»Ich bin jetzt durch die Gegend gefahren, durch die einst der sterbende fuhr und in letzter Begeisterung für dieses herrliche Land ausbrach ... Vor morgen früh wird mich die Trauer nicht verlassen.«

Alban Berg nach einem Besuch in Salzburg an seine Frau Helene, 1911

D6: Fr, 04.03.2011, 20 Uhr | Hamburg, Laeiszhalle HB4: Sa, 05.03.2011, 20 Uhr | Bremen, Glocke Alan Gilbert Dirigent | Thomas Hampson Bariton Franz Schubert Ouvertüre C-Dur D 644 „Rosamunde“ / Luciano Berio Sechs Lieder für Bariton und Orchester Gustav Mahler Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur: Adagio | Alban Berg Drei Orchesterstücke op. 6

DAS ORCHESTER DER ELBPHILHARMONIE NDR SINFONIEORCHESTER

Das Konzert wird am 23.05.2011 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet

Freitag, 04. März 2011, 20 Uhr Gustav Mahler Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur: 1. Satz Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal (1910)

Samstag, 05. März 2011, 20 Uhr Andante – Adagio Bremen, Glocke

Alban Berg Drei Orchesterstücke op. 6 Dirigent: Alan Gilbert (1885 – 1935) (1914, rev. 1929) Solist: Thomas Hampson Bariton I. Präludium. Langsam II. Reigen. Anfangs etwas zögernd – Leicht beschwingt Franz Schubert Ouvertüre C-Dur D 644 „Rosamunde“ / „Die Zauberharfe“ III. Marsch. Mäßiges Marschtempo (1797 – 1828) (1820)

Andante – Allegro vivace

Gustav Mahler Sechs Lieder für Bariton und Orchester Einführungsveranstaltung mit Habakuk Traber am 04.03.2011 um 19 Uhr (1860 – 1911) Gesangstexte auf S. 15 im Kleinen Saal der Laeiszhalle.

„Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald“ (zwischen 1887 und 1891) orchestriert von Luciano Berio (1986)

„Ging heut’ morgen übers Feld“ (vor 1885/1893) aus „Lieder eines fahrenden Gesellen“

„Blicke mir nicht in die Lieder“ (1901) aus „Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“

„Erinnerung“ (1882) orchestriert von Luciano Berio (1986)

„Um Mitternacht“ (1901) aus „Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“

„Ich bin der Welt abhanden gekommen““ (1901) aus „Lieder nach Texten von Friedrich Rückert“

Pause

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Alan Gilbert Thomas Hampson Dirigent Bariton

Alan Gilbert, Erster Gastdirigent des NDR Sinfo- Die Karriere des amerikanischen Baritons nieorchesters, ist seit der Spielzeit 2009/2010 Thomas Hampson ist in vielerlei Hinsicht ein- Music Director des New York Philharmonic zigartig. Als Opern-, Konzert- und Liedsänger Orchestra. Als erster gebürtiger New Yorker auf ist er weltweit auf den wichtigsten Opern- und diesem Posten tritt er damit die Nachfolge so Konzertbühnen aufgetreten und hat mit den großer Maestri wie Leonard Bernstein, Pierre bedeutendsten Sängern, Pianisten, Dirigenten Boulez, Zubin Metha, Kurt Masur und Lorin und Orchestern unserer Zeit gearbeitet. Knapp Maazel an. In seiner ersten Saison hat er eine 200 Aufnahmen spiegeln nicht nur seine sti- Reihe von neuen Initiativen vorgestellt: als Com- listische Bandbreite wider, sondern erhielten poser und Artist in Residence lud er Magnus ebenso renommierte Preise wie den Grammy, Lindberg und Thomas Hampson ein – zwei den Grand Prix du Disque, den Gramophone Musiker, mit denen er auch in der aktuellen Award und den Echo Klassik. Große Anerken- Spielzeit des NDR Sinfonieorchesters zusam- nung genießt der Ausnahmekünstler für seine menarbeitet. Daneben initiierte er ein jährli- sorgfältig erforschten und außergewöhnlich ches Festival sowie die Konzertreihe „Contact“, zusammengestellten Programme sowie für bei der sich das New York Philharmonic der seine aktive Lehrtätigkeit und die Erkundung zeitgenössischen Musik widmet. Zu den Höhe- bereits zwei Konzerte mit dessen Werken des schier unendlichen Liedrepertoires. Thomas der Welt zu Gehör – außer mit dem NDR Sin- punkten der vergangenen Saison zählte die geleitet, darunter das Eröffnungskonzert des Hampson gehört zu den wichtigsten Interpreten fonieorchester unter Alan Gilbert auch mit New Yorker Erstaufführung der Oper „Le grand Hamburger Mahler-Zyklus’ mit dem „Lied von des deutschen romantischen Liedes, insbe- Orchestern wie dem New York Philharmonic macabre“ von György Ligeti. Tourneen führten der Erde“ (ebenfalls mit Thomas Hampson). sondere der Werke von Schumann, Mahler und Orchestra, den Wiener Philharmonikern, dem Gilbert und sein Orchester nach Asien und Wolf, und des amerikanischen Liedes, dessen Concertgebouworkest Amsterdam, dem Gustav Europa; mit einem gefeierten Konzert machte Geboren und aufgewachsen in New York, stu- Botschafter für grenzüberschreitenden und Mahler Jugendorchester und der Tschechi- er kürzlich auch in Hamburg Station. dierte Gilbert an der Harvard University, am interkulturellen Dialog er mit seinem Projekt schen Philharmonie Prag unter Dirigenten wie Curtis Institute und an der Juilliard School. „Song of America“ und der im Jahr 2003 Mariss Jansons, Zubin Mehta, Philippe Jordan, In Alan Gilberts vielseitigem Repertoire bildet Für zwei Spielzeiten war er als Violinist beim gegründeten Hampsong Foundation ist. Manfred Honeck und Antonio Pappano. Darüber die Musik von Gustav Mahler einen besonde- Philadelphia Orchestra tätig, sowie in der Zeit hinaus gestaltet er zahlreiche Recitals mit den ren Schwerpunkt. Seine CD-Einspielung von von 1995 bis 1997 als Assistant Conductor des „Ich nehme Mahlers Musik sehr ernst“, erklärt Pianisten Wolfram Rieger und Craig Rutenberg. Mahlers 9. Sinfonie wurde in der internationalen Cleveland Orchestra. Achteinhalb Jahre hatte Thomas Hampson, „und sie hat einen tiefen Am 7. Juli 2010, dem 150. Geburtstag des Presse hoch gelobt; in der Spielzeit 2009/2010 er das Amt des Chief Conductor und Artistic Einfl uss auf mein persönliches und künstleri- Komponisten, trat Hampson im international dirigierte er das New York Philharmonic in Advisor des Royal Stockholm Philharmonic Or- sches Leben … Mahler ist ein unverzichtbarer übertragenen Festkonzert am Geburtsort Mahlers Erster und Dritter, im Mai 2011 steht chestra inne, zu dessen Ehrendirigent er 2008 Baustein in der geistigen Entwicklung der Mahlers in Kalište (Tschechische Republik) auf dort die Fünfte auf dem Programm. Auch mit ernannt wurde. Gilbert gastierte bei Spitzen- Menschen überhaupt.“ – Die Saison 2010/11 und sang ein Recital in dessen Geburtshaus. dem NDR Sinfonieorchester hat sich Gilbert orchestern wie dem Boston, Chicago und San steht für ihn daher ganz im Zeichen der beiden in der Vergangenheit einen Ruf als exzellenter Francisco Symphony Orchestra, dem Los Ange- Jubiläen des Komponisten. Als einer der füh- Mahler-Interpret erworben. Anlässlich des les Philharmonic, dem Concertgebouworkest renden Mahler-Interpreten bringt Hampson großen Mahler-Jubiläums hat er diese Saison Amsterdam und den Berliner Philharmonikern. dessen Liederzyklen in vielen Musikzentren

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Beziehungszauber Zu den Werken von Schubert, Mahler und Berg

bei dem neben der „Unvollendeten“ und von Chézy, welches am 20. Dezember dessel- Ähnlichkeit des Titels zu Mozarts „Zauberfl öte“ mehreren Schubert-Liedern (die Mahler vom ben Jahres am Theater an der Wien Premiere ist kein Zufall –, in dem sich die „Sensations- Klavier aus begleitete) auch die „Rosamunde“- hatte und bereits nach der zweiten Aufführung gier nach einem phantastischen Gefühlsleben, Ouvertüre auf dem Programm stand. am folgenden Tag abgesetzt wurde. Als Vor- das in der Geisterwelt oder in einer unge- spiel diente die Ouvertüre zu Schuberts Oper schichtlich gesehenen Vorzeit stattfi ndet, mit Alban Berg wiederum schätzte – wie später auch „Alfonso und Estrella“ – ein in Vergessenheit dem Zwang des Rationalismus in Richtung der italienische Komponist Luciano Berio – die geratenes Werk, dessen gekürzte Erstauffüh- auf Vernünftigkeit“ verbinden, wie ein zeit- Musik Mahlers über alle Maßen „Ich habe“, rung erst 1854 durch Franz Liszt in Weimar er- genössischer Rezensent schrieb. Seit dieser schrieb er 1910 an seine spätere Frau Helene folgte. Das Fiasko von „Rosamunde“ beendete Aufführung Herbecks ist es üblich geworden, Nahowski, „wieder einmal die IX. Mahler-Sym- Schuberts Laufbahn am Theater endgültig; die „Zauberharfen“-Ouvertüre als Vorspiel zu phonie durchgespielt. Der erste Satz ist das erst 1867 dirigierte Johann Herbeck fast die „Rosamunde“ zu verwenden – ein Vorgehen, Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat. komplette „Rosamunde“-Musik im Konzert der das aufgrund der motivischen Verknüpfungen Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu Gesellschaft der Musikfreunde, wobei Herbeck innerhalb der gesamten Bühnenmusik durch- dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr den einzelnen Musiknummern die Ouvertüre zu aus fragwürdig ist. Insgesamt zeigt die „Zauber- zu leben, sie, die Natur, noch auszugenießen bis „Die Zauberharfe“ D 644 voranstellte, welche harfen“- bzw. „Rosamunden“-Ouvertüre, dass Gustav Mahler (Foto aus seiner Hamburger Zeit, 1892) in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. Schubert im April/Mai 1820 zu einem Melodram Schubert im Kontext der Ouvertüren- und Büh- Denn er kommt unaufhaltsam.“ Spätestens seit von Georg Ernst von Hoffmann komponiert nenkompositionen seinerzeit leichter zu un- Gustav Mahler muss die Musik von Franz der Wiener Uraufführung von Mahlers 1888 hatte. Jenes Stück, das aufgrund zahlreicher orthodoxen Lösungen fand als in der Sinfonik Schubert sehr geschätzt haben: Bereits in komponierter und mehrfach revidierter Mär- unlogischer Handlungsmomente verrissen selbst, wo das Infragestellen der traditionellen einem seiner ersten Konzertauftritte in Iglau chenkantate „“ am 17. Feb- wurde, steht in der bis ins Barockzeitalter rei- Formdisposition, vor allem in der Es-Dur-Sinfo- am 31. Juli 1876 spielte er Schuberts „Wande- ruar 1901, gehörte Berg zu den größten chenden Tradition des Zauberstücks – die nie D 729 von 1821, Fragment blieb. Denn dem rer-Fantasie“. Und auch später brachte er re- Mahler-Verehrern seiner Zeit („Ein herrliches Stück liegt ein Sonatensatz mit überaus origi- gelmäßig Sinfonien wie die „Unvollendete“ und Werk!!!!“). Er besuchte regelmäßig die Auffüh- neller Reprisenlösung zugrunde, da bei der die „Große C-Dur“ sowie zahlreiche Schubert- rungen von Mahlers Sinfonien und studierte Rekapitulation das in Moll und Dur zweigeteilte Lieder zur Aufführung. Mit seinen „Liedern intensiv dessen Partituren. 1910 arbeitete er Hauptthema gleich mit dem Durkomplex ein- eines fahrenden Gesellen“ knüpfte Mahler zudem für die Universal Edition an einem vier- setzt, welcher in der Durchführung konsequent zudem direkt an Schuberts „Schöne Müllerin“ händigen Klavierauszug von Mahlers Achter vermieden wurde. und „Winterreise“ an. Weiterhin hat er das Sinfonie, der jedoch nicht fertig gestellt wurde. Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“ 1894 für Streichorchester arrangiert, wobei der „Keimlinge, aus denen große Bäume zweite Satz am 19. November desselben Jahres Innovatives Formkonzept: wurden“: Orchesterlieder von im Rahmen eines Abonnement-Konzertes im Schuberts „Rosamunde“-Ouvertüre Gustav Mahler, instrumentiert Hamburger Conventgarten zur Aufführung kam. von Mahler und Berio Anlässlich Schuberts 100. Geburtstages am 1828 komponierte Franz Schubert eine Bühnen-

30. Januar 1897 veranstaltete Mahler zudem musik zum romantischen Schauspiel mit Musik Das Theater an der Wien, wo sowohl „Die Zauberharfe“ „Der Kern der Bachschen Musik – die Materie – im Hamburger Stadttheater ein Gedenkkonzert, „Rosamunde, Fürstin von Zypern“ von Helmina als auch „Rosamunde“ uraufgeführt wurden ist der Choral“, schrieb Willem Mengelberg in

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morgens übers Feld“ entfaltet in drei strophi- eigentlich unzeitgemäßes Faible hatte: „Das ist schen Varianten (mit einer angehängten vierten Lyrik aus erster Hand, alles andere ist Lyrik aus als Coda) die Gegensätze von Glück verheißen- zweiter Hand“, äußer te er sich einmal gegen- der Natur und dem Unglück des Indivi duums: über Anton Webern – hängt aber zugleich der Der lustige Fink, der fun kelnde Son nenschein, besonders intime, persönliche, teils autobio- das Kling-Klang der Glockenblume – kurz: graphische Wesenszug dieser Lieder zusam- alle positiven Momente von Naturerleben und men. Die verständnisvolle Mahler-Freundin Naturerfahrung erweisen sich als trügeri sche Natalie Bauer-Lechner etwa glaubte den Text Illusion. Die Melodieführung zeichnet den Text- von „Blicke mir nicht in die Lieder“ geradezu gehalt nach: Die sich mit einem Quartsprung für eine eigene Dichtung des Komponisten aufschwingende, stufenweise nach oben fort- halten zu können und zum Lied „Ich bin der schreitende und sich steigernde melodische Welt abhanden gekommen“ – ein gerne für Linie der beiden ersten Strophen wird in der Mahlers Leben und Charakter im Allgemeinen dritten dynamisch zurückgenommen, um ab- zitierter Titel – bemerkte der Komponist: schließend in der Coda mit der Frage „Nun „Empfi ndung bis in die Lippen hinauf, die sie fängt auch mein Glück wohl an“ resignierend aber nicht übertritt! Und: das bin ich selbst!“ von der Quinte in die Terz als Schlusston der Schließlich könnte das Lied „Um Mitternacht“, Zeile zurückzufallen. das in vielerlei Hinsicht mit seiner orchestra- len Wucht von den übrigen „Rückert-Liedern“ Während sich in den nach der Orchestrierung abweicht, das Resultat der Erfahrung von Gustav Mahler: „Lieder eines fahrenden Gesellen“, Titelseite der „Gesellen“-Lieder entstandenen „Wunder- Friedrich Rückert (Gemälde von Bertha Froriep, 1864) Todesnähe im Februar 1901 sein, als Mahler der Erstausgabe Leipzig und Wien (Josef Weinberger, 1897) horn“- Liedern zunehmend die für Mahler ty- durch eine schwere Hämorrhoidal blutung – pische Verschränkung von Lied und Sinfonik ren Symphonien nach außen gekehrt, wird nach zusätzlich zu seinen damaligen Zweifeln an seinem 1923 erschienenen Mahler-Buch und ausprägte, bilden die 1901 komponierten innen gewendet, kapselt sich ein“, brachte der Liebe seiner Frau Alma – in große Sorgen fuhr fort: „der Kern der Mahlerschen Musik „Rückert-Lieder“ eher ein Gegengewicht zu dies Jens Malte Fischer präzise auf den Punkt. gestürzt wurde … ist das Volkslied.“ Tatsächlich bildet Mahlers den monumentalen und expressiven Sinfonien In der Tat wird die oftmals mit dem Orchester Liedschaffen, in dem Vertonungen von Texten dieser Zeit: „Mahler fand offensichtlich Gefallen, konkurrierende vokale Anstrengung der vorhe- Existieren die späten „Rückert-Lieder“ sowohl aus der von Achim von Arnim und Clemens gar Notwendigkeit daran und darin, zu einer rigen Lieder hier abgelöst von einer subtilen in einer Orchester- als auch einer Klavierfas- Brentano zusammengetragenen Volkslied- Intimität und Keuschheit des Ausdrucks zurück- Verfl echtung von Singstimme und Orchester, sung, so hat Mahler von seinen frühen Klavier- sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ den zukehren, wie sie in den frühen Liedern und der die sich unter anderem im verstärkten Ge- liedern selbst nur „Ablösung im Sommer“ für größten Raum einnehmen, den „genetischen IV. Symphonie vorherrschend gewesen waren. brauch von Polyphonie, in einer direkten Ver- Orchester gesetzt, als er es im dritten Satz Code seines Komponierens“ (Peter Revers). Dem entspricht die Handschrift: fi ligrane, por- bindung von Gesangslinie und instrumentaler seiner Dritten Sinfonie instrumental verarbei- Viele dieser „Wunderhorn“-Lieder komponierte zellanhafte Orchestration, Kammermusik statt Gegenstimme ausdrückt. tete. 1986 orchestrierte Luciano Berio im Auf- Mahler in den Jahren 1892/1893, in denen er Symphonik, Stimmungsvaleurs und Reduktion trag der Mahler Festwochen Toblach zunächst auch seine „Lieder eines fahrenden Gesellen“ statt Emphase und großfl ächiger Dramatik. Mit der Wahl der Lyrik Friedrich Rückerts – fünf der frühen Mahler-Lieder, bevor er auf An- instrumentierte. Das zweite Lied „Ging heut’ Der Mahlersche Subjektivismus, in den mittle- für die Mahler ein um die Jahrhundertwende frage des in Parma ansässigen Orchestra Sin-

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von dem „Wunderhorn“-Lied „Des Antonius das den Begriff des musika lischen Stils als Zeugnis von Mahlers gespannter psychischer von Padua Fischpredigt“ handelt) zur Grund- unzulänglich und fl üchtig begreift und ihm Verfassung während der Entstehungszeit: Alma lage des dritten Satzes seines Werkes ge- zwar erkennbare, aber keine strukturierenden hatte mit dem Architekten Walter Gropius ein macht hat. Im Gegensatz zu dieser berühmten oder generativen Eigenschaften zuschreibt. Verhältnis begonnen, das sie auch nach einer Collage-Komposition, in der die Musik Mahlers Die Lieder gleichen verschiedenen Keimlingen, Aussprache zwischen Mahler und Gropius im „durch eine ständig wechselnde Landschaft“ aus denen große Bäume wurden; Bäume, August 1910 sowie der Versicherung ihrem fl ießt und „gelegentlich unterirdisch [verläuft], die unterschiedlich sind wie der Kopfsatz der Mann gegenüber, die Ehe mit ihm fortzuführen, um an einem anderen, ganz neuen Ort wieder Ersten Sinfonie und das Scherzo der Dritten. weiter aufrecht erhielt; nach einer Affäre mit aufzutauchen“ (Berio), erfolgte die orchestrale In ihrer Gesamtheit vermitteln sie die Vision Oskar Kokoschka (den Alma im April 1912 Ausgestaltung der frühen Lieder als nach- jener expressiven Vielfalt, die bis zur Neunten kennen lernte) heiratete sie Gropius schließlich schöpfender Akt: Berio versuchte erklärter- Sinfonie […] und zum Adagio der Zehnten am 8. August 1915. maßen so zu instrumentieren, wie es Mahler Mahlers gesamten schöpferischen Werdegang möglicherweise selbst getan hätte. Dass er prägen sollte. […] In meiner Orchestrierung Die schwere Ehekrise sowie Almas Verhalten dabei dessen Instrumentationspraxis vor Au- habe ich versucht, den Pluralismus und die nach Mahlers Tod („Es scheint“, schrieb Almas gen hatte, liegt auf der Hand: „Für ihn [Mahler] Vielfalt dieser Mahlerschen Keimlinge heraus- späterer Schwiegersohn, der Komponist Ernst ist jede Musik in ihrem zeitgenössischen Um- zustellen. […]. Meine Absicht war, die Orches- Krenek, „dass ihr Schlafzimmer zu einer Art feld zu sehen, und sie muss von diesem Stand- trierung als respekt- und liebevolles Mittel schickem Durchgangslager für Berühmtheiten punkt aus durch Interpretation und womöglich der Analyse und Verwandlung zu benutzen.“ auf den Gebieten der schönen Künste, der auch durch Orchestrierung neu adaptiert Literatur und der Musik und obendrein für ver- werden. Als Dirigent griff er – wo es ihm not- schiedene nicht berühmte Männer wurde“) Luciano Berio (1988) wendig schien – in Werke ein und schrieb „Dein Wille geschehe!“: Das Adagio hat lange Schatten auf das Manuskript der wichtige technische Details bei Beethoven und aus Mahlers Zehnter Sinfonie Zehnten Sinfonie geworfen. Dabei machen fonica dell’Emilia Romagna „Arturo Toscanini“ Schubert einfach um. Tatsächlich geschah bereits Mahlers Anmerkungen in der Partitur von sechs weiteren Liedern dieser Sammlung dies mit einem außerordentlichen Respekt vor Mahler hinterließ seine Zehnte Sinfonie als deutlich, wie labil seine Verfassung in diesem eine Orchesterversion anfertigte. (Die Urauf- der Musik, vor der Idee, Musik nicht als Fetisch Torso, wobei die Skizzen zum Teil nur eine oder letzten Sommer seines Lebens war: „Tod! führung dieser „Sechs frühen Lieder für Bariton zu begreifen, sondern als transplantiert in zwei Stimmen enthalten und zum Ende hin Verk[ündigung]! Erbarmen!! O Gott! O Gott! und Orchester“ fand am 12. Juli 1987 mit das Hier und Jetzt. Mahler besitzt dieses sehr immer schwerer zu entziffern sind. Einzig der Warum hast Du mich verlassen?“ Nicht zuletzt Thomas Hampson unter Berios Leitung in Reg- ungewöhnliche historische Bewusstsein von erste sowie 30 Takte des dritten Satzes liegen angesichts dieser und anderer Äußerungen gio Emilia statt.) Berio, ein engagierter und Modernität.“ im Partiturentwurf vor. Nur das einleitende glaubt man nachvollziehen zu können, warum kreativer Pionier der Neuen Musik, schien für Adagio ist so weit instrumentiert, dass es ohne Mahler den berühmt gewordenen, katastrophi- diese Aufgabe geradezu prädestiniert zu sein, Diese „Modernität“ war für Berio bei seinen Zusätze von fremder Hand im Konzert gespielt schen Neuntonakkord, der in seiner ursprüng- hatte er sich doch bereits in seiner 1968/1969 Orchesteradaptionen von zentraler Bedeutung: werden kann. Die persönlichen Anmerkungen lichen Gestalt erstmals im Finale erklingt, komponierten „Sinfonia“ intensiv mit der Mu- „Mahler“, so der Komponist, „ist das erste zwischen den Notenzeilen, aufgrund derer der nach Ausbruch der Ehekrise nachträglich als sik Mahlers auseinandergesetzt, indem er das große Beispiel für einen musikalischen Plura- mit Mahler befreundete Dirigent Bruno Walter Höhepunkt auch in das einleitende Adagio Scherzo aus der Zweiten Sinfonie (bei dem lismus, und diese Lieder zeugen davon. Sie einst vergeblich von der Faksimi- einfügte. Dass der Zusammenhang mit den es sich seinerseits um eine Orchesterfassung scheinen das heutige Denken vorwegzunehmen, lierung des Werkes abgeraten hatte, geben beschriebenen Ereignissen tatsächlich besteht,

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Schönberg –, mag wenig überraschen. Ein zen- Der zweite Satz („Reigen“) wird durch eine trales Beispiel hierfür sind seine 1913/1914 Introduktion eingeleitet, die zunächst thema- komponierten und 1929 revidierten Orchester- tisches Material aus dem „Präludium“ aufgreift. stücke op. 6, eine Folge von drei „Charakter- Der Mittelteil, der mit 109 Takten die größte stücken“ (Präludium, Reigen und Marsch), die Ausdehnung hat, gestaltet sich demgegenüber ihrerseits eine Art Konzentrat der sinfonischen als Abfolge kurzer Abschnitte, in denen vier Gattung ausbilden (das Präludium entspricht walzerähnliche Bruchstücke („langsames dem sinfonischen Kopfsatz, der Reigen Scherzo Walzertempo“, „Schwungvoll, fast roh“, „derb und langsamem Satz und der Marsch dem bewegt“, „langsames Walzertempo“) verhalte- Finale). Die Präsenz Mahlers in Bergs Opus 6 nen Traumepisoden gegenübergestellt werden. lässt sich einerseits auf der stilistischen Ebene erkennen, u. a. in den ausladenden expressiven Im „Marsch“ sieht Berg innerhalb der umfang- Gesten oder dem Zusammenspiel von auf- reichen Schlagzeuggruppe des immens großen einander bezogenem und kontrastierendem Orchesterapparates auch einen Hammer Material. Andererseits bezieht sich Berg auch „mit nichtmetallischem Klang“ vor. (Der erste konkret auf die dramaturgische Disposition, Hammerschlag fällt auf dem dramatischen nach der einzelne Mahlersche Sinfoniesätze Höhepunkt des Stücks, der zweite etwas spä- gebaut sind. ter, während mit dem dritten die Musik abrupt beendet wird.) Zweifellos diente Berg hierbei In diesem Sinn ist Bergs Präludium (weit mehr Mahlers Sechste Sinfonie als Vorbild, ein Werk, als ein einfaches „Vorspiel“) dem Kopfsatz in dem Mahler einen emotionalen Endpunkt von Mahlers Neunter Sinfonie nachempfunden, von außerordentlicher Vehemenz erreicht, der in der Art, wie die Musik aus der Stille zu klin- an sinfonischer Gewalt kaum zu überbieten ist. gen beginnt, um zögerlich die musikalischen („Was bedeutet diese ganze Komponiererei, Grundideen zu präsentieren, die ihrerseits dann wenn man dann tags darauf die Sechste hört“, Gustav Mahler: Zehnte Sinfonie, Autograph des unvollendeten 4. Satzes mit der Anmerkung „Du allein weisst erst allmählich zu einer vollständigen Textur schrieb Berg, nachdem er das Werk in Wien was es bedeutet ... Leb’ wohl mein Saitenspiel!“ erwachsen. Gleichzeitig deutet Bergs Art der gehört hatte.) In beiden Stücken, bei Mahler Melodiegestaltung (bei der die Linie auf so viele ebenso wie bei Berg, wird der Hammer dem konnte der Komponist David Matthews nach- „Tobende Höhepunkte“, die Instrumente verteilt wird, dass man ihr nur Finale vorbehalten, und in beiden Werken fällt weisen. Der Neuntonklang enthält nämlich „in sich zusammensinken“: schwer beim Hören folgen kann) auf Schön- er dreimal (Mahler hat in einer Revision den sämtliche Töne jener Passage des dritten Bergs Orchesterstücke op. 6 bergs „Klangfarben“-Verfahren, welches Berg dritten Hammerschlag gestrichen). Überdies Sinfoniesatzes (Purgatorio), in denen Mahler einschließlich der von seinem Lehrer einge- erinnern Motive und Rhythmen, die zu Beginn das von seiner Frau nach einem Text von Dass Alban Bergs intensive Mahler-Verehrung führten Bezeichnung von Haupt- und Neben- des Bergschen Marsches simultan geschichtet Gustav Falke komponierte „Erntelied“ zitiert. in seinem kompositorischen Schaffen ihre stimmen adaptierte. werden, stark an Mahlers Sinfonik. Hier wie In der Partitur fi ndet sich an dieser Stelle der Spuren hinterlassen hat – ebenso wie Einfl üsse dort sind die Hammerschläge Klangsymbole Eintrag: „Dein Wille geschehe!“ seines von ihm hochverehrten Lehrers Arnold des Untergangs („wie ein Axthieb“ heißt es in

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Gustav Mahler: Sechs Lieder für Bariton und Orchester Gesangstexte

seiner sinfonischen Dichtung „Tod und Ver klä- ICH GING MIT LUST DURCH rung“ vorangestellt hatte: „Da erdröhnt der EINEN GRÜNEN WALD letzte Schlag von des Todes Eisenhammer …“ Über den allgemeinen Charakter des Marsches Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald, schrieb der amerikanische Komponist und Ich hört’ die Vöglein singen; Berg-Schüler George Perle: „Der Marsch wurde Sie sangen so jung, sie sangen so alt, in den unmittelbar auf das Attentat in Sarajewo Die kleinen Waldvögelein im grünen Wald! folgenden Wochen vollendet und ist mit seiner Wie gern hört’ ich sie singen! Stimmung von Unheil und Katastrophe ein idealer, wenn auch unbeabsichtigter Ausdruck Nun sing, nun sing, Frau Nachtigall! der verhängnisvollen Folgen der Ereignisse. Sing du’s bei meinem Feinsliebchen: Bruchstückhafte rhythmische und melodische Komm schier, wenn’s fi nster ist, Phrasen, die typisch für einen orthodoxen Wenn niemand auf der Gasse ist, Militärmarsch sind, vereinen sich zu poly- Dann komm zu mir! phonen Episoden von unglaublicher Dichte, Herein will ich dich lassen! die zu tobenden Höhepunkten aufbranden, und danach in sich zusammensinken.“ Der Tag verging, die Nacht brach an, Er kam zu Feinsliebchen gegangen. Harald Hodeige Er klopft so leis’ wohl an den Ring: „Ei schläfst du oder wachst mein Kind? Ich hab so lang gestanden!“

Es schaut der Mond durchs Fensterlein zum holden, süßen Lieben, Die Nachtigall sang die ganze Nacht. Du schlafselig Mägdelein, nimm dich in Acht! Wo ist dein Herzliebster geblieben?

aus „Des Knaben Wunderhorn“, bearbeitet von Gustav Mahler

Alban Berg. Gemälde von Arnold Schönberg (1910)

Mahlers Partitur); die ursprüngliche Anregung hierfür stammt wahrscheinlich aus einem Ge- dicht von Alexander Ritter, das Richard Strauss

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GING HEUT’ MORGEN ÜBERS FELD BLICKE MIR NICHT IN DIE LIEDER ERINNERUNG

Ging heut’ morgen übers Feld, Blum’ und Vogel, Groß und Klein! Blicke mir nicht in die Lieder! Es wecket meine Liebe Tau noch auf den Gräsern hing; „Guten Tag!“ Meine Augen schlag’ ich nieder, Die Lieder immer wieder! Sprach zu mir der lust’ge Fink: Ist’s nicht eine schöne Welt? Wie ertappt auf böser Tat. Es wecken meine Lieder „Ei du! Gelt? Ei, du! Gelt!? Selber darf ich nicht getrauen, Die Liebe immer wieder! Guten Morgen! Ei gelt? Du! „Schöne Welt!“ Ihrem Wachsen zuzuschauen. Wird’s nicht eine schöne Welt!? Nun fängt auch mein Glück wohl an?! Deine Neugier ist Verrat! Die Lippen, die da träumen Zink! Zink! Nein! nein! Von deinen heißen Küssen, Schön und fl ink! Das ich mein’, Bienen, wenn sie Zellen bauen, In Sang und Liedesweisen Wie mir doch die Welt gefällt!“ Mir nimmer, nimmer blühen kann! Lassen auch nicht zu sich schauen, Von dir sie tönen müssen! Schauen selber auch nicht zu. Auch die Glockenblum’ am Feld Gustav Mahler Wenn die reichen Honigwaben Und wollen die Gedanken Hat mir lustig, guter Ding’ (aus „Lieder eines fahrenden Gesellen“) Sie zu Tag gefördert haben, Der Liebe sich entschlagen, Mit den Glöckchen, klinge, kling, Dann vor allen nasche du! So kommen meine Lieder Klinge, kling, Zu mir mit Liebesklagen! Ihren Morgengruß geschellt: Friedrich Rückert Wird’s nicht eine schöne Welt!? So halten mich in Banden Kling, kling! Die Beiden immer wieder! Schönes Ding! Es weckt das Lied die Liebe! Wie mir doch die Welt gefällt! Heia!“ Die Liebe weckt die Lieder!

Und da fi ng im Sonnenschein Richard Volkmann-Leander Gleich die Welt zu funkeln an; Alles Ton und Farbe gewann Im Sonnenschein!

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UM MITTERNACHT ICH BIN DER WELT ABHANDEN GEKOMMEN Um Mitternacht Um Mitternacht Hab’ ich gewacht Hab’ ich die Macht Ich bin der Welt abhanden gekommen, Und aufgeblickt zum Himmel; In deine Hand gegeben! Mit der ich sonst viele Zeit verdorben, Kein Stern vom Sterngewimmel Herr! über Tod und Leben Sie hat so lange nichts von mir vernommen, Hat mir gelacht Du hältst die Wacht Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben! Um Mitternacht. Um Mitternacht! Es ist mir auch gar nichts daran gelegen, Um Mitternacht Friedrich Rückert Ob sie mich für gestorben hält, Hab’ ich gedacht Ich kann auch gar nichts sagen dagegen, Hinaus in dunkle Schranken. Denn wirklich bin ich gestorben der Welt. Es hat kein Lichtgedanken Mir Trost gebracht Ich bin gestorben dem Weltgetümmel, Um Mitternacht. Und ruh’ in einem stillen Gebiet! Ich leb’ allein in meinem Himmel, Um Mitternacht In meinem Lieben, in meinem Lied! Nahm ich in acht Die Schläge meines Herzens; Friedrich Rückert Ein einz’ger Puls des Schmerzes War angefacht Um Mitternacht.

Um Mitternacht Kämpft’ ich die Schlacht, O Menschheit, deiner Leiden; Nicht konnt’ ich sie entscheiden Mit meiner Macht Um Mitternacht.

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Mahler in Hamburg – Dokumente und Anekdotisches Folge 6: Eine musikalische Freundschaft

Gustav Mahler war nicht der Mensch, der an aus einer böhmischen „Kantorendynastie“ erfahren – etwa, für welche Musik er sich da- jedem seiner zahlreichen Wirkungsorte sofort stammend, mit Smetana und Dvořák befreun- mals besonders interessierte: „Unsere Gesprä- enge Freundschaften schloss. Das Leben des det und selbst Komponist von fünf Sinfonien, che galten von Anfang an, versteht sich, der unermüdlich Arbeitenden wirkte auf die meis- Opern und zahlreicher weiterer Instrumental- Musik, und Johann Sebastian Bach war ihr Held. ten Bekannten geradezu eremitisch – zumal in und Vokalwerke. Foerster, der 1893 mit seiner […] Neben Bach verehrte Mahler vor allem seiner Amtszeit als Erster Kapellmeister des Frau Berta Lauterer-Foerster nach Hamburg Beethoven und Wagner, von Zeitgenossen be- Hamburger Stadttheaters (1891– 97) stürzte er kam, weil diese am dortigen Stadttheater ein faßte er sich damals eingehender mit Bruckner sich so intensiv in seine musikalische Tätigkeit, Engagement als Sängerin bekommen hatte, und Richard Strauss. Brahms fand bei ihm dass außerhalb der Oper kaum Raum für den verdient als einer der selbstlosesten und ver- Anerkennung, doch stand er seinem Herzen Austausch mit Freunden blieb. Nur wenige ständnisvollsten Hamburger Freunde Mahlers nicht nahe.“ In punkto Instrumentation emp- Menschen lernten den Kapellmeister damals noch eine abschließende Würdigung. fahl Mahler seinem Freund damals nicht etwa wirklich kennen, und wenn wir einmal die inni- das „Meistersinger“-Vorspiel (wie Foerster er- ge Liebesaffäre mit der Sängerin Anna von Schon der Beginn der Bekanntschaft mit Mahler, wartet hatte), sondern die Partitur von Bizets Mildenburg beiseite lassen, bleiben eigentlich so wie er in Foersters Erinnerungen „Der Pilger „Carmen“: „dort gibt es keine einzige überfl üs- nur drei nennenswerte Hamburger Bekannt- in Hamburg“ (verfasst 1939) geschildert wird, sige Note“. Bemerkenswert sind auch Foersters schaften Mahlers: Bruno Walter, Ferdinand Pfohl weist auf das tiefe musikalische Verständnis als Erinnerungen an Mahlers Arbeitsweise als und Josef Bohuslav Foerster. Während der erst- eng verbindendes Element der Freundschaft Dirigent: „Er begnügte sich nicht damit, die genannte Walter damals als deutlich jüngerer hin. Foerster hatte seine Frau ausgiebig auf Partitur bis in letzte Details der Dynamik und Chordirektor in den Bann Mahlers geriet und ihre Rolle als Eva in den „Meistersingern“ vor- des Vortrags auszuarbeiten; er übertrug aus ihr lebenslang mit diesem in einem freundschaft- bereitet. Während einer Probe unterbrach Ka- Josef Bohuslav Foerster (1859 – 1951) auch alle streng abgewogenen Zeichen in die lichen Lehrer-Schüler-Verhältnis verbunden pellmeister Mahler plötzlich ihren Vortrag und einzelnen Orchesterstimmen. Man bedenke, wie blieb, so ist Pfohl eigentlich nur deshalb von fragte: „Gnädige Frau, wer hat mit Ihnen die Eva Stunden mit dem Gleichgesinnten. „Als ich die zeitraubend diese vorbereitende Arbeit war!“ Bedeutung, weil wir ihm jene aufschlussreichen einstudiert?“ Als er die Antwort: „Mein Mann“ führenden Musiker in Hamburg kennengelernt Schließlich lernte Foerster den Kapellmeister Erinnerungen verdanken, aus denen in den vernahm, wandte er sich an das Orchester und hatte“, erinnert sich Foerster, „war mir klar, Mahler auch als leidenschaftlichen Kammer- vorangegangenen Folgen der vorliegenden sagte: „Meine Herren, so studiert ein Musiker daß nur ein einziger von ihnen – ich sage es in musiker kennen: „Die improvisierten Konzerte Mahler-Serie so oft zitiert wurde. Der Kritiker ein.“ Und zu Foersters Frau gewandt fuhr er fort: aller Bescheidenheit – von meiner geistigen [in Mahlers Wohnung in der Parkallee 12] waren der „Hamburger Nachrichten“ unternahm „Grüßen Sie Ihren Mann von mir und sagen Veranlagung und Wesensart sei, daß einem für alle Anwesenden ein feierliches Ritual. während Mahlers Hamburger Zeit mit diesem Sie ihm, daß ich ihn kennen lernen möchte.“ – einzigen mein Herz und meine Bewunderung Zu den ergreifendsten gehört in meiner Erinne- zwar gelegentlich Spaziergänge und die beiden In der Tat lernten die beiden sich kennen! gehören werden: Gustav Mahler. […] Es währte rung der Abend, an dem es zur Aufführung pfl egten offenbar auch einen regelmäßigen Mahler verfolgte den Schaffensprozess an nicht lange, und wir sahen einer dem anderen von Beethovens opus 70 kam [gemeint ist das musikalischen Austausch – dennoch kann Pfohl Foersters Oper „Eva“, die 1895 – 97 in Hamburg bis auf den Grund von Herz und Seele. Mahler „Geistertrio“]. Niemals vorher und niemals kaum in die Reihe der prägenden Mahler- entstand, kümmerte sich um Arbeit für den faßte Zutrauen und wurde gesprächig. Nicht nachher habe ich, auch von weltberühmten Freunde aufgenommen werden, kühlte sich Hamburger Neuankömmling, spielte seinem selten rührte er damals an intime Dinge.“ Künstlern nicht, eine so hinreißende Wieder- das Verhältnis nach Mahlers Weggang aus Freund ex klusiv die erste Fassung der „Todten- gabe des Werkes gehört.“ Hamburg doch deutlich ab… Bleibt also Josef feier“ (des späteren 1. Satzes der Zweiten Es ließe sich vieles nennen, was wir durch Bohuslav Foerster, der Landsmann Mahlers, Sinfonie) vor und verbrachte viele gemeinsame Foersters Erinnerungen über Gustav Mahler Julius Heile

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Konzertvorschau

NDR SINFONIEORCHESTER C4 | Do, 07.04.2011 | 20 Uhr D8 | Fr, 29.04.2011 | 20 Uhr HINWEIS ZUM KONZERT D7 | Fr, 08.04.2011 | 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle „QUARTETT MIT ALAN GILBERT“ B8 | Do, 24.03.2011 | 20 Uhr Hamburg, Laeiszhalle W3 | So, 01.05.2011 | 16 Uhr A8 | So, 27.03.2011 | 11 Uhr Paolo Carignani Dirigent Wismar, St. Georgen-Kirche Das Sonderkonzert in der Reihe der NDR Kammerkonzerte am Sa, 26.03.2011, muss leider ausfallen. Alan Gilbert, der Hamburg, Laeiszhalle Alessandra Marianelli Sopran James Conlon Dirigent in dem Konzert als Geiger auftreten sollte, muss zu diesem L6 | Fr, 25.03.2011 | 19.30 Uhr Laura Polverelli Mezzosopran Stefan Wagner Violine Termin als Dirigent für einen erkrankten Kollegen einsprin- Lübeck, Musik- und Kongresshalle Dmitry Korchak Tenor Benjamin Britten gen. Bereits gekaufte Karten werden im NDR Ticketshop zurückgenommen und der Kartenpreis erstattet. Bitte setzen Alan Gilbert Dirigent Andrea Concetti Bass Violinkonzert d-moll op. 15 Sie sich mit dem NDR Ticketshop auch gern telefonisch Lisa Batiashvili Violine NDR Chor Dmitrij Schostakowitsch in Verbindung: Tel 0180 – 1 78 79 80 (bundesweit zum Orts- Magnus Lindberg Dänischer Rundfunkchor / DR Sinfonie Nr. 5 d-moll op. 47 tarif, maximal 42 Cent pro Minute aus dem Mobilfunknetz). „Al largo“ Luciano Berio (Deutsche Erstaufführung) Rendering für Orchester 29.04.2011 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung Sergej Prokofjew (nach Entwürfen und Skizzen Franz Schuberts) NDR DAS NEUE WERK Konzert für Violine und Orchester Gioacchino Rossini Nr. 2 g-moll op. 63 Stabat Mater KONZERTE ZUR AUSSTELLUNG Antonín Dvořák „GERHARD RICHTER“ 07.04.2011 | 19 Uhr Sinfonie Nr. 6 D-Dur op. 60 08.04.2011 | 19 Uhr So, 06.03.2011 | 20 Uhr Einführungsveranstaltungen Hamburg, Bucerius Kunst Forum 24.03.2011 | 19 Uhr: Einführungsveranstaltung 27.03.2011 | 11 Uhr: Mit-Mach-Musik am Sonntagmorgen Ensemble Resonanz parallel zum Konzert Werke von Henze, Lachenmann, Huber & Zimmermann

Di, 22.03.2011 | 20 Uhr Stefan Wagner Hamburg, Bucerius Kunst Forum Kammerensemble Neue Musik Berlin Titus Engel Dirigent Louise Duchesneau Einführung Salome Kammer, Lisa Fornhammar Sopran N.N. Bariton Paolo Carignani Werke von Ligeti, Lachenmann & Nono Lisa Batiashvili In Kooperation mit dem Bucerius Kunst Forum

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Konzerttipp Das NDR Sinfonieorchester mit „Sacre, Poème de l’Extase“ auf Kampnagel

NDR DAS ALTE WERK NDR PODIUM DER JUNGEN Eine innovative Tanz- und Musikperformance und doppelte Frauenpower sind im letzten Abo-Konzert 5 Fr, 25.03.2011 | 20 Uhr Konzert der Reihe „Das NDR Sinfonieorchester Mo, 21.03.2011 | 20 Uhr Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio auf Kampnagel“ zu erleben. Spätestens seit Hamburg, Laeiszhalle PIANISSIMO dem Film „Rhythm is it“ ist Igor Strawinskys Capriccio Stravagante NDR Bigband „Le Sacre du printemps“ wieder in aller Munde. Renaissance Orchestra Jörg Achim Keller Leitung Auf Kampnagel präsentiert das NDR Sinfonie- Skip Sempé Cembalo und Leitung Gwilym Simcock Klavier orchester in Kooperation mit den Elbphilhar- Terpsichore: Muse de la danse Gwilym Simcock monie Konzerten Strawinskys Tanzpoem nun Tänze der Renaissance aus der The Hamburg Suite II in einer multimedialen 3D-Inszenierung. Sammlung „Terpsichore“ (1612) u. a. von Szenenbild aus „Sacre“ mit Julia Mach Auszüge des Programms werden auch in der Reihe Praetorius, Holborne, Dowland und Scheidt „Konzert statt Schule“ (ab Klasse 7) gegeben. Die Choreographie, die die Wiener Tänzerin Termin: Do, 24.03.2011 | 9.30 + 11.30 Uhr Julia Mach auf einer Extrabühne vor dem Or- 19 Uhr: Einführungsveranstaltung Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio chester aufführt, wird von Kameras und elekt- Fr, 15.04.2011 + Sa, 16.04.2011 | 20 Uhr im Kleinen Saal der Laeiszhalle ronischen Sensoren aufgenommen und per Hamburg, Kampnagel Sonderkonzert Computer in eine visuell vielschichtige Perfor- SACRE, POÈME DE L’EXTASE Di, 05.04.2011 | 20 Uhr NDR FAMILIENKONZERT mance verwandelt, die auf eine riesige Lein- Xian Zhang Dirigentin Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio wand projiziert wird. Das Publikum kann die so Klaus Obermair Konzept, Künstlerische LYRIARTE & IRVINE ARDITTI Sa, 02.04.2011 | 14.30 + 16.30 Uhr entstehenden optischen Effekte im virtuellen Leitung und Choreographie Lyriarte So, 03.04.2011 | 14.30 Uhr Raum mit Hilfe seiner 3D-Brillen unmittelbar Julia Mach Tanz Rüdiger Lotter Violine und Barockvioline Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio erfahren. Die Dirigentin Zhang Xian kombiniert Alois Hummer Ton Axel Wolf Laute DAS KRIMINELLE KONZERT diese interaktive Umsetzung der explosiven Wolfgang Friedinger Licht Olga Watts Cembalo NDR Sinfonieorchester Rhythmen Strawinskys mit Skrjabins rausch- Ars Electronica Futurelab Interaktives Design Irvine Arditti Violine Theater Kontra-Punkt haftem „Poème de l’extase“. Die 37-Jährige und technische Entwicklung Werke von Stefan Geiger Dirigent Chinesin wurde nicht nur 2005 von Lorin Maazel Alexander Skrjabin Heinrich Ignaz Franz Biber Musik von zum Associate Conductor der New Yorker Le Poème de l’Extase op. 54 Luciano Berio Sergej Prokofjew, Edvard Grieg, Modest Philharmoniker ernannt. Als erste Frau über- Igor Strawinsky Johann Sebastian Bach Mussorgsky, Wolfgang Amadeus Mozart, haupt leitet sie seit 2009 auch das Orchestra Le Sacre du Printemps Brian Ferneyhough Johann Sebastian Bach und Hauke Berheide Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi. Eine interaktive 3D Tanz- und Musikperformance Tōru Takemitsu ab 7 Jahre In Kooperation mit Elbphilharmonie Konzerte In Kooperation mit NDR das neue werk Das Programm wird auch in der Reihe und Kampnagel „Konzert statt Schule“ (Klasse 3-6) gegeben. Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Termine: Tel. 0180 – 1 78 79 80 (bundesweit zum Ortstarif, Do, 31.03.2011 | 9.30 + 11.30 Uhr maximal 42 Cent pro Minute aus dem Mobilfunknetz), Fr, 01.04.2011 | 9.30 + 11.30 Uhr online unter www.ndrticketshop.de Hamburg, Rolf-Liebermann-Studio

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Das NDR Sinfonieorchester Impressum Saison 2010 / 2011 Saison 2010 / 2011

1. VIOLINEN KONTRABASS POSAUNE Herausgegeben vom Roland Greutter**, Stefan Wagner**, Florin Ekkehard Beringer**, Michael Rieber**, Stefan Geiger**, Simone Candotto**, NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Paul**, Gabriella Györbiro*, Ruxandra Klein*, Katharina C. Bunners-Goll*, Jens Bomhardt*, Joachim Preu, Peter Dreßel, Uwe Leonbacher PROGRAMMDIREKTION HÖRFUNK Marietta Kratz-Peschke*, Brigitte Lang*, Karl-Helmut von Ahn, Eckardt Hemkemeier, (Bassposaune) BEREICH ORCHESTER UND CHOR Lawrence Braunstein, Dagmar Ferle, Malte Peter Schmidt, Volker Donandt, Tino Steffen Leitung: Rolf Beck Heutling, Sophie Arbenz-Braunstein, Radboud TUBA Oomens, Katrin Scheitzbach, Alexandra Psareva, FLÖTE Markus Hötzel** Redaktion Sinfonieorchester: Bettina Lenz, Razvan Aliman, Barbara Wolfgang Ritter**, Matthias Perl**, Achim Dobschall Gruszczynska, Motomi Ishikawa, Sono Tokuda, Hans-Udo Heinzmann, Daniel Tomann, HARFE N.N., N.N. Jürgen Franz (Piccolo) Ludmila Muster** Redaktion des Programmheftes: Julius Heile 2. VIOLINEN OBOE PAUKE Rodrigo Reichel**, Christine-Maria Miesen**, Paulus van der Merwe**, Kalev Kuljus**, Stephan Cürlis**, Johann Seuthe** Der Einführungstext von Dr. Harald Hodeige Stefan Pintev*, N.N.*, Rainer Christiansen, Malte Lammers, Beate Aanderud, Björn Vestre sowie der Text „Mahler in Hamburg“ von Regine Borchert, Felicitas Mathé-Mix, (Englisch Horn) SCHLAGZEUG Julius Heile sind Originalbeiträge für den NDR. Hans-Christoph Sauer, Theresa Micke, Boris Thomas Schwarz, Jesús Porta Varela Bachmann, Juliane Laakmann, Frauke KLARINETTE Fotos: Kuhlmann, Raluca Stancel, Yihua Jin, Nothart Müller**, Gaspare Buonomano**, ORCHESTERWARTE Simon Fowler (S. 4) Silvia Offen, N.N. Walter Hermann, N.N. (Es-Klarinette), Wolfgang Preiß (Inspizient), Matthias Pachan, Petra Spiola (S. 5) Renate Rusche-Staudinger (Bassklarinette) Walter Finke, Johannes Oder akg-images (S. 6, S. 8, S. 9, S. 12, S. 14) VIOLA akg-images | Erich Lessing (S. 7) Marius Nichiteanu**, Jan Larsen**, Jacob FAGOTT VORSTAND culture-images | Lebrecht (S. 10, S. 21) Zeijl**, Gerhard Sibbing*, Erik Wenbo Xu*, Thomas Starke**, Audun Halvorsen**, Boris Bachmann, Hans-Udo Heinzmann, Kasskara (S. 22 links) Klaus-Dieter Dassow, Roswitha Lechtenbrink, Sonja Bieselt, N.N., Björn Groth (Kontrafagott) Jens Plücker Futurelab (S. 25) Rainer Lechtenbrink, Thomas Oepen, Ion-Petre Teodorescu, Aline Saniter, Torsten Frank, HORN NDR | Markendesign Anne Thormann, N.N. Claudia Strenkert**, Jens Plücker**, Tobias Gestaltung: Klasse 3b, Hamburg Heimann, Volker Schmitz, Dave Claessen*, **Konzertmeister und Stimmführer Litho: Otterbach Medien VIOLONCELLO Marcel Sobol, N.N. *Stellvertreter Druck: Nehr & Co. GmbH Christopher Franzius**, N.N.**, Yuri-Charlotte Christiansen**, Dieter Göltl*, Vytautas TROMPETE Nachdruck, auch auszugsweise, Sondeckis*, Thomas Koch, Michael Katzenmaier, Jeroen Berwaerts**, Guillaume Couloumy**, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Christof Groth, Bettina Barbara Bertsch, Bernhard Läubin, Stephan Graf, Constantin Christoph Rocholl, Fabian Diederichs, Ribbentrop Katharina Kühl

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