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Wiener G’schichten: Doppeljubiläum Veranstaltungen: Ein Überblick über Eishockey: Warum die WM in Riga auf der Hohen Warte Seite 18 die kommende Woche Seite 20 eine außergewöhnliche ist Seite 22

Auf dem Zebrastreifen trifft sich das ganze Land. Foto: Christina Schraml

Die gestreifte Stadt Rund 7.500 Zebrastreifen gibt es in Wien. Sie sind Fluch und Segen. Sie helfen dem Fußgänger durch den Verkehr. Und zementieren die Vorherrschaft des Autos. Ein Essay.

Von Matthias Winterer Handy starren. Dabei rotieren die Po- den 19. Jahrhundert vor jedem Auto- wurde eine neue Straßenverkehrsord- sitionen, es gibt keine abgesteckten mobil ein Fußgänger mit roter Fahne nung debattiert. Es war eine winzige aul McCartney ist tot. Am 8. Fronten, keinen Krieg zwischen rol- gehen. Der „Red Flag Act“ sollte die Änderung, die die Wogen hochgehen August 1969 um 10 Uhr mor- lenden und gehenden Verkehrsteil- anderen Verkehrsteilnehmer warnen. ließ. Im „Zebrastreifen-Paragrafen“ P gens quert er gemeinsam mit nehmern, schließlich sind viele bei- Die Straße gehörte allen. wurde verankert, dass Fahrzeuglen- John Lennon, George Harrison und des – und beinahe jeder ist Fußgän- Mit der Jahrhundertwende änderte ker „Fußgängern das ungehinderte Ringo Starr die Londoner Abbey Road ger. Wir haben den Zebrastreifen sich das. Der motorisierte Individual- Überqueren der Fahrbahn auf dem auf einem Zebrastreifen. Der Fotograf schon horizontal und vertikal gese- verkehr drängte zunehmend ins Schutzweg ermöglichen müssen, so- Iain McMiller hält die Szene fest. hen. Je nach Perspektive, Verkehrsla- Stadtbild und die Passanten an die bald die Absicht eines Fußgängers, Vier Männer gehen über eine Straße. ge und eigener Fortbewegungsform Ränder der Straße. Das Auto verän- die Fahrbahn zu überqueren, erkenn- Nichts könnte profaner sein. Den- wird über die jeweils andere gezetert. derte das städtische Gefüge nachhal- bar ist“. Das Gesetz war eine Zäsur. noch befeuert sie bis heute die Spe- Der Zwist am Zebrastreifen ist omni- tig. Es nahm immer mehr Platz ein. Es drehte die Rangordnung auf der kulation, McCartney müsse längst tot präsent. Er zieht sich von der Straße Brummende Motoren, Hupen, Staus, Straße um. Bis dahin hatte der Fuß- sein. Zu abwegig ist sein Verhalten. über Elternvereine und Stammtische Autobahnknoten wurden zur Norma- gänger warten müssen, jetzt war es McCartney ist barfuß. bis in die Gemeinderäte. Dort wird lität – und zu identitätsstiftenden ur- Der das Auto. Der Passant hatte wieder Nackte Füße auf dem Zebrastrei- über ihre Existenz verhandelt. Mehr banen Merkmalen. Der Highway am Zebrastreifen Vorrang. fen provozieren. Sie irritieren unsere Zebrastreifen oder abschaffen? Horizont ist bis heute genauso ein Sehgewohnheiten. Sie stellen den Motiv der Populärkultur wie der Stau ist ein Die Verfechter und ihre Gegner Menschen ins Zentrum der Straße, Wem gehört die Straße? am New Yorker Central Park. In den Politikum. Wie bei allen gesamtgesellschaftli- die seit langem dem Auto gehört. Sie Am Sonntag, dem 6. Juni 1926, be- USA lancierte die Automobillobby in chen Veränderungen – etwa der laden den Zebrastreifen politisch auf. richtete die „Wiener Morgenzeitung“ den 1920er Jahren sogar eine Kampa- Er ist mehr Gurtpflicht im Auto, dem Haltbar- Hier geht einer, der auf das Establish- über den ersten Schutzweg der Stadt. gne gegen Fußgänger. Der Begriff keitsdatum auf Lebensmitteln oder ment spuckt. Ein Hauch von Anar- Sein Betrieb wurde am frühen Mor- „Jay-Walking“ wurde zum geflügelten als weiße dem Rauchverbot im Wirtshaus – chie hängt über dem Schutzweg. Das gen des nächsten Tages aufgenom- Wort. Er gibt den Fußgängern („Dep- Streifen spaltete auch der „Zebrastreifen-Para- Detail gibt dem Foto die Wucht, die es men. Der Zeitung war die Nachricht pen“) die Schuld an Verkehrsunfäl- graf“ die Bürger. Die Lager sind im- bis heute besitzt. eine Kurzmeldung wert. Doch das Er- len. Gehen wurde kriminalisiert. auf grauem mer die gleichen: die Verfechter der Denn der Zebrastreifen ist ein Poli- eignis war bahnbrechend. Es mar- Spätestens der Wirtschaftsauf- Neuerung hier, ihre Verweigerer tikum. Er ist mehr als weiße Streifen kierte den Beginn einer Debatte, die schwung in den 1950er Jahren ließ Asphalt. dort. Zu Letzteren zählte die Autolob- auf grauem Asphalt. Es ist kein Zu- bis heute anhält: Wem gehört die das Verkehrsaufkommen auch in Ös- by. Der Automobilclub ÖAMTC sperr- fall, dass neuerdings ausgerechnet Straße? terreich explodieren. Gab es im Jahr te sich gegen die neue Regelung am Zebrastreifen in den Regenbogenfar- Davor war die Frage obsolet. Stra- 1960 rund 400.000 Autos, waren es Zebrastreifen und warnte vor tödli- ben der LGBTIQ-Community erstrah- ßen wurden für Auto und Fuhrwerk Mitte der 1990er Jahre schon 3,5 Mil- chen Unfällen und hohen Kosten. len. Über Zebrastreifen lassen sich gebaut. Doch sie waren wenige unter lionen. Heute sind rund 5 Millionen Selbst die Polizei war dagegen. Im Botschaften kommunizieren. Auf Ze- vielen. Fußgänger, spielende Kinder, Personenkraftwagen zugelassen, in August 1958 sprach sich der Wiener brastreifen begegnet sich das ganze Radfahrer, Bettler, Zeitungskolporteu- Wien waren es im Jahr 2020 exakt Polizeipräsident Josef Holaubek ge- Land. Zebrastreifen emotionalisieren. re, Marktschreier, Prostituierte hat- 718.819. Der Passant wurde im Laufe gen die Vorrangregel für Fußgänger Niemandem sind sie gleichgültig. Die ten genauso Platz. Die Straße war – der Jahre zunehmend verdrängt. Er aus, da sie den Fließverkehr behin- einen ärgern sich über kurze Grün- über ihre gesamte Breite von Fassade ist auf der Straße nur geduldet. Be- dern würde. Am 1. Jänner 1961 wur- phasen, ungeduldige Autofahrer und zu Fassade – ein Konglomerat aller dingt geduldet. de die neue Straßenverkehrsordnung schlängelnde Radler, die anderen Gruppen, ein Wimmelbild, ein Quer- Wie schnell die Duldung in Arg- über schleichende Fußgänger, trö- schnitt der urbanen Gesellschaft. In wohn überschlägt, zeigte das Jahr delnde Schüler und Väter, die aufs Großbritannien musste im ausgehen- 1960. Im österreichischen Parlament Fortsetzung auf Seite 18 18 WIEN Sa./So., 5./6. Juni 2021

Fortsetzung von Seite 17 von ihr. Warum das so sein muss, wurde nicht hinterfragt. Jahrzehntelangen Präventionsver- trotzdem verabschiedet – mit dem suchen zum Trotz sind Zebrastreifen „Zebrastreifen-Paragrafen“. nicht sicher. Laut Daten der Statistik Heute gibt es in Wien rund 7.500 kam es im Jahr 2019 öster- Zebrastreifen, 5.000 davon sind am- reichweit zu 1.207 Unfällen mit Per- pelgeregelt. Ein halber Meter weiß, sonenschaden auf Schutzwegen, al- ein halber Meter grau. Die ganze lein in Wien waren es 454. Zwölf Stadt ist gestreift. Sie helfen den Pas- Menschen wurden auf Österreichs santen durch den Verkehr. Der Zebra- Zebrastreifen getötet. Zwischen 2017 streifen ist der Freund des Fußgän- und 2019 starben insgesamt 32 Fuß- gers, er hält Autos für ihn auf, gibt Berühmter gänger. Der ÖAMTC führte im März der Oma eine Chance, über die mehr- Zebrastreifen: und April 2021 mehr als 1.000 Beob- spurige Kreuzung zu kommen, bringt Die Beatles auf achtungen bei Schutzwegen in Wien Kinder sicher in die Schule, lässt El- dem Plattencover durch. Nur 89 Prozent der Fahrzeug- tern ruhig schlafen. Ohne ihn wäre ihres Albums lenker hielten vor Schutzwegen an, der Fußgänger zwischen den Autoko- „Abbey Road“ aus wenn ein Fußgänger sie betreten lonnen längst verloren. dem Jahr 1969. wollte. Gleichzeitig weist er ihn in seine Foto: Winterer Schranken. Der Zebrastreifen ist ein Kein Teil der Verkehrswende zweischneidiges Schwert. „Die Vortei- Der Zebrastreifen steht sich selbst im le des Schutzweges klingen sehr po- Weg. Er gibt dem Menschen Vorrang sitiv“, sagt Barbara Laa, Mitarbeiterin vor dem Auto und stellt es somit an der TU Wien am Forschungsbe- nicht in Frage. Er stellt den Fußgän- reich für Verkehrsplanung und Ver- ger ruhig, indem er sein Fortkommen kehrstechnik. „Sie sind präzise be- garantiert. Er ist das Hartz-IV des trachtet aber Einschränkungen.“ Der Verkehrs, er verhindert die Rebellion, Fußgänger darf die Straße nur an vor- ohne die ungerechte Verteilung zu definierter Stelle queren, der große lindern. Zwei Drittel der Verkehrsflä- Rest ist dem rollenden Verkehr vorbe- chen Wiens sind aktuell für Kraft- halten – vorwiegend dem Auto. Die fahrzeuge reserviert, obwohl nur 27 Erlaubnis, hier die Straße betreten zu Prozent der Wege mit dem Auto zu- dürfen, bringt auch das Verbot mit Die Straße vor rückgelegt werden. Diese Flächen sich, sie an anderer Stelle zu betre- dem Bieler Hof fehlen dem Fuß- und Radverkehr. ten: Gibt es im Umkreis von 25 Me- in Floridsdorf Teil der Verkehrswende ist der Ze- tern einen Zebrastreifen, muss dieser gehörte 1928 brastreifen nicht. Moderne Konzepte vom Fußgänger zwingend benutzt den Kindern und wie Begegnungszonen kommen ohne werden. noch nicht dem ihn aus. Hier hat der Fußgänger oh- Individualverkehr. nehin Vorrang und darf über die gan- Einzementierte Verhältnisse Foto: WStLA / Gerlach ze Fahrbahn flanieren. Zebrastreifen Im Sinne der Sicherheit hält sich ein emotionalisieren auch. Der Umbau Großteil der Menschen daran. Gene- der neuen Mariahilfer Straße hat so- rationen von Kindern wurde einge- gar für mehr Wirbel gesorgt als die bläut: Ausnahmslos auf dem Zebra- Einführung des „Zebrastreifen-Para- streifen über die Straße gehen, vor grafen“ Anfang der 1960er Jahre. dem Zebrastreifen stehen bleiben, Ob die Beatles das Cover für ihr nach links und rechts und links Album „Abbey Road“ auch in einer schauen, Augenkontakt mit dem Au- Begegnungszone aufgenommen hät- tofahrer suchen. Erst gehen, wenn ten, ist allerdings fraglich. Der Legen- das Auto steht. Eltern, Lehrer, Ver- de nach waren sie schlicht zu faul, kehrspädagogen impften den Kin- um zum Himalaja zu fliegen und vor dern sicheres Verhalten im Straßen- dem Mount Everest zu posieren. Also verkehr ein. Als Nebenwirkung ver- gingen sie vor den Abbey Road Stu- mittelten sie ihnen ein autozentrist- dios auf und ab. In 30 Minuten war sches Weltbild. Die Straße gehört alles im Kasten. Heute ist es das be- dem Auto. Die herrschende Hierar- rühmteste Foto der Band. Und der Ze- chie im öffentlichen Raum wurden Zebrastreifen brastreifen wurde zur Pilgerstätte für in den Köpfen der Kinder einzemen- transportieren Beatles-Fans. Paul McCartney lebt tiert. Auf der Straße fahren die Au- auch Botschaften. übrigens. Er hat im Dezember ein tos. Die Fußgänger halten sich fern Foto: Christina Schraml neues Album veröffentlicht. ■

Auf der Hohen Warte gibt es ein doppeltes Jubiläum Die Döblinger Naturarena sowie Österreichs erster Fußballverein stehen dieser Tage im Mittelpunkt von Feiern.

Die Vereinsfarben sind Blau-Gelb. poldi dem späteren Nazi Uridil zu das alles auf einem der schönsten dermatches. Das legendäre „Wun- ein neues Spiel mit, nach dem al- Sie gehören traditionell zum äl- solchem Ruhm verhalf. Auch an- Fußballplätze der Welt. Denn die derteam“ trug hier Heimspiele le verrückt wurden: Fußball. So testen Fußballklub des Landes: dere Fußballgrößen, wie Hans Vienna hat seit 19. Juni 1921 als aus. Und eben diese Hohe Warte lautet die Gründungslegende des Der „First Vienna Footballclub Menasse, , Hans Bu- Heimstätte die Hohe Warte. Das feiert nun ihren 100. Geburtstag. ersten Fußballklubs in Wien. 1894“, besser bekannt als „Die zek, , aber auch Gustl Besondere an diesem Platz: Es Begonnen haben Vienna und Rothschild übernahm die Paten- Vienna“, hat Grund zum Feiern. Starek, , Andreas Her- handelt sich um eine Naturarena, Hohe Warte unter Obhut des Nat- schaft und um seine Blumen zu Vor 90 Jahren wurde der Wiener zog und Peter Stöger verdienten deren Hügel in der Zwischen- haniel Meyer Freiherr von Roth- schonen, wies er den Beschäftig- Traditionsverein zum ersten Mal sich Sporen in blau-gelbem Dress. kriegszeit bis zu hunderttausend schild (1836 – 1905). Der reiche ten im „First Vienna Football Österreichs Fußballmeister. Am 7. Der prominenteste Spieler der Fußballbegeisterte als Zuschauer- Banker, Mäzen und Blumenzüch- Club“ eine Wiese zu. Wiens Fuß- Juni 1931 besiegten die Döblinger Vienna war wohl Argentiniens raum nutzten. Lange bevor das ter ließ auf der Hohen Warte eine ball und die Basis für die spätere den FK Austria Wien mit 4:1 und Spielmacher , der Praterstadion errichtet wurde, geliebte Parkanlage gestalten. Spielstätte Hohe Warte waren ge- holten sich so den ersten von ins- sein Land 1978 als Torschützenkö- gab es in Döbling packende Län- Die englischen Gärtner brachten boren. ■ gesamt sechs Meistertiteln in ih- rer Geschichte. Den letzten erran- Wiener gen sie im Jahre 1955. Mit dem siebenten Streich ist G’schichten nicht so bald zu rechnen. Denn die sportlich besten Zeiten sind von Paul Vécsei länger her. 1931 gewann die Vien- na auch noch den Mitropacup, der nig zum Weltmeistertitel führte. sich mit der heutigen Champions Er kam im Februar 1986 zur Vien- League vergleichen lässt. Nach na. Der Transfer überraschte bitteren Jahren im Fußballkeller Wien und die ganze Fußballwelt. arbeitete sich die Vienna wieder 2021 scheint nun die Talsohle von ganz unten hoch und steht im der Vienna beim Männerfußball Herbst 2021 vor dem Sprung zu- überwunden. Die Damen mit Nati- rück in die Regionalliga Ost. onalspielerin Nina Burger als Große Spieler hat die Vienna Sportliche Leiterin spielen ohne- hervorgebracht: (1895 hin schon länger bemerkenswert – 1962). „Heute spielt der Uridil“ im Spitzenfeld. Die Vienna ist lautete der Titel eines Schlagers heute ein kleiner, feiner Verein. von Hermann Leopoldi. Skurril, Friedliche Fans mit gutem Beneh- dass ausgerechnet der Jude Leo- men, familiärer Umgang – und Gemälde der Naturarena Hohe Warte von Anton H. Karlinsky (1928). Foto: Wien Museum / Birgit & Peter Kainz