SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst

SWR2 extra: Der Erste Weltkrieg 1919: Schwieriger Frieden

Autor: Wolfram Wessels Redaktion: Jürgen von Esenwein / Udo Zindel Regie: Michael Utz Erst-Sendung: Freitag, 21. Mai 2004, 8:30 Uhr, SWR2 Wissen Wiederholung: Freitag, 18. Juli 2014, 8.30 Uhr, SWR2 Wissen

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich.

Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030 SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml

Manuskripte für E-Book-Reader

E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E- Books. http://www1.swr.de/epub/swr2/wissen.xml

Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2?

Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

1 Britische Hymne

Archiv-Aufnahme – Winston Churchill: W. Churchill: We have won the war, we won it in the manner almost studying by signal complete and overwhelming character. But before we can really rejoice, we must clean up the battlefield. Our industries have been turned up upside down, in the need of the flying our victorious army. They have got to be put straight.

Zitator 1: Wir haben den Krieg gewonnen. Aber bevor wir uns freuen können, müssen wir das Schlachtfeld aufräumen.

Ansage: „1919. Schwieriger Frieden“, eine Sendung von Wolfram Wessels aus der Reihe:

Zitator 3: Der Erste Weltkrieg

Zitator 4: La Grande Guerre

Zitator 5: World War One

Archiv-Aufnahme – Winston Churchill: Three million of our men are spread all over the world, they are everywhere conquerer, better than that, they are everywhere liberater and rescuer. We want them home. We want their own children to greet them. All the people, who have helped each other to get through the war, have got to help each other over these next days ... Zitator 1: 3 Millionen unserer Männer sind über die Welt verstreut, als Eroberer, besser: als Befreier und Retter. Wir wollen, das sie nach Hause kommen. - Winston Churchill.

Archiv-Aufnahme – Winston Churchill: We have won the great war, let us win the great peace.

Französische Hymne

Sprecher: Die Bilanz: Frankreich: 1.358.000 Tote; 4.266.000 Verwundete, 537.000 Gefangene und Vermisste.

Erzähler: Russland: 1.700.000 Tote; 4.950.000 Verwundete, 2.500.000 Gefangene und Vermisste.

Sprecher: Großbritannien. 908.000 Tote, 2.090.000 Verwundete, 192.000 Gefangene und Vermisste.

2 Erzähler: USA. 126.000 Tote, 234.000 Verwundete, 4.500 Gefangene und Vermisste.

Sprecher: Deutschland: 1.774.000 Tote, 4.216.000 Verwundete, 1.153.000 Gefangene und Vermisste.

Archivaufnahme – Eduard David: Meine Damen und Herren! Gewaltige Aufgaben harren unser. Krieg und Revolution haben das alte Regierungssystem zermürbt und zertrümmert. Der alte Bau ist zusammengestürzt. Wir sollen einen neuen errichten.

Erzähler: Am 6. Februar 1919 tritt die verfassunggebenden Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung in Weimar zusammen. Eduard David, SPD, ist zu ihrem Präsidenten gewählt worden.

Archivaufnahme – Eduard David: Anstelle des früheren, auf den Vorrechten Einzelner und der staatsbürgerlichen Bevorzugung einer Minderheit aufgebauten Systems soll eine auf voller staatsbürgerlicher Gleichberechtigung ruhende Demokratie treten.

Erzähler: Erstmals hatten alle deutschen Bürger gleiches Wahlrecht, erstmals auch Frauen. Die SPD stellt mit 163 Abgeordneten die größte Fraktion, die USPD kommt auf 22 Sitze, die übrigen 236 werden von mehreren bürgerlichen Parteien eingenommen.

Archivaufnahme – Eduard David: Möge von Weimar eine Flamme ausgehen, die die Herzen unseres Volkes erwärmt, die seine Seele erleuchtet in dieser düsteren Zeit nationaler und persönlicher Leiden, um mit neuem Lebensmut aus dem finsteren Tal der Gegenwart den Aufstieg zu finden zu einer lichteren, glücklicheren Zukunft.

Archivaufnahme – Erwin Piscator: Generalsturm auf Spartakus! „Nieder mit den Spartakisten!“ heult es durch die Gassen. „Packt sie, peitscht sie, stecht sie, schießt sie, spießt sie, trampelt sie nieder, reißt sie in Fetzen!“ Gräuel werden verübt, die jene belgischen Gräuel deutscher Truppen in den Schatten stellen. „Spartakus niedergerungen!“ jubiliert es von „Post“ bis „Vorwärts“. „Spartakus niedergerungen!“ Und die Säbel, Revolver und Karabiner der wiederhergestellten altgermanischen Polizei und die Entwaffnung der revolutionären Arbeiter wird seine Niederlage besiegeln. „Spartakus niedergerungen!“ Jawohl! Geschlagen wurden die revolutionären Arbeiter ! Jawohl! Niedergemetzelt an die hundert ihrer Besten! Jawohl! In Kerker geworfen viele Hunderte ihrer Getreuesten! Jawohl! Jawohl! Die revolutionären Arbeiter Berlins wurden geschlagen!

Erzähler: In hat es Unruhen gegen den Rat der Volksbeauftragten unter Führung der SPD-Politiker und gegeben, Vertreter der USPD, der unabhängigen SPD haben den Rat verlassen und mit dem Spartakus- bund die Gründung einer Kommunistischen Partei, der KPD, betrieben.

3

Archivaufnahme – Erwin Piscator: Aber es gibt Niederlagen, die Siege sind; und Siege, verhängnisvoller als Niederlagen. Nur auf sich selbst gestellt, werden sie ihre künftigen Schlachten schlagen, ihre künftigen Siege erfechten. Und das Wort, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das eigene Werk der Arbeiterklasse selbst sein kann, es hat durch die bittere Lehre dieser Woche eine neue, tiefere Bedeutung für sie gewonnen.

Erzähler: Regierungstruppen haben die Aufstände in Berlin niedergeschlagen, und am 15. Januar sind die Spartakisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin ermordet worden.

Sprecher: Der Theatermann Erwin Piscator spricht zehn Jahre später ihren letzten Artikel in der Zeitschrift „Rote Fahne“ auf Schallplatte: „Trotz alledem“.

Archivaufnahme – Erwin Piscator: Und ob wir dann noch leben werden, wenn es erreicht wird – leben wird unser Programm; es wird die Welt der erlösten Menschheit beherrschen. Trotz alledem!

Zitator 3: Lieber Kurt Eisner, nur diese Bewegung kann uns vor der Entente, vor dem Zusammenbruch der Revolution, vor den neugewählten Altparlamenten retten. Übernehmen wir die Führung! Die Zeit ist da; Bayern ist dazu berufen. – Gustav Landauer, Anarchist und Publizist.

Zitator 4: Ist diese neue Welt, in die wir eintreten, ist sie die Fortsetzung der vorhergehenden? Setzen wir die Vergangenheit fort? Aber wenn wir in eine neue Ära eintreten, wer könnte dann behaupten, dass dieses erste Kapitel des neuen Buches kein französisches ist in einem neuen französischen Buch? Alles, was die Vergangenheit repräsentiert, ist dazu bestimmt, umgestürzt zu werden. – André Gide, französischer Schriftsteller.

Sprecher: 18. Januar 1919: Im Pariser Außenministerium wird die Vorfriedens-Konferenz eröffnet. An ihr nehmen alle Staaten teil, die sich mit den Mittelmächten im Kriegszustand befinden. Die eigentlichen Verhandlungen führen die Großmächte USA, Frankreich und Großbritannien auf Basis der 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom Vorjahr.

Erzähler: Entgegen Punkt 1 finden sie jedoch nicht offen statt, sondern hinter verschlossenen Türen. Deutschland bleibt ausgeschlossen, weil es noch nicht über eine demokratisch legitimierte Regierung verfüge. Russland wird aus dem gleichen Grund nicht eingeladen.

Zitator 4: Es ist absurd, irgendetwas aus dem europäischen Konzert werfen zu wollen. Deutschland hat oft genug bewiesen, inwiefern es uns nützlich sein kann, und wir

4 haben oft genug gezeigt, was uns fehlt. Wichtig ist, es daran zu hindern, dass es dominiert.

Erzähler: André Gide wird 1919 50 Jahre alt, veröffentlicht seine Erzählung „Die Pastoralsym- phonie“ und beginnt seinen neuen Roman: „Die Falschmünzer“, eines der Hauptwerke der literarischen Moderne.

Zitator 4: Es scheint mir wenig sinnvoll, die Handlung dieses Buches in die Zeit vor dem Krieg zu verlegen und historische Fragen einzubeziehen, denn ich kann nicht in die Vergangenheit zurückgehen und gleichzeitig aktuell sein. Aktuell will ich ja nicht einmal sein, wenn möglich wäre ich am liebsten zukünftig.

Zitator 3: Das ist ja eben das ungeheuer Schwere und herrliche der Aufgabe, zu der wir berufen sind: dass die Verhältnisse umgestaltet werden müssen (ob wir wollen oder nicht) und dass dazu ein neuer Geist, der ewige Geist notwendig ist; dass der Geist nur erneuert werden kann, wenn wir neue Verhältnisse schaffen. An beiden zu helfen, bin ich gerufen.

Erzähler: Gustav Landauer.

Musik: Internationale

Archivaufnahme – : In Berlin hat eine Woche lang eine Schlacht mit allen ihren Schrecken getobt. Ich kann mitteilen, dass der Aufstand niedergeschlagen ist! Grausen muss jeden fühlenden Menschen packen bei der Erinnerung an eine viehische Bestialität, mit der eine Anzahl von Soldaten dahingemordet worden sind. Es steht fest, dass Bestien in Menschengestalt sich ausgerast haben wie Amokläufer.

Musik: Internationale

Erzähler: Mit brutaler Gewalt haben Regierungstruppen unter Reichswehrminister Gustav Noske, SPD, im März erneut Arbeiter-Aufstände in Berlin niedergeschlagen. Es gab 1.200 Tote. In Moskau tagt die 3. kommunistische Internationale und in Ungarn wird eine Räterepublik ausgerufen.

Sprecher: 25. März 1919: Der britische Premierminister David Llyod George legt den in Versailles tagenden Alliierten ein Memorandum vor.

Zitator 2: In manchen Ländern, wie Deutschland und Russland, nimmt die Unruhe die Form offener Rebellion an; in anderen, wie Frankreich, Großbritannien und Italien, drückt sie sich in Streiks und in einer allgemeinen Abneigung gegen das Inangriffnehmen

5 der Arbeit aus – Anzeichen, die ebenso viel mit dem Verlangen nach politischer und sozialer Umwälzung als mit den Lohnansprüchen zu tun haben.

Erzähler: Frankreich fordert von Deutschland die Rückgabe von Elsass-Lothringen und erhebt Anspruch auf das Saar- und Rheinland, einschließlich rechtsrheinischer Brückenköpfe. Außerdem soll Deutschland dezentralisiert werden und starke Nachbarn im Osten erhalten: die Polen.

Sprecher: Großbritannien möchte seine Vorherrschaft über die Meere retten und seine Kolonien erweitern.

Erzähler: Die USA setzen sich für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und einen Völkerbund ein und plädieren gegen die Annektion des Saarlands und Rheinlands durch Frankreich.

Zitator 2: Wir werden nie einen dauernden Frieden machen können, wenn wir versuchen, die Verhältnisse von 1914 wiederherzustellen. – Lloyd George.

Erzähler: Deutschland und seine Verbündeten werden für den Krieg alleinverantwortlich gemacht und sollen für die Schäden aufkommen, die den Alliierten entstanden sind.

Zitator 2: Die größte Gefahr, die ich in der gegenwärtigen Lage sehe, ist die, (...) dass Deutschland sich mit den russischen Bolschewisten zusammentut. Tritt das ein, so wird ganz Osteuropa in den Kreis der bolschewistischen Revolution verschlungen.

Musik: Internationale

Zitator 3: München, 7. April, Telegramm. An meinem Geburtstag wird die Räterepublik ausgerufen. Heute ist Nationalfeiertag. Ich bin Volksbeauftragter für Volksaufklärung, früher Kultusminister. – Gustav Landauer.

Erzähler: Nach der Ermordung Kurt Eisners, der die Landtagswahl im Januar verloren hat, haben es die Mehrheitsparteien bis März nicht geschafft, eine Regierung zu bilden. So übernehmen die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte die Macht.

Zitator 3: Lässt man mir ein paar Wochen Zeit, so hoffe ich, etwas zu leisten; aber leicht möglich, dass es nur ein paar Tage sind, und dann war es ein Traum.

6

Erzähler: Eine knappe Woche später putschen bürgerliche Regierungstruppen – vergeblich. Es wird eine neue, zweite diesmal kommunistische Räterepublik ausgerufen, an der Landauer nicht mehr beteiligt ist.

Sprecher: 17. April 1919: In Wien wollen Kommunisten nach ungarischem Vorbild eine Räterepublik ausrufen. Der Aufstand wird mit Waffengewalt niedergeschlagen.

Erzähler: In München riegeln Soldaten der bayerischen Regierung die Stadt ab, gemeinsam mit Truppen, die der SPD-Mann Gustav Noske aus Berlin geschickt hat.

Zitator 3: Was mich angeht, so halte ich hier weiter aus, obwohl ich anfange, mir herzlich überflüssig vorzukommen.

Musik: Internationale

Sprecher: 2. Mai 1919: In einem blutigen Bürgerkrieg wird auch die 2. Münchener Räterepublik niedergeschlagen. Gustav Landauer ist tags zuvor im Haus der Witwe Kurt Eisners verhaftet worden. Während eines Gefangenentransports wird er brutal ermordet.

Archivaufnahme: Meine Herren! Wir sind tief durchdrungen von der erhabenen Aufgabe, die uns mit Ihnen zusammengeführt hat: Der Welt rasch einen dauernden Frieden zu geben. Wir täuschen uns nicht über den Umfang unserer Niederlage, den Grad unserer Ohnmacht. Wir wissen, dass die Gewalt der deutschen Waffen gebrochen ist; wir kennen die Wucht des Hasses, die uns hier entgegentritt, und wir haben die leidenschaftliche Forderung gehört, dass die Sieger uns zugleich als Überwundene zahlen lassen und als Schuldige bestrafen sollen.

Sprecher: 7. Mai 1919: Eine deutsche Delegation ist nach Versailles zu einem Noten-Austausch eingeladen worden. Der deutsche Außenminister Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau nimmt von den Alliierten den Entwurf eines Friedensvertrags entgegen.

Erzähler: Ein Schauspieler spricht seine Rede ein Jahr später auf Schallplatte.

Archivaufnahme: Es wird von uns verlangt, dass wir uns als die allein Schuldigen bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge. Wir sind fern davon, jede Verantwortung dafür, dass es zu diesem Weltkriege kam, von Deutschland abzuwälzen, aber wir bestreiten nachdrücklich, dass Deutschland, dessen Volk überzeugt war, einen Verteidigungskrieg zu führen, allein mit der Schuld belastet ist.

7

Erzähler: Deutschland soll rund 13 Prozent seines Territoriums und 12 Prozent seiner Bevölkerung aus der Zeit vor 1914 verlieren. Nach Kritik vor allem in der britischen und amerikanischen Öffentlichkeit, rücken die Franzosen von einigen Maximalforderungen ab: Das Saarland wird unter die Hoheit des Völkerbunds gestellt, Danzig ebenfalls; das Rheinland bleibt deutsch, wird aber entmilitarisiert. In Nordschleswig und Oberschlesien sind Volksabstimmungen geplant.

Zitator 1: In finanzieller Hinsicht werden Deutschland Zumutungen gestellt, die es in den blühendsten Zeiten seiner Wirtschaft nicht hätte erfüllen können. – Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau.

Sprecher: 20. Juni 1919: Die Reichsregierung weigert sich, den Vertrag zu unterschreiben und tritt zurück. Scheidemanns Nachfolger tritt am 23. Juni vor den Reichstag:

Archivaufnahme – Gustav Bauer: Meine Damen und Herren, im Namen der Reichsregierung habe ich Ihnen folgende Mitteilung zu machen. Die Regierung der deutschen Republik ist bereit, den Friedensvertrag zu unterzeichnen, ohne jedoch damit aber anzuerkennen, dass das deutsche Volk der Urheber des Krieges sei, und ohne eine Verpflichtung nach Art. 227 bis 230 des Friedensvertrages zu übernehmen.

Erzähler: Diese Einschränkung hatten die Alliierten abgelehnt und ein Ultimatum gestellt und mit Fortsetzung des Krieges gedroht.

Archivaufnahme – Gustav Bauer: Meine Damen und Herren. Unterschreiben wir. Einen neuen Krieg können wir nicht verantworten. Selbst wenn wir Waffen hätten, wir sind wehrlos. Wehrlos ist aber nicht ehrlos. Gewiss, die Gegner wollen uns an die Ehre, daran ist kein Zweifel, aber dass dieser Versuch der Ehrabschneidung einmal auf die Urheber selbst zurückfallen wird, dass es nicht unsere Ehre ist, die bei dieser Welttragödie zugrunde geht, das ist mein Glaube bis zum letzten Atemzug.

Archivaufnahme – Theodore Botrel: Leur Jour de Gloire.

Zitator 2: Das ist der Tag der Apotheose!

Erzähler: Der bretonische Dichter und Chansonier Theodore Botrel beschreibt eine Siegesparade.

Sprecher: 28. Juni 1919: Der Versailler Vertrag mit dem deutschen Reich wird unterzeichnet.

8 Zitator 2: Kanonen begrüßen die Unterzeichnung mit Salven, sie feuern jeweils 20 Schüsse ab. Trauriger Friede. – Der französische Schriftsteller Romain Rolland.

Erzähler: Am 10. September 1919 folgt der Vertrag von St. Germain mit Österreich, das in seiner alten Form aufgelöst wird. Ungarn wird zu einer Räterepublik, allerdings um zahlreiche Gebiete verkleinert, in denen Ungarn leben. Slowenien, Kroatien, Bosnien und die Herzegowina werden dem neuen Staat Jugoslawien eingegliedert; Italien erhält Südtirol, Istrien und teilt sich mit Jugoslawien Dalmatien; Polen erhält Ost- und Westgalizien; die Tschechoslowakei Böhmen, Mähren und das deutschsprachige Sudetenland.

Musik: Dixieland Jazz Band.

Zitator 2: The Great Original American Dixie-Land-Jazz-Band. For The First Time In England – The Creators Of Jazz. The Sensation of America.

Erzähler: In London startet die Dixie-Land-Jazz-Band ihre erste Europatournee und macht Platten-Aufnahmen für den europäischen Markt. Jazz wird auch in der alten Welt rasch populär und gibt neue Kultur-Impulse.

Zitator 1: Die Zukunft der Kunst und der Ernst der jetzigen Stunde zwingt uns Revolutionäre des Geistes (Expressionisten, Kubisten, Futuristen) zur Einigung und engem Zusammenschluss.

Erzähler: Die „Novembergruppe“, formiert sich aus bildenden Künstlern, Schriftstellern, Musikern und Komponisten.

Zitator 2: Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers.

Erzähler: Walter Gropius gründet in Weimar das Bauhaus, eine Hochschule zur Umsetzung dieser Idee.

Zitator 1: Der deutsche Spießer ärgert sich. Es ist der deutsche Dichter, der deutsche Geistige, der vor Wut platzt, dass man seine formvollendete Schmalzstullenseele in der Sonne des Gelächters schmoren ließ, der tobt, weil man ihn mitten ins Gehirn traf, das bei ihm dort liegt, wo er sitzt. Wir dudeln, quietschen, fluchen, lachen die Ironie: Dada! Denn wir sind Antidadaisten! Nieder mit dem deutschen Spießer! – Raoul Hausmann.

9

Musik: Dixieland Jazz Band.

Zitator 2: An das deutsche Volk und an die Kulturwelt!

Erzähler: Der Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner verfasst einen Appell, wirbt in Massenversammlungen für soziale Reformen und gründet in Stuttgart die erste Waldorfschule für Arbeiterkinder.

Zitator 2: Unabhängigkeitserklärung der geistigen Arbeiter! Fünf Jahre lang trennten uns Armeen, Zensur und Hass der kriegführenden Nationen. Heute, da die Schranken fallen, die Grenzen sich wieder öffnen, richten wir einen Aufruf an Euch, der unsere brüderliche Gemeinschaft wieder herstellen soll. Aber es soll eine neue Gemeinschaft sein, dauerhafter und fester, als die alte es gewesen ist. Wir wollen den Geist von seiner Schwäche, von seinen beschämenden Bindungen, von seiner heimlichen Versklavung befreien! Der Geist dient keinem Herrn. Wir dienen dem Geist. Er allein befiehlt uns. Es ist unsere Aufgabe, sein Licht hochzuhalten, es zu verteidigen und alle verirrten Menschen um diese Flamme zu scharen. Wir übernehmen die Verpflichtung, immer nur der freien Wahrheit zu dienen, ohne Rücksicht auf Grenzen, ohne Rücksicht auf Rassen- oder Klassenvorurteile. Die Menschheit steht im Mittelpunkt unseres Interesses.

Zitator 1: Wir beantragen die Schaffung eines alljährlichen „Kongresses der Geistigen aller Länder“. Jedes Land wird Dichter, Schriftsteller, Künstler, Gelehrte, Friedensfreunde erwählen und mit seiner Vertretung betrauen. Diese werden, ein erstes Parlament des neuen Geistes, jedes Jahr in einem anderen Lande zusammentreten.

Zitatorin: Wir bilden eine junge Gruppe Deutschösterreicher und haben die Weltjugendliga gegründet. Es ist eine internationale Organisation, deren Ziele folgende sind: Die Herrschaft des Geistes über den Materialismus.

Zitator 2: Die Menschheit steht im Mittelpunkt unseres Interesses.

Erzähler: Aufrufe dieses Inhalts werden europaweit veröffentlicht, bleiben aber weitgehend wirkungslos.

Musik: Liberty Loan March

Erzähler: Französische und britische Truppen kämpfen weiter in Russland auf Seiten der Weißgardisten gegen die Roten, die Bolschewisten.

10 Sprecher: Im September stehen die Polen 500 km vor Moskau, finanziell unterstützt von den Alliierten.

Erzähler: Es gelingt dennoch nicht, die Rote Armee zu besiegen.

Sprecher: Der türkische General Mustafa Kemal Atatürk erklärt die von ihm kontrollierten Gebiete für unabhängig und eröffnet den ersten Nationalkongress der zukünftigen Türkei.

Erzähler: Er revoltiert damit gegen die Aufteilung des besiegten Osmanischen Reiches unter den Alliierten: Frankreich erhält Mandate über Libanon und Syrien, England über den Irak und Palästina; dort soll entsprechend der Balfour-Declaration von 1917 und dem Wunsch des Völkerbunds, eine „nationale Heimstätte der Juden“ eingerichtet werden. Saudi-Arabien wird ein unabhängiges Königreich.

Sprecher: 1. August 1919: In Ungarn bricht die Räterepublik zusammen, nachdem der Einmarsch ihrer Truppen in Rumänien gescheitert ist, und das rumänische Heer nunmehr mit Unterstützung der Alliierten Budapest erobert hat.

Erzähler: Ebenfalls am 1. August wird in der Schweiz ein Generalstreik ausgerufen mit dem Ziel einer bolschewistischen Revolution. Das Militär schreitet ein und nach drei Tagen ist der Aufstand beendet.

Musik: Liberty Loan March

Sprecher: 21. August 1919: Friedrich Ebert, bis 1918 Mitglied der SPD-Reichstagsfraktion, wird nach der Verabschiedung der Verfassung der Weimarer Republik als Reichspräsident vereidigt.

Archivaufnahme – Friedrich Ebert: Meine Damen und Herren! Das Wesen unserer Verfassung soll vor allem Freiheit sein, Freiheit für alle Volksgenossen. Aber jede Freiheit, an der Mehrer teilnehmen, muss ihre Satzung haben.

Archiv-Aufnahme – Erich Koch-Weser: Wer dem Volk die Freiheit bringen will, muss ihm die Ordnung bringen.

Archivaufnahme – Friedrich Ebert: Diese haben Sie geschaffen; gemeinsam wollen wir sie festhalten.

11

Archiv-Aufnahme – Erich Koch-Weser: Unter den Aufgaben meines Amtes stelle ich bewusst die Wiederaufrichtung und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in den Vordergrund. Sie ist die Grundlage und Voraussetzung für alle weitere Arbeit.

Erzähler: Neuer Reichsinnenminister ist Erich Koch-Weser

Archiv-Aufnahme – Erich Koch-Weser: Unser deutsches Volk ist ein Volk, das die Ordnung liebt und sich ohne Ordnung nicht wohl fühlt. Es hat einen Anspruch auf Ordnung.

Erzähler: Im September besucht Adolf Hitler erstmals eine Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei DAP. Er wird Mitglied und nennt sie später in NSDAP um, in „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“.

Archiv-Aufnahme – Erich Koch-Weser: Auf die Dauer wird unser Volk nur dem anhangen, der ihm die Ordnung gibt. Wenn es der Demokratie nicht gelingen sollte, Ordnung zu schaffen, so würde sie ihre Aufgabe nicht erfüllt haben.

Erzähler: Nach der Weimarer Verfassung ist es dem Parlament möglich, Untersuchungsaus- schüsse einzusetzen. Einer der ersten soll das Kriegsende untersuchen. Generalfeldmarschall von Hindenburg sagt im November aus.

Zitator 1: Unsere Forderung, strenge Zucht und strenge Handhabung der Gesetze durchzuführen, wurde nicht erfüllt. So mussten unsere Operationen misslingen, so musste der Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden. Wo die Schuld liegt, bedarf keines Beweises.

US-Hymne.

Archivaufnahme – Henry Cabot Lodge: I can never be anything else but an American, and I must think of the United States first. And when I think of the United States first in an arrangement like this, I am thinking of what is best for the world. For if the United States fails, the best hopes of mankind fail with it. I have never had but one allegiance; I cannot divide it now. I have loved but one flag and I cannot share that devotion and give affection to the mongrel banner invented for a league.

Zitator 2: Ich kann nichts anderes sein als Amerikaner und ich muss immer zuerst an die Vereinigten Staaten denken.

Sprecher: Senator Henry Cabot Lodge.

12

Erzähler: In den USA hat ein Streit im Senat über den Beitritt zum Völkerbund begonnen. Die Idee hatte Präsident Woodrow Wilson bereits in seinen 14 Punkten entwickelt; sie ist Gegenstand der Friedensverhandlungen gewesen und Bestandteil des Versailler Vertrages geworden. Die Siegermächte sind ihm mit seiner Unterzeichnung beigetreten, Deutschland und Österreich blieben ausgeschlossen. Der amerikanische Senat muss dem Vertrag noch zustimmen. Die Republikaner sind dagegen, darunter Senator Henry Cabot Lodge.

Archivaufnahme – Gilbert Hitchcook: Internationalism, illustrated by the Bolshevik and by the men to whom all countries are alike, provided they can make money out of them,

Zitator: Internationalismus, wie ihn die Bolschewisten vorführen, vorausgesetzt, er bringt ihnen etwas ein, widert mich an.

Archivaufnahme – Gilbert Hitchcook: The trouble with Senators who oppose the League of Nations is that they are thinking of the days that are gone and gone forever. ... The fall of Russia and and Austria-Hungary removed from the world the last representatives of the conquering spirit and of autocratic power. The world is now democratic. Senators should cease to turn their eyes to the past and should turn them to the future, and see what we have before us. The spirit of democracy has come into its own.

Zitator 2: Die Gegner des Völkerbunds haben noch die vergangenen Tage im Kopf, die endgültig vorbei sind. Mit Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn haben die letzten Vertreter des eroberungssüchtigen und autokratischen Geistes die Weltbühne verlassen.

Erzähler: Senator Gilbert Hitchcoock fordert die Opposition auf, in die Zukunft zu blicken. Und die sei demokratisch.

Archivaufnahme – Gilbert Hitchcook: The spirit of democracy has come into its own. We have come into a new world.

Archivaufnahme: Hier ne echte amerikanische Sahneschokolade. „Naneta“, 10 M. das halbe Pfund. (Geige) P: Nanu, wer spielt denn hier so schön Geige? Ach guck doch mal eener, den armen blinden Soldaten. Nu schenk ihm doch was! E: Wat, des is doch mein Regimentskamerad Palmann, Mensch, Pallemann, kennst de mir denn gar nich? P: Natürlich, Emil, Mensch, wat hats de denn da fürn scheenet Mädchen am Arm? E: Na Mensch, ich denke Du wärst blind! P: Ach wo, nur während der Geschäftszeit. E: Na dann pack mal dein Wimmerholz ein und komm mit aufn Rummelplatz. Pal: Machn wer gerne!

13

Erzähler: Der amerikanische Senat lehnt den Beitritt zum Völkerbund ab und damit auch den Versailler Vertrag, gegen den Willen von Präsident Woodrow Wilson:

Zitator 2: Ich kann mit unbedingter Sicherheit voraussagen, dass es innerhalb einer Generation abermals zum Krieg kommen wird, wenn die Völker der Erde ihn nicht bereits heute durch die richtigen Maßnahmen verhindern. Der Krieg, den wir eben erlebt haben, kann trotz all seiner Schrecken nicht mit jenem Krieg verglichen werden, dem wir das nächste Mal gegenüberstehen würden.

*****

14