / von / MATTHESON, / Hochfürstl. Schleswig-Hollsteinischem Capellmeister / auch Directore / der Music im Dom zu Hamburg. / --- / Hamburg 2 - I - 130

CHERA, / oder / Die Leidtragende und / getröstete / Wittwe zu Nain. / Am XVI Sonntage nach Trinitatis / auffgeführet / Von / MATTHESON, / Hoch-Fürstl. Schleswig-Holst. Capellmeister. 2 - I - 131

Die Freuden-reiche / Geburt / und / Menschwerdung / unsers / HErrn und Heilandes / Jesu Christi, / nach dem Evangelisten Lucas / Musicalisch gesetzt / und aufgeführet / von / MATTHESON. 2 - I - 132

Der / reformirende / JOHANNES, / an dem / durch die Gnade Gottes erlebten / Zweyten / Jubel-Feste / der / Evangelisch-Lutherischen / Kirche / nach der heilsamen Reformation / des seel. Lutheri / [...] d. 31. Octobr. Anno 1717 / als am XXII. Nach Trinitatis / […] in der Dom- Kirche daselbst musikalisch auffgeführet / von / Mattheson , Hamburg 1717 2 - I - 133

Die / Göttliche Vorsorge / über / Alle Creaturen / in einem / ORATORIO / auff den / Funff- zehnten Sonntag nach / Trinitatis / vorgestellet und componiret / von / Mattheson. /---/ Ham- burg 2 - I - 134

254

Textdrucke in D-Ha:

Der / Siegende Gideon / wurde, wegen des durch [...] Karl des VI. / glückliche Waffen, / [...] wider den Erb-Feind am 16. August 1717 / befochtenen herrlichen / Sieges / und darauff er- folgten Ubergabe der / Haupt-Vestung / Belgrad, / bey feyerlichster Begehung des am XVIII. post Trinitatis / als den 26. Sept. verordneten / Hamburgischen Danck-Festes / in dasiger Stifts-Kirche / auffgeführet von / Mattheson , Hamburg 1717 Nr. 4 in Smbd A 650/0009

Der / reformirende / JOHANNES, / an dem / durch die Gnade Gottes erlebten / Zweyten / Jubel-Feste / der / Evangelisch-Lutherischen / Kirche / nach der heilsamen Reformation / des seel. Lutheri / [...] d. 31. Octobr. Anno 1717 / als am XXII. Nach Trinitatis / […] in der Dom- Kirche daselbst musikalisch auffgeführet / von / Mattheson , Hamburg 1717 Nr. 13 in Smbd A 610/0051a

Das fröliche Sterbelied, / womit der / nunmehro wolseelige / Legations-Rath, / Herr / Johann Mattheson, / ihm selbst, / harmonisch und poetisch, / im 83sten Jahre seines Alters, / zu Gra- be gesungen […], Hamburg, Dietrich Anton Harmsen 1764 Nr. 26 in Smbd A 710/0085

Textdrucke in D-Hs (als Beilagen zu den autographen Partituren Matthesons):

Der siegende Gideon 1717 (vollständiger Titel siehe oben) Beilage zu ND VI 128

Die / glücklich-streitende / Kirche / auf / den achten Sonntag nach / Trinitatis / gerichtet / und / componiret / von / Mattheson. / --- / In Hamburg. [1718] Beilage zu ND VI 132

Das / Betrübte Schweden / Wurde / Als ein hiesiges / Hoch-Ehrwürdiges Dom-Capitel / Ihro in GOtt ruhenden / Königl. Maj. von Schweden ec. / CAROLO XII. / Am 26. Febr. 1719 / In der Stiffts-Kirche / Die schuldigsten PARENTALIA / feyerlich halten ließ / In einer / trauer- Music / aufgeführet / Von / J. MATTHESON, / Canon min. & Direct. Chori Cathedr. , Ham- burg 1719 Beilage zu ND VI 134

Die / Frucht des Geistes / in einem / ORATORIO / auf / Pfingsten [Hamburg 1719] Beilage zu ND VI 135

Das / Große in dem Kleinen / oder / GOTT / in dem Herzen / eines gläubigen Christen [Ham- burg 1722] Beilage zu ND VI 142

255

Nachdrucke in Anthologien:

Der / gegen seine Brüder / barmhertzige Joseph, / am vierten Sonntage nach dem Feste / der Heil. Dreyeinigkeit / aufgeführet von / Mattheson, in: Tobias Heinrich Schubart: T. H. Schubarts, Predigers an S. Mich. / zu Hamburg, / Ruhe nach geschehener Arbeit, / in unter- schiedlichen / Gedichten […], Hamburg, Johann Christoph Kistner 1733, S. 226-231

Der / aus dem Löwen-Graben befreyete, / Himmlische Daniel, / bey heiliger Oster-Feyer, / in einem / ORATORIO / aufgeführet von / Mattheson , in: Tobias Heinrich Schubart: T. H. Schubarts […] Ruhe nach geschehener Arbeit, S. 217- 224.

Die / durch Christi Auferstehung / bestätigte Auferstehung aller Todten / Am Heiligen Oster- Feste 1720 und 1721 in der / Hamburgischen Dom-Kirche aufgeführet / [Christian Friedrich] Weichmann, in: PdN 1, S. 256-267

256

2. EDITIONEN

HHA II/1 Georg Friedrich Händel: Almira , hrsg. von Dorothea Schröder, Kassel 1994 (= Hallesche Händelausgabe, Band II/1)

HHA I/7 Georg Friedrich Händel: Passion nach Barthold Heinrich Brockes: Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus , hrsg. von Felix Schröder, Kassel 1965 (= Hallesche Händelausgabe, Band I/7)

ChrA Suppl. 6 Reinhard Keiser: Octavia , hrsg. von Friedrich Chrysander, Leipzig 1902 (=G.F. Händel's Werke, Supplement Band 6)

DDT 37/38 Reinhard Keiser: Crösus / Arien und Chöre aus L'Inganno fedele , hrsg. von Max Schneider, Leipzig 1912 (Denkmäler deutscher Tonkunst, Band 37/38)

EDM 86 Reinhard Keiser: Masaniello furioso , hrsg. von Hans-Joachim Theill, Mainz 1986 (= Das Erbe deutscher Musik, Band 86)

Handel-Sources 3 Reinhard Keiser: Claudius / Nebukadnezar, hrsg. von John Roberts

MEO 7 Reinhard Keiser: Desiderius, König der Longobarden , hrsg. von Hansjörg Drauschke, Beeskow 2005 (=Musik zwischen Elbe und Oder, Band 7)

Die Oper 1 Reinhard Keiser: Die großmütige Tomyris , hrsg. von Klaus Zelm, Mün- chen 1975 (= Die Oper, Band 1)

Keiser 2007 Reinhard Keiser: Weihnachtsoratorium: Dialogus von der Geburt Christi , hrsg. von Christine Blanken, Stuttgart 2007

EDM II/3 Johann Sigismund Kusser: Arien, Duette und Chöre aus "Erindo oder Die unsträfliche Liebe" , hrsg. von Helmuth Osthoff, Braunschweig 1938 (= Das Erbe deutscher Musik, II: Schleswig-Holstein und Hanse- städte, Band 3)

RRMB 44/45 Antonio Lotti: Duetti, Terzetti, e Madrigali a più voci, hrsg. Von Thomas Day, Madison (Wisconsin) 1985 (= Recent Researches in the Music of the Baroque Era, vol.44-45)

257

MEO 9 Johann Mattheson: Der edelmüthige Porsenna , hrsg. von Hansjörg Drauschke, Beeskow (= Musik zwischen Elbe und Oder, Band 9)

EDM 69 Johann Mattheson: Cleopatra , hrsg. von George Buelow, Mainz 1975 (= Das Erbe deutscher Musik, Band 69)

MEO 19 Johann Mattheson: Henrico IV. , hrsg. von Hansjörg Drauschke, Beeskow (=Musik zwischen Elbe und Oder, Band 19)

Mattheson 1953 Johann Mattheson: Die wohlklingende Fingersprache ( für Orgel oder Cembalo), hrsg. von L. Hoffmann-Erbrecht, Leipzig 1953

Mattheson 1971 Johann Mattheson: Das Lied des Lammes (Passionsoratorium ), hrsg. von B. C. Cannon, Madison (Wisconsin) 1971

Mattheson 1999 1 Johann Mattheson: Die heilsame Geburt und Menschwerdung unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi, hrsg. v. Norbert Klose, Embühren 1999

Mattheson 1999 2 Johann Mattheson: Die glücklich streitende Kirche. Kantate zum 8. Sonntag nach Trinitatis, hrsg. v. Norbert Klose, Embühren 1999

Mattheson 2000 Johann Mattheson: Brockes Passion : Der für die Sünde der Welt ge- marterte und sterbende Jesus , hrsg. v. Norbert Klose, Embühren 2000

Mattheson 2001 Johann Mattheson: Magnificat a due cori , hrsg. v. Norbert Klose, Embühren 2001

Mattheson 2002 Johann Mattheson: Der von den Sünden der Welt gemarterte und ster- bende Jesu. [= Brockes-Passion]. Passion für Soli, Chor und Orchester und b.c., hrsg. v. Katharina Bayreuther, Stuttgart 2002 (Edition nach der Berliner Abschrift, ohne Vergleich mit dem Autograph).

Mattheson 2005 Johann Mattheson: Der Liebreiche und Geduldige David (1723), Orato- rium zum 18. Sonntag nach Trinitatis, hrsg. von J. Jacobi, Bremen 2005

Mizler 1972 Lorenz Mizler: Sammlungen auserlesener moralischer Oden , Faksimi- le-Edition hrsg. von Dragan Plamenac, Leipzig 1972

TAA 21 Georg Philipp Telemann: Der neumodische Liebhaber Damon oder Die Satyrn in Arcadien , hrsg. von Bernd Baselt, Kassel: Bärenreiter 1969 (= Georg Philipp Telemann, Musikalische Werke, Band 21)

258

TAA 33 Georg Philipp Telemann: Seliges Erwägen: Passionsoratorium in neun Betrachtungen , TVWV 5:2, hrsg. von Ute Poetzsch, Kassel 2001 (= Georg Philipp Telemann, Musikalische Werke, Band 33)

TAA 37 Georg Philipp Telemann: Die Last-tragende Liebe, oder Emma und Eginhard , hrsg. von Wolfgang Hirschmann, Kassel: Bärenreiter 2000 (= Georg Philipp Telemann, Musikalische Werke, Band 37)

TAA 42 Georg Philipp Telemann: Der Sieg der Schönheit , hrsg. von Wolfgang Hirschmann, Kassel: Bärenreiter 2009 (= Georg Philipp Telemann, Mu- sikalische Werke, Band 42)

TAA 43 Georg Philipp Telemann: Flavius Bertaridus, König der Longobarden , hrsg. von Brit Reipsch, Kassel: Bärenreiter 2005 (= Georg Philipp Te- lemann, Musikalische Werke, Band 43)

TAA 46 Georg Friedrich Händel / Georg Philipp Telemann: Der mißlungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England , TVWV 22:8, hrsg. Von Steffen Voss, Kassel 2008 (= Georg Philipp Telemann, Mu- sikalische Werke, Band 46)

259

3. SEKUNDÄRLITERATUR

Ahrens 2003 Ahrens, Christian: Verrillons und Carillons in der Musik des frühen 18. Jahrhunderts , in: Archiv für Musikwissenschaft 60 (2003), S. 31-39.

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260

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Drauschke 2004 Drauschke, Hansjörg: Die deutschen weltlichen Kantaten Reinhard Kei- sers (1674-1739) , Wilhelmshaven 2004 [=Veröffentlichungen zur Mu- sikforschung, Bd. 15]. Dremel 2011 Dremel, Erik: Artikel " Solomon HWV 67", in: H. J. Marx / M. Gervink / St. Voss (Hrsg.), Das Händel-Lexikon [= Das Händel-Handbuch, Bd. 6], Laaber 2011, S. 692-694.

Eppelsheim 1961 Eppelsheim, Jürgen: Das Orchester in den Werken Jean Baptiste Lullys , Tutzing 1961.

Finder 1930 Finder, Ernst: Hamburgisches Bürgertum in der Vergangenheit , Ham- burg 1930. Frederichs 1975 Frederichs, Henning: Das Verhältis von Text und Musik in den Brockes- passionen Keisers, Händels und Matthesons [= Musikwissenschaftliche Schriften IX], München / Salzburg 1975.

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Abkürzungen

ChrA: Georg Friedrich Händels Werke, Ausgabe der Deutschen Händelgesellschaft. Hrsg. von Friedrich Chrysander D-B: Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn- Archiv D-Ha: Hamburg, Staatsarchiv D-Hs: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky D-KIl: Kiel, Landesbibliothek D-ROu: Rostock, Universitätsbibliothek DDT: Denkmäler Deutscher Tonkunst EDM: Das Erbe Deutscher Musik MOE: Musik zwischen Oder und Elbe, Beeskow: Ortus-Verlag NL-DHnmi: Nederlands Muziek Instituut Den Haag PL-Kj: Krakow, Biblioteka Jagiellonska PdN: Poesie der Niedersachsen RUS-SPsc: Russische Nationalbibliothek St. Petersburg TAA: Georg Philipp Telemann: Werke (Telemann-Auswahlausgabe), Kassel: Bärenreiter TVWV: Telemann-Vokalwerke-Verzeichnis (vergleich auch die Literaturliste)

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Curriculum Vitae

Steffen Voss wurde 1969 in Hamburg geboren. Er studierte historische Musikwissenschaft und Italienische Literatur an den Universitäten Hamburg und Bologna. Sein Studium schloss er 1996 mit dem Abschluss Magister Artium mit einer Studie zu den Musikbeständen des Pfarrarchivs Udestedt bei Erfurt ab. Daneben studierte er an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Orchestermusik mit dem Hauptfach Fagott. 1999-2003 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg ange- stellt, dort arbeitete er an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Georg Friedrich Händel. Kompositionen zweifelhafter Echtheit“ unter der Leitung von Hans Joachim Marx. Hiernach arbeitete er für mehrere Jahre als freier Mitarbeiter für die Dresdner Arbeitsstelle der Deutschen Arbeitsgruppe des Répertoire international des Sources musicales (RISM), für die er Musikhandschriften in Thüringen katalogisierte. 2008-2011 war Steffen Voss an einem weiteren DFG-Projekt an der Sächsischen Lan- desbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) beteiligt, dem Digitalisie- rungs- und Erschließungsprojekt „Die Instrumentalmusik der Dresdner Hofkapelle zur Zeit der Sächsisch-Polnischen Union“. In dieser Zeit war er auch als Dozent für Musikgeschichte und Quellenkunde an der Abteilung für Alte Musik am Koninklijk Conservatorium Den Haag tätig. Seit 2011 ist er Mitarbeiter bei der Münchener Arbeitsstelle der Deutschen RISM- Arbeitsgruppe an der Bayerischen Staatsbibliothek München.

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