Schwerpunkt: Perfluorierte Tenside (PFT) Erfahrungen eines Gesundheitsamtes

Erfahrungen eines Gesundheitsamtes bei der Belastung von Trinkwasser durch perfluorierte Tenside (PFT)

Peter Kleeschulte, Oliver Schäfer, Marc Klung, Alfons Püttmann

Hochsauerlandkreis, Gesundheitsamt, Steinstr. 27, 59872

Korrespondenzautor: Dr. Peter Kleeschulte; E-Mail: [email protected]

Zusammenfassung. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Unter- Abstract suchung wurden im Hochsauerlandkreis erhöhte PFT-Werte in Experiences of a district health authority with PFT-contami- den Oberläufen von Ruhr und Möhne festgestellt. In der Folge nated drinking water wurden Trinkwasserbelastungen von 0,04 bis 0,56 µg/l in den A scientific study showed increased PFT-values in the upper reaches Bereichen, die aus Wasserwerken an Ruhr und Möhne versorgt of the rivers Ruhr and Möhne/. Drinking water values of wurden, gemessen. Bei der Ursachensuche stellte sich schnell PFT varied between 0,04 and 0,56 µg/l in areas supplied by drinking heraus, dass die PFT-Belastung durch ein Gemisch nach Bioabfall- water plants near the rivers Ruhr and Möhne. The cause of the Verordnung verursacht wurde. Für das Krisenmanagement stellte contamination was found to be a mixture of biological waste, die mangelhafte Informationslage eine besondere Erschwernis used as fertilizer on agricultural land. The lack of information on dar. Auf der Basis einer Literatursuche und einer umgehend in the health effects of PFT made the initial crisis management diffi- Auftrag gegebenen toxikologischen Stellungnahme konnten früh- cult. The results of a literature search and a toxicological opinion zeitig Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung getroffen wer- provided the basis for the initial public health action. The preven- den, die mit zunehmendem Erkenntnisstand angepasst wurden. tive measures were modified with increasing knowledge in the So wurde auf Empfehlung des Gesundheitsamtes für die Zuberei- following weeks. It was recommended by the public health service tung von Säuglingsnahrung geeignetes Mineralwasser verwen- to use suitable mineral water for preparation of baby-food. This det, bis durch eine notfallmäßig installierte Aktivkohlefilteran- recommendation was withdrawn, when charcoal filters were lage das PFT effektiv aus dem Trinkwasser entfernt werden konn- available, which effectively eliminated PFT from drinking water. te. Die offensive Pressearbeit mit Offenlegung des jeweiligen Active communication and disclosure of current knowledge at Kenntnisstandes hat sich rückblickend in jeder Hinsicht bewährt. any stage of the crisis management proved to be helpful in deal- Die Öffentlichkeit wurde durch Pressemitteilungen, eine Hotline ing with the public and the media. The public was informed by sowie über die Webseite des Hochsauerlandkreises in kurzen press releases, a PFT-hotline and was provided with current infor- Abständen über den aktuellen Erkenntnisstand informiert. mation on the districts website. Schlagwörter: Perfluorierte Tenside; PFT; Trinkwasser; Trinkwas- Keywords: Fluoropolymers; PFT; drinking water; water treatment; seraufbereitung perfluorated compounds

1 Chronologie der Ereignisse Diese bestätigten die vom Institut für Hygiene und Öffentli- che Gesundheit gemessenen PFT-Belastungen. Am 01.06.2006 wurde das Gesundheitsamt durch die Be- Umgehend erfolgten Untersuchungen der Trinkwässer aus zirksregierung über die Ergebnisse einer Untersu- den Trinkwassergewinnungsanlagen entlang der Ruhr und chung des Institutes für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Wasserwerkes Möhnebogen. Es wurden Trinkwasserbe- der Universität Bonn informiert. Mitarbeiter des Institutes lastungen von 0,04 bis 0,56 µg/l gemessen. In die weiteren hatten im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung Entscheidungen und Maßnahmen wurden u.a. neben dem erhöhte PFT-Werte in den Oberläufen der Ruhr und Möhne Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft im Hochsauerlandkreis festgestellt. Die höchsten Konzentra- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen tionen wurden hierbei in zwei kleinen Bachläufen ermittelt, (MUNLV-NRW) die Bezirksregierung Arnsberg, das Landes- die in -Scharfenberg in die Möhne münden. In deren umweltamt, das Landesinstitut für den Öffentlichen Gesund- Einzugsgebieten herrscht vor allem land- und forstwirtschaft- heitsdienst, das Hygiene-Institut des Ruhrgebietes Gelsenkir- liche Nutzung vor, die Bachläufe selber entspringen jeweils chen und das Institut für Hygiene und Öffentliche Gesund- direkt unterhalb landwirtschaftlich genutzter Felder. heit Bonn eingebunden. Da dringlich eine wissenschaftliche Auf Veranlassung des Gesundheitsamtes wurden daraufhin Erstbewertung der PFT-Trinkwasserkonzentrationen erfol- Kontrolluntersuchungen in Ruhr und Möhne durchgeführt. gen musste, wurde durch das Gesundheitsamt das Hygiene-

Umweltmed Forsch Prax 12 (2) 200773 – 78 (2007) 73 © ecomed Medizin, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH, Landsberg Erfahrungen eines Gesundheitsamtes Schwerpunkt: Perfluorierte Tenside (PFT)

Abb. 1: Der Hochsauerlandkreis: Trinkwassergewinnung aus Ruhr und Möhne

Institut des Ruhrgebietes, Herr Prof. Dr. Ewers, mit der Er- Der Hochsauerlandkreis, Daten und Fakten stellung eines Gutachtens beauftragt. Gleichzeitig wurde die Der Hochsauerlandkreis ist Teil des Regierungsbezirks Arnsberg Trinkwasserkommission des Bundesministeriums für Ge- und liegt in Südwestfalen. Mit einer Fläche von ca. 2000 km² sundheit (BMG) gebeten, sich mit dem Thema PFT im Trink- entspricht er der Größe des Saarlands und ist der größte Flächen- wasser zu befassen. Speziell für PFT festgesetzte Grenz- oder kreis Nordrhein-Westfalens. Die West-Ost-Entfernung innerhalb der Kreisgrenzen beträgt ca. 80 km, die Nord-Süd-Entfernung 60 Richtwerte liegen nicht vor. km. Die 280 000 Einwohner leben in insgesamt 12 Städten und Bei der Ursachensuche stellte sich schnell heraus, dass die Gemeinden. Der Standort der Hauptverwaltungsstelle der Kreis- PFT-Belastung durch ein Gemisch nach Bioabfall-Verordnung verwaltung des Hochsauerlandkreises ist die Kreisstadt Meschede. verursacht wurde. Diese Gemische wurden in einer Kompos- Es gibt ebenfalls Kreisverwaltungsstellen in Arnsberg und Brilon. tierungsanlage hergestellt und auf Flächen im Hochsauer- Die Besiedlungs- und Wirtschaftszentren des Kreises konzentrie- ren sich entsprechend den topographischen Gegebenheiten in landkreis, aber auch anderen Kreisen in NRW ausgebracht. den Tallagen der Ruhr, der Diemel und in den auf sie zuführenden Die Ermittlungen der zuständigen Staatsanwaltschaft gegen Nebentälern. Im Norden grenzt der Hochsauerlandkreis an den den Hersteller dauern derzeit noch an. Kreis . Die Trinkwasserkommission des BMG beim Umweltbundes- Trinkwassergewinnung aus Ruhr und Möhne amt beschäftigte sich schon in ihrer Sitzung am 21.06.2006, Neben einer Vielzahl der von nichtkommunalen Wasserversor- an der das Gesundheitsamt des Hochsauerlandkreises teil- gungsunternehmen genutzten kleinen Quellen sowie einiger nahm, ausführlich mit dem Thema PFT im Trinkwasser. In weniger Schacht- und Bohrbrunnen erfolgt die Trinkwasser- der Stellungnahme, die noch am selben Tag abgegeben wur- gewinnung im Hochsauerlandkreis u.a. aus vier für sauerländer de, wurden Ziel-, Leit- und vorsorgliche Maßnahmewerte Verhältnisse großen Gewinnungsanlagen an der Ruhr und einer festgelegt. Hierdurch war eine Bewertung der problematischen Gewinnungsanlage an der Möhne (Abb. 1). Das Wasserwerk Situation möglich. Maßnahmen konnten nun durch das Ge- Möhnebogen versorgt ca. 40 000 Einwohner des westlichen Teils sundheitsamt vor Ort und die anderen beteiligten Behörden der Stadt Arnsberg. und Institutionen eingeleitet werden.

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Mutter-Kind-Paaren und Männern in Gebieten erhöhter Trink- Perfluorierte Tenside (PFT) wasserbelastung mit PFT) durchgeführt. Die Ergebnisse wer- Stoffeigenschaften: PFT sind vom Menschen erzeugte perfluo- den in Kürze publiziert. rierte Kohlenstoffverbindungen mit unterschiedlicher Ketten-

länge (C3 bis C12). Im Unterschied zu den Kohlenwasserstoffen Derzeit erfolgt in einem aufwändigen Verfahren die Sanie- sind an den Kohlenstoffgerüsten der PFT die Wasserstoffatome rung der hochbelasteten Flächen in Brilon-Scharfenberg. Die vollständig durch Fluoratome ersetzt. Sie kommen nicht natür- betroffenen Trinkwassergewinnungsanlagen an Ruhr und lich vor. Sie sind weltweit verbreitet und können im menschli- Möhne werden in enger Zusammenarbeit mit den Wasserver- chen und tierischen Organismus nur sehr schlecht abgebaut werden. Sie sind thermisch und chemisch äußerst stabil, haben sorgungsunternehmen engmaschig durch das Gesundheits- durch die Kohlenstoffkette hydrophobe und durch die jeweilige amt und die Bezirksregierung Arnsberg hinsichtlich der PFT- Kopfgruppe hydrophile Eigenschaften (Ambiphilie). Werte (Monitoring) überwacht. Einsatzzweck: PFT werden eingesetzt, um Gebrauchsgegenstän- de wie Papier, Verpackungsmaterialien, Textilien usw. wasserab- weisend zu beschichten. Außerdem können sie in Reinigungsmit- 2 Krisenmanagement teln und Feuerlöschschaum vorkommen. Verbreitung: Ubiquitär Eine besondere Erschwernis für das Krisenmanagement stellte Aufnahmepfade: Die Aufnahme erfolgt hauptsächlich über die die mangelhafte Informationslage dar. Es galt, möglichst rasch Nahrung einschließlich des Trinkwassers. Die Bedeutung des Entscheidungen über den weiteren Betrieb der hauptsächlich Aufnahmepfades "Trinkwasser" ist noch nicht geklärt. betroffenen Trinkwassergewinnungsanlage Möhnebogen zu Gesundheitsgefahren: Nach derzeitigem Kenntnisstand sind treffen. Eine Ersatzwasserversorgung kam von vorne herein keine akuten Gesundheitsgefahren anzunehmen. In Tierversu- nicht in Frage, da ein Ausfall dieser größten Gewinnungsan- chen wurden Hinweise auf Hepatotoxizität und Genotoxizität lage im Hochsauerlandkreis nicht durch andere Anlagen zu mit sekundärer Kanzerogenität gefunden. Human Biomonito- kompensieren war. ring-Studien haben Serumbelastungen mit PFT in der Allgemein- bevölkerung gezeigt, die zum Teil um das Zehnfache über den Es wurde daher Wert darauf gelegt, so früh wie möglich al- PFT-Konzentrationen im Trinkwasser der Gewinnungsanlage len verfügbaren Sachverstand aus allen beteiligten Behörden Möhnebogen lagen. Außerdem haben sich Hinweise auf eine sowie aus ausgewiesenen Fachinstituten einzubinden. Daher Belastung von Muttermilch ergeben. wurde bereits am 07. Juni 2006 zu einer Dienstbesprechung im Kreishaus in Meschede eingeladen, um eine initiale Lage- beurteilung abgeben zu können. Teilnehmer dieser Besprechung Im Vordergrund der Arbeit des Gesundheitsamtes des Hoch- waren neben den beteiligten Fachdiensten des Hochsauerland- sauerlandkreises stand in der folgenden Zeit u.a. die Risiko- kreises (Gesundheit, Wasser, Bodenschutz, Presseabteilung) kommunikation. Im Wasserwerk Möhnebogen, das mehre- die Gesundheits- und Wasserdezernate der Bezirksregierung re Stadtteile Arnsbergs versorgt (ca. 40 000 betroffene Ein- Arnsberg, der Kreis Soest als Anrainer der Möhne sowie das wohner) lag die PFT-Konzentration im Trinkwasser oberhalb Landesinstitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst in Bie- des vorsorglichen Maßnahmewertes für Säuglinge. Eine Al- lefeld. Wegen des Verdachtes auf eine Umweltstraftat war die ternativversorgung der betroffenen Bevölkerung durch ande- Staatsanwaltschaft ebenfalls zu dieser Besprechung eingela- re Trinkwassergewinnungsanlagen war nicht möglich, so- den worden. In der Besprechung wurde das weitere Vorge- dass umgehend Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung hen des Hochsauerlandkreises vorgestellt und mit den übri- getroffen werden mussten. Unter anderem wurde durch die gen Beteiligten koordiniert. Stadt Arnsberg Mineralwasser für Schwangere und Kleinkin- Die interne Koordination im Hochsauerlandkreis erfolgte der kostenlos ausgegeben. Des Weiteren wurde im Wasser- durch einen Krisenstab PFT, der sich regelmäßig, zunächst werk Möhnebogen eine Aktivkohle-Filteranlage mit acht pa- mindestens einmal wöchentlich, traf, um alle Beteiligten auf rallel betriebenen Festbettfiltern errichtet. Hinsichtlich des dem gleichen aktuellen Informationsstand zu halten und das Versuches, PFT mit Aktivkohle aus dem Trinkwasser zu ent- Vorgehen der einzelnen Fachdienste abzustimmen. Die Be- fernen, handelte es sich um ein weltweites Pilotprojekt, da zirksregierung wurde regelmäßig über den Sachstand und bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, ob und durch die geplanten Maßnahmen informiert. Im Krisenstab wurde welche Aktivkohle PFT adsorbiert wird. Die Anlage ging am auch die Öffentlichkeitsarbeit unter der Federführung des 14.07.2006 in Betrieb. Es stellte sich rasch heraus, dass durch Pressesprechers abgestimmt. diese Filteranlage bzw. durch die gewählte Aktivkohle PFT im Trinkwasser sehr effektiv eliminiert wird. Durch das MUNLV-NRW, das Landesumweltamt und die 2.1 Risikobeurteilung Ruhr-Universität wurde mit Unterstützung des Ge- sundheitsamtes eine Humanbiomonitoring-Studie (Quer- Zunächst stand das Gesundheitsamt vor der Aufgabe, die schnittsstudie zur Untersuchung der inneren Belastung von bevölkerungsbezogenen gesundheitlichen Risiken der Kon-

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tamination von Oberflächengewässern mit perfluorierten der Frage nach einer toxikologischen Erstbewertung. Die Stel- Tensiden abzuschätzen, um auf der Basis dieser Risikobeur- lungnahme lag am 14. Juni 2006 vor und bildete die Grund- teilung geeignete Kontrollmaßnahmen zu veranlassen. Hier- lage für die ersten Kontrollmaßnahmen. In der Stellungnah- bei traten zunächst die folgenden Problemfelder auf: me der Trinkwasserkommission am Umweltbundesamt vom 21. Juni 2006 wurde die Risikobeurteilung von Herrn Prof. • fehlende Kenntnisse über die Stoffgruppe Ewers sowie die darauf basierenden Maßnahmeempfehlun- • fehlende Kenntnisse über die gesundheitlichen Auswir- gen bestätigt. kungen einer Exposition gegenüber PFT • fehlende Kenntnisse über Grenzwerte, Richtwerte etc., Im Zuge der Bewertung der Anwesenheit teil- oder nicht be- bzw. kein Grenzwert für PFT in der Trinkwasserverord- wertbarer Stoffe im Trinkwasser aus gesundheitlicher Sicht nung festgesetzt wurden für Trinkwasser folgende Werte empfohlen: • fehlende Erkenntnisse über die Bedeutung des Expositions- • Zielwert (GOW) ≤ 0,1 µg/l pfades Trinkwasser Es handelt sich hier um einen für schwach bis nicht gen- In einem ersten Schritt wurde daher eine Literatursuche über toxische Stoffe oder Stoffgruppen festgelegten pragmatischen Medline (PubMed) und im Internet (Google) durchgeführt. gesundheitlichen Orientierungswert (GOW). Dieser allgemeine Publikationen, die nicht direkt über das Internet zu erhalten Vorsorgewert gilt im Prinzip für lebenslange Exposition auch waren, wurden über den Literaturdienst des Landesinstitutes gegenüber Perfluoroctansulfonat (PFOS), Perfluoroctanoat für den öffentlichen Gesundheitsdienst (lögd) in (PFOA) und weiteren PFT. bestellt. • Leitwert (LW) ≤ 0,3 µg/l Obschon Anfang dieses Jahrtausends recht umfangreiche Studien über das Vorkommen und das Verhalten von PFT in Der Leitwert gilt als lebenslang gesundheitlich duldbarer Wert den verschiedenen Umweltkompartimenten und zur Bio- für alle Bevölkerungsgruppen. Bis zu dieser Konzentration akkumulation veröffentlicht wurden, war das Ergebnis der sind die Summen aus PFOS und PFOA lebenslang gesund- initialen Literatursuche eher ernüchternd. Zwar konnte eine heitlich duldbar. Fülle von Daten gefunden werden, jedoch war aufgrund nicht • Vorsorglicher Maßnahmewert für Säuglinge standardisierter Analyseverfahren und Bestimmungsgrenzen (VMW ) 0,5 µg/l die Vergleichbarkeit der Daten nicht gesichert. Insgesamt konn- s ten nur wenige aussagekräftige Daten über die toxische Wir- Dieser Wert dient dem vorsorglichen Schutz von Säuglingen kung von PFT gefunden werden. Es wurde allerdings schnell z.B. gegen die Anwesenheit weiterer PFT. Dieser Wert wur- klar, dass es sich um eine Stoffgruppe mit mäßiger bis gerin- de im weiteren Verlauf vorsorglich auch auf Schwangere ger akuter Toxizität handelt. Diese Erkenntnis verringerte bezogen. den akuten Handlungsdruck und gab Raum für eine wei- • Maßnahmewert MW = VMW0 für Erwachsene 5,0 µg/l tergehende differenzierte Risikobewertung durch entspre- chend qualifizierte Experten. Ab 5,0 µg/l ist das Trinkwasser nicht mehr für Lebensmittel- zwecke verwendbar. Immerhin ergab die Recherche, dass es sich um Stoffe mit langen Halbwertszeiten und der damit verbundenen Gefahr Neben der Einschätzung des gesundheitlichen Risikopoten- der Akkumulierung im menschlichen Körper handelt. Es fan- zials von PFT auf der Basis der aktuellen Evidenz musste den sich Hinweise auf Hepatotoxizität und Kanzerogenität. kurzfristig ein Überblick über die tatsächliche Belastung des Humanbiomonitoring-Studien durch die Universität Erlan- Roh- und Trinkwassers mit PFT gewonnen werden. Zu die- gen hatten eine Serumbelastung der Allgemeinbevölkerung sem Zweck wurden unverzüglich nach Bekanntwerden der gezeigt, die teilweise um das Zehnfach über den im Trink- Ergebnisse der Universität Bonn eigene orientierende Wasser- wasser gemessenen Werten lag. Hauptbelastungsquellen untersuchungen in Auftrag gegeben. Dabei wurde sowohl schienen Industrie- und Hausabwässer sowie wasserfest be- Möhne- und Ruhrwasser als auch die Roh- und Trinkwässer der potenziell gefährdeten Trinkwassergewinnungsanlagen schichtete Verbraucherprodukte zu sein. an diesen beiden Flüssen untersucht. Die Ergebnisse der Bon- Diese Informationen standen kurzfristig nach Bekanntwerden ner Studie konnten reproduziert werden. Bei der differenzier- der PFT-Problematik Anfang Juni zur Verfügung. Sie reichten ten Untersuchung von Roh- und Trinkwasser zeigten sich jedoch bei weitem nicht für eine suffiziente Risikobeurteilung keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich der PFT-Belas- aus. Andererseits konnte mit der Risikoabschätzung nicht bis tung. Daraus folgte die Erkenntnis, dass die im Bereich der zu der Sitzung der Trinkwasserkommission am Umweltbun- Ruhr- und Möhnewasserwerke eingesetzten Aufbereitungs- desamt am 21. Juni 2006 gewartet werden. Daher wurde verfahren keinen Effekt hinsichtlich der Eliminierung von beim Hygieneinstitut des Ruhrgebiets (Prof. Dr. Ulrich Ewers) PFT hatten. Durch eine entsprechende Bewirtschaftung der eine gutachterliche Stellungnahme in Auftrag gegeben mit Möhnetalsperre, die als Speicher wirkt, konnte die Konzen-

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tration von PFT im Möhnewasser relativ konstant gehalten Die Ursachensuche erfolgte durch den Fachdienst "Abfall- werden. Hingegen sahen sich die Ruhrwasserwerke zwar mit wirtschaft und Bodenschutz" und führte zügig zu der Identi- deutlich geringeren, jedoch witterungsabhängig stärker schwan- fikation von Belastungsquellen am Oberlauf der Möhne. kenden PFT-Konzentrationen und -Frachten konfrontiert. Überraschenderweise wurden auch erhöhte PFT-Konzentra- tionen in zwei Nebenflüssen der oberen Ruhr gemessen. Die In der Folge wurde ein Monitoring-Schema für Roh- und Trink- Suche nach den Ursachen dauert derzeit noch an. wasser festgelegt. Die Trinkwässer aus den Gewinnungsanla- gen an Ruhr und Möhne werden seither einmal monatlich auf Das Gesundheitsamt war federführend bei der Entwicklung die Leitkongenere PFOA und PFOS untersucht. und Umsetzung präventiver Maßnahmen. Die Grundlage bil- dete zunächst die gutachterliche Stellungnahme des Hygiene- Zur Klärung der Fragestellung, ob sich Unterschiede bei der instituts des Ruhrgebiets, später die jeweils aktuelle Fassung Serumbelastung mit PFT zwischen der Bevölkerung in einem der Stellungnahme der Trinkwasserkommission am Umwelt- über das Trinkwasser höher belasteten Gebiet (Versorgungs- bundesamt. gebiet der Gewinnungsanlage Möhnebogen) und einem Ver- gleichsgebiet (Siegen und Brilon) zeigen, wurde durch das Am 14.06.2006 wurde die Empfehlung ausgesprochen, dass Ministerium für Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und in den aus dem Wasserwerk Möhnebogen versorgten Stadttei- Verbraucherschutz (MUNLV) in Düsseldorf eine Humanbio- len, das Trinkwasser nicht mehr für die Zubereitung von Säug- monitoring-Studie initiiert, die durch die Ruhr-Universität lingsnahrung genutzt werden soll. Säuglinge waren dabei defi- Bochum mit Unterstützung der Gesundheitsämter Siegen und niert als Kinder im Alter bis zu einem Jahr. Am 23.06.2006 Hochsauerlandkreis durchgeführt wurde. Die Ergebnisse lie- wurde diese Empfehlung auf Schwangere ausgedehnt. Die gen vor und werden in Kürze veröffentlicht. Da die Studie Stadtwerke Arnsberg reagierten mit einer Gutscheinaktion, als Querschnittsstudie angelegt ist, können Hinweise auf bei der kostenlos Mineralwasser an Schwangere und die El- mögliche Ursachen für ggf. erkennbare Unterschiede in der tern von Säuglingen abgegeben wurde. Serumbelastung beider Gruppen mit PFT gefunden werden. Da sich recht bald abzeichnete, dass die Belastung des Möh- newassers mit PFT nicht kurzfristig zu reduzieren war, wur- den Überlegungen angestellt, das PFT aus dem Trinkwasser 2.2 Risikomanagement mittels Aufbereitung zu entfernen. Hierbei stellte sich das Problem, dass dies in der Vergangenheit nirgendwo versucht Das Risikomanagement gliederte sich in die Aufgabenberei- wurde und keine Informationen über effektive Aufbereitungs- che Ursachensuche und -beseitigung, Umsetzung präventiver verfahren zur Verfügung standen. Im Bereich eines großen Maßnahmen zur Verringerung der PFT-Aufnahme vor allem Wasserwerkes an der Ruhr wurden Versuche zur Entfernung in besonders gefährdeten Personengruppen und Ertüchtigung des PFT mittels Pulveraktivkohlezugabe in die Aufbereitungs- der Aufbereitung der am stärksten betroffenen Wasserge- becken durchgeführt. Diese Versuche verliefen zwar relativ winnungsanlage in Arnsberg (Wasserwerk Möhnebogen). erfolgversprechend, allerdings konnte dieses Verfahren auf-

Abb. 2: Temporäre Aktivkohlefilteranlage im Wasserwerk Möhnebogen

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grund der Gegebenheiten im Wasserwerk Möhnebogen nicht Eindruck vermieden werden, die Situation "herunterkochen" direkt übertragen werden. Hier musste mit Aktivkohlefest- zu wollen. Andererseits durfte keinesfalls unnötige Besorg- bettfiltern gearbeitet werden. nis oder Unruhe geweckt werden. Der Hochsauerlandkreis Mit Unterstützung eines Fachbüros für Trinkwasseraufbe- entschied sich von Anfang an für eine offensive Pressearbeit reitungstechnik wurde durch die Stadtwerke Arnsberg in Zu- mit Offenlegung des jeweils aktuellen Kenntnisstandes. Rück- sammenarbeit mit dem Hygieneinstitut des Ruhrgebiets die blickend hat sich dieses Vorgehen in jeder Hinsicht bewährt. Möglichkeit einer Aufbereitung mittels Aktivkohlefilter ge- Die erste Presseinformation fand im Rahmen einer Presse- prüft. Gemeinsam mit dem Fachbüro entschieden sich die konferenz am 08. Juni 2006 im Kreishaus in Meschede statt. Stadtwerke Arnsberg sowie die Überwachungsbehörden für Neben Vertretern der Kreisverwaltung standen auch führende den Einsatz einer agglomerierten Aktivkohle auf Steinkohle- Mitarbeiter der Bezirksregierung für Fragen zur Verfügung. basis. Die gewählte Kornaktivkohlesorte imponiert durch ihren hohen Anteil an hochaktiven Adsorptionsporen, die Für die Bevölkerung wurde frühzeitig eine Hotline eingerich- besonders für die Entfernung von organischen Verbindun- tet, die mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kreisver- gen erforderlich ist. waltung besetzt war. Diese Hotline arbeitete im Sinne einer ersten Auffanglinie und beantwortete alle allgemeinen Fra- Nachdem die Wirksamkeit ersichtlich war, wurde eine zu- gen, die aus der Bevölkerung gestellt wurden. Als Grundlage nächst nur als temporär angesehene Filteranlage mit acht diente ein in unregelmäßigen Abständen aktualisiertes Grund- parallel betriebenen Aktivkohlefiltern mit einem Wasser- lagenpapier sowie die jeweils aktuelle Fassung der auf der durchsatz von 480m3/h im Freien errichtet und am Webseite des Kreises veröffentlichen FAQs (frequently asked 14.07.2006 in Betrieb genommen. Die Anlage erwies sich questions). Diese wurden entsprechend dem jeweiligen Kennt- als leistungsfähig und effektiv. Die PFT-Werte im Trinkwas- nisstand aktualisiert und ergänzt. ser konnten unter die Bestimmungsgrenze gedrückt werden. Auf der Webseite wurde ein Link zu allen PFT-Publikatio- Deshalb konnte nach Inbetriebnahme der Aktivkohlefilter- nen des Kreises eingerichtet. Neben den FAQs wurden dort anlage die Empfehlung hinsichtlich der Verwendung von Mi- auch alle Pressemitteilungen der Kreisverwaltung veröffent- neralwasser zur Zubereitung von Säuglingsnahrung zurück- licht. Außerdem wurde versucht, alle Presseanfragen so rasch genommen werden. Mittels eines kleinen Testfilters wurde die wie möglich zu beantworten. zunehmende Beladung des Filtermaterials mit PFT verfolgt, damit rechtzeitig der Zeitpunkt für den Austausch des Filterma- Neben der Öffentlichkeit wurden auch die entsprechenden terials bestimmt werden konnte. Ausschüsse (Gesundheit und Soziales sowie Umwelt, Land- wirtschaft und Forsten) sowie der Kreistag regelmäßig über Während des Betriebs der Aktivkohlefilter kam es zu einem den aktuellen Sachstand informiert. linearen Anstieg der PFT-Gehalte im Filtrat. Nach fünf Mona- ten war die PFT-Konzentration von weniger als 0,01 µg/l (Be- stimmungsgrenze) auf 0,09 µg/l gestiegen. Daraufhin wurde 3 Fazit mit dem Austausch bzw. mit der sukzessiven Reaktivierung der Aktivkohle begonnen. Zu Beginn der Filterwechsel stieg Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die systemati- völlig unerwartet die PFT-Konzentration im Filtrat sprung- sche und rasche Informationsgewinnung vor allem in der haft auf 0,19 µg/l. Aufgrund dessen wurde entgegen der ur- Initialphase von ausschlaggebender Bedeutung war. Die Ein- sprünglichen Zeitplanung der Filterwechsel forciert, sodass bindung externen Sachverstandes ermöglichte frühzeitig eine die ursprüngliche Filterleistung mit entsprechend geringen Abschätzung des gesundheitlichen Risikopotenzials von PFT PFT-Konzentrationen im Filtrat innerhalb weniger Tage wie- und bildete die Grundlage für angemessene Maßnahmen. der hergestellt werden konnte. Es lässt sich aus technischen Aus der offenen und offensiven Weitergabe aller Informati- Gründen nicht vermeiden, dass beim Filterwechsel das betref- onen an die Öffentlichkeit in einer zielgruppengerechten fende Filter einige Tage nicht betrieben werden kann. Form und Sprache resultierte eine hohe Akzeptanz besonders in der Bevölkerung. PFT sind durch technische Maßnahmen mit vertretbarem 2.3 Risikokommunikation Aufwand aus dem Trinkwasser entfernbar. Hierbei ist die enge Zusammenarbeit zwischen dem Wasserversorgungs- Die Risikokommunikation stellte einen wesentlichen Aspekt unternehmen und dem Gesundheitsamt als Voraussetzung der Arbeit des Gesundheitsamtes vor allem in der Anfangs- für den Erfolg anzusehen. Dies gilt besonders unter der An- phase dar. Hier bestand zunächst das Problem darin, trotz nahme, dass PFT als anthropogene Stoffgruppe aufgrund des geringen eigenen und allgemeinen Wissensstandes adä- ihrer hohen Persistenz auch weiterhin ein umweltmedizi- quat auf die öffentliche Besorgnis einzugehen. Es musste der nisches Problem darstellen werden.

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