Unser Mann in Berlin.Pdf
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Vorbemerkung: Das Divisionsgericht 2 B stellte in einem Spionageprozess durch Urteil vom 23. Oktober 1945 fest, die Schweiz habe sich (während des Zweiten Weltkriegs) auf dem Gebiet des Nachrichtendienstes «im Kriegszustand» befunden. In Kriegszeiten aber besteht das vornehmste Ziel darin, dem Land die Freiheit und Unabhängigkeit zu erhalten! © Steinach Verlag Kirchberg / Luzern / Berlin-West Lektorat Hans Wirz. Kriens/Luzern Fotos: Bildarchiv Steinach Verlag Umschlaggestaltung: Alois Johl – Satz: Setzerei Wil, 9500 Wil SG Druck: GSG Druck AG, 9500 Wil SG Printed in Switzerland 1976 Eingescannt mit ABBYY Fine Reader EINLEITUNG Im August 1956 sandte mir mein Schweizer Freund Ludwig Lewiküll ein Päckchen zu, welches laut Zolldeklaration 650 Gramm Dokumente enthielt. Mein Freund, der damals in Basel und Zürich Theologie stu- dierte, wusste mit den hinterlassenen Schriften seines Vaters – denn um solche handelte es sich – nichts anzufangen. Schon die erste Sichtung des Nachlasses ergab, dass mir ein glücklicher Zufall möglicherweise einen sensationellen Aktenfund zugespielt hatte. Meine Recherchen, die bei- nahe zwanzig Jahre dauerten, zeigten, dass die Aufzeichnungen echt wa- ren, und dass ihr Inhalt den Tatsachen entsprach. Ludwigs Vater, der Architekt und Verbindungsingenieur Hellmuth Lewiküll, war einer jener Männer gewesen, welche von 1933 bis 1945 die freie Welt über die Rüstung Nazi-Deutschlands informiert hatten. Seit 1938 hatte Lewiküll gearbeitet für das Reichsluftfahrtministe- rium, für diverse Luftgaukommandos, für den Raketenschiessplatz Kum- mersdorf bei Speremberg in der Mark Brandenburg, für diverse Rü- stungskommandos, für die Organisation Todt usw. Ab April 1942 war er ausserdem tätig für den SS-General Hans Rammler, den Leiter aller deut- schen V-Waffen-Projekte, für den «Stab Geilenberg» (Munitionsversor- gung), für den «Reichslastverteiler Energie» (Erdöl, Hydrierwerke, Elektrizitätsversorgung), für «geheime Bauvorhaben des Rüstungsmi- nisteriums» und der Waffen-SS im sogenannten «Generalgouverne- ment» (Polen) und im «Protektorat Böhmen und Mähren» (Tschechoslo- wakei). In der Berliner «Schweizer Kolonie» (auch «Schweizer Club» ge- nannt) gab Lewiküll wöchentlich einmal seine Informationen weiter an eine halbamtliche Stelle des Schweizer Nachrichtendienstes in Genf, an die französischen und polnischen Geheimdienste (später Untergrundbe- wegungen) und somit an den britischen «Secret Intelligence Service» (SIS) in London. Nach – sich widersprechenden – Zeugenaussagen soll Hellmuth Lewiküll Ende Mai/Anfang Juni 1945 in Berlin-Potsdam von Russen verhaftet worden sein. Er wurde nach einem mit Folterungen verbunde- nen Verhör nach Ketschendorf bei Fürstenwalde übergeführt. Dort starb er in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 1945. Da noch Nachkom- men und Verwandte unseres Helden leben, haben wir ihm einen Deck- namen gegeben. Es ist das einzige Pseudonym, das in diesem Büchlein verwendet wird (der richtige Name ist dem Steinach Verlag bekannt). Die noch grösstenteils unveröffentlichten «Akten Lewiküll» befinden sich im Besitz des Steinach Verlages und sind aufbewahrt in einem Tre- sorschliessfach der Spar- und Leihkasse CH-9533 Kirchberg/SG. Rönn von Üxküll, Stockholm-Solna, im März 1974 QUELLEN «Akten Lewiküll», Korrespondenzen, Stammbäume, «Arische Nach- weise», Aufzeichnungen von Zeugenaussagen, Protokolle von Gesprä- chen und Telefonaten. Alle benutzten Quellen lückenlos aufzuzählen, ist wegen der Fülle des Materials unmöglich. Eine solche Aufzeichnung würde einen eige- nen Band füllen und nur Zeitgeschichtler interessieren. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle all jenen Personen, halb- amtlichen und amtlichen Stellen, die mir besonders wertvolle und auf- schlussreiche Hinweise gaben. Es sind dies: die Familien Lewiküll, Geppert und von Maydell und deren Ver- wandte in der BRD, in der DDR, in der UdSSR, in Polen, in der Tsche- choslowakei, in Österreich, in Belgien, Holland und in der Schweiz; die Herren des Schweizer Armeenachrichtendienstes Alfred Ernst (früher Leiter des «Büro Deutschland») und Max Waibel (früher Leiter der «Nachrichtensammelstelle 1» in Luzern); die ehemaligen Mitarbeiterinnen Helmut Lewikülls, Yvonne Moret und Irm Mikolaschek, Lewikülls Berliner Freund Helmut Grossmann (früher Delegierter der Berliner «Schweizer Kolonie»); diverse Schweizer Polizeistellen, so die Fremdenpolizei der Kantone Basel-Stadt und Fribourg und der Dorfpolizist von St.Antoni, Kanton Fribourg; die Polizeistellen der Stadtteile Berlin-Wilmersdorf, -Schöneberg, -Charlottenburg und -Tegel; das Bundeskriminalamt Wiesbaden; die Stellen des Staatssicherheitsdienstes in Berlin-Pankow, Schwerin, Wolgast und Leipzig; die Volkspolizeistellen Wolgast, Lübtheen (Mecklenburg), Greifs- wald und Berlin-Prenzlauerberg; die Verlagsleiter und Redakteure fast aller grösseren Ostberliner Ver- lagsanstalten und Redaktionen (vor allem der «Aufbau Verlag», der «Eulenspiegel Verlag», der Verlag «Neues Berlin», die Redaktion «Neues Deutschland», die Evangelische Verlagsanstalt usw.); die polni- schen Polizeistellen in Kattowitz, Swinemünde, Danzig, Stettin und Warschau; der Suchdienst der «Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit»; das «In- stitut für Zeitgeschichte», München; die «Dokumentationszentrale» Si- mon Wiesenthals in Wien; der Schweizer Otto Walter Verlag, Olten; ein ehemaliger Lehrer der Geheb-Schule, Schwarzsee, Fribourg, und ein früherer Stettiner SA-Oberführer (beide Herren wollten ungenannt bleiben); der Architekt Hanns Dustmann, Düsseldorf (früher Reichsarchitekt der Hitlerjugend, Berlin); der (auf mysteriöse Weise ums Leben gekommene) deutsche Physi- ker Dr. Eduard von Winterfeld und viele andere ... 1. Die Royal Air Force «exportiert Bomben» Im Hauptquartier des britischen Bomberkommandos hing Ende 1940 eine riesige Karte von Deutschland mit roten und schwarzen Quadraten. Die ersteren bezeichneten bekannte vorhandene Hydrierwerke (Werke, die synthetisches Benzin herstellten), die schwarzen Quadrate dagegen markierten Hydrierwerke, welche vom Bomberkommando «dem Erdbo- den gleichgemacht worden waren». Auf eine Anfrage Sir Robert Saund- bys erklärte der für die Karte verantwortliche Stabsoffizier, die Statistik habe gezeigt, dass hundert Tonnen Bomben ein halbes Hydrierwerk zer- störten. Folglich müsste jedes der schwarz markierten Werke zerstört sein, da zweihundert Tonnen Bomben darauf abgeworfen worden seien. Ein typisches schwarzes Quadrat kennzeichnete das Hydrierwerk Ilse Bergbau in Ruhland, rund fünfzig Kilometer von Dresden entfernt, das in der Nacht vom 10. zum 11. November 1940 vom Bomberkommando angegriffen worden war. «Das grosse Werk», so berichtete ein britischer Bomberpilot, «das an den sechs hohen Schornsteinen zu erkennen war, wurde von den ersten Flugzeugen mit Brandbomben überschüttet, und der rote Schein der zahl- reichen von ihnen entfachten Brände half den danach angreifenden Ma- schinen, ihre Ziele zu finden. Direkt zwischen den Raffineriegebäuden und Schornsteinen schlugen Sprengbomben ein, die heftige Explosionen verursachten und deren Wucht noch Tausende von Metern hoch in den Flugzeugen zu spüren waren. Zum Schluss des einstündigen Angriffs wüteten im Raffineriegelände grosse Brände, die dichte schwarze Rauch- wolken entwickelten und die noch zwanzig Minuten lang von den letzten Maschinen gesehen werden konnten, nachdem sie ihren achthundert Ki- lometer langen Heimflug nach England angetreten hatten.» Das alles wollte der Pilot gesehen haben – trotz einer dicht geschlos- senen Wolkendecke von mehr als 6‘000 Metern Höhe! In Wirklichkeit arbeitete das Hydrierwerk Ilse Bergbau bereits zwei Tage später wieder völlig normal. Kein Wunder: die englischen Bomber flogen damals ihre Ziele nur nachts bei stark bewölktem Himmel und in Dienstgipfelhöhe (etwa 6‘500 Meter Höhe) an, luden – wegen ihrer noch geringen Reich- weiten – die Bomben so rasch wie möglich über dem vermeintlichen Ziel ab und machten sich dann schleunigst auf den Heimweg. Die Nachtziel- geräte der Short Stirlings und der Vickers Wellington-Bomber arbeiteten aber damals noch so ungenau, dass die Briten häufig nicht einmal Städte von der Grösse Hannovers fanden! – Bissig kommentierte denn auch Sir Robert Saundby, das Bomberkommando habe nicht zweihundert Tonnen Bomben auf das Hydrierwerk in Ruhland abgeworfen, sondern es habe «zweihundert Tonnen Bomben nach Deutschland exportiert». In der Tat ermöglichten es erst ab 1943 das berühmte «Oboe-Verfah- ren» und die vom Bomberkommando entwickelte «Pfadfindertechnik», 5 Punktziele im Reichsgebiet anzufliegen und zu treffen. Beide Verfahren steckten aber 1940 noch in den Kinderschuhen. Darum ging das Bomberkommando 1940/41 zum sogenannten area- bombing, zu Flächenbombardementen gegen deutsche Städte über. Diese Verlegenheitslösung aber konnte mit Sicherheit den Krieg nicht entscheiden. Schon die «Schlacht um England» hatte bewiesen, dass die wahllose Zerstörung offener Städte den Kriegsausgang in keiner Weise beeinflussen konnte. Ja, nach den «Meldungen aus dem Reich» vom SD-Inland waren die nächtlichen Terrorangriffe der Briten – so die Zerstörung der Arbeiter- siedlungen von Rostock – Wasser auf der Mühle der NS-Propaganda. Andererseits zollten die Deutschen den todesmutigen Piloten der ameri- kanischen «Fliegenden Festungen», welche an hellichtem Tage so schwer verteidigte militärische Ziele wie das Hydrierwerk Poelitz, die Ölraffinerien von Ploesti und die Kugellagerwerke von Schweinfurt an- griffen, offen Anerkennung. Deshalb drängten vor allem Berater aus dem Bereich der Rüstungs-