INHALTSVERZEICHNIS

9 GRUSSWORT 163 NETZWERKE DER MODERNE – Birgitta Wolff DIE GALERISTEN LUDWIG SCHAMES UND HANNA BEKKER VOM RATH 11 VORWORT UND DANK Ida Kerkovius – Peter Rasmussen – Louise Rösler – Manfred Großkinsky Ernst Wilhelm Nay – Siegfried Reich an der Stolpe Kat. 93–97 15 DAS RHEIN-MAIN-GEBIET ALS ZIEL KÜNSTLERISCHER MIGRATION 175 MÄZEN, SAMMLER UND VERMITTLER – Claudia Caesar HEINRICH KIRCHHOFF UND „SEINE“ KÜNSTLER Josef Eberz – Conrad Felixmüller – Walter Jacob 31 IN 1858/59 Kat. 98–104 Gustave Courbet – Victor Müller – Angilbert Göbel – Anton Burger – Karl Peter Burnitz – Otto Scholderer 189 MAX BECKMANN IN FRANKFURT 1915 BIS 1933 Kat. 1–13 Max Beckmann – Karl Tratt – Anna Krüger – Friedrich Wilhelm Meyer – Walter Hergenhahn – Leo Maillet – 51 FREILICHTMALEREI – ENTDECKUNG DER REGION Inge Dinand – Theo Garve Hugo Wilhelm Kauffmann – Wilhelm Busch – Alfred von Kat. 105–114 Schönberger – Ferdinand Brütt – Robert Hoffmann Kat. 14–19 205 VERTREIBUNG – NATIONALSOZIALISTISCHER TERROR AB 1933 63 KÜNSTLERFREUNDSCHAFTEN – Jakob Nussbaum – Armin Stern – Benno Elkan – NEUER IDEALISMUS IN FRANKFURT Hermann Lismann – Hanns Ludwig Katz – Willi Baumeister – Albert Lang – Karl von Pidoll zu Quintenbach Kat. 115–121 Kat. 20–25 221 ABSTRAKTION – ANSCHLUSS AN DIE 77 WILHELM TRÜBNER IN FRANKFURT 1896 BIS 1903 INTERNATIONALE MODERNE NACH 1945 Wilhelm Trübner – Alice Trübner – Eugenie Bandell – Paul Fontaine – Bernard Schultze – Karl Otto Götz – Else Luthmer – Hermann Herterich – Hermann Treuner Georg Meistermann Kat. 26–34 Kat. 122–127

93 KÜNSTLERKOLONIE DARMSTADT 1899 BIS 1914 235 PLURALISMUS DER KUNSTFORMEN – Peter Behrens – Rudolf Bosselt – Paul Bürck – Patriz Huber – INTERNATIONALISIERUNG Joseph Maria Olbrich – Friedrich Wilhelm Kleukens – Eberhard Schlotter – Heinrich Steiner – Toni Stadler – Josef Emil Schneckendorf – Bernhard Hoetger – Michael Croissant – Ulrich Rückriem – Per Kirkeby – Emanuel Josef Margold – Hanns Pellar – Fritz Osswald Hermann Nitsch Kat. 35–86 Kat. 128–135

149 INTERESSENGEMEINSCHAFT – Anhang RHEINLÄNDISCHE KÜNSTLER IN FRANKFURT Rudolf Gudden – Alexander Soldenhoff – 254 Abgekürzt zitierte Literatur – 259 Abbildungs- und August Babberger – Hans Brasch – Albert Haueisen Fotonachweis – 260 Personenregister – 263 Abkürzungs- Kat. 87–92 verzeichnis – 263 Autorenkürzel – 264 Impressum

7 DAS RHEIN-MAIN-GEBIET ALS ZIEL KÜNSTLERISCHER MIGRATION

Claudia Caesar

Die Ausstellung präsentiert Werke von Künstlerinnen und Künstlern, Prozessen der Integration beziehungsweise Adaption von fremden die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute aus anderen Ge - künstlerischen Formulierungen in die regionale Kunstproduktion genden Deutschlands und darüber hinaus in das Rhein-Main-Gebiet und dem Gewinn, den diese dadurch erfährt; aber auch die nach gekommen sind, dort eine Zeit lang arbeiteten und die Region den Veränderungen, die ein Aufenthalt in der Rhein-Main-Region dann wieder verließen. Der Fokus liegt dabei nicht auf angehenden unter Umständen im Werk einzelner „reisender“ Künstler bewirkte. Künstlern, die zur Ausbildung in die Region gekommen sind, son - Damit führt die Ausstellung am Beispiel der Kunst etwas ganz Ele - dern auf Künstlern, die bereits einen gewissen Ruf genossen, als es mentares vor Augen, das insbesondere heute in einer zunehmend sie in die Gegend verschlug. Außerdem zeigt sie Werke (meist) lo - globalisierten und von Migration geprägten Gesellschaft eine wich - kaler Künstler, die unter dem Einfluss und im Umkreis dieser „Durch - tige Erkenntnis darstellt: Was bewirkt Migration, wie funktionieren reisenden“ entstanden sind. Integration und der Austausch zwischen „Fremdem“ und „Eige - Mithilfe des kunsthistorischen Objektmaterials wird eine Reihe nem“, aber auch wie definiert sich Fremdes und Eigenes? von Fragen aufgeworfen. Dies sind zunächst Fragen nach den sozio - Die Ausstellung positioniert sich mit diesen Fragestellungen in ökonomischen Bedingungen der Produktion und Distribution von mehreren interdisziplinären Forschungsrichtungen, die auch zu - Kunst im Rhein-Main-Gebiet: Was macht die Region attraktiv für nehmend in dem aktuellen kunsthistorischen Diskurs erörtert wer - Künstlerinnen und Künstler aus der Fremde? Jene Frage zielt auf die den. Einerseits werden Kunstobjekte gezeigt, die in einem be - in Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden et cetera vorhandenen lokalen stimmten räumlichen Umfeld entstanden sind, womit der Back - Strukturen, welche sich je nach Ort unterscheiden und über die Zeit ground kunstgeographischer Forschung angesprochen ist, dann verändern, auf Möglichkeiten, seine Kunst auszuüben, auszustellen, wird der längere Aufenthalt ortsfremder Künstler in der Rhein- zu verkaufen, auf Künstlerfreundschaften und Netzwerke. Eine Schnitt - Main-Region thematisiert, was uns in den Bereich der auf d er his - menge ergibt sich hier mit Künstlern, die aus der Fremde kommen torischen Migrationsforschung basierenden Untersuchung zu künst - und in der Region bleiben. Die folgerichtig anschließende Frage ist: lerischer Mobilität führt, und schließlich spielt auch noch der insbe - Warum verlässt ein Künstler die Region wieder? Hier kann untersucht sondere im Kontext deutsch-französischer Forschung ausformu lierte werden, welche strukturellen Veränderungen ihn dazu bringen, sein Ansatz des Kulturtransfers beziehungsweise kulturellen Austauschs Glück anderswo zu suchen, und wohin es Künstler aus der Rhein- eine Rolle. Main-Region zieht – auch hier ergibt sich eine Schnittmenge mit Der Forschungskontext soll einleitend in der nötigen Kürze und Künstlern, die in der Region heimisch sind, die diese aber verlassen. in Konzentration auf die hier relevanten Aspekte umrissen werden. Somit können im Einzelnen Mängel in den regionalen Strukturen, De - Anschließend soll ein Überblick über die Strukturen gegeben wer - fizite im Netzwerk oder andere Verschiebungen deutlich werden. Dies den, die im Rhein-Main-Gebiet die Zureise von Künstlern begünstigt betrifft auch beispielsweise die erzwungene Abwanderung von Künst - haben. In der Fülle des Materials schien eine Fokussierung auf ein - lern nach 1933 aufgrund der Vertreibung durch die Nationalsozialisten. wandernde Künstler notwendig, und selbst hier ist nur ein grober Andererseits lassen sich anhand des versammelten Materials Überblick zu leisten. Abschließend soll exemplarisch Einblick in for - auch kunstimmanente Fragen bearbeiten: nämlich die nach den male, also kunstimmanente Transferleistungen gegeben werden.

15 1. KUNST, RAUM UND MIGRATION: NEUERE stehen und von dort in die Peripherie getragen werden. Es lassen Globalisierung zunehmend mit dem Themenfeld Migration ausei - Kunstgeschichte als Wissenschaft, die sich primär materiell fassba - KUNSTHISTORISCHE FORSCHUNGSANSÄTZE sich einerseits weithin ausstrahlende Zentren feststellen, wie es im nandersetzen. 13 Der Blick auf Migration unterstützt dabei nicht zu - ren Objekten widmet, besonders geeignet, kulturelle Transferleis - 19. Jahrhundert zunächst Rom und dann mehr und mehr für letzt die Dekonstruktion nationaler Schulen, die bereits seit Beginn tungen zu verdeutlichen. Wenn man die Migration von Künstlerinnen und Künstlern in ein ganz Europa waren, wie andererseits regionale Zentren, die inner - der Kunstgeschichtsschreibung als Ordnungssystem herangezogen bestimmtes Gebiet bespricht, muss zunächst die Definition der halb einer bestimmten Region eine Führungsfunktion übernahmen. wurden und bis heute die Hängung vieler Museen bestimmen. Grenzen diskutiert werden. Damit begibt man sich in das Feld Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie ist als komplexe Aus - Demgegenüber hat beispielsweise eine Ausstellung der Tate Mo - 2. KÜNSTLERISCHE MIGRATION IN DAS RHEIN- kunstgeographischer Forschung, die sich im weitesten Sinn mit tauschbeziehung zu kennzeichnen. Für die Diffusion der Formen dern versucht, die britische Kunst über migrierende Künstler zu er - MAIN-GEBIET: DIE STRUKTUREN den Beziehungen „zwischen dem Kunstgut und der künstlerischen spielt neben der Wanderung von Kunstwerken beziehungsweise zählen und damit ihre nationale Einordnung zu hinterfragen. 14 In Tätigkeit einerseits und einem geographischen Raum andererseits“ ihrer Reproduktionen – im 19. Jahrhundert zunehmend über Kunst - kunstgeographischer Sicht knüpft sich an die Migration eines Künst - Beschäftigt man sich näher mit dem Rhein-Main-Gebiet aus histo - beschäftigt. 1 Als Wissenschaftszweig ist die Kunstgeographie relativ zeitschriften, die dann im Laufe des 20. Jahrhunderts in eine breite lers auch die Diffusion und Aufnahme stilistischer Formulierungen. rischer Sicht, so fällt zunächst auf, dass die Bezeichnung der Region jung, erste explizit kunstgeographische Studien entstanden zu Be - Verfügbarkeit der Bilderwelten überging – die Migration von Künst - Eine ähnliche Stoßrichtung weisen auch interdisziplinäre An - erst etwa hundert Jahre alt ist. Ihre Entstehung spiegelt eine Situa - ginn des 20. Jahrhunderts, allerdings spielt der räumliche Aspekt lerinnen und Künstlern eine zentrale Rolle. sätze des Kulturtransfers oder des Kulturaustauschs auf, die sich in tion, in der durch die Industrialisierung die Städte dieser stark pros - in der Kunstgeschichtsschreibung von jeher eine Rolle. 2 Während Hier ist die Schnittstelle zwischen kunstgeographischer For - eine Reihe aktueller Forschungskonzepte einreihen lassen, die ver - perierenden Region zusammenrückten und sich, auch auf Basis die kunstgeographische Forschung in ihren Anfängen noch von ra - schung und Migrationsforschung im Feld der Kunst erreicht. Mi - suchen, dem national geprägten Blick der Wissenschaften eine neuer Verkehrsmöglichkeiten und wirtschaftlicher Notwendigkeiten, tionalen Vorgaben des Raumes ausging, etwa nach Verkehrsver - gration lässt sich als „die auf einen längerfristigen Aufenthalt an - transnationale oder globale Sicht entgegenzusetzen. 15 Dabei meint ein immer regerer Austausch entwickelte. Bis heute ist die Rhein- bindungen, ökonomischen Beziehungen und Auftraggebern fragte, gelegte räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes“ 7 definie - Transfer „die Bewegung von Menschen, materiellen Gegenständen, Main-Region in politischer Hinsicht heterogen, sie umfasst drei Bun - sich also interdisziplinär öffnete und Kunst und Künstler in einen ren und grenzt sich in dieser Definition deutlich von der Reise ab, Konzepten und kulturellen Zeichensystemen im Raum und dabei desländer. Vor der deutschen Einigung im Jahr 1871 war diese Zer - historischen und gesellschaftlichen Rahmen stellte, verengte sie die zumeist einen kürzeren Zeitraum umfasst und bei der die bis - vorzugsweise zwischen verschiedenen, relativ klar identifizierbaren gliederung noch massiver, das Gebiet zerfiel damals in mehrere un - sich vor allem in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun - herigen Lebensverhältnisse, sowohl in politisch-rechtlicher wie pri - und gegeneinander abgrenzbaren Kulturen mit der Konsequenz terschiedliche Staaten. Zwar hatte Frankfurt, als Messestadt am derts zusehends: Eine postulierte Einheitlichkeit in der Kunstpro - vater Hinsicht, beibehalten bleiben. 8 Dabei hat die historische Mi - ihrer Durchmischung“. 16 Der Transferansatz wurde zuerst in den Kreuzungspunkt wichtiger Verkehrswege gelegen, schon lange die duktion einer Region wurde vor allem über die Eigenarten des grationsforschung herausgearbeitet, dass private Netzwerke sowohl 1980er Jahren im Umfeld deutsch-französischer Literaturwissen - Stellung eines regionalen Zentrums inne, aber aus der politischen jenen Landstrich besiedelnden Volkes erklärt. Innerhalb dieses Den - für die Informationsvermittlung vor der Zureise als auch für das Zu - schaftler aufgegriffen 17 und zielt vor allem auf den Prozess des Zergliederung und der singulären Position Frankfurts resultierte eine kens wurden einzelne migrierende Künstler sogar zu alleinigen Trä - rechtfinden am Zielort für die Migration eine erhebliche Rolle spie - Austauschs und auf die Veränderungen, die dieser vor Ort bewirkt, bis heute spürbare „polyzentrale Struktur der Region, in der sich gern und Übermittlern stilistischer Formulierungen gemacht, wobei len. 9 Klassischerweise erfolgt die Migration von Künstlern als Ar - wobei der Rahmen vom persönlichen Bereich bis in den transnatio - viele Städte Individualität und administrative Eigenständigkeit be - auch ein in der Romantik entstandenes Künstlerbild eine Rolle beitsmigration: Sie verändern ihren Aufenthaltsort zumeist, weil nalen oder globalen Kontext reichen kann. 18 Dem liegt nicht mehr wahren konnten“. 22 Intensivere Versuche, das Gebiet auch struktu - spielte, das den Künstler zum Vaganten schlechthin stilisierte. 3 sich damit eine – angenommene – Verbesserung ihrer Arbeits- die Vorstellung eines eindimensionalen Einflusses eines Kulturrau - rell zusammenzubinden, fielen dann, vor allem als Antwort auf die Diese auf ethnische oder sogar rassische Gründe setzende und an - oder Ausbildungsbedingungen verbindet oder eine Karrierechance mes auf einen anderen zugrunde, sondern die eines komplexen Bedürfnisse des industrialisierten Frankfurts nach einem enger ver - sonsten vor allem stilhistorisch operierende Forschung stellte sich eröffnet. Als gesuchte Spezialisten werden sie ähnlich wie andere Systems des dauernden, dynamischen Gebens und Nehmens – der bundenen Umland, erst in die 1920er Jahre. Damals propagierte in der Zeit des Nationalsozialismus bereitwillig in den Dienst der Experten häufig an einen neuen Wirkungsort berufen 10 und zählen Begriff Netzwerk ist hier richtungsweisend. Dabei rücken die Träger der Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann die Vorstel - Blut-und-Boden-Ideologie. Ab den 1970er Jahren und nochmals sicherlich zu den privilegierten unter den Migranten, vergleicht des Kulturimports ebenso in den Fokus wie die Aufnahmebereit - lung von einem Rhein-Mainischen Städtekranz, dessen Zentrum verstärkt in den letzten zehn Jahren wurde der Forschungszweig man sie beispielsweise mit saisonal beschäftigten Arbeitskräften. 11 schaft der rezipierenden Gesellschaft, die für eine von außen kom - Frankfurt sein sollte und dessen Peripherie Wiesbaden, Mainz, kritisch aufgearbeitet mit dem Ziel, räumliche Forschung von dem Die Entscheidung zur Migration und für einen spezifischen Zielort mende kulturelle Leistung ein Milieu schafft und diese in ihre Welt Darmstadt und Aschaffenburg darstellten. 23 Damit war der Raum rechtslastigen ideologischen Ballast zu befreien und neu für die gründet sich dann aber, wie auch bei anderen Migranten, auf eine „übersetzt“. 19 Das von Bénédicte Savoy und France Nerlich heraus - benannt, der bis heute das Rhein-Main-Gebiet als eine der wich - Kunstgeschichte nutzbar zu machen. 4 Da eine die Zeiten überdau - Vielzahl von Faktoren und ist meistens nicht allein ökonomisch be - gegebene Lexikon „Pariser Lehrjahre“, das in zwei Bänden Lebens - tigsten europäischen Metropolregionen Deutschlands mit intensiver ernde formale Einheitlichkeit keine Voraussetzung für eine moderne dingt, so kommt beispielsweise auch die Migration aufgrund von läufe von Künstlern aus dem deutschsprachigen Raum zusammen - wirtschaftlicher Verflechtung und hohem Pendleraufkommen aus - kunstgeographische Forschung mehr darstellt, lässt sich prinzipiell Vertreibung bei Künstlern vor – in Deutschland vor allem nach stellt, die sich zwischen 1796 und 1870 zu Ausbildungszwecken in macht. 24 jeder Raum auf sein künstlerisches Beziehungsgeflecht hin unter - 1933. In der kunsthistorischen Forschung spielt das Thema künst - Paris aufhielten, ist ein Beispiel für die Umsetzung dieser Ansätze Der historischen Zergliederung entsprechend wiesen die einzel - suchen, wobei er zwangsläufig dynamisch zu denken ist, sich je lerischer Mobilität und Migration in den letzten Jahren eine immer in die kunsthistorische Forschung. 20 Daneben traten jüngst bei - nen städtischen Zentren des Rhein-Main-Gebietes auch im Kunst - nach Fragestellung in unterschiedliche Unterräume aufgliedert, die wichtigere Rolle: So wurden Künstlerreisen intensiv beforscht, 12 spielsweise die internationalen Beiträge zur Düsseldorfer und Mün - bereich sehr unterschiedliche Strukturen auf, 25 die sich mehr oder gesetzten Grenzen immer wieder überschreitet und sich zudem wobei nicht immer explizit zwischen Reise und dauerhafter Orts - chener Malerschule in den Fokus der Forschung, die jeweils große weniger positiv auf den Zuzug von Künstlern auswirkten. Insgesamt insbesondere der kulturhistorischen Forschung öffnet. 5 Dabei spielt veränderung getrennt wird, was je nach Fragestellung sinnvoll er - Gemeinden von Künstlern aus anderen Regionen an sich banden. 21 lässt sich feststellen, dass im betrachteten Zeitraum vor allem Künst - die Vorstellung von Zentrum und Peripherie eine wichtige Rolle. 6 scheint. Auch zum Themenfeld der Migration gab es eine Reihe Dies verdeutlicht die enge Verzahnung der unterschiedlichen na - ler aus dem deutschen Sprachraum in die Region einwanderten – Diese geht davon aus, dass künstlerische Neuerungen insbesondere von Publikationen und Ausstellungsprojekten, insbesondere weil tionalen Kunstentwicklungen und löst gleichzeitig insbesondere die berühmteste Ausnahme ist Gustave Courbet (Kat. 1–3, 7), der aufgrund der vorhandenen Infrastrukturen zumeist in Zentren ent - sich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit wachsender nationale und regionale Kategorien auf. Insgesamt scheint die sich 1858/59 in Frankfurt aufhielt. Dies scheint typisch für regionale

16 17 GUSTAVE COURBET IN FRANKFURT 1858/59

Die Malerei des Franzosen Gustave Courbet markierte für die Frankfurter Kunstszene Mitte des 19. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit den neuesten Tendenzen der Moderne. Sein mit dem Schlagwort „Realismus“ belegtes Schaffen konfrontierte das Publikum mit ungewohnten, eigenwilligen Bildlösungen.

In Frankfurt fanden erste Ausstellungen mit einzelnen Gemälden Courbets 1852, 1854 und im Frühjahr 1858 statt. Der bekennende Sozialist präsentierte wirklichkeitsnahe Szenen aus dem Alltagsleben der Landbevölkerung und Tagelöhner, großformatige Gemälde mit der Zurschaustellung der Armut und zwischenmenschlichen Isolation. An dieser Thematik und an der unakademischen Ausführung mit dunkeltonigem Ko lorit und grober Malweise entzündeten sich heftige öffentliche Diskussionen.

Im August 1858 besuchte Courbet Frankfurt und blieb dort bis Februar 1859. Einige Frankfurter Künstler wie Karl Peter Burnitz, Victor Müller, Angilbert Göbel, Anton Burger und Otto Scholderer, die bereits Erfahrungen mit der Schule von Barbizon sowie mit der Pariser Kunstszene gemacht hatten und teilweise den Künstler schon kannten, ließen sich motivisch wie maltechnisch von Courbet anregen. Nach einem Zwist mit dem Landschafts- und Genremaler Jakob Becker über die Ausführung landschaftlicher Details musste Courbet das vom Städelschen Kunstinstitut zur Verfügung gestellte Atelier im Deutschherrenhaus räumen.

Courbet thematisierte mit seiner Kunst und seiner Person die Außenseiterrolle des Künstlers. Sein selbstbewusstes Auftreten und seine in künstlerischen Fragen kompro - misslose Haltung hinterließen einen tiefen Eindruck unter seiner Anhängerschaft. Ins - besondere Courbets bedingungsloser Freiheitsdrang ermutigte sie, ihren eigenen Weg zu gehen: Burger zog nach Kronberg im Taunus, wo er die dortige Malerkolonie mit - begründete, Müller wechselte in das Kunstzentrum München und Scholderer in die Metropole London. Und Burnitz, der mit seinen stimmungsvollen Landschaften kei - nerlei Erfolg hatte und sich ständiger Kritik ausgesetzt sah, hielt unbeirrt an seiner Kunstauffassung fest. MG

31 1 | GUSTAVE COURBET 2 | GUSTAVE COURBET Die Quelle der Lison, 1864 Häuser am Wasser, 1865 Öl auf Leinwand, 60,8 x 50 cm Öl auf Leinwand, 46 x 56 cm Bez. l. u.: G. Courbet. Bez. l. u.: G. Courbet. Privatbesitz Privatbesitz

38 39 KÜNSTLERKOLONIE DARMSTADT 1899 BIS 1914

1899 gründete der kunstsinnige Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein die Künstlerkolonie Darmstadt. Angeregt von dem Verleger Alexander Koch, wollte er seine Residenz zum Zentrum moderner Kunstbestrebungen machen und damit das Ansehen des Großherzogtums steigern. Er berief junge Künstler nach Darmstadt, deren Tätigkeit nicht mehr die Trennung von freier und angewandter Kunst prägen sollte. Vielmehr strebten sie nach der Einheit von Kunst und Leben im Sinne des Gesamtkunst - werks, indem sich alle Lebensbereiche einem ästhetischen Prinzip unterordnen. D iese Architekten, Bildhauer, Entwerfer und Graphiker wie Peter Behrens, Josef Maria Olbrich , Rudolf Bosselt und andere genießen mittlerweile Weltruhm.

Ausgestattet mit einem festen Einkommen und großen künstlerischen Freiheiten hat - ten die Künstler moderne Entwürfe für handwerkliche Betriebe zu entwickeln, um die Wirtschaft im Großherzogtum zu fördern. Statt industrieller Massenware sollten funktio - nale Gegenstände des täglichen Lebens mit ästhetischem Anspruch produziert werden.

Zwei große Ausstellungen rahmten die historische Phase der Künstlerkolonie zwischen 1899 und 1914 ein: „Ein Dokument Deutscher Kunst“ 1901 und „Künstlerkolonie Aus - stellung Darmstadt“ 1914. Diese verkaufsorientierten Leistungsschauen fanden dank Kochs Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ überregional große Beachtung. Errichtet wurden dauerhafte und temporäre Bauten samt Innenausstattung von der Wandgestaltung, Möblierung bis hin zur Tafelkultur. Die wichtigsten Gebäude prägen bis heute das Erscheinungsbild der Mathildenhöhe: Das Ernst-Ludwig- Haus, die Künst - lerhäuser, der Hochzeitsturm, weitere Architekturen und der Platanen hain dokumen - tieren das weitsichtige Engagement des Fürsten, dessen Vision als „Welt entwurf“ Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes anstrebt. MG

93 35 a–j | PETER BEHRENS (ENTWURF) Silberwarenfabrik M. J. Rückert, Mainz (Ausführung) Tafelbesteck Modell „Speisezimmer Behrens“, Nr. 4800, 1900–1901 Institut Mathildenhöhe, Städtische Kunstsammlung Darmstadt

a | Menügabel Silber, 21,8 x 2,6 x 0,3 cm, Inv. Nr. 175/18 KH b | Menümesser Silber, Stahlklinge, 25 x 2,1 x 1,3 cm, Inv. Nr. 175/07 KH c | Menülöffel Silber, 21,6 x 4,3 x 0,3 cm, Inv. Nr. 175/29 KH

d | Dessertgabel g | Spargelheber Silber, 16 x 1,5 x 1 cm, Inv. Nr. 175/56 KH Silber, teilweise vergoldet, 24,5 x 10 x 3,2 cm, Inv. Nr. 175/63 KH e | Dessertmesser h | Soßenlöffel Silber, Stahlklinge, 17,2 x 1,7 x 1 cm, Inv. Nr. 175/51 KH Silber, 16 x 5,8 x 4,4 cm, Inv. Nr. 175/61 KH f | Kaffeelöffel i | Fleischgabel Silber, 14 x 2,9 x 1 cm, Inv. Nr. 175/04 KH Silber, 19,5 x 1,5 x 1 cm, Inv. Nr. 175/62 KH j | Sahnelöffel Silber, 18,5 x 4 x 1,8 cm, Inv. Nr. 175/64 KH

96 97 NETZWERKE DER MODERNE – DIE GALERISTEN LUDWIG SCHAMES UND HANNA BEKKER VOM RATH

Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich Frankfurt am Main als Handelsplatz für moderne Kunstobjekte etabliert. Innerhalb der regen Kunstszene nahmen die Kunsthändler und Galeristen dabei zunehmend die Position überregional agierender Vermittler ein.

Zu den sich ansiedelnden Kunsthandlungen gehörte auch die von Ludwig Schames. 1895 zunächst am Opernplatz gegründet, verband sich mit der Neueröffnung 1913 als „Kunstsalon Ludwig Schames“ nicht nur ein Wechsel in die Räumlichkeiten des Hauses Börsenstraße 2, sondern auch eine verstärkte Hinwendung zur jungen Kunst des Ex - pressionismus.

Der avantgardistischen Kunst der Moderne verschrieb sich auch die Künstlerin, Kunst - händlerin und -sammlerin Hanna Bekker vom Rath. Bereits während der Diktatur des Nationalsozialismus veranstaltete sie in ihrer Berliner Atelierwohnung heimliche Aus- stellungen verfemter Künstler und scharte in ihrem „Blauen Haus“ in Hofheim am Tau nus Kunst- und Kulturschaffende um sich. 1947 gründete sie das „Frank furter Kun st - kabinett Hanna Bekker vom Rath“, Kaiserstraße 5, ab 1949 am Börsenplatz ansässig. In den 1950er und 1960er Jahren unternahm sie darüber hinaus Ausstellungsreisen mit Werken deutscher Künstler durch Nord- und Südamerika, Südafrika, Indien, Spanien, Ägypten, Griechenland, Libanon und Marokko. 1947 äußerte Hanna Bekker vom Rath programmatisch: „Mein Ziel: Überbrückung der durch das Dritte Reich entstandenen Kluft. Heranführung der Jugend an die Kunst der letzten vierzig Jahre und Einführung in das Schaffen der Gegenwart auf dem Ge - biet der Malerei, Plastik, Graphik und Werkkunst.“

Als kulturelle Akteure boten die genannten Galeristen bekannteren und unbekannteren Künstlerinnen und Künstlern eine Plattform und damit einen Anreiz zum (temporären) Ortswech sel. Durch ihre weitreichenden internationalen Netzwerke prägten sie die Kunst szene, so auch durch Verkäufe an Museen und Privatsammler. SW

163 LOUISE RÖSLER

Malerin, Graphikerin Berlin 8.10.1907 – 25.6.1993 Hamburg Königstein im Taunus, 1943 bis 1959

Louise Röslers Übersiedlung in die Rhein-Main-Region war den ver - „Frühlingslandschaft mit blauem Zaun“ (Kat. 95) wirken gleichwohl heerenden Ereignissen des Kriegsjahres 1943 geschuldet. Nach der vordergründig als rhythmisiertes Farb- und Formereignis. Zerstörung ihrer Berliner Wohnung und dem Verlust des Ateliers Selbst aus einer Künstlerfamilie stammend, war Louise Rösler und damit eines Großteils ihrer bisherigen künstlerischen Arbeit durch ihre Studienzeit an der Privatkunstschule Hans Hofmanns in wurde sie gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter nach Königstein im München und durch Studienaufenthalte unter anderem in Paris, Taunus evakuiert. Trotz der schweren Umstände – seit 1944 galt Südfrankreich, Spanien und Italien stets bestens mit den Entwick - ihr Mann, der Maler Walter Kröhnke, in Russland als vermisst – ge - lungen der europäischen Kunstszene vertraut, etwa dem italieni - lang ihr dort ein persönlicher wie künstlerischer Neubeginn. Sie schen Futurismus. An diese Erfahrungen und künstlerischen Impulse nahm alte Kontakte wieder auf, so zu dem nun in Hofheim ansäs - konnte sie nach dem Zweiten Weltkrieg anknüpfen, ohne sich dem sigen Ernst Wilhelm Nay (>), mit dem sie ebenso wie ihr späterer jeweils aktuellen Zeitgeschmack unterzuordnen. Ehemann Mitte der 1920er Jahre gemeinsam bei Karl Hofer an der Bereits 1949 war Louise Rösler an der ersten Ausstellung der Hochschule für bildende Künste in Berlin studiert hatte. Darüber „Zimmergalerie Franck“ in Frankfurt mit graphischen Arbeiten be - hinaus knüpfte sie neue Verbindungen, unter anderem zu Ernst teiligt – jener Galerie, die für die Entwicklung des deutschen Informel Holzinger, dem Direktor des Städelschen Kunstinstitutes, zu Hans Entscheidendes leisten sollte. Als einzige Frau gehörte die Künstlerin Mettel, dem Leiter der Städelschule, zur Künstlerkollegin Ida Ker - 1953 zu den Gründungsmitgliedern der Frankfurter Sezession. Da - kovius (>) sowie zu Hanna Bekker vom Rath. Letztere präsentierte rüber hinaus war sie Mitglied des Deutschen Künstlerbundes, der die Künstlerin mehrfach in ihrer Galerie in Frankfurt am Main: Neuen Rheinischen Sezession sowie zu Beginn der 1950er Jahre Sti - unter anderem 1950 gemeinsam mit Arbeiten Rolf Cavaels und pendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Insbesondere 1953 zusammen mit Werken von Alexander Calder und Paul Fon - durch das Engagement Ernst Holzingers gelangten in den 1950er taine (>). Über die 1953er Schau schrieb Louise Rösler an den Jahren im Rahmen der Künstlerförderung Werke in die Sammlung Sammler Hans Lühdorf, den sie durch Nay kennengelernt hatte der Städtischen Galerie Frankfurt am Main. 1959 veranstaltete die und der sie durch kontinuierliche Ankäufe unterstützte: „Die Aus - Frankfurter „Galerie F. A. C. Prestel“ eine Einzelausstellung mit Ar - stellung war ein voller Erfolg in ideeller Hinsicht. Es wimmelte nur beiten Louise Röslers. Im selben Jahr kehrte die Künstlerin nach so von Besuchern. Frau B. [Hanna Bekker vom Rath] sagte, das mehreren vorherigen Besuchen endgültig nach Berlin zurück. SW hätte sie noch nie erlebt […]. Die Zusammenstellung mit Calder er - wies sich als sehr günstig, denn sicher verdanke ich ihm sehr viel Quellen/Literatur: Ausst. Kat. Köln 1979; Ausst. Kat. Berlin 1993; Ausst. Kat. Küh - lungsborn 2007; http://www.anka-kroehnke.de (Zugriff: Juni 2016). den guten Besuch – aber dann blieben die Leute an meinen Klebe - bildern hängen.“ 1 Anmerkungen: 1 Louise Rösler: Brief an Dr. Hans Lühdorf, 1.4.1953, zit. nach Jene als „Klebebilder“ bezeichneten Collagen fertigte Rösler be - Ausst. Kat. Köln 1979, S. 11. (Zur Identifizierung des „Kunstfreundes“, vgl. Ausst. Kat. Berlin 1993, S. 14). reits seit den 1940er Jahren zunächst nach dem Vorbild Kurt Schwit - ters, so beispielsweise 1943 eine Arbeit mit dem Titel „Frankfurt“. Porträt: Louise Rösler, 1953/54 Fundstücke wie amerikanisches Bonbonpapier fanden darin Ver - wendung. Ebenso wie in ihren Gemälden der 1950er Jahre verzich - tete die Künstlerin hier weitgehend auf einen illusionistischen Büh nenraum, verdichtete Form und Farbe vielmehr zur bewegt- flächigen Bildstruktur. Wesentliches Mittel war dabei die Zerlegung der gesamten Bildfläche in ein dichtes, mosaikartiges Geflecht an 95 | LOUISE RÖSLER abstrakten Formen und Linien. Motive der Großstadt und der Natur Frühlingslandschaft mit blauem Zaun, 1952/53 mochten den äußeren Anlass bieten – so auch das zerstörte Frank - Öl auf Leinwand, 50 x 69 cm furt –, Arbeiten wie „Trümmer in der Sonne“ (1947), „Frankfurt in Bez. r. u.: Louise Rösler 52/53 Trümmern“ (1947/48), „Frühlingsabend mit Trümmern“ (1950) oder Museum Atelierhaus Rösler-Kröhnke

168 169 HERMANN LISMANN

Maler, Graphiker, Zeichner, Kunstschriftsteller München 4.5.1878 – März 1943 Konzentrationslager Majdanek bei Lublin Frankfurt am Main, Januar 1914 bis September 1938, mit Unterbrechung zwischen 1915 bis 1917

Der aus dem gebildeten jüdischen Bürgertum stammende Hermann Die ausgedehnte Reisetätigkeit seiner Ausbildungsjahre setzte Lismann studierte Kunstgeschichte und Philosophie in München der Künstler auch während der Frankfurter Zeit fort, so durch Auf - und Lausanne, bevor er sich 1900 zur Malerei entschloss und seine enthalte in Italien, Südfrankreich und Nordspanien. Ausbildung in der Malschule Heinrich Knirrs sowie bei Franz von Neben seinem eigenen künstlerischen Schaffen erteilte Lismann Stuck an der Akademie der Bildenden Künste in München fortsetzte. ab 1923 privaten Kunstunterricht und führte im Auftrag des Volks - Anschließend ließ er sich 1904 in Paris nieder, wo er zu dem Kreis bildungsheimes durch das Städelsche Kunstinstitut und die Städti - der sich im Café du Dôme treffenden deutschen Künstler zählte. sche Galerie. 1929 erhielt er zudem eine Anstellung als Lehrkraft Im Januar 1914 siedelte er mit seiner Familie nach Frankfurt am für Zeichnen und Maltechnik an der Philosophischen Fakultät der Main über. Begünstigt wurde jener Ortswechsel möglicherweise Universität Frankfurt, in deren Kontext ihm die „Frankfurter Künst - durch die bestehenden Familienbeziehungen – Lismanns Cousins lerhilfe“ 1930/31 1.200 Reichsmark für „Vorträge über Zeichnen“ waren Inhaber der Privatbank Gebrüder Lismann in der Goethestraße. überwies. 2 Ferner verfasste Lismann eigene Texte – seine kunst - Der Künstler mietete ein Atelier im Städelschen Kunstinstitut und theoretische Schrift „Wege zur Kunst – Betrachtungen eines Malers“ konnte sich noch im selben Jahr in einer Einzelausstellung in der erschien 1920. „Galerie F. A. C. Prestel“ präsentieren. Der Erste Weltkrieg unter - Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 verschlech - brach diese positiven Entwicklungen – Lismann diente ab 1915 als terten sich die Verhältnisse zunehmend. Lismann musste Mitglied - Infanterist an der russischen Front, war jedoch ab 1917 als Leiter schaften und Ämter aufgeben und konnte sich nur noch im Jüdi - der Auslandsabteilung im Ausschuss für deutsche Kriegsgefangene schen Kulturbund engagieren. Er zog mit seinem Atelier in die beim Roten Kreuz wieder in Frankfurt tätig. Das Kriegserlebnis be - Neckarstraße und bildete dort in seiner privaten Malschule jüdisc he deutete für ihn, so Lismann 1927, „[…] nicht nur vier Jahre Zeitver - Jugendliche aus. Im Rahmen der Beschlagnahmeaktion „Entartete lust; der Zusammenbruch der Nerven- und Körperkräfte erregte bei Kunst“ 1937 wurden drei seiner Gemälde und vier seiner Graphiken mir […] Verwirrung, Versagen der lebendigen, inneren Spannung. aus der Städtischen Galerie Frankfurt entfernt. […] Die Ideale meiner früheren Jugend, die Ideale des wilhelmini - Im September 1938 emigrierte er nach Frankreich, zunächst schen Zeitalters, Bildung und Intellektualismus, waren mir entfrem - nach Paris, dann nach Tours – Bemühungen, in die USA auszuwan - det, und die neuen Begriffe und Ideen, welche sich meiner bemäch - dern, scheiterten. Seit Kriegsbeginn mehrfach interniert, floh er tigten, mußten auch allmählich in meiner Malerei ihren Ausdruck nach Montauban in den unbesetzten Teil Frankreichs. Im Oktober finden.“ 1 In der Folge äußerte sich dies bei Lismann in einer gemä - 1942 wurde Lismann zeitweise im Internierungslager Gurs festge - ßigt expressionistischen Formensprache (Kat. 119) sowie durch En - halten; im März des folgenden Jahres dann über das Durchgangs - gagement in der 1917 gegründeten „Vereinigung für Neue Kunst“ lager Drancy nahe Paris in das Konzentrationslager Majdanek bei und als Mitglied des ebenfalls fortschrittlichen Frankfurter Künstler - Lublin deportiert und dort ermordet. SW bundes. Darüber hinaus stellte er bereits im März 1918 gemeinsam mit Wilhelm Lehmbruck und Oskar Moll im renommierten Frank - Literatur: Ausst. Kat Frankfurt 1979/80; Minssen 1983; Ausst. Kat. Frankfurt 2011. furter „Kunstsalon Ludwig Schames“ Aquarelle und Zeichnungen Anmerkungen: 1 Lismann 1927, S. 181. — 2 Vgl. Nachweis über die Verwendung aus; eine Beteiligung an der Ausstellung „Frankfurter Künstler“ am der Mittel der Künstlerhilfe 1930/31, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt. selben Ort folgte im Dezember. Später distanzierte sich Lismann Porträt: Selbstbildnis, 1919, Verbleib unbekannt von seiner expressionistischen Phase, stellte 1929 jedoch nochmals in einer Einzelausstellung bei Schames aus. Schon vor 1918 zählte August Freiherr von der Heydt in Elberfeld 119 | HERMANN LISMANN zu den Sammlern seiner Werke, andere rheinische Industrielle waren Wanderer, 1920 wohl bis in die 1920er Jahre seine Mäzene. In Frankfurt gehörte neben Öl auf Pappe, 70,3 x 99,4 cm den privaten Auftraggebern die Künstlerhilfe zu Lismanns Käufern, die Bez. r. u.: H Lismann 9.20. die erworbenen Werke der Städtischen Galerie überantwortete. Kunsthandel Widder, Wien

214 215 PAUL FONTAINE

Maler Worchester/Massachusetts 21.6.1913 – 23.1.1996 Austin/Texas Frankfurt am Main, 1945 bis 1953, Darmstadt, 1953 bis 1969

Paul Fontaine lebte bereits zwei Jahre in Europa, bevor er 1945 der ersten umfassenden Ausstellung moderner Kunst 1949 in Wies - nach Frankfurt am Main kam. In den USA hatte er zunächst an der vertreten. Neben Hans Hartung, Emil Nolde, Erich Heckel Worchester Museum Art School, dann der Yale University Kunst und Karl Schmidt-Rottluff nahmen daran auch Otto Ritschl und Ar - studiert. Schon bald nach Studienabschluss wurde er zum Militär thur Fauser teil. Letztere gehörten zum engeren Kreis der lokalen eingezogen und als Zeichner nach Italien geschickt, von dort als Kunstszene. Weitere wichtige Anlaufpunkte zeitgenössischer Kunst Kartenzeichner nach Paris und schließlich als Leiter der graphischen boten sich Fontaine mit dem Kunstkabinett Hanna Bekker vom Abteilung an die US-Hauptverwaltung nach Frankfurt entsandt. Rath und der Zimmergalerie des Bankangestellten Klaus Franck in Fontaines Aufgabe bestand in der Erstellung von Plakaten und Bro - der Böhmerstraße 7 im Frankfurter Westend. Ein Eintrag im Gäste - schüren. Seine freie Zeit widmete er seiner eigenen künstlerischen buch der Zimmergalerie belegt diesen Kontakt, vor allem aber die Entwicklung, malte und suchte Anschluss an die kulturelle Szene. Teilnahme an einer Ausstellung im März 1952. Damit war Fontaine Hinzu kam, dass sein Aufenthalt in Frankfurt in genau jene Zeit fiel, zeitlich wie räumlich in einem Umfeld verortet, in dem zentrale Ver - in der die Kunst- und Kulturszene nach den Kriegsjahren allmählich treter des gegenstandslosen Kunst agierten, wie William Gear, wieder aufzuleben begann. So konnte er das Aufkommen einer neu - Jacques Hérold, Karl Hartung und die vier Frankfurter Protagonisten en Kunst unmittelbar miterleben und wurde zum Zeugen einer Ent - des Informel Karl Otto Götz (>), Otto Greis, Heinz Kreutz und Ber - wicklung, die dem Tradierten bewusst eine Orientierung an den nard Schultze (>). Mit der legendären „Quadriga“-Ausstellung im neuesten Strö mungen entgegensetzte. Dezember des gleichen Jahres feierte die informelle Malerei in Als treibende Kraft stand hinter Fontaine seine Frau Virginia, die Frankfurt ihren ersten großen Auftritt und wirkte damit als eine Art bereits vor seiner Übersiedlung nach Europa darum bemüht war, Initialzündung der gestischen Kunst in Deutschland. ihren Gatten sowohl über die Entwicklungen in Europa auf dem Lau - Aber auch am Kunstgeschehen außerhalb Frankfurts nahm Fon - fenden zu halten wie auch seine Arbeiten in der amerikanischen taine teil, seine Ausstellungsbeteiligungen reichten von Wiesbaden, Kunstszene bekannt zu machen. Beste Voraussetzungen bot Fontaine über Gießen, Fulda, Kassel bis nach Hamburg und Berlin. Stationen nun das nach Kultur hungernde Frankfurt. Auf allen Gebieten suchte im Ausland waren Zürich und Amsterdam. Die rege Ausstellungs - man Anschluss an die aktuellen Entwicklungen. In den Lokalen traten präsenz setzte er auch fort, nachdem er 1953 von Frankfurt nach Jazz-Gruppen auf, wer in den Besitz einer Schallplatte oder einer Darmstadt umgezogen war, wo er bis 1969 als künstlerischer Leiter neuen Publikation gelangte, stellte sie bei gemeinsamen Leseabenden der amerikanischen Zeitung „Stars and Stripes“ arbeitete. vor. Da der vom Nationalsozialismus gepflegte Realismus als verwerf - Der stilistische Umbruch erfolgte gleichwohl noch während sei - lich galt, suchten auch die Künstler, sich mit neuen Ausdrucksformen ner Frankfurter Jahre. 1947 markierte die definitive Hinwendung von jeglicher Form der Gegenständlichkeit zu lösen. In Anlehnung an des Künstlers zur Gegenstandslosigkeit. Es entstanden großforma - den amerikanischen Abstrakten Expressionismus und den französi - tige informelle Kompositionen in Öl-, Aquarell- und Acrylmalerei, schen Tachismus begannen sie, das Informel zu entwickeln. die er in Galerien und den Amerikahäusern verschiedener Städte Das Haus der Fontaines wurde zum Treffpunkt von Künstlern, ebenso wie in Museen ausstellte. 1949 bestückte er mit Baumeister Schriftstellern und Musikern. Zu den Gästen der Fontaines zählten im „Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath“ eine Aus - ebenso ältere Künstler, die schon vor dem Krieg aktiv gewesen wa - stellung, ein weiteres Mal zeigte Fontaine hier 195 0 seine Werke ren, wie der Bildhauer Ewald Mataré und die am Bauhaus tätige Ida mit denen von Jürg Spiller sowie 1953 mit denen von Alexander Cal - Kerkovius (>), aber auch junge Vertreter der Avantgarde, wie Willi der und Louise Rösler (>). Insgesamt stellte der Künstler dort s ieben Baumeister (>), Hans Hartung und Otto Ritschl. Mit Baumeister war Mal aus, so dass er während seiner Zeit in Deutschland nah ezu Fontaine seit 1949 befreundet. Beide vertraten als Mitglieder der einmal pro Jahr bei einer Ausstellung vertreten war. VH-S 122 | PAUL FONTAINE Darmstädter Sezession ähnliche ästhetische Auffassungen, wie Fon - Ohne Titel, 1964 Literatur: Ausst. Kat. Frankfurt 1953; Fontaine Chidester 2013. taines frühe Arbeiten verraten. Nicht nur zeigen Fontaines Arbeiten Öl auf Leinwand, 90,1 x 70,6 cm dieser Zeit Einflüsse des Stuttgarter Kollegen, Baumeister ermutigte Porträt: Paul Fontaine, um 1950 Bez. r. u. [eigenhändig?]: Fontaine ihn auch, sich bei Ausstellungen zu beteiligen. So war Fontaine bei Privatsammlung

222 223