Das Ringen Um Eine Neue Silhouette Für Die Berliner Mitte
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ZENTREN DER WACHSENDEN SPREEMETROPOLE 74 HARALD BODENSCHATZ UND MARKUS TUBBESING (GROSS-)BERLIN UND SEINE ZENTREN 75 HARALD BODENSCHATZ Deutscher Werkbund Berlin EPHRAIM GOTHE Hoch hinaus! Stadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit des Das Ringen um eine Bezirks Mitte von Berlin neue Silhouette für die Berliner Mitte Mit der Gründung von (Groß-)Berlin 1920 verstärkte sich die Suche nach einem VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG: ANSÄTZE EINER NEUEN STADTSILHOUETTE neuen Zentrum: Wo sollte die neue, riesige Weltstadt ihre Mitte finden, und wie DURCH GROSSKIRCHEN sollte diese geformt sein? In der Zeit der Weimarer Republik waren die verbalen Vor dem Ersten Weltkrieg war der rechtliche Spielraum für Hochhäuser gering. und zeichnerischen Antworten relativ klar: Das Zentrum sollte noch weiter Programmatisch waren jedoch die beiden Kirchengroßbauten, die die alte Mitte nach Westen rücken, es sollte zudem autogerechter gestaltet, von Wohnnut- (der Neubau des Berliner Doms, 116 Meter hoch, errichtet 1894–1905) und das zung befreit und durch neue Hochhäuser an städtebaulich ausgewählten Stand- aufstrebende Zentrum des Neuen Westens (die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskir- orten geprägt werden. Die wirtschaftliche Realität erlaubte freilich keine großen che, 113 Meter hoch, errichtet 1891-95) beherrschen und ihr ein neues Gesicht Sprünge in dieser Zeit. geben sollten. Im Jahr 1929 veröffentlichte Gustav Böß, Oberbürgermeister von Ber- Private Hochhäuser in der Berliner Mitte brachte vor allem Bruno Schmitz lin, eine erste kompakte Leistungsbilanz der neuen Einheitsgemeinde. Für die im Kontext des Wettbewerbs Groß-Berlin ins Gespräch, so den Kuppelbau als Mitte von Berlin formulierte er eine klare Vision: »[…] in sogenannten Teil eines »Städtischen Forums der Arbeit an der Spree« auf dem Gelände des Geschäftsvierteln, die genau begrenzt werden, [sollen] höhere Häuser mit 7 Inselspeichers am Fischerkietz und vor allem ein Hochhaus in einer doppelten bis 8 Geschossen zugelassen werden, jedoch keine Wolkenkratzer. Man hat Achse: als Sichtpunkt der Leipziger Straße sowie einer neuen Prachtstraße zwi- den Nachteil solcher Gebäude für den Verkehr und die Gesundheit der Bevöl- schen den geplanten Zentralbahnhöfen »Nordwest« und »Südwest«. Vor allem kerung an dem Beispiel der amerikanischen Städte klar erkannt. Turmhäuser aber schlug er ein neues Zentrumsgebiet am künftigen Zen tralbahnhof »Nord- sollten nur ausnahmsweise und für besonders bedeutsame Stellen der Stadt west« vor. (Abb. 1) Ähnlich wie später Böß hatte Schmitz dafür plädiert, in »den als Sichtpunkte und Wahrzeichen zugelassen werden.«1 Damit beschreibt Böß sogenannten Geschäftsvierteln, für Geschäftshäuser, welche keine Wohnungen die vorherrschende Sichtweise dieser Jahre: Richtige Hochhäuser (»Turmhäu- enthalten, an breiten Straßen und Plätzen eine größere Gebäudehöhe, etwa bis ser«) sollten nur an wenigen städtebaulich begründeten Stellen der City zu 30 m zuzulassen; dann lassen sich Geschäftshäuser mit sieben bis acht nutz- errichtet werden, um einen Wildwuchs wie in den USA zu vermeiden.2 Der – baren Geschossen dort errichten, ohne daß das Stadtbild verunziert wird, wie wenn auch bescheidene – Bau von Hochhäusern während der Weimarer das bei den Übertreibungen in den amerikanischen Großstädten der Fall ist«.3 Republik zeigt aber zugleich, wie schwierig es ist, eine solche Haltung auch praktisch durchzusetzen. 76 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 77 1 Vorschlag einer Zentrumserweiterung nach Nordwesten mit Hochhäusern amBeitrag von 2 Ein erstes Hochhauskonzept für Groß-Berlin: Bruno Möhring, 1920, hier: Vorschlag eines Bruno Schmitz, Otto Blum mit Havestadt & Contagi im Wettbewerb Groß-Berlin 1910. Beitrag Hochhauses am Lehrter Bahnhof. (Quelle: Möhring, Bruno: Über die Vorzüge der Turmhäuser und zum Wettbewerb Groß-Berlin 1910. (Quelle: Architekturmuseum TU Berlin, Inv. Nr. 8009) die Voraussetzungen, unter denen sie in Berlin gebaut werden können. Berlin 1921, S. 5) TRÄUME VON EINER GEORDNETEN HOCHHAUSENTWICKLUNG Westen, im Bereich des Lehrter Bahnhofs, dem Standort eines möglichen neuen IN DER WEIMARER REPUBLIK Berliner Zentralbahnhofs.4 In der Weimarer Republik blieb das Zentrum im Wesentlichen so, wie es bis vor Berühmt ist der von der Turmhausaktiengesellschaft ausgelobte Wettbe- dem Ersten Weltkrieg entstanden war. Denn die so oft beschworenen »Golde- werb zum Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße 1921/22, an dem 144 Archi- nen Zwanziger« waren in Berlin eine wirtschaftlich sehr schwierige Zeit, die tekten teilnahmen.5 Im Rahmen dieses Wettbewerbs entwarf Mies van der Rohe große Boomperiode der Kaiserzeit war vorbei, die schwere Nachkriegskrise dau- sein bekanntes gläsernes Hochhaus – ein harter Kontrast zur überkommenen erte bis 1923, die Zeit relativer ökonomischer Stabilität von 1924 bis 1929 war Stadt.6 Allerdings wird oft vergessen, dass dieses Projekt von der Jury nicht sehr kurz, es folgte die Weltwirtschaftskrise 1929, die viele Jahre äußerster Not beachtet wurde und dass der erste Preis, ein Vorschlag der Architekten Alfons brachte. Und 1933 übernahmen bereits die Nationalsozialisten die Macht. Die Baecker u. a., keineswegs besonders radikal war. Der Wettbewerb blieb ohne Weimarer Republik war daher kein Nährboden für ein großes Neubaupro- bauliche Folgen. Ohne Ergebnis blieb auch ein zweiter Wettbewerb, zu dem die gramm in der Berliner Mitte, erst recht nicht für Hochhäuser, wohl aber für Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft, der neue Eigentümer des Grundstücks radikale Träume einer modernen Stadt. Diese Träume äußerten sich in unter- am Bahnhof Friedrichstraße, im Krisenjahr 1929 eingeladen hatte. Einer der schiedlicher Weise – in Gutachten, in halboffiziellen Wettbewerben, in geschei- beiden ersten Preisträger war das Büro von Paul Mebes und Paul Emmerich.7 terten kommunalen Projekten und in privaten Sehnsüchten, gezeichnet auf 1925, in der Zeit relativer ökonomischer Stabilität, veranstalteten die Zeit- geduldigem Papier. schriften Städtebau und Wasmuths Monatshefte für Baukunst einen Wettbewerb Bereits 1920, im Jahr der Schaffung von Groß-Berlin, entwickelte der zur Neugestaltung der Allee Unter den Linden, der ehemaligen via triumphalis Architekt Bruno Möhring ein Hochhauskonzept für das Berliner Zentrum mit des preußischen Königtums und immer noch prächtigsten Straße der Berliner dem Titel Über die Vorzüge der Turmhäuser und die Voraussetzungen, unter denen Mitte. Der Gewinner des ersten Preises, Cornelius van Eesteren, empfahl einen sie in Berlin gebaut werden können. (Abb. 2) Besonders viele neue Hochhäuser radikalen Kahlschlag der Prachtstraße und schlug eine gestaffelte Neubebauung empfahl er für die sogenannte Linse zwischen der Stadtbahntrasse und der vor allem für Büronutzung vor, die von einem mehr als 100 Meter hohen Hoch- Spree. Die Neubebauung der Linse mit Hochhäusern sollte den Auftakt bilden haus an der Kreuzung mit der Friedrichstraße gekrönt werden sollte.8 für weitere Hochhäuser im Berliner Zentrum, vor allem im Umfeld des heuti- Als sich 1927 die Pläne für den Bau eines neuen Zentralbahnhofs in gen Bahnhofs Hackescher Markt, damals Bahnhof Börse, aber auch weiter im Höhe des Lehrter Bahnhofs konkretisierten, brachte Ludwig Hilberseimer auch 78 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 79 3 Hochhausbebauung Europahaus (1926-31) am Askanischen Platz, die beiden Hochhäuser von Peter auf dem Boden der frei Behrens am Alexanderplatz (1931-32) und das Columbushaus am Potsdamer geräumten Altstadt, Vorschlag aus dem Platz (1930-32). Wenn man die Standorte der geplanten, nicht realisierten Hoch- Umkreis von Ludwig hausprojekte betrachtet, so liegen diese zum Teil, aber keineswegs immer an Hilberseimer, um 1932, städtebaulich hervorgehobenen Stellen: am wichtigsten City-Bahnhof (Fried- Modell der Beuth richstraße), an der wichtigsten Stadtkreuzung in der City (Allee Unter den Lin- Hochschule für Technik Berlin, 2012. (Foto: HB) den/Friedrichstraße) und am geplanten neuen Zentralbahnhof (damals noch Lehrter Stadtbahnhof). Dazu kamen die Standorte Alexanderplatz und Potsda- mer Platz mit ihren zwar bescheidenen, aber immerhin auch gebauten Hoch- häusern, Standorte, die von Martin Wagner damals »Weltstadtplätze« genannt wurden. Beispiele für städtebaulich nicht geplante Hochhäuser waren der Bor- sigturm (1922), der Ullsteinturm (1927) und das Kathreiner-Hochhaus (1930). eine Variante mit Hochhaus ins Spiel.9 1928 legte Hilberseimer seine berühmte, HOCHBAUTEN ZUM RUHME DER schonungslos zerstörerische Vision einer Neubebauung der Berliner City süd- NATIONALSOZIALISTISCHEN HERRSCHAFT lich der Allee Unter den Linden und westlich des Gendarmenmarktes vor. Die Der radikale Traum von einem neuen, geschichtslosen Zentrum konnte in der vorgesehenen 18 einheitlich gestalteten Hochhausscheiben ignorierten die vor- Weimarer Republik nicht erfüllt werden. Dafür fehlten letztlich nicht nur die wirt- handenen Gebäude, Straßen, Parzellen, Formen und Dimensionen. Program- schaftlichen, sondern auch die politischen Voraussetzungen. Die Träume für ein matisch trennte Hilberseimer die Funktionen vertikal: unten die Geschäftsstadt neues Zentrum setzten nämlich einen umfassenden Zugriff auf das private mit dem Autoverkehr, oben die Wohnstadt mit dem Fußgängerverkehr.10 Nach Grundeigentum und eine Zentralisierung und Gleichschaltung des Planungs- dem Krieg distanzierte sich Hilberseimer von seinem eigenen Vorschlag.11 und Projektapparates voraus. All dies konnte allenfalls in einer Diktatur erfolgen. Auf die Zeit 1932/33 sind einige Zeichnungen im Nachlass