Weißenburger Blätter Geschichte . Heimatkunde . Kultur 1/2020 Januar 2020 nostra villa Impressum: 1/2020

Herausgeber: Große Kreisstadt Weißenburg i. Bay., Inhalt: Neues Rathaus, 91780 Weißenburg i. Bay., Tel.: 09141/907102, Fax: 09141/907138 Thomas Wägemann: (Büro des Oberbürgermeisters) Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus E-Mail: [email protected] Weißenburg – Konstrukteur eines „Papierdrachens“ Internet: http://www.weissenburg.de oder Schöpfer der „V2“? S. 5 Erscheinungsweise: dreimal jährlich (Januar, Mai, September)

Ulrich Heiß: Auflage: 2500 LogoLogo … alles Logo?? Schriftleitung v.i.S.d.P.: Dipl.-Archivar (FH) Reiner Kammerl, S. 29 Stadtarchiv, Neues Rathaus, Tel.: 09141/907222, Fax: 09141/907227, E-Mail: [email protected] Redaktion und Konzeption: Reiner Kammerl, Jürgen Schröppel Titelbild: Beiträge: Ulrich Heiß, Thomas Wägemann Bronzebüste von Rudolf Nebel in der Staatlichen Fotos und Zeichnungen: Privatbesitz, „Weißenburger Tagblatt“, Realschule Weißenburg, von Wolf (Wolfgang) Ritz und (nicht eigens angegeben): Stadtarchiv Weißenburg i. Bay. Zu den abgebildeten Logos (S. 29 ff.) vgl. die im Text angege- (1920-2008), Maler und Bildhauer in Aachen. Als Au- benen Grafiker. todidakt, der nie Kunst studiert hat, zählte Ritz zu den bedeutendsten Porträtmalern seiner Zeit und hat eine Satz und Druck: Buch- und Offsetdruckerei Braun & Elbel, Weißenburg i. Bay. ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten des 20. Jahr- hunderts porträtiert. Die „villa nostra – Weißenburger Blätter“ sind kostenlos erhält- Die Anschaffung hatte der „Elternbeirat der Rudolf- lich in den bekannten Verteilerstellen der Stadtverwaltung (u. a. Neues Rathaus, Amt für Kultur und Touristik, Stadtbibliothek), Nebel-Realschule“ am 14. April 1970 initiiert und mit- im Weißenburger Museumsshop, im Kundenzentrum der Stadt- finanziert. Die Stadt als damaliger Träger der Schule werke GmbH, in den Weißenburger Geschäftsstellen der Spar- hat gut die Hälfte der Kosten übernommen. „Wenn man kasse sowie den örtlichen Buchhandlungen und Banken. schon die Realschule nach Professor (!) Nebel benannt Bei Bedarf, soweit von Institutionen oder Gewerbebetrieben habe, so könne man auch die Anschaffung einer Büste Exemplare zur Auslage in Wartezimmern o. Ä. gewünscht, oder für das Schulgebäude nicht ablehnen“, begründete auch falls frühere Ausgaben ganz oder teilweise benötigt werden, Weißenburgs Oberbürgermeister Dr. Horst Lenz seine wenden Sie sich bitte an das Stadtarchiv oder das OB-Büro. Zustimmung in der Stadtratssitzung vom 18. Juni 1970. (Foto: Stadtarchiv Weißenburg i. Bay.) © Stadt Weißenburg bzw. Verfasser der Beiträge.

2 „Doch um die Früchte seiner Pionierarbeit sah sich der Ingenieur, der am 21. März 1894 geboren wurde, geprellt.“

Zu seinem 125. Geburtstag am 21. März 2019 würdigte Der zweite Beitrag in diesem Heft stellt das neue Stadt- der Deutschlandfunk Rudolf Nebel als „Pionier der logo vor, das nach anfänglichen Startschwierigkeiten Raketentechnik“. Ausgehend von seinen grundlegen- erst in den letzten Wochen abschließend auf den Weg den Arbeiten bei der Entwicklung der modernen Rake- gebracht worden ist. tentechnik stellte der Beitrag v. a. Nebels Kampf um Ulrich Heiß, der im Stadtbauamt (Sachgebiet Stadt- Anerkennung in den Vordergrund. Aus diesem Bericht entwicklung) maßgeblich für die Entwicklung und Um- stammt auch das Zitat in der Kopfzeile. setzung zuständig war, hinterfragt das mit dem einem Wie schwer es ist, aus heutiger Sicht nicht nur die hintergründigen „Alles Logo??“ Leistungen, sondern auch den Menschen Rudolf Nebel Die jetzt erfolgte Einführung des neuen Stadtlogos zu beurteilen, wenn doch selbst seine Zeitgenossen und haben wir (Redaktion) zum Anlass genommen, zum Mitstreiter ihn recht widersprüchlich gesehen haben, Vergleich – und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – zeigt der vorliegende Beitrag von Thomas Wägemann. einen kleinen Überblick über ältere Stadtlogos anzufü- Unbestritten sind seine Verdienste um die Entwick- gen. lung der Raketentechnik, auch wenn er nach anfänglich spektakulären Erfolgen von der Weiterentwicklung ab- Wir wünschen Ihnen zum Jahreswechsel alles Gute für geschnitten wurde. das Jahr 2020. Nebel war ein glänzender Organisator, der es wie kaum ein anderer verstanden hat, die Öffentlichkeit für seine Forschungen zu interessieren und Mittel für seine Ihr Ihr Projekte zu beschaffen. Er sollte uns in Erinnerung bleiben als ein hochbegabter, bis zu seinem Tod von Vi- sionen geleiteter Ingenieur und einer der Wegbereiter Jürgen Schröppel Reiner Kammerl der modernen Weltraumforschung – und gleichzeitig Oberbürgermeister Stadtarchivar auch als ein weltweit bekannter Sohn der Stadt Wei- ßenburg; er stammt (mütterlicherseits) aus der altein- gesessenen Familie Staudinger.

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4 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg – Konstrukteur eines „Papierdrachens“ oder Schöpfer der „V2“? Thomas Wägemann

Nach dem gebürtigen Weißenburger wurde zu Lebzei- Krieg von 1870/71 eine wichtige Verbesserung zum da- ten eine Straße und ein Schulgebäude in seiner Heimat- maligen Zündnadelgewehr erfunden haben.5 Nebel stadt benannt. Dennoch ist relativ wenig über das schreibt in seinem autobiografischen Buch, seine Wirken und Leben dieses Mannes bekannt. Gibt man Großmutter 6 habe ihm erzählt, wie sie es selbst erlebt den Namen Rudolf Nebel in eine der bekannten Such- habe, dass auf dem Dachboden des elterlichen Hauses maschinen im Internet ein, erhält man eine Fülle von „die Taler und Goldstücke in Wäschekörben“ abge- Angaben, die häufig schlichtweg falsch sind. So wird stellt wurden.7 er z. B. schon mal als promovierter Ingenieur oder gar Bereits 1899 zog es den Vater aus beruflichen Grün- als Professor bezeichnet, dem weltweit der erste Start den nach München.8 Trotz der relativ wenigen Kind- einer Flüssigkeitsrakete gelang. Ein anderes Mal wird heitsjahre in Weißenburg hatte Nebel, wie er selbst ihm die Erfindung des sogenannten „Nebelwerfers“ 1 Johann Joseph Nebel, Kaufmann (geb. 19.03.1853 Koblenz, gest. 24.12. oder gar der „V2“ zugeschrieben. Wer dieser berühmte 1946 Nürnberg). Am 01.01.1895 meldet Joseph Nebel ein „Kommissions- Sohn Weißenburgs wirklich war bzw. welches seine geschäft“ an. Der Eintrag im Gewerberegister wird aber wieder gestrichen Verdienste um die Raketenforschung wirklich waren - mit dem Vermerk „weil nicht betrieben“ (Stadtarchiv Weißenburg i. Bay., im Folgenden: StadtA Wßbg., Rep. III 1512/2). und was im Laufe der Zeit zum Mythos verklärt wurde, 2 Behördlich angemeldet haben sich die Eltern in Weißenburg nicht. Somit versucht dieser Bericht aufzuzeigen. fehlt jeder Nachweis über die Aufenthaltszeit, und die am 24.03.1894 nach- träglich ausgestellte Geburtsanzeige ist der einzige amtliche Nachweis der Wohnung (StadtA Wßbg., Geburtsregister 53/1894) . Kindheit in Weißenburg 1894-1899 3 Emma Mathilde Hewig Nebel, geb. Staudinger (geb. 17.07.1873 Nürnberg; Rudolf Willy Nebel wurde am 21. März 1894 in Wei- Angaben zu Todeszeitpunkt und -ort liegen nicht vor). ßenburg geboren. Sein Vater war der aus Koblenz stam- 4 Ernst Eugen Staudinger (geb. 27.02.1836 Weißenburg i. Bay., gest. 25.01. 1 1918 Weißenburg i. Bay.), Schlosser, Eisenhändler, Büchsenmacher. Die alt- mende Kaufmann Johann Joseph Nebel . Die Familie eingesessene Familie Staudinger ist seit dem ausgehenden 17. Jh. Besitzer wohnte eine Zeit lang in Weißenburg am Marktplatz im des stattlichen Anwesens Marktplatz 3. Haus Nr. 6 (vgl. Abb. 1); dort wurde Rudolf Nebel auch 5 Rudolf Nebel, Die Narren von . Ein Pionier der Raumfahrt erzählt, geboren.2 Der Umgang mit Schwarzpulver und explo- Düsseldorf 1972, S. 21. Weder beim Deutschen Patent- und Markenamt München noch beim gleich- siven Materialien lag dem späteren Forscher und Er- namigen Amt in konnten Nebels Angaben bestätigt werden. finder wohl schon im Blut, war doch seine Mutter 6 Louise Staudinger, geb. Preu (geb. 05.07.1838 Weißenburg i. Bay., gest. Emma3 eine Tochter des Weißenburger Büchsenma- 29.11.1919 Weißenburg i. Bay.). 7 Nebel, a. a. O., S. 21. 4 chers Ernst Staudinger (vgl. Abb. 2). Dieser soll, laut 8 Er wurde dort, so Nebel, Prokurist einer neu gegründeten Fabrik für Ketten- Aussage von Rudolf Nebel, im Deutsch-Französischen fahrräder (Nebel, a. a. O., S. 21).

5 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020 schreibt, schon hier seine erste Berührung mit der (Nr. 178) bei der „Königlich Bayerischen Inspektion Technik. Sein Onkel Ernst Staudinger 9 war nämlich der Luft- und Kraftfahrtruppen“ in München erhielt „Mitglied im Veloziped-Club 10 und fuhr stolz mit sei- Rudolf Nebel erst danach, nämlich am 15. August nem Hochrad durch die Stadt“.11 1912.17

Wege zur Technik Erster Weltkrieg 18 Über München führte der Weg der Familie Nebel wie- Vom 1. Oktober 1912 bis 30. September 1913 leistete der zurück in fränkische Gefilde nach Nürnberg. Dort Nebel seinen Militärdienst (Freiwilligen-Jahr) beim wurde Rudolf 1903 eingeschult. Der technikbegeisterte „Königlich Bayerischen Telegraphenbataillon“ in Schüler verschlang wie viele seiner Altersgenossen die München ab und wurde als Offiziersanwärter entlassen.

Bücher von Jules Verne, war fasziniert von den Flug- 9 Ernst Staudinger, Fabrikant (geb. 29.07.1862 Weißenburg i. Bay., gest. pionieren Lilienthal oder den Wrights und teilte die all- 31.01.1927 Weißenburg i. Bay.). Zu der von ihm errichteten „Weißenburger gemeine Begeisterung für die Ideen des Grafen Email- und Blechwarenfabrik“ an der Schulhausstraße vgl. Reiner Kammerl, Zeppelin. Als er schließlich erfuhr, dass es in der Nähe Zwischen Ellinger Tor und Schwärzgasse, in: „villa nostra“ 1/2017, S. 19 f. 10 Der 1885 gegründete „Weissenburger Veloziped-Club“ war der erste Rad- von Berlin „Fliegende Menschen“ geben solle, war der fahrverein in der Stadt (1933 gleichgeschaltet). Er hatte sich auch gesell- Junge nicht mehr zu halten. Von seinem Weißenburger schaftlichen Aspekten verschrieben (StadtA Wßbg., Rep. III 982/1). Onkel Ernst 12 bekam er Fahrradteile geschenkt. Rudolf 11 Nebel, a. a. O., S. 21. 12 Der angegebene Onkel Ernst Staudinger (vgl. Anm. 9) war Schlosser und baute sich daraus ein Rad zusammen und machte sich dann Fabrikant. Den traditionellen Familienbetrieb, Marktplatz 3, übernahm in den Sommerferien 1909 auf den Weg nach Berlin. der jüngere Bruder Wilhelm Staudinger (geb. 10.03.1867 Weißenburg i. Bay., In Berlin-Johannisthal angekommen, sah er erstmals in gest. 04.02.1956 Weißenburg i. Bay.). Das „Adreß- und Geschäftshandbuch der Königl. Stadt Weißenburg in Bay- seinem Leben Flugzeuge in Aktion und änderte sofort ern“ von 1906 (StadtA Wßbg., Slg. I.4.6) führt unter den „Fahrradhand- sein Berufsziel von „Pferdebahnkutscher“ in „Aviati- lungen“ (a. a. O., S. 64) richtig „Staudinger Ernst (Inhaber Staudinger ker“ 13. Wilhelm)“. Eine ganzseitige Anzeige (a. a. O., Anhang 14) beschreibt das Staudingersche Geschäft als „Spezialgeschäft für Haus- und Küchengeräte, Zurück in Nürnberg experimentierte er zunächst mit Spielwaren, Fahrräder“ (vgl. Abb. 2). selbst gebauten Flugdrachen. Dabei kam er auf die 13 Nebel, a. a. O., S. 25. Idee, diese, wie heutzutage Drohnen, mit einer Kamera 14 Recherchen im Stadtarchiv Nürnberg ergaben keine Bestätigung zu Nebels Luftbildern. zu bestücken. Auf die Art und Weise kamen angeblich 15 Die „Libelle“ war ein leichter Eindecker mit Hängemattensitz. Die von dem 14 die ersten Luftbilder Nürnbergs zustande. Praktischer deutschen Ingenieurs und Unternehmer Hans Grade (1879-1946) ab 1908 Nebeneffekt war, dass Nebel damit auch Geld ver- gebaute Maschine gilt als das erste wirklich flugfähige deutsche Motorflug- diente. Dieses investierte er sogleich in einen Bauplan zeug. Die Konstruktion des Flugzeuges ging auf den Brasilianischen Mo- torflugpionier Alberto Santos Dumont zurück (www.wikipedia.org; Aufruf für ein Flugzeug. vom 11.11.2019). Am 17. Juli 1912 war es so weit. Die „Libelle“ 15, 16 Montage und Flugübungen erfolgten auf dem Exerzierplatz des 14. Infante- Nebels selbst gebautes Flugzeug erhob sich erstmals rie-Regiments in Hainberg bei Nürnberg (Nebel, a. a. O., S. 28). 17 Nebel, a. a. O., S. 30. 16 aus eigener Kraft vom Boden. Pilot war natürlich 18 Quelle für die nachfolgenden biografischen Angaben: Nebel, a. a. O., Rudolf Nebel selbst. Den offiziellen Pilotenschein S. 32 ff.

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Abb. 1: Das Geburtshaus von Rudolf Nebel, Marktplatz 6 (Bild- mitte), in einer Aufnahme um 1890. Die Aufschrift („BRAUEREI C. AUERNHEIMER“) an der Fassa- de bezeichnet die ehemalige Brauerei und Gastwirtschaft „Zum Goldenen Greifen“ – beides wurde zum 28. März 1893 eingestellt.

Als Maschinenbau-Student war er gerade im vierten Semester an der Technischen Hochschule München, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Der Offiziersanwärter Abb. 2: Anzeige zu Ernst Staudingers „Spezialgeschäft“ und Pilot kam aber nicht etwa zur Fliegertruppe, son- im „Adreß- und Geschäftshandbuch“ von 1906. dern zur Infanterie an die Front nach Lothringen. 19 Das Flugzeug galt, im Gegensatz zum Luftschiff, eher als technische Spie- Die militärische Bedeutung von Flugzeugen wurde lerei. Anders in Frankreich, wo deren Wert zur Artilleriebeobachtung oder in Deutschland zu Beginn des Krieges nicht erkannt, Gefechtsaufklärung frühzeitig erkannt und wo daher auch frühzeitig und die Ausstattung der wenigen fliegenden Einheiten mit zielstrebig mit dem Ausbau einer Luftstreitmacht begonnen wurde (vgl. Hans Schmidt, Föderalismus und Zentralismus im Deutschen Heerwesen des Kai- tauglichen Maschinen daher auch sträflich vernachläs- serreichs. Die Königlich-Bayerische Fliegertruppe 1912-1919, in: Zeitschr. sigt.19 f. bayer. Landesgeschichte Bd. 52, München 1989, Heft 1, S. 107-130.

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Im Mai 1915 überlebte Nebel einen der ersten Gasan- Nebel schoss sich nämlich bei seinem nächsten Einsatz griffe bei Arras 20 und wurde mit dem Eisernen Kreuz selbst damit ab. Die Rakete löste sich nicht aus der Hal- II. Klasse ausgezeichnet. Durch Zufall kam er mit dem terung und explodierte deshalb unter der Tragfläche. Kommandeur einer bei Arras liegenden Feldfliegerab- Die Maschine stürzte ab und Nebel konnte gerade noch teilung ins Gespräch. Da die Bedeutung des Flugzeu- aus dem brennenden Wrack geborgen werden. Er er- ges nun auch von den deutschen Militärs eingesehen hielt für seine Luftsiege das „Eiserne Kreuz I. Klasse“. wurde, war der Weg für Rudolf Nebel vom Grabenkrie- Weitere Einsätze oder Experimente wurden ihm von ger zum Jagdflieger frei. Am 27. Januar 1916 wurde er höchster Stelle jedoch untersagt. Mit dem im Zweiten an die Fliegerersatzabteilung nach Schleißheim (vgl. Weltkrieg zu einer gewissen Berühmtheit gelangten Abb. 3) bei München abkommandiert, zum Jagdflieger „Nebelwerfer“ 23 hat Rudolf Nebel – auch wenn ihm ausgebildet, im August 1916 als „frontreif“ von der wegen der Namensübereinstimmung die Erfindung die- Ausbildung entlassen und zur Jagdstaffel 5 komman- ser Waffe immer wieder zuschrieben wird – definitiv diert. Einer seiner Staffelkameraden war der spätere nichts zu tun.24 Reichsmarschall Hermann Göring 21. Das Kriegsende erlebte Nebel in Nürnberg. Nach Er- halt seines Demobilmachungsbefehls setzte er ab De- Signalraketen und „Nebelwerfer“ zember 1918 sein Studium an der Technischen Hoch- Nach einem misslungenem Luftkampf im Dezember schule in München fort und legte im März 1919 auch 1916 in der Nähe von Cambrai 22 – Nebel wurde von sein Vorexamen ab. einem Engländer abgeschossen – hatte der Flieger an- schließend im Lazarett Zeit, sich über die lebensgefähr- 20 Stadt in Nordfrankreich mit flämischen Stadtbild, Verwaltungssitz des Dé- partements Pas-de-Calais (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). liche Kurbelei mit dem Gegner Gedanken zu machen. 21 Hermann Göring (1893-1946), Reichsmarschall und Ministerpräsident, im Vor allem die Nähe zum feindlichen Flugzeug (Luft- Ersten Weltkrieg letzter Kommandeur des Jagdgeschwaders Richthofen; vgl. kämpfe spielten sich meist in einer Entfernung um die Hermann Weiß (Hrsg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frank- furt a. M. 2002, S. 156 ff. 30 m ab) machte ihm Sorgen. Nebel sann also folge- 22 Cambrai, Stadt im Nordosten Frankreichs, nahe der belgischen Grenze richtig nach Möglichkeiten, den Gegner aus größeren (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). Distanzen erfolgreich zu bekämpfen. Er kam auf die 23 „Nebelwerfer“: Raketenwerfer mit dem Kaliber 15 cm, 21cm und 30 cm. Idee, an seinem Flugzeug Signalraketen zu installieren, Die Entstehung des „Nebelwerfers“ geht auf General Walter Dornberger (1895-1980) zurück. Die Bezeichnung selbst war eine in der Entwicklung von die er vom Sitz aus elektrisch zünden konnte. Tatsäch- Waffen übliche Tarnbezeichnung und hat ihren Ursprung in der starken Rauch- lich funktionierte die simple Einrichtung zunächst ganz spur der Schwarzpulverraketen (vgl. Fritz Hahn, Waffen und Geheimwaffen gut. Nebel schoss damit auf eine Distanz von ca.100 m des deutschen Heeres 1933-1945, Band 1, 3. Aufl., Bonn 1998, S. 22). 24 Hintergrund ist wohl die Tatsache, dass seine Signalraketen-Versuche von einen Engländer ab und zwang eine zweite (unbeschä- seiner Flugzeugstaffel im Ersten Weltkrieg als „Nebelwerfer“ bezeichnet digte) Maschine mit einem völlig verschreckten Piloten wurden (www.deutsche-biographie.de; Aufruf vom 11.11.2019). Ob ihm zur Landung. Der Weißenburger hatte so im Prinzip die selbst die Gefahr einer Verwechslung mit den späteren Raketenwerfern (vgl. Anm. 23) bewusst war, lässt sich ohne tiefergehende Recherchen nicht klä- erste „Luft-Luft-Rakete“ erfunden, installiert und er- ren. Jedenfalls wurde er in seinen Vorträgen vereinzelt auch als Erfinder der folgreich eingesetzt. Die Sache hatte nur einen Haken. Nebelwerfer angekündigt (vgl. Anm. 88).

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Abb. 3: Rudolf Nebel in Weißenburg. Dieses Foto hat Rudolf Nebel seiner Neujahrsglückwunschkarte 1978 an Oberbürgermeister Dr. Günter W. Zwanzig beigefügt. Es zeigt ihn vor einer Militärmaschine, mit der er am 16. Mai 1916 auf dem Flug von Schleißheim nach Nürnberg und zurück in seiner Vaterstadt (an der Hagenau) zwischengelandet war. Im Hintergrund, so hat Rudolf Nebel ergänzt, sind „Großvater Staudinger und Inkel und Tante Staudinger in Weißenburg“ zu sehen.

In den Wirren der Münchner Nachkriegszeit, er war 25 Eine Abordnung des Corps war bei Nebels Beerdigung in Weißenburg. An- fragen des Verf. bei dem Corps zu Nebels Rolle in der Studentenverbindung mittlerweile Mitglied in der dortigen Studentenverbin- und im Heimatschutzbund blieben leider unbeantwortet. Er selbst gibt an, dung „Corps Cisaria“ 25 und hatte die Führung einer dass er „Chargierter“ der Cisaria geworden war und „für kurze Zeit die Füh- Gruppe des Münchner Heimatschutzbundes 26 über- rung einer Gruppe des Münchner Heimatschutzbundes übernehmen“ musste (Nebel, a. a. O., S. 43). nommen, wurde Nebel von den Kommunisten verhaf- Das „Corps Cisaria“ wurde 1851 in Augsburg gestiftet, wechselte 1853 tet. Er konnte jedoch mithilfe eines Kameraden aus nach München, wo es 1912 im „Weinheimer Senioren-Convent“ aufgegan- dem Gefängnis nach Nürnberg fliehen.27 Als sich die gen ist. Die 1935 aufgelöste Verbindung hat sich bereits 1944 (im Verborge- nen) wiedergegründet (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). Lage beruhigt hatte, kehrte er im Oktober 1919 nach 26 Die aus München geflohene bayer. Regierung Hoffmann rief nach den re- München zurück und legte sein Hauptexamen ab. volutionären Unruhen im April 1919 zur Bildung einer Einwohnerwehr in Die folgenden Jahre verbrachte Nebel als Ingenieur München auf, „zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“. Am bei Siemens in München (ab 1919) bzw. in Berlin (ab 27.06.1921 lösten sich die inzwischen zentral organisierten bayerischen Ein- wohnerwehren wieder auf (www.wikipeia.org/Einwohnerwehr; Aufruf vom 1927) und zwischendurch bei einer Deutsch-Schwedi- 11.11.2019). schen Kugellagergesellschaft (SKF-Norma GmbH), 27 Seine Verhaftung „als Geisel“ sah Nebel als Reaktion der Kommunisten auf die ein Ingenieurbüro in Nürnberg unterhielt.28 die Ermordung Kurt Eisners am 21.02.1919. Einem alten Bekannten aus der Militärzeit verdankte er seine Befreiung. „Unter Kohlen versteckt“ konnte Die Rakete jedoch ließ ihn nicht mehr los. So expe- er in einem Güterzug nach Nürnberg fliehen (Nebel, a. a. O., S. 44). rimentierte er nebenbei weiter mit Pulverraketen und 28 Nebel, a. a. O., S. 44.

9 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020 war sogar Teilhaber an einer Feuerwerksfabrik im säch- Nebels Rolle in dem UFA-Film „Frau im Mond” 32 sischen Pulsnitz (1923-1927).29 1928/1929 Die Werbewirksamkeit der Rakete wollte sich auch Raketenfieber eine Branche sichern, die mit Raketentechnik ursprüng- Im Deutschland der späten Zwanziger Jahre, und hier lich überhaupt nichts im Sinn hatte, nämlich die Film- vor allem in Berlin, herrschte ein regelrechtes Raketen- industrie. , der 1927 mit „Metropolis“ ein fieber. Zunächst war es noch ein recht wilder Haufen Meisterwerk der Filmkunst abgeliefert hatte (gleichzei- Einzelgänger, der zerstreut über das ganze Land mit tig aber die Produktionsfirma UFA 33 an den Rand des Feststoffraketen, also Schwarzpulverraketen, experi- Ruins brachte), musste auf Druck der UFA einen neuen mentierte. Bastler und Abenteurer, aber auch ausgebil- Sensationsfilm abliefern. Lang konnte das Filmunter- dete Techniker und Wissenschaftler montierten ihre nehmen schließlich von der Produktion eines Raum- Raketen an alles, was Räder, Tragflächen oder Kufen fahrtfilms überzeugen; der Regisseur hatte nämlich hatte (vgl. Abb. 4). Aber erst Opels spektakuläre Renn- Hermann Oberths 34 1923 erschienenes Buch „Die Ra- wagenvorführungen 30 lösten ein gewaltiges Medien- kete zu den Planetenräumen“ gelesen und war faszi- echo aus. niert von den technischen Möglichkeiten der Rakete. Jürgen Neffe 31 beschreibt in seiner Einstein-Biogra- Kurzentschlossen engagierte er und fie das Berliner Umfeld, in das Nebel nun eintauchte, folgendermaßen: „Der Starkult hat nun die gesamte 29 Walther Killy/Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Deutsche Biographische Enzyklo- Prominenz der Schauspieler, Schriftsteller und Musiker, pädie (DBE), Band 7, München 2001, S. 354. Sportler, Abenteurer und Technikpioniere erfasst. 30 Auf der Opel-Rennstrecke bei Rüsselsheim und dem Berliner Avus kam es zu spektakulären und gefährlichen Vorführungen mit Raketenautos durch Sechstagerennen und Autowettfahrten, Sportpalast, den Industriellen Fritz von Opel und den Österreicher Max Valier. Dabei Avus, Zeppelin und Flugzeug ... Die neue Freiheit hat wurden bereits Geschwindigkeiten von über 230 km/h erreicht. Die erste öf- die Republik und ihre Hauptstadt in ein Experimentier- fentliche Fahrt eines von Pulverraketen angetriebenen Raketenautos Marke Opel (Opel RAK. 1) fand am 12. April 1928 statt (www.wikipedia.org /Ra- feld der Künste und Vergnügungen verwandelt.“ ketenauto; Aufruf vom 11.11.2019). Nur dass eben zu Zeppelin und Flugzeug nun noch die 31 Jürgen Neffe, Einstein – eine Biographie, Reinbek bei Hamburg 2005, S. Rakete hinzukam. Die Rakete war laut, bot im Flug 308. 32 Der Science-Fiction-Film „Frau im Mond“ wurde 1928/1929 unter der oder auf der Straße – bedingt durch die enorme Rauch- Regie von Fritz Lang als einer der letzten deutschen Stummfilme nach der fahne – einen spektakulären Anblick und war dazu gleichnamigen Romanvorlage von Thea von Harbou gedreht (www.wikipe- auch noch gefährlich, da sie eine unberechenbare Flug- dia.org; Aufruf vom 11.11.2019). bahn hatte und hin und wieder explodierte. Die Rakete 33 Universum Film AG, kurz UFA, gegründet 1917, Filmunternehmen mit Hauptsitz im Potsdamer Stadtteil Babelsberg, heute Teil des Bertelsmann entpuppte sich plötzlich als ideales Werbemittel. Über- Medienkonzerns (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). all dort, wo die Flugkörper präsentiert wurden, sei es 34 Hermann Oberth (geb. 25.06.1894 in Hermannstadt (Siebenbürgen), gest. im Flug oder auch nur in Schaufenstern von Kaufhäu- 28.12.1989 in Nürnberg) gilt als einer der Begründer der modernen Raum- fahrt. Seine Dissertation „Die Rakete zu den Planetenräumen“ sorgte für sern, konnte sich der Veranstalter einer begeisterten Aufsehen und gilt als eines der Standardwerke aus den Anfangsjahren der Menge sicher sein. Raumfahrtentwicklung (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019).

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Abb. 4: Raketenfieber. Seine Leidenschaft für die Raketen- und Weltraumforschung karikierte Rudolf Nebel selbst mit dieser Weihnachtskarte.

dessen Assistenten Willy Ley 35 als technische Berater Rahmen von Brennversuchen ereignete sich eine Ex- des Films und löste damit – unbewusst – ein schon fast plosion, bei der Oberth an den Augen verletzt wurde. schicksalhaftes Zusammentreffen Oberths mit Rudolf Zwar konnte sein Augenlicht gerettet werden, die Stu- Nebel aus. dioleitung erkannte aber jetzt plötzlich, dass sie sich im Zunächst kamen Oberth und sein Team mit ihrer Ar- wahrsten Sinne des Wortes auf ein Spiel mit dem Feuer beit an einer Raketenattrappe für die Studioaufnahmen eingelassen hatte. Der Raketenstart durfte nun aus Si- ganz gut zurecht. Dann hatte jemand vonseiten der cherheitsgründen keinesfalls mehr in Babelsberg statt- UFA die Idee, zum Filmstart eine echte Rakete starten finden, sondern irgendwo weit weg, möglichst an der zu lassen, und Oberth – möglicherweise durch die fi- Ostseeküste. nanziellen Möglichkeiten der UFA geblendet – sagte Außerdem war es offensichtlich geworden, dass den Wünschen des Studios allzu leichtfertig zu. Doch Oberth die ihm gestellte Aufgabe nicht mehr alleine be- der geniale Theoretiker kam schnell an die Grenze des wältigen konnte. Über eine Zeitungsannonce 36 hoffte technisch Machbaren. Der Termindruck auf die Rake- 35 Willy Ley (1906 Berlin – 1969 New York), Wissenschaftspublizist (verein- tenbauer stieg immer stärker an – ausgelöst durch teil- zelt unter dem Pseudonym Robert Wiley), Raketenkonstrukteur und Mitbe- weise maßlos übertreibende Presseveröffentlichungen. gründer des Berliner Raketenflugplatzes (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). Anfang September 1929 kam es schließlich zu einem 36 Boris Rauschenbach, Hermann Oberth 1894–1989. Über die Erde hinaus. folgenschweren Zwischenfall auf dem Filmgelände. Im Eine Biographie, Wiesbaden 1995, S. 83 ff.

11 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020 die UFA Unterstützung für Oberth zu finden. Gemeldet einem Riesenkrach mit Oberth die Rakete und das hat sich daraufhin auch der Weißenburger Rudolf Startgestell wieder nach Babelsberg zurückgeschickt. Nebel. Er empfahl sich als erfahrener Jagdflieger mit Michael Neufeld dagegen kommt zu dem Schluss: „... 11 Abschüssen und vor allem mit seiner Erfahrung im Frustriert von den zahlreichen Fehlschlägen platzierte Umgang mit Raketen. Der selbstsicher und gewandt Nebel heimlich Sprengstoff in der Rakete, damit diese auftretende Ingenieur bekam den Zuschlag und wurde beim Start explodierte, was sie dann auch tat. Nebel Oberths Assistent.37 wusste, dass die Rakete niemals funktionieren würde, Zu diesem Zeitpunkt war ein Raketenstart zur Film- wollte aber den Vertrag mit der Ufa über den Raketen- premiere (15. Oktober 1929) – wie der Praktiker Nebel start erfüllen.“ 40 schnell erkannte – bereits nicht mehr zu schaffen. Im Die geplante Amerika-Premiere des Films kam indes Gegenteil. Völlig erschöpft und mit seinen Kräften am nicht mehr zustande. Der Tonfilm hatte Einzug im Ende wollte der resignierte Oberth die Arbeit an der Filmgeschäft gehalten. Fast über Nacht gehörte die Rakete einstellen. Die UFA befragte den inzwischen zu Stummfilmzeit samt ihrer Stars der Vergangenheit an. Oberths Assistenten aufgestiegenen Nebel, ob er die Nichtsdestotrotz wurde „Frau im Mond“ der erfolg- Rakete auch alleine bauen könne – und der bejahte dies reichste UFA-Stummfilm aller Zeiten.41 ohne zu zögern und machte sich als Erstes daran, sei- nen Chef von einem Erholungsurlaub in dessen Heimat Rumänien zu überzeugen.38 Der gutgläubige Oberth willigte also ein und verlor durch diesen geschickten 37 Nebel, a. a. O., S. 62 f. Schachzug Nebels jede Kontrolle und Einflussnahme 38 Dr. Michael J. Neufeld, Kurator für Geschichte des Zweiten Weltkrieges auf das UFA-Raketenprojekt. Zweifellos liegt hier auch beim National Air and Space Museum der Smithsonian Institution in Wa- der Ursprung des lebenslangen, teilweise erbittert ge- shington D.C. – er gilt als einer der führenden Experten in der Bewertung führten Streits der beiden Raketenforscher. der Geschichte der Technik im Dritten Reich – schreibt, dass Rudolf Nebel mehr ein Geschäftsmann und Künstler war als alles andere, und dass er sich Nun war es Nebel, der mit ständigen Problemen und aufgrund seines zwar tatkräftigen, aber skrupellosen Wesens immer wieder Explosionen zu kämpfen hatte. Erklärtes Ziel war mitt- durchsetzte (Michael J. Neufeld, Die Rakete und das Reich. Wernher von lerweile ein Raketenstart zur Amerika-Premiere des Braun, Peenemünde und der Beginn des Raketenzeitalters, Berlin 1999, S. 25). Films. Am 3. Dezember 1929 hatte Nebel die Rakete 39 Horst (Westpommern), heute Niechorze an der polnischen Ostseeküste schließlich so weit, dass der Start innerhalb von Tagen (www.pl-ostsee.de/Seebad Nichorze Horst; Aufruf vom 11.11.2019). möglich schien. Als Startplatz hatte er eine Lichtung in 40 Neufeld, a. a. O., S. 25. 39 41 Der 1,8 Millionen Mark teure Film spielte im wirtschaftlichen Krisenjahr der Nähe des Ostseebades Horst auserkoren. Oberth, 1929 sagenhafte 8 Millionen Mark ein. Er gilt als richtungsweisend für das mittlerweile aus dem Genesungsurlaub zurückgekehrt, Sience-Fiction-Genre – immerhin wurde der bis heute übliche Countdown erkannte seine Raketenkonstruktion nicht mehr wieder beim Start einer Rakete zu diesem Film erfunden. Der Film wurde nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus dem Vertrieb genommen und und lehnte jede weitere Verantwortung ab. die Nachbildung des Raumschiffes wurde von der Gestapo zerstört. Grund Über das folgende Geschehen im Seebad Horst gibt war die unglaublich realistische Darstellung des Raketenstarts und der es zwei Versionen. Nebel selbst schreibt, er habe nach Raketen selbst (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019).

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Nebels Raketenflugplatz 1930-1933. Geburt und Ende eines Mythos Die Gruppe der „Raketenbastler“ um Rudolf Nebel, der übrigens (anders als Oberth) ohne großen Schaden an Vermögen und Ansehen aus dem UFA-Desaster he- rauskam, hatte sich zwischenzeitlich erheblich vergrö- ßert. In der Endphase der Arbeiten am UFA-Film war z. B. der junge Student 42 zu Rudolf Nebel gestoßen. Das Verhältnis der höchst unterschied- lichen Charaktere von Braun und Nebel sollte nicht ohne ernste Spannungen bleiben. Zunächst jedoch fand in diesen Wochen und Monaten (Jahreswende 1929/1930) eine bemerkenswerte und wichtige Veränderung in der deutschen Raketenfor- schung statt. Durch die Konzentration von Mitarbeitern (Bastler, Handwerker, Techniker und Forscher) um eine Person (Nebel) wurde der Schritt von einer individu- ellen und damit langwierigen Forschung hin zur effi- zienten Teamarbeit vollzogen. Logische Folge dieser Zusammenballung geistiger und technischer Kräfte war die dringliche Notwendigkeit eines gemeinsamen For- Abb. 5: Philatelistischer Erinnerungsbrief schungsgeländes. Rudolf Nebel fand dieses schließlich (Europäischer Bund Freier Philatelisten) in einem ehemaligen Schießplatz im Berliner Stadtbe- zum 70. Geburtstag von Rudolf Nebel 1964, zirk Reinickendorf. Die auf dem Gelände vorhandenen mit Stempeln und Widmungen. Erwähnt wird auch Erdwälle und Betonbauten (im Ersten Weltkrieg war sein „1. Raketenflugplatz der Welt in Berlin-Reinickendorf“. dort Munition gelagert worden) erwiesen sich als ideal für die Forschergruppe. Am 27. September 1930 über- reichte ein Vertreter des Amtes für Liegenschaften – die 42 Wernher von Braun (geb. 23.03.1912 Wirsitz, gest. 16.06.1977 Alexandria symbolische Pacht betrug 10 RM – den Schlüssel für bei Washington), Ingenieur und Raumfahrtexperte, zunächst aktiv auf Nebels das Gelände an Rudolf Nebel. Wenig später erhielt das Raketenflugplatz in Tegel, dann Wechsel zur Raketenversuchsstelle Kum- mersdorf, 1934 Promotion und 1937 zum Leiter der Raketenentwicklung in Areal von Rudolf Nebel jenen Namen, der in die Ge- der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ernannt. Er war maßgeblich an der schichte der Raketentechnik und Raumfahrt eingehen Entwicklung der „V2“ beteiligt, 1940 Eintritt in die SS, bei Kriegsende sollte: „Raketenflugplatz Berlin“ (vgl. Abb. 5 und 6). Flucht nach Bayern und Verbringung nach Huntsville in das dortige US-Ra- ketenzentrum, 1955 Einbürgerung in die USA, ab 1960 maßgeblich am Mondflugprogramm Apollo beteiligt, ab 1970 Leiter der Planungsabteilung der NASA (Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, a. a. O., S. 59).

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Wie aus einer Abschrift 43 vom 12. Mai 1931 hervor- Frühjahr 1931 brach das Amt jeglichen Kontakt zu geht, war es die Abteilung für Ballistik und Munition Nebel vorerst ab.51 des Heereswaffenamtes (HWA) 44, das im Hintergrund Zwischenzeitliche Fortschritte machten die neue Ra- die Fäden um die Gründung des „Raketenflugplatzes“ keten-Technologie jedoch transparenter und ein funk- gezogen hat.45 Ein Interesse des HWA bzw. des Militärs tionierendes Triebwerk schien jetzt möglich. Prompt an der Raketenentwicklung war schon deshalb nahelie- bot das HWA Nebel Verhandlungen über einen gehei- gend, da man bei konventionellen Artilleriegeschützen men Raketenstart auf dem Truppenübungsplatz in mit dem „Paris-Geschütz“ 46 an der Grenze des Mach- Kummersdorf an (ca. 40 km südlich des Berliner Stadt- baren angelangt war. Was noch wichtiger war, Raketen zentrums). In seiner ihm eigenen Art versicherte Nebel und deren Entwicklung waren nicht vom „Versailler dem HWA, dass 8 km Steighöhe kein Problem und 3,5 Vertrag“ betroffen und unterlagen daher auch keiner km Steighöhe garantiert seien. Kontrolle durch die alliierten Siegermächte. Am Morgen des 22. Juni 1932 wurde, unter strikter Die Zusammenarbeit mit dem HWA sollte jedoch für Geheimhaltung, „ein merkwürdig aussehendes Ge- Nebel äußerst negativ verlaufen. Den Bestrebungen des rät“ 52 von Nebel und seinen Helfern, darunter auch Amtes, dass die Raketenforschung so geheim und Wernher von Braun, in Kummersdorf gezündet. diskret wie nur möglich behandelt wissen wollte, kam Rudolf Nebels „Unehrlichkeit, mangelnde Sachlich- 43 Neufeld, a. a. O., S. 27 („Notiz des Heereswaffenamtes der über die Versuche Rudolf Nebels“). keit, seine Neigung sensationslüsterne Artikel zu ver- 44 Das Heereswaffenamt (HWA) wurde am 08.11.1919 als „Waffenamt“ im fassen und seine unverfrorene Art der Selbstdar- Reichswehrministerium gegründet. Am 05.05.1940 erhielt es die Bezeich- stellung“ 47 nicht gerade entgegen. nung „Heereswaffenamt“ und war als solches für die technische Entwick- lung und Fertigung von Waffen, Munition und Gerät des deutschen Heeres Auf der Suche nach Geldgebern oder Sachspenden zuständig (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). schoss Nebel oft über das Ziel hinaus. Er suchte Mi- 45 „Durch die Fürsprache der Abt. 1 erhielt Herr Nebel das Gelände in Tegel, nisterien, wissenschaftliche Institutionen und Firmen was von ihm als Raketenflugplatz Berlin bezeichnet wird“ (Neufeld, a. a. O., 48 S. 27). auf. Möglicherweise, so Neufeld , hat er sich dabei 46 Deutsches Fernkampfgeschütz (Kaliber 21) der Firma Krupp mit einer au- auch Zugang zu den Büros von 49 und ßergewöhnlichen Reichweite von rund 130 km. Mit diesen Geschützen sol- Reichsinnenminister Severing50 verschafft. Nebel len zwischen März und August 1918 etwa 800 Granaten auf Paris abgefeuert kannte keine Grenzen, wenn es darum ging, „seinen worden sein (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). 47 Neufeld, a. a. O., S. 28. Raketenflugplatz“ bekannt zu machen. So schickte er 48 Neufeld, a. a. O., S. 26 z. B. einmal ein Telegramm an den sich in Deutschland 49 Albert Einstein (1879-1955), bedeutendster Physiker (Relativitätstheorie) aufhaltenden Automobilkönig Henry Ford mit dem In- des 20. Jh. (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). 50 Carl Severing (1875-1952), sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter halt: „anbiete erste fluessigkeitsrakete fuer fordmu- und preußischer Innenminister (Heinrich August Winkler, Deutsche Ge- seum. stopp. einlade zur besichtigung des ersten schichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Re- raketenflugplatzes in berlin-reinickendorf“. Als dann publik, Band 2, München 2000, S. 413). 51 Frank-Erhardt Rietz, Die Magdeburger Pilotenrakete 1933. Auf dem Weg auch noch ein französischer Bankier den Raketenflug- zur bemannten Raumfahrt? Halle 1998, S. 48 ff. platz besichtigte, war die Geduld im HWA zu Ende. Im 52 Neufeld, a. a. O., S. 35.

14 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Abb. 6: 40 Jahre Raketenflugplatz Berlin. Mit dieser Karte ehrte die Hermann-Obert-Gesellschaft e.V. (H.O.G.) im Jahr 1970 die Verdienste von Rudolf Nebel. Auf dem Bild sind u. a. die damaligen Pioniere (von links): Rudolf Nebel, Dr. Franz Hermann Ritter, Hans Beermül- ler, Kurt Heinisch, Klaus Riedel, Hermann Oberth und Wernher von Braun zu sehen. Natürlich wurde die Karte am 27. September abgestempelt und selbstverständlich „MIT RAKETE BEFÖRDERT“.

Die Aktion endete in einer Katastrophe, sowohl für den genannter Führerentscheid erklärte ausschließlich das Versuch als auch für Rudolf Nebel. Die Rakete er- HWA für Raketenforschung zuständig – endete die reichte gerade mal eine Höhe von 600 m bevor sie in Zeit der sogenannten freien Raketengruppen. Nebels eine nahezu vertikale Flugbahn überging und dann, ca. Versuch, seinen Raketenflugplatz als eigenständigen 1500 m vom Startplatz entfernt, auf dem Boden auf- Verein registrieren zu lassen, um ihn so am Leben zu schlug. Der Abschlussbericht des HWA fiel vernich- halten, scheiterte an einer dubiosen (vorgeschobenen) tend aus. „Es hat sich wiederum gezeigt, dass Nebel Wasserrechnung des Flugplatzes, für die niemand mehr unzuverlässig arbeitet und dass seinen Angaben mit aufkommen wollte. Das Ende der „Narren von Tegel“ größtem Misstrauen zu begegnen ist.“ 53 war damit offiziell besiegelt. Der Platz wurde im Juni Der misslungene Raketenstart war aber dennoch ein 1934 von den neuen Machthabern geschlossen.54 wichtiger Wendepunkt in der Raketenentwicklung. Von nun an übernahm das HWA nämlich selbst die Ent- wicklung von Flüssigkeitsraketen. Mit Wernher von Braun, der zum HWA wechselte und um den 1. Dezem- ber 1932 in Kummersdorf seine neue Arbeit aufnahm, verlor Rudolf Nebel seinen fähigsten Mitarbeiter. Nach 53 Neufeld, a. a. O., S. 35. der Machtübernahme der Nationalsozialisten – ein so- 54 Neufeld, a. a. O., S. 35 ff.

15 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Magdeburger Zwischenspiel 1932 Nebel wusste nur zu gut, dass eine Rakete dieser Grö- Die sogenannte „Magdeburger Pilotenrakete“ war Ru- ßenordnung niemals termingerecht fertiggestellt wer- dolf Nebels wohl abenteuerlichstes Projekt. den konnte. Die Magdeburger Pilotenrakete erwies sich Im August 1932 erschien der Magdeburger Ingenieur als gigantischer Flop. Als Glück für Nebel erwies sich Franz Mengering, der mit einer Rakete die sogenannte die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. „Hohlwelttheorie“ 55 beweisen wollte, bei Rudolf Ne- Magdeburgs OB Ernst Reuter wurde am 11. März 1933 bel in Berlin. Dieser war nicht etwa verschreckt von in ein Konzentrationslager gesteckt und der Magistrat dem Unsinn. Er setzte Mengering nicht vor die Tür, gleichgeschaltet. Das Projekt der Magdeburger Pilo- sondern erkannte eine neue Möglichkeit, Geldmittel für tenrakete ging im Strudel der braunen Machtübernah- seine Ideen flüssig zu machen. Zusammen mit Menge- me unter und auch diesmal kam Nebel wieder unbe- ring gelang es Nebel tatsächlich, die Magdeburger von schadet aus der von ihm verschuldeten Misere heraus.57 ihrem utopischen Vorhaben zu überzeugen. Sie appel- lierten an den Stolz der Magdeburger und an die Mög- Röhm-Putsch 1934. Die Nacht der langen Messer lichkeit aus dem übermächtigen Schatten und wieder einmal davongekommen herauszutreten. Gleichzeitig brächte der Start natürlich Ab 1933 waren Raketentechnik und -entwicklung auf- immense Vorteile für das Magdeburger Geschäftsleben. grund verschiedener Verordnungen und Zensurbestim- Geschickt von Nebel eingestreute Bemerkungen, wie mungen aus den Zeitungen und damit auch aus dem z. B.: „die Rakete in Dresden, Hamburg oder gar Ame- Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Für den rika starten lassen“, taten schließlich ihr Übriges. Der Raketenforscher Nebel, der die Öffentlichkeit für seine Magdeburger Magistrat unter Leitung von Oberbürger- Arbeit dringend brauchte, war diese Entwicklung na- meister Ernst Reuter 56 bewilligte eine Summe von türlich verhängnisvoll. Also versuchte er seine Bezie- 35.000 RM. Ein entsprechender Vertrag wurde aufge- hungen zum Reichsarbeitsminister und Stahlhelm- setzt und an Pfingsten 1933 sollte der Start sein. Rudolf führer Franz Seldte 58 spielen zu lassen. Nebel verpflichtete sich, eine bemannte Rakete zu 55 Der Magdeburger Ingenieur Franz Mengering (1877-1957) war Anhänger bauen und diese, samt Piloten, im Frühjahr 1933 vom eines Weltbildes, das besagte, dass die Menschen im Inneren einer Hohlkugel leben. Prophet dieser Lehre in Deutschland war ein gewisser Karl E. Neu- Magdeburger Flughafen aus starten zu lassen. In einer pert. Die Theorie geht zurück auf den amerikanischen Alchimisten Cyrus Höhe von 1000 m sollte der Pilot dann mittels Fall- Ray Teed, der im Jahre 1869 eine entsprechende Vision gehabt haben wollte. schirm abspringen; ein zweiter Fallschirm hätte die Ra- Mit dem Raketenstart wollte Mengering die Theorie bestätigen (www.uni- magdburg.de/mbl/Biographien; Aufruf vom 11.11.2019; Rietz, a. a. O., S. 54). kete nach ihrem Weiterflug schließlich sicher wieder 56 Ernst Reuter (1889-1953), deutscher Politiker (SPD) und Kommunalwissen- zur Erde bringen sollen. schaftler, Oberbürgermeister von (1931-1933) und Berlin (1948- Das Interesse der Öffentlichkeit war entsprechend 1953); (www. wikipedia org; Aufruf vom 11.11.2019). 57 Vgl. Nebel, a. a. O., S. 125 ff. groß. Die New Yorker Monatszeitschrift „Metal Indus- 58 Franz Seldte (1882-1947), Reichsarbeitsminister, Gründer und Führer des try“ erbat sich Informationen zu der Rakete, und „Fox „Stahlhelm“ (vgl. Anm. 59), 1933-1934 Reichskommissar für den freiwil- Tönende Wochenschau“ aus Berlin wollte sich die ligen Arbeitseinsatz, SA-Obergruppenführer, im Mai 1945 Reichsarbeitsmi- nister der Geschäftsführenden Regierung Dönitz in Flensburg (Biographi- Filmrechte sichern. sches Lexikon zum Dritten Reich, a. a. O., S. 427).

16 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Für Rudolf Nebel, der selbst Mitglied des „Stahl- auch Rudolf Nebel. Auch diesmal schaffte er es wieder, helm“59 war, sollte sich dies als eher unglücklicher mit heiler Haut davonzukommen. Ein Polizeioffizier 64, Schachzug herausstellen. Über Seldte wollte er an den der häufig Gast auf Nebels Raketenflugplatz gewesen Stabschef der SA, Ernst Röhm 60, herankommen. Ob war, erkannte ihn zufällig wieder und sorgte zunächst Nebel mit Röhm persönlich Kontakt hatte, ist nicht be- für eine Trennung von den anderen Häftlingen. Kurze kannt. Zumindest aber kam ein Treffen mit SA-Ober- Zeit später wurde Nebel aus der Haft entlassen. gruppenführer Fritz Ritter von Kraußer 61 zustande. 59 Der „Stahlhelm“ (Bund der Frontsoldaten) war ein paramilitärisch organi- Dieser versprach, sich bei Röhm für Nebel einzusetzen. sierter Wehrverband, der im Dezember 1918 gegründet wurde. Offiziell als Rudolf Nebel setzte vermutlich deshalb auf die SA- überparteilich geltend, trat der „Stahlhelm“ ab 1929 immer offener als re- Karte, weil der „Stahlhelm“ seit Mitte 1933 als ein NS- publik- und demokratiefeindlich auf. Nach der Machtergreifung erfolgte 1934 die freiwillige Gleichschaltung. Der „Stahlhelm“ galt allgemein als Frontkämpferverband gleichgeschaltet worden war und bewaffneter Arm der DNVP und war der stärkste paramilitärische Verband unter der Leitung der SA stand. Außerdem war sich der des Deutschen Reiches (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). Raketenforscher der wachsenden Feindschaft zwischen 60 Ernst Röhm (1887-1934), Stabschef der SA, Duzfreund Hitlers, Teilnehmer SA und Reichswehr mit Sicherheit bewusst. Wäre am Hitlerputsch 1923, Militärberater in Bolivien, am 01.07.1934 in Stadel- heim erschossen (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019).. Röhms Plan, die SA mit der Reichswehr zu einer 61 Friedrich Wilhelm Kraußer, ab 1917 Fritz Ritter von Kraußer (1888-1934), „braunen Armee“ zu vereinigen (oder diese zu erset- ab 1932 „Chef des Flugwesens der SA und SS“, ab 1933 SA-Obergruppen- zen) 62 aufgegangen, hätte Nebel automatisch auf der führer im Stabe des Obersten SA-Führers in München und Leiter des Füh- rungsamtes in der Obersten SA-Führung, Stellvertreter von Ernst Röhm richtigen Seite gestanden. (Erich Stockhorst, 5000 Köpfe. Wer war was im 3. Reich, Kiel 1998, S. 250, Es kam jedoch ganz anders. Rudolf Nebel, der sich und www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). der Unterstützung und des Schutzes durch die SA recht 62 Röhm sah in seiner SA das wichtigste bewaffnete Organ des Regimes und wollte die SA mit der Reichswehr zu einem nationalsozialistischen Volks- sicher war, ging wieder einmal an die Öffentlichkeit, heer, einer braunen Armee, vereinigen. Bei Hitler selbst und vor allem bei indem er ein Flugblatt mit dem Titel „Raketen-Torpe- den höheren Offizieren der Reichswehr stieß er mit dieser Absicht auf ener- dos“ drucken ließ. Die Flugblätter mit eindeutig mili- gischen Widerstand, was letztlich zum „Röhm-Putsch“ (vgl. Anm. 63) führte (vgl. Lexikon des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 221 f.). tärtechnischem Inhalt hätten zu keinem (für Nebel) 63 Die Führung der NSDAP nutzte im Juni 1934 einen angeblichen Putsch- ungünstigeren Zeitpunkt (Juni 1934) veröffentlicht versuch der SA, um gleichzeitig mit der Ermordung Röhms weitere hohe werden können. Die Spannungen zwischen der SA und SA-Führer und andere politische Gegner im ganzen Reich zu verhaften und zu ermorden. Dazu gehöre z. B. auch der gebürtige Weißenburger und ehe- der Reichswehr hatten gerade ihren Höhepunkt er- malige bayer. Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr (vgl. Reinhard reicht. Gezielt durch Göring und Himmler falsch infor- Schwirzer, Gustav Ritter von Kahr (1862-1934), seine Familie und Weißen- miert, ordnete und führte Hitler persönlich die Mord- burg. Vor 70 Jahren wurde der ehemalige bayer. Ministerpräsident ermordet, aktion gegen die in Bad Wiessee versammelte SA- in: „villa nostra“ 2/2004, S. 30-43). Die Ereignisse um den „Röhmputsch“ werden heute als Entscheidung im Spitze an. Die als sogenannte „Nacht der langen Mes- Machtkampf zwischen SA, SS und Reichswehr angesehen (Hilde Kammer/ ser“ in die Geschichte eingegangene Mordaktion war Elisabet Bartsch, Lexikon Nationalsozialismus. Begriffe, Organisationen und für die Nationalsozialisten eine willkommene Gelegen- Institutionen, Hamburg 1999, Seite 221 ff.). 64 Nebel wurde laut eigenen Angaben von zwei Gestapoleuten in seinem Büro heit, mit misslebigen Gegnern abzurechnen. Zu den verhaftet und in das Gestapoquartier in der Prinz-Albrecht-Straße verbracht Opfern des sogenannten „Röhm-Putsches“ 63 zählte (Nebel, a. a. O., S. 139).

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1934-1943: Kein Weg nach Peenemünde Rudolf Nebel verschwand die nächsten Jahre in einer Rudolf Nebel schreibt selbst, dass er nach 1934 uner- militärtechnischen Bedeutungslosigkeit. Er kehrte zu- müdlich versuchte, eine Chance zu bekommen, um im nächst zu Siemens zurück und betrieb dann (ab 1937) NS-Staat noch an Raketen arbeiten zu können. Alle zusammen mit Karl Saur 73 ein selbstständiges Inge- seine Bemühungen scheiterten jedoch. Um seinen Le- nieurbüro in Berlin-Wilmersdorf. Er widmete sich so bensunterhalt zu verdienen, nahm er im Juni 1935 eine wichtigen Erfindungen wie z. B. aufblasbaren Wasser- Stelle als Konstrukteur bei Siemens in Berlin an.65 skiern oder elektrischen Eierkochern.74 Selbst als der Nebel war daneben noch, zusammen mit Klaus Rie- Zweite Weltkrieg ausbrach, hatte man für den jetzt del 66, einem Freund und Konstrukteur aus alten „Ra- 45-jährigen ehemaligen Jagdflieger keine Verwendung. ketenflugplatz“-Tagen, Inhaber des Deutschen Reichs- patentes 633 667 für einen „Rückstoßmotor für flüssige 65 Nebel, a. a. O., S. 141. 66 Klaus Riedel (1907-1944), Raketenkonstrukteur und Mitbegründer des „Ra- 67 Treibstoffe“. Wieder ging Nebel an die Öffentlichkeit. ketenflugplatzes“ bei Berlin (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). 1936 wandte er sich mit seinem Patent und verschie- Anders als Nebel wurde Riedel in die weiteren Raketenforschungen in Kum- denen Flugblättern, die ihn als verfolgten und verkann- mersdorf einbezogen (Neufeld, a. a. O., S. 50). 67 Reichspatentamt Patentschrift Nr. 633-667 Klasse 46g Gruppe 1, Dipl. Ing. ten Erfinder darstellten, an verschiedene Ämter und Rudolf Nebel in Berlin-Wilmersdorf und Klaus Riedel in Berlin-Halensee, Einrichtungen der NSDAP.68 Tatsächlich gewann er die Rückstoßmotor für flüssige Treibstoffe. Unterstützung von Fritz Todt 69, dem späteren Reichs- 68 Neufeld, a. a. O., S. 46. 69 Dr. Fritz Todt (1891-1942),1933 Generalinspektor für das deutsche Straßen- minister für Bewaffnung und Munition. Dieser promi- wesen, 1938 Generalbevollmächtigter für die Regelung der Bauwirtschaft, nenten und einflussreichen Unterstützung hatte es Ne- Gründer der paramilitärischen „Organisation Todt“ (Westwall), SA-Ober- bel zu verdanken, dass das Heer ihm und Riedel das gruppenführer und Generalmajor der Luftwaffe (Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, a. a. O., S. 461 f.). Patent für 75.000 RM abkaufte. In dem Juli 1937 ab- 70 Um den ungeliebten Nebel auszuschalten, stimmte das Heer zu, den beiden geschlossenen Vertrag musste sich Nebel zur Geheim- Männern für 75.000 RM das Patent abzukaufen (Neufeld, a. a. O., S. 142). haltung verpflichten – und wurde damit gleichzeitig 71 Rund um das Fischerdorf Peenemünde (Halbinsel Usedom) baute das HWA offiziell von der Raketenforschung ausgeschlossen.70 1936 unter Leitung von General Dornberger und Wernher von Braun die Ra- ketenversuchsanstalt auf. Hier wurde die „Fernrakete A-4“ („V2“) entwi- Besonders bitter für Rudolf Nebel dürfte es gewesen ckelt, aber auch an anderen Raketenprojekten gearbeitet. Als britische sein, dass fast alle seine Kollegen und Mitstreiter aus Bomber (Unternehmen „Hydra“) vom 17. auf den 18.08.1943 große Teile alten Raketenflugplatz-Tagen nach und nach den Weg der Raketenversuchsanstalt zerstörten, wurde die Fertigung „unter Tage“ in den Harz („Mittelbau“) verlegt (Reinhard Barth/Friedemann Bedürftig, Ta- über Kummersdorf zum Raketenversuchsgelände in schenlexikon Zweiter Weltkrieg, München 2000, S. 311 ff.). Peenemünde 71 gefunden hatten. Nicht nur aus Nebels 72 Oberth wurde 1941 auf persönliche Initiative von Brauns unter einem Deck- Umfeld bei Siemens kamen Kollegen in Peenemünde namen („Fritz Hann“) nach Peenemünde gebracht. Dort arbeitete er an der zweistufigen Fernrakete „Aggregat 9/10“ sowie an Flugabwehrraketen. Für unter, selbst Hermann Oberth wurde auf Initiative von Nebel konnte (oder wollte?) von Braun nichts unternehmen (Bernd Henze, Wernher von Brauns nach Peenemünde geholt. Zwar Hermann Oberth – Vater der Raumfahrt, Nürnberg/Feucht, S. 28 f.). nicht direkt an den Entwicklungsarbeiten der „V2“ be- 73 Karl Saur (1902-1966), Bauingenieur (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). teiligt, konnte Oberth sich doch zumindest mit anderen 74 Undatierte Aufzeichnung von Rudolf Nebel über seine nicht ausgewerteten Raketenprojekten 72 befassen. Erfindungen (Deutsches Museum, NL 162).

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Abb. 7: Rudolf-Nebel-Straße. Aufgeschreckt durch einen Zeitungsbericht („Weißenburger Nach- richten“ vom 21./22. März 1964) zum 70. Geburtstag von Rudolf Nebel mit der Schlagzeile „Weißenburger Weltraum-Pionier“ reist der damalige OB Dr. Horst Lenz an eben diesem 21. März nach Düs- seldorf, um ihm „die Glückwünsche der Stadt Weißenburg i. Bay. unter Überreichung von Blumen persönlich zu übermitteln“. Im Stadtrat muss Lenz anschließend einräumen, dass er ihm dabei eine Ehrung in Aussicht gestellt hat. Eine Verleihung der Goldenen Bürgermedaille oder des Ehrenbürgerrechts scheiden nach den ent- sprechenden Satzungen aus, weil sich die zugrundeliegenden Ver- dienste auf die Stadt Weißenburg beziehen müssen. Also macht man Nebel die Widmung einer Straße schmackhaft. „Herr Dipl.-Ing. Nebel ist mit dieser Ehrung vollauf einverstanden“, berichtet Lenz erleich- tert dem Stadtrat am 6. Mai 1964. Dann macht man sich auf die Suche nach einer geeigneten Straße und findet mit der „Wiesenstraße“ und „Am langen Wiesenweg“ zwei „Straßenbenennungen gleicher Art“. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, beschließt der Stadtrat am 11. März 1965, den „Langen Wiesenweg“ in „Rudolf-Nebel-Straße“ umzubenennen. Die „Einweihung“ der Straße erfolgt in Anwesenheit Nebels am 12. Mai 1965. Im ausführlichen Pressebericht („Weißenburger Nachrichten“ vom 15. Mai 1965) wird sowohl eine anerkennende Glückwunschadresse von Wernher von Braun an Nebel wie auch ein Telegramm der Ge- sellschaft für Weltraumforschung in Düsseldorf an OB Lenz erwähnt, in dem Rudolf Nebel als ein „bedeutender Vorkämpfer der Raketen- technik“ gewürdigt wird. Das berüchtigte „Mittelwerk“ und „Mittelbau-Dora“ Bei einem Luftangriff auf Berlin am 23. November geholt – verschaffte ihm einen Rüstungsauftrag im so- 1943 wurde auch Nebels und Saurs Konstruktionsbüro genannten „Mittelwerk“.75 zerstört. Die beiden verlegten ihre Firma daraufhin 75 „Mittelwerk“ war die Bezeichnung für den unterirdischen Rüstungsbetrieb nach Bad Wilsnack an der Elbe. im Kohnstein. „Mittelbau-Dora“ dagegen die Bezeichnung für das von der Wenige Monate vorher begannen auch die ersten al- SS in unmittelbarer Nähe zum „Mittelwerk“ angelegte Konzentrationslager. Im Sommer 1943 als Außenlager von Buchenwald gegründet, wurde es im liierten Luftangriffe auf Peenemünde. Mit der daraus Oktober 1944 zum selbstständigen „Konzentrationslager Mittelbau“ erho- folgenden Untertage-Verlagerung der Raketenproduk- ben. Im Frühjahr 1945 erstreckte sich ein dichtes Netz von rund 40 Einzel- tion in den im Harz gelegenen Kohnstein tauchte auch lagern um den Kohnstein. Der langjährige Vorsitzende des internationalen Auschwitz-Komitees, Hans Frankenthal, schrieb kurz vor seinem Tod: „War Rudolf Nebel wieder im Dunstkreis der deutschen Ra- Auschwitz die heiße Hölle gewesen, so war Dora die kalte Hölle“ (aus einem ketenforschung auf. Sein alter Freund Klaus Riedel – Beitrag von Jens-Christian Wagner, dem Leiter der Gedenkstätte Mittelbau- von Wernher von Braun ebenfalls nach Peenemünde Dora, für „DIE ZEIT“, Nr. 4 vom 20.01.2005).

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In seiner Biografie „Die Narren von Tegel“ schreibt Nebel selbst, dass er und Saur den Auftrag bekamen, 76 Nebel, a. a. O., S. 152 ff. Eine Beschreibung der mit Saur schon ab 1937 ge- meinsam entwickelten „Automaten“ liefert er auf S. 147 f. im Mittelwerk 20 Fertigungsmaschinen („Automati- 77 „V1“ (Vergeltungswaffe 1), auch als „Kirschkern“ oder „FZG 76“ bezeich- 76 sche Arbeiter“) zu bauen. Die Maschinen soll- net, unbemannter Flugkörper, der einen 850 kg schweren Gefechtskopf bis ten bei der Fertigung von Rudermaschinen für die zu 370 km weit tragen konnte. Von dem bis zu 640 km/h schnellen Flugkör- 77 per wurden 30.329 Exemplare gebaut. „V1“ verwendet werden. Zu diesem Zweck bezog er „V2“ (Vergeltungswaffe 2), ballistische Fernrakete A-4 (Aggregat 4), die in Halle 40 der unterirdischen Rüstungsfabrik ein Büro. vier Tonnen schwere Rakete flog im Überschallbereich in einer Höhe von Wie er selbst zugab, arbeiteten dort unter seiner Lei- 29 km und trug einen 1t schweren Gefechtskopf. Mit dem ersten geglückten Probeflug am 03.10.1942 wurde das Tor zum Weltraum aufgestoßen (Lexi- tung ca. 100 Häftlinge aus dem Lager „Dora“ rund um kon Zweiter Weltkrieg, a. a. O., S. 408 f.). die Uhr an der Montage seiner Automaten. Dass die Nebel schreibt ausdrücklich, er hätte Teile für die „V1“ hergestellt (Nebel, Häftlinge im „Mittelwerk“ Unvorstellbares erdulden a. a. O., S. 151). Bornemann (Manfred Bornemann, Geheimprojekt Mittel- bau: vom zentralen Öllager des Deutschen Reiches zur grössten Raketenfa- mussten, erfährt man in Nebels biografischem Werk al- brik im Zweiten Weltkrieg. 2. Aufl., München 1994, S. 113) erwähnt jedoch lerdings nicht.78 Umso deutlicher spürt man dafür die Nebel nur in Verbindung mit der „V2“. Begeisterung des Autors über die „utopisch wirkenden 78 Kein Wort steht da über die Tausende zu lesen, die sich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode schuften mussten – im Sprachgebrauch der SS nannte Fertigungshallen“ und die „größte unterirdische Fa- sich dass dann: „Vernichtung durch Arbeit“ (vgl. Manfred Grieger, „Ver- brik der Welt“. Nebenbei bemerkt er dann, dass zum nichtung durch Arbeit“ in der deutschen Rüstungsindustrie, in: Vernichtung Höhepunkt der Produktion 42.000 KZ-Häftlinge unter durch Fortschritt am Beispiel der Raketenproduktion im Konzentrationslager Mittelbau, hrsg. von Torsten Hess und Thomas A. Seidel, Berlin/Bonn 1995, „schwierigsten Bedingungen“ in „Tag- und Nacht- S. 43-60). Leider erfährt man auch nichts über die unglaublichen hygieni- schichten arbeiteten“.79 Nebel selbst hatte „praktisch schen Zustände in den Stollen, die Prügelstrafen, die Exekutionen in den nie Kontakt“ mit den Häftlingen, merkwürdig, wenn Stollen, um Saboteure abzuschrecken, und die Todesmärsche der Häftlinge nach Aufgabe der Produktion. man bedenkt, dass unter seiner Aufsicht 100 Häftlinge Die Zustände im „Mittelwerk“ und „Mittelbau“ werden ausführlich be- ständig an der Montage der Automaten arbeiteten.80 schrieben in der Schriftenreihe der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Dort finden sich auch Erlebnisberichte überlebender Häftlinge, die für die deut- schen Ingenieure Zwangsarbeit leisten mussten (vgl. Leon E. Halkin, Als Im Dienste der sowjetischen Raketenforschung Zwangsarbeiter im KZ Mittelbau-Dora zu den Existenz- und Arbeitsbedin- Am späten Nachmittag des 11. April 1945 betrat der gungen der KZ-Häftlinge aus der Sicht eines Überlebenden, in: Zwangsar- erste US-Soldat das „Mittelwerk“. Wenige Tage vorher, beit und die Unterirdische Verlagerung von Rüstungsindustrie. Vorträge, Berlin/Bonn 1994, S. 50-52). am 5. April, hatten ca. 500 führende Raketenspezialis- 79 Nebel, a. a. O., S. 152. ten den Befehl erhalten, sich nach Oberbayern abzu- 80 Nebels Tätigkeit im bzw. für das „Mittelwerk“ ist auch belegt durch seinen setzen. „Keinen Befehl erhielten Dr. Alfred Buch, Dr. Nachlass im Deutschen Museum in München (NL 162 Nebel, Rudolf). 81 81 Am 5. April 1945 wurde den Direktoren der Rüstungsbetriebe und den Of- Kurt Kettler, Rudolf Nebel und Karl Wilhelm Neu“. fizieren der entsprechenden Stäbe durch den berüchtigten SS-Gruppenführer Wieder einmal gehörte der Weißenburger Raketenfor- Dr. Hans Kammler der Befehl übermittelt, den „Mittelraum“ in Richtung scher also nicht zur ersten Garnitur. Oberbayern zu verlassen. Der Befehl ging unter anderem an: von Braun, Albin Sawatzki, Arthur Rudolph und Dr. Walter Dornberger. Manfred Bor- Nachdem sich die „Raketen-Elite“ nach Oberbayern nemann beschreibt detailliert die Flucht der Wissenschaftler nach Oberbay- abgesetzt hatte, verließ Nebel das „Mittelwerk“ in ern. Dabei erwähnt er ausdrücklich, dass Rudolf Nebel diesen Befehl nicht Richtung Bad Wilsnack. Dort will er nach eigenen An- erhielt (Bornemann, a. a. O., Seite 148).

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Abb. 8: Postrakete. Philatelistische Erinnerungskarte mit Stempeln zu Nebels Versuch einer Postrakete von Eichstätt nach Weißenburg, 1964. (Privatbesitz) gaben am 2. Mai 1945, unter starkem Beschuss der ja behauptet, er hätte wertvolle Papiere aus dem „Mit- Waffen-SS, auf dem Kirchturm eine weiße Fahne ge- telwerk“ gerettet.85 Niemals hätte er aber dann der im hisst haben, um den Ort kampflos an die anrückenden 82 Nebel, a. a. O., S. 153. Russen zu übergeben. Aber weder in der Bad Wilsna- Nebel wurde nach eigener Aussage vom russischen Kampfkommandanten kurzerhand zum Bürgermeister erklärt. An langen Schachabenden mit dem cker Ortschronik („Entwicklung der Stadt nach 1945“) russischen Ortskommandanten Maximow will es ihm sogar gelungen sein, noch in der örtlichen Schulchronik taucht im Zusam- angeblich wertvolle Raketenunterlagen zurückzuerhalten. In den vom Bür- menhang mit den Vorfällen am 2. Mai 1945 der Name germeister der Stadt Bad Wilsnack dem Verf. zur Verfügung gestellten Ko- Rudolf Nebel auf.82 pien der Orts- und Schulchronik findet sich dazu keine Bestätigung. 83 „Als Raketenforscher in sowjetischen Diensten 1945-1948“ – aus: Lebens- Weiter erklärt er, dass er bis 1947 im Dienste der lauf (Kopie) im Nachlass Nebel (Deutsches Museum, NL 162, Nr. 024). sowjetischen Raketenforschung tätig war.83 Nachdem 84 Vgl. z. B. Ulrich Albrecht/Andreas Heinemann-Grüder/Arend Wellmann, Briten und Amerikaner im Rahmen von Geheimopera- Die Spezialisten. Deutsche Naturwissenschaftler und Techniker in der Sow- jetunion nach 1945, Berlin 1992. tionen die Masse der deutschen Raketenfachleute für 85 „Als Spezialist für die V2 Waffe habe ich Unterlagen, sowohl an Modellen ihre Zwecke vereinnahmt hatten, waren die Sowjets na- wie an Zeichnungen in meinem Büro gehabt. Die Russen haben diese Dinge türlich an jedem übriggebliebenen Fachmann interes- nach ihrem Einmarsch beschlagnahmt und abtransportiert.“ Vom Sozialamt der Gemeinde Anröchte in Westfalen, wo Nebel ab 1947 siert. Auch hier ist es wieder sonderbar, dass der Name wohnte, erhielt das Stadtarchiv Weißenburg mehrere Ablichtungen zu Rudolf Rudolf Nebel in keinem der Standardwerke über deut- Nebel (StadtA Wßbg., Slg. I.10.30/Rudolf Nebel). Darunter befand sich auch sche Fachleute in der sowjetischen Rüstungsindustrie die Kopie einer beglaubigten Abschrift (Nr. 533 der Urkundenrolle für 1953), aus der Nebels obiges Zitat hervorgeht. auftaucht.84 Dies ist um so merkwürdiger, zumal Nebel

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Oktober 1946 durchgeführten Verschleppungsaktion seine Attacken dennoch wiederholte, eskalierte der der Russen 86 entgehen können, bei der ca. 2.300 Spe- Streit. Von Braun äußerte über Nebel: „Das Patent Ne- zialisten aus dem Bereich Elektronik, Flugzeugtechnik bels entsprach etwa einem Patent für einen Papierdra- und Raketentechnik zur Arbeit in die Sowjetunion ver- chen, dessen Erfinder für sich in Anspruch nimmt, schleppt wurden und erst Jahre später zurückkehrten. Schöpfer der modernen Großflugzeuge zu sein. Nebel Rudolf Nebel jedoch ist aus der Sowjetischen Besat- hat auch nie eine Fernrakete und nie eine Rakete mit zungszone erst 1947 „bei Nacht und Nebel“ geflohen.87 irgendeiner Steuerung gebaut.“ Von Braun wurde noch deutlicher, als er Nebel einen „ungewöhnlich befähig- Schlammschlachten ten Geldschnorrer, der von Wissenschaft nichts und von Etwa ab 1950 zog Rudolf Nebel als Vortragsreisender Technik nur wenig verstand“, bezeichnete. Prompt in Sachen Raketentechnik und Raketengeschichte schoss Nebel zurück, indem er behauptete, „von Braun durch Deutschland, ausgestattet mit Dias, Filmen, Mo- dellen und einem unerschütterlichen Maß an Selbstbe- 86 Christoph Mick, Forschen für Stalin – Deutsche Fachleute in der sowjeti- „Vater schen Rüstungsindustrie 1945-1958, München 2000, Seite 80 ff. wusstsein – er ließ sich dabei wiederholt als Insgesamt wurden ca. 3.000 Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker und 88 oder Schöpfer der V2“ ankündigen. Facharbeiter in die Sowjetunion gebracht. Die mit Abstand größte Gruppe In der „Wirtschaftswunderrepublik“ reihte er sich von „Spezialisten“, wie Mick sie nennt, traf es bei einer gut geplanten und mit seinen Vorträgen nahtlos ein in die verharmlosen- vorbereiteten Aktion am 22. Oktober 1946. Wäre Nebel tatsächlich der Ra- ketenforscher in sowjetischen Diensten gewesen, als den er sich bezeichnete, den und einseitigen „Geschichten- und Memoiren- hätte er diese Aktion bzw. eine der folgenden kaum überstehen können. Wäre schreiber“ der Speers, Kesselrings oder Dönitz.89 er allerdings tatsächlich in die Sowjetunion verschleppt worden, hätte er na- Nebel verkörperte bei seinen Vorträgen geradezu ideal türlich nicht 1947 aus der SBZ fliehen können, wie er selbst schreibt. Die verschleppten Spezialisten kamen nämlich erst Jahre später aus der Sowjet- den Typus des ideologiefreien, unpolitischen deutschen union zurück. Technikers und Wissenschaftlers, der allein von fach- 87 Nebel, a. a. O., S. 154. lichen und eigentlich friedlichen Grundsätzen geleitet 88 Beispiele dazu finden sich im Nachlass Nebel im Deutschen Museum: „Der Erfinder der ,V2‘ und ,Nebelwerfer‘ Dipl.-Ing. Rudolf Nebel bietet an den worden war. Dennoch dürfte er neidvoll über den At- Filmvortrag I mit Lichtbildern – Der Vorstoß in den Weltraum!“ lantik geblickt haben, als bekannt wurde, dass Wernher (Plakat/Flugblatt vom 19.11.1958 im Nachlass Nebels im Deutschen Mu- von Braun seinen alten Weggefährten Hermann Oberth seum, NL 162, Nr. 016). 89 Die Memoiren oder Biografien vieler hoher deutscher Offiziere, die in den nach Amerika geholt hatte. Anders ist die von Rudolf ersten Dekaden nach dem Krieg erschienen, dienten allgemein mehr einer Nebel initiierte Schlammschlacht nämlich nicht zu er- persönlichen Rechtfertigung als der historischen Wahrheit. klären. In seinen Vorträgen griff er immer wieder heftig 90 Vgl. Anm. 92.; In einem Zeitungsbericht von Fritz Waldmann (Kopie ohne weitere Angaben im Nachlass Nebel, Deutsches Museum NL 162, Nr. 016) Wernher von Braun und dessen ehemalige Peenemün- vom 27. April 1956 über die Münchner Tagung der Raketenforscher wird der Mitarbeiter an. Nebel wollte hintertreiben, dass sich Nebel mit den Worten zitiert: „... und die V-2 ist trotzdem meine Erfindung“. von Braun als Erfinder der „V2“ bezeichnen dürfe.90 Von Braun jedoch wies im Gegensatz zu Nebel immer wieder darauf hin, Wegen der ständigen Unterstellungen und Angriffe dass die „V2“ nicht seine (von Brauns) Erfindung sei, sondern ein Gemein- schaftsprodukt „von 6000 Menschen und 36 Hochschulinstituten“. zog von Braun schließlich vor Gericht und erreichte 91 Der Prozess fand vor dem Landgericht Nürnberg statt; Akten dazu sind dort eine einstweilige Verfügung gegen Nebel.91 Als Nebel nicht mehr vorhanden (Mitt. vom 25.02.2005).

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Abb. 9: Eingang zur Realschule, um 1990. Die Schule führt ihre Anfänge auf die im Oktober 1955 im Dachge- schoss der Zentralschule eröffnete dreiklassige „Mittelschule“ zurück. Im Oktober 1964 bezog sie den gerade fertig gewordenen Neubau (1. Bauabschnitt) im Schulviertel An der Hagenau und aus der „Mittel- schule“ wurde die „Realschule“. Ein erster Versuch, die Schule aus Anlass von Rudolf Nebels 75. Ge- burtstag (1969) nach ihm zu benennen, wurde vom Bayer. Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus mit der Begründung abgelehnt, dass Schulnamen grundsätzlich nur posthum vergeben werden. Damit heißt die Schule heute, nach der Übernahme durch den Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen im Zuge der Gebietsreform, heute auch „Staatliche Realschule Weißenburg“. Eine Hintertür fand man vor 50 Jahren aber doch. Denn, so der da- malige städtische Rechtsdirektor Dr. Matthias Ostermeier, steht es dem Sachaufwandsträger (das war zu der Zeit noch die Stadt) frei, das Schulgebäude nach einer Person zu benennen. Die Aufsichtsbe- hörde (Regierung von Mittelfranken) stimmte zu und so hat eben das Gebäude den Namen „Rudolf-Nebel-Realschule“ erhalten. Im Frühjahr des Jahres 2000, nach einigen Um- und Erweiterungs- bauten, gab es erneut Ansätze seitens der Schule, jetzt endlich eine entsprechende Namensgebung zu beantragen. Als sich im Lehrerkol- legium allerdings keine klare Mehrheit dafür fand, blieb es bei der kuriosen geteilten Namensgebung in Schule und Gebäude. Das einst über der Eingangstür angebrachte Namensschild ist bald nach dieser Aufnahme verschwunden und hat einer Tafel „Staatliche Realschule“ Platz gemacht. (Foto: „Weißenburger Tagblatt“) sei kein Ingenieur und verfüge auch über keine Inge- reagierte Nebel laut und es entstand eine peinliche Si- nieursausbildung“.92 tuation. Schließlich verließ er mit „langsamen und Zu einem traurigen Höhepunkt kam es am 27. April müden“ Schritten die Tagung.94 1956. In München fand in dieser Zeit eine Tagung 93 92 Quelle: Nachlass Nebel im Deutschen Museum, NL 162, Nr. 016. führender Raketenforscher statt, die sich eine Woche 93 Kopie aus der Münchner Stadtchronik, Eintrag April 1956 (Mitt. des Stadt- lang auch mit der Geschichte der deutschen V-Waffen archivs München vom 28.02.2005). „Über 350 deutsche Raketenforscher beschäftigten. Rudolf Nebel, der zwar in Besitz einer und Wissenschaftler und Ingenieure aus 15 Nato-Staaten sind in dieser Woche in München zu einer großen wissenschaftlichen Konferenz versam- Einladung, aber nicht als Redner eingetragen war, melt. ...“ schritt dennoch zum Rednerpult und forderte nervös 94 Kopie eines Zeitungsausschnitts, ohne weitere Angaben (Nachlass Nebel im und gereizt das Mikrofon. Auf die erfolgte Ablehnung Deutschen Museum, NL 162, Nr. 016).

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Weißenburger Heimspiel 1964 bigen als zu schwierig gestaltete. Also wurde in Ro- „Flugkörper verbindet zwei Städte 95 – Schatten der thenstein kehrtgemacht, und eine Stunde später landete ehemaligen „V1“ im Dienste des Postverkehrs über der der Modellflieger wieder in Eichstätt. Nur die Weißen- Stadt.“ burger, die hatte man auf ihrem Segelfliegerplatz ein- Die „Postrakete“ war eine von Nebels theoretischen fach vergessen. Projekten aus den 1930er-Jahren. Er hatte die Vision, So viel zur Weißenburger Postrakete. Rudolf Nebel Postsendungen mittels Raketen schnell und günstig von soll übrigens an jenem Abend nach einem gemeinsa- A nach B zu transportieren. Vor allen Dingen die pro- men Bergwaldtheaterbesuch mit Oberbürgermeister blematische Versorgung der Nordfriesischen und Ost- Dr. Horst Lenz 98 Weißenburg recht schnell verlassen friesischen Inseln inspirierte die Bastler und Techni- haben.99 Am 1. Juli 1964 distanzierte sich auch der da- ker 96 zum Bau einer „Postrakete“. Im Sommer 1964 malige Bundespostminister Richard Stücklen 100 aus- holte Nebel seine „Postrakete“ aus der Mottenkiste. drücklich und ausführlich von den „geschäftlichen Ma- Ein ferngelenkter Flugkörper sollte um 15 Uhr in Eich- chenschaften“ und der „bewussten Irreführung“ der stätt mit Post beladen starten und wenige Minuten spä- Öffentlichkeit anlässlich dieser Veranstaltung.101 97 ter in Weißenburg auf dem Segelfliegerplatz wieder 95 Gemeint sind Eichstätt und Weißenburg („Weißenburger Tagblatt“ vom landen (vgl. Abb. 8). 27.06.1964). „Ein in jeder Beziehung interessanter und zukunfts- 96 Der in Österreich lebende Forscher Friedrich Schmiedl und der aus Deutschland stammende Geschäftsmann und Raketenforscher Gerhard trächtiger Versuch, der für den Postdienst und die Ver- Zucker experimentierten mit sog. „Postraketen“. Nach einer Vorführung bindung zweier Städte von denkbar großer Bedeutung 1964 in Braunlage, wo eine explodierende Rakete zwei Menschen töte, sein wird“, stand am 27. Juni 1964 im „Weißenburger wurde der Abschuss von Raketen mit einer Steighöhe über 100 m durch Privatpersonen verboten (www.wikipedia .org; Aufruf vom 16.11.2019). Tagblatt“ zu lesen. Ein Strom von Fahrzeugen und 97 Schon 1954 waren die Weißenburger Segelflieger von ihrem alten Standort Fußgängern ergoss sich am darauffolgenden Tag zum am Wülzburghang auf den ehem. Exerzierplatz bei Kehl umgezogen (Fest- Segelfliegerplatz. Viele Weißenburger wollten das Spek- schrift „75 Jahre Segelflug-Verein Weißenburg i. Bay. e. V. 1929 – 2004“, Weißenburg i. Bay. 2004). takel live miterleben. Selbst das Bayerische Fernsehen 98 Dr. Horst Lenz (geb. 21.09.1913 Görlitz, gest. 12.03.1985 Weißenburg i. war vor Ort. Stunde um Stunde verging und nichts pas- Bay.), Oberbürgermeister der Stadt Weißenburg 1960 bis 1972 (vgl. Ulf sierte. Gegen 18 Uhr schließlich verließen die meisten Beier, Von der Höll- zur Paradeisgasse. Straßen- und Wohnstättennamen in Schaulustigen verärgert den Platz. Was war passiert? Weißenburg (Weißenburger Heimatbücher Band 2), 2. erw. u. akt. Aufl., Weißenburg i. Bay. 2000, S.50). Mit einiger Verspätung war der „Flugkörper“ in Form 99 „Weißenburger Tagblatt“ vom 30.06.1964. eines simplen ferngesteuerten Flugzeuges aus Balsa- 100 Richard Stücklen (geb. 20.08.1916 Heideck, gest. 02.05.2002 Weißenburg holz in Eichstätt gestartet. Mit Gummi war auf der Trag- i. Bay.), deutscher Politiker (CSU), Mitglied des Deutschen Bundestags 1949 bis 1990, 1957 bis 1966 Bundesminister für das Post- und Fernmelde- fläche des Flugmodells ein Brief befestigt. Aus einem wesen, 1979 bis 1983 Präsident des Deutschen Bundestages (www.wikipe- fahrenden Auto heraus wurde das Flugzeug auf der dia.org; Aufruf vom 11.11.2019); Ehrenbürger der Stadt Weißenburg (1986). B 13 in Richtung Weißenburg gesteuert. In Rothenstein 101 „Weißenburger Tagblatt“ vom 30.06. und 01.07.1964. Gleichzeitig ließ das Bundespostministerium in der Pressemitteilung verlauten, dass es künftig war Endstation für den Flugkörper, da sich die Fahrt keine Sonderstempel der Post zu solchen privaten Raketenstarts mehr geben durch den Weißenburger Wald bzw. der Flug über sel- wird (vgl. Abb. 8).

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Widersprüche Beim Studium des Nachlasses des Raketenforschers im Deutschen Museum fallen immer wieder Widersprüche auf, die einen Schatten auf den Charakter Nebels wer- fen. Mit dem Namen Albert Einstein ging er regelrecht hausieren. So wird später z. B. berichtet, er habe sich regelmäßig mit ihm (Einstein) getroffen, um Schach zu spielen.102 Es ist aber überliefert, dass Einstein eigent- lich nie Schach gespielt hat „Im Gegenteil, er hat diese Spiel sogar regelrecht gehasst.“103 In einem Brief an den damaligen Regierenden Bür- germeister von Berlin, Willy Brandt104, behauptet Ne- bel, er hätte ein technisches Programm vorgelegt, in dem die Weltraumfahrt eine wesentliche Rolle spielt. Außerdem ließen sich durch die Weltraum- fahrt auch zukünftige Kriege verhindern. Hitler soll da- raufhin erwidert haben, „es fehle ihm noch ein Schweinehund, der ihm seinen Krieg vermassele“. Nebel aber hat Hitler nie getroffen.105 In dem erwähnten Brief an Willy Brandt stellt sich Nebel auch als verfolgten und verfemten Gründer der modernen deutschen Raketenforschung dar, der nur friedliche Zwecke im Sinn hatte. So wollte er einerseits „die unproduktiven Rüstungsausgaben auf friedliche

Abb. 10: Auszeichnung mit der „Windrose“, 1969. 102 So angegeben in einem Bericht zum 35-jährigen Gründungsjubiläums des Rudolf Nebel hat das Foto (mit rückseitiger Widmung an die „Raketenflugplatzes“ in der „Berliner Zeitung vom Abend“ vom 27.09.1965. 103 Gespräch des Verf. mit Jürgen Neffe (vgl. Anm. 31) anlässlich eines Vor- Stadt Weißenburg) am 21. März 1969 an Oberbürgermeister trags am 04.05.2005 im Ellinger Sudhaus. Dr. Horst Lenz geschickt. Im Begleittext schreibt er, dass ihm 104 Willy Brandt (1913-1992), deutscher Politiker (SPD), Mitglied des Deut- anlässlich seines 75. Geburtstages die auf dem Foto sichtbare schen Bundestags 1949 bis 1971, Regierender Bürgermeister von Berlin „Pionierkette der Windrose“ verliehen wurde. 1957 bis 1966, Bundeskanzler 1969 bis 1972, Parteivorsitzender der SPD Es handelt sich hierbei um eine wenig bekannte internationale 1976 bis 1992, für seine Entspannungspolitik erhielt er 1971 den Friedens- Auszeichnung, die 1965 gestiftet wurde und an Persönlichkei- nobelpreis (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). ten der Luft- und Raumfahrt verliehen wurde, darunter Elly Der zitierte Brief ist leider undatiert (Kopie im Nachlass Nebel, Deutsches Beinhorn, Hanna Reitsch, John Glenn, Wernher von Braun, Museum, NL 162). 105 Vgl. dazu Frank-E. Rietz, a. a. O., S. 165 (Kapitel 9, Rudolf Nebel und das Igo Etrich usw. Ende der privaten Raketenforschung in Deutschland).

25 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020 und produktive Arbeiten umlegen“, eine Seite weiter Zwischen 1963 und 1965 war er Berater bei der Ge- aber schreibt er, dass man seine Rakete – vorausgesetzt sellschaft für Weltraumforschung in Bad Godesberg. er wäre nicht von der Entwicklung ausgeschlossen Nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen um Ent- worden – am 1. September 1939 gegen Warschau hätte schädigung und Wiedergutmachung für seine verlore- einsetzen können.106 nen Patente erhielt er ab 1966 einen Ehrensold vom Einer der größten Widersprüche in Nebels Leben fin- Bundespräsidenten verliehen.114 det sich in der Verbindung zu seiner jüdischen Verlob- ten. Rudolf Nebel war in erster Ehe (1920) mit der Augsburger Kaufmannstochter Wilhelmine Anna En- 106 Deutsches Museum, NL 162, Nr. 009 (Schreiben an den Regierenden Bür- zensberger verheiratet. 1927 ist die Ehe geschieden germeister Willy Brandt). 107 Heiratsregister 531/1920. Wilhelmine Enzensberger war katholisch (Mitt. worden. Im Heiratsbuch des Augsburger Standesamtes des Standesamts Augsburg vom 16.02.2005). wird Nebel als Protestant geführt.107 Interessanterweise 108 Nebel war im Winter 1937 in die Tschechoslowakei gefahren, um dort Ski beschreibt Nebel in seiner Biografie eine Situation 108, zu fahren. Im Gepäck befanden sich auch seine Raketen-Patente. Nebel wurde bei der Rückkehr an der Grenze verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, in der er von behördlicher Seite aus als Jude geführt seine Patente in Prag verkaufen zu wollen. Nach seiner Freilassung wurde wurde. Nebel hat diese Glaubenszugehörigkeit eindeu- er plötzlich als „Jude“ geführt (Nebel, a. a. O., S. 148 ff.). tig bestritten, aber in seinem Nachlass befindet sich im 109 Deutsches Museum, NL 162, Nr. 024 (Schreiben des Dipl.-Ing. Rudolf Nebel, Betr. Meine Verfolgung im NS-Staat). Gegensatz dazu ein Schreiben, wo er sich plötzlich als 110 Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher verfolgten Juden darstellt: „obwohl ich bei allen Stellen 1933-1945, Berlin 1995, Bd. 1942, S. 234. als ,Jude‘ geführt und dies auch nachweisen konnte“ 111 In der ganzen vorliegenden Korrespondenz Nebels der Jahre 1933-1945 109. Delikat ist diese Angelegenheit schon deshalb, weil (Nachlass Nebel im Deutschen Museum, NL 162) wird die jüdische Braut kein einziges Mal erwähnt. Nebel nämlich tatsächlich eine jüdische Verlobte na- 112 Über die jüdische Gemeinde Dresden und die Mahn- und Gedenkstätte Ra- mens Herta Imbach hatte. Und eben jene Herta Imbach vensbrück konnte schließlich das Schicksal der Verlobten von Rudolf Nebel taucht auch bei Victor Klemperers „Ich will Zeugnis ermittelt werden. Herta Imbach wurde am 15.05.1899 in Posen geboren. 110 Ihr Vater besaß in Dresden die Armblattfabrik SUEX. Im Frühjahr 1942 ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933-1945“ wurde Herta Imbach verhaftet, weil sie ohne Judenstern einen kurzen Weg wieder auf. Bewusst hatte Nebel das Schicksal seiner über die Straße ging und dabei der Gestapo in die Arme lief. Ab dem Verlobten und deren Familie (Auschwitz) verschwie- 16.05.1942 ist sie als politische Gefangene Nr. 10990 in Ravensbrück re- 111 112 gistriert. Am 20.10. 1942 erfolgte die Deportation nach Auschwitz, wo sie gen und geheim gehalten. Spätestens bei seiner noch am gleichen Tag, zusammen mit ihrer Mutter und mindestens zwei Antragstellung auf Ausstellung eines Ausweises für Geschwistern, ermordet wurde. (Mitt. der jüdischen Gemeinde Dresden Vertriebene und Flüchtlinge war er dann übrigens vom 10.03.2005 sowie von der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vom 113 21.02.2005. Beide bestätigen den Tod Herta Imbachs um den 20.10.1942 „ohne Religion“. in Auschwitz). 113 Antrag auf Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene und Flüchtlinge Auszeichnungen und Lebensende bei der Gemeinde Anröchte, Kreis Lippstadt (Mitteilung der Gemeinde An- röchte vom 30.03.2005). Im Jahr 1947 zog Rudolf Nebel nach Anröchte in West- 114 Dies kommt einer Rehabilitation gleich (Karl-Heinz-Ingenhaag, Nebel, Ru- falen, wo er zeitweise sogar von Arbeitslosenunterstüt- dolf, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 19, Berlin 1999, S. 15 f.; zung gelebt haben soll, und 1959 nach Düsseldorf. Onlinefassung; Aufruf vom 11.11.2019).

26 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Rudolf Nebel starb am 18. September 1978 im Alter von 84 Jahren in Düsseldorf. Die Urnenbeisetzung fand am 30. Oktober 1978 auf dem Weißenburger Südfried- hof statt (vgl. Abb. 11).115 Rudolf Nebel erhielt verschiedene Orden und Aus- zeichnungen (vgl. Abb. 10), darunter auch das Ver- dienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bun- desrepublik Deutschland („in Anerkennung der um Volk und Staat erworbenen besonderen Verdienste“ .116 In Weißenburg wurde mit Stadtratsbeschluss vom 3. März 1965 einstimmig die Straße „Am langen Wiesen- weg“ (östlich der heutigen Umgehungsstraße) in „Ru- dolf-Nebel-Straße“ umbenannt (vgl. Abb. 7).117 1969 erhielt das Gebäude der Staatlichen Realschule den Namen „Rudolf-Nebel-Realschule“ (vgl. Abb. 9).118 Bedenkt man die Raketeneuphorie der 1960er-Jahre, erscheint die aus heutiger Sicht übereilte und unkritisch durchgeführte Benennung – immerhin scheute Nebel auch nicht davor zurück, Gerhard Frey 119 und die von diesem herausgegebene „Deutsche National-Zeitung“ für seine Zwecke einzuspannen 120 – nach einer leben- den Person, zwar ungewöhnlich, aber doch nachvoll- ziehbar.

115 StadtA Wßbg., OB 956 (Korrespondenz mit Rudolf Nebel und seinen An- gehörigen), sowie Bericht im „Weißenburger Tagblatt“ vom 01.11.1978. 116 Verliehen am 13.09.1965 in Nürnberg (StadtA Wßbg., OB 956). Abb. 11: Grab im Weißenburger Südfriedhof. 117 Vgl. Beier, a. a. O., S. 112 f. Die Grabstelle von Rudolf Nebel befindet sich an hervorgeho- 118 Es wird immer wieder verwechselt und nicht nur das Gebäude, sondern die bener Stelle an der westlichen Außenmauer. Dort war am Schule selbst fälschlich als „Rudolf-Nebel-Realschule“ bezeichnet. 30. Oktober 1978 seine Urne beigesetzt worden. 119 Dr. Gerhard Frey (1933-2013), Politiker (DVU), Journalist und Verleger Die Ehrentafel ließ die Stadt Weißenburg anschließend (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). 120 Vgl. Ablichtung eines Schreibens von Dr. Gerhard Frey an Nebel, worin anfertigen. Sie wurde nachträglich im Februar 1979 ange- sich dieser am 10.03.1969 über die „hochinteressanten“ Ausführungen und bracht, zusammen (auf Wunsch der Familie), darunter, mit „Klarstellungen“ Nebels in Sachen Wernher von Braun bedankt. Leider dem Emblem der Vereinigung „Alte Adler“, welcher der ist keine weitere Korrespondenz erhalten (Deutsches Museum, NL 162/ Verstorbene angehört hatte. Rudolf Nebel, Nr. 024).

27 Thomas Wägemann – Rudolf Nebel (1894-1978). Raketenforscher aus Weißenburg 1/2020

Konstrukteur eines „Papierdrachens“ wird – seine Kritiker werfen ihm hemmungslose oder Schöpfer der „V2“? Selbstüberschätzung und einen ausgeprägten bis rück- Der „Raketenpionier“ Nebel ist heute in der Fachwelt sichtslosen Hang zur Selbstdarstellung vor. noch immer nicht unumstritten. In der Haupthalle des Berliner Flughafens Tegel be- Mit der Gründung des ersten Raketenflugplatzes der fanden sich lange Zeit an einer Tragesäule drei große Welt (1930), den er auch bis zu dessen Auflösung Reliefporträts .125 Sie zeigen die drei Köpfe der so lange (1934) geleitet hat, hat er sich wirklich große Ver- und böse zerstrittenen drei Raketenforscher Hermann dienste um die Entwicklung der Luft- und Raumfahrt- Oberth, Wernher von Braun und Rudolf Nebel. Be- technik erworben. zeichnenderweise blickt, bedingt durch die Anordnung Ebenso war er zusammen mit Klaus Riedel u. a. In- an drei Seiten einer Säule, jeder in eine andere Rich- haber eines Patentes über einen Rückstoßmotor für tung. flüssige Treibstoffe. Ihm ist jedoch nicht, wie oft Thomas Wägemann Stadtarchiv Weißenburg i. Bay. fälschlich behauptet wird, der erste Start einer flüssig- keitsgetriebenen Rakete gelungen.121 Unbestritten war er ein großes Organisationstalent, der es immer wieder schaffte, durch sein medienwirk- 121 Der amerikanische Professor Robert Goddard (1882-1945) entwickelte sames Auftreten die Menschen, und damit letztlich – im Gegensatz zu Nebel in größter Zurückgezogenheit – ebenfalls ein Flüssigkeitstriebwerk. Ihm gelang bereits am 16. März 1926 in den USA auch Geldgeber, für sich und seine Ideen zu begeistern. der erste erfolgreiche Start einer Flüssigkeitsrakete (Heinz Mielke, War er aber tatsächlich der große „Raketenpionier“, dtv-Lexikon der Raumfahrt und Raketentechnik, München 1972, S. 109 f. „Erfinder der V2“ oder einer der „Väter der Raum- 122 Mielke, a. a. O., S. 109 f. 123 So liegt in den Sammlungen des Stadtarchivs (StadtA Wßbg., Slg. I.10.30/ fahrt“, wie er sich selbst so gerne sah? Oder war er nur Rudolf Nebel) die Kopie eines Schreibens von Braun vom 30.10.1976 an der Erfinder eines Papierdrachens, wie es Wernher von Nebel. Die von Nebel angebotene Versöhnung nimmt er freudig an und be- Braun einmal im Zorn formulierte? 122 merkt: „Es gibt zwischen tatkräftigen Menschen ja immer Meinungsver- schiedenheiten, und gelegentlich auch bitteren Streit, aber dass wir uns Mit Wernher von Braun hat sich Rudolf Nebel an- jetzt wieder gefunden haben, bereitet mit eine ganz große Freude.“ 123 scheinend in seinen letzten Jahren ausgesöhnt. 124 Oberth listet auf, wie Nebel damals (1929) versucht hat, ihn zu diffamieren Mit Hermann Oberth gelang das nicht. So schreibt und aus dem Weg zu räumen. Auch Nebels autobiografisches Werk (Die dieser in einem Brief vom 25. März 1980 an den Wei- Narren von Tegel) enthalte haarsträubende Unwahrheiten. Das von OB Dr. Zwanzig angestrebte Interview über Rudolf Nebel (für die städtischen ßenburger Oberbürgermeister Dr. Günter W. Zwanzig, Sammlungen in Weißenburg) lehnte Oberth ab (StadtA Wßbg., Slg. I.10.30/ dass ihm Nebel bis zuletzt „zornig“ war.124 Schreiben von OB Zwanzig an Oberth vom 25.03.1980). Auch wenn sich am Schluss (fast) alle in gegenseiti- 125 Die zur Eröffnung des Flughafens am 01.11.1974 durch die öffentliche Ver- waltung Berlins angebrachten drei Porträts stammen von Erich Fritz Reuter ger Anerkennung preisen, so liegt die Wahrheit wohl (1911-1997), einem der bedeutendsten deutschen Bildhauer der Nach- irgendwo dazwischen. Für die einen war er ein Visio- kriegszeit (www.wikipedia.org; Aufruf vom 11.11.2019). när, ein erfindungsreicher Ingenieur und unbestritten Im Sommer 2018 ließ die Flughafengesellschaft die Tafeln entfernen. „Fluggäste sollen sich über die ,Verherrlichung von Nazis‘ beschwert ein Pionier der Raumfahrt, dessen Ansehen, gerade haben. Besonders habe Wernher von Braun in der Kritik gestanden“ auch in seiner Vaterstadt Weißenburg, hochgehalten (www.raketenflugplatz-berlin.de; Aufruf vom 12.11.2019).

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LogoLogo … alles Logo?? Ulrich Heiß

Nach dieser Liedttextzeile der Zillertaler Schürzenjäger zu urteilen, durfte eine Logofindung für ein Mittelzen- trum wie die Stadt Weißenburg vermeintlich ja kein Problem darstellen. Aber durch die verschiedensten Fa- cetten, die durch ein Logo vonseiten eines Stadtgebil- des beleuchtet werden müssten, sollten bzw. könnten, ohne sein, da diesmal außer einem – egal wie auch wird ein Logo eigentlich eine der berühmt-berüchtigten immer interpretierbaren – scharfen ß lediglich der sogenannten „Eier legenden Wollmilchsäue“ sein, also Schriftzug Weißenburg in Bayern ohne andere zusätz- nur Vorteile haben und alle Bedürfnisse und Anforde- liche, verunklärende Elemente zu sehen ist. rungen zufriedenstellen – egal von welcher Seite aus. Auch hier galt beim Entwurf der alte Grundsatz Also lautet die Antwort auf die eingangs gestellte Frage „Less is more“ und dadurch wird das Logo, zeitlich ge- „Alles Logo?“ schlichtweg: Nein, nichts ist von Anfang sehen, länger und universeller nutzbar! Nicht nur die an Logo! Stadtverwaltung, nein, auch die Industrie, der Handel, Nach einem durchaus kreativen und stetig beharrli- Gewerbe und Bildungseinheiten, können und sollen zu- chen Findungsprozess steht der Stadt Weißenburg i. künftig dieses Logo rege verwenden, um unser Mittel- Bay. nun nach über zwei Jahren intensiver Abstimmun- zentrum von den anderen Mittelzentren abzuheben und gen (begonnen im März 2017 als studentischer Wett- um sich auf den umkämpften Märkten, auch im Hin- bewerb, zuletzt abschließend im Stadtrat am 26. blick auf die touristische Weiterentwicklung Weißen- Oktober 2019) und Arbeit mit dem Entwurf von Frau burgs, gut positionieren zu können. Christiane Krug, Nürnberg, ein neues, zukunftsweisen- Durch die dann, im Nachgang, noch zusätzlich ge- des Stadtsignet zur Verfügung. schaffenen Icons (vgl. S. 30) mit Weißenburger Moti- Dieses kann durch seine ven (Ellinger Tor, Gotisches Rathaus, Sheddachhalle, Funktion als „Corporate De- und Einfamilienhaus) werden dann Hinweise auf die sign“ und „Corporate Identi- verschiedenen Sparten, die künftig das gesamte Stadt- tiy“ nun umfassend, fast gefüge abbilden sollen, gegeben. universell verwendet werden. Gleichzeitig kann der Schriftzug in Kombination mit Zeitlos wird der Schriftzug den Icons wunderbar in der heutigen digitalen Welt und mit dem neu eingeführten ver- den Social Media verwendet werden und die künftig salen (durch Großschreibung angedachte, klarere und ansprechender gestaltete Web- hervorgehobenen) ß zweifels- site der Stadt Weißenburg i. Bay. gut unterstützen.

29 Ulrich Heiß – LogoLogo… alles Logo?? 1/2020

Wie bei einem Jahreswechsel üblich lasse man Altes, Ulrich Heiß, MA. Architektur, geb. 1976 Weißenburg i. Vergangenes hinter sich und mache sich gute Vorsätze Bay., von 2005 bis 2008 Studium von Architektur und für das kommende Jahr. Diese Prämisse kann auch für Städtebau an der TH Nürnberg-Georg-Simon-Ohm (Bache- die nun folgende Umsetzung der neuen Corporate lor) und von 2011 bis 2014 (Masterstudiengang), seit 2015 Identity gelten: Altes hinter sich lassen und Neues wei- 1. Vorsitzender des Heimatvereins Oberhochstatt-Nieder- hofen-Kehl e. V. 1999, seit 2016 bei der Stadt Weißenburg, terentwickeln und zukunftsfähig machen, um unser zuständig für Stadtentwicklung (Sachgebiet 41) und in die- Weißenburg in Bayern für die Zukunft bestmöglich sem Zusammenhang unter anderem auch mit der Entwick- aufzustellen und vermarkten zu können! lung und Umsetzung des neuen Stadtlogos betraut.

30 Ulrich Heiß – LogoLogo… alles Logo?? 1/2020

Die Stadt Weißenburg und ihre Logos

Selbst das ansonsten allwissende Internet offenbart über seine vielfältigen Suchmaschinen nicht, welcher findige Werbestratege wann und wo auf die Idee gekommen ist, dass die Welt Logos braucht. Jahrhundertelang kam auch die Stadt Weißenburg und ihre für die Verwaltung tätigen Organisationen und Einrichtungen ohne ein zusätzliches repräsentierendes grafisches Zeichen zurecht. Werbegrafikers Walter Moßner in Unter dem Schild des 1481 verliehenen Stadtwappens – wenn Nürnberg mit der Erstellung eines auch mit dem jeweiligen Zeitgeschmack geschuldeten Verände- neuen, universal verwendbaren rungen im Beiwerk (z. B. einem Engel als Schildhalter) – fühlte Stadtlogos. Es wurde mit verschie- man sich hinreichend repräsentiert, identifiziert und von anderen densten Untertiteln versehen oder abgehoben. für manche Bereiche, wie z. B. Stadtbibliothek oder Volkshoch- schule, im Detail umgestaltet. Jetzt gibt es also wieder ein neues Stadtlogo, um für alle städ- tischen Belange ein einheitliches Erscheinungsbild zu bekommen. Erst im Zuge der zunehmenden touristischen Vermarktung schienen vor 30 Jahren neue Werbestrategien notwendig. Für den 1989 aufgelegten „Imageprospekt“ hat Bogumil Wisniewski erstmals ein neues, in einen modernen Schriftzug integriertes Stadtlogo entwickelt.

Denn zwischenzeitlich (2009) hatte die „Magenta 4-Agentur für Kommunikation“ in Eichstätt dem städtischen Internetauftritt ein neues Design verpasst und dabei auch ein neues Markenzeichen entwickelt. Das schwungvoll stilisierte „W“ (für Weißenburg) Der Weißenburger Grafiker hatte üb- in Gold und Rot soll zugleich an rigens schon 1978 für das Bergwald- die Freie Reichsstadt und einen Rö- theater und für das Besondere merhelm erinnern. Theater (mit dem Eingangsportal der Eigene Wege gehen ohnehin, nach Karmeliterkirche) schon originelle ihrer 1999 erfolgten formalen Ver- und unverwechselbare Wort-Bild- selbstständigung, die „Stadtwerke Marken erarbeitet. Weißenburg GmbH“. Das aktuelle Das Signet hat sich nicht lange Logo (seit 2018) mit dem stilisierten gehalten. Schon im Herbst 1996 be- Ellinger Tor hat die Werbeagentur auftragte die Stadt das Werbebüro „Studios Höttingen“ entworfen. des aus Gunzenhausen stammenden R. K.

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