Geschichte Der Pharmazie
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ISSN 0939 - 334X | 68. Jahrgang | August 2016 | 2/3 Geschichte der Pharmazie DAZ Beilage | Redaktion Prof. Dr. Wolf-Dieter Müller-Jahncke | Prof. Dr. Christoph Friedrich Salicylsäure und ihr EDITORIAL „Die schönen Tage von Aranjuez sind nun vorüber…“ sagt in Friedrich Debüt als Antiseptikum Schillers Drama „Don Carlos“ Pater Domingo, der Beichtvater König Phil- ipps II. von Spanien, zum Kronprin- zen Don Carlos. Nun, dies gilt auch – und Konservierungsmittel allerdings ohne den dramatischen Ausgang – für die Biennale in Meißen Ursula Lang | Als einer der bedeu- sche und antimikrobiell Wirkung vom 22. bis 24. April diesen Jahres. tendsten Chemiker seiner Zeit über- stellte die entscheidende Triebfeder Eine wunderschöne Stadt an der Elbe, nahm Hermann Kolbe (1818–1884) für ihre großtechnische Herstellung ein reichhaltiges und gelehrtes Pro- gramm und vor allem die glänzende 1851, vor nunmehr 165 Jahren, das dar. Später diente sie auch als Aus- Organisation von Frau Dr. Pierroth Ordinariat für Chemie an der Uni- gangsstoff für Salicylsäurederivate und Frau Mörschner lassen diesen versität Marburg und folgte damit wie beispielsweise die Acetylsalicyl- Kongress im bunten Blumenstrauß Robert Wilhelm Bunsen (1811– säure. der Biennalen hell leuchten. Ebenso 1899), dessen Assistent er von 1842 vielfältig wie die Themen in Meißen 1 bis 1845 gewesen war. Kolbe und Weidenrinde, Mädesüßblüten erscheinen die Beiträge dieser Ausga- seine Schüler beschäftigten sich in- und Wintergrünöl – natürliche be der „Geschichte der Pharmazie“. tensiv mit Reaktionen organischer Salicylsäurequellen Neben neuen Ergebnissen zur Salicyl- Verbindungen und im Jahr 1859 ge- säure, deren Geschichte man eigent- lang die erste Salicylsäure-Synthese Im Jahr 1818 wurde Johann Andreas lich zu kennen glaubte, führt der im Labor. Nachdem Hermann Kolbe Buchner (1783–1852), der von Johann Briefwechsel des Vaters von Dr. Will- 1865 dem Ruf auf den Lehrstuhl für Bartholomäus Trommsdorff (1770– mar Schwabe, Carl Robert Schwabe, Chemie in Leipzig gefolgt war, ver- 1837) in Erfurt in der „Chemisch-phy- das Berufsleben und die Sozialge- besserte er das Syntheseverfahren sikalischen und Pharmaceutischen schichte der Apotheker des 19. Jahr- der Salicylsäure und ließ dieses pa- Pensionsanstalt für Jünglinge“ zu ei- hunderts vor Augen und zeigt unter tentieren. Mit der auf Vorschlag Kol- nem wissenschaftlich denkenden Apo- anderem, wie die Apothekenangestell- bes erfolgten Gründung der Salicyl- theker ausgebildet worden war, zum ten mit der „kleinen Eiszeit“, die bis säure-Fabrik Dr. F. von Heyden im ersten Professor für Pharmazie, Ar- etwa 1850 reichte, zurecht kommen Jahr 1874 durch den Chemiker zeneiformellehre [!] und Toxikologie mussten. Das Leben und Treiben in Friedrich von Heyden (1838–1926), an die Universität in Landshut beru- der estnischen Universitätsstadt Dor- einem Schüler Rudolf Schmitts fen. 1828 publizierte er einen Beitrag pat zu Ende des 19. Jahrhunderts do- (1830–1898), wurde eine neue Ära Ueber das Rigatellische Fiebermittel kumentieren Auszüge einer Autobio- eingeläutet – das Zeitalter der in- und über eine in der Weidenrinde ent- graphie von Georg Noël Dragendorff, dustriellen Wirkstoffsynthese.2 In deckte alkaloidische Substanz. Buchner der mit dem Universalgelehrten Karl der Folgezeit war Salicylsäure nicht erläuterte im Vorspann, dass der itali- Ernst von Baer befreundet war und manch Kurioses zu berichten weiß. nur wegen ihrer antipyretischen enische Apotheker Rigatelli in Verona Ich wünsche Ihnen, geneigter Leser, oder analgetischen Wirkung von ein „antifebrilisches Bittersalz“ ent- lehrreiche und unterhaltsame Stun- großem Interesse für Chemiker, deckt habe, das aus einer in Europa den bei der Lektüre. Apotheker und Ärzte des 19. Jahr- häufig vorkommenden Pflanze berei- W.-D. Müller-Jahncke hunderts, sondern ihre antisepti- tet werden könne und in der Wirksam- Nr.2/3 | August 2016 | 68. Jahrgang | Geschichte der Pharmazie | 25 GdP_2_3_2016_Umb.indd 25 http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/64741 21.07.16 09:19 Geschichte der Pharmazie lierte der französische Chemiker Au- guste André Thomas Cahours (1813– 1891) „salicylsaures Methyloxyd“ (Sa- licylsäuremethylester).8 In der Volksmedizin sind Einreibungen von Gaultheriaöl gegen Gelenkrheumatis- mus beschrieben.9 Kolbes erste Salicylsäuresynthese an der Universität Marburg Als Hermann Kolbe 1851 den Lehr- stuhl für Chemie in Marburg über- A bb. 1: Cortex salicis albi pulv., Spanschachtel 2. Hälfte 19. Jahrhundert nahm, interessierten ihn organische Verbindungen, die aus dem Naturreich gewonnen werden konnten. Viele Che- keit dem schwefelsauren Chinin völlig ria über die Behandlung des Salicins miker und Apotheker isolierten und gleichkomme. Buchner hatte eine Pro- mit Kaliumdichromat und Schwefel- untersuchten Naturstoffe; seine Idee be des „Rigatellischen Arcanums“ zur säure. Dabei erhielt er eine „ölartige war es jedoch, Reaktionen und Syn- Untersuchung erhalten und vermutete Materie“, die er „Salicylwasserstoff“ thesewege zu finden, um derartige aufgrund des bitteren Geschmacks, (Salicylaldehyd) nannte und durch De- Stoffe im Labor herstellen zu können. dass es von einer Weidenrinde stamm- stillation abtrennte. Den Geruch der Die Beobachtung, dass Salicylsäure te, da Cortex salicis seit langem als resultierenden Flüssigkeit beschrieb (2-Hydroxy-Benzoesäure) beim Erhit- Arznei gegen Fieber und „Podagra“ er als angenehm und an Bittermandel- zen mit „Kalihydrat“ (KOH) in „Phe- Verwendung fand. Buchner begann öl erinnernd. Nach anschließender nylsäure“ (Hydroxybenzol oder Phe- mit der Untersuchung von Rinden ver- Umsetzung mit ätzender Pottasche ge- nol) und Kohlensäure sowie Anthra- schiedener Salix-Arten und isolierte langte er zu einer Carbonsäure, die er nilsäure (2-Amino-Benzoesäure) in schließlich einen gelblichen, intensiv „Acide salicylique“ (Salicylsäure) Anilin (Aminobenzol) und Kohlensäu- bitter schmeckenden Extrakt, der „mit nannte.4 re zersetzt werden können, war offen- vielen nadelförmigen Krystallen un- Obwohl Piria die exakte chemische sichtlich Anlass für Kolbe und seine termengt war“. Er nannte die so ge- Struktur noch nicht kannte, vermutete Mitstreiter, chemische Reaktionen der wonnene Substanz nach der Stamm- er die nahe chemische Verwandtschaft Anthranilsäure näher zu untersuchen. pflanze der Weidenrinde Salicin. Dass zur Benzoesäure: „D´après cela, 1853 veröffentlichte Kolbes Schüler er vom medizinischen Nutzen des von l´hydrure de salicyl est isomérique Wilhelm Gerland (1831–1915) eine Ar- ihm isolierten Inhaltsstoffs überzeugt avec l´acide benzoïque hydraté“.5 beit, in der er beschrieb, wie Salicyl- war, lässt sich seinen, den Beitrag ab- Ebenso wie die Weidenrinde verwen- säure aus einer anderen Verbindung schließenden Worten entnehmen: „Es dete man auch Mädesüß (Spirea ulma- hergestellt werden konnte: Durch Re- ist wohl nicht daran zu zweifeln, dass ria oder Filipendula ulmaria) als fie- dieses Salicin den fieberwidrigen Be- bersenkendes und Gelenkentzündun- standteil der Weidenrinde ausmacht, gen linderndes Mittel in der Volksheil- und daß die medicinische Anwendung kunde.6 Die Untersuchung der Blüten desselben von grösserm Nutzen seyn von Spirea ulmaria führte zur Isolie- wird, als die des Extracts, welches rung einer Verbindung, die dem Sali- sehr viel Gerbestoff enthält, und da- cin ähnelte. Jean-Baptiste Dumas be- durch leicht eine üble Nebenwirkung richtete darüber, dass der aus Bern ausüben kann“.3 stammende Apotheker Johann Samuel Dass Salicin kein Alkaloid, sondern Friedrich Pagenstecher (1783–1856) das Glykosid des Salicylalkohols Sali- aus den Blüten von Spirea ulmaria ein genin (2-Hydroxy-Benzylakohol) dar- Öl isoliert hatte, das dem von Raffaele stellte, erkannte einige Jahre später Piria bei der oxidativen Glykolyse von der italienische Arzt und Chemiker Salicin gefundenen „Salicylwasser- Raffaele Piria (1815–1865), als er unter stoff“ chemisch sehr ähnelte.7 Anleitung des französischen Chemi- Aus „wintergreen oil“, das in der Par- kers Jean-Baptiste Dumas (1800–1884) fümerie Verwendung fand und vom an der Pariser Sorbonne arbeitete und amerikanischen Wintergrün (Gaulthe- forschte. Im Jahre 1838 berichtete Pi- ria procumbens) gewonnen wurde, iso- A bb. 2: Hermann Kolbe 26 | Geschichte der Pharmazie | 68. Jahrgang | August 2016 | Nr.2/3 GdP_2_3_2016_Umb.indd 26 http://publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/64741 21.07.16 09:19 Geschichte der Pharmazie aktion von Anthranilsäure mit wässri- Rudolf Wilhelm Schmitt im Jahr 1873 führt aus, dass es eine dritte isomere ger salpetriger Säure erhielt Gerland am Dresdner Polytechnikum in Che- Verbindung gäbe, die „Oxybenzoesäu- unter Stickstoffentwicklung Salicyl- mie promoviert hatte: „Es wird gewiss re“ (3-Hydroxy-Benzoesäure): „Ueber säure.10 manchen Chemikern, welche künftig die räumliche Lagerung der Elemente Kolbes Hypothese, dass man aus Phe- über Salicylsäure arbeiten wollen, er- in der Salicylsäure und Paraoxyben- nol durch Carboxylierung mit Kohlen- wünscht sein, sich dieselbe in grossen zoesäure, wie auch der dritten isome- säure auch auf direktem Weg Salicyl- Mengen fortan leicht beschaffen zu ren Verbindung, der Oxybenzoesäure, säure gewinnen könne, gelang einige können und zu erfahren, dass Hr. Dr. ein Bild zu entwerfen, überlasse ich Jahre später. Er reichte am 17. Dezem- von Heyden in Dresden dieselbe nach den Strukturchemikern, welchen ich ber 1859 eine „briefliche Mittheilung“ dem von mir beschriebenen neuen auf ihrem Weg nicht zu folgen ver- bei den Annalen der Chemie und Phar- Verfahren