EDITORIAL / Wolfgang Marr ...... Seite 01 BILD Thüringen EDITORIAL Hecht im Karpfenteich „Erfurth“ / Andreas Möller ...... Seite 02 Die NEUE Drei kurze Monate Hoffnung / Dr. Eckhard Ullrich ...... Seite 04 Nicht von außen kam der Gedanke, selbst ge- hängige, vielfältige Medienlandschaft die Eichsfelder Tageblatt stellt hat sich der Deutsche Journalisten-Ver- Grundvoraussetzung für jede funktionierende Eine neue Welt öffnete sich / Stefan Koch ...... Seite 06 band (DJV) den später so formulierten Auf- Demokratie. trag: Eisenacher Presse Wie auch immer man über diese Dokumenta- Eisenach – Deutscher Meister / Klaus Wuggazer ...... Seite 10 „Erarbeitung einer Dokumentation zur tion urteilt, es liegt in der Natur der Sache, der Blick auf die Reportagen ist vergleichbar mit Freies Wort Geschichte der Tageszeitungen in Thüringen im Zeitraum zwischen 1990 jener Perspektive, die sich dem Betrachter Briefwechsel mit Wunschpartner / Ingrid Ehrhardt ...... Seite 12 und 1992“ vom Beerberg im Süden, Inselsberg im Westen, Gothaer Neue Zeitung Kyffhäuser im Norden oder der Leuchtenburg im Osten bietet. Das Auge erfasst viele, aber Zeit, die ich nicht missen will / Cornelia Möller ...... Seite 14 Gemessen an der Einwohnerzahl hatte Thürin- gen in jenen Jahren die vielfältigste Zeitungs- längst nicht alle Details vom wunderschönen Meininger Tageblatt landschaft in Deutschland. Das resultierte zum Thüringen und seinen hier lebenden Men- Aller Anfang ist schwer / Siegfried Herzog ...... Seite 18 einen aus der Aufbruchsstimmung vom Herbst schen mit viel Herz und einer Menge Verstand. 1989 über die am 3. Oktober 1990 durch den Mitteldeutsche Allgemeine Beitritt vollzogene deutsche Einheit bis hin zur Insofern erhebt das vorliegende Werk auch Wanderer zwischen den Welten / Werner Keller ...... Seite 20 Wiedergründung Thüringens als Freistaat als keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das be- Ausdruck von Mut und dem Willen zur Selbst- trifft sowohl die Zahl der aufgenommenen Pu- Neue Saale-Zeitung verwirklichung. Zum anderen war es die zen- blikationen, als auch den beigefügten statisti- Von der Überholspur geholt / Jens Voigt ...... Seite 22 trale Lage, die Tageszeitungsverlage in den an- schen Teil. Nordhäuser Tageblatt grenzenden Bundesländern Bayern, Hessen und Niedersachsen veranlasste, hierzulande Der DJV verfolgt mit der Herstellung und Ver- „Ihr wisst es am Besten!“ / Patrick Grabe ...... Seite 24 Verlage zu gründen. Mithin vergrößerte sich breitung der Dokumentation keine kommer- Nordhäuser Zeitung schnell die Zahl der Journalisten. ziellen Zwecke. Doch es ist recht und billig, auch auf die Arbeitsbedingungen Anfang der Wir waren ein Teil davon / Peter-Stefan Greiner ...... Seite 28 In der Broschüre werden sowohl Neugründun- Neunziger zu verweisen. Ostthüringer Zeitung gen, als auch Umwandlungen bestehender Ta- Ein heißer Sommer bei der OTZ / Hans-Ulrich Fischer ...... Seite 30 geszeitungen zu unabhängigen Publikatio- Die Tageszeitungsjournalisten jener Jahre hat- nen besprochen. Jeweils aus persönlichem ten mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Südthüringer Tageblatt Erleben. Immer sind es Lernprozesse, geprägt Mit klappriger Schreibmaschine, mit einem „Freundschaft und Erfahrungen“ / Stefan Löffler ...... Seite 32 von Realität, mal mehr, mal weniger. Bei aller museumsreifen Telefonnetz. Noch dominieren Bleisatz und Filmspule und nicht Aluminium- Südthüringer Zeitung Unterschiedlichkeit der Darstellungsformen, die regionale Ausrichtung der Blätter auf platte und Chip. Vereinzelt PC-Nutzung, Dis- Von Thüringern für Thüringer / Rainer Koch ...... Seite 36 Thüringen hat überall im Fokus gestanden. kettentransport zum Druckhaus und versuchs- weise Klebeumbruch. Kein Gedanke an die Suhler Zeitung weltumspannende Nutzung des Internets heu- Schmackhafter „Zeitungscocktail“ / Steffi Seidel ...... Seite 40 Indes spielt es nur für die Statistiker eine Rol- le, dass beispielsweise am Standort Eisenach tiger Zeit mit seinen Licht- und Schattenseiten. Thüringer Allgemeine kurze Zeit nebeneinander sieben Zeitungen Trotzdem: Damals wie heute passt Erich Käst- „Macht sie teurer!“ / Sergej Lochthofen ...... Seite 42 um Aufmerksamkeit bei der geschätzten Le- serschaft gerungen haben. Kooperationen ners Maxime ins Bild. Es gibt nichts Gutes, Thüringer Neue Rundschau und gar Fusionen, Begriffe, die heute den außer, man tut es. Der Nachruf war schnell fällig / Thomas Klemm ...... Seite 46 Sprachschatz prägen, waren alsbald die Folge überzogener Erwartungshaltung. Ich danke den Autoren für ihre uneigennützi- Thüringer Neueste Nachrichten ge Mitwirkung. Ich hoffe, dass der Lesestoff Nicht immer überleben die Besten / Petra Beck ...... Seite 48 Weitaus wichtiger war und bleibt der Um- hohe Aufmerksamkeit findet. Diese schließt neben Lob und Kritik auch die Nutzung im Thüringenpost stand, dass so das Verlangen des Volkes nach Meinungsvielfalt und Pressefreiheit verwirk- Kurs Medienkunde an Schulen ein. Aufregende Zeit erlebt / Renate Klein ...... Seite 50 licht worden ist. Wir sind das Volk, wir sind ein Thüringer Kurier Volk. Hundertausendfach laute Rufe in der Es galt einfach: „Passt scho’…“ / Reinhard Querengässer ...... Seite 52 Zeit der friedlichen Revolution führten über die Runden Tische, die erste freie Wahl im Thüringer Tag Osten nach 1945, die Bildung einer Koalitions- Wolfgang Marr Als der Chef den Volontär fuhr / Stephan Breidt ...... Seite 54 regierung aus „Allianz für Deutschland“, SPD und dem „Bund Freier Demokraten“, die Wirt- Thüringer Tageblatt schafts-, Währungs- und Sozialunion, die Grün- Abschuss im freien Fall / Ulrich Oertel ...... Seite 56 dung unabhängiger Gewerkschaften wie des DJV in die Demokratie. Dorthin, wo das Enga- Thüringer Tagespost gement des Einzelnen geschätzt wird. Ein Damals unterm Dach / Falk Zimmermann ...... Seite 58 Wegbegleiter resümiert: Aus Träumenden Thüringische Landeszeitung wurden Handelnde. Eine Odyssee als Redakteur / Dieter Albrecht ...... Seite 60 Bewusst wurde in der Dokumentation Wert Schwarzburg-Rudolstädtische Landeszeitung (Sonderbeilage vom „Thüringer Kurier“) auf Zeitzeugenberichte gelegt, was mit dem Die Eintagszeitungsfliege / Reinhard Querengässer ...... Seite 62 Abstand von zwanzig Jahren mitunter stärke- Wolfgang Marr res akribisches Recherchieren erfordert hat als Saale-Spiegel ...... Seite 64 zuvor geglaubt. Umso mehr freut es, dass bei- Vorsitzender nahe jede(r) Autorin/Autor mindestens einen Deutscher Journalisten- Absatz dem Innenleben in den Redaktionen Verband (DJV) Die Beiträge sind alphabetisch nach dem Titel der Tageszeitungen geordnet. gewidmet hat. Schließlich bildet eine unab- Landesverband Thüringen e. V.

1 EDITORIAL

Nicht von außen kam der Gedanke, selbst ge- hängige, vielfältige Medienlandschaft die stellt hat sich der Deutsche Journalisten-Ver- Grundvoraussetzung für jede funktionierende band (DJV) den später so formulierten Auf- Demokratie. trag: Wie auch immer man über diese Dokumenta- „Erarbeitung einer Dokumentation zur tion urteilt, es liegt in der Natur der Sache, der Geschichte der Tageszeitungen in Blick auf die Reportagen ist vergleichbar mit Thüringen im Zeitraum zwischen 1990 jener Perspektive, die sich dem Betrachter und 1992“ vom Beerberg im Süden, Inselsberg im Westen, Kyffhäuser im Norden oder der Leuchtenburg Gemessen an der Einwohnerzahl hatte Thürin- im Osten bietet. Das Auge erfasst viele, aber gen in jenen Jahren die vielfältigste Zeitungs- längst nicht alle Details vom wunderschönen landschaft in Deutschland. Das resultierte zum Thüringen und seinen hier lebenden Men- einen aus der Aufbruchsstimmung vom Herbst schen mit viel Herz und einer Menge Verstand. 1989 über die am 3. Oktober 1990 durch den Beitritt vollzogene deutsche Einheit bis hin zur Insofern erhebt das vorliegende Werk auch Wiedergründung Thüringens als Freistaat als keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das be- Ausdruck von Mut und dem Willen zur Selbst- trifft sowohl die Zahl der aufgenommenen Pu- verwirklichung. Zum anderen war es die zen- blikationen, als auch den beigefügten statisti- trale Lage, die Tageszeitungsverlage in den an- schen Teil. grenzenden Bundesländern Bayern, Hessen und Niedersachsen veranlasste, hierzulande Der DJV verfolgt mit der Herstellung und Ver- Verlage zu gründen. Mithin vergrößerte sich breitung der Dokumentation keine kommer- schnell die Zahl der Journalisten. ziellen Zwecke. Doch es ist recht und billig, auch auf die Arbeitsbedingungen Anfang der In der Broschüre werden sowohl Neugründun- Neunziger zu verweisen. gen, als auch Umwandlungen bestehender Ta- geszeitungen zu unabhängigen Publikatio- Die Tageszeitungsjournalisten jener Jahre hat- nen besprochen. Jeweils aus persönlichem ten mit vielen Unwägbarkeiten zu kämpfen. Erleben. Immer sind es Lernprozesse, geprägt Mit klappriger Schreibmaschine, mit einem von Realität, mal mehr, mal weniger. Bei aller museumsreifen Telefonnetz. Noch dominieren Unterschiedlichkeit der Darstellungsformen, Bleisatz und Filmspule und nicht Aluminium- die regionale Ausrichtung der Blätter auf platte und Chip. Vereinzelt PC-Nutzung, Dis- Thüringen hat überall im Fokus gestanden. kettentransport zum Druckhaus und versuchs- weise Klebeumbruch. Kein Gedanke an die Indes spielt es nur für die Statistiker eine Rol- weltumspannende Nutzung des Internets heu- le, dass beispielsweise am Standort Eisenach tiger Zeit mit seinen Licht- und Schattenseiten. kurze Zeit nebeneinander sieben Zeitungen um Aufmerksamkeit bei der geschätzten Le- Trotzdem: Damals wie heute passt Erich Käst- serschaft gerungen haben. Kooperationen ners Maxime ins Bild. Es gibt nichts Gutes, und gar Fusionen, Begriffe, die heute den außer, man tut es. Sprachschatz prägen, waren alsbald die Folge überzogener Erwartungshaltung. Ich danke den Autoren für ihre uneigennützi- ge Mitwirkung. Ich hoffe, dass der Lesestoff Weitaus wichtiger war und bleibt der Um- hohe Aufmerksamkeit findet. Diese schließt stand, dass so das Verlangen des Volkes nach neben Lob und Kritik auch die Nutzung im Meinungsvielfalt und Pressefreiheit verwirk- Kurs Medienkunde an Schulen ein. licht worden ist. Wir sind das Volk, wir sind ein Volk. Hundertausendfach laute Rufe in der Zeit der friedlichen Revolution führten über die Runden Tische, die erste freie Wahl im Osten nach 1945, die Bildung einer Koalitions- Wolfgang Marr regierung aus „Allianz für Deutschland“, SPD und dem „Bund Freier Demokraten“, die Wirt- schafts-, Währungs- und Sozialunion, die Grün- dung unabhängiger Gewerkschaften wie des DJV in die Demokratie. Dorthin, wo das Enga- gement des Einzelnen geschätzt wird. Ein Wegbegleiter resümiert: Aus Träumenden wurden Handelnde.

Bewusst wurde in der Dokumentation Wert auf Zeitzeugenberichte gelegt, was mit dem Abstand von zwanzig Jahren mitunter stärke- Wolfgang Marr res akribisches Recherchieren erfordert hat als zuvor geglaubt. Umso mehr freut es, dass bei- Vorsitzender nahe jede(r) Autorin/Autor mindestens einen Deutscher Journalisten- Absatz dem Innenleben in den Redaktionen Verband (DJV) gewidmet hat. Schließlich bildet eine unab- Landesverband Thüringen e. V.

1 Hecht im Karpfenteich „Erfurth“

Wie BILD den Freistaat und die Thüringer eroberte

Anruf aus Hamburg, Ende 1991: „Ein Büro in Er- meister Steffen Harzer aus . furt, trauen Sie sich das zu?“ Unerwartete Reaktion in Hamburg: „Solange die Erfurter Auflage machen, sollen sie ruhig Ich hatte 1977 bei der BILD-Zeitung angefan- Scheiße mit Ypsilon schreiben.“ gen, zuständig meistens für Polizei, Gericht und Seltsam, was wir alles erleben. So adressiert der ein paar Serien, war Lokalredakteur, Redakti- Verlag des Patrioten Axel Springer Post für uns onsvize, Chefreporter in Essen, Kiel, in Stuttgart nach „Erfurth“. Reklamation zwecklos: Zustän- – und seit 9. November 1989 in Ost-Berlin. Jetzt dige in Hamburg erklären hanseatisch-kühl, also werde ich Redaktionsleiter in Thüringen, dass sie sich „in Sachsen“ nicht auskennen. Es wo mein Urgroßvater vor 100 Jahren Zeitungs- bleibt also noch lange Zeit bei Erfurth. Immer- verleger war. Ob ich mir das zutraue? Zehn Jah- hin ohne Ypsilon. Na ja, die West-Auflage sinkt re meines Lebens gäbe ich dafür. und unsere steigt. Leserbriefe sind für mich ein Wende-Wunder. 15. März 1992: Start in der Schlösserstraße. Wer Tausend Seiten Trauer und Zorn über Elend und nach unserer Adresse fragt, kriegt oft keine Ende des SED-Staates, herzlose Treuhand, mie- Auskunft. Für viele Erfurter bleibt das die Her- se Wessis. Aber riesiges Vertrauen zu BILD. Un- mann-Jahn-Straße, benannt nach dem KPD- vergesslich sind mir Briefe wie der des Invaliden Oberbürgermeister von 1945. Er kam aus Bu- Gert. Seit der Explosion einer Mine sitzt der Ex- chenwald, und die Russen machten ihn zum Grenzer blind und verstümmelt im Rollstuhl. Die Oberhaupt der hungernden, frierenden, zer- Armee spendierte ihm einen Orden – und ein trümmerten Großstadt. Elf Monate später starb Häuschen im Sperrgebiet, wo westliche Besu- er mit 50 Jahren an den Folgen der KZ-Haft. cher nicht zu befürchten waren. Wer schafft eigentlich solche Straßennamen ab? „Alle freuen sich, weil die Grenze weg ist“, Burdas Anti-BILD „Super“ bleiben noch vier Mo- schreibt Gert. „Von mir will keiner mehr was nate und neun Tage. Hasta la vista. Die Abo-Zei- wissen. Ich bin nur noch Abfall.“ Wir dürfen tungen kümmern uns kaum. BILD fühlt sich als kein Opfer jenes Regimes vergessen und das Hecht im Karpfenteich. 1992 sind wir in Erfurt Vertrauen der neuen Leser nicht enttäuschen. vier Redakteure, inklusive Sport und Foto. Da- Ich besuche Gert, wir werden Freunde. zu eine allzeit kampfbereite Sekretärin aus Die Staatskanzlei freilich widersteht immer Gotha. Bald wird sie sogar Bernhard Vogel am noch unserem Charme. Ich werde zwar zum Telefon abwimmeln, weil ich um Ruhe gebeten Abendessen leitender Journalisten mit dem habe. Noch ahnt der neue Landesvater aller- Ministerpräsidenten eingeladen, aber dann ig- dings nichts von uns. Denn seine Staatskanzlei noriert die Staatskanzlei ausgerechnet an die- nimmt meine schüchternen Annäherungsversu- sem Tag wieder eine Anfrage an ihren Chef che einfach nicht zur Kenntnis. Andreas Trautvetter. Mir platzt der Kragen. Fax Der 15. März ist ein Sonntag. Wir finden ums an den Regierungssprecher, sechs Stunden vor Verrecken kein Thema. Unsere erste Story ist dem Dinner: „Herr Kaiser, wenn Sie die größte deshalb ein Verlegenheitsstück über Markt- Zeitung Europas zu ignorieren belieben, sehe schreier, die in Erfurt gastieren. ich auch keinen Sinn darin, mit dem MP zu Ab sofort schuften wir 70, 80 Wochenstunden. Abend zu essen. Also sage ich ab.“ Eines Tages höre ich, wie Kollege Frank am Te- Hans Kaiser ist ein kluger, kultivierter Mann. Er lefon schwäbelt: „Vor zehne abends ischt hier ruft sofort an, redet mit Engelszungen. Meine nie Feierabend. Im Hotel liegt dann ein Zettel Platzkarte liege doch schon auf der Tafel im Andreas Möller vom Chef – früh um acht Termin, vielleicht in ei- Regierungsgästehaus... nem Kaff wie Artern, also aufstehen um fünf.“ Dessen wichtigster Logisgast ist 1992 Bernhard 1964 - 1965 Artern ist über 1.200 Jahre alt. Aber das wird Vogel. Um mich zu besänftigen, verspricht Kai- Helmstedter Kreisblatt Frank auch nicht begeistern. ser schließlich eine exklusive Homestory, sobald (Volontariat) Die Straßen in Nordthüringen sind miserabel, sein Chef ein privates Zuhause in Erfurt habe. das Telefonnetz ist es überall. Mancher Investor Ich bleibe trotzdem bei meiner Absage, aber 1965 - 1966 mietet eine Wohnung gleich hinter der alten Kaiser wird Wort halten. Ein Gentleman eben. Deutscher Fachverlag Grenze, fährt jede Woche zum Telefonieren hin Es dauert aber noch Monate, bis Vogel am An- Frankfurt/Main (Redakteur) und nimmt gleich die Geschäftspost mit in den ger wohnt. Ich bin später der einzige Journalist, Westen. An Orten wie der Teufelstalbrücke der dort ab und zu zum Frühstück eingeladen 1967 - 1968 stauen sich 50 Meter über dem hübschen Zeitz- wird. Mitzubringen sind Brötchen aus der Südwestpresse bach nachts parkende Autos am Rand der A 4. Bäckerei Nagel in Arnstadt. Ihre Chefin war (Lokalredakteur in Horb) Weil der Mobilfunk dort Kontakt hat. eine Heldin der friedlichen Revolution, eines der Alltag ‘92 eines Redaktionsleiters mit Migrati- letzten Opfer im Stasi-Knast. „Wir wollten gar 1969 - 1971 onshintergrund West: „Kommen Sie doch auf nicht den Staat kippen“, versichert sie später. Express (Redakteur in der ein Glas vorbei“, brummt der gesellige Innen- „Reisen nur – und ein bisschen Freiheit.“ Zentralredaktion Köln) minister Willibald Böck am Telefon. „Gerne“, Nach dem ersten Jahr verfolge ich in Gera die antworte ich, „wenn ich Ihr Ministerium finde.“ stundenlange Exploration von 30 Lesern. Am 1972 - 1973 Im Büro riskiere ich vollmundig meinen Job: Ende fragt die Interviewerin des demoskopi- Schwarzwälder Bote (Politik) „Verkneift euch Klatsch, Sex und ähnlichen schen Instituts jeden einzeln: „Was meinen Sie BILD-Mist. Busenfotos will ich auch nur auf un- – wird die Thüringen-Seite der BILD-Zeitung von 1974 - 1977 Erscheinungszeitraum: seit 16.03.1992 serer Seite sehen, wenn sie zu einer wichtigen West- oder von Ostdeutschen geschrieben?“ WAZ (frei, später Auflage: Gesamtausgabe Ost 556.557 (nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Geschichte gehören. Unsere Schwerpunkte sind Die Testpersonen sind sich einig: „Von Thürin- Lokalredakteur in Dortmund) Verbreitungsgebiet: Thüringen Service, regionale Identität und Meinungsviel- gern natürlich, das merkt man doch.“ Redaktion: Andreas Möller, verantwortlicher Redakteur in Thüringen falt.“ Also wählen wir neben anderen Kolum- 1977 - 2005 Verlag: Axel Springer Verlag AG, Hamburg nisten Bischof Joachim Wanke und PDS-Bürger- Alles klar, wir haben es geschafft. BILD, seitdem Rentner

2 3 Hecht im Karpfenteich „Erfurth“

Wie BILD den Freistaat und die Thüringer eroberte

Anruf aus Hamburg, Ende 1991: „Ein Büro in Er- meister Steffen Harzer aus Hildburghausen. furt, trauen Sie sich das zu?“ Unerwartete Reaktion in Hamburg: „Solange die Erfurter Auflage machen, sollen sie ruhig Ich hatte 1977 bei der BILD-Zeitung angefan- Scheiße mit Ypsilon schreiben.“ gen, zuständig meistens für Polizei, Gericht und Seltsam, was wir alles erleben. So adressiert der ein paar Serien, war Lokalredakteur, Redakti- Verlag des Patrioten Axel Springer Post für uns onsvize, Chefreporter in Essen, Kiel, in Stuttgart nach „Erfurth“. Reklamation zwecklos: Zustän- – und seit 9. November 1989 in Ost-Berlin. Jetzt dige in Hamburg erklären hanseatisch-kühl, also werde ich Redaktionsleiter in Thüringen, dass sie sich „in Sachsen“ nicht auskennen. Es wo mein Urgroßvater vor 100 Jahren Zeitungs- bleibt also noch lange Zeit bei Erfurth. Immer- verleger war. Ob ich mir das zutraue? Zehn Jah- hin ohne Ypsilon. Na ja, die West-Auflage sinkt re meines Lebens gäbe ich dafür. und unsere steigt. Leserbriefe sind für mich ein Wende-Wunder. 15. März 1992: Start in der Schlösserstraße. Wer Tausend Seiten Trauer und Zorn über Elend und nach unserer Adresse fragt, kriegt oft keine Ende des SED-Staates, herzlose Treuhand, mie- Auskunft. Für viele Erfurter bleibt das die Her- se Wessis. Aber riesiges Vertrauen zu BILD. Un- mann-Jahn-Straße, benannt nach dem KPD- vergesslich sind mir Briefe wie der des Invaliden Oberbürgermeister von 1945. Er kam aus Bu- Gert. Seit der Explosion einer Mine sitzt der Ex- chenwald, und die Russen machten ihn zum Grenzer blind und verstümmelt im Rollstuhl. Die Oberhaupt der hungernden, frierenden, zer- Armee spendierte ihm einen Orden – und ein trümmerten Großstadt. Elf Monate später starb Häuschen im Sperrgebiet, wo westliche Besu- er mit 50 Jahren an den Folgen der KZ-Haft. cher nicht zu befürchten waren. Wer schafft eigentlich solche Straßennamen ab? „Alle freuen sich, weil die Grenze weg ist“, Burdas Anti-BILD „Super“ bleiben noch vier Mo- schreibt Gert. „Von mir will keiner mehr was nate und neun Tage. Hasta la vista. Die Abo-Zei- wissen. Ich bin nur noch Abfall.“ Wir dürfen tungen kümmern uns kaum. BILD fühlt sich als kein Opfer jenes Regimes vergessen und das Hecht im Karpfenteich. 1992 sind wir in Erfurt Vertrauen der neuen Leser nicht enttäuschen. vier Redakteure, inklusive Sport und Foto. Da- Ich besuche Gert, wir werden Freunde. zu eine allzeit kampfbereite Sekretärin aus Die Staatskanzlei freilich widersteht immer Gotha. Bald wird sie sogar Bernhard Vogel am noch unserem Charme. Ich werde zwar zum Telefon abwimmeln, weil ich um Ruhe gebeten Abendessen leitender Journalisten mit dem habe. Noch ahnt der neue Landesvater aller- Ministerpräsidenten eingeladen, aber dann ig- dings nichts von uns. Denn seine Staatskanzlei noriert die Staatskanzlei ausgerechnet an die- nimmt meine schüchternen Annäherungsversu- sem Tag wieder eine Anfrage an ihren Chef che einfach nicht zur Kenntnis. Andreas Trautvetter. Mir platzt der Kragen. Fax Der 15. März ist ein Sonntag. Wir finden ums an den Regierungssprecher, sechs Stunden vor Verrecken kein Thema. Unsere erste Story ist dem Dinner: „Herr Kaiser, wenn Sie die größte deshalb ein Verlegenheitsstück über Markt- Zeitung Europas zu ignorieren belieben, sehe schreier, die in Erfurt gastieren. ich auch keinen Sinn darin, mit dem MP zu Ab sofort schuften wir 70, 80 Wochenstunden. Abend zu essen. Also sage ich ab.“ Eines Tages höre ich, wie Kollege Frank am Te- Hans Kaiser ist ein kluger, kultivierter Mann. Er lefon schwäbelt: „Vor zehne abends ischt hier ruft sofort an, redet mit Engelszungen. Meine nie Feierabend. Im Hotel liegt dann ein Zettel Platzkarte liege doch schon auf der Tafel im Andreas Möller vom Chef – früh um acht Termin, vielleicht in ei- Regierungsgästehaus... nem Kaff wie Artern, also aufstehen um fünf.“ Dessen wichtigster Logisgast ist 1992 Bernhard 1964 - 1965 Artern ist über 1.200 Jahre alt. Aber das wird Vogel. Um mich zu besänftigen, verspricht Kai- Helmstedter Kreisblatt Frank auch nicht begeistern. ser schließlich eine exklusive Homestory, sobald (Volontariat) Die Straßen in Nordthüringen sind miserabel, sein Chef ein privates Zuhause in Erfurt habe. das Telefonnetz ist es überall. Mancher Investor Ich bleibe trotzdem bei meiner Absage, aber 1965 - 1966 mietet eine Wohnung gleich hinter der alten Kaiser wird Wort halten. Ein Gentleman eben. Deutscher Fachverlag Grenze, fährt jede Woche zum Telefonieren hin Es dauert aber noch Monate, bis Vogel am An- Frankfurt/Main (Redakteur) und nimmt gleich die Geschäftspost mit in den ger wohnt. Ich bin später der einzige Journalist, Westen. An Orten wie der Teufelstalbrücke der dort ab und zu zum Frühstück eingeladen 1967 - 1968 stauen sich 50 Meter über dem hübschen Zeitz- wird. Mitzubringen sind Brötchen aus der Südwestpresse bach nachts parkende Autos am Rand der A 4. Bäckerei Nagel in Arnstadt. Ihre Chefin war (Lokalredakteur in Horb) Weil der Mobilfunk dort Kontakt hat. eine Heldin der friedlichen Revolution, eines der Alltag ‘92 eines Redaktionsleiters mit Migrati- letzten Opfer im Stasi-Knast. „Wir wollten gar 1969 - 1971 onshintergrund West: „Kommen Sie doch auf nicht den Staat kippen“, versichert sie später. Express (Redakteur in der ein Glas vorbei“, brummt der gesellige Innen- „Reisen nur – und ein bisschen Freiheit.“ Zentralredaktion Köln) minister Willibald Böck am Telefon. „Gerne“, Nach dem ersten Jahr verfolge ich in Gera die antworte ich, „wenn ich Ihr Ministerium finde.“ stundenlange Exploration von 30 Lesern. Am 1972 - 1973 Im Büro riskiere ich vollmundig meinen Job: Ende fragt die Interviewerin des demoskopi- Schwarzwälder Bote (Politik) „Verkneift euch Klatsch, Sex und ähnlichen schen Instituts jeden einzeln: „Was meinen Sie BILD-Mist. Busenfotos will ich auch nur auf un- – wird die Thüringen-Seite der BILD-Zeitung von 1974 - 1977 serer Seite sehen, wenn sie zu einer wichtigen West- oder von Ostdeutschen geschrieben?“ WAZ (frei, später Geschichte gehören. Unsere Schwerpunkte sind Die Testpersonen sind sich einig: „Von Thürin- Lokalredakteur in Dortmund) Service, regionale Identität und Meinungsviel- gern natürlich, das merkt man doch.“ falt.“ Also wählen wir neben anderen Kolum- 1977 - 2005 nisten Bischof Joachim Wanke und PDS-Bürger- Alles klar, wir haben es geschafft. BILD, seitdem Rentner

3 Drei kurze Monate Hoffnung

DIE NEUE, Verlagsaufbruch einer Suhler/Würzburger GmbH

Zu Ostern 1990 erhielt ein heute sehr bekann- Nach gut drei Monaten war ein Unternehmen ter Berliner Verleger einen Brief. Darin hieß es: fast so überraschend zu Ende gegangen, wie es begonnen hatte. Die Mitarbeiter standen „In die eben wiederkehrende positive Einstel- vor einem Scherbenhaufen, den beiden Che- lung zum LÄBEN platzte ein bärtiger Herr fredakteuren sah man an, wie schwer sie das leicht fortgeschrittenen Alters (es war der 4. 4. Ende dieses mutigen und wohl dennoch von – Anm. Dr. Eckhard Ullrich) und offerierte mir Beginn an chancenlosen Aufbruchs ankam. eine Offerte, bestehend aus einem für die NOCH-DDR-Verhältnisse hochherzigen Ge- Symbolhaft der Beginn: eine ganze lange Eta- haltsangebot und diversen farbigen Bildern ge in dem überdimensionalen Protzbau der aus der Joint-Venture-Welt. Die Kohle lockte, SED-Bezirksleitung , in dem nicht wenige der Geist kriselte mit etwas Gänsehaut vor sich der alten Mitarbeiter immer noch tapfer mit hin, schließlich reiste ich den 6. 4. an den Ort den Fahrstühlen auf und nieder fuhren und des Geschehens, lernte dort einen deutlich jün- den seltsamen „Siegern der Geschichte“ in die geren Zweitboß kennen, welcher mir ebenfalls Augen blickten, die da als Eroberer gekommen aus der Joint-Venture-Welt plauderte und als waren, eine ganze Etage für eine neue Zei- ich wieder von hinnen zog, hatte ich einen Ar- tung. beitsvertrag in der Tasche.“ Deren Lizenzurkunde ist mit 16. Januar 1990 Der Empfänger des Briefes heißt Christoph datiert, die Eintragung ins Handelsregister Links. Sein Absender war der Verfasser dieses folgte am 6. Februar, nachdem der Gesellschaf- Beitrages, bin ich: Dr. Eckhard Ullrich, bis zum tervertrag am 1. Februar notariell eingetragen genannten Tag freiberuflicher Literaturkritiker. war. Am 2. April 1990 erschien die erste Aus- gabe, es gab Lokalredaktionen in Suhl, Ilme- Und weiter in jenem Brief, der wortgetreu nau, Hildburghausen, , Meiningen, wiedergegeben ist: und .

„Mit dem 9. 4. also wurde ich wieder ein An- In meinen Unterlagen findet sich eine Mietbe- gestellter, hatte das hohe Vergnügen, dem Ar- stätigung über eine Schreibmaschine, von der beitsamt außerhalb der Sprechzeit meinen nun Abteilung Bildung heißenden Abteilung Bedarf an einer Sekretärin anzumelden (ein des Rates des Kreises ausgestellt. Mei- Vorgang, der dort mit quasiorgastischer Kar- ne Redaktion saß in der „Alten Försterei“, teikarten-Wühltätigkeit quittiert wurde). Ge- noch Haus des Kulturbundes der DDR. Ein stern nachmittag kamen sie alle gestürzt: eine brauner Wartburg, billig erworben vom dama- mit Papa, eine mit Freund, eine mit Speckfal- ligen Chefarzt des Kreiskrankenhauses, hatte te und ich habe mich entschlossen, die zu neh- den täglichen Dienst als auch kurierfahrendes men, die schon am Dienstagabend zu mir Redaktionsvehikel bis zu dem Tag zu leisten, nach Hause kam mit ihrem holden Gatten.“ da einer der Mitarbeiter versuchte, ob man auch mit leicht angezogener Handbremse von Der Rest referiert dann schon fast Berufsrou- Ilmenau bis Suhl fahren kann. tine: Gedruckt wurden täglich zehntausend Zei- „Mein erster Mitarbeiter erschien letzten tungen, Abonnenten gab es zwischen 4.000 Sonnabend und hat nun auch schon seinen und 5.000 im Verbeitungsgebiet. Vertrag unterschrieben, meinen zweiten Mit- arbeiter habe ich schnöde einer anderen erfol- Kurz währte die Freude der beiden Chefredak- greichen Unternehmung abgeworben und teure, wenn sie sonntags die Post mit den Neu- kommenden Mittwoch erscheint erstmals das bestellungen eigenhändig öffneten und die In- Produkt meiner neuen Tätigkeit. Jetzt kannst halte stapelten! du noch einmal tief durchatmen, dann lüfte ich das Geheimnis: Ich bin Kreisredakteur einer Die komplette Ilmenauer Redaktion, mit einer unabhängigen, überparteilichen, heimatver- Ausnahme, bekam bereits am 15. August neue Dr. Eckhard Ullrich bundenen Tageszeitung für Südthüringen und Arbeitsverträge für die „Ilmenauer Ta- das fränkische Grenzland mit dem aufregen- gespost”. 1971 - 1973 den Namen DIE NEUE. In dieser Eigenschaft ha- Presse-Volontariat be ich die ehrenvolle Aufgabe, das um 720 Aber das ist schon eine andere Geschichte. Grad gewendete FREIE WORT peu a peu zu Bo- bis 1989 den konkurrieren zu helfen.“ Philosophie-Studium TH Ilmenau Ein an mich gerichtetes Schreiben vom 15. Juli 1990 beginnt so: ab 1. September 1989 freiberuflich Erscheinungszeitraum: 02.04.1990 - 21.07.1990 „... zu unserem Bedauern haben sich die Auflage: 20.000 (Zimpel 1990) Marktchancen für die Tageszeitung ,DIE NEUE’ 1990 - 2003 Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Hildburghausen, Ilmenau, Meiningen, nicht so entwickelt, daß ein wirtschaftliches Leiter verschiedener Lokalre- Schmalkalden, Sonneberg, Suhl Fortführen des Geschäftsbetriebes sinnvoll daktionen in Ilmenau und Arn- Chefredaktion: Harald Dressel, Frank Buhlemann wäre. Wir sehen uns deshalb gezwungen, Ihr stadt Verlag: Neue Zeitungs Verlags GmbH, Suhl Arbeitsverhältnis zum 31. 7. 1990 zu kündi- Partner: Main-Post, Würzburg gen.“ seither wieder Freiberufler

4 5 Drei kurze Monate Hoffnung

DIE NEUE, Verlagsaufbruch einer Suhler/Würzburger GmbH

Zu Ostern 1990 erhielt ein heute sehr bekann- Nach gut drei Monaten war ein Unternehmen ter Berliner Verleger einen Brief. Darin hieß es: fast so überraschend zu Ende gegangen, wie es begonnen hatte. Die Mitarbeiter standen „In die eben wiederkehrende positive Einstel- vor einem Scherbenhaufen, den beiden Che- lung zum LÄBEN platzte ein bärtiger Herr fredakteuren sah man an, wie schwer sie das leicht fortgeschrittenen Alters (es war der 4. 4. Ende dieses mutigen und wohl dennoch von – Anm. Dr. Eckhard Ullrich) und offerierte mir Beginn an chancenlosen Aufbruchs ankam. eine Offerte, bestehend aus einem für die NOCH-DDR-Verhältnisse hochherzigen Ge- Symbolhaft der Beginn: eine ganze lange Eta- haltsangebot und diversen farbigen Bildern ge in dem überdimensionalen Protzbau der aus der Joint-Venture-Welt. Die Kohle lockte, SED-Bezirksleitung Suhl, in dem nicht wenige der Geist kriselte mit etwas Gänsehaut vor sich der alten Mitarbeiter immer noch tapfer mit hin, schließlich reiste ich den 6. 4. an den Ort den Fahrstühlen auf und nieder fuhren und des Geschehens, lernte dort einen deutlich jün- den seltsamen „Siegern der Geschichte“ in die geren Zweitboß kennen, welcher mir ebenfalls Augen blickten, die da als Eroberer gekommen aus der Joint-Venture-Welt plauderte und als waren, eine ganze Etage für eine neue Zei- ich wieder von hinnen zog, hatte ich einen Ar- tung. beitsvertrag in der Tasche.“ Deren Lizenzurkunde ist mit 16. Januar 1990 Der Empfänger des Briefes heißt Christoph datiert, die Eintragung ins Handelsregister Links. Sein Absender war der Verfasser dieses folgte am 6. Februar, nachdem der Gesellschaf- Beitrages, bin ich: Dr. Eckhard Ullrich, bis zum tervertrag am 1. Februar notariell eingetragen genannten Tag freiberuflicher Literaturkritiker. war. Am 2. April 1990 erschien die erste Aus- gabe, es gab Lokalredaktionen in Suhl, Ilme- Und weiter in jenem Brief, der wortgetreu nau, Hildburghausen, Sonneberg, Meiningen, wiedergegeben ist: Bad Salzungen und Schmalkalden.

„Mit dem 9. 4. also wurde ich wieder ein An- In meinen Unterlagen findet sich eine Mietbe- gestellter, hatte das hohe Vergnügen, dem Ar- stätigung über eine Schreibmaschine, von der beitsamt außerhalb der Sprechzeit meinen nun Abteilung Bildung heißenden Abteilung Bedarf an einer Sekretärin anzumelden (ein des Rates des Kreises Ilmenau ausgestellt. Mei- Vorgang, der dort mit quasiorgastischer Kar- ne Redaktion saß in der „Alten Försterei“, teikarten-Wühltätigkeit quittiert wurde). Ge- noch Haus des Kulturbundes der DDR. Ein stern nachmittag kamen sie alle gestürzt: eine brauner Wartburg, billig erworben vom dama- mit Papa, eine mit Freund, eine mit Speckfal- ligen Chefarzt des Kreiskrankenhauses, hatte te und ich habe mich entschlossen, die zu neh- den täglichen Dienst als auch kurierfahrendes men, die schon am Dienstagabend zu mir Redaktionsvehikel bis zu dem Tag zu leisten, nach Hause kam mit ihrem holden Gatten.“ da einer der Mitarbeiter versuchte, ob man auch mit leicht angezogener Handbremse von Der Rest referiert dann schon fast Berufsrou- Ilmenau bis Suhl fahren kann. tine: Gedruckt wurden täglich zehntausend Zei- „Mein erster Mitarbeiter erschien letzten tungen, Abonnenten gab es zwischen 4.000 Sonnabend und hat nun auch schon seinen und 5.000 im Verbeitungsgebiet. Vertrag unterschrieben, meinen zweiten Mit- arbeiter habe ich schnöde einer anderen erfol- Kurz währte die Freude der beiden Chefredak- greichen Unternehmung abgeworben und teure, wenn sie sonntags die Post mit den Neu- kommenden Mittwoch erscheint erstmals das bestellungen eigenhändig öffneten und die In- Produkt meiner neuen Tätigkeit. Jetzt kannst halte stapelten! du noch einmal tief durchatmen, dann lüfte ich das Geheimnis: Ich bin Kreisredakteur einer Die komplette Ilmenauer Redaktion, mit einer unabhängigen, überparteilichen, heimatver- Ausnahme, bekam bereits am 15. August neue Dr. Eckhard Ullrich bundenen Tageszeitung für Südthüringen und Arbeitsverträge für die „Ilmenauer Ta- das fränkische Grenzland mit dem aufregen- gespost”. 1971 - 1973 den Namen DIE NEUE. In dieser Eigenschaft ha- Presse-Volontariat be ich die ehrenvolle Aufgabe, das um 720 Aber das ist schon eine andere Geschichte. Grad gewendete FREIE WORT peu a peu zu Bo- bis 1989 den konkurrieren zu helfen.“ Philosophie-Studium TH Ilmenau Ein an mich gerichtetes Schreiben vom 15. Juli 1990 beginnt so: ab 1. September 1989 freiberuflich „... zu unserem Bedauern haben sich die Marktchancen für die Tageszeitung ,DIE NEUE’ 1990 - 2003 nicht so entwickelt, daß ein wirtschaftliches Leiter verschiedener Lokalre- Fortführen des Geschäftsbetriebes sinnvoll daktionen in Ilmenau und Arn- wäre. Wir sehen uns deshalb gezwungen, Ihr stadt Arbeitsverhältnis zum 31. 7. 1990 zu kündi- gen.“ seither wieder Freiberufler

5 Eine neue Welt öffnete sich

Ein persönlicher Rückblick von Stefan Koch

4. November 1989. Es dauert nicht lange, bis sich mehrere Göttin- ger Studenten dazugesellen, die sich über Mit meinem Bruder Thomas stehe ich auf Nacht in das journalistische Handwerk ein- dem Berliner Alexanderplatz. Vorn spricht arbeiten. Der Sprung ins kalte Wasser zeigt Schriftsteller Stefan Heym, später kommt Gre- Wirkung: Nach wenigen Wochen wissen die gor Gysi. Hinter uns lässt eine Studentengrup- meisten von ihnen, ob sie sich aus diesem har- pe aus Leipzig eine Flasche Nordhäuser Dop- ten Job mit unendlichen Arbeitszeiten schnell pelkorn kreisen. Die Stimmung ist bei einigen wieder verabschieden, oder ob er ihnen zur angespannt, bei vielen aber höchst ausgelas- Lebensaufgabe wird. sen. Einem Happening gleich, trotz Nieselre- gen und grauem Himmel. Es zählt zu den Kuriositäten der Zeit, dass wir unser erstes Büro im Bezirk Erfurt direkt im Lei- Wir, die wir unsere Kindheit und Jugend direkt nefelder Rathaus beziehen. Der Bürgermeister am Grenzzaun mit Selbstschussanlagen und überlässt uns eine Dachkammer, die klein ist, Minenfeldern verbracht hatten, blicken uns aber über den ungemeinen Vorzug eines Te- sprachlos um: Was ist denn das für eine DDR? lefons verfügt. Eine knirschende, knatternde, Was hat dieses Land noch zu tun mit den Vor- aber funktionierende Leitung! Der Bürgermei- stellungen, die wir aus den beiden Program- ster wird seine Großzügigkeit später bereuen, men des DDR-Fernsehens kennen? Das dröge Anfang 1990 berichten wir über seine Stasi- Bild von Karl-Eduard von Schnitzler, der noch Verstrickungen als inoffizieller Mitarbeiter. immer bis in die grenznahen westdeutschen Gebiete sendet, verschwindet endgültig. Wir Die Machenschaften der Staatssicherheit sind fragen uns: Wieso ist die Stimmung hier plötz- aus journalistischer Sicht selbstverständlich lich so gut, so beschwingt? ein großes Thema. Sie dürfen aber nicht den Blick darüber verstellen, dass der größte Teil Die große Demonstration am 4. November der Bevölkerung andere Sorgen hat. Ihre bis- steckt mich an. An diesem Tag finde ich das herige Welt bricht zusammen, das Neue ist ih- Thema, das mich als Journalist über Jahre fes- nen fremd. Arbeitsplätze brechen weg, ehe- seln wird. mals staatseigene Betriebe gehen pleite. Diesen dramatischen Umbruch zu begleiten, Es ist ein Zufall, dass ich mir gerade ein Einrei- ist ein schwieriges Unterfangen – für alle Be- sevisum für den Bezirk Erfurt organisiert hat- teiligten. te. Meine erste Erkundungsfahrt in die neue Nachbarschaft unternehme ich am 10. Novem- Wichtige Gesprächspartner von damals sind ber, als eigentlich alle Welt von Ost nach West noch heute überregional bekannt: Der späte- Stefan Koch rast. Von da an geht es Schlag auf Schlag. re Minister und Landesvater Dieter Althaus geht in Heiligenstadt bei den Montagsde- 1985 - 1987 Ich berichte täglich für das „Göttinger Tage- monstrationen mit einer Kerze in der Hand Volontariat blatt“ über die Proteste in Heiligenstadt, Lei- vorne weg. Manfred Grund formt die CDU um „Göttinger Tageblatt“ nefelde und Worbis, über die Auseinanderset- und zieht später in den Bundestag ein. Gerd zungen mit dem Rat des Kreises und über den Reinhardt folgt in Leinefelde dem Stasi-Bür- 1987 - 1988 enormen Zulauf, den die katholische Kirche er- germeister im Amt und baut die Plattenbau- Redakteur lebt. siedlung in den 1990er Jahren zu einer bun- Zeitschrift „bundeswehr desweit beachteten Modellstadt um. Werner aktuell“ Es vergeht vielleicht eine Woche, bis ich erste Henning lässt sich vom Bischof in Erfurt ermun- Exemplare des „Göttinger Tageblatts“ im Obe- tern, Landrat in Heiligenstadt zu werden. 1988 - 1990 reichsfeld verteile. Meinen VW Polo funktio- Hennings ernstgemeinte Idee: Heiligenstadt Redakteur niere ich zum kleinen Lieferwagen um, der re- umgehend an Niedersachsen angliedern – „Göttinger Tageblatt“ gelmäßig bis unters Dach mit Zeitungen ganz gleich, wie es im übrigen Bezirk Erfurt vollgestopft wird. Das Verteilen geht ziemlich weitergeht. Andere träumen gar davon, den 1990 - 1993 schnell. Sie sind ja gratis. thüringischen und den niedersächsischen Teil Redaktionsleiter des Eichsfeldes wieder in einer Verwaltungs- „Eichsfelder Tageblatt“ Eine weitere Woche später beginnt der Ver- einheit zusammenzubringen. triebsleiter in Göttingen, ein erstes Vertriebs- 1994 - 2000 netz für das „Göttinger Tageblatt“ aufzubau- Heute mag man darüber schmunzeln, Anfang stellvertretender Ressortleiter en, der Titel „Eichsfelder Tageblatt“ für das 1990 wird ernsthaft darüber gesprochen. Regionalausgaben neue Projekt wird erst Wochen später ein- „Hannoversche Allgemeine geführt. Einer langfristigen Strategie folge ich nicht, Zeitung“ und „Neue Presse“ eher einem Bauchgefühl, als ich bei der Aus- Mein Chefredakteur Horst Stein lässt mir beim wahl der ersten Mitarbeiter darauf Wert lege, 2001 - 2007 Arbeiten im Unbekannten freie Hand und be- dass sich die Redaktionsmannschaft zu glei- Politikredakteur geistert sich zusehends für den Gedanken, chen Teilen aus Kolleginnen und Kollegen „Hannoversche Allgemeine eine eigene Ausgabe für Nordthüringen her- aus beiden Teilen Deutschlands zusammen- Zeitung“ Erscheinungszeitraum: 01.01.1990 - 01.10.1993 auszugeben. Sein Stellvertreter Hermann Hille- setzt. So erweist sich ein älterer DDR-Journa- Auflage: 5.600 (Bundespresseamt III/92) brecht und die Ressortleiterin Christine Jüttner list, der längst im Rentenalter ist, als einer der seit 2007 Verbreitungsgebiet: Heiligenstadt, Worbis streiten ebenfalls mit breiten Schultern dafür. leidenschaftlichsten Kollegen. Von Anfang an Korrespondent Chefredaktion: Horst Stein Gemeinsam bauen sie intern neue Strukturen habe ich den Eindruck, dass dieser Autor Berliner Büro der Verlag: Göttinger Tageblatt GmbH & Co., Göttingen auf. In kurzer Zeit wird aus der Improvisation sicherlich eng mit dem sozialistischen Regime „Hannoversche Allgemeine Partner: Göttinger Tageblatt ein langfristiges Engagement. zusammengearbeitet hat. Aber ich bin faszi- Zeitung“

6 7 Eine neue Welt öffnete sich

Ein persönlicher Rückblick von Stefan Koch

4. November 1989. Es dauert nicht lange, bis sich mehrere Göttin- ger Studenten dazugesellen, die sich über Mit meinem Bruder Thomas stehe ich auf Nacht in das journalistische Handwerk ein- dem Berliner Alexanderplatz. Vorn spricht arbeiten. Der Sprung ins kalte Wasser zeigt Schriftsteller Stefan Heym, später kommt Gre- Wirkung: Nach wenigen Wochen wissen die gor Gysi. Hinter uns lässt eine Studentengrup- meisten von ihnen, ob sie sich aus diesem har- pe aus Leipzig eine Flasche Nordhäuser Dop- ten Job mit unendlichen Arbeitszeiten schnell pelkorn kreisen. Die Stimmung ist bei einigen wieder verabschieden, oder ob er ihnen zur angespannt, bei vielen aber höchst ausgelas- Lebensaufgabe wird. sen. Einem Happening gleich, trotz Nieselre- gen und grauem Himmel. Es zählt zu den Kuriositäten der Zeit, dass wir unser erstes Büro im Bezirk Erfurt direkt im Lei- Wir, die wir unsere Kindheit und Jugend direkt nefelder Rathaus beziehen. Der Bürgermeister am Grenzzaun mit Selbstschussanlagen und überlässt uns eine Dachkammer, die klein ist, Minenfeldern verbracht hatten, blicken uns aber über den ungemeinen Vorzug eines Te- sprachlos um: Was ist denn das für eine DDR? lefons verfügt. Eine knirschende, knatternde, Was hat dieses Land noch zu tun mit den Vor- aber funktionierende Leitung! Der Bürgermei- stellungen, die wir aus den beiden Program- ster wird seine Großzügigkeit später bereuen, men des DDR-Fernsehens kennen? Das dröge Anfang 1990 berichten wir über seine Stasi- Bild von Karl-Eduard von Schnitzler, der noch Verstrickungen als inoffizieller Mitarbeiter. immer bis in die grenznahen westdeutschen Gebiete sendet, verschwindet endgültig. Wir Die Machenschaften der Staatssicherheit sind fragen uns: Wieso ist die Stimmung hier plötz- aus journalistischer Sicht selbstverständlich lich so gut, so beschwingt? ein großes Thema. Sie dürfen aber nicht den Blick darüber verstellen, dass der größte Teil Die große Demonstration am 4. November der Bevölkerung andere Sorgen hat. Ihre bis- steckt mich an. An diesem Tag finde ich das herige Welt bricht zusammen, das Neue ist ih- Thema, das mich als Journalist über Jahre fes- nen fremd. Arbeitsplätze brechen weg, ehe- seln wird. mals staatseigene Betriebe gehen pleite. Diesen dramatischen Umbruch zu begleiten, Es ist ein Zufall, dass ich mir gerade ein Einrei- ist ein schwieriges Unterfangen – für alle Be- sevisum für den Bezirk Erfurt organisiert hat- teiligten. te. Meine erste Erkundungsfahrt in die neue Nachbarschaft unternehme ich am 10. Novem- Wichtige Gesprächspartner von damals sind ber, als eigentlich alle Welt von Ost nach West noch heute überregional bekannt: Der späte- Stefan Koch rast. Von da an geht es Schlag auf Schlag. re Minister und Landesvater Dieter Althaus geht in Heiligenstadt bei den Montagsde- 1985 - 1987 Ich berichte täglich für das „Göttinger Tage- monstrationen mit einer Kerze in der Hand Volontariat blatt“ über die Proteste in Heiligenstadt, Lei- vorne weg. Manfred Grund formt die CDU um „Göttinger Tageblatt“ nefelde und Worbis, über die Auseinanderset- und zieht später in den Bundestag ein. Gerd zungen mit dem Rat des Kreises und über den Reinhardt folgt in Leinefelde dem Stasi-Bür- 1987 - 1988 enormen Zulauf, den die katholische Kirche er- germeister im Amt und baut die Plattenbau- Redakteur lebt. siedlung in den 1990er Jahren zu einer bun- Zeitschrift „bundeswehr desweit beachteten Modellstadt um. Werner aktuell“ Es vergeht vielleicht eine Woche, bis ich erste Henning lässt sich vom Bischof in Erfurt ermun- Exemplare des „Göttinger Tageblatts“ im Obe- tern, Landrat in Heiligenstadt zu werden. 1988 - 1990 reichsfeld verteile. Meinen VW Polo funktio- Hennings ernstgemeinte Idee: Heiligenstadt Redakteur niere ich zum kleinen Lieferwagen um, der re- umgehend an Niedersachsen angliedern – „Göttinger Tageblatt“ gelmäßig bis unters Dach mit Zeitungen ganz gleich, wie es im übrigen Bezirk Erfurt vollgestopft wird. Das Verteilen geht ziemlich weitergeht. Andere träumen gar davon, den 1990 - 1993 schnell. Sie sind ja gratis. thüringischen und den niedersächsischen Teil Redaktionsleiter des Eichsfeldes wieder in einer Verwaltungs- „Eichsfelder Tageblatt“ Eine weitere Woche später beginnt der Ver- einheit zusammenzubringen. triebsleiter in Göttingen, ein erstes Vertriebs- 1994 - 2000 netz für das „Göttinger Tageblatt“ aufzubau- Heute mag man darüber schmunzeln, Anfang stellvertretender Ressortleiter en, der Titel „Eichsfelder Tageblatt“ für das 1990 wird ernsthaft darüber gesprochen. Regionalausgaben neue Projekt wird erst Wochen später ein- „Hannoversche Allgemeine geführt. Einer langfristigen Strategie folge ich nicht, Zeitung“ und „Neue Presse“ eher einem Bauchgefühl, als ich bei der Aus- Mein Chefredakteur Horst Stein lässt mir beim wahl der ersten Mitarbeiter darauf Wert lege, 2001 - 2007 Arbeiten im Unbekannten freie Hand und be- dass sich die Redaktionsmannschaft zu glei- Politikredakteur geistert sich zusehends für den Gedanken, chen Teilen aus Kolleginnen und Kollegen „Hannoversche Allgemeine eine eigene Ausgabe für Nordthüringen her- aus beiden Teilen Deutschlands zusammen- Zeitung“ auszugeben. Sein Stellvertreter Hermann Hille- setzt. So erweist sich ein älterer DDR-Journa- brecht und die Ressortleiterin Christine Jüttner list, der längst im Rentenalter ist, als einer der seit 2007 streiten ebenfalls mit breiten Schultern dafür. leidenschaftlichsten Kollegen. Von Anfang an Korrespondent Gemeinsam bauen sie intern neue Strukturen habe ich den Eindruck, dass dieser Autor Berliner Büro der auf. In kurzer Zeit wird aus der Improvisation sicherlich eng mit dem sozialistischen Regime „Hannoversche Allgemeine ein langfristiges Engagement. zusammengearbeitet hat. Aber ich bin faszi- Zeitung“

7 niert von seiner Offenheit, seiner Begeiste- Heute weiß ich: Fehler wurden gemacht, auf rung, diesen Umbruch ganz nah zu beobach- allen Seiten. Rückblickend kreide ich mir mei- ten und zu beschreiben. ne Naivität an, mit der ich begeistert für das Neue schwärmte. Aber gab es Alternativen? Das zur Neige gehende Jahr 1989 und das be- Wie verhält man sich richtig, wenn sich direkt ginnende Jahr 1990 sind unglaublich. Die Ar- vor der eigenen Haustür eine neue Welt öff- beit endet nicht mit dem Redaktionsschluss, net? Abwarten oder losstürmen – was ist em- vielmehr setzt es sich mit langen Gesprächen pfehlenswerter? Ich konnte nicht anders, als und teils wilden Debatten in den Kneipen und mich gleich in Bewegung zu setzen. Cafés des Obereichsfeldes fort. Unsere unter- schiedlichen Ansichten zu den Ereignissen In den unübersichtlichen Wochen und Mona- prallen aufeinander. Noch ist die Verbitte- ten, als die DDR ihrem Ende entgegen- rung fern, die ein Jahr später übers Land dämmerte, sind wir Journalisten der regio- zieht. Noch hört man einander interessiert zu, nalen Tageszeitungen Protokollanten des mit Staunen und Neugierde. Die Wiederverei- Alltags. Vielleicht sind die Reportagen, die un- nigung Deutschlands ist eine Vision, aber noch voreingenommen darstellen, was geschieht, längst keine Gewissheit. das Wertvollste. Auch aus heutiger Sicht sind sie noch lesbar – und dürften auf Dauer als Die Recherche gleicht einer Reise durch ein Quelle tauglich sein. fremdes Land. Die Landwirtschaftlichen Pro- duktionsgenossenschaften mit riesigen Rinder- Anderes, vor allem die Kommentare, sind ställen, die langen Flure der Schulen, die an beim Blick zurück schwerer zu ertragen. Als ich den Büsten von Marx und Engels enden. Die in den Bezirk Erfurt ging, war ich ausgestattet nachgedunkelten Goethe- und Schiller-Bände mit einem großen Urvertrauen. Im Innersten auf den Bücherregalen meiner neu gewonne- zutiefst überzeugt, dass sich dieser Umbruch nen Freunde. Und natürlich der türkisch auf- zum Guten entwickeln wird. gebrühte Kaffee, der so merkwürdig schmeckt und allmorgendlich anzeigt, dass ich fern der Es war zwar mit den Händen zu greifen, was Heimat bin, auch wenn mein Elternhaus nur 15 dieser Zusammenbruch und Neuanfang für Kilometer entfernt steht. den Einzelnen bedeutete. Aber so richtig be- wusst wurde mir diese Dramatik erst später. Heute, 20 Jahre später, kann ich es mir kaum Mit Mitte Zwanzig suchte ich natürlich gern vorstellen, dass ich mich in meiner ersten klei- den Kontakt zu Gleichaltrigen, die zum nen Plattenbauwohnung in Leinefelde-Süd so großen Teil meinen Optimismus teilten. Die unendlich wohl gefühlt habe. Mein direkter Welt der Älteren, diejenigen, denen gerade ihr Wohnungsnachbar ist Hans-Jürgen Döring, vertrautes Leben unter den Füßen wegrutsch- der 1990 in den Thüringer Landtag einzieht te, blieb mir zum Teil verschlossen. und der Sozialdemokratie in Nordthüringen bis heute ein Gesicht gibt. In den ersten Mo- Es gingen Jahre ins Land, bis ich diese schwie- naten stehen wir so manches Mal mit einem rigeren Kapitel nacharbeitete. Glas Rotwein in der Hand nach Feierabend auf meinem Balkon und diskutieren uns durch die Heute, noch einmal zehn Jahre später, steht halbe Nacht. für mich fest: Trotz aller Schwierigkeiten war der Umbruch ein großes Geschenk. Das Leben im Plattenbau ist völlig in Ordnung – wohl auch, weil zu diesem Zeitpunkt noch So groß, dass es sich erst im Rückblick begrei- Menschen aller Gehaltsgruppen gleicher- fen lässt. maßen in diesen Häusern wohnen.

8 9 niert von seiner Offenheit, seiner Begeiste- Heute weiß ich: Fehler wurden gemacht, auf rung, diesen Umbruch ganz nah zu beobach- allen Seiten. Rückblickend kreide ich mir mei- ten und zu beschreiben. ne Naivität an, mit der ich begeistert für das Neue schwärmte. Aber gab es Alternativen? Das zur Neige gehende Jahr 1989 und das be- Wie verhält man sich richtig, wenn sich direkt ginnende Jahr 1990 sind unglaublich. Die Ar- vor der eigenen Haustür eine neue Welt öff- beit endet nicht mit dem Redaktionsschluss, net? Abwarten oder losstürmen – was ist em- vielmehr setzt es sich mit langen Gesprächen pfehlenswerter? Ich konnte nicht anders, als und teils wilden Debatten in den Kneipen und mich gleich in Bewegung zu setzen. Cafés des Obereichsfeldes fort. Unsere unter- schiedlichen Ansichten zu den Ereignissen In den unübersichtlichen Wochen und Mona- prallen aufeinander. Noch ist die Verbitte- ten, als die DDR ihrem Ende entgegen- rung fern, die ein Jahr später übers Land dämmerte, sind wir Journalisten der regio- zieht. Noch hört man einander interessiert zu, nalen Tageszeitungen Protokollanten des mit Staunen und Neugierde. Die Wiederverei- Alltags. Vielleicht sind die Reportagen, die un- nigung Deutschlands ist eine Vision, aber noch voreingenommen darstellen, was geschieht, längst keine Gewissheit. das Wertvollste. Auch aus heutiger Sicht sind sie noch lesbar – und dürften auf Dauer als Die Recherche gleicht einer Reise durch ein Quelle tauglich sein. fremdes Land. Die Landwirtschaftlichen Pro- duktionsgenossenschaften mit riesigen Rinder- Anderes, vor allem die Kommentare, sind ställen, die langen Flure der Schulen, die an beim Blick zurück schwerer zu ertragen. Als ich den Büsten von Marx und Engels enden. Die in den Bezirk Erfurt ging, war ich ausgestattet nachgedunkelten Goethe- und Schiller-Bände mit einem großen Urvertrauen. Im Innersten auf den Bücherregalen meiner neu gewonne- zutiefst überzeugt, dass sich dieser Umbruch nen Freunde. Und natürlich der türkisch auf- zum Guten entwickeln wird. gebrühte Kaffee, der so merkwürdig schmeckt und allmorgendlich anzeigt, dass ich fern der Es war zwar mit den Händen zu greifen, was Heimat bin, auch wenn mein Elternhaus nur 15 dieser Zusammenbruch und Neuanfang für Kilometer entfernt steht. den Einzelnen bedeutete. Aber so richtig be- wusst wurde mir diese Dramatik erst später. Heute, 20 Jahre später, kann ich es mir kaum Mit Mitte Zwanzig suchte ich natürlich gern vorstellen, dass ich mich in meiner ersten klei- den Kontakt zu Gleichaltrigen, die zum nen Plattenbauwohnung in Leinefelde-Süd so großen Teil meinen Optimismus teilten. Die unendlich wohl gefühlt habe. Mein direkter Welt der Älteren, diejenigen, denen gerade ihr Wohnungsnachbar ist Hans-Jürgen Döring, vertrautes Leben unter den Füßen wegrutsch- der 1990 in den Thüringer Landtag einzieht te, blieb mir zum Teil verschlossen. und der Sozialdemokratie in Nordthüringen bis heute ein Gesicht gibt. In den ersten Mo- Es gingen Jahre ins Land, bis ich diese schwie- naten stehen wir so manches Mal mit einem rigeren Kapitel nacharbeitete. Glas Rotwein in der Hand nach Feierabend auf meinem Balkon und diskutieren uns durch die Heute, noch einmal zehn Jahre später, steht halbe Nacht. für mich fest: Trotz aller Schwierigkeiten war der Umbruch ein großes Geschenk. Das Leben im Plattenbau ist völlig in Ordnung – wohl auch, weil zu diesem Zeitpunkt noch So groß, dass es sich erst im Rückblick begrei- Menschen aller Gehaltsgruppen gleicher- fen lässt. maßen in diesen Häusern wohnen.

9 Eisenach – Deutscher Meister

Die wechselvolle Geschichte einer „blauen“ Bereicherung

15. Oktober 1990. Der Eisenacher Zeitungs- Die Aufholjagd der EP als Tageszeitung begann markt erreichte eine deutschlandweit einmali- mit einer Auflage von 1.500 Stück. Sie wurde ge- ge Dichte: Ab diesem Tag erschien die „Ei- führt über sagenhaft niedrige Abo-Preise (9,80 senacher Presse“ (EP) täglich und war damit die DM/Monat), intensive Werbe-Kampagnen und siebte Tageszeitung im Städtchen am Fuße der auch über Inhalte. MA und die EP als westlich Wartburg. Sieben Tageszeitungen – bei ca. geprägte Zeitungen veröffentlichten oft investi- 45.000 Einwohnern! gative Exklusiv-Geschichten und umfassende Analysen zur lokalen Politik und Wirtschaft. Ganz neu war die EP allerdings nicht mehr: Schon ab 18. Januar erschien sie wöchentlich in Zum 1. August 1994 wurde die EP bei einer Auf- der Region – wohl die erste deutsch-deutsche lage von 4.500 Stück an die „stz“ verkauft, er- Zeitung nach der Maueröffnung. schien jedoch weiter mit der gewohnten Aufma- chung. Am 1. Dezember 1994 wurde sie dann an Das Blatt hieß bis Februar 1990 „Oberhessische die MA verkauft. Damit verschwand „die Blaue“ Presse“ (OP) wie die Tageszeitung in Marburg endgültig vom Markt. (Hessen), von der die EP herausgegeben wurde. Marburg ist seit 1988 Partnerstadt von Eisenach. Als 1996 dann die TLZ die MA kaufte, war in Ei- Schnell entstand deshalb nach der Maueröff- senach fast wieder der Zustand hergestellt, der nung die Idee, die Eisenacher mit einer unab- bereits vor der Wende herrschte: TA und TLZ wa- hängigen Zeitung zu versorgen. Auch viele Bür- ren die einzigen Tageszeitungen. ger hatten dies sehnlich gewünscht. Geblieben ist von der EP nur noch der Titel in Die OP war ein kleiner, flexibler Betrieb im Fa- Frakturschrift („TLZ/Eisenacher Presse“) milienbesitz. Sie erschien nur im Landkreis Mar- burg-Biedenkopf, hatte aber dennoch eine eige- Die Arbeitsbedingungen der Redakteure 1990 ne Mantelredaktion. waren nach modernen Maßstäben eine große Herausforderung. Ein Telefon für Redaktion, An- Herausgeber Dr. Wolfram Hitzeroth, Geschäfts- zeigen und Vertrieb. Häufig schwankte die führer Rolf Sandmann, Chefredakteur Paul- Stromspannung, so dass die Computer abstürz- Josef Raue und auch einige Eisenacher wie der ten. Die Landkarten der Region waren kaum zu spätere Vertriebschef Klaus Zeuchner waren gebrauchen, denn das Grenzgebiet war in den die treibenden Kräfte beim Aufbau einer Ei- Plänen „Geheimsache“ gewesen. Der gesamte senacher Lokalausgabe, ebenso Dieter Schreier, EP-Lokalteil wurde abends auf Floppy-Diskette der die Organisation übernahm, etliche Redak- gezogen. Dann fuhr ein Redakteur ins hessische teure anwarb und selbst auch schrieb. Heute ist Herleshausen. Dort hatte der Verlag ein Privat- er Chefredakteur des „Hanauer Anzeigers“. zimmer angemietet, in dem ein Telefon mit Mo- dem stand, über das die Daten zum Druck nach Die wöchentliche EP wurde zunehmend mit Ei- Marburg geschickt wurden. senacher Lokalnachrichten gefüllt, geschrieben von Redakteuren aus Marburg. Wie die OP In den Behörden und Betrieben herrschte teils machte auch sie mit dem Lokalteil (Titelseite und Anarchie: Viele äußerten sich sehr offen; dafür erstes Buch) auf. Das war ein echtes Alleinstel- war man schließlich auf die Straße gegangen. Es lungsmerkmal. Bis zu 30.000 Exemplare wurden gab auch Unerfahrenheit: Was darf, was muss im Frühjahr 1990 pro Ausgabe verkauft. ich der Presse sagen? Und es lebte aber auch noch die Angst in vielen Köpfen, die vorsichtig Klaus Wuggazer, 45 Jahre Nach und nach kamen Journalisten aus ganz machte. Geboren in Heidenheim/Brenz Westdeutschland, um in der Eisenacher Redak- (Baden-Württemberg) tion zu arbeiten. Auch Vertrieb und Anzeigen- Dank der turbulenten Zeiten hatte die Redakti- abteilung wurden aufgebaut. Alle fanden im on viele Möglichkeiten zur Blattgestaltung. So 1988 - 1990 „Haus der Dienste“ am Frauenplan eine Bleibe, führte die EP – damals selten – eine Korrektur Volontariat erst 1992 zog die EP in die Karlstraße um. ein. Es gab neue Rubriken wie „Willkommen auf Allgäuer Zeitung/Augsburger der Erde“ (Babys) oder „EP von A - Z“, die die Allgemeine Mit den Monaten fiel in Marburg der Ent- Zeitung im Detail erklärte (von „Anzeigen“ bis schluss, aus der EP eine Tageszeitung zu machen. „Gegendarstellung“). 1990 - 1994 Dazu wurde eine feste Redaktionsmannschaft Redakteur angeheuert, teils aus Marburger Redakteuren, Dass es nicht gelang, in Eisenach und der Regi- Eisenacher Presse teils mit Journalisten aus Westdeutschland. Da- on aus dieser enthusiastischen Zeit heraus eine zu kamen zwei Volontäre aus Eisenach. Lokal- völlig neue Zeitungslandschaft aufzubauen, lag 1994 - 1998 chef wurde Theo Mahr von der OP, im Juli 1991 auch an der Unübersichtlichlichkeit des Marktes. Redakteur folgte ich ihm, Anfang 1994 übernahm Brigitte Die wirtschaftliche Macht der WAZ und der ZGT Freies Wort Gretschmann die Leitung der EP. entschied letztlich den Kampf. Nicht zuletzt wa- (Bad Salzungen, Meiningen, ren viele Leser noch nicht bereit für moderne Schmalkalden) Als die EP zur Tageszeitung wurde, erschienen Zeitungen. Sie blieben bei den Blättern, in de- Erscheinungszeitraum: 15.10.1990 – 30.11.1994 in Eisenach TA, TLZ und „Thüringer Tageblatt“, nen DDR-geprägte Redaktionen den gesell- 1998 – 1999 Auflage: 3.858 (nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) als Ex-Parteizeitungen von SED, LDPD und CDU; schaftlichen Wandel genauso mühevoll durch- Pressesprecher DGB Verbreitungsgebiet: Eisenach die von Kassel aus gegründete „Mitteldeutsche machten wie sie, die Leser. Thüringen Chefredaktion: Paul-Josef Raue Allgemeine“; die von Bielefeld aus gegründete Verlag: J. A. Koch, Druckerei und Verlag der Eisenacher Presse, Marburg „Eisenacher Tagespost“ und die von Fulda aus seit 1999 Partner: Oberhessische Presse gegründete „Südthüringer Zeitung“. Pressesprecher Stadt Eisenach

10 11 Eisenach – Deutscher Meister

Die wechselvolle Geschichte einer „blauen“ Bereicherung

15. Oktober 1990. Der Eisenacher Zeitungs- Die Aufholjagd der EP als Tageszeitung begann markt erreichte eine deutschlandweit einmali- mit einer Auflage von 1.500 Stück. Sie wurde ge- ge Dichte: Ab diesem Tag erschien die „Ei- führt über sagenhaft niedrige Abo-Preise (9,80 senacher Presse“ (EP) täglich und war damit die DM/Monat), intensive Werbe-Kampagnen und siebte Tageszeitung im Städtchen am Fuße der auch über Inhalte. MA und die EP als westlich Wartburg. Sieben Tageszeitungen – bei ca. geprägte Zeitungen veröffentlichten oft investi- 45.000 Einwohnern! gative Exklusiv-Geschichten und umfassende Analysen zur lokalen Politik und Wirtschaft. Ganz neu war die EP allerdings nicht mehr: Schon ab 18. Januar erschien sie wöchentlich in Zum 1. August 1994 wurde die EP bei einer Auf- der Region – wohl die erste deutsch-deutsche lage von 4.500 Stück an die „stz“ verkauft, er- Zeitung nach der Maueröffnung. schien jedoch weiter mit der gewohnten Aufma- chung. Am 1. Dezember 1994 wurde sie dann an Das Blatt hieß bis Februar 1990 „Oberhessische die MA verkauft. Damit verschwand „die Blaue“ Presse“ (OP) wie die Tageszeitung in Marburg endgültig vom Markt. (Hessen), von der die EP herausgegeben wurde. Marburg ist seit 1988 Partnerstadt von Eisenach. Als 1996 dann die TLZ die MA kaufte, war in Ei- Schnell entstand deshalb nach der Maueröff- senach fast wieder der Zustand hergestellt, der nung die Idee, die Eisenacher mit einer unab- bereits vor der Wende herrschte: TA und TLZ wa- hängigen Zeitung zu versorgen. Auch viele Bür- ren die einzigen Tageszeitungen. ger hatten dies sehnlich gewünscht. Geblieben ist von der EP nur noch der Titel in Die OP war ein kleiner, flexibler Betrieb im Fa- Frakturschrift („TLZ/Eisenacher Presse“) milienbesitz. Sie erschien nur im Landkreis Mar- burg-Biedenkopf, hatte aber dennoch eine eige- Die Arbeitsbedingungen der Redakteure 1990 ne Mantelredaktion. waren nach modernen Maßstäben eine große Herausforderung. Ein Telefon für Redaktion, An- Herausgeber Dr. Wolfram Hitzeroth, Geschäfts- zeigen und Vertrieb. Häufig schwankte die führer Rolf Sandmann, Chefredakteur Paul- Stromspannung, so dass die Computer abstürz- Josef Raue und auch einige Eisenacher wie der ten. Die Landkarten der Region waren kaum zu spätere Vertriebschef Klaus Zeuchner waren gebrauchen, denn das Grenzgebiet war in den die treibenden Kräfte beim Aufbau einer Ei- Plänen „Geheimsache“ gewesen. Der gesamte senacher Lokalausgabe, ebenso Dieter Schreier, EP-Lokalteil wurde abends auf Floppy-Diskette der die Organisation übernahm, etliche Redak- gezogen. Dann fuhr ein Redakteur ins hessische teure anwarb und selbst auch schrieb. Heute ist Herleshausen. Dort hatte der Verlag ein Privat- er Chefredakteur des „Hanauer Anzeigers“. zimmer angemietet, in dem ein Telefon mit Mo- dem stand, über das die Daten zum Druck nach Die wöchentliche EP wurde zunehmend mit Ei- Marburg geschickt wurden. senacher Lokalnachrichten gefüllt, geschrieben von Redakteuren aus Marburg. Wie die OP In den Behörden und Betrieben herrschte teils machte auch sie mit dem Lokalteil (Titelseite und Anarchie: Viele äußerten sich sehr offen; dafür erstes Buch) auf. Das war ein echtes Alleinstel- war man schließlich auf die Straße gegangen. Es lungsmerkmal. Bis zu 30.000 Exemplare wurden gab auch Unerfahrenheit: Was darf, was muss im Frühjahr 1990 pro Ausgabe verkauft. ich der Presse sagen? Und es lebte aber auch noch die Angst in vielen Köpfen, die vorsichtig Klaus Wuggazer, 45 Jahre Nach und nach kamen Journalisten aus ganz machte. Geboren in Heidenheim/Brenz Westdeutschland, um in der Eisenacher Redak- (Baden-Württemberg) tion zu arbeiten. Auch Vertrieb und Anzeigen- Dank der turbulenten Zeiten hatte die Redakti- abteilung wurden aufgebaut. Alle fanden im on viele Möglichkeiten zur Blattgestaltung. So 1988 - 1990 „Haus der Dienste“ am Frauenplan eine Bleibe, führte die EP – damals selten – eine Korrektur Volontariat erst 1992 zog die EP in die Karlstraße um. ein. Es gab neue Rubriken wie „Willkommen auf Allgäuer Zeitung/Augsburger der Erde“ (Babys) oder „EP von A - Z“, die die Allgemeine Mit den Monaten fiel in Marburg der Ent- Zeitung im Detail erklärte (von „Anzeigen“ bis schluss, aus der EP eine Tageszeitung zu machen. „Gegendarstellung“). 1990 - 1994 Dazu wurde eine feste Redaktionsmannschaft Redakteur angeheuert, teils aus Marburger Redakteuren, Dass es nicht gelang, in Eisenach und der Regi- Eisenacher Presse teils mit Journalisten aus Westdeutschland. Da- on aus dieser enthusiastischen Zeit heraus eine zu kamen zwei Volontäre aus Eisenach. Lokal- völlig neue Zeitungslandschaft aufzubauen, lag 1994 - 1998 chef wurde Theo Mahr von der OP, im Juli 1991 auch an der Unübersichtlichlichkeit des Marktes. Redakteur folgte ich ihm, Anfang 1994 übernahm Brigitte Die wirtschaftliche Macht der WAZ und der ZGT Freies Wort Gretschmann die Leitung der EP. entschied letztlich den Kampf. Nicht zuletzt wa- (Bad Salzungen, Meiningen, ren viele Leser noch nicht bereit für moderne Schmalkalden) Als die EP zur Tageszeitung wurde, erschienen Zeitungen. Sie blieben bei den Blättern, in de- in Eisenach TA, TLZ und „Thüringer Tageblatt“, nen DDR-geprägte Redaktionen den gesell- 1998 – 1999 als Ex-Parteizeitungen von SED, LDPD und CDU; schaftlichen Wandel genauso mühevoll durch- Pressesprecher DGB die von Kassel aus gegründete „Mitteldeutsche machten wie sie, die Leser. Thüringen Allgemeine“; die von Bielefeld aus gegründete „Eisenacher Tagespost“ und die von Fulda aus seit 1999 gegründete „Südthüringer Zeitung“. Pressesprecher Stadt Eisenach

11 Briefwechsel mit Wunschpartner

Ein Termin in der Sendlinger Straße in München und was daraus wurde

Wie weit Bonn und München entfernt sind, Am 21. September 1991 stand schließlich auf weiß ich seit einer nächtlichen Bahnfahrt mit Seite 1 unserer Zeitung: „Neuer Eigentümer, In- mehrmaligem Umsteigen im Frühjahr 1991. Ich vestitionen geplant, Arbeitsplätze sicher.“ Die nahm an einer DJV-Betriebsräteschulung teil, Bedeutung der Nachricht wurde damals durch als mich abends im Hotel der Anruf des stellver- einen Kasten hervorgehoben. Die „Ehe“ mit tretenden Chefredakteurs Helmut Bloß ereilte. den Wunschpartnern war nun auch notariell bei Am nächsten Morgen sollte ich um 9 Uhr am der Treuhand vollzogen. Ende gut, alles gut? Haupteingang des Süddeutschen Verlages in der Sendlinger Straße sein. Fünf Jahre später...

Die Verlagsspitze des Süddeutschen Verlages 1996 schrieb die Belegschaft wieder an die Ver- hatte endlich auf unseren Brief reagiert und lagsspitze des Süddeutschen Verlages. Wir be- war bereit, mehrere leitende Mitarbeiter von fanden uns im Streik, der zu einem der längsten Redaktion und Verlag vom „Freien Wort“ in in Deutschland wurde. Wir konnten und woll- München zu empfangen. Wir hatten dringen- ten nicht hinnehmen, dass die kleinere Süd- den Gesprächsbedarf, denn trotz Zusagen der thüringer Zeitung „stz“ aus wirtschaftlichen Coburger „Neuen Presse“ und des Münchner Gründen unser „Freies Wort“ schlucken und Mutterverlages stagnierte so ziemlich alles bei den Titel vom Markt verdrängen sollte. Diese uns in Suhl. Strategie des Süddeutschen Verlages war für uns nicht hinnehmbar. Nichts war zu hören oder zu sehen von den ver- sprochenen Investitionen in Redaktionstechnik Diesmal erhielten wir jedoch keinen Gesprächs- oder einem Druckerei-Neubau. All das war ver- termin. Deshalb fuhren wir am 7. März einfach sprochen worden, als die Treuhand über den alle hin. Die vier Busse schmückten wir mit Verkauf von „Freies Wort“ als einer der vorma- Transparenten, mit denen wir auch durch die ligen SED-Zeitungen zu entscheiden hatte. Innenstadt in die Sendlinger Straße zogen. Es war ein ziemlich kalter Tag. Die Betriebsratsmit- Derweil agierte die Tageszeitungskonkurrenz glieder wurden schließlich eingelassen zum putzmunter in der Thüringer Landschaft. Wir Gespräch. Wir anderen mussten Stunden auf mussten im harten Konkurrenzkampf auf dem der Straße ausharren. Die Verlagsspitze hatte Markt bestehen, zeitweise gegen ein halbes Angst, dass wir uns im Haus ungebührlich be- Dutzend Blätter im eher beschaulichen Thürin- nehmen würden. ger Wald. Das wurde zunehmend schwerer. Die Auflage (Herbst 1989 bei 170.000) purzelte zu- Nach Stunden setzten die Betriebsräte durch, sehends. dass wir uns in der Kantine zumindest aufwär- men durften. Das Münchner Gespräch im Frühjahr 1991 gab uns jedoch das Gefühl, dass das Verlagsmana- Wir fuhren ohne Ergebnis wieder ab. gement unseren ultimativen Brief so verstanden hatte, wie wir ihn meinten – als Sorge um die Damals habe ich mehrere unserer Betriebsräte Zukunft eines noch stattlichen Verlages im Sü- weinend erlebt. den Thüringens. Der Streik und die Solidarität der Leser führten Die Chefredakteure Heinz Escher und Helmut dann doch noch zu einem halbwegs guten Er- Bloß begründeten noch einmal unmissverständ- gebnis für die Belegschaft. Der Titel „Freies lich, weshalb unsere Wahl auf die „Neue Pres- Wort“ blieb erhalten. Die Gewerkschaften se“ und den Süddeutschen Verlag ge- schlossen einen Haustarifvertrag ab. Die Zahl fallen war. Wir wollten unter dem Dach eines der Kündigungen wurde reduziert. Die Mitar- renommierten, unabhängigen, liberalen Verla- beiter verzichteten über Jahre auf Gehaltsan- ges arbeiten. Und dann war da ja auch noch die passungen. Minderheitsbeteiligung der vermeintlich sozia- len SPD. Der Süddeutsche Verlag, das war ein- 18 Jahre später... helliger Wunschpartner der gesamten Beleg- Ingrid Ehrhardt schaft, nachdem wir uns am 15. Januar 1990 von 2009 wurden wieder Briefe gen München ge- der einstigen SED-Verlagseigentümerin Zen- schickt. Am 1. April 2010 wurde die 1993 auf 1968 - 1970 trag losgesagt und zur unabhängigen Zeitung dem Friedberg gebaute Druckerei geschlossen. Volontariat für Südthüringen erklärt hatten. „Freies Wort“ wird seither im Erfurt-Bindersle- ben gedruckt. 1970 - 1974 An diesem Tag im Frühjahr 1991 wollten wir in Journalistikstudium an der München die klare Ansage: Steht der Süddeut- Eingestellt wurde auch die Arbeit der Gemein- Karl-Marx-Universität Leipzig sche Verlag zu seinem Wort? schaftsredaktion in Coburg, die seit einigen Jah- Erscheinungszeitraum: seit 15.08.1952 ren Seiten für die Zeitungen der Gruppe er- 1974 - 2003 Auflage: 130.577 (nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Wir acht (oder neun?) Suhler fuhren dann ei- arbeitete. Über 120 Mitarbeiter verloren ihre Redakteurin bzw. ab 1991 Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Hildburghausen, Ilmenau, Meiningen, Suhl, Neuhaus/ gentlich relativ zuversichtlich nach Hause. In der Arbeit. Ressortleiterin/Leiterin Rennweg, Schmalkalden, Sonneberg Runde – es gab Häppchen, Kaffee, Tee und Kalt- Lokalredaktion Suhl beim Chefredaktion: Gerd Schwinger getränke – war uns sogar der künftige Verlag- Ihre Briefe, sie haben nichts genützt. „Freien Wort“ Verlag: Suhler Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Suhl schef für „Freies Wort“ präsentiert worden. Partner: Neue Presse, Coburg/Süddeutsche Zeitung, München Werner Griego kam dann kurze Zeit später seit 2004 wirklich nach Suhl. freiberufliche Journalistin

12 13 Briefwechsel mit Wunschpartner

Ein Termin in der Sendlinger Straße in München und was daraus wurde

Wie weit Bonn und München entfernt sind, Am 21. September 1991 stand schließlich auf weiß ich seit einer nächtlichen Bahnfahrt mit Seite 1 unserer Zeitung: „Neuer Eigentümer, In- mehrmaligem Umsteigen im Frühjahr 1991. Ich vestitionen geplant, Arbeitsplätze sicher.“ Die nahm an einer DJV-Betriebsräteschulung teil, Bedeutung der Nachricht wurde damals durch als mich abends im Hotel der Anruf des stellver- einen Kasten hervorgehoben. Die „Ehe“ mit tretenden Chefredakteurs Helmut Bloß ereilte. den Wunschpartnern war nun auch notariell bei Am nächsten Morgen sollte ich um 9 Uhr am der Treuhand vollzogen. Ende gut, alles gut? Haupteingang des Süddeutschen Verlages in der Sendlinger Straße sein. Fünf Jahre später...

Die Verlagsspitze des Süddeutschen Verlages 1996 schrieb die Belegschaft wieder an die Ver- hatte endlich auf unseren Brief reagiert und lagsspitze des Süddeutschen Verlages. Wir be- war bereit, mehrere leitende Mitarbeiter von fanden uns im Streik, der zu einem der längsten Redaktion und Verlag vom „Freien Wort“ in in Deutschland wurde. Wir konnten und woll- München zu empfangen. Wir hatten dringen- ten nicht hinnehmen, dass die kleinere Süd- den Gesprächsbedarf, denn trotz Zusagen der thüringer Zeitung „stz“ aus wirtschaftlichen Coburger „Neuen Presse“ und des Münchner Gründen unser „Freies Wort“ schlucken und Mutterverlages stagnierte so ziemlich alles bei den Titel vom Markt verdrängen sollte. Diese uns in Suhl. Strategie des Süddeutschen Verlages war für uns nicht hinnehmbar. Nichts war zu hören oder zu sehen von den ver- sprochenen Investitionen in Redaktionstechnik Diesmal erhielten wir jedoch keinen Gesprächs- oder einem Druckerei-Neubau. All das war ver- termin. Deshalb fuhren wir am 7. März einfach sprochen worden, als die Treuhand über den alle hin. Die vier Busse schmückten wir mit Verkauf von „Freies Wort“ als einer der vorma- Transparenten, mit denen wir auch durch die ligen SED-Zeitungen zu entscheiden hatte. Innenstadt in die Sendlinger Straße zogen. Es war ein ziemlich kalter Tag. Die Betriebsratsmit- Derweil agierte die Tageszeitungskonkurrenz glieder wurden schließlich eingelassen zum putzmunter in der Thüringer Landschaft. Wir Gespräch. Wir anderen mussten Stunden auf mussten im harten Konkurrenzkampf auf dem der Straße ausharren. Die Verlagsspitze hatte Markt bestehen, zeitweise gegen ein halbes Angst, dass wir uns im Haus ungebührlich be- Dutzend Blätter im eher beschaulichen Thürin- nehmen würden. ger Wald. Das wurde zunehmend schwerer. Die Auflage (Herbst 1989 bei 170.000) purzelte zu- Nach Stunden setzten die Betriebsräte durch, sehends. dass wir uns in der Kantine zumindest aufwär- men durften. Das Münchner Gespräch im Frühjahr 1991 gab uns jedoch das Gefühl, dass das Verlagsmana- Wir fuhren ohne Ergebnis wieder ab. gement unseren ultimativen Brief so verstanden hatte, wie wir ihn meinten – als Sorge um die Damals habe ich mehrere unserer Betriebsräte Zukunft eines noch stattlichen Verlages im Sü- weinend erlebt. den Thüringens. Der Streik und die Solidarität der Leser führten Die Chefredakteure Heinz Escher und Helmut dann doch noch zu einem halbwegs guten Er- Bloß begründeten noch einmal unmissverständ- gebnis für die Belegschaft. Der Titel „Freies lich, weshalb unsere Wahl auf die „Neue Pres- Wort“ blieb erhalten. Die Gewerkschaften se“ Coburg und den Süddeutschen Verlag ge- schlossen einen Haustarifvertrag ab. Die Zahl fallen war. Wir wollten unter dem Dach eines der Kündigungen wurde reduziert. Die Mitar- renommierten, unabhängigen, liberalen Verla- beiter verzichteten über Jahre auf Gehaltsan- ges arbeiten. Und dann war da ja auch noch die passungen. Minderheitsbeteiligung der vermeintlich sozia- len SPD. Der Süddeutsche Verlag, das war ein- 18 Jahre später... helliger Wunschpartner der gesamten Beleg- Ingrid Ehrhardt schaft, nachdem wir uns am 15. Januar 1990 von 2009 wurden wieder Briefe gen München ge- der einstigen SED-Verlagseigentümerin Zen- schickt. Am 1. April 2010 wurde die 1993 auf 1968 - 1970 trag losgesagt und zur unabhängigen Zeitung dem Friedberg gebaute Druckerei geschlossen. Volontariat für Südthüringen erklärt hatten. „Freies Wort“ wird seither im Erfurt-Bindersle- ben gedruckt. 1970 - 1974 An diesem Tag im Frühjahr 1991 wollten wir in Journalistikstudium an der München die klare Ansage: Steht der Süddeut- Eingestellt wurde auch die Arbeit der Gemein- Karl-Marx-Universität Leipzig sche Verlag zu seinem Wort? schaftsredaktion in Coburg, die seit einigen Jah- ren Seiten für die Zeitungen der Gruppe er- 1974 - 2003 Wir acht (oder neun?) Suhler fuhren dann ei- arbeitete. Über 120 Mitarbeiter verloren ihre Redakteurin bzw. ab 1991 gentlich relativ zuversichtlich nach Hause. In der Arbeit. Ressortleiterin/Leiterin Runde – es gab Häppchen, Kaffee, Tee und Kalt- Lokalredaktion Suhl beim getränke – war uns sogar der künftige Verlag- Ihre Briefe, sie haben nichts genützt. „Freien Wort“ schef für „Freies Wort“ präsentiert worden. Werner Griego kam dann kurze Zeit später seit 2004 wirklich nach Suhl. freiberufliche Journalistin

13 „Zeit, die ich nicht missen will“

„Gothaer Neue Zeitung“ – ein Kapitel Pressegeschichte Thüringens

Das Jahr 1989 war eine bewegende Zeit – für Neben dem altgedienten TLZ-Mann Michael die vielen Bürger der ehemaligen DDR, die in Burkhardt waren auch der heutige Direktor vielen Städten und Gemeinden auf die Straßen der Arnoldischule, Clemens Festag, sowie Hart- gingen, um für ihre Rechte und Freiheiten zu mut Sauer dabei. demonstrieren – auch für mich. Am 2. April 1990 fand dann die eigentliche Fir- Nach Beendigung meines Fachschulstudiums in mengründung statt. Sitz war in Gotha in der Leipzig hatte ich gerade die Leitung der Be- Lutherstraße 8. Neben Geschäftsführer und Re- triebsbibliothek in den Gummiwerken in Go- daktionsleiter bestand das Team anfangs noch tha übernommen, als mich der Anruf aus der aus einer Schreibkraft und Anzeigenleiter Redaktion der Betriebszeitung erreichte. Günter Hülß.

Der zuständige Redakteur erzählte mir von der Unterstützt wurde dieser „harte Kern“ durch „Gothaer Neuen Zeitung“, die freie Mitarbei- eine Reihe von freien Mitarbeitern. Auf diese ter für redaktionelle Beiträge aller Art suchte. warteten schon bald neue Aufgaben, die sich Da ich bereits für Bibliothekszeitungen und am 19. April 1990 durch die Herausgabe des auch für die Betriebszeitung Beiträge geschrie- „Wochenblattes“ ergaben. Das „Wochen- ben hatte, versuchte ich mein Glück. Grund: blatt“ erschien parallel zur inzwischen im Niemand konnte vorhersagen, ob Bibliothe- Abonnement mit einer Auflage von 3.000 Ex- ken, die es in Vorwendezeiten zuhauf in Be- emplaren als Wochenzeitung vertriebenen trieben gab, eine Zukunft hatten. Für mich war „Gothaer Neuen Zeitung“ und wurde zum das quasi der Startschuss für die andere beruf- Jahresanfang 1991 in „Gothaer Wochenblatt“ liche Laufbahn. umbenannt.

Am Anfang wurde jede Geschichte abgenom- Im Sommer 1990 dachte die Geschäftsleitung men. Im Klartext: Den Freien überließ man, der GNZ laut darüber nach, das Blatt nun täg- was sie ablieferten. Später wurden konkrete lich herauszugeben. Aufträge erteilt. Diese Idee wurde am 23. August in die Tat um- Am 27. Januar 1990 lag die erste Ausgabe der gesetzt. An diesem Tag erschien die „Gothaer „Gothaer Neuen Zeitung“ – kurz GNZ ge- Neue Zeitung“ erstmals als Tageszeitung. Um nannt – vor. An diesem Tag wurde vor verschie- den gestiegenen Anforderungen gerecht zu denen Geschäften in der Innenstadt und vor werden, musste das Redaktionsteam ver- öffentlichen Gebäuden eine achtseitige Start- größert werden, denn nur auf den bestehen- auflage an Interessierte und potentielle Abon- den freien Mitarbeiterstamm konnte und woll- nenten kostenlos verteilt. te die Geschäftsleitung nicht mehr bauen.

Die zunächst gedruckten 10.000 Exemplare Zunächst wurden die Freien der ersten Stunde waren binnen weniger Stunden vergriffen. gefragt, ob sie dauerhaft bei der GNZ mitarbei- ten wollten. So entschied auch ich mich, die- Für die GNZ bedeutete dies zunächst einen sen Schritt zu gehen. Am 1. September 1990 hervorragenden Start, war sie doch nicht die trat ich meine Tätigkeit als Redakteurin bei der einzige Zeitung auf dem Markt. GNZ an. Auch wenn meine GNZ-Zeit nur neun Monate dauerte, will ich sie nicht missen, war Nach wie vor beherrschten das ehemalige sie doch aufregend von der ersten Minute an. „Volk“ – eben in „Thüringer Allgemeine“ um- benannt – sowie das „Neue Deutschland“ die Verstärkt wurde die Mannschaft durch zwei Zeitungslandschaft. Außerdem erschien noch weitere Mitarbeiter und den neuen Redakti- die „TLZ“, aber nur mit geringer Auflage. onsleiter Wolfgang Kraft, der aus Gießen, wo die Partner Dünkels eigene Tageszeitungen In den ersten Jahren hatte Gotha sechs Tages- und Wochenblätter betrieben und die GNZ ge- zeitungen (TA, TLZ, GNZ, HNA/MA, Thürin- druckt wurde, ins thüringische Gotha kam. Zu ger/Gothaer Tagespost, Thüringer Tageblatt – dem Zeitpunkt befand sich die Redaktion in die Red.), von denen sich aber im Laufe der der Schwabhäuser Straße 33. Der Verlag ver- nächsten Jahre einige vom Markt verabschie- legte seinen Sitz samt Geschäfts-, Anzeigen- Cornelia Möller deten. und Vertriebsleitung ein paar Häuser weiter in die Hausnummer 5. Schule, Lehre als Facharbeiter Der Geburtsstunde der „Gothaer Neuen Zei- für Elast- und Plastverarbei- tung” gingen umfangreiche Vorbereitungen Die Umstellung vom Wochenblatt auf eine tung, Fachschulstudium zur voraus. So mussten zunächst geeignete Redak- Tageszeitung brachte mehr Hektik und Stress Bibliothekarin, tionsräume gefunden werden, was nicht so mit sich. Schließlich waren Aktualität und einfach war. Deshalb wurde zunächst im eige- Schnelligkeit gegenüber den Mitbewerbern 1990 - 1991 nen Wohnzimmer gearbeitet. auf dem Zeitungsmarkt gefragt. Redakteurin Erscheinungszeitraum: 27.01.1990 – 16.05.1991 „Gothaer Neuen Zeitung“ Auflage: 3.000 (nach Verlagsangaben) Unter Leitung des Geschäftsführers und Her- Computertechnik war Mangelware, die Redak- Verbreitungsgebiet: Gotha ausgebers Horst Dünkel und Horst Schütz, der teure schrieben ihre Texte ausschließlich auf seit 1991 Chefredaktion: Horst Schütz, später Wolfgang Kraft für die Redaktionsarbeit verantwortlich war, der Schreibmaschine. Die Fotos wurden von Lokalredakteurin und ab 2010 Verlag: Verlagsgesellschaft mbH, Gotha trafen wir uns zu den ersten Besprechungen im den Mitarbeitern zum Teil selbst zu Hause ent- Leiterin der Sportredaktion Partner: Gießen Druck, Mittelhessische Druck- und Verlagsges. mbH, Gießen Raum 16 des damaligen Hotel „Zum Mohren“. wickelt oder in ein Fotolabor gegeben. bei der TLZ Gotha

14 15 „Zeit, die ich nicht missen will“

„Gothaer Neue Zeitung“ – ein Kapitel Pressegeschichte Thüringens

Das Jahr 1989 war eine bewegende Zeit – für Neben dem altgedienten TLZ-Mann Michael die vielen Bürger der ehemaligen DDR, die in Burkhardt waren auch der heutige Direktor vielen Städten und Gemeinden auf die Straßen der Arnoldischule, Clemens Festag, sowie Hart- gingen, um für ihre Rechte und Freiheiten zu mut Sauer dabei. demonstrieren – auch für mich. Am 2. April 1990 fand dann die eigentliche Fir- Nach Beendigung meines Fachschulstudiums in mengründung statt. Sitz war in Gotha in der Leipzig hatte ich gerade die Leitung der Be- Lutherstraße 8. Neben Geschäftsführer und Re- triebsbibliothek in den Gummiwerken in Go- daktionsleiter bestand das Team anfangs noch tha übernommen, als mich der Anruf aus der aus einer Schreibkraft und Anzeigenleiter Redaktion der Betriebszeitung erreichte. Günter Hülß.

Der zuständige Redakteur erzählte mir von der Unterstützt wurde dieser „harte Kern“ durch „Gothaer Neuen Zeitung“, die freie Mitarbei- eine Reihe von freien Mitarbeitern. Auf diese ter für redaktionelle Beiträge aller Art suchte. warteten schon bald neue Aufgaben, die sich Da ich bereits für Bibliothekszeitungen und am 19. April 1990 durch die Herausgabe des auch für die Betriebszeitung Beiträge geschrie- „Wochenblattes“ ergaben. Das „Wochen- ben hatte, versuchte ich mein Glück. Grund: blatt“ erschien parallel zur inzwischen im Niemand konnte vorhersagen, ob Bibliothe- Abonnement mit einer Auflage von 3.000 Ex- ken, die es in Vorwendezeiten zuhauf in Be- emplaren als Wochenzeitung vertriebenen trieben gab, eine Zukunft hatten. Für mich war „Gothaer Neuen Zeitung“ und wurde zum das quasi der Startschuss für die andere beruf- Jahresanfang 1991 in „Gothaer Wochenblatt“ liche Laufbahn. umbenannt.

Am Anfang wurde jede Geschichte abgenom- Im Sommer 1990 dachte die Geschäftsleitung men. Im Klartext: Den Freien überließ man, der GNZ laut darüber nach, das Blatt nun täg- was sie ablieferten. Später wurden konkrete lich herauszugeben. Aufträge erteilt. Diese Idee wurde am 23. August in die Tat um- Am 27. Januar 1990 lag die erste Ausgabe der gesetzt. An diesem Tag erschien die „Gothaer „Gothaer Neuen Zeitung“ – kurz GNZ ge- Neue Zeitung“ erstmals als Tageszeitung. Um nannt – vor. An diesem Tag wurde vor verschie- den gestiegenen Anforderungen gerecht zu denen Geschäften in der Innenstadt und vor werden, musste das Redaktionsteam ver- öffentlichen Gebäuden eine achtseitige Start- größert werden, denn nur auf den bestehen- auflage an Interessierte und potentielle Abon- den freien Mitarbeiterstamm konnte und woll- nenten kostenlos verteilt. te die Geschäftsleitung nicht mehr bauen.

Die zunächst gedruckten 10.000 Exemplare Zunächst wurden die Freien der ersten Stunde waren binnen weniger Stunden vergriffen. gefragt, ob sie dauerhaft bei der GNZ mitarbei- ten wollten. So entschied auch ich mich, die- Für die GNZ bedeutete dies zunächst einen sen Schritt zu gehen. Am 1. September 1990 hervorragenden Start, war sie doch nicht die trat ich meine Tätigkeit als Redakteurin bei der einzige Zeitung auf dem Markt. GNZ an. Auch wenn meine GNZ-Zeit nur neun Monate dauerte, will ich sie nicht missen, war Nach wie vor beherrschten das ehemalige sie doch aufregend von der ersten Minute an. „Volk“ – eben in „Thüringer Allgemeine“ um- benannt – sowie das „Neue Deutschland“ die Verstärkt wurde die Mannschaft durch zwei Zeitungslandschaft. Außerdem erschien noch weitere Mitarbeiter und den neuen Redakti- die „TLZ“, aber nur mit geringer Auflage. onsleiter Wolfgang Kraft, der aus Gießen, wo die Partner Dünkels eigene Tageszeitungen In den ersten Jahren hatte Gotha sechs Tages- und Wochenblätter betrieben und die GNZ ge- zeitungen (TA, TLZ, GNZ, HNA/MA, Thürin- druckt wurde, ins thüringische Gotha kam. Zu ger/Gothaer Tagespost, Thüringer Tageblatt – dem Zeitpunkt befand sich die Redaktion in die Red.), von denen sich aber im Laufe der der Schwabhäuser Straße 33. Der Verlag ver- nächsten Jahre einige vom Markt verabschie- legte seinen Sitz samt Geschäfts-, Anzeigen- Cornelia Möller deten. und Vertriebsleitung ein paar Häuser weiter in die Hausnummer 5. Schule, Lehre als Facharbeiter Der Geburtsstunde der „Gothaer Neuen Zei- für Elast- und Plastverarbei- tung” gingen umfangreiche Vorbereitungen Die Umstellung vom Wochenblatt auf eine tung, Fachschulstudium zur voraus. So mussten zunächst geeignete Redak- Tageszeitung brachte mehr Hektik und Stress Bibliothekarin, tionsräume gefunden werden, was nicht so mit sich. Schließlich waren Aktualität und einfach war. Deshalb wurde zunächst im eige- Schnelligkeit gegenüber den Mitbewerbern 1990 - 1991 nen Wohnzimmer gearbeitet. auf dem Zeitungsmarkt gefragt. Redakteurin Erscheinungszeitraum: 27.01.1990 – 16.05.1991 „Gothaer Neuen Zeitung“ Auflage: 3.000 (nach Verlagsangaben) Unter Leitung des Geschäftsführers und Her- Computertechnik war Mangelware, die Redak- Verbreitungsgebiet: Gotha ausgebers Horst Dünkel und Horst Schütz, der teure schrieben ihre Texte ausschließlich auf seit 1991 Chefredaktion: Horst Schütz, später Wolfgang Kraft für die Redaktionsarbeit verantwortlich war, der Schreibmaschine. Die Fotos wurden von Lokalredakteurin und ab 2010 Verlag: Verlagsgesellschaft mbH, Gotha trafen wir uns zu den ersten Besprechungen im den Mitarbeitern zum Teil selbst zu Hause ent- Leiterin der Sportredaktion Partner: Gießen Druck, Mittelhessische Druck- und Verlagsges. mbH, Gießen Raum 16 des damaligen Hotel „Zum Mohren“. wickelt oder in ein Fotolabor gegeben. bei der TLZ Gotha

14 15 Ende des Jahres verlagerte die Geschäfts- Bereits Anfang 1991 war abzusehen, dass die leitung die Redaktion aus der Innenstadt ins Vorherrschaft von „Thüringer Allgemeine“ neu entstandene Gewerbegebiet Gotha-Ost. und „Thüringische Landeszeitung“ im Tages- Grund dafür war zum einen eine erneute Ver- zeitungsbereich, u. a. wegen der in der GNZ stärkung des Mitarbeiterteams und zum ande- fehlenden Familienanzeigen, nicht gebrochen ren, weil man ein eigenes Fotolabor einrichten werden konnte. wollte. So legte man den Redakteuren nahe, sich an- Im ehemaligen Eingangsgebäude der Gotha- derweitig zu orientieren, was diese auch taten. er Fahrzeugwerke fand man eine neue Bleibe Jedoch wollte zu diesem Zeitpunkt keiner auf engstem Raum. Die Manuskripte des nun- glauben, was hinter vorgehaltener Hand schon mehr auf sieben Mitarbeiter aufgestockten Re- längst geredet wurde: Die Schließung der Ta- daktionsteams erfassten zwei Schreibkräfte, geszeitung stand bevor. die diese setzten und auf Diskette abspeicher- ten. Die Disketten wurden nach Erfurt ge- Doch noch hielt sich die Geschäftsleitung auch bracht und vom dortigen Büro des „Erfurter gegenüber ihren Mitarbeitern bedeckt. Alles Wochenblattes“ über Modem an die Drucke- lief wie bisher weiter. Die Anzeigenberater rei übermittelt. Die Papierabzüge der Fotos kümmerten sich um neue Kunden, während transportierte ein Kurier nach Gießen. Gleich- die Redakteure die Leser umfassend mit den zeitig wurden am „Tor II“ die Betriebszeitung neuesten Nachrichten aus Stadt und Land ver- „GoFaG-Kurier“ sowie die „Gotha-Informati- sorgten. on“ in Tabloidformat produziert. Kurz vor der Schließung der Redaktion wurde Die Gesamtauflage der GNZ belief sich im sogar noch das einjährige Bestehen der „Go- Herbst 1990 auf mehr als 5.000 Exemplare. thaer Neuen Zeitung“ gefeiert. Am 15. Mai 1991 verkündete Geschäftsführer Horst Dünkel Während ihres gut einjährigen Bestehens – am abends den Mitarbeitern, dass aufgrund der 16. Mai 1991 erschien die letzte eigenständi- nicht erreichten Ziele, nämlich einen Marktan- ge Ausgabe der „Gothaer Neuen Zeitung“ – teil von mindestens 30 Prozent zu erringen, am hat das Blatt den „Großen“ in vielen Bereichen 16. Mai die letzte Ausgabe der „Gothaer Neu- Paroli geboten und ihnen einen harten, aber en Zeitung“ erscheinen wird. fairen Konkurrenzkampf geliefert. Für uns war das zunächst ein großer Schock, Erinnert sei dabei an den Besuch des damali- hatte doch jeder gedacht, es geht schon ir- gen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Gen- gendwie weiter. scher bei der „Gothaer Neuen Zeitung“. Gen- scher machte im Oktober 1990 im Rahmen Die Leser der GNZ erhielten ab diesem Tage einer Wahlkampfreise durch den Freistaat Sta- die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine” tion in Gotha. Bei der GNZ informierte er sich (HNA) – später „Mitteldeutsche Allgemeine“ – vor Ort über die Arbeitsbedingungen bei einer (MA). einheimischen Tageszeitung und sprach mit den Redakteuren über die politischen Vorstel- Im Sommer 1993 stellte die MA ihre Gothaer lungen seiner Partei. Ausgabe ein und die Leser wurden von der TLZ übernommen. Das war auch für mich einer der bewegendsten Momente, die ich als so genannter „Querein- Unsere Geschäftsleitung ließ wissen, dass sie steiger“ erleben durfte. das inzwischen führende Anzeigenblatt „Thüringer Wochenblatt“ mit seinen Ausga- Ein weiteres Erlebnis war im April 1991 der Be- ben Gotha, Bad Langensalza und Mühlhausen such von Bundespräsident Richard von Weiz- weiterführen werde und dazu geeignete Mit- säcker. Auch hier war die GNZ hautnah dabei. arbeiter suche. Den Besuch zu kommentieren, übertrug Re- daktionsleiter Kraft mir. Mit dem einzigen Vo- Ich selbst erhielt am Tag der letzten Ausgabe lontär, der je bei der GNZ eine Ausbildung ein Angebot der TLZ zur redaktionellen Mitar- machte, begleitete ich die einzelnen Besuchs- beit. Auf Anraten des damaligen Gothaer TLZ- stationen Weizsäckers. Der Leser konnte am Redaktionsleiters Dieter Albrecht bewarb ich nächsten Tag einen ausführlichen Bericht in mich als Redakteurin und wurde angenom- der „Gothaer Neuen Zeitung“ lesen. men.

Das sollte auch der letzte große Höhepunkt im Bereits am 17. Juni 1991 fing ich als Lokal- Bestehen der „Gothaer Neuen Zeitung“ sein, redakteurin an, bin das bis heute. denn wir Mitarbeiter merkten schon bald, dass es im Anzeigenbereich wie auch bei den Abonnentenzahlen Rückschläge gab.

16 17 Ende des Jahres verlagerte die Geschäfts- Bereits Anfang 1991 war abzusehen, dass die leitung die Redaktion aus der Innenstadt ins Vorherrschaft von „Thüringer Allgemeine“ neu entstandene Gewerbegebiet Gotha-Ost. und „Thüringische Landeszeitung“ im Tages- Grund dafür war zum einen eine erneute Ver- zeitungsbereich, u. a. wegen der in der GNZ stärkung des Mitarbeiterteams und zum ande- fehlenden Familienanzeigen, nicht gebrochen ren, weil man ein eigenes Fotolabor einrichten werden konnte. wollte. So legte man den Redakteuren nahe, sich an- Im ehemaligen Eingangsgebäude der Gotha- derweitig zu orientieren, was diese auch taten. er Fahrzeugwerke fand man eine neue Bleibe Jedoch wollte zu diesem Zeitpunkt keiner auf engstem Raum. Die Manuskripte des nun- glauben, was hinter vorgehaltener Hand schon mehr auf sieben Mitarbeiter aufgestockten Re- längst geredet wurde: Die Schließung der Ta- daktionsteams erfassten zwei Schreibkräfte, geszeitung stand bevor. die diese setzten und auf Diskette abspeicher- ten. Die Disketten wurden nach Erfurt ge- Doch noch hielt sich die Geschäftsleitung auch bracht und vom dortigen Büro des „Erfurter gegenüber ihren Mitarbeitern bedeckt. Alles Wochenblattes“ über Modem an die Drucke- lief wie bisher weiter. Die Anzeigenberater rei übermittelt. Die Papierabzüge der Fotos kümmerten sich um neue Kunden, während transportierte ein Kurier nach Gießen. Gleich- die Redakteure die Leser umfassend mit den zeitig wurden am „Tor II“ die Betriebszeitung neuesten Nachrichten aus Stadt und Land ver- „GoFaG-Kurier“ sowie die „Gotha-Informati- sorgten. on“ in Tabloidformat produziert. Kurz vor der Schließung der Redaktion wurde Die Gesamtauflage der GNZ belief sich im sogar noch das einjährige Bestehen der „Go- Herbst 1990 auf mehr als 5.000 Exemplare. thaer Neuen Zeitung“ gefeiert. Am 15. Mai 1991 verkündete Geschäftsführer Horst Dünkel Während ihres gut einjährigen Bestehens – am abends den Mitarbeitern, dass aufgrund der 16. Mai 1991 erschien die letzte eigenständi- nicht erreichten Ziele, nämlich einen Marktan- ge Ausgabe der „Gothaer Neuen Zeitung“ – teil von mindestens 30 Prozent zu erringen, am hat das Blatt den „Großen“ in vielen Bereichen 16. Mai die letzte Ausgabe der „Gothaer Neu- Paroli geboten und ihnen einen harten, aber en Zeitung“ erscheinen wird. fairen Konkurrenzkampf geliefert. Für uns war das zunächst ein großer Schock, Erinnert sei dabei an den Besuch des damali- hatte doch jeder gedacht, es geht schon ir- gen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Gen- gendwie weiter. scher bei der „Gothaer Neuen Zeitung“. Gen- scher machte im Oktober 1990 im Rahmen Die Leser der GNZ erhielten ab diesem Tage einer Wahlkampfreise durch den Freistaat Sta- die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine” tion in Gotha. Bei der GNZ informierte er sich (HNA) – später „Mitteldeutsche Allgemeine“ – vor Ort über die Arbeitsbedingungen bei einer (MA). einheimischen Tageszeitung und sprach mit den Redakteuren über die politischen Vorstel- Im Sommer 1993 stellte die MA ihre Gothaer lungen seiner Partei. Ausgabe ein und die Leser wurden von der TLZ übernommen. Das war auch für mich einer der bewegendsten Momente, die ich als so genannter „Querein- Unsere Geschäftsleitung ließ wissen, dass sie steiger“ erleben durfte. das inzwischen führende Anzeigenblatt „Thüringer Wochenblatt“ mit seinen Ausga- Ein weiteres Erlebnis war im April 1991 der Be- ben Gotha, Bad Langensalza und Mühlhausen such von Bundespräsident Richard von Weiz- weiterführen werde und dazu geeignete Mit- säcker. Auch hier war die GNZ hautnah dabei. arbeiter suche. Den Besuch zu kommentieren, übertrug Re- daktionsleiter Kraft mir. Mit dem einzigen Vo- Ich selbst erhielt am Tag der letzten Ausgabe lontär, der je bei der GNZ eine Ausbildung ein Angebot der TLZ zur redaktionellen Mitar- machte, begleitete ich die einzelnen Besuchs- beit. Auf Anraten des damaligen Gothaer TLZ- stationen Weizsäckers. Der Leser konnte am Redaktionsleiters Dieter Albrecht bewarb ich nächsten Tag einen ausführlichen Bericht in mich als Redakteurin und wurde angenom- der „Gothaer Neuen Zeitung“ lesen. men.

Das sollte auch der letzte große Höhepunkt im Bereits am 17. Juni 1991 fing ich als Lokal- Bestehen der „Gothaer Neuen Zeitung“ sein, redakteurin an, bin das bis heute. denn wir Mitarbeiter merkten schon bald, dass es im Anzeigenbereich wie auch bei den Abonnentenzahlen Rückschläge gab.

16 17 Aller Anfang ist schwer…

„MEININGER TAGEBLATT“ entstand in rekordverdächtiger Zeit

Am 20. Februar 1990 erschien die erste Ausgabe erzeit war zu zählen, dass es wenig Bürokratie vom „MEININGER TAGEBLATT“. Die seit kurzem gab, die Gesetze eindeutig waren, die „Offiziel- gewährte Pressefreiheit ermöglichte einem ge- len“ einem noch schnell und uneigennützig zur lernten journalistischen Handwerker, ein eigenes Verfügung standen und sehr verlässlich agierten. Produkt in der festgefahrenen Medienlandschaft der DDR zu platzieren. Das sollte ein Aushänge- Dafür ein Beispiel: Es war zu dieser Zeit immer schild für eine bürgerlich geprägte Region sein, noch nicht einfach, am Tag mehrfach den Gren- die selten in der ersten Reihe saß, ging es in der zübergang ohne Wartezeiten zu passieren und „Autonomen Gebirgsrepublik“ – wie der Bezirk nachts gegen 3 Uhr mit einem voll beladenen Suhl volkstümlich hieß – um die Vergabe von In- Lkw aus der BRD in die DDR einzureisen, zumal novationen, Geldern und Sympathie. Daten-Import und –Export besonders strengen Bestimmungen unterlag. Aber nach einem offe- Es geschah ohne jeglichen Zwang, eher still und nen Gespräch mit den jeweiligen Leitern der für leise, ohne Straßenkundgebung, auch nicht aus den Grenzübergang zuständigen Behörden gab Gnatz oder politischen Beweggründen. es kein Wenn und Aber, auch keine Störversuche mehr. Die entsprechenden Genehmigungen Ein neues Gesetz der DDR ermöglichte die Grün- durch Abteilungen der Kreis- und Bezirksebene dung von Zeitungen. Ich wollte eine Tradition in gaben für ein faires und verantwortungsvolles der Residenz- und Theaterstadt Meiningen wie- Miteinander die Basis, was in dieser Zeit unum- der aufnehmen: nämlich die vom „MEININGER gänglich und nicht immer Alltag war. TAGEBLATT”. 1849 gegründet, war es wichtig in der Stadt an der Werra, bis es 1936 Opfer der Na- Keine 20 Tage, allerdings mit wenigstens 20 tionalsozialisten wurde. Stunden Einsatz, waren notwendig, um die Erst- ausgabe des „MEININGER TAGEBLATT“ Wirklich- Die Wende brachte auch den „Runden Tisch“, vie- keit werden zu lassen. le Partei-Neugründungen und weckte bei vielen große Hoffnungen. In gewisser Weise auch bei Für mich heute noch eine wunderbare Geschich- mir. Nicht aufs Papier gucken zu müssen, Zeitung te. Danach folgten noch schwere Tagesetappen, machen, wie das Herz beliebt, für die Menschen um eine Tageszeitung zum Funktionieren zu etwas Gutes tun. Hehre Absichten also, die doch bringen. Dabei endeten viele Tage mit mehr Pro- im Sinne der Allgemeinheit liegen müssten. blemen als Hurra-Rufen. Vom Start weg blies ei- nem der Neid ins Gesicht. Die Unterschiede zwi- Bestärkt durch eine mehr oder weniger zufällige schen Ost und West wurden immer deutlicher. Bekanntschaft mit gestandenen, branchener- Man musste sich mit Vorbehalten und Schubla- fahrenen Fachleuten aus einem benachbarten den-Denken auseinandersetzen. Merkte plötz- unterfränkischem Landkreis und eine „Mach lich, dass man keine Ahnung von bestimmten doch“– Diskussion zwischen alteingesessenen, Dingen hat. Ohnmächtig neuen Gesetzen und ehrwürdigen „Stammtischen“ einer Meininger Regelungen gegenüberstand. Gegen Ungerech- Traditionsgaststätte, entwickelte ich eine gehöri- tigkeiten nicht ankämpfen konnte. Man nicht nur ge Portion Wagemut. an sich, sondern auch an die Mitstreiter denken musste. Nur zäh die Erkenntnis reifte, dass ein Ich beschaffte einen alten Zeitungskopf des Traum nur die eine Seite des Lebens ist… Siegfried Herzog „MEININGER TAGEBLATT“, holte ermunternden Zuspruch der Erben der Alt-Verlegerfamilie Mar- Das „MEININGER TAGEBLATT“ nahm eine rasan- 1967 - 1969 bach ein und besiegelte per Handschlag das te Entwicklung. Nicht alles machten wir richtig. Volontariat bei der „Abend- „Ok“ einer alten Verlegerfamilie in Bad Kissingen Aber es war die Neugründung, die am längsten zeitung”, Leipzig/Halle wegen Unterstützung, Kredit, Satz und Druck, Bestand hatte. Alle anderen Mitbewerber – die Materialbeschaffung usw. „Tagespost“, die „stz”, die „NEUE“ u. a. – zogen 1969 - 1973 sich nach relativ kurzer Zeit aus dem Kreis Mei- Studium der Journalistik Dann kam der 12. Februar 1990. ningen zurück. Karl-Marx-Universität Leipzig, Abschluss als Diplom-Journa- In Meiningens „Baumbachhaus“ befragte ich Mit der Tageszeitung entwickelten sich auch an- list, die Repräsentanten der Parteien, wie zum Bei- dere Verlagsprodukte wie das „Meininger Wo- spiel CDU, DBD, LDPD, NDPD, der „neuen“ SED- chenblatt“ (später mit dem „Wochenspiegel“ ver- 1973 - 1990 PDS, der SPD, DSU, Demokratischer Aufbruch, schmolzen), die „Litfaßsäule“ als monatlicher Redakteur, Abteilungsleiter, Grüne Partei, Gruppe 21, aber auch der evange- Veranstaltungsanzeiger, die „Heimatklänge“ und stellv. Chefredakteur lischen und katholischen Kirche, ob sie wieder der „Werrakurier/Kreisanzeiger“ als wöchentliche „Freies Wort“, Suhl eine eigene Meininger Tageszeitung wollten. Ratgeberzeitung. Der WPV-Verlag gab der Regi- Ich fragte, ob sie – wie einst – „MEININGER on viele Impulse, die bis heute wirken. 1990 - 1999 TAGEBLATT“ heißen solle. Und ich wollte wissen, angestellter Geschäftsführer Erscheinungszeitraum: 20.02.1990 - 07.09.2002 ob sie eine überparteiliche und unabhängige Mit der Zusammenlegung der beiden im Land- der WPV GmbH seit 09.09.2002 als „FW Meininger Tageblatt“ Lokalzeitung wollten, die jeder von ihnen mitge- kreis Schmalkalden-Meiningen erscheinenden Auflage: 11.964 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92, stalten könne. Das Votum war überwältigend Tageszeitungen „MEININGER TAGEBLATT“ und 1999 - 2005 mit „stz/Suhler Zeitung“) und beflügelnd. „Freies Wort“ zum „FW Meininger Tageblatt“ be- Objektleiter der Wochenzei- Verbreitungsgebiet: Meiningen gann ein neues Kapitel der Meininger Zeitungs- tungen „Werrakurier“, Chefredaktion: Ulrich Lutz So ging es los. In Doppelschicht. Täglich ab 16 Uhr geschichte. Das aber hatte mit der Aufbruchzeit „Kreisanzeiger“ in der WPV Verlag: WPV – Werbung, Presse, Vertrieb Meiningen (bis 31.07.1990) als Chef vom Dienst bei „Freies Wort“ in Suhl, ab 1990/91 nichts mehr zu tun. Im Gegenteil. Ohne GmbH WPV – Werbung, Presse, Vertrieb GmbH (ab 01.08.1990) 7 Uhr früh als nimmermüder Tausendsassa bei der dieses Kapitel gäbe es die aktuelle Neuzeit gar Partner: Saale-Zeitung, Bad Kissingen eigenen Zeitung. Zu den Glücksumständen sein- nicht… seit 2005 freier Journalist 18 19 Aller Anfang ist schwer…

„MEININGER TAGEBLATT“ entstand in rekordverdächtiger Zeit

Am 20. Februar 1990 erschien die erste Ausgabe erzeit war zu zählen, dass es wenig Bürokratie vom „MEININGER TAGEBLATT“. Die seit kurzem gab, die Gesetze eindeutig waren, die „Offiziel- gewährte Pressefreiheit ermöglichte einem ge- len“ einem noch schnell und uneigennützig zur lernten journalistischen Handwerker, ein eigenes Verfügung standen und sehr verlässlich agierten. Produkt in der festgefahrenen Medienlandschaft der DDR zu platzieren. Das sollte ein Aushänge- Dafür ein Beispiel: Es war zu dieser Zeit immer schild für eine bürgerlich geprägte Region sein, noch nicht einfach, am Tag mehrfach den Gren- die selten in der ersten Reihe saß, ging es in der zübergang ohne Wartezeiten zu passieren und „Autonomen Gebirgsrepublik“ – wie der Bezirk nachts gegen 3 Uhr mit einem voll beladenen Suhl volkstümlich hieß – um die Vergabe von In- Lkw aus der BRD in die DDR einzureisen, zumal novationen, Geldern und Sympathie. Daten-Import und –Export besonders strengen Bestimmungen unterlag. Aber nach einem offe- Es geschah ohne jeglichen Zwang, eher still und nen Gespräch mit den jeweiligen Leitern der für leise, ohne Straßenkundgebung, auch nicht aus den Grenzübergang zuständigen Behörden gab Gnatz oder politischen Beweggründen. es kein Wenn und Aber, auch keine Störversuche mehr. Die entsprechenden Genehmigungen Ein neues Gesetz der DDR ermöglichte die Grün- durch Abteilungen der Kreis- und Bezirksebene dung von Zeitungen. Ich wollte eine Tradition in gaben für ein faires und verantwortungsvolles der Residenz- und Theaterstadt Meiningen wie- Miteinander die Basis, was in dieser Zeit unum- der aufnehmen: nämlich die vom „MEININGER gänglich und nicht immer Alltag war. TAGEBLATT”. 1849 gegründet, war es wichtig in der Stadt an der Werra, bis es 1936 Opfer der Na- Keine 20 Tage, allerdings mit wenigstens 20 tionalsozialisten wurde. Stunden Einsatz, waren notwendig, um die Erst- ausgabe des „MEININGER TAGEBLATT“ Wirklich- Die Wende brachte auch den „Runden Tisch“, vie- keit werden zu lassen. le Partei-Neugründungen und weckte bei vielen große Hoffnungen. In gewisser Weise auch bei Für mich heute noch eine wunderbare Geschich- mir. Nicht aufs Papier gucken zu müssen, Zeitung te. Danach folgten noch schwere Tagesetappen, machen, wie das Herz beliebt, für die Menschen um eine Tageszeitung zum Funktionieren zu etwas Gutes tun. Hehre Absichten also, die doch bringen. Dabei endeten viele Tage mit mehr Pro- im Sinne der Allgemeinheit liegen müssten. blemen als Hurra-Rufen. Vom Start weg blies ei- nem der Neid ins Gesicht. Die Unterschiede zwi- Bestärkt durch eine mehr oder weniger zufällige schen Ost und West wurden immer deutlicher. Bekanntschaft mit gestandenen, branchener- Man musste sich mit Vorbehalten und Schubla- fahrenen Fachleuten aus einem benachbarten den-Denken auseinandersetzen. Merkte plötz- unterfränkischem Landkreis und eine „Mach lich, dass man keine Ahnung von bestimmten doch“– Diskussion zwischen alteingesessenen, Dingen hat. Ohnmächtig neuen Gesetzen und ehrwürdigen „Stammtischen“ einer Meininger Regelungen gegenüberstand. Gegen Ungerech- Traditionsgaststätte, entwickelte ich eine gehöri- tigkeiten nicht ankämpfen konnte. Man nicht nur ge Portion Wagemut. an sich, sondern auch an die Mitstreiter denken musste. Nur zäh die Erkenntnis reifte, dass ein Ich beschaffte einen alten Zeitungskopf des Traum nur die eine Seite des Lebens ist… Siegfried Herzog „MEININGER TAGEBLATT“, holte ermunternden Zuspruch der Erben der Alt-Verlegerfamilie Mar- Das „MEININGER TAGEBLATT“ nahm eine rasan- 1967 - 1969 bach ein und besiegelte per Handschlag das te Entwicklung. Nicht alles machten wir richtig. Volontariat bei der „Abend- „Ok“ einer alten Verlegerfamilie in Bad Kissingen Aber es war die Neugründung, die am längsten zeitung”, Leipzig/Halle wegen Unterstützung, Kredit, Satz und Druck, Bestand hatte. Alle anderen Mitbewerber – die Materialbeschaffung usw. „Tagespost“, die „stz”, die „NEUE“ u. a. – zogen 1969 - 1973 sich nach relativ kurzer Zeit aus dem Kreis Mei- Studium der Journalistik Dann kam der 12. Februar 1990. ningen zurück. Karl-Marx-Universität Leipzig, Abschluss als Diplom-Journa- In Meiningens „Baumbachhaus“ befragte ich Mit der Tageszeitung entwickelten sich auch an- list, die Repräsentanten der Parteien, wie zum Bei- dere Verlagsprodukte wie das „Meininger Wo- spiel CDU, DBD, LDPD, NDPD, der „neuen“ SED- chenblatt“ (später mit dem „Wochenspiegel“ ver- 1973 - 1990 PDS, der SPD, DSU, Demokratischer Aufbruch, schmolzen), die „Litfaßsäule“ als monatlicher Redakteur, Abteilungsleiter, Grüne Partei, Gruppe 21, aber auch der evange- Veranstaltungsanzeiger, die „Heimatklänge“ und stellv. Chefredakteur lischen und katholischen Kirche, ob sie wieder der „Werrakurier/Kreisanzeiger“ als wöchentliche „Freies Wort“, Suhl eine eigene Meininger Tageszeitung wollten. Ratgeberzeitung. Der WPV-Verlag gab der Regi- Ich fragte, ob sie – wie einst – „MEININGER on viele Impulse, die bis heute wirken. 1990 - 1999 TAGEBLATT“ heißen solle. Und ich wollte wissen, angestellter Geschäftsführer Erscheinungszeitraum: 20.02.1990 - 07.09.2002 ob sie eine überparteiliche und unabhängige Mit der Zusammenlegung der beiden im Land- der WPV GmbH seit 09.09.2002 als „FW Meininger Tageblatt“ Lokalzeitung wollten, die jeder von ihnen mitge- kreis Schmalkalden-Meiningen erscheinenden Auflage: 11.964 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92, stalten könne. Das Votum war überwältigend Tageszeitungen „MEININGER TAGEBLATT“ und 1999 - 2005 mit „stz/Suhler Zeitung“) und beflügelnd. „Freies Wort“ zum „FW Meininger Tageblatt“ be- Objektleiter der Wochenzei- Verbreitungsgebiet: Meiningen gann ein neues Kapitel der Meininger Zeitungs- tungen „Werrakurier“, Chefredaktion: Ulrich Lutz So ging es los. In Doppelschicht. Täglich ab 16 Uhr geschichte. Das aber hatte mit der Aufbruchzeit „Kreisanzeiger“ in der WPV Verlag: WPV – Werbung, Presse, Vertrieb Meiningen (bis 31.07.1990) als Chef vom Dienst bei „Freies Wort“ in Suhl, ab 1990/91 nichts mehr zu tun. Im Gegenteil. Ohne GmbH WPV – Werbung, Presse, Vertrieb GmbH (ab 01.08.1990) 7 Uhr früh als nimmermüder Tausendsassa bei der dieses Kapitel gäbe es die aktuelle Neuzeit gar Partner: Saale-Zeitung, Bad Kissingen eigenen Zeitung. Zu den Glücksumständen sein- nicht… seit 2005 freier Journalist 18 19 Wanderer zwischen den Welten

Anfänge der „Mitteldeutschen Allgemeinen“ in Thüringens Westen

Als erste Redakteure der Kasseler Regionalzei- Die redaktionelle Produktion wurde dennoch tung nach dem Fall der Grenze in den thüringi- optimiert: Die Redaktionen verfügten über eige- schen Nachbarkreisen auftraten, hatte der Name ne Rechner, aber über keine Datenleitung. Die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ (HNA) Berichte wurden auf Diskette gespeichert, per einen guten Klang: In den Wochen nach dem Kurier nach Hessen befördert und dort zur Wei- Mauerfall machte sich die HNA mit Sonderbeila- terverarbeitung ins System eingespielt. Von ein, gen einem großen, neuen Publikum bekannt. zwei, drei Seiten wurde das Produkt immer wei- ter ausgebaut und um Berichte aus Hessen und Journalisten aus den grenznahen Redaktionen Niedersachsen angereichert. Die waren 1990 wie z. B. Witzenhausen, Eschwege oder Roten- begehrt, wie es überhaupt chic war, sich ein Blatt burg, schwärmten zu neuen Ufern aus, bereite- aus dem Westen zu halten. ten vorwiegend für die westliche Leserschaft Themen zwischen Eichsfeld und Wartburg auf. Die Anfangserfolge waren enorm, die MA-Re- DDR-Bürger waren aber auch oft Gäste in den dakteure etablierten die Neugründung schnell. Redaktionen und Geschäftsstellen im Werra- Diese Auflagenerfolge ermutigten, sich nach Meißner-Kreis und im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Bad Langensalza und Gotha auszudehnen.

Am 18. Januar 1990 fiel bei einer Gesamtkonfe- Es fehlten aber die Geschäftsanzeigen, denn renz im Kasseler Presse + Druckzentrum die Vor- westliche Unternehmen als potenzielle Kunden entscheidung, es mit einer eigenen Ausgabe zu ließen sich erst nach und nach im Osten nieder. versuchen. Am Anfang stand die Seite „West- Parallel wurden Geschäftsstellen mit Anzeige- Thüringen“, die den Lokalausgaben angehängt nannahme und Vertrieb aufgebaut. und später vorgeschaltet wurde. Die Konkurrenz war hart – in Mühlhausen agier- Dann entschloss man sich im Februar zum Haupt- ten TA, TLZ, Tagespost, Thüringer Tageblatt (TT) titel „Mitteldeutsche Allgemeine“ (MA). Die re- sowie „Werra-Rundschau“ und MA. Der Platz am daktionellen und verlegerischen Aktivitäten kon- Pressetisch im Kreistag wurde häufig knapp. zentrierten sich auf Heiligenstadt, Mühlhausen und Eisenach, später dann auch auf Bad Langen- In ihren besten Zeiten hatte die MA über 30 Re- salza und Gotha. dakteure, davon drei im Landesbüro in Erfurt und eine Auflage von 33.000 Exemplaren. Vor- Die Arbeitsbedingungen für die ersten Thürin- teil war auch die „Sonntagszeit“ als siebte Loka- gen-Redakteure Werner Keller und Wolfgang lausgabe. Riek waren äußerst schwierig: Kaum Telefon-, geschweige denn Fax- oder Datenleitungen. Technisch hatten die MA-Redakteure gegenüber den Mitbewerbern zunächst einen Vorsprung, Das Team Keller/Riek war daher eine Wanderab- doch die Ost-Kollegen holten auf. Die Anfangs- teilung: Recherchiert wurde in den Städten in erfolge erwiesen sich als Strohfeuer – je schwie- West-Thüringen, produziert in den grenznahen riger sich der Prozess der Vereinigung gestalte- Redaktionen in Hessen. te und je schwieriger die wirtschaftliche Situation für viele Menschen wurde, desto schwerer hat- Werner Keller Es galt, neben der journalistischen Arbeit Räume ten es die Zeitungen aus dem Westen. Gewinner zu finden und nach Personal Ausschau zu halten. waren die früheren SED-Blätter, die sich wirt- 1970 - 1971 Aber die Raumfrage war problematisch, weil sich schaftlich an große Partner aus dem Westen Volontariat bei den Eigentümern niemand traute, etwas zu anlehnen konnten. Bestes Beispiel ist die Zei- Hessische Allgemeine Kassel, entscheiden: Das ganze Land schien im Schwe- tungsgruppe Thüringen (ZGT). später: Hessische/Niedersächsi- bezustand. sche Allgemeine (HNA). Auch ideologische Wurzeln spielten in den Au- Im Frühjahr 1990 schließlich konnte sich die Ei- gen der Leser immer weniger eine Rolle. 1972 - 1974 senacher Redaktion an der Bahnhofstraße in der Lokalredaktion Kassel früheren „Eisenach-Information“ einrichten. Es Als erstes trennte sich die MA 1993 von ihrer am folgte die MA Mühlhausen in Räumen einer Be- weitesten vom Druckort Kassel entfernt liegen- 1974 triebsberufsschule in der Görmarstraße. den Ausgabe Gotha: Der Vertriebsweg war ein- Polizeireporter in Göttingen fach zu weit. In den anderen Bereichen konnte Die ersten Beschäftigten in den Redaktionen wa- die MA ihre Position durch das Zusammengehen 1977 - 1990 ren vom Stammhaus ausgeliehen, später füllten mit der „Eisenacher Presse“ und die Zusammen- Redaktionsleiter mehr und mehr Thüringer die Reihen. arbeit mit dem „Eichsfelder Tageblatt” festigen, HNA, Witzenhausen aber am Ende doch nicht halten. Die Verlagsabteilungen setzten von Anfang an 1990 - 1996 Thüringer ein. Herausforderung war 1990 der Im Februar 1996 entschlossen sich deshalb die Ressortleiter Aufbau eines eigenen Vertriebs. Zu DDR-Zeiten Verleger Rainer Dierichs und Dr. Dietrich Batz, „Mitteldeutsche Allgemeine“ hatten die Zeitungen keine eigenen Zusteller, das Thüringen-Engagement der HNA zu been- (MA), zunächst mit Sitz in Mühl- sondern sie kamen mit der Post. den. Am 29. Februar 1996 erschien in den drei hausen, Erscheinungszeitraum: 16.02.1990 - 29.02.1996 Landkreisen Westthüringens die letzte Ausgabe später in Eisenach Auflage: 39.659 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) In Mühlhausen arbeiteten in allen Abteilun- der MA. Sie wurde von der TLZ übernommen. Verbreitungsgebiet: Eisenach, Mühlhausen, Bad Langensalza, Heiligenstadt, Gotha gen 14 Beschäftigte. Alle hatten zwar ein Te- seit 1996 Chefredaktion: Lothar Orzechowski lefon, aber es gab eben nur eine Amtsleitung. Die Kernmannschaft kehrte nach Hessen zurück, Redaktionsleiter Verlag: HNA Mitteldeutsche Verlagsgesellschaft mbH, Eisenach Das erschwerte dann doch die schnelle Be- etliche Kolleginnen und Kollegen konnten bei HNA Werra-Meißner-Kreis, Partner: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), Kassel schaffung von Informationen. der TLZ weiter beschäftigt werden. Witzenhausen

20 21 Wanderer zwischen den Welten

Anfänge der „Mitteldeutschen Allgemeinen“ in Thüringens Westen

Als erste Redakteure der Kasseler Regionalzei- Die redaktionelle Produktion wurde dennoch tung nach dem Fall der Grenze in den thüringi- optimiert: Die Redaktionen verfügten über eige- schen Nachbarkreisen auftraten, hatte der Name ne Rechner, aber über keine Datenleitung. Die „Hessische/Niedersächsische Allgemeine“ (HNA) Berichte wurden auf Diskette gespeichert, per einen guten Klang: In den Wochen nach dem Kurier nach Hessen befördert und dort zur Wei- Mauerfall machte sich die HNA mit Sonderbeila- terverarbeitung ins System eingespielt. Von ein, gen einem großen, neuen Publikum bekannt. zwei, drei Seiten wurde das Produkt immer wei- ter ausgebaut und um Berichte aus Hessen und Journalisten aus den grenznahen Redaktionen Niedersachsen angereichert. Die waren 1990 wie z. B. Witzenhausen, Eschwege oder Roten- begehrt, wie es überhaupt chic war, sich ein Blatt burg, schwärmten zu neuen Ufern aus, bereite- aus dem Westen zu halten. ten vorwiegend für die westliche Leserschaft Themen zwischen Eichsfeld und Wartburg auf. Die Anfangserfolge waren enorm, die MA-Re- DDR-Bürger waren aber auch oft Gäste in den dakteure etablierten die Neugründung schnell. Redaktionen und Geschäftsstellen im Werra- Diese Auflagenerfolge ermutigten, sich nach Meißner-Kreis und im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Bad Langensalza und Gotha auszudehnen.

Am 18. Januar 1990 fiel bei einer Gesamtkonfe- Es fehlten aber die Geschäftsanzeigen, denn renz im Kasseler Presse + Druckzentrum die Vor- westliche Unternehmen als potenzielle Kunden entscheidung, es mit einer eigenen Ausgabe zu ließen sich erst nach und nach im Osten nieder. versuchen. Am Anfang stand die Seite „West- Parallel wurden Geschäftsstellen mit Anzeige- Thüringen“, die den Lokalausgaben angehängt nannahme und Vertrieb aufgebaut. und später vorgeschaltet wurde. Die Konkurrenz war hart – in Mühlhausen agier- Dann entschloss man sich im Februar zum Haupt- ten TA, TLZ, Tagespost, Thüringer Tageblatt (TT) titel „Mitteldeutsche Allgemeine“ (MA). Die re- sowie „Werra-Rundschau“ und MA. Der Platz am daktionellen und verlegerischen Aktivitäten kon- Pressetisch im Kreistag wurde häufig knapp. zentrierten sich auf Heiligenstadt, Mühlhausen und Eisenach, später dann auch auf Bad Langen- In ihren besten Zeiten hatte die MA über 30 Re- salza und Gotha. dakteure, davon drei im Landesbüro in Erfurt und eine Auflage von 33.000 Exemplaren. Vor- Die Arbeitsbedingungen für die ersten Thürin- teil war auch die „Sonntagszeit“ als siebte Loka- gen-Redakteure Werner Keller und Wolfgang lausgabe. Riek waren äußerst schwierig: Kaum Telefon-, geschweige denn Fax- oder Datenleitungen. Technisch hatten die MA-Redakteure gegenüber den Mitbewerbern zunächst einen Vorsprung, Das Team Keller/Riek war daher eine Wanderab- doch die Ost-Kollegen holten auf. Die Anfangs- teilung: Recherchiert wurde in den Städten in erfolge erwiesen sich als Strohfeuer – je schwie- West-Thüringen, produziert in den grenznahen riger sich der Prozess der Vereinigung gestalte- Redaktionen in Hessen. te und je schwieriger die wirtschaftliche Situation für viele Menschen wurde, desto schwerer hat- Werner Keller Es galt, neben der journalistischen Arbeit Räume ten es die Zeitungen aus dem Westen. Gewinner zu finden und nach Personal Ausschau zu halten. waren die früheren SED-Blätter, die sich wirt- 1970 - 1971 Aber die Raumfrage war problematisch, weil sich schaftlich an große Partner aus dem Westen Volontariat bei den Eigentümern niemand traute, etwas zu anlehnen konnten. Bestes Beispiel ist die Zei- Hessische Allgemeine Kassel, entscheiden: Das ganze Land schien im Schwe- tungsgruppe Thüringen (ZGT). später: Hessische/Niedersächsi- bezustand. sche Allgemeine (HNA). Auch ideologische Wurzeln spielten in den Au- Im Frühjahr 1990 schließlich konnte sich die Ei- gen der Leser immer weniger eine Rolle. 1972 - 1974 senacher Redaktion an der Bahnhofstraße in der Lokalredaktion Kassel früheren „Eisenach-Information“ einrichten. Es Als erstes trennte sich die MA 1993 von ihrer am folgte die MA Mühlhausen in Räumen einer Be- weitesten vom Druckort Kassel entfernt liegen- 1974 triebsberufsschule in der Görmarstraße. den Ausgabe Gotha: Der Vertriebsweg war ein- Polizeireporter in Göttingen fach zu weit. In den anderen Bereichen konnte Die ersten Beschäftigten in den Redaktionen wa- die MA ihre Position durch das Zusammengehen 1977 - 1990 ren vom Stammhaus ausgeliehen, später füllten mit der „Eisenacher Presse“ und die Zusammen- Redaktionsleiter mehr und mehr Thüringer die Reihen. arbeit mit dem „Eichsfelder Tageblatt” festigen, HNA, Witzenhausen aber am Ende doch nicht halten. Die Verlagsabteilungen setzten von Anfang an 1990 - 1996 Thüringer ein. Herausforderung war 1990 der Im Februar 1996 entschlossen sich deshalb die Ressortleiter Aufbau eines eigenen Vertriebs. Zu DDR-Zeiten Verleger Rainer Dierichs und Dr. Dietrich Batz, „Mitteldeutsche Allgemeine“ hatten die Zeitungen keine eigenen Zusteller, das Thüringen-Engagement der HNA zu been- (MA), zunächst mit Sitz in Mühl- sondern sie kamen mit der Post. den. Am 29. Februar 1996 erschien in den drei hausen, Erscheinungszeitraum: 16.02.1990 - 29.02.1996 Landkreisen Westthüringens die letzte Ausgabe später in Eisenach Auflage: 39.659 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) In Mühlhausen arbeiteten in allen Abteilun- der MA. Sie wurde von der TLZ übernommen. Verbreitungsgebiet: Eisenach, Mühlhausen, Bad Langensalza, Heiligenstadt, Gotha gen 14 Beschäftigte. Alle hatten zwar ein Te- seit 1996 Chefredaktion: Lothar Orzechowski lefon, aber es gab eben nur eine Amtsleitung. Die Kernmannschaft kehrte nach Hessen zurück, Redaktionsleiter Verlag: HNA Mitteldeutsche Verlagsgesellschaft mbH, Eisenach Das erschwerte dann doch die schnelle Be- etliche Kolleginnen und Kollegen konnten bei HNA Werra-Meißner-Kreis, Partner: Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA), Kassel schaffung von Informationen. der TLZ weiter beschäftigt werden. Witzenhausen

20 21 Von der Überholspur geholt

„Neue Saale-Zeitung“ wurde mitten im Wachstum stillgelegt

Die längste Nacht der „Neuen Saale-Zeitung” ten Hochburgen um Gräfenthal und Ober- (NSZ) endete im Morgengrauen. weißbach, wo das „Freie Wort“ eh in vier von fünf Briefkästen steckte. Nun galt es nur noch Am 13. Juni 1994 schickten gegen 2.20 Uhr die die Ebene am Saalebogen zu erobern. Redakteure die letzten Zahlen und Texte zur Landrats- und Bürgermeisterwahl im künfti- Dafür wurde nicht gekleckert, sondern ge- gen Großkreis an Saale und Schwarza auf die klotzt. Gestartet in Altbau-Wohnungen, durf- Reise gen Suhl. Von dort kamen sie als viersei- ten die Redaktionen alsbald in 1-A-Lagen um- tiges Wahl-Extrablatt zurück – und überholten, ziehen, wurden als erste im Gesamtkonzern da per Hand auf Straßen und Plätzen verteilt, mit Apple-Computern samt dem besten – und in einigen Orten sogar die reguläre Montags- teuersten – Redaktionssystem bestückt und ausgabe der NSZ. konnten als erste in Thüringen ganze Seiten Jens Voigt zum Druck senden. An diesem Tag war „die Grüne“, wie die Zei- 1981 - 1982 tung ob ihrer damals einzigen Zusatzfarbe bei Bis zu zehn Lokalseiten täglich entsprangen Volontariat etlichen Lesern hieß, wieder einmal schneller dem Wirken von zwölf (!) Redakteuren und bis „Volkswacht“, Gera gewesen als die großmächtige Konkurrenz der zu sechs Volontären, ein „Projektleiter“ küm- „Ostthüringer Zeitung“ (OTZ). merte sich einzig ums Laufen des Ladens sowie 1982 - 1986 immer neue Aktionen zur Abonnenten-Gewin- Studium der Journalistik, Schneller und, wenn irgend möglich, besser nung bis hin zu 500 „Soli-Abos“ für streiken- Karl-Marx-Universität Leipzig sein als der „Platzhirsch“ OTZ, das war ein zen- de Schokoladenwerker in Saalfeld, von denen trales Momentum der Redaktionsarbeit. Mit leider kein Zehntel nach Beendigung des Halb- 1986 - 1987 nicht immer gesundem Verhältnis zwischen jahres-Geschenks selbiges bezahlen mochte. Redakteur Aufwand und Ergebnis. Und das, obwohl die NSZ nicht einmal die Hälf- Nachrichten/ Außenpolitik bei te des OTZ-Abos kostete. „Volkswacht“ Am 1. Oktober 1992 war die NSZ in den dama- ligen Landkreisen Saalfeld und Rudolstadt ge- Mit dem Bonus des neuen Blattes gewann die 1987 - 1989 startet. Das Kopfblatt des „Freien Wortes“ Zeitung Zuneigung bei denen, die aus welchen Redakteur (Suhl) folgte auf mehr oder minder klägliche Gründen auch immer den „Platzhirsch“ nicht Betriebszeitung „das echo“ Versuche bayerischer Zeitungen, mit Thüringer mochten. Was nicht nur manche exklusive des Graphischen Großbetriebs Ablegern Honig aus der erhofften Massenab- Story zur Folge hatte, sondern zuweilen uner- Pößneck wendung der Bürger von den Regionalzeitun- füllbare Erwartungen, was Zeitung an Vergan- gen mit DDR- und SED-Ruch zu saugen. genheitsaufarbeitung seriös leisten kann. 1990 - 1993 Ressortleiter Doch sowohl die „Neue Presse“ (Coburg) wie Die fast märchenhafte Personalstärke aber Nachrichten/ Außenpolitik der auch der „Fränkische Tag“ (Bamberg) scheiter- verhalf zu manchem Vorsprung zur Konkur- „Ostthüringer Zeitung“ Gera ten alsbald am Spagat, fränkisch-westliche renz: NSZ-Redakteure konnten so ziemlich je- Mantelseiten mit Ostthüringer Lokalstoff zu den Termin besetzen – und häufig länger 1993 verbinden. zuhören. Um die Nase vorn zu haben, war fast freiberuflicher Journalist alles möglich. Bis hin zur eigenen Hilfsaktion Was blieb, waren die Mitarbeiter – aus der Bür- für Waisenkinder in Ruanda samt Reportage 1993 - 1996 gerbewegung und kirchlicher Opposition von dort, der Begleitung von Saalfeldern bei Redaktionsleiter stammende Journalismus-Neulinge, denen das der Rallye Paris-Dakar oder dem Mit-Stram- „Neue Saale-Zeitung“, Saalfeld „Freie Wort“ ein paar Profis, auch aus Franken, peln auf den letzten Etappen der Weltumrad- an die Seite stellte sowie einen vollständig in ler Brümmer und Glöckner. 1996 - 1997 und für Thüringen gefertigten Mantelteil, der Redakteur für die NSZ eigens auf Ostthüringer Befindlich- Stück um Stück wuchs die Abonnentenzahl. Im „Freies Wort“, keit umgestrickt wurde. Sommer 1996 hatte die NSZ im neuen Groß- Lokalredaktionen Ilmenau, kreis einen Marktanteil von fast 25 Prozent – Arnstadt Es waren die Zeiten, da die Thüringer Regio- nach bisherigen (West-)Maßstäben eigentlich nalzeitungen, frisch hochgerüstet von ihren je- ein sicheres Fundament, um nun ruhig in die 1997 - 2000 weiligen West-Müttern, auf Expansion über Konsolidierung zu gehen und das Defizit – an- freiberuflicher Journalist, die alten Bezirksgrenzen hinaus setzten. geblich bis zu einer Million Mark pro Jahr – ab- Gesellschafter und zubauen. Geschäftsführer des Schwarm Das „Freie Wort“ marschierte gen Saalfeld, Ru- Verlags Saalfeld dolstadt und Arnstadt, das Schwesterblatt Doch das „Friedensabkommen“ zwischen „Vogtland-Anzeiger“ lugte gen Greiz, Schleiz WAZ-Gruppe und Süddeutschem Verlag ließ 2000 - 2008 und Lobenstein. Die „Thüringer Allgemeine“ alle Träume platzen: Zum 1. Oktober 1996, Reporter „Freies Wort“, konterte mit Invasion in Ilmenau und Brücken- ihrem vierten Geburtstag, stellte die „Neue Suhl, Thüringenredaktion kopf-Journalismus in Suhl, während die OTZ es Saale-Zeitung“ ihr Erscheinen ein. bei zögernden Ausflügen in den Landkreis 2008 - 2009 Neuhaus beließ. Nur die grünen Zeitungsröhren, die an jenem Redakteur 13. Juni 1994 gleich zweimal befüllt wurden, „Ostthüringer Zeitung“, Erscheinungszeitraum: 01.10.1992 – 30.09.1996 Die herandämmernde Kreisgebietsreform schi- zieren noch etliche Haustüren zwischen Renn- Lokalredaktion Zeulenroda- Auflage: 6.000 (nach Verlagsangaben) en den Suhler Strategen in die Hände zu spie- steig, Schwarza und Saale. Triebes Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, Saalfeld len: Die Vereinigung der Altkreise Saalfeld und Chefredaktion: Gerd Schwinger Rudolstadt mit dem nördlichen Teil des seit 2009 Verlag: Suhler Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Suhl Neuhäuser Kreises bedeutete aus Verlegersicht Mantelredaktion OTZ, Partner: Freies Wort, Suhl die Fusion zwischen Neuland und angestamm- Löbichau

22 23 Von der Überholspur geholt

„Neue Saale-Zeitung“ wurde mitten im Wachstum stillgelegt

Die längste Nacht der „Neuen Saale-Zeitung” ten Hochburgen um Gräfenthal und Ober- (NSZ) endete im Morgengrauen. weißbach, wo das „Freie Wort“ eh in vier von fünf Briefkästen steckte. Nun galt es nur noch Am 13. Juni 1994 schickten gegen 2.20 Uhr die die Ebene am Saalebogen zu erobern. Redakteure die letzten Zahlen und Texte zur Landrats- und Bürgermeisterwahl im künfti- Dafür wurde nicht gekleckert, sondern ge- gen Großkreis an Saale und Schwarza auf die klotzt. Gestartet in Altbau-Wohnungen, durf- Reise gen Suhl. Von dort kamen sie als viersei- ten die Redaktionen alsbald in 1-A-Lagen um- tiges Wahl-Extrablatt zurück – und überholten, ziehen, wurden als erste im Gesamtkonzern da per Hand auf Straßen und Plätzen verteilt, mit Apple-Computern samt dem besten – und in einigen Orten sogar die reguläre Montags- teuersten – Redaktionssystem bestückt und ausgabe der NSZ. konnten als erste in Thüringen ganze Seiten Jens Voigt zum Druck senden. An diesem Tag war „die Grüne“, wie die Zei- 1981 - 1982 tung ob ihrer damals einzigen Zusatzfarbe bei Bis zu zehn Lokalseiten täglich entsprangen Volontariat etlichen Lesern hieß, wieder einmal schneller dem Wirken von zwölf (!) Redakteuren und bis „Volkswacht“, Gera gewesen als die großmächtige Konkurrenz der zu sechs Volontären, ein „Projektleiter“ küm- „Ostthüringer Zeitung“ (OTZ). merte sich einzig ums Laufen des Ladens sowie 1982 - 1986 immer neue Aktionen zur Abonnenten-Gewin- Studium der Journalistik, Schneller und, wenn irgend möglich, besser nung bis hin zu 500 „Soli-Abos“ für streiken- Karl-Marx-Universität Leipzig sein als der „Platzhirsch“ OTZ, das war ein zen- de Schokoladenwerker in Saalfeld, von denen trales Momentum der Redaktionsarbeit. Mit leider kein Zehntel nach Beendigung des Halb- 1986 - 1987 nicht immer gesundem Verhältnis zwischen jahres-Geschenks selbiges bezahlen mochte. Redakteur Aufwand und Ergebnis. Und das, obwohl die NSZ nicht einmal die Hälf- Nachrichten/ Außenpolitik bei te des OTZ-Abos kostete. „Volkswacht“ Am 1. Oktober 1992 war die NSZ in den dama- ligen Landkreisen Saalfeld und Rudolstadt ge- Mit dem Bonus des neuen Blattes gewann die 1987 - 1989 startet. Das Kopfblatt des „Freien Wortes“ Zeitung Zuneigung bei denen, die aus welchen Redakteur (Suhl) folgte auf mehr oder minder klägliche Gründen auch immer den „Platzhirsch“ nicht Betriebszeitung „das echo“ Versuche bayerischer Zeitungen, mit Thüringer mochten. Was nicht nur manche exklusive des Graphischen Großbetriebs Ablegern Honig aus der erhofften Massenab- Story zur Folge hatte, sondern zuweilen uner- Pößneck wendung der Bürger von den Regionalzeitun- füllbare Erwartungen, was Zeitung an Vergan- gen mit DDR- und SED-Ruch zu saugen. genheitsaufarbeitung seriös leisten kann. 1990 - 1993 Ressortleiter Doch sowohl die „Neue Presse“ (Coburg) wie Die fast märchenhafte Personalstärke aber Nachrichten/ Außenpolitik der auch der „Fränkische Tag“ (Bamberg) scheiter- verhalf zu manchem Vorsprung zur Konkur- „Ostthüringer Zeitung“ Gera ten alsbald am Spagat, fränkisch-westliche renz: NSZ-Redakteure konnten so ziemlich je- Mantelseiten mit Ostthüringer Lokalstoff zu den Termin besetzen – und häufig länger 1993 verbinden. zuhören. Um die Nase vorn zu haben, war fast freiberuflicher Journalist alles möglich. Bis hin zur eigenen Hilfsaktion Was blieb, waren die Mitarbeiter – aus der Bür- für Waisenkinder in Ruanda samt Reportage 1993 - 1996 gerbewegung und kirchlicher Opposition von dort, der Begleitung von Saalfeldern bei Redaktionsleiter stammende Journalismus-Neulinge, denen das der Rallye Paris-Dakar oder dem Mit-Stram- „Neue Saale-Zeitung“, Saalfeld „Freie Wort“ ein paar Profis, auch aus Franken, peln auf den letzten Etappen der Weltumrad- an die Seite stellte sowie einen vollständig in ler Brümmer und Glöckner. 1996 - 1997 und für Thüringen gefertigten Mantelteil, der Redakteur für die NSZ eigens auf Ostthüringer Befindlich- Stück um Stück wuchs die Abonnentenzahl. Im „Freies Wort“, keit umgestrickt wurde. Sommer 1996 hatte die NSZ im neuen Groß- Lokalredaktionen Ilmenau, kreis einen Marktanteil von fast 25 Prozent – Arnstadt Es waren die Zeiten, da die Thüringer Regio- nach bisherigen (West-)Maßstäben eigentlich nalzeitungen, frisch hochgerüstet von ihren je- ein sicheres Fundament, um nun ruhig in die 1997 - 2000 weiligen West-Müttern, auf Expansion über Konsolidierung zu gehen und das Defizit – an- freiberuflicher Journalist, die alten Bezirksgrenzen hinaus setzten. geblich bis zu einer Million Mark pro Jahr – ab- Gesellschafter und zubauen. Geschäftsführer des Schwarm Das „Freie Wort“ marschierte gen Saalfeld, Ru- Verlags Saalfeld dolstadt und Arnstadt, das Schwesterblatt Doch das „Friedensabkommen“ zwischen „Vogtland-Anzeiger“ lugte gen Greiz, Schleiz WAZ-Gruppe und Süddeutschem Verlag ließ 2000 - 2008 und Lobenstein. Die „Thüringer Allgemeine“ alle Träume platzen: Zum 1. Oktober 1996, Reporter „Freies Wort“, konterte mit Invasion in Ilmenau und Brücken- ihrem vierten Geburtstag, stellte die „Neue Suhl, Thüringenredaktion kopf-Journalismus in Suhl, während die OTZ es Saale-Zeitung“ ihr Erscheinen ein. bei zögernden Ausflügen in den Landkreis 2008 - 2009 Neuhaus beließ. Nur die grünen Zeitungsröhren, die an jenem Redakteur 13. Juni 1994 gleich zweimal befüllt wurden, „Ostthüringer Zeitung“, Erscheinungszeitraum: 01.10.1992 – 30.09.1996 Die herandämmernde Kreisgebietsreform schi- zieren noch etliche Haustüren zwischen Renn- Lokalredaktion Zeulenroda- Auflage: 6.000 (nach Verlagsangaben) en den Suhler Strategen in die Hände zu spie- steig, Schwarza und Saale. Triebes Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, Saalfeld len: Die Vereinigung der Altkreise Saalfeld und Chefredaktion: Gerd Schwinger Rudolstadt mit dem nördlichen Teil des seit 2009 Verlag: Suhler Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Suhl Neuhäuser Kreises bedeutete aus Verlegersicht Mantelredaktion OTZ, Partner: Freies Wort, Suhl die Fusion zwischen Neuland und angestamm- Löbichau

22 23 „Ihr wisst es am Besten!“

Traum von grenzenloser Freiheit, Vertrauen und guter Bezahlung

Es war ein Samstagabend im Jahr 1992 – ziem- Ausgaben der beiden West-Zeitungen reißen lich spät schon; Diskozeit. und die Abo-Bestellungen stapelweise ins Haus flattern. Ich – damals 20 Jahre alt und Volontär beim „Bad Lauterberger/Nordhäuser Tageblatt“ – Die Entlassungen grassieren wie die Schwind- gehe vor die Kneipentür, eine rauchen. Über sucht, die Menschen haben längst kein Geld mir der Himmel – allerdings glutrot. Ich ahne mehr für die vergleichsweise teuren Tageszei- die Ursache: Irgendwas Großes steht in der tungen aus Niedersachsen. Stadt in Flammen. Hinzu kommt: Die TA - inzwischen steht hin- Die Fortsetzung des Diskobesuchs ist damit ab- ter ihr der WAZ-Konzern – geht mit lächerli- gehakt, es geht im Sturmschritt zum Auto, auf chen Dumpingpreisen an den Markt, will uns dem Weg dahin höre ich schon die Sirenen der in die Knie zwingen, mit Preisen, mit denen Feuerwehrautos, ich hänge mich dran. Und unsere vergleichsweise kleinen Verlage nie richtig: Das Feuer hat´s in sich: Eine große mithalten können. Tischlerei steht in Flammen. Da hilft es wenig, dass wir tagesaktuell sind, Auch einen anderen hatte zu nachtschlafender dass wir oft den doppelten Umfang an Seiten Zeit der Jagdinstinkt ins Auto und auf die haben, dass meine Kollegen und ich uns nach Straße getrieben: Hans-Peter, den Fotografen 12 Stunden Redaktionsarbeit in Nordhausen, unseres Konkurrenzblattes. nach weiterer knapp 45 Minuten Fahrzeit in der Druckerei in Niedersachsen noch einmal Wie unsere Zeitung, das „Bad Lauterberger/ vier bis fünf Stunden die Beine am Klebetisch Nordhäuser Tageblatt“, hat auch Hans-Peters in den Bauch stehen beim Umbruch, damit die Arbeitgeber das Stammhaus im nur wenige Ki- Leser am nächsten Tag ein aktuelles „Tage- lometer entfernten Niedersachsen. Auch Hans- blatt“ auf dem Tisch haben. Peters Verlag hatte nur wenige Tage nach dem 9. November ´89 den Sprung über die Grenze Und eine weitere Viertelstunde geht jeden Tag nach Nordhausen gewagt, baut schnell eine drauf, wenn wir bei den Westkollegen in Fo- Redaktions- und Verlagsdependance auf, bil- toabteilung, Satz und Druckerei immer wieder det Volontäre aus und stellt Redakteure an, um „Gnade“ betteln müssen, doch wieder mal die zum Großteil auch in Nordhausen rekru- bitte länger zu bleiben. Wir wissen: Hinter vor- tiert werden. Wir waren also Ossis, die für Os- gehaltener Hand schimpfen viele über uns sis Zeitung machten! „Ossis“, wegen denen sie nun ein paar Stun- den mehr in der Firma bleiben müssen. Am Brandort ist inzwischen mehr als eine Stunde vergangen, die Feuerwehr hat die Doch die Leser, sie werden eben immer weni- Flammen im Griff, wenig mehr als eine hohläu- ger. Auf den Kündigungszetteln lesen wir, gige Ruine wird vom Werkstatttrakt trotzdem warum die Menschen abbestellen: Natürlich – nicht bleiben – das Feuer hat alles aufgefres- wegen des Preises zum einen, zum anderen – sen. Wir haben das fotografiert - die Bilder und überraschend für uns: Sie vermissen die sind im Kasten, die Informationen im Block, Todesanzeigen. Hans-Peter und ich rauchen noch eine Zigaret- te, es war schon ziemlich anstrengend – auch Neben dem Preis ist dies ein zweiter entschei- für uns. Der Abend ist gelaufen, der morgige dender struktureller Nachteil, der in der Macht Patrick Grabe Tag auch, denn dann muss Zeitung gemacht der Gewohnheit gründet: Knapp vierzig Jah- werden, die Montagsausgabe. re wurden Todesanzeigen zwecks fehlender 1990 - 1992 Alternativen im „Volk“ aufgegeben, und nun Volontär und Redakteur Eigentlich müssten wir ja hier zu dritt stehen, eben in der TA. Da nützt es nichts, dass unser „Nordhäuser Tageblatt“ meint Hans-Peter. Er hat Recht, denn es gibt Verlag gerade bei diesen Anzeigen Top-Preise drei Lokalzeitungen in Nordhausen. Doch der bietet – die Menschen gehen auf Nummer 1993 - 1995 Vertreter des „Platzhirsches“ – der TA – fehlt, Sicher, und geben ihre Annoncen an gewohn- Aufenthalt in Israel (Kibbutz) wie so oft bei Nachteinsätzen. Hans-Peter und ter Stelle auf, denn möglichst viele sollen wis- und den palästinensischen ich wissen: Die TA wird erst morgen kommen, sen, wenn Vater, Mutter, Oma oder Opa ge- Autonomiegebieten; nahe die ausgebrannten Ruinen fotografieren und storben sind. Bethlehem, an der Schule „Ta- die Informationen im Nachhinein zusammen- litha Kumi“ u. a. als Deutsch- telefonieren. „Eigentlich sind wir schön blöd, Wir Redakteure können da nur hilflos zu se- Lehrer tätig uns hier die Nacht um die Ohren zu schlagen.“ hen, doch es motiviert zumindest ein bis- Hans-Peter nickt. schen, dass der Großteil unserer Ex-Abonnen- 1995 - 2001 ten Qualität und Umfang des “Nordhäuser Studium Politikwissenschaften Denn wir beide wissen: Aktualität und Aut- Tageblattes“ lobt – wenn es auch im Kündi- und Deutsch als Fremdspra- hentizität der Berichte sind nicht das ent- gungsschreiben ist. che/Auslandsgermanistik, scheidende Kriterium bei den Nordhäuser Le- Friedrich-Schiller-Universität Erscheinungszeitraum: 19.02.1990 - 31.12.1992 sern – nicht mehr. Unsere Abo-Zahlen sacken Doch das Ende naht: Am 31. Dezember 1992 Jena, Abschluss als Magister Auflage: 4.774 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) ab. erscheint nach fast genau drei Jahren die letz- Artium Verbreitungsgebiet: Nordhausen te Ausgabe des „Nordhäuser Tageblatts“. Chefredaktion: Hans-Albrecht Kühne Inzwischen sind knapp zwei Jahre seit der seit 2001 Verlag: Verlag Kohlmann, Bad Lauterberg Wende vergangen. Längst vorbei die Zeiten, Wenige Jahre später schließt auch die andere Pressesprecher Partner: Bad Lauterberger Tageblatt als sich die Nordhäuser um die Nordhäuser niedersächsische Zeitung ihre Türen in Nord- Stadt Nordhausen

24 25 „Ihr wisst es am Besten!“

Traum von grenzenloser Freiheit, Vertrauen und guter Bezahlung

Es war ein Samstagabend im Jahr 1992 – ziem- Ausgaben der beiden West-Zeitungen reißen lich spät schon; Diskozeit. und die Abo-Bestellungen stapelweise ins Haus flattern. Ich – damals 20 Jahre alt und Volontär beim „Bad Lauterberger/Nordhäuser Tageblatt“ – Die Entlassungen grassieren wie die Schwind- gehe vor die Kneipentür, eine rauchen. Über sucht, die Menschen haben längst kein Geld mir der Himmel – allerdings glutrot. Ich ahne mehr für die vergleichsweise teuren Tageszei- die Ursache: Irgendwas Großes steht in der tungen aus Niedersachsen. Stadt in Flammen. Hinzu kommt: Die TA - inzwischen steht hin- Die Fortsetzung des Diskobesuchs ist damit ab- ter ihr der WAZ-Konzern – geht mit lächerli- gehakt, es geht im Sturmschritt zum Auto, auf chen Dumpingpreisen an den Markt, will uns dem Weg dahin höre ich schon die Sirenen der in die Knie zwingen, mit Preisen, mit denen Feuerwehrautos, ich hänge mich dran. Und unsere vergleichsweise kleinen Verlage nie richtig: Das Feuer hat´s in sich: Eine große mithalten können. Tischlerei steht in Flammen. Da hilft es wenig, dass wir tagesaktuell sind, Auch einen anderen hatte zu nachtschlafender dass wir oft den doppelten Umfang an Seiten Zeit der Jagdinstinkt ins Auto und auf die haben, dass meine Kollegen und ich uns nach Straße getrieben: Hans-Peter, den Fotografen 12 Stunden Redaktionsarbeit in Nordhausen, unseres Konkurrenzblattes. nach weiterer knapp 45 Minuten Fahrzeit in der Druckerei in Niedersachsen noch einmal Wie unsere Zeitung, das „Bad Lauterberger/ vier bis fünf Stunden die Beine am Klebetisch Nordhäuser Tageblatt“, hat auch Hans-Peters in den Bauch stehen beim Umbruch, damit die Arbeitgeber das Stammhaus im nur wenige Ki- Leser am nächsten Tag ein aktuelles „Tage- lometer entfernten Niedersachsen. Auch Hans- blatt“ auf dem Tisch haben. Peters Verlag hatte nur wenige Tage nach dem 9. November ´89 den Sprung über die Grenze Und eine weitere Viertelstunde geht jeden Tag nach Nordhausen gewagt, baut schnell eine drauf, wenn wir bei den Westkollegen in Fo- Redaktions- und Verlagsdependance auf, bil- toabteilung, Satz und Druckerei immer wieder det Volontäre aus und stellt Redakteure an, um „Gnade“ betteln müssen, doch wieder mal die zum Großteil auch in Nordhausen rekru- bitte länger zu bleiben. Wir wissen: Hinter vor- tiert werden. Wir waren also Ossis, die für Os- gehaltener Hand schimpfen viele über uns sis Zeitung machten! „Ossis“, wegen denen sie nun ein paar Stun- den mehr in der Firma bleiben müssen. Am Brandort ist inzwischen mehr als eine Stunde vergangen, die Feuerwehr hat die Doch die Leser, sie werden eben immer weni- Flammen im Griff, wenig mehr als eine hohläu- ger. Auf den Kündigungszetteln lesen wir, gige Ruine wird vom Werkstatttrakt trotzdem warum die Menschen abbestellen: Natürlich – nicht bleiben – das Feuer hat alles aufgefres- wegen des Preises zum einen, zum anderen – sen. Wir haben das fotografiert - die Bilder und überraschend für uns: Sie vermissen die sind im Kasten, die Informationen im Block, Todesanzeigen. Hans-Peter und ich rauchen noch eine Zigaret- te, es war schon ziemlich anstrengend – auch Neben dem Preis ist dies ein zweiter entschei- für uns. Der Abend ist gelaufen, der morgige dender struktureller Nachteil, der in der Macht Patrick Grabe Tag auch, denn dann muss Zeitung gemacht der Gewohnheit gründet: Knapp vierzig Jah- werden, die Montagsausgabe. re wurden Todesanzeigen zwecks fehlender 1990 - 1992 Alternativen im „Volk“ aufgegeben, und nun Volontär und Redakteur Eigentlich müssten wir ja hier zu dritt stehen, eben in der TA. Da nützt es nichts, dass unser „Nordhäuser Tageblatt“ meint Hans-Peter. Er hat Recht, denn es gibt Verlag gerade bei diesen Anzeigen Top-Preise drei Lokalzeitungen in Nordhausen. Doch der bietet – die Menschen gehen auf Nummer 1993 - 1995 Vertreter des „Platzhirsches“ – der TA – fehlt, Sicher, und geben ihre Annoncen an gewohn- Aufenthalt in Israel (Kibbutz) wie so oft bei Nachteinsätzen. Hans-Peter und ter Stelle auf, denn möglichst viele sollen wis- und den palästinensischen ich wissen: Die TA wird erst morgen kommen, sen, wenn Vater, Mutter, Oma oder Opa ge- Autonomiegebieten; nahe die ausgebrannten Ruinen fotografieren und storben sind. Bethlehem, an der Schule „Ta- die Informationen im Nachhinein zusammen- litha Kumi“ u. a. als Deutsch- telefonieren. „Eigentlich sind wir schön blöd, Wir Redakteure können da nur hilflos zu se- Lehrer tätig uns hier die Nacht um die Ohren zu schlagen.“ hen, doch es motiviert zumindest ein bis- Hans-Peter nickt. schen, dass der Großteil unserer Ex-Abonnen- 1995 - 2001 ten Qualität und Umfang des “Nordhäuser Studium Politikwissenschaften Denn wir beide wissen: Aktualität und Aut- Tageblattes“ lobt – wenn es auch im Kündi- und Deutsch als Fremdspra- hentizität der Berichte sind nicht das ent- gungsschreiben ist. che/Auslandsgermanistik, scheidende Kriterium bei den Nordhäuser Le- Friedrich-Schiller-Universität Erscheinungszeitraum: 19.02.1990 - 31.12.1992 sern – nicht mehr. Unsere Abo-Zahlen sacken Doch das Ende naht: Am 31. Dezember 1992 Jena, Abschluss als Magister Auflage: 4.774 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) ab. erscheint nach fast genau drei Jahren die letz- Artium Verbreitungsgebiet: Nordhausen te Ausgabe des „Nordhäuser Tageblatts“. Chefredaktion: Hans-Albrecht Kühne Inzwischen sind knapp zwei Jahre seit der seit 2001 Verlag: Verlag Kohlmann, Bad Lauterberg Wende vergangen. Längst vorbei die Zeiten, Wenige Jahre später schließt auch die andere Pressesprecher Partner: Bad Lauterberger Tageblatt als sich die Nordhäuser um die Nordhäuser niedersächsische Zeitung ihre Türen in Nord- Stadt Nordhausen

24 25 hausen. Ab diesem Zeitpunkt ist alles wieder ser Chefs: Zu DDR-Zeiten musste er bei der beim Alten: Mit der „Thüringer Allgemeinen“ „Leipziger Volkszeitung” aus politischen Grün- hat Nordhausen wieder eine Tageszeitung – den seine Sachen packen, hatte fortan als nur noch eine. Briefträger gearbeitet, bis er beim „Tageblatt“ den Einstieg in seinen alten Beruf hatte. Trotz des bitteren Endes: Das Volontariat beim „Tageblatt“ – es war eine Bombenzeit – gera- Uns Volontäre hat er im guten Sinne geknech- de für mich als jungen Heißsporn. tet, unsere Texte oft genug ver- und zerrissen, solange, bis sie journalistisch in Ordnung wa- Aus vielen Gründen: ren, uns beschimpft, wenn wir wieder „vom Zum einen hatte unser Verleger für uns Vo- Schlendern durch die Stadt ohne Geschichte lontäre penibel auf die Einhaltung des Vo- zurückgekommen“ waren. lontärs-Tarifvertrages geachtet und uns damit Und auch in einer journalistischen Sichtweise eine fundierte Ausbildung gesichert. Wir konn- gebe ich ihm bis heute recht, nämlich jene auf ten, wie im Vertrag festgehalten, sowohl unse- die Bedürfnisse der ostdeutschen Leser: „Die re theoretische Ausbildung an der „Akademie wollen nicht das blöde ‘sei’ und ‘habe’ der für Publizistik“ in Hamburg absolvieren; auch übervorsichtigen und immer auch Objekti- der Ausbildungsteil in den überregionalen vität bedachten Berichterstattung. Dieser Kon- Ressorts war abgesichert durch den Einsatz bei junktiv ist ihnen fremd und mir auch – nicht der „Braunschweiger Zeitung“. nur, weil es sich beschissen liest. Die Leute wol- len Meinung und Bewertung lesen, wollen Zum anderen: vom Redakteur wissen, wie ist der Kerl, der Po- Unser Verleger hatte auf eine faire Bezahlung litiker, über den die Zeitung schreibt, ist er in Wert gelegt: Sowohl Redakteure als auch Vo- Ordnung oder nicht, hat er Recht oder nicht – lontäre wurden nach Tarif bezahlt, wohlge- auch außerhalb des Kommentars. Und das merkt Tarif-West, obwohl wir sämtlich aus wird ihnen heute nicht geliefert. Leider.“ dem Osten kamen. Längst nicht üblich in jenen Zeiten. Ja, oft habe ich ob der Arbeitsflut geflucht und geschimpft, mit Neid auf die Kollegen bei der Zum Dritten: TA geschaut, die ihre Texte längst per Daten- Wir haben eine unheimliche Freiheit genossen fernübertragung nach Erfurt gekabelt hatten, – dank des Vertrauensvorschusses durch die wenn wir mit dem Auto die Disketten noch hin Verlagsleitung. „Ihr kommt von drüben, ihr und her kutschierten. Doch im Prinzip war ich wisst es am besten“, war eine Devise des Ver- süchtig nach dem „Tageblatt“, war stolz, wenn legers, der uns sowohl bei Themenauswahl, ich eine Geschichte aufgegabelt hatte, die un- -bewertung und Publizierung, und auch bei sere Konkurrenten nicht hatten oder wenn der Kommentierung kaum Grenzen setzte. Da- mal einer sagte: „Habt Ihr gut gemacht!“. bei bin ich – sind wir – oft auf den Mund ge- fallen, waren aber eben um eine Erfahrung Zu den Kollegen der TA pflege ich inzwischen reicher. ein kollegiales, zum Teil auch freundschaftli- ches Verhältnis. Warum auch nicht. Auch sie Zum Vierten: wollten das Überleben ihrer Zeitung in turbu- Ich lernte „Zeitungsmachen“ von der Pike auf lenten Zeiten sichern, hatten damals einfach kennen – bedingt durch die Kleinheit des Ver- bessere strukturelle Bedingungen. lages, der eben nur ein Familienunternehmen war. Und das hieß für uns: Selbst fotografieren, Traurig bin ich allerdings darüber, wenn gera- manchmal auch selbst Bilder entwickeln, das de jetzt in den aktuellen Retrospektiven zu 20 hieß Umgang mit der Belichtungsmaschine Jahren Wende und der damaligen Zeitungs- und dem Satz-Computer (ein DTP-Programm landschaft von einigen Kollegen in diversen war aus Kostengründen ausgeschlossen), das Schriftwerken behauptet wird, das „Tage- hieß beim Klebeumbruch das Einmaleins der blatt“ und die anderen „Westzeitungen“ sei- Seitengestaltung mit allen Tricks lernen, und en deshalb im Osten untergegangen, weil das bedeutete hin und wieder auch mal: Zei- Westredakteure die Regie geführt und am ost- tungen austragen, wenn der Zusteller ver- deutschen Leser vorbei geschrieben hätten. pennt hatte. Und es hieß vor allem: Unter ho- hem Zeit- und Konkurrenzdruck arbeiten und Jenen, die dies schreiben, weil sie es nicht bes- trotzdem Qualität abliefern. Diese damals er- ser wissen, werfe ich schlampige Recherche worbenen Fähigkeiten sind mir in meinem vor; jene, die es schreiben und sehr wohl die weiteren Berufsleben, als auch beim Studium Wahrheit kannten, bitte ich um moralische zunutze gewesen. Größe angesichts des damaligen Sieges und nicht um bewusste Legendenbildung im eige- Es war zudem eine Zeit, die mich geprägt hat nen Interesse. – vor allem durch die Person unseres Nordhäu-

26 27 hausen. Ab diesem Zeitpunkt ist alles wieder ser Chefs: Zu DDR-Zeiten musste er bei der beim Alten: Mit der „Thüringer Allgemeinen“ „Leipziger Volkszeitung” aus politischen Grün- hat Nordhausen wieder eine Tageszeitung – den seine Sachen packen, hatte fortan als nur noch eine. Briefträger gearbeitet, bis er beim „Tageblatt“ den Einstieg in seinen alten Beruf hatte. Trotz des bitteren Endes: Das Volontariat beim „Tageblatt“ – es war eine Bombenzeit – gera- Uns Volontäre hat er im guten Sinne geknech- de für mich als jungen Heißsporn. tet, unsere Texte oft genug ver- und zerrissen, solange, bis sie journalistisch in Ordnung wa- Aus vielen Gründen: ren, uns beschimpft, wenn wir wieder „vom Zum einen hatte unser Verleger für uns Vo- Schlendern durch die Stadt ohne Geschichte lontäre penibel auf die Einhaltung des Vo- zurückgekommen“ waren. lontärs-Tarifvertrages geachtet und uns damit Und auch in einer journalistischen Sichtweise eine fundierte Ausbildung gesichert. Wir konn- gebe ich ihm bis heute recht, nämlich jene auf ten, wie im Vertrag festgehalten, sowohl unse- die Bedürfnisse der ostdeutschen Leser: „Die re theoretische Ausbildung an der „Akademie wollen nicht das blöde ‘sei’ und ‘habe’ der für Publizistik“ in Hamburg absolvieren; auch übervorsichtigen und immer auch Objekti- der Ausbildungsteil in den überregionalen vität bedachten Berichterstattung. Dieser Kon- Ressorts war abgesichert durch den Einsatz bei junktiv ist ihnen fremd und mir auch – nicht der „Braunschweiger Zeitung“. nur, weil es sich beschissen liest. Die Leute wol- len Meinung und Bewertung lesen, wollen Zum anderen: vom Redakteur wissen, wie ist der Kerl, der Po- Unser Verleger hatte auf eine faire Bezahlung litiker, über den die Zeitung schreibt, ist er in Wert gelegt: Sowohl Redakteure als auch Vo- Ordnung oder nicht, hat er Recht oder nicht – lontäre wurden nach Tarif bezahlt, wohlge- auch außerhalb des Kommentars. Und das merkt Tarif-West, obwohl wir sämtlich aus wird ihnen heute nicht geliefert. Leider.“ dem Osten kamen. Längst nicht üblich in jenen Zeiten. Ja, oft habe ich ob der Arbeitsflut geflucht und geschimpft, mit Neid auf die Kollegen bei der Zum Dritten: TA geschaut, die ihre Texte längst per Daten- Wir haben eine unheimliche Freiheit genossen fernübertragung nach Erfurt gekabelt hatten, – dank des Vertrauensvorschusses durch die wenn wir mit dem Auto die Disketten noch hin Verlagsleitung. „Ihr kommt von drüben, ihr und her kutschierten. Doch im Prinzip war ich wisst es am besten“, war eine Devise des Ver- süchtig nach dem „Tageblatt“, war stolz, wenn legers, der uns sowohl bei Themenauswahl, ich eine Geschichte aufgegabelt hatte, die un- -bewertung und Publizierung, und auch bei sere Konkurrenten nicht hatten oder wenn der Kommentierung kaum Grenzen setzte. Da- mal einer sagte: „Habt Ihr gut gemacht!“. bei bin ich – sind wir – oft auf den Mund ge- fallen, waren aber eben um eine Erfahrung Zu den Kollegen der TA pflege ich inzwischen reicher. ein kollegiales, zum Teil auch freundschaftli- ches Verhältnis. Warum auch nicht. Auch sie Zum Vierten: wollten das Überleben ihrer Zeitung in turbu- Ich lernte „Zeitungsmachen“ von der Pike auf lenten Zeiten sichern, hatten damals einfach kennen – bedingt durch die Kleinheit des Ver- bessere strukturelle Bedingungen. lages, der eben nur ein Familienunternehmen war. Und das hieß für uns: Selbst fotografieren, Traurig bin ich allerdings darüber, wenn gera- manchmal auch selbst Bilder entwickeln, das de jetzt in den aktuellen Retrospektiven zu 20 hieß Umgang mit der Belichtungsmaschine Jahren Wende und der damaligen Zeitungs- und dem Satz-Computer (ein DTP-Programm landschaft von einigen Kollegen in diversen war aus Kostengründen ausgeschlossen), das Schriftwerken behauptet wird, das „Tage- hieß beim Klebeumbruch das Einmaleins der blatt“ und die anderen „Westzeitungen“ sei- Seitengestaltung mit allen Tricks lernen, und en deshalb im Osten untergegangen, weil das bedeutete hin und wieder auch mal: Zei- Westredakteure die Regie geführt und am ost- tungen austragen, wenn der Zusteller ver- deutschen Leser vorbei geschrieben hätten. pennt hatte. Und es hieß vor allem: Unter ho- hem Zeit- und Konkurrenzdruck arbeiten und Jenen, die dies schreiben, weil sie es nicht bes- trotzdem Qualität abliefern. Diese damals er- ser wissen, werfe ich schlampige Recherche worbenen Fähigkeiten sind mir in meinem vor; jene, die es schreiben und sehr wohl die weiteren Berufsleben, als auch beim Studium Wahrheit kannten, bitte ich um moralische zunutze gewesen. Größe angesichts des damaligen Sieges und nicht um bewusste Legendenbildung im eige- Es war zudem eine Zeit, die mich geprägt hat nen Interesse. – vor allem durch die Person unseres Nordhäu-

26 27 Wir waren ein Teil davon

Die etwas andere Zeitungslandschaft im Landkreis Nordhausen

Der Blick auf den Terminkalender zeigt es: ein Und da war noch was anderes. Wer wie ich, im ganz normaler Mittwoch. An diesem 16. Sep- Lokaljournalismus groß geworden, immer auf tember 1992 stehen zwei Termine an auf dem die letzte Seite verbannt wurde, der konnte Redaktionskalender: Im künftigen Gewerbege- nun die Titelseite einer Zeitung gestalten. Das biet an der Helme sollen mehrere Spaten in die war wunderschön, zugleich aber auch hohe Erde gerammt werden und um 17 Uhr tagt der Verantwortung. Kultur- und Schulausschuss des Nordhäuser Stadtrates. „Super“, denke ich, „das wird ja Als ich Mitte 1992 die Leitung der Nordhäuser wieder ein voller Tag!“ Redaktion übernahm, wurde mir nach einigen Monaten klar: Auf ewig wird es keine drei Zei- Eigentlich ist dieser Mittwoch ein ganz norma- tungen im Landkreis Nordhausen geben. ler Tag in einer doch nicht ganz so normalen Zeit. Das „Tageblatt“ stellte Ende 1992 seine Arbeit ein. Immer mehr Leser bestellten auch die Seit Mai 1992 war ich Redaktionsleiter einer Lo- „Nordhäuser Zeitung“ ab. kalzeitung in Nordhausen. Ich wollte wissen, warum: Die Antworten wa- Die Kollegen der „Nordhäuser Zeitung“, einem ren simpel, dafür knallhart: Die „Nordhäuser Ableger des „Harz Kurier” aus dem benachbar- Zeitung“ kostete im Abo 16,90 DM, die TA un- ten Landkreis Osterode am Harz in Niedersach- ter 10 DM. Dazwischen lagen Welten, dazwi- sen, kenne ich. schen lagen ständig steigende Arbeitslosen- quoten. Wir hatten immer montags miteinander zu tun, als die Anzeigenblätter des Verlages, die Gegen die Form des Wettbewerbs halfen kei- in Sachsen-Anhalt herausgegeben wurden, ne 12- bis 14-Stunden-Tage, kein aktueller Be- umbrochen werden mussten. Jetzt bin ich de- richt über Ausschusssitzungen am späten Nach- ren Chef: Zwei Volontäre, eine Sechs-Stunden- mittag, keine fünf bis sechs Lokalseiten jeden Redakteurin, ein Fotograf, mehrere freie Mit- Tag. Frustrierender jedoch war die Tatsache, arbeiter. dass vielen Menschen die Qualität einer Zei- tung auch nach der Quantität der Todesanzei- Allein diese Zusammenstellung war recht aben- gen beurteilten. Wir hielten trotzdem. teuerlich, denn – wir kommen zurück zu dieser anormalen Zeit – im Landkreis Nordhausen gab Ich hatte Ende Februar 1995 die Redaktion ver- es drei Zeitungen: Das zur TA mutierte „Volk“, lassen, wollte noch einmal ein neues Wagnis das „Nordhäuser Tageblatt“, die „Nordhäuser eingehen – Rundfunk. Als Leiter des neu ge- Zeitung“. gründeten Nordthüringer Studios der Landes- welle Thüringen musste ich konstatieren, dass Daraus abgeleitet der Druck. Der Druck, besser am 31. Januar 1996 die letzte Ausgabe der zu sein als die anderen. „Nordhäuser Zeitung“ erschien. Peter-Stefan Greiner Und: Wir waren besser, auch weil die „Nord- Die Zeitung mit den meisten Todesanzeigen häuser Zeitung“ schon die „moderne Technik“ war übrig geblieben. 1976 - 1977 nutzen konnte. Der Kurier mit den auf Disket- Medizinstudium ten gespeicherten Texten und den bereits ent- Wer mitunter von der Ironie der Geschichte re- wickelten Schwarz-Weiß-Fotos fuhr mitunter det, der hat nicht immer Unrecht. Der „Harz 1978 - 1984 erst nach 18 Uhr nach Herzberg zur Druckerei. Kurier“, die Mutter der „Nordhäuser Zeitung“, Arbeit in einem Braunkohlen- ist inzwischen an die „Braunschweiger Zei- werk Zurück zum Mittwoch, den 16. September tung“ verkauft worden. Die wiederum gehört 1992: Der begann wie jeder andere Arbeitstag, – wie die TA – zur WAZ-Mediengruppe. 1984 - 1985 mit den ersten Zigaretten, die Fotograf Hans- Redakteur Betriebszeitung Peter Wolff und ich „verarbeiteten“ und der In den Jahren nach 1996 haben sich die einsti- eigenen Blattkritik. 30 Minuten später der An- gen Macher der „Nordhäuser Zeitung” immer 1986 - 1990 ruf von „Harz Kurier“-Chefredakteur Adolf wieder getroffen, einige von ihnen arbeiten Lokalredaktion der „Freiheit“ Bischof aus Herzberg. Natürlich die obligatori- noch in der „Zunft“. schen Frage: „Warum, Herr Greiner, haben 1991 - 1995 wir das nicht?“ Und immer wieder blickten wir zurück auf ei- Redakteur ne Zeit, die sowas von stressig war, die sowas Harzkurier-Verlag Herzberg Meist aber hatten wir alle wichtigen Themen von anstrengend war, die sowas von schön war. im Blatt. Mehr noch, wir waren dran an diesem 1995 - 2007 sogenannten Puls der Menschen. Wir wussten Und wir alle waren und sind immer noch voll- Redakteur wie sie ticken, wir waren von „hier“. Auch er Stolz auf das damals Geleistete. Wir berich- Landeswelle Thüringen wenn andere Publikationen – gerade zu 20 Jah- teten damals nicht nur über eine aufregende ren friedlicher Wende – immer mal gern was und spannende Zeit, die so niemals mehr wie- seit 2007 Erscheinungszeitraum: 02.01.1990 - 31.01.1996 anderes behaupten. derkehren wird. freier Journalist Auflage: 4.965 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Verbreitungsgebiet: Nordhausen In der Redaktion der „Nordhäuser Zeitung“ ar- Wir waren nicht nur dabei. seit 2000 Chefredaktion: Adolf Bischof beiteten Nordhäuser, ich war die Ausnahme, Herausgeber der Verlag: Verlag E. Jungfer GmbH & Co. KG, Herzberg war aber ein Ossi. Genauso war es im Vertrieb Wir waren ein Teil davon. Online-Zeitung „nnz- Partner: Harz Kurier, Herzberg und im Anzeigenbereich. online.de“

28 29 Wir waren ein Teil davon

Die etwas andere Zeitungslandschaft im Landkreis Nordhausen

Der Blick auf den Terminkalender zeigt es: ein Und da war noch was anderes. Wer wie ich, im ganz normaler Mittwoch. An diesem 16. Sep- Lokaljournalismus groß geworden, immer auf tember 1992 stehen zwei Termine an auf dem die letzte Seite verbannt wurde, der konnte Redaktionskalender: Im künftigen Gewerbege- nun die Titelseite einer Zeitung gestalten. Das biet an der Helme sollen mehrere Spaten in die war wunderschön, zugleich aber auch hohe Erde gerammt werden und um 17 Uhr tagt der Verantwortung. Kultur- und Schulausschuss des Nordhäuser Stadtrates. „Super“, denke ich, „das wird ja Als ich Mitte 1992 die Leitung der Nordhäuser wieder ein voller Tag!“ Redaktion übernahm, wurde mir nach einigen Monaten klar: Auf ewig wird es keine drei Zei- Eigentlich ist dieser Mittwoch ein ganz norma- tungen im Landkreis Nordhausen geben. ler Tag in einer doch nicht ganz so normalen Zeit. Das „Tageblatt“ stellte Ende 1992 seine Arbeit ein. Immer mehr Leser bestellten auch die Seit Mai 1992 war ich Redaktionsleiter einer Lo- „Nordhäuser Zeitung“ ab. kalzeitung in Nordhausen. Ich wollte wissen, warum: Die Antworten wa- Die Kollegen der „Nordhäuser Zeitung“, einem ren simpel, dafür knallhart: Die „Nordhäuser Ableger des „Harz Kurier” aus dem benachbar- Zeitung“ kostete im Abo 16,90 DM, die TA un- ten Landkreis Osterode am Harz in Niedersach- ter 10 DM. Dazwischen lagen Welten, dazwi- sen, kenne ich. schen lagen ständig steigende Arbeitslosen- quoten. Wir hatten immer montags miteinander zu tun, als die Anzeigenblätter des Verlages, die Gegen die Form des Wettbewerbs halfen kei- in Sachsen-Anhalt herausgegeben wurden, ne 12- bis 14-Stunden-Tage, kein aktueller Be- umbrochen werden mussten. Jetzt bin ich de- richt über Ausschusssitzungen am späten Nach- ren Chef: Zwei Volontäre, eine Sechs-Stunden- mittag, keine fünf bis sechs Lokalseiten jeden Redakteurin, ein Fotograf, mehrere freie Mit- Tag. Frustrierender jedoch war die Tatsache, arbeiter. dass vielen Menschen die Qualität einer Zei- tung auch nach der Quantität der Todesanzei- Allein diese Zusammenstellung war recht aben- gen beurteilten. Wir hielten trotzdem. teuerlich, denn – wir kommen zurück zu dieser anormalen Zeit – im Landkreis Nordhausen gab Ich hatte Ende Februar 1995 die Redaktion ver- es drei Zeitungen: Das zur TA mutierte „Volk“, lassen, wollte noch einmal ein neues Wagnis das „Nordhäuser Tageblatt“, die „Nordhäuser eingehen – Rundfunk. Als Leiter des neu ge- Zeitung“. gründeten Nordthüringer Studios der Landes- welle Thüringen musste ich konstatieren, dass Daraus abgeleitet der Druck. Der Druck, besser am 31. Januar 1996 die letzte Ausgabe der zu sein als die anderen. „Nordhäuser Zeitung“ erschien. Peter-Stefan Greiner Und: Wir waren besser, auch weil die „Nord- Die Zeitung mit den meisten Todesanzeigen häuser Zeitung“ schon die „moderne Technik“ war übrig geblieben. 1976 - 1977 nutzen konnte. Der Kurier mit den auf Disket- Medizinstudium ten gespeicherten Texten und den bereits ent- Wer mitunter von der Ironie der Geschichte re- wickelten Schwarz-Weiß-Fotos fuhr mitunter det, der hat nicht immer Unrecht. Der „Harz 1978 - 1984 erst nach 18 Uhr nach Herzberg zur Druckerei. Kurier“, die Mutter der „Nordhäuser Zeitung“, Arbeit in einem Braunkohlen- ist inzwischen an die „Braunschweiger Zei- werk Zurück zum Mittwoch, den 16. September tung“ verkauft worden. Die wiederum gehört 1992: Der begann wie jeder andere Arbeitstag, – wie die TA – zur WAZ-Mediengruppe. 1984 - 1985 mit den ersten Zigaretten, die Fotograf Hans- Redakteur Betriebszeitung Peter Wolff und ich „verarbeiteten“ und der In den Jahren nach 1996 haben sich die einsti- eigenen Blattkritik. 30 Minuten später der An- gen Macher der „Nordhäuser Zeitung” immer 1986 - 1990 ruf von „Harz Kurier“-Chefredakteur Adolf wieder getroffen, einige von ihnen arbeiten Lokalredaktion der „Freiheit“ Bischof aus Herzberg. Natürlich die obligatori- noch in der „Zunft“. schen Frage: „Warum, Herr Greiner, haben 1991 - 1995 wir das nicht?“ Und immer wieder blickten wir zurück auf ei- Redakteur ne Zeit, die sowas von stressig war, die sowas Harzkurier-Verlag Herzberg Meist aber hatten wir alle wichtigen Themen von anstrengend war, die sowas von schön war. im Blatt. Mehr noch, wir waren dran an diesem 1995 - 2007 sogenannten Puls der Menschen. Wir wussten Und wir alle waren und sind immer noch voll- Redakteur wie sie ticken, wir waren von „hier“. Auch er Stolz auf das damals Geleistete. Wir berich- Landeswelle Thüringen wenn andere Publikationen – gerade zu 20 Jah- teten damals nicht nur über eine aufregende ren friedlicher Wende – immer mal gern was und spannende Zeit, die so niemals mehr wie- seit 2007 Erscheinungszeitraum: 02.01.1990 - 31.01.1996 anderes behaupten. derkehren wird. freier Journalist Auflage: 4.965 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Verbreitungsgebiet: Nordhausen In der Redaktion der „Nordhäuser Zeitung“ ar- Wir waren nicht nur dabei. seit 2000 Chefredaktion: Adolf Bischof beiteten Nordhäuser, ich war die Ausnahme, Herausgeber der Verlag: Verlag E. Jungfer GmbH & Co. KG, Herzberg war aber ein Ossi. Genauso war es im Vertrieb Wir waren ein Teil davon. Online-Zeitung „nnz- Partner: Harz Kurier, Herzberg und im Anzeigenbereich. online.de“

28 29 Ein heißer Sommer bei der OTZ

Als in Ostthüringen die OTN-Leser über Nacht OTZ-Leser wurden

Einen heißen Sommer erlebten 1991 die Redak- Im heißen Sommer 1991 hatten wir davon kei- teure und Mitarbeiter der Jenaer Lokalredak- ne Ahnung. tion der „Ostthüringer Nachrichten“ OTN. Uns Redakteure und Mitarbeiter in der Lokal- Am 1. Juli 1991 sollte die neu gegründete Zei- radaktion Jena interessierten ganz andere tung OTZ im bisherigen Verbreitungsgebiet der Fragen. Wie würden die Leser auf die neue Zei- „Ostthüringer Nachrichten“ erstmals erschei- tung reagieren? Würden sie die OTZ akzeptie- nen. Vor den Redakteuren und Redakteurin- ren oder ihr Abo kündigen? nen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stand die schnelle Entscheidung, ihre Arbeits- Wir entschieden uns alle für die neue Zeitung verträge mit dem Verlag der „Ostthüringer und gerieten als neue Mitglieder der Journa- Nachrichten” zu kündigen, um dann in eine listengewerkschaft DJV erst einmal zwischen völlig neue Zeitung einzusteigen. Baum und Borke. Mit einiger Skepsis verfolg- ten wir deshalb auch Veröffentlichungen im Ein durchaus mutiger Schritt, waren doch alle „Journalist“, wie z. B. im August 1991 von erst rund 18 Monate zuvor von der „Volks- Autor Horst Röper. Darin geißelte er die Akti- wacht“ hoffnungsvoll in eine Zukunft aufge- vitäten der Essener Verlagsmanager als „Deal brochen, nachdem sich der Verlag, die Redak- zur Eroberung der Zeitungslandschaft in tion und die meisten der Redakteure und Thüringen“. Wir Journalisten und Mitarbeiter Mitarbeiter aus der Umklammerung des frühe- seien aus Angst um unsere Arbeitsplätze in die ren Herausgebers, der Sozialistischen Einheit- „Arme westdeutscher Großverlage getrieben spartei (SED), gelöst hatten. worden“.

Der Titelwechsel von der „Volkswacht“ zu den Tatsächlich ging 1991 große Angst um Arbeits- „Ostthüringer Nachrichten“ am 18. Januar plätze um. Allein die Jenaer Zeiss-Werke ent- 1990 war uns nicht zuletzt deshalb gelungen, ließen damals auf einen Schlag rund 15.000 weil uns die übergroße Mehrheit unserer Beschäftigte. Abonnenten und Leser die Treue hielten. Das hat unsere Entscheidungen sicher beein- Das Team in der Lokalredaktion Jena hatte und flusst. hat sich dafür mit einer fairen, wahrhaftigen und objektiven Berichterstattung in der turbu- Realität war aber auch, dass sich unter dem so- lenten Wendezeit revanchiert. Aber auch mit liden Dach der Essener und ihrer Zeitungsgrup- immer besserem Service, mit dem es gelang, pe Thüringen, die Tore in eine gute Zukunft für unseren Lesern Orientierung und Lebenshilfe uns weit geöffnet hatten. in der Zeit gravierender gesellschaftlicher Um- brüche zu geben. Die Redaktion sowie die Geschäftsstelle bezo- gen alsbald neue Räume in einem attraktiven Als ein unvergessliches Ereignis ist den meisten Neubau. Es rollten Computer an sowie weite- bis heute die Berichterstattung über den Wahl- re moderne Technik. kampf und die anschließende erste freie Wahl zu den Volksvertretungen in Jena, dem Land- Gleichzeitig vergrößerte sich der Umfang der kreis und der Volkskammer, der damals noch Zeitung, damit verbesserte sich ihr Erschei- Hans-Ulrich Fischer existierenden DDR in Erinnerung geblieben. nungsbild ganz allgemein und nicht zuletzt ge- wannen auch die Inhalte immer mehr an Qua- 1975 Bis in die Gegenwart haben uns Frauen und lität. Volontariat Männer, die damals politische Verantwortung „Volkswacht“ Gera übernahmen, das faire und objektive Engage- Dies alles war gepaart mit einer Aufbruchstim- ment ihrer Heimatzeitung nicht vergessen. mung der Redakteure und Mitarbeiter, von de- 1975 - 1980 nen nie einer auf die Uhr blickte. Nicht zuletzt Studium der Journalistik, Im Juli 1991 sollte eine neue Zeitung mit einem bot die WAZ 1991 den OTZ-Mitarbeitern nicht Karl-Marx-Universität Leipzig, neuen Titel an die Stelle der ehemaligen OTN nur faire Arbeitsverträge an, sie legte u. a. auch Abschluss als Dipl.-Journalist treten, herausgegeben von unserem bisherigen einen Plan vor, in welchen zeitlichen Schritten Partner, dem WAZ-Medienkonzern in Essen. tarifliches Westniveau auch bei Gehalt und 1980 Urlaub erreicht werden soll. Redakteur Hintergrund waren seinerzeit Auseinander- Nachrichtenagentur ADN setzungen mit der Treuhandanstalt in Berlin, Das ist noch weit vor der Jahrtausendwende die damals über den Verlag OTN verfügte. geschehen. 1983 Redakteur Diese Behörde hatte bekanntlich den Auftrag, Betroffen machten uns allerdings betriebsbe- Betriebszeitung bei Carl-Zeiss Erscheinungszeitraum: 15.08.1952 - 17.01.1990 Volkswacht auch die ehemals staats- bzw. parteieigenen dingte Kündigungen 1996. In Jena mussten Jena, 18.01.1990 - 29.06.1991 Ostthüringer Nachrichten Verlage im Osten Deutschlands zu privatisieren. eine Redakteurin und zwei Mitarbeiterinnen seit 01.07.1991 Ostthüringer Zeitung Im Gegensatz zu vielen Industriebetrieben wa- gehen. ab 1988 Auflage: 179.400 (Angaben Bundespresseamt III/92) ren die Zeitungsverlage kerngesunde Unter- Lokalredakteur Verbreitungsgebiet: Altenburg, Eisenberg, Gera,Greiz, Jena, Lobenstein, Pößneck, Rudolstadt, nehmen und entsprechend begehrt. „Volkswacht“, Saalfeld, Schleiz, Schmölln, Stadtroda, Zeulenroda Jena, danach für die otn/otz Chefredaktion: Ullrich Erzigkeit Was seinerzeit in dem Millionenspiel hinter den Verlag: WAZ-Investitions-Gesellschaft mbH & Co. Betriebs-KG, Gera Kulissen ablief, lässt sich aus heutiger Sicht seit 2009 Partner: WAZ-Mediengruppe ziemlich gut erklären. Altersteilzeit

30 31 Ein heißer Sommer bei der OTZ

Als in Ostthüringen die OTN-Leser über Nacht OTZ-Leser wurden

Einen heißen Sommer erlebten 1991 die Redak- Im heißen Sommer 1991 hatten wir davon kei- teure und Mitarbeiter der Jenaer Lokalredak- ne Ahnung. tion der „Ostthüringer Nachrichten“ OTN. Uns Redakteure und Mitarbeiter in der Lokal- Am 1. Juli 1991 sollte die neu gegründete Zei- radaktion Jena interessierten ganz andere tung OTZ im bisherigen Verbreitungsgebiet der Fragen. Wie würden die Leser auf die neue Zei- „Ostthüringer Nachrichten“ erstmals erschei- tung reagieren? Würden sie die OTZ akzeptie- nen. Vor den Redakteuren und Redakteurin- ren oder ihr Abo kündigen? nen, den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen stand die schnelle Entscheidung, ihre Arbeits- Wir entschieden uns alle für die neue Zeitung verträge mit dem Verlag der „Ostthüringer und gerieten als neue Mitglieder der Journa- Nachrichten” zu kündigen, um dann in eine listengewerkschaft DJV erst einmal zwischen völlig neue Zeitung einzusteigen. Baum und Borke. Mit einiger Skepsis verfolg- ten wir deshalb auch Veröffentlichungen im Ein durchaus mutiger Schritt, waren doch alle „Journalist“, wie z. B. im August 1991 von erst rund 18 Monate zuvor von der „Volks- Autor Horst Röper. Darin geißelte er die Akti- wacht“ hoffnungsvoll in eine Zukunft aufge- vitäten der Essener Verlagsmanager als „Deal brochen, nachdem sich der Verlag, die Redak- zur Eroberung der Zeitungslandschaft in tion und die meisten der Redakteure und Thüringen“. Wir Journalisten und Mitarbeiter Mitarbeiter aus der Umklammerung des frühe- seien aus Angst um unsere Arbeitsplätze in die ren Herausgebers, der Sozialistischen Einheit- „Arme westdeutscher Großverlage getrieben spartei (SED), gelöst hatten. worden“.

Der Titelwechsel von der „Volkswacht“ zu den Tatsächlich ging 1991 große Angst um Arbeits- „Ostthüringer Nachrichten“ am 18. Januar plätze um. Allein die Jenaer Zeiss-Werke ent- 1990 war uns nicht zuletzt deshalb gelungen, ließen damals auf einen Schlag rund 15.000 weil uns die übergroße Mehrheit unserer Beschäftigte. Abonnenten und Leser die Treue hielten. Das hat unsere Entscheidungen sicher beein- Das Team in der Lokalredaktion Jena hatte und flusst. hat sich dafür mit einer fairen, wahrhaftigen und objektiven Berichterstattung in der turbu- Realität war aber auch, dass sich unter dem so- lenten Wendezeit revanchiert. Aber auch mit liden Dach der Essener und ihrer Zeitungsgrup- immer besserem Service, mit dem es gelang, pe Thüringen, die Tore in eine gute Zukunft für unseren Lesern Orientierung und Lebenshilfe uns weit geöffnet hatten. in der Zeit gravierender gesellschaftlicher Um- brüche zu geben. Die Redaktion sowie die Geschäftsstelle bezo- gen alsbald neue Räume in einem attraktiven Als ein unvergessliches Ereignis ist den meisten Neubau. Es rollten Computer an sowie weite- bis heute die Berichterstattung über den Wahl- re moderne Technik. kampf und die anschließende erste freie Wahl zu den Volksvertretungen in Jena, dem Land- Gleichzeitig vergrößerte sich der Umfang der kreis und der Volkskammer, der damals noch Zeitung, damit verbesserte sich ihr Erschei- Hans-Ulrich Fischer existierenden DDR in Erinnerung geblieben. nungsbild ganz allgemein und nicht zuletzt ge- wannen auch die Inhalte immer mehr an Qua- 1975 Bis in die Gegenwart haben uns Frauen und lität. Volontariat Männer, die damals politische Verantwortung „Volkswacht“ Gera übernahmen, das faire und objektive Engage- Dies alles war gepaart mit einer Aufbruchstim- ment ihrer Heimatzeitung nicht vergessen. mung der Redakteure und Mitarbeiter, von de- 1975 - 1980 nen nie einer auf die Uhr blickte. Nicht zuletzt Studium der Journalistik, Im Juli 1991 sollte eine neue Zeitung mit einem bot die WAZ 1991 den OTZ-Mitarbeitern nicht Karl-Marx-Universität Leipzig, neuen Titel an die Stelle der ehemaligen OTN nur faire Arbeitsverträge an, sie legte u. a. auch Abschluss als Dipl.-Journalist treten, herausgegeben von unserem bisherigen einen Plan vor, in welchen zeitlichen Schritten Partner, dem WAZ-Medienkonzern in Essen. tarifliches Westniveau auch bei Gehalt und 1980 Urlaub erreicht werden soll. Redakteur Hintergrund waren seinerzeit Auseinander- Nachrichtenagentur ADN setzungen mit der Treuhandanstalt in Berlin, Das ist noch weit vor der Jahrtausendwende die damals über den Verlag OTN verfügte. geschehen. 1983 Redakteur Diese Behörde hatte bekanntlich den Auftrag, Betroffen machten uns allerdings betriebsbe- Betriebszeitung bei Carl-Zeiss Erscheinungszeitraum: 15.08.1952 - 17.01.1990 Volkswacht auch die ehemals staats- bzw. parteieigenen dingte Kündigungen 1996. In Jena mussten Jena, 18.01.1990 - 29.06.1991 Ostthüringer Nachrichten Verlage im Osten Deutschlands zu privatisieren. eine Redakteurin und zwei Mitarbeiterinnen seit 01.07.1991 Ostthüringer Zeitung Im Gegensatz zu vielen Industriebetrieben wa- gehen. ab 1988 Auflage: 179.400 (Angaben Bundespresseamt III/92) ren die Zeitungsverlage kerngesunde Unter- Lokalredakteur Verbreitungsgebiet: Altenburg, Eisenberg, Gera,Greiz, Jena, Lobenstein, Pößneck, Rudolstadt, nehmen und entsprechend begehrt. „Volkswacht“, Saalfeld, Schleiz, Schmölln, Stadtroda, Zeulenroda Jena, danach für die otn/otz Chefredaktion: Ullrich Erzigkeit Was seinerzeit in dem Millionenspiel hinter den Verlag: WAZ-Investitions-Gesellschaft mbH & Co. Betriebs-KG, Gera Kulissen ablief, lässt sich aus heutiger Sicht seit 2009 Partner: WAZ-Mediengruppe ziemlich gut erklären. Altersteilzeit

30 31 „Freundschaft und Erfahrungen“

Ein publizistisches Abenteuer scheiterte – mit positiven Folgen

„Zwei Ziele haben wir uns gesteckt: Zum einen später Friedrich-Rückert-Straße 16; heute Be- sollten 40 Jahre SED-Herrschaft nicht einfach standteil des Gebäudekomplexes der Kreis- verdrängt werden, zum anderen wollten wir sparkasse). dazu beitragen, dass die Vorurteile zwischen Ost und West abgebaut werden. Die Aufarbei- Die beiden Lokalredaktionen waren mit je- tung und Konfrontation mit der Vergangen- weils vier- bis fünfköpfigen Teams festange- heit spielte dabei eine wesentliche Rolle.“ stellter Redakteure besetzt und stützten sich ansonsten hauptsächlich auf eine stetig wach- Dieses Resümee zog Christiane Lehmann, Lei- sende Zahl freier Mitarbeiter, die mehrheitlich terin der Redaktion der „Sonneberger Zei- aus Südthüringen kamen. tung“ des „Südthüringer Tageblattes“ in der Ausgabe vom 31. August 1992. Über die gesamte Zeit ihrer Existenz hinweg wurde die Sonneberger Redaktion von Christi- Mit dieser Ausgabe Nr. 201 im 3. Jahrgang stell- ane Böger (Lehmann), die Hildburghäuser von te das „Südthüringer Tageblatt“ in Sonne- Christoph Scheppe geleitet. Verlegt und ge- berg, wo es als „Südthüringer Tageblatt – Son- druckt wurde das „Südthüringer Tageblatt“ neberger Zeitung“ erschien, als auch in von der E. C. Baumann KG in Kulmbach („Co- Hildburghausen, wo es als „Südthüringer Tage- burger Tageblatt“). blatt – Hildburghäuser Kreisblatt“ herauskam, sein Erscheinen ein. Damit endete ein über Die beiden Lokalausgaben Sonneberg und zweijähriges Experiment. Hildburghausen starteten zunächst mit je- weils 16-seitiger Ausgabe. Doch schon ab Ok- Es nahm im Mai 1990 – noch zu DDR-Zeiten – tober 1990 wurde sie auf bis zu 24 Seiten auf- einen verheißungsvollen Anfang. Nachdem gestockt. nach der Grenzöffnung bereits „Westblätter“ wie die „Neue Presse“, das „Coburger Tage- Der Mantel war für die Sonneberger und Hild- blatt“ oder der „Fränkische Tag“ schon bald burghäuser Ausgabe gleich. Der Rest orientier- auch in Südthüringen viel – und gern – gelesen te sich an lokalen bzw. Themen-Seiten, die so- wurden, behauptete dort die ehemalige SED- wohl die Ost- (Südthüringen) als auch die Parteizeitung „Freies Wort“ (die sich im Zuge West-Seite (Coburg, Stadt & Land) gleichbe- des Wende-Prozesses inzwischen allerdings zur rechtigt berücksichtigten. unabhängigen Regionalzeitung gewandelt hatte) weiterhin ihre Position als wichtigste In der Regel produzierte man täglich drei Abo-Zeitung vor Ort. Südthüringen-Seiten – je nach Ausgabe mit Material aus dem Landkreis Sonneberg bzw. Mit Installation des „Südthüringer Tageblattes“ Hildburghausen) und drei Oberfranken-Seiten als „Schwesterzeitung“ des „Coburger Tage- (Coburg Land, Coburg Stadt & Land, Neu- blattes“ in den südthüringischen Kreisen Son- stadt). neberg (Alt-Kreis) und Hildburghausen ver- suchte man nun von fränkischer Seite aus, Hinzu kamen durchschnittlich fünf Sportseiten auch nach Norden zu expandieren und sich in pro Ausgabe. Im Start-Zeitraum gab es noch ei- der Noch-DDR einen weiteren Absatzmarkt zu ne Seite „DDR aktuell“. Stefan Löffler erschließen. Fanden die Leser zunächst einleitend die 1988 - 1994 Ein interessantes Detail aus der Gründungszeit große Politik, die Nachrichten, das Feuilleton Studium, Abschluss als Diplom- des „Südthüringer Tageblattes“: Als es am und die Wirtschaft in ihrer Zeitung, so holten Bibliothekar Dienstag, dem 23. Mai 1990, mit Ausgabe 1 die Herausgeber später den Regionalteil auf des 1. Jahrganges startete, existierte die DDR die vorderen Seiten. 1985 - 1994 bekanntlich noch. Und so brauchte auch das Stadt- und Kreisbibliothek Son- „Südthüringer Tageblatt“ – wie alle publizisti- In seiner Start-Zeit kostete das „Südthüringer neberg; langjähriger Freier Mit- schen Print-Produkte in der DDR – einen Li- Tageblatt“ im Einzelverkauf an den Wochen- arbeiter/Autor thüringischer zenzgeber und eine Lizenz-Registriernummer. tagen 0,80 Mark (DDR), samstags 1 Mark und oberfränkischer Tageszei- Zum Lizenzgeber der anfangs von dem Sonne- (DDR), bei Zustellung monatlich 16,80 Mark tungen (Freies Wort, Neue Pres- berger Manfred Ph. Brückner in Kooperation (DDR). Als wöchentliche Beilage erschien an- se, Südthüringer Tageblatt, mit dem „Coburger Tageblatt“ herausgegebe- fangs „teleprisma“, in der Endzeit auch eine Sonneberger Wochenblatt und nen Sonneberger Lokalausgabe des regionalgeschichtliche Heimat-Beilage. Coburger Tageblatt u.a. sowie „Südthüringer Tageblattes“ wurde der Rat eigene Publikationen histori- des Bezirkes Suhl. Es erhielt die Registrier- Zudem gab die E. C. Baumann KG ab 4. Dezem- schen Inhalts); Nummer 06/1990 RdBS. ber 1991 „für alle Haushalte in Stadt und Land“ auch noch das anfangs acht-, alsbald 1997 - 1999 In Sonneberg war die Lokalredaktion samt An- aber schon zehnseitige „Sonneberger Wo- Volontariat zeigenabteilung in Brückners Haus in der chenblatt“ heraus. Das Annoncen-Blatt mit ei- „Freies Wort” Theo-Neubauer-Straße 9 (heutige Karlstraße 9; ner Auflage von 22.650 Exemplaren, das auch Erscheinungszeitraum: 23.05.1990 - 31.08.1992 später langjähriger Sitz der Geschäftsstelle viele redaktionelle Beiträge enthielt, hatte 2000 - 2001 Auflage: 15.000 (Horizont II/90) und Anzeigenabteilung von „Freies Wort”) un- seinen Sitz im gleichen Gebäude wie das Lokalredakteur Verbreitungsgebiet: Hildburghausen, Sonneberg tergebracht. „Südthüringer Tageblatt“. „Freies Wort” Projektleitung: Carolin Herrmann Verlag: E. C. Baumann KG, Kulmbach In Hildburghausen saß man im Gebäude der Obwohl die Zeit des Beginns nicht unproble- seit 2001 Partner: Coburger Tageblatt ehemaligen SED-Kreisleitung (Leninstraße 16, matisch verlief – der noch mangelnden Kennt- Freiberufler

32 33 „Freundschaft und Erfahrungen“

Ein publizistisches Abenteuer scheiterte – mit positiven Folgen

„Zwei Ziele haben wir uns gesteckt: Zum einen später Friedrich-Rückert-Straße 16; heute Be- sollten 40 Jahre SED-Herrschaft nicht einfach standteil des Gebäudekomplexes der Kreis- verdrängt werden, zum anderen wollten wir sparkasse). dazu beitragen, dass die Vorurteile zwischen Ost und West abgebaut werden. Die Aufarbei- Die beiden Lokalredaktionen waren mit je- tung und Konfrontation mit der Vergangen- weils vier- bis fünfköpfigen Teams festange- heit spielte dabei eine wesentliche Rolle.“ stellter Redakteure besetzt und stützten sich ansonsten hauptsächlich auf eine stetig wach- Dieses Resümee zog Christiane Lehmann, Lei- sende Zahl freier Mitarbeiter, die mehrheitlich terin der Redaktion der „Sonneberger Zei- aus Südthüringen kamen. tung“ des „Südthüringer Tageblattes“ in der Ausgabe vom 31. August 1992. Über die gesamte Zeit ihrer Existenz hinweg wurde die Sonneberger Redaktion von Christi- Mit dieser Ausgabe Nr. 201 im 3. Jahrgang stell- ane Böger (Lehmann), die Hildburghäuser von te das „Südthüringer Tageblatt“ in Sonne- Christoph Scheppe geleitet. Verlegt und ge- berg, wo es als „Südthüringer Tageblatt – Son- druckt wurde das „Südthüringer Tageblatt“ neberger Zeitung“ erschien, als auch in von der E. C. Baumann KG in Kulmbach („Co- Hildburghausen, wo es als „Südthüringer Tage- burger Tageblatt“). blatt – Hildburghäuser Kreisblatt“ herauskam, sein Erscheinen ein. Damit endete ein über Die beiden Lokalausgaben Sonneberg und zweijähriges Experiment. Hildburghausen starteten zunächst mit je- weils 16-seitiger Ausgabe. Doch schon ab Ok- Es nahm im Mai 1990 – noch zu DDR-Zeiten – tober 1990 wurde sie auf bis zu 24 Seiten auf- einen verheißungsvollen Anfang. Nachdem gestockt. nach der Grenzöffnung bereits „Westblätter“ wie die „Neue Presse“, das „Coburger Tage- Der Mantel war für die Sonneberger und Hild- blatt“ oder der „Fränkische Tag“ schon bald burghäuser Ausgabe gleich. Der Rest orientier- auch in Südthüringen viel – und gern – gelesen te sich an lokalen bzw. Themen-Seiten, die so- wurden, behauptete dort die ehemalige SED- wohl die Ost- (Südthüringen) als auch die Parteizeitung „Freies Wort“ (die sich im Zuge West-Seite (Coburg, Stadt & Land) gleichbe- des Wende-Prozesses inzwischen allerdings zur rechtigt berücksichtigten. unabhängigen Regionalzeitung gewandelt hatte) weiterhin ihre Position als wichtigste In der Regel produzierte man täglich drei Abo-Zeitung vor Ort. Südthüringen-Seiten – je nach Ausgabe mit Material aus dem Landkreis Sonneberg bzw. Mit Installation des „Südthüringer Tageblattes“ Hildburghausen) und drei Oberfranken-Seiten als „Schwesterzeitung“ des „Coburger Tage- (Coburg Land, Coburg Stadt & Land, Neu- blattes“ in den südthüringischen Kreisen Son- stadt). neberg (Alt-Kreis) und Hildburghausen ver- suchte man nun von fränkischer Seite aus, Hinzu kamen durchschnittlich fünf Sportseiten auch nach Norden zu expandieren und sich in pro Ausgabe. Im Start-Zeitraum gab es noch ei- der Noch-DDR einen weiteren Absatzmarkt zu ne Seite „DDR aktuell“. Stefan Löffler erschließen. Fanden die Leser zunächst einleitend die 1988 - 1994 Ein interessantes Detail aus der Gründungszeit große Politik, die Nachrichten, das Feuilleton Studium, Abschluss als Diplom- des „Südthüringer Tageblattes“: Als es am und die Wirtschaft in ihrer Zeitung, so holten Bibliothekar Dienstag, dem 23. Mai 1990, mit Ausgabe 1 die Herausgeber später den Regionalteil auf des 1. Jahrganges startete, existierte die DDR die vorderen Seiten. 1985 - 1994 bekanntlich noch. Und so brauchte auch das Stadt- und Kreisbibliothek Son- „Südthüringer Tageblatt“ – wie alle publizisti- In seiner Start-Zeit kostete das „Südthüringer neberg; langjähriger Freier Mit- schen Print-Produkte in der DDR – einen Li- Tageblatt“ im Einzelverkauf an den Wochen- arbeiter/Autor thüringischer zenzgeber und eine Lizenz-Registriernummer. tagen 0,80 Mark (DDR), samstags 1 Mark und oberfränkischer Tageszei- Zum Lizenzgeber der anfangs von dem Sonne- (DDR), bei Zustellung monatlich 16,80 Mark tungen (Freies Wort, Neue Pres- berger Manfred Ph. Brückner in Kooperation (DDR). Als wöchentliche Beilage erschien an- se, Südthüringer Tageblatt, mit dem „Coburger Tageblatt“ herausgegebe- fangs „teleprisma“, in der Endzeit auch eine Sonneberger Wochenblatt und nen Sonneberger Lokalausgabe des regionalgeschichtliche Heimat-Beilage. Coburger Tageblatt u.a. sowie „Südthüringer Tageblattes“ wurde der Rat eigene Publikationen histori- des Bezirkes Suhl. Es erhielt die Registrier- Zudem gab die E. C. Baumann KG ab 4. Dezem- schen Inhalts); Nummer 06/1990 RdBS. ber 1991 „für alle Haushalte in Stadt und Land“ auch noch das anfangs acht-, alsbald 1997 - 1999 In Sonneberg war die Lokalredaktion samt An- aber schon zehnseitige „Sonneberger Wo- Volontariat zeigenabteilung in Brückners Haus in der chenblatt“ heraus. Das Annoncen-Blatt mit ei- „Freies Wort” Theo-Neubauer-Straße 9 (heutige Karlstraße 9; ner Auflage von 22.650 Exemplaren, das auch Erscheinungszeitraum: 23.05.1990 - 31.08.1992 später langjähriger Sitz der Geschäftsstelle viele redaktionelle Beiträge enthielt, hatte 2000 - 2001 Auflage: 15.000 (Horizont II/90) und Anzeigenabteilung von „Freies Wort”) un- seinen Sitz im gleichen Gebäude wie das Lokalredakteur Verbreitungsgebiet: Hildburghausen, Sonneberg tergebracht. „Südthüringer Tageblatt“. „Freies Wort” Projektleitung: Carolin Herrmann Verlag: E. C. Baumann KG, Kulmbach In Hildburghausen saß man im Gebäude der Obwohl die Zeit des Beginns nicht unproble- seit 2001 Partner: Coburger Tageblatt ehemaligen SED-Kreisleitung (Leninstraße 16, matisch verlief – der noch mangelnden Kennt- Freiberufler

32 33 nis lokaler Besonderheiten geschuldet –, ent- herausgegebenen und regionalübergreifend wickelte sich das „Südthüringer Tageblatt“ zu von Horst Mitzel („Coburger Tageblatt“) gelei- einer zeitweise nicht zu unterschätzenden teten Blattes – sowohl für die „West-Festen“ Konkurrenz für den Platzhirsch „Freies Wort“. als auch die „Ost-Freien“. Im Gegensatz zum kurzen Intermezzo von „Die Neue“ – einem weiteren Blatt, das im Die Einstellung des „Südthüringer Tageblat- Kreis Sonneberg allerdings lediglich im Som- tes“ erfolgte, wie es auf der Titelseite der Wo- mer 1990 erschien -, schien das „Südthüringer chenend-Ausgabe vom 22./23. August 1992 Tageblatt“ auf dem besten Wege zu sein, ein hieß, dauerhafter und fester Bestandteil der Me- „… weil die wirtschaftliche Entwicklung dienlandschaft Südthüringens zu werden. auf einem hart umkämpften Markt einen Fortbestand nicht mehr erlaubt“. Für freie Mitarbeiter herrschten damals gute Zeiten, bemühten sich doch zeitweise beide Am 31. August 1992, einem Montag, war Blätter um die gleichen freien Schreiber. Auch dann endgültig Schluss. Lediglich das „Sonne- deshalb, weil das vor Ort vorhandene Poten- berger Wochenblatt“ wurde von der E. C. Bau- tial an Freien relativ begrenzt und überschau- mann KG (noch jahrelang) weitergeführt. bar war. Nun, ich meine: Für die „West-Journalisten“, Trotz aller Konkurrenz wurde es damals gedul- die wieder vom „Abenteuerland“ Südthürin- det, dass Freie sowohl für „Freies Wort“ als gen schieden und – im Regelfall – Weiterbe- auch fürs „Südthüringer Tageblatt“ (und an- schäftigung im „Coburger Tageblatt“ fanden, dere) berichteten. Man verbat sich lediglich aber auch für ihre „Ost-Kollegen“, beschreibt identische Beiträge. Anfeindungen wegen der nichts diese für beide Seiten so lehrreiche Be- doppelten Tätigkeit gab es hingegen nicht. gegnung trefflicher, als die Feststellung, die man am 31. August 1992 unter der Überschrift Während jedoch „Freies Wort“ vor allem mit „Aktuell, kritisch und fair“ in der letzten Aus- festen und freien Mannschaften agierte, die gabe des „Südthüringer Tageblatts“ lesen vornehmlich aus dem Osten stammten, brach- konnte. te für die freien Ost-Mitarbeiter des „Südthüringer Tageblattes“ dort das erstma- Dort hieß es auf die Fragestellung „Was lige Zusammenarbeiten mit Zeitungsleuten bleibt?“: aus dem Westen. Das Resultat war eine zu- meist sehr gute Kooperation – also nicht nur „Vor allem Freundschaften und Erfah- ein Einander-Kennenlernen, sondern auch ein rungen von unschätzbarem Wert.“ Voneinander-Lernen.

Umso überraschender kam dann im Sommer 1992 die Nachricht vom Ende der zuletzt von Verleger Horst Uhlemann (1968 bis 2003 Ge- schäftsführer der Baumann GmbH + Co KG)

34 35 nis lokaler Besonderheiten geschuldet –, ent- herausgegebenen und regionalübergreifend wickelte sich das „Südthüringer Tageblatt“ zu von Horst Mitzel („Coburger Tageblatt“) gelei- einer zeitweise nicht zu unterschätzenden teten Blattes – sowohl für die „West-Festen“ Konkurrenz für den Platzhirsch „Freies Wort“. als auch die „Ost-Freien“. Im Gegensatz zum kurzen Intermezzo von „Die Neue“ – einem weiteren Blatt, das im Die Einstellung des „Südthüringer Tageblat- Kreis Sonneberg allerdings lediglich im Som- tes“ erfolgte, wie es auf der Titelseite der Wo- mer 1990 erschien -, schien das „Südthüringer chenend-Ausgabe vom 22./23. August 1992 Tageblatt“ auf dem besten Wege zu sein, ein hieß, dauerhafter und fester Bestandteil der Me- „… weil die wirtschaftliche Entwicklung dienlandschaft Südthüringens zu werden. auf einem hart umkämpften Markt einen Fortbestand nicht mehr erlaubt“. Für freie Mitarbeiter herrschten damals gute Zeiten, bemühten sich doch zeitweise beide Am 31. August 1992, einem Montag, war Blätter um die gleichen freien Schreiber. Auch dann endgültig Schluss. Lediglich das „Sonne- deshalb, weil das vor Ort vorhandene Poten- berger Wochenblatt“ wurde von der E. C. Bau- tial an Freien relativ begrenzt und überschau- mann KG (noch jahrelang) weitergeführt. bar war. Nun, ich meine: Für die „West-Journalisten“, Trotz aller Konkurrenz wurde es damals gedul- die wieder vom „Abenteuerland“ Südthürin- det, dass Freie sowohl für „Freies Wort“ als gen schieden und – im Regelfall – Weiterbe- auch fürs „Südthüringer Tageblatt“ (und an- schäftigung im „Coburger Tageblatt“ fanden, dere) berichteten. Man verbat sich lediglich aber auch für ihre „Ost-Kollegen“, beschreibt identische Beiträge. Anfeindungen wegen der nichts diese für beide Seiten so lehrreiche Be- doppelten Tätigkeit gab es hingegen nicht. gegnung trefflicher, als die Feststellung, die man am 31. August 1992 unter der Überschrift Während jedoch „Freies Wort“ vor allem mit „Aktuell, kritisch und fair“ in der letzten Aus- festen und freien Mannschaften agierte, die gabe des „Südthüringer Tageblatts“ lesen vornehmlich aus dem Osten stammten, brach- konnte. te für die freien Ost-Mitarbeiter des „Südthüringer Tageblattes“ dort das erstma- Dort hieß es auf die Fragestellung „Was lige Zusammenarbeiten mit Zeitungsleuten bleibt?“: aus dem Westen. Das Resultat war eine zu- meist sehr gute Kooperation – also nicht nur „Vor allem Freundschaften und Erfah- ein Einander-Kennenlernen, sondern auch ein rungen von unschätzbarem Wert.“ Voneinander-Lernen.

Umso überraschender kam dann im Sommer 1992 die Nachricht vom Ende der zuletzt von Verleger Horst Uhlemann (1968 bis 2003 Ge- schäftsführer der Baumann GmbH + Co KG)

34 35 Von Thüringern für Thüringer

Im März 1990 erschien erste Ausgabe der „Südthüringer Zeitung“

Alles begann mit einer Radtour ins Hessische. Betrieb angestellt, der mit den Unterschriften von Leibold, Schmidt und Bauer als Auf jener Radtour, die der bei Kali Werra als „Südthüringer Verlag“ offiziell am 14. Febru- Gas- und Wasserinstallateur tätige 38jährige ar 1990 beim Rat des Bezirkes Suhl als „Unter- Geisaer Karl-Josef Schürmann mit seinem nehmen mit ausländischer Beteiligung“, Kumpel Anfang Dezember 1989 unternahm, Rechtsform GmbH, Stammkapital 150.000 lernten die beiden eine junge Frau kennen. Mark der DDR, eingetragen wurde.

Ihr Mann war Anzeigenberater bei der Fulda- Wie es hieß, war es die erste Ost-West- er Zeitung (FZ) des Verlags Parzeller, wo man Medien-GmbH – zumindest in Thüringen. Als sich mit dem Gedanken trug, die Zeitung in Standort wurde Barchfeld (im Hause des VEG dem vor DDR-Zeiten „fuldischen“ Geisaer Gartenbau), als Zweigniederlassungen solche Amt in der Rhön zu verbreiten. in „Suhl, Schmalkalden, Meiningen, Eisenach und Bad Salzungen“ angegeben. Peter H. Leibold, jener ehrgeizige Anzeigen- leiter der FZ mit Gespür für das Ungewöhnli- Das erste Vierteljahr 1990 veränderte mein Le- che, nahm anschließend Kontakt zu dem um- ben. Mit Feuereifer stürzte ich mich – wie bald triebigen Karnevalisten und „Hans-Dampf- mehrere, vorwiegend jüngere Leute – in das in-allen-Gassen“ Schürmann auf. Vorhaben. Mitarbeiter wurden angeworben, Rainer Koch das Konzept der Zeitung besprochen. Das erwies sich als Volltreffer. Am 18. Dezem- 1969 - 1971 ber 1989 wurden die ersten 2.000 Exemplare Von Anfang an war klar, dass die stz von Ost- Volontär der FZ bei Rasdorf über die Grenze gebracht. leuten gemacht werden sollte. Leibold liefer- „Freies Wort“ Leibold hatte eine „Legitimation“ mit der Bit- te seine verlegerische Erfahrung. Der damali- te an die Grenzer der DDR verfasst, Schür- ge Lokalchef der FZ, Christoph A. Brandner, 1972 - 1973 mann passieren zu lassen. hatte die schwierige Aufgabe, umgestiegene Redaktionsassistent Volontäre vom „Freien Wort”, Lehrer, Vieh- Mit der Verteilung dieser Ausgaben begannen züchter, Studenten, Juristen, Bahner, Chemi- 1973 - 1979 Schürmann und dessen Frau Rita mit dem Auf- ker – diese Spannbreite umfasste die Grün- FDJ-Funktionär bau eines Vertriebsnetzes, das sich von der dungsmannschaft – in einigen Crashkursen Rhön aus ein Vierteljahr später ins Werratal auf unabhängigen Journalismus zu trimmen. 1979 - 1983 bis Bad Salzungen, weiter nach Schmalkalden, Betriebszeitungsredakteur Meiningen und Eisenach erstreckte. Abenteuer über Abenteuer. Fahrten nach „Der Motor“, VEB Automobil- Fulda, retour wurden irgendwelche Materia- werk Eisenach, Die Leute waren begierig auf eine Zeitung lien über die Grenze geschmuggelt, an der der „aus dem Westen“, aus Fulda gar. Zumal die- Zoll der DDR noch mit Argusaugen wachte. bis 1982 se täglich eine bis zwei Seiten „Aus der thürin- Klar war nämlich für Peter H. Leibold von An- Fernstudium an der Karl- gischen Rhön“ enthielt, für die auch ich ab Ja- beginn, dass die neue Zeitung mit den damals Marx-Universität Leipzig, nuar 1990 Beiträge lieferte. modernsten Mitteln der Computertechnik Abschluss als Diplomjournalist hergestellt werden sollte – in einem Land und Teil zwei der Geschichte: von Menschen, die froh waren, wenn sie ein 1983 - 1990 Telefon in der Nähe hatten und staunend vor VEB Bestecke und Schneid- Mitte Dezember 1989 sprachen Jens Schmidt einem Faxgerät standen. waren Steinbach, und Knut Bauer, zwei junge Journalisten aus (wiss. Mitarbeiter, Versandar- Schmalkalden und Suhl, auch in Fulda vor. Ih- Apropos Telefon – das einzige mit direkter beiter, Abt. Beschaffung) re Idee war es, ein Wochenblatt für die Verbindung in den Westen stand vor der Post Thüringer Rhön, jene zu DDR-Zeiten als in Vacha. Zur Kontaktaufnahme wurden also 1984 Grenzland benachteiligte Region herauszuge- die 20 km von Barchfeld nach Vacha bewältigt Antrag Übersiedlung Ungarn ben. und vor der Zelle gewartet, bis man an der und Austritt aus der SED Reihe war. Sie suchten Rat, Unterstützung, Partnerschaft 1985 – und trafen in Fulda auf Peter H. Leibold. Die Nach vielen, vielen Stunden der Vorberei- Antrag Ausreise BRD drei einigten sich darauf, kein Wochenblatt, tung, von denen gar manch köstliche Story zu sondern eine Tageszeitung zu machen. Die berichten wäre, stand Ende Februar eine hoch 1989 Geschichte der „Südthüringer Zeitung” (stz) motivierte Mannschaft von etwa 20, überwie- Mitglied bei „Demokratie nahm ihren Lauf. gend unerfahrenen Zeitungsmachern im Bar- Jetzt“, chfelder Hochhaus des Gartenbaues (auch Leute, die schreiben konnten oder ausgebil- genannt der „blaue Ochse“ – der Farbe seiner 1990 - 1991 dete Journalisten waren umworben Anfang Außenhaut wegen) bereit, wo es gelungen Redakteur „stz“, 1990. Viele Westverlage witterten das „Ostge- war, Räumlichkeiten anzumieten. dann „Tagespost“ schäft“. Beinahe täglich gab es in Wohnungen und Gaststätten „intime“ Gespräche. Eine schnell installierte C-Netz-Antenne auf 1992 - 1993 dem Dach linderte die Kommunikationspro- freier Journalist Erscheinungszeitraum: seit 08.03.1990 Angesprochen von Knut Bauer, überzeugte bleme, die illegal über die Grenze gebrachten Auflage: 19.624 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) mich das Konzept, eine Zeitung in und für Computer liefen, die Einweisungen in die 1993 - 2007 Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Rhön, Schmalkalden, Meiningen, Suhl, Eisenach Südthüringen herauszugeben, gemacht von Technik begann. Redakteur „stz“ Chefredaktion: Peter Ufer Südthüringern. Fortan war ich im Boot, erhielt Verlag: Südthüringer Verlag GmbH, Barchfeld am 27. Januar einen Vorvertrag und wurde Durch Schürmanns geniale Vertriebsideen seit 2007 Partnerverlag: Fuldaer Zeitung am 10. Februar als erster Redakteur für einen und seine rastlose Tätigkeit gab es bereits – freischaffender Journalist

36 37 Von Thüringern für Thüringer

Im März 1990 erschien erste Ausgabe der „Südthüringer Zeitung“

Alles begann mit einer Radtour ins Hessische. Betrieb angestellt, der mit den Unterschriften von Leibold, Schmidt und Bauer als Auf jener Radtour, die der bei Kali Werra als „Südthüringer Verlag“ offiziell am 14. Febru- Gas- und Wasserinstallateur tätige 38jährige ar 1990 beim Rat des Bezirkes Suhl als „Unter- Geisaer Karl-Josef Schürmann mit seinem nehmen mit ausländischer Beteiligung“, Kumpel Anfang Dezember 1989 unternahm, Rechtsform GmbH, Stammkapital 150.000 lernten die beiden eine junge Frau kennen. Mark der DDR, eingetragen wurde.

Ihr Mann war Anzeigenberater bei der Fulda- Wie es hieß, war es die erste Ost-West- er Zeitung (FZ) des Verlags Parzeller, wo man Medien-GmbH – zumindest in Thüringen. Als sich mit dem Gedanken trug, die Zeitung in Standort wurde Barchfeld (im Hause des VEG dem vor DDR-Zeiten „fuldischen“ Geisaer Gartenbau), als Zweigniederlassungen solche Amt in der Rhön zu verbreiten. in „Suhl, Schmalkalden, Meiningen, Eisenach und Bad Salzungen“ angegeben. Peter H. Leibold, jener ehrgeizige Anzeigen- leiter der FZ mit Gespür für das Ungewöhnli- Das erste Vierteljahr 1990 veränderte mein Le- che, nahm anschließend Kontakt zu dem um- ben. Mit Feuereifer stürzte ich mich – wie bald triebigen Karnevalisten und „Hans-Dampf- mehrere, vorwiegend jüngere Leute – in das in-allen-Gassen“ Schürmann auf. Vorhaben. Mitarbeiter wurden angeworben, Rainer Koch das Konzept der Zeitung besprochen. Das erwies sich als Volltreffer. Am 18. Dezem- 1969 - 1971 ber 1989 wurden die ersten 2.000 Exemplare Von Anfang an war klar, dass die stz von Ost- Volontär der FZ bei Rasdorf über die Grenze gebracht. leuten gemacht werden sollte. Leibold liefer- „Freies Wort“ Leibold hatte eine „Legitimation“ mit der Bit- te seine verlegerische Erfahrung. Der damali- te an die Grenzer der DDR verfasst, Schür- ge Lokalchef der FZ, Christoph A. Brandner, 1972 - 1973 mann passieren zu lassen. hatte die schwierige Aufgabe, umgestiegene Redaktionsassistent Volontäre vom „Freien Wort”, Lehrer, Vieh- Mit der Verteilung dieser Ausgaben begannen züchter, Studenten, Juristen, Bahner, Chemi- 1973 - 1979 Schürmann und dessen Frau Rita mit dem Auf- ker – diese Spannbreite umfasste die Grün- FDJ-Funktionär bau eines Vertriebsnetzes, das sich von der dungsmannschaft – in einigen Crashkursen Rhön aus ein Vierteljahr später ins Werratal auf unabhängigen Journalismus zu trimmen. 1979 - 1983 bis Bad Salzungen, weiter nach Schmalkalden, Betriebszeitungsredakteur Meiningen und Eisenach erstreckte. Abenteuer über Abenteuer. Fahrten nach „Der Motor“, VEB Automobil- Fulda, retour wurden irgendwelche Materia- werk Eisenach, Die Leute waren begierig auf eine Zeitung lien über die Grenze geschmuggelt, an der der „aus dem Westen“, aus Fulda gar. Zumal die- Zoll der DDR noch mit Argusaugen wachte. bis 1982 se täglich eine bis zwei Seiten „Aus der thürin- Klar war nämlich für Peter H. Leibold von An- Fernstudium an der Karl- gischen Rhön“ enthielt, für die auch ich ab Ja- beginn, dass die neue Zeitung mit den damals Marx-Universität Leipzig, nuar 1990 Beiträge lieferte. modernsten Mitteln der Computertechnik Abschluss als Diplomjournalist hergestellt werden sollte – in einem Land und Teil zwei der Geschichte: von Menschen, die froh waren, wenn sie ein 1983 - 1990 Telefon in der Nähe hatten und staunend vor VEB Bestecke und Schneid- Mitte Dezember 1989 sprachen Jens Schmidt einem Faxgerät standen. waren Steinbach, und Knut Bauer, zwei junge Journalisten aus (wiss. Mitarbeiter, Versandar- Schmalkalden und Suhl, auch in Fulda vor. Ih- Apropos Telefon – das einzige mit direkter beiter, Abt. Beschaffung) re Idee war es, ein Wochenblatt für die Verbindung in den Westen stand vor der Post Thüringer Rhön, jene zu DDR-Zeiten als in Vacha. Zur Kontaktaufnahme wurden also 1984 Grenzland benachteiligte Region herauszuge- die 20 km von Barchfeld nach Vacha bewältigt Antrag Übersiedlung Ungarn ben. und vor der Zelle gewartet, bis man an der und Austritt aus der SED Reihe war. Sie suchten Rat, Unterstützung, Partnerschaft 1985 – und trafen in Fulda auf Peter H. Leibold. Die Nach vielen, vielen Stunden der Vorberei- Antrag Ausreise BRD drei einigten sich darauf, kein Wochenblatt, tung, von denen gar manch köstliche Story zu sondern eine Tageszeitung zu machen. Die berichten wäre, stand Ende Februar eine hoch 1989 Geschichte der „Südthüringer Zeitung” (stz) motivierte Mannschaft von etwa 20, überwie- Mitglied bei „Demokratie nahm ihren Lauf. gend unerfahrenen Zeitungsmachern im Bar- Jetzt“, chfelder Hochhaus des Gartenbaues (auch Leute, die schreiben konnten oder ausgebil- genannt der „blaue Ochse“ – der Farbe seiner 1990 - 1991 dete Journalisten waren umworben Anfang Außenhaut wegen) bereit, wo es gelungen Redakteur „stz“, 1990. Viele Westverlage witterten das „Ostge- war, Räumlichkeiten anzumieten. dann „Tagespost“ schäft“. Beinahe täglich gab es in Wohnungen und Gaststätten „intime“ Gespräche. Eine schnell installierte C-Netz-Antenne auf 1992 - 1993 dem Dach linderte die Kommunikationspro- freier Journalist Erscheinungszeitraum: seit 08.03.1990 Angesprochen von Knut Bauer, überzeugte bleme, die illegal über die Grenze gebrachten Auflage: 19.624 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) mich das Konzept, eine Zeitung in und für Computer liefen, die Einweisungen in die 1993 - 2007 Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Rhön, Schmalkalden, Meiningen, Suhl, Eisenach Südthüringen herauszugeben, gemacht von Technik begann. Redakteur „stz“ Chefredaktion: Peter Ufer Südthüringern. Fortan war ich im Boot, erhielt Verlag: Südthüringer Verlag GmbH, Barchfeld am 27. Januar einen Vorvertrag und wurde Durch Schürmanns geniale Vertriebsideen seit 2007 Partnerverlag: Fuldaer Zeitung am 10. Februar als erster Redakteur für einen und seine rastlose Tätigkeit gab es bereits – freischaffender Journalist

36 37 ein unschätzbarer Grundstock – über 3.000 FZ- Ratgeberseiten, viel Sport (am 23. Juni 1990 Abos im Thüringer Raum. Träger, das Mono- wurde in Immelborn der 1. „stz-Triathlon“ ge- pol der Deutschen Post zu brechen, ebenso startet), Beilagen („spektakel“, die Meininger wie in 13 Läden die ersten Geschäftstellen für Theaterzeitung, erschien erstmals im Septem- eine Zeitung, für die in den Kreisen Bad Sal- ber), Aktionen für und mit den Lesern mach- zungen, Schmalkalden, Meiningen und Ei- ten neben der lokal ausgerichteten Philoso- senach eine bunte Werbenummer verbreitet phie des Blattes ein Großteil des Erfolges aus. wurde. Mit einem Stand von 8.000 Abos und einer verkauften Auflage von 10.600 Exemplaren „Südthüringer Zeitung“ stand in großen ging das Jahr 1990 zu Ende. schwarzen Lettern darauf, „stz“ im blauen Kä- stchen. „Fliegen Sie mit uns nach Mallorca!“, Im März 1991, ein Jahr nach Gründung der stz, verhieß das Gewinnspiel für ein Abo der Zei- war die Zahl der Mitarbeiter auf 60 ange- tung, die für 60 Pfennig am Tag, 16 Mark im wachsen. Neben den fünf Lokalredaktionen Monat zu haben war. arbeitete eine Sport- und eine Politikredakti- on, zunehmend wurden die Seiten in Barch- Ein wahrer Bestell-Boom setzte ein. Die Schall- feld selbst und im Ganzseitenumbruch produ- mauer von 5.000 Abos (eingerechnet die FZ- ziert. Abos) wurde noch vor Erscheinen der ersten Nummer durchbrochen. Am 4. Oktober 1991 wurde in Bad Salzungen am Entleich das „stz-Pressezentrum“ mit Re- Wir alle waren glücklich, obwohl uns die daktion, Shop und Geschäftstelle eingeweiht, „Thüringer Neue Rundschau“ (TNR) – der Ab- vorher schon zogen die Schmalkalder aus leger der „Hersfelder Zeitung“ –, einige Tage Schmidts Wohnung in Räume in der Stadt um. zuvorgekommen war. Mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 waren Vielen der Leser, die statt der FZ dann die stz Jens Schmidt und Knut Bauer als Gesellschaf- geliefert wurde, waren anfänglich gar nicht ter ausgeschieden. glücklich. Einige protestierten heftig, weil sie „ihre Westzeitung“ behalten wollten. Das Der inzwischen verstorbene Bauer verabschie- nur am Rande ... dete sich von der stz, um seine eigene Firma, das in der Druckvorstufe tätige „pps“ (pre- Am 7. Februar produzierten wir mühsam an press-Studio) aufzubauen, und gründete spä- Bildschirmen im „Blauen Ochsen”, in Woh- ter die heute noch existente Druckfirma „Bau- nungen in Asbach bei Schmalkalden und in Ei- er & Malsch GmbH“. senach Artikel für die ersten lokalen Seiten, speicherten sie auf Disketten ab. Kuriere Schmidt war einige Monate als Chefredakteur brachten sie nach Fulda, wo die Zeitung mit tätig und wechselte dann zur „Magdeburger Mantelseiten komplettiert und gedruckt wur- Volksstimme”. Die Geschicke bei der stz über- de. nahmen die jungen Peter Ufer für die Redak- tion und Petra Haag als Verlagschefin. Am 8. März hielten wir die erste Nummer der stz mit vier selbstproduzierten von insgesamt Die stz prosperierte auch 1992 unverändert. 20 Seiten, in der einen, das Sektglas in der an- Eine Zäsur stellte der Wechsel zur Suhler Ver- deren Hand. 10.000 Exemplare waren ge- lagsgesellschaft am 1. Juli 1992 dar, wodurch druckt worden. der Süddeutsche Verlag Hauptgesellschafter wurde. Eine steile Aufwärtsentwicklung setzte ein, anfänglich unterstützt von Fachleuten vorwie- „Mangels Erfolg“ wurden die Ausgaben Ei- gend der FZ. Das Vertriebssystem wurde ver- senach, Meiningen, Suhl eingestellt, und vollkommnet, eine eigene Anzeigenabtei- fortan die drei Ausgaben Bad Salzungen, lung aufgebaut, eigene Geschäftsstellen Rhönkurier und Schmalkalden produziert. aquiriert, von denen es im September bereits 27 gab. Die Anzeigenabteilung wechselte zur „Thüringer Presse“, die Anzeigenberater wur- Am 13. März 1990 erschien die erste Rhön-Sei- den selbstständig. te, am 17. April in der Ausgabe Bad Salzungen erstmals zwei Lokalseiten, am 22. Mai die er- Der Personalbestand ging indes bis Ende 1992 ste Regionalsportseite. nur unwesentlich auf exakt 52 zurück.

Im August kam zu den vier Lokalredaktionen Die Zahl der Abos war auf 18.400 angewach- Bad Salzungen, Schmalkalden, Eisenach, Mei- sen, die verkaufte Auflage betrug 19.300, ningen die von Suhl hinzu. zeitweilig war die Schallmauer von 20.000 ver- kauften Zeitungen durchbrochen worden. Ende September wurden die Mitarbeiter und Abos der mangels Erfolg eingestellten TNR Die wilde Gründerzeit war vorbei, aber nicht übernommen. minder wilde Jahre sollten folgen.

38 39 ein unschätzbarer Grundstock – über 3.000 FZ- Ratgeberseiten, viel Sport (am 23. Juni 1990 Abos im Thüringer Raum. Träger, das Mono- wurde in Immelborn der 1. „stz-Triathlon“ ge- pol der Deutschen Post zu brechen, ebenso startet), Beilagen („spektakel“, die Meininger wie in 13 Läden die ersten Geschäftstellen für Theaterzeitung, erschien erstmals im Septem- eine Zeitung, für die in den Kreisen Bad Sal- ber), Aktionen für und mit den Lesern mach- zungen, Schmalkalden, Meiningen und Ei- ten neben der lokal ausgerichteten Philoso- senach eine bunte Werbenummer verbreitet phie des Blattes ein Großteil des Erfolges aus. wurde. Mit einem Stand von 8.000 Abos und einer verkauften Auflage von 10.600 Exemplaren „Südthüringer Zeitung“ stand in großen ging das Jahr 1990 zu Ende. schwarzen Lettern darauf, „stz“ im blauen Kä- stchen. „Fliegen Sie mit uns nach Mallorca!“, Im März 1991, ein Jahr nach Gründung der stz, verhieß das Gewinnspiel für ein Abo der Zei- war die Zahl der Mitarbeiter auf 60 ange- tung, die für 60 Pfennig am Tag, 16 Mark im wachsen. Neben den fünf Lokalredaktionen Monat zu haben war. arbeitete eine Sport- und eine Politikredakti- on, zunehmend wurden die Seiten in Barch- Ein wahrer Bestell-Boom setzte ein. Die Schall- feld selbst und im Ganzseitenumbruch produ- mauer von 5.000 Abos (eingerechnet die FZ- ziert. Abos) wurde noch vor Erscheinen der ersten Nummer durchbrochen. Am 4. Oktober 1991 wurde in Bad Salzungen am Entleich das „stz-Pressezentrum“ mit Re- Wir alle waren glücklich, obwohl uns die daktion, Shop und Geschäftstelle eingeweiht, „Thüringer Neue Rundschau“ (TNR) – der Ab- vorher schon zogen die Schmalkalder aus leger der „Hersfelder Zeitung“ –, einige Tage Schmidts Wohnung in Räume in der Stadt um. zuvorgekommen war. Mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 waren Vielen der Leser, die statt der FZ dann die stz Jens Schmidt und Knut Bauer als Gesellschaf- geliefert wurde, waren anfänglich gar nicht ter ausgeschieden. glücklich. Einige protestierten heftig, weil sie „ihre Westzeitung“ behalten wollten. Das Der inzwischen verstorbene Bauer verabschie- nur am Rande ... dete sich von der stz, um seine eigene Firma, das in der Druckvorstufe tätige „pps“ (pre- Am 7. Februar produzierten wir mühsam an press-Studio) aufzubauen, und gründete spä- Bildschirmen im „Blauen Ochsen”, in Woh- ter die heute noch existente Druckfirma „Bau- nungen in Asbach bei Schmalkalden und in Ei- er & Malsch GmbH“. senach Artikel für die ersten lokalen Seiten, speicherten sie auf Disketten ab. Kuriere Schmidt war einige Monate als Chefredakteur brachten sie nach Fulda, wo die Zeitung mit tätig und wechselte dann zur „Magdeburger Mantelseiten komplettiert und gedruckt wur- Volksstimme”. Die Geschicke bei der stz über- de. nahmen die jungen Peter Ufer für die Redak- tion und Petra Haag als Verlagschefin. Am 8. März hielten wir die erste Nummer der stz mit vier selbstproduzierten von insgesamt Die stz prosperierte auch 1992 unverändert. 20 Seiten, in der einen, das Sektglas in der an- Eine Zäsur stellte der Wechsel zur Suhler Ver- deren Hand. 10.000 Exemplare waren ge- lagsgesellschaft am 1. Juli 1992 dar, wodurch druckt worden. der Süddeutsche Verlag Hauptgesellschafter wurde. Eine steile Aufwärtsentwicklung setzte ein, anfänglich unterstützt von Fachleuten vorwie- „Mangels Erfolg“ wurden die Ausgaben Ei- gend der FZ. Das Vertriebssystem wurde ver- senach, Meiningen, Suhl eingestellt, und vollkommnet, eine eigene Anzeigenabtei- fortan die drei Ausgaben Bad Salzungen, lung aufgebaut, eigene Geschäftsstellen Rhönkurier und Schmalkalden produziert. aquiriert, von denen es im September bereits 27 gab. Die Anzeigenabteilung wechselte zur „Thüringer Presse“, die Anzeigenberater wur- Am 13. März 1990 erschien die erste Rhön-Sei- den selbstständig. te, am 17. April in der Ausgabe Bad Salzungen erstmals zwei Lokalseiten, am 22. Mai die er- Der Personalbestand ging indes bis Ende 1992 ste Regionalsportseite. nur unwesentlich auf exakt 52 zurück.

Im August kam zu den vier Lokalredaktionen Die Zahl der Abos war auf 18.400 angewach- Bad Salzungen, Schmalkalden, Eisenach, Mei- sen, die verkaufte Auflage betrug 19.300, ningen die von Suhl hinzu. zeitweilig war die Schallmauer von 20.000 ver- kauften Zeitungen durchbrochen worden. Ende September wurden die Mitarbeiter und Abos der mangels Erfolg eingestellten TNR Die wilde Gründerzeit war vorbei, aber nicht übernommen. minder wilde Jahre sollten folgen.

38 39 Schmackhafter „Zeitungscocktail“

„Suhler Zeitung“ glänzte mit großem Lokalteil

Am 21. Juli 1990 reihte sich die „Suhler Zei- Gut eine Woche nach der Geburtsstunde der tung“ mit ihrer ersten Ausgabe in den bunten „Suhler Zeitung“, am 30. Juli, stellte sich des- Suhler Blätterwald der Wendezeit ein. sen siebenköpfiges Redaktionsteam seinen Lesern in Wort und Bild vor. Wir waren eine Die überparteiliche und unabhängige Lokal- junge und tatendurstige Mannschaft (mit zeitung kam ein paar Wochen früher, als es ur- fünffacher Frauenpower!), in der sich vorma- sprünglich vorgesehen war, auf den Markt. lige Agenturjournalisten von ADN Suhl und vormalige Zeitungsredakteure von „DIE „Da die regionale Tageszeitung ‚Die NEUE“ zusammen gefunden hatten. Neue’ ihr Erscheinen aus wirtschaftli- chen Gründen einstellt, möchten wir In einem „Wir über uns“ machten wir die Le- deren Lesern unsere ‚Suhler Zeitung’ ser mit unserem selbst gestellten Anspruch be- schon jetzt anbieten.“ kannt: „Objektivität, Fairneß, Offenheit, Re- So hieß es dazu in einem großen, blau unter- spekt vor der anderen Meinung und setzten Kasten auf Seite 1. demokratischen Mehrheiten, Vielfalt in der Berichterstattung – das ist das Re- Natürlich sollte die neue Heimatzeitung auch zept, nach dem wir unseren Zeitungs- für viele andere Menschen im Einzugsgebiet cocktail täglich mischen wollen.“ Suhl, Zella-Mehlis, Oberhof, Schleusingen und Umgebung zum täglichen „Wegbegleiter In unseren Redaktionsräumen in der damali- durch den Alltag“ werden. gen ADN-Bezirksredaktion Suhl standen wir nun vor der großen Aufgabe, uns bei laufen- Und siehe da: Von der Fülle an Neuerscheinun- dem Redaktionsbetrieb in eine neue Technik gen, die es damals vor Ort gab, war die „Suhler und ein neues Zeitungslayout reinzufuchsen. Zeitung“ letztlich das wohl am längsten exi- stierende Blatt. Es gab sie bis Herbst 1994. Für uns alle, sogar für unsere erfahrenen Zei- tungsredakteure, war es damals eine ganz Die Erstausgabe hatte zwei Lokalseiten. Sie schöne Umstellung, so große Beiträge zu waren sowohl mit lockerem Lesestoff, wie schreiben, wie es unsere Aufmacher oft waren. meinem Premierenartikel über eine Suhler Partnervermittlung, als auch problemorientier- Auch das Spiegeln der ungewohnt vierspalti- ten Abhandlungen, wie dem Ausbleiben von gen Seiten wollte erst einmal gelernt sein. Oberhofer Urlaubern, gefüllt. Dank eines Zir- kusgastspiels im Industriegebiet zwischen Suhl Doch wenn man sich mit dem Produkt identi- und Zella-Mehlis hatte es sogar ein Elefant auf fiziert und viel Herzblut reinhängt, wie wir es die Titelseite geschafft. damals taten, gelingt auch anfangs schier Un- mögliches. Bis auf Schleusingen war unser lokales „Re- vier“ damit schon einmal thematisch abge- Außerdem unterstützten uns in der ersten Zeit steckt. Kollegen vom „Meininger Tageblatt“, das ja im selben Verlag wie die „Suhler Zeitung“, Nun musste „nur noch“ Struktur in den Lokal- dem Verlagsbetrieb WPV – Werbung, Presse, teil gebracht werden. Dies gelang später auf er- Vertrieb, erschien. Der Druck - und anfangs folgreiche Weise mit den Rubriken „Suhler Zei- auch der Satz – erfolgte beim Verlag T. A. Scha- tung“, „Zella-Mehliser Anzeiger“, „Oberhofer chenmayer in Bad Kissingen. Rennsteigbote“ und „Schleusinger Tageblatt“. Unser flottes wie anspruchsvolles Motto fürs Die zuständigen Redakteure waren den Leu- Zeitungmachen lautete damals: ten vor Ort bestens bekannt und, so wie die Zeitung insgesamt, auch sehr anerkannt. „Es muß nicht jeden unserer Leser alles interessieren, was wir ins Blatt In den ersten Tagen ihres Bestehens gab es die heben, aber jeder soll das finden, „Suhler Zeitung“ nur am Kiosk oder im Laden was er sich von einer anspruchsvollen Lo- zu kaufen beziehungsweise fand den Weg als kalzeitung erwartet.“ Freiexemplar in die Briefkästen der erhofften Abonnenten in spe. In diesem Sinne wuchs der Lokalteil im Verlau- fe der Zeit auf täglich vier bis acht, mitunter Steffi Seidel Ich erinnere mich noch gut, dass zusätzlich zu sogar zehn oder elf Lokalseiten an, auf denen unseren Zustellern auch wir Redakteure an sich die Ereignisse und Probleme der Region 1989 - 1990 Erscheinungszeitraum: 21.07.1990 - 31.10.1991 Suhler Zeitung manchen Tagen mit Zeitungsbündeln loszo- widerspiegelten. Redakteurin 01.11.1991 - 30.09.1994 stz/Suhler Zeitung gen, um sie in den Briefkästen von großen ADN-Bezirksredaktion Suhl Auflage: 11.964 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92, Wohnblocks zu verteilen. Schließlich wollten Diese „Unübertroffenheit im Lokalteil“ war es mit Meininger Tageblatt) wir alle unser „Baby“ so schnell wie möglich dann auch, die die Leser in Umfragen, bei- 1990 - 1993 Verbreitungsgebiet: Suhl, Schleusingen, Zella-Mehlis, Oberhof zum Laufen bringen. spielsweise anlässlich des einjährigen Erschei- Redakteurin Chefredaktion: Ulrich Lutz nens am 20. Juli 1991, ganz besonders an der „Suhler Zeitung“ Verlag: WPV – Werbung, Presse, Vertrieb Meiningen Schon am 25. Juli, vier Tage nach der Erstaus- „Suhler Zeitung“ schätzten. Südthüringer Verlag GmbH, Barchfeld gabe, konnten wir über unsere erste Abo-Fa- seit 1994 Partner: Saale-Zeitung, Bad Kissingen milie berichten. freie Journalistin

40 41 Schmackhafter „Zeitungscocktail“

„Suhler Zeitung“ glänzte mit großem Lokalteil

Am 21. Juli 1990 reihte sich die „Suhler Zei- Gut eine Woche nach der Geburtsstunde der tung“ mit ihrer ersten Ausgabe in den bunten „Suhler Zeitung“, am 30. Juli, stellte sich des- Suhler Blätterwald der Wendezeit ein. sen siebenköpfiges Redaktionsteam seinen Lesern in Wort und Bild vor. Wir waren eine Die überparteiliche und unabhängige Lokal- junge und tatendurstige Mannschaft (mit zeitung kam ein paar Wochen früher, als es ur- fünffacher Frauenpower!), in der sich vorma- sprünglich vorgesehen war, auf den Markt. lige Agenturjournalisten von ADN Suhl und vormalige Zeitungsredakteure von „DIE „Da die regionale Tageszeitung ‚Die NEUE“ zusammen gefunden hatten. Neue’ ihr Erscheinen aus wirtschaftli- chen Gründen einstellt, möchten wir In einem „Wir über uns“ machten wir die Le- deren Lesern unsere ‚Suhler Zeitung’ ser mit unserem selbst gestellten Anspruch be- schon jetzt anbieten.“ kannt: „Objektivität, Fairneß, Offenheit, Re- So hieß es dazu in einem großen, blau unter- spekt vor der anderen Meinung und setzten Kasten auf Seite 1. demokratischen Mehrheiten, Vielfalt in der Berichterstattung – das ist das Re- Natürlich sollte die neue Heimatzeitung auch zept, nach dem wir unseren Zeitungs- für viele andere Menschen im Einzugsgebiet cocktail täglich mischen wollen.“ Suhl, Zella-Mehlis, Oberhof, Schleusingen und Umgebung zum täglichen „Wegbegleiter In unseren Redaktionsräumen in der damali- durch den Alltag“ werden. gen ADN-Bezirksredaktion Suhl standen wir nun vor der großen Aufgabe, uns bei laufen- Und siehe da: Von der Fülle an Neuerscheinun- dem Redaktionsbetrieb in eine neue Technik gen, die es damals vor Ort gab, war die „Suhler und ein neues Zeitungslayout reinzufuchsen. Zeitung“ letztlich das wohl am längsten exi- stierende Blatt. Es gab sie bis Herbst 1994. Für uns alle, sogar für unsere erfahrenen Zei- tungsredakteure, war es damals eine ganz Die Erstausgabe hatte zwei Lokalseiten. Sie schöne Umstellung, so große Beiträge zu waren sowohl mit lockerem Lesestoff, wie schreiben, wie es unsere Aufmacher oft waren. meinem Premierenartikel über eine Suhler Partnervermittlung, als auch problemorientier- Auch das Spiegeln der ungewohnt vierspalti- ten Abhandlungen, wie dem Ausbleiben von gen Seiten wollte erst einmal gelernt sein. Oberhofer Urlaubern, gefüllt. Dank eines Zir- kusgastspiels im Industriegebiet zwischen Suhl Doch wenn man sich mit dem Produkt identi- und Zella-Mehlis hatte es sogar ein Elefant auf fiziert und viel Herzblut reinhängt, wie wir es die Titelseite geschafft. damals taten, gelingt auch anfangs schier Un- mögliches. Bis auf Schleusingen war unser lokales „Re- vier“ damit schon einmal thematisch abge- Außerdem unterstützten uns in der ersten Zeit steckt. Kollegen vom „Meininger Tageblatt“, das ja im selben Verlag wie die „Suhler Zeitung“, Nun musste „nur noch“ Struktur in den Lokal- dem Verlagsbetrieb WPV – Werbung, Presse, teil gebracht werden. Dies gelang später auf er- Vertrieb, erschien. Der Druck - und anfangs folgreiche Weise mit den Rubriken „Suhler Zei- auch der Satz – erfolgte beim Verlag T. A. Scha- tung“, „Zella-Mehliser Anzeiger“, „Oberhofer chenmayer in Bad Kissingen. Rennsteigbote“ und „Schleusinger Tageblatt“. Unser flottes wie anspruchsvolles Motto fürs Die zuständigen Redakteure waren den Leu- Zeitungmachen lautete damals: ten vor Ort bestens bekannt und, so wie die Zeitung insgesamt, auch sehr anerkannt. „Es muß nicht jeden unserer Leser alles interessieren, was wir ins Blatt In den ersten Tagen ihres Bestehens gab es die heben, aber jeder soll das finden, „Suhler Zeitung“ nur am Kiosk oder im Laden was er sich von einer anspruchsvollen Lo- zu kaufen beziehungsweise fand den Weg als kalzeitung erwartet.“ Freiexemplar in die Briefkästen der erhofften Abonnenten in spe. In diesem Sinne wuchs der Lokalteil im Verlau- fe der Zeit auf täglich vier bis acht, mitunter Steffi Seidel Ich erinnere mich noch gut, dass zusätzlich zu sogar zehn oder elf Lokalseiten an, auf denen unseren Zustellern auch wir Redakteure an sich die Ereignisse und Probleme der Region 1989 - 1990 Erscheinungszeitraum: 21.07.1990 - 31.10.1991 Suhler Zeitung manchen Tagen mit Zeitungsbündeln loszo- widerspiegelten. Redakteurin 01.11.1991 - 30.09.1994 stz/Suhler Zeitung gen, um sie in den Briefkästen von großen ADN-Bezirksredaktion Suhl Auflage: 11.964 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92, Wohnblocks zu verteilen. Schließlich wollten Diese „Unübertroffenheit im Lokalteil“ war es mit Meininger Tageblatt) wir alle unser „Baby“ so schnell wie möglich dann auch, die die Leser in Umfragen, bei- 1990 - 1993 Verbreitungsgebiet: Suhl, Schleusingen, Zella-Mehlis, Oberhof zum Laufen bringen. spielsweise anlässlich des einjährigen Erschei- Redakteurin Chefredaktion: Ulrich Lutz nens am 20. Juli 1991, ganz besonders an der „Suhler Zeitung“ Verlag: WPV – Werbung, Presse, Vertrieb Meiningen Schon am 25. Juli, vier Tage nach der Erstaus- „Suhler Zeitung“ schätzten. Südthüringer Verlag GmbH, Barchfeld gabe, konnten wir über unsere erste Abo-Fa- seit 1994 Partner: Saale-Zeitung, Bad Kissingen milie berichten. freie Journalistin

40 41 „Macht sie teurer!“

Die „Thüringer Allgemeine“ – die erste Reformzeitung der DDR

Montag, 8. Januar 1990 an die Partei erscheinen, die Zeitung in die Frei- Aus. Vorbei. Die Tür der Chefredaktion in der heit zu entlassen. Doch der Chef legt sich quer. achten Etage des Hochhauses am Juri-Gagarin- Er hat Angst, die Genossen in Berlin könnten sich Ring in Erfurt fliegt mit Getöse auf. dadurch erpresst fühlen. Und der Mann hat nach wie vor die Autorität. Der jahrelange Druck, Rot angelaufen vor Wut stürmt der Ressortchef v. a. vom örtlichen Parteichef, einem Stalinisten der Innenpolitik über den Gang: „Dieser miese alter Prägung, lastet auf der Redaktion. Verräter! Mit dem? Niemals mehr!“ Mit Bedauern bemerke ich, dass der Briefum- Ich stelle mich ihm in den Weg und will wissen, schlag immer noch in meiner Tasche und nicht was da in den letzten zwei Stunden hinter ver- im Briefkasten liegt. schlossener Tür passiert ist. Einem normalen Re- dakteur ist der Zutritt zu den Sitzungen des Kol- Mittwoch, 10. Januar 1990 legiums verwehrt. Da sind Chefredaktion und Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Ressortleiter lieber unter sich. Die Chefredakteure aller SED-Zeitungen sind, ei- Nun das. Der Mann ist nicht zu beruhigen. Und ner alten Tradition folgend, zur Anleitung ins ZK was wirklich geschehen ist, das ist aus ihm nicht nach Berlin einbestellt. Gysi und Co. planen, die herauszukriegen. Nur eines scheint klar: Ein wei- einzigen Massenblätter des Landes voll in ihren terer Versuch, die Zeitung endlich aus den Klau- Wahlkampf einzubeziehen. Es sollen „unver- en der SED zu reißen, ist offenbar gescheitert. brauchte Genossen“ in der Öffentlichkeit aufge- baut werden. Eine Aufgabe, wie geschaffen für Seit dem Oktober, der dritte oder vierte Anlauf. Parteijournalisten ...

Es ist eben eine deutsche Revolution. Ohne po- Mitten in der Besprechung wird der Redaktions- lizeiliches Führungszeugnis, ohne Anträge in leiter aus Erfurt zum Telefon gerufen. Als er dreifacher Ausführung, geht gar nichts. Und zurückkommt, ist er blass: „Ich glaube, die ha- wenn die Mehrheit auch weiter gerne Parteizei- ben mich gerade abgesetzt.” tung bleiben möchte, weil sie das vierzig Jahre so gewohnt ist, und weil das Neue ungeheuer Ausgerüstet mit den Verwünschungen und den schreckt, dann hast du eben Pech. Drohungen der Berliner Parteispitze eilt er im Lada zurück nach Thüringen. Es sind noch 270 Tage bis zum Ende der DDR. Doch an diesem späten Abend in der Erfurter Die Oberen befürchten einen Flächenbrand Redaktion „Das Volk“, weiß das natürlich nie- und reagieren mit Erpressung: Als prompte Re- mand. Wie überhaupt vieles immer wieder un- aktion wird den Erfurtern mit dem Stopp der Pa- klar erscheint. Manches sieht sogar plötzlich so pierlieferungen und dem Zudrehen des Geld- aus, als bewege sich die Zeit rückwärts. hahns gedroht.

Später, als auf dem Flur wieder Ruhe eingekehrt, Das sind nicht nur leere Worte, denn die Papier- setze ich mich an die klapprige „Optima“ und vorräte reichen nur wenige Tage. Und zu kau- tippe drei Zeilen: „Ich beantrage die Erteilung fen gibt es so etwas in der DDR nicht. einer Lizenz zur Herstellung einer regionalen Ta- geszeitung mit dem Namen Thüringer Allgemei- Was war passiert? Die Morgenkonferenz in der ne Zeitung. Darunter meine Unterschrift. Redaktion verläuft lustlos, aber routiniert. Bis die Nachricht, dass es zu ersten Streiks in den Empfänger ist der Rat des Bezirkes Erfurt, der Druckereien des Osten gekommen ist, die Re- seit kurzen auf Drängen oppositioneller Grup- dakteure elektrisiert. Der Zwist vom Montag ist pen die Genehmigungen für die Herausgabe vergessen. von Publikationen erteilen kann. Sergej Lochthofen Nach einer hitzigen Diskussion darüber, ob und Ich packe das Schreiben in einen Umschlag. Lei- welche Chancen die alten Parteiblätter, ob nun 1971 - 1973 der ist keine Briefmarke zur Hand. So nehme ich SED, CDU oder LDPD, überhaupt noch haben, Volontär mir vor, den Antrag morgen vor der Arbeit di- nimmt die Rebellion wieder Fahrt auf. Die alte „Das Volk“, Erfurt rekt bei der Behörde abzugeben. Chefredaktion zerfällt. Nur der unmittelbare Stellvertreter des Chefs stimmt gegen einen ent- 1973 - 1977 Als die nächsten Teilnehmer der Runde die Chef- sprechenden Beschluss. Verlässt aber ansch- Studium der Journalistik, redaktion verlassen, wird klar, was passiert ist: In ließend das Haus. Karl-Marx-Universität Leipzig, der entscheidenden Abstimmung ist der Ressort- Abschluss als Diplom-Journa- chef Politik eingeknickt. Obwohl zum harten Später wird bekannt, dass er einen Nervenzu- list Erscheinungszeitraum: 06.04.1950 - 14.08.1952 Das Volk (thüringenweit) Kern der Rebellen gehörend, stimmte er mit den sammenbruch erlitten hat. 15.08.1952 - 15.01.1990 Das Volk (Bezirk Erfurt) Alten. Die Hoffnung, die Redaktion von innen zu 1977 - 1990 seit 16.01.1990 Thüringer Allgemeine reformieren, zerschlug sich damit endgültig. Hochstimmung auf den Redaktionsfluren. Die Nachrichtenredakteur Auflage: 300.200 (Angaben Bundespresseamt III/92) jüngeren unter den Mitarbeitern jubilieren. Die „Das Volk“, Erfurt Verbreitungsgebiet: Apolda, Arnstadt, Bad Langensalza, Eisenach, Erfurt, Gotha, Heiligenstadt, Dienstag, 9. Januar 1990 Älteren sind still und verunsichert. Am Abend Mühlhausen, Nordhausen, Sömmerda, Sondershausen/Artern, Weimar, Worbis Frühkonferenz 9.30 Uhr. Der Chefredakteur wieder ein Rückschlag. Der aus Berlin zurückge- 1990 - 2009 Chefredaktion: Sergej Lochthofen warnt die Teilnehmer vor „übereilten Schritten“. kehrte Chefredakteur weigert sich nicht nur ab- Chefredakteur Verlag: Thüringer Allgemeine Verlag GmbH & Co. KG, Erfurt Was er damit meint, weiß die Runde nur zu gut. zutreten, sondern will mit einigen Getreuen „Thüringer Allgemeine“, Partner: WAZ-Mediengruppe Eigentlich sollte in der Ausgabe die Forderung weiter machen. Den Umstürzlern droht erneut, Erfurt

42 43 „Macht sie teurer!“

Die „Thüringer Allgemeine“ – die erste Reformzeitung der DDR

Montag, 8. Januar 1990 an die Partei erscheinen, die Zeitung in die Frei- Aus. Vorbei. Die Tür der Chefredaktion in der heit zu entlassen. Doch der Chef legt sich quer. achten Etage des Hochhauses am Juri-Gagarin- Er hat Angst, die Genossen in Berlin könnten sich Ring in Erfurt fliegt mit Getöse auf. dadurch erpresst fühlen. Und der Mann hat nach wie vor die Autorität. Der jahrelange Druck, Rot angelaufen vor Wut stürmt der Ressortchef v. a. vom örtlichen Parteichef, einem Stalinisten der Innenpolitik über den Gang: „Dieser miese alter Prägung, lastet auf der Redaktion. Verräter! Mit dem? Niemals mehr!“ Mit Bedauern bemerke ich, dass der Briefum- Ich stelle mich ihm in den Weg und will wissen, schlag immer noch in meiner Tasche und nicht was da in den letzten zwei Stunden hinter ver- im Briefkasten liegt. schlossener Tür passiert ist. Einem normalen Re- dakteur ist der Zutritt zu den Sitzungen des Kol- Mittwoch, 10. Januar 1990 legiums verwehrt. Da sind Chefredaktion und Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse. Ressortleiter lieber unter sich. Die Chefredakteure aller SED-Zeitungen sind, ei- Nun das. Der Mann ist nicht zu beruhigen. Und ner alten Tradition folgend, zur Anleitung ins ZK was wirklich geschehen ist, das ist aus ihm nicht nach Berlin einbestellt. Gysi und Co. planen, die herauszukriegen. Nur eines scheint klar: Ein wei- einzigen Massenblätter des Landes voll in ihren terer Versuch, die Zeitung endlich aus den Klau- Wahlkampf einzubeziehen. Es sollen „unver- en der SED zu reißen, ist offenbar gescheitert. brauchte Genossen“ in der Öffentlichkeit aufge- baut werden. Eine Aufgabe, wie geschaffen für Seit dem Oktober, der dritte oder vierte Anlauf. Parteijournalisten ...

Es ist eben eine deutsche Revolution. Ohne po- Mitten in der Besprechung wird der Redaktions- lizeiliches Führungszeugnis, ohne Anträge in leiter aus Erfurt zum Telefon gerufen. Als er dreifacher Ausführung, geht gar nichts. Und zurückkommt, ist er blass: „Ich glaube, die ha- wenn die Mehrheit auch weiter gerne Parteizei- ben mich gerade abgesetzt.” tung bleiben möchte, weil sie das vierzig Jahre so gewohnt ist, und weil das Neue ungeheuer Ausgerüstet mit den Verwünschungen und den schreckt, dann hast du eben Pech. Drohungen der Berliner Parteispitze eilt er im Lada zurück nach Thüringen. Es sind noch 270 Tage bis zum Ende der DDR. Doch an diesem späten Abend in der Erfurter Die Oberen befürchten einen Flächenbrand Redaktion „Das Volk“, weiß das natürlich nie- und reagieren mit Erpressung: Als prompte Re- mand. Wie überhaupt vieles immer wieder un- aktion wird den Erfurtern mit dem Stopp der Pa- klar erscheint. Manches sieht sogar plötzlich so pierlieferungen und dem Zudrehen des Geld- aus, als bewege sich die Zeit rückwärts. hahns gedroht.

Später, als auf dem Flur wieder Ruhe eingekehrt, Das sind nicht nur leere Worte, denn die Papier- setze ich mich an die klapprige „Optima“ und vorräte reichen nur wenige Tage. Und zu kau- tippe drei Zeilen: „Ich beantrage die Erteilung fen gibt es so etwas in der DDR nicht. einer Lizenz zur Herstellung einer regionalen Ta- geszeitung mit dem Namen Thüringer Allgemei- Was war passiert? Die Morgenkonferenz in der ne Zeitung. Darunter meine Unterschrift. Redaktion verläuft lustlos, aber routiniert. Bis die Nachricht, dass es zu ersten Streiks in den Empfänger ist der Rat des Bezirkes Erfurt, der Druckereien des Osten gekommen ist, die Re- seit kurzen auf Drängen oppositioneller Grup- dakteure elektrisiert. Der Zwist vom Montag ist pen die Genehmigungen für die Herausgabe vergessen. von Publikationen erteilen kann. Sergej Lochthofen Nach einer hitzigen Diskussion darüber, ob und Ich packe das Schreiben in einen Umschlag. Lei- welche Chancen die alten Parteiblätter, ob nun 1971 - 1973 der ist keine Briefmarke zur Hand. So nehme ich SED, CDU oder LDPD, überhaupt noch haben, Volontär mir vor, den Antrag morgen vor der Arbeit di- nimmt die Rebellion wieder Fahrt auf. Die alte „Das Volk“, Erfurt rekt bei der Behörde abzugeben. Chefredaktion zerfällt. Nur der unmittelbare Stellvertreter des Chefs stimmt gegen einen ent- 1973 - 1977 Als die nächsten Teilnehmer der Runde die Chef- sprechenden Beschluss. Verlässt aber ansch- Studium der Journalistik, redaktion verlassen, wird klar, was passiert ist: In ließend das Haus. Karl-Marx-Universität Leipzig, der entscheidenden Abstimmung ist der Ressort- Abschluss als Diplom-Journa- chef Politik eingeknickt. Obwohl zum harten Später wird bekannt, dass er einen Nervenzu- list Erscheinungszeitraum: 06.04.1950 - 14.08.1952 Das Volk (thüringenweit) Kern der Rebellen gehörend, stimmte er mit den sammenbruch erlitten hat. 15.08.1952 - 15.01.1990 Das Volk (Bezirk Erfurt) Alten. Die Hoffnung, die Redaktion von innen zu 1977 - 1990 seit 16.01.1990 Thüringer Allgemeine reformieren, zerschlug sich damit endgültig. Hochstimmung auf den Redaktionsfluren. Die Nachrichtenredakteur Auflage: 300.200 (Angaben Bundespresseamt III/92) jüngeren unter den Mitarbeitern jubilieren. Die „Das Volk“, Erfurt Verbreitungsgebiet: Apolda, Arnstadt, Bad Langensalza, Eisenach, Erfurt, Gotha, Heiligenstadt, Dienstag, 9. Januar 1990 Älteren sind still und verunsichert. Am Abend Mühlhausen, Nordhausen, Sömmerda, Sondershausen/Artern, Weimar, Worbis Frühkonferenz 9.30 Uhr. Der Chefredakteur wieder ein Rückschlag. Der aus Berlin zurückge- 1990 - 2009 Chefredaktion: Sergej Lochthofen warnt die Teilnehmer vor „übereilten Schritten“. kehrte Chefredakteur weigert sich nicht nur ab- Chefredakteur Verlag: Thüringer Allgemeine Verlag GmbH & Co. KG, Erfurt Was er damit meint, weiß die Runde nur zu gut. zutreten, sondern will mit einigen Getreuen „Thüringer Allgemeine“, Partner: WAZ-Mediengruppe Eigentlich sollte in der Ausgabe die Forderung weiter machen. Den Umstürzlern droht erneut, Erfurt

42 43 die Luft auszugehen. Der Umschlag ist immer Um 9 Uhr ist in der Druckereikantine die alles noch nicht auf der Post. entscheidende Versammlung. Da wird es auch um einen neuen Namen für die Zeitung gehen. Donnerstag, 11. Januar 1990 Nicht, weil man den Leser etwas vormachen Mit dem Beginn der Konferenz legen alle Res- möchte. Nein. Vierzig Jahre nicht für das Volk zu sortleiter ihre Ämter nieder. Nur die Verantwort- schreiben und sich weiter „Das Volk“ nennen, liche des „Parteilebens“, einer Abteilung, die erst das geht einfach nicht. Es soll ein klares Zeichen kurz vor der Wende auf Druck von Oben ge- gesetzt werden. schaffen werden musste, macht nicht mit. Die Re- dakteure bestehen darauf, dass ihre Rücktritte Dass später im Osten daraus eine Art Epidemie in der Zeitung stehen. Der Chefredakteur lehnt wird, und andere Titel dem Beispiel folgen, das ab: „Auch morgen erscheinen wir als Parteior- kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen. gan“, setzt er fast trotzig nach. Fast sechs Stunden dauern die Debatten. Am Doch die Rebellen haben vorgesorgt. Die Dru- überzeugendsten erweist sich die Äußerung cker sichern zu, dass nur noch das erscheint, was des anwesenden „Alt-Eigentümers“. Der neue sie frei geben. So fehlt am nächsten Tag auf Sei- Bezirkschef der SED/PDS, Günter Ostrowski, der te zwei das Impressum. Statt dessen ziert ein später eine Kondom-Firma leitet und sich gern sechsspaltiger grauer Balken, in der Redaktion mit dem Satz zitieren lässt: „Die Roten gehen das „Expressum“ getauft, den Keller. besonders gut!“, fordert die Redakteure auf, notfalls unterzugehen, statt den unsicheren Auf dem Umschlag klebt längst die Briefmarke. Weg in die Unabhängigkeit zu wählen. Dennoch, ich zögere. Selbst die Einhundertfünfzigprozentigen sind Freitag, 12. Januar 1990 entsetzt. Von 197 Kollegen aus Redaktion und Frühkonferenz. Ein blasser Chefredakteur teilt Verlag stimmen 192 für eine parteiunabhängi- mit, dass er die Partei ersucht habe, ihn abzube- ge Zeitung. Zwei sind dagegen und drei ent- rufen. Er bedauere, den Weg in Richtung auf ei- halten sich der Stimme. Selbst der alte Chef- ne unabhängige Zeitung so lange blockiert zu redakteur hebt die Hand, obwohl er diesen Weg haben. Er hoffe, dass es noch nicht zu spät sei. nicht mitgehen wird. Die erste Reformzeitung der DDR ist Realität. Weitere werden folgen. Der Jubel über den Durchbruch fällt eher verhal- Manche bereits Tage später, andere erst in Mo- ten aus. Sofort wird ein Komitee aus allen Res- naten. sorts gebildet, dass eine Vollversammlung der Redaktion und des Verlages für den kommen- Ein frei gewählter Redaktionsrat übernimmt die den Tag vorbereitet. Leitung der Zeitung. Der Name „Thüringer All- gemeine“ setzt sich gegen „Thüringer Volk“, Plötzlich tut sich eine neue Schwierigkeit auf. Im „Neue Thüringer Zeitung“ und „Thüringer Gegensatz zum Chefredakteur, weigert sich der Volksblatt“ durch. Der Druckereichef sichert Verlagsleiter abzudanken. Die Kollegen im Ver- der Zeitung zu, diese in einem Konfliktfall mit lag sind ratlos. Spontan wird in der Redaktion der SED/PDS in jeder Hinsicht zu unterstützen. ein revolutionärer Stoßtrupp zusammengestellt und eilt den Verlagsmitarbeitern zur Hilfe. An- Montag, 15. Januar 1990 geführt von dem eher ruhigeren, aber jetzt Die Zeitung erscheint mit einem doppelten äußerst entschlossen wirkenden Ressortchef Kopf: „Das Volk“ wird überdeckt von dem neu- Kultur stürmt die Gruppe an der Sekretärin vor- en Namenszug „Thüringer Allgemeine“. Dem bei in das geräumige Arbeitszimmer des Ver- sieht man die handgemachte Federzeichnung lagchefs. Der ist über so viel wütendes Aufbe- deutlich an. Großflächige Erklärungen an die gehren perplex. Und dankt ab. Leser machen deutlich, in welche Richtung sich die Zeitung inhaltlich entwickeln möchte. Die Sonnabend, 13. Januar 1990 ohnehin hohe Auflage von rund 400.000 ver- Es ist ganz früher Morgen. Der altersschwache kauften Exemplaren steigt jetzt noch deutlich Wartburg poltert über die Landstraße von Erfurt an. nach Vieselbach. Es ist noch dunkel und kalt. Endlich haben wir das richtige Haus gefunden. Dienstag, 16. Januar 1990 Der Ressortchef Landwirtschaft kennt sich im Die erste Ausgabe der „Thüringer Allgemeine“ Ort aus. Seine Frau hat hier mehrere Jahre als macht auf mit Reaktionen der Leser, die sich zu Lehrerin gearbeitet. Der Mann, den wir su- dem spektakulären Schritt äußern. chen, ist Stadtarchivar. Wir holen ihn ab und ei- len zurück in die Stadt, ins Rathaus. Donnerstag, 18. Januar 1990 Als Abgesandter der Redaktion spreche ich vor Wir laufen über Treppen, durch Kellergänge. 40.000 Demonstranten auf dem Erfurter Dom- Endlich stehen wir vor dem richtigen Regal. Der platz über die Visionen und die harten Realitä- Archivar stapelt die verstaubten Bände der ten einer unabhängigen Zeitung. Auf den Hin- „Thüringer Allgemeinen Zeitung“ auf den Tisch. weis, dass Unabhängigkeit ihren Preis hat, und Es geht um die Ausgaben in den 30er Jahren bis die „Thüringer Allgemeine“ im Gegensatz zum hin zur Einstellung des Blatts im Krieg. Wir ha- „Volk“ nicht mehr 15 Pfennig kosten kann, er- ben keine Ahnung, was uns erwartet. Es wäre schallen frenetische Rufe: „Macht sie teurer! peinlich und ginge gar nicht, wäre der Titel Macht sie teurer!“. Es ist das erste und letzte „Thüringer Allgemeine“ historisch vorbelastet. Mal, dass ich so etwas höre.

Entwarnung. Die Zeitung war kein Nazi-Blatt, Mein Briefumschlag mit dem Antrag auf Geneh- auch wenn sie wie alle anderen zum Ende hin migung für die Gründung einer Zeitung bleibt gleichgeschaltet wird. im Schreibtisch liegen.

44 45 die Luft auszugehen. Der Umschlag ist immer Um 9 Uhr ist in der Druckereikantine die alles noch nicht auf der Post. entscheidende Versammlung. Da wird es auch um einen neuen Namen für die Zeitung gehen. Donnerstag, 11. Januar 1990 Nicht, weil man den Leser etwas vormachen Mit dem Beginn der Konferenz legen alle Res- möchte. Nein. Vierzig Jahre nicht für das Volk zu sortleiter ihre Ämter nieder. Nur die Verantwort- schreiben und sich weiter „Das Volk“ nennen, liche des „Parteilebens“, einer Abteilung, die erst das geht einfach nicht. Es soll ein klares Zeichen kurz vor der Wende auf Druck von Oben ge- gesetzt werden. schaffen werden musste, macht nicht mit. Die Re- dakteure bestehen darauf, dass ihre Rücktritte Dass später im Osten daraus eine Art Epidemie in der Zeitung stehen. Der Chefredakteur lehnt wird, und andere Titel dem Beispiel folgen, das ab: „Auch morgen erscheinen wir als Parteior- kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand wissen. gan“, setzt er fast trotzig nach. Fast sechs Stunden dauern die Debatten. Am Doch die Rebellen haben vorgesorgt. Die Dru- überzeugendsten erweist sich die Äußerung cker sichern zu, dass nur noch das erscheint, was des anwesenden „Alt-Eigentümers“. Der neue sie frei geben. So fehlt am nächsten Tag auf Sei- Bezirkschef der SED/PDS, Günter Ostrowski, der te zwei das Impressum. Statt dessen ziert ein später eine Kondom-Firma leitet und sich gern sechsspaltiger grauer Balken, in der Redaktion mit dem Satz zitieren lässt: „Die Roten gehen das „Expressum“ getauft, den Keller. besonders gut!“, fordert die Redakteure auf, notfalls unterzugehen, statt den unsicheren Auf dem Umschlag klebt längst die Briefmarke. Weg in die Unabhängigkeit zu wählen. Dennoch, ich zögere. Selbst die Einhundertfünfzigprozentigen sind Freitag, 12. Januar 1990 entsetzt. Von 197 Kollegen aus Redaktion und Frühkonferenz. Ein blasser Chefredakteur teilt Verlag stimmen 192 für eine parteiunabhängi- mit, dass er die Partei ersucht habe, ihn abzube- ge Zeitung. Zwei sind dagegen und drei ent- rufen. Er bedauere, den Weg in Richtung auf ei- halten sich der Stimme. Selbst der alte Chef- ne unabhängige Zeitung so lange blockiert zu redakteur hebt die Hand, obwohl er diesen Weg haben. Er hoffe, dass es noch nicht zu spät sei. nicht mitgehen wird. Die erste Reformzeitung der DDR ist Realität. Weitere werden folgen. Der Jubel über den Durchbruch fällt eher verhal- Manche bereits Tage später, andere erst in Mo- ten aus. Sofort wird ein Komitee aus allen Res- naten. sorts gebildet, dass eine Vollversammlung der Redaktion und des Verlages für den kommen- Ein frei gewählter Redaktionsrat übernimmt die den Tag vorbereitet. Leitung der Zeitung. Der Name „Thüringer All- gemeine“ setzt sich gegen „Thüringer Volk“, Plötzlich tut sich eine neue Schwierigkeit auf. Im „Neue Thüringer Zeitung“ und „Thüringer Gegensatz zum Chefredakteur, weigert sich der Volksblatt“ durch. Der Druckereichef sichert Verlagsleiter abzudanken. Die Kollegen im Ver- der Zeitung zu, diese in einem Konfliktfall mit lag sind ratlos. Spontan wird in der Redaktion der SED/PDS in jeder Hinsicht zu unterstützen. ein revolutionärer Stoßtrupp zusammengestellt und eilt den Verlagsmitarbeitern zur Hilfe. An- Montag, 15. Januar 1990 geführt von dem eher ruhigeren, aber jetzt Die Zeitung erscheint mit einem doppelten äußerst entschlossen wirkenden Ressortchef Kopf: „Das Volk“ wird überdeckt von dem neu- Kultur stürmt die Gruppe an der Sekretärin vor- en Namenszug „Thüringer Allgemeine“. Dem bei in das geräumige Arbeitszimmer des Ver- sieht man die handgemachte Federzeichnung lagchefs. Der ist über so viel wütendes Aufbe- deutlich an. Großflächige Erklärungen an die gehren perplex. Und dankt ab. Leser machen deutlich, in welche Richtung sich die Zeitung inhaltlich entwickeln möchte. Die Sonnabend, 13. Januar 1990 ohnehin hohe Auflage von rund 400.000 ver- Es ist ganz früher Morgen. Der altersschwache kauften Exemplaren steigt jetzt noch deutlich Wartburg poltert über die Landstraße von Erfurt an. nach Vieselbach. Es ist noch dunkel und kalt. Endlich haben wir das richtige Haus gefunden. Dienstag, 16. Januar 1990 Der Ressortchef Landwirtschaft kennt sich im Die erste Ausgabe der „Thüringer Allgemeine“ Ort aus. Seine Frau hat hier mehrere Jahre als macht auf mit Reaktionen der Leser, die sich zu Lehrerin gearbeitet. Der Mann, den wir su- dem spektakulären Schritt äußern. chen, ist Stadtarchivar. Wir holen ihn ab und ei- len zurück in die Stadt, ins Rathaus. Donnerstag, 18. Januar 1990 Als Abgesandter der Redaktion spreche ich vor Wir laufen über Treppen, durch Kellergänge. 40.000 Demonstranten auf dem Erfurter Dom- Endlich stehen wir vor dem richtigen Regal. Der platz über die Visionen und die harten Realitä- Archivar stapelt die verstaubten Bände der ten einer unabhängigen Zeitung. Auf den Hin- „Thüringer Allgemeinen Zeitung“ auf den Tisch. weis, dass Unabhängigkeit ihren Preis hat, und Es geht um die Ausgaben in den 30er Jahren bis die „Thüringer Allgemeine“ im Gegensatz zum hin zur Einstellung des Blatts im Krieg. Wir ha- „Volk“ nicht mehr 15 Pfennig kosten kann, er- ben keine Ahnung, was uns erwartet. Es wäre schallen frenetische Rufe: „Macht sie teurer! peinlich und ginge gar nicht, wäre der Titel Macht sie teurer!“. Es ist das erste und letzte „Thüringer Allgemeine“ historisch vorbelastet. Mal, dass ich so etwas höre.

Entwarnung. Die Zeitung war kein Nazi-Blatt, Mein Briefumschlag mit dem Antrag auf Geneh- auch wenn sie wie alle anderen zum Ende hin migung für die Gründung einer Zeitung bleibt gleichgeschaltet wird. im Schreibtisch liegen.

44 45 Der Nachruf war schnell fällig

Ein besonderer Frühlingsbote – die „Thüringer Neue Rundschau“

Heiß war der Sommer 1990 und voller „brand- Zeitungslandschaft gemacht und unter der heißer“ Geschichten für die Redakteure der Hand schon Abo-Kunden gegen Anzeigenge- „Thüringer Neuen Rundschau“ in Bad Salzun- biete getauscht hatten. „Die Schränke sind gen. Sperrmüll, die Schreibtische noch halbwegs in Ordnung, die Fotoapparate müssen zurückge- Wenige Monate zuvor, im März des Nachwen- geben werden und was aus den Schreibma- dejahres, hatte der Thüringer Ableger der al- schinen werden soll, wird man sehen“, beka- tehrwürdigen „Hersfelder Zeitung“ für die men die staunenden Gastgeber zu hören. Kreise Bad Salzungen und Schmalkalden das Licht der Welt erblickt. Erst danach ließen sich die Vertreter von Hers- felder und Fuldaer beziehungsweise Seit dem Frühjahr waren Andrea Mocka, Su- Südthüringer Zeitung dazu herab, mitzuteilen, sann Schönewald, Günther Baumgarten, Tho- dass Ende des Monats August Schluss sein sol- mas Klemm, Wolfgang Tietz und Volontär le mit der „Thüringer Neuen Rundschau“. Dag-Michael Heurich auf der Jagd nach Ge- schichten über die Schicksale von Land und Aus, vorbei! Leuten. Sie berichteten über die politischen, sportlichen, kulturellen und sozialen Verände- Der Schock bei den TNR-Leuten saß tief. Völ- rungen in Westthüringen. Sie taten dies, oh- lig unvorbereitet ereilte sie diese Entschei- ne nach dem Feierabend zu schielen. Und sie dung, die einzig und allein aus wirtschaftli- waren sich auch nicht zu schade, Begrüßungs- chen Gründen getroffen wurde. geschenke und Tombolapreise für ihre Abon- nenten bis in die hintersten Winkel der Hohen Sicher, alle Mitarbeiter wurden übernommen Rhön zu bringen. Denn im Kampf um neue Le- und kamen zunächst in der „stz - Südthüringer ser galt es, nicht nur die journalistischen Regi- Zeitung“ unter. Mancher von ihnen ist heute ster zu ziehen. Alle Mitarbeiter standen wie noch dort ... ein Mann hinter ihrer TNR, ihrem geistigen Kind, das sie großziehen und zum Meinungs- Doch dieser Tatsache, die heute bei einer führer für die Region Bad Salzungen machen Übernahme einen Glücksfall für die Beschäf- wollten. tigten darstellt, wurde von den Betroffenen zum damaligen Zeitpunkt zunächst kaum Be- Doch auch die Konkurrenz schlief nicht. Neben achtung geschenkt. Viel schwerer wog für sie, der etablierten Tageszeitung „Freies Wort“, dass die Anstrengungen, eine neue Zeitung die im Sommer 1990 erheblich an Boden ein- auf einem umkämpften Markt zu etablieren, büßte, schossen mit der „stz - Südthüringer einfach weggewischt werden sollten. Zeitung“, der „Tagespost“ und anderen neue Angebote aus dem Boden und lieferten sich Vierzehn Tage ließ man den Rundschau-Leu- mit der „Thüringer Neuen Rundschau“ einen ten Zeit, diesen Schlag zu verdauen und die Wettbewerb um Leser und um Anzeigenkun- letzten Ausgaben zu machen. Dann erschien Thomas Klemm den. am 31. August 1990, einem Freitag, die letzte „Thüringer Neue Rundschau“. 1983 - 1987 Mit personeller Hilfe aus dem Bad Hersfelder Studium an der Verwaltungs- Stammhaus schaffte es die TNR-Redaktion Ihren journalistischen „Ritterschlag“ bekamen fachschule Weimar nach wochenlangen Anstrengungen, dass ih- die TNR-Mitarbeiter, von denen die meisten als rer Zeitung im Raum Bad Salzungen der Sta- Seiteneinsteiger angeheuert hatten, vom Che- 1987 - 1990 tus des Amtsblatts erteilt wurde. Lange konn- fredakteur der „Hersfelder Zeitung“, Arnold Redakteur ten sie sich jedoch nicht an diesem Erfolg zum Winkel, posthum: „Wenn denn Journalis- Tageszeituug „Der Demokrat“ erfreuen. mus ein Begabungsberuf ist, so braucht uns Rostock um den Werdegang dieser Kolleginnen und Der 13. August 1990 begann wie jeder Mon- Kollegen nicht bange zu sein“, schrieb der alt- 1990 tag für die TNR-Mitarbeiter zuvor. Dass an die- gediente West-Journalist in sein Zeugnis für Redaktionsleitung sem Tag vor soundsovielen Jahren der Mauer- die TNR-Mitarbeiter: „Leider hat die liebevol- „Thüringer Neue Rundschau“ bau in Berlin begonnen hatte, war nicht le Zuwendung, die sie der ,Thüringer Neuen Bad Salzungen relevant. Der Fokus richtete sich auf die aktu- Rundschau’ entgegenbrachten, nicht verhin- ellen Veränderungen in der Region und nicht dern können, dass für unser redaktionell 1990 - 1993 auf längst vergangene Ereignisse der Zeitge- prächtig entwickeltes ,Baby’ nun schon der Redakteur schichte. Die Mauer war weggefegt, der Weg Nachruf fällig ist.“ „Freies Wort“, Meiningen frei für einen Journalismus, frei von Zwängen und ohne die oft zitierte „Schere im Kopf“. Es Diesem Nachruf folgte in der ostdeutschen Zei- 1994 - 2003 wurde frei von der Feder weg berichtet. tungslandschaft noch so manch anderer. Inso- Redakteur fern befanden sich die Bad Salzunger Redak- „Hersfelder Zeitung“ Aber ausgerechnet an diesem 13. August teure in wohl eher schlechter Gesellschaft. tauchte in dem Bad Salzunger Zweckbau an 2003 - 2005 Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 31.08.1990 der Bauerfeld-Kreuzung, in dem die TNR-Re- Dass der Medienkonzentration und dem damit Umschulung zum Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) daktion samt ihrer gebrauchten Schreibma- einhergehenden Stellenabbau und der Rot- Mediengestalter für Digital- Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Schmalkalden schinen untergebracht war, unverhoffter Be- stiftpolitik bis heute nicht Einhalt geboten und Printmedien in Fulda Chefredaktion: Arnold zum Winkel such auf. Kaufleute kamen, die Herren des wird, dass hätte sich vor zwanzig Jahren aber Verlag: Verlag Thüringer Neue Rundschau, Bad Salzungen Geldes, die sich in stillen Hinterzimmern Ge- keiner der Beteiligten träumen lassen. seit 2005 Partner: Hersfelder Zeitung danken über die Zukunft der Westthüringer freier Journalist

46 47 Der Nachruf war schnell fällig

Ein besonderer Frühlingsbote – die „Thüringer Neue Rundschau“

Heiß war der Sommer 1990 und voller „brand- Zeitungslandschaft gemacht und unter der heißer“ Geschichten für die Redakteure der Hand schon Abo-Kunden gegen Anzeigenge- „Thüringer Neuen Rundschau“ in Bad Salzun- biete getauscht hatten. „Die Schränke sind gen. Sperrmüll, die Schreibtische noch halbwegs in Ordnung, die Fotoapparate müssen zurückge- Wenige Monate zuvor, im März des Nachwen- geben werden und was aus den Schreibma- dejahres, hatte der Thüringer Ableger der al- schinen werden soll, wird man sehen“, beka- tehrwürdigen „Hersfelder Zeitung“ für die men die staunenden Gastgeber zu hören. Kreise Bad Salzungen und Schmalkalden das Licht der Welt erblickt. Erst danach ließen sich die Vertreter von Hers- felder und Fuldaer beziehungsweise Seit dem Frühjahr waren Andrea Mocka, Su- Südthüringer Zeitung dazu herab, mitzuteilen, sann Schönewald, Günther Baumgarten, Tho- dass Ende des Monats August Schluss sein sol- mas Klemm, Wolfgang Tietz und Volontär le mit der „Thüringer Neuen Rundschau“. Dag-Michael Heurich auf der Jagd nach Ge- schichten über die Schicksale von Land und Aus, vorbei! Leuten. Sie berichteten über die politischen, sportlichen, kulturellen und sozialen Verände- Der Schock bei den TNR-Leuten saß tief. Völ- rungen in Westthüringen. Sie taten dies, oh- lig unvorbereitet ereilte sie diese Entschei- ne nach dem Feierabend zu schielen. Und sie dung, die einzig und allein aus wirtschaftli- waren sich auch nicht zu schade, Begrüßungs- chen Gründen getroffen wurde. geschenke und Tombolapreise für ihre Abon- nenten bis in die hintersten Winkel der Hohen Sicher, alle Mitarbeiter wurden übernommen Rhön zu bringen. Denn im Kampf um neue Le- und kamen zunächst in der „stz - Südthüringer ser galt es, nicht nur die journalistischen Regi- Zeitung“ unter. Mancher von ihnen ist heute ster zu ziehen. Alle Mitarbeiter standen wie noch dort ... ein Mann hinter ihrer TNR, ihrem geistigen Kind, das sie großziehen und zum Meinungs- Doch dieser Tatsache, die heute bei einer führer für die Region Bad Salzungen machen Übernahme einen Glücksfall für die Beschäf- wollten. tigten darstellt, wurde von den Betroffenen zum damaligen Zeitpunkt zunächst kaum Be- Doch auch die Konkurrenz schlief nicht. Neben achtung geschenkt. Viel schwerer wog für sie, der etablierten Tageszeitung „Freies Wort“, dass die Anstrengungen, eine neue Zeitung die im Sommer 1990 erheblich an Boden ein- auf einem umkämpften Markt zu etablieren, büßte, schossen mit der „stz - Südthüringer einfach weggewischt werden sollten. Zeitung“, der „Tagespost“ und anderen neue Angebote aus dem Boden und lieferten sich Vierzehn Tage ließ man den Rundschau-Leu- mit der „Thüringer Neuen Rundschau“ einen ten Zeit, diesen Schlag zu verdauen und die Wettbewerb um Leser und um Anzeigenkun- letzten Ausgaben zu machen. Dann erschien Thomas Klemm den. am 31. August 1990, einem Freitag, die letzte „Thüringer Neue Rundschau“. 1983 - 1987 Mit personeller Hilfe aus dem Bad Hersfelder Studium an der Verwaltungs- Stammhaus schaffte es die TNR-Redaktion Ihren journalistischen „Ritterschlag“ bekamen fachschule Weimar nach wochenlangen Anstrengungen, dass ih- die TNR-Mitarbeiter, von denen die meisten als rer Zeitung im Raum Bad Salzungen der Sta- Seiteneinsteiger angeheuert hatten, vom Che- 1987 - 1990 tus des Amtsblatts erteilt wurde. Lange konn- fredakteur der „Hersfelder Zeitung“, Arnold Redakteur ten sie sich jedoch nicht an diesem Erfolg zum Winkel, posthum: „Wenn denn Journalis- Tageszeituug „Der Demokrat“ erfreuen. mus ein Begabungsberuf ist, so braucht uns Rostock um den Werdegang dieser Kolleginnen und Der 13. August 1990 begann wie jeder Mon- Kollegen nicht bange zu sein“, schrieb der alt- 1990 tag für die TNR-Mitarbeiter zuvor. Dass an die- gediente West-Journalist in sein Zeugnis für Redaktionsleitung sem Tag vor soundsovielen Jahren der Mauer- die TNR-Mitarbeiter: „Leider hat die liebevol- „Thüringer Neue Rundschau“ bau in Berlin begonnen hatte, war nicht le Zuwendung, die sie der ,Thüringer Neuen Bad Salzungen relevant. Der Fokus richtete sich auf die aktu- Rundschau’ entgegenbrachten, nicht verhin- ellen Veränderungen in der Region und nicht dern können, dass für unser redaktionell 1990 - 1993 auf längst vergangene Ereignisse der Zeitge- prächtig entwickeltes ,Baby’ nun schon der Redakteur schichte. Die Mauer war weggefegt, der Weg Nachruf fällig ist.“ „Freies Wort“, Meiningen frei für einen Journalismus, frei von Zwängen und ohne die oft zitierte „Schere im Kopf“. Es Diesem Nachruf folgte in der ostdeutschen Zei- 1994 - 2003 wurde frei von der Feder weg berichtet. tungslandschaft noch so manch anderer. Inso- Redakteur fern befanden sich die Bad Salzunger Redak- „Hersfelder Zeitung“ Aber ausgerechnet an diesem 13. August teure in wohl eher schlechter Gesellschaft. tauchte in dem Bad Salzunger Zweckbau an 2003 - 2005 Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 31.08.1990 der Bauerfeld-Kreuzung, in dem die TNR-Re- Dass der Medienkonzentration und dem damit Umschulung zum Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) daktion samt ihrer gebrauchten Schreibma- einhergehenden Stellenabbau und der Rot- Mediengestalter für Digital- Verbreitungsgebiet: Bad Salzungen, Schmalkalden schinen untergebracht war, unverhoffter Be- stiftpolitik bis heute nicht Einhalt geboten und Printmedien in Fulda Chefredaktion: Arnold zum Winkel such auf. Kaufleute kamen, die Herren des wird, dass hätte sich vor zwanzig Jahren aber Verlag: Verlag Thüringer Neue Rundschau, Bad Salzungen Geldes, die sich in stillen Hinterzimmern Ge- keiner der Beteiligten träumen lassen. seit 2005 Partner: Hersfelder Zeitung danken über die Zukunft der Westthüringer freier Journalist

46 47 Nicht immer überleben die Besten

Der letzte Tag der „Thüringer Neuesten Nachrichten“

Vor mir aufgeschlagen liegt die Zeitung. Wei- noch ein Zeichen setzen. Allen, die uns in vielen ches, doch erstaunlich festes Papier und trotz der Leserbriefen ein Lob aussprachen dafür, dass wir fast zwanzig Jahre, die sie in einer Mappe lag, schon immer mutig waren, Missstände anzu- kaum vergilbt. sprechen und so auch manches erreichten.

Ein großes Schwarz-Weiß-Foto in der typischen Beliebt bei den Lesern, gefürchtet bei den Ver- Rasterung zeigt eine kleine Gruppe, die im antwortlichen, war das samstägliche „Wort zu Gänsemarsch an einer unansehnlichen Fassade diesen und jenem“, das nun das „allerletzte entlang geht. Das Straßenpflaster ist kaputt und Wort nur noch zu diesem“ war – dem Abschied eine Pfütze ist vom letzten Frühlingsregen übrig von der treuen Leserschaft. geblieben. Einen Telefonapparat, eine Kaffee- maschine haben die beiden Frauen in der Hand. Angekommen im Kapitalismus, musste sie nicht Der junge, große Mann trägt eine kompakte auf eine Tageszeitung verzichten. In den Brief- Schreibmaschine mühelos auf der Schulter. kästen steckte jetzt die TLZ – ob gewünscht oder Deutlich erkennt man das Firmenschild an der nicht. Die Abonnentenlisten waren das Fassade: „Thüringer Neuste Nachrichten“, Lokal- Filetstück der Übernahme. redaktion Gera… Petra, Karin, André und „Erika“, die Schreibma- Zwanzig Jahre soll das her sein? schine, gingen hoch erhobenen Hauptes in eine neue Zeit. Dabei sind die Erinnerungen noch so deutlich vor Augen, als mit ihrer letzten Ausgabe am Sams- Mit viel Wehmut, aber schon der ersten Erkennt- tag, dem 12. Mai 1990, die „Thüringer Neuesten nis, dass nicht Leistung oder die Anerkennung Nachrichten“ ihr Erscheinen einstellten. der Leser zählt, dass nicht unbedingt die Besten zu den Siegern gehören, sondern die Cleversten. Der letzte Arbeitstag in unserer kleinen Lokalre- daktion in Gera war bereits am Donnerstag. Weil Aber auf jeden Fall hatten wir, bis auf „Erika“, die Zeitung in Weimar gedruckt wurde, mussten den Vorteil, dass wir als erste wussten, wie die Manuskripte stets einen Tag eher fertig sein. schnell man flexibel sein muss. Wo „Erika“ heu- Sie gingen abends per Bahnpost mit dem Zug in te ist, das wissen wir nicht. die Chefredaktion nach Weimar, damit sie am nächsten Tag mit den aktuellen Seiten gesetzt Wir Redakteure sind unserem Beruf treu geblie- und dann gedruckt werden konnten. ben. Und wenn wir an die Zeiten bei unserer TNN denken, dann vergessen wir nicht die ein- Die letzte Ausgabe – was wählt man aus dem gefahrenen Gleise mit sturen Chefs, aber auch reichlich vorhandenen Berichten von Diskussi- nicht die vielen schönen Erlebnisse und vor al- onsrunden, Aktionen der Menschen oder Ant- lem die Erfolge, wenn durch das Darstellen und worten auf Leseranfragen. Was soll nicht ver- Benennen von Missständen an den Funktionärs- loren gehen, was gehört noch in diese Zeitung? sesseln gerüttelt wurde. Gelernt habe ich dabei Was muss in der eigenen Verantwortung noch das Recherchieren, das Prüfen von Informatio- untergebracht werden? Wie mit der Hoffnung nen und das Hören mehrerer Ansichten. Nur so – auch all der Leserinnen und Leser – umgehen, konnte ich unangefochten bleiben. dass sie nun endlich in ihrer Lieblingstageszei- tung nicht nur versteckt zwischen den Zeilen, Im Wettlauf, die Zeitung in solvente Hände zu sondern deutlich alles von den Missständen geben, hatte unser „Sprecherrat“ bald unser lesen können? Vertrauen verloren. Wohl hatten sie keine Chan- ce, zu bestimmen, wo’s lang geht. Die Fäden In unserem kleinen Team, in dem ich die Verant- hatten ganz andere in der Hand. Überleben Petra Beck wortung trug und zu dem neben einem jungen konnte nur, wer die richtige Auflage brachte. Redakteur – heute sagt man: „Quereinsteiger“ Und die hatte von den Blockzeitungen keine, 1974 - 1975 – noch eine muntere Sekretärin gehörte, ließen obwohl unsere TNN unter ihnen noch die auf- Volontariat wir unserem Unmut, die Unterlegenen zu sein, lagenstärkste war. Aber verhandelt haben ande- „National Zeitung“, Berlin durchaus freien Lauf. re, die dann ihren Partner suchten. Und die Kon- kurrenz war nicht die erste, aber einzige Wahl. 1975 - 1979 Viel Hoffnung, unser Verständnis von Journalis- Denn das „Thüringer Tageblatt“ fand Übernah- Studium, Karl-Marx-Universität mus durchsetzen zu können, hatten wir beim me durch die FAZ. Leipzig, Abschluss als Diplom- neuen Arbeitgeber nicht. Dazu kannten wir ja Journalistin das konkurrierende Blatt. Sieben Tage hatten Für eine kurze Zeit, nur wenige Monate, gab es die Arbeitswochen zuvor, um ja nicht eine der eine schier grenzenlose Freiheit der Berichter- 1979 - 1990 vielen Aktionen zu verpassen – denn täglich ge- stattung. Redakteurin schahen Dinge, die wir uns in den zurückliegen- „Thüringer Neueste Nachrich- Erscheinungszeitraum: 30.04.1951 - 12.05.1990 den Jahren kaum vorstellen konnten. Die Alles einzuordnen, das gelang erst in folgenden ten“, Gera Auflage: 50.000, davon 30.000 Abonnenten (nach Verlagsangaben) meisten der angekündigten und spontanen Jahren. Und im Nachhinein weiß ich, mit wie viel Verbreitungsgebiet: Bezirke Erfurt, Gera, Suhl mit Redaktionen in Erfurt, Veranstaltungen, die es in der Wendezeit gab, Naivität wir zuweilen ans Werk gingen. 1990 - 1991 Gera, Jena, Suhl, Weimar suchten wir auf. Möglichst von jeder sollte die Während wir noch um eine gerechte Gesell- Redakteurin Chefredaktion: Klaus Rainer Lorenz alte und neue Leserschaft erfahren. schaftsordnung kämpften, haben sich andere TLZ, Gera Verlag: Verlag Thüringer Neueste Nachrichten vorsorglich schon ihre Posten gesucht. Partner: Betrieb der Vereinigung Organisationseigener Betriebe (VOB) Nun der Schlusspunkt und alles in einer letzten seit 1991 National der National-Demokratischen Partei Deutschland Seite zusammenfassen. So wollten wir doch Sei’s drum. freiberufliche Journalistin

48 49 Nicht immer überleben die Besten

Der letzte Tag der „Thüringer Neuesten Nachrichten“

Vor mir aufgeschlagen liegt die Zeitung. Wei- noch ein Zeichen setzen. Allen, die uns in vielen ches, doch erstaunlich festes Papier und trotz der Leserbriefen ein Lob aussprachen dafür, dass wir fast zwanzig Jahre, die sie in einer Mappe lag, schon immer mutig waren, Missstände anzu- kaum vergilbt. sprechen und so auch manches erreichten.

Ein großes Schwarz-Weiß-Foto in der typischen Beliebt bei den Lesern, gefürchtet bei den Ver- Rasterung zeigt eine kleine Gruppe, die im antwortlichen, war das samstägliche „Wort zu Gänsemarsch an einer unansehnlichen Fassade diesen und jenem“, das nun das „allerletzte entlang geht. Das Straßenpflaster ist kaputt und Wort nur noch zu diesem“ war – dem Abschied eine Pfütze ist vom letzten Frühlingsregen übrig von der treuen Leserschaft. geblieben. Einen Telefonapparat, eine Kaffee- maschine haben die beiden Frauen in der Hand. Angekommen im Kapitalismus, musste sie nicht Der junge, große Mann trägt eine kompakte auf eine Tageszeitung verzichten. In den Brief- Schreibmaschine mühelos auf der Schulter. kästen steckte jetzt die TLZ – ob gewünscht oder Deutlich erkennt man das Firmenschild an der nicht. Die Abonnentenlisten waren das Fassade: „Thüringer Neuste Nachrichten“, Lokal- Filetstück der Übernahme. redaktion Gera… Petra, Karin, André und „Erika“, die Schreibma- Zwanzig Jahre soll das her sein? schine, gingen hoch erhobenen Hauptes in eine neue Zeit. Dabei sind die Erinnerungen noch so deutlich vor Augen, als mit ihrer letzten Ausgabe am Sams- Mit viel Wehmut, aber schon der ersten Erkennt- tag, dem 12. Mai 1990, die „Thüringer Neuesten nis, dass nicht Leistung oder die Anerkennung Nachrichten“ ihr Erscheinen einstellten. der Leser zählt, dass nicht unbedingt die Besten zu den Siegern gehören, sondern die Cleversten. Der letzte Arbeitstag in unserer kleinen Lokalre- daktion in Gera war bereits am Donnerstag. Weil Aber auf jeden Fall hatten wir, bis auf „Erika“, die Zeitung in Weimar gedruckt wurde, mussten den Vorteil, dass wir als erste wussten, wie die Manuskripte stets einen Tag eher fertig sein. schnell man flexibel sein muss. Wo „Erika“ heu- Sie gingen abends per Bahnpost mit dem Zug in te ist, das wissen wir nicht. die Chefredaktion nach Weimar, damit sie am nächsten Tag mit den aktuellen Seiten gesetzt Wir Redakteure sind unserem Beruf treu geblie- und dann gedruckt werden konnten. ben. Und wenn wir an die Zeiten bei unserer TNN denken, dann vergessen wir nicht die ein- Die letzte Ausgabe – was wählt man aus dem gefahrenen Gleise mit sturen Chefs, aber auch reichlich vorhandenen Berichten von Diskussi- nicht die vielen schönen Erlebnisse und vor al- onsrunden, Aktionen der Menschen oder Ant- lem die Erfolge, wenn durch das Darstellen und worten auf Leseranfragen. Was soll nicht ver- Benennen von Missständen an den Funktionärs- loren gehen, was gehört noch in diese Zeitung? sesseln gerüttelt wurde. Gelernt habe ich dabei Was muss in der eigenen Verantwortung noch das Recherchieren, das Prüfen von Informatio- untergebracht werden? Wie mit der Hoffnung nen und das Hören mehrerer Ansichten. Nur so – auch all der Leserinnen und Leser – umgehen, konnte ich unangefochten bleiben. dass sie nun endlich in ihrer Lieblingstageszei- tung nicht nur versteckt zwischen den Zeilen, Im Wettlauf, die Zeitung in solvente Hände zu sondern deutlich alles von den Missständen geben, hatte unser „Sprecherrat“ bald unser lesen können? Vertrauen verloren. Wohl hatten sie keine Chan- ce, zu bestimmen, wo’s lang geht. Die Fäden In unserem kleinen Team, in dem ich die Verant- hatten ganz andere in der Hand. Überleben Petra Beck wortung trug und zu dem neben einem jungen konnte nur, wer die richtige Auflage brachte. Redakteur – heute sagt man: „Quereinsteiger“ Und die hatte von den Blockzeitungen keine, 1974 - 1975 – noch eine muntere Sekretärin gehörte, ließen obwohl unsere TNN unter ihnen noch die auf- Volontariat wir unserem Unmut, die Unterlegenen zu sein, lagenstärkste war. Aber verhandelt haben ande- „National Zeitung“, Berlin durchaus freien Lauf. re, die dann ihren Partner suchten. Und die Kon- kurrenz war nicht die erste, aber einzige Wahl. 1975 - 1979 Viel Hoffnung, unser Verständnis von Journalis- Denn das „Thüringer Tageblatt“ fand Übernah- Studium, Karl-Marx-Universität mus durchsetzen zu können, hatten wir beim me durch die FAZ. Leipzig, Abschluss als Diplom- neuen Arbeitgeber nicht. Dazu kannten wir ja Journalistin das konkurrierende Blatt. Sieben Tage hatten Für eine kurze Zeit, nur wenige Monate, gab es die Arbeitswochen zuvor, um ja nicht eine der eine schier grenzenlose Freiheit der Berichter- 1979 - 1990 vielen Aktionen zu verpassen – denn täglich ge- stattung. Redakteurin schahen Dinge, die wir uns in den zurückliegen- „Thüringer Neueste Nachrich- Erscheinungszeitraum: 30.04.1951 - 12.05.1990 den Jahren kaum vorstellen konnten. Die Alles einzuordnen, das gelang erst in folgenden ten“, Gera Auflage: 50.000, davon 30.000 Abonnenten (nach Verlagsangaben) meisten der angekündigten und spontanen Jahren. Und im Nachhinein weiß ich, mit wie viel Verbreitungsgebiet: Bezirke Erfurt, Gera, Suhl mit Redaktionen in Erfurt, Veranstaltungen, die es in der Wendezeit gab, Naivität wir zuweilen ans Werk gingen. 1990 - 1991 Gera, Jena, Suhl, Weimar suchten wir auf. Möglichst von jeder sollte die Während wir noch um eine gerechte Gesell- Redakteurin Chefredaktion: Klaus Rainer Lorenz alte und neue Leserschaft erfahren. schaftsordnung kämpften, haben sich andere TLZ, Gera Verlag: Verlag Thüringer Neueste Nachrichten vorsorglich schon ihre Posten gesucht. Partner: Betrieb der Vereinigung Organisationseigener Betriebe (VOB) Nun der Schlusspunkt und alles in einer letzten seit 1991 National der National-Demokratischen Partei Deutschland Seite zusammenfassen. So wollten wir doch Sei’s drum. freiberufliche Journalistin

48 49 Eine aufregende Zeit erlebt Da ging die „Thüringenpost“ im Südosten ab

Heinrich Giegold, ehemaliger Chefredakteur, Ge- mögen zu meistern. So mancher Stolperstein lag schäftsführer und Herausgeber der „Franken- im Weg. Damals erschien es uns wie ein Wunder, post“, gilt als Vater der drei Zeitungs-Neugründun- innerhalb kurzer Zeit Telefonanschluss und Fax zu gen nach der Wende in der damaligen DDR durch bekommen. Schließlich wartete man bis dahin vie- die „Frankenpost“. Sofort nach dem Mauerfall gab le Jahre darauf. er Anstoß zu Gesprächen, die zur Gründung des „Vogtland-Anzeigers“, der „Thüringenpost“ und Am 1. September 1990 wurde die Geschäftsstelle der „Sachsenpost“ führten. mit Redaktion in Zeulenroda eröffnet, am 1. De- zember die in Lobenstein. Wir gingen auseinander: Erste Zusammenkünfte fürs Entstehen der Thoralf Lange nach Zeulenroda, Dieter Hünniger „Thüringenpost“ gab es in der Wohnung von nach Lobenstein, Alexander Pensold und ich blie- Chefarzt Dr. Manfred Eckstein in Schleiz und im ben in Schleiz. Es kamen neue Kollegen dazu. In Büro der Handwerkergenossenschaft bei Wolf- Greiz startete man am 1. April 1991. Jetzt war die gang Muncke. Berichterstattung wirklich lokal. Die Zahl der Mit- arbeiter in der „Thüringenpost“ wuchs von an- Die Wiege der „Thüringenpost“ stand buchstäb- fangs sieben auf 28. lich im Zimmer von Alexander Pensold in Schleiz. Er war der erste, der für diesen Zweck seine Gedan- Auch freie Mitarbeiter stellten sich ein. In der kenblitze in die Schreibmaschine hämmerte. Schleizer Redaktion war Steffen Weihs eine große Hilfe. Nachts schreckte mich oft das Telefon aus Im Frühjahr 1990 nahm die neue Zeitung Gestalt dem Schlaf: Polizei – ein Unfall auf der Autobahn. an. Die künftigen Redaktionsmitglieder waren Da galt es sich auf Schleichwegen an den Ort des nach Hof geladen: Alexander Pensold aus Schleiz, Geschehens durchzuarbeiten. Ich war froh, diese Thoralf Lange aus Zeulenroda, Dieter Hünniger Verantwortung an Steffen Weihs abgeben zu aus Lobenstein und ich. können.

Nach einigen Tagen Einführung in Hof entschlos- Unvergesslich bleibt uns der Tag, als wir die klap- sen wir uns: „Wir fangen in Schleiz einfach an“. Ich prigen Schreibmaschinen gegen PC tauschten . erinnere mich noch gut ans leere Zimmer in der Wir waren begeistert. Einzug in jede Redaktion Schleizer Braugasse Nr. 5. In der Mitte stand eine hielt auch ein Minilabor. Von da an konnten wir Kiste. Darauf nahm der Geschäftsführer der „Fran- die Filme selbst entwickeln. Im Hinterkopf immer kenpost“, Gert Böhm, Platz. Wir saßen irgendwie die Angst: „Hab’ ich mich mit den Essenzen vergrif- um ihn herum und lauschten, wie er von seiner Zeit fen, ist der Film unbrauchbar?“ Ein schrecklicher als aktiver Fußballer erzählte. Werner Mergner, da- Gedanke! Der Kurier schaffte immer noch bei mals stellvertretender Chefredakteur der „Fran- Wind und Wetter unsere vorgezeichneten Seiten- kenpost“, lehnte am Türpfosten. Mit lebendigen spiegel und die Fotos nach Hof. Worten schilderte er uns seine Visionen, wie sich die „Thüringenpost“ entwickeln könnte, wenn al- Aber bald darauf war es möglich Texte durch die le mitziehen würden. Telefonleitung zu jagen. Nochmals lernen mussten wir, als 1992 das Layout-System am Computer der Und mitziehen wollten alle. Gründerzeiten haben Redakteure eingeführt wurde. Das war anfangs etwas Einmaliges. Wir machten uns begeistert an nicht leicht. Für „Pleiten, Pech und Pannen“ in der die Arbeit. Der Tag hatte viele Stunden. Die waren Technik war Peter Ullmann aus Hof zuständig. Ihn Renate Klein wir unterwegs, um Geschichten aufzureißen. Es riefen wir in unserer Not an. Werner Mergner galt, schnell zu sein, schnell zu schreiben, Zeitungs- machte Mut und kündigte Veränderungen diplo- Studium der Landwirtschaft seiten zu planen und zu füllen. Gut motiviert stürz- matisch an. ten wir uns in die Arbeit, die nicht leicht war, denn Selbständigkeit als Kükensor- freie Mitarbeiter gab es anfangs gar nicht. Einige Zeit dauerte es noch bis die „Dixel“ von Has- tierer, später Mitglied einer selblad eingeführt wurde. Damit konnten wir un- Landwirtschaftlichen Genos- Am 1. Juli 1990 ging es in der Schleizer Geschäfts- sere Filme mit einem Scanner abtasten lassen, die senschaft, stelle offiziell zur Sache. Mit unseren neuen Spie- Fotos bearbeiten und durch die Telefonleitung gelreflexkameras – von der Geschäftsleitung auf senden. Für uns waren das Quantensprünge der stellvertretende Betriebsteillei- Ratenzahlung überlassen – und unseren Trabis Entwicklung, die wir miterleben durften. Dankbar, terin im VEB Eier und Geflügel machten wir die Gegend unsicher. eine sehr interessante Zeit per Bild und Text für un- Gera, BT Schleiz sere Leser kommentieren zu können. Man ließ uns Damals glaubte man fest, dass sich bei einer abzu- freie Hand. Als Redaktionschefs begleiteten uns Sachbearbeiterin in der Melio- sehenden Gebietsreform die Kreise Schleiz, Loben- Journalisten der „Frankenpost“, am längsten Bru- rationsgenossenschaft Schleiz, stein und Zeulenroda zusammenschließen wür- no Herpich. Thoralf Lange übernahm dann diese den. So strukturierten wir auch unsere Zeitung. Aufgabe. Direktorin des Kreiskabinetts Auf den Lokalseiten berichteten wir zunächst für Kulturarbeit Schleiz bunt durcheinander aus diesen drei Kreisen. Am 30. Dezember 1996 traf uns die Nachricht wie ein Blitz: „Ihr macht heute die letzte Ausgabe der Redakteurin Was wir in der Redaktion weniger mitbekamen, ,Thüringenpost’.” Vorahnungen gab es zwar, doch „Thüringenpost“ Erscheinungszeitraum: 01.07.1990 - 31.12.1996 waren die aufwändigen, zielbewussten Aktionen diese plötzliche Wahrheit war für uns alle schlimm. Auflage: 7.317 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) von Geschäftsführer Wolfgang Grimm und seinen Studium Psychologie in Erfurt Verbreitungsgebiet: Greiz, Lobenstein, Schleiz, Zeulenroda Mitstreitern in der Geschäftsstelle. Anzeigenkun- Zum Glück war das Team der „Thüringenpost” mit dem Abschluss als Psycholo- Chefredaktion: Bruno Herpich den und Abonnenten zu werben, sowie einen po- jung, kreativ und risikobereit. Fast alle etablierten gischer Berater Verlag: Thüringenpost-Verlag GmbH, Schleiz stunabhängigen Vertrieb zu organisieren, war sich erfolgreich im Medienbereich, bei Presse, Partner: Frankenpost, Hof nur mit viel Energie, Geduld und Durchhaltever- Rundfunk und Fernsehen. Altersrentnerin

50 51 Eine aufregende Zeit erlebt Da ging die „Thüringenpost“ im Südosten ab

Heinrich Giegold, ehemaliger Chefredakteur, Ge- mögen zu meistern. So mancher Stolperstein lag schäftsführer und Herausgeber der „Franken- im Weg. Damals erschien es uns wie ein Wunder, post“, gilt als Vater der drei Zeitungs-Neugründun- innerhalb kurzer Zeit Telefonanschluss und Fax zu gen nach der Wende in der damaligen DDR durch bekommen. Schließlich wartete man bis dahin vie- die „Frankenpost“. Sofort nach dem Mauerfall gab le Jahre darauf. er Anstoß zu Gesprächen, die zur Gründung des „Vogtland-Anzeigers“, der „Thüringenpost“ und Am 1. September 1990 wurde die Geschäftsstelle der „Sachsenpost“ führten. mit Redaktion in Zeulenroda eröffnet, am 1. De- zember die in Lobenstein. Wir gingen auseinander: Erste Zusammenkünfte fürs Entstehen der Thoralf Lange nach Zeulenroda, Dieter Hünniger „Thüringenpost“ gab es in der Wohnung von nach Lobenstein, Alexander Pensold und ich blie- Chefarzt Dr. Manfred Eckstein in Schleiz und im ben in Schleiz. Es kamen neue Kollegen dazu. In Büro der Handwerkergenossenschaft bei Wolf- Greiz startete man am 1. April 1991. Jetzt war die gang Muncke. Berichterstattung wirklich lokal. Die Zahl der Mit- arbeiter in der „Thüringenpost“ wuchs von an- Die Wiege der „Thüringenpost“ stand buchstäb- fangs sieben auf 28. lich im Zimmer von Alexander Pensold in Schleiz. Er war der erste, der für diesen Zweck seine Gedan- Auch freie Mitarbeiter stellten sich ein. In der kenblitze in die Schreibmaschine hämmerte. Schleizer Redaktion war Steffen Weihs eine große Hilfe. Nachts schreckte mich oft das Telefon aus Im Frühjahr 1990 nahm die neue Zeitung Gestalt dem Schlaf: Polizei – ein Unfall auf der Autobahn. an. Die künftigen Redaktionsmitglieder waren Da galt es sich auf Schleichwegen an den Ort des nach Hof geladen: Alexander Pensold aus Schleiz, Geschehens durchzuarbeiten. Ich war froh, diese Thoralf Lange aus Zeulenroda, Dieter Hünniger Verantwortung an Steffen Weihs abgeben zu aus Lobenstein und ich. können.

Nach einigen Tagen Einführung in Hof entschlos- Unvergesslich bleibt uns der Tag, als wir die klap- sen wir uns: „Wir fangen in Schleiz einfach an“. Ich prigen Schreibmaschinen gegen PC tauschten . erinnere mich noch gut ans leere Zimmer in der Wir waren begeistert. Einzug in jede Redaktion Schleizer Braugasse Nr. 5. In der Mitte stand eine hielt auch ein Minilabor. Von da an konnten wir Kiste. Darauf nahm der Geschäftsführer der „Fran- die Filme selbst entwickeln. Im Hinterkopf immer kenpost“, Gert Böhm, Platz. Wir saßen irgendwie die Angst: „Hab’ ich mich mit den Essenzen vergrif- um ihn herum und lauschten, wie er von seiner Zeit fen, ist der Film unbrauchbar?“ Ein schrecklicher als aktiver Fußballer erzählte. Werner Mergner, da- Gedanke! Der Kurier schaffte immer noch bei mals stellvertretender Chefredakteur der „Fran- Wind und Wetter unsere vorgezeichneten Seiten- kenpost“, lehnte am Türpfosten. Mit lebendigen spiegel und die Fotos nach Hof. Worten schilderte er uns seine Visionen, wie sich die „Thüringenpost“ entwickeln könnte, wenn al- Aber bald darauf war es möglich Texte durch die le mitziehen würden. Telefonleitung zu jagen. Nochmals lernen mussten wir, als 1992 das Layout-System am Computer der Und mitziehen wollten alle. Gründerzeiten haben Redakteure eingeführt wurde. Das war anfangs etwas Einmaliges. Wir machten uns begeistert an nicht leicht. Für „Pleiten, Pech und Pannen“ in der die Arbeit. Der Tag hatte viele Stunden. Die waren Technik war Peter Ullmann aus Hof zuständig. Ihn Renate Klein wir unterwegs, um Geschichten aufzureißen. Es riefen wir in unserer Not an. Werner Mergner galt, schnell zu sein, schnell zu schreiben, Zeitungs- machte Mut und kündigte Veränderungen diplo- Studium der Landwirtschaft seiten zu planen und zu füllen. Gut motiviert stürz- matisch an. ten wir uns in die Arbeit, die nicht leicht war, denn Selbständigkeit als Kükensor- freie Mitarbeiter gab es anfangs gar nicht. Einige Zeit dauerte es noch bis die „Dixel“ von Has- tierer, später Mitglied einer selblad eingeführt wurde. Damit konnten wir un- Landwirtschaftlichen Genos- Am 1. Juli 1990 ging es in der Schleizer Geschäfts- sere Filme mit einem Scanner abtasten lassen, die senschaft, stelle offiziell zur Sache. Mit unseren neuen Spie- Fotos bearbeiten und durch die Telefonleitung gelreflexkameras – von der Geschäftsleitung auf senden. Für uns waren das Quantensprünge der stellvertretende Betriebsteillei- Ratenzahlung überlassen – und unseren Trabis Entwicklung, die wir miterleben durften. Dankbar, terin im VEB Eier und Geflügel machten wir die Gegend unsicher. eine sehr interessante Zeit per Bild und Text für un- Gera, BT Schleiz sere Leser kommentieren zu können. Man ließ uns Damals glaubte man fest, dass sich bei einer abzu- freie Hand. Als Redaktionschefs begleiteten uns Sachbearbeiterin in der Melio- sehenden Gebietsreform die Kreise Schleiz, Loben- Journalisten der „Frankenpost“, am längsten Bru- rationsgenossenschaft Schleiz, stein und Zeulenroda zusammenschließen wür- no Herpich. Thoralf Lange übernahm dann diese den. So strukturierten wir auch unsere Zeitung. Aufgabe. Direktorin des Kreiskabinetts Auf den Lokalseiten berichteten wir zunächst für Kulturarbeit Schleiz bunt durcheinander aus diesen drei Kreisen. Am 30. Dezember 1996 traf uns die Nachricht wie ein Blitz: „Ihr macht heute die letzte Ausgabe der Redakteurin Was wir in der Redaktion weniger mitbekamen, ,Thüringenpost’.” Vorahnungen gab es zwar, doch „Thüringenpost“ Erscheinungszeitraum: 01.07.1990 - 31.12.1996 waren die aufwändigen, zielbewussten Aktionen diese plötzliche Wahrheit war für uns alle schlimm. Auflage: 7.317 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) von Geschäftsführer Wolfgang Grimm und seinen Studium Psychologie in Erfurt Verbreitungsgebiet: Greiz, Lobenstein, Schleiz, Zeulenroda Mitstreitern in der Geschäftsstelle. Anzeigenkun- Zum Glück war das Team der „Thüringenpost” mit dem Abschluss als Psycholo- Chefredaktion: Bruno Herpich den und Abonnenten zu werben, sowie einen po- jung, kreativ und risikobereit. Fast alle etablierten gischer Berater Verlag: Thüringenpost-Verlag GmbH, Schleiz stunabhängigen Vertrieb zu organisieren, war sich erfolgreich im Medienbereich, bei Presse, Partner: Frankenpost, Hof nur mit viel Energie, Geduld und Durchhaltever- Rundfunk und Fernsehen. Altersrentnerin

50 51 Es galt einfach: „Passt scho’…“

PC-Phobie, SED-Möbel und warum Lenin am Ende nicht Recht hatte

Sollte jetzt nicht etwas Musik eingespielt wer- Der Computerkurs mit dem Bayreuther Spezia- den? Vielleicht „Wind of change“, nur so als listen wird so knapp zwei Stunden gedauert ha- Background, als ideologischer Geräuschtep- ben. Ich frage mich heute noch, warum ich da- pich? nach nicht hemmungslos zu weinen anfing.

Immerhin war die Redaktion des „Thüringer Ich rief ein paar vermutet kundige Leute an, un- Kurier“ in die SED-Kreisleitung Rudolstadt ein- ter anderem die PC-affine Gattin. Die erklärten gezogen, die nun mangels Mitarbeitern diese und jene Tasten und gaben mir die Zuver- Büroräume vermietete, und so die führende sicht, es sei erlernbar. Partei ihren ersten Schritt in die Marktwirt- schaft tat. Von diesem Optimismus waren die inzwischen zusammengefundenen Kolleginnen und Kolle- Nun ja, wenn die Deutsche Bank im Domizil der gen ohnehin geprägt, denn die waren der mir DDR-Staatsbank im Hochparterre Quartier unbekannten PC-Materie schon früher nahe nimmt – warum wir nicht zwei Etagen höher? gerückt. Reinhard Querengässer Wir brauchten ja keine vergitterten Fenster. Ich sehnte mich nach meiner ORGA-Privat, die- 1968 - 1971 Außerdem hatte der 1. Kreissekretär – heutzu- sem virtuos von meinen zwei Mittelfingern be- Volontär, Redaktionsassistent, tage öffentlich anerkannter Firmenchef – viel- herrschten Tasteninstrument. Doch Revolutio- Fernsehen der DDR, Berlin leicht drei Jahre zuvor versucht, mich just in die- nen fordern mitunter auch kleine Opfer. sem Gebäude zusammen zu falten: Als Mitglied 1971 - 1979 der Führungspartei hatte ich öffentlich vor lau- Kurz und gut, gemeinsam fabrizierten wir die Redakteur ter danach versteinerten Genossen unseren Manuskripte und Fotos für die erste Lokalaus- Wirtschaft/Innenpolitik, sowjetischen Genossen Gorbatschow hochleben gabe Rudolstadt. Druckort: Bayreuth. Was in „Junge Welt“, Berlin lassen. Na, da zieht man doch gerne ein! den nächsten Monaten bedeutete, täglich um die Mittagszeit mit einem in Wendewirren er- 1974 - 1978 Die beiden freundlichen Verleger des „Nord- standenen fahrtüchtigen Wartburg Richtung Fernstudium Journalistik, bayerischen Kurier“ in Bayreuth, der Honecker- Grenze zu fahren. Karl-Marx-Universität Leipzig, erlaubten Partnerstadt Rudolstadts, nickten Abschluss Diplom-Journalist den Vorschlag inklusive Büromiete ab. Dort in Probstzella standen anfangs noch ein paar griesgrämige Kontrolleure, denen man 1979 - 1989 Sie wollten eine neue Zeitung machen, und ich den Ausweis zeigte, aber das verlor sich schnell. Tischlereihelfer, sollte erst einmal schnell Personal und Räume Bautischlerei Querengässer, dafür besorgen. Im Besorgen war ich nach zehn Der findige Vertriebschef aus Bayreuth hatte Uhlstädt Jahren Paletten-Reparieren fürs Chemiefaser- die Confiserie direkt an der Straße nach Lud- werk und die Maxhütte halbwegs geübt. wigsstadt als Fax-Ort dingfest gemacht, denn 1990 von Rudolstadt ging telekommunikationsmäßig Redaktionsleiter Außerdem hatte man in der Kreisstadt Freun- in Richtung Westen nichts. „Thüringer Kurier“, de. Und Bekannte. Und Leute, die auch etwas Rudolstadt besorgen konnten. Oft traten sie in einer Per- Eingehüllt in den Duft handgefertigter Pralinen son auf. schickten wir dann Tag für Tag unsere Texte auf 1990 -1991 die elektronische Reise ins Druckhaus. Die Fotos Redakteur Dann rollte das Zeitungsmacher-Material aus und weiteres nahm der Kurierfahrer mit auf die „Thüringer Tag“, Bayreuth an. Papier, natürlich, auch Formulare. nächtliche Autobahnstrecke ins Frankenland, Saalfeld-Rudolstadt/Bamberg auf der er am frühen Morgen die Druckexem- Waren ja Deutsche, wenngleich aus Franken. plare zurück kutschierte. 1991 - 1993 Redakteur Mir wurde der von Lenin enttarnte Doppelcha- Und die Zustellung hatten Westler und Ostler „Ostthüringer Nachrichten“/ rakter der kapitalistischen Presse vollends klar. gemeinsam organisiert. „Ostthüringer Zeitung“, Die reden nicht lange. Die machen. Jena/Altenburg Damals war`s. Natürlich für den Profit, das hatte ja selbst die 1993 - 1994 Kreisleitung schon erkannt und gehandelt. Es ist heute nicht mehr vorstellbar, so ein Unter- Redakteur Aber es tut sich was, selbst mit SED-Büromö- fangen in wenigen Tagen zum Laufen zu brin- „Ostthüringer Zeitung“ beln. Und Büromaterial und -werkzeuge ka- gen. Saalfeld men an. Und Drucker. Und, ja, und auch Rech- ner, PC, wie ich heute gelassen ausspreche. Es lief aber nicht so wie erhofft. Dr. Laurent Fi- 1994 - 1996 scher, der faire Bayreuther Verleger, kam dann Redaktionsleiter Doch – damals war`s – ich sah, großes Pionier- im Oktober und sagte uns, dass es für den mit- „Ostthüringer Zeitung – ehrenwort! – das erste Mal einen Computer in telständischen Verlag wirtschaftlich nicht zu Neuhäuser und Sonneberger echt. Und sollte den auch noch bedienen, stemmen sei. Zeitung“, schließlich wollte man möglichst schnell die er- Neuhaus a. R. ste Ausgabe vom „Thüringer Kurier“ erschei- Sicher, wir waren traurig. Erscheinungszeitraum: 23.02.1990 - 30.10.1990 nen lassen; ein Titel, der mir schon Wochen zu- 1996 - 2006 Auflage: 10.000 (nach Verlagsangaben) vor eingefallen war, da wusste ich noch nichts Und ich dachte noch mal über den Doppelcha- Redakteur Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, südliches Thüringen/Vogtland von der Nordbayern-Analogie. Aber: „Passt rakter der bürgerlichen Presse nach. „Ostthüringer Zeitung“, Jena Redaktion: Hans Jürgen Schwab scho`“, wie ich lernte. Verlag: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Bayreuth In dem speziellen Fall hatte Lenin wohl nicht 2007 Partner: Nordbayerischer Kurier, Bayreuth Passte wirklich. recht. Ruhestand

52 53 Es galt einfach: „Passt scho’…“

PC-Phobie, SED-Möbel und warum Lenin am Ende nicht Recht hatte

Sollte jetzt nicht etwas Musik eingespielt wer- Der Computerkurs mit dem Bayreuther Spezia- den? Vielleicht „Wind of change“, nur so als listen wird so knapp zwei Stunden gedauert ha- Background, als ideologischer Geräuschtep- ben. Ich frage mich heute noch, warum ich da- pich? nach nicht hemmungslos zu weinen anfing.

Immerhin war die Redaktion des „Thüringer Ich rief ein paar vermutet kundige Leute an, un- Kurier“ in die SED-Kreisleitung Rudolstadt ein- ter anderem die PC-affine Gattin. Die erklärten gezogen, die nun mangels Mitarbeitern diese und jene Tasten und gaben mir die Zuver- Büroräume vermietete, und so die führende sicht, es sei erlernbar. Partei ihren ersten Schritt in die Marktwirt- schaft tat. Von diesem Optimismus waren die inzwischen zusammengefundenen Kolleginnen und Kolle- Nun ja, wenn die Deutsche Bank im Domizil der gen ohnehin geprägt, denn die waren der mir DDR-Staatsbank im Hochparterre Quartier unbekannten PC-Materie schon früher nahe nimmt – warum wir nicht zwei Etagen höher? gerückt. Reinhard Querengässer Wir brauchten ja keine vergitterten Fenster. Ich sehnte mich nach meiner ORGA-Privat, die- 1968 - 1971 Außerdem hatte der 1. Kreissekretär – heutzu- sem virtuos von meinen zwei Mittelfingern be- Volontär, Redaktionsassistent, tage öffentlich anerkannter Firmenchef – viel- herrschten Tasteninstrument. Doch Revolutio- Fernsehen der DDR, Berlin leicht drei Jahre zuvor versucht, mich just in die- nen fordern mitunter auch kleine Opfer. sem Gebäude zusammen zu falten: Als Mitglied 1971 - 1979 der Führungspartei hatte ich öffentlich vor lau- Kurz und gut, gemeinsam fabrizierten wir die Redakteur ter danach versteinerten Genossen unseren Manuskripte und Fotos für die erste Lokalaus- Wirtschaft/Innenpolitik, sowjetischen Genossen Gorbatschow hochleben gabe Rudolstadt. Druckort: Bayreuth. Was in „Junge Welt“, Berlin lassen. Na, da zieht man doch gerne ein! den nächsten Monaten bedeutete, täglich um die Mittagszeit mit einem in Wendewirren er- 1974 - 1978 Die beiden freundlichen Verleger des „Nord- standenen fahrtüchtigen Wartburg Richtung Fernstudium Journalistik, bayerischen Kurier“ in Bayreuth, der Honecker- Grenze zu fahren. Karl-Marx-Universität Leipzig, erlaubten Partnerstadt Rudolstadts, nickten Abschluss Diplom-Journalist den Vorschlag inklusive Büromiete ab. Dort in Probstzella standen anfangs noch ein paar griesgrämige Kontrolleure, denen man 1979 - 1989 Sie wollten eine neue Zeitung machen, und ich den Ausweis zeigte, aber das verlor sich schnell. Tischlereihelfer, sollte erst einmal schnell Personal und Räume Bautischlerei Querengässer, dafür besorgen. Im Besorgen war ich nach zehn Der findige Vertriebschef aus Bayreuth hatte Uhlstädt Jahren Paletten-Reparieren fürs Chemiefaser- die Confiserie direkt an der Straße nach Lud- werk und die Maxhütte halbwegs geübt. wigsstadt als Fax-Ort dingfest gemacht, denn 1990 von Rudolstadt ging telekommunikationsmäßig Redaktionsleiter Außerdem hatte man in der Kreisstadt Freun- in Richtung Westen nichts. „Thüringer Kurier“, de. Und Bekannte. Und Leute, die auch etwas Rudolstadt besorgen konnten. Oft traten sie in einer Per- Eingehüllt in den Duft handgefertigter Pralinen son auf. schickten wir dann Tag für Tag unsere Texte auf 1990 -1991 die elektronische Reise ins Druckhaus. Die Fotos Redakteur Dann rollte das Zeitungsmacher-Material aus und weiteres nahm der Kurierfahrer mit auf die „Thüringer Tag“, Bayreuth an. Papier, natürlich, auch Formulare. nächtliche Autobahnstrecke ins Frankenland, Saalfeld-Rudolstadt/Bamberg auf der er am frühen Morgen die Druckexem- Waren ja Deutsche, wenngleich aus Franken. plare zurück kutschierte. 1991 - 1993 Redakteur Mir wurde der von Lenin enttarnte Doppelcha- Und die Zustellung hatten Westler und Ostler „Ostthüringer Nachrichten“/ rakter der kapitalistischen Presse vollends klar. gemeinsam organisiert. „Ostthüringer Zeitung“, Die reden nicht lange. Die machen. Jena/Altenburg Damals war`s. Natürlich für den Profit, das hatte ja selbst die 1993 - 1994 Kreisleitung schon erkannt und gehandelt. Es ist heute nicht mehr vorstellbar, so ein Unter- Redakteur Aber es tut sich was, selbst mit SED-Büromö- fangen in wenigen Tagen zum Laufen zu brin- „Ostthüringer Zeitung“ beln. Und Büromaterial und -werkzeuge ka- gen. Saalfeld men an. Und Drucker. Und, ja, und auch Rech- ner, PC, wie ich heute gelassen ausspreche. Es lief aber nicht so wie erhofft. Dr. Laurent Fi- 1994 - 1996 scher, der faire Bayreuther Verleger, kam dann Redaktionsleiter Doch – damals war`s – ich sah, großes Pionier- im Oktober und sagte uns, dass es für den mit- „Ostthüringer Zeitung – ehrenwort! – das erste Mal einen Computer in telständischen Verlag wirtschaftlich nicht zu Neuhäuser und Sonneberger echt. Und sollte den auch noch bedienen, stemmen sei. Zeitung“, schließlich wollte man möglichst schnell die er- Neuhaus a. R. ste Ausgabe vom „Thüringer Kurier“ erschei- Sicher, wir waren traurig. Erscheinungszeitraum: 23.02.1990 - 30.10.1990 nen lassen; ein Titel, der mir schon Wochen zu- 1996 - 2006 Auflage: 10.000 (nach Verlagsangaben) vor eingefallen war, da wusste ich noch nichts Und ich dachte noch mal über den Doppelcha- Redakteur Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, südliches Thüringen/Vogtland von der Nordbayern-Analogie. Aber: „Passt rakter der bürgerlichen Presse nach. „Ostthüringer Zeitung“, Jena Redaktion: Hans Jürgen Schwab scho`“, wie ich lernte. Verlag: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Bayreuth In dem speziellen Fall hatte Lenin wohl nicht 2007 Partner: Nordbayerischer Kurier, Bayreuth Passte wirklich. recht. Ruhestand

52 53 Als der Chef den Volontär fuhr

Einigermaßen Ungewöhnliches als Alltag im „Thüringer Tag“

Als Volontär der Zeitung „Thüringer Tag“ be- kalten Novembertag das einzige Blatt, das sei- schreibe ich seit September 1990 die Region ne Abonnenten findet. um Saalfeld. Die Redaktion liegt im Privathaus unseres Chefredakteurs und Herausgebers am Nur, wir haben so wenige Leser im Vergleich Darrtor, direkt daneben ist die Geschäftsstel- zum großen Blatt. Also geht es kurz vor fünf le. Uhr mit mehreren Packen Zeitungen im Kof- ferraum des Chefautos zum größten Betrieb, Wir teilen uns einen Telefonanschluss mit ei- der Maxhütte. ner bescheidenen vierstelligen Nummer, ein Faxgerät und viel telefonisches Redebedürfnis. Wir stehen vor dem Werkstor und wollen mindestens jedem zweiten der noch knapp Der „Thüringer Tag“ ist eine Zeitungsneu- 6.000 Mitarbeiter eine unserer Zeitungen gründung im Süden und Osten Thüringens schenken. Es ist bitterkalt, ich lasse mich vom und berichtet aus Sonneberg, Hildburghausen, Chefredakteur fotografieren, während ich Ilmenau und Neuhaus (als sogenannte T2- den Maxhütten-Kumpels der Nachtschicht un- Ausgabe) sowie aus Saalfeld, Pößneck und Lo- ser Blatt mit der Fernsehzeitung in die Hand benstein (T1-Ausgabe). drücke.

Alle Thüringer Schreiber eint die Idee eines Dann geht es zurück in die Redaktion. Ich war- neuen Blattes in einer anderen Zeit – und fast te mit ein paar anderen Artikeln auf den Ku- alle Fäden laufen zusammen in der Lokalre- rier, der am frühen Nachmittag zur ersten Po- daktion des oberfränkischen Städtchens Kro- lizeistation auf fränkischem Gebiet fährt. Von nach, der nördlichsten Ausgabe der Tageszei- dort faxt er meine Artikel in die Redaktion im tung „Fränkischer Tag“. gut 30 Kilometer entfernten Kronach, von wo der Text dann weitergesandt wird ins Mutter- Na klar, wir sind gefragt, weil wir eine Alter- haus nach Bamberg. Dort erfassen fleißige Set- native bilden und wegen der Edeka-Werbung zer die Thüringen-News und lassen sie von den für die grenznahe Region im Norden Bayerns. Metteuren an der Platte zu unseren Seiten im „Thüringer Tag“ zusammenbasteln. Denn dort sitzt unser Mutterblatt, dort wird auch die Werbung geschalten, an den dorti- Mein unentwickelter Film geht mit dem Nacht- gen Mantel wird unser Thüringenteil einfach kurier auf Reisen: Am Tag nach dem Foto steht drangehangen. das Negativ den Bamberger Kollegen zur Ver- fügung, die suchen sich das beste Bild aus, pla- Ziemlich gute Karten für uns, zum Ende der nen es ein und fordern meinen Bildtext ab. Ich Woche gibt es also die Angebote für den schreibe den als „Blindtext“, denn mein Bild grenznahen Lebensmittelverkehr, in der Wo- sehe ich erst am nächsten Tag in der Zeitung. chenmitte haben wir eine Fernsehzeitung als kostenlose Beilage – und an den anderen Ta- Meistens klappt es mit der Personenzuord- gen mühen wir uns redlich, das Leben zwi- nung, manchmal gibt es für die Kollegen net- schen Orla und Werra abzubilden. te, für mich erklärungsbedürftige Situatio- nen: Wenn dann anstelle der abgelichteten In der Saalfelder Redaktion sitze ich Zimmer an Personengruppe nur der Kulturdezernent ne- Zimmer mit meinem Chefredakteur, wir schrei- ben einem ausgestopften Museumsaffen zu ben beide Berichte und Kommentare. sehen ist und der Bildtext darauf verweist, dass der städtische Angestellte der auf dem Bild In gewisser Weise teilen wir uns auch das Au- rechts ist... to, denn ich habe noch keine Fahrerlaubnis und lasse mich vom Chef fahren. Im Laufe der Zeit wird der „Thüringer Tag“ kleiner: Zuerst muss die westlichste Redaktion Da geht es zu den ersten Unfällen mit den auf- in Hildburghausen schließen, der Lokalteil in Stephan Breidt gemotzten, aber doch eher schrottreifen West- Kahla bei Jena findet auch immer weniger wagen auf unseren Straßen oder zur ersten Leser – bis wir uns schließlich am 30. Septem- Volontär, „Thüringer Tag“ Landung eines großen Rettungshubschrau- ber 1992 nach gut zwei Jahren von unseren bers auf einem Feld oberhalb des gerade zur „lieben Leserinnen und Lesern“ verabschie- Studium der Journalistik GmbH umgewandelten Kreiskrankenhauses. den, natürlich mit der wöchentlichen Fernseh- und Musikwissenschaft beilage. Oder wir fahren ganz früh am Morgen nach 1998 - 2001 Unterwellenborn: Das große Blatt am Ort hat Der 30. September 1992 ist ein Mittwoch. Redakteur schlechte Karten, zu den Abonnenten zu ge- „schwarm verlag“ langen. Noch wird die Zeitung über den Post- zeitungsvertrieb zugestellt und ist – je nach 2001 - 2002 Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 30.09.1992 Postbotentour – zwischen acht Uhr morgens Tätigkeit in einer Druckerei, Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) und zwei Uhr nachmittags bei den Lesern. freier Journalist Verbreitungsgebiet: Ilmenau, Hildburghausen, Lobenstein, Neuhaus, Pößneck, Saalfeld, Rudolstadt, Sonneberg Unser eigener Zustelldienst bringt die Zei- seit 2002 Redaktionleitung: Thomas Fischer tung bis sechs Uhr morgens in die Briefkästen. Pressesprecher der Verlag: Fränkischer Tag GmbH & Co. KG, Bamberg, Verlag Thüringer Tag, Saalfeld Und das ist auch unser großes Plus: Weil der Thüringen-Kliniken Partner: Fränkischer Tag, Bamberg Zeitungsvertrieb streikt, sind wir an diesem Saalfeld-Rudolstadt-Pößneck

54 55 Als der Chef den Volontär fuhr

Einigermaßen Ungewöhnliches als Alltag im „Thüringer Tag“

Als Volontär der Zeitung „Thüringer Tag“ be- kalten Novembertag das einzige Blatt, das sei- schreibe ich seit September 1990 die Region ne Abonnenten findet. um Saalfeld. Die Redaktion liegt im Privathaus unseres Chefredakteurs und Herausgebers am Nur, wir haben so wenige Leser im Vergleich Darrtor, direkt daneben ist die Geschäftsstel- zum großen Blatt. Also geht es kurz vor fünf le. Uhr mit mehreren Packen Zeitungen im Kof- ferraum des Chefautos zum größten Betrieb, Wir teilen uns einen Telefonanschluss mit ei- der Maxhütte. ner bescheidenen vierstelligen Nummer, ein Faxgerät und viel telefonisches Redebedürfnis. Wir stehen vor dem Werkstor und wollen mindestens jedem zweiten der noch knapp Der „Thüringer Tag“ ist eine Zeitungsneu- 6.000 Mitarbeiter eine unserer Zeitungen gründung im Süden und Osten Thüringens schenken. Es ist bitterkalt, ich lasse mich vom und berichtet aus Sonneberg, Hildburghausen, Chefredakteur fotografieren, während ich Ilmenau und Neuhaus (als sogenannte T2- den Maxhütten-Kumpels der Nachtschicht un- Ausgabe) sowie aus Saalfeld, Pößneck und Lo- ser Blatt mit der Fernsehzeitung in die Hand benstein (T1-Ausgabe). drücke.

Alle Thüringer Schreiber eint die Idee eines Dann geht es zurück in die Redaktion. Ich war- neuen Blattes in einer anderen Zeit – und fast te mit ein paar anderen Artikeln auf den Ku- alle Fäden laufen zusammen in der Lokalre- rier, der am frühen Nachmittag zur ersten Po- daktion des oberfränkischen Städtchens Kro- lizeistation auf fränkischem Gebiet fährt. Von nach, der nördlichsten Ausgabe der Tageszei- dort faxt er meine Artikel in die Redaktion im tung „Fränkischer Tag“. gut 30 Kilometer entfernten Kronach, von wo der Text dann weitergesandt wird ins Mutter- Na klar, wir sind gefragt, weil wir eine Alter- haus nach Bamberg. Dort erfassen fleißige Set- native bilden und wegen der Edeka-Werbung zer die Thüringen-News und lassen sie von den für die grenznahe Region im Norden Bayerns. Metteuren an der Platte zu unseren Seiten im „Thüringer Tag“ zusammenbasteln. Denn dort sitzt unser Mutterblatt, dort wird auch die Werbung geschalten, an den dorti- Mein unentwickelter Film geht mit dem Nacht- gen Mantel wird unser Thüringenteil einfach kurier auf Reisen: Am Tag nach dem Foto steht drangehangen. das Negativ den Bamberger Kollegen zur Ver- fügung, die suchen sich das beste Bild aus, pla- Ziemlich gute Karten für uns, zum Ende der nen es ein und fordern meinen Bildtext ab. Ich Woche gibt es also die Angebote für den schreibe den als „Blindtext“, denn mein Bild grenznahen Lebensmittelverkehr, in der Wo- sehe ich erst am nächsten Tag in der Zeitung. chenmitte haben wir eine Fernsehzeitung als kostenlose Beilage – und an den anderen Ta- Meistens klappt es mit der Personenzuord- gen mühen wir uns redlich, das Leben zwi- nung, manchmal gibt es für die Kollegen net- schen Orla und Werra abzubilden. te, für mich erklärungsbedürftige Situatio- nen: Wenn dann anstelle der abgelichteten In der Saalfelder Redaktion sitze ich Zimmer an Personengruppe nur der Kulturdezernent ne- Zimmer mit meinem Chefredakteur, wir schrei- ben einem ausgestopften Museumsaffen zu ben beide Berichte und Kommentare. sehen ist und der Bildtext darauf verweist, dass der städtische Angestellte der auf dem Bild In gewisser Weise teilen wir uns auch das Au- rechts ist... to, denn ich habe noch keine Fahrerlaubnis und lasse mich vom Chef fahren. Im Laufe der Zeit wird der „Thüringer Tag“ kleiner: Zuerst muss die westlichste Redaktion Da geht es zu den ersten Unfällen mit den auf- in Hildburghausen schließen, der Lokalteil in Stephan Breidt gemotzten, aber doch eher schrottreifen West- Kahla bei Jena findet auch immer weniger wagen auf unseren Straßen oder zur ersten Leser – bis wir uns schließlich am 30. Septem- Volontär, „Thüringer Tag“ Landung eines großen Rettungshubschrau- ber 1992 nach gut zwei Jahren von unseren bers auf einem Feld oberhalb des gerade zur „lieben Leserinnen und Lesern“ verabschie- Studium der Journalistik GmbH umgewandelten Kreiskrankenhauses. den, natürlich mit der wöchentlichen Fernseh- und Musikwissenschaft beilage. Oder wir fahren ganz früh am Morgen nach 1998 - 2001 Unterwellenborn: Das große Blatt am Ort hat Der 30. September 1992 ist ein Mittwoch. Redakteur schlechte Karten, zu den Abonnenten zu ge- „schwarm verlag“ langen. Noch wird die Zeitung über den Post- zeitungsvertrieb zugestellt und ist – je nach 2001 - 2002 Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 30.09.1992 Postbotentour – zwischen acht Uhr morgens Tätigkeit in einer Druckerei, Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) und zwei Uhr nachmittags bei den Lesern. freier Journalist Verbreitungsgebiet: Ilmenau, Hildburghausen, Lobenstein, Neuhaus, Pößneck, Saalfeld, Rudolstadt, Sonneberg Unser eigener Zustelldienst bringt die Zei- seit 2002 Redaktionleitung: Thomas Fischer tung bis sechs Uhr morgens in die Briefkästen. Pressesprecher der Verlag: Fränkischer Tag GmbH & Co. KG, Bamberg, Verlag Thüringer Tag, Saalfeld Und das ist auch unser großes Plus: Weil der Thüringen-Kliniken Partner: Fränkischer Tag, Bamberg Zeitungsvertrieb streikt, sind wir an diesem Saalfeld-Rudolstadt-Pößneck

54 55 Abschuss im freien Fall

Mit dem „Thüringer Tageblatt“ stürzte eine christlich-liberale Fassade

Ein wintergrauer Tag. Journalisten jedoch vermuten mussten: Die Kosten überstiegen die errechneten Summen Für die Redakteure und Verlagsmitarbeiter aus einem Steuereinsparmodell jener Zeit. Die war es ein grauenvoller Donnerstag. Eigner des Deutschen Zeitungsverlages woll- ten wohl keine nennenswerten Beträge aus ei- Es war der 30. Januar 1992. Im 47. Jahr seit Be- genem Portefeuille hinzuzahlen. stehen der ehemaligen CDU-Tageszeitung „Thüringer Tageblatt“ (TT) wurde die Existenz Da trennte man sich doch lieber auch von sol- der Redaktion und des Verlags abrupt been- chen Beigaben wie einigen Liegenschaften in det. bester Lage der Stadt Weimar, übrigens auch dem „Russischen Hof“. Dabei waren die Redaktion und der Verlag auf Anregung des damaligen Medienministers der Der DJV-Landesgeschäftsführer Ralf Leifer, DDR zum 1. Januar 1990 in den Deutschen Zei- kurzfristig von der Belegschaft zu dieser Ver- tungsverlag übernommen worden, als 100- sammlung eingeladen, wurde vom damaligen prozentige Tochter der „Frankfurter Allgemei- Vertreter der FAZ des Raumes verwiesen. nen Zeitung“. Der aus Berlin mit angereiste Personalchef Als Tendenz wurde festgeschrieben: „überpar- musste mit einem Zwischenruf aus dem Ple- teilich, christlich, liberal“. num erst einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass man wenigstens aufsteht, um de- Nichts davon blieb an dem späten Nachmittag nen, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz ver- des 30. Januars 1992 für die Betroffenen lieren sollen, dieses mitzuteilen. zurück. Ach ja, von einer bescheidenen Abfindung war Sie erlebten die Art und Weise ihrer Verab- dann auch die Rede. Doch das gebotene Almo- schiedung eher als liberalistisch denn liberal, sen vermochten dann die DJV-Mitglieder in Ulrich Oertel schon gar nicht als christlich. Jedoch als über- der Redaktion mit einer Musterklage zu einer parteilich erwies sich das Ganze mit dem Erfah- für damalige Verhältnisse in Thüringen er- 1968 - 1970 rungsschatz aus heutiger Sicht schon. Spricht staunlichen Abfindung zu wandeln. Nur konn- Studium Musik und Deutsch, doch der Umgang mit den Redakteuren bei ei- te das nicht die fehlenden Arbeitsplätze erset- Karl-Marx-Universität, Leipzig, ner Reihe von Verlagen und Verlagsgruppen zen. mit sozialdemokratischer Beteiligung – ddvg 1970 - 1975 lässt grüßen – ebenso dicke Bände. Krönung der Inszenierung am letzten Tag: Lademeister im Hauptpostamt Leipzig, Bühnentechniker und Die Belegschaft vom „Thüringer Tageblatt“ Die Belegschaft sollte nach Rückkehr in das Re- Chorsänger, redaktioneller war an jenem 30. Januar 1992 um 17.00 Uhr in daktionsgebäude von Mitarbeitern einer pri- Mitarbeiter „Thüringer Tage- den großen Saal des Weimarer Hotels „Russi- vaten Wachgesellschaft überprüft und nur blatt“, Lokalredaktionen Hei- scher Hof“ einbestellt worden. gegen Ausweisvorlage eingelassen werden. ligenstadt, Gera und Weimar; Begründet wurde das mit welcher Gefahr im parallel dazu landwirtschaftli- Dort hieß es erst einmal kurz und knapp so wie Verzug auch immer. Bis dahin war die Pforte ches Fernstudium zum Agra- drei Stunden zuvor beim Aus vom „Neuen trotz teurer Computertechnik unbesetzt. ringenieur, Weg“ in Halle und Wochen zuvor beim „De- mokrat“ in Rostock: „Sie haben soeben die Den Verlust für die Thüringer Zeitungsland- 1975 - 1984 letzte Ausgabe der Zeitung hergestellt. Die Ge- schaft beklagten dann nicht nur ehemalige Le- Leiter der TT-Lokalredaktion sellschafter können die hohen Verluste von ser, darunter Kollegen aus der Branche. Es Weimar monatlich 500.000 DM nicht mehr stützen“. folgte vielfach die Forderung an die Verleger zur Rücknahme der Entscheidung, selbst von 1984 - 1992 Wie nun das Ende kam, da verschlug es den einigen evangelischen und katholischen Kan- Ressortleiter Wirtschaft; bis Betroffenen bei mancherlei bösen Vorahnun- zeln verkündet – leider zu spät. Ende 1989 postgraduales Stu- gen doch erst einmal die Sprache, denn immer- dium Journalistik an der Fach- hin war gerade ein sehr teures Layout für das Mehr Abos wären damals hilfreicher gewesen, schule für Journalistik Leipzig; TT entwickelt und eingeführt, die Talsohle ei- eine abgesetzte Tagesauflage von 18.000 nes Auflageneinbruchs durchschritten, gab es brachte nun mal keinen Profit. 1992 noch am 29. Januar 1992 eine ganzseitige Abo- „Deutschen Landblatt“, Werbung. Auch war offiziell von Stolz auf die Übrigens: Die sechs Monate darauf verfügte Thüringen-Korrespondent Leistungen der Thüringer Redaktion die Rede Einstellung vom „Deutschen Landblatt“ als und von Zuversicht. einziger agrarpolitischen Tageszeitung im 1992 - 1998 deutschsprachigen Raum war durch den Deut- Pressesprecher in der Thürin- Und dann standen im Raum plötzlich Vorhal- schen Zeitungsverlag fast unbemerkt von der ger Energiewirtschaft tungen an die Redaktion wegen angeblich Öffentlichkeit vollzogen worden. schlechter journalistischer Qualität. Für den 1998 - 2008 vom Deutschen Zeitungsverlag in Berlin und in Und an die am 5. Juli 1994 eingestellte „Neue PR-Berater und Pressesprecher Erscheinungszeitraum: 01.05.1946 - 31.01.1992 Frankfurt/Main gesteuerten unpünktlichen Zeit“, zuletzt auf himmelblauem Papier ge- beim Trägerwerk Soziale Auflage: 18.000 (Auflagenzahlen nach Bundespresseamt - II/92) Vertrieb und andere Fehlleistungen entschul- druckt, können sich auch nur noch wenige er- Dienste Thüringen, beim Lan- Verbreitungsgebiet: Thüringen digte sich keiner. innern. desverband der Freien Berufe Redaktion: Thomas Bickelhaupt Thüringen e. V. sowie in der Verlag: Deutscher Zeitungsverlag GmbH, Weimar Was die Geschäftsführung vom Deutschen Kassenärztlichen Vereinigung Partner: Frankfurter Allgemeine Zeitung Zeitungsverlag verschwieg, die gefeuerten Thüringen

56 57 Abschuss im freien Fall

Mit dem „Thüringer Tageblatt“ stürzte eine christlich-liberale Fassade

Ein wintergrauer Tag. Journalisten jedoch vermuten mussten: Die Kosten überstiegen die errechneten Summen Für die Redakteure und Verlagsmitarbeiter aus einem Steuereinsparmodell jener Zeit. Die war es ein grauenvoller Donnerstag. Eigner des Deutschen Zeitungsverlages woll- ten wohl keine nennenswerten Beträge aus ei- Es war der 30. Januar 1992. Im 47. Jahr seit Be- genem Portefeuille hinzuzahlen. stehen der ehemaligen CDU-Tageszeitung „Thüringer Tageblatt“ (TT) wurde die Existenz Da trennte man sich doch lieber auch von sol- der Redaktion und des Verlags abrupt been- chen Beigaben wie einigen Liegenschaften in det. bester Lage der Stadt Weimar, übrigens auch dem „Russischen Hof“. Dabei waren die Redaktion und der Verlag auf Anregung des damaligen Medienministers der Der DJV-Landesgeschäftsführer Ralf Leifer, DDR zum 1. Januar 1990 in den Deutschen Zei- kurzfristig von der Belegschaft zu dieser Ver- tungsverlag übernommen worden, als 100- sammlung eingeladen, wurde vom damaligen prozentige Tochter der „Frankfurter Allgemei- Vertreter der FAZ des Raumes verwiesen. nen Zeitung“. Der aus Berlin mit angereiste Personalchef Als Tendenz wurde festgeschrieben: „überpar- musste mit einem Zwischenruf aus dem Ple- teilich, christlich, liberal“. num erst einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass man wenigstens aufsteht, um de- Nichts davon blieb an dem späten Nachmittag nen, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz ver- des 30. Januars 1992 für die Betroffenen lieren sollen, dieses mitzuteilen. zurück. Ach ja, von einer bescheidenen Abfindung war Sie erlebten die Art und Weise ihrer Verab- dann auch die Rede. Doch das gebotene Almo- schiedung eher als liberalistisch denn liberal, sen vermochten dann die DJV-Mitglieder in Ulrich Oertel schon gar nicht als christlich. Jedoch als über- der Redaktion mit einer Musterklage zu einer parteilich erwies sich das Ganze mit dem Erfah- für damalige Verhältnisse in Thüringen er- 1968 - 1970 rungsschatz aus heutiger Sicht schon. Spricht staunlichen Abfindung zu wandeln. Nur konn- Studium Musik und Deutsch, doch der Umgang mit den Redakteuren bei ei- te das nicht die fehlenden Arbeitsplätze erset- Karl-Marx-Universität, Leipzig, ner Reihe von Verlagen und Verlagsgruppen zen. mit sozialdemokratischer Beteiligung – ddvg 1970 - 1975 lässt grüßen – ebenso dicke Bände. Krönung der Inszenierung am letzten Tag: Lademeister im Hauptpostamt Leipzig, Bühnentechniker und Die Belegschaft vom „Thüringer Tageblatt“ Die Belegschaft sollte nach Rückkehr in das Re- Chorsänger, redaktioneller war an jenem 30. Januar 1992 um 17.00 Uhr in daktionsgebäude von Mitarbeitern einer pri- Mitarbeiter „Thüringer Tage- den großen Saal des Weimarer Hotels „Russi- vaten Wachgesellschaft überprüft und nur blatt“, Lokalredaktionen Hei- scher Hof“ einbestellt worden. gegen Ausweisvorlage eingelassen werden. ligenstadt, Gera und Weimar; Begründet wurde das mit welcher Gefahr im parallel dazu landwirtschaftli- Dort hieß es erst einmal kurz und knapp so wie Verzug auch immer. Bis dahin war die Pforte ches Fernstudium zum Agra- drei Stunden zuvor beim Aus vom „Neuen trotz teurer Computertechnik unbesetzt. ringenieur, Weg“ in Halle und Wochen zuvor beim „De- mokrat“ in Rostock: „Sie haben soeben die Den Verlust für die Thüringer Zeitungsland- 1975 - 1984 letzte Ausgabe der Zeitung hergestellt. Die Ge- schaft beklagten dann nicht nur ehemalige Le- Leiter der TT-Lokalredaktion sellschafter können die hohen Verluste von ser, darunter Kollegen aus der Branche. Es Weimar monatlich 500.000 DM nicht mehr stützen“. folgte vielfach die Forderung an die Verleger zur Rücknahme der Entscheidung, selbst von 1984 - 1992 Wie nun das Ende kam, da verschlug es den einigen evangelischen und katholischen Kan- Ressortleiter Wirtschaft; bis Betroffenen bei mancherlei bösen Vorahnun- zeln verkündet – leider zu spät. Ende 1989 postgraduales Stu- gen doch erst einmal die Sprache, denn immer- dium Journalistik an der Fach- hin war gerade ein sehr teures Layout für das Mehr Abos wären damals hilfreicher gewesen, schule für Journalistik Leipzig; TT entwickelt und eingeführt, die Talsohle ei- eine abgesetzte Tagesauflage von 18.000 nes Auflageneinbruchs durchschritten, gab es brachte nun mal keinen Profit. 1992 noch am 29. Januar 1992 eine ganzseitige Abo- „Deutschen Landblatt“, Werbung. Auch war offiziell von Stolz auf die Übrigens: Die sechs Monate darauf verfügte Thüringen-Korrespondent Leistungen der Thüringer Redaktion die Rede Einstellung vom „Deutschen Landblatt“ als und von Zuversicht. einziger agrarpolitischen Tageszeitung im 1992 - 1998 deutschsprachigen Raum war durch den Deut- Pressesprecher in der Thürin- Und dann standen im Raum plötzlich Vorhal- schen Zeitungsverlag fast unbemerkt von der ger Energiewirtschaft tungen an die Redaktion wegen angeblich Öffentlichkeit vollzogen worden. schlechter journalistischer Qualität. Für den 1998 - 2008 vom Deutschen Zeitungsverlag in Berlin und in Und an die am 5. Juli 1994 eingestellte „Neue PR-Berater und Pressesprecher Erscheinungszeitraum: 01.05.1946 - 31.01.1992 Frankfurt/Main gesteuerten unpünktlichen Zeit“, zuletzt auf himmelblauem Papier ge- beim Trägerwerk Soziale Auflage: 18.000 (Auflagenzahlen nach Bundespresseamt - II/92) Vertrieb und andere Fehlleistungen entschul- druckt, können sich auch nur noch wenige er- Dienste Thüringen, beim Lan- Verbreitungsgebiet: Thüringen digte sich keiner. innern. desverband der Freien Berufe Redaktion: Thomas Bickelhaupt Thüringen e. V. sowie in der Verlag: Deutscher Zeitungsverlag GmbH, Weimar Was die Geschäftsführung vom Deutschen Kassenärztlichen Vereinigung Partner: Frankfurter Allgemeine Zeitung Zeitungsverlag verschwieg, die gefeuerten Thüringen

56 57 Damals unterm Dach

Von einer „Erika“ und vergilbtem Manuskriptpapier

Im Einheitsjahr sucht die „Thüringer Ta- sein. Bielefeld, Bad Oeynhausen, was für gespost“ – von Bielefeld aus – in der Mitte klangvolle Namen in diesen Tagen! Deutschlands Fuß zu fassen. Auch in Meinin- gen. Man sitzt im dritten Stock, vis-à-vis des Auf Meiningen scheint das alles abzufärben. Es Meininger Theaters an der Bernhardstraße. tut sich was, hier, auf der anderen Seite des Die Vierzimmer-Mansardenwohnung mit ehemaligen Zonenrands. Nur ein paar Kilome- Küche und Dunkelkammer wird auch für mich ter weiter: die einstige Grenzübergangsstelle der Ort erster journalistischer Gehversuche Henneberg/Eußenhausen. Vier Zeitungen im August 1990. Ein paar Erinnerungen an die erscheinen hier. Pressekonferenzen sind rich- Zeit damals unterm Dach. tige Ereignisse. Und jeder will „die Geschich- te“ zuerst haben. Wir wollen das auch. Wenn Der berühmte erste Termin: Ein Feuerwehrfest das Druckhaus bloß nicht so weit weg wäre. auf dem Meininger Marktplatz. Mit der Penta- Nachts druckt man in Bielefeld das „Westfalen- con-Kamera des Vaters meiner damaligen blatt“, danach, am nächsten Morgen, die Freundin und dem ersten linierten Spiralblock „Tagespost“. meines neuen Arbeitgebers stehe ich neben einer Drehleiter, die sich neben der Kirche in Der Artikel über das Feuerwehrfest erscheint, den Himmel reckt. Ich bin für die „Tagespost“ sogar mit Bild. Ein paar Wochen später bin ich vor Ort, die Meininger Ausgabe. Alles fühlt bei den Einheitsfeiern im Bierzelt dabei, ober- sich wichtig an, besonders der Wegwerfkuli in halb von Henneberg. Ein Auto besitze ich noch meiner linken Hand. Alles muss mitgeschrie- nicht. Einen Redaktionswagen gibt es bei der ben werden. Bloß kein Detail verpassen. Ist ja „Tagespost“ auch nicht. Also fährt ein Freund für die Zeitung. Meine Zeitung. Seit ein paar an diesem 3. Oktober 1990 mit seinem beigen Tagen bin ich dabei. Freier Mitarbeiter. Habe Fiat Uno. Ehrensache. Ist ja für die Zeitung. Und erstmals Manuskriptpapier in den Händen ge- so wird ein bisschen Geschichte gemacht. halten, ebenso die kleinen Fläschchen mit Deutschland, Einheit, ein paar Fotos. Geschos- Tipp-Ex. Meiner alten Firma hatte ich da schon sen mit der alten Pentacon, entwickelt in der Lebewohl gesagt. Die Kündigung umfasste nur Dunkelkammer direkt hinter der Küche einer fünf Zeilen. Mansardenwohnung an der Bernhardstraße. Und erschienen in der „Meininger Tagespost“. Falk Zimmermann Die Kollegen in der Redaktion kommen, bis Fahnen schwenkende Menschen. Frauen und auf unsere Sekretärin, allesamt aus dem Männer mit Sektflaschen in den Händen, eine 1990 - 1991 Westen, die meisten aus Westfalen. Der Blasmusik-Kapelle. freier Mitarbeiter Redaktionsleiter hier ist selbst noch Volontär, „Tagespost“, Meiningen später wird er irgendwo in der alten Heimat Ein Jahr später. Meine „Tagespost“-Zeit ist seit Chefredakteur sein. Dirigiert wird diese ein paar Tagen vorüber. Ich bin jetzt Volontär. 1991 -1993 „Operation Neuland“ von Bielefeld aus. Der Bei der Zeitung, die auch Grün als Hausfarbe Volontär Verleger des „Westfalenblatts“ hat thürin- hat. Meine Redaktion: nur ein paar Straßen „Freies Wort“ gische Wurzeln, heißt es, darum das Engage- weiter. Bei der „Tagespost“ ist man indes ment in Eisenach, Bad Salzungen, Schmal- schon auf dem Rückzug. In ein paar Monaten 1993 -1996 kalden, Meiningen … ist alles nur noch Geschichte. Zeitungs- Redakteur geschichte. „Freies Wort“ Der Kontakt hinauf in den Nordwesten ist (Politik, Vermischtes etc.) schwierig, noch muss man die Auslands- Irgendwo habe ich noch die Reiseschreib- vorwahl wählen, will man mit dem Haupthaus maschine, die 1990 mein erstes Schreibwerk- 1996 - 2000 reden. Ein Fax schicken – ein beinahe unmög- zeug in der Meininger Bernhardstraße war. Wirtschaftsredakteur liches Unterfangen. Mitunter gehen Stunden Eigentlich hätte dieser Text auf ihr geschrieben „Neue Presse“, Coburg dafür drauf. Zu mehr Aktualität verhilft das werden sollen. Auf vergilbtem „Westfalen- nicht. Die nächste Ausgabe erscheint ja immer blatt“-Manuskriptpapier. Ich bin mir nicht 2000 - 2001 erst am übernächsten Tag. Der Kurier, der einmal sicher, ob die „Tagespost“ jemals eige- Chef vom Dienst Manuskripte und Negativfilme mitnimmt auf nes besessen hat… „Südthüringer Zeitung“, seine Nacht- und Nebeltour, kommt um halb Bad Salzungen zwei Uhr morgens. Die Redaktion ist da häu- fig noch voll besetzt. Schicksalsgemeinschaft. 2001 - 2009 Man ist jung, steckt mitten in einem Aben- Mantelredakteur Text und Bild, teuer. Im Abenteuer Zeitungsmachen. Und in Redaktionspartner GmbH (Ver- der Redaktionsküche wird jeden Abend lagsgruppe Hof-Coburg-Suhl: gekocht. Irgendein Curry-Gericht ist fast immer Freies Wort, Neue Presse, STZ, in der Pfanne. Frankenpost) und Redakteur Sonntagsmagazin So!; dazu Dazu läuft den ganzen Tag „DT 64“ aus einem verantwortlich für Internetauf- Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 23.11.1991 Sanyo-Ghettoblaster. In Berlin wird gerade tritt der Neuen Presse Coburg Auflage: 49.582 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Techno erfunden. In Meiningen wird geschrie- Verbreitungsgebiet: Apolda, Arnstadt, Bad Langensalza, Bad Salzungen, Eichsfeld, Eisenach, Erfurt, ben und geraucht. Permanent. Zum Tippen seit 2009 Gotha, Ilmenau, Meiningen, Mühlhausen, Nordhausen, Schmalkalden, gibt’s Selbstgedrehte oder Gauloises, die im Leiter der Lokalredaktion Hild- Sömmerda, Sondershausen, Suhl, Weimar Hals kratzen. Das Deutsch, das in der Redakti- burghausen „Freies Wort“; Redaktion: Ralf-Dieter Poch, Hans Hoffmeister on gesprochen wird, klingt für Südthüringer verantwortlicher Redakteur Verlag: Tagespost Verlags-, Werbe- und Servicegesellschaft mbH, Eisenach Ohren nach Norden, nach weiter Welt. Sonntagsmagazin So! der Ver- Partner: Westfalen-Blatt, Bielefeld Westfalen, das muss gleich hinter Hamburg lagsgruppe Hof-Coburg-Suhl

58 59 Damals unterm Dach

Von einer „Erika“ und vergilbtem Manuskriptpapier

Im Einheitsjahr sucht die „Thüringer Ta- sein. Bielefeld, Bad Oeynhausen, was für gespost“ – von Bielefeld aus – in der Mitte klangvolle Namen in diesen Tagen! Deutschlands Fuß zu fassen. Auch in Meinin- gen. Man sitzt im dritten Stock, vis-à-vis des Auf Meiningen scheint das alles abzufärben. Es Meininger Theaters an der Bernhardstraße. tut sich was, hier, auf der anderen Seite des Die Vierzimmer-Mansardenwohnung mit ehemaligen Zonenrands. Nur ein paar Kilome- Küche und Dunkelkammer wird auch für mich ter weiter: die einstige Grenzübergangsstelle der Ort erster journalistischer Gehversuche Henneberg/Eußenhausen. Vier Zeitungen im August 1990. Ein paar Erinnerungen an die erscheinen hier. Pressekonferenzen sind rich- Zeit damals unterm Dach. tige Ereignisse. Und jeder will „die Geschich- te“ zuerst haben. Wir wollen das auch. Wenn Der berühmte erste Termin: Ein Feuerwehrfest das Druckhaus bloß nicht so weit weg wäre. auf dem Meininger Marktplatz. Mit der Penta- Nachts druckt man in Bielefeld das „Westfalen- con-Kamera des Vaters meiner damaligen blatt“, danach, am nächsten Morgen, die Freundin und dem ersten linierten Spiralblock „Tagespost“. meines neuen Arbeitgebers stehe ich neben einer Drehleiter, die sich neben der Kirche in Der Artikel über das Feuerwehrfest erscheint, den Himmel reckt. Ich bin für die „Tagespost“ sogar mit Bild. Ein paar Wochen später bin ich vor Ort, die Meininger Ausgabe. Alles fühlt bei den Einheitsfeiern im Bierzelt dabei, ober- sich wichtig an, besonders der Wegwerfkuli in halb von Henneberg. Ein Auto besitze ich noch meiner linken Hand. Alles muss mitgeschrie- nicht. Einen Redaktionswagen gibt es bei der ben werden. Bloß kein Detail verpassen. Ist ja „Tagespost“ auch nicht. Also fährt ein Freund für die Zeitung. Meine Zeitung. Seit ein paar an diesem 3. Oktober 1990 mit seinem beigen Tagen bin ich dabei. Freier Mitarbeiter. Habe Fiat Uno. Ehrensache. Ist ja für die Zeitung. Und erstmals Manuskriptpapier in den Händen ge- so wird ein bisschen Geschichte gemacht. halten, ebenso die kleinen Fläschchen mit Deutschland, Einheit, ein paar Fotos. Geschos- Tipp-Ex. Meiner alten Firma hatte ich da schon sen mit der alten Pentacon, entwickelt in der Lebewohl gesagt. Die Kündigung umfasste nur Dunkelkammer direkt hinter der Küche einer fünf Zeilen. Mansardenwohnung an der Bernhardstraße. Und erschienen in der „Meininger Tagespost“. Falk Zimmermann Die Kollegen in der Redaktion kommen, bis Fahnen schwenkende Menschen. Frauen und auf unsere Sekretärin, allesamt aus dem Männer mit Sektflaschen in den Händen, eine 1990 - 1991 Westen, die meisten aus Westfalen. Der Blasmusik-Kapelle. freier Mitarbeiter Redaktionsleiter hier ist selbst noch Volontär, „Tagespost“, Meiningen später wird er irgendwo in der alten Heimat Ein Jahr später. Meine „Tagespost“-Zeit ist seit Chefredakteur sein. Dirigiert wird diese ein paar Tagen vorüber. Ich bin jetzt Volontär. 1991 -1993 „Operation Neuland“ von Bielefeld aus. Der Bei der Zeitung, die auch Grün als Hausfarbe Volontär Verleger des „Westfalenblatts“ hat thürin- hat. Meine Redaktion: nur ein paar Straßen „Freies Wort“ gische Wurzeln, heißt es, darum das Engage- weiter. Bei der „Tagespost“ ist man indes ment in Eisenach, Bad Salzungen, Schmal- schon auf dem Rückzug. In ein paar Monaten 1993 -1996 kalden, Meiningen … ist alles nur noch Geschichte. Zeitungs- Redakteur geschichte. „Freies Wort“ Der Kontakt hinauf in den Nordwesten ist (Politik, Vermischtes etc.) schwierig, noch muss man die Auslands- Irgendwo habe ich noch die Reiseschreib- vorwahl wählen, will man mit dem Haupthaus maschine, die 1990 mein erstes Schreibwerk- 1996 - 2000 reden. Ein Fax schicken – ein beinahe unmög- zeug in der Meininger Bernhardstraße war. Wirtschaftsredakteur liches Unterfangen. Mitunter gehen Stunden Eigentlich hätte dieser Text auf ihr geschrieben „Neue Presse“, Coburg dafür drauf. Zu mehr Aktualität verhilft das werden sollen. Auf vergilbtem „Westfalen- nicht. Die nächste Ausgabe erscheint ja immer blatt“-Manuskriptpapier. Ich bin mir nicht 2000 - 2001 erst am übernächsten Tag. Der Kurier, der einmal sicher, ob die „Tagespost“ jemals eige- Chef vom Dienst Manuskripte und Negativfilme mitnimmt auf nes besessen hat… „Südthüringer Zeitung“, seine Nacht- und Nebeltour, kommt um halb Bad Salzungen zwei Uhr morgens. Die Redaktion ist da häu- fig noch voll besetzt. Schicksalsgemeinschaft. 2001 - 2009 Man ist jung, steckt mitten in einem Aben- Mantelredakteur Text und Bild, teuer. Im Abenteuer Zeitungsmachen. Und in Redaktionspartner GmbH (Ver- der Redaktionsküche wird jeden Abend lagsgruppe Hof-Coburg-Suhl: gekocht. Irgendein Curry-Gericht ist fast immer Freies Wort, Neue Presse, STZ, in der Pfanne. Frankenpost) und Redakteur Sonntagsmagazin So!; dazu Dazu läuft den ganzen Tag „DT 64“ aus einem verantwortlich für Internetauf- Erscheinungszeitraum: 01.03.1990 - 23.11.1991 Sanyo-Ghettoblaster. In Berlin wird gerade tritt der Neuen Presse Coburg Auflage: 49.582 (Auflagenzahlen nach IVW – verkaufte Auflage – IV/92) Techno erfunden. In Meiningen wird geschrie- Verbreitungsgebiet: Apolda, Arnstadt, Bad Langensalza, Bad Salzungen, Eichsfeld, Eisenach, Erfurt, ben und geraucht. Permanent. Zum Tippen seit 2009 Gotha, Ilmenau, Meiningen, Mühlhausen, Nordhausen, Schmalkalden, gibt’s Selbstgedrehte oder Gauloises, die im Leiter der Lokalredaktion Hild- Sömmerda, Sondershausen, Suhl, Weimar Hals kratzen. Das Deutsch, das in der Redakti- burghausen „Freies Wort“; Redaktion: Ralf-Dieter Poch, Hans Hoffmeister on gesprochen wird, klingt für Südthüringer verantwortlicher Redakteur Verlag: Tagespost Verlags-, Werbe- und Servicegesellschaft mbH, Eisenach Ohren nach Norden, nach weiter Welt. Sonntagsmagazin So! der Ver- Partner: Westfalen-Blatt, Bielefeld Westfalen, das muss gleich hinter Hamburg lagsgruppe Hof-Coburg-Suhl

58 59 Eine Odyssee als Redakteur

Warum man sich von der TLZ verfolgt fühlen könnte

DDR-Thüringer mit TLZ-Abo durften sich schaffen wollte. Ich hätte Oskar Lafontaines glücklich schätzen. Ich gehörte zu ihnen. In der Auftritt im Gothaer Kulturhaus keine ganze TLZ las man mehr als Verlautbarungen, wo- Zeitungsseite gewidmet. Und schließlich hät- nach sich wieder einmal zwei Leute zu einem te ich Hans Woithon ganz bestimmt nicht zu- freundschaftlichen Gespräch getroffen hatten, gesagt, die Gothaer Redaktion zu leiten, nach- in dem gemeinsam interessierende Fragen dem Ingrid Gollmitz schwer erkrankt war. erörtert wurden. Ich war jedenfalls froh, dass Denn Organisationstalent war nicht unbe- ich jeden Tag meine TLZ im Briefkasten fand. dingt meine Stärke.

Aber selber schreiben? Daran dachte ich nicht. Wenig später übernahm die TLZ formell die 1984 aber, ermutigt von Ernst Prause, dem Lei- aus Westfalen stammende Tagespost – und de- ter des Kulturbund-Fotoklubs, brachte ich ein ren Art, Zeitung zu machen. Es war eine Zeit Foto zur TLZ – und es wurde veröffentlicht! Ei- ungewohnter Erfahrungen. ne Woche später ging ich wieder hin und er- hielt von Redaktionsleiterin Ingrid Gollmitz Als in der Gothaer Lokalredaktion der Mittel- den Auftrag, Text plus Foto von einem Termin deutschen Allgemeinen (MA) eine Stelle frei mitzubringen. Kann ich das überhaupt? Ich wurde, hatte ich das Glück, dorthin wechseln konnte. Und war bis zur Wende als freier Mit- zu können. Nach fünf Stunden des Wartens arbeiter dabei. vor der Tür der TLZ-Chefredaktion – den Grund Dieter Albrecht: meines Wunschs nach einem Wechsel hatte ich 1987 fuhr ich nach Weimar, zu TLZ-Chefredak- nicht preisgeben wollen – hielt ich meinen 1965 - 1969 teur Hans Woithon. Ich wollte Redakteur wer- Aufhebungsvertrag in Händen. Studium der Schulmusik den. Da würde ich zwar weniger verdienen als an der Hochschule für Musik im Schuldienst, aber dafür hätte ich mehr In der Gothaer MA-Redaktion, geleitet von der „Franz Liszt“ in Weimar Spaß an der Arbeit. Ich habe noch heute sei- aus Franken stammenden Cornelie Barthelme, ne Worte im Ohr: „Dass Sie schreiben können, habe ich erleben dürfen, wie wohltuend es 1969 - 1990 weiß ich. Aber wenn ich Sie heute einstelle, sein kann, wenn Ost- und Westredakteure kol- Schuldienst in Südthüringen, kriege ich morgen einen Anruf von der SED- legial zusammenarbeiten. Ein gewaltiger später in Gotha Kreisleitung und muss Sie gehen lassen.“ Recht Nackenschlag erwischte mich gut eine Woche hatte er. Wer nicht mehr in der Volksbildung nach meinem Weggang von der TLZ: Plötzlich 1990 arbeiten wollte, der musste sich damals min- hieß es, im Rathaus kursiere das Gerücht, ich Redakteur destens als Einbrecher qualifiziert haben. sei Stasi-IM gewesen. Wer konnte an einem TLZ, Gotha, Rufmord Interesse haben? Bis heute bin ich auf Dann kam die Wende. Und ich wurde TLZ-Re- Vermutungen angewiesen. 1990 - 1993 dakteur. Ohne die leiseste Ahnung, wie man Redaktionsleiter professionell eine Zeitung macht. Aber eupho- Es sollte nicht lange dauern, bis die Gothaer TLZ, Gotha risch, weil ich schreiben durfte, was ich dach- MA-Lokalredaktion aufgelöst und später die te und was ich tatsächlich recherchiert hatte. gesamte MA von der TLZ/Tagespost aufge- 1993 - 1996 Kein Bürgermeister-Sekretär mehr, der mir kauft wurde. Und ich mit ihr. Fortan war ich Redakteur verboten hätte, Gotha-Fotos, vom Rathau- wieder TLZ-Redakteur, diesmal in Mühlhausen. „Mitteldeutsche Allgemeine“ sturm aus aufgenommen, zu veröffentlichen, Ein erfreulich kollegiales Miteinander habe ich Gotha, Eisenach, weil man dann die schadhaften Dächer gese- viel später noch einmal erleben dürfen – bei Bad Langensalza, Mühlhausen hen hätte. Keine ärztliche Funktionärin, der der Thüringer Allgemeinen (TA) in Mühlhau- ich einen Artikel über eine Behindertenwerk- sen und dann zum Schluss, bis zur Rente, bei 1996 - 2000 statt zur Zensur hätte vorlegen müssen. Dafür der Gothaer TA. Redakteur ein politisches Erdbeben nach dem anderen. TLZ, Mühlhausen Trotz allem – ohne die TLZ damals wäre ich Getippt wurde auf einer uralten Schreibma- wohl niemals Redakteur geworden. 2000 schine, das Seitenlayout wurde auf einem Redakteur großen linierten Blatt Papier mit Bleistift auf- TLZ, Erfurt gezeichnet, Zeilen wurden von Hand gezählt. In einem Brief verstaut, wurde das Material 2000 - 2001 einschließlich der Papierfotos abends zur Redakteur Bahnpost gebracht. Dann kamen die ersten TLZ, Mühlhausen Atari-Computer – eine Art Spielcomputer, die die Arbeit erleichtern sollten, in Wirklichkeit 2001 - 2008 aber ständig neue Probleme brachten. Redakteur TA, Mühlhausen Erscheinungszeitraum: seit 24.09.1945 Heute denke ich: Um wie vieles besser hätte Auflage: 65.000 (Angaben Bundespresseamt III/92) die TLZ damals sein können, wenn wir über 2008 Verbreitungsgebiet: Altenburg, Schmölln, Gera, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach, das nötige journalistische Hintergrundwissen Korrektor Mühlhausen, Bad Langensalza, Eichsfeld (Heiligenstadt/Worbis). und das nötige handwerkliche Können verfügt TA, Erfurt 25.11.1991: Übernahme der 14 Ausgaben der Thüringer Tagespost, hätten! Wir waren ja in dem kleinen Kabuff in 31.10.1992: Einstellen der Ausgaben in Schmalkalden, Suhl und Meiningen der Gothaer Jüdenstraße eine Miniredaktion, 2008 - 2009 30.06.1993: Einstellen der Ausgaben in Eisenach, Mühlhausen, zusammengewürfelt aus Seiteneinsteigern! Redakteur Bad Langensalza, Eichsfeld(Heiligenstadt/Worbis Mit dem heutigen Wissen hätte ich keine TA, Gotha Redaktion: Hans Hoffmeister, Hans-Dieter Woithon Fortsetzungsfolge über eine Krankenkasse ge- Verlag: Thüringische Landeszeitung Verlag GmbH & Co. KG, Weimar schrieben, die sich mithilfe der Zeitung einen seit 2009 Partner: WAZ-Mediengruppe Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten ver- Rentner

60 61 Eine Odyssee als Redakteur

Warum man sich von der TLZ verfolgt fühlen könnte

DDR-Thüringer mit TLZ-Abo durften sich schaffen wollte. Ich hätte Oskar Lafontaines glücklich schätzen. Ich gehörte zu ihnen. In der Auftritt im Gothaer Kulturhaus keine ganze TLZ las man mehr als Verlautbarungen, wo- Zeitungsseite gewidmet. Und schließlich hät- nach sich wieder einmal zwei Leute zu einem te ich Hans Woithon ganz bestimmt nicht zu- freundschaftlichen Gespräch getroffen hatten, gesagt, die Gothaer Redaktion zu leiten, nach- in dem gemeinsam interessierende Fragen dem Ingrid Gollmitz schwer erkrankt war. erörtert wurden. Ich war jedenfalls froh, dass Denn Organisationstalent war nicht unbe- ich jeden Tag meine TLZ im Briefkasten fand. dingt meine Stärke.

Aber selber schreiben? Daran dachte ich nicht. Wenig später übernahm die TLZ formell die 1984 aber, ermutigt von Ernst Prause, dem Lei- aus Westfalen stammende Tagespost – und de- ter des Kulturbund-Fotoklubs, brachte ich ein ren Art, Zeitung zu machen. Es war eine Zeit Foto zur TLZ – und es wurde veröffentlicht! Ei- ungewohnter Erfahrungen. ne Woche später ging ich wieder hin und er- hielt von Redaktionsleiterin Ingrid Gollmitz Als in der Gothaer Lokalredaktion der Mittel- den Auftrag, Text plus Foto von einem Termin deutschen Allgemeinen (MA) eine Stelle frei mitzubringen. Kann ich das überhaupt? Ich wurde, hatte ich das Glück, dorthin wechseln konnte. Und war bis zur Wende als freier Mit- zu können. Nach fünf Stunden des Wartens arbeiter dabei. vor der Tür der TLZ-Chefredaktion – den Grund Dieter Albrecht: meines Wunschs nach einem Wechsel hatte ich 1987 fuhr ich nach Weimar, zu TLZ-Chefredak- nicht preisgeben wollen – hielt ich meinen 1965 - 1969 teur Hans Woithon. Ich wollte Redakteur wer- Aufhebungsvertrag in Händen. Studium der Schulmusik den. Da würde ich zwar weniger verdienen als an der Hochschule für Musik im Schuldienst, aber dafür hätte ich mehr In der Gothaer MA-Redaktion, geleitet von der „Franz Liszt“ in Weimar Spaß an der Arbeit. Ich habe noch heute sei- aus Franken stammenden Cornelie Barthelme, ne Worte im Ohr: „Dass Sie schreiben können, habe ich erleben dürfen, wie wohltuend es 1969 - 1990 weiß ich. Aber wenn ich Sie heute einstelle, sein kann, wenn Ost- und Westredakteure kol- Schuldienst in Südthüringen, kriege ich morgen einen Anruf von der SED- legial zusammenarbeiten. Ein gewaltiger später in Gotha Kreisleitung und muss Sie gehen lassen.“ Recht Nackenschlag erwischte mich gut eine Woche hatte er. Wer nicht mehr in der Volksbildung nach meinem Weggang von der TLZ: Plötzlich 1990 arbeiten wollte, der musste sich damals min- hieß es, im Rathaus kursiere das Gerücht, ich Redakteur destens als Einbrecher qualifiziert haben. sei Stasi-IM gewesen. Wer konnte an einem TLZ, Gotha, Rufmord Interesse haben? Bis heute bin ich auf Dann kam die Wende. Und ich wurde TLZ-Re- Vermutungen angewiesen. 1990 - 1993 dakteur. Ohne die leiseste Ahnung, wie man Redaktionsleiter professionell eine Zeitung macht. Aber eupho- Es sollte nicht lange dauern, bis die Gothaer TLZ, Gotha risch, weil ich schreiben durfte, was ich dach- MA-Lokalredaktion aufgelöst und später die te und was ich tatsächlich recherchiert hatte. gesamte MA von der TLZ/Tagespost aufge- 1993 - 1996 Kein Bürgermeister-Sekretär mehr, der mir kauft wurde. Und ich mit ihr. Fortan war ich Redakteur verboten hätte, Gotha-Fotos, vom Rathau- wieder TLZ-Redakteur, diesmal in Mühlhausen. „Mitteldeutsche Allgemeine“ sturm aus aufgenommen, zu veröffentlichen, Ein erfreulich kollegiales Miteinander habe ich Gotha, Eisenach, weil man dann die schadhaften Dächer gese- viel später noch einmal erleben dürfen – bei Bad Langensalza, Mühlhausen hen hätte. Keine ärztliche Funktionärin, der der Thüringer Allgemeinen (TA) in Mühlhau- ich einen Artikel über eine Behindertenwerk- sen und dann zum Schluss, bis zur Rente, bei 1996 - 2000 statt zur Zensur hätte vorlegen müssen. Dafür der Gothaer TA. Redakteur ein politisches Erdbeben nach dem anderen. TLZ, Mühlhausen Trotz allem – ohne die TLZ damals wäre ich Getippt wurde auf einer uralten Schreibma- wohl niemals Redakteur geworden. 2000 schine, das Seitenlayout wurde auf einem Redakteur großen linierten Blatt Papier mit Bleistift auf- TLZ, Erfurt gezeichnet, Zeilen wurden von Hand gezählt. In einem Brief verstaut, wurde das Material 2000 - 2001 einschließlich der Papierfotos abends zur Redakteur Bahnpost gebracht. Dann kamen die ersten TLZ, Mühlhausen Atari-Computer – eine Art Spielcomputer, die die Arbeit erleichtern sollten, in Wirklichkeit 2001 - 2008 aber ständig neue Probleme brachten. Redakteur TA, Mühlhausen Erscheinungszeitraum: seit 24.09.1945 Heute denke ich: Um wie vieles besser hätte Auflage: 65.000 (Angaben Bundespresseamt III/92) die TLZ damals sein können, wenn wir über 2008 Verbreitungsgebiet: Altenburg, Schmölln, Gera, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach, das nötige journalistische Hintergrundwissen Korrektor Mühlhausen, Bad Langensalza, Eichsfeld (Heiligenstadt/Worbis). und das nötige handwerkliche Können verfügt TA, Erfurt 25.11.1991: Übernahme der 14 Ausgaben der Thüringer Tagespost, hätten! Wir waren ja in dem kleinen Kabuff in 31.10.1992: Einstellen der Ausgaben in Schmalkalden, Suhl und Meiningen der Gothaer Jüdenstraße eine Miniredaktion, 2008 - 2009 30.06.1993: Einstellen der Ausgaben in Eisenach, Mühlhausen, zusammengewürfelt aus Seiteneinsteigern! Redakteur Bad Langensalza, Eichsfeld(Heiligenstadt/Worbis Mit dem heutigen Wissen hätte ich keine TA, Gotha Redaktion: Hans Hoffmeister, Hans-Dieter Woithon Fortsetzungsfolge über eine Krankenkasse ge- Verlag: Thüringische Landeszeitung Verlag GmbH & Co. KG, Weimar schrieben, die sich mithilfe der Zeitung einen seit 2009 Partner: WAZ-Mediengruppe Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten ver- Rentner

60 61 Die Eintagszeitungsfliege

Einmalig: Die „Schwarzburgisch-Rudolstädtische Landeszeitung“

Die stärkste all der Erinnerungen ist die Reakti- auf fränkisch: „Gib her!“ Ich übergab den on des Mannes in der Setzerei am Abend im Packen Sonderausgabe in spe. Es folgten die Druckhaus in Bayreuth: Der Blick, das Erstaunen, Absprachen, mit den Setzern, in der Litho, mit die Wortlosigkeit, das Kopfschütteln, das Über- den Metteuren. Später: „Da ist ein Loch, habt legen ob dieses Ansinnens. Der folgenden Dis- Ihr noch ein Foto?“ kussion mit dessen Kollegen wurde ich nicht mehr voll teilhaftig. Sie hatten. Ja, auch das hatten sie, und sie lösten jedes weitere Problem... Das war der Beginn der Drucklegung einer Son- derausgabe des „Thüringer Kurier“. Acht Seiten Die Stunden vergingen. Sie taten neben der an Manuskripten, Fotos und Grafiken hatte ich aktuellen Ausgabe alles nebenbei, verzichteten aus Rudolstadt über die 120 Kilometer in die auf ihre Pausen, machten es an diesem Abend, Partnerstadt Bayreuth mitgebracht. Gewaltige, in dieser Nacht zu ihrer Sache. Die Drucker und aber auch in der Rückschau nicht so falsche die Packer genauso. Alle machten mit, und ich Schlagzeile auf der Titelseite: „Ein Jahr, das un- weiß bis heute nicht, ob die Verleger dies sere Welt veränderte“. wussten. Und vorausgesetzt, es war so, so haben sie auf alle Fälle auch „Ja“ gesagt. Frank Michael Wagner hatte mich ein paar Ta- ge zuvor beim Begegnen in der Stadt gefragt, Auf der Rückfahrt dann, von Bayreuth nach ob wir denn anlässlich der ersten großen Demo Rudolstadt, mit der zusätzlichen Sonderausga- in Rudolstadt vor einem Jahr nicht doch… be hinten im Transporter, die den Titelkopf „Schwarzburgisch-Rudolstädtische Landeszei- Klar, machen wir! Ich habe Material in der tung“ trug, eine graphisch schöne Verlegen- Schublade. Ich auch, sagte mein Freund Frank heitslösung, könnte mir in den Sinn gekommen Michael, der damals eben Mitarbeiter des Kul- sein: Heute Nacht ist zusammengewachsen, turamtes geworden war und nunmehr seit vie- was zusammen gehört. Auf jeden Fall: Damals len Jahren Pressesprecher der Stadtverwaltung sind wir zusammen gewachsen! Rudolstadt ist. Er brachte Texte und Fotos mit in die Redaktion. Jens Henkel, Kustos des Schlos- Einen Fehler müssen wir eiligen Redakteure uns smuseums Heidecksburg und aufmerksamer Be- allerdings ankreiden: Unterm Titelkopf steht: obachter der geschichtlichen Vorgänge von An- „19.10.1989 – Einmalige Sonderausgabe des beginn, legte seine akribischen Aufzeichnungen THÜRINGER KURIER“. Vielleicht war das damals auf den Tisch. auch Absicht. Wer weiß.

Wir machten. Kerstin, große Layout-Begabung, Erschienen ist die Beilage jedoch am 19. Okto- spiegelte auf Papier, Frank Michael und ich ber 1990, nur wenige Tage nach der Deutschen hauten Texte und Bilder nach der Redaktionsar- Einheit. beit an zwei Abenden zusammen.

Am nächsten Tag sollte die Beilage zur Wende- Rückschau in der Partnerprovinz erscheinen. Nur: Im Druckhaus Bayreuth wusste niemand et- was von diesem zusätzlichen Vorhaben. Sagen wir, die Schuld trug der Informationsschlupf, der zwischen Redaktion und Druckerei und den Zwi- schenstationen. Soll heute manchmal noch vor- kommen, auch wenn es jetzt dank Telefonieren, Faxen oder gar Internet kaum noch solche Kom- munikationsprobleme geben sollte, so wie da- mals.

Nun gut, da stand ich also bei den Setzern, die wie ihre Kollegen in der Druckerei das volle Nachtprogramm für den „Nordbayerischen Ku- rier“ vor sich hatten. Das war ausgefüllt, wie je- de Nacht. Und dann kommt der aus dem Osten, mit acht (!!!) Zusatzseiten. Von denen keiner et- was wusste!

Langsam dämmerte mir meine Lage. Gerhard, unser erfahrener Kurierfahrer, der seit Anfang Februar 1990 jeden späten Tag diese Fahrt an- trat und am frühen Morgen mit den neuen Zei- Erscheinungszeitraum: 19.10.1990 tungen wieder in Rudolstadt beendete, hatte Auflage: k. A. geschwiegen. Dann meinte er: „Wart`s doch mal Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, südliches Thüringen/Vogtland ab!“ Redaktion: Hans Jürgen Schwab Verlag: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Bayreuth Der anfangs so Wortlose kam nach einer Weile Partner: Nordbayerischer Kurier, Bayreuth zurück von seinen Kollegen. Und sagte, sicher Reinhard Querengässer

62 63 Die Eintagszeitungsfliege

Einmalig: Die „Schwarzburgisch-Rudolstädtische Landeszeitung“

Die stärkste all der Erinnerungen ist die Reakti- auf fränkisch: „Gib her!“ Ich übergab den on des Mannes in der Setzerei am Abend im Packen Sonderausgabe in spe. Es folgten die Druckhaus in Bayreuth: Der Blick, das Erstaunen, Absprachen, mit den Setzern, in der Litho, mit die Wortlosigkeit, das Kopfschütteln, das Über- den Metteuren. Später: „Da ist ein Loch, habt legen ob dieses Ansinnens. Der folgenden Dis- Ihr noch ein Foto?“ kussion mit dessen Kollegen wurde ich nicht mehr voll teilhaftig. Sie hatten. Ja, auch das hatten sie, und sie lösten jedes weitere Problem... Das war der Beginn der Drucklegung einer Son- derausgabe des „Thüringer Kurier“. Acht Seiten Die Stunden vergingen. Sie taten neben der an Manuskripten, Fotos und Grafiken hatte ich aktuellen Ausgabe alles nebenbei, verzichteten aus Rudolstadt über die 120 Kilometer in die auf ihre Pausen, machten es an diesem Abend, Partnerstadt Bayreuth mitgebracht. Gewaltige, in dieser Nacht zu ihrer Sache. Die Drucker und aber auch in der Rückschau nicht so falsche die Packer genauso. Alle machten mit, und ich Schlagzeile auf der Titelseite: „Ein Jahr, das un- weiß bis heute nicht, ob die Verleger dies sere Welt veränderte“. wussten. Und vorausgesetzt, es war so, so haben sie auf alle Fälle auch „Ja“ gesagt. Frank Michael Wagner hatte mich ein paar Ta- ge zuvor beim Begegnen in der Stadt gefragt, Auf der Rückfahrt dann, von Bayreuth nach ob wir denn anlässlich der ersten großen Demo Rudolstadt, mit der zusätzlichen Sonderausga- in Rudolstadt vor einem Jahr nicht doch… be hinten im Transporter, die den Titelkopf „Schwarzburgisch-Rudolstädtische Landeszei- Klar, machen wir! Ich habe Material in der tung“ trug, eine graphisch schöne Verlegen- Schublade. Ich auch, sagte mein Freund Frank heitslösung, könnte mir in den Sinn gekommen Michael, der damals eben Mitarbeiter des Kul- sein: Heute Nacht ist zusammengewachsen, turamtes geworden war und nunmehr seit vie- was zusammen gehört. Auf jeden Fall: Damals len Jahren Pressesprecher der Stadtverwaltung sind wir zusammen gewachsen! Rudolstadt ist. Er brachte Texte und Fotos mit in die Redaktion. Jens Henkel, Kustos des Schlos- Einen Fehler müssen wir eiligen Redakteure uns smuseums Heidecksburg und aufmerksamer Be- allerdings ankreiden: Unterm Titelkopf steht: obachter der geschichtlichen Vorgänge von An- „19.10.1989 – Einmalige Sonderausgabe des beginn, legte seine akribischen Aufzeichnungen THÜRINGER KURIER“. Vielleicht war das damals auf den Tisch. auch Absicht. Wer weiß.

Wir machten. Kerstin, große Layout-Begabung, Erschienen ist die Beilage jedoch am 19. Okto- spiegelte auf Papier, Frank Michael und ich ber 1990, nur wenige Tage nach der Deutschen hauten Texte und Bilder nach der Redaktionsar- Einheit. beit an zwei Abenden zusammen.

Am nächsten Tag sollte die Beilage zur Wende- Rückschau in der Partnerprovinz erscheinen. Nur: Im Druckhaus Bayreuth wusste niemand et- was von diesem zusätzlichen Vorhaben. Sagen wir, die Schuld trug der Informationsschlupf, der zwischen Redaktion und Druckerei und den Zwi- schenstationen. Soll heute manchmal noch vor- kommen, auch wenn es jetzt dank Telefonieren, Faxen oder gar Internet kaum noch solche Kom- munikationsprobleme geben sollte, so wie da- mals.

Nun gut, da stand ich also bei den Setzern, die wie ihre Kollegen in der Druckerei das volle Nachtprogramm für den „Nordbayerischen Ku- rier“ vor sich hatten. Das war ausgefüllt, wie je- de Nacht. Und dann kommt der aus dem Osten, mit acht (!!!) Zusatzseiten. Von denen keiner et- was wusste!

Langsam dämmerte mir meine Lage. Gerhard, unser erfahrener Kurierfahrer, der seit Anfang Februar 1990 jeden späten Tag diese Fahrt an- trat und am frühen Morgen mit den neuen Zei- Erscheinungszeitraum: 19.10.1990 tungen wieder in Rudolstadt beendete, hatte Auflage: k. A. geschwiegen. Dann meinte er: „Wart`s doch mal Verbreitungsgebiet: Rudolstadt, südliches Thüringen/Vogtland ab!“ Redaktion: Hans Jürgen Schwab Verlag: Nordbayerischer Kurier GmbH & Co. Zeitungsverlag KG, Bayreuth Der anfangs so Wortlose kam nach einer Weile Partner: Nordbayerischer Kurier, Bayreuth zurück von seinen Kollegen. Und sagte, sicher Reinhard Querengässer

62 63 Erscheinungszeitraum: 08.02.1990 - 06.12.1990 Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) Verbreitungsgebiet: Saalfeld Redaktion: Karl-Heinz Schellenberg Verlag: Saale Verlag GmbH, Saalfeld Partner: E. C. Baumann KG, Kulmbach

64 Diese Dokumentation wurde gefördert mit Mitteln des Kindermedienlandes Thüringen.

Für die Unterstützung und Bereitstellung von Reproduktionen der Titelseiten danken wir:

Universitätsbibliothek Jena, Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Bayerische Staatsbibliothek München, Thüringer Staatsarchive Rudolstadt und Meiningen, Kreisarchiv Eichsfeldkreis, Kreisarchiv Saalfeld-Rudolstadt, Kreisarchiv Ilmkreis, Stadtarchiv Heilbad Heiligenstadt, Stadtarchiv Meiningen Stadtarchiv Nordhausen, Stadtarchiv Sonneberg, Mediengruppe Oberfranken Bamberg, Hersfelder Zeitung Bad Hersfeld, Baumann-Druck Kulmbach, Stadtarchiv Sonneberg/Carl-Heinz Zitzmann, Thüringer Allgemeine Verlag GmbH & Co. KG, Erfurt, Suhler Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Suhl, Verlag Dierichs GmbH & Co KG, Kassel, Verlagsgesellschaft Madsack GmbH & Co. KG (VGM), Göttingen, Siegfried Schmidt, Weimar, Horst Dünkel, Ballstädt.

IMPRESSUM

Deutscher Journalisten-Verband, Gewerkschaft der Journalisten, Landesverband Thüringen e.V.

Anger 44, 99084 Erfurt

Redaktion: Wolfgang Marr (V.i.S.d.P.), Rainer Aschenbrenner, Ulrich Oertel, Ralf Leifer

Gestaltung: msb kommunikation, Gotha

Druck: SDC Satz+Druck Centrum Saalfeld GmbH

Auflage: 2.000

Fotos: Sascha Fromm, Riechheim (Seite 1) Erscheinungszeitraum: 08.02.1990 - 06.12.1990 Fotostudio Priller, Sonneberg (Seite 33) Auflage: 10.000 (Zimpel 1990) Karl-Heinz Frank, Erlau (Seite 43) Verbreitungsgebiet: Saalfeld Uwe Lange, Schleiz (Seite 53) Redaktion: Karl-Heinz Schellenberg Verlag: Saale Verlag GmbH, Saalfeld Partner: E. C. Baumann KG, Kulmbach Die namentlich gekennzeichneten Artikel geben die Meinung der Autoren wieder.

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