In absolutistischen Zeiten galten pompöse Parkanlagen als „letzter Schrei“. Für die Preußen wurde die Umgebung von zum Sehnsuchtsort – in wenigen Generationen gestalteten sie die Landschaft zu ihrem Arkadien an der Havel um. FLUCHT IN DIE HEITERKEIT Von Ulrike Knöfel

KÖNIGLICHE AUSSICHT ie viele erlauchte Moden im damaligen Denn beliebt war im Barock und erst recht Das Lusthaus nach einem Europa ging diese Sitte von Frankreich während des leichtlebigen Rokoko der Zeitvertreib Vorbild aus der Zeit Kaiser aus: Am dortigen Königshof galten im Freien, bei dem sich zum Beispiel die Herren und Neros errichtete der Wprachtvoll gestaltete Gärten, gern auch Damen als Schäfer verkleideten. Sie wollten sich Architekt Georg Christian mit eigenem Zoo ausgestattet, als „dernier cri“, als fühlen wie im einstigen Traumland Arkadien, diesem Unger zwischen 1770 und der letzte Schrei. Ein Gärtner konnte in Frankreich, antiken Idyll der Hirten, wie es einst der römische 1772 als letzten Bauauftrag wenn er zur Zufriedenheit der Könige arbeitete, in Dichter Vergil erdacht hatte. Friedrichs des Großen auf den Adelsstand erhoben werden. Mit dem Zauberwort Arkadien verband der Adel dem Klausberg im Park Unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. und seinen des 17. und 18. Jahrhunderts nur Verheißungsvolles: : das Belvedere, Nachfolgern gehörte es zum guten Ton, die Land- heitere Ursprünglichkeit, ewige Jugend, südliche mit goldenen Muschelorna- schaft als repräsentative Fläche zu nutzen – und als Sonne und bukolische Ausschweifungen. Passend menten („Rocaillen“), rotem Kulisse für opulente Feste. Gärten sollten „bewun- dazu wurde die Landschaft wie ein Erlebnispark in- schlesischem Jaspis und dernswerte Bilder“ ergeben, so formulierte es ein szeniert – mit Tempeln, Fontänen, Grotten und den Stuckmarmor verschwende- Architekt und Festorganisator Ludwigs XVI. Bäume „maisons de plaisances“. In diesen Lustschlössern risch ausgestattet. und Büsche wurden geometrisch zurechtgestutzt, konnte man sich der Muße oder den Mätressen hin- künstliche Dörfer angelegt. geben. STÖPPER / IMAGO STÖPPER 78 spiegel special geschichte 3 | 2007 DER REFORMSTAAT

So wirkte die vergnügungssüchtige Epoche selbst Es war sein Statthalter Johann Moritz von Nassau- KÖNIGLICHE GALERIE in der Natur dem entgegen, was sie am meisten Siegen, der für die einzigartige Landschaft an der Ha- Als Kronprinz und junger fürchtete: dem Ennui, also dem Überdruss und der vel eine standesgemäßere und dem Zeitgeist ange- Regent pflegte Friedrich II. Langeweile. messenere Vision hatte. An seinen Dienstherrn eine große Sammelleiden- Parkanlagen waren aber auch Statussymbole. schrieb er, dieses Eiland namens Potsdam müsse ein- schaft für Werke des fran- Halb Europa ahmte diesen Lebens- und Land- fach ein Paradies werden. Ein einziges Paradies reich- zösischen Malers Antoine schaftsstil nach. Ein Wettbewerb brach im Ancien te jedoch nicht, von 1660 bis 1860 gründeten die Watteau und dessen Kolle- Régime aus, Planteure und Garten-Kondukteure Preußen in Potsdam 18 Gartenreviere. gen Nicolas Lancret. Dabei wurden an den Höfen eingestellt. Auch die Ar- Den Aufstieg vom brandenburgischen Kurfürsten zeigte er eine Vorliebe für chitekten sorgten für Aha-Effekte: Im Park von zum König in Preußen vollzog Friedrich I. Dieser die „Fêtes galantes“. Schloss Nymphenburg entstand zum Beispiel das verschwenderische Monarch hinterließ einen Schul- Ölgemälde von Nicolas Lustschloss „Badenburg“ mit einem zweigeschossi- denberg und einen Nachfolger, der legendär ist für Lancret (1690 bis 1743) im gen Badesaal. In einer Art Swimmingpool planschten seine Sparsamkeit: Friedrich Wilhelm I. Schloss Sanssouci. vermeintliche Nymphen, die Gäste guckten von der Unter ihm sah es nicht so aus, als würde sich Empore aus zu. Preußen je zu einer echten Oase der Lebensfreude Die ehrgeizigen Hohenzollern aus Brandenburg entwickeln. Friedrich Wilhelm I. wurde als Solda- (und damit die späteren Preußen) wollten durchaus tenkönig verspottet und noch mehr gefürchtet. Un- mithalten. Es sollten einige Generationen vergehen, erbittliche Strenge ließ er auch gegenüber dem eige- doch schließlich hatten sie in Potsdam und Umge- nen musisch interessierten Sohn walten, der 1740 als bung etwas geschaffen, was königlicher und auch ei- Friedrich II. selbst die Macht übernahm, dem Volk genwilliger war als Versailles. Hier lebten sie ihre auch mit einiger Härte begegnete, der Kriege führte Sehnsüchte aus – und ihre Exzentrik. – und sich auf vielfältige Weise von diesen ablenkte. wurde die erste, Potsdam die zweite und Als Regent wurde er zu einer mächtigen Instanz, beliebtere Adresse der Kurfürsten; bereits in den zu „Friedrich dem Großen“. Privat verzog er sich in sechziger Jahren des 17. Jahrhunderts entstand hier eine andere Welt. Auf die Anwesenheit seiner Gat- ein Stadtschloss. Zu den frühen Landsitzen gehört tin legte er dabei keinen großen Wert. das 1662 errichtete, später umgebaute und heute Er liebte bereits als Kronprinz die Bilder eines noch erhaltene Schloss Caputh am Templiner See. Antoine Watteau, all diese heiteren, flirrenden Ge- Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm – dem „Großen genwelten des Rokoko, bei denen gutgelaunte Ge- Kurfürsten“ – war das wichtigste Freiluftvergnügen sellschaften ins Grüne aufbrechen. Auf Schloss aber noch nicht das Flanieren, sondern die Jagd. Rheinsberg, das er in seinen jungen Jahren ausbau- AKG spiegel special geschichte 3 | 2007 79 KUNST UND NATUR König Friedrich Wilhelm IV. (1795 bis 1861), dessen Standbild am Eingang zur Orangerie im Schlosspark von Sanssouci steht, träumte davon, durch die Verschmelzung von Architektur und Landschaft aus der Umgebung von Potsdam und Berlin einen großen Garten zu machen. Sein Großvater, König Friedrich Wilhelm II., hatte 1787 bis 1791 am Ufer des Heiligen Sees im Potsdamer Stadtgebiet aus rotem Back- stein das von Carl von Gontard und Carl Gotthard Langhans errichten lassen.

80 spiegel special geschichte 3 | 2007 MÄRCHENPAVILLON Das Chinesische Haus im Park Sanssouci mit seinen blattvergoldeten Skulpturen und Säulen sowie einer Tambourkuppel und einem sitzenden Mandarin auf dem Dach gilt als das wichtigste Beispiel der europäischen Chinoiserie des 18. Jahrhunderts. Der Pavillon, der königlichen Gesellschaften im Sommer als Speisesaal diente, wurde 1754 bis 1756 von Johann Gottfried Büring erbaut. JANDKE / CARO (L. O.); WERNER OTTO (L. U.); MARTIN KIRCHNER / LAIF (R.) MARTIN (L. U.); WERNER OTTO (L. O.); / CARO JANDKE spiegel special geschichte 3 | 2007 81 DER REFORMSTAAT

GESAMTKUNSTWERK en ließ, fand er sein eigenes, sein „märkisches Ar- punkt für ein größeres Gesamtkunstwerk. Die ge- Kolonnaden rahmen den kadien“. Dort richtete er seinen „Musenhof“ ein, samte Umgebung wurde zur Bühne. Und dort lenk- Ehrenhof auf der Nordseite versammelte Gelehrte um sich. Hier, so bekundete ten bald Versatzstücke eines modernen Arkadiens, des Schlosses Sanssouci er, habe er sein glücklichsten Jahre verbracht. lauter „points-de-vues“, das schnell gelangweilte ein. Von hier aus geht der Von Voltaire lernte er, dass ein guter König einer Auge ab. Blick über den „Rossbrun- sei, der „seinem Staate das Goldene Zeitalter“ Mögen die preußischen Adligen auch noch nicht nen“ zum Ruinenberg, einer zurückbringen könne. Da ist sie wieder: die Utopie so übermütig gewesen sein wie ihre Zeitgenossen in von Knobelsdorff 1748 von einer irdischen Glückseligkeit. Frankreich. Sie flüchteten ebenso in eine Scheinwelt: erbauten antiken Als König entdeckte Friedrich noch einen anderen Solcher Eskapismus war das Lebenselixier der abso- Landschaftsstaffage. Platz, an dem er sich wie im Paradies fühlen konn- lutistischen Höfe. Und je weiter einen die Illusionen Gouache von Carlo Bossoli, te. Im Jahr 1743 hatte er bei Potsdam im Freien di- entführten, zeitlich oder geografisch, desto besser. um 1865. niert, auf einem Hügel nah am königlichen Küchen- Deshalb begeisterten sich so viele europäische garten, dem sogenannten Marly-Garten. Er verlieb- Regenten für Chinoiserien: für Schränke, Intarsien, te sich in die Aussicht und unterzeichnete am Tapeten, Vasen und Bauten im vermeintlich chinesi- 10. August 1744 eine Kabinettsorder, die vorsah, auf schen Stil. Das chinesische Teehaus in Sanssouci hat- dem Gelände dieses „Wüsten Berges“ Wein an- te, wenig asiatisch, den Grundriss eines Kleeblatts. zupflanzen. Schon im Januar 1745 beschloss er, dort Später kam das „Drachenhaus“ in der Form einer Pa- Gärten als eine Sommerresidenz zu errichten. gode hinzu; es diente als Wohnsitz des Winzers. Gegenwelt Eine Architektur in der französischen Tradition Zum durchaus typischen Garten-Repertoire zähl- der „maison de plaisance“ stellte er sich vor. Der ten künstliche Ruinen, Grotten, Fontänen und ein Das Mittelalter kannte Architekt Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff hat- Obelisk. Eigenwilliger wirkt der Belvedere-Turm auf Kloster- und Küchen- te Rheinsberg umgestaltet. Jetzt realisierte er auf dem Klausberg. Dieser zweigeschossige Rundbau ba- gärten – und die Vor- dem Weinberg das „preußische Versailles“ nach den sierte auf einer zeitgenössischen Rekonstruktion des stellung vom biblischen Wünschen (und Zeichnungen) des Königs: Schloss Kaiserpalastes von Nero in Rom. Paradiesgarten. In sei- „Sanssouci“, so hoffte er, würde ein Ort „ohne Sor- Im preußischen Garten Eden wuchsen angemes- nem Buch über das ge“ sein. sen exotische Pflanzen und Früchte. Tulpen etwa adelige Land- und Feld- Eine aus Frankreich stammende Dekorationsform, oder Orangenbäume, die Friedrich II. auf seinen leben schwärmte Wolf die asymmetrisch geschwungene Rocaille, hatte der Feldzügen in Schlesien erwarb. Auch Melonen und Helmhard von Hohberg Epoche des Rokoko den Namen gegeben. Sie war Ananas wurden gezüchtet. 1682, der Garten sei auch der von Friedrich favorisierte Wandschmuck Immer deutlicher entwickelte sich der Park zur Nachahmung der im Schloss. Mit Sanssouci erfand sein Architekt Kno- Wellnesslandschaft. Der gealterte Monarch richtete göttlichen Natur. Der belsdorff das „Friderizianische Rokoko“. Alles im eine Pisang-Treiberei ein, weil er mit dem Saft der Ba- Philosoph Christian Schloss war von einer königlichen Eleganz, zugleich nanenfrucht seine Gichtbeschwerden lindern wollte. Hirschfeld, der um 1780 heiter und wohnlich. Denn dies sollte weniger der Dann trumpfte er in Sanssouci architektonisch seine „Theorie der Ort für höfische Feste sein, sondern auch und vor al- doch noch richtig auf. Nach dem Ende des Sieben- Gartenkunst“ veröf- lem den Rückzug ins Private ermöglichen. jährigen Krieges 1763 ließ er am westlichen Ende des fentlichte, verstand Knobelsdorff zerstritt sich mit dem schwierigen Parks das „Neue Palais“ errichten, ein weitläufiges Landschaftsgärten als König – doch wirkte seine Tätigkeit in Potsdam wie Schloss, das Unterkünfte für Mitglieder der Familie regelrechte Kunstwerke. eine Initialzündung. Das Schloss war der Ausgangs- und andere feudale Gäste bot – sowie, etwa im haus- BPK 82 spiegel special geschichte 3 | 2007 eigenen Theater, weitere Möglichkeiten zum Amu- Villen in der Nähe nieder. Der Traum von Arkadien MACHTDEMONSTRATION sement. 1773 spendierte der König zu Ehren seiner war längst nicht ausgeträumt, im Gegenteil. Mit dem Neuen Palais, das Nichte Wilhelmine von Oranien Theaterstücke, Feu- Friedrichs von ihm nicht besonders geschätzter Friedrich II. nach dem erwerk und Illuminationen und gab dafür stolze Neffe König Friedrich Wilhelm II. galt durchaus als Siebenjährigen Krieg am 10000 Reichstaler aus. naturverbunden, liebte Geschichten von den angeb- Westrand des Parks von In der Schrift „Denkwürdigkeiten zur Geschich- lich paradiesischen Zuständen in der Südsee, aber die Sanssouci erbauen ließ, te des Hauses Brandenburg“ hatte Friedrich II. einst pure ungeschönte Landschaft war wohl auch ihm wollte der König die Kraft die Prunksucht des Großvaters gerügt, der „die Ver- fremd. Preußens zur Schau stellen. schwendung eines eitlen Fürsten“ betrieben habe. Das Rokokoschloss Sanssouci verschmähte er als Gemälde von Wilhelm Barth, In seinem „Politischen Testament“ mahnte er sei- Sommerresidenz. Stattdessen baute er wenige Kilo- um 1830. nen Neffen und Nachfolger zur Sparsamkeit. Dabei meter entfernt das frühklassizistische Marmorpalais investierte er selbst hohe Summen in seine Selbst- am Ufer des Heiligen Sees. Hier, im „Neuen Garten“, darstellung und in sein privates Elysium. tauchten bald ein Maurischer Tempel, ein Eiskeller in Ein kunstsinniger Kammerherr vermerkte in sei- Pyramidenform und andere architektonische Spiele- nem Tagebuch allerdings kritisch über den Ge- reien auf. schmack des Regenten: „Die Schönheiten Raphaels Nicht Friedrich Wilhelm II. selbst, sondern seine versteht er nicht.“ Auch in Fragen der Architektur Mätresse Wilhelmine Enke hatte die Idee, ein weite- „ist sein Schönheitssinn nicht sehr ausgeprägt“. res kleines Paradies zu schaffen. Der König hatte Tatsächlich vertrat der alte König die Vorlieben einer 1793 die 67 Hektar große Havelinsel Kaninchenwer- vergangenen Zeit. der gekauft, die den glanzvolleren Namen „Pfauen- Friedrich verbrachte 39 Sommer in Sanssouci; hier insel“ erhielt; seine bürgerliche Geliebte, die Tochter starb er 1786. Sein Wunsch war es, man solle ihn eines Trompeters, wurde zur Gräfin Lichtenau. „beim Schein einer Laterne nach Sans-Souci bringen Sie mochte es pittoresk und durchaus auch prä- und dort ganz schlicht bestatten“. Der Monarch woll- tentiös, das Lustschloss zum Beispiel ist einer Ruine te sich in einer Gruft in der obersten Weinbergter- aus gotischen Zeiten nachempfunden. Eine dazu pas- rasse beisetzen lassen. Erst 1991 wurde sein Grab sende architektonische Kostümierung erhielt auch nach Sanssouci verlegt. die Meierei; innen und außen ist sie wie eine gotische Die Umgebung war längst ein Ausflugsziel. Der Klosteranlage gestaltet. BAUMEISTER Berliner Buchhändler Friedrich Nicolai schilderte 1786 Mit ihrer Gotikbegeisterung waren die Bewohner Georg Wenzeslaus von ihre Reize: „Die Gegend um Potsdam ist so schön, als der Pfaueninsel auf der Höhe der Zeit. Die Gotik, Knobelsdorff (1699 bis sie in einem flachen und sandigen Lande nur seyn jahrhundertelang als barbarisch verschrien, wurde 1753) schuf die frideriziani- kann. Von einigen benachbarten Bergen hat man schö- mit dem Anbruch der Romantik gefeiert: Sie galt sche Baukunst als feinglied- ne und abwechslungsreiche Aussichten nach der Stadt, plötzlich als Nationalstil, als Inbegriff der Gefühls- rigen Klassizismus und war über die hier sehr breite Havel, nebst einigen Seen, architektur und als Ausdruck eines besonderen ästhe- maßgebend an den Garten- nach verschiedenen Dörfern und nach den königlichen tischen Anspruchs. Kurz: Wer etwas auf sich hielt, anlagen von Rheinsberg, Gärten, Wäldern, Lustschlössern und Häusern, die ließ nostalgisch und neogotisch bauen. Potsdam und Sanssouci zum Teil wieder auf kleinen Anhöhen liegen.“ Pfauen, Affen, Fasane bildeten die lebende Staf- beteiligt. In dieser Landschaft tobten sich noch mehrere fage. Hier lustwandelte man durch Laubengänge, Gemälde von Antoine Könige aus, die Entourage ließ sich in prachtvollen durch den Rosengarten oder am Palmenhaus vorbei. Pesne, 1738. JÖRG P. ANDERS / BPK / KUPFERSTICHKABINETT, SMB (O.); / BPK KUPFERSTICHKABINETT, ANDERS (U.) / AKG JÖRG P. ULLSTEIN spiegel special geschichte 3 | 2007 83 DER REFORMSTAAT

„Wasserfahrt des Kronprinzen auf dem See bei Rheinsberg“ Holzstich aus dem 19. Jahrhundert nach einem zeitgenössischen Gemälde.

Der Einklang mit der Natur und deren artifiziel- Als 20-jähriger Prinz, der an den Befreiungskrie- le, oft in sich widersprüchliche Inszenierung – das gen beteiligt war, hatte Friedrich Wilhelm gefleht: schloss sich nicht aus. Abwechselnd sehnte sich Eu- „Mein göttliches Sans-Souci soll mir einigen Trost ge- ropas höfische Gesellschaft eben nach bäuerlicher ben.“ Dort könne er arabische und indische Gedan- Einfachheit oder nach südlicher, am besten sogar ken und „Orangen-Duft aus 1001 Nacht“ atmen. tropischer Ursprünglichkeit. Das Fernweh lebte man Das, was er seine „orientalische und indische Pas- vor der eigenen Haustür aus – oder beim Lesen. Be- sion“ nannte, inspirierte ihn in diesen Jahren auch zu richte von Reisen und Expeditionen wurden zuneh- dem märchenhaften, seiner Schwester gewidmeten mend zur gefragten Lektüre. Der Südamerika-Rück- Briefroman „Die Königin von Borneo“. Darin er- kehrer Alexander von Humboldt galt in halb Euro- fand er eine exotische Traumwelt mit himmlischen pa geradezu als Held. Gärten und Palästen, die „göttlichsten Etabliße- Der bescheidenere König Friedrich Wilhelm III. ments“ glichen. folgte. Erst sein Sohn und Nachfolger sollte die Land- Manches Detail erinnert an Sanssouci. Anderes schaft von Sanssouci völlig neu interpretieren. Fried- diente als Vorbild für das, was er später hier anlegen rich Wilhelm IV. wurde 1840 mit 45 Jahren König und ließ: zum Beispiel „springende und fallende Gewäs- ging als „Romantiker auf dem Thron“ in die Ge- ser“ oder einen „Paradiesgarten“. schichte ein. Bei der Neuerfindung der Anlagen von Sans- Nichts schien ihn so zu fesseln wie die Bau- souci konnte der Kronprinz auf zwei Visionäre kunst, von der er geradezu besessen war. Sogar zurückgreifen, die bereits sein Vater beschäftigt hat- bei Kabinettssitzungen zeichnete er Entwürfe für te: den Architekten Karl Friedrich Schinkel und den Kirchen und Schlösser. Tausende Blätter kamen im Gartenkünstler Peter Joseph Lenné. Beide waren Laufe seines Lebens zusammen. Er selbst sprach von Meister der Idealisierung. Schinkel schuf neogotische seiner „Projektmacherey“. Kulissen, klassizistische Juwele, Lenné umarmte Womöglich wollte er auch nur Politik mit Hilfe der diese mit einer geradezu unwirklich schönen Land- Architektur machen – anders gesagt, er wollte seine schaft. politischen Ideale über Bauten sichtbar werden In der Epoche der Romantik wurden Subjekti- VISIONÄRE lassen. Mit dem Weiterbau des Kölner Doms, den er vität und Sentimentalität zum Lebensinhalt, und bei- Karl Friedrich Schinkel anschob, und mit dem von ihm vorangetriebenen des brauchte auch in der Natur einen passenden Rah- (1781 bis 1841) war der Projekt eines Befreiungsdoms in Berlin brachte er men. Überall wurde die strenge Symmetrie der Gar- klassizistische Stararchitekt sein von Religiosität und Patriotismus geprägtes Welt- tenanlagen ersetzt durch die malerischer wirkenden des Königreichs Preußen bild zum Ausdruck. „Englischen Gärten“. (Gemälde von 1832). Wie bei seinem großen Vorbild Friedrich II. wur- Lenné betrieb diese Verlandschaftung im ganz Peter Joseph Lenné (1789 de aber gerade Sanssouci zum Spiegel seiner je nach großen Stil. Die Blicke sollten über eine Landschaft bis 1866) prägte die preußi- Lebensphase wechselnden Leidenschaften und Uto- schweifen können, die mit ihren eigens aufgeschüt- sche Gartenkunst (Gemälde pien – und zur eigentlichen Heimat. Als junger Mann teten Hügeln zwar von Menschenhand geformt wor- von Karl Begas, um 1850). war er vor allem eines: ein Träumer. den war – der man das aber nicht ansehen sollte. Ein Der eine schuf neogotische Der wichtigste Mensch in seinem Leben war lan- Baum musste, wenn man ihn schon pflanzte, ein „ef- Kulissen, der andere ge Zeit seine Schwester Charlotte, die an den russi- fectvoller Baum“ sein. umarmte diese mit einer schen Zarenhof verheiratet worden war. Auch dar- In die lange Kronprinzenzeit fielen diverse Auf- unwirklich schönen Land- in glich er dem Vorfahren, der einst ganz seiner träge an Schinkel, unter anderem baute er den Guts- schaft. Schwester Wilhelmine vertraut hatte. hof Charlottenhof um und aus, und tatsächlich wur- FOTOS: AKG (3) AKG FOTOS: 84 spiegel special geschichte 3 | 2007 de daraus ein kleines, aber elegantes Schloss. Für Sanssouci diente zugleich als Regierungssitz und MUSENHOF den Thronfolger war dieser Ort, an dem er Künstler als Rückzugsort; mehr denn je war hier die Exzentrik Vor seiner Krönung als und Gelehrte um sich versammelte, „mein Siam“, zu Hause. Friedrich II. verbrachte der also sein eigenes exotisches Königreich. Doch außerhalb des Hofes kündigte sich ein neu- Kronprinz vier Jahre in Der Prinz phantasierte und skizzierte, wollte Klos- es Naturverständnis an. Der Geologe Bernhard von Rheinsberg. Knobelsdorff ter- und Tempelanlagen in Sanssouci bauen. Schinkel Cotta mahnte zur Jahrhundertmitte: „Wer den Men- baute das Schloss, eine fertigte nach den Vorlagen aufwendige Entwürfe. schen als Zweck der Schöpfung ansieht, der mag Renaissanceanlage aus Das meiste erwies sich als unrealistisch – angesichts auch der Überzeugung sein, dass die Gesetze der dem 16. Jahrhundert, in der fast schon größenwahnsinnigen Dimensionen Natur Änderungen erlauben.“ Dieser Gedanke, so barockem Stil um. Hier vielleicht zum Glück. Zu den vielen ungebauten Vi- fuhr er fort, möge manche trösten, „aber fördern musizierte und dichtete sionen des Duos gehören ein Palast für die Akropo- wird er das Wohl der Menschheit gewiss nicht“. Friedrich und versammelte lis und – der Schwester zuliebe – auch ein Zarenpa- Lenné, den Landschaftsdramaturgen, konnte sol- Gelehrte um sich. last auf der Krim. che Skepsis nicht aufhalten, bis zu seinem Tod 1866 Bereits im Jahr nach der Krönung starb dieser war er damit beschäftigt, wie mit einer riesigen Lieblingsarchitekt, nun wurden die um eine Gene- schöpferischen Harke über ein riesiges Areal hin- ration jüngeren Baumeister Ludwig Persius und wegzugehen. Friedrich August Stüler die Favoriten. Er fügte alles zu einem Großen und Ganzen zu- Luises Landleben Die profane Erlebnislandschaft des Parks sollte sammen: den überarbeiteten Neuen Garten und den Königin Luise, die Frau keineswegs getilgt werden, erhielt aber mit der Frie- umgestalteten Park von Sanssouci, die Pfaueninsel, Friedrich Wilhelms III., denskirche eine erste sakrale Anlaufstelle. die Schlossparks von Glienicke, Babelsberg und schätzte das Leben im Friedrich Wilhelm IV. sah sich als König von Got- Sacrow, die Pfingstberganlage und den Park Lindstedt. grünen Idyll. Ihr Gatte tes Gnaden – und seine himmlisch-irdische Macht Berühmt und gefragt wie er war, hatte er für Auftrag- erwarb 1795 das Gut gedachte er mit betont heroischer Architektur auch geber außerhalb der königlichen Familie gewirkt, etwa Paretz an der Havel. in Sanssouci zu demonstrieren. Zudem wollte er die- für den Staatskanzler Fürst Hardenberg. Lenné hatte Der Architekt David sen Lieblingsort zu einer Residenz aufwerten, die das Talent, Wirkung zu erzielen. Theodor Fontane Gilly errichtete einen Berlin ebenbürtig sein sollte. etwa schilderte die Pfaueninsel als „ein Märchen, ein vergleichsweise schlich- Beinahe hätte der König das antike Rom wieder rätselvolles Eiland, eine Oase, einen Blumenteppich“. ten Sommersitz. Ein auferstehen lassen, er träumte von einem neuen Fo- Aus preußischen Königen wurden deutsche Kai- bisschen Aufwand rum Romanum: Friedrich Wilhelm IV. war in seiner ser. Erst Wilhelm II. erwärmte sich wieder für die musste dennoch sein: Planungswut mal wieder maßlos. Tatsächlich gebaut Potsdamer Pracht. Im Neuen Palais wurden Zentral- 1802 traf das Paar für wurden ein Hippodrom, ein Triumphtor, auch das heizung und ein Aufzug installiert. Sein erster Sohn einen zweiwöchigen von Persius entworfene und von Stüler gebaute kam im Marmorpalais zur Welt. Für ihn ließ der Va- Aufenthalt ein – 331 „Orangerie-Schloss“. Dieser Prachtbau besitzt Aus- ter später das Schloss bauen. Pferde und 75 Kutschen maße, die eine Spur zu monumental sind, und ei- Mit dem Ende der Monarchie gelangten die Pots- brachten die Königsfa- gentlich sollte er nur den End- und Höhepunkt einer damer Gärten schließlich in Staatsbesitz. Das über milie, die Entourage ganzen Triumphlandschaft bilden. Jahrhunderte gewachsene Paradies wurde dem und das Gepäck. 1806 Stilistisch war alles möglich: Am Ufer der Ha- Preußischen Kultusministerium unterstellt. musste Luise vor Napo- vel errichtete Persius ein Dampfmaschinenhaus im In Potsdam, genauer: im Schloss Cecilienhof tra- leon flüchten. Vor Stil einer Moschee. Seine bayerische Gattin be- fen sich 1945 die Alliierten und verhandelten über die ihrem frühen Tod 1810 schenkte der König mit einer Berghütte im Land- Zukunft Deutschlands. Der Sehnsuchtsort der kam sie noch einmal hausstil. Preußen wurde zum politischen Schicksalsort. ✦ nach Paretz zurück. JOERG HEIMANN / BILDERBERG JOERG HEIMANN spiegel special geschichte 3 | 2007 85