50 Jahre DOR Booklettext
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DOR_RZ 16.08.2006 13:19 Uhr Seite 200 Thomas Voigt 50 Jahre Deutsche Oper am Rhein Live-Aufnahmen 1956–2006 200 DOR_RZ 16.08.2006 13:19 Uhr Seite 201 Einzelne Sänger auf CD zu porträtieren ist meist langjährige Vorsitzende des Richard Wagner eine dankbare Sache. Aber wie bekommt man Verbandes Düsseldorf, öfters von der Mezzoso- 50 Opernjahre auf zwei CDs von insgesamt pranistin Hanna Ludwig vorgeschwärmt hatte, 150 Minuten Spieldauer? Beim Blick auf mei- wollte ich unsere zwei CD-Edition gern mit der ne Archivbestandsliste wurde mir schwindelig: Szene des Komponisten aus dem Vorspiel der über 300 Mitschnitte kompletter Opern! Wie Ariadne eröffnen. Musikalisch wäre es eine gute sollte man aus diesem Konvolut die ominösen Wahl gewesen, doch leider war die Aufnahme „Highlights“ herausfiltern? Eine „objektive“, re- an dieser Stelle derart übersteuert, dass wir ein- präsentative Auswahl war von vornherein un- möglich. Hier half nur die Kunst des Weglassens. Was zuerst wegfiel waren natürlich bereits ver- öffentlichte Dokumente. Die nächste Entschei- dung lautete: Wagner-Aufführungen für eine Sonder-Ausgabe aufheben, quasi als akustische Fortsetzung der Ausstellung „Wagner am Nie- derrhein“. Andererseits wollte ich wegen Hilde- gard Behrens nicht auf die „Hallen-Arie“ ver- zichten. Doch da sich die Tonqualität der Tann- häuser-Premiere von 1975 als sehr problematisch erwies, wurde es dann doch Rusalkas Lied an den Mond. Pars pro Toto: Vieles, was auf den Beset- zungszetteln und in den Kritiken eine spannen- de Aufführung versprach, musste ad acta gelegt werden – selten, weil die künstlerische Qualität nicht den Erwartungen entsprach, oft aber, weil die Klangqualität der Bänder nicht genügte. Manchmal war es auch so, dass die Klangqualität innerhalb einer Aufführung stark schwankte. Hidegard Behrens – mal mehr umdisponieren mussten. Als der Hilde Zadek Strauss, Ariadne Werner Götz Tonmeister Holger Siedler das Band zur Zer- Dvorˇak, Rusalka auf Naxos Foto: Fred Kliché binetta-Arie vorspulte, saß ich auf der äußersten Foto: Jürgen Theis Stuhlkante: Hoffentlich war die Klangqualität dort besser! Sie war es, für eine 50 Jahre alte Amateur-Aufnahme sogar erstaunlich gut. Wir hörten mit gedrückten Daumen. Zwei, drei Pat- zer im Orchester, nun gut. Doch deswegen diese Aufnahme unter den Tisch fallen zu lassen, wäre einfach absurd gewesen. Denn was Ilse Hollweg in dieser Szene an Text-Ausdeutung und vokaler Virtuosität bietet, kann sich neben Rita Streich und Erika Köth, den damals führenden Sänge- rinnen dieser Partie, mühelos hören lassen. Und da es von dieser großen Sängerin ohnehin viel zu wenige Aufnahmen gibt (u. a. Mozarts Entfüh- rung und die Bühnenmusik zu Griegs Peer Gynt unter Thomas Beecham), freuten wir uns über diese Trouvaille ganz besonders. Hingegen ist Hilde Zadek, die damals oft zwischen der Wiener Staatsoper und der DOR Wie zum Beispiel bei der Ariadne-Aufführung pendelte, auf Platten gut repräsentiert. Merk- vom 17. Oktober 1956 mit Hilde Zadek, Hanna würdigerweise fehlt aber eine ihrer zentralen Ludwig und Ilse Hollweg. Da von der Eröff- Partien, die Marschallin im Rosenkavalier. Auch nungs-Premiere (Elektra am 29. September 1956) hier wurden wir im Archiv fündig: Die Düssel- kein Mitschnitt erhalten blieb, ist diese Ariadne dorfer Aufführung vom 2. Februar 1958 ist von das älteste Dokument der Deutschen Oper am passabler Klangqualität (abgesehen von starken Rhein, und natürlich durfte es in unserer Samm- Bühnengeräuschen am Schluss des vorliegenden lung nicht fehlen. Nachdem mir Lotte Zahn, die Ausschnittes) und bietet zudem Hanna Ludwigs 201 DOR_RZ 16.08.2006 13:19 Uhr Seite 202 sensible Darstellung des Octavian. mit großer Prägnanz und Eindringlichkeit. Dass das Klangbild der ältesten Bänder oft Bei allen bisher genannten Mitschnitten han- auch vom Standort des Aufnahmegerätes bzw. delt es sich um Privat-Aufnahmen von Arnold von der Positionierung der Sänger abhing, wur- Quennet, jenes Dirigenten, von dem Carlos de vor allem beim Mitschnitt einer Aida-Auf- Kleiber einmal sagte: „Er hat für Sänger immer führung von 1963 evident. In den Ensemble- eine Ecke in seinem Taktstock übrig.“ Nicht nur szenen sind einzelne Sänger hautnah, andere zu Kleibers Lehrzeit galt Quennet als „guter kaum zu hören. Immerhin, zu den akustisch Geist“ der Düsseldorf-Duisburger Oper. 36 Kurt Böhme, besten Momenten gehört die erste Solo-Szene Hanna Ludwig der Aida. Und so, wie Ingrid Bjoner diese Szene Strauss, gestaltet, hat man ihre Gesangsstunden bei der Der Rosenkavalier legendären Franziska Martienssen-Lohmann Foto: Theatermuseum förmlich in den Ohren: Das ist vorbildliche Düsseldorf Stimmführung, vom feinsten Piano bis zum Martti Talvela Mussorsky, Boris Godunow Foto: Theatermuseum Düsseldorf Ingrid Bjoner Arnold Quennet Strauss, Capriccio Foto: Schreiber Foto: Elfi Hess dramatischen Ausbruch. Jahre, von 1951 bis 1987, sorgte er dort für künstle- Klanglich von erstaunlicher Präsenz (und rische Integrität und Qualität. Die Sänger und dazu in Stereo) ist der Mitschnitt des Ur-Boris von Musiker vertrauten ihm, und die Intendanten 1967. Leider konnten wir die Krönungs-Szene der DOR konnten jeder noch so komplizierten nicht verwenden, da bei den Schlusstakten meh- Einstudierung gelassen entgegensehen: Mit rere Sekunden fehlen. Zum Glück ist die Todes- Quennet war man auf der sicheren Seite, selbst Szene des Boris ohne Störungen und Ausfälle wenn ein Dirigent in letzter Minute ausfiel. erhalten; Martti Talvela gestaltet die Titelpartie Als Alberto Erede einmal krank wurde und 202 DOR_RZ 16.08.2006 13:19 Uhr Seite 203 die Mailänder Scala händeringend einen Diri- erhalten. Neben der Meisterschaft Eredes und genten für Palestrina suchte, stieg Quennet ins der viel gerühmten Lady Macbeth von Astrid Flugzeug, las die Partitur und dirigierte am Varnay beeindruckt Heinz Imdahl in der Titel- nächsten Abend die Vorstellung, ohne die Oper partie; der Bariton machte von Düsseldorf aus jemals vorher gesehen zu haben. Von den über eine internationale Karriere und sang jahrelang 60 Aufführungen, die Quennet mit seinem das dramatische Fach an ersten Häusern (Mün- Revox-Gerät aufnahm, sind fast alle im Archiv chen, Berlin, Wien, Zürich, Rom, London etc.). des Theatermuseums Düsseldorf vorhanden. Aus seinem Privat-Archiv stammt auch der Chronologisch reicht diese Sammlung von der Mitschnitt einer Rigoletto-Aufführung aus dem 1956er Ariadne bis zu der Meistersinger-Auffüh- gleichen Jahr. Wieder dirigiert Erede, und als rung von 1987, mit der das 75-jährige Jubiläum Gilda hören wir Anneliese Rothenberger. Die des Duisburger Hauses gefeiert wurde. Insofern Sopranistin, damals noch am Beginn ihrer Welt- Gustaf Gründgens, Alberto Erede belegt die vorliegende Auswahl auch die außer- karriere, gehörte von 1956 bis 58 dem Ensemble Foto: Jürgen Theis ordentlichen Verdienste des langjährigsten Diri- der DOR an, sang dort u. a. ihre erste Sophie im Rosenkavalier (Einstudierung: Carlos Kleiber!). Wie Heinz Imdahl ist auch Lilian Sukis auf Platten nicht annähernd so präsent, wie sie es aufgrund ihres Könnens verdient hätte. Dass sie Weltklasse war, zeigt u. a. ihre eindringliche Mimi in der von Erede dirigierten Bohème-Auf- führung. Dass Erede nicht nur bei Verdi und Puccini in seinem Element war, sondern auch ein besonde- res Faible für die Opera buffa hatte, lässt das rasante Finale aus Rossinis La Cenerentola hören, das zugleich eine besondere Rarität in der Dis- kograkie von Julia Hamari darstellt. Zu den größten Schätzen im DOR-Archiv zähle ich den Mitschnitt der Tosca-Premiere von Astrid Varnay genten der DOR. 1970. Da der Besetzungszettel auf der Tonband- Rudolf Christ, Verdi, Macbeth Der erste Mann am Pult war in all den Jahren hülle fehlte, war ich beim ersten Abhören des Anneliese Rothenberger Foto: Verdi, Rigoletto Liselotte Strelow freilich Alberto Erede. 1958 wurde er zum Gene- Bandes doppelt gespannt. Was wir hörten war Foto: Elfi Hess ralmusikdirektor der DOR berufen, und trotz sensationell: Eine Riesenstimme, die mühelos internationaler Engagements (u. a. Mailänder das zarteste Piano hervorbrachte, ein Birgit- Scala, Wiener Staatsoper und Metropolitan Nilsson-Kaliber mit feinstem italienischem Opera New York) blieb er der Rheinoper 32 Jah- Legato. Eigentlich kam da nur eine Sängerin re treu. Mehr als 1100 Aufführungen hat der aus in Frage, nämlich die aus Brünn gebürtige, viel Genua gebürtige Dirigent in Düsseldorf und zu früh verstorbene Hana Janku. Dass sie Killer- Duisburg dirigiert. Partien wie Turandot und Gioconda nicht in Zu seinen wichtigsten ersten Premieren einer Tour „runterbrüllte“, sondern mit ihren gehörte Verdis Macbeth in der Inszenierung von reichen Mitteln sehr musikalisch und technisch Gustaf Gründgens. Glücklicherweise ist von souverän umging, sichert ihr einen Ehrenplatz dieser denkwürdigen Aufführung ein Mitschnitt unter den großen Stimmen dieses Jahrhunderts. 203 DOR_RZ 16.08.2006 13:19 Uhr Seite 204 Mit William Holley (Cavaradossi) und Giu- messer) bis zu den großen Heldenbariton-Parti- seppe Patané am Pult sind bei dieser Tosca en reichte (Pizarro, Holländer, Wotan). erstklassige Partner aufgeboten. Künstlerische und stimmliche Konstanz Über 20 Jahre gehörte die Tosca-Inszenierung zeichnete auch die Karriere von Eugen Holmes von Bohumil Herlischka noch im-mer zu den aus. Nach Auftritten an der San Francisco Opera Highlights im DOR-Repertoire. Ein Ausschnitt und der Metropolitan Opera New York gehörte aus einer Duisburger Aufführung dokumentiert der Amerikaner ab 1971 zum Ensemble der den Bassbariton Zenon Kosnowski in der