ZENTREN DER WACHSENDEN SPREEMETROPOLE 74 HARALD BODENSCHATZ UND MARKUS TUBBESING (GROSS-) UND SEINE ZENTREN 75

HARALD BODENSCHATZ Deutscher Werkbund Berlin EPHRAIM GOTHE Hoch hinaus! Stadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit des Das Ringen um eine Bezirks von Berlin neue Silhouette für die Berliner Mitte

Mit der Gründung von (Groß-)Berlin 1920 verstärkte sich die Suche nach einem VOR DEM ERSTEN WELTKRIEG: ANSÄTZE EINER NEUEN STADTSILHOUETTE neuen Zentrum: Wo sollte die neue, riesige Weltstadt ihre Mitte finden, und wie DURCH GROSSKIRCHEN sollte diese geformt sein? In der Zeit der Weimarer Republik waren die verbalen Vor dem Ersten Weltkrieg war der rechtliche Spielraum für Hochhäuser gering. und zeichnerischen Antworten relativ klar: Das Zentrum sollte noch weiter Programmatisch waren jedoch die beiden Kirchengroßbauten, die die alte Mitte nach Westen rücken, es sollte zudem autogerechter gestaltet, von Wohnnut- (der Neubau des Berliner Doms, 116 Meter hoch, errichtet 1894–1905) und das zung befreit und durch neue Hochhäuser an städtebaulich ausgewählten Stand- aufstrebende Zentrum des Neuen Westens (die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskir- orten geprägt werden. Die wirtschaftliche Realität erlaubte freilich keine großen che, 113 Meter hoch, errichtet 1891-95) beherrschen und ihr ein neues Gesicht Sprünge in dieser Zeit. geben sollten. Im Jahr 1929 veröffentlichte Gustav Böß, Oberbürgermeister von Ber- Private Hochhäuser in der Berliner Mitte brachte vor allem Bruno Schmitz lin, eine erste kompakte Leistungsbilanz der neuen Einheitsgemeinde. Für die im Kontext des Wettbewerbs Groß-Berlin ins Gespräch, so den Kuppelbau als Mitte von Berlin formulierte er eine klare Vision: »[…] in sogenannten Teil eines »Städtischen Forums der Arbeit an der Spree« auf dem Gelände des Geschäftsvierteln, die genau begrenzt werden, [sollen] höhere Häuser mit 7 Inselspeichers am Fischerkietz und vor allem ein Hochhaus in einer doppelten bis 8 Geschossen zugelassen werden, jedoch keine Wolkenkratzer. Man hat Achse: als Sichtpunkt der Leipziger Straße sowie einer neuen Prachtstraße zwi- den Nachteil solcher Gebäude für den Verkehr und die Gesundheit der Bevöl- schen den geplanten Zentralbahnhöfen »Nordwest« und »Südwest«. Vor allem kerung an dem Beispiel der amerikanischen Städte klar erkannt. Turmhäuser aber schlug er ein neues Zentrumsgebiet am künftigen Zen­tralbahnhof »Nord- sollten nur ausnahmsweise und für besonders bedeutsame Stellen der Stadt west« vor. (Abb. 1) Ähnlich wie später Böß hatte Schmitz dafür plädiert, in »den als Sichtpunkte und Wahrzeichen zugelassen werden.«1 Damit beschreibt Böß sogenannten Geschäftsvierteln, für Geschäftshäuser, welche keine Wohnungen die vorherrschende Sichtweise dieser Jahre: Richtige Hochhäuser (»Turmhäu- enthalten, an breiten Straßen und Plätzen eine größere Gebäudehöhe, etwa bis ser«) sollten nur an wenigen städtebaulich begründeten Stellen der City zu 30 m zuzulassen; dann lassen sich Geschäftshäuser mit sieben bis acht nutz- errichtet werden, um einen Wildwuchs wie in den USA zu vermeiden.2 Der – baren Geschossen dort errichten, ohne daß das Stadtbild verunziert wird, wie wenn auch bescheidene – Bau von Hochhäusern während der Weimarer das bei den Übertreibungen in den amerikanischen Großstädten der Fall ist«.3 Republik zeigt aber zugleich, wie schwierig es ist, eine solche Haltung auch praktisch durchzusetzen. 76 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 77

1 Vorschlag einer Zentrumserweiterung nach Nordwesten mit Hochhäusern amBeitrag von 2 Ein erstes Hochhauskonzept für Groß-Berlin: Bruno Möhring, 1920, hier: Vorschlag eines Bruno Schmitz, Otto Blum mit Havestadt & Contagi im Wettbewerb Groß-Berlin 1910. Beitrag Hochhauses am Lehrter Bahnhof. (Quelle: Möhring, Bruno: Über die Vorzüge der Turmhäuser und zum Wettbewerb Groß-Berlin 1910. (Quelle: Architekturmuseum TU Berlin, Inv. Nr. 8009) die Voraussetzungen, unter denen sie in Berlin gebaut werden können. Berlin 1921, S. 5)

TRÄUME VON EINER GEORDNETEN HOCHHAUSENTWICKLUNG Westen, im Bereich des Lehrter Bahnhofs, dem Standort eines möglichen neuen IN DER WEIMARER REPUBLIK Berliner Zentralbahnhofs.4 In der Weimarer Republik blieb das Zentrum im Wesentlichen so, wie es bis vor Berühmt ist der von der Turmhausaktiengesellschaft ausgelobte Wettbe- dem Ersten Weltkrieg entstanden war. Denn die so oft beschworenen »Golde- werb zum Hochhaus am Bahnhof Friedrichstraße 1921/22, an dem 144 Archi- nen Zwanziger« waren in Berlin eine wirtschaftlich sehr schwierige Zeit, die tekten teilnahmen.5 Im Rahmen dieses Wettbewerbs entwarf Mies van der Rohe große Boomperiode der Kaiserzeit war vorbei, die schwere Nachkriegskrise dau- sein bekanntes gläsernes Hochhaus – ein harter Kontrast zur überkommenen erte bis 1923, die Zeit relativer ökonomischer Stabilität von 1924 bis 1929 war Stadt.6 Allerdings wird oft vergessen, dass dieses Projekt von der Jury nicht sehr kurz, es folgte die Weltwirtschaftskrise 1929, die viele Jahre äußerster Not beachtet wurde und dass der erste Preis, ein Vorschlag der Architekten Alfons brachte. Und 1933 übernahmen bereits die Nationalsozialisten die Macht. Die Baecker u. a., keineswegs besonders radikal war. Der Wettbewerb blieb ohne Weimarer Republik war daher kein Nährboden für ein großes Neubaupro- bauliche Folgen. Ohne Ergebnis blieb auch ein zweiter Wettbewerb, zu dem die gramm in der Berliner Mitte, erst recht nicht für Hochhäuser, wohl aber für Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft, der neue Eigentümer des Grundstücks radikale Träume einer modernen Stadt. Diese Träume äußerten sich in unter- am Bahnhof Friedrichstraße, im Krisenjahr 1929 eingeladen hatte. Einer der schiedlicher Weise – in Gutachten, in halboffiziellen Wettbewerben, in geschei- beiden ersten Preisträger war das Büro von Paul Mebes und Paul Emmerich.7 terten kommunalen Projekten und in privaten Sehnsüchten, gezeichnet auf 1925, in der Zeit relativer ökonomischer Stabilität, veranstalteten die Zeit- geduldigem Papier. schriften Städtebau und Wasmuths Monatshefte für Baukunst einen Wettbewerb Bereits 1920, im Jahr der Schaffung von Groß-Berlin, entwickelte der zur Neugestaltung der Allee Unter den Linden, der ehemaligen via triumphalis Architekt Bruno Möhring ein Hochhauskonzept für das Berliner Zentrum mit des preußischen Königtums und immer noch prächtigsten Straße der Berliner dem Titel Über die Vorzüge der Turmhäuser und die Voraussetzungen, unter denen Mitte. Der Gewinner des ersten Preises, Cornelius van Eesteren, empfahl einen sie in Berlin gebaut werden können. (Abb. 2) Besonders viele neue Hochhäuser radikalen Kahlschlag der Prachtstraße und schlug eine gestaffelte Neubebauung empfahl er für die sogenannte Linse zwischen der Stadtbahntrasse und der vor allem für Büronutzung vor, die von einem mehr als 100 Meter hohen Hoch- Spree. Die Neubebauung der Linse mit Hochhäusern sollte den Auftakt bilden haus an der Kreuzung mit der Friedrichstraße gekrönt werden sollte.8 für weitere Hochhäuser im Berliner Zentrum, vor allem im Umfeld des heuti- Als sich 1927 die Pläne für den Bau eines neuen Zentralbahnhofs in gen Bahnhofs Hackescher Markt, damals Bahnhof Börse, aber auch weiter im Höhe des Lehrter Bahnhofs konkretisierten, brachte auch 78 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 79

3 Hochhausbebauung Europahaus (1926-31) am Askanischen Platz, die beiden Hochhäuser von Peter auf dem Boden der frei Behrens am Alexanderplatz (1931-32) und das Columbushaus am Potsdamer geräumten Altstadt, Vorschlag aus dem Platz (1930-32). Wenn man die Standorte der geplanten, nicht realisierten Hoch- Umkreis von Ludwig hausprojekte betrachtet, so liegen diese zum Teil, aber keineswegs immer an Hilberseimer, um 1932, städtebaulich hervorgehobenen Stellen: am wichtigsten City-Bahnhof (Fried- Modell der Beuth richstraße), an der wichtigsten Stadtkreuzung in der City (Allee Unter den Lin- Hochschule für Technik Berlin, 2012. (Foto: HB) den/Friedrichstraße) und am geplanten neuen Zentralbahnhof (damals noch Lehrter Stadtbahnhof). Dazu kamen die Standorte Alexanderplatz und Potsda- mer Platz mit ihren zwar bescheidenen, aber immerhin auch gebauten Hoch- häusern, Standorte, die von Martin Wagner damals »Weltstadtplätze« genannt wurden. Beispiele für städtebaulich nicht geplante Hochhäuser waren der Bor- sigturm (1922), der Ullsteinturm (1927) und das Kathreiner-Hochhaus (1930).

eine Variante mit Hochhaus ins Spiel.9 1928 legte Hilberseimer seine berühmte, HOCHBAUTEN ZUM RUHME DER schonungslos zerstörerische Vision einer Neubebauung der Berliner City süd- NATIONALSOZIALISTISCHEN HERRSCHAFT lich der Allee Unter den Linden und westlich des Gendarmenmarktes vor. Die Der radikale Traum von einem neuen, geschichtslosen Zentrum konnte in der vorgesehenen 18 einheitlich gestalteten Hochhausscheiben ignorierten die vor- Weimarer Republik nicht erfüllt werden. Dafür fehlten letztlich nicht nur die wirt- handenen Gebäude, Straßen, Parzellen, Formen und Dimensionen. Program- schaftlichen, sondern auch die politischen Voraussetzungen. Die Träume für ein matisch trennte Hilberseimer die Funktionen vertikal: unten die Geschäftsstadt neues Zentrum setzten nämlich einen umfassenden Zugriff auf das private mit dem Autoverkehr, oben die Wohnstadt mit dem Fußgängerverkehr.10 Nach Grundeigentum und eine Zentralisierung und Gleichschaltung des Planungs- dem Krieg distanzierte sich Hilberseimer von seinem eigenen Vorschlag.11 und Projektapparates voraus. All dies konnte allenfalls in einer Diktatur erfolgen. Auf die Zeit 1932/33 sind einige Zeichnungen im Nachlass von Ludwig Hilberseimer datiert, die eine äußerst radikale Erneuerung der Altstadt zeigen. Hier sind nicht nur die kleinteiligen Parzellen, Häuser und Gassen beseitigt, sondern die vorgeschlagene Neubebauung durch zehn H-förmige Hochhäuser ist auch sehr schematisch. Erhalten bleiben sollten nur das Schloss, der Lust- garten und die Museumsinsel, nicht aber die Nikolaikirche, die Marienkirche und das Rathaus.12 (Abb. 3) All diese Projekte zielten auf eine völlig neue Silhouette der Berliner Mitte. Hochhäuser sollten das Bild der Stadt beherrschen, private Hochhäuser, vor allem Bürohochhäuser, nicht mehr öffentliche Bauten und Kirchen. Doch es gab auch Pläne für Hochhäuser, die den Einrichtungen des Zentralstaats dienen sollten – etwa 1927 auf der Großen Berliner Kunstausstellung und 1929 im Rahmen des engeren Wettbewerbs für die Erweiterung des Reichstages und die Gestaltung des Platzes der Republik oder die Vorschläge von Otto Kohtz in den Jahren von 1920 bis 1932. Doch all diese Pläne für Staatshochhäuser kamen über den Entwurf nicht hinaus.13 4 »Große Halle« mit den geplanten neuen Museumsbauten, Zeichnung von Wilhelm Kreis, 1940. Die Hochhausträume der Weimarer Republik korrespondierten wenig Die »Große Halle« sollte sich neben dem – auf diese Weise miniaturisierten – Reichstag erheben und war mit etwa 290 Metern der höchste im Generalbebauungsplan für die Reichshauptstadt mit dem geringen Raumbedarf der deutschen Wirtschaft und den Ressourcen ausgewiesene Bau . (Quelle: Deschan, André: Im Schatten von Albert Speer. Der Architekt der öffentlichen Hand. Gebaut wurden nur bescheidene Hochhäuser, etwa das Rudolf Wolters. Berlin 2016, S. 120) 80 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 81

5 »Der künftige Mittel- punkt der Hauptstadt Berlin« mit der Marien- kirche im Hintergrund, 1952. (Quelle: Ulbricht, Walter: Das nationale Aufbauwerk und die Aufgaben der deutschen 6 Vorschlag von zwei Hochhaus-Clustern am Potsdamer und am Alexanderplatz: Hans Kollhoff, Architektur. Berlin 1952, 1991. (Quelle: Lampugnani, Vittorio Magnago/Mönninger, Michael (Hg.): Berlin morgen. Ideen für S. 13) das Herz einer Großstadt. Ausstellungskatalog. Stuttgart 1991, S. 135)

Auch nach 1933 wurde eine neue Stadtsilhouette geplant, aber nicht mehr Die neue, autogerechte Mitte erhielt in ihrem Randbereich – explizit im mit Bauten des privaten Kapitals, sondern mit öffentlichen Bauten des »Dritten Gegensatz zur »kapitalistischen City« – weitere Hochhäuser zum Wohnen – und Reiches«, etwa der 290 Meter hohen »Großen Halle«, dem größten Bau über- zwar frei gruppiert zwischen Grün- und Parkplatzflächen auf der südlichen haupt (Abb. 4), aber auch mit anderen Hochbauten an der geplanten Nord-Süd- Fischerinsel und einen öffentlichen Raum fassend entlang der Leipziger Straße. Achse, etwa dem 117 Meter hohen Triumphbogen und kleineren, städtebaulich Dazu kam ein Solitärhochhaus nördlich der Karl-Liebknecht-Straße. Mit der wie funktional begründeten Hochhäusern. Hier plante das Reich, nicht die Rückkehr zu einer Art kritischer Rekonstruktion der Berliner Mitte in den 1980er Stadt, um auch städtebaulich die Überlegenheit der Hauptstadt zu manifestie- Jahren wurde in Ost-Berlin der Bau von Hochhäusern de facto aufgegeben. ren. Während der Diktatur wurde dieses Programm strikt durchgesetzt – zumin- dest auf dem Papier.14 NACH DEM FALL DER MAUER: HOCHHAUSGRUPPEN AN DEN BEIDEN EINGÄNGEN ZUR MITTE OST-BERLIN IM KALTEN HÄUSERKRIEG: Nach dem unerwarteten Fall der Berliner Mauer 1989 war zunächst völlig HOCH, HÖHER, AM HÖCHSTEN unklar, wie die neue Mitte eines neuen Gesamtberlins gestaltet werden sollte. In den frühen 1950er Jahren wurde in Ost-Berlin das Projekt eines von den Eine Ausstellung in Frankfurt am Main im Jahr 1991 zum Thema »Berlin mor- neuen Herrschaftsverhältnissen kündenden »Zentralen Hochhauses« für den gen«17 brachte auf die Schnelle entwickelte, abenteuerliche Vorschläge interna- Partei- und Staatsapparat vorbereitet, das noch bis zum »Ideenwettbewerb zur tionaler Stararchitekten, denen oft die Geschichte und der Zustand der Berliner Sozialistischen Umgestaltung des Zentrums der DDR, Berlin« (1959) im Mitte fremd waren. Darunter fand sich allerdings auch ein Konzept, das Zukunft Gespräch blieb.15 (Abb. 5) Mit der Entscheidung für den Bau des Fernsehturms haben sollte: die Idee von Hans Kollhoff, an den beiden Eingängen in die histo- (1964) und zur Umgestaltung des Alexanderplatzes unter Einbezug eines Hoch- rische Mitte, am Alexander- und am , jeweils eine Hochhaus- hauses (seit 1967) wurde ein neues Konzept für die Silhouette einer sozialisti- gruppe zu bauen, die historische Mitte aber selbst von weiteren Hochhäusern schen Mitte erarbeitet und dann auch realisiert. Das 123 Meter hohe Hotel »Stadt frei zu halten. (Abb. 6) Berlin« (1967-70) markierte den Knick der Ostachse in Höhe des Alexanderplat- Der siegreiche Beitrag von Heinz Hilmer und Christoph Sattler für den zes, der Fernsehturm (1965-69), mit 368 Metern das (immer noch) höchste 1991 durchgeführten Wettbewerb zur Neugestaltung des Potsdamer Platzes18 Bauwerk Deutschlands, beherrschte den Fernblick vieler Radialstraßen in Rich- sah freilich nur ganz bescheidene Hochhäuser vor. Erst in der Folgezeit setzte tung Mitte.16 sich der Wunsch nach zwei etwa 100 Meter hohen Hochhäusern durch, dem 82 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 83

7 Hochhauszentrum Potsdamer Platz, 2016. (Foto: HB) 8 Standort des künftigen Hochhauszentrums am 9 Standort des künftigen Hochhauszentrums am Alexanderplatz, 2015. (Foto: Christian Wolf, Wikimedia Hauptbahnhof, 2018. (Foto: HB) Commons) markanten Backsteinbau von Hans Kollhoff und dem auf Ludwig Mies van der Es zeigte sich aber schnell, dass der Wunsch nach Hochhäusern am Rohe anspielenden Glasturm von Helmut Jahn, flankiert von drei kleineren Alexanderplatz und am Breitscheidplatz ein frommer war, denn die wirtschaft- Hochhäusern von Renzo Piano, Hilmer und Sattler und wiederum Kollhoff. liche Nachfrage war noch nicht vorhanden. Erst nach dem Ende der jahrelan- Den äußersten Punkt des Quartiers markiert wiederum ein Hochhaus von gen planerischen und städtebaulichen Stagnation um 2007 setzte langsam Renzo Piano am Landwehrkanal. (Abb. 7) wieder eine Diskussion über Hochhäuser in der Berliner Mitte ein. Diese Der 1993 durchgeführte Wettbewerb Alexanderplatz19 entsprach diesem betraf vor allem den Alexanderplatz, aber mehr und mehr auch andere Stand- Konzept, er wurde von Kollhoff gewonnen, der – ganz im Sinne seiner Idee aus orte, etwa den Eingang zur sogenannten Europacity am Hauptbahnhof. Hier dem Jahr 1991 – eine Gruppe von 13 vertikal gegliederten und aus Blöcken her- war bereits im städtebaulichen Wettbewerb zum Stadtquartier Lehrter Bahn- auswachsenden Hochhäusern mit einheitlicher Höhe von etwa 150 Metern ent- hof von 1994 im preisgekrönten Entwurf von Oswald Matthias Ungers eine warf. (Abb. 8) Zu den beiden Hochhausensembles am Alexanderplatz und am zunächst 80, später 100 Meter hohe Hochhausscheibe auf dem nördlichen Potsdamer Platz trat ein weiteres Hochhausquartier: der Breitscheidplatz mit Bahnhofsvorplatz festgelegt worden. Im Masterplanverfahren zur Europacity dem von Richard Rogers entworfenen »Zoofenster«, das unter der Senatsbau- an der Heidestraße wurde diese Scheibe nördlich der Invalidenstraße durch direktorin Barbara Jakubeit zu einer Hochhausgruppe um die Gedächtniskirche drei kleinere Hochhäuser ergänzt, von denen der »Tour Total« und das Haus herum erweitert wurde. In dieser Zeit ging das 1996 veröffentlichte Planwerk für den Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz zwischen 2011 und 2015 realisiert Innenstadt seinem Senatsbeschluss von 1999 entgegen.20 Das weit von Osten wurden. (Abb. 9) nach Westen gestreckte Planwerk Innenstadt erhielt hier also drei städtebauli- Inzwischen war das inoffizielle Regelwerk mit zwei Hochhausgruppen che Hochhausakzente: am Alexanderplatz, am Potsdamer Platz und am Breit- an den beiden Eingängen zur Berliner Mitte, das sich an der Idee von Hans scheidplatz. Damit war ein plausibles – freilich nicht explizit verkündetes – Kollhoff orientierte, verblasst und vergessen. Nun stellte sich die Frage erneut: Hochhauskonzept begründet. Wo sollen städtebaulich begründete Hochhäuser gebaut werden dürfen? Und 84 HARALD BODENSCHATZ UND EPHRAIM GOTHE HOCH HINAUS! 85

vor allem auch: Wie ist ein mögliches Hochhauskonzept auch durchzusetzen? anpassungsfähig ist, reaktiv und proaktiv. Und es ist sinnvoll, die Hochhaus- Der Berliner Senat hat Senatsbaudirektorin Regula Lüscher beauftragt, diese konzepte anderer Städte wie Wien, Paris oder London zu prüfen. Für eine sol- Fragen in einem Hochhausplan zu klären. In der Vorbereitungszeit haben che Stadtdebatte brauchen wir eine planungspolitische Plattform, ein Stadtfo- hochfliegende Ideen und Projekte Konjunktur. rum, das summt wie ein Bienenstock, Entscheidungen verbindlich vorbereitet und unseren Souverän, das Parlament, endlich wieder ernst und in die Pflicht nimmt. AUSBLICK Schlüsselstandorte für Hochhäuser erfordern besondere Voraussetzungen und gute städtebauliche Begründungen. Solche Standorte können auch dadurch legi- timiert werden, dass sie im kollektiven Gedächtnis der Berliner wie in den Imagi- nationen der weltweiten Gäste als besondere Orte mit hohem Wiedererkennungs- wert verankert sind. Sie müssen durch den öffentlichen Personennahverkehr exzellent erschlossen sein. Wer die drei beschriebenen Standorte in Mitte – Alex- anderplatz, Potsdamer Platz und Hauptbahnhof – und dazu den Breitscheidplatz miteinander vergleicht, wird überrascht große Ähnlichkeiten feststellen. So wei- sen alle vier Standorte neben einer sehr guten öffentlichen Verkehrserschließung markante Doppelplatzsituationen auf (Alexanderplatz – Platz vor dem Fernseh- turm; Potsdamer Platz – Leipziger Platz; Europaplatz – Washingtonplatz; Breit- scheidplatz – Hardenbergplatz). Alle vier Orte sind durch bedeutende architekto- 1 Böß, Gustav: Berlin von heute. Stadtverwaltung und Wirt- 13 Vgl. etwa Häring, Hugo: Der Platz der Republik. Pläne zur nische »Monumente« charakterisiert, alle vier werden durch erstrangige kulturelle schaft. Berlin 1929, S. 113. Neugestaltung, nebst Erläuterung. In: Das neue Berlin und politische Institutionen in unmittelbarer Nachbarschaft mitgeprägt. Und sie 2 Eine ähnliche Position hatte auch Martin Wagner: Städte- 4/1929. Vgl. weiter Bodenschatz, Harald zusammen mit bauliche Probleme in amerikanischen Städten und ihre Engstfeld, Hans-Joachim und Seifert, Carsten (wie Anm. 8), sind bei Einheimischen und Gästen Ankerpunkte in der Berlin-Mindmap. Zudem Rückwirkung auf den deutschen Städtebau. Berlin 1929, S. 194–197. haben alle vier Plätze eine Hochhaustradition – zumindest in der Planungsge- S. 44. 14 Vgl. Larsson, Lars Olof: Die Neugestaltung der Reichshaupt- 3 Wettbewerb Groß-Berlin 1910: Die preisgekrönten Entwürfe stadt. Albert Speers Generalbebauungsplan für Berlin. Stutt- schichte. Ja, es drängt sich auf, die von Martin Wagner beschriebene Kategorie der mit Erläuterungsberichten, Berlin 1911, Teil Schmitz, S. 37. gart 1968; Reichhardt, Hans J./Schäche, Wolfgang: Von »Weltstadtplätze« wiederzubeleben – wenngleich mit neuen Inhalten. Die Berliner Baupolizeiordnung von 1887 hatte die Trauf- Berlin nach Germania. Über die Zerstörungen der Reichs- höhe auf 22 Meter beschränkt. hauptstadt durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen. Im Kontrast zu den weitgehend erhaltenen Quartieren der Kaiserzeit mit 4 Möhring, Bruno: Über die Vorzüge der Turmhäuser und die Ausstellungskataloge des Landesarchivs Berlin, Band 2. ihrer einheitlichen Berliner Traufhöhe um die vier beschriebenen plausiblen Voraussetzungen, unter denen sie in Berlin gebaut werden Berlin 1984. können. Berlin 1921. 15 Der Ideenwettbewerb zur sozialistischen Umgestaltung des Hochhausstandorte herum ergibt sich so ein einprägsames städtebauliches 5 Zimmermann, Florian (Hg.): Der Schrei nach dem Turm- Zentrums der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen haus. Der Ideenwettbewerb Hochhaus am Bahnhof Fried- Republik. Dokumentation, Berlin 1958/59. Leitbild für Berlin innerhalb des S-Bahnrings. Die Verführung ist groß, diesen richstraße. Berlin 1921/22. Berlin 1988. 16 Müller, Peter: Symbol mit Aussicht. Der Ost-Berliner Fern- Status Quo zu konservieren und ein »Ende der Durchsage« zu verkünden. Das 6 Neumeyer, Fritz (Hg.): . Hoch- sehturm. 2. Auflage. Berlin 2000. haus am Bahnhof Friedrichstraße. Dokumentation des 17 Lampugnani, Vittorio Magnago/Mönninger, Michael (Hg.): kann es aber nicht sein. Sinnvoll ist, den Blick über den Tellerrand des S-Bahn- Mies-van-der Rohe-Symposiums in der Neuen National­ Berlin morgen. Ideen für das Herz einer Großstadt. Katalog rings hinaus zu richten und die Region bis weit nach Brandenburg zu erfassen. galerie, Berlin. Tübingen, Berlin 1993. zur gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Architektur- 7 Zimmermann, Florian (Hg.) (wie Anm. 5), S. 167–185. Museums, Frankfurt am Main. Stuttgart 1991. Die Ausstel- Gibt es dort womöglich auch begründbare Hochhausstandorte? Die vier 8 Bodenschatz, Harald zusammen mit Engstfeld, Hans- lung wurde danach in Berlin im Martin-Gropius-Bau berühmten Kreuze – Westkreuz, Nordkreuz (Gesundbrunnen), Ostkreuz und Joachim und Seifert, Carsten: Berlin auf der Suche nach gezeigt. dem verlorenen Zentrum. 1995, S. 140–141. 18 Bodenschatz, Harald zusammen mit Engstfeld, Hans- Südkreuz – waren bereits Anfang der 1990er Jahre als Hochhausstandorte in 9 Dal Co, Francesco: Hilberseimer e Mies: intersezioni e Joachim und Seifert, Carsten (wie Anm. 8), S. 205–208. der Diskussion.21 Heute sind sie längst vergessen, obwohl sie mittelfristig wie- lontananze. In: Ludwig Hilberseimer 1885/1967. Rassegna 19 Ebd., S. 110–113. 27/1986, S. 61. 20 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und der eine sinnvolle Rolle spielen könnten. Weitere mögliche kleinere Hochhaus- 10 Mengin, Christine: L’architettura della Großstadt. In: Ludwig Technologie (Hg.): Planwerk Innenstadt Berlin: Ergebnis, Hilberseimer 1885/1967 (wie Anm. 9), S. 39–40. Prozeß, sektorale Planungen und Werkstätten, Heft 25, standorte ließen sich an ausgewählten Stellen der großen Ausfallstraßen fin- 11 Hilberseimer, Ludwig: Entfaltung einer Planungsidee. Berlin, Berlin 1999. den, möglicherweise auch am Flughafen in Schönefeld. Frankfurt am Main, Wien, S. 22. 21 Vgl. Berlinische Galerie e. V. (Hg.): Berlin heute. Projekte für 12 De Michelis, Marco: Ritratto di un architetto come giovane das neue Berlin. Ausstellungskatalog. Berlin 1991. Für das wachsende, künftige Berlin benötigen wir ein Hochhauskonzept, artista. In: Ludwig Hilberseimer 1885/1967 (wie Anm. 9), das für Teilflächen dieser Stadt unterschiedliche Regeln formuliert, das auch S. 20–21.