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D etlef O pperm ann Walter Fabian (1902-1992) Journalist – Pädagoge - G ew erkschafter

Prof. Dr. Detlef Oppermann, geb. 1942 in Magdeburg, Papiermacher, Zweiter Bildungsweg in K öln und K assel, S tudium der G ermanistik, G eschichte und Pädagogik in Frankfurt/M. und Lyon, Erwachsenenbildner bei V H S , Postgewerkschaft und H eimvolkshochschulen, H ochschultätigkeit in Frankfurt/M., H agen, Landau und S aarbrücken, ist Direktor des V erbandes der V olkshochschulen des S aarlandes, V orsitzender von A rbeit und Leben S aar und H onorarprofessor für H istorische Pädagogik an der U niversität des S aarlandes.

In der Totenrede, die W alter Jens am 12. M ärz 1992 auf den einen M onat zuvor verstorbenen W alter Fabian gehalten hat, sagte er: „W ie H ellm ut von G erlach und m ehr noch als er, w ar W alter Fabian nicht nur ein linker Pazifist, im m er zw ischen den Fronten, im m er darum bem üht, der zerspaltenen A rbeiterbew egung einen R est von G em einsam keiten zu bew ahren, sondern vor allem ein Pädagog auf der richtigen, der S eite des anderen D eutschlands: darum sein Engagem ent für die entschiedenen S chulreform er, darum seine A rbeit für die deutsche V olkshochschulbew egung, darum sein unbeirrtes W eiterführen der in der W eim arer R epublik von H erm ann H eller in entw ickelten K onzeptionen, darum schließlich seine M ühe um die Bildung so genannter „kleiner Leute“, als C hefredakteur der „G ew erkschaftlichen M onatshefte“ - einer G azette, die er in freiem G eist leitete: nie die A lltagssorgen seiner K lientel vergessend - S orgen, die er, der vielfach gebeutelte, der M ann zw ischen den Fronten, der Flüchtling und von Ländern und Parteien, R egierungen und Funktionären G ejagte, w ie kaum ein zw eiter verstand: jene Bildung der A llgem einheit, der connaisseurs aller G ruppen, S tände und K lassen zu befördern, die nur in solidarischer Praxis, und nicht in dum pfer Isolation erreicht w erden könne - der V ereinsam ung, die, w eit vor M arx, S chiller in den „Briefen über Ä sthetik“ auf den Begriff gebracht hat: „Ew ig nur an ein einziges kleines Bruchstück des G anzen gefesselt, bildet sich der M ensch selbst nur als Bruchstück aus, ew ig nur das eintönige G eräusch des R ades, das er um treibt, im O hre, w ird er, anstatt die M enschheit in seiner N atur auszuprägen, bloß zum A bdruck seines G eschäfts“.1

1 W alter Jens, Für W alter Fabian. T otenrede, gehalten am 12.3.1992 im Festsaal der IH K K öln, o.O . o.J. 410 D etlef O pperm ann

Wurzeln, Prägungen, S tudium „Fabian ist kein geborener Proletarier“, so kennzeichnete H elga G rebing den Jubilar zu seinem 80. G eburtstag,2 und dam it beschrieb sie ihn als eine Persönlichkeit, die aus dem sozialen und kulturellen U m feld des bürgerlich-hum anistischen Berliner Judentum s stam m te. D er V ater, R ichard Fabian, w ar selbständiger Innenarchitekt, ein Beruf, an dem er litt und dessen ganze Liebe der M usik galt. D er Zugang des D irigenten Bruno W alter in das H aus Fabian stam m t sicherlich aus dieser N eigung. D ie M utter, Else H osch, w ar das politisch-progressive Elem ent im Elternhaus, sie verkehrte m it dem K önigsberger R echtsanw alt und R eichstagsabgeordneten H ugo H aase, der zusam m en m it Friedrich Ebert das Bebelsche Erbe des S PD -Parteivorsitzes angetreten hatte. A ber auch K urt R osenfeld, der M entor Fabians, Brenners und Brandts beim Ü bertritt in die S A P, zählte zu den Freunden der Fam ilie.

D as von seiner M utter 1904 geschriebene Bilderbuch „W as K lein-W alter erlebte“,3 zeigt ihn uns als ein sensibles, naturverbundenes, w eiches K ind. D er Zugang zur elterlichen Bibliothek w ar seine frühe V olkshochschule; vor allem die W erke Bebels und Lassalles, des N aturalism us und Im pressionism us - besonders Ibsens -, nicht zuletzt aber die grundprägende S chrift von Leonard Frank „D er M ensch ist gut“, zählen zu seinen ersten, fundam entalen Bildungserlebnissen. Er besucht das hum anistische M om m sen-G ynm asium in C harlottenburg, eine S chule besonderer Prägung. G riechisch und Latein standen ganz oben an, D eutsch und G eschichte w aren seine Lieblingsfächer. Für die M odernität gab es noch etw as Französisch. D as Englische fehlte ganz. W urden hier die G rundlagen gelegt für die Barrieren, die er der angelsächsisch-am erikanischen W elt gegenüber im m er em pfand? D ie S chule w ar nicht nur deshalb etw as Besonderes, w eil sie im bürgerlichen C harlottenburg lag, sondern sie w ar vor allem eine S tätte liberalen Berlinertum s. C hristliche und jüdische S chüler stellten etw a je die H älfte der S chülerschaft und die Lehrerschaft oszillierte zw ischen einer altkonservativen G roßzügigkeit und einem links-liberalen jugendbew egten Im puls. D er junge H einrich D eiters, später als Pädagogik-Professor der H um boldt-U niversität bedeutendster deutscher D iesterw eg-Forscher, w ar sein D eutschlehrer und bis an dessen Lebensende (1966) verband Fabian m it D eiters eine tiefe, verehrende Freundschaft.4 Im A ugust 1914 em pfand der Zw ölfjährige - w ie seine ganze G eneration - noch eine unvoreingenom m ene S olidarität m it dem deutschen H eer. D och schon w enig später w andelte sich seine S icht und sein pazifistisches W esen zeigte sich deutlich. Zw ar gehörte er der G eneration, die eine „Erziehung vor V erdun“ (A rnold Zw eig) genossen hatte, nicht an, insofern fand er die G nade der späten G eburt. D och die N achrichten über die w achsenden Zahlen der K riegstoten, die H ungerw inter und die im perialistischen A nsprüche von K rone, H eer und Industrie bew irkten den W andel. Politisch steht er seit 1916/17 ganz auf der S eite derer, die für einen V erständigungsfrieden eintreten. Im Jahr 1919 schließt es sich, noch als S chüler, dem Bund Entschiedener S chulreform er, der D eutschen Friedensgesellschaft und dem Berliner S chülerrat an, dessen V orsitzender er noch im gleichen Jahr w ird.

2 H elga G rebing, Ein solidarischer Individualist, in: Literatur in K öln (LiK 14 - W alter Fabian), hrsg. v. der S tadt K öln, 1982. 3 Im Privatbesitz von Fabians T ochter A nnette A ntignac, . 4 V gl. H einrich D eiters, B ildung und Leben, hrsg. von D etlef O pperm ann, K öln/W ien 1989 (siehe N achw ort von W alter Fabian, S . 251ff). W alter Fabian (1902-1992) 411

A ls sich nationalistische K reise im S om m er 1919 daranm achen, den antifranzösischen S edanstag, der in der K aiserzeit deutscher S taatsfeiertag w ar, zu begehen, w endet er sich in Leserbriefen in der Berliner Presse an K ultusm inister H arnisch m it der Forderung, dieses Ereignis zu verbieten. W as dann auch geschah. D ies w ar der erste politische Erfolg des 17-Jährigen.

S tudium und politische A ktivitäten D er friedensbew egte A biturient nim m t 1920 das S tudium der Philosophie, Pädagogik, Psychologie, G eschichte und N ationalökonom ie an der Berliner K aiser-W ilhelm -U niversität auf. U rsprünglich beabsichtigte er, Lehrer zu w erden, spielt m it dem G edanken, als V olksschullehrer zugelassen zu w erden - um nicht die K inder der R eichen unterrichten zu m üssen. A ls sich dann aber herausstellte, dass dies aus studienorganisatorischen G ründen nicht m öglich w ar, beschloss er zu prom ovieren und sich der V olksbildung zu w idm en. Fabian w ar ein untypischer S tudent seiner Zeit, denn er verband Theorie und Praxis, oder besser gesagt, er w idm ete sich sow ohl der Politik als auch der W issenschaft. A ls M itglied der w ichtigsten pazifistischen V erbände engagierte er sich für eine grundsätzliche politische N euorientierung im S inne eines rationalen Pazifism us. V ölkerverständigung, A brüstung, V ölkerbund und H aager Friedensordnung sind die konkreten S tichw orte, denen er sich verpflichtet fühlte. D as 1922 m it K urt Lenz herausgegebene H andbuch „D ie Friedensbew egung“, an dem so herausragende Persönlichkeiten w ie A lbert Einstein, H ellm ut von G erlach, G raf K essler, Paul Löbe, W alter S chücking oder Ernst Toller m itschrieben, ist ein beredtes Zeugnis für diese A ktivitäten. A uch die versuchte Befreiung von Ernst Toller aus einem bayerischen G efängnis m ittels eines politischen A ppells und unter M itw irkung von Einstein und anderen ist ein Beispiel für Fabians jugendlichen Elan. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner journalistischen Tätigkeiten bei idealistischen Zeitschriften w ie „Junge M enschen“, „D ie N eue Erziehung“ oder „D ie Friedensw erte“. D as S tudium schloss er 1924 ab m it einer erstaunlichen, aber letztlich nachvollziehbaren A rbeit über das Problem von A utorität und Freiheit bei Friedrich W ilhelm Foerster. D iese vom G ießener R eform pädagogen A ugust M esser betreute A rbeit setzte sich zum Ziel, „das um fangreiche und w eitverzw eigte Lebensw erk Foersters ... auf w enige einfache G rundgedanken zurückzuführen...“5, näm lich das V erhältnis von Individuum und G em einschaft, das Problem von A ristokratie und D em okratie, Foersters S tellung zum C hristentum , w ie schließlich seine politische Ethik. In Foersters konsequent katholisch-pazifistischer G rundhaltung, die sich vor allem gegen die preußisch-im perialistischen M achtansprüche des Zw eiten K aiserreiches w endete, findet Fabian eine Brücke für seinen eigenen ethischen S ozialism us. U nd es ist sow ohl die friedlich verm ittelnde Position w ie die A kzeptanz der bildnerischen K räfte im Intellektuellen w ie im A rbeiter, die Fabians ethische G rundposition vorw egnim m t. „Zum al im Zeitalter der D em okratie“, so schreibt er, „ist auch im Inneren die feste ethische Ü berzeugung und das w ahrhaft im D ienste der G em einschaft stehende, auf A us- gleich und V erständigung, nicht auf gew altsam e D urchsetzung des Interesses der eigenen Klasse oder Konfession gerichtete H andeln und V erhalten des Einzelnen, die einzig dauerhafte G rundlage des Staates“.6 U nd an anderer Stelle heißt es zum Bildungsproblem en: „D ie allergrößte

5 W alter Fabian, D ie ethischen und pädagogischen G rundgedanken Friedrich W ilhelm Foersters, D iss., G ießen 1924, S . 5. 6 Fabian, Foerster, S . 57. 412 D etlef O pperm ann

und w ichtigste Frage liegt nicht auf w irtschaftlichem , sondern auf geistigem G ebiet, die Frage w ie es m öglich sei, G ebildete und U ngebildete in der V erehrung des gleichen Ideals zu vereinigen“ und „eine solche A ussöhnung der K opf- und H andarbeiter ist allerdings nur m öglich in einer G esellschaft, die die körperliche A rbeit so achtet, w ie die geistige...“7. S chließlich findet Fabian in der politisch-pazifistischen Position Foersters - in der S chuldkategorie als ethischer D im ension - eine K onvergenz zu seinen früh ausgebildeten Ü berzeugungen: „Foerster ist der A nsicht“, so schreibt er die S tudie schließend, „dass eine U m kehr der V ölker nur m öglich ist nach tiefer Erkenntnis und freiem Bekenntnis ihrer S chuld - in der Tat ein urchristlicher G edanke. D a er zu der A uffassung gelangte, dass das deutsche V olk eine besonders schw ere S chuld (die H auptschuld, nicht die A lleinschuld) an dem furchtbaren W eltgeschehen träfe, so hält er es für seine Pflicht, diese A uffassung vor aller W elt zu vertreten, ohne R ücksicht auf die K onsequenzen“8. In diesen w enigen Zitaten finden sich sow ohl Fabians lebenslang gültige G rundhaltung von Toleranz und K onsequenz, w ie die später in einem G espräch m it dem katholischen Publizisten W alter D irks form ulierten M aßstäbe seines eigenen Bekenntnisses ethischen H andelns, „dass m eine politische A rbeit seit m ehr als sechzig Jahren auf einem D reiklang basiert: Frieden, Freiheit, soziale G erechtigkeit. A uf die R eihenfolge kom m t es m ir jetzt nicht an... D as spezifisch G ew erkschaftliche m ag sich aus dem Begriff soziale G erechtigkeit ergeben. Eine soziale G erechtigkeit, die errungen, erkäm pft und dann bew ahrt und w eiterentw ickelt w erden m uss. S ie kann erkäm pft, bew ahrt, entw ickelt w erden nur im Frieden. S ie w ürde sofort zerstört w erden, w enn der Friede aufhören w ürde, und sie kann und soll nach m einer A uffassung errungen und ausgebaut w erden in Freiheit, daher diese drei Begriffe, verbunden untrennbar in dem , w as S ie eben Bekenntnis genannt haben“9.

Weim arer K äm pfe Einen abrupten Ü bergang vom elfenbeinernen S tudium zum politischen Leben und zur beruflichen Tätigkeit gab es - w ie schon dargelegt - nicht. A ls Pädagoge w ar und blieb er Entschiedener S chulreform er. Er beteiligte sich seit 1919 an den großen R eichstagungen des Bundes. D ie letzte nachgew iesene A ktivität w ar seine R ede „D er Erw achsenenlehrer“ auf dem K ongress „D er N eue Lehrer“, den der Bund Entschiedener S chulreform er 1925 durchgeführt hatte.10 S ein Ü bergang zur Erw achsenenbildung w ar w eitgehend reibungslos gelungen, obw ohl Fabian auch darin dam als keine ausschließliche Position eingenom m en hatte. D ie „N eue R ichtung“ der Erw achsenenbildung hatte ihn höchstens theoretisch erreicht, praktisch blieb er ein V ertreter traditioneller sozialdem okratischer Erw achsenenbildung. S ein Engagem ent im „R eichsausschuss für sozialistische Bildungsarbeit“, beim Leipziger A rbeiterbildungsinstitut w ie bei sächsischen V olkshochschulen, zeigen sein kom plexes V erhältnis zur Theorie und Praxis der W eim arer Erw achsenenbildung.11

7 Fabian, Foerster, S . 57f. 8 Fabian, Foerster, S . 58. 9 W alter D irks/W alter Fabian, Parallelen des Engagem ents. S echzig Jahre in Politik und G ew erkschaft, K öln 1984, S . 11. 10 In: Paul O estreich/O tto T acke, D er N eue Lehrer, O sterw ieck 1926, zuletzt abgedruckt in: W alter Fabian, M it sanfter B eharrlichkeit. A usgew ählte A ufsätze 1924-1919, hrsg. v. A . Fabian/D . H ensche. 11 Problem atisch ist dabei W ollenbergs T hese von einer völligen A blehnung der „N euen R ichtung“ und seine Zuordnung zu einer sozialistischen Parteilichkeit, vgl. Jörg W ollenberg, N achruf auf W alter Fabian, o.O . o.J. (1982), S . 1f. W alter Fabian (1902-1992) 413

S eine journalistische Tätigkeit begann er noch 1924 als Lektor beim Leipziger Ernst O ldenburg-V erlag, w enig später übernahm er die Funktion eines politischen R edakteurs bei der sozialdem okratischen „C hem nitzer V olksstim m e“. In diesem Zusam m enhang ist zu erw ähnen, dass er 1924 eher aus rationalen Ü berlegungen des W irken-w ollens, denn aus ideologischer Begeisterung, in die sächsische S PD eingetreten w ar. U nd die A rbeiterhochburg C hem nitz, das deutsche M anchester, w ie gesagt hatte, unterschied sich deutlich von der H of- und K önigsstadt D resden und der linksliberalen Intellektuellenstadt Leipzig. In C hem nitz sah er sich zum einen verbunden m it der Tradition der Bebelschen S ozialdem okratie, zum anderen konnte er hier seine persönliche N eigung zu den Them en Friedenspolitik, A rbeiterbildung und sozialistische R eform journalistisch w ie politisch-praktisch w eiterentw ickeln und entfalten. Es ist gesagt w orden, dass Fabian entschieden auf dem linken Flügel der sächsischen S PD gestanden ist, dem soll nicht unbedingt w idersprochen w erden; dies m ag er w ohl auch so em pfunden haben, doch ein Fraktionsm ann w ar er dabei nie.12 S eine individualistische G rundhaltung blieb vollständig erhalten. Politisch steigt er auf zum M itglied des S PD -Bezirksvorstandes C hem nitz-Erzgebirge, arbeitet journalistisch zusätzlich für politische Zeitschriften und übernim m t seit 1928 die H erausgeberschaft zw eier sozialdem okratischer O ppositionsblätter: die in D resden erscheinende S PD -K orrespondenz „S achsendienst“ und die bedeutendere „S ozialistische Inform ation“. H ierin attackiert er die gerade gew ählte R egierung unter dem sozialdem okratischen R eichskanzler M üller und deren Entscheidung für eine verstärkte R üstungspolitik („Panzerkreuzerbau“) und dessen Preisgabe von S PD -W ahlversprechen zur S ozial- und Bildungspolitik („S chulspeisung statt Panzerkreuzer“, R eichsschulgesetz etc.).13 Ü berhaupt w ird er innerhalb der sozialdem okratischen Linken in D resden, w o er seit 1928 lebt, im m er m ehr zu einem der m eistgefragten R eferenten und K ursleiter bei der S ozialistischen A rbeiterjugend (S A J) und den Jungsozialisten. „Er w ar ein ausgezeichneter R edner, sow ohl in seiner R hetorik w ie im W esen. D abei w ar ihm die bom bastische R hetorik absolut frem d. W alter Fabian sprach ruhig und überzeugend w ie ein guter Lehrer oder D ozent. Er w ar der typische W issensverm ittler und kein Propagandist“14. A us diesen oppositionellen w ie bildungspolitischen A ktivitäten w ar 1928 - m aßgeblich unter seinem Einfluss - die „Zentrale A rbeitsgem einschaft“ entstanden, gruppiert um die jugendliche Linksopposition der Jungsozialisten, der S A J, den N aturfreunden und den A rbeitersportlern. A uf ihren H eim abenden - m eist auf der Jugendburg H ohenstein - sprachen außer Fabian so herausragende Personen w ie die Pädagogen A nna und A ugust S iem sen, A lice und O tto R ühle, der Erw achsenenbildner Engelbert G raf und der K PO -M ann Paul Fröhlich, der R eichstagsabgeordnete Paul Levi oder der unter fragw ürdigen R echtspositionen 1923 aus dem A m t gejagte sächsische M inisterpräsident D r. , m it dem Fabian eine enge Freundschaft verband.

12 V gl. dazu K arsten R udolph, D ie sächsische S ozialdem okratie von K aiser zur R epublik 1871-1923, K öln 1995. 13 V gl. G olo M ann, D eutsche G eschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1958, S . 729f und B runo G ebhardt, H andbuch der deutschen G eschichte (B d. 4 von K arl D ietrich Erdm ann), S tuttgart 1959, S . 158. 14 A rno B ehrisch, Ein großer S äem ann - S achsen 1930, in: A rbeiterbew egung-Erw achsenenbildung-Presse, Festschrift für W alter Fabian zum 75. G eburtstag, K öln/Frankfurt/M . 1997, S . 194. 414 D etlef O pperm ann

Zeigner regte auch Fabians zeitgeschichtliche A nalyse „K lassenkam pf um S achsen“ an, die er 1929 in der Bibliothek des sächsischen Landtages verfasst hatte und in der er „R eform w ille und S cheitern der R eform en“ am Beispiel des dam alige Freistaates S achsen nachzeichnete. 15 A ngesichts der prekären politischen S ituation S achsens gegenüber dem R eich - erinnert sei nur an die m it M ühe niedergeschlagenen kom m unistischen H ölz-A ufstände von 1920/21, die Ä ngste vor einer erneuten Parteispaltung und die V ersuche der S PD -R eichsleitung in , den ungesicherten R eichsstatus im S inne eines V erfassungskom prom isses aufrecht zu erhalten und nicht zuletzt angesichts der D ivergenzen zw ischen der großen K om prom iss-Politik16 und der traditionellen ideologischen Em otionalität der Basis - verhängte der Leipziger Parteitag der S PD von 1931 zunächst einen A uflösungsbeschluss gegenüber der Zentralen A rbeitgem einschaft der Jungsozialisten und es folgte für W alter Fabian - ein in der S PD w ohl einm aliges Ereignis - ein R edeverbot. D ie w eitere H erausgabe seiner „S ozialistischen Inform ationen“ w urde ihm untersagt, und als er sich nicht fügte, w urde ohne w eitere persönliche A nhörung sein A usschluss aus der S PD vollzogen. Ein w eiteres innenpolitisches Problem , das zw ischen jugendlicher Basis, ihren intellektuellen S prechern und der Parteiführung entstand, w ar die Tolerierungspolitik gegenüber den N otverordnungen von R eichskanzler Brüning. A lle kram pfhaften V ersuche der S PD -S pitze, dem Partei- und W ahlvolk die Tolerierungspolitik als „kleineres Ü bel“ schm ackhaft zu m achen, w aren erfolglos. U nd alle D isziplinierungsm aßnahm en, bis hin zum A usschluss von M itgliedern der sozialdem okratischen R eichstagsfraktion, ebenso. Es kam zum Bruch und zur G ründung der „S ozialdem okratischen A rbeiterpartei“ (S A P), auf deren G ründungsparteitag 1932 in Berlin Fabian in den V orstand gew ählt w urde. H ochburgen dieser neuen Partei, die sich hauptsächlich als M ittlerin zw ischen den beiden großen A rbeiterparteien verstand und durch gem einsam e K raft die w achsenden N S D A P abw ehren w ollte, w aren O stsachsen und vor allem Breslau. H ier erschien das Zentralorgan der Partei, die „S ozialistische A rbeiterzeitung“ und Fabian w urde ihr C hefredakteur.17 D och die Bem ühungen um A usgleich, K onsens und A bw ehr w aren - w ie die G eschichte zeigte - vergeblich. A m 30. Januar 1933 begann - toleriert und unterstützt von der national-bürgerlichen R echten - das Terror-R egim e der N ationalsozialisten, denen auch innerhalb der Linken zunächst keine große Perspektive eingeräum t w urde. Fabian sah dies anders. Für ihn stand fest, dass m it einem baldigen Zusam m enbruch nicht gerechnet w erden konnte. D ie Partei ging in die Illegalität, Fabian verließ Breslau und tauchte unter dem N am en K urt S achs im anonym en Berlin unter. 1934, als R eichsleiter der S A P, übernahm er eine zentrale Funktion im W iderstand und pendelte zw ischen Berlin und Paris als A nonym us. A uf diese Zeit geht auch seine K ooperation m it dem elf Jahre jüngeren W illy Brandt zurück. S einer V erhaftung entging er im Januar 1935 nur m it G lück. Ein Parteifreund ließ ihm noch die N achricht zukom m en, dass er - unter der Folter – nicht m ehr schw eigen konnte.18 D araufhin kehrte Fabian nicht m ehr in seine W ohnung zurück und floh w enige Tage später m it seiner Frau R uth über das verschneite R iesengebirge in die freie C S R .

15 W alter Fabian, K lassenkam pf um S achsen (Lobau 1930), R eprint B erlin 1972 (G eleitw ort). 16 V gl. den entsprechenden S ong von K urt T ucholsky. 17 Zu Fabians T ätigkeit in der S A P vgl. auch H anno D rechsler, D ie S ozialistische A rbeiterpartei D eutschlands, M eisenheim a.G . 1965. 18 V gl. W alter Fabian, Erinnerungen an „M ax“. Zum 80. G eburtstag von Eugen M . B rehm , in: „europäische ideen“, H eft 71, hrsg. von A ndreas W . M ytze, K öln 1989, S . 1f. W alter Fabian (1902-1992) 415

Em igration D er Einschnitt der Em igration w ar für die Fabians jedoch nicht so tief w ie für die m eisten anderen. D urch ihre politische S tellung in D eutschland hatten sie Freunde und Bekannte in den N achbarländern C S R , Frankreich und der S chw eiz. Insofern trifft jene K ennzeichnung, die A lbrecht Betz im N ovem ber 1993 bei der letzten Präsentation der Fabian-A usstellung im S aarland entw orfen hatte, auf das Ehepaar Fabian in dieser S chärfe nicht zu: „D as Exil radikalisiert den Zeitbezug. D er Frem de, der nicht schon als Berühm theit im G astland eintrifft, erkennt, dass er in dessen sozialer H ierarchie keinerlei S tatus hat ... seine m itgebrachten K ultur- und Zivilisationsm uster erw eisen sich als ungeeignete Interpretationsm uster für die neue S ituation“19. N ach einem kurzen Prager Interm ezzo reisten R uth und W alter Fabian über Ö sterreich und die S chw eiz nach Paris. H ier befand sich die A uslandsleitung der S A P, in der Fabian den W iderstand w eiterführte. Zur Inform ation der Flüchtlinge baute er ein „Bureau de D ocum entation“, ein Zeitungsausschnittbüro, auf. A ls M itglied der Illegalen R eichsleitung der S A P beteiligte er sich 1936 im „Lutecia-K reis“ politisch am letzten V ersuch, nach dem V orbild der französischen R egierung von Léon Blum , zusam m en m it R udolf Breitscheid, H einrich M ann und W illi M ünzenberg, zu einer deutschen (Exil-)V olksfront zu gelangen. D och leider w ar dies alles vergeblich. S eine eigene Partei rückte, unter der Führung Jakob W alchers, im m er w eiter nach links. Ein kritisches W ort über die S ow jetunion und S talin w ar nicht opportun, und als er gegen die S talinschen S äuberungen journalistisch protestierte und zu ihnen nicht m ehr schw eigen w ollte,20 w urde er 1937 aus der S A P ausgeschlossen. D ies w ar der zw eite Parteiausschluss innerhalb von fünf Jahren, w eitere Parteibeitritte hat er dann sein Leben lang verm ieden. Es folgte die G ründung der W iderstandsgruppe um Fabian m it dem zielsetzenden Titel „N euer W eg“ und einer gleichnam igen Zeitschrift. D ie journalistische Tätigkeit, vor allem für britische und schw eizerische Zeitungen, w ird intensiver und nicht zuletzt zu einer unverzichtbaren Einnahm equelle. 1939 erfolgte die Internierung - zunächst in Paris, dann in M arolle an der Loire. D ie Fam ilie m it der 1940 geborenen Tochter konnte er nur durch seinen freiw illigen Eintritt in die Frem denlegion retten. S einer Frau R uth, die im „freien“ V ichy-Frankreich lebte, gelang es - nachdem auch die Legion festgestellt hatte, dass der Pazifist und Intellektuelle für den m ilitärischen Einsatz unbrauchbar w ar - ihn aus N ordafrika nach M arseille zurück zu holen. 1941/42 arbeitete das Ehepaar Fabian in M arseille und A ix-en-Provence in der Leitung des am erikanischen H ilfskom m itées „International R efugee and R elief C om m ittee“ (IR R C ), das unter der Leitung von V alerian Fry auf Initiative und aus M itteln von Ellinor R oosevelt entstanden w ar.21 Ein am erikanisches Einreisevisum nahm en beide nicht w ahr, w eil sie sich an die europäisch-französische K ultur gebunden fühlten. D er drohenden Besetzung S üd- frankreichs durch deutsche Truppen entging die Fam ilie durch eine dram atische Flucht in die Schw eiz. D er „W egw eisung“ aus der Schw eiz entkam en sie nur aufgrund der Existenz ihrer

19 A lbrecht B etz, G üte-S kepsis-Engagem ent. W arum W alter Fabian gegenw ärtig bleibt. R edetext zur Eröffnung der A usstellung „W alter Fabian. Publizist-Pädagoge-Politiker“, konzipiert und zusam m engestellt von der D eutschen B ibliothek Frankfurt/M ., gehalten am 22. N ovem ber 1993 im Palais R öder in S aarbrücken, S . 5. 20 Zentralzitat in: Elke S uhr, W alter Fabian, in: R . K ühnl/E. S poo (H rsg.), W as aus D eutschland w erden sollte – K onzepte des W iderstandes, des Exils und der A llierten, H eilbronn 1995, S . 77. 21 V gl. hierzu Fritz R addatz, D er Engel von M arseille, in: D ie Zeit, 10/1993, S . 45 sow ie den R om an „T ransit“ von A nna S eghers. 416 D etlef O pperm ann

Tochter A nnette und der R egelung durch das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartem ent vom 18. Juni 1940, w onach „flüchtende Zivilpersonen zurückzuw eisen (sind), m it A usnahm e von Frauen, K indern bis zu 16 Jahren...“22 N ach erster Internierung in einem A uffanglager bei G enf w urde die Fam ilie in das Flüchtlingslager A dlisw il bei Zürich überstellt. D en unzum utbaren Lagerbedingungen entfloh die Fam ilie nur m it H ilfe des O rtsgeistlichen, der einen Brief Fabians an die S chw eizer R eform pädagogin Elisabeth R otten w eiterleitete. In A dlisw il zerbrach die Ehe, die als lebenslange Freundschaft w eitergeführt w ird. W alter Fabian siedelte 1943 nach Zürich über. D em schw eizerischen A rbeitsverbot entzog sich Fabian m it H ilfe des Feuilletonchefs des Züricher Tagesanzeigers, W alter Bösch, der ihm erm öglichte, unter dem Pseudonym „Theo Prax“ (ein A nagram für Theorie und Praxis) journalistisch und schriftstellerisch tätig zu w erden. Für die V erlage K onzett und H uber w ie für den Lang-V erlag übersetzte er - teils legal, teils illegal - seit 1944 W erke französischer Literatur von V ictor H ugo, C harles Baudelaire, R om ain R olland, Francois M ouriac oder Eugen Tarlé. N ach der S chlacht von S talingrad nahm der Invasionsdruck auf die S chw eiz ab, und die Lage der Flüchtlinge verbesserte sich deutlich. S o w aren es dann vor allem Tätigkeiten in der Erw achsenenbildung, bei den schw eizerischen G ew erkschaften, der S PS und den Flüchtlingsvertretungen, journalistische A ktivitäten für eine V ielzahl S chw eizer Zeitungen sow ie vor allem die Beteiligung an der S elbsthilfe der Flüchtlingsorganisationen, die Fabians politisches, schriftstellerisches und pädagogisches Leben in der S chw eiz ausfüllten. In erster Linie engagierte er sich bei der „G em einschaft D eutscher D em okraten der S chw eiz“, bei der „S chw eizerisch-D eutschen K ulturvereinigung“ (zusam m en m it K arl Barth und M ax Frisch), vor allem aber w irkte er als Präsident des „S chutzverbandes D eutscher S chriftsteller“.

V orsichtige R ückkehr , ein Freund Fabians aus sächsischer Zeit, schrieb 1977 rückblickend: „Erst nach dem K rieg, 1947, trafen w ir uns in der S chw eiz w ieder. Ich hatte geglaubt, du w ürdest sobald w ie m öglich nach D eutschland zurückkehren. A ber du kam st nicht und ich habe das im m er bedauert“23. Fabians R ückkehr nach D eutschland geschah nicht abrupt, sondern verlief langsam , tastend und abw ägend. In der S chw eiz fühlte er sich sicher und integriert. Er hatte vielfältige K ontakte zum kulturellen Leben, zur Presse, zu den G ew erkschaften und Bildungseinrichtungen des Landes. U nd dennoch blickte er m it Interesse und M itgefühl nach D eutschland. Ein frühes A ngebot seines Freundes K arl G erold, in den K reis der H erausgeber der „Frankfurter R undschau“ einzutreten, lehnte er ab, w eil er nicht M itherausgeber einer Zeitung von alliierten, am erikanischen G naden sein m ochte. D ennoch schrieb er schon frühzeitig für die in der am erikanischen Zone erscheinende „N eue Zeitung“ und die „Frankfurter R undschau“. S eine führende R olle in den schw eizerischen Flüchtlingsorganisationen m achte die an R eeducation interessierten A m erikaner auf ihn aufm erksam , und er w urde häufiger R efe- rent in den Bildungsprogram m en der A m erikahäuser. A uch die Instituts Français folgten bald darauf. D ies gestattete ihm , sich aus der Schw eizer Sicherheit ein Bild von der A tm osphäre,

22 V gl. D etlef O pperm ann, W alter Fabian – ein deutscher S ozialist und Erw achsenenbildner in der S chw eiz, in: V olker O tto/Erhard S chlutz (H rsg.), Erw achsenenbildung und Em igration, B onn 1999, S . 72. 23 Peter B lachstein, B egegnungen durch fünfzig Jahre, in: Festschrift Fabian, S . 190. W alter Fabian (1902-1992) 417

der M entalität und der W andlungsbereitschaft im N achkriegsdeutschland zu m achen. Prinzipielle V orbehalte hatte er nicht,24 dagegen standen schon sein hum anistisches M enschenbild und sein pädagogischer Im puls. Erfolgreicher kam en bald darauf andere deutsche Institutionen hinzu. S eine intim en K ontakte zu den schw eizerischen G ew erkschaften öffneten ihm die Tore zu den neu gegründeten D G B-G ew erkschaften w eit und bald darauf folgten die V olkshochschulen als w eitere pädagogische Plattform . Ein reizvoller, unabhängiger und sicherer A rbeitsplatz, der Fabians W unsch nach politischer W irkung, K ontakt zu den M enschen w ie nach K ultur und Bildung befriedigen konnte, zeichnete sich indes vorerst nicht ab. M öglicherw eise hat er ihn aber auch nicht w irklich gesucht. A uch das W erben der „Baracke“ in Bonn m it einem Bundestagsm andat konnte diese H offnung nicht erfüllen. Ein erneuter Parteibeitritt kam für ihn trotz aller S ym pathie für die S ozialdem okratie nicht m ehr in Frage, die V erletzungen aus der W eim arer Zeit w aren w ohl doch zu tief. D as nationale K onzept S chum achers konnte er nicht teilen, das K arrierestreben des jungen W illy Brandt in W est-Berlin w ar ihm frem d und dem K adavergehorsam , den H erbert W ehner einforderte, konnte und w ollte er sich nicht unterw erfen. Für unabhängige G eister hingegen w ar die S chw eiz ein guter Platz, sie hatte die Toleranz einer alten D em okratie und w ar ein O rt w o er m ehr M enschen gleichen D enkens und gleichen S chicksals treffen konnte als in D eutschland.25 Eine w ichtige kulturpolitische Leistung Fabians aus der Zeit der späten 1940er-Jahre w ar die M ithilfe bei der G ründung der „Em igrationsbibliothek“ der D eutschen Bibliothek in Frankfurt am M ain. D ie V ertreibung eines guten Teils des deutschen G eistes nach 1933 hatte die D eutschen kulturell isoliert zurückgelassen. A n der w eitergehenden kulturellen Produktion haben sie nicht teilnehm en können, und so w andte sich der D irektor der D eutschen Bibliothek, D r. H anns W . Eppelsheim er 1948 an den S chutzverband D eutscher S chriftsteller (S D S ) in der S chw eiz. S eine Idee w ar, von allen M onographien und A nthologien, die zw ischen 1933 und 1949 im A usland erschienen w aren, je ein Belegexem plar nach Frankfurt in eine A bteilung für Exilliteratur zu übersenden. D er S D S unter der Präsidentschaft von W alter Fabian griff diese Idee auf, und außer ihm w ar es vor allem die S chriftstellerin Jo M ihaly, die die organisatorischen A ktivitäten übernahm . In einem Brief, der im N ew Y orker „A ufbau“ erschien und an 150 A utoren und Exilverlage verschickt w urde, w andte sie sich an die intellektuelle Ö ffentlichkeit. Es heißt dort: „D er S chutzverband bittet S ie durch m ich, ihm Ihre H ilfe bei der S am m lung einer um fassenden deutschen Em igrationsliteratur zu gew ähren... W ir w ären Ihnen zu großem D ank verpflichtet, w enn S ie von jeglicher V eröffentlichung Ihrer A rbeiten zw ischen 1933 und 1949 ein Belegexem plar zur V erfügung stellen könnten... W ollen S ie bitte solche W erke an folgende A dresse schicken: D r. W alter Fabian, Zürich 29, Postfach...“26.

D er G ew erkschafter A uf H elga G rebing geht das W ort zurück, dass W alter Fabian „eine personale Integration der besten Seiten der bürgerlichen W elt und ihrer sozialistisch-dem okratischen G egenw elt (ist).

24 V gl. W alter Fabian/W erner B erthold, Exilliteratur in der D eutschen B ibliothek – Ein G espräch, in: Festschrift Fabian, S . 215. 25 V gl. Fabians N otiz „A us der Perspektive des Em igranten“, abgedruckt in: O pperm ann, W alter Fabian, S . 83ff. 26 A bgedruckt in: Fabian/B erthold, Exilliteratur, S . 217. 418 D etlef O pperm ann

D a gibt es nicht einen H auch von Langew eile, jedoch viel frischen W ind bei kühlem K opf und gütigem H erzen“.27 D ass die G ew erkschaften für Fabian zur politischen H eim at w urden und hier vor allem die IG D ruck und Papier, hat m ehrere G ründe. Zum einen hatte er m it seiner Bildungsarbeit bei den schw eizerischen G ew erkschaften dafür bereits eine G rundlage gelegt, zum anderen erm öglichten ihm die G ew erkschaften, sein G efühl der S olidarität m it der A rbeiterbew egung, das in S achsen entstanden w ar, zu pflegen und w eiter zu entw ickeln, ohne dass er notw endigerw eise einer Partei beitreten m usste, und schließlich traf er in der IG D ruck und Papier auf eine A tm osphäre, die den gebildeten Proletarier m it dem kulturell engagierten Intellektuellen verband. D iese S ym biose w ar ihm w ichtig, hierin sah er die Leitlinie seines Lebens. D eshalb w aren für Fabian G ew erkschaften nicht nur K am pfinstitutionen für die „M esser- und G abelfrage“, sie w aren für ihn m ehr: D ostojew skis C hristus-W ort, dass der M ensch nicht nur vom Brot allein lebt, hatte auch der S ozialist Fabian verinnerlicht. D ie G ew erkschaften stellten für ihn deshalb nicht nur eine Bildungseinrichtung m it dem Lernziel S olidarität dar, sondern schlossen nicht zuletzt auch K ultur und geistigen A ufstieg m it ein. S oziale S icherheit, K ultur und Bildung, so hieß sein gew erkschaftliches S elbstverständnis. H elm ut R idder hatte dies in seinem N achruf auf den Punkt gebracht, als er schrieb: Fabian „hielt eisern daran fest, dass die G ew erkschaften auch Träger eines politischen und kulturellen M andats für alle Lohnabhängigen sein m üssen“.28 U nd überall dort, w o die Interessenvertretungen der A rbeitnehm er als K ultur- und Bildungsträger auftraten, sei es in ihren Bundesschulen, bei den R ecklinghäuser Festspielen, bei „A rbeit und Leben“ oder in der Böckler-S tiftung, w ar er besonders stolz, ihnen in S olidarität verbunden zu sein. U nd so w ar es dem nach auch in erster Linie die G ew erkschaftsbew egung, die ihn m otivieren konnte, aus seinem sicheren H ort nach D eutschland zurück zu kehren. Ende der 1950er-Jahre übernahm er die C hefredaktion der „G ew erkschaftlichen M onatshefte“ (G M H ), jener Zeitschrift, m it der der D G B sich als sozialer, kultureller und bildungspolitischer G esprächspartner in der Ö ffentlichkeit zu W ort m eldete. D iese w eit über das engere Feld von G ew erkschaftsarbeit hinausreichende Zielsetzung hatte H ans Böckler schon im ersten H eft von 1949 form uliert, und es w urde dann - sozusagen als Leitm otiv dieser Zeitschrift - in jedem H eft auf die innere U m schlagseite aufgenom m en. Es heißt dort: „D ie G ew erkschaftlichen M onatshefte sollen ein D iskussionsorgan sein, in dem G ew erkschafter, V ertreter der W issenschaft, V ertreter unseres S ozialpartners, w ie des öffentlichen Lebens G elegenheit haben, in eingehender D iskussion zur Lösung der W irtschafts- und S ozialproblem e beizutragen“. Fabian w ar die C hefredaktion 1958 angetragen w orden 29, nachdem er bereits von 1954 bis 1958 die R edaktion des R ezensionsteils („Zeitschriften-S piegel“) verantw ortet hatte, und der D G B m it dem V orgänger, G eorg R euter, der die C hefredaktion von 1952 bis 1958 innehatte, angesichts dessen nicht fleckenloser V ergangenheit „ins G erede gekom m en w ar“30. Es ist sicherlich richtig, dass Fabian ein individueller und „kein bequem er M ann für die Leitung des theoretischen O rgans des D G B“31 w ar, aber seine V orstellungen von einer an-

27 G rebing, Individualist. 28 H elm ut R idder, W alter Fabian und w ir, in: Polen und w ir, H eft 2/1992, S . 3. 29 D ie durchgängig zitierte Ü bernahm e der C hefredaktion im Jahre 1957 ist aus dem Im pressum der Zeitschrift nicht zu schließen, hier fungierte Fabian seit dem 10. Jahrgang (1959). 30 H ans O . H em m er, D as Prinzip ist w ichtiger als die T aktik - Zur Erinnerung an W alter Fabian (1902-1992), in: G ew erkschaftliche M onatshefte (G M H ) 3/1992, S . 145. 31 H em m er, Prinzip, S . 145. W alter Fabian (1902-1992) 419

spruchsvollen Zeitschrift, die bald den V ergleich m it den kulturpolitischen Zeitschriften des N achkriegsdeutschland nicht m ehr zu scheuen brauchte, setzte er m it Erfolg um . Betrachtet m an die konzeptionelle S truktur der Jahrgänge von 1958 - als erstem Jahrgang unter Fabians redaktioneller V erantw ortung - und der von 1972 - zw ei Jahre nach seinem A usscheiden -, so fällt auf, dass der journalistische A nspruch der Zeitschrift als ein O rgan, das die bew egenden politischen und w irtschaftlichen Fragen der Zeit sow ohl national w ie international aufgreift, erhalten geblieben ist, dass aber die unverkennbaren Fabianschen M arksteine w ie z.B. Entw icklungshilfe, Europapolitik, Erziehung, Jugend, K ultur sow ie nicht zuletzt Erw achsenenbildung verschw unden oder zum indest doch in den H intergrund getreten w aren. Im Ü brigen bestand Fabians journalistische Tätigkeit bei den G M H m ehr darin, Beziehungen zu knüpfen, zu redigieren, anzuregen und konzeptionell zu streiten, als sich selbst m it großen A rtikeln in den V ordergrund zu spielen. Zw ar hat er - typisch für ihn - die C hefredaktion m it dem A rtikel „K rieg w äre V ernichtung, Friede allgem einer W ohlstand“ übernom m en und den Zeitschriftenspiegel m it einer A nalyse des V erhältnisses von Brecht zur D D R unter V erw endung des G edichtes „D ie Lösung“ (Brechts D D R -K ritik zum 17. Juni) beendet. D och die großen A useinandersetzungen Fabians m it dem D G B-V orstand drehten sich m ehr um konzeptionelle Fragen der Zeitschrift und seltener um seine eigenen Beiträge. D etailgenau und objektiv hat H ans-O tto H em m er die K onflikte von 1964 und 1970 w iedergegeben, als Fabian 1964 einen A rtikel von H elm ut Lindem ann über „D ie staatsrechtliche A nerkennung der D D R “ zuließ oder als Fabian 1970 bei sozial problem atischem V erhalten des D G B entlassen w urde. A ngesichts seiner A ktivitäten im W iderstand gegen den V ietnam -K rieg und seiner R olle als eine G alionsfigur der inner- und außergew erkschaftlichen Linken w ar es zum unüberbrückbaren K onflikt m it dem neuen D G B-V orsitzenden H einz-O skar V etter gekom m en.32 A llerdings erscheinen die S treitm uster aus heutiger S icht in einem seltsam anm utenden Licht. H em m er hatte versucht, die K onfliktlage aus dem gew erkschaftlichen S elbstverständnis m it den Begriffen „G egenm acht“ und „O rdnungsfaktor“, für die die G ew erkschaftsführer O tto Brenner und G eorg Leber standen, zu deuten. M eines Erachtens w aren die K onflikte zu einem G utteil aber auch persönlichkeits- und erfahrungsorientiert und resultieren aus einem D issenz zw ischen G rundsatz- und Praxisfragen. Fabian ging es um ethische Fragen, der M ehrheit des D G B-V orstandes um die praktische Beteiligung des D G B am rheinischen K apitalism us. Bei genauerem H insehen liegen beide Positionen, w enn m an sie rückblickend betrachtet, nicht so w eit auseinander als sie dam als w ahrgenom m en w urden. D ie Persönlichkeits- und Erfahrungsidentität zw ischen dem D G B-V orsitzenden Ludw ig R osenberg und Fabian sprach, trotz aller K onflikte, doch für die Freiräum e, die Fabian hatte. D as A ufeinandertreffen des linken jüdischen W iderstandskäm pfers und des pragm atischen, im Zw eifelsfall autoritären W ehrm achtsoffiziers und Bergarbeiterführers V etter, m usste indes zum Eklat führen. Es w ar ein S treit, der dem D G B in der Ö ffentlichkeit m ehr schadete als nutzte, seine soziale V erantw ortung in Frage stellte und die K räfte eher stärkte, die dem D G B von links oder von rechts sow ieso m it M isstrauen begegneten. D er K om prom iss, den D G B-V orstand und Fabian schließlich fanden, w ar tragfähig für beide, sodass sie w eiterhin in S olidarität m iteinander um gehen konnten, doch w urde dies in der Ö ffentlichkeit kaum w ahrgenom m en.

32 V gl. H em m er, Prinzip, S . 145. 420 D etlef O pperm ann

Betrachtet m an die Positionen Fabians aus heutiger S icht, so w ird klar, dass sie so radikal nicht w aren, w ie sie gesehen w urden, sie w aren fast alle zutreffend, jedoch w aren sie fast im m er ihrer Zeit w eit voraus. S ei es zu Fragen der A brüstung, des W arnens vor m anchen N otstandsphantasien von rechts, Positionen zu den öffentlichen M edien, zum K ulturverständnis oder zum G rundverständnis des D G B. A bschließend sei Fabians visionäre, fast schon prophetische Position zu den zukünftigen H erausforderungen, denen die G ew erkschaften grundsätzlich unterliegen und die natürlich die „O rdnungsfaktortheorie“ fundam ental in Frage stellt, zitiert. A uf dem G ew erkschaftsgeschichte schreibenden D G B-K ongreß von 1963, der - analog zu G odesberg - ein neues, verstärkt sozialpartnerschaftliches G rundsatzpapier verabschiedete, sprach Fabian als S törfaktor der H arm onie folgende m ahnenden W orte: Er gab zu bedenken „dass das, w ar w ir erreicht haben, noch nicht als endgültig gesichert betrachtet w erden kann, sondern dass w ir in Folge der G rundgesetze der nach w ie vor geltenden kapitalistischen W irtschaftsordnung m it neuen K risen, m it neuen G efahren für den A rbeitsplatz des arbeitenden M enschen durchaus rechnen m üssen und dass insbesondere, w enn w ir nicht nur die A ufgaben in der Bundesrepublik sehen, die w ir ja gar nicht losgelöst von der W eiterentw icklung betrachten können, dass durch diese revolutionären U m w älzungen in der übrigen W elt auch außerhalb Europas, sich m orgen oder überm orgen herausstellen kann, dass dann doch w ieder die arbeitenden M enschen in S tadt und Land diejenigen sein w erden, die am w enigsten gesichert und deren W ürde und deren A rbeitsplatz am w enigsten gefestigt sind“.33 K ann es für die heute existierenden G ew erkschaftsproblem e prophetischere Einsichten geben?

33 A us der R ede von W alter Fabian auf dem K ongreß des D G B im Jahre 1963, zit. nach R enate Faerber-H usem ann, Zum T ode des Publizisten und G ew erkschafters W alter Fabian (W D R -Feature-Zeitzeichen), gesendet am 15. Februar 1992 (T odestag); w ieder ausgestrahlt als: T odestag des Journalisten und W iderstandskäm pfers W alter Fabian am 15. Februar 2002 (auch übernom m en vom N D R und S R ).