unterworfen war, sein Leben zu fristen. Nicht nur die Städte waren 1945 vollständig wieder- aufzubauen, sondern es galt auch, den Archi- tektenberuf zu erneuern.

Obwohl die dringlichen Probleme, die sich den Architekten und Stadtplanern in Ost- und Westdeutschland stellten, durchaus ähnlich waren, begann eine unheilvolle Auseinander- entwicklung im politischen wie architektoni- schen Denken, die sich im Laufe der fünfziger Jahre ständig verstärkte, um im Eisernen Vor- hang und in der Berliner Mauer eine makabre Gestalt anzunehmen. Die Berliner Blockade von 1948 und die Luftbrücke der Alliierten, die westdeutsche Währungsreform im selben Jahr und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf der einen und der Deutschen Demokratischen Republik auf der anderen Seite kennzeichnen den Beginn des Kalten Krieges, dessen Folgen bis in die neunziger Jahre zu spüren waren. Greifbar wurde er in Vom Funktionalismus zum Urbanen den unterschiedlichen Ansichten über Architek- Design, Zum Städtebau des Wieder- tur und Stadtplanung, die für mehr als vierzig aufbaus in Deutschland 1945-1992 Jahre das Aussehen der Städte in den beiden Hälften des Landes wie des Kontinents be-

stimmten. Heute, nach der Wiedervereinigung, Veröffentlicht in: The New German Architecture muß die soziale und die architektonische Spal- (Rizzoli) / Die neue Deutsche Architektur tung zwischen Ost und West erst einmal über- (Kohlhammer) , 1993 wunden werden, bevor man die vielleicht we-

niger brennenden, doch um so schwierigeren Als am 8. Mai 1945 der Waffenstillstand dem Probleme des neuen Deutschland lösen kann. Kriegsgeschehen ein Ende setzte, begann in

Europa eine mühselige und schmerzvolle Zeit des Aufräumens und des Wiederaufbaus. Die ersten Nachkriegsjahre Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen Deutsch- In der ersten Nachkriegszeit begannen sich in land und mit ihm weite Teile Europas in mate- Westdeutschland mehrere Architekturschulen rieller und geistiger Hinsicht am Boden (31, zu entwickeln, die in konstrukti-vem Dialog 32). Viele bedeutende Stadtzentren, Institutio- miteinander standen. Zwar hatten die Emigra- nen und Industrieanlagen waren zerstört oder tion und die Kriegszerstörungen unübersehba- schwer beschädigt, zahlreiche historische re Spuren hinter-lassen, doch gab es zahlrei- Städte lagen in Schutt und Asche, und mehr che neue, kreative Ansätze, die in Trümmern als fünf Millionen Wohnungen waren nur noch liegenden Städte wiederaufzubauen und die Ruinen. Millionen von Vertriebenen und der Gesellschaft geschlagenen psychischen Flüchtlingen, die sich vor der Roten Armee in Wunden zu heilen. Die ersten nach 1945 ent- Sicherheit brachten, ließen die geschwächte standenen architektonischen und städte- Bevölkerung in Westdeutschland ansteigen, baulichen Modelle und Theorien, die im Den- während das ostdeutsche kommunistische ken der zwanziger Jahre verwurzelt waren, Regime die Unterdrückungspolitik des Dritten üben auch heute noch ihren Einfluß auf Archi- Reiches in neuer Form weiterführte. tektur und Stadtplanung aus.

Architektur und Stadtplanung befanden sich in Obwohl beispielsweise die Architektur der desolatem Zustand, zum einen aufgrund der traditionellen deutschen Schule, die mit den kriegsbedingten Zerstörungen, zum anderen Namen der Stuttgarter Architek-ten Paul Bo- infolge der Auswirkungen der national- sozia- natz und Paul Schmitthenner verknüpft ist, von listischen Ideologie, die während Jahren sämt- den Nazis mißbraucht worden war, beeinflußte liche Neuerungen erstickt und die besten Ar- sie den Wiederaufbau von Städten wie Frei- chitekten und Planer aus dem Land vertrieben burg im Breisgau, Freudenstadt (33, 34), Mün- hatte. Wer geblieben war, unterwarf sich ent- chen, Lübeck und Münster (35, 36). Alle diese weder dem System, oder es gelang ihm, mit Städte hatten sich dafür entschieden, ihren Bauaufträgen der Industrie, die der Kontrolle Stadtkern nach dem vor dem Krieg bestehen- durch den Parteiapparat der Nazis weniger den Muster wiederaufzubauen. Bereits 1930 hatte die von Heinrich Tessenow geprägte Gruppe die Hauptmerkmale einer nationalen In den fünfziger Jahren bemühte man sich Architektur festgelegt. Auf Regionalismus oder überall, die Spuren der Nazizeit zu beseitigen, einen leichten Klassizismus gegründet, sollte und zahlreiche Gemeinden suchten eine neue der Stil nach Ruhe und Harmonie streben und städtebauliche Vision zu verwirklichen, die mit Überraschungen oder heftige Kontraste ver- der kulturellen Tradition brach und sich zu dem meiden. Die Bauhauslehrer und ihre Anhänger, Glauben der Moderne an eine technologisch die eine weitere Schule der zwanziger Jahre orientierte Zukunft bekannte. bildeten, hatten Deutschland in den frühen dreißiger Jahren verlassen oder waren dazu An die Stelle der herkömmlichen Beziehung gezwungen worden. Die wenigen Zurückge- zwischen Gebäude und Straße setzten die bliebenen waren verstreut, und unter ihnen Architekten Corbusiers Ideal einer Parkstadt. gab es keinen Gropius oder Mies, um die Das gleiche dogmatische Bestreben, die Stadt Nachzügler um sich zu gruppieren. Eine dritte neu zu erfinden, das Deutschland in der ers- Schule bestand aus Architekten, die in den ten Aufbauphase entscheidend prägte, ist auch zwanziger Jahren in bei Hans Poelzig heute noch zu spüren, da sich die gleichen studiert oder gearbeitet hatten, zum Beispiel Probleme bei der Erneuerung der deutschen Bernhard Hermkes, Egon Eiermann und Paul Städte in den neuen Bundesländern stellen. Baumgarten, die durch ihre praktische Arbeit Trotz der lebhaften architekturtheoretischen und ihre Lehrtätigkeit an den Technischen Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre Hochschulen in Berlin und zur Neu- waren die ausgeführten Bauten jedoch oft bestimmung der deutschen Nachkriegsarchi- enttäuschend. Die gewaltigen Probleme der tektur beitrugen. zerstörten Kultur und der in Schutt und Asche gelegten Städte verhinderten eine substantielle In Ostdeutschland bildete der ehemalige Bau- Arbeit. Der Schweizer Schriftsteller und Archi- hausschüler Hermann Henselmann ein Archi- tekt Max Frisch charakterisierte die schwieri- tektenkollektiv, das an Einfluß gewann, als gen Zeiten: „Man hatte Angst, Ideen zu haben, sich der ideologische Graben zwischen Ost und weil man keine Ideen hatte, hatte man und West zu vertiefen begann. Anfangs arbei- Angst."1 teten Henselmann und seine Kollegen mit Hans Scharoun, dem ersten Stadtbau- rat des noch ungeteilten Großberlin, zusammen. Doch weitete das ostdeutsche Regime seine Kon- trolle rasch auf sämtliche Bereiche des sozia- len Lebens und damit auch auf Architektur und Stadtplanung aus. Henselmann und seine Mitarbeiter entwickelten städtebauliche Kon- zepte, die sich auf die abweisende Monumen- talität Albert Speers wie auf die von Moskau propagierte stalinistische Architektur stützten.

In seiner Eigenschaft als Stadtbaurat entwarf Hans Scharoun gemeinsam mit einer lose verknüpften Architektengruppe den „Kollektiv- plan für Berlin", der teilweise auf dem Begriff der „Bandstadt" begründet war. Wäre dieses „neue Berlin" verwirklicht worden, hätte das für zahlreiche Gebäude in der Berliner Stadtmitte, die den Krieg fast unbeschädigt überstanden Erste Wiederaufbauphase: 1949-1961 hatten, den Abriß bedeutet. Scharouns Plan Von einem in Westdeutschland zuvor unbe- sah die Freiräumung der Stadtmitte und den kannten Bauboom getragen, wurden die teil- Ersatz der traditionellen Blockbauweise durch weise dogmatischen Ideen der frühen Nach- locker in der Landschaft verstreute Gebäude kriegszeit in den fünfziger Jahren zu gebauter vor. Die Einwohner hätten zwar in der „Stadt- Realität mit oft verheerenden Folgen. Wäh- landschaft" viel Licht und Luft gefunden, doch rend sich zugleich die Kluft zwischen Ost und dafür auf die ansatzweise immer noch in Berlin West vertiefte, wurden Architektur und Stadt- vorhandene Urbanität verzichten müssen. In planung immer mehr zu einem Werkzeug im diesem Wunsch nach der völligen Aufhebung Kampf der Ideologien. des großstädtischen Charakters drückte sich das Bestreben aus, Hitlers romantisierende In Ostdeutschland zeigten die ersten Wieder- Nostalgie und brutale Giganto- manie durch aufbaubemühungen den wachsenden Einfluß deren Gegenteil zu ersetzen. der kommunistischen Ideologie auf die Stadt- planung. Walter Ulbricht, damals Generalsek- retär der SED, verkündete eine städtebauliche me, eine mehr als einfache städtebauliche Strategie, die die Grundlage für den Aufbau Strategie, die nicht nur im Dritten Reich, son- der ostdeutschen Städte von 1950 bis 1955 dern auch in der Sowjetunion unter Stalin lan- bildete: „In der Weimarer Zeit wurden in vielen ge praktiziert worden war. Edmund Collein, unserer Städte Gebäudekomplexe gebaut, die Vizepräsident der Deutschen Bauakademie, in ihrer architektonischen Gestaltung nicht den kennzeichnete 1951 die Pläne für die Stalinal- Wünschen der Bevölkerung entgegenkamen, lee: „Dieses von angloamerikanischen Bom- die nicht der nationalen Eigenart entsprachen, bern grausam zerstörte Stadtgebiet fordert sondern dem formalistischen Denken einer heute in seiner städtebaulichen und architek- Anzahl Architekten, die die Prmitivität gewisser tonischen Gestaltung die Überwindung der Fabrikbauten auf die Woh- nungsbauten über- Fehler und Mißstände der Vergangenheit. Es trugen. Unter dem Hitler-Faschismus wurde gilt also, einmal die Mietkasernenstadt als dieser Kasernenstil noch weiterentwickelt. Ausdruck der kapitalistischen Zeit zu überwin- Einige Architekten, besonders in der Bauabtei- den, zum anderen durch eine großzügige städ- lung des Magistrats von Groß-Berlin, wollten tebauliche Idee das Gesicht des Berliner Os- die Hauptstadt Deutschlands verniedlichen tens neu zu formulieren."4 durch den Bau von niedrigen Häusern und wollten Gebiete der Innenstadt nach den Die Stalinallee (später Karl-Marx-Allee, heute Richtlinien von Stadtrandsiedlungen bebauen. Frankfurter Allee) in Berlin-Friedrichshain Der grundsätzliche Fehler dieser Architekten (1952-1958) ist das beste Beispiel für die erste bestand darin, daß sie nicht an die Gliederung Aufbauphase in Ostdeutschland (37, 38, 39). und Architektur anknüpfen, sondern in Im Gegensatz zu der abstrakten Moderne der ihren kosmopolitischen Phantasien glauben, frühen westdeutschen Projekte wurde eine daß man in Berlin Häuser bauen solle, die Architektur entwickelt, die dem Schönheitssinn ebenso gut in die süd-afrikanische Landschaft und dem Nationalbewußtsein der Bürger ent- passen."2 Ulbrichts propagandistische Attacke sprechen sollte. Dafür galt es, klaren Ord- gegen Bauhaus und moderne Architektur ist nungsprinzipien zu folgen und historische typisch für die Geschicklichkeit des ostdeut- Formen in die Stadtplanung einzubeziehen. schen Regimes, im Namen von Sozialismus Heute hat die Stalinallee nichts von ihrer wuch- und Gleichheit die Wirklichkeit zu verdrehen tigen Monumentalität verloren. Selbst wenn und absichtlich falsch zu informieren. Mit sei- Aldo Rossi die ehemalige Prachtstraße als die nen Angriffen stand Ulbricht keineswegs allein: „letzte große Allee Europas"5 bezeichnete, „Der Bauhaus-Stil ist eben ein waschechtes beruht das Scheitern der ersten Phase des Kind des amerikanischen Kosmopolitismus kommunistischen Städtebaus in Ostdeutsch- und seine Überwindung unerläßliche Voraus- land auf dem Fehlen vielfältiger Urbanität und setzung für die Entwicklung einer neuen deut- auf der Vernachlässigung des menschlichen schen Baukunst."3 Maßstabes. Die endlosen Wohnblöcke und die farblose Monumentalität der Stalinallee drü- Während die westdeutschen Architekten und cken die kommunistische Tendenz aus, das- Stadtplaner nach einer neuen, auf der Moder- Individuum herabzusetzen und jede Selbstdar- ne gegründeten Architektur suchten, kritisierte stellung zu unterdrücken. Wie so oft gelingt es der ostdeutsche Propaganda-Apparat diese als der kommunistischen Stadtplanung nicht, die „brutalen Bruch mit der nationalen Tradition" echten menschlichen Bedürfnisse zu befriedi- und bezeichnete die Architekten der Gegensei- gen. te als „Anhänger der Kriegspolitik des anglo- amerikanischen Imperialismus". Obwohl der In anderen größeren ostdeutschen Städten Wiederaufbau der zerstörten deutschen Städte wurden ähnliche Riesenprojekte durchgezgen, gerade erst begonnen hatte, bestimmten die wobei man sich immer- hin in den meisten internationalen Spannungen - der Frühzeit des Fällen an örtliche Traditionen anpaßte. Die Kalten Krieges immer mehr die Bauprogram- Langestraße in Rostock (1953-1959), die Wil- me, denen die Städte in beiden Hälften helm-Pieck- Allee in Magdeburg (1953-1964), Deutschlands ihre neue Gestalt verdankten. der Roßplatz in Leipzig (1953-1958) und der Marktplatz in Dresden (1953-1957) sind an- Am 27. Juli 1950 beschloß der ostdeutsche schauliche Beispiele dieser stalinistischen Ministerrat die „Sechzehn Grundsätze des Bauphase, die Mitte der fünfziger Jahre, als Städtebaus", die den 1933 in der Charta von Nikita Chruschtschow zum Führer der Sowjet- Athen festgehaltenen Prinzipien der „unter union aufstieg, ein plötzliches Ende fand. angloamerikanischen Einfluß stehenden" CI- Gleichzeitig lösten industrielle Schnellbauver- AM (Congres internationaux d'architecture fahren die herkömmlichen Bauweisen ab und moderne) Widerpart geben sollten. Ein wesent- ersetzten den selbstverkündeten National-stil licher Aspekt der sechzehn Grundsätze war der frühen fünfziger Jahre durch eine techno- die Schaffung monumentaler städtischer Räu- kratische Ein-heitsarchitektur, die sich in all ihrer Häßlichkeit rasch von Ostberlin bis Wla- Nutzungsmischung und gutproportionierten diwostok ausbreitete. städtischen Räumen beruht. In der Stadt set- zen Baukanten, die Straßen begrenzen und In Westdeutschland suchte man die Probleme Plätze umziehen, den Rahmen für städtisches des Wiederaufbaus in einer experimentierfreu- Leben. Die Bauten des Hansaviertels dagegen digen Zeit mit einem weiten Spektrum an Lö- stehen als selbständige Einheiten in der Stadt- sungsmöglichkeiten zu überwinden. Dem zent- landschaft und symbolisieren Individualismus ralisierten Planungsdenken im Osten stand im und Auflösung der Gemeinschaft. Das Viertel, Westen eine Vielzahl pluralistischer Städte- das man als die beste der ersten Nachkriegs- baukonzepte entgegen, die in den einzelnen bebauungen bezeichnen kann, wurde unzähli- Ländern und Städten den besonderen Verhält- ge Male nachgeahmt, doch die meisten dieser nissen und Bedürfnissen angepaßt wurden. In Nachfolgeprojekte erwiesen sich als Fehl- den kleineren westdeutschen Städten vertrat schlag. Durch den Mangel an vielfältigen und man eine konservativere Haltung, die eng mit angemessenen Nut-zungsmöglichkeiten zu örtlichen und regionalen Traditionen verbun- Tode zerstückelt, dokumentieren diese trostlo- den war. Obwohl beispielsweise Freiburg im sen Anti-Städte das Scheitern der Überzeu- Breisgau, Freudenstadt und Münster fast völlig gungen, die den Städtebau der frühen Nach- zerstört waren, entschloß man sich für einen kriegszeit geprägt hatten. Wiederaufbau im traditionellen Sinn. Freuden- stadt bietet vielleicht das beste Beispiel für Hauptstadt Berlin (West): 1957-1958 diese konservative Richtung. 1599 nach einem Hauptstadt Berlin (Ost): 1958-1960 Idealplan im Schema eines Mühlbrettspiels Die erste städtebauliche Phase nach 1945 angelegt, hatte die Stadt in den letzten gipfelte in zwei wichtigen Wettbewerben für die Kriegstagen 670 Häuser rund um den zentra- Berliner Stadtmitte. Die eingereichten Projekte len Platz verloren. Anstatt eine neue Ordnung zeigen die gegensätzlichen Tendenzen in der über den alten Stadtplan zu stülpen, beriefen Pla- nungstätigkeit, die sich Ende der fünfziger die Einwohner eine Reihe von Stadtarchitek- ten, darunter Paul Schmitthenner, um den Wiederaufbau auf den alten Bauparzellen zu bewerkstelligen. Die Vielfalt in Maßstab und Funktionen wurde beibehalten und erfolgreich neu interpretiert, so daß sich Freudenstadt heute als lebendige Stadt präsentiert, in der die Wunden der Zerstörung beinah verheilt sind.

Andere städtebauliche Überlegungen liegen der Westberliner Internationalen Bauausstel- lung von 1957 zugrunde, die unter dem Namen Interbau bekannt wurde. Es ging dabei um die Neubebauung des Hansaviertels (40), dessen Wohnblöcke die Ziele und Unzulänglichkeiten der Nachkriegsmoderne anschaulich belegen. Das neben dem Tiergarten gelegene Viertel, das ursprünglich mit herkömmlichen Häuser- Jahre in Ost- und Westdeutschland herausge- blöcken dicht bebaut war, bot eine ausge- bildet hatten und das Denken der Architekten zeichnete Gelegenheit, die Idee der aufgelo- in den folgenden Jahren weiter bestimmten. ckerten Parkstadt in die Wirklichkeit umzuset- zen. Während man den Tiergarten beträchtlich erweiterte, wurden die Häuser als selbständige Obwohl der Westberliner Senat und die bun- Baukörper in die Landschaft gesetzt. Wer heu- desdeutsche Regierung in Bonn keine juristi- te durch das Viertel schlendert, spürt die visio- sche Zuständigkeit für die im Osten gelegene näre Energie von Architekten wie Alvar Aalto, alte Berliner Stadtmitte hatten, schrieben sie Walter Gropius oder Jacob Berend Bakema. 1957 einen provozierenden internationalen Dem Geist der CIAM verpflichtet, glaubten sie, städtebaulichen Ideenwettbewerb aus. Die durch ein Maximum an Natureinbindung und Beiträge negierten im allgemeinen die ge- Funktionalität jeder Hauseinheit die ideale wachsene Stadtstruktur: Sogar der Lauf der Stadtsiedlung ver-wirklichen zu können. Spree nördlich des Reichstagsgebäudes sollte

verlegt werden, um Platz für ein Autobahn- Allem wohlgemeintem Idealismus zum Trotz kreuz zu schaffen. Die Vision der Stadt als geht dem Hansaviertel letzten Endes die le- „Stadt-landschaft" mit locker über die Land- bendige Vielfalt historischer Städte ab, die auf schaft verstreuten Gebäuden stand in völligem durch ihr Gegenteil ersetzt: eine Ordnung der Gegensatz zu dem vermeintlichen Formalis- Zerstückelung und Dezentralisierung. Die Ver- mus der nationalsozialistischen Stadtplanung wirrung der Realität, die Unvermeidlichkeit der und der folgenden kommunistischen Monu- Zersplitterung und der Zusammenbruch der mentalität, und dieses Paradigma blieb in vorgegebenen, kohärenten Außenwelten ist Westdeutschland für Jahrzehnte verbindlich. der Preis für die Freiheit."7 Obwohl Scharouns Leider war jedoch die Vision nichts weiter als große Utopie für Berlin keine Chance auf Ver- eine andere Ausprägung des Formalismus, die wirklichung hatte, erhielt er zehn Jahre später sich schließlich als genauso verheerend für die den Auftrag, das Westberliner Kulturforum zu Stadt erwies. Da Deutschland und Berlin noch entwerfen, wo es ihm zumindest teilweise für weitere fünfunddreißig Jahre mit der Tei- möglich war, seine Vision einer neuen urbanen lung leben mußten, blieben die visionären Ordnung zu realisieren. Entwürfe auf dem Papier. So entgingen weite Bereiche der Berliner Stadtmitte dem traditi- In den späten fünfziger Jahren veranstalteten onsfeindlichen Formalismus der unmittelbaren die ostdeutschen Behörden mehrere be- Nachkriegszeit und stehen heute für andere schränkte Wettbewerbe, die einzig Architekten Bebauungstypen zur Verfügung. aus Ostblockländern offenstanden. Die Struk- tur und die Ergebnisse dieser Wettbewerbe Der mit dem ersten Preis ausgezeichnete Bei- zeigen die wachsende Kluft zwischen ost- und trag von Friedrich Spengelin, Fritz Eggeling westdeutschem Denken. 1960 legte ein ost- und Gerd Pempelfort läßt eine verhältnismäßig deutsches Kollektiv unter Führung von Peter hohe Rücksichtnahme auf die städtische Schweitzer einen Fünfjahresplan 1960-1965 Grundstruktur erkennen, obwohl auch er die für die neue Mitte der „Hauptstadt Berlin" vor. unnötige Freiräumung weiter Flächen vorsah, Der Plan, der auf die angrenzenden Westberli- um Platz für ein neues Geschäftszentrum zu ner Bezirke keinerlei Bezug nahm, bekräftigte schaffen. Der Kommentar der Jury zeigt deut- die Teilung der Stadt und die Abschottungspo- lich die damals herrschenden Meinungen: litik des ostdeutschen Regimes, die im Mauer- „Manche bedauerten, daß es ein Projekt ohne bau des folgenden Jahres ihren Höhepunkt Leidenschaft oder zündende Idee war, doch für fand. Seit dem Zweiten Weltkrieg war die viele andere lag gerade darin sein Vorzug. Es kommunistische Stadtplanung auf monumenta- war das Musterbeispiel bürgerlicher Ehrbarkeit le städtische Räume und riesige Baukomplexe in modernem Gewand."6 Das Regierungszent- ausgerichtet, die die ursprünglichen Ideen des rum in der Nähe des Reichstagsgebäudes Sozialismus in ihr Gegenteil verkehrten. sollte erhöht als Plateau am Ufer der Spree liegen, darauf wurden die Parlamentsbauten Die zweite Aufbauphase: 1961-1980 wie Skulpturen angeordnet, ein Planungstyp, Auf Anordnung der ostdeutschen Regierung für den in der unweit gelegenen Kongreßhalle wurde in der Nacht vom 12. zum 13. August des amerikanischen Architekten Hugh Stub- 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer begon- bins von 1957 ein überzeugendes Beispiel nen. Die Berliner Stadtmitte wurde zu einem vorlag. Niemandsland zwischen gegensätzlichen poli- tischen und sozialen Systemen. Als Symbol für Hans Scharouns Beitrag, der den zweiten die Niederlage Nazideutschlands, die Strenge Preis gewann, schlug eine völlige Umwandlung der kommunistischen Diktatur und die politi- der Stadt vor. Scharouns „neue Ordnung" be- sche Lähmung von Berlin, Deutschland und ruhte auf seiner Überzeugung, daß die neue Europa ist dieser „Schwerthieb durch eine Gesellschaft ihren Ausdruck in neuen Formen Stadt" zum Inbegriff der Sinnlosigkeit des Kal- finden müsse. Obwohl Zielsetzungen und Ma- ten Krieges geworden. Über Jahre hinweg nifeste überzeugend klingen, bringt eine gründ- besaß der „antifaschistische Schutzwall" eine liche Untersuchung des Scharounschen Ent- absurde Normalität. Die in seinem Bereich wurfs einen überraschenden Mangel an Auf- gelegenen früheren Plätze und Straßen waren merksamkeit für maßstabgerechte Stadtstruk- bald nur noch eine blasse Erinnerung. Obwohl turen und einen Hang zu Monumentalität zu die Mauer kaum fünf Meter hoch war, ver- Tage. Zwei Maßnahmen sollten die getrennten drängte sie in sozialer und urbaner Hinsicht Stadthälften miteinander verbinden: ein „Haus das Leben aus dem Zentrum. Politisch, wirt- der Wirtschaft" genannter riesiger Baukom- schaftlich, kulturell und architektonisch war die plex, der ohne Rücksicht auf das bestehende Stadt gelähmt. Stadtgefüge über drei Kilometer in die Südliche Friedrichstadt vorstieß, und die Erweiterung Obwohl die Teilung in den sechziger Jahren des Tiergartens nach Ostberlin, um einen unwiderruflich erschien, wurden in Ost- wie in Grüngürtel durch die Stadt zu legen. „Die Erin- Westdeutschland ähnliche städtebauliche Stra- nerung an Hitlers Zwangsvorstellung einer tegien entwickelt. Der Wohnungsmangel war alles umfassenden Ordnung würde willentlich ein ständiges politisches Thema mit Explosiv- kraft. Zusätzlich zum Wiederaufbau der kriegs- und den Park zu vervollständigen, waren die zerstörten Wohnungen für die wachsende Einwohner von Marzahn nie in der Lage, die einheimische Bevölkerung mußten Hundert- zur Belebung ihrer Stadt notwendigen Maß- tausende zusätzlicher Wohnungen für die nahmen durchzusetzen. Die Erneuerung von Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten bereitge- Marzahn und unzähliger ähnlicher Wohnsied- stellt werden. Um den Problemen, die das lungen in den neuen Bundesländern ist eine Bauen in der Innenstadt stellte, auszuweichen, der Hauptaufgaben, die Architekten und Stadt- plante man neue Wohnviertel in großer Ent- planer in den neunziger Jahren erwartet. fernung von den städtischen Zentren. Das Aufkommen der Vorstadtkultur und die Ver- Aufgrund der einseitigen Bevorzugung dieses nachlässigung der Innenstadt, die den ameri- Typs der Trabantenstadt wurde das Wohnen in kanischen Städtebau der Nachkriegszeit der Innenstadt bis in die achtziger Jahre ver- kennzeichnen, finden ihre Parallele in den nachlässigt, als man sich umzubesinnen und in Trabanten- und Satellitenstädten, die im Wes- Ost und West erneut divergierende neue städ- ten bis in die späten siebziger und im Ostblock tebauliche Konzepte zu entwickeln begann. bis in die neunziger Jahre aus dem Boden Einmal mehr liefert Berlin die anschaulichsten gestampft wurden. Marzahn in Ostberlin und Beispiele für die Stadtkerngestaltung der sech- das Märkische Viertel in Westberlin können ziger und siebziger Jahre. stellvertretend für Dutzende anderer Neubau- siedlungen in ganz Deutschland ge- nannt In Ostberlin wurden bis in die späten achtziger werden, Jahre zahlreiche Elemente des Schweitzer- Plans ausgeführt, Bauten, in denen die kom- Das Märkische Viertel war das umstrittenste munistische Ideologie ihren materiellen Nieder- städtische Neubauprojekt der sechziger Jahre. schlag fand. Die Leipziger Straße beispiels- Bevor die ersten Baumaschinen auffuhren, weise wurde mit einer Mischung aus zwölf- bis sprachen Kritiker bereits vom Scheitern des fünfundzwanziggeschossigen Wohnblöcken ganzen Unternehmens. Die damals geäußerte bebaut. Die Reste des Alten Schlosses, Resi- Kritik war einer der Ausgangspunkte für die denz der preußischen Könige und symboli- postmoderne Stadtplanung um die Mitte der sches Zentrum der Stadt, wurden abgerissen, achtziger Jahre. Letzten Endes war das Mär- um den eintönigen „Palast der Republik" Platz kische Viertel eine vergröberte Fassung des zu machen. Der Alexanderplatz, vordem Krieg Hansaviertels. Die gleiche Idee der Parkstadt einer der belebtesten Orte der Stadt, wurde in bildete die Grundlage. Was allerdings als der Größe verdreifacht und dadurch seiner Grünflächen zwischen massiven Wohnblöcken Lebenskraft beraubt. Der Bereich zwischen geplant war, verkam zu einer Ansammlung von Schinkels Altem Museum und dem Alexander- Parkplätzen. Gigantische Betonklötze mit bis platz ist heute immer noch durch Freiflächen zu zwanzig Geschossen wurden so weit aus- gekennzeichnet, die für die vom Regime ver- einandergesetzt, daß sie zwischen sich keinen anstalteten Paraden und Aufmärsche dienten. sinnvollen städtischen Raum zu bilden ver- Große Regierungsgebäude, einst als Denkmä- mochten. Die phantasielose Wiederholung ler für die neue Ordnung entworfen, stehen industriell vorgefertigter Bauelemente und das augenblicklich leer: gespenstische Torsos mangelhafte Gesamtkonzept ließen das Märki- inmitten der gescheiterten Stadt des sozialisti- sche Viertel zu einer trostlosen, von der ge- schen Realismus. steigerten Vitalität der Stadt weit entfernten Anti-Stadt werden. Dennoch entwickelte sich In Westberlin wurde Hans Scharoun mit dem das Viertel in den letzten Jahren allen kriti- Entwurf des Kulturforums betraut, einem Ge- schen Stimmen zum Trotz zu einer Wohnge- bäudekomplex, zu dem die Philharmonie und gend mit erstaunlich hoher Lebensqualität, die Staatsbibliothek gehören. Damit war es wenn man einer vor kurzem durchgeführten dem Architekten möglich, seine Idee der Stadt Umfrage unter den Anwohnern Glauben als amorpher „Stadtlandschaft" zumindest schenken darf. teilweise und mit unterschiedlichem Erfolg zu verwirklichen. Die Gebäude selbst sind in der Die Neubausiedlung Marzahn, das Ostberliner Art einer Stadt entworfen; ohne Bezug zu ihrer Gegenstück zum Märkischen Viertel, litt unter Umgebung vernachlässigen sie den städti- ähnlichen Problemen. Allerdings konnte die schen Kontext. Trotz aller Virtuosität seiner harte Kritik, die sich gegen das Märkische Innenräume ist das Kulturforum von außen Viertel erhoben hatte, im Ostteil der Stadt bis gesehen auch heute noch ein zusammenhang- 1990 nicht offen vorgebracht werden. Während loser, trister Bereich. die Erbauer des Märkischen Viertels in den achtziger Jahren gezwungen waren, mehr In den frühen siebziger Jahren waren in Ost- Bäume anzupflanzen, die Hauseingänge neu wie Westdeutschland die schlimmsten Kriegs- zu gestalten, ein Einkaufszentrum zu errichten folgen beseitigt. Während man im Osten die industrielle Anti-Stadt-Architektur der sech- dürfte das Olympische Dorf, obwohl kaum ziger Jahre weiterführte, begannen sich im denkbar als eine zeitgenössische Lösung, das Westen neue Erkenntnisse in der Stadtplanung überzeugendste Beispiel für den Wohnungs- durchzusetzen, da man sich der Unzulänglich- bau der frühen siebziger Jahre sein. keiten des bisherigen Bauens bewußt gewor- den war. Das Olympiagelände in München mit Wiederaufwertung der Tradition: die seinen Sportanlagen und Wohnbauten wurde achtziger Jahre 1972 zu einem der erfolgreichsten Städtebau- Zu Beginn der achtziger Jahre ließ sich das projekte der europäischen Nachkriegszeit. Scheitern eines großen Teils des Städtebaus Für die Veranstaltung der Olympischen Som- der Nachkriegszeit nicht mehr abstreiten. Den- merspiele 1972 in München wurde 1968 ein noch verhinderten die dogmatischen Struktu- Wettbewerb ausgeschrieben. Auf dem zur ren in Ostdeutschland jeden Wechsel. Die Verfügung stehenden Gelände hatte man in Erfahrungen der sechziger und siebziger Jahre den ersten Nachkriegsjahren die Trümmer zu blieben unberücksichtigt, da man weiter nach Bergen aufgehäuft. Die Preisträger des Wett- dem idealen architektonischen Ausdruck für bewerbs, der Stuttgarter Architekt Günter Beh- die erlahmende kommunistische Ideologie nisch mit seinem Team, zu dem unter anderen suchte. In Ostberlin wurde die größte europäi- Joachim Joedicke und Frei Otto gehörten, sche Neubausiedlung jener Zeit und der ge- schlugen eine lockere Bebauung mit zeltähnli- samten Nachkriegszeit in Hellersdorf gebaut, chen Strukturen vor, die sich über das hügeli- und ähnliche Projekte sind in der Peripherie ge Gelände zogen. Das Konzept, das in völli- fast jeder ostdeutschen Stadt zu finden. In gem Gegensatz zu der steifen Monumentalität Westdeutschland dagegen suchte eine neue der 1936 von Hitler in Berlin veranstalteten Generation von Architekten und Stadtplanern Olympiade stand, kündete von einer neuen nach Lösungen für die komplexen Probleme, demokratischen Architektur, die die soziale, die sich durch den zunehmenden Verfall der politische und architektonische Erneuerung seit mehr als zwanzig Jahren vernachlässigten Westdeutschlands überzeugend dokumentier- Innenstädte stellten. te. Die Wiederentdeckung des Stadtzentrums Ein weiterer Preisträger, das Stuttgarter Archi- fand in Westdeutschland an vielen Orten zu- tektenteam Erwin Heinle und Robert Wischer, gleich statt. In Eichstätt erneuerte der Diöze- erhielt den Auftrag, das Olympische Dorf zu sanbaumeister Karljosef Schattner das histori- entwerfen. Ähnlich wie das Märkische Viertel sche Stadtbild mit behutsamen Eingriffen, die stieß das Dorf anfangs auf heftige Kritik; heute das Alte nicht zu übertrumpfen, sondern ihm jedoch wird es von neunzig Prozent seiner selbstbewußt zu begegnen suchten. Die Re- dreitausend Bewohner in hohen Tönen gelobt, gensburger Altstadt wurde restauriert und mit vor allem weil man hier trotz des weit- Neubauten belebt. Mit einer Reihe bemer- gefächerten Bauprogramms und der kurzen kenswerter Museumsbauten in der Kulturmeile Bauzeit die Fehler der meisten anderen größe- am Main, dem Neuaufbau des historischen ren Wohnbauprojekte hatte vermeiden können. Zentrums und einem internationalen Messe- Der erfolgreiche Entwurf des Olympischen zentrum in der Nähe des Bankenviertels gab Dorfes beruht auf mehreren Grundsatzent- Frankfurt seiner Stadtmitte neues Leben. scheidungen: Die nach Süden orientierten erneuerte sein verfallendes Zentrum Gebäude sind terrassenförmig angelegt und mit einer vitalen Mischung aus Geschäfts-, gewähren Ausblicke in die Landschaft, wobei Laden- und Wohnbauten. In Westberlin führten die Bewohner die Betoneinheiten in hängende die Erfahrungen der sechziger Jahre - die ers- Gärten verwandelten. Die Autos sind in ein ten Versuche mit Partizipationsmodellen, die unterirdisches System von Straßen und Ab- Kritik am Märkischen Viertel - zur neuen Inter- stellplätzen verbannt, so daß die öffentlichen nationalen Bauausstellung IBA, der einfluß- Plätze verkehrsfrei sind und zusätzliche Grün- reichsten Architekturwerkstatt der achtziger anlagen und Spielplätze angelegt werden Jahre. konnten. Zweigeschossige Gebäude wechseln mit höheren Blöcken ab, um ein abwechs- Die Standorte der IBA verteilen sich über die lungsreiches Straßenbild und städtische Dichte Stadt und liegen vor allem in Gebieten, die im zu schaffen. Wohnbauten, Läden und Ge- Krieg weitgehend zerstört und zum Zeitpunkt schäfte, Hotels, Schulen, Kirchen, Büros: alle des Ausstellungsbeginns stark erneuerungs- Funktionen sind gut durchmischt. Die Kombi- bedürftig waren. Dabei befaßt sich die Altbau- nation von Miet- und Eigentumswohnungen IBA unter der Leitung von Hardt-Waltherr Hä- zog verschiedene soziale Gruppen an, wäh- mer im Demonstrationsgebiet Kreuzberg SO rend der hohe Anteil an Wohnungen in Privat- 36 vor allem mit „behutsamer Stadt- eigentum das Prestige der Wohnlage weiter erneuerung". Die in diesem Zusammenhang ansteigen ließ. Aus heutiger Sicht gesehen, entwickelten Projekte sind zwar weniger auffäl- deutsche Regierung der Stadt weiterhin ihren lig, haben aber um so weiter reichende Folgen. ideologischen Stempel aufzudrücken und Die Erneuerung heruntergekommener Häuser schlug dabei Wunden, die erst nach Jahrzehn- und Wohnungen in mehreren Stufen, die Ver- ten heilen werden. schönerung des gesamten Gebiets, der Einbe- zug aller Beteiligten in die Entscheidungspro- Zwischen Rekonstruktion und zesse und die Bereitstellung günstiger Kredite Dekonstruktion: die neunziger Jahre tragen dazu bei, den inneren Zusammenhalt Am 9. November 1989 gab das ostdeutsche des ganzen Viertels zu festigen und dank einer Regime dem wachsenden Widerstand nach Vielfalt an Funktionen die Vitalität der Stadt zu und öffnete die Grenzen zu Westdeutschland erhöhen. Der von Hämer und seinen Mitarbei- und Europa. Der Fall der Berliner Mauer und tern entwickelte „Bauplan" von 1981 hält den das Ende der deutschen Teilung war in Sicht. Zustand jedes Gebäudes fest und legt einen Kaum ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, Maßnahmenkatalog vor, der von weiträumigen war die Wiedervereinigung formal vollzogen. Renovierungen bis zu ergänzenden Neubau- Diese Ereignisse bedeuten auch für Architektur projekten reicht. und Stadtplanung den Beginn einer neuen Epoche. Während man die gängigen west- In der von Josef Paul Kleihues geleiteten Neu- deutschen Planungskonzepte der achtziger bau-IBA geht es um den Neuaufbau der alten Jahre auf Projekte in den neuen Bundeslän- Blockbebauung in der Südlichen Friedrich- dern übertrug, wurde die Stadtplanung in zu- stadt, im Tiergarten und in Tegel. Architekten nehmendem Maß von neuen Tendenzen be- aus aller Welt wurde die Möglichkeit geboten, stimmt. Ein trauriges Erbe der ostdeutschen ihre manchmal utopischen Visionen zu verwirk- Regierung waren die verwüsteten Innenstädte, lichen. Der von Kleihues 1984 vorgelegte Ge- die nach dem Krieg nie wiederaufgebaut oder samtplan unterscheidet sich deutlich von den langsam verfallen waren. Architekten und städtebaulichen Vorstellungen, die den Wett- Stadtplaner sahen sich Problemen gegenüber, bewerb „Hauptstadt Berlin" von 1957 bestimm- die denen der ersten Nachkriegszeit glichen, ten, und zeugt von der Wiederentdeckung der nur waren inzwischen fünfundvierzig Jahre Stadt als räumliches und philosophisches Kon- vergangen. tinuum. In der Südlichen Friedrichstadt und im Tiergartenviertel sah der Plan von 1984 Häu- Im November 1990 luden das Deutsche Archi- serblöcke mittlerer Dichte vor. Innenhöfe soll- tekturmuseum und die „Frankfurter Allgemei- ten Licht und Luft in die Wohnungen bringen ne" siebzehn Architekten ein, zum Thema und den Verkehrslärm fernhalten. Die neuen „Berlin Morgen" Vorschläge für das Herz von Blöcke bildeten neue Straßenräume. Parks Berlin zu machen. Obwohl die theoretischen und Grünanlagen sollten an die Stelle nicht Entwürfe ihres utopischen Charakters wegen mehr benutzter Gleisanlagen treten und als kritisiert wurden, während die Zeit eher prag- Naherholungsgebiete für die dicht besiedelten matische Lösungen forderte, zeugen die vi- Innenstadtviertel dienen. Großzügig gestaltete sionären Ideen von der Euphorie des Jahres Plätze boten Raum für vielfältige Funktionen. 1990 und deuten die städtebaulichen Grund- Um jede Monotonie zu vermeiden, wurde kein ideen der folgenden Jahre an. besonderer Baustil vorgeschrieben; ein weites Spektrum möglicher Lösungen wurde im Labor schlägt vor, am Ufer der Stadt erprobt. Heute darf man den ausge- der Spree „Ikonen der Architektur" als über das prägten Sinn für Pluralismus und Freiheit des historische Zentrum verstreute urbane Frag- Ausdruckes als die überzeugendste Leistung mente zu errichten. Er betrachtet Berlin als der IBA ansehen. „Städtearchipel" und entwickelt in seinem Ent- wurf die Idee der „Stadt in der Stadt", in der die Obwohl sich die meisten Neubauten in Ost- Stadt als Ansammlung von Fragmenten zu deutschland auf die Stadtrandsiedlungen kon- verstehen ist. Anstatt die Zerstückelung mit zentrierten, wurden in Ostberlin und anderen Stadtreparaturen zu beheben, versucht Ungers Städten ebenfalls Projekte für den Innenstadt- das als positiven Wert verstandene Chaos von bereich entwickelt, die allerdings im scharfen Berlin zu bewahren und zu verstärken. Die Gegensatz zu den Revitalisierungsprojekten in besonderen Merkmale einzelner Viertel sind in Westdeutschland stehen. Im Berliner Nikolai- einem ersten Schritt festzulegen und anschlie- viertel baute man einen der ältesten Stadtteile ßend zu bewahren und zu verstärken, bis sich mit Häusern in Plattenbauweise neu auf. An die ganze Stadt als Collage von Fragmenten der Friedrichstraße entstanden neue Hotels präsentiert. Wie Ungers ausführt, ist das einzi- und Einkaufszentren. Einförmige Wohnblöcke ge beständige Element, das die urbanen wurden an der Wilhelmstraße erstellt, wo einst Bruchstücke Berlins zusammenhält, der dialek- diplomatische Vertretungen und Ministerien tische Prozeß, in dem die These von der Anti- standen. Mit diesen Projekten suchte die ost- these widerlegt wird. Statt das Zentrum in sei- in neue Blöcke einbezogen, um auf diese Wei- ner historischen Form wiederaufzubauen, se die zerstückelte Stadtlandschaft zu reparie- schlägt er eine architektonische und stilistische Haltung vor, die die Einzigartigkeit des zerstü- ckelten Charakters der Stadt anerkennt. Läßt sich sein Gebrauch von „Ikonen der Architek- tur" als Metapher für das Schicksal der Stadt verstehen, so legt er darüber hinaus mehrere konkrete Vorschläge für seine eigenen urba- nen Fragmente vor. Der überflüssig geworde- ne „Palast der Republik" könnte durch ein „Volkshaus" erweitert werden, das gegenüber von Schinkels Altem Museum auf der anderen Seite von Unter den Linden stehen würde. Ein achthundert Meter langer Bau würde die Spree überspannen und eine Art Tor in das Gebiet hinter dem Reichstag bilden. Der Bahnhof Friedrichstraße soll von drei neuen Blöcken flankiert werden, eine Anspielung auf den Ent- wurf gebliebenen Glaswolkenkratzer, den Mies van der Rohe in den zwanziger Jahren an dieser Stelle errichten wollte. ren.

Hans Kollhoffs Projekte zur „Berlin Morgen" 1991 fand der erste offizielle städtebauliche Ausstellung umfassen das Gebiet rund um Wettbewerb für die Berliner Mitte statt; es ging Postdamer und Alexanderplatz mit der Leipzi- darum, einen städtebaulichen Rahmenplan für ger Straße zwischen den beiden Plätzen. das Gebiet rund um den fest- Durch die Beschränkung der Bauten auf diese zulegen. Als man mit dem Abriß der Mauer Bereiche sucht Kollhoff die kreative Kraft der begann, kam dort, wo sich einst einer der ver- freien Marktwirtschaft mit Hilfe von Hochhäu- kehrsreichsten Plätze Europas befand, ein sern nach amerikanischem Vorbild zu nutzen. verwildertes Stück Brachland zum Vorschein. Die Verdichtung bestimmter Bereiche des Die Revitalisierung des Potsdamer Platzes Stadtkerns soll die unbebaute Landschaft rund stellt eine der schwierigsten Herausforderun- um Berlin schützen. So sind in der Stadtmitte gen der 90er Jahre dar. Die Münchner Archi- Bauzonen mittlerer Dichte vorgesehen, wäh- tekten Heinz Hilmer und Christoph Sattler, die rend siebziggeschossige Wolkenkratzer am aus dem beschränkten Wettbewerb als Ge- Potsdamer und Alexanderplatz für Büros be- winner hervorgingen, schlagen eine stilistisch stimmt sind. Die sechs für den Postdamer und städtebaulich strenge Blockbebauung vor, Platz geplanten Wolkenkratzer enthalten zu- die sich an der Berliner Tradition orientiert und sammen mehr Nutzfläche als das gesamte die Stadtstruktur ergänzt und erneuert (49). umliegende Viertel. Als Vorbild für sein Projekt Die bestehende Blockbauweise wird durch führt Kollhoff die klassischen Wolkenkratzer eine kompakte Zone zehngeschossiger Ge- New Yorks an, doch vermeidet sein Plan die bäude erweitert. Der Entwurf lehnt sich nicht auf allzu großer Verdichtung beruhenden Prob- an das „weltweit erprobte amerikanische leme Manhattans, indem er den Hochhäusern Stadtmodell einer Ansammlung von Wolken- zwei sorgfältig ausgesuchte Standorte zuweist. kratzern" an, sondern gründet auf der „Vision einer kompakten, räumlich komplexen europä- Josef Paul Kleihues konzentriert sich in seinen ischen Stadt". Die Entscheidung, den Entwurf Projekten für denselben Bereich auf das Stück von Hilmer und Sattler mit dem ersten Preis zwischen Potsdamer Platz und Spree. Der auszuzeichnen, bekundet den klaren Willen, Spreebogen nördlich des Reichstagsgebäu- das Experiment mit den Elementen der huma- des soll das zukünftige deutsche Regierungs- nistischen Stadt zu wagen und im Gegensatz viertel werden. Mittelhohe Blöcke mit einigen zu den meisten anderen Wettbewerbsbeiträ- schlanken Hochhäusern an strategischen gen die Investoren an ihrer Absicht zu hindern, Punkten sind für das Gebiet um den Potsda- abweisende Wolkenkratzer in die Höhe zu mer Platz vorgesehen. Auf die historisch be- ziehen. 1992 überarbeiteten die Architekten dingte Nord-Süd-Teilung Berlins geht Kleihues ihren Entwurf, um ihn einigen Forderungen der mit einem Nord-Süd-Boulevard ein, der als Investoren, dem Verkehr und der benötigten dringend benötigte Verkehrsachse die Innen- Infrastruktur besser anzupassen. Im Sommer stadt mit den Außenbezirken verbindet. Die 1992 fanden weitere Wettbewerbe für die Be- wenigen erhaltenen urbanen Fragmente zwi- bauung einzelner Grundstücke statt. schen Reichstag und Potsdamer Platz werden Als die Euphorie nach dem Fall der Berliner platz (50). Ihr Projekt setzt sich mit den Prob- Mauer abgeklungen war, trat der erschrecken- lemen auseinander, die sich ganz allgemein in de Zustand der ostdeutschen Innenstädte und den historischen Stadtzentren der neuen Bun- Neubausiedlungen immer deutlicher zu Tage. desländer stellen. Indem die Planer den Ver- Angesichts der gewaltigen Aufgaben, die sich lauf der alten Stadtmauern respektieren und hier stellten, kamen neue, beinah unlösbare, mit Hilfe umsichtig plazierter Neubauten klar Aufgaben auf Architekten und Stadtplaner zu. definierte Straßen, Plätze und Grünanlagen Da die historischen Stadtteile so rasch wie schaffen, bieten sie Raum für neue Urbanität. möglich saniert werden mußten, wandte sich Durch Verdichtung bei gleichzeitiger Rück- die Aufmerksamkeit eine Zeitlang von den sichtnahme auf gewachsene Stadtstrukturen - wuchernden Neubaugebieten ab, die ohne die dabei war auch der nahegelegene barocke wichtigsten Kultur- und Freizeiteinrichtungen Zwinger miteinzubeziehen - gelingt es den auszukommen hatten. Durch die einseitige Schürmanns, einen vielfältigen, leicht identifi- Ausrichtung auf den Wohnbau war die für das zierbaren Stadtbereich zu schaffen, ohne auf Leben einer Stadt notwendige Durchmischung historische Formen zurückgreifen zu müssen. der Funktionen unterblieben. In den riesigen Siedlungen gab es oft weder Einkaufsmöglich- Bedingt durch die neue Situation in Ost- keiten oder Büros noch Kulturzentren oder deutschland wurden in den frühen neunziger Ämter. Jahren weitere städtebauliche Probleme zu dringlichen Anliegen der Städtebauer. Dazu Obwohl die Neubausiedlung Hellersdorf vor gehörte nicht nur die akute Wohnungsnot, den Toren Berlins in den achtziger Jahren für sondern auch die Stillegung zahlreicher Fab- über 200000 Bewohner errichtet wurde, blieb rikanlagen und die Aufgabe städtiischer das Stadtzentrum unvollendet. Die riesige Grundstücke in Uferbereichen. Die Planer leere Fläche inmitten der trostlosen Siedlung bemühten sich um Lösungen für die Woh- bot Stadtplanern die erste Gelegenheit, die nungsnot, ohne der weiteren Zersiedelung der durch die in Ostdeutschland entstandenen Landschaft Vorschub zu leisten, und befaßten Satellitenstädte verursachten Probleme zu sich mit dem Umbau bestehender Gebäude lösen. bei Wahrung des natürlichen Umfeldes.

Der Entwurf von Andreas Brandt, Rudolph Die IBA Emscher Park wurde in den späten Böttcher und Liliana Villanueva, der 1991 sieg- achtziger Jahren angefangen und im Laufe der reich aus dem Wettbewerb hervor ging, schlägt neunziger Jahre durchgeführt, um das früher eine dicht bebaute Stadtmitte vor, die in deutli- hochindustrialisierte Ruhrgebiet zwischen chem Gegensatz zu der üblichen eintönigen Duisburg und Dortmund wiederaufzuwerten. Blockbauweise steht. Hier wurden klare Im Gegensatz zur behutsamen Stadtreparatur, Richtlinien für die Reparatur und Ver- wie sie die Berliner IBA der achtziger Jahre vollständigung der mangelhaften Stadtstruktur propagierte, suchte man nach umfassenderen vorgelegt. Ausgehend von dem Grundsatz, Lösungen, da es um die Umwandlung einer daß „jeder Einwohner das Recht auf Stadt weitaus größeren Region ging. Sechzehn hat", entwarf das Team ein dichtes Gefüge Standorte, in der Mehrzahl stillgelegte Indust- vielgestaltiger Blöcke mit zahlreichen Funktio- rieanlagen, wurden unter dem Thema „Arbei- nen als Gegenstück zu der umliegenden Anti- ten im Park" für neue Industrien, Dienstleis- Stadt. Fünfgeschossige Gebäude enthalten tungsbetriebe und Wissenschaftsparks bereit- Räumlichkeiten für Büros, Einkaufen, Kultur, gestellt. Innovative Modelle erprobten die Zu- Sport, Freizeit und Verwaltung, wobei Büros in sammenarbeit von öffentlicher Hand und Pri- den unteren und Wohnungen in den oberen vatsektor. Der Münchner Architekt Uwe Kiess- Geschossen zu finden sind. Drei Hochhäuser, ler schlug für das Rheinelbegebiet in Gelsen- die über die umliegenden Bauten hinausragen, kirchen einen Wissenschaftspark als neue dienen als weithin sichtbare städtische Erken- Arbeitsstätte vor, die die veralteten Fabriken nungszeichen. Indem die Architekten die Feh- ersetzen könnte. Zusätzlich zu den Projekten ler der herkömmlichen modernen Stadtplanung für die Entwicklung neuer Industrien hatte die zu vermeiden vermochten, entwarfen sie eine IBA Emscher Park zwanzig Orte für Wohnbau maßstabsgerechte Stadtmitte, die aufgrund und Stadterneuerungen vorgesehen. In Pros- ihrer Funktionsvielfalt als eine der ersten per III beispielsweise, einer stillgelegten Fabrik empfehlenswerten Lösungen für die Probleme im Zentrum von Bottrop, sah das preisgekrönte der Neubausiedlungen im Osten Deutschlands Projekt der Darmstädter Architekten Klaus und gelten kann. Verena Trojan ein neues Stadtviertel mit vier- hundert Wohneinheiten und einer Vielzahl In Dresden gewann das Kölner Architekten- weiterer Funktionen vor, darunter Einkaufs- paar Joachim und Margot Schürmann 1992 möglichkeiten, Arbeitsstätten, Diensleistungs- den städtebaulichen Wettbewerb für den Post- betriebe, Kinos, eine Bibliothek und Cafes, die einen passenden Grad an Urbanität gewähr- zuarbeiten. Den gleichen Zielen verpflichtet, leisteten (51). Das Gesamtareal ist in drei entwarf jede Studie einen eigenen Stadtteil am Quartiere unterteilt, in denen jeweils Wasser und gelangte zu anderen Lösungen .verschiedene Gebäudetypen um einen zentra- hinsichtlich Verdichtung und Anlage von Parks len Park gruppiert sind. und Grünflächen.

In den frühen neunziger Jahren rückte die 1992 wurde ein städtebaulicher Wettbewerb Wohnungsnot, mit der man in Deutschland seit für die erste Phase der Wasserstadt, das Pul- 1945 ständig leben mußte, erneut ins Zentrum vermühlegebiet, durchgeführt. Gernot und der Stadtplanung, innerhalb kurzer Zeit waren Johanna Nalbach schlugen 1200 Wohneinhei- nun die Projekte von kleineren Entwürfen mit ten und die dazugehörige Infrastruktur mit weniger als fünfhundert Wohneinheiten zu Einkaufsmöglichkeiten, Büros, öffentlichen ganzen Neubausiedlungen mit bis zu zehntau- Bauten und Parkanlagen vor, das ganze um send Einheiten sowie Bürobauten, Arbeitsstät- eine zentrale Grünfläche mit Kindergarten und ten, Schulen und Sportanlagen angewachsen. Schule angeordnet. Im Süden sollte das Fab- Im Unterschied zu den Neugründungen der rikgebiet mit neuen Produktionsstätten und Nachkriegszeit suchte man jetzt die bestehen- Dienstleistungsbetrieben erweitert werden. de Stadt zu vergrößern, ohne deren Schwä- Nördlich der zentralen Grünfläche wurde ein chen zu übernehmen. Die für München-Poing Bereich mit Mehrzweckblöcken von einem und Freiburg-Rieselfelder entworfenen Stadt- geschwungenen Gebäude begrenzt, das den erweiterungen übertrugen traditionelle urbane nördlichen Abschluß eines bereits bestehen- Muster auf neue Örtlichkeiten außerhalb der den Parks mit Sportanlagen bildete. Das Ufer alten Zentren. Das von dem ortsansässigen blieb von Bebauungen frei, um das natürliche Architektenbüro Böwer, Eith, Mürken und Umfeld zu schützen. Leider erwies sich die Spieker vorgelegte Freiburger Projekt sucht die Idee einer kohärenten Stadtkante am Wasser neuen Viertel mit Hilfe klar definierter Verbin- aufgrund der öffentlichen Opposition als un- dungsstraßen zu integrieren. Im Mittelpunkt ausführbar. des Entwurfs stehen zehn geschlossene Blö- cke, umringt von offenen Gebäudetypen, die Gleichzeitig begann man mit dem Entwurf eine Vielzahl von Straßen und Plätzen begren- weiterer Teile des Wasserstadt-Projekts. Auf zen. Der Hauptplatz der neuen Stadt hat eine der anderen Seite der Oberhavel planten die klare Form, zeichnet sich durch eine gute Nalbachs das Nordhafenviertel mit fünfhundert Durchmischung der Nutzungen aus und grenzt Wohneinheiten, Büros, Schule, Hotel, Leichtin- im Norden an einen Park und ein Erholungs- dustriebetrieben und Geschäftsbauten (53). gebiet. Anstatt den für Industrie und Büros benötigten Raum an den Rand des Gebiets zu legen, In Berlin entwickelten vier Architektengruppen integrierte ihn das Team in das Zentrum. Die Vorentwürfe für die Wasserstadt Spandau, Peripherie ist für Wohnbauten vorgesehen, eine neue, am Wasser gelegene Stadt für von denen aus man über die Oberhavel und zehntausend Einwohner. Im ehemaligen In- die umliegende Landschaft sehen kann. Ein dustriegebiet nordwestlich des Spandauer dreieckiger Stadtplatz verbindet das angren- Zentrums gelegen, ist die Wasserstadt das zende bestehende Viertel mit den Einrichtun- ehrgeizigste der augenblicklich geplanten neu- gen am Wasser, zu denen auch eine Schule en Stadtvergrößerungsprojekte. Trotz seiner und Gemeinschaftsräume gehören. Durch den Nähe zum Zentrum und zum Oberhavelsee geschickten Einbezug bestehender Gebäude, hatte sich das Gebiet zu einem Industriezent- die Durchmischung der Funktionen und maß- rum entwickelt. Nach dem Mauerfall bot sich stabgerechte öffentliche Räume gelang es den die Gelegenheit, die Industriebetriebe umzu- Nalbachs, dem in den Anfängen begriffenen siedeln und gleichzeitig den wertvollen Wasserstadt-Projekt benötigte Impulse zu Grundstücken eine neue Attraktivität zu geben. verleihen. Mehrere Strategien wurden entwickelt, um eine Stadt mit hoher Dichte und Lebensqualität zu Berlin, Hauptstadt des verwirklichen, ohne die Fehler anderer Neu- wiedervereinigten Deutschlands bausiedlungen zu wiederholen. Neben den Im Juni 1991 beschloß der deutsche Bundes- Wohngebieten wurden fünfundzwanzig Pro- tag, dem Bonner Provisorium ein Ende zu zent der Gesamtfläche für neue „nicht stören- setzen und Berlin wieder zur ständigen deut- de" Industrien, Dienstleistungsbetriebe, Ein- schen Hauptstadt zu machen. Unmittelbar kaufszentren, Schulen und Gemeinschaftsbau- darauf setzte ein gewaltiger Druck auf den ten reserviert. Hans Kollhoff und Helga Tim- Berliner Bau- und Grundstücksmarkt ein, da mermann, Christoph Langhof, Jürgen Nott- zahlreiche Behörden, Ministerien und Finanz- meyer (52) sowie Klaus Zillich erhielten 1990 institutionen einen Umzug ins Auge faßten. Um den Auftrag, eine Reihe von Vorschlägen aus- die städtischen Infrastrukturen und das Stadt- Im gleichen Jahr 1992 wurde ein städtebauli- gefüge vor unnötigen, durch den Bauboom cher Wettbewerb für Architekten aus aller Welt verursachten Schäden zu bewahren, entwi- ausgeschrieben, der dem Neuaufbau des ckelte der Berliner Senat eine Strategie der Gebietes nördlich des Reichstagsgebäudes im „kritischen Rekonstruktion", in der Leitlinien für Spreebogen gilt; rund achthundert Projekte das Bauen in der Stadtmitte festgelegt wurden. wurden eingereicht. In erster Linie ging es Die ersten in diesem Geist erarbeiteten Projek- darum, die Institutionen für die Bundesregie- te lehnen die herkömmliche „Investorenstadt" rung zu integrieren, ohne eine Art „verbotener ab, die zahlreiche andere Städte ihrer lebendi- Stadt" mit riesigen Verwaltungsbauten zu gen Vielfältigkeit beraubt hat. schaffen. Die Gelegenheit, für die demokrati- schen und pluralistischen Prinzipien der heuti- Das erste Projekt der kritischen Rekonstruktion gen deutschen Gesellschaft einen geeigneten wurde in der Friedrichstraße entwickelt, die städtischen Rahmen zu schaffen, wie das in früher die wichtigste Nord-Süd-Verbindung der Bonn zwischen 1945 und 1992 erfolgreich Stadt gewesen war. Oswald Mathias Ungers, geschehen war, bot den Planern eine einzigar- Jean Nouvel und Pei, Cobb, Freed & Partners tige Möglichkeit für Experimente. Mag der wurden damit beauftragt, je einen der drei Wettbewerb tatsächlich die Umrisse eines Blöcke neben Schinkels Schauspielhaus zu neuen Stadtzentrums festlegen, oder mögen entwerfen (54). Die Aufteilung des Auftrages sich die Projekte der Wettbewerbsgewinner als hatte zu gewährleisten, daß die drei Projekte utopische Visionen erweisen, wie das bei den die der Stadt eigene Vielfalt wahrten und neu Entwürfen für die Hauptstadt Berlin 1957 der zur Geltung brachten. Drei unterschiedliche, Fall gewesen war: Sicher ist auf jeden Fall, einander respektierende, doch eigenständig daß in den kommenden Jahren nicht nur dem architektonische Sprachen sollten sich ausdrü- Kern der zukünftigen Hauptstadt, sondern cken können. Der neue Komplex wurde mit auch dem ganzen Land gewaltige Verände- dem umliegenden Viertel durch Passagen rungen bevorstehen. verbunden, die sich aus der Erweiterung des bestehen- den Straßennetzes ergaben. 1992 Ausblick riß man die Bauruine eines in den späten Die Schaffung einer neuen demokratischen achtziger Jahren von der ostdeutschen Regie- Hauptstadt in Berlin, die Erneuerung der verfal- rung geplanten Einkaufszentrums ab, um mit lenen Innenstädte und schlecht konzipierten dem Bau der neuen Friedrichstraße-Passagen Neubausiedlungen in den neuen Bundeslän- beginnen zu können. dern, der kritische Neuaufbau empfindlicher Stadtbereiche, der Bau von unzähligen Woh- 1992 legten Bernhard Strecker und Dieter nungen und die Einrichtung von Arbeitsplätzen Hoffmann-Axthelm erste Vorschläge für Ent- in neuen Vierteln mit gemischten Funktionen wurfsrichtlinien zur Neugestaltung des Pariser sind die Hauptziele, um deren Verwirklichung Platzes in der Nähe des Brandenburger Tors sich die Architekten und Städtebauer seit Be- vor. Ursprünglich lagen hier die Botschaften ginn der neunziger Jahre bemühen. Trotz des Großbritanniens, Frankreichs und der Vereinig- innovativen Charakters der zeitgenössischen ten Staaten sowie öffentliche Institutionen wie Entwürfe die Akademie der Künste. Die fast vergessene wurde bisher jedoch ein wichtiges Thema oft Parzellierung und die Bauflüchte der alten vernachlässigt: die Bewahrung der immer Gebäude wurden rekonstruiert, um auf den mehr gefährdeten Umwelt außerhalb der Städ- Fundamenten der Vergangenheit ein neues te. Die Zersiedelung der städtischen Randge- Viertel zu errichten und der Idee der kritischen biete geschieht oft, ohne daß irgendwelche Rekonstruktion einen weiteren Impuls zu ge- städtebauliche Prinzipien und Richtlinien zum ben. Dabei ging es nicht um eine Kopie der Tragen kämen. Neue Bauten - Reihenhäuser, Vorkriegsarchitektur, sondern um die Entwick- Tankstellen, Leichtindustriebetriebe, Einkaufs- lung neuer Formen, die den Originalmaßstab zentren -fressen sich in zunehmendem Maß in und die historische Bedeutung des Platzes die Landschaft, während in den Städten stillge- respektieren, ohne in oberflächlichen Histo- legte Anlagen und aufgegebene Viertel weiter rismus abzugleiten. Der Vorschlag des Teams verwahrlosen. Die Stadtplaner müssen heute sieht für die Begrenzung des Platzes dreige- neue Strategien und Methoden entwickeln, um schossige Gebäude mit sechs individuellen die unaufhörliche Zerstörung der Landschaft Fassaden und zudem siebengeschossige zu stoppen und zu bewahren, was an intakter Häuser im Blockinneren vor. Die Architekten Natur noch vorhanden ist. planen eine Vielfalt an Maßstäben und Funkti- onen, ohne den Stil der Häuser im einzelnen Die Geschichte der Stadtplanung in der Nach- festzulegen. kriegszeit war und ist auch heute noch im we- sentlichen von den antagonistischen Ideolo- gien bestimmt, die sich schon in den zwanziger Jahren zu entwickeln begannen. Allerdings verlieren die gegensätzlichen Richtungen, ob sie nun dem Traditionalismus huldigen oder der Moderne verpflichtet sind, angesichts der um sich greifenden Umweltzerstörung zuneh- mend an Relevanz. Während die Auseinan- dersetzung zwischen den unvereinbaren städ- tebaulichen Konzepten vermutlich noch länger weitergehen wird, liegt die wahre Herausforde- rung und Bewährungsprobe für die Planer der neunziger Jahre darin, ob und wie es ihnen gelingt, die Grenzen des Nachkriegsdenkens zu überwinden, um lebendige Städte zu schaf- fen, die Lösungen für die schwierigen Proble- me der Gegenwart anbieten, ohne die Vergan- genheit zu leugnen, Städte, die imstande sind, zukünftige menschliche Bedürfnisse wirklich zu befriedigen.