Die Revolution Ist Nicht Weiblich, Nicht Männlich, Sie Wird Revolution
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Nicht weibliche Repräsentation oder Metapher dessen, was in männlichen Kämpfen ausgetragen wird: Die Revolution ist nicht weiblich, nicht männlich, sie wird Revolution. Sie wird als Revolution, sie wird zur Revolution, queer-maschinische Mannigfaltigkeit, molekulare Vielheit. So wie in der Pariser Commune, als die Frauen den öffentlichen Raum füllten, jenen entleerten Raum, jene Öffentlichkeit als Loch, entleert durch den Krieg, der um Paris tobte, entleert durch den Auszug der Regierung nach Versailles. Als die Frauen die Kanonen der Nationalgarde gegen die Regierungstruppen verteidigten, weil sie eben da waren, weil sie in aller Frühe die Straßen füllten, weil die Revolution sich dort ereignet, wo – wie Rosa Luxemburg über die Commune schreibt – die Herrschaft „von allen verlassen“ ist, „herrenlos“. Kunst und Revolution Gerald Raunig transversal.at und Revolution Gerald Raunig Kunst Kunst und Revolution Gerald Raunig Kunst und Revolution Künstlerischer Aktivismus im langen 20. Jahrhundert Durchgesehene und mit einem Vorwort versehene Neuauflage transversal texts transversal.at ISBN: 978-3-903046-15-3 transversal texts transversal texts ist Textmaschine und abstrakte Maschine zugleich, Territorium und Strom der Veröffentlichung, Produktionsort und Plattform – die Mitte eines Werdens, das niemals zum Verlag werden will. transversal texts unterstützt ausdrücklich Copyleft-Praxen. Alle Inhalte, sowohl Originaltexte als auch Übersetzungen, unterliegen dem Copyright ihrer AutorInnen und ÜbersetzerInnen, ihre Vervielfältigung und Repro- duktion mit allen Mitteln steht aber jeder Art von nicht-kommerzieller und nicht-institutioneller Verwendung und Verbreitung, ob privat oder öffentlich, offen. Dieses Buch ist gedruckt, als EPUB und als PDF erhältlich. Download: transversal.at Umschlaggestaltung und Basisdesign: Pascale Osterwalder transversal texts, 2017 eipcp Wien, Linz, Berlin, London, Zürich, Málaga ZVR: 985567206 A-1060 Wien, Gumpendorferstraße 63b A-4040 Linz, Harruckerstraße 7 [email protected] eipcp.net ¦ transversal.at Mit Unterstützung durch die Kulturabteilung der Stadt Wien. Inhalt Vorwort zur Neuauflage 2017 7 1. Intro. Die Verkettung von Kunst und Revolution 27 2. Die drei Komponenten der revolutionären Maschine 51 3. Out of Sync. Die Pariser Commune als revolutionäre Maschine 111 4. Das Modell Courbet. Künstler, Revolutionär, Künstler 155 5. Geist und Verrat. Deutscher »Aktivismus« in den 1910er Jahren 179 6. Das Ungeheuer der Entzweiung. Von der Darstellung zur Herstellung der Situation 203 7. »Kunst und Revolution«, 1968 Der Wiener Aktionismus und die negative Verkettung 269 8. Die transversale Verkettung der VolxTheaterKarawane. Temporäre Overlaps von Kunst und Revolution 291 9. Nach 9/11. Postskriptum zum grenzenlosen Grenzraum 339 Bibliografie 379 VORWORT ZUR NEUAUFLAGE 2017 Kunst und Revolution ist im Zeitraum von 2001 bis 2005 geschrieben, als Forschung im Rahmen des europäischen Projekts republicart, freundschaftlich umhüllt vom Un- gefüge unsres damals noch immer im Werden begriffe- nen Instituts, des eipcp, und als philosophische Habili- tation an der Universität Klagenfurt, wo Peter Heintel und die Gutachter_innen einen ziemlich unkonventio- nellen Zugang zum akademischen Apparat ermöglicht haben. Zugleich ist das Buch der Abschluss einer impli- ziten Trilogie zu Fragen der politischen Kunst. In Cha- ron. Eine Ästhetik der Grenzüberschreitung (1997-1999) sollte eine Kritik der Autonomie der Kunst die Basis für Theoretisierung und Affirmation interventionistischer Kunst am Beispiel der Gruppe WochenKlausur liefern. Der im Bann der Wiener Bewegung gegen Schwarzblau von 1999/2000 geschriebene kleine Band Wien Feber Null. Eine Ästhetik des Widerstands (2000) bedient sich formal, aber auch in angeeigneten Textpassagen an Pe- ter Weiss‘ berühmtem antifaschistischem Buch, auf der Suche nach einer Sprache, in der die aufgeregte Viel- heit des Wiener Widerstands um die Jahrtausendwen- de nicht einfach nur beschrieben, sondern affektiv ak- tualisiert werden kann. Der vorliegende dritte Band war schließlich als philosophische Annäherung an aktivis- tische Kunstpraxis geplant und geriet zu einer histori- schen Untersuchung des Verhältnisses von Kunst und Revolution „im langen 20. Jahrhundert“ aus dem Blick- winkel der Jetztzeit – ein gegenwärtiges Werden, ge- prägt durch minoritäre Geschichten transversaler Wi- derstände seit dem späten 19. Jahrhundert und durch ein ausgedehntes Hier und Jetzt in und um Wien. 7 Weit mehr als eine wissenschaftliche Arbeit ist das Buch eine in der reißenden Mitte der sozialen Bewegungen dieser Jahre geschriebene Affirmation von neuen kon- stituierenden Praxen. Die globalisierungskritische Bewe- gung war ebenso Ausgangspunkt des Buchs wie die Dis- kurse um konstituierende Macht und Multitude (nach Antonio Negri) und um politische Repräsentations- kritik von Félix Guattari, Gilles Deleuze und Michel Foucault über die Zapatist_innen und John Holloways „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ bis hin zu queer-feministischen Positionen. Diskursive Kunsträume wie das Depot, die Kunsthalle Exnergasse und die Akademie, Zeitschriften wie die Kulturrisse, die Anschläge, die Grundrisse oder das Webjournal trans- versal, Empire-Lesekreise und politisch-theoretische Auseinandersetzungen in Mailinglisten, die Präsenz der interes santesten internationalen Akteur_innen und Autor_innen in Vorträgen und Diskussionen, das alles hatte Wien für einige Jahre zu einem Ort der Verdich- tung von sozialer Bewegung und politischer Theorie- produktion gemacht. Um 2004/5 kam eine weitere akti- vistische Erfahrung hinzu, die Bewegung der Prekären, in der Wien nochmals eine gewisse Rolle spielen soll- te, diesmal im Verbund mit Dutzenden anderer europä- ischer Städte unter dem Namen Euromayday. Was die für Kunst und Revolution zentrale Frage der Verkettungsformen von künstlerischen und revolutio- nären Maschinen betrifft, diente die antirassistische, queer-feministische und nomadische Praxis der Volx- TheaterKarawane als exemplarische Folie. Selbst einge- bettet in die translokale noborder-Bewegung, ließ sie die traditionellen Spielarten des Verhältnisses von Kunst und Politik hinter sich und erprobte die Infragestellung 8 und Ausweitung von Grenzen auf verschiedensten Ebe- nen. Ihre oft durch Sprünge und Brüche geprägte Ent- wicklung von den experimentellen Theaterprojekten im besetzten Haus bis hin zu unterschiedlichen Höhepunk- ten der globalisierungskritischen Bewegung in Wien, Salzburg, Genova oder Strasbourg möglichst affin zu verfolgen und theoretisch zu verdichten, schien damals wie heute adäquater als eine breite Darstellung ähnlicher Praxen im gleichen Zeitraum. Die Kunstgeschichtsschreibung, die Kunstkritik und die Ästhetik schweigen gern von politischer Kunst und dem Politischen an spezifischen Kunstpraxen, erst recht aber von den Verkettungen von Kunst und Revolution. So viele große Namen der Kunstgeschichte auch in Re- volutionen involviert waren, die gefährlichen Kreuzun- gen von künstlerischem und politischem Aktivismus werden regelmäßig verharmlost, verniedlicht oder ab- sichtsvoll ausgestrichen. Die Verkettung darf hier nicht sein, Kunst wie Revolution verlieren ihre maschini- sche Qualität durch die Historisierung und Rasterung der Kunstwissenschaften. Wenn Gustave Courbet sich in den 1860er Jahren mehr und mehr für Kulturpoli- tik interessiert, weiß die Kunstgeschichte nur von einem künstlerischen Abstieg Courbets zu berichten, den Re- volutionär Courbet, das Mitglied des Rats der Pariser Commune, blendet sie ohnehin zur Gänze aus. Wenn die Situationist_innen eine wichtige Rolle in der Vor- geschichte des Pariser Mai 1968 spielen, bleibt gerade diese Phase im Gegensatz zum künstlerisch-antikünst- lerischen Beginn in den 1950er Jahren oder zu Guy De- bords Filmen aus den 1970er Jahren eigentümlich dun- kel. Und wenn in heutigen Praxen Kunstmaschinen und revolutionäre Maschinen zu temporärer Überlappung 9 kommen, werden sie vielleicht kurzfristig im Kunstfeld verwertet und vermarktet, jedoch nicht als transversale Praxen in die Kanons der akademischen Disziplinen auf- genommen werden. In unserer aktuellen Erfahrung molekularer sozialer Bewegungen, aber auch in den minoritären Geschichten marginaler Historiographie gibt es eine Vielheit von For- men des Verhältnisses der beiden Maschinen. Die Kom- bination Kunst/Revolution ist kein skurriler Ausnah- mefall, sondern im Lauf des 19. und 20. Jahrhunderts eine Figur, die wiederkehrt, wenn auch unter verschie- denen Vorzeichen und in unterschiedlichen Gestalten. Aber was passiert genau, wenn revolutionäre Maschinen auf Kunstmaschinen treffen, wenn sich auf eine gewis- se Zeit Zonen der Überlappung entwickeln? Was ereig- net sich auf der Fluchtlinie von Kunst und Revolution? Und vor allem: Wie ist die Beschaffenheit dieser Ver- kettung? Um die Vielheit der Formen begrifflich diffe- renzieren zu können, werden in Kunst und Revolution als provisorische Engführung vier Modi vorgeschlagen, wie sich revolutionäre und Kunstmaschinen zueinander ver- halten: sequenzielle Verkettungen des zeitlichen Nach- einander, negative Verkettungen des inkommensurablen Neben- und Gegeneinander, hierarchische Verkettun- gen des (selbstbestimmten) Über- und Untereinander und transversale Verkettungen des strömenden Durch- einander. In dieser letzten Form kommen die Kunstma- schinen und die revolutionären Maschinen zur Über- lappung, nicht um einander einzuverleiben, sondern um in ein zeitlich begrenztes, konkretes Austauschverhältnis zu treten. Natürlich könnte