September/Oktober 2005 · ISSN 0947-9856 E 21241 VERWALTUNG & MANAGEMENT Zeitschrift für allgemeine Verwaltung
Aus dem Inhalt
Hans Peter Bull Vom Auf- und Abbau der Bürokratie
Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung
Hinrich E.G. Bonin Ein Königsweg der Hochschulpolitik
Hans-Josef Bracht Budgetierung und Parlament
Wolfgang Pippke Verwaltungsreformen und marktwirtschaftliche Entwicklung in China
Nomos »Auf ein Wort …«
Verehrte Leserinnen und Leser!
sung nicht gesprochen werden. Zwar sind die Kriterien für die Ende 2003 wurde das SGB II als Hartz IV-Gesetz in Bun- Abgrenzung der Anspruchsberechtigung im SGB II – nämlich destag und Bundesrat nach harten Verhandlungen im Vermitt- die Erwerbsfähigkeit – gesetzlich klar definiert und praktisch lungsausschuss verabschiedet. Als zentrale Ziele dieser Re- bisher auch ohne nennenswerte Probleme, aber der bei der Fi- form war angestrebt worden, Doppelbürokratie zu vermeiden, nanzierung verfolgte Ansatz, dass die bisherigen Kostenlasten klare Zuständigkeiten zu schaffen, Hilfe aus einer Hand zu ge- für Bund, Länder und Kommunen fortgeschrieben werden sol- währleisten und Verschiebebahnhöfe sowie Drehtüreffekte len, erweist sich als hochproblematisch. zwischen den Systemen abzustellen. Nach den Berechnungen des Bundes für die Revision ergibt Gemessen an diesen Zielen ist bezüglich des Abbaus von sich nämlich abweichend von der in den Zahlen der Kommu- Bürokratie und der Schaffung klarer Zuständigkeiten eine naldatenerhebung greifbaren Wirklichkeit, dass die Bundesbe- große Ernüchterung eingetreten: Die Arbeitsgemeinschaft teiligung an den Unterkunftskosten von derzeit 29,1 Prozent (ARGE) als gesetzlich vorgesehene gemeinsame Stelle von auf etwa 8 Prozent abzusenken wäre. Die Gegenrechnung von bundeszentraler Arbeitsverwaltung und kommunaler Selbst- Kommunen und Ländern lässt – bei aller Unsicherheit der kur- verwaltung kämpft mit grundlegenden organisatorischen, zen Geltungszeit des Gesetzes und den noch bestehenden rechtlichen und praktischen Problemen. Schwierigkeiten bei der Umsetzung – keine Absenkung der Bundesbeteiligung erwarten. Die Ursache für das wirklichkeitsfremde Rechenergebnis Heute – sechs Monate nach Inkrafttreten – lässt sich folgen- des Bundes liegt in der fehlerhaften Grundannahme, dass alle de Zwischenbilanz ziehen: Die von der Bundesregierung favo- heutigen ALG II-Empfänger ohne Arbeitslosenhilfe- oder Ar- risierte Zuständigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit erweist beitslosengeldvorbezug im alten System Sozialhilfeempfänger sich – auch aus Sicht der Bundesregierung – mehr als Teil des gewesen wären. Diese Fehlannahme berücksichtigt nicht die Problems denn als Schritt zur Problemlösung. Deshalb haben mit dem SGB II verbundenen Leistungsausweitungen, bspw. Bundesminister Clement und BA-Vorstandsvorsitzender Wei- durch höhere Zuverdienst- und Vermögensfreigrenzen, so dass se Ende Juni eine Kehrtwende angekündigt, die unter dem ein ganzer Personenkreis neuer Hilfebezieher behandelt wird, Schlagwort der Dezentralisierung Entscheidungsmöglichkeiten als ob diese Personen nach altem Recht Sozialhilfeempfänger in die ARGE verlagern soll. gewesen wären. Dadurch ergeben sich rein fiktive Entlastun- Dieser Schritt weg vom Zentralismus hin zu dezentraleren gen der Kommunen aus der Reform, die tatsächlich nie die Strukturen ist aus kommunaler Sicht zu begrüßen. Es ist ein kommunalen Haushalte belastet haben oder hätten. Ähnliche Schritt in die richtige Richtung. Allerdings war der bisher ver- rein fiktive Effekte ergeben sich bei den Wohngeldeinsparun- folgte zentralere Ansatz keine zwingende Folge der gesetzli- gen der Länder, so dass aus den Verschiebebahnhöfen zwi- chen Regelungen. Gesetzlich angelegt war ein Gleichgewicht schen den Hilfesystemen im Einzelfall eine Diskussion um Fi- zwischen den kommunalen Trägern und der Arbeitsverwal- nanztransfers zwischen den staatlichen Ebenen in Milliarden- tung, das nun vielleicht zur Geltung kommt oder an dessen höhe geworden ist. Stelle den Kommunen eine führende Rolle ermöglicht. Optimi- stisch könnte man sagen, dass die Bundesregierung durch die angekündigte neue Richtung endlich das bewährte Prinzip der Als Bilanz ist demnach festzuhalten: Die Zusammenlegung Subsidiarität nutzen möchte. von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ist aus sozialpolitischen Das Credo des DLT und seiner Landkreise lautet: Die Ver- und fiskalischen Erwägungen richtig, der hierbei beschrittene antwortung für das SGB II gehört bei verfassungsrechtlich ab- Weg bereitet allerdings erhebliche Probleme. Mit einer Rich- gesicherter Finanzierung gänzlich in die Verantwortung der tungsentscheidung zur Verlagerung von Verantwortung auf die Kreise und kreisfreien Städte. Nur auf diesem Wege kann si- kommunale Ebene kann das Ziel – allerdings nur bei verfas- chergestellt werden, dass Leistungen aus einer Hand gewährt sungsrechtlicher Absicherung der Finanzierung – schnell er- werden und erfolgreiche Arbeit im Bereich der erwerbsfähigen heblich näher rücken. Wo Finanzierungsverantwortung und Hilfeempfänger den Kommunen zugute kommt. Ausführungszuständigkeit in einer Hand liegen, kann auch er- folgreich Hilfe aus einer Hand gewährt werden. Als zweites zentrales Ziel der Zusammenlegung von Ar- beitslosen- und Sozialhilfe sollte das Verschieben von Lasten Mit den besten Wünschen zwischen den staatlichen Ebenen, vor allem zwischen Arbeits- losen- und Sozialhilfe, beendet werden. Auch an dieser Stelle Landrat Hans Jörg Duppré kann von einer erfolgreichen oder befriedigenden Problemlö- Präsident des Deutschen Landkreistages, Berlin
VM 5/2005 225 Impressum VERWALTUNG UND MANAGEMENT Zeitschrift für allgemeine Verwaltung 11. Jahrgang, Heft 5/2005, Seiten 225-280
Schriftleiter und Herausgeber: Univ.-Prof. em. Dr. Heinrich Reinermann, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Beirat: Prof. Dr. Hinrich E.G. Bonin, Universität Lüneburg Jochen Dieckmann, MdL, Staatsminister a.D., Düsseldorf Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Eichhorn, Universität Mannheim Hans Jörg Duppré, Landrat, Präsident des Deutschen Landkreistages, Berlin Prof. Dr. Klaus-Eckart Gebauer, Direktor beim Landtag Rheinland-Pfalz, Mainz Peter Heesen, Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, Bonn Dr. Jürgen Hensen, Präsident des Bundesverwaltungsamtes und des Bundesausgleichsamtes, Köln Dr. oec. HSG Albert Hofmeister, Chef des Inspektoriat des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport, Bern Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Berlin Univ.-Prof. em. Dr. Klaus Lenk, Universität Oldenburg Prof. Dr. Marga Pröhl, Bundesministerium des Innern, Berlin Univ.-Prof. Dr. Christoph Reichard, Universität Potsdam Dr. Thilo Sarrazin, Senator für Finanzen des Landes Berlin Dr. Sebastian Saxe, Vorstand Technik der Dataport Anstalt des öffentlichen Rechts, Altenholz Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Siedentopf, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Dr. Hedda von Wedel, Mitglied des Europäischen Rechnungshofes, Luxemburg Dr. Arthur Winter, Sektionschef im Bundesministerium für Finanzen, Wien Christian Zahn, Mitglied des Bundesvorstands der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Berlin
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226 Inhalt
Auf ein Wort ... 225 die öffentliche Verwaltung Chinas hat, ob die gegenwärtigen Strukturen dieser Verwaltung die Entwicklung des marktwirt- Vom Auf- und Abbau der Bürokratie 228 schaftlichen Systems chinesischer Prägung eher fördern oder behindern und wie das Bewusstsein der chinesischen Beamten Hans Peter Bull mit diesen Entwicklungen Schritt hält. Der Autor befasst sich mit den tiefer liegenden Ursachen von Normen und öffentlichen Einrichtungen, die ja nicht vom Reform des staatlichen Haushalts- und Rechnungswesens Himmel fallen, sondern von verschiedenster Seite gewollt, – Das Projekt Doppik der Freien und Hansestadt durchgesetzt und verteidigt werden. Seine Analyse dämpft Hamburg 261 denn auch allzugroße Hoffnungen auf Bürokratieabbau. Gleichwohl zeigt er eine Reihe von Ansatzpunkten auf, wie Christian Wrage bürokratische Auswüchse zurückgeschnitten werden könnten, Das Haushalts- und Rechnungswesen war bisher nur verein- warnt aber vor zu hohen Erwartungen, was die Erfolge an- zelt Gegenstand der Bemühungen einer Verwaltungsmoderni- geht. sierung des Staates. Die Einsicht, dass lediglich ein System- wechsel von der Kameralistik zur doppelten Buchführung zu Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen einem effizienteren und effektiveren Umgang mit knappen öf- Ausrichtung der Landesverwaltung 236 fentlichen Ressourcen führen kann, hat sich in Deutschland Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann vor allem auf kommunaler Ebene in den vergangenen Jahren mehr und mehr durchgesetzt. Die jüngsten Anstrengungen der Mit der stärker betriebswirtschaftlich orientierten Ausrichtung Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) zur Einführung der öffentlichen Verwaltungshandelns setzte in Deutschland ein kaufmännischen Buchführung sind daher sowohl aus wissen- Trend ein, der nicht nur einen heterogenen Entwicklungspro- schaftlicher Sicht als auch aus der Perspektive der Bürger zu zess der öffentlichen Haushalte beschleunigte, sondern fast begrüßen. Dieser Beitrag stellt das Projekt Doppik der FHH schon droht, die betriebswirtschaftliche Ausrichtung zum vor und fragt darüber hinaus nach den Gründen für das allge- Selbstzweck zu erheben – koste es, was es wolle. Mit dem mein zögerliche Handeln auf staatlicher Ebene. vorliegenden Beitrag soll aufgezeigt werden, dass man durch- aus auch als eher finanzschwaches Bundesland nicht zwin- Die Sozialisation neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gend den meist überteuerten Weg der flächendeckenden Um- in modernisierten Kommunalverwaltungen 266 stellung des Haushaltssystems von der Kameralistik auf die doppelte Buchführung gehen muss. Vielmehr lassen sich auch Coerw Krüger im tradierten System die meisten der gewünschten Effekte mit einfachen Mitteln und einer pragmatischen Herangehensweise Modernisierung der Verwaltung hat die Formen der Arbeits- erzielen. organisation, interpersonellen Beziehungen und Anforderun- gen an den Menschen verändert. Dies wirft die Frage auf, was im Rahmen von Maßnahmen der Personalentwicklung künftig Ein Königsweg der Hochschulpolitik – mit Stolpersteinen 244 zu leisten ist, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ein Hinrich E.G. Bonin modernes Verwaltungsumfeld zu integrieren. Der sozialisati- onstheoretische Ansatz entwirft hierbei ein Rahmenkonzept, Die faszinierende Gestaltungsaufgabe Bologna-Modelluniver- welches sich im Hinblick auf die Entwicklung von Ein- sität hätte nicht besser starten können. Mit einem einstimmi- führungs- und Einarbeitungsprogrammen als nützlich erwei- gen Beschluss des Niedersächsischen Landtages im Septem- sen kann. ber 2004 zum Fusionsgesetz und zur notwendigen Anpassung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes endete die bil- dungspolitische Detaildiskussion im überwältigenden Kon- Die Gemeinde Kolonowskie – Situation einer kleinen sens. Üblicherweise sind Fusionen durchaus von finanzpoliti- polnischen Gemeinde nach dem EU-Beitritt 271 schen Erwägungen geprägt. Die Fusion in Lüneburg macht da Klaus Karwat keine Ausnahme, auch wenn das Land erfreulicherweise einen Teil der Fusionsstartkosten durch eine Extrazuweisung deckt. In Polen hat sich nach der Umgestaltung des politischen Neben diesem Spareffekt ist die Fusion interessenabhängig Systems auch die deutsche Minderheit wieder politisch kon- verknüpft mit einem Konglomerat von vielfältigen Zielen und stituiert. In der Region Oppeln gibt es inzwischen wieder eini- Hoffnungen. ge deutsch-stämmige Bürgermeister. Der Autor gibt einen kurzen Einblick in die Verwaltungsstrukturen der Region Budgetierung und Parlament 248 Oppeln und die Verwaltung der kleinen Gemeinde Kolonows- kie. Hans-Josef Bracht
Seit rund zehn Jahren führen Bund, Länder und Kommunen Einheitliche Identifikationsnummern für die Wirtschaft Elemente der Neuen Steuerung ein, darunter auch die so ge- (Teil 2) 274 nannte Budgetierung. Der Autor bewertet den gegenwärtigen Stand der Budgetierung in Rheinland-Pfalz aus parlamentari- Jens Seeboth scher Sicht. Vor dem Hintergrund des Bürokratieabbaus hat die Bundesre- gierung mit dem Wirtschaftsnummern-Erprobungsgesetz eine Verwaltungsreformen und marktwirtschaftliche bundeseinheitliche Identifikationsnummer getestet. Ziel der Entwicklung in China 254 vorliegenden Arbeit ist die generelle Vorstellung und Bewer- Wolfgang Pippke tung von einheitlichen Identifikationsnummern für die Wirt- schaft. Dabei sollen – auch in einem Vergleich mit dem Aus- China befindet sich seit dem Tod des »Großen Vorsitzenden« land – die Vor- und Nachteile einheitlicher Identifikations- Mao Zedong in einem rasanten Wandel: Öffnung statt Ab- nummern aufgezeigt werden. schottung, Vielfalt statt Einheitlichkeit, Aufbrechen alter Ideologien und nicht zuletzt ein bemerkenswertes Wirt- schaftswachstum. Diese enormen Umwälzungen brechen sich Nachrichten 279 aber immer wieder an tradierten verkrusteten Strukturen. Der Autor untersucht, welche Auswirkungen dieser Wandel auf Vorschau 280
VM 5/2005 227 Auch beim Thema »Entbürokratisierung« steckt der Teufel im Detail Vom Auf- und Abbau der Bürokratie
von Hans Peter Bull*
Nach der Wahl oder vor der Wahl – wer »Entbürokratisierung« an Missständen aller Art den »Beamten« auf seine Fahnen schreibt, kann sich des Beifalls der Allgemeinheit zuzuweisen, weil sie angeblich in ihrer vermeintlichen »Regelungswut« die er- sicher sein. Gemeint sind dabei übrigens nahezu immer Staat und folgversprechenden Anläufe von Politik Kommunen: Die Frage, ob nicht auch in der Unternehmenswelt und Wirtschaft zu einem neuen Auf- Organisationen und Regulierungen zu durchforsten wären, wird schwung konterkarieren – wobei mit »Be- eher selten gestellt. amten« natürlich alle Beschäftigten des öf- fentlichen Dienstes gemeint sind. Dass Der Autor ist mit seinem Thema seit vielen Jahren und in verschie- diese Schuldzuweisung vordergründig ist denen Rollen befasst, sei es als Landesinnenminister, als Bundesda- und wenig zur Lösung der Probleme beiträgt, brauche ich vor diesem Auditori- tenschutzbeauftragter oder als Verwaltungswsissenschaftler. In die- um wohl nicht zu betonen. Verwaltungs- sem Beitrag befasst er sich zunächst mit den tiefer liegenden wissenschaftler leiden oft genug darunter, Ursachen von Normen und öffentlichen Einrichtungen, die ja nicht dass Verwaltung vollkommen verzerrt vom Himmel fallen, sondern von verschiedenster Seite gewollt, wahrgenommen wird und dass die Büro- durchgesetzt und verteidigt werden. Seine Analyse dämpft denn kratiediskussion zu einem großen Teil schlicht Meinungsmache ist. Die Wissen- auch allzugroße Hoffnungen auf Bürokratieabbau. Gleichwohl schaft sollte sich dieser Tendenz aber ent- zeigt der Autor eine Reihe von Ansatzpunkten auf, wie bürokrati- schieden widersetzen und konkrete öffent- sche Auswüchse zurückgeschnitten werden könnten, warnt aber liche Aufklärung betreiben. Dies gilt vor zu hohen Erwartungen, was die Erfolge angeht. sowohl für die Staats- und Verwaltungs- wissenschaft wie auch für die Volks- und Betriebswirtschaftslehre, die sich heute fast ausschließlich am mainstream der neo- Einleitung hin zu getrennten Toiletten, die Verpflich- liberalen Wirtschaftspolitik orientieren und tung zu statistischen Meldungen) sehr ge- die Probleme der politischen und admini- Die Wirtschaftsredaktion der ZEIT hat An- holfen«. strativen Praxis dabei oft zu oberflächlich fang dieses Jahres fünf Wissenschaftler be- Derartige Äußerungen sind typisch für behandeln. fragt, wie sie sich »eine Agenda für 2005« die aktuelle politische Diskussion: »Büro- Ich will versuchen, einige Hinweise zu vorstellen1. Einer der Befragten, der Präsi- kratieabbau« gilt vielen als ein Patentrezept geben, wie die Auseinandersetzung sinn- dent des Hamburgischen Welt-Wirt- zur Belebung der Wirtschaft. Straubhaar hat voll und ergebnisorientiert geschehen schafts-Archivs Thomas Straubhaar, be- Recht, wenn er von der »hohen Symbol- kann. Dazu wende ich mich zunächst den ginnt seine Antwort mit dem Satz: »Am kraft« solcher Aussagen spricht. Das dürfte Gründen zu, aus denen »Bürokratie« ent- einfachsten umzusetzen ist der Abbau von auch der Grund dafür sein, dass Politiker – steht und welche Kräfte dabei wirken, um Bürokratie«. Das sei »ein Bereich, in dem aller Parteien – gern vom Bürokratieabbau sodann die Möglichkeiten des Abbaus ent- Reformvorschläge meist konsensfähig sind sprechen. Ob die Wirtschaft wirklich ent- behrlicher Normen und Verwaltungsein- und zudem eine hohe Symbolkraft haben«. scheidend beflügelt wird, wenn Arbeits- heiten zu erörtern. Im Schlussteil will ich Weniger Bürokratie helfe vor allem den schutz und Statistik reduziert werden, kann die Gründe besprechen, die einer »radika- Kleinbetrieben, dem Mittelstand, den man nur hoffen. Die »Großformel« Büro- len« Verwaltungspolitik entgegenstehen. Selbstständigen, also denen, die den Auf- kratieabbau verschleiert im übrigen man- Dabei verwende ich den Bürokratiebe- schwung tragen. Wörtlich heißt es dann: ches, was man den Wählern nicht unvermit- griff zunächst untechnisch als Zusammen- »Ihnen wäre mit niedrigeren Fixkosten telt sagen möchte, etwa dass zuviel Um- fassung für Organisationen und Regelungs- durch Abbau überflüssiger Regulierungen weltschutz betrieben werde. So erklärt sich systeme zur Erfüllung von Staatsaufgaben. (etwa arbeitsrechtliche Vorschriften bis etwa die Äußerung des künftigen nord- Ich werde aber auch noch herausarbeiten, rhein-westfälischen Ministerpräsidenten in dass Max Webers Bürokratiebegriff nach einem Wahlkampf-Interview: »Ein Land, in wie vor bedeutsam ist. dem 4.563 Leute in der Umweltverwaltung arbeiten und nur 417 in der Wirtschaftsver- waltung: Da sind doch die Proportionen völlig verrutscht«2. Offensichtlich will Jür- gen Rüttgers nicht die Wirtschaftsverwal- * Vortrag im Forschungsinstitut für öffentliche tung proportional aufstocken, sondern den Verwaltung bei der Deutschen Hochschule für Umweltschutz kürzer halten. Verwaltungswissenschaften Speyer am 21. em. Univ.-Professor Juni 2005. Dr. Hans Peter Bull, Die Forderung nach Bürokratieabbau ist 1 DIE ZEIT Nr. 3 vom 13. Januar 2005, S. 19. Universität Hamburg. bei der Politik auch deshalb so beliebt, 2 Jürgen Rüttgers in der Frankfurter Allgemei- weil Politiker stets dazu neigen, die Schuld nen Sonntagszeitung vom 10. April 2005, S. 4.
228 Verwaltung und Management 11. Jg. (2005), Heft 5, S. 228-235 Hans Peter Bull, Vom Auf- und Abbau der Bürokratie
Wo und wie entsteht Hätte man diese Arbeitsgemeinschaften Erleichterungen oder die ganze oder »Bürokratie«? nicht gegründet, wären zumindest Ver- teilweise Aussetzung von Erleichterun- schiebungen zwischen den bestehenden gen, wenn Voraussetzungen für deren Trägern von Sozialhilfe und Arbeitslo- Gewährung nicht mehr vorliegen«. Die Äußere Entwicklungen senhilfe nötig gewesen, auch dies ver- »Förderung der privaten Eigenverant- Ob die Politik und die Medien es wollen bunden mit der Umschichtung von Per- wortung« hat also ihren Preis. Er besteht oder nicht – Bürokratie wird täglich neu sonal in großem Umfang – sonst wäre übrigens auch darin, dass die erforderli- aufgebaut. Treibende Kraft sind insbeson- das Ziel, »Fördern und Fordern« zu- chen Agenturen ihrerseits ihre Arbeit re- dere die Entwicklungen in Wirtschaft und sammenzuführen, (erst recht) nicht er- geln müssen (und dass die Auftraggeber Technik, allen voran die Informations- und reicht worden. die Leistungen bezahlen müssen). Kommunikationstechnik, die schon im pri- Im Verlauf des Vorhabens, die Auf- Tatsächlich ist ein Bürokratisierungs- vatwirtschaftlichen und privatrechtlichen tragsvergabe der öffentlichen Stellen schub auch im privatwirtschaftlichen Bereich unvermeidlich zu einer Explosion gerechter zu regeln, ist eine hochkom- Bereich entstanden. So heißt es, dass die der Normen geführt hat, angefangen bei plizierte Rechtsmaterie entstanden, die neuen Studiengänge nach dem Bologna- den unzähligen Gebrauchsanweisungen inzwischen schon wieder (auch im Hin- Schema zu einer Hochkonjunktur bei und Computer-»Hilfen« (die für den Nor- blick auf EU-Recht) novelliert werden den zuständigen Akkreditierungsagentu- malkonsumenten noch unverständlicher muss. Die Einführung der Autobahn- ren geführt haben. sind als die Bescheide der Finanzämter) Maut macht eine unendliche Zahl bis- über technische Normen bis zu den Selbst- her nicht erforderlicher Abrechnungen Innere Gründe bindungen der Hersteller und Anwender und eine entsprechende Verwaltung und ihren Kartellabsprachen. Die staatli- nötig, ebenso die Einführung von Studi- Es sind aber nicht nur diese Neuerungen chen Behörden und Gerichte müssen auf engebühren an den Hochschulen. im äußeren Geschehen, die zu neuen Rege- diese Entwicklungen eingehen und darüber In der Forschungsförderung sind neben lungen und Organisationen führen, son- wachen, dass nicht nur der Stärkere sich den traditionellen Organisationen DFG dern auch innere Gründe, also solche, die überall durchsetzt. So mussten zum Bei- und Wissenschaftsrat neue Verbünde aus den Bedürfnissen und Idealen der be- spiel Regulierungsbehörden für Eisenbahn, Post und Telekommunikation aufgebaut werden, die notwendigerweise gewisse »›Bürokratieabbau‹ gilt vielen als ein Überwachungs- und Eingriffsrechte besit- zen und eine Menge Papier bedrucken, und Patentrezept zur Belebung der Wirtschaft, mit der Liberalisierung der Energiewirt- schaft entsteht Bedarf nach einer erweiter- jedoch ist diese Diskussion zu einem großen ten Regulierungskompetenz. Darüber hinaus kann man ganz allge- Teil schlicht Meinungsmache.« mein sagen, dass jede Maßnahme, die ak- tuell zur Verwirklichung sozialer Ziele ge- troffen wird – seien es alte, seien es neue und Vereine konstituiert worden – für troffenen Menschen und der für die Allge- Ziele, zum Aufbau von »Bürokratie« das Speyerer Forschungsinstitut ist be- meinheit Agierenden herrühren. beiträgt. Im weitesten Sinne verursacht kanntlich die Leibniz-Gemeinschaft zu- selbst der Bürokratieabbau wieder neue ständig, die sich als fürsorgliche, aber Misstrauen als Prinzip »Bürokratie« in Gestalt neuer Rechtsnor- auch dirigierende Aufsichtsinstanz ins- men; denn die alten müssen ja aufgehoben besondere durch die Evaluation ihrer Regeln und Einrichtungen, die deren Ein- und meist auch irgendwie ersetzt werden. Mitgliedsinstitute energisch einmischt haltung überwachen, entstehen aus dem Einige Beispiele: und je nach Bewährung den Weg zu Prinzip des Misstrauens der Bürger gegen- Die Sozialreform nach der »Agenda den öffentlichen Finanzquellen offen- über dem Staat wie umgekehrt des Miss- 2010« hat uns die »Arbeitsgemein- hält oder einengt. trauens von Parlament und Verwaltung ge- schaften« von Bundes- und Kommunal- Neue Rechtsnormen sind auch erforder- genüber den Bürgern. Misstrauen besteht behörden beschert – ein ehrgeiziges lich, wenn staatliche Vorgaben und Prü- aber auch innerhalb von Unternehmen und Vorhaben der Zusammenführung von fungsverfahren durch Verweisung auf Verbänden im Verhältnis der Leitung zu Behörden unterschiedlicher Struktur nichtstaatliche Auditierungen, Akkredi- den Mitarbeitern und Mitgliedern und vice und Arbeitsweise mit dem Ziel, mit tierungen und Zertifizierungen ersetzt versa. Organisationen misstrauen ihrer dem »Fördern« effektiv und effizient werden. Man lese nur, was gleichlau- Umwelt, auch wenn sie in Gestalt von das »Fordern« zu verknüpfen. Personal tend im Bundesimmissionsschutzgesetz, Kunden und Lieferanten auftritt – von aus zwei Sphären musste unter einem im Kreislaufwirtschafts- und Abfallge- Konkurrenten ganz abgesehen. Der Ver- organisatorischen Dach vereinigt, bis- setz und im Wasserhaushaltsgesetz3 waltung gegenüber ist das Misstrauen auch her getrennte Datenverarbeitungstech- über die »Erleichterungen für auditierte deshalb stark, weil sie große Finanzmittel nik zu einem gemeinsamen System um- Standorte« gesagt ist: Wenn Unterneh- zu bewirtschaften hat und daher – wie im- gebaut und das Ganze funktionsfähig men sich freiwillig an einem Gemein- mer in solchen Fällen – die Versuchung zu gemacht werden. Dabei erwiesen sich schaftssystem für das Umweltmanage- die Unterschiede der Verwaltungskultur ment und die Umweltbetriebsprüfung als hinderlich, und die AG’en haben beteiligen wollen, müssen die Länder nach wie vor große Schwierigkeiten, unter anderem Regeln erlassen über die 3 §§ 58 e BImSchG, § 55a KrW-/AbfG und 21h ihre integrierte Aufgabe wirkungsvoll »Voraussetzungen für die Inan- WHG – übrigens alles Umsetzung von EG- zu erfüllen. spruchnahme und die Rücknahme von Recht.
VM 5/2005 229 Auch beim Thema »Entbürokratisierung« steckt der Teufel im Detail
Unterschleif und Korruption besteht. nicht nur in der Wirtschaft als idealer kussion, meist mit dem Ergebnis, dass für Rechnungshöfe und der Bund der Steuer- Maßstab, sondern – theoretisch – auch im spezielle Fälle auch Spezialnormen erlas- zahler liefern hinreichend gute Gründe zur öffentlichen Dienst. Dass sie sehr schlecht sen werden. Es gibt immer mehr Ausnah- Wachsamkeit. Auch die oft beklagte messbar ist, ändert nichts an dieser Ein- men von den allgemeinen Prinzipien, und »bürokratische« Vorgehensweise bei der schätzung. Wir bemühen uns, möglichst das bedeutet paradoxerweise in den Fällen, Verwaltung von Subventionen hat hier zuverlässige Methoden zur Leistungsmes- wo diese Ausnahmen nicht im Gesetz ihren Grund. Man denke daran, dass die sung zu entwickeln – dass sie kompliziert selbst eindeutig definiert sind, zugleich Europäische Gemeinschaft eine eigene ausfallen, darf uns nicht wundern. immer mehr Spielräume für die Anwender. Behörde zur Bekämpfung des Subventi- Während sich die Wirtschaft bei den Vor- Das Gerechtigkeitsstreben geht in man- onsbetrugs und ähnlicher Verfehlungen standsgehältern unter anderem auf die Er- chen Bereichen in die Tendenz zur Bevor- eingerichtet hat (OLAF). gebnisse der Börse stützt und deren Irratio- mundung der Bürger über. Was von Kon- Die Wirtschaftsphilosophie fordert nalität widerstandslos hinnimmt, muss die servativen oft polemisch als unangebrachte demgegenüber eine Kultur des Vertrauens Verwaltung mangels eines solchen Mark- »Volksbeglückung« kritisiert wird, kommt und damit eine Umkehr des Trends zu im- tes umfassende Funktions- und Leistungs- tatsächlich vor: Der Entwurf der Bundesre- mer mehr Kontrolle und Überwachung. bewertungen vornehmen, um Leistung ho- gierung für ein Antidiskriminierungsgesetz Der Appell ist richtig, seine Befolgung norieren und damit die nötigen Anreize zu will die Gleichbehandlung aller Menschen eher unwahrscheinlich. Denn das Miss- besserem »output« schaffen zu können. perfektionieren und enthält daher ausge- trauen wird jeden Tag aufs neue geweckt, In der Sozialpolitik, wo statt der Lei- feilte Vorschriften, die diskriminierendes sei es durch Individuen, die um ihre Vor- stung die Bedürftigkeit oder andere Ge- Verhalten verhindern sollen. Statt Verein- teile bangen, sei es durch wirkliche oder rechtigkeitskriterien zugrunde gelegt wer- fachung und Klarheit werden diese Nor- vermeintliche Agenten des Gemeinwohls den müssen, ist das Gleichheitsstreben men feinsinnige Unterscheidungen ermög- wie Politiker, Beamte, Wissenschaftler noch stärker ausgebildet. Immer mehr lichen oder besser nötig machen und oder Journalisten. Von der Verbreitung des Sonderbedarfe sind über die Jahrzehnte hin erhebliche Schwierigkeiten bei der Durch- Misstrauens leben in unserer Gesellschaft durch Sonderzahlungen honoriert worden; setzung verursachen. Die daraus entstehen- viele, und mancherlei Skandale belegen ihr Abbau ist eine der Hauptaufgaben der den Rechtsstreitigkeiten können ebenfalls die Berechtigung dieses Misstrauens. restriktiven Sozialreform. Das Steuerrecht als überflüssige Bürokratisierung verbucht werden.
»Insbesondere die Entwicklungen in Schutz bestimmter Interessen Abstrakt gesprochen, sind Regeln und Or- Wirtschaft und Technik, allen voran die ganisationen erforderlich, um Interessen zu schützen. Dabei kann es um individuelle Informations- und Kommunikationstechnik, oder um kollektive Interessen gehen. Be- vor wir eine Norm kritisieren, müssen wir treiben die Bürokratie von außen an.« wissen, welchem Interesse sie dienen soll. Am Antidiskriminierungsgesetz lässt sich auch dies aufzeigen; dadurch soll das In- Gerechtigkeitsstreben und hat auf seine Weise ebenfalls immer mehr teresse des Einzelnen geschützt werden, »Volksbeglückung« Sondertatbestände berücksichtigt; der Ruf nicht ungleich behandelt zu werden, und nach Vereinheitlichung ist hier besonders dieses Interesse, Ungleichbehandlung zu Überall wo es »gerecht« zugehen soll, ent- gut begründet – und doch seit Jahrzehnten verhindern, ist zugleich eines der Allge- stehen Normen. Gerechtigkeit bedeutet im unbeachtet geblieben. meinheit – nur muss dieses Allgemeinin- Kern Gleichbehandlung gleicher Sachver- Wir preisen den Wettbewerb, aber wir teresse gegen andere öffentliche Interessen halte und Differenzierung zwischen un- akzeptieren nur widerwillig die Ungleich- abgewogen werden. gleichen. Aus einer ungeregelten Ausein- heit, die er zwangsläufig produziert. Das Oft ist es der Schutz vor Konkurrenz, andersetzung resultiert das »Recht« des lässt sich auch am Beispiel des Föderalis- der zur Schaffung neuer Rechtsnormen Stärkeren, also Ungleichheit. Durch Re- mus aufzeigen: Trotz verbreiteter Zustim- beiträgt. Die Handwerksordnung schützt geln schränken wir den Wettstreit ein, ver- mung zum Modell des Wettbewerbsfö- die Handwerksmeister vor der »Billig- hindern die Vernichtung der Schwächeren deralismus4 wollen viele nicht wahrhaben, Konkurrenz« von Technikern, die keinen durch die Stärkeren, der Ehrlichen durch dass gerade die Gliederung des Bundes in so aufwendigen Ausbildungsgang hinter die Raffinierten und Skrupellosen. Selbst Länder die »offene Flanke des Gleichheits- sich haben, und zugleich die Kunden vor im Sport und für den Markt gelten solche satzes« darstellt, wie Günter Dürig formu- Pfuschern und Nieten. Denselben Dienst Regeln. Aber das Netz der Regeln wird liert hat5, dass also dieselben Rechtsfragen leisten die Berufsordnungen der freien Be- immer dichter und komplizierter, und ob in verschiedenen Ländern unterschiedlich rufe deren Angehörigen, den Rechtsanwäl- dadurch wirklich mehr Gleichheit entsteht, entschieden werden dürfen. Paradoxerwei- ten, Ärzten, Wirtschaftsprüfern, Steuerbe- mag man bezweifeln. se führt aber auch diese Einstellung zum ratern usw. Deshalb ist jede Lockerung Wir Deutschen scheinen das Gerechtig- Föderalismus nicht zu einfacheren Rege- dieser »Zunftordnungen« umkämpft; das keitsstreben besonders weit zu treiben. So lungen, die überall gelten, sondern zu wei- Argument der Sicherung des Leistungs- vergleichen wir gegenseitig ständig unsere terer Komplizierung der Rechtslage. Der standards und der Zuverlässigkeit der Be- Einstufungen und Gehälter und halten es Streit darüber, wie viel Vereinheitlichung für ungerecht, wenn andere schneller be- geboten und wie viel Differenzierung 4 S. dazu aber Bull, DÖV 1999, 269 ff. fördert werden oder mehr verdienen, selbst möglich ist, prägt darüber hinaus unsere 5 In: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Artikel 3 Ab- wenn sie weniger leisten. Die Leistung gilt gesamte rechts- und sozialpolitische Dis- satz I (1973) Rn. 233 ff.
230 Hans Peter Bull, Vom Auf- und Abbau der Bürokratie rufsangehörigen lässt sich gut mit dem Wo und wie ist viele bezweifeln, solange »nichts passiert«, closed-shop-Schutz verbinden. »Bürokratieabbau« möglich? deren Nichtbeachtung aber zum »Skandal« Solche Normensysteme sind auch als wird, wenn ein schwerer Unfall oder eine Bollwerke gegen Machtverschiebungen Auch wer die Gründe ernst nimmt, die für vermeidbare Katastrophe eintritt. Auf die- gedacht. So soll und kann Kartellrecht die den Aufbau von Bürokratie sprechen, fin- sem Feld liegen Notwendigkeit und Ent- Marktbeherrschung von Unternehmen ver- det in der bestehenden Rechtsordnung und behrlichkeit nahe beieinander, und die Un- hindern, und so sollen Normen des Ar- in der Verwaltung, wie sie heute arbeitet, terscheidung ist keineswegs offensichtlich. beitsrechts und des Arbeitsschutzrechts die zahlreiche Ansätze zum »Rückbau«. Sie Es lacht sich leicht über manche vermeintli- Übermacht der Arbeitgeber kompensieren. ergeben sich teilweise schon aus einer kri- che Skurrilität, aber wenn wir aus anderen Flächentarifverträge und Kündigungs- tischeren Betrachtung eben dieser Entste- Ländern hören, dass ein Brand Hunderte schutz, die beliebtesten Stichworte der Ar- hungsgründe: Wo das Gerechtigkeitsstre- von Todesopfern gefordert hat, weil die beitgeber beim Thema Bürokratieabbau, ben übertrieben wird, wo einer einheitli- Notausgänge zugestellt oder abgeschlossen begründen Gegenmacht der Arbeitnehmer chen Regelung noch das geringste waren, wollen wir unsere »pingeligen« Vor- und wären bei ausgeglichenem Arbeits- Gegeninteresse entgegengehalten wird, wo schriften über Fluchtwege, Rauchschutz- markt vielleicht verzichtbar. Der nötige der Schutz vor Risiken das Interesse an türen usw. wohl doch nicht abschaffen. Arbeitsschutz, der insbesondere durch die wirtschaftlichem oder sozialem Fortschritt Reif zum »Abriss« sind in diesen Berei- Vorschriften der Berufsgenossenschaften vollkommen überlagert – da muss etwas chen vor allem solche Vorschriften, die gewährleistet werden soll, müsste ohne geändert werden. Ich sehe insbesondere nicht miteinander abgestimmt sind. So hat diese Normen von den Arbeitgebern aus vier Ansätze, die ich im Folgenden kon- Ortlieb Fliedner herausgefunden, dass Trep- eigenem Interesse an der Vermeidung von kreter besprechen will. pengeländer und andere Geländer nach den Haftungsfällen eingerichtet werden – er würde aber vermutlich etwas lockerer aus- fallen.6 Im Beamtenrecht dient die einheit- »Misstrauen, Gerechtigkeitsstreben und der liche Besoldung nach dem Bundesrecht als Garantie einer angemessenen Mindestbe- Versuch, Interessen durchzusetzen, sind zahlung; die Bindung der einen Seite befe- stigt die Rechtsstellung der anderen. innere Gründe für Bürokratie.« Besonders einleuchtend sollte die Not- wendigkeit staatlicher Normierung überall Lockerung materieller Voraussetzungen Landesbauordnungen 90 cm hoch sein müs- da sein, wo keine hinreichend starke Lob- von Staatsleistungen, Belastungen und sen, dass aber nach dem Arbeitsschutzrecht by für bestimmte Interessen streitet. Ein Eingriffen für Geländer in Gebäuden mit Arbeitsstät- typischer Bereich ist der Umweltschutz. ten eine Höhe von 100 cm vorgeschrieben Tatsächlich laufen die Dinge zur Zeit aber Ich beginne mit der Ausgestaltung der Tat- ist.9 Fliedner berichtet, dass die Baubehörde genau umgekehrt. Es gibt zwar viele Rege- bestandsvoraussetzungen. Spielraum für bei einem Museumsneubau die Geländer- lungen im Interesse des Umweltschutzes, »Deregulierung« gibt es sowohl im Bereich höhe von 90 cm akzeptiert hatte, der Ge- aber die starken Wirtschaftslobbies lenken der leistenden wie der eingreifenden Ver- meindeunfallverband nachträglich aber for- die Aufmerksamkeit des Publikums und waltung. So sind die komplizierten Vor- derte, die Geländer auf einen Meter zu der Politik auf angebliche Überregulierung schriften über die Einkommensgrenzen für erhöhen, was eine teure Umrüstung erfor- auf diesem Gebiet, und der personelle Um- die Leistungen nach dem Fünften bis Ne- derlich machte. Noch ärger erscheint mir fang der Umweltschutzbehörden stößt – unten Kapitel des SGB XII (§§ 85-89) we- ein anderer Normenwiderspruch: Hygiene- wie berichtet – auf den Unmut mancher der gottgewollt noch naturnotwendig, son- rechtliche Vorschriften besagen, dass die Politiker. dern sie bilden das Ergebnis vielfach gefil- Fliesen in Schlachthöfen »glatt und fugen- Nicht weiterführend ist eine Zuspitzung terter Erfahrungen aus der Sozialhilfepraxis los« sein sollen, damit die Schlachträume der Debatte auf ein einziges Ziel, etwa die und umständlicher Überlegungen der ge- perfekt gesäubert werden können – aber das »Schaffung von Arbeitsplätzen«. Bei allem setzgebenden Instanzen. Gerade solche Pa- Arbeitsschutzrecht bestimmt, dass Arbeits- Respekt vor dem Bundespräsidenten: Sein ragraphen-»Monster« sind oft politisch ge- räume nur mit »genoppten« Fliesen, also Schlagwort von der »Vorfahrt für Arbeit«7 wollt und außerordentlich schwer zu än- rutschfest gefliest sein dürfen.10 Mit einer ist so, wie er es formuliert hat, keine ge- dern. Sie sind nicht nur an der Herstellung eignete Richtschnur für die Politik. Bunde- von Gleichheit orientiert, sondern sollen 6 Möglicherweise liegen hierzu bereits Untersu- spräsident Köhler hat gesagt: »Was der auch Betrug und Untreue verhindern, sind chungen aus dem Bereich der ökonomischen Schaffung und Sicherung wettbewerbs- also durch das schon erwähnte allgemeine Theorie des Rechts vor! fähiger Arbeitsplätze dient, muss getan Misstrauen geprägt. Es gilt nun, diejenigen 7 Rede auf dem Arbeitgeberforum »Wirtschaft werden. Was dem entgegensteht, muss un- Elemente herauszufinden und abzuschaf- und Gesellschaft« am 15. März 2005, abge- druckt in FAZ vom 16. März 2005, S. 6. terlassen werden. Was anderen Zielen fen, die trotz genereller Berechtigung sol- 8 »Arbeit zu schaffen ist kein Ziel an sich. Da dient, und seien sie noch so wünschens- cher Regelungen übertrieben sind. widerspreche ich sogar dem Bundespräsidenten wert, ist nachrangig«. Als unverdächtigen Vorsichtsregeln gelten natürlich auch bei ... ketzerisch ausgedrückt, kann die Fixierung Zeugen dafür, dass dem zu widersprechen den Belastungen und Eingriffen, wenn auch auf Arbeitsplätze doch bedeuten, Waschma- schinen zu verbieten, damit Haushaltshilfen be- ist, nenne ich den Hauptgeschäftsführer zum Teil in anderer Form, und auch sie sind schäftigt werden. Oder die Bahn zu verpflich- des Bundesverbandes der Deutschen Indu- ständig auf ihre weitere Notwendigkeit zu ten, Heizer auf der E-Lok mitfahren zu lassen. strie, Ludolf von Wartenberg.8 Wenn Po- überprüfen. Das typische Beispiel bilden Wirtschaftspolitik ist etwas anderes.« (DIE litik und Verwaltung sich allein auf ein die vielfachen bau- und feuerpolizeilichen ZEIT Nr. 23 vom 2. Juni 2005, S. 25). 9 Ortlieb Fliedner, Gute Gesetzgebung, FES- Ziel konzentrieren, verfehlen sie die Wirk- Gebote und Beschränkungen und die be- Analyse Verwaltungspolitik, Dezember 2001, lichkeit des alltäglichen Interessenkon- rufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungs- S. 25 f. flikts. vorschriften, deren Sinn und Bedeutung 10 Fliedner ebd.
VM 5/2005 231 Auch beim Thema »Entbürokratisierung« steckt der Teufel im Detail solchen Normenkollision kann der Rechts- Erleichterung bringen, wenn nicht jeder wenn geringere Anforderungen als bisher anwender nicht fertig werden; Sie muss auf Einzelposten einer Abrechnung dargelegt an den Nachweis von Sachkunde und ähn- der Ebene der Rechtsetzung vermieden und belegt werden müsste. Ähnlich im lichen Voraussetzungen für Erlaubnisse werden. Ich fürchte, es gibt noch mehr der- Baurecht: Nicht jede Einzelheit eines klei- und Genehmigungen gestellt werden. In- artige Widersprüche und Unklarheiten in nen Bauvorhabens muss von der Behörde wieweit solche Änderungen gerechtfertigt der Weite unserer verwaltungsrechtlichen überprüft werden. Mit Recht werden des- sind, ohne dass das Ziel des Gesetzes Normenwelt. halb immer wieder entsprechende Bau- selbst gefährdet wird, kann nur von Fach- Verzichtbar sind gewiss auch manche rechts-»Reformen« unternommen. leuten des jeweiligen Sachgebiets beurteilt Vorschriften des Arbeitsschutzrechts. Im werden – Generalisten wie wir Verwal- vorigen Jahr wurde die alte Arbeitsstätten- tungswissenschaftler können aber darauf Änderung von Verfahren und verordnung11, die in 52 Paragraphen viele hinweisen, dass an diesen und ähnlichen Organisation teils selbstverständliche, teils unnötig de- Stellen Prüfungs- und Rechtfertigungsbe- taillierte Gebote und Verbote enthielt, auf Ein Schwergewicht der bisherigen Be- darf besteht. Dasselbe gilt für die von der acht Paragraphen zusammengestrichen12 – mühungen um Beschleunigung und Ver- Wirtschaft viel beklagten Statistiken: freilich überlebte ein Teil davon die Re- einfachung liegt bei den Verfahrens- und Nicht alle sind zwingend erforderlich, form in einem Anhang zu der VO. Hier Organisationsvorschriften. Hier ist in der manche sind zwar nützlich, aber gewiss liest man nach wie vor massenhaft so Tat ein »Deregulierungs«-Potenzial vor- sind einige entbehrlich. nichtssagende und selbstverständliche Sät- handen, und es wird genutzt – nicht immer Bund und Länder haben in den letzten ze wie: »Der Arbeitgeber hat solche Ar- zu unserer Begeisterung, wie die Geschich- Jahren zahlreiche Veränderungen in der beitsräume bereitzustellen, die eine ausrei- te der Genehmigungsverfahrensbeschleuni- Organisation ihrer Behörden und Einrich- chende Grundfläche und Höhe sowie einen gungsgesetzgebung (!) gezeigt hat. Zur Zeit tungen vorgenommen. Die Zahl der Bun- ausreichenden Luftraum aufweisen« (§ 6 ist besonders der Abbau von Anhörungs- desbehörden wurde seit 1998 um 32 Pro- Absatz 1 der VO), oder: »Gebäude für Ar- und Beteiligungsrechten in der Diskussion; zent gesenkt (von 654 auf 445).17 Die Ser- beitsstätten müssen eine der Nutzungsart ihn fordert der Bundesrat für eine ganze vicebehörden Bundesverwaltungsamt und entsprechende Konstruktion und Festigkeit Reihe von Materien. Das Bundesministeri- Bundesamt für Finanzen haben eine große Zahl von Einzelaufgaben für Bundes- behörden und staatlich geförderte Einrich- »Auch wer die Gründe ernst nimmt, tungen übernommen.18 In den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen sind die für den Aufbau von Bürokratie sprechen, die staatlichen Mittelbehörden durch ande- re Organisationsformen ersetzt worden. findet in der bestehenden Rechtsordnung und Ausgliederung und Privatisierung sind so beliebt wie nie zuvor, und der Grundge- in der Verwaltung, wie sie heute arbeitet, danke, dass mehr Selbstständigkeit für die dezentralen Einheiten sinnvoll sein kann zahlreiche Ansätze zum ›Rückbau‹.« (weil damit Leistungsbereitschaft und Kreativität gefördert werden), aber ob und aufweisen« (Anhang Nr. 1.1), und hier fin- um für Wirtschaft und Arbeit nimmt für in welchem Maße all diese Organisations- det sich auch die Bestimmung, an der sich in Anspruch, beim neuen Geräte- und änderungen Verbesserungen mit sich ge- Straubhaar Anstoß nimmt: »Umkleide-, Produktsicherheitsgesetz14 Doppelzustän- bracht haben, ist umstritten. Jedenfalls Wasch- und Toilettenräume sind für Män- digkeiten beseitigt zu haben. Es bleibt sehe ich für die Feststellung, dass diese Li- ner und Frauen getrennt einzurichten oder kompliziert genug! Auch in zahlreichen an- nie günstige Effekte für die Erbringung der es ist eine getrennte Nutzung zu ermögli- deren Normen des Wirtschafts- und Tech- jeweiligen Leistungen gehabt habe, bisher chen« (§ 6 Absatz 2 Satz 3 der VO). nikrechts sind spezielle Regelungen des wenig Anhaltspunkte. Dass der (entgegen In diesen Zusammenhang gehört auch Verfahrens und der Zuständigkeit enthal- einem mit Dreiviertelmehrheit angenom- die immer wieder zitierte Bestimmung ten, die zu beseitigen oder wenigstens zu menen) Volksentscheid privatisierte Ham- über die Höhe der Kleiderhaken in Kinder- harmonisieren wären. Aber wenn Thomas gärten (von der ich nicht weiß, ob und wo Straubhaar meint, dass dies eine einfache sie wirklich noch gilt – ich habe aber auch Aufgabe sei, verkennt er die Tatsache, dass 11 Vom 20. März 1975 (BGBl. I S. 729). nicht lange gesucht13). Offenbar war der viele solcher Normen im Bewusstsein der 12 Neufassung vom 12. August 2004 (BGBl. I S. Gesetz- und Verordnungsgeber in diesem Anwender und Interessenten in Wirtschaft 2179). Bereich bemüht, jedes nur denkbare Detail und Verwaltung fest verankert sind, ja dass 13 Nach der Angabe von Gerd Landsberg (in: Staat und Gemeinde 1997, S. 274) findet sich zu regeln, statt auf die Vernunft der An- manche sie für zwingend halten – und sei diese Skurrilität in der Verwaltungsvorschrift wender zu vertrauen. Vielleicht hatte er es, weil man es »immer so gemacht hat«. zum Sächsischen Kindergartengesetz. dazu auch Anlass: Oft sind ja übertriebene Zu den Inhalten des vom Bundesrat ein- 14 Vom 9. Januar 2004 (BGBl. I S. 2), in Kraft Vorschriften die Reaktion auf unvernünfti- gebrachten »Bürokratieabbau«-Gesetzes seit 1. Mai 2004. ges, egoistisches Verhalten derer, an die gehört auch die Abschaffung einiger 15 Artikel 6 des BR-Entwurfs v. 26.11.2004, BR- Drs. 709/04 (Aufhebung von §§ 19 Absatz 1- sie sich richten. Pflichten der Unternehmen, die man dem 4, 20 Absatz 1 und 2, 21 Absatz 2 und 3 Manches ließe sich verbessern, wenn Verfahrensrecht zuordnen kann, zum Bei- KrW/AbfG). man mehr Gebrauch machte von Pauscha- spiel Abfallwirtschaftspläne vorzulegen 16 Kritisch dazu u.a. Hans-Joachim Koch, NVwZ lierungen und Bagatellklauseln. Im Steuer- und Abfallbilanzen aufzustellen.15 In die- 1996, 215 (220). 17 Bundesminister Schily in: Newsletter Moder- recht bewähren sich Pauschbeträge für al- sen Zusammenhang gehört es auch, wenn ner Staat – Moderne Verwaltung vom 15. Juni lerhand Abzüge vom Einkommen, und es Genehmigungsvorbehalte in bloße Anzei- 2005. würde auch in anderen Bereichen deutliche gevorbehalte16 umgewandelt werden oder 18 Ebd.
232 Hans Peter Bull, Vom Auf- und Abbau der Bürokratie burger Landesbetrieb Krankenhäuser meh- re Gebiete. Gesetzlich ist relativ selten Konsens und Selbstregulierung statt rere hundert Stellen abzubauen gedenkt, festgeschrieben, wie intensiv die Durchset- Verwaltungshandeln mag betriebswirtschaftlich von Vorteil zung bestimmter Vorschriften überwacht sein; ob es die Qualität der Krankenversor- werden muss. Freilich bestehen darüber In seiner Schrift über »gute Gesetzge- gung verbessern wird, ist fraglich. Von höchst unterschiedliche Vorstellungen. Ich bung« beschreibt Gunnar Folke Schuppert den als Stiftungen neu organisierten Uni- erinnere mich, wie die versammelten ausführlich auch Fälle nicht-staatlicher versitäten hört man nichts, was von der all- schleswig-holsteinischen Landräte über oder halb-staatlicher Normsetzung, die er gemeinen Hochschulentwicklung abwiche; mich herfielen, als ich es wagte zu behaup- als »Kooperationalisierung der Rechtset- sie haben wohl auch nicht mehr Geld als ten, die eine oder andere Aufgabe der zung« (mein Computer unterkringelt die- diejenigen Universitäten, die Körperschaf- Kreise müsse notwendigerweise »subopti- ses Wort rot, aber wir wissen ja, was ge- ten des öffentlichen Rechts geblieben sind. mal« erfüllt werden, wenn es an Personal meint ist!) und als »Konsequenz des ko- Von Hartz IV war schon die Rede; die zur »hundertprozentigen« Kontrolle fehle. operativen Staates« bezeichnet. Allerdings Rechtsform der Arbeitsgemeinschaft ist Das schien den Verfechtern der Kreisho- gibt es den »kooperativen Staat« empirisch nicht nur verfassungsrechtlich kaum halt- heit ein unerhörter Affront, und sie mobili- nur insoweit wie die Kooperation funktio- bar, sondern scheint sich auch praktisch sierten die Presse gegen den angeblich niert, und im normativen Sinne ist dieser nicht zu bewähren. rechtswidrig argumentierenden Innenmini- Begriff nur eines von mehreren Prinzipien, Sehr wichtig wäre – um es erneut zu sa- ster. Aber sie wussten natürlich genau, die miteinander in Konflikt geraten kön- gen – die Vereinfachung der Zuständig- dass die Kontrolldichte auch seinerzeit nen. Ein Beispielsfall, in dem vermutlich keitsordnung. In dem begrüßenswerten Be- schon recht unterschiedlich ausfiel – kei- die Selbstregulierung entlastend wirkt und streben, immer möglichst alle in Betracht neswegs alle Kreisverwaltungen ließen keine gewichtigen Nachteile mit sich kommenden Interessen kennen zu lernen und in die Abwägung einzustellen, sind die Zuständigkeiten für Fachplanungen und »Reif zum ›Abriss‹ sind vor allem solche für die Genehmigung großer Vorhaben auf eine zu große Zahl von Behörden verteilt Vorschriften, die nicht miteinander worden, so dass die Zusammenführung immer schwieriger wird. Das »Sternver- abgestimmt sind; und es gibt etliche fahren« und die »Antragskonferenz« nach §§ 71 d und 71 e VwVfG bewirken dabei derartige Widersprüche und Unklarheiten zu wenig. Große Chancen der Verfahrensstraffung in der Weite unserer verwaltungsrechtlichen sehe ich in dem Einsatz der elektronischen Kommunikationstechnik (um nicht das Normenwelt.« Allerweltswort »E-Government« zu benut- zen) – freilich nur wenn sie nicht nur als den Umgang mit Gülle und anderen Giften bringt, ist die Aufstellung von »Verhal- schnelle Transporttechnik benutzt wird, regelmäßig durch Inspektoren vor Ort tensregeln zur Förderung der Durch- sondern die Entscheidungsprozesse selbst überwachen. Aus anderen Ländern wissen führung datenschutzrechtlicher Regelun- entsprechend den neuen Möglichkeiten in- wir, dass die Verwendung von Tiermehl, gen« durch »Berufsverbände und andere telligent neu konzipiert werden. die zu den BSE-Ursachen gehört, selbst in Vereinigungen, die bestimmte Gruppen Mit schlechtem Gewissen muss ich an administrativ hervorragend ausgestatteten von verantwortlichen Stellen vertreten«, dieser Stelle allerdings hinzufügen, dass Ländern nicht energisch genug kontrolliert nach § 38 a BDSG. Die Verwaltung ist in auch manche Vorschriften des Daten- wurde. Das Manko lag und liegt bisher ge- diesem Fall aber doch noch beteiligt: »Die schutzrechts sich als unerwünschte Hin- rade darin, dass die Intensität der Überwa- Aufsichtsbehörde überprüft« nach Absatz dernisse zügiger Verwaltung erwiesen chung riskanter Tätigkeiten nicht systema- 2 der Vorschrift »die Vereinbarkeit der ihr haben, also aufgehoben oder zumindest tisch geregelt ist! Die Festlegung von Rou- unterbreiteten Entwürfe mit dem geltenden besser auf die übrigen Vorschriften abge- tinen – selbst ein Stück neuer »Bürokratie« Datenschutzrecht«. stimmt werden müssen. Aus dem Motiv – könnte zu effizienterem Einsatz der Auch sonst ist die Deregulierung durch heraus, die schwierigen Abwägungsfragen knappen Ressourcen beitragen. Abgabe der Verantwortung an Private in den einzelnen Bereichen des Verwal- Nach dem Bundesrats-Entwurf werden nicht vollständig möglich. Denn auch die tungshandelns und der Wirtschaft vom Ge- verschiedene »Muss«-Vorschriften, die be- Selbstregulierung muss reguliert werden, setzgeber entscheiden zu lassen statt von stimmte Formen der Wirtschaftsüberwa- und so entsteht dann beispielsweise für das den Beteiligten selbst, haben die Daten- chung vorschreiben, in »Soll«-Vorschrif- Akkreditierungswesen ein »umfassendes schutzbeauftragten immer wieder neue be- ten umgewandelt. Das ist im allgemeinen Regelwerk«.19 Bekannt sind ja auch die reichsspezifische Datenschutznormen ge- gut zu verantworten, nur bleibt der Vorbe- Berichte über das überbordende Berichts- fordert und erhalten – aber das hat zu Dop- halt, dass auch hier die Spezialisten des je- wesen, das in England infolge der Ausglie- pelregelungen und auch zu überflüssigen weiligen Fachgebiets ein entscheidendes derung der Agenturen aus den Ministerien Detailregelungen und Komplikationen ge- Wort zu reden haben. Es ist eben nicht aufgekommen ist. führt. dasselbe, ob die Einhaltung einer Seuchen- schutznorm durchzusetzen ist oder die Er- füllung einer Auskunftspflicht für die Sta- Verringerung der Kontrolldichte tistik der Ochsen und Kühe. Dumm ist nur, Diese Methode, es sich und den Betroffe- dass die Spezialisten meist auch eigene In- 19 Vgl. den Bericht von Ulrich Smeddinck über nen einfacher zu machen, ist bereits viel- teressen vertreten, ja manchmal zugleich eine Speyerer Tagung, DVBl. 2005, 221 ff., fach erprobt und taugt durchaus für weite- die zuständige Lobby bilden ... 223 (Referat von Markus Racke).
VM 5/2005 233 Auch beim Thema »Entbürokratisierung« steckt der Teufel im Detail
Grenzen des Bürokratieabbaus Tarifrecht ergänzen würde. An die Stelle beiter, die auch ein hohes Maß an persönli- von Anciennitäts- und Statusdenken träte cher Unabhängigkeit brauchen. Das alles Zum Schluss will ich an drei Fragen ent- ein größeres Maß an Leistungsorientie- setzt der schlichten Übernahme von Orga- lang auf weitergehende Vorstellungen von rung. Leider ist das Schicksal dieses Ent- nisations- und Handlungsmaximen aus der Bürokratieabbau eingehen und die Gren- wurfes ja sehr ungewiss. Wirtschaft Grenzen. zen aufzeigen, die solchen Forderungen entgegenstehen. In der Reformdebatte wird Neues Steuerungsmodell als »Vorschriftenfreie« Bereiche? nämlich manchmal auch »gemogelt«, und Zaubermittel? einiges, was öffentlich propagiert wird, ist Vor einigen Jahren machte das Schlagwort schlicht nicht »machbar«. Wenn man einen zentralen Aspekt des von der »vorschriftenfreien Gemeinde« die Neuen Steuerungsmodells auf eine zuge- Runde. Der damals designierte Hauptge- spitzte Formel bringen will, kann man sa- schäftsführer des Deutschen Städte- und Staatsaufgabenerfüllung ohne Personal? gen: »Lasst Manager managen!« Dieser Gemeindebundes, Gerd Landsberg, schrieb Manche denken bei Bürokratieabbau of- Appell ist sicher in vielen Bereichen ange- nach einem Besuch beim Schwedischen fensichtlich nur an die Verkleinerung des bracht. Wenn geschickte Verwaltungsma- Gemeindebund, die »freie Gemeinde« in öffentlichen Dienstes – weil es »zu viele nager daran gehen, verkrustete Strukturen Schweden sei auch Vorbild für Deutsch- Beamte« gebe. Die Tatsache, dass die Per- aufzubrechen, verdienen sie Unterstüt- land.24 In der Tat ist es beeindruckend, sonalzahlen von Bund und Ländern seit zung. Es gibt auf diesem Gebiet auch was alles in Schweden nicht geregelt ist: Jahren sinken20, wird wenig zur Kenntnis wirkliche Erfolge, zum Beispiel durch die Es gebe keine Heim- oder Kommunalauf- genommen, und die Quantitätsfrage wird Einführung von Kosten-Leistungs-Rech- sicht im deutschen Sinne; die Verantwor- mit der Statusfrage vermengt. Wenn not- nungen.22 Das Vertrackte ist nur, dass auch tung für die Schulen und die Lehrer (die wendige Aufgaben nicht in staatlicher oder in diesem Rahmen viel »Bürokratie« nötig keine Beamten sind und unter Umständen kommunaler Regie erfüllt werden, müssen ist. Es hat dort nicht mehr die Gestalt all- entlassen werden können) wie auch die Al- die darauf Angewiesenen sie sich anders gemeiner oder individueller Weisungen, tenpflege und die Pflege psychisch Kran- besorgen, im Zweifel gegen privatrechtli- sondern kommt als Controlling daher. ker, ja sogar die Gewerbeaufsicht lägen vollständig bei den Kommunen, und auf die Vorgaben von Standards zum Beispiel »Die Zuständigkeiten für Fachplanungen im Kindergartenbereich werde weitgehend verzichtet. Das sind erhebliche Unterschie- und für die Genehmigung großer Vorhaben de zu unseren Verhältnissen, und wenn man hinzunimmt, dass keine Eingruppie- sind auf eine zu große Zahl von Behörden rungsvorschrift oder sonstige beamten- rechtliche Vorschrift die Bezahlung der verteilt worden, so dass die Zusammen- Verwaltungschefs beschränkt, kann man ermessen, welche Revolution die Übernah- führung immer schwieriger wird.« me des schwedischen Modells für unsere Kommunen bedeuten würde... Aber das ches Entgelt. So werden im Zuge der Pri- Und noch eines muss betont werden: »sonnige« Bild täuscht denn doch ein we- vatisierung und Rechtsformänderung öf- Man mag das hierarchische Bürokratiemo- nig: Im Anschluss an Landsbergs Reisebe- fentlicher Einrichtungen und Unternehmen dell von Max Weber für überholt halten, richt folgt in der Zeitschrift des Städte- Kosten und Lasten auf die Nutzer verscho- aber man kann es nicht einfach »über Bord und Gemeindebundes ein Beitrag von Curt ben – ein Ersatz für Abgaben- oder Ge- werfen«. Hans-Ulrich Derlien hat in einem Riberdahl, ehemals Chefjustitiar des bührenerhöhungen, die man sich nicht zu- Diskussionsbeitrag auf der letzten Jahres- Schwedischen Kommunalverbandes,25 der traut. Andererseits ist auch nicht erkenn- tagung der Deutschen Sektion23 in schöner unter anderem lebhaft beklagt, dass die bar, wie die Politik sich die langfristige Deutlichkeit herausgearbeitet, dass we- kommunale Selbstverwaltung in Schweden Entwicklung der Aufgaben und des Perso- sentliche Prinzipien der Weber’schen nals des öffentlichen Dienstes vorstellt. Bürokratie unverändert gültig sind: die Re- Man reagiert auf aktuelle Notsituationen gelbindung des Entscheidens – sie kann 20 Allein in der Bundesverwaltung sind seit 1998 rund 30.000 Stellen eingespart worden (= 9,5 und auf Forderungen der Öffentlichkeit, gelockert, aber nicht beseitigt werden, so- Prozent), so BMI Schily im Zwischenbericht ein umfassenderes Konzept ist nur aus- lange wir eine Demokratie sein wollen; die über die Projektfortschritte der Binnenmoder- nahmsweise einmal vorhanden. Auch die Kompetenzabgrenzung nach Geschäftsver- nisierung (Newsletter Moderner Staat – Mo- eingangs zitierte Äußerung von Rüttgers teilungsplan; die Unterordnung von Behör- derne Verwaltung vom 15. Juni 2005). 21 BMI-Entwurf eines Gesetzes zur Reform der über das Ungleichgewicht zwischen Wirt- den unter eine höhere Instanz; Disziplin Strukturen des öffentlichen Dienstrechts schafts- und Umweltschutzbehörden lässt und Gehorsam der Beschäftigten – auch (Strukturreformgesetz), Stand 12. April 2005, kein systematisch entwickeltes Bild von hier sind zwar Akzentverschiebungen insbes. Artikel 3: Gesetz zur Reform der Be- der richtigen Personalverteilung erkennen. möglich und geboten, aber nicht die Auf- zahlungsstrukturen bei Bund und Ländern. Positiv zu vermerken ist, dass sogar in gabe des Prinzips; die Schriftlichkeit und 22 So sind bereits 77 Prozent der Personalstellen des Bundes »von der Kosten-Leistungs-Rech- das Dienstrecht Bewegung gekommen ist: Aktenkundigkeit von Entscheidungspro- nung erfasst«, wie es im Newsletter Moderner Das neue Reformpaket des BMI21 bringt zessen – darauf will wohl niemand ver- Staat- Moderne Verwaltung vom 15. Juni zwar nicht die Überwindung des Dualis- zichten, dem an Transparenz des Verwal- 2005 heißt. mus von Beamten- und Tarifrecht, aber tungshandelns gelegen ist. Wir brauchen 23 Erscheint in: Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Ent- bürokratisierung und Regulierung, Baden-Ba- mit der Änderung der Bezahlungsstruktu- auch nach wie vor fachlich geschulte, nach den 2005. ren wäre ein großer Fortschritt erreicht, der den Grundsätzen der Bestenauslese rekru- 24 In: Stadt und Gemeinde 1997, S. 274. die Einigung über ein neues öffentliches tierte, zur Unparteilichkeit erzogene Mitar- 25 Stadt und Gemeinde 1997, 280 ff., 286.
234 Hans Peter Bull, Vom Auf- und Abbau der Bürokratie durch die Gesetzgebung des obligatori- ve Rolle die »Leihbeamten« aus dem We- wäre jedenfalls eine kontinuierliche Ver- schen Aufgabenbereiches zunehmend ein- sten für die östlichen Nachbarn gespielt ha- einfachung und Verbesserung der Rechts- geschränkt, zum Beispiel durch das Recht ben. Und ich könnte feststellen, dass Frei- und Verwaltungsvorschriften möglich. der Bürger, soziale Dienstleistungen vor heit oft gerade erst durch Recht begründet Ein wichtiger Ansatz dafür ist die von dem Verwaltungsgericht einzuklagen, oder wird. Aber das sind ja Binsenweisheiten. Böhret und Konzendorf auf hohes Niveau durch das Fehlen eines Kontrollrechts der gebrachte prospektve Gesetzesfolgenab- Gemeinden gegenüber Privatschulen, die schätzung. sie mit kommunalen Mitteln unterstützen Schlussbemerkung Insgesamt scheint das Potenzial für Re- müssen. Auch auf dem Gebiet der Kinder- gelungsabbau und Verwaltungsvereinfa- betreuung gefährde der Staat die kommu- Lassen Sie mich zusammenfassen: Büro- chung nach diesen Erwägungen nicht so nale Selbstverwaltung – zwar nicht durch kratie entsteht jeden Tag neu und muss je- groß zu sein, wie die Reformrhetorik sugge- Vorschriften über die Kleiderhaken, aber den Tag neu überprüft, gestrafft und riert. Die Einschätzung hängt aber von den durch eine detaillierte Regelung der ge- »zurückgebaut« werden. Das ist eine äu- Erwartungen ab: Wer die Lösung unserer meindlichen Verpflichtungen zur Kinder- ßerst mühsame, oft undankbare Aufgabe. zentralen wirtschaftlichen Probleme vom fürsorge. Es bedürfte dazu auch eines Mentalitäts- Bürokratieabbau erhofft, kann nur ent- Ich behandle das Thema Schweden so wechsels bei den Bürgern als den Auftrag- täuscht werden. Wer die Funktionsfähigkeit ausführlich, weil daran gut zu belegen ist, gebern von Gesetzgebung und Verwal- der Verwaltung verbessern will, wird mit dass Reformrhetorik und rechtlich-admini- tung, nämlich eines entschiedenen Ver- den Ansätzen und den künftigen Chancen strative Realität manchmal ziemlich weit zichts auf staatliche Regelung und eher zufrieden sein. Auf jeden Fall sollte als voneinander entfernt sind – und dass es Betreuung. Davon ist kaum etwas zu be- positiver Posten der Bilanz beachtet wer- »vorschriftenfreie« Bereiche nicht geben merken. Die Kritik etwa an der Sozialre- den, dass gerade die vielgescholtene Büro- kann. form nach Hartz IV geht überwiegend da- kratie in vieler Hinsicht als »Infrastruktur« An dieser Stelle könnte viel über die hin, dass die Verwaltung nicht weniger, der Wirtschaft dient und den Bürgern wich- Notwendigkeit von Rechtsnormen und Ver- sondern mehr regeln und besorgen solle. tige Leistungen erbringt – Leistungen, die waltungsbehörden gesagt werden. Ich könn- Immerhin: Erfolge sind möglich. Zwar an Bedeutung wohl noch gewonnen haben. te über ihre Bedeutung für die Investitions- sind die großen, auch von der Öffentlich- Und noch eine Erfahrung lässt die Bi- sicherheit der Unternehmen sprechen (am keit wahrgenommenen Fortschritte auf lanz etwas rosiger erscheinen: Die Büro- besten im Vergleich mit Staaten, die keine diesem Gebiet selten; es fehlt vielfach an kratiedebatte in der politischen Öffentlich- Rechtssicherheit gewährleisten!) oder dar- den erforderlichen politischen Entschei- keit ist zwar oberflächlich und oft unge- auf hinweisen, wie wichtig nach der Wie- dungen zwischen konfligierenden Interes- recht. Sie trägt aber auch in dieser ihrer dervereinigung die Einrichtung von Kata- sen. Verwaltung und Wissenschaft können Irrationalität dazu bei, dass die Verwaltung sterämtern und Grundbuchämtern in den bei der gesetzesfachlichen Prüfung mitwir- sich immer wieder reformiert und ihre Lei- neuen Ländern war und welche konstrukti- ken und sollten das tun; auf diesem Wege stungen steigert.
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VM 5/2005 235 Öffentliches Rechnungswesen: Pragmatismus statt reiner Lehre Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung
von Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann
Mit der stärker betriebswirtschaftlich orientierten Ausrichtung öf- Damit sollte letztlich auch unterstrichen fentlichen Verwaltungshandelns setzte in Deutschland ein Trend werden, dass das kameral geprägte Haus- haltssystem den gestiegenen Anforderun- ein, der nicht nur einen heterogenen Entwicklungsprozess der öf- gen an eine sich stärker betriebswirtschaft- fentlichen Haushalte beschleunigte, sondern fast schon droht, die lich orientierende Verwaltung nicht mehr betriebswirtschaftliche Ausrichtung zum Selbstzweck zu erheben – gerecht werde. koste es, was es wolle. Mit dem vorliegenden Beitrag soll aufgezeigt Mit dem Haushaltsrechts-Fortentwick- lungsgesetz6 wurde ab 1998 der im Haus- werden, dass man durchaus auch als eher finanzschwaches Bun- haltsgrundsätzegesetz (HGrG) gezogene desland nicht zwingend den meist überteuerten Weg der flächen- Rahmen deutlich erweitert und die rechtli- deckenden Umstellung des Haushaltssystems von der Kameralistik che Grundlage für eine stärker betriebswirt- auf die doppelte Buchführung gehen muss. Vielmehr lassen sich schaftlich orientierte Ausrichtung der öf- fentlichen Verwaltung gelegt. Spätestens auch im tradierten System die meisten der gewünschten Effekte seit dieser Novelle wird intensiv auf allen mit einfachen Mitteln und einer pragmatischen Herangehensweise Ebenen der öffentlichen Verwaltung über erzielen. sämtliche Ausformungen der neuen Ver- waltungssteuerung diskutiert. Dabei wer- den die verschiedensten Variationsmög- Einleitung / Problemaufriss ausgeglichen werden. Seit Anfang der lichkeiten durchdekliniert und reichen von neunziger Jahre verlangsamte sich die Ent- der Beibehaltung der bisherigen kameralen Die Haushalte von Bund, Ländern und wicklung der Steuereinnahmen jedoch, Kommunen sind seit Jahrzehnten struktu- während die Ausgaben weiter zunahmen. rell defizitär, weil die Produktivität in der Folglich wuchs das kreditär zu finanzie- öffentlichen Verwaltung deutlich langsa- rende Delta teilweise dramatisch an und mer wächst als in der Privatwirtschaft.1 gipfelt derzeit in Haushalten, die ohne 1 Vgl. Deubel, Verwaltungsmodernisierung Anfangs konnte die Differenz noch relativ Kreditaufnahme jenseits der verfassungs- durch mehr Wettbewerb – Zur Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der öffentlichen leicht mittels Kreditaufnahmen formell rechtlichen Grenzen nicht auskommen.2 Verwaltung, in: Kübbeler/Langer, Wirtschafts- Parallel zur gebremsten Steuereinnah- und Finanzpolitik nach ordoliberalen Prinzipi- meentwicklung Mitte der neunziger Jahre en, Berlin 1999, S. 149 ff. wurden verstärkt die fehlenden betriebs- 2 Vgl. beispielsweise Wagschal, Der Bund in extremer Haushaltsnotlage, in. Frankfurter wirtschaftlichen Strukturen in der öffentli- Allgemeine Zeitung vom 09. November 2004, chen Verwaltung bemängelt und dabei im- S. 13; Thielbeer, Bremer Sanierungsdesaster mer wieder in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. das starre und unflexible Haushaltsrecht März 2005, S. 6; Die Finanzkrise der Bundes- länder – Die Haushalte im Überblick, in: Professor Dr. Ingolf die fehlende Darstellung des jeweiligen Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. De- Deubel ist Staats- Ressourcenverbrauchs zember 2004, S. 5. sekretär im Ministerium die input- und nicht outputorientierte 3 Vgl. dazu auch Harle/Kulemann, Einführung der Finanzen Rhein- Steuerung und eines kaufmännischen Rechnungswesens in land-Pfalz, Mainz. Hessen, in: Verwaltung und Management das fehlende Benchmark 2005, S. 135. 3 kritisiert. 4 Vgl. Deubel, Fallbeispiel Solingen: Wettbe- Zur plakativen Verstärkung dieses werbsorientierte Organisation der Kommunal- Grundeindrucks wurde insbesondere gerne verwaltung – eine integrierte Modernisie- verwiesen auf rungs- und Konsolidierungsstrategie, in: Naschold/Oppen/Wegener, Innovative Kom- das damals nicht vorhandene Liegen- Ministerialrat Dr. munen, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, S. 125 schaftsmanagement, das obendrein noch (135 ff.). Ulrich Keilmann ist die vorhandenen Ressourcen sicherlich 5 Vgl. Deubel, Verwaltungsmodernisierung Grundsatzreferent nicht ausreichend abbildete,4 sowie durch mehr Wettbewerb, a.a.O., S. 153. Haushalt im Ministeri- 6 Vgl. das Gesetz zur Fortentwicklung des um der Finanzen Rhein- die nicht vorhandenen Rückstellungen Haushaltsrechts von Bund und Ländern land-Pfalz, Mainz. zur Finanzierung künftiger Pensions- (Haushaltsrechts-Fortentwicklungsgesetz) ausgaben.5 vom 22. Dezember 1997, BGBl. I, S. 3251 ff.
236 Verwaltung und Management 11. Jg. (2005), Heft 5, S. 236-243 Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann, Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung
Systematik zumindest im Kernhaushalt7 Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass schnelle und nicht immer homogene Ent- über mehr oder weniger deutlich modifi- wir mit der Optimierung der Kameralistik wicklung in der vergangenen Zeit, die ge- zierte Systeme8 bis hin zum völligen Para- nicht sämtliche kleinteiligen Optimie- rade zu den eingangs beschriebenen unter- digmenwechsel mit kaufmännischer Buch- rungspotenziale der Doppik allumfassend schiedlichsten Weiterentwicklungsprozes- führung und outputorientierter Steuerung werden erschlagen können, dennoch ren- sen führte, die von der Beibehaltung der durch Plankostenrechnung.9 Folgen dieses tiert sich diese Vorgehensweise allein Kameralistik über die Einrichtung output- Paradigmenwechsels sind einerseits im- schon vor dem Hintergrund der immensen orientierter Produkthaushalte bis hin zur mense Aufwände, die – ohne sie vollstän- Kosten, die im Rahmen der flächen- kaufmännisch geführten Buchhaltung rei- dig aufzählen zu wollen – von der Ein- deckenden Umstellung auf ein doppisches chen.12 führung eines neuen Rechnungswesens mit Buchungssystem zwangsläufig auflaufen Gerade die Ausweitung der Deckungs- all seinen Kostenfolgen (Software, Hard- werden, denen aber bislang von nieman- fähigkeits- und Übertragbarkeitsregelun- ware, Schulungsaufwand für die neue IT, dem ein adäquater, messbarer Vorteil ge- gen13 sowie entsprechender Kopplungsver- Umschulungsaufwand auf neues Rech- genübergestellt wurde. Folglich haben wir merke gem. § 8 BHO/LHO erlauben es, nungswesen etc.) über die dadurch ausgelö- die o.a. vier wesentlichen Abweichungen jede altbekannte und oftmals in der Tat ste zwingende komplette Reorganisation der Landesverwaltung mit all ihren kriti- schen Auswirkungen auf die Verfahrensab- »Die Haushalte von Bund, Ländern und läufe innerhalb des Dienstbetriebs bis hin zu dem nicht zu unterschätzenden erhebli- Kommunen sind seit Jahrzehnten strukturell chen Beratungsbedarf reichen, ohne dass andererseits eine Einsparmöglichkeit auch defizitär, weil die Produktivität in der nur in etwa in der gleichen Größenordnung von den Befürwortern des radikalen Para- öffentlichen Verwaltung deutlich langsamer digmenwechsels aufgezeigt werden könnte. Ungeachtet dieser nicht abzusehenden wächst als in der Privatwirtschaft.« und abzuschätzenden Kostenfolge geht die internationale Entwicklung ebenfalls in oder Defizite der Kameralistik mit dem sinnlose Mittelbindung (Stichwort: De- diese Richtung,10 die früher oder später Ziel angegangen, sie mit möglichst einfa- zemberfieber) beheben zu können, wenn auch alle Verwaltungsebenen in Deutsch- chen und kostengünstigen Lösungsalterna- man es nur will. land flächendeckend erfassen dürfte. tiven zu beheben. Auf dieser Basis14 wurde in Rheinland- Vor diesem Hintergrund stellt sich die Pfalz das Bonus-Malus-System eingeführt, Frage, ob der Weiterentwicklungsprozess das Anreizsystem für wirtschaftliches und Starres und unflexibles Haushaltrecht sich tatsächlich derart schnell, radikal und sparsames Verwaltungshandeln ist. Da- kostenintensiv vollziehen muss, wie er von Die Kritik eines starren und unflexiblen nach sind definierte Ausgabearten zu un- den Befürwortern betrieben wird, oder ob Haushaltsrechts mag in früheren Zeiten terschiedlichen Prozentsätzen übertragbar das bisherige kamerale System nicht so durchaus seine Berechtigung gefunden ha- und können zudem in bestimmten Fällen überarbeitet und angepasst werden kann, ben. Spätestens mit dem Haushaltsrechts- auch für andere Zwecke verwendet wer- dass einerseits die Mitarbeiter in den Um- Fortentwicklungsgesetz11 ist dieser Vor- den. Gleichzeitig sind Mehrausgaben – so- steuerungsprozess eingebunden und mitge- wurf jedoch obsolet. Das zeigt deutlich die weit sie nicht anderweitig ausgeglichen nommen werden können und andererseits man diese immensen Kostenfaktoren, die aus Steuermitteln finanziert werden müs- 7 Vgl. Deubel, Wettbewerbsorientierte Organi- sen, nicht aufwenden muss und man den- sation der Kommunalverwaltung, a.a.O., S. 10 Vgl. Lüder, Das Speyerer Verfahren vor dem noch – zumindest sukzessive – einen 131 f.; Keilmann, Personalausgabenbudgetie- Hintergrund neuerer internationaler Entwick- lungen im öffentlichen Rechnungswesen, in: Großteil der Steuerungsoptionen erzielt. rung – Die Entwicklung in Rheinland-Pfalz seit 1996, Teile 1 bis 4, in: Verwaltung und Finanzreform – Transferrecht als Reform, 2. Management 2001, S. 160 ff., 241 ff., 311 ff. Ausgabe 2004, S. 108 (112 ff.). und 374 ff.; Keilmann, Perspektiven des 11 Vgl. oben Fn. 6. Lösungsmodell Rheinland-Pfalz Haushalts- und Finanzmanagements aus der 12 Vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Sicht des Landes Rheinland-Pfalz, in: Hill Brenski (Hrsg.) im Auftrag des Unteraus- (Hrsg.), Bestandsaufnahme und Perspektiven schusses Allgemeine Verwaltungsorganisati- Die rheinland-pfälzische Landesregierung des Haushalts- und Finanzmanagements, on des Arbeitskreises VI der Innenminister- verfolgt insgesamt einen bodenständigen 2005, S. 131 ff. konferenz, Aktivitäten auf dem Gebiet der Politikstil, der unter anderem darauf ab- 8 Vgl. zur gesamten Entwicklung der neuen Staats- und Verwaltungsmodernisierung in zielt, behutsam und mit Augenmaß Ziele Steuerungsmodelle beim Bund und in den den Ländern und beim Bund, Speyerer For- Ländern die systematische Zusammenstellung schungsbericht 233, Speyer 2004. zu definieren und gemeinsam umzusetzen. von Brenski (Hrsg.) im Auftrag des Unteraus- 13 Vgl. insofern die Änderungen in § 15 Abs. 1 Dazu passt es nicht, einen radikalen, ko- schusses Allgemeine Verwaltungsorganisation und 2 HGrG. stenintensiven Paradigmenwechsel zu be- des Arbeitskreises VI der Innenministerkonfe- 14 Zur Entwicklung der Neuen Steuerungsmo- treiben, der darüber hinaus noch gegen zu renz, Aktivitäten auf dem Gebiet der Staats- delle in Rheinland-Pfalz vgl. Deubel, Flexible erwartende Widerstände durch- und umge- und Verwaltungsmodernisierung in den Län- Budgetierung, in: Hill/Klages (Hrsg.), Die dern und beim Bund, Speyerer Forschungsbe- Rolle des Parlaments in der Neuen Steuerung, setzt werden müsste. Entsprechend versu- richt 233, Speyer 2004. Düsseldorf 1998, S. 73 ff.; Keilmann, Die chen wir seit Jahren, das bestehende kame- 9 Vgl. Noe/Hofmann, Verwaltungsreform in Personalausgabenbudgetierung in Rheinland- rale System im Rahmen eines bemerkens- Hessen – Die Einführung einer Neuen Ver- Pfalz, DÖV 2000, S. 8 ff.; Keilmann, Perso- wert flexiblen Haushaltsrechts weiter zu waltungssteuerung mit doppelter Buch- nalausgabenbudgetierung – Die Entwicklung führung, Finanzwissenschaftliches Arbeitspa- in Rheinland-Pfalz seit 1996, Teile 1 bis 4, in: entwickeln und zu optimieren, um die ge- pier der Justus-Liebig-Universität Giessen Nr. Verwaltung und Management 2001, S. 160 nannten Defizite nivellieren zu können. 69 – 2004, S. 6 ff. m.w.N. ff., 241 ff., 311 ff. und 374 ff.
VM 5/2005 237 Öffentliches Rechnungswesen: Pragmatismus statt reiner Lehre werden können – im folgenden Haushalts- rein kameralen System nicht immer hinrei- Grundlage für diesen Wandel war die jahr einzusparen.15 chend transparent abbilden, weil dort prin- Schaffung einer Wettbewerbssituation Parallel zur Ausgestaltung des Bonus- zipiell nur die Zahlungsströme dargestellt durch die schlichte Ausgliederung der Malus-Systems wurden von der Landesre- werden. Staatsbauverwaltung in die Form eines gierung die Parameter für die Budgetfort- Landesbetriebs. Die dadurch erreichte An- schreibung festgelegt, um den Ressorts Die Immobilienverwaltung gebots- und Nachfragesituation schuf auf eine mittelfristige Planung zu ermöglichen. beiden Seiten Anreize zu wirtschaftlichem Maßgeblicher Eckpunkt der künftigen Vor allem im Bereich der Immobilienver- Handeln, weil einerseits dem LBB das Budgetentwicklung war der im Dienstlei- waltung wurde früher in den öffentlichen komplette Liegenschaftsmanagement ein- stungsbereich allgemein erzielbare Pro- Haushalten keine Aussage über den Res- schließlich der notwendigen Steuerungs- duktivitätsfortschritt von mindestens ein- sourcenverbrauch getroffen. Vielmehr blie- mechanismen überantwortet und anderer- einhalb Prozent jährlich. Dem entspre- ben insbesondere Wertminderungen der Im- seits den Ressorts aufgegeben wurde, für chend wurden reale Einsparungen von mobilien eine generell vernachlässigte die von ihnen genutzten Liegenschaften mindestens eineinhalb Prozent im Jahr für Größe, weil eine systematische Erfassung marktübliche Mieten zu zahlen. Damit stellte sich sehr schnell eine Marktsituation ein, in der die einzelnen Dienststellen nicht »Spätestens mit dem Haushaltsrechts- nur den eigenen aktuellen Liegenschafts- bedarf sehr kritisch hinterfragten, sondern Fortentwicklungsgesetz ist die Kritik eines darüber hinaus auch kurzfristig ein äußerst ausgeprägtes Kostenbewusstsein gegen- starren Haushaltsrechts obsolet.« über den Preisvorstellungen des ausgeglie- derten Liegenschaftsmanagements ent- wickeln, was seinerseits dazu führte, dass die Zukunft festgeschrieben, von denen al- von Vermögen und damit auch Vermögens- dort weitere Optimierungsprozesse we- lenfalls bei anderer rechtlicher oder politi- verfall nicht erfolgte. Kürzungen der Bau- sentlich früher angestoßen und umgesetzt scher Prioritätensetzung abgewichen wer- unterhaltung sind aus kameraler Sicht wurden.20 den kann.16 zunächst einmal etwas Positives.18 Rhein- Vor dem Hintergrund dieser positiven Auch die Vorschriften zur Aufstellung land-Pfalz hat daraus die Schlussfolgerung Erfahrungen haben wir nach gleichem des Haushaltsplans (§§ 8 ff. HGrG/ §§ 11 gezogen und die Immobilien in ein kauf- Schema auch die Landesbetriebe Straßen ff. BHO/ LHO) schreiben nicht zwingend männisches System ausgegliedert. Heute und Verkehr (LSV), Daten und Informati- das früher praktizierte, aber sehr aufwändi- präsentiert sich der Landesbetrieb Liegen- on (LDI) sowie Landesforsten Rheinland- ge und mit vielen Sicherheitsreserven der schafts- und Baubetreuung (LBB), der 1998 Pfalz ausgegliedert. Dienststellen ausgestattete Bottom-up- aus der ehemaligen Staatsbauverwaltung Verfahren vor, nach dem – angefangen bei entstand, als leistungsfähiges Unternehmen Der Pensionsfonds den einzelnen Ortsdienststellen – diese den mit fundierten Erfahrungen, moderner tech- geschätzten Finanzbedarf bei der jeweils nischer Ausstattung und zukunftsorientier- Nicht hinreichend transparent war auch die vorgesetzten Dienststelle melden und diese ten Strukturen. Den öffentlichen Auftragge- Situation im Bereich künftiger Versor- Ansätze sich nur durch mühsame Detail- bern wird ein umfassender Dienstleistungs- gungsausgaben. Während für die Ange- verhandlungen reduzieren ließen. Inwi- katalog vom Baumanagement bis hin zu stellten und Arbeiter in deren aktiver schen praktizieren wir hier ein für alle Sei- dem neuen Geschäftsfeld Portfolio/Facility Arbeitszeit Abführungen auch an die Ren- ten wesentlich effektiveres Gegenstrom- Management angeboten.19 tenversicherungsträger geleistet werden, verfahren. Nach dem werden vom Ministerium der Finanzen an Hand der o.a. Parameter zur Budgetfortschreibung für 15 Zur Einführung des Bonus-Malus-Systems 17 Entsprechend heißt es im sog. Aufstellungser- einzelne Ausgabenbereiche ressortweise vgl. Deubel, Flexible Budgetierung, in: lass 2005/2006 (Schreiben des Ministerium der Hill/Klages (Hrsg.), Die Rolle des Parlaments Finanzen Rheinland-Pfalz vom 19. Februar Obergrenzen für die Etatisierung vorgege- in der Neuen Steuerung, Düsseldorf 1998, S. 2004, Az.: 00 30 00 03 – 05/06 – 421), Ziff.: ben, den die jeweiligen Ressorts im Rah- 73 ff. (75 f.); Deubel, Verwaltungsmoderni- 1.2: Die Personalausgabenbudgets sowie die men ihrer jeweiligen Priorisierung für die sierung durch mehr Wettbewerb, a.a.O., S. Höhe der Ansätze der Zuführungen zum Finan- einzelnen Geschäftsfelder entsprechend 162 f.; Zu den Einzelheiten des Bonus-Malus- zierungsfonds für die Beamtenversorgung wer- Systems vgl. Keilmann, Personalausgaben- den im weiteren Verfahren mitgeteilt. 17 etatisieren können. Damit lassen sich budgetierung, Teil 2: Die Weiterentwicklung, 18 Vgl. Deubel, Wettbewerbsorientierte Organi- zum einen lange, ineffiziente Aufstellungs- Verwaltung und Management 2001, S. 241 ff.; sation der Kommunalverwaltung, a.a.O., S. verfahren vermeiden und gleichzeitig gibt Keilmann, Ausgabensteuerung in Rheinland- 135 f. es den Ressorts die benötigte Planungssi- Pfalz – Budgetierung und erste Leistungsauf- 19 Vgl. Homepage des LBB, Stand 16. Juni 2005 träge, in: Horváth (Hrsg.), Performance Con- cherheit, um politisch strategische Ziele (http://www.lbbnet.de). trolling, Stuttgart, 2002, S. 431 (436 f.) 20 Vgl. Grunwald, Neuorganisation der Staats- und Visionen auch über den nächsten 16 Zur Entwicklung der Budgetfortschreibung bauverwaltung Rheinland-Pfalz, in: Bundes (Doppel-)Haushalt hinaus wirksam verfol- vgl. Deubel, Flexible Budgetierung, in: Bau Blatt 2/1998 S. 133 ff. (159); Deubel, Pri- gen zu können. Hill/Klages (Hrsg.), Die Rolle des Parlaments vatisierungsvorhaben der Landesregierung, in: in der Neuen Steuerung, Düsseldorf 1998, S. Grimm (Hrsg.) Privatisierung und Parlamenta- 73 ff. (77 f.); Vgl. Keilmann, Personalausga- rische Rechte, Heft 2 der Schriftenreihe des Darstellung des jeweiligen benbudgetierung, Teil 2: Die Weiterentwick- Landtags Rheinland-Pfalz, Mainz 1998, S. 13 lung, Verwaltung und Management 2001, S. ff. (19 ff.); Keilmann, Perspektiven des Haus- Ressourcenverbrauchs 241 (242); Keilmann, Ausgabensteuerung in halts- und Finanzmanagements aus der Sicht Die Abbildung des Ressourcenverbrauchs Rheinland-Pfalz – Budgetierung und erste des Landes Rheinland-Pfalz, in: Hill (Hrsg.), Leistungsaufträge, in: Horváth (Hrsg.), Perfor- Bestandsaufnahme und Perspektiven des und deren Zuordnung auf die einzelnen mance Controlling, Stuttgart, 2002, S. 431 Haushalts- und Finanzmanagements, 2005, S. Aufgaben ließen sich in der Tat früher im (437). 131 (135 f.).
238 Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann, Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung wurde eine entsprechende Vorsorge für die Auch Baden-Württemberg initiierte die in der Kernverwaltung beschlossen. Eine Beamten früher nicht getroffen. Folglich Reformprozesse sehr frühzeitig mit der belastbare Kostenschätzung für das Haus- wurde weder für die steigenden Versor- Umsetzung des so genannten Horváth- haltsnotstandsland wurde bislang noch gungsausgaben finanziell vorgesorgt, noch Gutachtens28, wobei sich jedoch die Lan- nicht kommuniziert. konnten die Personalkosten für Beamten desregierung zunächst im Wesentlichen Auch die Freie und Hansestadt Ham- einerseits und Arbeitnehmern andererseits auf die flächendeckende Einführung der burg hat 2003 die Einführung der kauf- unmittelbar miteinander verglichen wer- Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) männischen Buchführung beschlossen.32 den.21 konzentrierte.29 Aber auch dieses Reform- Nach einer ersten Schätzung geht man dort Diese Schieflage wurde in Rheinland- vorhaben zeigte sich im Endeffekt teurer von mehr als moderaten Einführungsko- Pfalz früh erkannt und bereits 1996 mit dem als ursprünglich geplant und wurde vom sten in Höhe von rund 11,5 Millionen Euro »Landesgesetz über die Errichtung eines Fi- Landesrechnungshof auf mindestens 500 aus.33 Allerdings hatte bereits zuvor die nanzierungsfonds für die Beamtenversor- Millionen Euro veranschlagt.30 Finanzbehörde im Jahr 1999 die Beschaf- gung Rheinland-Pfalz«22 ein Finanzierungs- Im Gegensatz zu den Flächenländern fung von insgesamt 4.000 SAP R/3-Lizen- fonds als Anstalt des öffentlichen Rechts müssen die Stadtstaaten auch kommunalen zen sowie 5.000 Lizenzen für die Zeiter- eingerichtet. Danach bildet die Anstalt eine Versorgungsrücklage für Beamte und Rich- ter, soweit das Beamten- oder Richterver- »Über Landesbetriebe für Immobilien- hältnis nach dem 30. September 1996 be- gründet wurde.23 Die Höhe der Zuführun- verwaltung, Pensionsfonds etc. bildet der gen des Landes an den Finanzierungsfonds für die Beamtenversorgung werden versi- Haushalt in wesentlichen Teilen auch den cherungsmathematisch berechnet und vom Minister der Finanzen in der »Landesver- periodenbezogenen Ressourcenverbrauch ordnung über die Zuführungen des Landes sowie notwendige Rückstellungen ab.« an den Finanzierungsfonds für die Beam- tenversorgung Rheinland-Pfalz vom 5. Ok- tober 1996« festgesetzt.24 Besonderheiten bei der Einführung neuer fassung (CATS) mit einmaligen Lizenzko- Damit trifft die Anstalt nicht nur Vor- Steuerungsinstrumente Rechnung tragen. sten von rund 4,9 Millionen Euro mit der sorge für künftige Versorgungslasten, son- Vor diesem Hintergrund hatte die Freie SAP AG vertraglich vereinbart.34 dern Hansestadt Bremen von Anfang an einen In der Bundeshauptstadt Berlin wurde in schafft darüber hinaus eine Kosten- primär produktgruppenorientierten Haus- allen Senatsverwaltungen und Bezirken ab transparenz und unmittelbare Ver- halt vor Augen, der zusätzlich zum kame- Mai 1999 einheitlich erweiterte Regelungen gleichbarkeit zwischen den Kosten für ralen Haushalt dem Parlament zur Ent- zur Deckungsfähigkeit eingeführt sowie Beamte und Angestellte und scheidung vorgelegt wird. Begleitend dazu konzeptionell und technisch die Kosten- behebt damit für diesen Bereich das erfolgt ein Controlling, mit dem die Ein- und Leistungsrechnung nahezu flächen- Manko des kameralen Systems, zukünf- haltung der im Produktgruppenhaushalt deckend im Land Berlin eingeführt. Die so tige Ausgabeverpflichtungen nicht ab- enthaltenen Budget-, Personal- und Lei- erhobenen KLR-Daten werden im Rahmen bilden zu können. stungsziele überwacht werden.31 Zur Wei- der so genannten outputorientierten Budge- terentwicklung hat der Senat am 18. März tierung dazu genutzt, Stückkostenvergleiche Die Neuen Steuerungsmodelle 2003 die flächendeckende Einführung des flächendeckend über alle Verwaltungspro- betriebswirtschaftlichen Rechnungswesens dukte durchzuführen, um so die Finanzmit- Parallel dazu wurde mit dem Haushalts- rechts-Fortentwicklungsgesetz25 ab 1998 die rechtliche Grundlage dafür gelegt, den 29 Vgl. Brenski (Hrsg.) im Auftrag des Unter- 21 Vgl. Mittler, Es geht um die Anreize, in: ausschusses Allgemeine Verwaltungsorgani- bis dahin nicht immer hinreichend transpa- Behörden Spiegel vom 10. Juni 2005. sation des Arbeitskreises VI der Innenmini- rent dargestellten Ressourcenverbrauch 22 GVBl. 1996, S. 152 ff. sterkonferenz, Aktivitäten auf dem Gebiet der besser abbilden und die öffentliche Ver- 23 Vgl. § 2 des Landesgesetzes über die Errich- Staats- und Verwaltungsmodernisierung in waltung insgesamt stärker betriebswirt- tung eines Finanzierungsfonds für die Beam- den Ländern und beim Bund, Speyerer For- tenversorgung Rheinland-Pfalz vom 12. März schungsbericht 233, Speyer 2004, S. 19 ff. schaftlich orientiert ausrichten zu können, 1996 (BeamtVFinFondsG RP), a.a.O. 30 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. was der Bund und die Länder bislang in 24 Die Festsetzung der Vomhundertsätze ist bei September 2003, SPD wirft Teufel Ver- unterschiedlichem Umfang umsetzten.26 sich ändernden Verhältnissen anzupassen (vgl. schwendung vor. So nutzt Hessen seit dem diese rechtli- § 3 Abs. 1 S. 3 BeamtVFinFondsG RP). In der 31 Vgl. Rechnungshof der Freien Hansestadt Gesetzesbegründung dazu heißt es, dass eine chen Möglichkeiten, um flächendeckend Bremen, Jahresbericht 2005, S. 120 ff.; Freie Überprüfung spätestens alle fünf Jahre erfol- Hansestadt Bremen, Geschäftsführung der ein kaufmännisches Rechnungswesen mit gen soll. Staatsräteklausur »Neuordnung der Aufgaben- einem geschätzten Ausgabevolumen von 25 Vgl. oben Fn. 6. wahrnehmung«, Programm Neuordnung der rund 250 Millionen Euro einzuführen.27 26 Vgl. dazu oben Einleitung/Problemaufriss. Aufgabenwahrnehmung, Konzept und Reali- Bezeichnenderweise spiegelt dieser Betrag 27 Vgl. Brückmann, Plenarprotokoll des Hessi- sierung, Erfahrungsbericht vom 6. August schen Landtags 15/120 vom 31. Oktober 2002 2002, S. 2 ff. nicht die vollständige Kostenstruktur wi- zur Aktuellen Stunde (Landesregierung pro- 32 Vgl. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt der, denn verwaltungsinterne Kosten für duziert Chaos bei der Einführung und Umset- Hamburg, Drs. 17/3161 vom 5. August 2003. Personal, Material, Räumlichkeiten, IT- zung von SAP R/3), S. 8372; Giezewski, Op- 33 Vgl. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Ausstattung, korrespondierende Gemein- position warnt vor SAP-Chaos, in: Mainzer Hamburg, Drs. 17/3161 vom 05. August kosten sowie deren Werteverzehr wurden Allgemeine Zeitung vom 30. Oktober 2003. 2003, S. 10 f. mit einer weiteren Aufschlüsse- 28 Vgl. Gutachten der Firma Horváth & Partner lung der Kostenanteile. in diese Berechnung wohl erst gar nicht GmbH für Baden-Württemberg vom 25. Au- 34 Vgl. Jahresbericht des Rechnungshofs der aufgenommen. gust 1997. Freien und Hansestadt Hamburg 2004, S. 62.
VM 5/2005 239 Öffentliches Rechnungswesen: Pragmatismus statt reiner Lehre
Tabelle 1 telbedarfe für die Bezirke ermitteln und esse an einer solchen Darstellung, und die Landtag hält an dem an kameralen Prinzi- dann in Höhe der durchschnittlichen Ver- politische Führung wird ein einmal begon- pien orientierten Aufbau des Landeshaus- waltungskosten (Median) je Produktmenge nenes Großprojekt immer als erfolgreich halts fest. Er strebt aus Gründen der Prakti- zuweisen zu können. Ab 2005 erfolgt die verkaufen. Lediglich die Rechnungshöfe kabilität keine prinzipielle Abkehr von die- Zuweisung der Produktsummenbudgets flä- wagen ab und an, zumeist allerdings nur im ser gewachsenen Struktur an. In vielen chendeckend auf dieser Basis.35 Im Gegen- Nachhinein, eine kritische Sichtweise. Bereichen des rheinland-pfälzischen Lan- satz zur Situation in den beiden zuvor be- In Rheinland-Pfalz ist man mit der deshaushaltes werden bereits zusätzlich schriebenen Stadtstaaten hat Berlin bislang flächendeckenden Einführung alles revolu- Aufwendungen im betriebswirtschaftlichen noch nicht beschlossen, die kaufmännische tionierender Systeme eher zurückhaltend. Sinne berücksichtigt. So spiegeln sich zum Buchführung einzuführen, eventuell sogar Zu oft hat sich schon nach der ersten Eu- Beispiel die Aufwendungen für Hochbau- aus purer Finanznot.36 phorie blanke Ernüchterung breit gemacht, ten und Straßen sowie teilweise auch die Auch das Land Nordrhein-Westfalen weil das neue System in der praktischen Aufwendungen für künftige Pensionslasten hat bereits kurz nach dem Regierungs- Umsetzung dann doch nicht ganz so rei- im Etat wider. Der Haushalt bildet daher in wechsel in 2005 die Umsetzung des noch bungslos funktionierrt, wie ursprünglich wesentlichen Teilen auch den periodenbe- unter der Vorgängerregierung aufgesetzten geplant. Auch bei der Einführung der Dop- zogenen Ressourcenverbrauch sowie not- Konzepts EPOS.NRW37 beschlossen, des- pik wird man immer wieder völlig über- wendige Rückstellungen ab.«41 sen zentraler Ansatz38 in der Umstellung rascht feststellen, In der Tat muss man sich fragen, wie auf ein System der integrierten Verbund- dass auch dort die Grundsätze der Ma- groß die Steuerungsrelevanz noch ist, nach- rechnung auf der Grundlage der doppelten thematik gelten und man leider nicht Buchführung (Doppik) zu sehen ist.39 Das die Einnahmen doppelt und die Ausga- 35 Vgl. Brenski (Hrsg.) im Auftrag des Unteraus- korrespondierende Gutachten sieht in ei- ben nur hälftig rechnen kann schusses Allgemeine Verwaltungsorganisation nem Zehnjahreszeitraum die in Tabelle 1 dass der Begriff der »kreativen Buch- des Arbeitskreises VI der Innenministerkonfe- renz, Aktivitäten auf dem Gebiet der Staats- dargestellten wesentlichen Kosten- und führung« nicht originär dem kameralen und Verwaltungsmodernisierung in den Län- Nutzenstrukturen.40 Rechnungswesen entstammt dern und beim Bund, Speyerer Forschungsbe- Die Kostenschätzungen in Höhe von dass man das durch Alltagsfragen be- richt 233, Speyer 2004, S.77 ff. rund 430 Millionen Euro erscheinen im lastbare Know-How nicht im Hause hat, 36 Vgl. zur angespannten Finanzsituation in Ber- Vergleich zu den Kostenschätzungen aus sondern zunächst über Beratungslei- lin Weinzen, Hauptstadt, Mauerstadt, Stadt- staat – wie Berlin finanzieren?, in: Recht und Hessen und Baden-Württemberg durchaus stung teuer einkaufen muss Politik 2004, S. 218 ff. m.w.N. realistisch. Dagegen vermag die gleichzei- dass man »Standard-Software« leider 37 EPOS.NRW steht für: Einführung von Pro- tig miterstellte Nutzenstruktur, nach der be- erst an die Bedürfnisse der öffentlichen dukthaushalten zur outputorientierten Steue- reits 2009 ein Break-Even erreicht und bis Verwaltung – gegen angemessenen Ent- rung. Neues Rechnungswesen. zum Ende des Betrachtungszeitraums ein gelt – anpassen lassen muss – was sich 38 Neben der flächendeckenden Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung, aus der die »Überschuss« von rund 640 Millionen bei jedem Release zum Geldsegen der Daten für den Produkthaushalt generiert und Euro erwirtschaftet werden würde, nicht Industrie regelmäßig wiederholt die Binnensteuerung der budgetierten Behör- wirklich zu überzeugen. Die Erfahrung mit dass auch dort ein Benchmark Abgren- den unterstützt werden soll. vielen Beratern lässt eher als Muster ver- zungsfragen und Probleme aufwirft, de- 39 Vgl. Fachliches Rahmenkonzept zur Ein- führung des Produkthaushalts auf der Basis muten, dass zunächst die Kosten (meist zu nen man nachgehen muss. der integrierten Verbundrechnung, herausge- niedrig) geschätzt werden, um in einem Entsprechend hat Rheinland-Pfalz nur in geben vom Finanzministerium NRW, Koordi- zweiten Schritt eine ambitionierte Einspar- denjenigen Bereichen, die sich auf Grund nierungsgruppe EPOS.NRW und arf Gesell- vorgabe festzulegen, damit sich das Projekt ihrer Größe, Struktur und ihrer (wirtschaft- schaft für Organisationsentwicklung mbH, Stand Februar 2005, S. 8. wirtschaftlich gut begründen lässt. In ei- lichen) Ausrichtung eignen (wie beispiels- 40 Refaconsult und BMS Consulting, Ermittlung nem dritten Schritt werden die notwendi- weise bei der Immobilienverwaltung), sich der Kosten und Einschätzung des Nutzens der gen Einsparungen in zu erwartende Ko- für die Einführung des kaufmännischen Einführung von Produkthaushalten auf Basis stenreduzierungen umdefiniert und auf eine Rechnungswesens entschieden. Darüber der Ergebnisse von Kosten- und Leistungs- rechnungen in der Landesverwaltung Nord- Vielzahl von Personal-, Sach- und entfal- hinaus bleibt der Landeshaushalt kameral rhein-Westfalen, Abschlussbericht, Februar lende Investitionsausgabenpositionen ver- aufgebaut. In einem entsprechenden Be- 2005, S. 67, 99, 110 und 123. teilt. Die Promotoren haben ein Eigeninter- schluss des Landtags heißt es dazu: »Der 41 Vgl. LTag-Drs. 14/2890 vom 5. Februar 2004.
240 Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann, Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung dem die großen, weitgehend betriebswirt- des Statistischen Landesamtes Input- versus outputorientierter schaftlich steuerbaren Bereiche (LBB, LSV, des Landesamtes für Vermessung und Steuerung Forsten, LDI, Klinikum etc.) ausgegliedert Geobasisinformation sowie sind sowie ein Pensionsfonds eingerichtet des Informationssystems »EWOIS«45 Ein weiterer Kritikpunkt am kameralen ist. Alle wesentlichen Unterschiede zwi- den auftraggebenden Ressorts in Rech- System ist die inputorientierte Ausrich- schen Kameralistik und Doppik sind damit nung gestellt und intern über die Ober- tung, die es gerade den Abgeordneten erfasst und in den Kernhaushalt eingepreist. gruppen 38 und 98 verrechnet. nicht hinreichend erlaube, die Wirkung des Eine ganz andere Frage ist die notwen- Zur Transparenzsteigerung haben wir par- etatisierten Mitteleinsatzes abschätzen und dige Einführung einer Kosten- und Lei- allel zu den verschiedenen Maßnahmen ein vorgeben zu können. stungsrechnung. Aber auch hier versuchen Berichtswesen46 aufgebaut, das in weitest- Auch insoweit sehen wir in Rheinland- wir, unserer Strategie der differenzierten gehend standardisierter Form verschiedene Pfalz keine zwingenden Gründe, sofort und Verwaltungsoptimierung42 gerecht zu wer- steuerungsrelevante Parameter (Entwick- unmittelbar auf die kaufmännische Buch- den, indem wir gerade nicht vorgeben, die lung und Prognose der Personalausgaben, führung umzustellen. Vielmehr kann auch Kosten- und Leistungsrechnung flächen- deckend bis zu einem bestimmten Endter- min einführen zu müssen. Vielmehr müs- »Auch im kameralen Rechnungswesen kann sen auch hier die Bediensteten auf dem Umsteuerungsprozess mitgenommen und eine deutlich stärkere Outputorientierung motiviert werden, die Kosten- und Lei- stungsrechnung einführen zu wollen, weil erreicht werden, ohne die Vorteile des sie deren Vorteile als richtig und deren Umsetzung als notwendig erkannt haben. inputorientierten Haushaltsaufstellungs- Selbstverständlich lassen wir unsere Res- sorts, Dienststellen und Mitarbeiter in die- verfahrens über Bord zu werfen.« sem Umorientierungsprozess nicht allein, sondern versuchen aktiv, diese Umstellung Zahlfälle, sächlichen Verwaltungsausga- im kameralen Rechnungswesen mit einfa- zu begleiten. Insofern haben wir zunächst ben, Investitionsausgaben, Leistungsauf- chen, pragmatischen Mitteln eine deutlich einen landesweit einheitlichen Standard träge, KLR-Rahmendaten und Selbstbe- stärkere Outputorientierung erreicht wer- zur Einführung der Kosten- und Leistungs- wirtschaftungsmittel) in einfachen, vorge- den, ohne dabei die für die öffentliche Ver- rechnung festgelegt, der einen Rahmen gebenen Matrizen regelmäßig bei den waltung unbestreitbaren Vorteile des input- vorgibt, innerhalb dessen die KLR-Ein- Ressorts abgefragt,47 bewertet und dem orientierten Haushaltsaufstellungsverfah- führung – unter Berücksichtigung indivi- Landtag berichtet.48 Daneben wurde ein rens gänzlich über Bord zu werfen. Die dueller Anforderungen – ablaufen kann.43 Frühwarnsystem installiert, das alle Res- korrespondierende Diskussion um eine Zum anderen haben wir eine so genannte sorts verpflichtet, dann besonders zu be- stärkere Outputorientierung stand bei uns Task Force eingerichtet, deren Aufgabe es richten, wenn die vom Ressort zweimonat- jedoch nicht allein im Fokus, sondern wur- ist, die zunächst nur allgemein an einer lich zu erstellende Hochrechnung der Aus- de parallel ganz stark auch geprägt vom KLR-Einführung interessierten Dienststel- gaben zum Jahresende das Haushaltssoll Budgetrecht des Parlaments,50 von einer len von dem Sinn und den Wirkungswei- um mehr als 0,3 Prozent übersteigt.49 möglichen Neuausrichtung des Verhältnis- sen einer Kosten- und Leistungsrechnung zu überzeugen sowie die zur Einführung 42 Vgl. dazu Keilmann, Perspektiven des Haus- 50 Vgl. Schmitt/Reinemann, Haushaltsreform der Kosten- und Leistungsrechnung bereits halts- und Finanzmanagements aus der Sicht und Budgetrecht in Rheinland-Pfalz – Stand des Landes Rheinland-Pfalz, in: Hill (Hrsg.), und Perspektiven, in: Verwaltung und Mana- entschlossenen Dienststellen auf ihrem gement 2004, S. 116 ff.; Brink/Reinemann, Einführungsprozess zu begleiten. Im Zen- Bestandsaufnahme und Perspektiven des Haushalts- und Finanzmanagements, 2005, S. Parlamente im Prozess der Verwaltungsmo- trum steht dabei die ganz praktische Hilfe, 131 (132 ff.). dernisierung, Verwaltung und Management 2002, S. 265 ff.; sowie umfassend bei Grimm indem wir assistieren 43 Vgl. Handbuch der standardisierten Kosten- (Hrsg.) Haushaltsreform und Parlamentari- und Leistungsrechnung in Rheinland-Pfalz, die Milestones festzulegen sches Budgetrecht in Rheinland-Pfalz, Heft 15 LTag-Vorlage 13/4417 vom 13. Oktober maßvoll Produkte zu definieren der Schriftenreihe des Landtags Rheinland- 2000. eine Softwareauswahl zu treffen Pfalz, Mainz 2001. 44 Zu den Auswirkungen des »Nulltarifs« vgl. 51 Vgl. zur Neuausrichtung des Verhältnisses von erste Auswertungen zu fahren und ne- Deubel, Verwaltungsmodernisierung durch Parlament und Regierung: Hill, Zur Sicherung ben vielem anderen mehr mehr Wettbewerb, a.a.O., S. 153. des parlamentarischen Budgetrechts im Neuen ein Berichtswesen aufzubauen. 45 Einwohnerinformationssystem Rheinland- Steuerungsmodell, DÖV 2001, S. 793 ff.; Mit anderen Worten bieten wir für den Pfalz. Schneider, Regulierung staatsinterner Selbstre- Einführungsprozess weitgehend ein kom- 46 Zur Entwicklung des Berichtswesens im Ein- gulierung am Beispiel des Haushaltswesens, zelnen vgl. Keilmann, Personalausgabenbud- plettes Coaching an. in: Regulierte Selbstregulierung als Steue- getierung – Die Entwicklung in Rheinland- rungskonzept des Gewährleistungsstaates; Er- Daneben haben wir die früher ge- Pfalz seit 1996, Teile 1 bis 4, in: Verwaltung gebnisse des Symposiums aus Anlass des 60. bührenfreien verwaltungsinternen Leistun- und Management 2001, S. 160 ff. (163); 241 Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem, gen erstattungspflichtig gestellt und damit ff. (242); 311 ff. (313) und 374 ff. (375). 2001, S. 177 (184) m.w.N.; Schmitt/ Reine- 47 Vgl. Verwaltungsvorschrift des Ministeriums ein entsprechendes Kostenbewusstsein in mann, Haushaltsreform und Budgetrecht in der Finanzen, MinBl. 2005, S. 98 ff. Ziff. 3. 10 Rheinland-Pfalz – Stand und Perspektiven, in: 44 den einzelnen Dienststellen erzeugt. Ent- ff. mit korrespondierenden Anlagen 1 bis 5. Verwaltung und Management 2004, S. 116 ff.; sprechend werden die Kosten für die Inan- 48 Vgl. beispielsweise den jüngsten sog. Budget- Edinger, Änderungen der Landeshaushaltsord- spruchnahme bericht 2004, LTag-Drs. 14/3998 vom 29. nung Rheinland-Pfalz (Leistungsauftrag und der Zentralen Besoldungs- und Versor- März 2005. Sicherung des Budgetrecht des Landtags), in: 49 Vgl. Keilmann, Personalausgabenbudgetie- Hill (Hrsg.), Parlamentarische Steuerungsord- gungsstelle für insbesondere die Zahl- rung, Teil 2: Die Weiterentwicklung, Verwal- nung, Speyerer Forschungsbericht 220, 2001, barmachung von Bezügen tung und Management 2001, S. 241 ff. (242 f.). S. 15 ff.; Keilmann, Vorstellung des ersten
VM 5/2005 241 Öffentliches Rechnungswesen: Pragmatismus statt reiner Lehre ses von Parlament und Regierung51 sowie transparent, insbesondere für das Parla- die häufig in abstrakter Form in politi- davon, die bisherige zu detailorientierte ment, aber auch für die Landesregie- schen Programmen, etwa in einer Ko- Ausgestaltung des Haushaltsverfahrens rung, denn Leistungsaufträge sind nicht alitionsvereinbarung, enthalten sind transparenter zu gestalten.52 nur der Auftrag des Parlamentes an die politisch, denn die politisch gesteckten Vor diesem Hintergrund wurden mit der Landesregierung, sondern auch Aufträ- Ziele werden in eine möglichst quantifi- Novelle der Landeshaushaltsordnung ge der Landesregierung im Einverneh- zierbare Form gebracht, obwohl wir Rheinland-Pfalz53 neben der Anpassung an men mit dem Parlament an nachgeord- auch Leistungsaufträge haben, die sich die vorstehenden Änderungen im Rahmen nete Bereiche, um bestimmte Ziele mehr auf qualitativem Niveau bewegen. des Haushaltsrechts-Fortentwicklungsge- umzusetzen Wir versuchen allerdings zu erreichen, setzes54 sowohl die Kontroll- und Steue- visionär, weil er für die Zukunft sehr dass die Leistungsaufträge messbar und rungsinstrumentarien des Parlaments aus- ambitionierte Vorstellungen formuliert, nachprüfbar sind.61 geweitet,55 um damit sowohl die Transpa- renz des Haushalts insgesamt zu verbes- sern,56 als auch ein parlamentarisches Rahmenentwurfs einer Parlamentarischen Workshop zur politischen Steuerung durch Gegengewicht zu der der Exekutive zuge- Steuerungsordnung, in Hill (Hrsg.), Parlamen- Zielvorgaben im Haushalt im Landtag Rhein- tarische Steuerungsordnung, Tagung vom 12. land-Pfalz am 16. Februar 2005, Heft 28 der wachsenen Ausführungsflexibilität im und 13. Oktober 2000 beim Forschungsinstitut Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, Haushaltsvollzug zu schaffen.57 Gleichzei- für öffentliche Verwaltung bei der Deutschen Mainz 2005 (im Erscheinen); sowie Keilm- tig wurde das primär outputorientierte und Hochschule für Verwaltungswissenschaften ann/Hermonies, Der Leistungsauftrag, Ver- bislang bundesweit einmalige Instrument Speyer, 2001, Speyerer Forschungsbericht waltung und Management 2004, S. 306 ff. 220, S. 135 ff. des Leistungsauftrags58 in die Landeshaus- 60 § 7 Landeshaushaltsgesetz 2005/2006 lautet: 52 Vgl. den gemeinsamen Beschluss der Fraktio- (1) Zur Ergänzung und Fortentwicklung mo- 59 haltsordnung mit aufgenommen. Ziel da- nen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS derner Haushaltsinstrumentarien wird das erst- nach ist, die von der Politik vorgegebenen 90/DIE GRÜNEN, Moderne Strukturen für mals im Haushaltsplan 2002 zur leistungsbezo- Ziele, Perspektiven, Motivationen mög- den Landeshaushalt: Transparenz erhöhen, genen Planaufstellung und -bewirtschaftung Steuerungsmöglichkeiten verbessern vom 05. lichst kennzahlenorientiert darzustellen und ausgebrachte Instrument des Leistungsauftrags Februar 2004, LTag-Drs. 14/2890; grdsl. zu (§ 7b LHO) als Pilotprojekt weitergeführt. Ziel abzubilden, um sie nach Ablauf der vorge- dieser Thematik: Hoffmann-Riem, Finanzkon- ist es, durch eine in erster Linie aufgaben-, pro- gebenen Zeit auf ihren Realisierungs- und trolle als Steuerungsaufsicht im Gewährlei- dukt- und wirkungsorientierte Betrachtungs- Umsetzungsgrad überprüfen zu können. stungsstaat, DÖV 1999, S. 221 ff. (225). weise des Verwaltungshandelns das Kosten- Entsprechend wurde der Leistungsauftrag 53 Vgl. GVBl. 2000, S. 47 ff.; vgl. dazu auch und Leistungsbewusstsein sowie einen effekti- Grimm (Hrsg.) Haushaltsreform und Parla- veren Einsatz der vorhandenen Ressourcen im in § 7b LHO wie folgt definiert: mentarisches Budgetrecht in Rheinland-Pfalz, Sinne von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (1) Wird bei der Aufstellung und Aus- Heft 15 der Schriftenreihe des Landtags zu fördern. führung des Haushaltsplans von den Mög- Rheinland-Pfalz, Mainz 2001, S. 61 ff. (2) Haushaltssystematisch abgegrenzte Ausga- lichkeiten nach den §§ 7a, 8, 19 und 20 54 Vgl. dazu oben Fn. 6 und die darauf erfolgten bebereiche des Haushaltsplans (Kapitel, Titel- Änderungen in § 7a LHO (leistungsbezogene gruppen) können mit Leistungsaufträgen ver- Gebrauch gemacht, kann die Veranschla- Planaufstellung und bewirtschaftung), § 19 bunden werden, wonach in einem Entwick- gung von Einnahmen, Ausgaben und Ver- LHO (Übertragbarkeit), § 20 LHO lungsprozess quantitativ und qualitativ pflichtungsermächtigungen im Haushalts- (Deckungsfähigkeit), § 71a LHO (Buch- definierte Leistungen im Rahmen der bereitge- plan mit einem Auftrag verbunden werden, führung und Bilanzierung nach den Grundsät- stellten Haushaltsmittel zu erbringen sind. Der zen des HGB) und § 7 Abs. 3 LHO (Ein- Leistungsauftrag wird im Rahmen der Haus- in dem für bestimmte Aufgaben Kosten- führung der KLR). haltsaufstellung konzipiert. Er hat insbesonde- und Leistungsziele beschrieben werden 55 Vgl. insoweit § 20a LHO (Sicherung des Bud- re die rechtlichen Grundlagen für die betreffen- (Leistungsauftrag). getrechts des Landtags durch unter anderem den Aufgaben anzugeben, die Gesamtstrategie (2) Der Leistungsauftrag legt für einzelne regelmäßiges Berichtswesen) und § 112a in dem jeweiligen Politikfeld oder Aufgaben- LHO (Zustimmungsvorbehalt des Landtags zusammenhang zu beschreiben sowie die vor- Aufgaben oder Aufgabenbereiche Ziel- bei anstehenden Auslagerungen aus dem Lan- aussichtlichen Kosten, Leistungen und Wir- größen fest, die bei der Ausführung des deshaushalt). kungen darzustellen. Geeignete Informations- Haushaltsplans erreicht werden sollen. 56 Vgl. Gesetzesbegründung in LTag-Drs. und Steuerungsinstrumente zur Erreichung der (3) Gegenstand des Leistungsauftrages 13/4660 vom 13. September 1999, S. 11 f. Zielvorgaben sind Zug um Zug zu entwickeln. können insbesondere Zielgrößen sein, die und 13/5230 vom 13. Januar 2000 sowie die (3) Zur Konkretisierung des Leistungsauftrags umfassende Darstellung bei Grimm (Hrsg.) wird zwischen der verantwortlichen Stelle und den Umfang, die Kosten, die Qualität oder Haushaltsreform und Parlamentarisches Bud- dem einzelplanbewirtschaftenden Ressort un- Wirkungen von Verwaltungsleistungen be- getrecht in Rheinland-Pfalz, Heft 15 der ter Beteiligung des für die Finanzangelegen- schreiben. Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, heiten zuständigen Ministeriums eine Zielver- (4) Die Landesregierung berichtet im Rah- Mainz 2001; vgl. auch Edinger, Perspektiven einbarung geschlossen. Insbesondere enthält des Haushalts- und Finanzmanagements aus sie für einzelne Aufgaben oder Aufgabenbe- men des § 20a Absatz 2 sowie der Rech- der Sicht des rheinland-pfälzischen Landtags, reiche Zielgrößen, die den Ressourceneinsatz, nungslegung über die Erfüllung der Lei- in: Hill (Hrsg.), Bestandsaufnahme und Per- den Umfang, die Qualität oder die Wirkung stungsaufträge. spektiven des Haushalts- und Finanzmanage- von Verwaltungsleistungen beschreiben. Eine weitere Konkretisierung erfuhr der ments, 2005, S. 141 ff. (145). (4) Gemäß § 7b Abs. 4 LHO berichtet die 57 Vgl. Gesetzesbegründung in LTag-Drs. Landesregierung im Rahmen des § 20a Abs. 2 Leistungsauftrag durch § 7 Landeshaus- 13/4660 vom 13. September 1999, S. 14 und LHO in Verbindung mit § 6 Abs. 6 zu den er- haltsgesetz.60 13/5230 vom 13. Januar 2000 sowie die um- teilten Leistungsaufträgen. Vor diesem Hintergrund ist der Lei- fassende Darstellung bei Grimm (Hrsg.) (5) Das Nähere, insbesondere zur Ausgestal- stungsauftrag Haushaltsreform und Parlamentarisches Bud- tung des Leistungsauftrags, der Zielvereinba- getrecht in Rheinland-Pfalz, Heft 15 der rung und des Berichts, regelt das für die Fi- individuell, denn er erlaubt, auf ganz Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, nanzangelegenheiten zuständige Ministerium. bestimmte und konkrete Leistungspara- Mainz 2001. 61 Vgl. Deubel, in: Stand und Perspektiven des meter abzustellen: Zeit, Volumen, Ziele 58 Zur Grundidee des Leistungsauftrags vgl. Leistungsauftrags in Rheinland-Pfalz – und Strategien Deubel, Verwaltungsmodernisierung durch Workshop zur politischen Steuerung durch konkret, denn er spricht konkrete Vor- mehr Wettbewerb, a.a.O., S. 158 f. Zielvorgaben im Haushalt im Landtag Rhein- 59 Vgl. ausführlich und umfassend zur Thematik land-Pfalz am 16. Februar 2005, Heft 28 der haben, Projekte, Mengen und Volumen Leistungsauftrag: Stand und Perspektiven des Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, und nicht nur deren monetäre Seite an Leistungsauftrags in Rheinland-Pfalz – Mainz 2005 (im Erscheinen).
242 Ingolf Deubel und Ulrich Keilmann, Der rheinland-pfälzische Weg der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung der Landesverwaltung
Schließlich bleiben wir aber auch bei der sind, insbesondere weil die Aufgabenzu- zielt Steuerungsinstrumentarien (KLR, in- Umsetzung des Leistungsauftrages unserer weisung für eine Ausgabengruppe leider terne Verrechnung, Leistungsauftrag) – ab- pragmatischen Maxime treu und überziehen nicht immer einheitlich zwischen dem gestimmt auf die jeweiligen konkreten Be- weder die gesamte Landesregierung flä- Bund und allen Ländern erfolgt (was sich darfe – zur Verfügung zu stellen und sich chendeckend mit Leistungsaufträgen, noch auch nach einer Umstellung auf die Dop- den Entwicklungsprozess mit den neuen führen wir völlig neue Verfahrensabläufe pik nicht wirklich ändern dürfte). Dennoch Steuerungsinstrumentarien einschließlich ein. Im Gegenteil: Das Aufstellungsverfah- stehen uns so im kameralen System weit- der Prognose berichten zu lassen, um dar- ren einschließlich des parlamentarischen gehend konsolidierte Datenreihen zur Ver- aus ggf. im nächsten Haushalt bzw. Lei- Verfahrens, der Vollzug, das Berichtswesen fügung, die im Falle der Umstellung auf stungsauftrag Konsequenzen zu ziehen. Im und die Haushaltsrechnung laufen für den ein doppisches Rechnungswesen in jedem Ergebnis ist diese Vorgehensweise nicht kameralen Haushalt wie für die Leistungs- Fall in den Anfangsjahren so detailliert nur ungleich kostengünstiger als die Voll- aufträge vollkommen synchron,62 was für aufbereitet bestimmt nicht mehr abrufbar versionen Hessens und Baden-Württem- sich alleine schon erhebliche Synergien ge- wären und das, obwohl doch gerade das bergs, sondern erzielt nahezu gleiche Er- genüber einer alles revolutionierenden Benchmark von den Verfechtern der Dop- gebnisse. Obendrein erfährt diese Vorge- flächendeckenden Umstellung bringt. pik als schlechthin das weiterführende In- hensweise auf Grund ihrer pragmatischen, strument zur Konsolidierung der Haushalte praxisorientierten Ausrichtung eine sehr bezeichnet wird. Darüber hinaus sollten breite Akzeptanz sowohl in der Verwaltung Benchmark auch im doppischen System nur vergleich- als auch im parlamentarischen Raum und Als weiterer Vorteil des kaufmännischen Rechnungswesens wird gerne auch das Benchmark genannt, das einen Vergleich »Dass sich ein Benchmarking ausschließlich der Aus- und Aufgabenstrukturen verschie- dener Gebietskörperschaften erlaube, wäh- im kaufmännischen System realisieren rend das kamerale System eine entsprechen- de Vergleichbarkeit nicht leisten könne.63 lassen soll, darf durchaus bezweifelt werden.« In der Tat wird es zunehmend notwen- diger, vergleichbare Organisationseinhei- ten miteinander abgleichen zu können, um bare Daten (Äpfel mit Äpfel) miteinander erlaubt so eine Haushaltsaufstellung aus ei- auch so Optimierungspotenzial erkennen abgeglichen werden, um nicht falsche nem Guss. Gleichzeitig konnte Rheinland- und realisieren zu können. Gleichzeitig Analysen zu provozieren. Der Arbeitsauf- Pfalz als eines der finanzschwächeren Län- werden die dafür zur Verfügung stehenden wand zu dieser Datenkonsolidierung dürfte der die nicht zur Finanzierung des Paradig- Zeiträume immer kürzer, weil man immer aber unabhängig von dem dahinter stehen- menwechsels benötigten Mittel sinnvoll schneller auf fremdbestimmte Unwägbar- den Buchungssystem sein. umsteuern, um so keiten – beispielsweise bei neuen, dra- die Unterrichtsversorgung in den Schu- stisch sinkenden Steuereinnahmeprogno- len zu verbessern sen – sinnvoll und nicht willkürlich reagie- Fazit: Pragmatisches Lösungs- die flächendeckende Einführung der ren will und muss. Dass sich dies aber konzept erlaubt Haushalt aus Ganztagsschulen zu betreiben ausschließlich im kaufmännischen System einem Guss die Aufgaben der inneren Sicherheit zu realisieren lassen soll, darf durchaus be- stärken zweifelt werden. So haben wir in Rhein- Die im Zuge des Haushaltsrechts-Fortent- die Mobilitätsoffensive aufzusetzen, land-Pfalz auf die teilweise dramatischen wicklungsgesetzes erzielten Neuerungen und hat es dennoch bislang immer wieder Steuereinnahmeprognosen für 2003 kurz- sowie die danach stärker betriebswirt- geschafft, verfassungskonforme Haushalte fristig mittels eines Haushaltsbenchmarks schaftlich orientierbare Ausrichtung des aufzustellen. unsere Aus- und Aufgabenstrukturen ana- Verwaltungshandelns haben deutlich die lysiert und uns aufgabenbezogen mit ande- Flexibilität sowie die Steuerbarkeit im tra- ren westlichen Flächenländern verglichen, dierten kameralen System erhöht. Der Res- um schließlich den betroffenen Ressorts sourcenverbrauch lässt sich durch eine Ausgabenreduzierungen vorgeben zu kön- gezielte Ausgliederung von betriebswirt- 62 Vgl. Keilmann, in: Stand und Perspektiven nen.64 Ein solches Vorgehen in kameralen schaftlich ausgerichteten Verwaltungsbe- des Leistungsauftrags in Rheinland-Pfalz – Workshop zur politischen Steuerung durch Strukturen ist deswegen relativ problemlos reichen weitestgehend abbilden. Die paral- Zielvorgaben im Haushalt im Landtag Rhein- möglich, weil sämtliche Bundesländer – in lele Einrichtung eines Pensionsfonds land-Pfalz am 16. Februar 2005, Heft 28 der Grenzen abgesehen von Hessen – und der schafft nicht nur Vorsorge für künftige Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, Bund selbst bislang bundesweit nach glei- Versorgungsausgaben, sondern eröffnet Mainz 2005 (im Erscheinen). 63 Zur Methodik des Haushaltsbenchmarks vgl. chen kameralen Grundsätzen buchen und auch die unmittelbare Vergleichbarkeit der Deubel, Der kommunale Finanzausgleich in die so gewonnenen Daten auf ihre Ver- Kosten für Beamte und Angestellte. Für die Nordrhein-Westfalen, Köln u.a.O. 1984, S. 38 gleichbarkeit hin insbesondere von den danach verbleibenden minimalen Unter- ff.; Deubel, Möglichkeiten und Grenzen kom- statistischen Ämtern überarbeiten und auf- schiede zwischen Kameralistik und Doppik munaler Haushaltskonsolidierung am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen, Gelsenkirchen 1987; arbeiten lassen. Die so konsolidierten Da- steht die immer wieder gepriesene flächen- Deubel, Wettbewerbsorientierte Organisation ten liegen entsprechend statistisch aufbe- deckende Einführung eines kaufmänni- der Kommunalverwaltung, a.a.O., S. 126 f. reitet seit Jahrzehnten vor und warten nur schen Buchungssystems zum Einführungs- 64 Vgl. Keilmann, Perspektiven des Haushalts- darauf, herangezogen und ausgewertet zu preis von schätzungsweise rund 300 bis und Finanzmanagements aus der Sicht des werden. Dabei sind wir uns durchaus be- 500 Millionen Euro in keinem Verhältnis Landes Rheinland-Pfalz, in: Hill (Hrsg.), Be- standsaufnahme und Perspektiven des Haus- wusst, dass die so aufbereiteten Daten im- zu den schwerlich bezifferbaren Vorteilen. halts- und Finanzmanagements, 2005, S. 131 mer noch mit Ungereimtheiten behaftet Da erscheint es wesentlich sinnvoller, ge- ff. (138).
VM 5/2005 243 Wie sich zwei Institutionen erfolgreich integrieren lassen Ein Königsweg der Hochschulpolitik – mit Stolpersteinen Fusion der Universität und der Fachhochschule in Lüneburg zu einer Modelluniversität des Bologna-Prozesses
von Hinrich E.G. Bonin
Die faszinierende Gestaltungsaufgabe Bologna-Modelluniversität schauen bei hierarchisch geprägten Unter- hätte nicht besser starten können. Mit einem einstimmigen Be- nehmen wird man dem Auftrag der Politik, eine Vorreiterrolle im Bologna-Prozess zu schluss des Niedersächsischen Landtages im September 2004 zum übernehmen, sicherlich nicht gerecht. So Fusionsgesetz (FusionG1) und zur notwendigen Anpassung des einfach lässt sich eine neuartige Univer- Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG2) endete die bildungs- sität mit Leitbildfunktion nicht realisieren. politische Detaildiskussion im überwältigenden Konsens. Üblicher- »Hurra, wir machen Departments und ge- ben den Vorstehern nach Schweizer Vor- weise sind Fusionen durchaus von finanzpolitischen Erwägungen bild4 viel Macht«, ist für Lüneburg kaum geprägt. Die Fusion in Lüneburg macht da keine Ausnahme, auch zielführend. wenn das Land erfreulicherweise einen Teil der Fusionsstartkosten durch eine Extrazuweisung deckt. Neben diesem Spareffekt ist die Bologna-Studiengänge als Treib- Fusion interessenabhängig verknüpft mit einem Konglomerat von stoff für das Zusammenwachsen vielfältigen Zielen und Hoffnungen. Gemeinsame Basis der Fusion ist der Wil- le, die jeweiligen Stärken der beiden Fusi- onspartner zu erkennen, zu entfalten, zu- Konglomerat von Zielen und leichter lösbar wird.3 Die Professorenschaft sammenzuführen und daraus neue Stärken Hoffungen des Fusionspartners »Alt-FH« zielt auf zu entwickeln. Transparenz und Partizipa- Ausbaumöglichkeiten ihrer Aktivitäten im tion schaffen Schritt für Schritt das Die Studentenschaft des Fusionspartners Wissenschafts- und Technologietransfer benötigte Vertrauen. Entscheidungskom- »Alt-Uni« erhofft sich eine signifikante durch eine geringere Lehrverpflichtung und petenz und Verantwortung sollen stets so Verbesserung ihrer besonders schlechten durch die Promotionsmöglichkeit ihrer wis- nah bei den Betroffenen verankert sein wie Betreuungsrelation von durchschnittlich ei- senschaftlichen Mitarbeiter. Ihr Fusionsge- irgendwie möglich. Das Subsidiaritätsprin- ner Professur auf cirka achtzig Studierende. genüber, die Professorenschaft der »Alt- zip ist daher keine leere Worthülse, son- Mit den rund 110 Professuren des Fusions- Uni«, erhofft sich Entlastung in den Mas- dern ist Teil der festen Überzeugung, die partners »Alt-FH« wäre dann für alle rund senveranstaltungen und damit Freiräume gewaltige Gestaltungsaufgabe selbstbe- 10.000 Studierenden in Lüneburg ein Ver- für ihre Forschungsaktivitäten. Schon diese wusst annehmen zu können und sie letzt- hältnis von cirka 1 zu 50 möglich. Ihr Fusi- kurze Skizze zeigt, dass dieses Konglome- lich erfolgreich zu meistern. Diese Über- onsgegenüber, die Studentenschaft der rat an Zielen und Hoffnungen viele Illusio- zeugung entspringt keiner schönen Selbst- »Alt-FH«, erhofft sich eine höhere Aner- nen und sicherlich manchen Widerspruch täuschung, weil man einfach nicht zugeben kennung ihrer Abschlüsse, weil beispiels- enthält. weise die bisher leidige Frage der Einstel- Zunächst riefen einige der Interessen- lung in den höheren Dienst so wesentlich promotoren laut nach einer Konfliktrege- 1 Gesetz zur Fusion der Universität Lüneburg lung durch die Politik. Sie müsste doch und der Fachhochschule Nordostniedersach- sen und zur Änderung des Niedersächsischen Lehrverpflichtungen, Promotionsrechte, Hochschulgesetzes vom 16. September 2004. maximale Größe von Lehrgruppen, Be- 2 Niedersächsisches Hochschulgesetz vom 24. Prof. Dr. Hinrich E.G. treuungsrelationen usw. konkret vorgeben. Juni 2002. Bonin lehrt Informatik Glücklicherweise hat sie es im Fusionsge- 3 Der Masterstudiengang Software Technology mit Schwerpunkt Öf- setz nicht getan, sondern es der Modelluni- der Fachhochschule, akkreditiert von der Agen- fentliche Verwaltung an tur ASIIN (Fachakkreditierungsagentur für Stu- versität Lüneburg selbst überlassen. Nun diengänge der Ingenieurwissenschaften, der In- der Universität Lüne- rufen einige nach dem starken Präsidium, formatik, der Naturwissenschaften und der burg. Er ist Mitglied also nach klassischen Vorstandsentschei- Mathematik e.V., http://www.asiin.de ), wurde des Senates und Vertre- dungen. Manch ein Berater mit hochschul- nach der Fusion ohne weitere Auflagen als Ein- stiegsqualifikation für den höheren Dienst aner- ter der Professoren- politischem Kundenkreis verkündet diese schaft in der Grundord- kannt. Unternehmensorientierung für die Modell- nungskommission. 4 Vgl. zum Beispiel Organisation der ETH Zürich universität. Aber mit einem simplen Ab- (http://www.ethz.ch/about/organisation).
244 Verwaltung und Management 11. Jg. (2005), Heft 5, S. 244-247 Hinrich E.G. Bonin, Ein Königsweg der Hochschulpolitik – mit Stolpersteinen möchte, dass die Kultur einer Universität Auf frei werdende Professuren wären da- dem FusionG und der Organisationsform mit der Kultur einer Fachhochschule höch- her Persönlichkeiten mit anerkannter Lei- als eine rechtsfähige Stiftung des öffentli- stens in Form einer gemeinsamen Verwal- tungserfahrung (Verantwortung in Wirt- chen Rechts in der Trägerschaft der »Stif- tung erfolgreich zusammengeführt werden schaft und Verwaltung) zu berufen. tung Universität Lüneburg«. Beispielswei- kann. Die negativen Erfahrungen der Ge- Beiden Paradigmen gleichzeitig gerecht se ist der Finanzmitteleinsatz (Wirtschafts- samthochschulen5 sind nicht vergessen; zu werden, ist einer kleinen Universität plan) eine Angelegenheit des Präsidiums. quasi zwei unterschiedliche Studienpro- kaum möglich. Wollen wir beispielsweise Die Partizipation der Selbstverwaltungs- gramme, zwei getrennte Kollegien und endlich Mitglied in der Deutschen For- gremien in diesem Entscheidungsprozess zwei getrennte Studentenschaften. Das schungsgemeinschaft (DFG) werden, der ist marginal. Der Senat ist nur noch an- Spaltungsrisiko besteht unstrittig weiter- zentralen Selbstverwaltungsorganisation zuhören. Als faktisches Ausgleichsgewicht hin. Heute bietet aber der Bologna-Prozess der Wissenschaft, dann sind umgehend zum Gestaltungsmonopol des Präsidiums mit seinen einheitlichen, hochschultyp- übergreifenden Bachelor-, Master- und Promotions-Studiengangsstrukturen her- »Basis der Fusion ist der Wille, die Stärken vorragende Möglichkeiten, es doch zu ei- ner positiven Verschmelzung beider Kul- der Fusionspartner zu entfalten und daraus turen kommen zu lassen. Das »Schreckge- spenst Gesamthochschule«6 ist daher heute neue Stärken zu entwickeln.« sicherlich leichter vermeidbar als bei den Hochschulgründungen der Vergangenheit. alle freien Stellen mit renommierten Wis- konstituiert die Grundordnung eine Konfe- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu renz der Dekane8 mit umfassenden Infor- Aufgabe der Profilsynthese: besetzen. Wollen wir aber große Transfer- mations- und Beratungsrechten. Forschung und Forschungs- projekte akquirieren, beispielsweise im Diese zusätzliche Partizipationsebene er- transfer Kontext der Modernisierung des öffentli- höht sicherlich die Chance, eine Universität chen Rechnungswesens, dann gilt es, Per- zu schaffen, die auch für die beiden Skepti- Keine Universität gedeiht ohne Symbiose sönlichkeiten mit Leitungserfahrung im öf- kerlager »FH-Steinbruch« und »Fachhoch- von Lehre und Forschung. Keine Fachhoch- fentlichen Sektor zu gewinnen. Abhängig schulisierung« hinreichend akzeptabel wird. schule gedeiht ohne Symbiose von Lehre vom Ausgang einer solchen Entscheidung Voraussetzung dafür ist ein Mindestmaß an und Praxis. Das Beste aus beiden Lehr-Kul- fühlt sich stets die Professorenschaft einer Vertrauen in die verantwortlich Agieren- turen zu kombinieren und weiter zu ent- »Alt-Organisation« benachteiligt. Im Lü- den. Dieses Vertrauen entsteht jedoch nur wickeln, ist Ziel der Modelluniversität und neburger Fusionsalltag spricht man dann Schritt für Schritt durch gerechtes Handeln. erfreulicherweise relativ leicht zu meistern. entweder vom »FH-Steinbruch zur Uni- Schon deshalb ist der Königsweg Fusion In Lüneburg profitiert beispielsweise beson- Rettung« oder von der »Fachhochschuli- ders die Betriebswirtschaftslehre (BWL) in sierung der Uni«. ihrem Bachelor-Studiengang von einer sol- 5 Die Gesamthochschule (abgekürzt GH oder chen Synthese. Hier werden zum Beispiel GHS) war eine universitäre Hochschulform, die ein Hochschulstudium in bestimmten »in- BWL-Massenvorlesungen gemäß »Alt- Grundordnung: Entfaltungs- tegrierten Studiengängen« sowohl mit Fach- Uni«-Alltag qualitativ gesteigert durch Inte- freiraum zur Profilbildung hochschulreife als auch mit Abitur ermöglich- gration von BWL-Projektveranstaltungen te. Beim sogenannten Y-Modell verlief das gemäß »Alt-FH«-Alltag. Erfreulicherweise haben weder das Fusi- Grundstudium wie an regulären Universitäten. Im Hauptstudium konnten sich die Studieren- Hoch konfliktbehaftet ist jedoch das onsgesetz noch das zuständige Ministeri- den dann für das Diplom I oder II entscheiden. Finden einer akzeptablen Balance zwi- um die Frage zwischen »FH-Steinbruch« Studierende mit Fachhochschulreife mussten schen Forschung und Praxisbezug. Die und »Fachhochschulisierung« beantwortet. bis zum Vordiplom dann »Brückenkurse« ab- Forschung bedingt die Gestaltung von Die Universität kann und muss selbst ihre solviert haben, wenn sie sich für das Diplom II entschieden hatten. Seit dem 1. Januar 2003 Strukturen und Prozessen im Paradigma Profilsynthese gestalten. Nur, wer soll es sind alle Gesamthochschulen des Landes einer modernen Universität. Holzschnittar- konkret tun? Laut vernehmbar ist der Ruf Nordrhein-Westfalen per Gesetz in klassische tig formuliert: Es geht um optimale Bedin- nach einem führungsstarken Präsidium, Universitäten überführt worden (vgl. zum Bei- gungen für Teams von exzellenten Wis- das, gestützt auf den Stiftungsrat, die Ret- spiel http://lexikon.freenet.de/Gesamthochschu- le ). senschaftlern. Im Fokus stehen Institute tung der jeweiligen Position durchsetzen 6 Insbesondere für Politiker (zumindest auf der und Fakultäten. Auf freiwerdende Profes- soll. Verstärkt wird solches Rufen durch Niedersächsischen Landesebene) gilt die GH suren wären daher Persönlichkeiten mit Bezugnahme auf Empfehlungen, die von als unbedingt zu vermeidendes Negativbei- anerkannter Forschungsleistung (Publika- kompetenten Beratern für ein neues Hoch- spiel. Im Niedersächsischen Wissenschaftsmi- nisterium gab es jedoch weiterhin Befürworter tionen) zu berufen. Der Praxisbezug im schulmanagement in der Bundesrepublik von Y-Studiengängen. Beispielsweise wurde Sinne eines konkreten Transfers von For- stammen, zum Beispiel vom CHE.7 Laut ein Bachelor-Studiengang nach dem Y-Mo- schungs- und Entwicklungsergebnissen be- vernehmbar ist aber auch der gegenteilige dell vom Ministerium »abgesegnet« und der dingt jedoch die Gestaltung von Strukturen Ruf, den Mitgliedern der Universität ein ZEvA (Zentrale Evaluations- und Akkreditie- rungsagentur Hannover, http://www.zeva.uni- und Prozessen im Paradigma eines moder- Maximum an Transparenz in der Willens- hannover.de/) im I. Quartal 2005 vorgelegt – nen Unternehmens. Nochmals holzschnitt- bildung sowie an Partizipation in den Ent- allerdings ohne deren Akzeptanz. artig formuliert: Es geht um Leitungsver- scheidungsprozessen zu gewähren und 7 Das Centrum für Hochschulentwicklung antwortung, dynamische Marktreaktion dazu eine Selbstverwaltung nach dem (CHE) in Gütersloh versteht sich als eine Re- formwerkstatt für das deutsche Hochschulwe- und Ertragserzielung. Im Fokus stehen Ko- Grundsatz der Subsidiarität zu realisieren. sen (http://www.che.de/ueberuns.php). operationsmodelle, flexible Projektstruktu- Im Lüneburger Modell basiert die domi- 8 Zur Machtbalance kann ein Dekan nicht in ren und marktrelevante Kernkompetenzen. nante Rolle des Präsidiums auf dem NHG, Personalunion dem Präsidium angehören.
VM 5/2005 245 Wie sich zwei Institutionen erfolgreich integrieren lassen keine Schnellstrasse. Vielmehr ist der Weg sierung des Bologna-Modells gibt es nicht. Für mich ist es das Problem: Gutes ver- mit einer Menge von Problemen gepflastert. Es herrscht eine allgemeine Hektik, weil bessern zu müssen, um unter geänderten Glücklicherweise sind es nur Stolpersteine ein passendes Tempo des Gestaltungspro- Rahmenbedingungen bestehen zu können. und keine unüberwindbaren Barrieren. zesses nicht möglich erscheint, zumal die Nur die Fusion aktiviert die Kräfte in bei- konkurrierenden Universitäten und Fach- den Hochschultypen, die erforderlich sind, hochschulen unter Ausnutzung ihres ge- um sich nicht auf den bisherigen Erfolgen Stolpersteine: Welche? wachsenen Profils zwischenzeitlich auszuruhen, sondern konkrete Verbesse- äußerst attraktive Bachelor- und Master- rungen zu gestalten. Erneut überaus poin- Die Fusion basiert auf dem Prinzip der Pa- studiengänge etablieren. Pointiert formu- tiert formuliert: Die Fusion löst das Still- rität, das heißt auf der Annahme, es kämen liert: Auf dem Königsweg liegt der große standsproblem.14 Das damit einhergehende zwei »gleichrangige« und »gleichwertige« Stolperstein »Massenhafte Transformation Chaosproblem reduziert zwar die positive Partner zusammen. Jedoch sind die vier von Engagement in Blindleistung13«. Gesamtbilanz, macht sie aber nicht gleich negativ. »Das eigentliche Problem einer Fusion: Alternativweg: Gutes verbessern zu müssen, um unter Umverteilung von Studierenden geänderten Rahmenbedingungen bestehen Sicherlich ist es in der Politik heute »in«, zu können.« eine Problemlösung als alternativlos dar- zustellen. Dies gilt auch für die Hoch- schulpolitik. Hier soll aber bewusst ein Al- Gruppen9 in den beiden Hochschulen sehr Die Fusion schafft eine Phase des mehr ternativweg kurz skizziert werden, obwohl unterschiedlich stark. Obwohl die »Alt- oder weniger chaotischen Umbruchs, in der es eine deutliche Präferenz für die Fusion Uni« beispielsweise beinahe eine doppelte die Zuständigkeiten und Verantwortlich- gibt. Die Alternative besteht in einer Um- Anzahl von Studierenden einbringt und die keiten einerseits nur bedingt klar sind oder verteilung der Aufgaben und damit auch »Alt-FH« cirka dreißig Prozent mehr Pro- bewusst ignoriert und andererseits nicht der Studierenden zwischen Universitäten fessuren, sind sowohl der Übergangssenat10 konsequent wahrgenommen werden. So und Fachhochschulen. Sollten ursprüng- wie auch das Übergangspräsidium11 gemäß agieren neben den üblichen Universitätsor- lich die Fachhochschulen die praxisorien- FusionG paritätisch besetzt. Die jeweilige ganen kaum legitimierte Gruppen und erar- tierte Breitenausbildung übernehmen und Mehrheit aus den Mitgliedern einer Gruppe beiten Empfehlungen, die auf »dubiosen« so letztlich den Universitäten die Chance fühlt sich dadurch benachteiligt. Dieses Wegen plötzlich verbindlich werden. Ein Gefühl wurde durch die Entscheidungen Beispiel dafür ist eine strikte Vorgabe der des Übergangssenates im ersten und zwei- Größe eines Moduls von 5 Credit Points. ten Quartal 2005 durchaus verstärkt. Bei- Ein anderes Beispiel der Kompetenzver- 9 Hochschullehrergruppe, Studierendengruppe, spielsweise haben bei Berufungen oder der schiebung ist der Akkreditierungsprozess Mitarbeitergruppe (wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Findung einer neuen Universitätsleitung von Bachelor- und Masterstudiengängen. ter) und MTV-Gruppe (Mitarbeiterinnen und die Hochschullehrergruppe der »Alt-Uni« Externe Gutachter der Akkreditierung wer- Mitarbeiter in Technik und Verwaltung). gegenteilig zur Hochschullehrergruppe der den von Funktionsträgern ermuntert, sich 10 Der Übergangssenat besteht aus 26 Mitglie- »Alt-FH« abgestimmt. Solch konträres Ab- in hoch kontroverse Fragen einzumischen, dern, von denen jeweils 13 von der »Alt-Uni« und der »Alt-FH« getrennt gewählt wurden stimmen prägte auch das Verhalten der an- beispielsweise in die zweckmäßige Anzahl und zwar nach Gruppen im Verhältnis 7:2:2:2. deren drei Gruppen. Die Entscheidungen von Fakultäten oder welche Kriterien für 11 »Insgesamt ist zu gewährleisten, dass die des Übergangssenats repräsentieren daher eine erfolgreiche Integration beider Institu- »Alt-Uni« und die »Alt-FH« »mit der gleichen nicht immer den Mehrheitswillen der tionen erfüllt sein müssten. Wiederum Anzahl von Mitgliedern im Übergangspräsidi- Hochschulmitglieder. Pointiert formuliert: pointiert formuliert: Auf dem Königsweg um vertreten sind.« Artikel 2 § 2 Absatz 1 Satz 5 FusionG. Auf dem Königsweg liegt der große Stol- liegt der Stolperstein »Massenhaft Eingrif- 12 Lothar Zechlin, Fusionsrektor der Universität perstein »Mangelbehaftete demokratische fe von Unzuständigen«. Duisburg-Essen, spricht in diesem Kontext Legitimation.« von »... Energien, die in die Selbstbeschäfti- Die Fusion bindet Arbeitskraft in riesi- gung reingehen«. (Quelle: Lothar Zechlin, Fu- sion der Universitäten Duisburg und Essen – 12 gem Umfang. Permanent stellen sich Fusion als Lösungsweg: Planungen und Erfahrungen, Vortrag am 25. Machtfragen. Die Leistungsträger der Was war denn das Problem? Januar 2005 in der Universität Lüneburg, sie- »Alt-Organisationen« aus allen Gruppen he http://webvideo.uni-lueneburg.de). sehen sich selbst immer wieder auf der Es wäre unlauter, die Vielfalt der Proble- 13 Im gewählten Analogiebild »elektrische Lei- stung« wird die »netzbelastende« Blindlei- Verliererseite. Die prinzipiell mögliche me in der aktuellen Hochschulpolitik nur stung Q von der »nützlichen« Wirkleistung P »win-win«-Situation wird laufend als Fik- auf ein einzelnes Problem reduzieren zu unterschieden. Ziel ist die Maximierung von P tion gebrandmarkt. Langandauernde Tele- wollen. Wie oben angedeutet, gibt es un- bei Minimierung von Q. fonate, Koordinierungssitzungen (»Kun- strittig eine sehr komplexe Problemlage, 14 Das Übergangspräsidium spricht in diesem gelrunden«), E-Mails binden Zeit und verknüpft mit einem Konglomerat von Kontext vom Zwang »... die Uni Lüneburg neu zu erfinden.« Vgl. beispielsweise Christa Kräfte der Leistungsträger. Die jeweils an- Zielen und Hoffnungen, und viele davon Cremer-Renz, Präsidentin der »Alt-FH«, in dere »Alt-Organisation« wird für Zwecke sind darüber hinaus konträr. Allerdings Der Spiegel, Nr. 19, 9. Mai 2005, S. 171. Oder instrumentalisiert, die sich in letzter Kon- wäre es schon nützlich, wenn die Fusion wie Gerd Michelsen, Vizepräsident der »Alt- sequenz als Begleichung alter Rechnungen nachweislich zumindest ein bedeutsames Uni«, an gleicher Stelle formuliert: » ... festle- gen, welchen gesellschaftlichen Herausforde- darstellen. Die notwendige Zeit und Ge- Problem sicher löst, ohne gleichzeitig noch rungen sich eine neue Universität stellen duld für eine wohl durchdachte Konkreti- größere Probleme zu verursachen. muss.«
246 Hinrich E.G. Bonin, Ein Königsweg der Hochschulpolitik – mit Stolpersteinen für die wissenschaftliche Spitzenausbil- dung verbessern helfen, so zeigt sich heute ein stark verschobenes Bild.15 Mit kleinen Das gesamte Programm unter www.nomos.de Gruppen und erfolgreicher Arbeits- marktausrichtung konzentrieren sich die Fachhochschulen, insbesondere in den technisch-naturwissenschaftlichen Studi- Schriften zum engängen, auf den Wettbewerb mit den Universitäten. Kennzeichen für diese Aus- richtung sind beispielsweise die internatio- Wirtschaftsverwaltungs- und nale Bezeichnung »University of Applied Sciences«, die Forderung nach einem eige- Vergaberecht nen Promotionsrecht und die Bemühun- gen, ihre Masterstudiengänge für den Schriften zum Das Beleihungsrechtsverhältnis höheren Dienst akkreditieren zu lassen. Wirtschaftsverwaltungs- und Vergaberecht 3
Eine Alternative zum Königsweg Fusi- Oliver Freitag Rahmen, Begründung und Inhalt on wäre eine Rückbesinnung auf die ur- Das Beleihungsrechtsverhältnis Von Oliver Freitag sprüngliche Aufgabenteilung des binären Rahmen, Begründung und Inhalt 2005, Band 3, 247 S., brosch., 54,– €, Hochschulsystems. Die Fachhochschulen ISBN 3-8329-1001-8 wären dazu massiv auszubauen, auch durch finanzielle Umverteilung zu Lasten der Universitäten. Sie müssten sich erneut In dem Werk wird der allgemeine Teil der Rechts- auf die praxisorientierte Ausbildung mög- verhältnisse zwischen staatlichen Stellen und lichst vieler Studierender konzentrieren. beliehenen und sich für eine Beleihung interes- Nochmals stark pointiert formuliert: Die sierenden Privaten untersucht. Für den Staat Fachhochschule wäre primär Bachelor besteht bei der Ausgestaltung von Beleihungs- School, die Universität primär Master Nomos rechtsverhältnissen ein verfassungsrechtlicher School. Rahmen. Darin fügen sich verfahrensmäßige Geht es um den Fokus »Eliteförde- Rechte von Beleihungsinteressenten sowie rung«, sind beispielsweise Niveau-Unter- grundrechtliche Abwehransprüche und finan- schiede prägend, dann ist die Reaktivie- zielle Rechte von Beliehenen ein. rung des binären Hochschulsystems eine erfolgversprechende Alternative. Geht es aber auch um den Fokus »Ausschöpfung des Bildungspotenzials«, sind beispiels- Schriften zum Rechtsformwahrende Privatisierung weise Motivation und Schaffung von Wirtschaftsverwaltungs- und Vergaberecht 4 von öffentlich-rechtlichen Anstalten Chancen prägend, dann passt ein strikt Daniela Ochmann binäres Hochschulsystem kaum noch. Rechtsformwahrende Dargestellt am Holdingmodell zur Teil- Privatisierung von Schon die bisherigen »Verbiegungen« der öffentlich-rechtlichen Anstalten privatisierung der Berliner Wasserbetriebe Dargestellt am Holdingmodell zur Teilprivatisierung Fachhochschulen sollten hinreichender der Berliner Wasserbetriebe Von Dr. Daniela Ochmann Anlass sein, den Wettbewerb unter allen Hochschulen unter gleichen Rahmenbedin- 2005, Band 4, 174 S., brosch., 38,– €, gungen stattfinden zu lassen. In diesem ISBN 3-8329-1019-0 Kontext kann die Fusion in Lüneburg si- cherlich zu einem Vorbild reifen. Das Holdingmodell zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe – Anstalt des öffent- lichen Rechts – verstößt wegen des zu schwa- Nomos chen Einflusses der anstaltstragenden Gebiets- körperschaft gegen das Demokratieprinzip. Die Autorin untersucht die steuerrechtlichen Motive für die erfolgte mitunternehmerische Beteili- gung privater Investoren.
15 »Die Aufgabenverteilung zwischen Fachhoch- schulen und Universitäten ist verkehrt, sie müsste vom Kopf auf die Füße gestellt wer- den. ... Die Massen sind an der Uni, die FHs selektieren stark (und müssen das auch tun wegen ihrer kleinen Klassen). So bekommen die Unis neben den sehr guten Abiturienten, die eine FH ohnehin nicht in Betracht ziehen, viele von denen, die an einer FH abgelehnt Bitte bestellen Sie bei Ihrer Buchhandlung oder bei: wurden – eine fatale Mischung.« Ernst De- nert; Zum Verschwinden des Diploms und Nomos Verlagsgesellschaft | 76520 Baden-Baden Nomos zum Verhältnis Fachhochschule/Universität, Tel. 07221/2104-37 | Fax -43 | [email protected] in: Informatik Spektrum (Springer), Band 28, Heft 1, Februar 2005, S. 46.
VM 5/2005 247 Neue Steuerung aus der Sicht regierungstragender und oppositioneller Fraktionen Budgetierung und Parlament
von Hans-Josef Bracht*
Seit rund zehn Jahren führen Bund, Länder und Kommunen Ele- verfassungsrechtlichen Realität vorbei? mente der Neuen Steuerung ein1, darunter auch die so genannte Man kann zwar fordern, dass die Parlamen- te »steuern statt rudern«3. Auch wenn ein Budgetierung. Der Autor bewertet den gegenwärtigen Stand der Mehr an strategischer Steuerung durch das Budgetierung in Rheinland-Pfalz aus parlamentarischer Sicht. Parlament wünschenswert wäre, so kann das Parlament aber nicht ernsthaft auf die laufende politische Kontrolle der Regie- Unterschied zwischen Kommune dem Parlament die Gesetzgebung und rung auch in Einzelfällen verzichten.4 Und und Staat damit die politischen Vorgaben dies um so weniger, als bereits auf kommu- der Regierung die Verwaltung des Staa- naler Ebene das Problem eines funktions- Die Einführung von Elementen der Neuen tes im Rahmen der politischen Vorga- fähigen strategisch-politischen Controllings Steuerung ist in den Kommunen weiter ben und der Gesetzgebung. im Neuen Steuerungsmodell noch keines- fortgeschritten als auf der staatlichen Ebe- Als weitere Aufgabe kommt für das Parla- wegs befriedigend gelöst ist.5 Zu berück- ne. Ein Grund dafür dürfte die unterschied- ment die Kontrolle der Regierung hinzu sichtigen ist darüber hinaus, dass die Abge- liche verfassungsmäßige Aufgabenstellung (Artikel 79 Absatz 1 Satz 2 Verfassung für ordneten Wahlkreise vertreten und An- von Gemeindeorganen einerseits und Rheinland-Pfalz), über die eine Nachsteue- sprechpartner auch einzelner Bürgerinnen Staatsorganen andererseits sein. rung oder Korrektur erfolgen soll. und Bürger sind. In der Gemeindordnung Rheinland- Während den Bundes- und Landespar- Bei der parlamentarischen Steuerung Pfalz heißt es in § 28 Absatz 1: »Organe lamenten wegen dieses Gewaltenteilungs- und Kontrolle muss man im Übrigen un- der Gemeinde sind der Gemeinderat und grundsatzes lediglich parlamentarische terscheiden zwischen regierungstragenden der Bürgermeister. Sie verwalten die Ge- Steuerungs- und Kontrollinstrumente zu- Fraktionen und Oppositions-Fraktionen. meinde nach den Bestimmungen dieses stehen, kann der Gemeinderat in seiner Den Regierungsfraktionen ermöglicht es Gesetzes.« Doppelfunktion als Bürgervertretung ei- ihre Mehrheit im Parlament, durch die Die Gemeindevertretung nimmt also an nerseits und Verwaltungsorgan anderer- Wahl des Regierungschefs, durch Gesetze, der Verwaltung der Gemeinde teil. seits im Grundsatz sowohl in einge- Haushalt und sonstige Parlamentsbeschlüs- Eine Gewaltenteilung wie im staatli- schränkter Weise parlamentarische Instru- se das Handeln der Exekutive zu steuern. chen Sektor gibt es auf der kommunalen mente als auch Instrumente der Gegen die Mehrheit kann eine Oppositi- Ebene nicht. Dagegen regelt Artikel 77 Verwaltungsselbstkontrolle nutzen. Exeku- onsfraktion derartige Beschlüsse nicht her- Absatz 1 der Verfassung für Rheinland- tive und legislative Befugnisse sind nicht beiführen. Darüber hinaus ergeben sich Pfalz diese Gewaltenteilung ausdrücklich. getrennt, insbesondere kann der Gemein- aus der politischen Nähe zur Regierung für Dort heißt es: »Die verfassungsmäßige derat jeden Verwaltungsvorgang zurück- die sie tragenden Fraktionen vielfältige in- Trennung der gesetzgebenden, rechtspre- holen bzw. an sich ziehen. Auf diese Wei- formelle Möglichkeiten, um die Regierung chenden und vollziehenden Gewalt ist un- se ist eine laufende und enge Erfolgs- und zu kontrollieren und zu beeinflussen und antastbar.« Wirtschaftlichkeitskontrolle des Verwal- sich die dazu notwendigen Informationen Auf der staatlichen Ebene gibt es somit tungshandelns und im Bedarf ein Nach- zu beschaffen. So nehmen in Rheinland- eine klare verfassungsmäßig vorgegebene steuern und Korrigieren zumindest recht- Pfalz beispielsweise die Vorsitzenden der Aufgaben- und Gewaltenteilung. Während lich möglich. So kann gewährleistet wer- Regierungsfraktionen an den Sitzungen auf der kommunalen Ebene eine gemeinsa- den, dass eine »an der langen Leine« me und damit auch beständig fortlaufende geführte Verwaltung die politisch gesetz- Verwaltung und Führung der Gemeinde ten Ziele verfolgt – und nicht ihre eigenen * Ergänzte und überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem Forschungssymposium durch Bürgermeister und Gemeinderat er- oder irgendwelche anderen –, und dies ef- »Regieren zu Beginn des 21. Jahrhunderts/ folgt, weist die Verfassung bisher den fektiv und effizient. Regieren mit Budgetierung« am 15. Januar staatlichen Organen völlig unterschiedli- Diesen Vorteil im Bezug auf die Imple- 2005 an der Deutschen Hochschule für Ver- che Aufgaben zu: mentierung und Anwendung neuer Steue- waltungswissenschaften Speyer. rungsmodelle haben Bundes- und Lan- 1 Budäus, Dietrich/Behm, Christiane/Adam, Berit, Reformen des öffentlichen Haushalts- desparlamente nicht. Insofern scheinen sie und Rechnungswesens in Deutschland, Ver- Diplom-Volkswirt jedoch bereits von Verfassungs wegen ei- waltung und Management 2004, S. 228 ff., S. Hans-Josef Bracht, nem der Ziele der Neuen Steuerung nahe 329 ff und 2005 S. 48 ff. MdL, ist stellvertreten- zu kommen: Der Entflechtung von Politik 2 Zu diesem Ziel des Neuen Steuerungsmodells s. Bogumil/Holtkamp/Kißler, Modernisierung der Vorsitzender des und Verwaltung, verbunden mit dem Rück- Haushalts- und Finanz- lokaler Politik, in: Jann u.a. (Hrsg.): Status- zug der Politik auf die strategische Steue- Report Verwaltungsreform, Berlin 2004, S. ausschusses und rung und dem Verzicht auf Detaileingriffe 64 ff., 71. S.a. Weller, Das neue Verhältnis Mitglied der CDU- in das »operative (Verwaltungs-)Ge- von Politik und Verwaltung zwischen An- Fraktion des Landtags spruch und Wirklichkeit, in: Günther (Hrsg.), 2 Rheinland-Pfalz. schäft«. Aber ging dieses Ziel nicht von Verwaltungsmodernisierung, Baden-Baden Anfang an der politischen und auch der 2000, S. 110 ff, 113 f.
248 Verwaltung und Management 11. Jg. (2005), Heft 5, S. 248-253 Hans-Josef Bracht, Budgetierung und Parlament des Kabinetts teil, wie umgekehrt Regie- dividende« erhoben. Bei der Umschich- res-Haushalts (der in Rheinland-Pfalz die rungsmitglieder an Fraktionssitzungen und tung von konsumtiven in investive Ausga- Regel ist) abgeschlossen ist.7 Um aller- Regierungsvertreter an Sitzungen von ben entfällt diese Dividende, um eine ent- dings zeitnah als Parlament steuernd auf Fraktionsarbeitskreisen teilnehmen. sprechende Anreizwirkung zu erzielen.6 die aktuelle Politik Einfluss zu nehmen, Die Oppositionsfraktionen sind bei der Flexibilisierung, Globalisierung und eignet sich dieses parlamentarische Kon- Kontrolle der Regierung dagegen weitge- Auslagerung von Ausgaben aus dem Haus- trollinstrument nicht. hend auf die formalen parlamentarischen halt sind Abweichungen von der Kamerali- Für den Abgeordneten und das Mitglied Mittel wie Anfragen, Berichtsanträge, Un- stik. Diese sieht – entsprechend der verfas- im Haushalts- und Finanzausschuss des tersuchungsausschüsse etc. und im Übri- sungsrechtlichen Vorgaben (Artikel 110 Landtages stellt sich deshalb die Frage, gen auf die Resonanz ihrer Argumente in Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz, Artikel 116 wie es um das Budgetrecht des Parlamen- der öffentlichen Meinung angewiesen. Absatz 1 Satz 1 Verfassung für Rheinland- tes, wie es um Transparenz, um Kontrolle Da das Neue Steuerungsmodell sehr Pfalz) – eine Veranschlagung aller Einnah- und politische Einflussnahme bei den neu- stark eine fortlaufende Begleitung erfor- men und vor allem der Ausgaben vor, und en Formen und Methoden des staatlichen dert, dies aber im staatlichen Bereich auf zwar nach Zwecken getrennt. Die jährliche Haushaltswesens bestellt ist. Grund der Verfassungslage insgesamt schwerer möglich ist – insbesondere für Oppositionsfraktionen –, sind diese Instru- »Die Entflechtung von Politik und mente hier noch nicht so weit entwickelt. Und wo sie entwickelt sind, da mangelt es Verwaltung durch Neue Steuerung geht an an ausreichender parlamentarischer Kon- troll- und damit begleitender parlamentari- der politischen und verfassungsrechtlichen scher Mitsteuerungsmöglichkeit. Realität vorbei.«
Budgetierung und Veranschlagung, die durch das Parlament Die klassische Kameralistik war und ist Flexibilisierung im Rahmen des Haushaltsgesetzes be- ja ganz an dieser Frage orientiert: Die nach schlossen wird, war die Grundlage des par- Zwecken differenzierte und auf jeweils ein Budgetierung in Rheinland-Pfalz bedeutet lamentarischen Budgetrechts. Mit der Fest- Jahr beschränkte Ausgabenbewilligung im Wesentlichen: legung von Zweck und maximaler Höhe durch Haushaltsgesetz ist eine historische eine hohe Flexibilität der Verwaltung der Ausgaben steuerte das Parlament das Errungenschaft des Parlamentarismus.8 bei der Verausgabung der Mittel, vor Ausgabeverhalten der Exekutive und schuf Auch in der parlamentarischen Demokratie allem erreicht durch den Maßstab für dessen Kontrolle, insbe- ist das Haushaltsbewilligungsrecht eines der ein großes Maß an Deckungsfähigkeit sondere im Rahmen der Rechnungslegung wesentlichen Instrumente parlamentarischer und Übertragbarkeit der Ausgabe- und Entlastung der Regierung (Artikel 114 Steuerung und Kontrolle der Regierung.9 nansätze, zum Teil auch durch Grundgesetz, Artikel 120 Verfassung für Jedes Abgehen von dieser Kameralistik be- eine Zusammenfassung von Ausgabeti- Rheinland-Pfalz). deutet also zunächst eine Einschränkung teln (Globalisierung) bis hin zur Ein zentrales Element der staatlichen des parlamentarischen Budgetrechts, es sei Auslagerung von Teilen des Haushalts, Kontrolle des Regierungshandelns war und denn, dass Ersatzinstrumente gefunden wer- etwa durch Gründung kaufmännisch ist die nachgelagerte Rechnungsprüfung den. rechnender Landesbetriebe (insbeson- durch den Rechnungshof. Sie ist eines der dere Hochbau, Straßenbau und Landes- wenigen Kontrollinstrumente, bei denen forsten) oder durch Bildung von Glo- sich das Parlament nicht auf die Informa- 3 S. Jürgen Ockermann, Die Rolle des Parla- balhaushalten bei Universitäten. tionen verlassen muss, welche die Regie- ments bei der Modernisierung der öffentlichen Verwaltung, in Hill/Klages, Die Rolle des Gleichzeitig sollen Schritt für Schritt die rung selbst liefert. Sie kann auf den unab- Parlaments in der Neuen Steuerung, S. 107. Finanz- und Fachverantwortung zusam- hängigen externen Sachverstand des Rech- 4 Das gilt auch für Regierungsfraktionen, vgl. mengeführt werden. nungshofs zurückgreifen. Allerdings Schmitt/Reinemann, Haushaltsreform und Mit diesen Maßnahmen sollten die Vor- erfolgt die parlamentarische Rechnungs- Budgetrecht in Rheinland-Pfalz, Verwaltung aussetzungen für ein wirtschaftlicheres prüfung im Rahmen des Entlastungsver- und Management 2004, S. 116 ff. 5 S. Jörg Bogumil/Sabine Kuhlmann, Zehn Jah- und sparsameres Handeln der Verwaltung fahrens in Rheinland-Pfalz erst etwa ein- re kommunale Verwaltungsmodernisierung. geschaffen werden; Anreize für das so ge- einhalb Jahre nach Ende des zu prüfenden Eine Wirkungsanalyse, in: Werner Jann u.a. nannte »Dezemberfieber« – das Verausga- Haushaltsjahres. Denn zunächst muss die (Hrsg.): Status-Report Verwaltungsreform, ben von Mitteln zum Jahresende, um ihre Regierung ihre Haushaltsrechnung vorle- Berlin 2004, S. 51 ff., 56 f., und 62. Notwendigkeit unter Beweis zu stellen – gen, sodann der Rechnungshof seinen Be- 6 S. im Einzelnen Keilmann, in: Verwaltung und Management 2001 S. 160 ff., 241 ff., 311 sollten entfallen. Da mehr Freiheit der richt, hierzu nimmt wiederum die Landes- ff. und 374 ff. Verwaltung bei der Mittelverwendung regierung Stellung, und erst auf dieser 7 S. den Bericht der Enquete-Kommission »Par- aber nicht von selbst zu mehr Sparsamkeit Grundlage berät die Rechnungsprüfungs- lamentsreform«, Drucksache 13/3500 und do- führt, wurde die Flexibilisierung verbun- kommission des Landtags. Dabei ist das kumentiert in: Parlamentsreform, Heft 4 der Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, den mit mittelfristigen Sparvorgaben, etwa Entlastungsverfahren in Rheinland-Pfalz Mainz 1998, unter C.I.7.4. der jährlichen Absenkung der realen Per- im Vergleich mit dem Bund und den ande- 8 Vgl. Dreier, Der Kampf um das Budgetrecht sonalausgaben (bereinigt um Inflation und ren Ländern noch mit am schnellsten abge- als Kampf um die staatliche Steuerungsherr- Besoldungserhöhungen) und der Sachmit- schlossen. Im Rahmen der Parlamentsre- schaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Effizienz als Herausforderung an das Verwal- tel. Im Rahmen des so genannten Bonus- form Mitte der 90er Jahre wurde das Entla- tungsrecht, 1998, S. 59 ff. Malus-Systems wird bei Übertragungen stungsverfahren soweit beschleunigt, dass 9 S. VerfGH Rheinland-Pfalz, DÖV 1997, S. von Mitteln ins nächste Jahr eine »Einspar- es vor der Beratung eines neuen Zwei-Jah- 246 ff.
VM 5/2005 249 Neue Steuerung aus der Sicht regierungstragender und oppositioneller Fraktionen
Nach Auffassung des Bundesverfas- Es ist zu begrüßen, dass mit Wirtschaft- gen. Dies mag der Regierung das Arbeiten sungsgerichts verpflichtet die Verfassung lichkeitsberechnungen und mit Kosten- erheblich erleichtern. Für das Parlament die Regierung »zur Vorlage eines Haus- Leistungs-Rechnungen versucht wird, die- stellt sich jedoch die Frage: Kann es sei- haltsplans, der hinreichend konkrete Anga- se Zusammenhänge darzustellen und trans- nem Auftrag noch nachkommen? Steht ben über Einnahmen und Ausgaben enthal- parent zu machen. Noch allerdings ist es dem für das Parlament ein Äquivalent an ten muss. Dem einzelnen Abgeordneten er- nicht wirklich gelungen, aus diesen Zahlen Transparenz und Erkenntnis für Wirt- wächst aus seinem verfassungsrechtlich Informationen zu generieren, die für die schaftlichkeit und Effizienz gegenüber? gewährleisteten Status ein Recht darauf, politische Steuerung und Kontrolle des Diese Frage ist mit einem »zum Teil, dass ihm grundsätzlich diejenigen Informa- Parlaments relevant sind. Immerhin liegt im Ganzen aber noch sehr unbefriedigend« tionen nicht vorenthalten werden, die ihm hier eine Chance, mit den Haushaltsmitteln zu beantworten. eine sachverständige Beurteilung des Haus- effektiver umzugehen, aber auch, politi- Die Flexibilisierung geht sehr weit. Im haltsplans ermöglichen.« Denn die Haus- sche Debatten rationaler zu führen.12 Gegenzug zur Flexibilisierung beim Regie- haltsberatung im Parlament »verfehlt ihren Wie sieht die derzeitige Praxis bezüglich rungshandeln wurde das Berichtswesen ver- Zweck, wenn über den Beratungsgegen- der Einführung neuer Steuerungsmodelle stärkt:13 Das Parlament erhält halbjährlich stand keine oder nur unzureichende Infor- und der Budgetierung in Rheinland-Pfalz einen Budgetbericht der Regierung, der In- mationen zur Verfügung stehen. Abgeord- aus? Man kann sie als eine Art Übergangs- formationen über den Haushaltsverlauf gibt. nete bedürfen daher grundsätzlich einer stadium bezeichnen: Auf der einen Seite hat Aber er lässt Zwischensteuerungsmöglich- umfassenden Information, um ihren Aufga- sich die Haushaltsaufstellung und die Praxis keiten kaum zu. Es gibt zwar – als ultima ben genügen zu können; das gilt insbeson- der Haushaltsbewirtschaftung deutlich ver- ratio – die Möglichkeit, dass der Haushalts- dere für parlamentarische Minderheiten.«10 ändert. Die Haushalte werden immer »glo- und Finanzausschuss die Übertragbarkeit und Deckungsfähigkeit im Einzelfall wieder einschränkt, wenn es zu offensichtlichen »Es stellt sich die Frage, wie es um das Missbräuchen kommt.14 Aber dieses Mittel Budgetrecht des Parlamentes bei den neuen setzt voraus, dass der Ausschuss Kenntnis von derartigen Missbräuchen erhält. Den Formen des staatlichen Haushaltswesens bisherigen Budgetberichten ließen sich der- artige Informationen nicht entnehmen – was bestellt ist.« nicht verwundert, denn keine Regierung of- fenbart gerne Fehler oder bietet von sich aus Ansatzpunkte zu Kritik. Es gibt vor al- Damit sind auch die Gebote der Haus- baler«, d.h. die Mittel für bestimmte Aufga- lem keine Informationen, wo die Regierung haltswahrheit und -klarheit angesprochen: ben werden immer pauschaler veranschlagt. denn nun speziell die in großen Deckungs- Der Haushaltsplan »darf Sachverhalte nicht Das geschieht in Globalhaushalten für staat- kreisen veranschlagten Haushaltsmittel ein- verschleiern. Er muss transparent machen, liche Einrichtungen, wie zum Beispiel der setzt. Das erfahren die Abgeordneten erst (...) in welcher Höhe Ausgaben für welchen Universität Mainz, bei der rechtsverbindlich mit der Haushaltsrechnung, die in den letz- Zweck voraussichtlich anfallen.«11 nur eine globale Mittelzuweisung erfolgt. ten Jahren regelmäßig erst gegen Ende des Der Abgeordnete hat ein Interesse an Das geschieht durch vermehrte Einrichtung folgenden Haushaltsjahres dem Parlament Informationen und Nachweisen, wie wirt- von Landesbetrieben, die kaufmännisch ge- vorgelegt wurde, oder aus dem Bericht des schaftlich, d.h. in welchem Verhältnis von führt werden und für die nur noch Zu- Landesrechnungshofs.15 Aufwand und Wirkung, die staatlichen führungen und Abführungen an den Haus- Aufgaben erfüllt werden, damit er seinem halt verbindlich ausgewiesen werden. Dazu 10 BVerfGE 70, 324, 355 f. verfassungsmäßigen Auftrag gerecht wer- kommt die Flexibilisierung: In so genann- 11 S. VerfGH Rheinland-Pfalz, a.a.O. (Fn. 9). den kann. ten »Deckungskreisen« sind alle oder viele 12 Vgl. die Ergebnisse der Arbeitsgruppe »Bud- Der Abgeordnete muss zum Beispiel Ausgabentitel über ganze Kapitel hinweg getrecht der Parlamente« der Landtags-Direk- wissen: Welche Mittel nimmt das Land, miteinander deckungsfähig und dazu noch torenkonferenz: »Haushaltsreform und Budget- recht des Parlaments – bisherige Erfahrungen nehmen die Kommunen und Träger in die ins nächste Haushaltsjahr übertragbar. und Konsequenzen für die Haushaltsaufstel- Hand, um allen drei- bis sechs Jahren alten Überdies werden globale Minderausgaben lung sowie die Steuerung und Kontrolle des Kindern einen Kindergartenplatz zu garan- veranschlagt, weil man sich bei der Kür- Vollzugs, Landtags-Drucksache 14/3210. tieren? Welche Mittel werden aufge- zung von Titeln vor Beginn des Haushalts- 13 S. Edinger, Florian, Perspektiven des Haus- halts- und Finanzmanagements aus der Sicht wendet, um an den Hochschulen welcher jahres noch nicht festlegen will, man aber des rheinland-pfälzischen Landtags, in: Hill, Zahl von Studierenden ein erfolgreiches Einnahmen und Ausgaben in eine Gesamt- Hermann (Hrsg.): Bestandsaufnahme und Per- Studium zu ermöglichen? Welche Mittel deckung bringen muss. Diese werden an ei- spektiven des Haushalts- und Finanzmanage- werden angewendet, um welches Maß an ner Stelle des Einzelplanes oder eines Kapi- ments, Baden-Baden 2005, S. 141 ff., 144. 14 Zur Sicherung einer zweckentsprechenden Forschungsergebnissen an den Hochschu- tels ausgebracht und sind über das Jahr bei Verwendung von Haushaltsmitteln kann der len zu erzielen? den veranschlagten Ausgaben einzusparen. Haushalts- und Finanzausschuss des Landtags Politisch ebenfalls relevant ist die Frage die Deckungsfähigkeit (...) und Übertragbar- nach Handlungsalternativen: Was müsste keit (...) im Einzelfall begrenzen oder aufhe- ben«, § 6 Absatz 4 Landeshaushaltsgesetz man tun, um mit denselben Mitteln bessere Budgetierung und RLP 2005/2006. Wirkungen oder um die gleiche Wirkung parlamentarische Kontrolle 15 So deckt der Jahresbericht 2004 des Rechnungs- vielleicht auch mit weniger Mitteln errei- hofs eine dem ursprünglichen Zweck zuwider- chen zu können? Um das beurteilen zu Mit all diesen Instrumenten werden die laufende Verwendung von Personalmitteln auf, können, braucht man Informationen, die klassischen Prinzipien der kameralisti- die für die Ganztagsschulen vorgesehen waren (s. Landtags-Drucksache 14/3830, Nr. 23). Aus ebenfalls vielfach nur über die Regierung schen Haushaltssystematik aufgeweicht den Budgetberichten ließ sich dies nicht entneh- erhältlich sind. zugunsten sehr viel flexiblerer Festlegun- men.
250 Hans-Josef Bracht, Budgetierung und Parlament
Dann ist das betreffende Haushaltsjahr prüfen kann. Das aber ist ein Problem: nimmt. Ein Beispiel ist die schrittweise schon so weit weg, dass Abgeordnete und Warum sollten Regierung und mit ihr die Einführung der Ganztagsschulen. Hier geht auch die Öffentlichkeit kaum noch Interes- regierungstragenden Fraktionen sich in ei- es darum, welche jährlichen Aufwendun- se an diesen Ergebnissen haben. ner Weise öffentlich auf Ziele festlegen, gen für den Ausbau der Gebäude für wel- Oder betrachten wir ein anderes Bei- die sie bei Nichterreichen der Kritik durch che Bedarfsdeckung abzusehen sind und spiel: Der drastisch gesunkenen, rechtli- Opposition und Öffentlichkeit aussetzen?19 welche Folgekosten für Land und Gemein- chen Verbindlichkeit der Veranschlagung Ferner ist bei ehrgeizigen politischen Wir- den bei welchem Ausstattungsgrad in wel- von Einnahmen und Ausgaben des Haus- kungs-Zielen oft nicht klar zu definieren, cher pädagogischen Konzeption abzusehen haltes steht kein angemessener Gewinn an inwieweit für ihr Erreichen oder Verfehlen sind. Erst dies würde politische Entschei- rechtlich verbindlichen, präzise definierten das Handeln der Regierung oder äußere dungsgrundlagen dafür liefern, welches Output- und Wirtschaftlichkeitszielen im Sinne von Kosten-Leistungs-Relationen gegenüber. Das beginnt schon damit, dass »Der drastisch gesunkenen Verbindlichkeit nur die im Haushaltsplan niedergelegten der Haushaltsveranschlagungen steht kein globalisierten Zahlen rechtlich verbindlich sind. Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Ko- angemessener Gewinn an verbindlichen sten-Leistungs-Relationen usw. sind aber meist nur in zusätzlichen, erläuternden Wirtschaftlichkeitszielen gegenüber.« Vorlagen enthalten, die zum Teil wiederum nur auf ausdrückliche Nachfragen der Ab- geordneten erstellt und vorgelegt werden. Einflüsse entscheidend sind. So sind die Ausbautempo in einem vertretbaren finan- Bei Landesbetrieben und Einrichtungen bisherigen Leistungsaufträge denn auch oft ziellen Rahmen zu leisten ist oder in wel- mit Global-Haushalt wird zwar im Haus- banal oder unkonkret und damit noch ohne chem Rahmen andere Aufgaben mit gerin- halt eine Gewinn- und Verlustrechnung entscheidende politische Steuerungskraft. gerem Aufwand erledigt werden müssten. und eine Finanzierungsrechnung wiederge- Betrachten wir als Beispiel den Leistungs- Ein wesentlicher Teil der völlig über- geben. Die Schnittstellen zwischen Kame- auftrag »Arbeitsmarktpolitische Maßnah- höhten Staatsverschuldung auf allen Ebe- ralistik und diesen kaufmännischen Re- men«:20 Im Haushalt wird ein zweistelliger nen ist eben nicht nur durch geringere Ein- chenwerken sind jedoch fast nie exakt zu Millionenbetrag veranschlagt. Als Ziel ist nahmen als erhofft eingetreten, sondern überschauen. Ebenso wenig lässt sich im Leistungsauftrag formuliert, dass mit dadurch, dass die öffentliche Hand neue schlüssig nachvollziehen, welcher Effizi- diesen Mitteln ein »Beitrag zur Verbesse- Aufgaben übernommen und neue Projekte enzgewinn mit den kaufmännisch geführ- rung der Arbeitsmarktlage im Lande« er- begonnen hat, ohne die mittel- bis langfri- ten Landesbetrieben wirklich erzielt wird. reicht werden soll. Ein derart unbestimmtes stigen finanziellen Folgen abzuschätzen Dies schon allein deshalb, weil beide Re- Ziel steuert weder das Regierungshandeln, und einzukalkulieren. chensysteme, Kameralistik und kaufmän- noch kann es als Maßstab für eine Kontrol- Wenn nun solche modernen, an Wirt- nische Buchführung, miteinander nicht le durch Parlament, Rechnungshof und Öf- schaftlichkeit, an Input-Output-Relationen kompatibel sind, vorher und nachher also fentlichkeit dienen. orientierte Staatshaushalte mit dem ele- nur schwer zu vergleichen ist.16 Dazu kommen bislang auch Defizite in der Rechenschaftslegung über die Lei- stungsaufträge. Die Landeshaushaltsord- 16 S.a. die Arbeitsgruppe »Budgetrecht der Par- Leistungsaufträge nung sieht vor, dass die Landesregierung lamente« der Landtags-Direktorenkonferenz: auch im Rahmen der Rechnungslegung »Haushaltsreform und Budgetrecht des Parla- In den letzten beiden Haushalten für Rhein- über die Erfüllung der Leistungsaufträge ments – bisherige Erfahrungen und Konse- land-Pfalz wurden jeweils vier und im berichtet.21 Dieser Pflicht ist die Landesre- quenzen für die Haushaltsaufstellung sowie die Steuerung und Kontrolle des Vollzugs, Doppelhaushalt für die Jahre 2005/2006 gierung bislang nicht nachgekommen, ob- Landtags-Drucksache 14/3210. acht so genannte Leistungsaufträge formu- wohl dies der Rechnungshof bereits im 17 So § 7 b Landeshaushaltsordnung RLP; vgl. liert. Der Leistungsauftrag »legt für einzel- letzten Jahresbericht rügte.22 dazu Edinger, Änderungen der Landeshaus- ne Aufgaben oder Aufgabenbereiche Ziel- Es treten aber auch verfassungsrechtli- haltsordnung Rheinland-Pfalz – Leistungsauf- größen fest, die bei der Ausführung des che Fragen auf: Wie etwa soll noch nach- trag und Sicherung des Budgetrechts des Landtags, in: Hill (Hrsg.), Parlamentarische Haushaltsplans erreicht werden sollen.« Sie vollziehbar sein, dass die Neuverschul- Steuerungsordnung, Speyerer Forschungsbe- können insbesondere »den Umfang, die dung die Summe der eigenfinanzierten In- richte 220, Speyer 2001, S. 15 ff.; Keilmann/ Kosten, die Qualität oder Wirkungen von vestitionen nicht überschreitet, wenn Hermonies, Der Leistungsauftrag, Verwaltung Verwaltungsleistungen beschreiben.«17 Der Investitionen in Höhe von mehreren hun- und Management 2004, S. 306 ff. 18 Zur Gesetzgebungsgeschichte s. Edinger, Landtag hat den Leistungsauftrag in der dert Millionen Euro im Haushalt des Lan- a.a.O. (Fn. 13), und ders. in: Haushaltsreform Landeshaushaltsordnung gerade deshalb des Rheinland-Pfalz in weiten Deckungs- und parlamentarisches Budgetrecht in Rhein- verankert, um Einschränkungen seines kreisen mit allen Formen von nicht investi- land-Pfalz, Mainz 2001 (Heft 15 der Schrif- Budgetrechts durch die Flexibilisierung ven Ausgaben deckungsfähig sind, also tenreihe des Landtags), S. 7 ff. (beim »Input«) durch Vorgaben für den keinerlei Verbindlichkeit mehr besteht, das 19 Vgl. Hill, Hermann, Gesetzgebung und Ver- waltungsmodernisierung, ZG 1998, S. 113. 18 »Output« zu kompensieren. Solche Lei- in diesen Titeln veranschlagte Geld wirk- 20 S. Haushaltsplan RLP 2005/2006, Einzelplan stungsaufträge könnten durchaus ein In- lich für Investitionen auszugeben? 06, Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie strument sein, bei der parlamentarischen Ebenso wenig findet bisher eine Kosten- und Gesundheit, S. 27 f. (abrufbar unter http:// Steuerung und Kontrolle von Budgets zu Leistungs-Planung statt, die es erlaubt, die www.fm.rlp.de/Finanzen/fr_Finanzen.htm, Stand 3/2005). helfen. Voraussetzung dafür aber ist, dass mittel- bis langfristigen finanziellen Folgen 21 § 7b Absatz 4 LHO RLP. Leistungsaufträge konkret sind, also kon- darzustellen, wenn der Staat zusätzliche 22 S. Jahresbericht des Rechnungshofs RLP krete Ziele beinhalten, die man später über- neue politische Aufgaben in Angriff 2003, Landtags-Drucksache 14/2900, Nr. 1.6.
VM 5/2005 251 Neue Steuerung aus der Sicht regierungstragender und oppositioneller Fraktionen mentaren Verfassungsinstitut des parla- Personal- und Sachmitteln jedenfalls in den einer weitgehenden flächendeckenden Fle- mentarischen Budgetrechts sicher und aus- Grenzen bestehender Strukturen erreicht. xibilisierung ausgleichen können, und reichend verbunden werden sollen, muss Es zeigen sich nunmehr an einer Reihe wenn ja, zu welchem Preis. Hier ist noch das Haushaltsrecht noch deutlich weitge- von Stellen Nachteile: In manchen Berei- vieles im Fluss. Jedenfalls ist es kaum hender in Richtung einer Systematik und chen kommt es zu einer flächendeckenden sinnvoll, kostspielige neue Berichts- und Methodik der Haushaltsveranschlagung re- Unterfinanzierung der staatlichen Aufga- Controllingbürokratien aufzubauen, wenn formiert werden, die adäquate parlamenta- ben. Darunter leidet die Aufgaben-Erledi- deren Ertrag in keinem Verhältnis zu den rische Kontrollmöglichkeiten sichert. Im gung. Die Flexibilisierung (Deckungskrei- Kosten steht. Der Rechnungshof Rhein- Erprobungsstadium sind hier Disparitäten se, Übertragbarkeit) kann in diesen Fällen land-Pfalz hat erst jüngst am Beispiel eines in einem gewissen Umfang erträglich, dazu führen, dass es im Belieben der Ver- Leistungsvergleichs von Verwaltungen, vielleicht unvermeidlich, auf Dauer dürfen waltung steht, welche Aufgaben und poli- der ebenfalls Eingang in einen Leistungs- sie nicht bestehen bleiben. tischen Ziele, die sich im Haushalt nieder- auftrag gefunden hat,24 ein vertretbares geschlagen haben, verwirklicht und welche Maß von Aufwand und Ertrag solcher In- vernachlässigt werden. strumente angemahnt.25 Budgetierung als Sparprogramm In Rheinland-Pfalz herrscht vor diesem Hintergrund in Teilen der Opposition der Die Diskussion um die Neue Steuerung Abbau parlamentarischer Eindruck, das Haushaltsgebaren der Regie- und Budgetierung wurde von Anfang an Steuerungs- und Kontrolldefizite rung nicht mehr – oder noch nicht wieder nicht nur unter dem Aspekt der Verbesse- – in dem verfassungsrechtlich und poli- rung von Qualität und Quantität öffentli- Der positive Effekt der gegenwärtigen tisch erforderlichem Maße kontrollieren zu cher Leistungen geführt, sondern auch im Form der Budgetierung in Rheinland-Pfalz können. Steuern können Oppositionsfrak- Hinblick auf die Sparzwänge der öffentli- schwächt sich also allmählich ab. Die mit tionen ohnehin nicht. Solange die neuen chen Hand. ihr verbundenen Einbußen an Transparenz Kontroll- und Steuerungsmittel die Defizi- Auch in Rheinland-Pfalz hat die Budge- tragen auf der anderen Seite dazu bei, die te, die durch die Flexibilisierung entstan- tierung zwei Aspekte: auf der einen Seite Finanzkrise eher zu verschleiern, und sie den sind, noch nicht ausgleichen können, mehr Flexibilität für die Verwaltung, wann beeinträchtigen die Steuerung und Kon- wird deshalb teilweise gefordert, zumin- dest die überzogenen Möglichkeiten zur Deckungsfähigkeit und Übertragbarkeit »Die modernen, an Input-Output-Relationen von Ausgaben zurückzudrehen, um wieder ausreichende Transparenz herzustellen und orientierten Staatshaushalte sind noch nicht Kontrolle zu ermöglichen. ausreichend mit dem parlamentarischen Aufgaben und Einnahmen in Budgetrecht verbunden.« Übereinstimmung bringen und wie sie ihre Mittel verausgabt, auf der trolle exekutiven Handelns durch das Par- Um die öffentlichen Finanzen wieder in anderen Seite eine stetige, mittelfristige lament. Letzteres gilt mehr noch für die Ordnung zu bringen, sind – unabhängig Kürzung von Sach- und Personalmitteln in Oppositionsfraktionen eines Parlamentes von der Budgetierung – zentrale, politische vielen Bereichen. Im Wesentlichen war die als für die Regierungsfraktionen. Die Fer- Führungsentscheidungen notwendig. Ziel Budgetierung bislang also mit globalen fi- ne der Oppositionsfraktionen zur Regie- muss der »nachhaltige Staat« sein, der nanziellen (Einspar-)Vorgaben verbunden, rung erschwert die politische Kontrolle der die öffentlichen Zukunftsaufgaben mög- nicht aber mit inhaltlichen Zielen (mit Aus- Regierung bei budgetierten Haushalten in lichst optimal erfüllt nahme einiger weniger Pilot-Leistungsauf- besonderem Maße, trotz Budgetberichten und zwar mit den langfristig zur Verfü- träge). Positiv an dieser Form der Budge- und ersten Leistungsaufträgen. gung stehenden Einnahmen, also ohne tierung ist die Mobilisierung dezentraler Der Landtag Rheinland-Pfalz hat 2004 ständige höhere Verschuldung. Möglichkeiten der Einsparung und Ratio- einen gemeinsamen Antrag verabschiedet Landesvermögen durch Verkauf oder son- nalisierung. Auch gehen von der Zusam- mit dem Titel »Moderne Strukturen für den stige Finanzoperationen zu Geld zu ma- menführung von Fach- und Finanzverant- Landeshaushalt: Transparenz erhöhen, chen, ist jedenfalls keine nachhaltige Lö- wortung Sparanreize aus, zum Beispiel da- Steuerungsmöglichkeiten verbessern«.23 sung. durch, dass die Ressorts der rheinland-pfäl- Dort wurde die Landesregierung aufgefor- Der öffentlichen Hand fehlt es an Geld, zischen Landesregierung Mietausgaben für dert, den Haushaltsplan so zu straffen, dass um alle einmal übernommenen staatlichen von ihnen angemietete Gebäude oder Pen- ein Politikfeld oder -programm möglichst Aufgaben zu finanzieren. Deshalb muss sionslasten für neu eingestellte Mitarbeiter nur in einem Kapitel veranschlagt wird, und Aufgabenkritik zur zentralen, politischen im Rahmen ihres Budgets veranschlagen dementsprechend »die große Zahl von kapi- Führungsaufgabe werden. und abführen müssen. telübergreifenden Deckungsfähigkeiten zu Die Begrenzung des Budgets im Rahmen Jetzt scheint aber ein »toter Punkt« er- reduzieren«. Daneben sollten »zentrale po- der Budgetierung und die damit einherge- reicht. Denn die Möglichkeiten dieser de- litische Vorhaben in Leistungsaufträgen mit zentralen Einsparung und Rationalisierung quantifizierbaren Zielvorgaben« abgebildet dürften vielfach ausgereizt sein. In perso- werden, soweit die Zielerreichung messbar 23 Landtagsdrucksachen 14/2890 und 14/2903. nalintensiven Bereichen wie Schule und ist. Dieses Ziel ist noch nicht erreicht. 24 S. Leistungsauftrag der Steuerverwaltung, Haushaltsplan RLP 2005/2006, Einzelplan 04, Polizei war ein Personalabbau von vorn- Unabhängig davon ist es aber auch Ministerium der Finanzen, S. 42 ff. herein schwierig; vielerorts, etwa im Justiz- noch immer nicht absehbar, inwieweit 25 Jahresbericht 2004 des Rechnungshofs, Land- bereich, ist die Grenze der Kürzung von neue Steuerungsinstrumente die Defizite tags-Drucksache 14/3830, Nr. 10.
252 Hans-Josef Bracht, Budgetierung und Parlament hende dezentrale Aufgabenkritik leistet je- derlichen ausreichenden Finanzmittel aus- reichende Instrumente zur Kompensati- denfalls in Rheinland-Pfalz offenbar nicht zubringen. Auch die Wirtschaftlichkeit on dieser Defizite zu entwickeln. den Beitrag, der zur nachhaltigen Sicherung wäre messbar, wenn die Ziele, für die die Auf der anderen Seite kann eine gewis- der staatlichen Leistungsfähigkeit erforder- Mittel einzusetzen sind, klar definiert sind. se Flexibilisierung durch Budgetierung lich ist. Der Bericht der Landesregierung zur Dies muss verbunden werden mit einer mit vermehrter Übertragbarkeit und Thema »Aufgabenkritik«26 zeigt eher, dass zentral voranzutreibenden Verwaltungsra- Deckungsfähigkeit durchaus zu mehr es bislang weitgehend bei der Vollzugskritik tionalisierung, insbesondere durch den Wirtschaftlichkeit führen. geblieben ist (machen wir die Aufgaben Einsatz der Informationstechnologien. Deshalb müssen Deckungskreise und richtig?), statt zu fragen: Machen wir die Globalhaushalte auf einzelne Bereiche richtigen Aufgaben (Zweckkritik).27 mit bestimmten politischen Zielen oder Aufgabenkritik muss deshalb das Ziel Fazit Programmen zurückgeführt und dabei haben, durch steuerungsrelevante Zielvorgaben die wichtigsten Zukunftsaufgaben des Die Diskussion um die neuen Steue- in einer Weise ergänzt werden, dass der Staates zu definieren rungsmodelle auch in der Finanzpolitik Landtag sein Budgetrecht wirksam darauf die langfristig zu erwartenden ist sinnvoll und notwendig, ja zwin- wahrnehmen kann. Mittel zu konzentrieren und damit gend. Denn Budgetierung und Flexibili- Finanzpolitische Nachhaltigkeit ist die Aufgaben und Ziele möglichst opti- sierung, insbesondere unüberschaubare nicht allein über die derzeit angewand- mal zu erfüllen. Deckungskreise, Globalhaushalte, un- ten Instrumente und speziell die Budge- In diesem Kontext kann die Budgetierung konkrete Leistungsaufträge usw. sowie tierung zu erreichen, sondern nur über eine wichtige Bedeutung erhalten, wenn der Grad der Anwendung dieser Instru- politischen Mut und eine zentrale Auf- sie nicht nur mit monetären Vorgaben, mente ohne ein entsprechendes Äquiva- gabenkritik mit der Konzentration der sondern auch – etwa über Leistungsaufträ- lent auf der Seite des Parlamentes langfristig verfügbaren Mittel auf die ge – mit steuerungsrelevanten, inhaltlichen führen zu Intransparenz bis hin zu Un- wesentlichen Aufgaben. Zielen verbunden wird. Auf diese Weise kontrollierbarkeit zumindest für die Op- können die politischen Prioritäten deutlich positionsfraktionen. Das darf nicht sein, 26 Landtags-Drucksache 14/3738. gemacht werden, und ihr Erreichen ist denn das Kontrollrecht und das Budget- 27 So Hill, Hermann, Aufgabenkritik, Privatisie- kontrollierbar. Außerdem ist es erforder- recht gelten für das gesamte Parlament. rung und neue Verwaltungssteuerung, Baden- lich, die jeweils zur Zielerreichung erfor- Bisher ist es noch nicht gelungen, aus- Baden 2004, S. 9 ff.
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Gemeinsame Landesplanung
Die Modelle ländergrenzenüber- Die Steuerungskraft der formellen Gemeinsa- schreitender Zusammenarbeit in den men Landesplanung Berlin-Brandenburg Clemens Holtmann zeigt, dass die mangels hinreichender Beach- Die Modelle Metropolregionen Berlin-Branden- ländergrenzenüberschreitender tung ihrer räumlichen Ziele fragwürdige infor- Zusammenarbeit burg und Hamburg im Vergleich in den Metropolregionen melle Gemeinsame Landesplanung Ham- Berlin-Brandenburg und Schlussfolgerungen für eine Reorganisation Hamburg im Vergleich der Gemeinsamen Landesplanung in der burg/Niedersachsen/Schleswig-Holstein einer Schlussfolgerungen für eine Reorganisation der Gemeinsamen Landesplanung Reorganisation bedarf, die den Namen »Ge- in der Metropolregion Hamburg Metropolregion Hamburg meinsame Landesplanung« verdient. Von Dr. Clemens Holtmann 2005, 310 S., brosch., 56,– €, ISBN 3-8329-1207-X
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VM 5/2005 253 Sozialistische Marktwirtschaft und öffentliche Verwaltung Verwaltungsreformen und marktwirt- schaftliche Entwicklung in China
von Wolfgang Pippke
China befindet sich seit dem Tod des »Großen Vorsitzenden« Mao dererseits immer von den Gegensätzen Zedong in einem rasanten Wandel: Öffnung statt Abschottung, zwischen Jingzhi (der strengen Regelung wirtschaftlicher Aktivitäten) und dem Wu- Vielfalt statt Einheitlichkeit, Aufbrechen alter Ideologien und nicht wei (das Geschehenlassen von Entwick- zuletzt ein bemerkenswertes Wirtschaftswachstum. Diese enormen lungen) geprägt gewesen sowie dem Ver- Umwälzungen brechen sich aber immer wieder an tradierten ver- such, die Gegensätze auszubalancieren.3 In krusteten Strukturen. Im Folgenden wird untersucht, welche Aus- einem marktwirtschaftlichen System müs- ste selbstverständlich Wuwei dominieren, wirkungen dieser Wandel auf die öffentliche Verwaltung Chinas in einer sozialistischen Planwirtschaft das hat, ob die gegenwärtigen Strukturen dieser Verwaltung die Ent- Jingzhi – was aber in einer »sozialistischen wicklung des marktwirtschaftlichen Systems chinesischer Prägung Marktwirtschaft«? eher fördern oder behindern und wie das Bewusstsein der chinesi- Zu Beginn der Reformen existierte kein vorgefertigter Plan, mit Hilfe dessen man schen Beamten mit diesen Entwicklungen Schritt hält. eine funktionierende sozialistische Markt- wirtschaft hätte entwickeln können. Viel- mehr bestand die Idee, die Planwirtschaft Wirtschaftswandel als Ursache Im Folgenden werden die Auswirkungen durch einige marktwirtschaftliche Elemen- für Verwaltungsreformen der wirtschaftspolitischen und wirtschaftli- te zu ergänzen, um so ihre Effizienz zu chen Entwicklung auf das chinesische Ver- steigern und ihr Wachstum zu beschleuni- China war in den letzten hundert Jahren waltungssystem untersucht. In den Kausal- gen (»gradualistischer Ansatz«). Dieser mehrfach dramatischem Wandel ausgesetzt beziehungen gehen wir vom Modell von Weg wurde im Oktober 1992 auf dem mit erheblichen Auswirkungen auf Gesell- Bild 1 aus. XIV. Parteikongress der KPCh bestätigt, schaft, Wirtschaft und Kultur1. Diese Mit dem 3. Plenum des XI. Zentralkomi- und es wurde das Konzept einer »soziali- Wandlungen oszillierten um Abschottung tees im Jahre 1978 begann unter Deng Xia- stischen Marktwirtschaft mit chinesischen und Öffnung nach außen, um Traditionen oping die Ära der großen Reformen. Er war Merkmalen« als Ziel des Transformations- und radikale Erneuerungen, um ökonomi- Initiator und Lenker eines Prozesses der ra- prozesses beschlossen.4 sche Krisen und wirtschaftlichen Auf- dikalen Erneuerung von Staat, Wirtschaft Erste Maßnahmen zur Erreichung der schwung. Relativ stabil geblieben sind in und Gesellschaft. Die Arbeit der Partei wur- Reformziele waren Dezentralisierung und den letzten Jahrzehnten der Anspruch auf de auf ein neues Ziel ausgerichtet: den Auf- die Delegation von politischen Entschei- die territoriale Einheit des Landes und die bau einer sozialistischen Marktwirtschaft dungsbefugnissen. Nach Deng sollten die Vorherrschaft der Partei. Nach dem Tod chinesischer Prägung. Richtungsweisend Zuständigkeiten für die wirtschaftliche des Großen Vorsitzenden Mao Zedong im sollten die vier Modernisierungen sein: die Weiterentwicklung in den jeweiligen Or- Jahre 1976 zeichnet sich China aus durch: der Landwirtschaft, die der Industrie, von ten angesiedelt werden, wo die Verantwor- die Öffnung nach Westen Wissenschaft und Technik sowie die der tung für deren Ergebnisse liegt. Daher die Einführung marktwirtschaftlicher Armee. wurden den Provinzen, Landkreisen und Elemente Nach Deng war mit den maoistischen auch den Dörfern Freiräume für Experi- ein erstaunliches Wirtschaftswachstum Prinzipien der gleichen Einkommensver- mente eingeräumt, um eine verbesserte mit durchschnittlich acht Prozent jähr- teilung und der gleichmäßigen Entwick- Wirtschaftsentwicklung zu erreichen. War lich lung von Inlands- und Küstenprovinzen ein Experiment erfolgreich, wurde es zum ein erstarktes Nationalbewusstsein. ein schnelles Wachstum nicht zu errei- offiziellen Programm erhoben und in den chen. Er hielt es für sinnvoller, einige jeweils nächst höheren Ebenen (Gemeinde, Gruppen und Provinzen schneller zu Kreis, Provinz) eingeführt.5 Reichtum und Wohlstand gelangen zu las- Professor Dr. Wolfgang sen, damit eben diese den ärmeren helfen Pippke, Fachhochschule konnten. Die Ziele waren ein schnelles für öffentliche Verwal- 1 Vgl. Weggel, Oskar: China im Aufbruch. Wachstum der Wirtschaft und die Meh- Konfuzianismus und politische Zukunft, Mün- tung Nordrhein-Westfa- rung des Wohlstandes. Um dies zu errei- chen 1997; Seitz, Konrad: China, Berlin 2003. len – Abteilung Münster chen, ging man »tastend und experimentie- 2 Vgl. Schüller, Margot: Wirtschaft. Das chine- und Vorstandsmitglied rend« vor.2 sische Wirtschaftssystem, in: Staiger, Brun- des Instituts für Verwal- hild (Hrsg.): Länderbericht China, Darmstadt tungswissenschaften Im Lauf der chinesischen Geschichte ist 2000, S. 135-177, hier S. 140 ff. Gelsenkirchen. das Verhältnis Politik/Verwaltung einer- 3 Vgl. Weggel 1997, aaO, S. 102 ff. seits und Wirtschaft/Unternehmertum an- 4 Vgl. Schüller, aaO, S. 141.
254 Verwaltung und Management 11. Jg. (2005), Heft 5, S. 254-256 Wolfgang Pippke, Verwaltungsreformen und marktwirtschaftliche Entwicklung in China
Weitere Maßnahmen auf dem Weg zur Stärkung marktwirtschaftlicher Elemente waren:6 Entkollektivierung der Landwirtschaft System der Verantwortlichkeit der je- weiligen Führungskräfte für ihren Be- reich Gewerbefreiheit und zunehmender Wettbewerb schrittweise Privatisierung der Staatsbe- triebe Garantie des Privateigentums Öffnung für den Außenhandel, Beitritt zur WTO. Bild 1: Beziehungen zwischen Politik und Verwaltungsreformen Die Staatslenker waren sich im Klaren dar- über, dass die Reformschritte zu einem neuen System aufwändig und konfliktbela- den waren und die Umsetzung nicht nur von einer unabhängigen Justiz verlässlich Adäquanz von Verwaltungs- aus dem Erlassen von Gesetzen und Ver- aufrecht erhalten wird. Als deutlichstes reformen und marktwirtschaft- ordnungen bestehen konnte. Zum einen Beispiel ist dabei die Verfassungsmodifi- licher Entwicklung wollte die Regierung zwar die Durchset- zierung von 1988 zu nennen. Hier wurde zung einer sozialistischen Marktwirtschaft erstmals explizit festgelegt, dass die Ver- Wie bereits erwähnt erlangte China durch erreichen, zum anderen wollte sie keines- fassung das Grundgesetz des Staates ist seine Öffnungs- und Reformpolitik erhebli- falls die Kontrolle über diese Entwicklung und höchste gesetzliche Autorität besitzt. che Erfolge in der Wirtschaft. Die öffentli- verlieren. Daher beschränkte sie ihre Auf- Auch die Entscheidungen der Exekutiven che Verwaltung war (und ist) dabei ein gaben auf die beiden Kernbereiche Ent- müssen auf verfassungskonformen, gesetz- wichtiger Aktor, der zum Prozess der Wirt- wicklung und Kontrolle. Zur Entwick- lich fundierten Grundlagen beruhen und schaftsentwicklung beigetragen hat und die- lungsfunktion der Regierung gehörte die mit Gesetzen und Verordnungen im Ein- sen vorangetrieben hat. Eine effektive Ver- Aufgabe, die wirtschaftlichen Abläufe des klang stehen. Das Prinzip der Verrechtli- waltung war und ist somit unabdingbar, Landes im Sinne staatlicher Interessen zu chung muss das gesamte System der öf- wobei sie ihre Arbeit auf die ihr zugeschrie- regulieren. Die makroökonomische Steue- fentlichen Verwaltung umfassen. benen Kompetenzen beschränken soll, um rung durch die Regierung sollte gestärkt Die Umstrukturierung der chinesischen nur dort regelnd einzugreifen, wo die und vervollständigt werden. Das bedeute- Wirtschaft mit bemerkenswerten Wachs- Marktkräfte dysfunktional reagieren. Ihre te, dass nur noch die Entwicklungen auf tumsraten ist allerdings nicht ohne negati- Verfügungsbefugnisse waren zu Beginn der dem Markt durch den Staat gelenkt werden ve Folgen geblieben: Reformen noch sehr weit ausgedehnt und sollten, die nicht allein durch den Markt Die Arbeitslosigkeit stieg und steigt die Organisation weitgehend ineffizient, so selbst geregelt werden konnten oder soll- weiterhin auf Grund der wachsenden dass sie die wirtschaftlichen Entwicklungen ten. Der Staat sollte nur dort eingreifen, Bevölkerung, der Privatisierung der eher behinderten als förderten.8 wo markt- oder gesetzeswidrige Aktionen Staatsbetriebe, der Einführung tech- Wie sollten aber die Verwaltungsstruk- betrieben wurden. Das Ziel war die Schaf- nisch fortgeschrittener Verfahren, der turen in China aussehen, um die Entwick- fung einer einheitlichen, offenen und ge- Umstrukturierung im ländlichen Be- lung zu einem marktwirtschaftlichen Sy- ordneten Entwicklung der Volkswirtschaft, reich und nicht zuletzt wegen des Stel- stem zu fördern und nicht zu behindern? die sich an marktwirtschaftlichen Gesetz- lenabbaus im öffentlichen Sektor. Zu jeder marktwirtschaftlichen Ordnung mäßigkeiten orientieren sollte. Die Kon- Die Einkommensdisparitäten sind enorm, gehört zwangsläufig die Autonomie unter- trollfunktion sollte garantieren, dass sich insbesondere zwischen städtischer und nehmerischer Entscheidungen, die zwar unter der Aufsicht des Staates eine funkti- ländlicher Bevölkerung sowie zwischen durch Gesetze oder andere staatliche Rege- onsfähige sozialistische Marktwirtschaft den Entwicklungszonen und den Rand- lungen mehr oder weniger eingeschränkt entwickelte. Die Regierung behielt so die bereichen. Die Gefahr sozialer Unruhen ist, den Unternehmen aber Handlungs- Möglichkeit, unerwünschte Entwicklungen steigt. spielräume für eigene Entscheidungen ein- zu bekämpfen oder zu verhindern, positive Mit der anhaltenden Wachstumsstärke räumt. Aus Unternehmersicht sind es fol- Entwicklungen hingegen zu fördern und zu steigt die Gefahr inflationärer Tenden- gende Einflüsse, die Handlungsspielräume unterstützen.7 zen. einschränken oder behindern: Dezentralisierung, Delegation, Streben Die dynamische Wirtschaftsentwick- politische Unberechenbarkeit, weil sie nach Eigennutz und Gewinn sind ohne Pri- lung wurde in weiten Teilen leichtfertig eine langfristige Unternehmensstrategie vateigentum schwerlich umzusetzen, den- durch staatliche Banken unterstützt mit unmöglich macht noch wurde dieses erst im März des Jahres der Folge einer unüberschaubaren An- rechtliche Unsicherheit, weil das Risiko 2004 durch Beschluss des Volkskongres- zahl »fauler Kredite«. von Fehlinvestitionen steigt ses ausdrücklich geschützt. Privatunter- Trotz rigoroser Bekämpfung ist die nehmern war es ab dann erlaubt, Mitglied Korruption immer noch ein weit ver- der Partei zu werden. Privatbesitz an Pro- breitetes Übel. 5 Vgl. Seitz, aaO, S. 230 ff. duktionsmitteln, wirtschaftliches Handeln Das rasante Wachstum hat über Res- 6 Vgl. Schüller, aaO. 7 Vgl. zum Beispiel www.ahk-china.org/down- auf privater Basis und wirtschaftliche Kon- sourcenverbrauch, Landverbrauch und load/innenpolitik-china.pdf, 12/2003. trakte können auf Dauer aber nur in einem Emissionen die natürliche Umwelt 8 Vgl. etwa www.chinapolitik.de/china/pubs/ geschützten Rechtssystem bestehen, das nachhaltig geschädigt. china_polsys/polsys1.pdf, 12/2003.
VM 5/2005 255 Sozialistische Marktwirtschaft und öffentliche Verwaltung