Vom Funktionalismus Zum Urbanen Design.Pdf
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unterworfen war, sein Leben zu fristen. Nicht nur die Städte waren 1945 vollständig wieder- aufzubauen, sondern es galt auch, den Archi- tektenberuf zu erneuern. Obwohl die dringlichen Probleme, die sich den Architekten und Stadtplanern in Ost- und Westdeutschland stellten, durchaus ähnlich waren, begann eine unheilvolle Auseinander- entwicklung im politischen wie architektoni- schen Denken, die sich im Laufe der fünfziger Jahre ständig verstärkte, um im Eisernen Vor- hang und in der Berliner Mauer eine makabre Gestalt anzunehmen. Die Berliner Blockade von 1948 und die Luftbrücke der Alliierten, die westdeutsche Währungsreform im selben Jahr und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland auf der einen und der Deutschen Demokratischen Republik auf der anderen Seite kennzeichnen den Beginn des Kalten Krieges, dessen Folgen bis in die neunziger Jahre zu spüren waren. Greifbar wurde er in Vom Funktionalismus zum Urbanen den unterschiedlichen Ansichten über Architek- Design, Zum Städtebau des Wieder- tur und Stadtplanung, die für mehr als vierzig aufbaus in Deutschland 1945-1992 Jahre das Aussehen der Städte in den beiden Hälften des Landes wie des Kontinents be- stimmten. Heute, nach der Wiedervereinigung, Veröffentlicht in: The New German Architecture muß die soziale und die architektonische Spal- (Rizzoli) / Die neue Deutsche Architektur tung zwischen Ost und West erst einmal über- (Kohlhammer) , 1993 wunden werden, bevor man die vielleicht we- niger brennenden, doch um so schwierigeren Als am 8. Mai 1945 der Waffenstillstand dem Probleme des neuen Deutschland lösen kann. Kriegsgeschehen ein Ende setzte, begann in Europa eine mühselige und schmerzvolle Zeit des Aufräumens und des Wiederaufbaus. Die ersten Nachkriegsjahre Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen Deutsch- In der ersten Nachkriegszeit begannen sich in land und mit ihm weite Teile Europas in mate- Westdeutschland mehrere Architekturschulen rieller und geistiger Hinsicht am Boden (31, zu entwickeln, die in konstrukti-vem Dialog 32). Viele bedeutende Stadtzentren, Institutio- miteinander standen. Zwar hatten die Emigra- nen und Industrieanlagen waren zerstört oder tion und die Kriegszerstörungen unübersehba- schwer beschädigt, zahlreiche historische re Spuren hinter-lassen, doch gab es zahlrei- Städte lagen in Schutt und Asche, und mehr che neue, kreative Ansätze, die in Trümmern als fünf Millionen Wohnungen waren nur noch liegenden Städte wiederaufzubauen und die Ruinen. Millionen von Vertriebenen und der Gesellschaft geschlagenen psychischen Flüchtlingen, die sich vor der Roten Armee in Wunden zu heilen. Die ersten nach 1945 ent- Sicherheit brachten, ließen die geschwächte standenen architektonischen und städte- Bevölkerung in Westdeutschland ansteigen, baulichen Modelle und Theorien, die im Den- während das ostdeutsche kommunistische ken der zwanziger Jahre verwurzelt waren, Regime die Unterdrückungspolitik des Dritten üben auch heute noch ihren Einfluß auf Archi- Reiches in neuer Form weiterführte. tektur und Stadtplanung aus. Architektur und Stadtplanung befanden sich in Obwohl beispielsweise die Architektur der desolatem Zustand, zum einen aufgrund der traditionellen deutschen Schule, die mit den kriegsbedingten Zerstörungen, zum anderen Namen der Stuttgarter Architek-ten Paul Bo- infolge der Auswirkungen der national- sozia- natz und Paul Schmitthenner verknüpft ist, von listischen Ideologie, die während Jahren sämt- den Nazis mißbraucht worden war, beeinflußte liche Neuerungen erstickt und die besten Ar- sie den Wiederaufbau von Städten wie Frei- chitekten und Planer aus dem Land vertrieben burg im Breisgau, Freudenstadt (33, 34), Mün- hatte. Wer geblieben war, unterwarf sich ent- chen, Lübeck und Münster (35, 36). Alle diese weder dem System, oder es gelang ihm, mit Städte hatten sich dafür entschieden, ihren Bauaufträgen der Industrie, die der Kontrolle Stadtkern nach dem vor dem Krieg bestehen- durch den Parteiapparat der Nazis weniger den Muster wiederaufzubauen. Bereits 1930 hatte die von Heinrich Tessenow geprägte Gruppe die Hauptmerkmale einer nationalen In den fünfziger Jahren bemühte man sich Architektur festgelegt. Auf Regionalismus oder überall, die Spuren der Nazizeit zu beseitigen, einen leichten Klassizismus gegründet, sollte und zahlreiche Gemeinden suchten eine neue der Stil nach Ruhe und Harmonie streben und städtebauliche Vision zu verwirklichen, die mit Überraschungen oder heftige Kontraste ver- der kulturellen Tradition brach und sich zu dem meiden. Die Bauhauslehrer und ihre Anhänger, Glauben der Moderne an eine technologisch die eine weitere Schule der zwanziger Jahre orientierte Zukunft bekannte. bildeten, hatten Deutschland in den frühen dreißiger Jahren verlassen oder waren dazu An die Stelle der herkömmlichen Beziehung gezwungen worden. Die wenigen Zurückge- zwischen Gebäude und Straße setzten die bliebenen waren verstreut, und unter ihnen Architekten Corbusiers Ideal einer Parkstadt. gab es keinen Gropius oder Mies, um die Das gleiche dogmatische Bestreben, die Stadt Nachzügler um sich zu gruppieren. Eine dritte neu zu erfinden, das Deutschland in der ers- Schule bestand aus Architekten, die in den ten Aufbauphase entscheidend prägte, ist auch zwanziger Jahren in Berlin bei Hans Poelzig heute noch zu spüren, da sich die gleichen studiert oder gearbeitet hatten, zum Beispiel Probleme bei der Erneuerung der deutschen Bernhard Hermkes, Egon Eiermann und Paul Städte in den neuen Bundesländern stellen. Baumgarten, die durch ihre praktische Arbeit Trotz der lebhaften architekturtheoretischen und ihre Lehrtätigkeit an den Technischen Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre Hochschulen in Berlin und Karlsruhe zur Neu- waren die ausgeführten Bauten jedoch oft bestimmung der deutschen Nachkriegsarchi- enttäuschend. Die gewaltigen Probleme der tektur beitrugen. zerstörten Kultur und der in Schutt und Asche gelegten Städte verhinderten eine substantielle In Ostdeutschland bildete der ehemalige Bau- Arbeit. Der Schweizer Schriftsteller und Archi- hausschüler Hermann Henselmann ein Archi- tekt Max Frisch charakterisierte die schwieri- tektenkollektiv, das an Einfluß gewann, als gen Zeiten: „Man hatte Angst, Ideen zu haben, sich der ideologische Graben zwischen Ost und weil man keine Ideen hatte, hatte man und West zu vertiefen begann. Anfangs arbei- Angst."1 teten Henselmann und seine Kollegen mit Hans Scharoun, dem ersten Stadtbau- rat des noch ungeteilten Großberlin, zusammen. Doch weitete das ostdeutsche Regime seine Kon- trolle rasch auf sämtliche Bereiche des sozia- len Lebens und damit auch auf Architektur und Stadtplanung aus. Henselmann und seine Mitarbeiter entwickelten städtebauliche Kon- zepte, die sich auf die abweisende Monumen- talität Albert Speers wie auf die von Moskau propagierte stalinistische Architektur stützten. In seiner Eigenschaft als Stadtbaurat entwarf Hans Scharoun gemeinsam mit einer lose verknüpften Architektengruppe den „Kollektiv- plan für Berlin", der teilweise auf dem Begriff der „Bandstadt" begründet war. Wäre dieses „neue Berlin" verwirklicht worden, hätte das für zahlreiche Gebäude in der Berliner Stadtmitte, die den Krieg fast unbeschädigt überstanden Erste Wiederaufbauphase: 1949-1961 hatten, den Abriß bedeutet. Scharouns Plan Von einem in Westdeutschland zuvor unbe- sah die Freiräumung der Stadtmitte und den kannten Bauboom getragen, wurden die teil- Ersatz der traditionellen Blockbauweise durch weise dogmatischen Ideen der frühen Nach- locker in der Landschaft verstreute Gebäude kriegszeit in den fünfziger Jahren zu gebauter vor. Die Einwohner hätten zwar in der „Stadt- Realität mit oft verheerenden Folgen. Wäh- landschaft" viel Licht und Luft gefunden, doch rend sich zugleich die Kluft zwischen Ost und dafür auf die ansatzweise immer noch in Berlin West vertiefte, wurden Architektur und Stadt- vorhandene Urbanität verzichten müssen. In planung immer mehr zu einem Werkzeug im diesem Wunsch nach der völligen Aufhebung Kampf der Ideologien. des großstädtischen Charakters drückte sich das Bestreben aus, Hitlers romantisierende In Ostdeutschland zeigten die ersten Wieder- Nostalgie und brutale Giganto- manie durch aufbaubemühungen den wachsenden Einfluß deren Gegenteil zu ersetzen. der kommunistischen Ideologie auf die Stadt- planung. Walter Ulbricht, damals Generalsek- retär der SED, verkündete eine städtebauliche me, eine mehr als einfache städtebauliche Strategie, die die Grundlage für den Aufbau Strategie, die nicht nur im Dritten Reich, son- der ostdeutschen Städte von 1950 bis 1955 dern auch in der Sowjetunion unter Stalin lan- bildete: „In der Weimarer Zeit wurden in vielen ge praktiziert worden war. Edmund Collein, unserer Städte Gebäudekomplexe gebaut, die Vizepräsident der Deutschen Bauakademie, in ihrer architektonischen Gestaltung nicht den kennzeichnete 1951 die Pläne für die Stalinal- Wünschen der Bevölkerung entgegenkamen, lee: „Dieses von angloamerikanischen Bom- die nicht der nationalen Eigenart entsprachen, bern grausam zerstörte Stadtgebiet fordert sondern dem formalistischen Denken einer heute in seiner städtebaulichen und architek- Anzahl Architekten, die die Prmitivität gewisser tonischen Gestaltung die Überwindung der Fabrikbauten auf die Woh- nungsbauten über- Fehler und Mißstände der Vergangenheit. Es trugen. Unter dem Hitler-Faschismus wurde gilt also, einmal die Mietkasernenstadt als dieser Kasernenstil noch weiterentwickelt. Ausdruck der kapitalistischen Zeit zu überwin- Einige Architekten, besonders in der Bauabtei- den, zum anderen durch eine großzügige städ- lung des Magistrats