Neapel Sehen Und Sterben: Zur Darstellung Der Parthenopeischen
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Neapel sehen und sterben Zur Darstellung der parthenopeischen Stadt in der italienischen Nachkriegsliteratur Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn vorgelegt von Sergio Izzo aus Troisdorf Bonn 2009 Gedruckt mit Genehmigung der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Tag der mündlichen Prüfung: 07.01.2009 Zusammensetzung der Prüfungskommission: Prof. Dr. Michael Bernsen (Vorsitzender) Prof. Dr. Willi Hirdt (Betreuer und Gutachter) Prof. Dr. Paul Geyer (Gutachter) Prof. Dr. Daniela Pirazzini (weiteres prüfungsberechtigtes Mitglied) Diese Dissertation ist auf dem Hochschulschriftenserver der ULB Bonn http://hss.ulb.unibonn.de/diss_online elektronisch publiziert. Danksagung An erster Stelle danke ich meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Willi Hirdt, der das Entstehen dieser Arbeit mit menschlichem Feingefühl und seinen profunden Fachkenntnissen begleitet hat. Zutiefst verpflichtet für ihre freundliche und prompte Hilfsbereitschaft bin ich ebenfalls den weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission. Stellvertretend für diverse Mitarbeiter des Romanischen Seminars der Universität Bonn sei an dieser Stelle zudem Frau Dr. Birgit Tappert erwähnt, die bereits während des Studiums immer ein offenes Ohr für meine Anliegen hatte und auch dieses Mal unterstützend gewirkt hat. Mein besonderer Dank gilt schließlich meiner Familie für ihre uneingeschränkte Unterstützung in allen Lebensbereichen. Meinen Eltern, meiner Schwester Sara sowie Serena möchte ich darum die vorliegende Arbeit widmen. Inhaltsverzeichnis 1. Einführung………………………………………………….…………………. 4 2. Die Neapelliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg....…………….…………... 15 2.1. Domenico Reas moribunde Stadt……………….………………….. 27 2.1.1. Die Stimme der Plebs…………………….………………. 27 2.1.2. Die Krankheit……….……………………………………. 36 2.1.3. Exkurs: Die Metaphorik in Curzio Malapartes La pelle…………………….………… 42 2.1.4. Der Stillstand der Zeit……………………….…………… 46 2.2. Anna Maria Ortese und das Schweigen der Vernunft….………….. 53 2.3. Die verlorene Harmonie…………….……………………………... 65 2.3.1. Historische Grundlagen: Die gescheiterte Revolution von 1799….………………... 68 2.3.2. Der Bruch mit der Geschichte………….……………….... 75 2.3.3. Die Maske des Neapolitaners: Napoletanità vs. Napoletaneria………….………………. 80 2.3.4. Die Homologierung der Gesellschaftsschichten…..……… 83 2.3.5. Ein neapolitanischer Mikrokosmos…….………….…....... 87 2.4. Luigi Compagnone und der Fluch der Uniformität…………............ 93 2.4.1. Città di mare con abitanti……………………………..… 101 2.4.2. Ballata e morte di un Capitano del Popolo…………...… 107 3. Napoletanità: Der Versuch einer Begriffsbestimmung……………………... 115 2 4. Luciano De Crescenzos Neapelbild…………….…………………………... 135 4.1. Die zwei Leben des Luciano De Crescenzo…………….………… 147 4.2. Der lachende Philosoph……….…………………………………... 164 4.2.1. Der Weg der Mitte…………………………….………… 174 4.2.2. Liebe und Freiheit…………….…………………………. 180 4.2.3. Die vita epicurea-napoletana…..……………….………. 186 4.2.4. Eine geometrische Verhaltensanalyse des Menschen.….. 194 4.2.5. Der positive Zweifel……………………………….……. 200 4.2.6. Il PAT…………………………………….……………… 206 4.3. Das griechische Erbe Neapels…………………………………….. 210 4.3.1. Neapolis……………………………………………….… 210 4.3.2. Die Hauptstadt der Liebe………………………………... 217 4.3.3. Mailand – der nördliche Antagonist………………….…. 226 4.3.4. Griechisch-neapolitanische Mythen………………….…. 231 4.4. Napoletanità als Fluchtpunkt………………………………….….. 240 5. Schlussbetrachtungen…………………………………….…………………. 253 Literaturverzeichnis……………..…………………………………………...… 260 3 La fantasia tanto è più robusta quanto è più debole il raziocinio. (Giambattista Vico, Scienza Nuova) 1. Einführung Bereits seit einigen Jahren steht Neapel erneut verstärkt im Zentrum des öffentlichen Interesses. Mehrere Tonnen entsetzlichen Mülls, der sich über hunderte Meter an den Gehsteigen bis zu den Häuserfenstern der Anwohner hochstapelt, beherrschen seit 2007 das Stadtbild. Ungehemmt angehäufte Deponien haben die Müllabfuhr an den Rand des Kollaps gebracht, Müllhalden gleichen mittlerweile Bergen. Den verantwortlichen Behörden ist es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diesem unsäglichen und unzeitgemäßen Zustand, über den die Medien tagtäglich unter dem Schlagwort emergenza rifiuti berichten, zuvorzukommen. Auch der zum Jahreswechsel 2007/2008 von der Regierung in Rom eingesetzte Sonderbeauftragte De Gennaro erreichte in seinem neuen Amt bislang keinen Durchbruch, der die desolaten Zustände grundlegend verändert hätte: Es bahnt sich ein allmählicher Abtransport des neapolitanischen Mülls ins Ausland an. Die zwischenzeitlich veranlasste Schließung öffentlicher Gebäude einschließlich vieler Schulen ist nur eine der Folgen, die bereits vor Jahren Studien prognostiziert hatten.1 Mittlerweile wurde Messungen zufolge auf den Weidewiesen des neapolitanischen Umlandes in Büffelmilch eine vielfach über dem zulässigen Wert befindliche Menge Dioxin festgestellt, was in verschiedenen Teilen der Welt zu Importverboten für kampanischen Mozzarella geführt hat. Die EU betrachtet die Situation bekanntlich misstrauisch und erwägt ähnliche Sanktionen. Es verwundert nicht, dass der Müll Neapels auf nationaler Ebene zu einem mitbestimmenden Wahlkampfthema aller Parteien anlässlich der vorgezogenen Parlamentswahlen im Frühjahr 2008 wurde. Von ebensolcher Brisanz erwies sich in den vergangenen Jahren gleichermaßen die konkrete Pflege der Illegalität in Neapel. Die aus riesigen 1 Vgl. die frühen Berichterstattungen H.-J. Fischer, Müllnotstand in Süditalien, in: FAZ, Nr. 73, 27.03.2001, S. 11 und C. Valentini, Pattume, proteste e malafede, in: LガEspresso, 47. Jg., Nr. 14, 05.04.2001, S. 69. 4 Betonbauten bestehenden Stadtviertel Scampia oder Secondigliano mit bis zu 50000 Einwohnern stellen regelrechte Vorstadtgettos dar, in denen die Bewohner an der Armutsgrenze leben. Korruption, Misswirtschaft, De-Industrialisierung und Massenarbeitslosigkeit führten zu individuell absolvierten Wegen, sich durchs Leben zu schlagen, die oftmals längst in die Kriminalität abgedriftet sind. In diesen sozialen Verhältnissen hat die kampanische Camorra ein eigenes ökonomisch-politisches System aufgebaut, das in der Region augenscheinlich unangetastet operiert: Neapel ist das europäische Zentrum des Drogen- und Waffenschmuggels sowie der Fälschung von Markenartikeln. Im Zuge der 2005 skrupellos in der Öffentlichkeit ausgetragenen, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden mafiösen Clans wurde von Seiten der Politik die Forderung nach dem nationalen Einsatz des italienischen Militärs erhoben. Unbequeme Enthüllungen über die Organisation, die die Stadt kontrolliert und jeden Lebensbereich infiltriert hat, lieferte 2006 der Schriftsteller Roberto Saviano mit seinem Buch Gomorra. Viaggio nell’impero economico e nel sogno di dominio della camorra. Seit seiner Veröffentlichung lebt er unter ständigem Polizeischutz. Neapel stellt unter diesen Aspekten zweifellos einen Extremfall des ohnehin gebrandmarkten Mezzogiorno dar und erscheint somit in dreifacher Verschachtelung als ein eigener Staat im Staat. Mehrere Aufsätze des Sonderbandes 24 der Zeitschrift Zibaldone aus dem Jahr 1997 mit dem Themenschwerpunkt „Neapel“ widmen sich den politischen und kulturellen Reformbestrebungen der Stadt Ende der 90erjahre unter dem damaligen Bürgermeister Bassolino, insbesondere dem Engagement der Stiftung Napoli Novantanove.2 Im zeitlichen Abstand von 10 Jahren scheinen sich die gut gemeinten Absichten im Nichts aufgelöst zu haben: i mali di ieri non sono dissimili da quelli di oggi3. Diese Feststellung gilt jedoch nicht nur für das vergangene Dezennium, sondern übergreifend für mehrere Jahrhunderte neapolitanischer Geschichte. Das heutige Sorgenkind Europas hat nicht erst seit der italienischen Einigung die Rolle eines Problemfalls inne. Die Trias Aberglaube, Schmutz und Camorra als universelle Ursache allen Übels hält sich, wie die Geschichte aufweist, unveränderlich in der neapolitanischen Tradition. 2 Vgl. dazu insbesondere Conrad Ley, Die unerwartete Wiedergeburt, in: Zibaldone, Nr. 24, 1997, S. 7 – 32. 3 Pompeo Giannantonio, Sulla scia dei meridionalisti, in: Matilde Serao. Tra giornalismo e letteratura, hg. v. Gianni Infusino, Neapel 1981, S. 29 – 44, 41. 5 Gerade die Beschreibungen der sozial prekären und hygienisch unzumutbaren Zustände der Stadt ähneln sich in Schriftzeugnissen aller Epochen. So lassen sich einige 1884 von der großen neapolitanischen Journalistin Matilde Serao verfasste Beobachtungen wie ein aktueller Zeitungsbericht lesen: Pare che da anni non ci passi mai lo spazzino; ed è forse la sporcizia di un giorno.4 Einige der Straßen, in denen der Besucher der Stadt Ende des 19. Jahrhunderts Acht geben muss, wohin er den Fuß setzt, um nicht knietief zu versinken, erinnern vielmehr an una specie di canale nero, che passa sotto due archi e dove pare raccolta tutta la immondizia di un villaggio africano5. Der Kollaps der Stadt wird seit Jahrhunderten befürchtet, ist aber bislang nirgendwo definitiv eingetreten. Stattdessen besteht Neapel in seiner konstant labilen Verfassung offenbar kaum verändert fort. In die „schöngeistige“ italienische Literatur halten die typisch neapolitanischen Charakteristika bereits zu einem frühen Zeitpunkt Einzug. Mit aus heutiger Sicht „geradezu faszinierend realistischen Beschreibungen“6 und treffsicheren Schilderungen tritt das zwielichtige neapolitanische Milieu des 14. Jahrhunderts in