FREIBURGER RUNDBRIEF Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung

Aus dem Inhalt Kardinal Roger Etchegaray: Judentum und Christentum. Intervention anlässlich der Bischofssynode in Rom, 4. 10. 1983. Wortlaut. Clemens Thoma: Kommentar — Die St.-Jakobus-Gemeinde in : Ein Aufruf zur Versöhnung Landessynode der Ev. Landeskirche in Baden zum Thema: Juden und Christen. Beschluss vom 3. 5. 1984. Erklärung — Kommentar von Landesrabbiner Dr. N. P. Levinson Papst Johannes Paul II.: Schreiben an die Bischöfe, Priester, religiösen Gemeinschaften über die Stadt Jerusalem vom 20. 4. 1984 — Kommentare: E. L. Ehrlich — C. Thoma/S. Lauer Z. W. Falk/M. J. Dübois OP, Jerusalem: Ein Briefwechsel: Zum Apostolischen Schreiben über die Stadt Jerusalem Im Rückblick: 50 Jahre nach dem 30. Januar 1933, u. a.: »Es gab auch solche Staatsanwälte«. Anklageschrift gegen Dachauer KZ-Kommandant, 1. 6. 1933. — WI. Bartoszewski: Das Warschauer Ghetto. — »Wo ist dein Bruder Abel?« Predigt von Flüchtlingspfarrer Paul Vogt in der Ev.-reform. Leonhards-Kirche , 27. 6. 1944. — Ansprachen u. a. in Gurs, Freiburg i. Br. Hans Lamm s. A.: Requiem für Babett Ministerpräsident Johannes Rau: Martin Luther und die Juden Ökumenischer Rat der Kirchen: Ökumenische Erwägungen zum christlich-jüdischen Dialog. Genf, 16. 7. 1982 : Dokumentarische Berichte Juden und Christen auf dem 87. Katholikentag, Düsseldorf 1982, sowie auf dem 20. Dt. Ev. Kirchentag, Hannover 1983 Altenwohnheim für NS-verfolgte Christen in Israel (Nahariyya) HM] Dokumente des heutigen religiösen Denkens und Forschens in Israel. Hebräische Veröffentlichungen aus Israel in deutscher Übersetzung' XI/XII/ 1983/84. Hrsg.: Ökumenisch-Theologische Forschungsgemeinschaft in Israel und Freiburger Rundbrief

Nach Redaktionsschluss: Zum 8. Mai 1985: Stellungnahme und Arbeitsprogramm

Jahrgang XXXV / XXXVI 1983/84 Nummer 133/140

Postverlagsort Freiburg i. Br. Echo zum Rundbrief XXXIII/1981 und XXXIV/1982*

Aus der Fülle uns zugegangener Zuschriften bringen wir wird der >Freiburger Rundbrief< zu einem unentbehrli- folgende Äusserungen : chen und leicht erschliessbaren Arbeitsmittel in der Hand Der Präsident des Sekretariats zur Förderung christlicher Einheit, aller, die Informationen und Quellen zum Themenfeld Johannes Kardinal Wi llebrands (2 9. 9. 1 984): >christlich-jüdische Begegnung nach dem Zweiten Welt- ». . Ich danke Ihnen herzlich für alles, was Sie im Inter- krieg< suchen . . .« esse der christlich-jüdischen Annäherung und gegenseiti- gem Verständnis getan haben . . .« Weihbischof Paul Nordhues, Paderborn (7. 7. I 982): ». . . Für den Registerband danke ich herzlich. In dem Der Bischof von Augsburg, Josef Stimpfle (2. 7. 1 982): Band steckt eine immense Arbeit. Sie hilft, das in Zukunft ». . Empfangen Sie meinen geziemenden und herzlichen auszuwerten, was im Laufe der Jahre erschienen ist.« Dank für die Zusendung der beiden Exemplare des Ge- samtregisterbandes für die vergangenen 30 Jahre der Bischof Manfred Müller, Regensburg (16. 2. 1 983): Arbeit Ihrer hervorragenden >Freiburger Rundbriefe<. Für ». . Seien Sie herzlich bedankt für die Zusendung der 34. dieses beachtliche Werk, das höchste Anerkennung ver- Folge des >Freiburger Rundbriefs<. Auch diesmal sind ak- dient und viel zur Aussöhnung zwischen Deutschland und tuelle Themen angesprochen worden . . . Mit allen guten Israel, Christ,entum und Judentum beigetragen hat, ge- Wünschen für Ihre Arbeit . . .« bührt Ihnen bleibender Dank und verehrungsvolle Be- Apost. Protonotar Prälat Ed. Beige4 Eschershausen (2 7. 7. 1 982): wunderung . .« ». ., Ihnen für die Zusendung des Freiburger Rundbriefs Weihbischof Rudolf Schmi4 Augsburg (14. 2. 1 983): zu danken. Ich schätze diese Rundbriefe sehr und begrüs- ». . Wieder habe ich den Freiburger Rundbrief mit den se es, dass jetzt in einem Gesamtregisterband eine syste- sehr wertvollen Beiträgen zur christlich-jüdischen Begeg- matische Übersicht über die Literaturhinweise . . . der bis- nung erhalten. Mit Erstaunen stelle ich fest, dass es bereits her erschienenen Rundbriefe gegeben wird. Ich wünsche der 34. Jg. ist. Ich möchte Ihnen ganz herzlich danken, Ihrer Arbeit weiterhin viel Erfolg und Gottes Segen . . .« nicht nur für die ausserordentlich wichtige Veröffentli- Apost. Protonotar Pro! Dr. Franz-losif Wothe, Hildesheim chung, sondern erst recht für alles gute Bemühen, welches (3. 7. I 984): dahinter steht. Sie leisten damit einen notwendigen und si- ». . . Mit dem Wortlaut und Kommentar der Intervention, cher auch gesegneten Dienst . . .« die Sie mir zugehen liessen, bin ich sehr einverstanden. Der Weihbischof von Aachen, Joseph Buchkremer (12. 4. 1 983): Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich für Ihre zielbe- ». . Herzlichen Dank für die Zusendung des neuen wusste . . . Arbeit bedanken. Namentlich Ihre >Rundbrie- >Rundbriefs< . Mit grossem Interesse verfolge ich immer fe< sind sehr wertvoll und helfen mit, aus unserem Glau- wieder den Freiburger Rundbrief. Auch hier in Aachen ben Wege zu den jüdischen Menschen zu finden . .« haben wir jährliche Begegnungen. Wiederholt werde ich Erzbischof Karl Berg, Salzburg (3. 7. 1 983): auch zu Abschtussidassen von Gymnasien und Realschu- ». . . Von ganzem Herzen möchte ich Ihnen wieder dan- len gebeten, und dabei kommen immer wieder auch diese ken für das neue Heft der >Freiburger Rundbriefe< mit sei- Fragen aufs Tapet. Seit dem Film >Holocaust< ist das nem reichen Inhalt . . . und wünsche Ihnen für Ihre weite- Interesse der Jugend für diese Fragen wieder lebendig ge- re verdienstvolle Arbeit Gottes reichsten Segen . .« worden . .« Landesbischof D. Eduard Lohse, Hannover (23. 3. 1 983): Weihbischof Wolkang Kirchgässner, Freiburg (26. 7. 1 984): ». . Für Ihre freundliche Zuschrift danke ich vielmals und ». . . Für die Zusendung des Sonderdrucks des >Freiburger werde Ihre Anregungen für die weitere kirchliche Arbeit Rundbriefs< mit der vielbeachteten Rede von Kardinal gern berücksichtigen . . .« Roger Etchegaray auf der römischen Bischofssynode dan- ke ich Ihnen sehr. Dieses Wort ist von grundlegender Bischof Dr. Martin Kruse, Berlin (4. 6. I 983): Bedeutung für unser Verhältnis zum jüdischen Volk. ICh ». . . Nun möchte ich Ihnen herzlich danken. Der Rund- hoffe, dass dieses Wort dazu beiträgt, die gemeinsame brief enthält nach meinem Urteil wertvolles Material für Wurzel noch deutlipher zu sehen und die gemeinsame die nötige christlich-jüdische Begegnung. Darüber hinaus Hoffnung auf Grund der Verheissung zu leben . . .« zeigt er, wie sich auch bei diesen Aufgaben unsere beiden Konfessionen zusammenfinden . . .« Apost. Administrator, Bischof Dr. Eduard Schick, Fulda (5. 6. 1982): Der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und ». . Für die beiden Exemplare des Gesamtregisterbandes Nassau, Helmut Hilt4 Darmstadt (6. 4. 1 983): der bisher erschienenen Nummern des Freiburger Rund- ». . Für die Zusendung des >Freiburger Rundbriefs< be- briefs danke ich Ihnen. Der vorliegende Band ei-schliesst danke ich mich sehr. Ich habe die Veröffentlichung mit nicht nur den Interessenten der Thematik eine Fülle von Interesse durchgesehen und bin gespannt auf die ange- Material, sondern spiegelt in eindrucksvoller Weise die kündigten >Leitlinien zum christlich-jüdischen Dia- bisherige Arbeit des Arbeitskreises für christlich-jüdische log< . . .« Begegnung wider . . .« Bischof H. H. Harms, Oldenburg (24. 3. I 983): Weihbischof Walther Kampe, Limburg (2. 3. 1 983): ». . Sehr herzlich danke ich Ihnen für Ihr Schreiben . . » . . . Sie machen mir immer eine grosse Freude, wenn ein mit dem Sie mir die Jahresfolge XXXIV/1982 des >Frei- neuer Rundbrief hier ankommt . . . Herzlichen Dank für burger Rundbriefs< zugesandt haben. Ich bin besonders Ihre Bemühungen . .« dankbar für die Materialzusammenstellung, die ich sonst Weihbischof Bischofivikar Heinrich Pachowiak, Hannover in dieser knappen Form nicht hätte . .« (22. 3. 1983): Dr. Dr. Harald Uhl fPräsidium Deutsch-Evangelischer Kirchentag', ». . Für die neue übersandte Folge des Freiburger Rund- Niederbachem (15. 8. 1 982): briefs darf ich Ihnen herzlich danken . . .« ». . . Mit herzlichem Dank und innerer Bewegung habe Bischof Helmut Herm. Wittler, Osnabrück (6. 7. I 982): ich den Gesamtregisterhand 1948- 1978 des >Freiburger ». . Herzlich danke ich Ihnen für die Zusendung des Rundbriefs< mit Ihrem freundlichen Brief vom 27. Juli Rundbriefs. Mit Hilfe dieses umfangreichen Registers d. J. erhalten. Dies ist ja viel mehr als eine bibliographi-

Fortsetzung auf 3. Umschlagseite I> FREIBURGER RUNDBRIEF Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung XXXV./XXXVI. Folge 1983/84 Nr. 133-140 Freiburg, Dezember 1984 1 I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum und Christentum: Intervention anlässlich der Bischofssynode in Rom, 4. 10. 1983. A Der Wort- laut. B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar. - II St.-Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Arbeitspapier 3 2 Landessynode der Ev. Landeskirche in Baden. I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen und Juden«. Erklärung. - II Ein mutiger Schritt zur Erklarung. Kommentar von Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson 6 3 I Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem v. 20. April 1984. - II Kommentare: Dr. E. L. Ehrlich, Basel. - III Clemens Thoma/ Simon Lauer, Luzern 8 4 I Ein Briefwechsel. Zum Apostolischen Schreiben über die Stadt Jerusalem. Von Z. W. Falk/M. J. Dubois OP. - II Johannes Paul II.: Zur diplomatischen Situation zwischen dem Vatikan u. Israel. - Johannes Paul II. zum Chefredakteur von »Maariv« 12 5 Papst Johannes Paul II.: Ansprachen: I An die Vorsteher der jüd. Gemeinde Madrid, 3. 11. 1982. - II Vor Repräsentanten d. »Anti- Defamation League d. B'nai B'rith« im Vatikan, 22. 3. 1984 17 6 Die Christen und das Judentum. Ein Text der Pastoralkommission Österreichs. A Text. B Kommentar (Dr. E. L. Ehrlich) 18 7 Theologische Fachtagung in Luzern, 16.-18. 1. 1984. Bericht von Dr. Simon Lauer, Luzern 27 8 Im Ruckblick: 50 Jahre nach dem 30. Januar 1933: I Juni 1933: Anklageschrift gegen KZ-Kommandanten: »Es gab auch solche Staats- anwälte«. Von RA Dr. Otto Gritschneder, München. - II A Das Warschauer Ghetto. Von Prof. Dr. Wladyslaw Bartoszewski, Prof. a. d. Universität Lublin. - Johannes Paul II. erinnert an den Aufstand des Warschauer Ghettos. - B Ein aussergewöhnliches Manifest: Aussöh- nung zwischen Polen und Juden. - Gedanken zu einem Manifest 28 III Katholische Kirche und Judentum zur Zeit des NS - eine geschichtliche Erfahrung und eine Herausforderung an uns. Vortrag, gehal- ten von Dr. E. L. Ehrlich, auf dem 88. Katholikentag, München, 5. 6. 1984 39 IV ». . . Wo ist dein Bruder Abel?« Predigt v. Flüchtlingspfarrer Paul Vogt, Zürich, 27. Juni 1944 in d. Ev.-ref. Leonhardskirche Basel . 44 V Zum Gedenken: In Gurs, in Freiburg und an »Juden in Baden«. A Ansprache v. Oberbürgermeister Dr. Rolf Böhme, Freiburg, auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs, 29. 4. 1984. - B Am 29. 4. 1984: >Jom Hashoa< auf dem jüd. Friedhof Freiburg i. Br.: Ansprache von H. H. Altmann. - C Ansprache Georges Stern anlässlich d. Eröffnung der Ausstellung »Juden in Baden 1809-1984: 175 Jahre Oberrat d. Israeliten Badens«. - VI Niemals vergessen. Zum 20. Juli. Eine Gedenkrede von Otto Küster, Stuttgart 46 9 »Jüdisches Erbe in Deutschland als Botschaft u. Herausforderung«. Ansprache von Landesrabb. Dr. N. P. Levinson am 10. 3. 1984. - Heinrich Margulies aus: »Offene Antwort auf Otto Veit: Christi.-jüd. Koexistenz« 52 10 Ein Empfang d. Kath. Akademie Munchen, 19. 7. 1983, f. Hans Lamm und Schalom Ben-Chorin anlässlich ihres 70. Geburtstags. I Dr. Hans Lamm s. A.: Requiem f. Babett, gesprochen auf dem Empfang. II Heimkehr in die Wirklichkeit. Novelle von Manfred Sturmann, wieder- gegeben von Schalom Ben-Chorin für Manfred Sturmann. III a) Geburtstagsbrief Schalom Ben-Chorin an Hans Lamm zum 8. 6. 1983. b) Geburtstagsbrief Hans Lamm an Schalom Ben-Chorin zum 20. 7. 1983 54 11 Martin Luther u. die Juden. Ansprache von Ministerpräsident Johannes Rau, Düsseldorf, anlässlich eines Symposions, 23. 2. 1983 58 12 Die Forschungen von Lavoslav Glesinger über jüdische Familiennamen. Bearbeitet von Nelly Weiss-Füglister, Chambesy (Genf) 60 13 Ökumenischer Rat der Kirchen. Dialog mit Menschen anderer Religionen und Ideologien. Genf, 16. Juli 1982 66 14 Beten, Sprechen und Denken in »jüdischen Kategorien«. Von Dr. Franz Mussner, Prof. emer. für ntl. Exegese, Univ. Regensburg 69 15 Laudatio auf Franz Bohm. Gehalten von Dr. Rainer Barzel anlässlich der Errichtung des Franz-Böhm-Lehrstuhls fur Wirtschaftswissen- schaften a. d. Hebräischen Universität Jerusalem am 15. 7. 1982 im Saal der Israelitischen Kultusgemeinde in München 72 16 Israel: Berichte, I Die Wahlen in Israel zur 11. Knesset am 13. 9. 1984. a) Israels neue Einheitsregierung. b) Dr. Roland Gradwohl: Israel hat eine neue Regierung. - II Funf Jahre nach dem Abkommen von Camp David (26. März 1979). Schalom - Salam! - Funf Jahre Frieden. - III a) Das israelisch-libanesische Abkommen, 17. Mai 1983. b) Kommunique des israel. Kabinetts z. Rückzug. - IV Johannes Paul II. zum Nahen Osten anlässlich eines Gesprächs im Vatikan mit dem neuen libanesischen Gesandten Nasri Salhab, 9. 1. 1983 75 17 Schreiben des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Guido Del Mestri betreffs Empfang des Papstes für PLO-Chef Arafat 80 18 Der Kardinal, der Esel und die Juden 80 19 Rundschau (u. a.: 1. Juden und Christen auf dem 87. Katholikentag in Düsseldorf, 1.-5. 9. 1982, sowie auf dem 20. Dt. Ev. Kirchentag in Hannover, 8.-12. 6. 1983; I. Auf dem Katholikentag. A) Die chr.-jüd. Gemeinschaftsfeier: a) Der liturg. Text. b) Ansprachen: 1. Weih- bischof Flügel. 2. Landesrabb. Levinson. B) Bei der jüd.-chr. Begegnung im Leo Baeck Saal. 1. Dr. B. Servatius. 2. Weihbischof Flügel. C) »Glauben heisst umkehren«. 1. Rabb. Dr. Posen. 2. Aus der Dialogrunde. D) Jean-Marie Kardinal Lustiger: Ansprache bei der Abschluss- feier, 5. 9. 1982. - II. Juden und Christen auf dem Dt. Ev. Kirchentag: P. Lapide: Wie liebt man seine Feinde? - 2. I. Kardinal Willebrands zur Bischofssynode, Oktober 1983. - II. Die Kommission f. d. relig. Beziehungen m. d. Judentum. a) Die 10. Tagung des ICCJ, Mailand, 6.-7. 9. 1982 u. d. 11. Tagung, Amsterdam, 27. 29. 3. 1984. - Zum Gedenktag des Holocaust, 6. 5. 1984: Die »halbjüd.« Kinder von Ber- lin. - Erklärung d. Zentralrats d. Juden in Deutschland zum 9. 11. 1984. - Ehrungen für Dr. E. L. Ehrlich, für Rabb. Dr. J. J. Petuchow- ski, für Dr. Gerhart Riegner. - Das Beth Hagefen in Haifa. - Arabisch-israel. Schülerinnentreffen. - Lehrstuhl für Holocaust-Geschichte a. d. Bar-Ilan-Universität. - Christliche Nachrichten aus Israel. - Zum Oberammergauer Passionsspiel 1984. - I. Wie sehen wir einander? Judentum, Christentum, Islam. Bericht über das 3. religionswissenschaftliche Symposion der drei Weltreligionen in der Staatl. Akad. f. Lehrerfortbildung, Donaueschingen, 12. - 15. 1. 1982. - II. Gottes Weisungen in den drei Weltreligionen. Bericht: Prof. Dr. Alwin Renker uber das 2. Symposion vom 3. bis 6. 3. 1979) 81 20 Literaturhinweise (u. a.: G. Biemer/A. Bissinger/P. Fiedler u. a. (Hrsg.): »Lernprozess Christen Juden« Bd. 3 - Bd. 4 - W. Harnisch (Hrsg.): Gleichnisse Jesu - R. Kampling: Das Blut Christi u. die Juden - A. Schenker: Versöhnung und Sühne - J. de Vries: Grundbegrif- fe der Scholastik - L. Baker: Hirt der Verfolgten. Leo Baeck im 3. Reich - J. D. Bleich: With Perfect Faith - Leiden an der Unerlöstheit der Welt: R. R. Geis 1906-1972 Briefe, Reden - W. Huber/I. Tödt (Hrsg.): Ethik im Ernstfall - H. A. Oberman: Wurzeln des Antisemi- tismus - P. v. d. Osten-Sacken: Grundzüge einer Theologie im chr.-jüd. Gespräch. Abhandlung zum christl.-jüd. Dialog 12 - G. Stember- ger: Epochen der jüdischen Literatur, an ausgewählten Texten erläutert - H. L. Strack/G. Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch - H. Liebeschütz: Synagoge und Ecclesia - Sjaloom. Mgr. Dr. A. C. Ramselaar - C. Thoma: Die theologischen Beziehungen zwischen Christentum u. Judentum - W. Bartoszewski: Herbst der Hoffnungen - Dietrich Bonhoeffer: Widerstand u. Ergebung (Neu- ausgabe). - M. Gilbert: Auschwitz und die Alliierten - R. M. W. Kempner: »Lebenserinnerungen« - A. Ramati: Der Assisi Untergrund - Elie Wiesel: Der fünfte Sohn. Roman - Michael Conway: Der Zionismus) 119 21 In memoriam. Abt Leo v. Rudloff OSB - L. Mattheiss - H. Greive - Pfr. P. Vogt - U. Tal s. A. - Rabb. M. Elk s. A. - Hans Lamm s. A.. . 192 22 Nach Redaktionsschluss: Zum 8. Mai 1985: Stellungnahme und Arbeitsprogramm 198 23 Aus unserer Arbeit (u. a. Altenwohnheim für NS-verfolgte Christen in Nahariyya/Israel - United States Holocaust Memorial Council Conference, September 1984) 198 24 Systematische Übersicht über die Literaturhinweise - 25 Systematisches Register über den Inhalt Jg. XXXV/XXXVI 200 26 Personenregister Jg. XXXV/XXXVI 205 Echo zu den Rundbrief-Folgen XXXIII/1981 und XXXIV/1982 US 2 »IMMANUEL«, Dokumente des heutigen religiösen Denkens und Forschens in Israel. XI/XII, 1983/84, Hrsg. Ökumenisch-Theologische Forschungsgemeinschaft in Israel und Freiburger Rundbrief 211

Als Manuskript gedruckt - Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion gestattet.

Herausgegeben (mit Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz und des Deutschen Caritasverbandes e. V.) von Dr. Willehad P. Eckert OP, Prof. Dr. Peter Fiedler, Msgr. Dr. Georg Hüssler, Dr. Ludwig Kaufmann SJ, Dr. Gertrud Luckner, Prof. Dr. Clemens Thoma SVD, Prof. Dr. Anton Vögtle, Prof. Dr. Erich Zenger. Schnfileitung: Dr. Gertrud Luckner, Prof. Dr. Clemens Thoma SVD. Geschäftsstelle: Gertrud Luckner - Freiburger Rundbrief. Arbeitskreis für christlich-jüdische Begegnung e. V. Postanschrift: Lorenz-Werthmann-Haus, Postfach 420, D-7800 Freiburg i. Br. - (s. auch Seite 2 unten) Postverlagsort Freiburg i. Br. An unsere Leser

Für alle Hilfe und das Echo, die der Aufruf an unsere Leser und auf die auch letzten jahresfolgen des Freiburger Rundbriefs (Frku) gefunden hat, danken wir herzlich. Die steigenden Kosten für die Her- stellung unseres »Rundbriefs«, den Versand und die Arbeit bedeuten eine erhebliche Erschwerung un- serer Aufgabe. Dies veranlasst uns, alle, die sich diesem Anliegen verpflichtet wissen, und alle, die diese sich fortgesetzt ausweitende Arbeit unterstützen und weiterhin zu fördern wünschen, auf die dringend erforderliche finanzielle Hilfe anzusprechen. Das wachsende Interesse am christlich-jüdischen Dialog und an den Erscheinungen des Zeitgesche- hens, auch von 1933-45, ist ermutigend. Dies hat sich u. a. auch wieder anlässlich der Koje des Freibur- ger Rundbriefs beim Münchener Katholikentag 1984 gezeigt. Der Freiburger Rundbrief erscheint jährlich in unregelmässiger Folge. Er bringt wegen seines doku- mentarischen Charakters die Ereignisse aus einer grösseren Distanz. In diesem ausnahmsweise vorliegenden Doppelheft der Jahresfolgen XXXV/XXXVI (1983/84) wur- den auch noch einige aktuelle Themen nach 1984 aufgenommen, um eine ausgewogene, abgerundete Dokumentation zu geben. Wir bitten um Verständnis, besonders die Rezensenten und Verlage, wenn nicht alle Rezensionen in diesem besonders umfangreichen Literaturteil aufgenommen werden konnten. Sie sind für das nächste Heft vorgesehen. In der letzten Zeit wurde intensiver an der Aufarbeitung der Vergangenheit gearbeitet. Die vielen Ver- öffentlichungen über die Zeitgeschichte und den jüdisch-christlichen Dialog bezeugen dies. Hinweisen möchten wir auch auf den Abschnitt: Im Rückblick: 50 Jahre nach dem 30. Januar 1933 (S. 28-48). Allen, die an dieser Arbeit Anteil nehmen, diese unterstützen und uns dadurch ermutigen, sind wir zu Dank verpflichtet. Wir danken im voraus allen, die uns damit helfen, das in hoher Auflage und in aller Welt verteilte Heft und die damit verbundene Arbeit in der bisherigen Weise fortzusetzen. Das starke Echo, das der »Rundbrief« in all den Jahren seines Bestehens allseits gefunden hat, ermutigt uns, das heute nicht minder als zuvor notwendige Werk weiterzuführen. Den an alle Mitarbeiter, För- derer und Interessierte unten (s. US 3) ausgesprochenen herzlichen Dank geben wir auch an dieser Stelle weiter. Die Herausgeber

Siehe u. S. 3: Die Begegnung von Elisabeth und Maria: Symbol fiir den Freiburger Rundbrief HEIMSUCHUNG*, zu Psalm 84 (85), 11**: »Lieb und Treue begegnen sich« Will hören, was der Ewige, Gott, redet: / Ja, Frieden redet er ob seinem Volk / und seinen Frommen / und niemehr kehren sie zur Torheit wieder. / Ja, nah für die ihn fürchten ist sein Heil / dass Herrlichkeit in unsrem Lande wohne / dass Lieb und Treue sich begeg- nen / dass sich Gerechtigkeit und Friede küssen. Dass Treue aus der Erde sprosst / Gerechtigkeit vom Hirrnmel schaut. / Gleich wird der Ewige das Gute geben / und unser Land gibt seine Frucht; / Gerechtigkeit wird vor ihm wandeln / und seine Schritte richten auf den Weg. Frieda Weber-Krebs hat die Abb. von Elisabeth und Maria für die Koje des FrRu auf dem 85. Deutschen Katholikentag in Freiburg (13.-17. September 1978) entworfen. Dort wurde die Abbildung erstmals öffentlich vorgestellt (vgl. FrRu XXX/1978, US 2 u. S. 189). * Vgl. Lk 1,39-56. ** Vgl. dazu: Die Heilige Schrift, ins Deutsche übertragen von N. H. Tur-Sinai (K. Torczyner). Jerusalem 1954. Bd. 4: Tehillim-Preislieder, Erstes Buch, S. 111. Vgl.: Paulus Gordan OSB »Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküsst«, mit Abb., in FrRu XXVII/1975, S. 16 f.

Voraussichtlich in Folge XXXVII u. a.: 20 Jahre »Nostra aetate« — Vatikanisches Dokument vom 24.6. 1985: Hinwei- se für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der Katholischen Kirche mit Kommentaren — 8. Mai 1945: 40 Jahre danach — Juden und Christen auf dem 88. Deutschen Katholikentag, Mün- chen, 4. - 8. 6. 1984 — Juden und Christen auf dem 20. Deutschen Evangelischen Kirchentag, Düsseldorf, 6.-9. Juni

1985 — Judith Plaskow: Christlicher Feminismus und Antijudaismus — In IMMANUEL: Ze'ev Lev-y: Zum Verhältnis von Philosophie und Theologie im modernen jüdischen Denken — Bemerkungen zur Legende vom jüd. Papst von Abra- ham David.

Der Freiburger Rundbrief erscheint in unregelmässiger Folge. Unkostenbeitrag für dieses Heft DM 30,— und Zustellgebühr (Folgen XXXV/XXXVI 1983/84 Nr. 133-140). — Dr. Gertrud Luckner/Rundbrief, Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 680 35 - 750. Bezug durch Freiburger Rundbrief. Postanschrift: Lorenz-Werthmann-Haus, Postfach 420, D-7800 Freiburg i. Br.

Herstellung im Rombach: Druckhaus KG, Freiburg i. Br. FREIBURGER RUNDBRIEF Beiträge zur christlich-jüdischen Begegnung

1 Kardinal Roger Etchegaray, Erzbischof von Marseille": JUDENTUM UND CHRISTENTUM Intervention anlässlich der Bischofssynode in Rom — Sechste Generalversammlung über Versöhnung und Busse vom 4. Oktober 1983** — Wortlaut*" und Kommentar***/**** I A Der Wortlaut*" Die grosse, die unvermeidliche Frage, die sich der Kirche stellt, ist die der f9rtdauernden Berufung des jüdischen Im Verlauf dieser Synode wenden sich meine Gedanken Volkes, die seiner Bedeutung für die Christen selbst. Es in besonderer Weise dem jüdischen Volk zu. Denn auf- genügt nicht, den Reichtum unseres gemeinsamen Erbes grund des ursprünglichen Bandes, das Judentum und zu entdecken. Ohne etwas von ihrer Originalität zu ver- Christentum vereint, muss es innerhalb eines rein reli- lieren, wird die Kirche sich infolge des Zweiten Vatikani- giösen Ansatzes ohne Zweifel unter allen Völkern als er- schen Konzils allmählich bewusst, dass sie um so mehr er- stes von dem doppelten Auftrag der Kirche zur Versöh- blüht, als sie aus ihrer jüdischen Wurzel lebt. Der dauern- nung und Busse begünstigt werden. de Fortbestand des jüdischen Volkes bedingt für die Kir- che nicht nur ein Problem bezüglich der zu verbessernden 1. Unser Auftrag zur Versöhnung mit dem jüdischen Volk äusseren Beziehung, sondern auch ein inneres Problem, Schon bei Jesaja lesen wir folgende aussergewöhnliche das ihr eigenes Selbstverständnis berührt. Verheissung des Herrn: Ist nicht gerade diese Beziehung, die nur als ein unver- »Gesegnet mein Volk Mizraim und meiner Hände krampftes Spannungsverhältnis gelebt werden kann, eines Werk, Aschur und mein Besitztum, Jisrael« (jes 19, 25)1. der Elemente der Dynamik der Heilsgeschichte? Wie im über jede Hoffnung hinaus sehen wir diese Prophezeiung Gleichnis erinnert sie daran, dass keiner der beiden Söhne erfüllt, wenn der heilige Paulus den Ephesern das eklatan- sich des ganzen Erbes bemächtigen kann: Ohne Eifer- teste Zeichen jener Versöhnung gibt, welche Christus sel- sucht ist jeder für den anderen Zeuge für die Ungeschul- ber ist: Er hat den Juden und den Heiden detheit der Barmherzigkeit des Vaters. Sie ist auch eine »in seiner Person zu einem neuen Menschen ge- Herausforderung zum Wetteifer zwischen dem, der das macht; er stiftete Frieden und versöhnte die beiden2 Kommen des Messias noch erwartet, und dem, der auf durch das Kreuz mit Gott in einem einzigen Leib« seine Wiederkunft wartet. Franz Rosenzweig zitiert den (Eph 2, 15 f.). Midrasch, der sagt: Im Römerbrief (11, 16-24) gestattet uns das paulinische »Beim Tod des Juden wird ihm nur diese eine Frage Bild von Israel als dem edlen Ölbaum, in den die Heiden gestellt werden: Hast du auf die Erlösung gehofft?« als Zweige des wilden Ölbaumes eingepfropft sind, den Und er fügt hinzu: privilegierten Charakter unserer Beziehung mit dem Ju- »Alle anderen Fragen sind für euch Christen. Berei- dentum besser zu erfassen: ten wir uns daher gemeinsam in der Treue vor, vor »Erhebe dich nicht . . .: Nicht du trägst die Wurzel, dem himmlischen Richter zu erscheinen!« sondern die Wurzel trägt dich« (Röm 11, 18). Solche Perspektiven sind unserer Denkweise, selbst unse- Wir müssen eingestehen, diese jüdische Wurzel, die heilig rer Elddesiologie (Lehre von der Kirche), noch wenig ver- bleibt, allzuoft vergessen zu haben: traut. Aber es ist, wie mir scheint, gerade von dieser Seite »sind doch Gottes Gnade und Berufung unwiderruf- her erforderlich, dass wir uns auf ein schwierig zu erfor- lich« (Röm 11, 29). schendes exegetisches Terrain vorwagen. Andernfalls wird der jüdisch-christliche Dialog oberflächlich und voll * Kardinal Etchegaray wurde im April 1984 als neuer Leiter von von uneingestandenen Vorurteilen bleiben. Solange das »Justitia et Pax« und »Cor Unum« berufen, ist seit 1. Juli 1984 Judentum ausserhalb unserer Heilsgeschichte bleibt, wer- nicht mehr Erzbischof von Marseille. ** Aus dem Französischen übersetzt von Notker Füglister OSB. den wir antisemitischen Reflexen ausgeliefert sein3. Auch *** Diese von Kardinal Etchegaray bedeutsame, bei der römi- müssen wir den am Beginn liegenden Bruch zwischen Is- schen Bischofssynode, Oktober 1983, eingebrachte Intervention rael und der Kirche als das erste Schisma, als den »Proto- ist mit Kommentar auch zum Münchner Katholikentag als »Son- derdruck Freiburger Rundbrief« Juli 1984 erschienen. Der Son- 3 Anlässlich einer Konferenz der »l'Amitie Judeo-Chretienne de derdruck trägt das Signum des Katholikentages mit auch dem France« wies Kardinal Etchegaray am 24. 5. 1981 in seinem Vor- Wort von Alfred Delp »Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott es trag »Pour une relance du dialogue judeo-chretien« darauf hin: mit uns lebt« (vgl. »Im Angesicht des Todes«, Frankfurt/M, S. >dass die Kirche ohne die Bande zum jüdischen Volk der Gegen- 88): »Lasst uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht wart nicht Kirche aller Völker sein kann; im christlich-jüdischen bringen musste. Lasst uns dem Leben trauen, weil wir es nicht al- Dialog kann es weder für das Judentum noch für das Christen- lein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.« tum darum gehen, die eigene Identität aufzugeben, — aber solan- **** s. u. S. 4. ge seitens der Theologie nicht die ldare Anerkennung der blei- 1 Vgl. dazu: Die Heilige Schrift, ins Deutsche übertragen von benden Berufung des jüdischen Volkes erfolgt, muss der Dialog N. H. Tur-Sinai (H. Torczyner), Jerusalem 1954, Jescha'jahu, oberflächlich bleiben<. (Vgl. »L'Eglise aujourd'hui ä Marseille«, Bd. 3, S. 44. Bulletin d'Information du Diocese, No. 23, 21. 6. 1981. [Aus dem Juden und Heiden. (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu) Französischen übersetzt]).

3 typ der Schismen« (Claude Tresmontant), im Schoss des danken der Versöhnung mit dem jüdischen Volk an die Gottesvolkes betrachten. römische Bischofssynode herantragen könntet. In den von dieser Gruppe verfassten »Gedanken zum Thema der Bit- 2. Unser Auftrag zur Busse in unserem Verhalten dem jüdi- te um Vergebung an das jüdische Volk« heisst es u. a.: schen Volk gegenüber »Die Wiedergutmachung für 17 Jahrhunderte voller Ver- Nachdem wir festgelegt haben, wieweit unser Auftrag zur fehlungen, die Bitte um Vergebung ist noch nicht erfolgt. Versöhnung mit dem jüdischen Volk gehen sollte, müssen Man gibt sich immer noch zufrieden mit Formulierungen, wir ihm gegenüber ebensosehr unseren Auftrag zur Busse die ein klares Eingeständnis vermeiden.« Die Katholiken und Reue für unsere jahrhundertelange Haltung ernst in Israel diskutierten dieses Dokument der Jerusalemer nehmen. Keine opportunistische Berechnung, kein Risiko Studiengruppe intensiv. Es machten sich unter ihnen auch politischer Wiederherstellung kann uns dieser Gerechtig- Zweifel breit, ob die Bischofssynode sich überhaupt zu keitspflicht entheben, die uns, falls sie richtig wahrgenom- derlei Aussagen werde durchringen können. Die Verant- men wird, im Gegenteil dazu verhelfen soll, mit all denen, wortlichen einiger katholischen Gemeinden und Gemein- die sich auf dieselbe Abstammung von Abraham berufen, schaften in Israel unterzeichneten schliesslich einen Brief gleichermassen solidarisch zu sein. Als Bischof einer an die Bischofssynode, in dem sie baten, die Bitte um Ver- Stadt*, die eine gleich grosse und gewichtige Zahl von Ju- gebung dem jüdischen Volk gegenüber deutlich auszu- den und Moslems umfasst (80 000 Juden und 80 000 sprechen: »Wir spüren, wie nötig eine solche Geste der Moslems in einer Hafenstadt mit einer Million Einwoh- Demut, der Aufrichtigkeit und der Liebe ist, und wir le- nern), kann ich bezeugen, dass die einen mit den anderen gen diese Bitte den Mitgliedern der Synode, die in Rom in guter Lebensgemeinschaft leben und dass ich mit bei- versammelt sind, um den Atem des Hl. Geistes zu spüren, den Gemeinschaften gute menschliche und pastorale Be- ans Herz.«2 ziehungen unterhalte. Die kühne Erklärung von Kardinal Etchegaray, die unter Dass wir doch verstünden, Verzeihung zu erbitten vom den bischöflichen Synodenteilnehmern und später auch in Herrn und von unseren Brüdern, die so oft von »der Leh- vielen Zeitungen eine geradezu knisternde Aufmerksam- re der Verachtung« (Jules Isaac) getränkt in das Grauen keit hervorrief, war also auch von Katholiken in Israel an- des Holocausts getaucht worden sind! geregt worden. Diese Feststellung ist nicht unwichtig. Die Dass wir doch alles ins Werk setzten, damit das wieder Katholikengemeinschaften in Israel spüren den Pulsschlag gutgemacht werde, was gutgemacht werden muss! ihrer jüdischen Mitbürger. Sie teilen deren Ungeduld über Dass wir uns doch der Propheten und Psalmisten erinner- das viele und grosse dialogisch-christliche Reden über sie ten sowie aller Armen des Herrn, die in einer langen Fol- und das nur kleine Rinnsal an Eingeständnis christlicher ge von Generationen hinführen zu Maria, der Tochter Schuld am Holocaust, das dabei herausfliesst. Zions! Aber dass wir uns doch auch ihrer gegenwärtigen Für Kardinal Etchegaray genügt es nicht, wenn wir nur Nachkommen erinnerten: derjenigen, die durch ihre »den Reichtum unseres gemeinsamen Erbes zu entdek- fleischliche und geistige Übereinstimmung mit der Schrift, ken« suchen. Er redet von der Gefahr, dass der jüdisch- durch ihre Zurückweisung der Götzen und so oft durch christliche Dialog oberflächlich werde, und prägt in die- ihr Martyrium unseren eigenen Glauben an den dreiheili- sem Zusammenhang den gewichtigen Satz: »Solange das gen Gott stützen! Judentum ausserhalb unserer Heilsgeschichte bleibt, wer- Dass wir doch selber zusammen mit Gott zum Trost wür- den wir antisemitischen Reflexen ausgeliefert sein.« Hier den für das Israel des Herrn, seinen »erstgeborenen Sohn« steht er ganz in der Tradition von Nostra aetate IV, wo (Ex 4, 22)4, und dass wir doch durch unsere Treue die das jüdische Volk mit seinen biblischen Ursprüngen als Gnade erhielten, die Ankunft des Tages seiner — und un- zum Geheimnis der Kirche gehörig erklärt wird. serer — Fülle, die wie eine »Auferstehung der Toten« sein Schöne Gedanken genügen aber nach Kardinal Etchega- wird (Röm 11, 15), zu beschleunigen! ray und den Katholiken in Israel nicht, um die eigene Ju- Und Sie, Brüder und Schwestern, die Sie mir hier zuhö- denfeindschaft abzuschütteln und um wirkliche Solidari- ren, verzeihen Sie mir, dass ich Sie so kühn in das »Myste- tät zu bezeugen und zu beweisen. Ebensowenig genügt es, rium Israels« tief mithineinreisse, das durch einen Juden, nur privat Gott für alle christlichen Judenfeindschaften der zum Apostel der Heiden geworden ist, ein wenig ge- um Verzeihung zu bitten. Die entscheidenden Sätze lau- lüftet wurde. ten vielmehr: »Dass wir doch verstünden, Verzeihung zu »0 Tiefe des Reichtums und der Weisheit Gottes .. . erbitten vom Herrn und von unseren Brüdern, die so oft Aus Ihm und durch Ihn und für Ihn ist alles. Ihm sei von der >Lehre der Verachtung< getränkt und in das Ehre in Ewigkeit! Amen.« (Röm 11, 33-36) Grauen des Holocausts getaucht worden sind.« Damit steht Kardinal Etchegaray im Zentrum der christlichen 4 S. o. Anm. 1 ebd., Bd. 1, Tora, S. 187: »So spricht der Ewige: Mein erstgeborener Sohn ist Jisrael«. Botschaft, die von zwei Grundbewegungen lebt. 1.: Gott hat uns an Ostern alle Sünden »gratis«, d. h. ungeschuldet und unverdient vom auferstandenen Christus her verge- ben. 2.: Wir müssen unseren Mitmenschen die Sünden I B Kommentar"/"*" vergeben und auch von ihnen Vergebung zu erhalten su- Von Professor Dr. Clemens Thoma, Luzern chen, und zwar im Geiste der unverstellten Grossmut Gottes, die schenkt, ohne zu rechten (vgl. Vaterunser, Joh In der Gemeinde St. Jakobus' der Katholiken hebräischer 20, 19-31). Wenn wir uns an Menschen versündigt haben, Sprache in Jerusalem bildete sich im Frühsommer 1983 kann sich unsere Bitte um Vergebung nicht nur an Gott eine Studiengruppe, die prüfen sollte, wie man den Ge- richten; ihre Adressaten sind vielmehr auch die beleidig- ten Menschen. Erst wenn die Bitte um Vergebung zu Gott und zu den Menschen geht, ist unser Bekenntnis zu Chri- * Zur Intervention von Kardinal Roger Etchegaray, vorgetragen vor der römischen Bischofssynode, 4. 10. 1983 (s. o. S. 3). stus, der sich für die Menschen hingab, vollkommen. Kar- 1 St. Jakobus, Apostel (als dem 1. Bischof der Hl. Stadt). Vgl. da- dinal Roger Etchegaray hat vor unseren jüdischen Brü- zu: Jean-Roger: Kirche und Christen im heutigen Israel, in: dern ein gutes, christliches Bekenntnis abgelegt — möge FrRu XIV/1962, S. 17ff. — Dsgl. Msgr. Antonio Vergani, in: ihm die ganze Christenheit darin folgen. FrRu XIII/1961, S. 54f. — E. Hemker: Kirche in der Verkündi- gung in Israel, in ebd. XIX/1967, S. 61ff. 2 »Ein Aufruf zur Versöhnung ...« (s. u. S. 5).

4 II St.-Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur Versöhnung: ein Arbeitspapier"

Zur Erldärung Kardinal Etchegarays vor der Bischofssynode: der Demut, der Wahrheit und der Liebe, und wir legen Die Erldärung von Roger Kardinal Etchegaray, Marseille, vor diese Bitte unseren Vätern, den Bischöfen, ans Herz, die der Bischofssynode in Rom am 4. Oktober 1983' hat sowohl jü- sich in Rom treffen, um auf die Stimme des Heiligen Gei- dische Gemeinden in der ganzen Welt als auch christliche Ge- meinschaften, die sich um die Begegnung mit dem jüdischen stes zu hören. Volk bemühen, tief bewegt. Weniger bekannt ist, dass diese Er- klärung die Frucht eines langsamen Reifeprozesses war. Ver- II Gedankenanstösse schiedene katholische Kommissionen und Studiengruppen hatten Um Vergebung bitten — für was? den Bischöfen ihre eigenen Texte vorgelegt, in denen sie die Bitte um Vergebung und Versöhnung der Kirche mit dem jüdischen Es sei uns erlaubt, hier einige Tatbestände zu ervvähnen, Volk formuliert hatten.' So wurde Kardinal Etchegaray inner- über die die Mehrheit der Christen hinwegsieht, die das halb der Kirche zum Botschafter und Wortführer dieser christli- jüdische Volk aber nicht vergessen hat, weil seine Ge- chen Denkweise. Einer dieser Vorschläge, dessen Einfluss auf die Erklärung des Kardinals offensichtlich ist, wurde von den Mit- schichte leider bis heute davon gekennzeichnet ist. Dem gliedern der röm.-kath. St.-Jakobus-Gruppe hebräischer Zunge, »ersten Schisma« zwischen der Synagoge und der neuge- dieser Gemeinde in Israel erarbeitet. Wir freuen uns, dieses Do- borenen Kirche folgten während der ersten drei Jahrhun- kument hier veröffentlichen zu können mit dem Bericht über das derte Feindseligkeiten und gegenseitige Angriffe; die Din- Seminar, das es vorbereitet hat. ge verschlimmerten sich zum Nachteil der Juden nach I Ein Aufruf an die Bische der 1983 stattfindenden Syn- dem Sieg und der Bekehrung Konstantins (im 4. Jahrhun- ode der Versöhnung zur Bitte um Vergebung gegenüber dem dert). jüdischen Volk a) Lehre »Wenn dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass Die Wiedergabe dessen, was Christen im Laufe der Ge- deine Gabe dort vor dem Altar und geh erst hin und schichte gegen die Juden geschrieben haben, ist für uns, versöhne dich mit deinem Bruder« (Mt 5, 231). sowohl von der Menge als auch von der Bedeutung her, Die Basis jeglicher Bemühung um Versöhnung aller Men- niederschmetternd. Hier seien nur einige Beispiele von schen ist die Bitte um Vergebung, die das Herz des Reu- tausenden zitiert: mütigen läutert. Papst Paul VI. war sich dessen bewusst, — Die bekannten Schmähungen des Hl. Johannes als er während des II. Vatikanischen Konzils unsere or- Chrysostomus: »Angesichts des Gottesmordes ist kei- thodoxen und protestantischen Brüder für Fehler um Ver- ne Nachsicht, keine Vergebung möglich«; »sie met- gebung bat, die den Katholiken anlässlich der Trennung zeln ihre Nachkommen nieder und opfern sie dem angelastet werden können. Der ältere Bruder, das jüdi- Teufel.« sche Volk, den die christliche Welt jahrhundertelang so — Bossuets Predigten: »eine verfluchte Rasse, vom Blut tief verletzt hat, wartet noch immer auf eine ähnliche Ge- Christi verfolgt« und »die Gerechtigkeit Gottes be- ste. darf unendlich vieler Menschenopfer.« Msgr. Elchinger, Bischof von Strassburg, erklärte auf dem — In unseren Tagen fand es der katholische Historiker Konzil am 29. September 1964: Daniel Rops (1946) normal, dass »der Schrecken der »Wir können nicht leugnen, dass nicht nur in diesem, Judenverfolgungen im geheimnisvollen Gleichge- sondern auch in den vergangenen Jahrhunderten von wicht des göttlichen Willens den unerträglichen den Söhnen der Kirche Verbrechen an den Juden Schrecken der Kreuzigung ausgleicht«. verübt worden sind . . . Wir können nicht darüber — Zahlreiche Bilder und Skulpturen sowie die volks- hinwegsehen, dass die Juden im Laufe der Geschich- tümliche Belehrung durch Bilder in den Kirchen te Verfolgungen und Greueltaten ausgesetzt waren: drücken die gleiche Gedankenlinie aus wie das Bild Es kam zu gewaltsamer Einflussnahme auf das Ge- im Rheinland (heute in einem Museum), das Christus wissen ebenso wie zu erzwungenen Bekehrungen. am Kreuz darstellt, in der einen Hand eine Lanze, Schliesslich können wir nicht leugnen, dass sich bis die das Herz eines Juden durchbohrt. vor kurzem in Predigten oder in verschiedenen Kate- — Erst vor kurzem wurden Katechismen und Messbü- chismen allzuoft Irrlehren einschlichen — und dies im cher verbessert.' 'Widerspruch zum Neuen Testament. Warum finden wir nicht im Rückgriff auf die Quellen des Evange- b) Taten liums zu der nötigen inneren Grösse, um im Namen Es ist nicht verwunderlich, dass parallel zu dieser Lehre zahlreicher Christen für so viele Missetaten und Un- Gewalttaten verübt wurden, wie man sie sich kaum vor- gerechtigkeiten um Vergebung zu bitten?« stellen kann; wir nennen nur einige wenige Beispiele: Solch ein Unterfangen ist der sehnlichste Wunsch von uns — Der Hl. Ambrosius, Bischof von Mailand, billigte die hebräischsprechenden Katholiken der Gemeinde des Zerstörung einer Synagoge durch Christen. »Hl. Jakobus«3, die wir in Israel unter unseren jüdischen — Am Blutbad, das die Kreuzfahrer unter den Juden Brüdern leben.4 Wir fühlen die Dringlichkeit dieser Geste anrichteten, trugen manchmal die örtlichen Bischöfe * Original: »A Call to Reconciliation: A Working Paper by the mit Schuld; Taufe oder Tod wurde ihnen aufge- St. Jacques Community«; in der engl. Ausgabe »IMMANUEL« zwungen — viele begingen Selbstmord. 17 (Winter 1983/84), S. 94 -97. Wegen des thematischen Zusam- — Juden wurden bei lebendigem Leibe in ihren Synago- menhangs mit den voranstehenden Beiträgen (s. o. S. 3) steht die- gen in Jerusalem von den Kreuzfahrern im 12. Jahr- ser Aufruf in diesem Teil des Freiburger Rundbriefs, analog auch hundert verbrannt. unten S. 12- 16 (s. S. 244). Aus dem Englischen übersetzt. — Schwerwiegende Verleumdungen (Ritualmorde

1 s. o. S. 3. usw. . . .), Vertreibungen und Blutbäder im 13. Jahr- 2 vgl. o. S. 4. hundert. 3 S. 0. S. 4, Anm. 1. 4 ebd. (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu.) 5 Nach dem II. Vatikanum.

5 — Hunderttausende w-urden im 14. Jahrhundert getötet schiedenen Zeiten ihre Stimmen gegen diese Ausschwei- und verbrannt. 1349 wurden in Strassburg Männer, fungen erhoben, jene, die während der Zeit des National- Frauen, Kinder und alte Menschen auf Scheiterhau- sozialismus Juden vor der Vernichtung retteten; aber all fen geworfen und über 36 Stunden verbrannt. Vor dies kann die Erinnerung an Worte und Gewalttaten nicht den Augen der Verdammten hielt ein Mönch ein auslöschen, an denen der Klerus und das christliche Volk Kreuz in die Höhe. jahrhundertelang schuld waren. Mit dem II. Vatikani- — Die Inquisition des 15. Jahrhunderts zwang die Tau- schen Konzil begann ein neues Kapitel, aber es ist immer fe auf; Kinder wurden ihren Eltern entrissen, Folter, noch viel zu tun im konkreten Bereich. Die Wiedergutma- Ausspionieren der Privatsphären und schliesslich chung für siebzehn Jahrhunderte voller Verfehlungen, die — 1492 die Vertreibung von 300 000 Juden, wovon vie- Bitte um Vergebung ist noch nicht erfolgt. Man gibt sich le dem Tod, der Seeräuberei und der Sklaverei aus- zufrieden mit Formulierungen, die ein klares Eingeständ- gesetzt waren. nis unserer Verantwortung vermeiden: »Die Kirche be- — Der liturgische Hieb, der 300 Jahre lang den Vertre- dauert die Verfolgungen und die antisemitischen Bekun- ter der jüdischen Gemeinde während der Karfrei- dungen, wer immer ihre Urheber sind« (Nostra aetate); tagsfeierlichkeiten traf. Es ging so weit, dass in den oder jemand anders sagt: »Lasst uns unsere beidseitigen Kopf des jüdischen Vertreters fünf Wunden ge- Fehler vergessen.« Man weicht so der Schwere und dem schnitten wurden, um an die Wunden Christi zu erin- Missverhältnis unserer eigenen Irrtümer aus. Es erscheint nern. deshalb erstrebenswert, Formulierungen zu gebrauchen, — In jüngster Zeit noch Pogrome (Feuer und Blut) in die unsere Fehler eindeutig eingestehen und die nicht an jenen jüdischen Vierteln, die am Wege der Karfrei- die Fehler anderer erinnern (»auch die Juden haben ihre tagsprozession lagen — mit dem Kreuz an ihrer Spit- Fehler . . .«); sonst wäre die Bitte um Vergebung viel we- ze. niger überzeugend. Es ist Sache der anderen Seite, ihre — Selbst heute noch verletzen und schlagen christliche Fehler anzuerkennen, und es besteht eine solche quanti- Kinder nach ihrem Religionsunterricht (Du hast täts- und qualitätsmässige Disharmonie, dass für uns ein Christus getötet) jüdische Kinder. Einige unserer anderes Tun beschämend wäre. Die vorgeschlagenen For- Freunde, die aus Europa geflohen sind, um in Israel mulierungen der Bitte um Vergebung wurden unter Be- Zuflucht zu suchen, haben selbst einige sehr rücksichtigung der Themen und Formulierungen gewählt, schmerzvolle Erinnerungen zurückbehalten. auf die unsere jüdischen Brüder empfindlich reagieren Man kann sagen, dass das Kreuz im Laufe der Geschichte und unter Vermeidung von Redensarten, die man miss- des Volkes Israel zum Symbol einer Unheilsdrohung wur- verstehen würde. Die Wunde ist in diesem Volk noch of- de. fen — weil sie niemals von Generation zu Generation hei- Wenn wir von all diesen Ereignissen lesen, von der christ- len konnte — und dies erklärt (ohne alles zu entschuldi- lichen Lehre und bestimmten liturgischen Texten im Lau- gen) viele Reaktionen, die auf eine sekulare Angst und auf fe der Geschichte und dem Verhalten von Christen in Eu- das Fehlen von Vertrauen in den nächsten Tag zurückzu- ropa während der Vernichtung von sechs Millionen Juden führen sind. durch die Nazis, kann man nicht leugnen, dass diese Politische Erwägungen sollten dieser historischen Geste, »Lehre der Verachtung«, wie sie von einem Historiker ge- die über die Gegenwart hinausreicht, nicht im Wege ste- nannt wurde, den Boden bereitete für die Katastrophe, hen. Diese Geste wird weltweit enorme Auswirkungen auf die sich im »christlichen« Europa ereignete. Die deutschen die jüdisch-christlichen Beziehungen haben und — viel- Bischöfe hatten 1945, 1961 und 1978 den Mut, den akti- leicht — sogar auf die Situation im Nahen Osten. Auf je- ven und passiven Anteil christlicher Deutschen an diesem den Fall würde sie in der Geschichte der Erlösung der Drama und den Einfluss des Antisemitismus auf das Be- Menschheit einen positiven Schritt darstellen. wusstsein einzugestehen. (Studiengruppe, Jerusalem, Mai 1983: Marcel Dubois, Gewiss, es gab Helden: Päpste und Bischöfe, die zu ver- Yohanan Elihai, Rina Geftman.) (IMMANUEL 17, Winter 1983/84) 6 Vgl. auch in FrRu: »Gebet für die ermordeten Juden und ihre Verfolger«: von den deutschen Bischöfen (11. 6. 1961), in XIII 9 Ansprache von Heinrich Pachowiak, Weihbischof von Hildes- (50/52), 1961, S. 3; dsgl. in XXVII/1975, S. 67, Anm. 1. heim, 24. 8. 1962: »Hier wurde unschuldiges Blut vergossen«, ' Erldärung der deutschen Bischöfe zum Eichmann-Prozess, ebd. S. 3-5. Bühl, 31. 5. 1961, ebd.: Ansprache im ehem. KZ Dachau, 5. 8. 1° Für ein neues Verhältnis zur Glaubensgeschichte des jüdischen 1960, von Dr. Franz Hengsbach, Bischof von Essen, ebd. S. 4-5. Volkes. Erklärung der Gemeinsamen Synode dei- Bistümer in der 8 Bussruf der deutschen Bischöfe, Fulda, 29. 9. 1962 [aus dem Bundesrepublik Deutschland, Würzburg, 22. 11. 1975, ebd. Hirtenwort vor dem II. Vatikanum], verlesen in den katholischen XXVII/1975, S. 5. Kirchen Deutschlands am 23. 9. 1962, ebd. XIV (53/56), Sep- '1 Aufruf der deutschen Bischöfe. Hirtenworte und Ansprachen tember 1962, S. 3, dsgl. in ebd., s. o., Anm. 6. deutscher Bischöfe zum 9. 11. 1978, in XXX/1978, S. 14-28. 2 Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden I Beschluss vom 3. Mai 1984 zum Thema »Christen und Juden«* Erklärung und Kommentar Vorbemerkung tagung den Bezirkssynoden und Pfarrkonventen zur Bear- Im Rahmen einer Schwelpunkttagung hatte sich die Synode beitung Z14 übergeben. Diese Anregung ist in Kirchenbezir- der Evangelischen Landeskirche in Baden bereits am 10./11. ken und Gemeinden aufgenommen worden. November 1980 mit dem Thema »Christen und Juden« be- Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden vom Studienkreis »Kir- fasst. Sie hatte beschlossen, die Unterlagen der Schwerpunkt- che und Israel« gesichtet, ausgewertet und der Landessynode bei der Frühjahrstagung 1984 im Rahmen einer ausßhrli- * Offizieller Wortlaut. chen Berichterstattung vorgelegt.

6 Das Ergebnis der erneuten Beratung des Themas »Christen 3. Wir glauben an Gottes Treue: und Juden« veranlasste die Landessynode zu folgender Er hat sein Volk Israel erwählt und hält an ihm fest. Erklärung: Darum müssen wir der Auffassung widerspre- chen, dass Israel von Gott verworfen sei. Die Er- Die Synode der Evangelischen Landeskirche in Ba- wählung Israels wird auch nicht durch die Erwäh- den folgt dem Auftrag der Grundordnung im § 69, lung der Kirche aus Juden und Heiden aufgeho- sich um die Begegnung mit der Judenheit zu bemü- ben. hen. Wir Christen bekennen uns zu Jesus, der ein Jude Deshalb wird erklärt: war, als dem für alle gekreuzigten, auferstande- 1. Die Synode stellt sich der geschichtlichen Not- nen und wiederkommenden Herrn, dem Heiland wendigkeit, aufgrund biblischer Einsicht ein neues der Welt. Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk zu ge- Mit Schmerz und Trauer stellen wir fest, dass uns winnen. dieses Bekenntnis vom Glauben des jüdischen Durch Jahrhunderte wurde christliche Theologie, Volkes trennt. kirchliche Predigt, Unterweisung und kirchliches Im Glauben an Jesus Christus und im Gehorsam Handeln immer wieder von der Vorstellung bela- ihm gegenüber wollen wir unser Verhältnis zu den stet, das jüdische Volk sei von Gott verworfen. Juden neu verstehen und festhalten, was uns mit Dieser christliche Antijudaismus wurde zu einer ihnen verbindet. der Wurzeln des Antisemitismus. 4. Wir bekennen mit den Juden Gott als den Schöp- Deshalb bekennen wir betroffen die Mitverant- fer des Himmels und der Erde. wortung und Schuld der Christenheit in Deutsch- land am Holocaust. Wir glauben mit den Juden, dass Gerechtigkeit und Liebe Weisungen Gottes für unser ganzes Le- 2. In unserem Bemühen um ein neues Verstehen stel- ben sind. len wir dankbar fest, dass das Alte Testament ge- Wir hoffen mit den Juden auf einen neuen Him- meinsame Grundlage für Glauben und Handeln mel und eine neue Erde und wollen mit ihnen in von Juden und Christen ist. der Kraft dieser Hoffnung für Gerechtigkeit und Wir sehen den unlösbaren Zusammenhang des Frieden in dieser Welt arbeiten. Neuen Testaments mit dem Alten Testament neu. Wir lernen deren Verhältnis zueinander von der Wir bitten Gemeinden und Kirchenbzirke, an diesem Verheissung Gottes her verstehen: Gott gibt, er- Thema weiterzuarbeiten und im Bemühen nicht nachzu- füllt und bekräftigt sie neu. lassen, auf diese Weise in der Begegnung mit der Juden- Das »Neue« ersetzt nicht das »Alte«. heit zu einem erneuerten Verhältnis zu gelangen.

II Ein mutiger Schritt: Zur Erklärung der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden vom 3. Mai 1984"- Kommentar von Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson*

Die Landessynode der Evangelischen Kirche in Baden hat gen Aussagen zurück, geht es darüber hinaus oder be- jetzt nach mehreren Jahren intensiver Vorarbeit ebenfalls gnügt es sich damit, die Erklärung der Rheinischen Syn- eine Erklärung zum Thema »Christen und Juden« verab- ode zu wiederholen? schiedet. Bereits 1980 hatte eine Schwerpunktsynode diesen Wie die Rheinische Synode betont die Erklärung die Mit- Problemkreis behandelt. Damals referierten unter anderen verantwortung der Christenheit in Deutschland für den die Professoren Rendtoe und Seebass sowie Dr. Stegemänn Holocaust. Sie verneint, dass das jüdische Volk von Gott und Rabbiner Friedlander aus London. An einer Podiums- verworfen sei, und sieht im christlichen Antijudaismus ei- diskussion hatten ich sowie Dr. Bruen aus Haifa teilgenom- ne der Wurzeln des Antisemitismus. Hiermit stellt sich die men. Auch eine jüdische Morgenandacht war Teil der Syn- Landessynode Badens der geschichtlichen Notwendigkeit, ode gewesen. Die Bezirkssynoden und Pfarrkonvente haben ein neues Verhältnis der Kirche zum jüdischen Volk zu das Thema dann jeweils bearbeitet, wobei es besonders der gewinnen. Dies ist fast wörtlich von der Rheinischen Syn- Studienkreis »Kirche und Israel« war, der sich bei der Sich- ode übernommen. Allerdings fällt der Zusatz auf, dass tung und Auswertung der durchgeführten Arbeiten grosse dieses neue Verhältnis »aufgrund biblischer Einsicht« zu Verdienste erworben hat. Auch die Evangelische Akademie gewinnen sei. Wird damit impliziert, dass der rheinische Baden hat seit vielen Jahren Tagungen zu diesem Thema Text nicht mit der biblischen Einsicht zu vereinbaren sei? durchgeführt. Die Synode stellt fest, dass »das Alte Testament (Rheini- sche Synode: >unser Altes Testament() gemeinsame Natürlich wird sich die Synode an den Verlautbarungen Grundlage für Glauben und Handeln von Juden und der Rheinischen Synode vom 11. Januar 1980 1 messen las- Christen ist«. Es wird der unlösbare Zusammenhang des sen müssen: Bleibt das jetzige Papier hinter den damali- Neuen Testaments mit dem Alten Testament »neu« gese- * Mit freundlicher Genehmigung ihrer Redaktion sowie von hen, wobei das »Neue« nicht das »Alte« ersetzt. Auch dies Landesrabbiner Dr. Levinson [s. u.] entnommen der »Allgemei- ist so in der rheinischen Erklärung vorgegeben. Damit nen jüdischen Wochenzeitung« (XXXIX/20), Düsseldorf, 18. 5. wird auch hier dem markionitischen Standpunkt, wie er 1984. von Harnack, den Nationalsozialisten und zuletzt Hanna 1 Vgl. Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Ju- den, in: FrRu XXXI/1979, S. 15-24. Wolff und Franz Alt vertreten wurde, eine klare christli- (Anmerkungen d. Red. d. FrRu) che Absage erteilt.

7 Die bleibende Erwählung Israels (der »ungekündigte gerufen, an diesem Thema weiterzuarbeiten und durch Bund«) wird auch hier betont und die Meinung zurückge- die Begegnung mit Juden »zu einem erneuerten Verhält- wiesen, dass Gott Israel verworfen habe, wie wir es ja nis zueinander zu gelangen«. schon im Römerbrief lesen können. Es wird hier nicht wie Wichtig ist, welche Abschnitte oder Aussagen der rheini- in der Erklärung der Rheinischen Synode festgestellt, dass schen Synodenerklärung ausgelassen wurden, wenn auch die Kirche »durch Jesus Christus in den Bund Gottes mit der vorliegende Beschluss der Kirche in Baden im allge- seinem Volk hineingenommen ist«, es wird aber auch der meinen kürzer gefasst ist. Es wird hier darauf verzichtet, These widersprochen, dass, wie 1980 ein Oberkirchenrat Jesus als den »Messias Israels« zu bezeichnen. Diese For- meinte, nur eine Kirche aus Juden und Heiden von der mulierung, die die Rheinische Synode als unabdingbar Schrift her vorgesehen sei beziehungsweise dem Willen erachtete, hatte bei den Juden wenig Gegenliebe gefun- Gottes entspräche. Vielmehr: »Die Erwählung Israels den. Was allerdings von uns mit »Schmerz und Trauer« wird auch nicht durch die Erwählung der Kirche aus Ju- vermerkt wird, ist die Tatsache, dass im Gegensatz zur den und Heiden aufgehoben.« Das ist ein sehr wichtiger Rheinischen Synode der Staat Israel mit keinem Wort er- Satz und eine partnerschaftliche Feststellung, die nicht wähnt wird. Die Gründung des Staates war für die Rhei- mehr die Missionierung der Juden als den Willen Gottes nische Synode noch »ein Zeichen der Treue Gottes ge- letztlich im Auge hat. genüber seinem Volk« gewesen. Auch die Studie »Chri- Dass die Christen sich zu Jesus bekennen, der »für alle« sten und Juden« der EKD hatte zum Land und Staat Isra- gekreuzigt wurde und für sie der »Heiland der Welt« ist, el wichtige Aussagen gemacht. Dies ist ohne Zweifel ein beinhaltet ein christliches Glaubensgut, das Juden zur Rückschritt. Zeichen der Zeit? Kenntnis nehmen müssen. Es bedeutet meiner Meinung Dass »Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen nach nicht, dass hier der Missionsgedanke durch die Hin- Gottes vor der Welt und voreinander sind«, wollte die tertür wieder eingeführt worden ist. Dass allerdings Kirche in Baden so nicht übernehmen, auch nicht, »dass christlicherseits »Schmerz und Trauer« darüber herrscht, die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber dass das Christuszeugnis Christen von Juden trennt, wur- nicht wie ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen de auch so schon im Römerbrief, Kapital 9, ausgespro- kann«. Aber da die Gläubigen dazu aufgerufen sind, an chen. diesem Thema weiterzuarbeiten, sind die Tore nicht ge- Dass die Spannung nicht beiseite geschoben werde, for- schlossen. derte Oberkirchenrat Sick auf der Schwerpunktsynode Vielleicht hat man es deshalb — im Gegensatz zur Rheini- 1980, und sein Votum hat offensichtlich hier Eingang ge- schen Synode' — auch vermieden, konkrete Vorschläge funden. Er meinte, die Rheinische Synode habe hier zu für die künftige Arbeit zu machen beziehungsweise die harmonisierend formuliert. Wie dem auch sei, Spannun- nächsten Schritte zu präzisieren. Das lässt allerdings eben- gen sollten ausgehalten werden und vor allem die Bruder- falls den Weg offen für mannigfache Begegnungen und schaft und gegenseitige Solidarität nicht berühren. gemeinsame Aktivitäten. Festlegen wollte sich die Kirche Festgehalten sollte nach der Meinung der Synode das hier nicht. werden, was Juden und Christen miteinander verbindet, Im grossen und ganzen ist zu sagen, dass hier ein mutiger und dazu können wir gewiss »Ja« sagen. Dass dies »im Schritt vollzogen worden ist, für den sich viele mit grosser Glauben an Jesus Christus und im Gehorsam ihm gegen- Mühe und hingebungsvoller Arbeit engagiert haben. Was über« geschehen soll, ist hier eine neue Formulierung (sie- nicht geschehen darf, ist dies: dass ihr Anliegen durch he auch 3. Absatz). Juden können und sollen hierzu keine minder Wohlmeinende im Namen der »besseren Reli- Meinung ausdrücken. Was der »Gehorsam ihm gegen- gion« zur Bedeutungslosigkeit reduziert wird. Es gibt so über« im einzelnen beinhaltet, müssen Christen definieren viele Weisen, ein wichtiges und würdiges Unterfangen und verantworten. Unsere Hoffnung ist allerdings, dass durch Totschweigen, durch Bagatellisieren oder auch nur hiermit keine Einschränkung und Relativierung des durch Indifferenz und Gedankenlosigkeit zum Erliegen Grundanliegens intendiert ist. zu bringen. Die Dinge, die hier diskutiert und ausgearbei- Das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer, der Glaube, »dass tet wurden, müssen auch der breiten kirchlichen Öffent- Gerechtigkeit und Liebe Weisungen Gottes für unser gan- lichkeit zur Kenntnis gebracht werden: den Pfarrern, den zes Leben sind«, folgt wieder der rheinischen Vorgabe, Katecheten, den Religionslehrern, der Gemeinde. Ohne ebenso wie die Hoffnung »auf einen neuen Himmel und dies bleibt all die Mühe ohne wirklichen Widerhall, ohne eine neue Erde« und auf die gemeinsame Arbeit von Chri- Konsequenz. »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« sten und Juden »für Gerechtigkeit und Frieden in dieser Um unser aller willen möge die Arbeit reiche Früchte tra- Welt«. Gemeinden und Kirchenbezirke werden dazu auf- gen. 3 I Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Simon Lauer, Luzern

»Im Jahr der Erlösung«. sung des Menschengeschlechts »ein für allemal« vollendet Osservatore Romano; Vatikanstadt, 20. April 1984 worden ist (Röm 6,10; Hebr 7,27; 9,12; 10,10). Papst Johannes Pauls II. apostolisches Schreiben an die Bischöfe, Es ist das Land, das wir heilig nennen, weil es die irdische Priester, religiösen Gemeinschaften und Gläubigen der ganzen Heimat Christi war, der darin umherzog, »das Evange- katholischen Kirche über die Stadt Jerusalem, die für alle Gott- lium vom Reich verkündete und im Volk alle Krankheiten gläubigen heiliges Gut und vorzüglicher Treffpunkt des Friedens ist, für die Völker des Mittleren Ostens: und Leiden heilte« (Mt 4,23). Besonders in diesem Jahr hätten wir uns gerne ebenso Verehrte Brüder und geliebte Söhne! Gruss und apostoli- freudig bewegen lassen wie unser Vorgänger Papst Paul scher Segen! VI., als er sich 1964 ins Heilige Land und nach Jerusalem Am Ausgang des Jubeljahres der Erlösung wenden wir begab.' uns diesem einzigartigen Land zu, das dort liegt, wo Eu- 1 Vgl. dazu: Die Pilgerfahrt Papst Pauls VI. ins Hl. Land, in: ropa, Asien und Afrika zusammentreffen, wo die Erlö- FrRu XV (Januar 1964), S. I—XXII.

8 Wenn wir auch körperlich nicht haben dort sein können, schlecht mit Festigkeit den Frieden nahe, besonders den fühlen wir uns doch im Geiste als Pilger in dem Land, wo Anbetern des einen grossen Gottes, des barmherzigen Va- unsere Versöhnung mit Gott stattgefunden hat, um vom ters der Völker. Es muss jedoch gesagt werden, dass Jeru- Fürsten des Friedens das kostbare Geschenk der Erlösung salem immer noch ein Grund für langdauernden Streit, und des Friedens zu erflehen, den die Herzen der Men- Gewalt und Sonderansprüche ist. schen, die Familien, die Völker und vor allem die Natio- Das Nachdenken über einen solchen Zustand führt dazu, nen in dieser Gegend heftig begehren. dass diese Worte dem Munde des Propheten entströmen: An die Stadt Jerusalem denken wir besonders, wo Jesus »Um Zions willen kann ich nicht schweigen, um Jerusa- sein Leben darbot, »die beiden Teile vereinigte und die lems willen nicht still sein, bis das Recht in ihm aufstrahlt trennende Wand niederriss, . . . in seiner Person die wie ein helles Licht und sein Heil aufleuchtet wie eine Feindschaft tötend« (Eph 2,14.16). brennende Fackel« Ues 62,1). Bevor es die Stadt des Erlösers Jesus wurde, war Jerusa- Wir denken an den Tag und erstreben ihn, an dem wir lem der geschichtliche Ort der biblischen Offenbarung alle so »Schüler Gottes« Uoh 6,45) sind, dass wir seine Gottes, gewissermassen der Ort der Begegnung von Him- Botschaft der Versöhnung und des Friedens hören. Wir mel und Erde, wo sich das Gespräch Gottes mit den Men- denken an den Tag, an dem Juden, Christen und Mos- schen mehr mitgeteilt hat als an irgendeinem anderen Ort. lems einander in der Stadt Jerusalem den Friedensgruss Auf diese Stadt blicken die Christen mit religiös bewegter entbieten, mit dem Christus nach der Auferstehung die Anteilnahme, weil dort das Wort Christi oftmals erklun- Jünger gegrüsst hat: »Friede sei mit euch !« (Joh 20,19). gen ist, dort die grossen Ereignisse der Erlösung stattge- Die Päpste haben, besonders in diesem Jahrhundert, die funden haben, nämlich Passion, Tod und Auferstehung bitteren Ereignisse, in die Jerusalem viele Jahrzehnte ver- des Herrn. In der Stadt Jerusalem ist die erste christliche strickt war, immer mit Unruhe und Besorgnis beobachtet Gemeinde entstanden, und durch Jahrhunderte hat es, und sorgfältig und aufmerksam die Erklärungen der inter- wenn auch unter Schwierigkeiten, eine kontinuierliche nationalen Institutionen über das Los der Heiligen Stadt Gegenwart der Kirche gegeben. verfolgt2. Diese Stadt, reich an Spuren und Denkmälern von den Bei vielen Gelegenheiten hat der Heilige Stuhl zur Prü- Zeiten Davids, der sie als Hauptstadt wählte, und Salo- fung dieser verwickelten und heiklen Frage aufgerufen mos, der dort den Tempel baute, lieben die Juden glühend und ermahnt, dass sie in geeigneter Weise gelöst werde. und pflegen die Erinnerung an sie für alle Zeit. Darum Er hat das getan, weil er sich um den Frieden der Völker richten sie — man darf wohl sagen: täglich — ihre Herzen sorgte — nicht weniger als aus geistigen, geschichtlichen auf sie und bezeichnen sie als ein Symbol für ihre Nation. und Glaubensgründen, die die Religion betreffen. Auch die Moslems nennen Jerusalem heilig, mit heisser Das ganze Menschengeschlecht und besonders die Völker Liebe, die auf den Ursprung der mohammedanischen Leh- und Nationen, die in der Stadt Jerusalem Glaubensbrüder re zurückgeht und daraus entsteht, dass sie dort viele be- haben — Christen, Juden und Moslems —, haben Grund, sondere Wallfahrtsorte haben. Seit mehr als tausend Jah- sich in dieser Sache engagiert zu fühlen und sich nach ren wohnen sie fast ununterbrochen dort. Kräften darum zu bemühen, dass die einzigartige und un- Ausser diesen hervorragenden Denkmälern enthält Jeru- wiederholbare sakrale Beschaffenheit dieser Stadt erhal- salem lebendige Gemeinden von Gläubigen, deren Gegen- ten bleibe. Nicht nur die Denkmäler oder heiligen Stätten, wart die Völker des ganzen Erdkreises als Zeichen und sondern das ganze historische Jerusalem, die Existenz der Quell der Hoffnung betrachten — diejenigen Gemeinden religiösen Gemeinschaften, ihre Lage und ihre Zukunft wenigstens, die erkennen, dass die Heilige Stadt gewisser- müssen unbedingt alle berühren und allen am Herzen lie- massen ihr geistliches Erbteil und das Bild von Friede und gen". Eintracht ist, — nicht weniger als aus geistigen, geschichtli- Tatsächlich muss mit gutem und auf lange Sicht gerichte- chen und die Religion betreffenden Glaubensgründen. tem Willen ein solides und gerechtes Verfahren gefunden Denn Jerusalem ist — wie es nicht anders sein kann — als werden, wodurch die ungleichen Bestrebungen und Wün- teuerste Herzensheimat all derer, die im Geiste Söhne sche miteinander zur Deckung gebracht, fest gefügt und Abrahams sind, und als der Ort, wo nach dem Glauben sichergestellt werden, und zwar durch wirksame Überein- die unendliche Transzendenz Gottes und das Erschaffene zusammenkommen, das Symbol des Zusammentretens 2 Vgl. u. a. »In multiplicilus«, Palästina Encyklika Pius XII., vom und der friedlichen Verbindung der gesamten Menschen- 24. 10. 1948 in: FrRu Nr. 2/3. 2a März 1949, S. 13-16. Jerusalem und die Hl. Stätten. Aus An- familie. sprachen und Botschaften Papst Pauls VI. in: FrRu XIX/1967, Die Heilige Stadt legt also dem ganzen Menschenge- S. 36 f.

Den Israel Nachrichten, Nr. 3321 der in Tel Aviv vom 10. 8. 1984 Stadt Jerusalem erwähnt, für die er tagtäglich bete. Der erscheinenden Wochenzeitung in deutscher Sprache entnommen: Heilige Vater habe den Erklärungen seines Gastes über Israel und die Judenheit Italiens mit grosser Aufmerksam- Papst zu Rabbiner Jellin: keit gelauscht. »Ich bete täglich für das Wohl « In seiner Rede vor vielen Tausenden, die sich auf dem Platz versammelt hatten, teilte er mit, dass er Gastgeber Richard Jellin, Rabbiner der grossen konservativen Ge- einer Delegation eines »Gemeindehauses« sei. meinde in Boston, traf vor etwa einem Monat [Juli 1984] Raw Jellin erzählte dem Papst, er habe von einem seiner im Vatikan mit Papst Johannes Paul H. zu einem nichtoffi- Gemeinde-Mitglieder gehört, dass dieser vor 30 Jahren ei- ziellen Gespräch zusammen. Dieser Tage gab er in einem nem Treffen zwischen Papst Pius XII. und einer Delega- Interview mit Korrespondenten des »Haaretz« erstrnals tion von Holocaust-Überlebenden beigewohnt habe, bei Einzelheiten seiner Begegnung mit dem Papst auf einer welcher Gelegenheit einer der Überlebenden den Papst Terrasse über dem Platz von St. Peter bekannt, das zwan- gesegnet habe. zig Minuten dauerte. Raw Jellin wiederholte diese Geste, indem er seine Hände Der Papst habe im Gespräch immer wieder die Heilige auf das Haupt des Pontiffs legte und ihn segnete.

9 kunft mit Hilfe eines eigenen Statuts, worüber das inter- eine Heimat zu finden und in Eintracht und gleichem nationale Recht und die Völkergemeinschaft so zu wa- Sinn mit den übrigen Völkern derselben Region zu leben. chen haben, dass keine Partei dieses Statut in Frage stellen Alle Völker des Mittleren Ostens, die ihr Erbe an geistli- kann. chen Tugenden hüten, werden die tragischen Wechselfäl- Wir glauben auch die unaufschiebbare Pflicht zu haben, le, in die sie verwickelt sind, nicht überwinden können — vor den christlichen Gemeinschaften, vor denen, die sich wir sprechen vom gemarterten Libanon —, wenn sie nicht zum Glauben an den einen Gott bekennen, und denen, den wahren Sinn ihrer Geschichte entdecken, der sie die den Schutz der vorzüglichsten Menschenrechte über- durch den Glauben an den einen Gott dazu aufruft, sich nommen haben, daran zu erinnern, dass das Problem in Eintracht und gegenseitiger Zusammenarbeit zusam- Jerusalem bei der Herstellung eines gerechten Friedens im menzutun. Mittleren Osten die Hauptrolle spielt. Wir wünschen ausserdem, die Politiker, so viele ihrer am Wir sind davon überzeugt, dass die religiöse Identität der Steuer der Völker sitzen oder internationalen Institutio- Stadt und besonders der althergebrachte gemeinsame nen vorstehen, an die Lage der Stadt Jerusalem und die in Monotheismus zu einer Weggemeinschaft führen können, ihr lebenden Gemeinschaften zu erinnern. Es kann näm- so dass die Eintracht unter denen gefördert wird, die aus lich niemandem entgehen, dass die vielfältigen Zeichen verschiedenen Gründen die Heilige Stadt als die ihre be- des Glaubens und der menschlichen Kultur, die in der trachten. Heiligen Stadt zu finden sind, zur Sache der Eintracht Wir wissen es wohl: Dass man die Suche nach einer wür- und des Friedens in hohem Masse beitragen können. digen Lösung des Jerusalem-Problems vernachlässigt und An diesem sechsten Tag der heiligen Woche, an dem wir träge verschoben hat, bringt die so ersehnte ruhige und feierlich der Passion und des Todes unseres Erretters gerechte Beilegung des Konflikts im ganzen Mittleren gedenken, laden wir euch alle ein, verehrte Brüder im Osten in Gefahr. Bischofsamt, Priester, Religiosen und alle Christen auf Wie die Rede es wohl mit sich bringt, erinnern wir uns der ganzen Welt, in euren Gebeten besonders um eine ge- daran, dass zwei Völker, das palästinensische und das is- rechte Beilegung der Konflikte um Jerusalem und die gan- raelische, in der gleichen Region in den letzten Jahrzehn- ze Heilige Religion zu flehen, damit dem Mittleren Osten ten miteinander in einem Streit liegen, von dem es scheint, der Friede wiedergegeben werde. er könne nicht geschlichtet werden. Am Ausgang des Jubeljahres der Erlösung, das wir mit Die Kirche richtete ihren Blick auf Christus als Erlöser grosser geistiger Freude gefeiert haben — sei es in Rom, sei und erkennt sein Bild in jedem einzelnen Menschen; sie es in allen Diözesen der katholischen Kirche —, war Jeru- ruft nach Friede und Versöhnung für die Völker jenes salem das beste, wahre Ziel, worauf sich unsere Gedanken Landes, das das Seine war. der Liebe und Dankbarkeit für das grosse Geschenk der Für das jüdische Volk, das in der israelischen Nation lebt Erlösung richteten, die der Menschensohn in der Heiligen und das in eben dieser Gegend so kostbare Zeugnisse sei- Stadt für alle Menschen gewirkt hat. ner Geschichte und seines Glaubens hütet 3, erflehen wir Die Frucht aber der Erlösung ist die Versöhnung des die ersehnte Sicherheit und gerechte Ruhe, die das Vor- Menschen mit Gott und eines jeden Menschen mit seinen recht einer jeden Nation und Voraussetzung für Leben Brüdern. Darum müssen wir darum flehen, dass die Gott- und Gedeihen jeglicher Gesellschaft ist. gläubigen auch in Jerusalem, der Heiligen Gegend Jesu, Das palästinensische Volk, das in dieser Region seinen nach so trauriger Zersplitterung und Zwietracht Versöh- historischen Ursprung findet und seit Jahrzehnten unstet nung und Frieden finden. ist, hat das natürliche Recht, aufgrund der Gerechtigkeit, Schliesslich erteilen wir euch gerne unseren apostolischen Segen. 3 Vgl. u. a. dazu: Erklärung niederländischer Theologen vom Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 20. April, dem sechs- Juli 1967: »Jerusalem und das jüdische Volk gehören unauflös- lich zusammen«, in: FrRu XIX/1967, S. 3. ten Tag der heiligen Woche 1984, im sechsten Jahr unse- (Anmerkungen d. Red. d. FrRu). res Pontifikats.

II Dr. E. L. Ehrlich, Basel: Zum Schreiben Johannes Pauls II. über Jerusalem"

Das apostolische Schreiben des Papstes Johannes Paul II. und bezeichnen sie als ein Symbol für ihre Nation, ihre über Jerusalem ist zunächst in Israel und hernach auch in Existenz und Freiheit . . .« der Weltpresse nicht verstanden worden. Erst allmählich In zahlreichen Wendungen legt der Papst dar, welche hat man sich bemüht, genau zu lesen, was der Papst wirk- Relevanz Jerusalem für die Juden, Christen und Moslems lich geschrieben hat. Die sorgfältige Lektüre des Textes besitzt. Dann heisst es: »Die ganze Menschheit und vor ergibt, dass der Brief nichts wesentlich Neues enthält, was allem die Völker und Nationen, die in Jerusalem ihre auch nicht schon früher vom Vatikan veröffentlicht wor- Glaubensbrüder haben, Christen, Juden und Muslimen, den ist; einige Nuancen jedoch sind neu, und gerade diese haben Grund, sich betroffen zu fühlen und alles nur Mög- sind für den Staat Israel von Bedeutung, und dies im Posi- liche zu tun, um den heiligen, einzigartigen und unver- tiven. Zunächst unterstreicht der Papst die Bedeutung für gleichlichen Charakter der Stadt zu bewahren. Nicht nur Juden, Christen, Moslems. Über die Juden heisst es: »Die- Denkmäler oder die heiligen Stätten, sondern das ganze se Stadt, reich an Spuren und Denkmälern von den Zeiten historische Jerusalem und die Existenz der religiösen Ge- Davids, der sie als Hauptstadt wählte, und Salomons, der meinschaften, ihre Situation, ihre Zukunft müssen Gegen- dort den Tempel baute, lieben die Juden glühend und stand des Interesses und der Sorge aller sein. Es ist tat- pflegen die Erinnerung an sie für alle Zeit. Darum richten sächlich geboten, mit gutem Willen und Weitblick einen sie — man darf wohl sagen täglich — ihre Herzen auf sie konkreten und gerechten Modus zu finden, durch den die verschiedenen Interessen und Hoffnungen in eine harmo- * In: »Jüdische Rundschau« (43/30), Basel, 11. 5. 1984. nische und stabile Form gebracht und in entsprechend

10 wirksamer Weise von einem international garantierten des jüdischen Volkes mit seinem Lande deutlich aner- Statut geschützt werden, so dass die eine oder andere Sei- kannt'. te es nicht missachten kann . . .« Natürlich muss in diesem Nach eingehendem Studium dieses Schreibens haben auch Zusammenhang erwähnt werden, dass in der Region seit die Israelis bemerkt, dass der Papst keine sogenannte »In- Jahrzehnten zwei Völker, das israelische und das palästi- ternationalisierung« Jerusalems fordert, ein Begriff, unter nensische, in einem Gegensatz zueinander stehen, der un- dem sich ohnehin niemand etwas vorstellen kann und der lösbar erscheint . . . abstrakt bleiben muss. Worum es allein geht, ist ein inter- Man kann sich fragen, welchen Sinn es haben soll, dass national abgesicherter Status der heiligen Stätten und der Papst im derzeitigen Augenblick einen solchen Brief damit verbunden die Sicherheit der freien Religionsaus- publiziert. Darüber hinaus sind die Hinweise über ein »in- übung und des angestammten Besitzstandes der verschie- ternational garantiertes Statut« doch recht vage; niemand denen Konfessionen. Der Papst wünscht, diese Rechts- versteht so recht, was damit eigentlich gemeint ist, wer es güter sollen nicht allein vom Wohlwollen eines Staates garantieren kann und soll, wie also der Papst sich die von abhängig sein. ihm gewünschte Lösung dieses Problems vorstellt. Das Der Vatikan nimmt in keiner Weise dazu Stellung, wer Anliegen ist kompliziert und gewiss nicht einfach damit über Jerusalem Souveränität ausübt. Dass es nun der Staat abzutun, es stünde heute alles zum besten. Richtig ist na- Israel ist, wird vom Vatikan als gegebene Tatsache akzep- türlich, dass es bisher für alle Religionen noch niemals so tiert. Aber gerade daraus, so meint der Heilige Stuhl, viel religiöse Freiheit und Sicherheit des Besitzstandes ge- erwächst diesem Staat die Verpflichtung, internationale geben hat wie seit dem Tage, da Israel die Souveränität Garantien zu offerieren, welche den Status quo entspre- über das vereinigte Jerusalem ausübt. Das Parlament des chend absichern. Staates Israel hat noch im Juli 1967 ein Gesetz erlassen, Juden empfinden es als anstössig, dass der Vatikan den das die religiöse Freiheit und das Eigentum der Religions- Staat Israel noch nicht anerkannt hat4. Diese Gefühle mö- gemeinschaften sichere. Sowohl gesetzlich als auch in der gen verständlich sein, freilich sollte man das Problem Praxis ist der Staat Israel seinen diesbezüglichen Ver- nicht emotional behandeln. Der Staat Israel existiert nun pflichtungen voll nachgekommen. Man kann sich daher bereits seit 36 Jahren ohne diese De-jure-Anerkennung fragen, was der Papst nun zusätzlich verlangt. Die er- durch den Vatikan; Israel braucht sie nicht. Anderseits wähnten Sicherheiten sind bisher allein national durch haben sich die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Parlamentsgesetz gewährleistet. Theoretisch wäre daher dem Staat Israel gerade in den letzten Jahren positiv ent- der höchst unwahrscheinliche Fall denkbar, dass eine an- wickelt, der neue Brief des Papstes über Jerusalem enthält dere Parlamentsmehrheit das Gesetz und die ihm fussende daher auch einige Elemente, die in diese Richtung wei- Praxis ändert. Daher wird eine Lösung erstrebt, dass sen5 durch internationale Garantien die an sich befriedigende Die Wünsche, die Hoffnungen und die Ziele hinsichtlich Praxis auch völkerrechtlich abgesichert wird. Wie das im Jerusalems vermögen Juden mit dem Papst zu teilen, einzelnen erfolgen soll, erfahren wir jedoch aus diesem wenn er in dieser einzigartigen Stadt einen »Begegnungs- Brief nicht'. punkt zwischen der unendlichen Transzendenz Gottes Darüber hinaus darf dieses Schreiben aber auch aus ande- und der Wirklichkeit des geschaffenen Seins« erblickt, rem Grunde Interesse beanspruchen. Zum ersten Male und wenn der Papst Jerusalem als »Symbol der Begeg- wurde, soweit ersichtdich, in einem offiziellen päpstlichen nung, der Einheit und des Friedens für die ganze Mensch- oder vatikanischen Dokument die Existenz des Staates heitsfamilie« bezeichnet. Es wäre vielleicht sinnvoll, wenn Israels ausdrücklich erwähnt, ebenso seine berechtigten der Vatikan in dieser Richtung wirkte und seinen Teil da- Sicherheitsinteressen. Auch wurde die enge Verbindung zu beitrüge, diese gemeinsame Hoffnung zu verwirklichen.

' Vgl.: Das Gesetz zum Schutz der Hl. Stätten, 27. 6. 1967, in: 3 dsgl. ebd. FrRu s. o. S. 9, ebd. S. 43; Abba Eban: Jerusalems Einheit und 4 Vg,l. dazu: Ze'ev Falk/Marcel Dubois: Ein Briefwechsel: Die die Welt, ebd. S. 47 f. Katholische Kirche und die Juden; s. u. S. 12. "3 dazu: C. Thoma/S. Lauer: Kommentar, s. u. 5 Vgl. auch o. S. 8-10.

III Clemens Thoma / Simon Lauer, Luzern: Kommentar

Dieses apostolische Schreiben fand in einem Teil der is- schwunden sind und die Forderung nach Internationali- raelischen Presse keinen Beifall. Roman Priester schrieb sierung Jerusalems hintangestellt worden ist. Die neue z. B. im Ha-'arez am 27. 4. 1984: »Der Vatikan hält einen Formel >Sonderstatus< wird in unserem Aussenministe- juristischen Sonderstatus für Jerusalem und Umgebung rium für milder gehalten. Aber gerade Johannes Paul II. für richtig; dieser soll auf internationalen Garantien beru- ist der ersti Papst, der ausdrücklich die Errichtung eines hen. Vergeblich haben sachverständige Kommentatoren Palästinenserstaates fordert . . . Der Staat Israel hat noch irgendeine nähere Ausführung oder Erldärung gesucht: nie die Art von Anerkennung erhalten, die der Papst den Meint der Papst nur die heiligen Stätten? Was ist >die Um- Palästinensern zugewendet hat . . . Zwar führt der Papst gebung Jerusalemspol- nen. Er hat in Spanien erklären können, dass die Inquisi- nische Papst< vor, bei einer verschleierten und unverbind- tion ein Irrtum war; aber irgendeine Erklärung zugunsten lichen Formel zu bleiben . . . Die Pilger in der Jerusalemer der Daseinsberechtigung des Staates Israel war bisher Altstadt wurden mit farbigen Plakaten begrüsst: Johannes nicht herauszuholen . . .« 1 Paul II. und Yasir Arafat lächeln auf einer gemeinsamen Diese und andere abweisenden israelischen Reaktionen Photographie und drücken ihre Sehnsucht nach einem ge- sind begreiflich. Allzu schwer lastet eine Geschichte des rechteren Frieden im Nahen Osten aus . . . Beamte in Je- Missverstehens, Blockierens und unbefugten Hineinregie- rusalem betonen mit einer gewissen Befriedigung, dass seit 1974 die giftigen Angriffe aus den Hirtenbriefen ver- 1 Vgl. u. S. 16, II.

11 rens auf den Beziehungen zwischen dem Vatikan und 20 Jahren war es fast ein Kunststück, in apostolischen dem Staat Israel. Man muss aber beachten, dass der Vati- Rundschreiben über Jerusalem und die heiligen Stätten kan keine politische Macht ist, die dem Staat Israel und die Auffassung des Heiligen Stuhls zu finden, die Juden seiner Hauptstadt Jerusalem etwas in den Weg legen seien ein Volk und eine Nation, nicht nur eine Religion. könnte. Auch in Israel weiss man anderseits aus harter Er- Im Rundschreiben des jetzigen Papstes sind der Volkscha- fahrung, dass besonders das Palästinenserproblem noch rakter und die Nationalität der Juden selbstverständlich. ungelöst ist. Ebenso gut weiss man, dass Jerusalem noch Auch der Ausdruck der Verbundenheit mit den in Israel nicht als Friedensstadt leuchtet. Der Bürgermeister von wohnenden Juden und ihren grossen Traditionen ist heute Jerusalem und andere israelische Politiker haben sich in weit herzlicher und eingehender als bei früheren Päpsten. 2 letzter Zeit hellhörig gezeigt auf Vorschläge von aussen, Man sollte sich auch nicht allzusehr darüber aufregen, die Erleichterungen in diesen Problemkreisen anvisieren. dass der Papst keine detaillierten Vorschläge zum Jerusa- Sie wissen ebensogut wie der Papst, dass nichts von heute lem- und Palästinenserproblem macht; er ist dazu nicht auf morgen geregelt werden kann und dass noch niemand befugt. Wenn er die positive Verbundenheit der katholi- eine fertige Lösung in der Tasche hat. Rom wurde ja auch schen Kirche mit Jerusalem und den Israelis in solch be- nicht an einem Tag gebaut. Es wäre nicht ganz unnütz, schwörenden Rundschreiben wie diesem ausdrückt, dann wenn in der Zwischenzeit u. a. auch eine kleine Genugtu- ist das zwar noch nicht viel, aber man wird es auch in ung darüber sich breitmachen könnte, dass der Vatikan Israel nicht als schädlich beurteilen können. nicht mehr im selben Ton über Jerusalem redet wie unter Pius X., Pius XIL und auch noch unter Paul VL Noch vor 2 Vgl. auch u. S. 17 f.

4 I Ein Briefwechsel zum Apostolischen Schreiben über die Stadt Jerusalem: Ein Austausch*/*" Von Dr. Ze'ev W. Falk***, Professor für Familien- und Erbrecht*/**, und Marcel J. Dubois****, Professor für griechische und mittelalterliche Philosophie, beide an der Hebräischen Universität Jerusalem

Der in Jerusalem seit 1972 in englischer Sprache erscheinenden Zeitschrift »IMMANUEL« entnehmen wir leicht gekürzt nachstehen- den Briefwechsel und bringen ihn in deutscher Übersetzung.** Wegen des thematischen Zusammenhangs mit dem voranstehenden »Apostolischen Schreiben über die Stadt Jerusalem vom 20. 4. 1984« und den sich darauf beziehenden Kommentaren steht dieser »Austausch« in diesem Teil des Freibureer Rundbriefs. Die darin enthaltenen Personennamen sind sowohl dort wie auch im Personenregister IMMANUEL verzeichnet (Die Red. d. FrRu). An den Herausgeber: lichten Dokument' spricht. Es drückt eine gönnerhafte Einer der Gründe, weshalb diese Zeitschrift vor zehn Jah- Annäherung an »die Juden« als Individuen aus, anstatt sie ren gegründet wurde, war die Berichterstattung über die gemäss ihrem eigenen Selbstverständnis zu definieren. Die vergangenen und die gegenwärtigen jüdisch-christlichen Kirche hielt ihren Anspruch, das »Neue Gottesvolk« zu Beziehungen, wie sie sich in der religiösen und theologi- sein, aufrecht und setzte stillschweigend das Substitutions- schen Literatur Israels widerspiegeln. Vielleicht ist die modell voraus. Die gleiche Haltung fand ich in der An- Zeit gekommen, eine von mir die ganze Zeit über zurück- sprache des Papstes vom 6. März 1982 2 anlässlich der Ta- gehaltene Empfindung auszusprechen, die ich um der gung der »vatikanischen Kommission für die religiösen Aufrichtigkeit willen mit meinen christlichen Freunden Beziehungen mit den Juden«. Erwähnt wurde die »Orga- teilen sollte. Diese Empfindung bezieht sich auf die Wei- nisation der Synagogengemeinde« als eine Quelle, aus der gerung des Vatikans, den Staat Israel anzuerkennen. Ich kirchliche Institutionen schöpfen, aber die jüdischen Auf- kann nicht umhin, die Haltung des Heiligen Stuhls als ei- fassungen von Volk, Land und Staat, die von gleicher Be- ne Verweigerung des elementaren Rechts auf politische deutung für das Selbstverständnis des Christentums sind, Existenz zu verstehen, die jeder anderen Nation zuge- wurden nicht entsprechend erwähnt. Ich sah in diesem standen wird. Ich sehe diese Weigerung als ein Glied in Versäumnis ein klares Zeichen katholischer Geringschät- der Kette der kirchlichen Tradition, die dem nachchristli- zung und Verneinung des jüdischen Rechts auf politische chen Judentum die Daseinsberechtigung verwehrt und für Existenz. sich selbst den Anspruch erhebt auf das Erbe Israels. Zu- Nach meinen Erfahrungen in der jüdischen Delegation, dem scheint mir, als mute der eine Dialogpartner dem an- die Papst Johannes Paul II. zu seiner Wahl beglück- deren ungerechtfertigterweise seine Definition des jüdi- wünschte, war ich nicht überrascht, als er im September schen Volkes zu, das er als Gruppe von Individuen oder 1982 Yassir Arafat eine Audienz gewährte.; Einem Be- als religiöse Gemeinschaft, nicht aber als Nation oder richt der »Associated Press« vom 12. März 1979 zufolge Staat verstehen will. hatte Arafat dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, Ich war enttäuscht, dass diese Einstellung aus dem 1965 Carter, und dem Premierminister Israels, Begin, angekün- von dem vom Zweiten Vatikanischen Konzil veröffent- digt, dass »nur Araber in diesem Teil der Welt sein wer- den . . . Die Araber werden weiterhin die Flamme der Re- * Originaltitel: »The Catholic Church and the Jews: An Exchan- ge«; in der englischen Ausgabe »IMMANUEL« 17 (Winter 1983/84), S. 98-104. 1 Vgl. FrRu XVII/1966, S. 27-30: Die Erklärung über das Ver- ** Aus dem Englischen übersetzt. hältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, insbeson- *** Professor Falk ist für den Fachbereich Jüdisch-christliche Be- dere zu den Juden. ziehungen redaktioneller Mitkoordinator. 2 Vgl. FrRu XXXIV/1982, S. 3 f.: Papst Johannes Paul II.: Auf- **** Professor Dubois, Herausgeber der englischen Ausgabe forderung zu einer dem Judentum und Christentum entsprechen- »IMMANUEL«. den Verkündigung und Forschung. (Ausser den Anmerkungen 12, 14 alle Anmerkungen d. Red. d. 3 Vgl. Johannes Paul II. nach dem Angelusgebet am 10. 10. 1982, FrRu.) in: FrRu XXXIV/1982, US 2.

12 volution durch Blutvergiessen schüren, bis das ganze be- unlängst der Empfang Arafats beim Papst3/4erscheinen Ih- setzte Heimatland befreit sein wird . . . nicht nur ein Teil nen als Zeichen von Engstirnigkeit, wenn nicht sogar von davon.« Dies stimmte mit dem palästinensischen Schwur Feindseligkeit. Auf alle Fälle wird Ihrer Meinung nach da- überein, dass »ganz Palästina den Arabern gehört . . . be- durch eine Einseitigkeit im Dialog zwischen Juden und waffneter Kampf ist der einzige Weg zur Befreiung, und Christen bekundets und die Arbeit, die wir bewerkstelli- sowohl die Aufteilung Palästinas als auch die Gründung gen wollen, untergraben. Da ich in hohem Masse Ihre Er- des Staates Israel sind rechtswidrig.« Der Papst bot somit wartungen und manchmal Ihre Ungeduld teile, werde ich seine Freundschaft einem Mann an, der verantwortlich versuchen, Ihnen mitzuteilen, was ich zu mir selbst sage, war für den Mord an Tausenden von Frauen, Kindern um meine Geduld zu bewahren und meine Hoffnung zu und unschuldigen Zivilisten in der ganzen Welt, ein- stärken . . . schliesslich der Stadt Rom.4 Zunächst möchte ich auf Ihre Bemerkungen hinsichtlich Ich kann nicht umhin, die römisch-katholische Haltung Arafats Besuch im Vatikan eingehen.3/4 Auf der Ebene der gegenüber den Feinden Israels mit dem traditionellen Weltereignisse, die so rasch vorbeigehen, hat dieses Ereig- christlichen Antisemitismus in Verbindung zu bringen. nis schon an Aktualität verloren. Ausserdem gibt das ge- Weder das II. Vatikanum noch die verschiedenen neuzeit- genwärtige Schicksal des PLO-Chefs angesichts der lär- lichen Päpste haben die antisemitischen Aussagen der Kir- menden Raserei in Tripoli eher Anlass, über die Brüchig- chenväter oder der christlichen Theologie verurteilt (ob- keit seines Ansehens nachzudenken. Nichtsdestoweniger wohl ich hiermit in keiner Weise die historischen Verdien- verstehe ich, dass dieses Ereignis, so wie es sich abgespielt ste Papst Johannes XXIII. schmälern will). Weder die hat, für die meisten Juden, ob Israelis oder nicht, ja sogar jahrhundertelangen christlichen Greueltaten gegenüber für jene, die zum Christentum übergetreten sind, eine den Juden noch das Schweigen des Papstes während des kränkende Beleidigung und eine Wunde war und bleibt. Holocaust hat man bedauert . .5 Ich weiss, dass die Antworten aus Rom im März 1983 von Ein Dialog ist dort möglich, wo der Integrität des jeweili- den Zuständigen des vatikanischen Staatssekretariats die gen Partners Vertrauen und Respekt entgegengebracht jüdischen Abgeordneten des Internationalen Verbin- wird. Ich befürchte, dass die jüdisch-christlichen Bezie- dungskomitees nicht überzeugen konnten. Ich selbst war hungen weder das eine noch das andere kennen. Bei jeder tief verletzt durch die Audienz, die Arafat gewährt wurde, Begegnung dieser beiden Parteien muss deshalb gegensei- und zutiefst betrübt über die Missverständnisse, die sich tige Anerkennung, die Bereitschaft, den anderen gemäss daraus ergaben. Viele Christen, auch einige im Vatikan, seinem eigenen Selbstverständnis anzunehmen und die empfanden das gleiche Unbehagen. Gewiss, wenn wir die- Anwendung gleicher Massstäbe für sich selbst wie für den ses Treffen als Probe betrachten, ja als die einzige Probe anderen der erste Punkt auf der Tagesordnung sein. im Hinblick auf den Stand der Beziehungen zwischen der Wir können unter dem gemeinsamen Titel Immanuel6 zu- Kirche und dem jüdischen Volk, können wir nicht umhin, sammenarbeiten, obwohl ihn jeder auf seine Weise inter- Ihre Enttäuschung und die unserer jüdischen Freunde zu pretiert, wenn wir das Recht eines jeden auf sein eigenes teilen. Aber steht dies wirklich zur Debatte? In diesem Selbstverständnis achten. Ich für meinen Teil glaube, dass Punkt, wie bei vielen anderen politischen Vorkommnissen Gott mit dem jüdischen Volk in seinem Leid, sogar in sei- im Leben der Kirche, muss man sich den Unterschied zwi- ner Unvollkommenheit ist und dass Seine Verheissungen schen einer Glaubens- und einer Ansichtssache ganz klar- in diesem Land verwirldicht werden, unter der Oberherr- machen, den grundlegenden Unterschied zwischen dem sc'haft von Juda und Israel. Ich anerkenne das Recht der Notwendigen und dem Nebensächlichen. In letzterem Christen, diesem Namen eine geistige Bedeutung in bezug Fall fühle ich mich absolut frei, da mein Glaube nicht di- auf Christus zu geben, aber ich bestehe auf einer entspre- rekt davon betroffen ist. Ich kann die politischen und so- chenden Haltung seitens der Christen gegenüber der jüdi- gar apostolischen Auswirkungen bestimmter Entscheidun- schen Interpretation. gen des Vatikans bedauern . . . Aber es wäre falsch, im Be- Jerusalem, am Vorabend des Laubhüttenfestes, in Erwartung such Arafats in Rom eine eindeutige Bekundung der der Verwirklichung von Sach 14,187. Theologie der katholischen Kirche gegenüber dem Juden- Ze'ev W Falk tum und gegenüber den Juden zu sehen. Diese Theologie Lieber Ze'ev! ist tiefgründiger als der Stand der politischen Strömun- Als Mitglied der Redaktion »IMMANUEL« wissen Sie, gen, in die die menschliche Geschichte der Kirche unaus- wie sehr wir uns gewünscht haben, dass Leser des »Imma- weichlich verwickelt ist. Können wir nicht das gleiche nuel« uns ihre Reaktionen, ihre Meinungen, eventuell ihre über die verschiedenen Richtungswechsel der israelischen Kritik mitteilen. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie durch Politik hinsichtlich der komplexen Situation im Nahen diesen »Brief an den Herausgeber« mit gutem Beispiel Osten sagen? Sie wissen, dass viele jüdische Freunde sich vorangegangen sind . . . darin nicht wiederfinden. Die wahre Begegnung zwischen Sie stellen eine ernste Frage, denn sie betrifft die Loyali- Juden und Christen spielt sich auf einer anderen Ebene tät, die Aufrichtigkeit und die Gegenseitigkeit der Begeg- ab. Auf der glaubwürdigsten Ebene — auf der des Gebets nung zwischen Juden und Christen, die das eigentliche und des gegenseitigen Entdeckens ereignet sich wahrer Anliegen unserer Zeitschrift waren und sind. Diese Frage Fortschritt in aller Stille gerade jetzt . . . erwuchs aus der Verwunderung, ich würde sogar zu sa- gen wagen aus dem Skandal, den die Haltung des Vati- Der Vatikan und der Staat Israel kans gegenüber dem Staat Israel hervorgerufen hat. Die . . . Sie kennen schon die Antwort auf die Frage, die nicht Nichtanerkennung der politischen Existenz Israels und nur Sie stellen: »Warum hat der Vatikan den Staat Israel noch nicht anerkannt?« Unseren Freunden vom Interna- 3 ebd., (s. u. S. 12). Vgl. dazu Kardinal Etchegaray, Intervention anlässlich der tionalen Verbindungskomitee gegenüber äusserten die Bischofssynode »Versöhnung und Busse« vom 4. 10. 1983, s. o. Sprecher des Vatikans, dass, wenn auch noch keine Aner- S. 3f.; und u. S. 6, Anm. 6-11. kennung de jure erfolgte, doch schon lange eine Anerken- 6 Wörtliche übersetzung aus dem Hebräischen: »Gott mit uns«. Sach 14,18: »Und wenn der Völkerstamm der Ägypter nicht nung de facto bestehe, da Abba Eban, Golda Meir, Moshe hinaufgeht und nicht kommt, so wird auch sie die Plage treffen, Dayan und Yitzhak Shamir gewiss als Vertreter des Staa- mit der Jahwe die Völker schlägt, die nicht hinaufgehen, um das tes Israel im Vatikan empfangen wurden! Als Jurist sind Laubhüttenfest zu feiern.« 3 S. 0. S. 12. 8 Vgl. o. S. 12, Anm. 3.

13 Sie sicher mit diesen Argumenten nicht zufrieden. Und festgehalten sind, von den Zehn Seelisberger Thesen ich bin sicher, dass Sie skeptisch sind, wenn ich Sie daran (1947) 11 bis heute, und sie inhaltlich vergleichen, werden erinnere, dass auch die Vereinigten Staaten keinen Bot- Sie die Weiterentwicklung der Lehre und die wachsende schafter beim Heiligen Stuhl haben, sondern lediglich ei- wohlwollende Einstellung feststellen können. Wie unser nen persönlichen Vertreter des Präsidenten, und dass der Freund, Pater Dupuy, schon gesagt hat, handelt es sich Vatikan keinen Nuntius in Washington hat, sondern le- um einen Prozess, der heute nicht rückgängig zu machen diglich einen apostolischen Gesandten . . . All diese Nuan- ist. cen und juristischen Spitzfindigkeiten können die offen- Der ausschlaggebende Punkt der neuen Entwicklung kundige Einseitigkeit im speziellen Fall der Beziehungen scheint mir die formale Aufforderung an die Christen zu zum Staat Israel nicht verbergen. sein, »den Juden so zu verstehen, wie er sich selbst ver- Ich könnte Sie hier an die Gründe erinnern, die im allge- steht«. 12 Dies war schon eine der wichtigsten Anregungen meinen genannt werden, um diese »Nichtanerkennung« in der Erklärung, die von der französischen bischöflichen Israels von seiten des Vatikans zu rechtfertigen. Zunächst Kommission am Vorabend des Pessach-Festes 1973 veröf- muss die diplomatische Gepflogenheit genannt werden, fentlicht wurde." Aufgenommen wurde sie in den Vatika- gemäss der der Vatikan niemals Staaten anerkennt, deren nischen Hinweisen und Richtlinien zur Durchführung Grenzen noch nicht in einem offiziellen Vertrag mit den von Nostra aetate, Nr. 4, der Kommission für religiöse Nachbarn festgelegt sind. Leider ist dies die Situation des Beziehungen zum Judentum am 3. Januar 1975. Ich bitte Staates Israel seit 1948 (jene, die uns zu den »Grenzen Sie, sich der Bedeutung des in dieser Weise ausgearbeite- von 1967« zurückkehren sehen wollen, scheinen sich die- ten Grundsatzes bewusst zu sein und auf die Dynamik zu ser Sachlage nicht bewusst zu sein. Grenzen gab es noch vertrauen, die ihm innewohnt. Gewiss, es wird noch eine nie, sondern nur eine Waffenstillstandslinie!). Ein Beispiel Weile dauern, bevor christliche Theologie, die von innen kann zugunsten dieser Argumentation genannt werden: her über die Komponenten des jüdischen Bewusstseins — die Aufteilung der Diözesen zwischen Polen und Volk, Thora, Land — nachdenkt, so weit kommt, die enge Deutschland entlang der Oder-Neisse-Linie wurde erst 25 Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem Land, Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges endgültig mit dem seine Geschichte, seine Tradition, seine Weisheit festgelegt. Aber ich verstehe vollkommen, dass dieses Ar- und sein Gebet für immer verwurzelt sind, zu verstehen gument Ihnen kaum hinreichend erscheint. und anzuerkennen. Wir können zwanzig Jahrhunderte Es gibt einen anderen, diskreteren, aber doch auf Tatsa- voller Missverständnisse und tragischen Fehlern nicht in- chen beruhenden Grund, der an zahlreichen Beispielen nerhalb von zwanzig Jahren korrigieren. Nichtsdestowe- veranschaulicht werden könnte. Man könnte dies folgen- niger wurde ein neuer Grundsatz klar festgelegt, ein dermassen formulieren: Jedes Lächeln oder jede positive Grundsatz, der eine Geisteshaltung beinhaltet, ein Grund- Initiative von seiten des Vatikans gegenüber dem Staat Is- satz, der die Basis unserer Hoffnung sein sollte: »den Ju- rael trägt das Risiko in sich, dass den christlichen Gemein- den so zu verstehen, wie er sich selbst versteht.« schaften in mohammedanischen Ländern Leid zugefügt wird. Dies erklärt vielleicht die zurückhaltende Ängstlich- Drei Phasen des Dialogs keit, unter der der Staat Israel in der Nahostpolitik des Mein lieber Ze'ev, mehrere Male in der Vergangenheit Vatikans zu leiden hat. Es würde genügen, sich noch ein- mussten wir gemeinsam an öffentlichen Gesprächen über mal die Umstände der Reise Papst Pauls VI. ins Heilige jene Themen teilnehmen, die uns im tiefsten Innern be- Land im Januar 1964 zu vergegenwärtigen, insbesondere rühren. Erlauben Sie mir, Sie hier an die Art und Weise zu die Einseitigkeit in den Höflichkeitsbekundungen, unter erinnern, die ich als den Fortschritt ansehe, der in den der wir alle litten. So viele arabischen Gefühle mussten be- letzten dreissig Jahren in der gegenseitigen Anerkennung rücksichtigt werden! 9 unserer Identität erzielt wurde. Wollte ich die Bilanz die- Welches auch immer der Wert dieser Erklärungen sein ser Entwicklung ziehen, würde ich drei Phasen innerhalb mag, es existiert, da gebe ich Ihnen recht, ein tieferer eines Entdeckungsprozesses unterscheiden, der immer tie- Grund für all diese Zurückhaltung. Hier greife ich auf Ih- fer ging. re eigenen Überlegungen zurück: Es ist klar, dass christli- Zunächst haben wir, Juden und Christen, gemeinsam ge- che Theologie noch nicht in der Lage ist, über die Verbin- wiss ein Stadium des Dialogs erreicht, in dem wir zuein- dung zwischen dem Volk Israel und seinem Land in ihrer ander sagen können, nicht nur ohne Hass oder Feindse- eigenen Begrifflichkeit Aussagen zu machen 9a. Dies ist ligkeit, sondern auch ohne Angst und ohne Illusionen: wir eine Tatsache. Aber theologische Betrachtungen über akzeptieren, dass wir verschiedener Meinung sind. Wir Judentum und über Israel, vor allem innerhalb der katho- anerkennen, dass Jesus uns trennt, dass er zwischen uns lischen Kirche, sind weder statisch noch verhärtet noch ein Zeichen der Trennung und ein Stein des Anstosses ist. abgeschlossen. Im Gegenteil, sie sind in einem Entwick- Als eine pessimistische Feststellung kann dies auf keinen lungsprozess, und dies bitte ich Sie zu bedenken. Fall gewertet werden — denn die Tatsache, dass wir so Sie erinnern uns an die offiziellen Texte der Kirche, an zueinander sprechen können, gerade jetzt, so klar und so die Erklärung Nostra aetate (1965) und an die Rede des offen, ist an sich schon ein beträchtlicher Fortschritt. Papstes vor den Delegierten der Bischofskonferenz der Zum zweiten sind wir heute sowohl von jüdischer als auch Kommission für die religiösen Beziehungen zum Juden- von christlicher Seite in der Lage, die jüdische Identität tum am 6. März 1982 1°, um ihre Grenzen aufzudecken Jesu ohne ausweichende Zurückhaltung anzuerkennen. und ihre Mängel zu bedauern. Gewiss, noch nicht alles Auch das ist neu. Diese Wahrheit, die wir auf beiden Sei- wurde gesagt, und vieles muss noch durchdacht und offen 12 »Dass sie (die Christen) versuchen, den Juden zu verstehen, dargelegt werden. Wenn Sie jedoch die Texte nochmals wie er sich selbst versteht, anstatt ihn nach ihren eigenen Denk- lesen, in denen die Ergebnisse christlichen Nachdenkens schemen zu beurteilen«. Aus: Dokumentation über die Erklärung der französischen bischöflichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum vom 16. April (zu Pessach) 1973; S. 18 in ebd. 9 Vgl.: Die Pilgerfahrt Papst Pauls VI. ins Hl. Land, in: FrRu XXV, S. 14-20. XV (Januar 1964), S. I—XXII. 13 Ebd.: Im besonderen ist es wichtig, dass die Christen die 9a Vgl. o. S. 12, Anm. 2. grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Ju- 1° Vgl. s. o. S. 1, Anm. 1 und 2. dentums besser zu verstehen suchen und dass sie jene Grundzüge 11 Vgl. in: FrRu II (8/9), August 1950, S. 3-12; in ebd. XVI/ kennenlernen, die für die gelebte religiöse Wirklichkeit der Juden XVII (Juli 1965), S. 54-61. nach ihrem eigenen Verständnis wesentlich sind.

14 ten lieber vergassen oder verbargen, weil wir sie für stö- und an der wir mitwirken, früher oder später zu einer rend oder bedeutungslos hielten, beschämt und ängstigt neuen Auffassung der ganzen jüdischen Wirklichkeit füh- uns heute nicht mehr. Um die Menschennatur Jesu fassen ren wird, einschliesslich des für Sie so zentralen Punktes zu können, um die Wirklichkeit der Menschwerdung zu der engen Verknüpfung von Volk und Land und der sich verstehen, zögern christliche Exegeten und Theologen daraus ergebenden Daseinsberechtigung des Staates Isra- nicht mehr, Jesus in jener Umwelt und Tradition zu se- el. Gewiss, ich verstehe, dass Ihnen dieser Prozess sehr hen, der er dem Fleische nach entstammte . . . Jesus wird langwierig erscheint. Es bleibt mir nichts anderes, als Sie heute bedenkenlos als Sohn des jüdischen Volkes akzep- um jene Geduld zu bitten, in der ich mich selbst zu üben tiert, als Herr und Messias natürlich nicht. Wenn einer suche. Geduld im zweifachen Sinn des Wortes, gemäss unserer Kollegen, den Sie kennen, Professor für Neues den beiden Bedeutungen, die seltsamerweise sowohl im Testament an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Lateinischen als auch im Hebräischen in der gleichen mit mir über Jesus sprechen will, sagt er manchmal ein- Wurzel vereint sind: patientia, pati; sevel, savlanut: Ge- fach: »Mein Lehrer und Ihr Gott.« Diese grossartige For- duld und Leiden. mulierung hat ganz besondere Ausdruckskraft und ist auf jeden Fall Ausdruck eines erstaunlichen Fortschritts, was Drei Regeln der Hoffnung und der Geduld das gegenseitige Verstehen angeht. Ich lebe nun [1982] seit einundzwanzig Jahren in Israel. Aber dies ist noch nicht alles. Auf der tieferen und verbor- Ich kann schon auf eine lange Erfahrung zurückblicken, generen Ebene, auf der stillen Ebene, auf der Juden und auch wenn sie gegenüber dem langen Warten Israels Christen im Gebet" aufeinander hören, begegnen sie sich ziemlich kurz erscheint. Während all dieser Jahre habe ich im Hinblick auf eine Entdeckung, die gegenseitig, objek- mir ganz allmählich drei Prinzipien zu eigen gemacht — tiv und loyal ist. So beginnen wir jeder auf seine eigene oder besser drei Lebensregeln —, die die Stärke und den Weise zu entdecken, dass Jesus, der Sohn Israels, uns ge- Mut zu hoffen während der Geduldsprobe sichern sollen. rade in diesem Punkt vereinigt, in dem er uns trennt. Aus Ich will nicht sagen, dass ich mich immer daran halte, diesem Paradoxon gewinnt unsere Begegnung einen abso- aber ich bin sicher, dass diese drei Regeln die Quellen lut einzigartigen Wert. In der Tat sind wir die einzigen, speisen, die nötig sind, das feste Vertrauen aufrechtzuer- die diese Entzweiung bezeugen und darunter leiden. Viele halten. Erlauben Sie mir, sie Ihnen mitzuteilen. Menschen guten Willens — Animisten, Fetischisten, Die erste betrifft gerade die Schwierigkeit, auf die wir Buddhisten, Schintoisten, Hindus, sogar Muslime — haben stossen, und das Dunkel, in die sie uns zu treiben drohen. keinen Grund, sich durch die Existenz Jesu gestört zu Ich würde es folgendermassen ausdrücken: Wo immer die fühlen: Sie begegnen ihm nicht in ihrer Geschichte, und Sache Gottes mit im Spiel ist, arbeitet der Satan härter als Jesus steht in keinem Bezug zu ihrer Tradition. Für einen anderswo. Gott weiss, wie vielfältig unsere Aufgabe ist Juden wird seine Person besonders in unserer Zeit, in der und wie schwierig Geduld ist, ob wir nun über religiöse alle möglichen Begegnungen stattfinden können, früher Gemeinschaften sprechen, die einander gegenüberstehen, oder später Anlass für Fragen oder sogar zu einem Stein über politische Teilungen oder über Interessenskonflikte. des Anstosses. Wenn wir Christen uns den Bruch zwi- Ist Jerusalem nicht die Hauptstadt und das Musterbeispiel schen seinem Volk und der Kirche, für die Jesus das Zei- für alle Teilungen und Konflikte? Wir erleben dies bei all chen war, vergegenwärtigen, bleibt uns nur der Schmerz unseren Bemühungen um die Begegnung zwischen Juden darüber, was der französische Protestant Franwis Lovsky und Christen in Israel. Eigentlich sollten uns paradoxer- »Kluft durch Abwesenheit« genannt hat. Nun ist diese weise selbst die Schwierigkeiten trösten, da sie so offen- Kluft aber etwas, was zu uns gehört. Paradoxerweise ver- sichtlich den Stempel des .Bösen tragen. Nichts stört und eint sie uns, Juden und Christen, vor der ganzen Welt. Es ärgert diesen Stifter der Unruhe, der Zwietracht und der handelt sich um einen Familienstreit über ein Erbe. Ein Finsternis mehr als der Erfolg von Gottes Plänen. Da ge- Familienstreit! Ich glaube, dass wir mit dieser Formulie- rade Schwierigkeiten die Feindseligkeiten des Satans ent- rung die tragische Geschichte, in die wir jahrhundertelang hüllen, offenbaren sie zugleich auch die Bedeutung des verwickelt waren, zusammenfassen könnten, wenn wir die Unternehmens. All die Widersprüche und Hindernisse, zwei Wörter dieser Zusammensetzung jeweils verschieden die unsere Geduld auf die Probe stellen, bestätigen, dass betonen. Entzweit haben wir uns wegen eines zweitau- wir an einem göttlichen Werk mitwirken. sendjährigen Familienstreits. Langsam entdecken wir, dass Die zweite Regel, die wir anwenden und in die Tat umset- wir auf geheimnisvolle Weise in einem Familienstreit ver- zen müssen, wird von den Erfahrungen der Heiligen wäh- eint sind, da wir auf denselben Gott hören, auf dasselbe rend der ganzen Kirchengeschichte gelehrt und bezeugt. Wort vertrauen und dieselbe Zukunftshoffnung teilen. Ein Tatsache ist, dass die meisten Heiligen, an die die glorrei- Streit über ein und dieselbe Erbschaft, aber diese Erb- che und unerbittliche Berufung erging, in die Kirche ein- schaft ist einzigartig. Es handelt sich um das Wort Gottes zubringen, was Bergson Werte der Inspiration genannt an die Menschen, es betrifft ihr Schicksal, und wir müssen hätte, selbst irgendwann einmal den Widerstand der Insti- gemeinsam dafür Zeugnis ablegen. tution erfahren mussten. In bezug darauf ergeben sich für So würde ich den Fortschritt zusammenfassen, der seit all jene besondere Schwierigkeiten, die durch den Heili- dem Drama der Todeslager, der Rückkehr des jüdischen gen Geist erleuchtet und, auf das Wort Gottes hörend, Volkes in sein Land und dem Vatikanischen Konzil er- den Platz Israels im Heilsplan Gottes zu ermitteln und zu zielt wurde: nämlich die gegenseitige Anerkennung unse- überdenken suchen: die Unwissenheit, das Missverständ- rer jeweiligen Identität. Natürlich weiss ich, dass die reli- nis und das Misstrauen nämlich, unter denen ihre Bezie- giöse Dimension für einen Juden, anders als für den Chri- hungen und ihr Hoffen zu leiden haben. Das Wider- sten, die Zugehörigkeit zu einem Volk miteinschliesst und sprüchliche, das überwunden werden muss, ist die Tatsa- somit eine nationale Identität, die von dieser religiösen che, dass wir von jenen, die für das christliche Volk Ver- Dimension nicht streng zu trennen ist. Als Christ kann ich antwortung tragen, nicht anerkannt und nicht angehört hier meiner Gewissheit Nachdruck verleihen, dass die Er- werden, obwohl wir gleichzeitig fühlen, dass wir uns im neuerung einer rein theologischen Auffassung des Juden- Namen der Kirche und für die Kirche für eine Wahrheit tums und Israels, die wir gegenwärtig erkennen können einsetzen, die den Kern ihres Lebens und Wesens berührt. Aber wird damit nicht zugleich die Bedeutung des Auf- " Im englischen Originaltext »oratory or laboratory«. trags bestätigt und zur Heiligkeit eingeladen?

15 Die dritte Regel ist einfach eine Anwendung des mehr all- jüngsten Römischen Synode am 4. Oktober 1983" haben gemeinen Gesetzes, das ich oben zum Ausdruck gebracht Sie sicher mit Freude begrüsst. Sie werden in dieser Aus- habe, auf unseren Bereich. Die Erfahrungen der Heiligen, gabe des IMMANUEL feststellen, dass in den klaren und die uns vorangegangen sind und die der Herr berufen hat, mutigen Worten dieser hohen kirchlichen Autorität die in auf die Begegnung zwischen Israel und der Kirche hinzu- der Stille ausgereiften Gedanken christlicher Herzen zum arbeiten, enthüllen ein geheimnisvolles \Gesetz: Der Ausdruck kommen. Christ, der das Geheimnis Israels entdeckt hat und der Um diesen Brief nach Art der rabbinischen Predigten mit von der Liebe zum jüdischen Volk erfüllt ist, muss bereit divrei nekhama" zu schliessen, möchte ich einfach einige sein, innerhalb der Kirche in analoger Weise die Einsam- Abschnitte dieses Textes zitieren, die eigentlich Ihre Er- keit, die Missverständnisse, das fehlende Verständnis, so- wartungen schon erfüllen und Ihnen zur nötigen Geduld gar die Verachtung durchzustehen, unter der die Juden in verhelfen müssten: der ganzen Welt ihre ganze Geschichte hindurch zu lei- »Nachdem wir festgelegt haben, wieweit unser Auftrag zur den hatten. Die Begegnung zwischen Israel und der Kir- Versöhnung mit dem jüdischen Volk gehen sollte, müssen che muss vielleicht durch dieses Mitleiden bezahlt wer- wir ihm gegenüber ebensosehr unseren Auftrag zur Busse den, durch einen geheimnisvollen Synchronismus von Ge- und Reue für unsere jahrhundertelange Haltung ernst neh- duld und Leid. . men . . . Dass wir doch verstünden, Verzeihung zu erbitten Dies sind die Lebensregeln, die uns vorgegeben sind. Sie vom Herrn und von unseren Brüdern, die so oft von >der bringen nichts anderes zum Ausdruck als das Gesetz aller Lehre der Verachtung< (Jules Isaac) getränkt in das Grauen Heiligkeit. Auf jeden Fall werden sie auf dieser Ebene die des Holocausts getaucht worden sind! wahren Partner im Dialog finden. Zu diesem Thema Dass wir doch alles ins Werk setzten, damit das wieder gut- möchte ich Sie an einen Satz von Kardinal Journet erin- gemacht werde, was gutgemacht werden muss! nern, einem Freund Papst Pauls VI. und des französischen Dass wir uns doch der Propheten und Psalmisten erinnerten Philosophen Jacques Maritain, der 1947 nach Kriegsende sowie aller Armen des Herrn, die in einer langen Folge von ein wunderbares Buch über Das Schicksal Israels schrieb. Generationen hinführen zu Maria, der Tochter Zions! Aber Eines Tages liess er diese Bemerkung fallen, in der ich so- dass wir uns doch auch ihrer gegenwärtigen Nachkommen wohl Trost als auch eine Aufforderung finde: »Meine erinnerten: derjenigen, die durch ihre fleischliche und geisti- Kinder, die Kirche lebt nicht zuallererst im Vatikan, sie ge Übereinstimmung mit der Schrift, durch ihre Zurückwei- lebt vor allem in den Herzen der Heiligen.« Alles, was ich sung der Götzen und so oft durch ihr Martyrium unseren ei- Ihnen sagen kann, um Ihre Hoffnung aufrechtzuerhalten, genen Glauben an den dreiheiligen Gott stützen!« ist, dass Sie von Christen, besonders von Ihren Freunden, »Es ist die Hoffnung, die stärker ist«, mein lieber Ze'ev. verlangen können, dass sie Heilige sind! Die offiziellen Ich möchte mit der Beteuerung des Propheten Jesaja Erklärungen, die Sie von seiten der Verantwortlichen er- schliessen: »In der Ruhe und im Vertrauen liegt unsere warten, werden nie mehr sein als die Frucht des Lebens in Stärke« Ges 30, 15). In dieser Haltung will ich mich Ihnen der Tiefe. anschliessen. Marcel J. Dubois Manchmal geschieht es, dass offizielle Erklärungen das langsame Reifwerden der Gedanken zur Sprache bringen, das durch das Gebet innerhalb der Kirche bewirkt wird. 15 s. o. S. 3-4. Die Intervention Kardinal Etchegarays anlässlich der „ »Worte des Trostes«.

II Johannes Paul II.: Zur diplomatischen Situation zwischen dem Vatikan und dem Staat Israel* Im Rahmen einer Privataudienz am 6. Juli 1984 im Vati- Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem Staat Israel kan anlässlich eines Empfangs des Exekutivausschusses sollten keineswegs als Nichtanerkennung ausgelegt wer- des Internationalen Rates von Christen und Juden sagte den. Er hoffe, dass weltpolitische Erwägungen in Kürze der Papst in Beantwortung der Frage eines katholischen die Formalisierung der Beziehungen ermöglichen würden. Delegationsmitglieds: Die Tatsache des Nichtbestehens formeller diplomatischer * In: »Das Christliche Leben in Israel« Nr. 13, Jerusalem, Herbst 1984, S. 3.

Den »Israel Nachrichten«" Nr. 2947, Tel Aviv, 4. 4. 1983 entnom- sucher aus Israel komme. Die Begegnung ereignete sich men: auf dem St. Petersplatz in Rom, nach Abschluss eines wö- chentlichen allgemeinen Treffens mit Pilgern, an dem der Johannes Paul II. Chefredakteur des »Maariw« und seine Gattin als Sonder- zum Chefredakteur des »Maariw«"" gäste teilnahmen. Die »Sondergäste« erhalten bei solchen Gelegenheiten je- Rom — »Gott segne Sie«, sagte Papst Johannes Paul II. weils einen Platz in der ersten Reihe und Gelegenheit zu zum Chefredakteur des »Maariw«, Schmuel Schnitzer, einem persönlichen Gespräch mit dem Papst. und schüttelte ihm beide Hände, als er hörte, dass der Be- Johannes Paul II. war überrascht, als er von Frau Malka Schnitzer in fliessendem Polnisch angesprochen wurde. * deutschsprachige Wochenzeitung. ** 1947 gegründetes (unabhängiges) Abendblatt (Maariw = Sie erzählte dem Oberhaupt der katholischen Kirche, dass Abend). sie in Polen geboren sei.

16 5 Papst Johannes Paul II.: An die Juden I Ansprache an die Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Spanien: Madrid, 3. November 1982" Dem im Sekretariat zur Förderung christlicher Einheit herausge- und mehr ausweitet, ungeachtet unvermeidbarer Schwie- gebenen »Information Service«, Vatikanstadt, 1982/IV, Nr. 50, rigkeiten. entnommen :*/** Wir haben ein gemeinsames geistliches Erbe: Das Volk Meine Herren, des Neuen Testaments, das heisst mit anderen Worten, Schalom! Friede sei mit Ihnen und allen Mitgliedern der die Kirche selbst fühlt sich und ist geistlich verbunden mit jüdischen Religionsgemeinschaft in Spanien. dem Stamm Abrahams, »unseres Vaters im Glauben«. Zunächst möchte ich Ihnen sagen, wie sehr ich Ihre Be- Ich bete zu Gott, dass die auf das Wort Gottes gegründete reitschaft zu schätzen weiss, dass Sie während meines Pa- jüdische und christliche Tradition, die sich der Würde des storalbesuchs mich in diesem Land hier treffen. Diese be- geschaffenen Menschen »im Bild Gottes« (vgl. Gen 1, merkenswerte Geste Ihrerseits ist ein Beweis dafür, dass 26)*** so tief bewusst ist, uns zu einer inbrünstigen Ver- der brüderliche Dialog — der das Kennenlernen und die ehrung und Liebe des einen wahren Gottes führen wird gegenseitige Wertschätzung zwischen Juden und Katholi- und dass dies im wirksamen Tun zugunsten der Men- ken zu verbessern sucht und den das 2. Vatikanische Kon- schen, für jeden einzelnen und für jedermann, einge- zil in seiner Erklärung »Nostra aetate« (Nr. 4) gefördert bracht wird. und wärmstens empfohlen hat — weitergeht und sich mehr Schalom! Möge Gott, der Schöpfer und Erlöser, Sie und Ihre Gemeinde segnen. * In: Aus päpstlichen Äusserungen unter der Überschrift: »Papst Johannes Paul II. und die Ökumene«, September/Oktober 1982, *** Vgl. dazu: Die Heilige Schrift, ins Deutsche übertragen von ebd. S. 116-118. N. H. Tur-Sinai (H. Torczyner), Jerusalem 1954, Bd. 1, Tora, ** Aus dem Englischen übersetzt. S. 1.

II Christen und Juden sind aufgerufen, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern"-/"" Ansprache vor Repräsentanten der internationalen »Anti-Defamation League der B'nai B'rith — ADL« im Vatikan am 22. März 1984 * Liebe Freunde, sagt habe', ist die Begegnung zwischen Katholiken und ich freue mich sehr, Sie hier im Vatikan zu empfangen. Juden nicht ein Zusammentreffen zweier alter Religionen, Sie sind eine Gruppe nationaler und internationaler Re- die jede ihren eigenen Weg geht, der nicht selten in ver- präsentanten der bekannten jüdischen Organisation, die gangenen Zeiten in leidvolle und schmerzhafte Auseinan- in den Vereinigten Staaten ihren Sitz hat, aber in vielen dersetzungen führte. Es ist eine Begegnung zwischen Teilen der Welt, auch in Rom, aktiv ist, der »Anti-De- »Brüdern«, ein Dialog, wie ich zu den Repräsentanten der famation League of B'nai B'rith«. Sie stehen auch in en- deutsch-jüdischen Gemeinschaft in Mainz (17. November gem Kontakt mit der Kommission für die religiösen Be- 1980)4 sagte: »zwischen dem ersten und dem zweiten Teil ziehungen mit dem Judentum', die vor zehn Jahren von der Bibel«. Und so wie die zwei Teile der Bibel voneinan- Paul VI. gegründet wurde2, um auf der Ebene unseres je- der verschieden und doch eng miteinander verwandt sind, weiligen Engagements für den Glauben die Beziehungen so sind es auch das jüdische Volk und die katholische Kir- zwischen der katholischen Kirche und der jüdischen Ge- che. meinschaft zu pflegen. Diese Nähe muss auf viele Weisen bekundet werden. Zu- Allein schon die Tatsache Ihres Besuches bei mir, für den allererst durch den tiefen Respekt vor der Identität des ich dankbar bin, ist ein Beweis für die beständige Ent- anderen. Je besser wir uns kennen, desto besser lernen wir wicklung und Vertiefung dieser Beziehungen. In der Tat, unsere Verschiedenheit schätzen und achten. blickt man zurück auf die Jahre vor dem Zweiten Vatika- Aber weiterhin, und dies ist die grosse Herausforderung, nischen Konzil mit seiner Erklärung Nostra Aetate und der wir uns stellen müssen: Achtung bedeutet nicht Ent- versucht man, die seither getane Arbeit zu umreissen, hat fremdung, noch läuft sie auf Gleichgültigkeit hinaus. Im man das Gefühl, dass der Herr »Grosses« an uns getan Gegenteil, die Achtung, von der wir sprechen, beruht auf hat (vgl. Lk 1, 49). Deshalb sind wir alle aufgerufen, Gott dem geheimnisvollen geistlichen Band (Nostra Aetate, 4), von ganzem Herzen zu danken. Der Eingangsvers von das uns in Abraham eng zusammenbringt, und durch Ab- Psalm 133 sagt treffend: »Seht, wie ist es lieblich und gut, raham in Gott, der Israel erwählte und aus Israel die Kir- wenn Brüder beisammen wohnen in Eintracht.« che hervorbrachte. Wie ich es schon oft, meine lieben Freunde, seit Beginn Dieses »geistliche Band« jedoch bringt eine grosse Verant- meines pastoralen Dienstes als Nachfolger Petri, des gali- wortung mit sich. Respektvolle Nähe bedeutet Vertrauen läischen Fischers (vgl. Ansprache vom 12. März 1979), ge- 3 vgl. Ansprache von Papst Johannes Paul II. an die Repräsen- tanten jüdischer Organisationen am 12. März 1979, in: FrRu * In: L'Osservatore Romano, Vatikanstadt, 23. 3. 1984. XXX/1978, S. 13ff. ** Aus dem Englischen übersetzt. 4 vgl. Papst Johannes Paul II. in Mainz: Begegnung -mit Reprä- 1/2 vgl. Neue Kommissionen für die Kontakte zum Islam u. zum sentanten der Juden, Mainz, 17. 11. 1980, in: FrRu XXXII/ Judentum, 22. 10. 1974. In: FrRu XXVI//1974, S. 74. 1980, S. 3f.

17 und Offenheit und schliesst Misstrauen und Argwohn völ- uns in dem tiefen Anliegen um die Menschheit im ganzen lig aus. Sie ruft auch zur brüderlichen Sorge um den ande- zusammenführt: hinsichtlich Bereichen wie Hunger, Ar- ren und um die Probleme und Schwierigkeiten auf, mit mut, Diskriminierung, wo immer sie auftaucht und gegen denen sich unsere Religionsgemeinschaften konfrontiert wen auch immer sie sich richtet, und Not der Flüchtlinge, sehen. um nur einige zu nennen. Und gewiss gründet die grosse Ein sehr grosses Anliegen der jüdischen Glaubensgemein- Aufgabe, Gerechtigkeit und Frieden zu fördern (vgl. Ps schaft im allgemeinen und Ihrer Organisation im besonde- 85) — das Zeichen des messianischen Zeitalters sowohl in ren sind, wie Ihr Name schon besagt, die alten und neuen jüdischer als auch in christlicher Tradition — ihrerseits auf Formen der Diskriminierung und der Gewalt gegen Juden dem grossen prophetischen Erbe. Dieses »geistliche Band« und Judentum, die man normalerweise Antisemitismus zwischen uns muss uns einfach dazu verhelfen, die grosse nennt. Die katholische Kirche hat schon vor dem Zweiten Herausforderung anzunehmen, die an jene ergeht, die Vatikanischen Konzil (vgl. S. Congregatio Sti Ufficii, daran glauben, dass Gott sich um alle Menschen küm- 3. März 1928 ; Pius XI. zu einer Gruppe belgischer Rund- mert, die er nach seinem Bilde schuf (vgl. Gen 1,27). funk-Journalisten, 6. September 1938) derartige Ideolo- Ich sehe dies zugleich als eine Wirldichkeit und als ein gien und Praktiken verurteilt, da sie nicht nur dem christ- Versprechen in Hinblick auf den Dialog zwischen der ka- lichen Bekenntnis widersprechen, sondern auch der Wür- tholischen Kirche und dem Judentum und im Hinblick de der menschlichen Person, die nach dem Bilde Gottes auf die Beziehungen, die schon zwischen Ihrer Organisa- geschaffen wurde. tion und der Kommission für die religiösen Beziehungen Aber wir begegnen uns nicht nur um unserer selbst willen. mit dem Judentum und mit anderen Institutionen einiger Gewiss, wir versuchen uns gegenseitig besser kennenzu- Ortskirchen bestehen. lernen, unsere jeweils eigene Identität und das enge geist- Ich danke Ihnen noch einmal für Ihren Besuch und für Ihr liche Band zwischen uns besser zu verstehen. Indem wir Engagement für die Ziele des Dialogs. Lasst uns unserem uns aber kennenlernen, entdecken wir immer mehr, was Gott, dem Vater von uns allen, danken. A Die Christen und das Judentum 6 Ein Text der Pastoralkommission Österreichs"/"" Im folgenden bringen wir den Text der Pastoralkommission so- zeigen, wie fruchtbar die Beschäftigung mit der jüdischen wie dazu mit seinem freundlichen Einverständnis den Kommen- Tradition für unser christliches Glaubensverständnis sein tar von Dr. E. L. Ehrlich'. kann. In ähnlicher Weise bemühen sich auch jüdische Theologen, in das christliche Glaubensverständnis einzu- Der Wortlaut dringen und es ihren Glaubensbrüdern zu vermitteln. Einleitung 3. Trotz der leidvollen Erfahrungen der jüngsten Ge- schichte gibt es immer noch Antisemitismus bzw. Antiju- Die »Vatikanischen Richtlinien und Hinweise für die daismus. Von diesen beiden Begriffen bezeichnet der er- Durchführung der Konzilserklärung >Nostra aetate<, ste, der im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Nr. 42 von 1965« (Erklärung über die nichtchristlichen Re- Rassenideologie entstand, heute verschiedene Spielarten ligionen) fordern, »dass die Christen danach streben, die der Judenfeindschaft, auch schon im Altertum und im grundlegenden Komponenten der religiösen Tradition des Mittelalter; gegenwärtig nimmt der Antisemitismus beson- Judentums besser zu verstehen«, und weisen darauf hin, ders gern die Gestalt des Antizionismus an. Demgegen- dass »die notwendige Information über diese Fragen alle über bezeichnet der Begriff Antijudaismus speziell die von Ebenen der christlichen Lehre und Bildung betrifft«. christlicher Seite praktizierte Form der Judenfeindschaft, Zur Motivation die sich auf manche neutestamentliche Aussagen beruft und auf Vorurteile stützt, die in der seitherigen Geschich- Drei Gründe veranlassen uns Christen, uns immer wieder te entstanden sind und die das Verhältnis von Judentum mit dem Judentum zu befassen. und Christentum immer wieder aufs schwerste belastet ha- 1, Juden und Christen haben einen gemeinsamen Grund ben. Angesichts dieser durch 1900 Jahre hindurch wäh- ihrer Hoffnung: den sich der Menschheit gnädig zuwen- renden Entzweiungsgeschichte können die Kenntnis des denden Gott Israels. Gemeinsam erwarten sie die volle Er- gemeinsamen Erbes von Juden und Christen und die Ein- füllung ihrer Hoffnung: die endgültige Herrschaft Gottes. sicht in die Bedeutsamkeit des Glaubens des anderen für Juden und Christen sind zu gemeinsamem Zeugnis her- das eigene Glaubensverständnis dazu beitragen, die Vor- ausgefordert, dass Gott allen Völkern Leben und Zukunft urteile abzubauen und eine Geschichte in gegenseitiger schenken will. Um ein gemeinsames Zeugnis geben zu Toleranz, Hochschätzung und geistig-geistlicher Befruch- können, muss man einander aber kennen und achten. tung zu beginnen. 2. Die bessere Kenntnis des Judentums und des gemeinsa- men Erbes von Juden und Christen kann helfen, Leben, Was will dieser Text? Werk und Botschaft Jesu von Nazareth, der »dem Fleisch Der folgende Text will mit einigen Grundinformationen nach geboren ist als Nachkomme Davids« (Röm 1, 3), aus christlicher Sicht über die Christen und das Judentum besser zu verstehen. Die Arbeiten christlicher Theologen einen Anstoss geben —zu einer Besinnung auf das gemeinsame Erbe von Chri- * Mit freundlicher Zustimmung des Herausgebers — des Öster- reichischen Pastoralinstituts — nachgedruckt. Ausdrücldich wird sten und Juden; noch darauf hingewiesen, dass die Österreichische Bischofskon- —zu einem besseren Verständnis der Entzweiungsge- ferenz diesem Text der Pastoralkommission Österreichs im Jahr schichte; 1982 ihre Zustimmung gegeben hat. —zum Abbau von Antisemitismus bzw. Antijudaismus in ** In: »Diakonia«. Internationale Zeitschrift für die Praxis der Gesellschaft und Kirche; Kirche (14/5), Mainz, September 1983, S. 342-349. 1 s. u. S. 21-27 (Anm. d. Red. d. FrRu). —zur Förderung der Zusammenarbeit und des gemeinsa- 2 vgl. FrRu XXVI/1974, S. 3. men Zeugnisses von Juden und Christen;

18 — zur Verhinderung von Haltungen und Handlungen, die den. In Jesus Christus hat Gott sich zu seinem Volk Israel sich weder auf den Gott Israels noch auf Jesus von Na- hinzu ein neues Volk berufen, das aus Juden und Heiden zareth berufen können. besteht, die sich zu diesem Gott des Bundes bekennen. Durch die Aussendung des Heiligen Geistes hat Gott dies A. Das gemeinsame Erbe von Juden und Christen — besiegelt. aus christlicher Sicht Um ein fruchtbares Gespräch zu führen, muss man sich 4. Das Liebesgebot zunächst auf das gemeinsame Erbe besinnen und dann Die Forderung der Nächstenliebe geht zurück auf ver- auch darauf, was Juden und Christen einander heute zu schiedene Texte im Alten Testament. »Du sollst ihn (den sagen haben. Papst Johannes Paul II. sagt dazu : »Die er- Fremdling, der bei euch lebt) lieben wie dich selbst, denn ste Dimension dieses Dialogs, nämlich die Begegnung ihr seid selbst Fremdlinge im Lande der Ägypter gewesen« zwischen dem Gottesvolk des von Gott nie gekündigten (Lev 19, 34). Im Judentum wurde diese Forderung so for- Alten Bundes und dem des Neuen Bundes, ist zugleich ein muliert: »Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Dialog innerhalb unserer Kirche, gleichsam zwischen dem Nächsten nicht; das ist die ganze Tora, der Rest ist Ausle- ersten und zweiten Teil ihrer Bibel . . . Eine zweite Di- gung« (Hillel; siehe Mt 7, 12). — Das Jesus-Wort Mk 12, mension dieses Dialogs — die eigentliche und zentrale — ist 29-31 verbindet Gottes- und Nächstenliebe : »Du sollst die Begegnung zwischen den heutigen christlichen Kir- Gott lieben aus deinem ganzen Herzen . . . (Dtn 6, 5); du chen und dem heutigen Volk des mit Mose geschlossenen sollst den Nächsten lieben wie dich selbst!« (Lev 19, 18). Bundes.« (Zit. in G. Biemer u. a., Freiburger Leitlinien Jesus fordert nach Joh 13, 34 seine Jünger auf, seinem zum Lernprozess Christen Juden, 221.) Beispiel zu folgen und wie er bereit zu sein, im Gehorsam gegenüber Gott sein Leben hinzugeben. 1. Die Bibel Wenn das Neue Testament von der »Schrift« oder den 5. Die Erwartung des Gottesreiches »Schriften« spricht, bezieht sich das auf die Tora (die fünf Juden und Christen sind vereint in der gemeinsamen Bücher Mose) und auf die anderen heiligen Bücher. Diese Hoffnung auf die Vollendung des Gottesreiches, des Kö- Schriften bilden zusammen im wesentlichen den von den nigtums Gottes, wenn Gott alles in allem sein wird, sein Christen »Altes Testament« genannten Teil der Heiligen Wille in der ganzen Schöpfung und vor allem im Men- Schrift und sind für Juden und Christen gemeinsame schen verwirklicht wird. Gott will sein Volk zum 'Heil Glaubensquelle, auch wenn das Verständnis dessen, was führen. Der Weg ist für alle die Umkehr, zu der auch die Heilige Schrift bedeutet, sich teilweise unterscheidet. Ge- Propheten immer wieder aufgerufen haben. Diese Hoff- meinsam ist insbesondere auch der Dekalog. — Jene nung verbindet sich mit der Sehnsucht nach einer gerech- Schriften, die im wesentlichen vom Leben und Wirken des ten Welt und nach einem umfassenden Frieden für die Jesus von Nazareth, von seinem Tod und seiner Auferste- ganze Menschheit. — Nach christlicher Überzeugung ist hung berichten (Evangelium) und das Entstehen und mit Jesus von Nazareth die Zeit schon erfüllt, das Reich Wachsen der christlichen Gemeinden begleiten (Briefe Gottes ragt in »diesen Äon« hinein. Nachfolge Jesu be- und andere Schriften), werden von den Christen »Neues deutet, sich im Geiste Gottes für Gerechtigkeit und Frie- Testament« genannt. Das Neue Testament bezieht sich den engagieren zu lassen. immer wieder und grundsätzlich auf das Alte Testament und ist ohne dessen Kenntnis nicht verständlich. 6. Der Gottesdienst 2. Der Glaube an den einen Gott Die Christen haben mit den Juden die Psalmen und zahl- reiche andere alttestamentliche Gebete gemeinsam; auch In der Heiligen Schrift wird Gott als der Eine bezeugt: das Vaterunser lebt ganz aus jüdischer Spiritualität (z. B. »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist ein einiger, einzi- »dein Reich komme . . .«). Viele christliche Gottesdienst- ger Gott! Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben formen gehen auf Gebetstraditionen der Synagoge zu- mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer rück: angefangen von der Struktur der liturgischen, Feier Kraft« (Dtn 6, 49. Er ist der Schöpfer der Welt, und der (z. B. des Stundengebetes der Kirche) bis hin zu verschie- Mensch ist sein »Abbild«. Er ist nicht nur der Gerechte, denen hebräischen bzw. jüdischen Ausdrücken in unseren sondern auch der Gnädige und Barmherzige, der Vater Gesang- und Gebetbüchern. Idee und Wirklichkeit des der Seinen. In diesem Glauen sind Juden und Christen »Gedächtnisses« sind jüdischen Ursprungs; wie die Juden eins. — Die Christen verkünden den Gott Israels aber zu- das Paschamahl feiern, so gedenken die Christen in der dem allen Menschen als Vater Jesu Christi, der im Kreu- Eucharistiefeier des Todes und der Auferstehung Jesu zestod seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt hat. Christi. Darüber hinaus hat sich eine reiche christliche Durch die Auferweckung Jesu Christi sehen sie das Heil Gebetstradition entwickelt. bereits endgültig verbürgt, das Gott in der Hoffnung Isra- Wenngleich gemeinsames Beten von Juden und Christen els allen Menschen bereiten will. noch seine Schwierigkeiten hat, kann es sich jedenfalls auf 3. Der Bund eine breite gemeinsame Basis berufen. Mit Abraham und den Ereignissen am Sinai ist Israel zum Wenn im Vorausgehenden das gemeinsame Erbe betont auserwählten Partner Gottes geworden (Bundesvolk). wurde, so ist es für einen Dialog doch auch wichtig, die Durch das Wirken der Propheten, die immer wieder Bun- Unterschiede zu kennen. desverletzungen kritisiert haben, wurde der Bund ver- innerlicht. Das Geheimnis der Treue Gottes zu seinem er- Die wichtigsten Glaubensunterschiede von Juden wählten Volk und zu seinem Bund mit ihm (vgl. Röm und Christen 9-11) bildet die Grundlage für die einzigartige Geschichte Die Glaubensunterschiede zwischen Juden und Christen dieses Volkes. — Dieser Bund fand nach christlichem gründen und konzentrieren sich im christlichen Glauben Glauben durch Jesus Christus seine Erfüllung, indem Gott an Jesus Christus, den menschgewordenen Sohn Gottes. im Ereignis des Kreuzes den »neuen« und endgültigen Dies bedeutet Bund mit den Menschen geschlossen hat, der den alten — für den Gottesglauben: Christen bekennen den einen Bund mit seinen Verheissungen erfüllt, wonach auch die und einzigen Gott Israels als den dreifaltig-einen: Gott Heiden zu Miterben der Verheissungen eingesetzt wer- Vater, Sohn und Heiliger Geist;

19 —für den Erlösungsglauben: Nach christlichem Verständ- In den Evangelien werden die Pharisäer (bzw. »die nis ist der menschgewordene, gekreuzigte und aufer- Schriftgelehrten und Pharisäer«) häufig als die besonde- weckte Sohn Gottes der Heilsmittler, während das Heil ren Gegner Jesu herausgestellt. Demnach entzündet sich für jüdisches Verständnis nicht an einen Erlöser (ausser die Gegnerschaft an Jesu ganz neuer Art zu lehren und Gott) — also auch nicht etwa an eine (stellvertretende) die Menschen in seine Nachfolge hineinzurufen sowie an Sühne — gebunden ist; seiner Kritik an der Gesetzesauslegung der Pharisäer und —für die Verwirklichung der gläubigen Existenz: Der Schriftgelehrten, die den Menschen unnötige Lasten auf- Christ sieht sich unter die Forderung der Nachfolge erlegt hatten. Dabei haben wir jedoch zu bedenken: »Eine Christi gestellt, der Jude zur Nachahmung Gottes beru- Untersuchung der Aussagen über die Pharisäer in den fen, wie sie ihm die Tora ermöglicht; Evangelien und über die in ihnen verarbeiteten Tradi- —für die Hoffnung auf Vollendung: Nach christlichem tionsschichten lässt eindeutig erkennen, dass die Pharisäer Glauben hat mit dem Christusereignis die Endzeit be- zunehmend als die speziellen Gegner Jesu herausgestellt reits definitiv begonnen; allerdings ist das Heil noch wurden, und zwar im Zusammenhang des zum Teil har- nicht in Vollendung da, so dass die Kirche sich in ei- ten und schwierigen Ablösungsprozesses, der nach Ostern nem Zustand des »Schon — noch nicht«, also in einem die Kirche und Israel voneinander trennte« (Erklärung Zwischenzustand, befindet. Für den Juden ist dagegen der deutschen Bischöfe . . . S. 23). Zudem hatte Jesus in das erwartete Heil, dessen sicheres Kommen ihm durch seiner Lehre auch vieles Gemeinsame mit den Pharisäern, die Erwählung Abrahams und das grundlegende Ge- so das Doppelgebot der Liebe, die Sabbatheiligung, die schehen von Exodus/Sinai verbürgt ist, insofern eine Ablehnung der Ehescheidung, den Gedanken an die Auf- zukünftige Grösse, als nach seinem Glaubensverständ- erstehung. Die Pharisäer waren Männer, denen es mit nis das endgültige Heil nicht von der innerweltlichen grossem Ernst um die Sache Gottes und um eine treue Er- Verwirklichung zu trennen ist. füllung des Gesetzes ging. Sie waren schon zur Zeit Jesu eine einflussreiche Gruppe; sie hatten aber insbesondere B. Die Entzweiungsgeschichte und ihre Überwindung nach der Zerstörung des jüdischen Tempels entscheiden- Obwohl das Neue Testament über die Juden viele positive den Anteil an der weiteren jüdischen Geschichte. Aussagen macht, hat es bis in die jüngste Vergangenheit Wenngleich in den Evangelien häufiger von den Ausein- oft Anlass zu Missverständnissen und zu falscher Ein- andersetzungen mit den Pharisäern die Rede ist, waren schätzung des Zusammenhangs von Christentum und Ju- Jesu Hauptgegner die Sadduzäer, die im Synedrium das dentum gegeben. Der Abbau der Einseitigkeiten und Vor- grösste Gewicht hatten. Sie arbeiteten mit der römischen urteile muss also mit einem differenzierteren Verständnis Besatzungsmacht zusammen, weil sie durch die Römer der neutestamentlichen Aussagen über die Juden begin- Frieden und Wohlstand gesichert sahen. Sie lieferten nen. schliesslich Jesus an den römischen Prokurator aus, da sie Angst vor einem politischen Aufstand und dessen Folgen 1. »Die Juden« im Neuen Testament hatten. Jesus selbst war ein gesetzestreuer Jude, der sein eigenes »Was sich bei seinem Leiden ereignet hat, kann man we- Volk geliebt hat und der sich »zu den verlorenen Schafen der allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch des Hauses Israels gesandt« wusste (Mt 15, 24). Die den heutigen Juden zur Last legen« (Nostra aetate Nr. 4). Feindschaft gewisser führender mit den Römern zusam- Dieser Satz der Konzilserldärung ist eine notwendige menarbeitender Kreise im damaligen Israel zu Jesus, die Feststellung, da es im Laufe der Jahrhunderte immer wie- zur Verhaftung dieses Propheten des anbrechenden Got- der unter dem Vorwand, die Juden seien die Schuldigen tesreiches und zu seiner Verurteilung als Messias-König am Tode Jesu, Ausschreitungen gegen sie gab. Man stützte durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus führte, sich dabei auf die Evangelienberichte, obwohl dort das setzte sich nach der Darstellung neutestamentlicher Auto- Todesurteil gegen Jesus von Pilatus ausgesprochen wurde ren in Auseinandersetzungen urkirchlicher Gemeinden und von seiten der Juden in erster Linie Führer des Volkes und Missionare mit solchen Juden fort, die den Messias- (die Sadduzäer) beteiligt waren. Die Evangelien spielen Jesus-Glauben ablehnten. Die gelegentlich negativ er- darauf an, wie leicht eine Menge durch geschickte Führer scheinende Darstellung der Juden und insbesondere der manipuliert werden kann. Entscheidender ist, dass alle Pharisäer in den Evangelien ist darauf zurückzuführen. Schriften des Neuen Testaments die eigentliche Schuld an Die Spannung wurde freilich vor allem dadurch ver- Leiden und Tod Jesu der Sünde zusprechen, in der alle schärft, dass Heiden in die christliche Gemeinschaft ein- Menschen verhaftet waren und sind. traten, ohne dass sie vorher in das Judentum aufgenom- men worden wären. 2. Die Judenfeindschaft Mit »Juden« meint das Johannesevangelium nicht die Ju- Es ist ein erstaunliches Phänomen, dass Juden seit der er- den im Gegensatz zu den Heiden, sondern es benützt den sten und besonders seit der zweiten Zerstörung Jerusa- Ausdruck als Typos für den Ungläubigen, also für jeden, lems sich auf die ganze Welt zerstreut haben und Juden der Jesus und seine Botschaft vom Reich Gottes trotz Er- geblieben sind. Die Aufnahme der Juden unter den ver- kenntnis nicht annimmt; der Ausdruck gilt also für schiedenen Völkern gestaltete sich sehr unterschiedlich schuldhaft Ungläubige auch heute; das Johannesevange- und reicht von gewissen Privilegien über rechtliche lium sollte in diesem Sinne auch interpretiert werden. Die Gleichstellung bis zu starken Beschränkungen. eingangs angeführten Vatikanischen Richtlinien weisen Der Antijudaismus hatte verschiedene Gründe: Schon die dazu auf die Möglichkeit hin, statt dem missverständli- Heilige Schrift hält das blosse Dasein eines »erwählten chen Ausdruck »die Juden« je nach Zusammenhang der Volkes« mit eigenem Religionsgesetz inmitten anders- einzelnen Textstellen »die Führer der Juden« oder »die gläubiger Völker für eine gewisse Provokation (vgl. Est 3, Feinde Jesu« zu sagen. — Grundsätzlich ist zu beachten, 8), da die Juden mit ihrem Glauben die Religionsübung dass Johannes nicht alle Juden in diesem negativen Sinne anderer kritisieren (Dan 14, 3 ff.); den Juden wurde teil- sieht, sondern die Juden auch als Bundesträger anerkennt: weise (wie auch der frühen Christenheit) »Humanitäts- »Das Heil kommt von den Juden« (Joh 4, 22). Zudem ist feindlichkeit« vorgeworfen; verschiedentlich führte die festzustellen, dass gewisse Führer der Juden auch von der Anhäufung beweglicher Habe zur Enteignung. Anti- Mehrheit des jüdischen Volkes abgelehnt wurden. judaismus war in der Antike gelegentlich auch eine Reak-

20 tion gegen die Missionsbemühungen der Juden bei den Beispiel, da sie sich unrechtmässig jüdische Vermögen an- Heiden (Proselytismus). eigneten. So dürften wirtschaftliche Interessen noch häu- Für das Verhältnis der christlichen Kirchen zu den Juden figer für die Judenverfolgung ausschlaggebend gewesen wurde die Auffassung mancher Kirchenväter massgeblich, sein als die religiösen Motive. der Bund sei von den Juden auf die Christen übergegan- Die schlimmste und zugleich unsinnigste Form der Juden- gen, der »Neue« Bund habe den »Alten« abgelöst. Diese feindschaft, nämlich der rassisch-biologische Antisemitis- Meinung wurde insbesondere für die christliche Gesell- mus, war dem 19. Jahrhundert und seine Umsetzung in schaftsordnung in Europa bestimmend, in der die Juden den Holocaust der »Endlösung« dem 20. Jahrhundert vor- wegen ihres »Unglaubens« den Christen untertan sein behalten. Der französische Graf Gobineau (1816- 1882) sollten (wie Esau dem jüngeren Jakob). schrieb der weissen Rasse schon rein biologisch schöpferi- Im frühen Mittelalter gab es zwar Gesetze zum Schutze sche Begabung zu. Für Eugen Dühring (1833-1921) war der Juden, doch die Mehrzahl der Gesetze lief auf eine die Schädlichkeit der Juden eine »physiologische« Frage, Zurückdrängung der Juden aus einem grösseren Einfluss- weswegen auch die Taufe nichts nütze. Houston Stewart bereich hinaus. Verfolgungen, Zwangstaufen und Berau- Chamberlain (1855-1927) hielt die Juden für eine Rassen- bung der wirtschaftlich meist besser situierten Juden (die mischung, eine Bastardrasse und den Ausbund aller Ver- das schmutzige Geldgeschäft zu besorgen hatten) kamen worfenheit. dann insbesondere in der Zeit der Kreuzzüge auf. Zu- Diese Theorien wurden durch Hitler und seine Propagan- gleich bemühte man sich, durch kirchliche Gesetze die Ju- disten weitergeführt und mündeten in den grössten Geno- den von den Christen zu unterscheiden und zu trennen, zid der Weltgeschichte. denn die »widerspenstigen und ungläubigen Juden« soll- Dieser Antisemitismus wurde von der Kirche immer wie- ten auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich von der verurteilt, doch war er gerade auch unter Christen ihrer »Verwerfung« Zeugnis ablegen. verbreitet, was dazu beigetragen hat, dass Hitlers Rassen- Für die Reformation war die Stellung Luthers wichtig. wahn von vielen nicht rechtzeitig erkannt und sein Ein- Zunächst hat Luther die Juden aus seinem Verständnis schreiten gegen die Juden von manchen sogar begrüsst des Evangeliums heraus als Brüder eingeladen. Aufgrund wurde. Zur Zeit der »Endlösung« war dann allerdings das ihrer tragischen Geschichte, in der sie 1500 Jahre lang von nationalsozialistische Gewaltregime so durchorganisiert den Christen abgelehnt worden waren, konnten die Juden und wurde jede Kritik mit KZ bedroht, dass kaum eine dieser Hoffnung nicht entsprechen. Darum entstand in Möglichkeit bestand, das Unheil der Vergasung in Ausch- Luther eine Reaktion, die ihn im Alter zu einem aggressi- witz-Birkenau und den anderen Vernichtungslagern im ven Gegner der Juden machte. Osten zu verhindern. Einzelne Christen — Priester wie Besonders deutliche Beispiele für den religiösen Anti- Laien — haben unter Lebensgefahr ihren jüdischen Brü- judaismus finden sich in den seit dem Mittelalter bis heute dern und Schwestern geholfen oder ihnen zu helfen ver- beliebten Passionsspielen, in denen »die Feinde Christi« sucht; aber der Grossteil der europäischen Juden musste durchwegs unsympathisch dargestellt werden (die Phari- seinen Leidensweg gehen und mit ihnen auch andere Min- säer z. B. als Heuchler und Intriganten); ähnlich negativ' derheiten wie die Zigeuner. Dass auch grosse Gruppen war auch die Darstellung der Juden auf gotischen Tafel- von Kriegsgefangenen, Widerstandskämpfern und ande- bildern. Ausfluss des religiösen Antijudaismus waren auch ren Angehörigen der durch einige Jahre von der deut- die Ritualmord-Vorwürfe, die schon damals selbst von schen Wehrmacht besetzten Länder sowie viele politische Päpsten und Fürsten als unbegründet zurückgewiesen, Gegner des Nationalsozialismus in den Konzentrations- von der späteren Forschung (20. Jahrhundert) aber ein- lagern ums Leben kamen, dass auch in anderen Zeiten deutig als unwahr erkannt und als Versuch verstanden und Ländern Judenverfolgungen, Genozide und Verbre- wurden, für verschiedene Katastrophen die Juden verant- chen gegen die Menschlichkeit geschehen sind und noch wortlich zu machen und von eigenem Versagen abzulen- geschehen, nimmt diesen schrecklichen Ereignissen nichts ken. von ihrer Ungeheuerlichkeit. Sie sollen wenigstens jetzt Seitdem die Juden im Mittelalter aus den sogenannten zum Umdenken und zur Umkehr führen. »ehrlichen« Berufen in die Rollen der Geldverleiher und Tatsächlich wirken aber bei einzelnen Menschen und verachteten Wanderhändler verdrängt wurden, hielt sich Gruppen immer noch faschistische Ideen nach, und es der wirtschaftlich-soziale Antijudaismus. Der wirtschaftli- kann gerade dort, wo es keine Kontakte mehr mit Juden che Erfolg der Juden, die Last der Zinsen, die Tatsache, gibt (weil nach dem Krieg keine oder nur kleine jüdische von einem »Ungläubigen« wirtschaftlich abhängig zu sein, Bevölkerungsteile übriggeblieben sind), daraus um so führten zu grossen Antipathien. Zudem boten weltliche leichter ein latenter Antisemitismus entstehen. und kirchliche Machthaber immer wieder ein schlechtes

B Dr. Ernst Ludwig Ehrlich: Zum Text der Pastoralkommission Österreichs über »Die Christen und das Judentum« Auf Einladung des Christlich-jüdischen Kontaktkreises u. a. nen Gemeinsamkeiten deutlich sieht und davon ausgeht und hat Dr. Ernst L. Ehrlich in einem Vortrag in Wien im Früh- dass man die Unterschiede mit Achtung vor der anderen Sei- jahr 1983 den vorausgehenden Text der Pastoralkommission te zur Kenntnis nimmt, ohne sie zu verwischen, und den an- Österreichs aus jüdischer Sicht kommentiert. Seine AusAh- deren wie auch sich selbst besser zu verstehen lernt. red rungen sind für die Bildungsarbeit in den Gemeinden des- halb von besonderem Interesse, weil sie deutlich machen, Das Problem der Aneignung kirchlicher Texte worauf es unseren jüdischen Gesprächspartnern ankommt. In den letzten dreissig Jahren sind zahlreiche Erklärungen Friede und Versöhnung verlangen, dass man die vorhande- über das Verhältnis von Christen und Juden veröffentlicht

21 worden. Es sind mehr als fünfzig. Es wäre nachgerade ten wir das neue Dokument interpretieren, weil es uns in langweilig, eine Aufzählung alles dessen bieten zu wollen, unserem Dialog tragfähigen Boden unter den Füssen ge- was es auf dem theologischen Markte auf diesem Gebiet ben soll, und vor allem konkrete Aussagen, die freilich gibt. Heute wollen wir uns über einen Text der Pastoral- erst anzueignen wären. kommission Österreichs unterhalten und versuchen, das Besondere seines Inhalts herauszuarbeiten, um an ihm den Zwei Gefahren Fortschritt in unseren Beziehungen aufzuzeigen. Bevor Wir haben als Juden und als Christen zwei verschiedenar- wir diese Aufgabe miteinander unternehmen, ist jedoch tige Gefahrensmöglichkeiten. Die Juden wittern in jedem eine Anmerkung notwendig: Diese Texte über unser neu- ihnen sich freundlich nähernden Christen, besonders es Verhältnis zueinander zeugen von einer Beschäftigung wenn es sich um Theologen handelt, einen verkappten Ju- mit dem christlich-jüdischen Verhältnis. Das ist natürlich denmissionar, der ihnen in Wirklichkeit ihre Identität rau- positiv zu werten und durchaus erfreulich. Anderseits hat ben will. Diese Form jüdischer Paranoia hat ihre Wurzeln uns aber die Erfahrung gelehrt, dass Erklärungen dieser in einer jahrhundertealten Geschichte. Juden müssen erst Art bei ihrem Erscheinen in der kirchlichen Presse kurz lernen, dass inzwischen bei nicht wenigen Christen ein behandelt, von den direkt Beteiligten erleichtert abgehakt Wandel eingetreten ist. werden. Die kirchlichen Autoritäten haben dann das Ge- Christen wiederum haben angesichts unseres Problems ei- fühl, sie hätten nun auch gegenüber diesem Thema ihre ne eigentümliche Schwierigkeit, und das gilt für Katholi- Pflicht getan, eine angemessene Leistung erbracht. Daran ken wie Protestanten in gleicher Weise. Sie pflegen einen ist nichts Beklagenswertes, aber das eigentliche Problem scharfen Unterschied zwischen dem sogenannten theolo- besteht in der Wirkung, in der Aneignung solcher Texte. gischen Antijudaismus der Kirche und dem modernen Und hier beginnen allmählich gewisse Zweifel aufzukom- biologischen Rassenantisemitismus des 20. Jahrhunderts men, ob Papiere dieser Art wirklich die erreichen, die sie mit seinen Folgen zu machen. Dieser Bruch zwischen die- dringend notwendig hätten. Dazu kommt, dass die Doku- sen beiden Anti-Phänomenen erscheint uns unerlaubt zu mente, so seriös sie sind, immer auch manches nicht ent- sein, und wir werden zu zeigen haben, in welcher Weise halten, das man erst zwischen den Zeilen lesen muss, also der theologische Antijudaismus der Kirchen in der Form aus ihnen indirekt zu erschliessen hat. Und dabei fehlt es des Rassenantisemitismus der Nazis säkularisiert wurde oft an Interpreten. Im übrigen sollte man sich keine Illu- und insofern einen Wegbereiter dieser Art mörderischer sionen machen: Der Kreis, der sich dem christlich-jüdi- Judenfeindschaft darstellt. Keine Apologetik kann die schen Dialog widmet, ist bei Juden, Katholiken und Pro- Verbindung dieser beiden antijüdischen Verhaltensweisen testanten verhältnismässig klein, und die Mehrzahl der oder Ideologien auseinanderreissen, wie dies oft versucht Theologen hat ganz andere Prioritäten. Worum es hier wird, sehr zum Schaden der Christenheit, weil sie auf die- nämlich geht, ist die Notwendigkeit, Exegese und syste- se Weise Verdrängungen vornimmt, die nicht zu ihrem ei- matische Theologie mit dem jüdischen Selbstverständnis genen Heil dienen. Das die Kirche zerstörende Gift wirkt zu verbinden. Diese Aufgabe erfordert weit mehr als nur auf diese Weise fort. eine freundliche Absicht gegenüber Juden und Judentum. Es ist im übrigen erfreulich, dass unser Text bereits im Wenn es ein Desiderat auf diesem Gebiet wirklich gibt, so Anfang auf diese verschiedenen Formen der Judenfeind- ist es dieses, dass mehr Menschen den christlich-jüdischen schaft eingeht, ohne sie freilich, was notwendig ist, mit- Dialog als ihre Priorität betrachten, und nicht nur als eine einander zu verbinden. Dem wird auch noch der Antizio- moralische Pflicht, weil man sich vor mehr als 40 Jahren nismus hinzugefügt, der heute eine besondere Funktion seiner Juden entledigt hatte, so dass man jetzt die Aufgabe hat: an die Stelle des früheren Antisemitismus zu treten, empfindet, ihrer wenigstens geistlich zu gedenken und ei- weil offener Antisemitismus nach Auschwitz vulgär ge- nen gewissen christlichen Zusammenhang mit dem Juden- worden ist. Antizionismus ist der Versuch, die Rolle zu tum aufzuzeigen. Mir scheint, dies genüge nicht. Es übernehmen, die früher die Judenfeindschaft hatte, wobei braucht, um wirklich zum Kern des Dialoges zu kommen, natürlich eine Kritik an einer israelischen Regierungspoli- schon ein- persönliches Engagement, das sowohl die tik noch kein Antizionismus ist. Ihn kann man eher da- menschliche Seite einschliesst als auch die fachliche, so durch definieren, dass man sagt, er bestreite dem Staat Is- dass man wenigstens weiss, worüber man spricht: über ein rael das Recht auf Existenz. Im übrigen legen jene Kreise authentisches Judentum und über ein authentisches Chri- an die Israelis völlig andere Massstäbe an als an jedes an- stentum, ohne Synkretismus und ohne Verkürzungen auf dere Volk. beiden Seiten. Dazu gehört auch eine klare und saubere Terminologie ohne Anleihen aus fremden Bereichen. Das Zur Einleitung des »PKÖ-Textes« ist wichtig, weil sich unsere Terminologien nicht immer Die Autoren des vorliegenden Textes möchten helfen, decken, so dass man die Worte jeweils genau befragen Vorurteile abzubauen, eine Besinnung auf das gemeinsa- muss, um ihnen nicht einen Sinn zu unterschieben, den sie me Erbe herbeizuführen, ein besseres Verständnis der in der entsprechenden Glaubensgemeinschaft gar nicht Entzweiungsgeschichte zu erreichen, dem Abbau von An- haben. tisemitismus bzw. Antijudaismus in Gesellschaft und Kir- Schliesslich kann man natürlich fragen, und diese Frage che zu dienen, die Zusammenarbeit zu fördern, wozu ist legitim für jede Seite: Welchen Sinn hat ein solcher auch ein gemeinsames Zeugnis gehört, schliesslich Hal- Dialog? tungen und Handlungen verhindern, die sich weder auf Antwort: 1. den andern besser kennenzulernen, 2. sich Gott noch auf Jesus berufen können. selbst durch die Abgrenzung und durch das Gemeinsame Dieser Wunschkatalog ist recht umfassend, und er enthält besser zu verstehen, 3. ein neues menschliches Miteinan- Beherzigenswertes. Abbau von Antisemitismus und Anti- der im für beide Wesentlichen zu ermöglichen, das es frü- judaismus in Kirche und Gesellschaft erscheint uns dabei her zwischen Christen und Juden schlechthin nur selten die eigentliche Voraussetzung. Johannes Paul II. hat er- gegeben hat. Wenn früher jüdische und nichtjüdische kannt, dass hebräische Bibel und Neues Testament in ei- Menschen zusammenkamen, haben sie sich allzu oft auf nem Dialog miteinander stehen. Nimmt man den paulini- dem Boden eines gemeinsamen Nichts getroffen. Unsere schen Gedanken hinzu, den der Papst in seiner Mainzer leidvolle Vergangenheit hat uns bewiesen, dass diese Basis Rede von 1980 ebenfalls erwähnt, dass niemand den Bund nicht tragfähig war. Auch auf diesem Hintergrund möch- zwischen Gott und Israel je gekündigt hat, so müsste es

22 eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass Juden und de wieder, so können wir dafür einen Beleg aus dem tägli- Christen miteinander reden, denn die Juden verkörpern chen Gebetbuch heranziehen, denn authentischer vermag schliesslich den einen Teil der Botschaft, der ebenfalls man das innere Leben eines jüdischen Menschen religiös Wesen des christlichen Propriums ist. Das war allerdings nicht zu dokumentieren, als wenn man zeigt, was er täg- in der Vergangenheit der grosse Anstoss: Die Juden hat- lich betet. Da heisst es im sogenannten Menu-Gebet: ten die hebräische Bibel, lebten in ihr, mit ihr und durch »Darum hoffen wir auf Dich, Herr unser Gott, bald die sie, und die Christen verleibten sich diesen Teil der Offen- Herrlichkeit Deiner Macht zu schauen, dass die Greuel barung ein, ohne sich darüber klarzuwerden, dass diese von der Erde schwinden, die Götzen vertilgt werden, die Juden weiterexistierten und ohne Verkürzung ihre jüdi- Welt gegründet wird auf das Königreich des Allmächti- sche Identität durchzuhalten versuchten. Daher sind die gen, und alle Menschen Deinen Namen anrufen, dass sich Beziehungen zwischen diesen beiden Religionen so kom- Dir zuwenden alle Sünder der Erde. Es mögen erkennen pliziert, weil beide auf gleichen Quellen basieren, auf sie und verstehen alle Erdenbewohner, dass sich vor Dir jedes pochen. Im Jahr des Lutherjubiläums darf daran erinnert Knie beugen, jede Zunge schwören soll. Vor Dir, Herr werden, dass hier auch die eigentlichen Schwierigkeiten unser Gott, werden sie knien und sich niederwerfen und Luthers mit den Juden lagen: Beide haben die gleiche Dir Ehrfurcht entgegenbringen. Alle nehmen sie die Aner- Schrift, die hebräische Bibel, und beide legen diese Quelle kennung Deines Reiches auf sich. Du regierst bald über der Offenbarung anders aus und pochen dabei auf einen sie für immer und ewig. Denn Dein ist das Reich, und in eigenen Wahrheitsanspruch. Ewigkeit regierst Du in Ehre . . .« Bemerkenswert an die- sem Text aus dem jüdischen Gebetbuch ist die Tatsache, Zu A: Das gemeinsame Erbe von Juden und Christen dass hier mit keinem einzigen Wort von Israel gesprochen Für uns, das gilt für Juden wie für Christen, ist es jeweils wird, sondern diese Zukunftshoffnung richtet sich an alle ein Test für das Verstehen, ob der andere in dem, was Menschen. Universeller kann man es nicht formulieren, über ihn gesagt wird, sich wiedererkennt. Das ist z. B. der wenn man von »allen Menschen« redet, von »allen Be- Fall, wenn in unserem Text über den jüdischen Gott ge- wohnern des Erdballs«. Die Zukunftshoffnung ist hier al- sprochen wird, übrigens im Zusammenhang mit dem Bi- so national entschränkt. beltext Dt 6, 4f., der als eine Art von Glaubensbekenntnis des Juden verstanden wird: »Höre Israel, der Herr ist un- Gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden ser Gott, der Herr ist einzig.« Der Inhalt dieses Gottesreiches ist die vollendete Gerech- Wenn ein Jude stirbt, legt man ihm diese Worte in den tigkeit und der vollendete Frieden. Diese Botschaft kehrt Mund. Es würde hier zu weit führen, einen Vortrag über bei den Propheten in immer neuen Variationen wieder. den jüdischen Gottesbegriff zu halten. Eines sei aber fest- Für Christen bedeutet Nachfolge Jesu, sich im Geiste gehalten: Unser Dokument enthält den Gedanken vom Gottes für Gerechtigkeit und Frieden zu engagieren. In gnädigen Gott, vom Gott als Vater der Menschen. Es war diesem Zusammenhang ist es ein schönes ZeiChen von Ge- immer ein für uns schwer nachvollziehbares Vorurteil meinsamkeit, wenn in diesen Tagen die amerikanische Bi- christlicher Theologen, dass sie nicht in der Lage waren schofskonferenz sich in starken Worten gegen die Nukle- zu erkennen, dass Juden keinen rachsüchtigen Gewitter- arbedrohung der Menschen wendet und die Regierungen jahwe vom Sinai anbeten, sondern den einen Gott, der der der beiden Supermächte auffordert, mit diesem irrsinni- Vater aller Menschen ist. Diese Vatervorstellung Gottes gen Wettrüsten aufzuhören, das unsere Welt in den Un- sollte früher den Christen allein vorbehalten werden. Es tergang führt. Fast zu gleicher Zeit hat der Synagogue ist erfreulich und wichtig, dass unser Text mit diesem Council of America, die Dachorganisation der drei reli- Vorurteil aufräumt. giösen jüdischen Richtungen in den USA, die amerikani- Entsprechend Röm 9-11 wird erkannt: Gottes Bund mit sche Regierung aufgefordert, sich moralisch gebunden für Israel bleibt, selbst wenn Christen glauben, dieser Bund die Beseitigung der Bedrohung eines nuklearen Krieges habe in Jesus eine Erfüllung gefunden, wodurch auch die zu erklären. Der Synagogue Council hat die Herren »Heiden Miterben« der Verheissungen geworden sind. Reagan und Andropov ersucht, die totale Einstellung der Das ist ein gutes Beispiel christlicher Verkündigung, die Produktion von nuldearen Waffen vorzunehmen. In die- einerseits den Juden ihre Heilsgüter bestehen lässt, ander- ser Erklärung heisst es u. a.: »Wir alle sind Überlebende seits aber das Eigene christlichen Glaubens einbringt. In von Hitlers Holocaust, und wir haben einen besonderen ähnlicher Gesinnung wird auch über das Liebesgebot ge- Sinn für Verantwortung erfahren gegen das Treiben in ei- handelt, das sich im 3. Buch Mose Kap. 19, 18 findet und nen nuklearen Holocaust. Das nuldeare Waffenrennen entsprechend von Jesus aufgenommen und verarbeitet hat die Mittel von der Schlacht gegen Hunger, Krankheit wird. Das Liebesgebot der hebräischen Bibel wurde also und Leiden abgezogen. Wir müssen unsere Investitionen ins Evangelium integriert und bildet die ethische Klammer zur Steigerung der Lebensqualität benutzen und nicht für von Judentum und Christentum. Nur wer in seiner eige- überflüssige Instrumente des Todes verschwenden. Es ist nen Christologie schwach ist, hat es nötig, den ethischen der Höhepunkt der Dummheit, immer tödlichere Waffen Wert des Judentums zu bestreiten oder zu verkleinern. zu entwickeln in einer wirkungslosen Suche nach unech- Einen besonderen Fortschritt dieses Textes sehen wir in ter Sicherheit. Es ist unsere heilige Pflicht, dass wir uns dem knappen Abschnitt über das Gottesreich, über die keine Vertrautheit mit der nuklearen Bedrohung erlau- Hoffnung und Zukunft. Hier hat man es verstanden, ei- ben. Das führt nur zu einer Indifferenz gegen die ständig nen Teil des jüdischen Selbstverständnisses mit christli- wachsenden Gefahren eines nuklearen Krieges, der ent- chem Glauben zu vereinen, ohne das Eigene des andern in weder absichtlich oder zufällig ausbrechen kann. Einseiti- Frage zu stellen. Worum es uns beiden geht, ist die Hoff- ge Abrüstung würde zu nuldearer Erpressung einladen nung auf das Reich Gottes. »Diese Hoffnung verbindet oder zu einer Aggression. Gegenseitiges Einvernehmen bei sich mit der Sehnsucht nach einer gerechten Welt und beidseitiger Abrüstung und Pläne zur Verringerung stel- nach einem umfassenden Frieden für die ganze Mensch- len einen Schritt für die Aussicht auf Frieden dar. Die heit.« amerikanischen und sowjetischen Führer sollten viel kraft- voller für Abkommen arbeiten, welche dafür sorgen, die Eine jüdische Entsprechung: das Alenu-Gebet Verbreitung von Nuklearwaffen zum Stillstand zu brin- Wenn wir sagen, in diesem Text erkennt sich auch der Ju- gen.«

23 Sie mögen fragen, warum ich Ihnen hier im Zusammen- die Versuche verstanden haben, die tiefen inneren Ge- hang mit einer Erldärung der katholischen Kirche Öster- meinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum zu reichs einen Text des Synagogue Council of America zi- begreifen sowie das Trennende, das sich teilweise erst aus tiere. Meine Assoziation dabei war der Satz aus dem ka- dem gemeinsamen Ursprung verstehen lässt, so taucht die tholischen Dokument: »Nachfolge Jesu bedeutet, sich im Frage auf, woher denn nun eigentlich die jahrhunderte- Geiste Gottes für Gerechtigkeit und Frieden engagieren alten Konflikte kommen, die zu einer Feindschaft führ- zu lassen.« Der Synagogue Council hat versucht, einer ten, wie sie ärger nicht gedacht werden kann. Es gab ja solchen Forderung im Geiste des Judentums nachzukom- kaum ein Verbrechen, das man den Juden nicht in die men. Auf diesem Gebiete könnte ein christlich-jüdischer Schuhe schob, wobei wir hier nur zwei erwähnen: Ritual- Dialog eine ganz neue Dimension erhalten. mord und Hostienschändungen. Die Juden wurden so lange gefoltert, bis man wenigstens bei einigen erzwunge- Gemeinsames in Gebet und Gottesdienst ne Geständnisse bekam. Und selbst noch in der Reforma- Schliesslich wird als Gemeinsames von Juden und Chri- tion, das lehrt uns Luther, wird der Jude nicht als Partner sten auch auf den Gottesdienst verwiesen, die Psalmen anerkannt, sondern als Missionsobjekt begehrt. Luthers und viele Gebete der hebräischen Bibel, wobei besonders Haltung war in dieser Beziehung gradlinig; er war davon angemerkt wird, dass das Vaterunser »ganz aus jüdischer getrieben, die Juden zu Christus zu bringen. Einer von Spiritualität« lebt. Recht knapp wird in diesem Zusam- vielen Gründen, warum es zu dieser Auseinandersetzung menhang auf einen Teil des Festkalenders verwiesen: Pes- kam, wird in unserem Text richtig angedeutet: Es sind ge- sach — das grosse Befreiungsfest des jüdischen Volkes, die wisse Stellen im Neuen Testament selbst, die Anlass zu Herausholung aus Ägypten, das Nachvollziehen von Got- Missdeutungen gaben. tes Treue mit dem Volke Israel, die von Gott bestätigte Treue zu seinem Bunde mit diesem Volk. Mit Pessach, Zu 1: »Die Juden« im Neuen Testament mit dem Exodus, beginnt eigentlich erst die Geschichte Es ging hier in Wirklichkeit um eine Art von Familienkon- des Volkes Israel, vorher waren es Heilsgeschehnisse mit flikt, in dem die werdende Kirche sich gegen das Juden- einzelnen, die sich von Gott ansprechen liessen und ange- tum profilieren musste, und anderseits die Juden aus ih- sprochen wurden. rem Verband ausschieden, was sich in der Urkirche an Dem entspricht im Christentum Ostern, als Fest der Auf- unjüdischem Geiste entwickelte. Der eigentliche Kampf erstehung Jesu die entscheidende Heilstat für den christli- jedoch ging um die Heiden, und hier stiessen Missionsbe- chen Glauben. Ähnlich sind die Bezüge bei Pfingsten, der strebungen von beiden Seiten zusammen. Der entscheiden- Ausgiessung des Heiligen Geistes, und bei den Juden das de Ausgangspunkt für den Konflikt wird in unserem Text Erinnern an jenes Ereignis, welches den geistigen Inhalt korrekt angegeben: »Die Spannung wurde freilich vor al- des Judentums bedeutet: die Offenbarung am Sinai mit lem dadurch verschärft, dass Heiden in die christliche Ge- dem Dekalog, den Zehn Geboten, aus denen die Mensch- meinschaft eintraten, ohne dass sie vorher in das Juden- heit noch heute lebt und ohne deren Beachtung sie nicht tum aufgenommen worden wären.« In diesen Zusammen- überleben wird. hang gehört auch die Polemik gegen die Pharisäer. Diese werden im NT als Feinde Jesu dargestellt, nicht weil sie Zu den wichtigsten Glaubensunterschieden sich von ihm abgrenzten, sondern weil sie mit ihm viel ge- Das katholische Dokument hat seinen Sinn auch darin, meinsam hatten; mit den Sadduzäern gibt es diese Pole- die wichtigsten Glaubensunterschiede präzise und korrekt mik gerade nicht, hier bestanden nur geringe Überein- herauszuarbeiten. Das ist aus mehreren Gründen von Be- stimmungen. deutung: Man muss einem Synkretismus entgegenarbei- Der betreffende Abschnitt in unserem Text über die Pha- ten, der für alle total sinnlos ist und der Authentizität des risäer sollte gerade in Kreisen der Religionslehrer sorgfäl- jeweiligen Partners nicht gerecht wird. Man möchte Chri- tig zur Kenntnis genommen werden, denn hier handelt es sten an ihre eigene Lehre erinnern und schliesslich, ohne sich um ein schier unausrottbares Vorurteil. Im Grunde Judenmission treiben zu wollen, den Juden auch darstel- wäre das Problem viel harmloser, würde nicht das phari- len, was eigentlich Inhalt christlichen Glaubens ist. Heute säische Judentum für das integrale Judesein der Spätantike ist die Situation bei Christen und Juden recht ähnlich: Bei- stehen. Hätte man es hier mit einem verqueren Seitenzweig de wissen über sich selbst leider nicht allzu viel, und oft zu tun, brauchte man sich darüber nicht zu ereifern. Das fehlt eine Kenntnis von Wesentlichem. eigentliche Problem liegt darin, dass das pharisäische Ju- Christen bekennen in der Dreifaltigkeit (Gott-Vater, dentum als einzige jiidische Richtung jener Zeit ziemlich Sohn und Heiliger Geist) einen für Juden schlechthin nahtlo-s in das rabbinische Judentum der jüdischen Tradi- nicht nachzuvollziehenden Glauben. Christen sehen fer- tion, also von Mischna und Gemara, überging. Sadduzäer ner im auferstandenen Christus den Heilsmittler. Das Ju- und Essener, oder was es damals noch an Richtungen gab, dentum bedarf nicht des Glaubens an einen stellvertreten- etwa auch die Zeloten, verschwanden nach der Tempel- den Opfertod. Der Nachfolge Gottes, Imitatio Dei, im Ju- zerstörung des Jahres 70. Aber die Pharisäer bildeten die dentum entspricht die Nachfolge Christi. Urzelle der rabbinischen Tradition. Die perpetuierte Pole- Christen glauben, mit Christi Tod und Auferstehung habe mik gegen das pharisäische Judentum ist so sinnlos und die Endzeit definitiv schon begonnen, allerdings ist das hat viel Schaden für unsere gegenseitigen Beziehungen Heil noch nicht in Vollendung da. Mit einer Art von vor- angerichtet. Richtig heisst es in unserem Text: »Sie hat- weggenommener Erlösung vermögen die Juden nichts zu ten . . . insbesondere nach der Zerstörung des jüdischen verbinden, sondern sie ist erst eine zukünftige Grösse. Tempels entscheidenden Anteil an der weiteren jüdischen Endgültiges Heil ist nicht von innerweltlicher Verwirkli- Geschichte.« chung zu trennen. Diese Unterscheidungen in unserem Von Jesus trennte sie im Grunde nicht viel. Es waren viel Text dürften präzis und vor allem fair sein gegenüber bei- weniger Lehren, die sie miteinander in Konflikt brachten, den Religionen. Gerade eine solche knappe Gegenüber- als das Verhältnis der »Institution« Pharisäer zum »freien stellung erscheint uns für Laien nützlich. Toralehrer« Jesus, der aus einer ihm zugekommenen Voll- macht heraus die Tora frei auslegt. Im Einzelfall ist dann Zu B: Die Entzweiungsgeschichte und ihre überzvindung stets zu prüfen, ob wirklich grundlegende Unterschiede Wenn Sie meinen Ausführungen bisher gefolgt sind und bestanden oder ob diese nicht eher das Verhältnis der Ju-

24 den zur werdenden Urgemeinde widerspiegeln. Dass Je- ner Zeit stand, dass er dem Judentum gleichwohl seine sus mit einigen pharisäischen Lehrern Meinungsverschie- volle Würde beliess. Diese theologische Haltung ist leider denheiten hatte, ist unbestritten; aber wenn man ein Blatt schon allzu früh in der Kirche für Christen unerträglich Talmud aufschlägt, so sind nicht selten die Kontroversen geworden. So wurde Israel schliesslich enterbt. Das aber zwischen Rabbinen eher grösser als die, die Jesus mit pha- hatte nun auch ökonomisch und politisch Ungeheueres risäischen Lehrern hatte. Das Vorurteil gegen die Phari- zur Folge. Juden konnten nur als Wucherer tätig sein, als säer ist leider bis heute noch nicht beseitigt, wenn man ih- Geldverleiher, andere Berufe waren ihnen meist versperrt. re Lehre auf eine Gesetzes- und Tempeltheologie reduziert, Sie wurden bis weit hinein in die Neuzeit aus der Gesell- wie es z. B. unlängst wieder in der katholischen Predigt in schaft ausgestossen, sie bildeten eine diskriminierte Rand- St. Ursula in Wien geschah. Als ob z. B. die pharisäische gruppe. In diesem Zusammenhang wird in unserem Text Ethik und Zukunftshoffnung keine Rolle gespielt hätten. für die Situation der Juden das Schlüsselwort verwendet, Auf diese Weise erhält man nach wie vor ein verzerrtes das zunächst einen theologischen Sachverhalt darstellen Bild vom nachbiblischen Judentum sowie eine Frontstel- sollte, sich dann aber rasch auf ihre soziale Situation aus- lung, die sich zwar für Predigt und Katechese eignet, weil wirkte. Es ist das Wort »Verwerfung«. Andere Worte in man Gegensätze plastisch herausarbeiten kann; aber der diesem Zusammenhang lauteten »widerspenstig«, »un- Sache selbst wird man damit nicht gerecht. gläubig«, etc. Präzis und knapp ist die Schilderung der Sadduzäer in un- Es ist durchaus im Sinne christlicher Ökumene, wenn un- serem Text: Sie waren eine priesterlich-aristokratische ser Text auch auf die Haltung Luthers eingeht. Der eine Partei, die mit den Römern zusammenarbeitete, die sich Satz über Luther ist zwar im wesentlichen richtig, gibt weigerte, die Tora wie die Pharisäer und Jesus der Zeit aber nicht die volle Tragweite von Luthers Haltung wie- anzupassen und die auf ihren Vorrechten beharrte. Daher der. Sicher hatte Luther die Juden eingeladen, sich zu sei- lehnten sie auch den Glauben an die Auferstehung ab, ner Form des Christentums zu bekennen; aber bereits von weil dieser erst spät in der hebräischen Bibel verankert Anfang an, etwa im Kommentar zu einzelnen Psalmen wurde. »Sie lieferten schliesslich Jesus an den römischen oder vor allem im Kommentar zum Römerbrief, betrach- Prokurator aus, da sie Angst vor einem politischen Auf- tete Luther theologisch die Juden als »gottlos«, weil sie stand hatten.« meinen, sie könnten sich durch das »Gesetz« selbst erlö- Es zeugt schon von einem Fortschritt im heutigen christli- sen, bedürften daher nicht der Gnade Christi (zu Röm 11, chen Denken, dass unser Dokument sich nur relativ kurz 26). Es ist also ein Irrtum, anzunehmen, es gäbe in Lu- mit der Passion Jesu zu beschäftigen braucht. Hier ist thers theologischer Haltung zu den Juden einen Bruch. durch die Konzilserklärung Nostra aetate ein Durchbruch Von Anfang an gestand Luther den Juden theologisch gar erreicht worden, und im allgemeinen ist eine vorurteilslo- nichts zu. Er blieb fest in der mittelalterlichen antijüdi- se Darstellung der Passionsgeschichte heute weiter ver- schen Enterbungstradition verwurzelt. Er war allerdings breitet als früher. Im übrigen finden wir ja darüber selbst der Meinung, die Bekehrung der Juden wäre unmöglich, im Neuen Testament zwei völlig divergierende Auffassun- wenn man nicht zugleich ihre soziale Stellung verbesserte; gen: eine in den Evangelien, in denen in einer historisie- man müsste auch die Feindschaft einstellen. Als seine päd- renden Darstellung fast zwei Generationen nach Jesu Tod agogische Methode erfolglos blieb, also auch durch ihn Schuldzuteilungen an Volksgruppen vorgenommen wer- keine Bekehrungserfolge aufzuweisen waren, verfiel er in den, um auf diese Weise in der aktuellen Situation der Ur- den bekannten groben Stil rabiater Judenfeindschaft. gemeinde zu dienen, sowie wenige Jahre nach Jesu Tod Theologisch hatte sich bei ihm freilich nie etwas geändert. bei Paulus, der von geschichtlichen Einzelheiten absieht Seine angeblich projüdische Haltung zu Anfang war im- und dem es nur um das zentrale theologische Ereignis mer nur ein Mittel zum Zwecke möglicher Bekehrung. geht: Jesu Tod als Heil für die Menschheit, sein Tod und Das Aufrichtige an Luthers Haltung war, dass er über alle seine Auferstehung. Man könnte sagen, in den Evangelien diese Vorgänge niemanden in Zweifel liess, also jeweils liege das Gewicht bei Karfreitag, bei Paulus liegt der zen- durchaus präzise mitteilte, was er dachte und warum er so trale Schwerpunkt bei Ostern, wenngleich das natürlich handelte, wie er handelte. Wir verfügen über einen Brief für die Evangelien so auch nicht stimmt. Es ist im übrigen an den Judenvorsteher Josel von Rosheim aus dem Jahre ein interessanter Prozess, wie im Laufe der Zeit immer 1537, wo es expressis verbis heisst: den Juden würde nur mehr versucht worden ist, die Schuld am Tode Jesu den geholfen, »Ihr nehmt denn Euren Vetter und Herren, den Juden zuzuschieben und gleichzeitig die Römer, also Pila- lieben gekreuzigten Jesum mit uns Heiden an . . . denn um tus, zu ent-schuldigen; hier zeigt sich auch eine wichtige des gekreuzigten Juden willen, den mir niemand nehmen zeitgeschichtliche Notwendigkeit: Christen mussten im soll, möchte ich Euch Juden allen gerne das Beste tun, römischen Reich leben und hatten kein Interesse daran, ausgenommen, dass Ihr meine Gunst zu Eurer Verstok- Pilatus als den Mörder ihres Herrn darzustellen — Pilatus, kung gebrauchen sollt . . .« Auch in Luthers Theologie den Repräsentanten Roms in Palästina. bleiben die Juden also »verworfen und verstockt«. Man beachte die Terminologie. Zu 2: Die Judenfeindschaft Unser Text spricht weiter von den Passionsspielen, in de- Knapp wird die Judenfeindschaft während des Mittelal- nen die Judenfeindschaft zum Ausdruck kommt, ferner ters abgehandelt. Besonders interessant in unserem Zu- von wirtschaftlicher Judenfeindschaft. Es stellt sich natür- sammenhang ist hier die Enterbungstheorie der Kirchen- lich die Frage, in welcher Weise der Antijudaismus mit väter, welche die Kirche als das Neue Israel verstanden, der wirtschaftlichen Judenfeindschaft zusammenhängt. Es also alle Verheissungen für Israel allein auf die Kirche gibt keinen Zweifel darüber, dass die Juden aus pseudo- übertrugen, die Juden also enterbten. Das ist z. B. auch theologischen Gründen aus der Gesellschaft ausgegliedert der Grund, warum früher im christlich-jüdischen Verhält- wurden und als Randgruppe eine Sonderexistenz führten, nis Röm 9-11 überhaupt keine positive Wirkung gehabt wobei ihnen vor allem nur das Zinsnehmen erlaubt wurde. hat, obwohl der Apostel in diesem Abschnitt das Verhält- Man ging dabei davon aus, dass es sich hier um eine not- nis zwischen Christen und Juden in einer ungemein sou- wendige ökonomische Funktion handelte, die aber Chri- veränen Weise darlegt und so beiden gerecht wird. Man sten verboten war. Da die Juden als Nichtchristen verwor- kann nicht genug rühmen, was es für einen Mann wie fen waren, kam es auf eine Sünde mehr oder weniger oh- Paulus bedeutet, der derart im Konflikt mit den Juden sei- nehin nicht an. Andererseits benötigte man sie jedoch als

25 wirtschaftlichen Faktor, aber auch als Ausbeutungsobjekt. Man sollte sich daher hüten, Rassenantisemitismus vom Bis weit hinein ins 18. Jahrhundert spielte das Judenregal Antijudaismus aus apologetischen Gründen zu trennen, bei den Landesfürsten und in den Städten eine grosse Rol- wie das gerade in jüngster Zeit wieder geschehen ist. le. Es war für sie alle eine wesentliche Einnahmequelle und ermöglichte die Rückkehr der Juden nach vorange- Zu 3: Die wichtigsten Richtungen innerhalb des heutigen gangener Vertreibung. Der wirtschaftlich-soziale Antiju- Judentums daismus hatte jedoch den theologischen Antijudaismus als In unserem Papier werden dann im folgenden die ver- Voraussetzung. schiedenen Richtungen im Judentum beschrieben: das or- Damit stehen wir nun an der Schwelle zu unserer Zeit. Es thodoxe, das konservative und das Reformjudentum, die ist hier nun vom rassisch-biologischen Antisemitismus eines sich alle in ihrer heutigen Form im 19. Jahrhundert ent- Gobineau, Eugen Dühring, Houston Stewart Chamber- wickelt haben, als es galt, das religiöse Erbe in die bürger- lain die Rede bis hinein in die NS-Zeit. Es heisst wörtlich liche Gesellschaft einzubringen, in die die Juden nun all- dazu: »Dieser Antsemitismus wurde von der Kirche im- mählich aufgenommen wurden. mer wieder verurteilt, doch war er gerade auch unter Christen verbreitet, was dazu beigetragen hat, dass Hit- Zum Problem »Zionismus« lers Rassenwahn von vielen nicht rechtzeitig erkannt und In diesem Abschnitt wird auch der Zionismus behandelt. sein Einschreiten gegen die Juden von manchen sogar be- Was darüber hier gesagt wird, darf wohl als etwas zu grüsst wurde.« Daran ist nichts falsch. Nur lässt sich der knapp bezeichnet werden: »Von diesen religiös unter- Rassenantisemitismus nicht vom pseudotheologischen An- schiedlichen Richtungen ist der Zionismus als eine natio- tijudaismus trennen, jener ist nämlich die säkularisierte nale Befreiungsbewegung des Judentums zur Heimkehr Form der kirchlichen Judenfeindschaft und seine Fortset- der Juden in das Land Israel mit dem Mittelpunkt in Zion zung. Aus dem theologisch »verworfenen« und »verstock- (Jerusalem) zu unterscheiden. Die zionistische Weltbewe- ten« Juden wurde dann die auszurottende minderwertige gung entstand im 19. Jahrhundert und führte 1948 zur jüdische Rasse. Gründung des Staates Israel.« Daran ist gewiss nichts falsch, nur wäre zu bemerken, Erklärungen aus der NS-Zeit dass man die politische, religiöse und historische Kompo- In welcher Weise beide Formen der Judenfeindschaft von nente des Zionismus schon deshalb nicht trennen kann, der deutschen Kirche, in diesem Fall der evangelischen, weil die Dimension des »Landes« und der Stadt Jerusalem verbunden werden konnten, zeigt eine gemeinsame Erklä- in das religiöse Bewusstsein der Juden in zwei Jahrtausen- rung der Landeskirchenführer von Hannover, Braun- den eingegangen ist. Theodor Herzl wäre zu Ende des schweig und Kurhessen vom 23. Juni 1939: »Die national- 19. Jahrhunderts verlacht worden, wenn er nicht an etwas sozialistische Weltanschauung bekämpft mit aller Uner- hätte anknüpfen können, das freilich in anderer Art im- bittlichkeit den politischen und geistigen Einfluss der jüdi- mer im Bewusstsein des jüdischen Volkes vorhanden und schen Rasse auf unser völkisches Leben. Im Gehorsam ge- sogar präsent war. gen die göttliche Schöpfungsordnung bejaht die evangeli- Im Jahre 1973 hatte sich eine bischöfliche Kommission sche Kirche die Verantwortung für die Reinerhaltung un- des französischen Episkopats in folgender Weise zu diesem seres Volkstums. Darüber hinaus gibt es im Bereich des Problem geäussertla. Mir scheint diese Formulierung recht Glaubens keinen schärferen Gegensatz als den zwischen adäquat zu sein: »Es ist heute schwieriger denn je, ein der Botschaft Jesu Christi und der jüdischen Religion der ausgewogenes theologisches Urteil über die Rückkehrbe- Gesetzlichkeit und der politischen Messiashoffnung.« Das wegung des jüdischen Volkes in sein Land zu fällen. An- ist ein ungemein erhellender Text, denn hier wird der ras- gesichts dieser Ereignisse können wir als Christen in aller- sistische Judenhass mit dem pseudo-theologischen harmo- erster Linie nicht vergessen, dass Gott dem Volke Israel nisch verbunden. Ähnliches lässt sich auch nach der Ein- einst ein Land gegeben hat, in welchem es berufen ist, sich führung des Judensternes zeigen. Damals erliessen 7 evan- zu versammeln . . . Durch diese Rücldwhr und ihre Folgen gelisch-lutherische Landeskirchen am 17. Dezember 1941 wurde die Gerechtigkeit einer harten Probe unterworfen. eine Erklärung, darin heisst es u. a.: »Als Glieder der Es handelt sich, theologisch gesehen, um ein Aufeinander- deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten prallen mehrerer Forderungen der Gerechtigkeit. Über deutschen Evangelischen Landeskirchen und Kirchenlei- die legitime Vielfalt der politischen Stellungnahme hin- ter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der weg kann das Weltgewissen dem jüdischen Volk . . . das u. a. die Reichspolizeiverordnung über die Kennzeich- Recht und die Mittel auf eine politische Existenz nicht nung der Juden als die geborenen Welt- und Reichsfeinde versagen . . .« Es ist im übrigen erstaunlich, welche Mühe notwendig gemacht hat, wie schon Dr. Martin Luther der Vatikan auch heute noch hat, durch ein blosses Aner- nach bitteren Erfahrungen die Forderung erhob, schärfste kennen von Realitäten dem Staate Israel volle Gerechtig- Massnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus keit widerfahren zu lassen2. deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung All das bedeutet natürlich nicht, man könne heute mit der Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Chri- Bibel in der Hand moderne politische Grenzen ziehen. stentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützi- Diese müssen auf dem Verhandlungswege mit den Betei- gen Ziele missbraucht oder verfälscht. Durch die christli- ligten ausgehandelt werden. Einen biblischen Rechtsan- che Taufe wird an der rassischen Eigenart eines Juden, spruch gibt es auf ein von anderen bewohntes Land nicht. seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein Ein gerechter Ausgleich legitimer Interessen kann daher nichts geändert . . .« Auf katholischer Seite findet man nur im vollen Einvernehmen mit allen Beteiligten erzielt auch in Österreich längst noch vor der NS-Zeit ähnliche werden. Äusserungen, etwa lapidar bei F. Zach': »Wir sind Arier Zu 4: Konkrete Aufgaben und wir sind Christen — darum müssen wir zurück zum christlich-arischen Ideal.« Das letzte Kapitel unseres Dokumentes hat die konkreten Aufgaben zum Inhalt. Diese folgen aus den vorangegan- i E Zach, Auf der Wetterwarte der Zeit, 1919, 204 f. Im übrigen kann ich hier auf das wichtige Buch von Hermann Greive verwei- la vgl. dazu Erldärung vom 16. 4. 1973 (zu Pessach) in FrRu sen: Theologie und Ideologie, Katholizismus und Judentum in XXV/1973, S. 14 (Anm. d. Red. d. FrRu). Deutschland und Österreich, 1918-1935, Verlag Lambert 2 vgl. dazu auch E Mussner, Traktat über die Juden, München Schneider, Heidelberg 1969. 1979, 34.

26 genen Darlegungen: Man soll sich kennenlernen, einan- Schluss eines Filmes über Oskar Schindler zu sehen, jenes der verstehen, nicht ohne Wissen übereinander reden. katholischen Menschen, der während der Zeit des Juden- Aufklärung auf breiter Basis ist also notwendig. Man mö- mordes wahrscheinlich am meisten Juden gerettet hat, die ge sich treffen, Juden und Christen sollen miteinander re- ein Einzelner vor dem Tode bewahren konnte. Im Film den und wo es möglich ist, auch miteinander beten. Ein wurde auch sein katholisches Begräbnis in Jerusalem ge- gemeinsames Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit zeigt' und dabei auch ein frommer Jude, der mit anderen wird gefordert, theologische Vorträge und der Dialog den Sarg mit dem grossen Kreuz auf der Sargdecke trug. sind anzustreben. Katholiken könnten sogar einen Schritt Nach der Beerdigung sagte dieser Jude: Sie mögen mich weitergehen und prüfen, was bei der Neuschöpfung von fragen, warum gerade ich einen Sarg mit einem Kreuz ge- Gebeten und Gesängen in der Liturgie aus dem jüdischen tragen habe. Der Mann, den wir hier zu Grabe trugen, Gottesdienst oder aus dem jüdischen Erbe übernommen war ein grösserer Mensch als die meisten anderen, Juden werden kann. Möglichkeiten, sich über das Judentum zu oder Christen'•. informieren, bilden auch die Vorbereitungsarbeiten zu Hier hatte ein Jude erkannt, dass das Kreuz, für Christen Reisen nach Israel sowie diese selbst. und Juden gewiss ein Ärgernis auf jeweils verschiedene Weise, auch ein Zeichen mit Bedeutung sein kann, dann Fassen wir zusammen: nämlich, wenn es Zeichen dafür ist, dass es einem Men- Die Pastoralkommission hat unter Zustimmung der schen gelungen ist, wenigstens ein wenig auf dem Wege Österreichischen Bischofskonferenz einen Text vorgelegt, weiterzukommen, den Juden Nachfolge Gottes nennen mit dem man arbeiten kann, der sehr viele positive Anre- und Christen Nachfolge Christi. gungen enthält, kaum vor einem der aktuellen Probleme ausweicht und für die angeschnittenen Komplexe jeweils honorige Lösungen vorschlägt. Natürlich wird von den 3 vgl. »Requiem für Oskar Schindler«, in: FrRu XXVI/1974, Autoren nicht vergessen, dass ein solches Dokument auf S. 85 f. (Anm. d. Red. d. FrRu).

dem Hintergrund eines millionenfachen Mordes an Juden 3a Hingewiesen sei auf die Dokumentation der Ackermann - Ge- erfolgte. meinde zu seinem 10. Todestag am 14. 10. 1984 in Frankfurt/ Main. Sie enthält die dort gehaltenen Ansprachen und Erinne- Als ich das Manuskript zu diesem Vortrag schrieb, unter- rungen an Oskar Schindler. brach ich für einen Augenblick, um am Fernsehen die Ta- Erhältlich über Ackermann-Gemeinde, Diözese Limburg, Unter- gesschau anzusehen. Dabei kam ich zufällig dazu, den weg 10, 6000 Frankfurt/Main 1 (Red. d. FrRu).

7 Theologische Fachtagung in Luzern Bericht von Dr. Simon Lauer, Luzern

Vom 16. bis 18. Januar 1984 trafen sich im Institut für jü- kretion des Rahmens, die äussere Vorbedingung für ein disch-christliche Forschung an der Theologischen Fakul- offenes Gespräch. tät Luzern je sieben katholische und jüdische Wissen- Im Anschluss an eine besonders eindrückliche Darstellung schaftler zu einer Tagung über das Thema »Autorität und der Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit von schriftli- Interpretation der Heiligen Schrift in Judentum und Chri- cher und mündlicher Tora wurde gefragt, wie nachrabbi- stentum«. Die organisatorischen Träger dieses neuartigen nische Tradition entsteht und bestimmende Kraft be- Unternehmens sind der American Jewish Congress und kommt, so dass sie selber wiederum Gegenstand der Deu- das Institut für jüdisch-christliche Forschung an der tung wird. Die Interpretation einzelner Bibelstellen im Theologischen Fakultät Luzern. Das Vatikanische Ein- Lichte der Tradition führte — zusammen mit der Darstel- heitssekretariat hat sich verpflichtet, mit diesen beiden lung der heute zur Verfügung stehenden wissenschaftli- Trägern zusammenzuarbeiten, ohne religiösen oder diplo- chen Mittel und Methoden — zur Frage nach den theolo- matischen Druck auszuüben. Der Vertreter des Vatikans gischen und religiösen Rahmenbedingungen einer wissen- war nur in seiner Eigenschaft als Alttestamentler anwe- schaftlichen Erforschung der Schrift. send*. Die feste Verankerung aller Teilnehmer in ihrer Viele Fragen, die kaum schlüssig zu beantworten sind, Glaubensgemeinschaft schuf die innere, die strenge Dis- wurden in aller Offenheit diskutiert, so etwa die Frage nach der genauen Bedeutung von »Inspiration«. Was be- deutet »Tora«, und welches ist ihr Verhältnis zur »Weis- heit«? Wie ist der Begriff des »Bundes« in seinen verschie- * Nach Redaktionsschluss: vgl. dazu in dem vom »Sekretariat zur Förderung christlicher Einheit« herausgegebenen »Informa- denen Kontexten zu bestimmen? Auf welche Weise ist der tion Service« Nr. 56, 1984/IV, S. 119: Übergang vom Alten zum Neuen Testament zu sehen, »After many — and sometimes difficult — negotiations, it was de- wenn man nicht einen radikalen Bruch zwischen beiden cided to accept the invitation coming from the Institute of Ju- annehmen will? Wie ist der Kanon der Heiligen Schrift daeo-Christian research of the Catholic Theological Faculty in entstanden? Ein besonders weites Feld harrt noch der Be- Lucerne, to assist them with our advice in the theological ex- change they had in programme with the American Jewish Con- arbeitung: Die Geschichte der — auch im Judentum kei- gress. A first meeting took place in Lucerne itself, from Jan 15th neswegs monolithischen — Bibelauslegung. Wie könnte to 18th, 1984, an the subject: >The Authority and Interpretation eine massgebende »Glaubensregel« formuliert werden? of the Bible in Judaism and Christianity‹. The secretary of the Erwägungen und Resultate dieser Tagung sollen noch in Commission took part as a private scholar. This new venture Buchform greifbar werden. Was sich kaum mitteilen lässt, seems promising and has proved already fruitful. A book will be published with the papers presented at Lucerne and other con- aber deshalb nicht weniger wichtig ist, das ist die mensch- tributions of the participants . ..« liche Wärme, die alle und alles durchwaltete.

27 8 Im Rückblick: 50 Jahre nach dem 30. Januar 1933

Anlässlich der Einweihung der Gedenktafel am Platz der in Düsseldorf zerstörten Synagoge sagte 1946 Karl Arnold, damaliger Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen: »Das Opfer dieser Toten bleibt ein fortwirkendes Mani- fest an die deutsche Nation und an die Welt . . . Dass die so reagierenden Enkel der damaligen Generation dieses Mani- fest offensichtlich aufgreifen, ist tröstlich und hoffnungsvolli.« Und in seiner bewegenden Ansprache auf dem jüdischen Friedhof in Freiburg im April 1984 fragt H. H. Altmann: »Wo- zu sitzen wir? Wir hoffen auf Heil, und nichts Gutes ist da, auf Zeit der .Heilung und siehe da Schrecken. Ja siehe, ich lasse los gegen euch Schlangen und Ottern, für die es keine Beschwörung gibt, und sie werden euch beissen, ist der Spruch des Ewigen.«2. . Deutlich die jüdische Antwort: »Um jene Gebete zu sprechen und zu hören, die Jahrhunden über Jahrhundert Märtyrer des Judentums über die Zeiten verbinden, um sie nicht reissen zu lassen, jene Kette, die mit Blut und Tränen Generationen verbindet . . .«2 Und Georges Stern vermerkt: »1983 war es der Hinweis auf den Beginn der NS-Herrschaft vor 50 Jahren, und Jahr für Jahr bieten sich uns neue Anlässe, auf bittere Ereignisse hinzuweisen, um sie nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen2.« Auch für uns hat sich bei der Verarbeitung im Freiburger Rundbrief viel neues Material angeboten. Der folgende Rück- blick versucht, auf einige bedeutsame Aspekte der letzten 50 Jahre hinzuweisen. Gertrud Luckner

Vgl. E. G. Löwenthal in »Das Neue Israel« (31/17), Zürich 1979, S. 333 sowie in FrRu XXX/1978, S. 20 f. — S. S. 47.

I Im Juni 1933: Anklageschrift gegen Dachauer KZ-Kommandanten Es gab auch solche Staatsanwälte Von Rechtsanwalt Dr. Otto Gritschneder, München*

Heinrich Himmler, damals 32 Jahre alt und kommissari- Zu Tode geprügelter »Selbstmörder« scher Polizeipräsident von München, übergab am Mon- Bereits am Abend desselben 16. Mai 1933 begab sich da- tag, dem 20. März 1933, der Presse folgende Mitteilung: her auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Gerichtskom- »Am Mittwoch wird in der Nähe von Dachau das er- mission in das Konzentrationslager, »woselbst in der Zelle ste Konzentrationslager eröffnet . . . Hier werden die 4 die Leiche aufgehängt vorgefunden wurde«. Das am gesamten kommunistischen und — soweit notwendig nächsten Tag erstellte Leichenöffnungsprotokoll ist das — Reichsbanner- und marxistischen Funktionäre . . . ausführlichste, das ich je gelesen habe. Amtsgerichtsrat zusammengezogen . . . Wir haben diese Massnahme Dr. Eduard Guntz vom Amtsgericht Dachau und der um ohne jede Rücksicht auf kleinliche Bedenken getrof- die Aufklärung ganz besonders bemühte energische Land- fen in der Überzeugung, damit zur Beruhigung der gerichtsarzt Dr. Moritz Flamm haben dort drei Stunden nationalen Bevölkerung und in ihrem Sinn zu han- lang untersucht und im Sektionsbericht buchstäblich jeden deln.« Körperteil beschrieben. Die neun eng beschriebenen Sei- Die NS-Machthaber setzten sich aber nicht nur über ten mit ihren 76 Einzelfeststellungen liessen keinen Zwei- »kleinliche Bedenken« hinweg, sie begannen vielmehr fel daran, dass Louis Schloss sich nicht erhängt hatte, son- schon in diesem ersten NS-Konzentrationslager völlig be- dern grausam zu Tode geprügelt worden war. Die dabei denkenlos mit Folterungen und Morden: In den ersten im Auftrag der Staatsanwaltschaft von der Polizei gefer- zehn Monaten fielen dem Terror der SS in Dachau bereits tigten drei Lichtbilder wurden dem Protokoll beigegeben. 22 Gefangene zum Opfer. Sie zeigen in Grossaufnahme die fürchterlichen Verlet- Einer der ersten Morde an diesen ohne jede richterliche zungen des zu Tode Gefolterten; die Originale befinden Prüfung und ohne jede Anhörung eingelieferten »Schutz- sich, wie die gesamten umfangreichen Akten dieses Mord- haftgefangenen« geschah an Louis Schloss, damals 52 falles, heute im wohlassortierten Archiv der KZ-Gedenk- Jahre, »israelitischer Religion, verwitweter Kaufmann aus stätte Dachau. Das offizielle Protokoll des 1945 nach der Gunzendorf (Bezirksamt Bamberg), wohnhaft in Nürn- Kapitulation installierten Internationalen Militärgerichts berg«. Von ihm meldete der Lagerkommandant Hilmar in Nürnberg bringt in Band XXVI eine ganzseitige Re- Wäckerle am 16. Mai 1933, er sei gestorben: »Ableben produktion. durch Selbstmord (Erhängen).« Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Carl Das Überraschende an dieser Meldung war, dass sie an Wintersberger, meldete den Fall (und noch drei weitere) die Staatsanwaltschaft München II gerichtet war. Offen- am 22. Mai dem Generalstaatsanwalt, und dieser gab den bar verliess sich Wäckerle darauf, dass die Staatsanwälte Bericht an das Bayerische Innenministerium weiter und den »Selbstmord« ohne weitere Nachprüfung glauben fügte — warum eigentlich? — an: »Der Oberstaatsanwalt ist oder wenigstens hinnehmen würden. Das war ein Irrtum, angewiesen, die Frage der Weiterbehandlung der Sache denn in den ersten Wochen nach der sogenannten Macht- mit dem Herrn Polizeikommandeur persönlich zu bespre- übernahme Hitlers waren die bayerischen Justizbehörden chen.« noch nicht behindert und personell umstrukturiert; erst in Am 1. Juni 1933 mittags besuchte Wintersberger Polizei- den späteren Monaten und Jahren machten die Nazis die kommandeur Himmler und berichtete über die Vor- Konzentrationslager zu Inseln, zu denen die Justiz keinen kommnisse im Konzentrationslager; er zeigte ihm auch Zugang mehr hatte. die Lichtbilder der Ermordeten. Er berichtete darüber an den Justizminister: * Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. (Die Red. d. FrRu). »Ich habe darauf hingewiesen, dass besonders die

28 vier genannten Fälle schon nach dem Ergebnis der 1. Juni 1933) zurück und diktierte ihr meine Anträge. bisherigen Feststellungen den dringenden Verdacht Ich brachte die Akten am nächsten Morgen unter schwerer strafbarer Handlungen seitens einzelner Umgehung des sonst üblichen Weges persönlich dem Angehöriger der Lagerwacht und Lagerbeamten be- Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Dr. (Her- gründen, und dass . . . die Staatsanwaltschaft . . . bei mann) Kiessner, mit dem ich die Angelegenheit be- Meidung schwerer Strafdrohungen verpflichtet sei, reits vorher besprochen hatte. Da auf dem gewöhnli- . . . die strafrechtliche Verfolgung der genannten chen Weg eine Verhaftung der Angeschuldigten — es Vorkommnisse durchzuführen .. . befanden sich darunter auch der Lagerkommandant Auf mein Ersuchen hat Herr Polizeikommandeur und der Lagerarzt — nicht möglich war, hatte ich dar- Himmler zugesagt, dahin Befehl zu geben, dass mir an gedacht, sie mit Hilfe der Mordabteilung der und dem Untersuchungsrichter bei Vornahme der Münchner Polizeidirektion durchführen zu können Erhebungen im Lager Dachau keinerlei Schwierig- . . . Dr. Kiessner begab sich alsbald zur Polizeidirek- keiten in den Weg gelegt werden dürfen . . ., und tion. Wie er mir hernach mitteilte, lehnte aber die erklärt, dass er selbstverständlich auch gegen mein Mordabteilung ihre Mitwirkung ab . . . und verwies übriges Vorhaben hinsichtlich der Untersuchung der ihn an die sogenannte politische Polizei. Er wandte einzelnen Fälle nichts einzuwenden habe.« sich noch am gleichen Vormittag an sie, wurde je- Himmler hatte gelogen. Was nun folgt, ist die anhand der doch, wie er mir ebenfalls erzählte, mit einem Lä- erhalten gebliebenen Akten genau zu verfolgende Akten- cheln abgewiesen. Noch am gleichen Tage nachmit- unterdrückung durch die Nazi-Funktionäre. Adolf Wag- tags um zwei Uhr wurde ich vom Justizministerium ner, der Gauleiter und Innenminister, antwortete zu- angerufen und aufgefordert, die Akten sofort persön- nächst persönlich der Staatsanwaltschaft, er habe von deren Zuschrift Kenntnis genommen und die innerhalb seines Geschäftsbereichs »erforderlichen Massnahmen Ich erhebe die öffentliche Klage gegen veranlasst«. Auch das war gelogen. Etwas indigniert fügte unbekannte Täter er bei: »Ich gestatte mir, darauf aufmerksam zu machen, wegen Verbrechens der Körperverletzung mit dass die Zuschrift mit den in offenem Umschlag befindli- Todesfolge nach § 226 RStGB, chen Lichtbildern durch die Post dem Staatsministerium ferner gegen des Innern zuging und dort den normalen Geschäftsgang Wäckerle, H., Lagerkommandant, Dr. Nuernbergk, Lagerarzt, durchlief, bis sie in die Hände des zuständigen Referenten Mutzbauer, Kanzleiobersekretär; gelangte.« sämtliche z. Zt. wohnhaft im Konzentrations- Hartinger erhebt Anklagen lager Dachau, wegen je eines Vergehens der Begünstigung Die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nach § 257 RStGB. waren so eindeutig, dass pflichtgemäss Anklage erhoben Der Kaufmann Louis Schloss von Nürnberg, der sich werden musste. im Konzentrationslager Dachau als Gefangener in ei- Diese Anklageerhebung ist ein besonders bemerkenswer- ner Einzelhaftzelle befand, wurde am 16. Mai 1933 tes Stück bayerischer Justizgeschichte im Kampf gegen oder schon einige Zeit vorher von bis jetzt unbekann- die braunen Machthaber: Die schwierigste Rolle fiel dabei ten Tätern, wahrscheinlich von Personen der Wach- dem damaligen I. Staatsanwalt Josef Hartinger zu. Er war mannschaft des Konzentrationslagers Dachau, derart der Referent für solche »politischen« Fälle. Eines Tages geschlagen, dass er am 16. Mai 1933 an den Folgen teilte er, als er zufällig mit dem Behördenleiter, Ober- verstarb. Zum Zwecke der Vortäuschung eines Selbst- mordes wurde Schloss mit einem Hosenträger nach- staatsanwalt Wintersberger, und Ministerialrat Friedrich träglich an einem Haken in seiner Zelle aufgehängt. Döbig vom Justizministerium eine kurze Strecke Wegs Obwohl die Beschuldigten Wäckerle, Nuernbergk den Münchner Justizpalast entlangging, den beiden Her- und Mutzbauer von dem Fall Kenntnis erlangten und ren mit, dass in den besprochenen Fällen nun genügend über die Todesursache sich klar waren, unternahmen Unterlagen vorlägen, um in Kürze Anklage gegen die sie unter Missachtung ihrer Pflichten nichts, stellten Funktionäre des Konzentrationslagers Dachau zu erhe- vielmehr den Fall gegenüber der Staatsanwaltschaft ben. Beide Herren antworteten darauf nichts. Am 1. Juni und dem Gericht so hin, als ob es sich um einen ein- 1933 traf Hartinger seinen Chef vormittags wieder zufäl- wandfrei festgestellten Selbstmord handle. Mutzbauer lig, diesmal vor einem Gangfenster im Neuen Justizgebäu- erklärte der Gerichtskommission, die im Lager zur de. Er kam mit ihm wieder ins Gespräch und teilte mit, Vornahme einer Leichenschau erschienen war, sogar, dass jetzt Anklage erhoben werden könnte. Zu seinem er sehe nicht ein, warum die Kommission im vorlie- genden Fall tätig werden wolle, da Selbstmord ausser ausserordentlichen Erstaunen antwortete Wintersberger: Zweifel stehe. »Ich unterschreibe nicht.« Vielleicht fügte er auch noch Ich beantrage Eröffnung und Durchführung der ge- hinzu, »da müssen Sie schon selbst unterschreiben«, je- richtlichen Voruntersuchung und Erlassung eines denfalls war Hartinger ob der Anwort Wintersbergers, Haftbefehls gegen die bekannten Beschuldigten we- der sonst jeden Brief und jede Verfügung persönlich gen dringender Verdunkelungsgefahr. unterschrieb, so perplex, dass er sich ohne ein weiteres München, den 1. Juni 1933 Wort verabschiedete. Wintersberger war dann, wie be- Staatsanwaltschaft Hartinger richtet, an diesem »Mittag« bei Himmler, Hartinger hin- des Landgerichts München I. Staatsanwalt gegen, der von diesem Besuch nichts wusste, machte sich unverzüglich an die Fertigung der Anklageschrift. Wie ungeWöhnlich er dabei vorgehen musste, hat er selbst Anklageschrift vom I. Juni 1933 gegen KZ-Kommandant Wäcker- nach dem Krieg seinem Vorgesetzten folgendermassen le. Die von Gauleiter A. Wagner unterschlagenen Akten wurden geschildert: erst 1946 wiedergefunden.' »Da mir einige mittlere und untere Beamte der Josef Hartinger, 1933 Ankläger gegen Dachauer KZ-Funktio- Staatsanwaltschaft nicht zuverlässig erschienen, hielt näre, 1958 bis 1966 Staatssekretär im Bayerischen Justizministe- ich eine Schreibkraft, die ich als einwandfrei betrach- rium. Im Herbst des Jahres 1983 feierte er seinen 90. Geburtstag tete, für die Zeit nach Büroschluss am Abend (des. [s. u. S. 32]. Bauer-Oltsch

29 lich zu bringen . . . Ich bekam sie trotz wiederholten NS - Behörden lassen Akten verschwinden Ansuchens nicht mehr.« Am 2. Juli 1933 w,urde die Angelegenheit im Beisein der Die Anklageschrift Hartingers im Fall Schloss richtete Justizbeamten Franz Ritter von Epp vorgetragen, ehemals sich zunächst gegen »unbekannte Täter« wegen Körper- Kommandeur des Königlich Bayerischen Infanterie-Leib- verletzung mit Todesfolge, ferner aber gegen den Lager- regiments, damals Reichsstatthalter in Bayern. Dabei la- kommandanten Hilmar Wäckerle, den Lagerarzt Dr. gen die Akten noch vor, die in der Folgezeit nicht mehr Nuernbergk und den Kanzleiobersekretär Josef Mutzbau- zurückgegeben wurden. Am 9. Juli hat der justizministe- er. Den Sachverhalt formuli6rte Hartinger mit harter rielle Sachbearbeiter Ministerialrat Friedrich Döbig des-: Deutlichkeit: wegen persönlich mit Reinhard Heydrich gesprochen, der damals die Geschäfte des politischen Polizeikomman- »Der Kaufmann Louis Schloss . . . wurde . . . von bis jetzt unbekannten Tätern, wahrscheinlich von Perso- deurs im Bayerischen Innenministerium besorgte. Döbig notiert zu den Akten: »Er (Heydrich) wird sich bemühen, nen der Wachmannschaft des Konzentrationslagers die Akten beizuschaffen.« Am 6. Oktober 1933 hatte Dachau, derart geschlagen, dass er am 16. Mai 1933 an den Folgen verstarb. Zum Zwecke der Vortäu- Heydrich auf erneute Anfragen des Justizministeriums, und auch das war wieder eine Lüge, an das Justizministe- schung eines Selbstmordes wurde Schloss mit einem rium geschrieben: Hosenträger nachträglich an einem Haken in seiner Zelle aufgehängt. »Die vier Ermittlungsakten sind hier nicht in Einlauf Obwohl die Beschuldigten von dem Fall Kenntnis er- gebracht. Trotz eingehender Nachforschungen langten und über die Todesursache sich klar waren, konnte über den Verbleib der Akten hier nichts er- unternahmen sie unter Missachtung ihrer Pflichten mittelt werden. Ich werde jedoch die Nachforschun- nichts, stellten vielmehr den Fall gegenüber der gen fortsetzen und gegebenenfalls sofort Mitteilung Staatsanwaltschaft und dem Gericht so hin, als ob es machen.« sich um einen einwandfreien Selbstmord handelte ...« Am 10. November 1934 wurde Landgerichsrat Dr. Stepp Hartinger hat an jenem Abend noch drei weitere »ein- (der alsbald Leiter der Geheimen Staatspolizei-Leitstelle schlägige« Anklageschriften gefertigt und unterschrieben: in München wurde und unter anderem 1937 die Festnah- me von Pater Rupert Mayer anordnete) ersucht, »die Er- D Wegen Mordes gegen den SS-Scharführer Karl Eh- hebungen fortsetzen zu lassen und über das Ergebnis zu mann, der den kommunistischen Parteisekretär und berichten«. Die letzte Aktennotiz des Justizministeriums Schutzhaftgefangenen Leonhard Hausmann nicht, wie er stammt vom 18. Januar 1935: behauptete, auf der Flucht, sondern am 17. Mai 1933 mit seiner Dienstpistole aus 30 Zentimeter Entfernung er- »Die Angelegenheit wurde mit dem Oberstaatsan- schossen hatte. walt bei dem Landgericht München II besprochen. • Wegen Begünstigung eines Verbrechens des Mordes ei- Er wird erneut versuchen, durch Vermittlung des in- ne weitere Anklage gegen Wäckerle, Dr. Nuernbergk und zwischen zum Stellvertretenden Leiter der Bayeri- Mutzbauer. Der Münchner Kaufmann Sebastian Nefzger schen Politischen Polizei bestellten Landgerichtsrates war von Angehörigen der Wachmannschaft in der Nacht Dr. Stepp die fehlenden vier Akten zurückzuerhal- vom 25. auf 26. Mai 1933 in Dachau ermordet worden, ten.« die Angeklagten hatten aber auch bei ihm einen »ein- Damit war es den NS-Machthabern auch in diesem Fall wandfreien Selbstmord« vorgetäuscht. gelungen, die Justiz lahmzulegen und der Gerechtigkeit in • Gegen den SS-Mann Johann Kantschuster wegen Er- den Arm zu fallen. mordung des Rechtsanwalts Dr. Alfred Strauss. Kantschu- ster hatte einen Fluchtversuch Strauss' vorgetäuscht, ihn Das Konzentrationslager — »ein höchst wichtiges Institut« in Wirklichkeit aber aus nächster Nähe am 24. Mai 1933 durch zwei Schüsse aus seiner Pistole getötet. An das Konzentrationslager Dachau hatte sich das offi- Hartingers Anklagen blieben die einzigen, die während zielle Deutschland sozusagen gewöhnt, wie dann auch an des Dritten Reiches von einem deutschen Staatsanwalt ge- die übrigen Konzentrationslager. Von Erregung oder Em- gen KZ-Funktionäre erhoben wurden. pörung über die nur 18 Kilometer nördlich der Kulturme- Hartinger war auch in anderen Fällen aufs äusserste be- tropole und »Hauptstadt der Bewegung« Entwürdigten, müht, Morde in Dachau aufzuklären und vor Gericht zu Gemarterten und/Gemordeten war nichts zu vernehmen. bringen. Besonders riskant war für ihn der Fall des 23jäh- Besonders überrascht wird der Zeitbetrachter unserer rigen Kunstgewerblers Hugo Handschuch, der am 6. Sep- Tage sein, wenn er erfährt, dass eine beflissene Staats- tember 1933 auf dem Friedhof in Dachau beerdigt wor- rechtswissenschaft diese verbrecherischen Unternehmen den war. Die Leiche war vom Konzentrationslager in ei- sogar als »höchst wichtiges Institut« des neuen »Reichsge- nem vernagelten Sarg in das Leichenhaus Dachau überge- füges« bezeichnete, so wörtlich zum Beispiel Theodor führt worden, die SS hatte die Öffnung des Sarges auf das Maunz, der als Staatsrechtslehrer noch 1941, als die er- strengste untersagt. Hartinger veranlasste nun auf Anzei- mordeten NS-Opfer bereits in die Tausende gingen, allen ge der Mutter des Verstorbenen, ungeachtet des erwähn- Ernstes darüber folgendes publizierte: ten Verbotes, die Exhumierung und Leichenöffnung. Die- »Das Gebiet der Staatspolizei . . . teilt heute mit dem se ergab, dass der Tod durch übermässige Misshandlung Gebiet der Kriminalpolizei die Ausbildung eines verursacht worden war, die Handschuch alsbald nach sei- höchstwichtigen Instituts, das man als verlängerte Si- ner Festnahme in der Nacht zum 23. August 1933 im cherheitsverwahrung bezeichnen kann. Die Befugnis Braunen Haus in München zugefügt worden war. der Strafgerichte zur Anordnung der Sicherheitsver- Nun aber zurück zu dem Aktenunterdrückungs-Manöver wahrung ist gesetzlich festgelegt . . . Aus diesen na- der braunen Machthaber und dem abenteuerlichen turgemässen Schranken des Strafgerichts folgert die Schicksal der Hartingerschen Anklageschriften: Polizei für sich ein Institut der polizeilichen oder der Die Akten waren also vom Justizministerium an das In- verlängerten Sicherheitsverwahrung, für das die Ein- nenministerium gelangt. Die Justiz bemühte sich unent- schränkungen der gerichtlichen Sicherheitsverwah- wegt, sie wiederzubekommen. Die Vermerke in den rung nicht existierten und für das nach Aufdeckung Akten geben darüber genauen Aufschluss. der Zusammenhänge mit anderen Personen und Vor-

30 gängen zu prüfen sei, wie sich der Verbrecher nach verletzung im Amt, rechtlich zusammentreffend mit ei- Verurteilung, Verbüssung oder Begnadigung zur nem gemeinschaftlich begangenen Vergehen der gefähr- Volksgesamtheit stellen werde. Es handelt sich nicht lichen Körperverletzung« zu zwei Jahren Zuchthaus ver- eigentlich um die ihrer Natur nach vorübergehende urteilt. Lebenslang bekam er wegen der Ermordung des Schutzhaft . . ., sondern um eine lang dauernde Aus- dreissigjährigen jüdischen Gerichtsreferendars Wilhelm scheidung einer zu Verbrechen neigenden Person aus Aron aus Bamberg. Für die Ermordung des gleichfalls jü- dem allgemeinen Zusammenleben der Volksgenos- dischen Gefangenen Karl Lehrburger bekam Steinbrenner sen. Die Berufung der Polizei hierfür wird nicht aus nur zehn Jahre Zuchthaus, weil er insofern unter dem geschriebenem Recht gefolgert, sondern aus dem Druck eines ausdrücklichen Befehls des Lagerkomman- Auftrag der Staatsführung an die Polizei, >alle zur danten gehandelt habe. Verbrechensvorbeugung erforderlichen Massnahmen Obwohl es an der Gesamtstrafe »Lebenslänglich« nichts zu treffen<.« (Deutsche Verwaltung, 1941, Seite 95 f.) mehr ändern konnte, stellte das Schwurgericht doch aus- Zurück zu Hartingers Anklageschriften gegen die NS- drücklich fest, dass Steinbrenner bei den zahlreichen Ver- Verbrecher im Konzentrationslager Dachau. Himmler, nehmungen bei amerikanischen Dienststellen nach dem Heydrich, Adolf Wagner und Epp meinten, die Justiz sei Krieg wiederholt heftig geschlagen wurde.»Die schwerste endgültig ausmanövriert und der Fall in einem grossen Misshandlung erlitt er bei einer CIC-Vernehmung im Haufen braunen Sandes begraben. Sie irrten sich. Jahre 1947. Neben einem Schädelbruch und einer Zer- Nach gut zehn Jahren, am 31. Dezember 1946 — inzwi- reissung der Trommelfelle wurde ihm auch eine Beschädi- schen war Hitlers Angriffskrieg von den Angegriffenen gung der Wirbelsäule zugefügt. Von diesen Verletzungen, erfolgreich abgewehrt, halb Europa lag in Trümmern, — die ihn zunächst in akute Lebensgefahr brachten, hat er schrieb der Polizeipräsident in München, Franz Xaver sich nicht mehr völlig erholt.« Pitzei, an den Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mün- Am 31. Mai 1963 wurde Steinbrenner aus der Strafanstalt chen II: Landsberg am Lech in ein Altersheim nach Berchtesgaden »In der Anlage überreiche ich die nicht abgeschlosse- entlassen. Ein Jahr vorher hatte er auf acht eng beschrie- nen Akten G 851, G 866 und G 917/33 der Staatsan- benen Schreibmaschinenseiten einen lebensbeichtähnli- waltschaft München II zur weiteren strafrechtlichen chen Bericht durch den Vorstand der Strafanstalt Lands- Behandlung. Die Akten wurden im Schreibtisch des berg am Lech an »seinen« ehemaligen Oberstaatsanwalt ehemaligen Gauleiters und Innenministers Adolf Hartinger gelangen lassen. Er teilte ihm mit, dass auch er Wagner aufgefunden.« (Hartinger) 1933 beseitigt werden sollte; das habe sich Das waren drei der vier Akten, die man seinerzeit unter- aber »nicht so ohne weiteres« durchführen lassen, denn zu drückt hatte, die Akten des Mordes an Rechtsanwalt Dr. seinem Glück habe Hartinger einen viel zu grossen Kreis Alfred Strauss fehlten, sie fehlen bis heute. Dem Schreiben bedeutender Menschen des öffentlichen Lebens gekannt. Pitzers lag eine Notiz eines US-Militärregierungsbeamten Des Mörders Steinbrenner Bericht endet: bei: »Auch bin ich mir bewusst, dass all das viele Leid und »Es steht- auf Grund der Dokumente fest, dass die Unrecht, das in den KZ geschehen ist, nicht unge- deutschen Richter damals noch gegen Mörder in SS- sühnt bleiben darf . . ., aber bei genauer Kenntnisse Kreisen vorgingen, dass aber ihr Wollen an der der Verhältnisse dürfte anerkannt werden können, Übermächtigkeit der politischen Führerkaste schei- dass der einzelne ohne eigenen Täterwillen schuldig terte. Insoweit dürften diese Unterlagen für den geworden ist, keine kriminellen oder abartigen Ge- deutschen Richter heute noch ein sehr wertvolles fühle haben den einzelnen schuldig werden lassen, Rechtfertigungsdokument sein . . .« sondern der absolute Glaube an Deutschlands Zu- kunft, irregeleitet, verhetzt, fanatisiert und ohne en- Die Staatsanwaltschaft München II führte die Ermittlun- ge Bindung an eine Religionsgemeinschaft sind diese gen weiter; Kommandant Wäckerle, Lagerarzt Nuern- Schuldigen die ärmsten Betrogenen, und man sollte bergk ünd Kanzleiobersekretär Mutzbauer waren nicht heute nicht von ihnen verlangen, dass sie damals eine mehr am Leben. Aber der von Hartinger damals als »Un- Konsequenz hätten ziehen sollen, die höhergestellte bekannt« angeklagte Mörder wurde entdeckt — seine ge- Personen nicht haben ziehen können.« schiedene Frau hatte den Flüchtigen der Polizei gemeldet: Hans Steinbrenner, 1905 in Frankfurt am Main geboren, Heute, nach 50 Jahren .. . Mitglied der SS-Wachmannschaft des Konzentrationsla- Im übrigen sieht nun, nach 50 Jahren, diese so nachden- gers Dachau und dort Führer der Häftlingskompanie, kenswerte makabre Szene im Kampf des NS-Unrechts- über 1,80 m gross, schlank, blond, tiefliegende Augen. regimes gegen Würde und Freiheit des Menschen folgen- Die Ermittlungen dauerten an die drei Jahre, weil Dut- dermassen aus: zende von Zeugen vernommen werden mussten, fast aus- ❑ Der damalige Münchner Polizeipräsident und spätere schliesslich ehemalige KZ-Gefangene. Sie berichteten mit Reichsführer SS Himmler hat sich am 23. Mai 1945 in erschütternder Deutlichkeit die perversesten Verbrechen Lüneburg der Verhaftung entzogen, indem er durch Ver- der SS-Schergen an den Inhaftierten. schlucken der bereitgehaltenen Zyankali-Kapsel sich selbst gerichtet hat, wie drei Wochen vorher sein »Führer«. Das Schwurgerichtsurteil gegen Hans Steinbrenner ❑ Gauleiter Adolf Wagner wurde angesichts seines durch Am 10. März 1952 sprachen nach viertägiger Hauptver- Alkohol und Völlerei ruinierten Kreislaufes 1942 vom handlung die neun Mitglieder des Schwurgerichts beim Schlag getroffen und starb am 12. April 1944 in Bad Rei- Landgericht München II (die Berufsrichter Dr. Wolfgang chenhall. Möhl, Dr. Klaus Seibert, Dr. Hermann Schubert und ❑ Reinhard Heydrich, Himmlers »rechte Hand« und ei- sechs Geschworene) das kurze Zeit darauf rechtskräftig gentlicher Leiter der Gestapo, erreichte in Prag am 4. Juni gewordene Urteil gegen Steinbrenner: Lebenslang wegen 1942 die tödliche Rache der unter seiner Protektorats- zweier Verbrechen des Mordes. Das Schwurgericht hielt herrschaft gequälten Tschechen. es allerdings nicht für erwiesen, dass Steinbrenner den ❑ Hans Frank, in jenen Jahren bayerischer Justizminister, »Schutzhäftling« Louis Schloss ermordet hat; er wurde in hatte die Beseitigung der Anklageakten und die Verge- diesem Fall lediglich wegen eines »Vergehens der Körper- waltigung der Justiz mindestens nicht gehindert. Er wurde

31 1939 Generalgouverneur in Polen, nach dem Krieg vom lassen hat. Er hatte >sich erhängt<. Nun ist mir freilich un- Internationalen Militärtribunal in Nürnberg, besonders verständlich, wie M. mit seiner Erfahrung und seinem wegen seiner Grausamkeiten gegen Polen und Juden, Wissen über die Vorgänge im KZ derartig selbstmörde- zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946, 46 Jahre risch vorgehen konnte.« alt, gehängt. 0 Der Mörder Steinbrenner hat sich im Altersheim in 0 Hilmar Wäckerle, der einstige Dachauer KZ-Komman- Berchtesgaden selbst gerichtet und erhängt. dant, kam bei der Beteiligung an Hitlers Angriffskrieg am Josef Hartinger aus Pertolzhofen in der Oberpfalz über- 2. Juli 1941 bei Slovitz in Russland ums Leben. lebte den Krieg als Richter in Amberg, ging 1954 als Bun- D Über das schreckliche Ende des KZ-Beamten Kanzlei- desanwalt nach Karlsruhe und wurde 1958 Staatssekretär obersekretär Josef Mutzbauer berichtet Steinbrenner in im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, bis er 1966 dem erwähnten Brief aus der Strafanstalt Landsberg: »M. in den Ruhestand trat. Am 14. September 1983 konnte er, hatte sich einem Fahrer der SS gegenüber geäussert, dass der an jenem 1. Juni 1933 seiner Frau gegenüber geäussert er diesen Schwindel nicht mehr mitmachen wollte . . . Na- hatte, er habe soeben sein Todesurteil unterschrieben, in türlich erstattete der Fahrer Meldung, und M. wurde in München in bester Gesundheit im Kreise seiner Freunde den Häftlingsbunker gebracht, den er nur als Leiche ver- und Mitarbeiter den 90. Geburtstag feiern.

II A Das Warschauer Ghetto Von Dr. Wladyslaw- Bartoszewski, Professor an der Katholischen Universität Lublinl

Am 16. Februar 1943 entschied Heinrich Himmler, das Warschauer Einen Wendepunkt in der Lage der jüdischen Bevölke- Ghetto zu liquidieren, in dem über 400 000 jüdische Menschen ein- rung von Warschau bildete die Schaffung eines »geschlos- geschlossen waren. Am 19. April 1943 begann der Aufstand der Warschauer Juden gegen die Nazitruppen. Dieser ho'Aungslose, senen Juden-Wohnbezirks«, des Ghettos. Aufgrund einer blutige Aufitand, der von nichtjüdischen Gruppen in Warschau un- Verordnung des Distriktgouverneurs Ludwig Fischer vom terstützt, zumindest aber mit Sympathie begleitet wurde, dauerte 2. Oktober 1940 wurden allen Personen, die im Sinne der vier Wochen. 40 Jahre danach berichtete bei einer Abendveranstal- nazistischen Nürnberger Gesetze als Juden galten, in die- tung der Katholischen Akademie in Bayern am 16. Februar 1983 ein Zeuge des damaligen Geschehens: der polnische Historiker und ses Ghetto umgesiedelt. Das Ghetto zählte schon in seinen Schriftsteller Prof Dr. Wladyslaw Bartoszewski, der heute an der Anfängen 400 000 Einwohner. Es wurde vom Rest der Katholischen Universität Lublin lehrt, 1943 aber als Katholik mit Stadt durch eine drei Meter hohe Mauer getrennt und am den jüdischen Widerstandsgruppen eng zusammenarbeitete.' »Das 15. November 1940 von der Aussenwelt völlig abgeschnit- Warschauer Ghetto 1943 — wie es wirklich war« lautete dieser ten. In den darauffolgenden Jahren wurde das Gebiet des »Zeugenbericht eines Christen«, den wir auszugsweise veröffent- lichen. Ghettos mehrmals verringert, und die Lebensbedingungen Meine Heimat ist Polen und meine Geburtsstadt War- seiner Bewohner wurden systematisch verschlechtert. An- schau. Im Jahre 1939 war jeder zehnte Einwohner Polens gesichts des unablässigen Zustroms der zwangsweise aus und jeder vierte Einwohner Warschaus ein Jude. In Polen den Kleinstädten und Siedlungen des Distrikts nach War- fanden auch zahlreiche Flüchtlinge Schutz, die vor den schau umgesiedelten Juden stieg die Zahl der im Ghetto Naziverfolgungen in Deutschland und Österreich in mei- lebenden jüdischen Bevölkerung auf mindestens 460 000 ner Heimat Zuflucht suchten. Die ersten Bomben der an. Nur wenige Prozente der Bevölkerung des Ghettos Luftwaffe fielen auf Warschau. Die Stadt wurde am hatten irgendeine ständige Beschäftigung. Der Mangel an 1. September 1939 bombardiert und nach einigen Tagen Erwerbsquellen in diesem vom Rest der Stadt hermetisch bereits von der sie einkreisenden Armee unmittelbar be- abgeriegelten Stadtteil, die Lebensmittelknappheit und die droht. Von den Eindrücken jener in Warschau erlebten unmenschlichen Wohnbedingungen — bis zu 20 Personen schweren Tage blieben mir besonders die Opferbereit- in einer Stube — hatte eine allgemeine Auszehrung zur schaft und die Hingabe, mit welchen die Juden ein- Folge und beschworen die Gefahr von Epidemien herauf. schliesslich ihrer für gewöhnlich in völliger Isolation von Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Sterblichkeit im der polnischen Umgebung lebenden orthodoxen Glau- Ghetto in einem schrecklichen Ausmass zunahm und im bensbrüder Schulter an Schulter mit uns freiwillig Barrika- Sommer 1941 einen Stand von 5500 bis 5560 Todesfällen den errichteten und am Kampf teilnahmen. pro Monat erreichte, während noch im Januar 1941 die Nach der einige 'Wochen dauernden Belagerung musste Sterblichkeit kaum 900 Menschen im Monat überstieg. Im Warschau als einer der letzten Orte in Polen, die Wider- 'Verlauf des dreieinhalbjährigen Bestehens des Ghettos, stand leisteten, kapitulieren. Damals nahmen die tragi- vom November 1939 bis zum April 1943, starben hier in- schen Jahre der Okkupation ihren Anfang, die, wie man folge von Hunger und ansteckenden Krankheiten, vor al- gleich wusste, für Polen und Juden gleich schwer sein lem Typhus, ca. 100 000 Menschen. würde. Im Frühsommer 1941 kehrte ich mit einigen hundert an- Schon in den Herbst- und Winternionaten 1939/40 fielen deren aus dem Konzentrationslager Auschwitz freigelas- die Warschauer Juden zahlreichen Diskriminierungsmass- senen Männern nach Warschau zurück. Im Zuge einer nahmen der Besatzer zum Opfer, die im Laufe der Zeit Massenaktion, die sich gegen die Intelligenzschichten immer brutaler wurden. Schon damals wurden zahlreiche Warschaus richtete, war ich im Jahre 1940 verhaftet und Menschen, vor allem Vertreter der jüdischen Intelligenz, ins Lager gebracht worden, wo ich als politischer Gefan- verhaftet, in Massenhinrichtungen erschossen oder in gener Nummer 4427 gehalten wurde. Ich war damals kaum 19 Jahre alt, aber bald sammelte ich über mein Alter Konzentrationslager verschleppt. hinaus bittere Erfahrungen, obwohl dies eine Zeit war, in ' Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion »zur debatte« der man noch keine Gaskammern und Massentötung, und des Verfassers entnommen aus »zur debatte. Themen der sondern nur den »normalen« Erschöpfungstod durch Katholischen Akademie in Bayern« (13/3), München, Mai/Juni 1983, S. 8-10. übermässige, die Kräfte übersteigende Arbeit, unvorstell- 2s. u. S. 35-37 sowie u. S. 177-179. baren Hunger und bestialische Schläge kannte. Vor mei-

32 ner Verhaftung war ich Angestellter des Polnischen Roten Durch Vermittlung von Ewa Raabe-Wasowicz, einer Jü- Kreuzes im besetzten Warschau. Die Probleme der karita- din, die auf der »arischen« Seite lebte, lernte ich unter tiven Tätigkeit und der Hilfeleistung für durch Kriegs- anderen Leon Feiner kennen, Doktor der Rechtswissen- handlungen geschädigte Personen waren mir somit kei- schaften und Mitglied der Leitung des jüdischen Arbeiter- neswegs fremd. Im Lager, wo ich das tiefste menschliche verbandes BUND; mit ihm verband mich später eine na- Elend sah und erlebte, gewann ich die Überzeugung, dass hezu zwei Jahre währende Zusammenarbeit. Die Organi- die Probleme der Hilfeleistung an die Geschädigten und sierung von Hilfeleistungen beschäftigte mich von Monat Opfer des Naziterrors als die allerwichtigsten zu betrach- zu Monat mehr und wurde bald zu einer meiner Haupt- ten wären. beschäftigungen. Auf der »arischen« Seite der Mauer lebten in der polni- Die Aktion zur Liquidierung von Ghettos, die in Zentral- schen Gemeinschaft illegal einige tausend, ja vielleicht polen im Jahre 1942 begann, stellte eine Massnahme dar, mehr als zehntausend Juden, die Tauf- und Geburtsur- die die Menschen guten Willens ganz besonders zum Pro- kunden, auf »arische« Namen lautender gefälschter Ar- test und Widerstand herausforderte. In den Morgenstun- beits- und Kennkarten, eines Daches über dem Kopf und den des 22. Juli 1942 übermittelte der Beauftragte für oft auch finanzieller Hilfe bedurften. Meine erste Berüh- Umsiedlung dem Judenrat die Auflagen für die Umsied- rung mit dem Problem der Hilfeleistung an die im Unter- lung nach dem Osten aller in Warschau lebenden Juden grund Lebenden (es war dies in den Wintermonaten ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Der Vorsitzen- 1941/42) betraf gerade die Beschaffung von Dokumenten de des Judenrates, Adam Czerniakow, verübte am 23. Juli für Leute, die ich nicht persönlich, sondern nur von einem 1942 deshalb Selbstmord aus Protest. Photo kannte, welches auf diese Dokumente geklebt wur- Die Aktion dauerte etwa acht Wochen. In dieser Zeit de. Die wichtigste Quelle der kostenlosen Beschaffung wurden üb'er 310 000 Männer, Frauen und Kinder aus von Dokumenten war damals für mich mein gleichaltriger dem Warschauer Ghetto in das Todeslager Treblinka ein- Freund, der in einer illegalen Zelle arbeitete, die sich mit geliefert, sofern man den pedantischen Berichten der na- der Herstellung von gefälschten Papieren für eine Gruppe zistischen Polizei Glauben schenken kann. In den Strassen der Organisation, Heimatarmee, beschäftigte. Mit der der Ghettos wurden während der Dauer der Umsied- Versorgung der Juden, die sich inner- und ausserhalb von lungsaktion, die in Wirklichkeit eine Mordaktion war 2a, Warschau versteckt hielten, und mit gefälschten Doku- 5961 Menschen erschossen. Sie, meist Greise und Kranke, menten beschäftigten sich übrigens damals viele Angehöri- waren den Befehlen nicht schnell genug nachgekommen. ge der verschiedenen Untergrundorganisationen sowie Die Ereignisse im Ghetto machten in der Stadt einen er- auch katholische Geistliche. Mitte 1942 kam ich mit zwei schütternden Eindruck. In der Untergrundpresse wurden im Polen der Vorkriegsperiode geschätzten Damen in Be- zahlreiche Weisungen veröffentlicht, den Flüchtlingen aus rührung, die in ganz verschiedenen ideologisch-politi- dem Ghetto zu Hilfe zu eilen. Auch katholische Kreise schen Bereichen tätig waren: Die eine von ihnen, Zofia haben damals eindeutig Stellung genommen, und gerade Kossak, war eine in Europa bekannte katholische Schrift- die Schriftstellerin Zofia Kossak war es, die geschrieben stellerin, die seit Anfang der Naziokkupation illegal in hat: ». . . Die Welt schaut auf dieses Verbrechen, das Warschau lebte und wegen ihrer antinazistischen Einstel- schrecklicher ist als alles, was die Geschichte bisher erlebt lung vor dem Kriege von der Gestapo gesucht wurde; die hat, und — schweigt.« zweite, Wanda Krahelska-Filipowicz, stand während ih- Ende September 1942 wurde auf Initiative von Zofia Kos- rer Studentenjahre sozialistischen Kreisen nahe und ver- sak und Wanda Krahelska-Filipowicz das sogenannte übte als junge Studentin vor dem Ersten Weltkrieg das be- »Provisorische Konrad-Zegota-Komitee« (eine Tarnbe- rühmte Bombenattentat auf den russischen Statthalter von zeichnung) gegründet, das die von mutigen Einzelperso- Warschau, General Skallon. nen begonnene Aktion organisieren, fortsetzen und erwei- Die beiden führten schon seit vielen Monaten eine gehei- tern sollte. In den ersten Wochen seiner Tätigkeit erfasste me Rettungsaktion für die Flüchtlinge aus den Ghettos, das Komitee mit 'seinen Hilfeleistungen rund 120 Kinder. vor allem für Frauen und Kinder, durch, die in der Bereit- Etwa die Hälfte von ihnen hielt sich in Warschau ver- stellung von materiellen Mitteln, Dokumenten und Unter- steckt, eine kleine Zahl befand sich in Krakau, der Rest in künften bestand. Ihr grosser Bekanntenkreis und ihre so- Kielce, Radom, Lublin, Bialystok und Brest-Litowsk. Ih- ziale Autorität waren ihnen dabei von grossem Nutzen. nen wurde mit Geld, Dokumenten, Bereitstellung von Sie widmeten sich mit grosser Hingabe und ganzem Her- Quartieren und sogar mit Beschaffung legaler Arbeit ge- zen der Sache und begrüssten mit Freude jeden Men- holfen. Trotz des ausserordentlich grossen Arbeitsauf- schen, der das Risiko wagte, an dieser Aktion mitzuwir- wands und des enormen Risikos, das die Mitarbeiter des ken. Ich traf mit Zofia Kossak sofort ein Übereinkommen Komitees auf sich nahmen, stellte deren Tätigkeit anfäng- und wirkte seither oftmals als Verbindungsmann zwischen lich bloss den sprichwörtlichen Tropfen im Meer dar. ihr und verschiedenen Personen, sowohl Polen als auch Juden, mit denen sie zusammenarbeitete; ich übermittelte " vgl. Staatssekretärs-Konferenz am Berliner Wannsee, 20. 1. Dokumente und Geld und nötigenfalls Warnungen. 1942, in FrRu XXXIV/1982, S. 26-28.

Entnommen dem »MB Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa« (51/15), Tel Aviv, 22. 4. 1983" Johannes Paul II. erinnert an den Aufstand des Warschauer Ghettos Der Papst erinnerte in einer (polnisch gehaltenen) Ansprache an die »schrecklichen Tage des Aufstandes und der Ver- nichtung des Warschauer Ghettos vor 40 Jahren. Das war ein verzweifelter Ruf um das Recht auf Leben, auf Freiheit und für die Rettung der Menschenwürde«, erklärte er. Die von den Nazitruppen umgebrachten Juden waren »unsere Brüder und Schwestern, die mit uns... litten«.** * Das Mitteilungsblatt berichtet u. a.: »... Anlässlich offizieller und inoffizieller Feiern gedenkt Polen des heroischen Kampfes der Juden im Warschauer Ghetto ... vor 40 Jahren ... Zu den Feiern und wissenschaftlichen Konferenzen waren zahlreiche jüdische Gä- ste aus dem Ausland gekommen ...« k^' Hervorhebung durch Red. d. FrRu. Vgl. o. S. 32 (Anm. d. Red. d. FrRu).

33 Im Dezember 1942 konstituierte sich die neue Organisa- Franziskanerinnen, Karmeliterinnen und Servitinnen. Tat- tion formell unter dem Namen »Hilfsrat für Juden« (Rada kräftige Hilfe kam auch von den Angestellten der unter Pomocy Zydom). Für den laufenden Gebrauch wurde Selbstverwaltung stehenden polnischen sozialen Institutio- gleichzeitig der Deckname ZEGOTA angenommen, um nen, die in zahlreichen Fällen schon vor dem Kriege der in der Korrespondenz und den Gesprächen das gefahren- sozialdemokratischen Bewegung nahestanden. bringende Wort »Juden« zu vermeiden. Im Winter 1942/43 machten wir in einer Versammlung Das historische Datum, Dezember 1942, stellte den Be- des Hilfsrates für Juden den Vertretern der Untergrund- ginn der Zusammenarbeit der Polen und Juden zum bewegung einen Vorschlag zur Rettung der Ghettos. Wir Zweck der Rettung einer möglichst grossen Zahl von machten uns erbötig, auf der »arischen« Seite unter der Menschen vor dem über das ganze jüdische Volk vom na- polnischen Bevölkerung Verstecke für die noch am Leben tionalsozialistischen Deutschland verhängten Todesurteil. verbliebenen, in kultureller, intellektueller und sozialer Die bemerkenswerte Entwicklung des Hilfsrates für die Hinsicht aktiv wirkenden Menschen und für die Kinder Juden in den nachfolgenden Kriegsjahren, die Teilnahme ausfindig zu machen. Die Jüdische Kampforganisation von neuen politischen Gruppen, die Schaffung von rei- und die mit ihr verbundenen politischen Faktoren der Un- bungslos arbeitenden Zweigstellen in Krakau und Lem- tergrundbewegung der Ghettos setzten sich mit diesem berg sind Vorfälle, die einer besonderen Würdigung be- Vorschlag auseinander und gaben eine negative Antwort, dürfen. Ebenso verdient der gelungene Versuch, Beweis- wobei sie den Standpunkt vertraten, dass sämtliche er- material für das Schwarzbuch über die ungeheuerliche wachsene Bewohner des Ghettos an der Selbstverteidi- Aktion der Ausrottung der Juden in Polen und für die gung und am Kampf teilnehmen sollten. Alarmierung der Weltmeinung im Herbst 1942 von Po- Sie beschlossen, dass nur Kinder und jene Einzelperso- len nach dem Westen zu übermitteln, gesonderte Auf- nen, die mit Rücksicht auf ihr Alter oder auf ihren Ge- merksamkeit. Den Versuch unternahmen Arbeiter der sundheitszustand bei der Organisierung des Ghettos von Untergrundbewegung in Warschau, die der Gruppe keinem Nutzen sein würden, gerettet werden sollten. Eine jener Funktionäre, die den Hilfsrat geschaffen .1-laben, Haltung unserer Freunde von jenseits der Mauer erweck- nahestanden. te in uns die grösste Hochachtung, wenngleich gegen sie In der zweiten Hälfte des Jahres 1942 hatte sich bei den sicherlich Einwände erhoben werden konnten. In eben- bis dahin geretteten und in geschlossenen Wohngebieten diesem Zusammenhang hielt ich es wiederholt für richtig, zusammengedrängten Juden deutlich der Entschluss abge- sowohl während des Krieges als auch nach dessen Ende zeichnet, im Fall von weiteren Mordaktionen den Nazis Menschen, die das Problem des Aufstandes des War- Widerstand zu leisten. Die bereits im Sommer 1942 im schauer Ghettos nicht näher kannten, darauf aufmerksam Warschauer Ghetto bestehende Untergrundkampforgani- zu machen, dass man diesen monatelang systematisch vor- sation wurde mit Unterstützung von Menschen verschie- bereiteten Kampf nicht als einen Akt der Verzw-eiflung dener Weltanschauung, des rechten und linken Flügels betrachten konnte, der in Ermangelung eines anderen der Zionisten sowie der BUND, umgestaltet. Am 2. De- Ausweges gewählt wurde. Im Gegenteil sogar: Die wich- zember 1942 nahm diese Organisation den offiziellen tigsten Organisatoren und Führer des Ghettoaufstandes Namen Jüdische Kampforganisation (ZOB) an, unter waren Menschen, die jede Möglichkeit hatten, ihr eigenes welchem sie später ruhmvoll in die Geschichte der euro- Leben zu retten, die über sichere Kontakte mit der polni- päischen Widerstandsbewegung einging. schen Untergrundbewegung verfügten und die besten Seit Anfang 1943 verband ich zwei Funktionen: die Tätig- Aussichten hatten, unter der polnischen Bevölkerung den keit eines Mitgliedes des Rates, der alle sozialen Organi- Krieg zu überleben. Die Führer der damaligen jüdischen sationen in sich vereinigte, und die Obliegenheiten des Widerstandsbewegung in Warschau fassten den Ent- Stellvertreters des Repräsentanten der polnischen Regie- schluss eines bewaffneten Kampfes vor allem aus ideellen rung für jüdische Fragen. Dies änderte aber nicht viel an Rücksichten und bereiteten ihre Schicksalsgenossen in meinen Beziehungen zu den Menschen; ich traf weiterhin moralischer Hinsicht darauf vor. Anfang April 1943 sand- die Vertreter der polnischen Untergrundbewegung und ten die Organisationen Hechaluz und Haschomer durch der Geheimorganisationen, die mit ihm zusammenwirk- unsere Vermittlung ein Radiogramm folgenden Inhalts ten. Von diesem Zeitpunkt bis zum Ausbruch des War- nach Tel Aviv: »Die am Leben gebliebenen Anhänger schauer Aufstandes gingen durch die Untergrundzelle, in kämpfen um die Ehre des überlebenden Judentums in der ich arbeitete, sämtliche Funksprüche und Berichte der Polen.« jüdischen Untergrundbewegung nach England, den Ver- Der Frühling des Jahres 1943 kam früh, die Apriltage wa- einigten Staaten und nach Palästina, an die Funktionäre ren freundlich und im allgemeinen warm, auf den Strassen des Jüdischen Weltkongresses, an die Zionistische Welt- Warschaus herrschte ein verhältnismässig starker Ver- organisation und an den BUND in der freien Welt sowie kehr. Die christlichen Osterfeiertage standen vor der Tür, auch die Geldbeträge, die von diesen Organisationen für ebenso das Pessachfest. Am Palmsonntag, den 18. April die Juden in Polen überwiesen wurden. 1943, verbreiteten sich in Warschau Gerüchte, dass in den Besonders schwierig gestaltete sich das Problem der Be- nächsten Stunden irgendeine grosse Polizeiaktion im treuung von Waisen und Kindern, die von ihren Eltern Ghetto erfolgen solle, worauf u. a. eine bedeutende Kon- getrennt worden waren. Sowohl der Hilfsrat als auch die zentrierung von kollaborierenden ukrainisch-lettischen jüdischen Untergrundorganisationen schenkten dieser Hilfsabteilungen in der Stadt hindeutete. Am Abend, kurz Frage besondere Beachtung. Die Kinder wurden individu- vor der für die Polen verpflichteten Polizeistunde, ging ell bei willigen polnischen Familien oder in Gruppen in ich in der Nähe der Ghettomauer und bemerkte dort den verschiedensten Heimen, Spitälern, Waisenhäusern selbst eine verstärkte Bewegung der Polizeipatrouillen. und den noch vorhandenen städtischen oder karitativen Diese wurde auch sofort von den wachsamen Erkun- Institutionen ähnlicher Art untergebracht. Eine grosse dungstrupps der Jüdischen Kampforganisation im Ghetto Rolle bei der Lösung dieser Frage spielten die katholi- selbst wahrgenommen. Die von ihnen alarmierten Kampf- schen Nonnenldöster3, vor allem die Ursulinerinnen, gruppen bezogen noch in der Nacht ihre Stellungen, und der Grossteil der Zivilbevölkerung versteckte sich in den vgl. u. a. dazu: Janina David: Ein Stück Erde. Ende einer Kind- Kellern. heit. München—Wien 1982, Verlag Hanser, insbes. ebd. S. 36 f. (s. auch FrRu XXXIV/1982, S. 89). Nach einigen Stunden, im Morgengrauen des 19. April —

34 am Tage des 14. Nissan, Erew Pessach —, rückten 850 SS- einer Batterie der leichten Artillerie der Wehrmacht, die Männer und 16 Offiziere der Waffen-SS unter Bedek- auf einem Platz in der Nähe des Ghettos Aufstellung kung von Tanks und zwei Panzerwagen in das Ghetto genommen hatte und in einer nach allen Regeln der und bewegten sich durch die Nalewkistrasse — die Haupt- Kriegskunst geführten Aktion gegen die Aufständischen schlagader des jüdischen »Wohnbezirks« — in der Rich- eingesetzt wurde. tung zum Zentrum des Ghettos. Schon nach Zurückle- Am Abend unternahm eine etwa zwanzigköpfige Abtei- gung von einigen hundert Metern begegneten sie einem lung polnischer Soldaten der Heimatarmee — auf Anord- unerwarteten Widerstand: Die Jugendlichen der Jüdi- nung des Kommandos des Warschauer Kreises der Hei- schen Kampforganisation warfen Handgranaten und matarmee — einen Angriff auf die Ghettomauer und ver- Zündflaschen aus den Fenstern der umliegenden Häuser. suchte, diese mit Explosivstoff zu sprengen. Diese Abtei- Einer der Tanks wurde getroffen und ging in Flammen lung stand unter dem Kommando von Pionierhauptmann auf; auf der Strasse fielen zwölf Nazis, und die SS-Kolon- Josef Pszenny. An der Mauer entbrannte ein erbitterter ne zog sich eiligst aus dem Ghetto zurück. Nach zwei Kampf zwischen der kleinen Gruppe mit Maschinenpisto- Stunden nahmen die Deutschen die Kampfaktion wieder len und Granaten bewaffneter Polen und den vielfach auf, diesmal mit grösserer Vorsicht und grösserem Kräfte- stärkeren Formationen der SS und der Polizei. Das Er- einsatz. Das Kommando übernahm der Generalmajor der gebnis war unschwer vorauszusehen: Es wurden zwar Polizei, SS-Brigadeführer Jürgen Stroop. einige deutsche Polizisten getötet und die Mauer beschä- Am Morgen des 19. April, unmittelbar nachdem ich meine digt, aber zwei Soldaten der polnischen Untergrundbewe- Wohnung verlassen hatte, erfuhr ich von Strassenbahnern gung fielen im Kampf, vier wurden schwer verletzt, und von dem Kampf im Ghetto. In der Stadt zirkulierten be- der Rest musste sich zurückziehen. Die erste polnische reits Gerüchte über von den Juden zerstörte Tanks, und Kampfhandlung an der Ghettomauer hatte also eher mo- man sprach mit der grössten Genugtuung laut über die ralische als militärische Bedeutung. Verluste, die den Deutschen von den Verteidigern des Am 13. Mai 1943 nahm sich Szmul Zygielbojm, Funk- Ghettos zugefügt wurden. Ich begab mich sofort in ein tionär des »Bundes« und ehemaliger Stadtrat von War- Lokal der Untergrundbewegung, das der Sitz des Jüdi- schau, in der Emigration in London das Leben, um auf schen Referats der Delegatur der polnischen Exilregie- diese tragische Weise gegen das Schweigen und die rung war und als einer der ständigen Plätze für unsere Untätigkeit der Welt gegenüber Naziverbrechen in Polen Zusammenkünfte mit den Mitarbeitern der jüdischen Un- zu protestieren.' Zu diesem Zeitpunkt hatte der hoff- tergrundbewegung diente. nungslose Kampf im Warschauer Ghetto schon sein Ende Zufälligerweise befand sich gerade dieses Lokal in einer erreicht. Entfernung von einigen hundert Metern von der drei Me- Am 16. Mai 1943 meldete General Jürgen Stroop telegra- ter hohen Mauer des Ghettos nächst der Bonifraterska- fisch General Krüger in Krakau: . . . Das ehemalige jüdi- strasse. Das Ghetto widerhallte vom lärmenden Geknatter sche Wohnviertel Warschaus besteht nicht mehr.' Mit der der Maschinengewehre, und von Zeit zu Zeit erfolgten Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Grossak- laute Explosionen. In der Nähe der Mauer hielten sich in tion um 20.15 Uhr beendet! . . .! Gesamtzahl der erfassten dichten Reihen die SS-Männer, die Polizei und die Hilfs- und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt truppen der litauisch-lettischen Kollaborateure auf. Alle 56 065.« Augenblicke fuhren Tanks und Autos mit Nachschub für vgl. u. a. dazu: Bernard Goldstein: Die Sterne sind Zeugen, die Nazis vorüber, während die deutschen Ambulanzwa- Hamburg 1949, S. 209. desgl.: s. FrRu III, 10/11, 1959, S. 34 f. gen in die entgegengesetzte Richtung fuhren. Immer wie- Hervor ebung d. Red. d. FrRu. der hörten wir neue Detonationen. Diese stammten von (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu).

Dem ‚MB Wochenzeitung des Irgun Olej Merkas Europa. (50/22), gekommen waren. Sie wandten sich daher an einen jungen Pfar- Tel Aviv, 11. 6. 1982, entnommen: rer, der im Rufe stand, sehr klug und zuverlässig zu sein und ent- hüllten ihm das Geheimnis der Identität des Jungen, den sie nun- Karol Wojtyla und das Judenkind mehr doch als wahren Christen erziehen wollten. Der Pfarrer be- deutete ihnen, es wäre unfair, das Kind taufen zu lassen, solange Die Rettung einer jüdischen Seele durch den Papst, als er noch noch Hoffnung besteht, dass die Verwandten des Jungen ihn bei Karol Wojtyla hiess und Pfarrer in Krakau war, enthüllte der bri- sich aufnehmen, worauf Frau Jachowicz sich an die Verwandten tische Oberrabbiner aufgrund von Informationen, die er im Wie- der Familie Hiller in USA und Kanada wandte. Sie hatte Erfolg. senthal-Holocaust-Centre in Los Angeles erhalten hatte. In beiden Ländern erklärten sich die Verwandten zur Aufnahme Im Juni 1942 beschloss die von Ausrottung bedrohte Familie He- des Kindes bereit, doch mussten sie erst einen vier Jahre dauern- len und Moses Hitler, ihren zweijährigen Jungen zu retten und in den Streit mit den polnischen Behörden ausfechten. Nach polni- die Obhut von Familie Jachowicz in einem Dorf bei Krakau zu schem Gesetz war es polnischen Waisenkindern verboten, das geben. Helen Hiller schmuggelte das Kind am 15. November Land zu verlassen. Überdies gab es kein Einreisevisum für den 1942 aus dem Ghetto hinaus und übergab ihren christlichen Jungen. Schliesslich gelang es dem Jewish Congress in Kanada, Freunden zwei Kuverts. In dem einen befanden sich alle Wertge- Einreiseerlaubnis für 1210 Waisenkinder aus Europa nach Kana- genstände der Familie, im anderen Briefe und ein Testament. Der da zu erhalten, und unter ihnen befand sich auch der gerettete eine Brief betraute die Familie Jachowicz mit der Sorge für das Schachne Hiller. Ein Jahr lebte er in Montreal, und im Dezember Kind und bat sie, es als Juden zu erziehen und im Falle des Todes 1950 unterzeichnete Präsident Truman aufgrund intensiver Be- seiner Eltern »wieder in sein Volk zurückzuführen«. Der zweite mühungen der amerikanischen Verwandten der Hillers ein Son- Brief war an das Kind selbst gerichtet mit einer Erklärung der dergesetz, demzufolge die Familie Berger zu Pflegeeltern des Umstände, die seine Eltern veranlasst hatten, ihn in Obhut von Kindes bestellt wurden. Der Junge besuchte dann die Universität Christen zu geben, und der Aufforderung, als Erwachsener sei- und wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann und orthodoxer Ju- nem jüdischen Glauben treu zu bleiben. Ein dritter Brief mit dem de. Testament war von Frau Hillers Mutter an deren in Washington Als der Rabbi von Bluschow, Israel Spira, die Geschichte hörte, lebende Schwägerin, eine Frau Berger, gerichtet mit der Bitte, erklärte er: »Gottes Wege sind unerforschlich. Vielleicht war es die sich des Kindes anzunehmen, falls niemand von der Familie in Belohnung für die Rettung einer jüdischen Seele, die dazu geführt Polen überlebt. hat, dass jener Krakauer Priester Papst wurde?«1 Im März 1943 wurde das Krakauer Ghetto liquidiert. Die Fami- lie Jachowicz erfuhr nach dem Kriege, dass auch die Hillers um- 1 Hervorhebung d. Red. d. FrRu.

35 II B Ein ausserge-wöhnliches Manifest Aussöhnung zwischen Polen und Juden"-

In einem Manifest, das von einigen berühmten Juden und tung trugen wir die Appelle der sterbenden Juden mit uns, Polen unterzeichnet worden ist, wird für die Annäherung die das Gewissen einer indifferenten Weltöffentlichkeit zwischen Polen und Juden plädiert. hätten aufbringen sollen. Die drei anderen von uns sind Es sei 40 Jahre nach dem Warschauer Ghettoaufstand an jüdische Aktivisten aus dem Westen, die alle viele Jahre der Zeit, gemeinsam der Überzeugung Ausdruck zu ver- des Kampfes und des Widerstandes hinter sich haben, leihen, »dass niemals mehr ein Versuch zur totalen physi- dem Erbe und der polnischen Judenheit aufs tiefste ver- schen Ausrottung einer Nation unternommen werden« bunden sind. Von der jüdischen Bevölkerung in Polen, die dürfe. vor dem Krieg rund drei Millionen betragen hatte, sind Die jüdischen Unterzeichner des Manifestes sind Michael nur einige tausend übriggeblieben. Die jüdischen Quartie- Borwicz, ein Mitglied des leitenden Ausschusses von re und die Mauern, die von den Nazis um sie herum er- »Armia Krajowa« in London, der während des Zweiten richtet worden sind, w-urden inzwischen von einem ge- Weltkrieges dem polnischen Untergrund angehörte und meinsamen Feind geschleift. Und dennoch wird heute früher der Polnischen Jüdischen Historischen Kommis- eine andere Mauer errichtet, die Polen von den Juden sion vorstand; Dr. Joseph Lichten, der Vertreter der Anti- trennen soll, und auf beiden Seiten der Mauer verbreiten Defamation-League in Rom, und Simon Wiesenthal, gegenseitige Ressentiments und eine gewisse Ungerechtig- der Vorsteher des Jüdischen Dokumentationszentrums keit das Gefühl von Feindschaft und Hass. in Wien. Hass ist ein Bumerang, der auf jeden zurückfällt, ob es Die drei nicht jüdischen polnischen Unterzeichner sind sich um die schwächere oder die stärkere Partei handelt. Professor Jan Karski von der Universität Washington und Hass wurde von Hitler in die Seele Deutschlands gesät. Professor Jerzy Lerski, Professor an der Universität von Die unmenschliche Tyrannei der Sowjetunion ist eine San Francisco, sowie Jan Nowak, der nach dem Krieg Fortsetzung des Hasses. Polen und Juden sind beide Op- viele Jahre lang Direktor von Radio Freies Europa in fer des Hasses geworden. München war. Hass und tiefe Ressentiments können entstehen, wenn ei- Alle drei waren Kuriere des polnischen Untergrundes, die ne ganze Nation oder eine Gemeinschaft kollektiv für die London unter grössten Schwierigkeiten durch Schweden Verbrechen und die Sünden eines einzelnen oder einer oder Ungarn erreichten, um den Alliierten über die Mas- Minderheit verantwortlich gemacht wird, wenn alle An- saker in Polen zu berichten. gehörigen einer Nation, einer Religion oder Rasse ohne Unterschied deswegen verurteilt werden. Racheerfüllter Wir drucken im folgenden das Manifest im vollen Wort- Hass ist blind für alles Gute, Schöne und Vornehme, das laut ab: sich in anderen Menschen oder einer anderen Nation Vor vierzig Jahren sind auf einem Dach des umkämpften manifestiert. Er sieht nur das Schlimme und das Krimi- Warschauer Ghettos Seite an Seite zwei Flaggen gehisst nelle. worden. Eine war weissblau, die andere weissrot. Die jü- Die Juden erinnern sich an den polnischen Antisemitis- dischen Kämpfer hatten nur noch wenige Stunden zu le- mus, der um die Jahrhundertwende besonders ausge- ben, als sie dem polnischen Volk diese Botschaft sandten: prägt war, und sie vergessen dabei, dass weite Teile der polnischen Liberalen oder der polnischen Intelligenz »Wir senden euch aus dem Flammen- und Blutmeer des sowie die polnische Arbeiterbewegung oder führende ermordeten Warschauer Ghettos brüderliche Grüsse ... Köpfe der polnischen Kultur sich dem Antisemitismus Der Kampf hier geht um unsere und eure Freiheit. Es entgegengestemmt haben. Stärkste Unterstützung fan- geht um die menschliche, gesellschaftliche und nationale den die Juden durch polnische Schriftsteller wie Adam Ehre und Würde von uns allen . . . Lange lebe die Waf- Mickiewicz, Jozef Ignacy Krasicki, Boleslaw Prus, fenbrüderschaft und die Blutsbrüderschaft- des kämpfen- Eliza Orzeskowa, Maria Konopnicka, Andrzej Strug und den Polen . . .« andere mehr. Dieser Appell war eine tragische, dennoch aber wunder- Polnische Antisemiten vergessen gerne — obwohl es nur bare Schlussnote für das fast tausend Jahre dauernde Zu- wenige Fälle von Grausamkeit oder physischem Terror sammenleben von Juden und Polen auf polnischem gegeben hat während der Tage der unabhängigen polni- Grund. schen Republik —, dass sogar Juden, die in der polnischen Vierzig Jahre nach dem Warschauer Ghettoaufstand, dem Sprache und Kultur erzogen worden waren, sich nie als Kulminationspunkt der grössten Tragödie in der Ge- vollwertige Bürger Polens vorkommen konnten. Der Jude schichte der Menschheit, empfinden wir, die Unterzeich- musste nicht nur zur Kenntnis nehmen, dass es an Univer- nenden, es als moralische Pflicht, an die Masada des sitäten eigentliche Ghettos gab, sondern er wurde auch zwanzigsten Jahrhunderts zu erinnern. Drei von uns wa- mit Skepsis und Misstrauen verfolgt, mit Boykott und ren während des Zweiten Weltkrieges Gesandte des polni- Diskriminierung belegt. Dafür gab es im polnischen Recht schen Untergrundes und der polnischen Exilregierung in keine Grundlage. Die gängige Assoziierung von Juden- London. Zwischen den Grenzen und den Schlachtfeldern tum und Kommunismus stempelte jeden Juden zum po- wurden wir Augenzeugen der Massenvernichtung der Ju- tentiellen Landesverräter und Agenten. Die Rolle, die die den, und zusammen mit Beweismaterial über die Vernich- Juden bei der Kosciuszko-Erhebung des Jahres 1794 oder bei den Aufständen der Jahre 1831 und 1863 spielten, wurde vergessen. Dasselbe Schicksal widerfuhr den jüdi- * Mit freundlicher Genehmigung seiner Redaktion entnommen schen Freiwilligen, die in der polnischen Legion oder in aus: »Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz« (83/49), Zü- anderen militärischen Verbänden während des Ersten rich, 9.12.1983, S. 5-7. Weltkrieges Seite an Seite mit anderen Polen für ein un-

36 abhängiges Polen kämpften. Es brauchte einen britischen bar wiedererstandenen jungen Staat zu vernichten. Nur Historiker, Norman Davies, ein grosser Freund von Po- die Polen, die Augenzeugen des Holocaust und selber len, um auf die jüdischen Freiwilligen aufmerksam zu ma- Opfer des Naziterrors, können die quälenden Sorgen der chen, die in den Jahren 1920 bis 1921 im polnisch-russi- jüdischen Überlebenden völlig verstehen, die in das ver- schen Krieg gegen die Bolschewisten kämpfen wollten. sprochene Land zurückgekehrt sind. Eine grosse Zahl is- Aber sie wurden aus der Armee hinausgeworfen und in raelischer Bürger stammt aus Polen. Es gibt eine Zeitung, Internierungslager gesteckt. Erinnert sich überhaupt je- die auf polnisch erscheint. »Kultura«, die polnische Mo- mand daran, dass der berühmte Abschnitt des Petersbur- natszeitschrift, die in Frankreich erscheint, wird wie ande- ger Manifestes vom 27. März 1917, in welchem der Arbei- re polnische Zeitschriften in Israel häufiger gelesen. Polni- ter- und Soldatenrat die »völlige Unabhängigkeit Polens« sche Musik- und Theatervorstellungen werden vor allem verlangte, nicht von den Russen, sondern von einem pol- von den älteren israelischen Bürgern sehr geschätzt, die nischen Juden stammt, nämlich von Henryk Ehrlich, dem damit nostalgische Erinnerungen an das Land ihrer Ju- Vorsitzenden des Bunds, der Sozialistischen Partei? Kom- gend verbinden, das in der »Kleinen Stadt von Belz« in munistische Propagandisten machen um diesen Paragra- einem jüdischen Lied verewigt ist. Jede Geste oder jedes phen viel Aufhebens, aber sie erwähnen dabei nicht, dass Zeichen der Solidarität durch die Polen zu Hause oder in Ehrlich während des Zweiten Weltkrieges auf Stalins der Fremde für das Schicksal Israels würde mehr zur pol- Befehl hin exekutiert wurde. nisch-jüdischen Aussöhnung beitragen als unzählige Bän- de selbstanklägerischer Literatur. Die Juden anderseits machen die gesamte polnische Na- tion für die Handlungen der Szmalcowniks verantwort- Die Polen und die Juden teilen sich das Unglück, in der lich, für kriminelle Elemente, die es in allen besetzten Ge- Sowjetunion zu den meist verfolgten Minderheiten zu ge- bieten gab und die Juden an die Nazimörder auslieferten. hören. Beide sind das Opfer von Diskriminierung und Ressentiments liessen sie vergessen, dass die meisten Ju- Ungerechtigkeit. Wenn die jüdische Diaspora ihren nicht den, die ausserhalb der Konzentrationslager den Holo- zu unterschätzenden Einfluss in den westlichen Demokra- caust überlebten, ihre Rettung dem Heldentum von Polen tien bezüglich der Ausreiserechte von russischen Juden verdankten, die damit ihr eigenes und das Leben ihrer Fa- auch auf andere Minderheiten des Sowjetreiches, die in milien riskierten. Sie vergessen dabei, dass eine unvoll- ihre Heimat zurückkehren wollen, ausdehnen könnte, ständige Liste 621 Familien umfasst, die ermordet wur- würde das in Polen sicherlich hoch geschätzt. Wenn wir den, weil sie Juden versteckt hielten. Sie vergessen auch, Polen und Juden näherbringen wollen, so sind wir uns der dass die Ehrenbücher in Jad Waschem in Israel am mei- Risiken voll bewusst, die von Extremisten beider Seiten sten polnische Namen tragen und dass eine Anzahl von ausgehen. Aber wir werden von unserem Vorhaben nicht polnischen Untergrundkämpfern bei der Hilfe für die abweichen, weil wir von der Idee der Brüderschaft zwi- Kämpfer im Warschauer Ghetto getötet wurde. Ressenti- schen Menschen aller Herkunft, aller Nationalitäten, ments verführen auch manchen jüdischen Autor, die Tä- Religionen, Farben oder Rassen überzeugt sind. Wir ent- tigkeit des Rates für Judenhilfe im polnischen Untergrund sprechen damit den Zehn Geboten, der Quelle unserer zu vernachlässigen oder zu unterschätzen. Das gleiche gilt Religion und unserer höchsten Werte der Zivilisation. Wir für die Anstrengungen der polnischen Behörden im be- sind überzeugt davon, dass wir auf diese Weise den Polen setzten Polen oder für die Exilregierung in London, die und Juden am besten dienen.' alles in ihrer Macht Stehende unternahmen, um die west- Unterzeichnet: lichen Regierungen und die Weltöffentlichkeit auf das Michael Borwicz, Jan Karski, Joseph Lichten, Schicksal der sterbenden Juden aufmerksam zu machen. Jerzy Lerski, Simon Wiesenthal, Jan Nowak. Die Polen fühlen sich völlig missverstanden, wenn sie für Massenmorde verantwortlich gemacht werden, deren Op- fer auch sie selber waren. Und die Juden werden auf eine ähnliche Art und Weise verletzt, wenn man sie für die Un- taten der stalinistischen Polizei verantwortlich macht, bloss weil einige hohe Stellen in der Terrormaschinerie dieser Partei von Juden gehalten wurden. Derweil wird von den Polen jüdischer Abstammung keine Kenntnis ge- nommen, die seit 1956 in vorderster Front der Freiheitsbe- wegung stehen. Es ist Zeit, das Gespenst des gegenseitigen Misstrauens abzulegen. Es ist für Polen und Juden gleichermassen schmerzlich — und vor allem schmerzt es jene polnischen Patrioten, die ob ihrer Loyalität zu Polen den jüdischen Wurzeln treu geblieben sind. Die gegenseitige Diskrimi- nierung dient keinem vernünftigen Zweck. Menschen gu- ten Willens, Polen und Juden, möchten einen fruchtbaren Dialog des gegenseitigen Verständnisses aufbauen. Mö- Beim Lesen dieses bewegenden Appells erinnere ich mich: gen wir diesen Dialog schaffen, um Einendes zwischen Nach Kriegsausbruch bis zu meiner Verhaftung durch die Gesta- Polen und Juden zu finden. po, März 1943, auf der Suche nach Information und Hilfsmög- lichkeit, auch für die »displaced persons — DP's« hier und im da- Gemeinsam ist vorab die Überzeugung, dass niemals mehr maligen »Generalgouvernement« Polen in quälender Ungewiss- heit, tief betroffen über die dort im Ghetto und in Lagern unvor- ein Versuch zur totalen physischen Ausrottung einer Na- stellbar herrschende Not, fanden sich einige Kontakte, rückblik- tion unternommen werden darf. Unglücklicherweise leben kend, offenbar auch zu und über jene Kreise der oben beschrie- sowohl Polen als auch Juden mit diesem Damokles- benen weiss-blauen Flagge (s. o. S. 36). Die Botschaft der beiden schwert über sich. Die geographische Lage Polens macht Flaggen scheint im Rückblick auf die qualvollen Fragen trostvoll: Sie sollte Mahnung und Hoffnung sein, dass der Ruf jener es durch die sowjetische Expansion gefährdet. Und der schwerlich an Not zu übertreffenden Situation Hoffnung gibt, Staat Israel ist von arabischen Staaten umgeben, die da- dennoch, und dies in einer nach all den Geschehen heute doch nach trachten, den nach zweitausend Jahren so wunder- noch waffenklirrenden Welt. (Anm. Gertrud Luckner)

37 Gedanken zu einem Manifest" lektuellen ausserhalb Polens befreundet und praktisch ausgesöhnt. Zahlreich sind die Publikationen in Polen, die sich mit jüdischem Gedankengut und jüdischen Schrift- Von Samuel Scheps stellern befassen. Vor wenigen Monaten ist in Polen eine Anthologie jiddischer Dichter in polnischer Übersetzung publiziert worden. Eine antisemitische Bewegung gibt es im heutigen Polen wohl kaum, wenn man von der Split- tergruppe »Grunewald« absieht. 2. Es gibt heute in der Welt — in Europa, aber insbesonde- Das vorstehend veröffentlichte Manuskript (s. o. S. 36 f.) re in den USA — eine in Millionen gehende polnische Dia- hat allgemein grosse Aufmerksamkeit erregt. Natürlich ist spora, die Wesentliches beiträgt zur allgemeinen Kultur: jede Aussöhnung individueller oder kollektiver Natur, um nur den Philosophen Leszek Kolakowski und den No- zwischen Ländern, die sich bekämpft haben, zwischen belpreisträger Czeslaw Milosz zu nennen. Jüdische The- verschiedenen sozialen Klassen, die sich feindlich gegen- men ziehen Milosz immer wieder an. In den allerletzten überstanden, zwischen Individuen, die sich lange im Streit Jahren steht Milosz im Banne der Bibel. »Man verbringt befanden, zwischen den Divergenzen von Staat und Indi- nicht jeden Tag straflos mit der Bibel«, sagt er, »sie zieht viduum — ein vornehmes Ziel. Grosse Anstrengungen sind einen hinein. So bin auch ich hineingezogen worden und notwendig, um sich diesem idealen Ziel zu nähern. begann, Hebräisch zu lernen.« Milosz übersetzte aus dem Das genannte Manifest richtet sich zu Recht gegen »Hass Hebräischen das Buch Hiob und das Buch der Psalmen. und tiefe Ressentiments, wenn eine ganze Nation oder Die Bibelübersetzungen liegen Milosz besonders am Her- eine Gemeinschaft kollektiv für die Verbrechen und die zen. Er unterhält freundschaftliche Beziehungen zu Juden Sünden eines einzelnen oder einer Minderheit verant- insbesondere polnischer Herkunft, die an seinen Bibel- wortlich gemacht wird«. übersetzungen interessiert sind. — So kann mit Recht von Es kommt darin aber auch zum Ausdruck die Ambivalenz einer engen Kooperation der polnisch-jüdischen Minder- polnisch-jüdischer Beziehungen im Laufe der langen, heit mit der polnischen Diaspora in der Welt gesprochen komplexen Geschichte: einerseits der bisweilen virulente werden. Eine Aussöhnung ist ein langer Prozess, und es Antisemitismus während verschiedener Geschichtsperio- muss permanent daran gearbeitet w-erden. den, andererseits der Philosemitismus der polnischen Ro- Eine diesbezügliche weitere Dokumentation sollte insbe- mantiker und Positivisten; der Anteil der jüdischen Min- sondere auf die Gemeinsamkeit des Schicksals während derheit an der Entfaltung der polnischen Kultur in all ih- der nazistischen Gewaltherrschaft hinweisen: ren Bereichen; last, but not least die Teilnahme der polni- 1. In Polen sind 3 Millionen polnische Juden in individu- schen Juden an den bewaffneten Aufständen der Jahre ellen und Massenexekutionen, in den Gettos und in den 1794, 1831 und 1863. Man kann hier noch erwähnen die Konzentrationslagern gewaltsam umgekommen. Teilnahme der Juden an der polnischen Legion Pilsudskis. 2. In der Hitlerschen Vernichtungskampagne hat die Mit Freude begrüssten die Juden die Wiedergeburt des europäische und polnische Kultur nicht wiedergutzu- polnischen Staates im Jahre 1918. machende Verluste erlitten. Darunter befanden sich be- Es erscheint mir wichtig, in diesem Zusammenhang einen deutende Juden, Schöpfer polnischer Kultur, wie z. B. der der grössten polnischen Dichter, den Juden Julian Tuwim Jurist L. Berenson, der Arzt, Pädagoge und Schriftsteller (1894 - 1953), zu nennen, dessen dreissigster Todestag in Janusz Korczak, der Kunsthistoriker A. J.. Lauterbach, der diesen Tagen von Polen und Juden und der intellektuellen Maler B. Kramsztyk, der Schachmeister D. Przepiorka, der Gemeinschaft der Welt in einer Kommunion in Erinne- Mathematiker S. Sachs, der Schriftsteller Bruno Schulc, rung gebracht wird. Tuwim war es, der zwischen den bei- der Physiker und Schriftsteller B. Winawer, der brillante den Weltkriegen in zornigen Worten gegen den immer Historiker Prof. M. Handelman. Gleichzeitig sind viele be- stärker sich in Polen verbreitenden Antisemitismus, Fa- deutende Vertreter des jüdischen Geisteslebens umge- schismus und Hitlerismus gekämpft hat. Sein Gedicht- kommen, wie die Dichter M. Gebirtig, M. Glik und J. Ka- band »Ball in der Oper« (1936 von der polnischen Zensur zenelson, der Rabbiner und Sejm-Abgeordnete J. Lewin, beschlagnahmt) wuchs zu einer apokalyptischen Prophe- die bedeutenden jüdischen Historiker M. Balaban und zeiung der heranziehenden Katastrophe. Emanuel Ringelblum. Wenn von Aussöhnung zwischen Polen und Juden ge- 3. Polen christlicher Konfession wie der Literaturhistori- sprochen wird, muss man sich folgende Probleme klar vor ker Prof. K. Kolbuszewski ist in Majdanek umgebracht Augen halten: worden für Hilfe, die er jüdischen Studenten zukommen 1. Welche Polen werden im Manifest visiert? Wohl doch liess; der bedeutende polnische Chirurg Prof. J. Raszeya nicht das heutige Regime, welches das polnische Volk in erlitt das gleiche Schicksal, weil er dem Warschauer Getto seiner überwältigenden Mehrheit ablehnt (siehe »Solidar- ärztliche Hilfe brachte. nosc«)? Die in Polen verbliebene Restminderheit der pol- 4. In der Rettung von Juden waren unmittelbar 300 000 nischen Juden und deren Institutionen (der Bund jüdi- Polen engagiert, darunter der Rat der polnischen Hilfe an scher Gemeinden in Polen, die Jüdische Historische Kom- Juden »Zegota«, der sich in den Jahren 1942 bis 1944 um mission usw.) pflegen mit den Behörden formal-normale den Rest der Juden in Warschau kümmerte. Die »Zegota« Beziehungen. Mit Hilfe jüdischer Organisationen im Aus- sowie andere konspirative Organisationen haben einen land (Joint) und der Weltföderation Polnischer Juden Aufruf erlassen, in dem sie die Todesstrafe für Verräter werden Fragen der Erhaltung der jüdischen Friedhöfe und solche, welche Juden den Nazis auslieferten, androh- und der Rückgabe jüdischer Kultus- und Kulturgegen- ten. stände diskutiert und nach Möglichkeit geregelt. Mit den 5. Auch nach dem Aufstand im Warschauer Getto betei- polnischen Intellektuellen, Schriftstellern, Dichtern und ligten sich zahlreiche Juden an der Partisanenbewegung, Musikern sind die zahlreichen jüdisch-polnischen Intel- oft als Kommandanten. Eine Hervorhebung des gemeinsamen Schicksals und einer positiven Zusammenarbeit der beiden Völker sind *In: »Israelitisches Wochenblatt für die Schweiz« (84/1), Zü- gewiss der beste Einsatz für eine Aussöhnung zwischen rich, 6. 1. 1984, S. 7 f. Polen und Juden.

38 III Katholische Kirche und Judentum zur Zeit des Nationalsozialismus — eine geschichtliche Erfahrung und eine Herausforderung an uns Vortrag auf dem 88. Katholikentag, München, 5. Juni 1984*/*, gehalten von Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Riehen Dieser Beitrag kann und soll nicht nur eine wissenschaft- Unschuldigen einzutreten? Es ist dies die letzte Hoffnung lich-kritische Aufarbeitung von Quellen sein, sondern ich so vieler und die innige Bitte aller Gutdenkenden.« sehe meine Aufgabe auch darin, aus der Sicht eines Be- Der Wortlaut der Radiobotschaft am Heiligen Abend troffenen und Augenzeugen der Ereignisse, das heisst 1942 von Pius XII., auf den sich Bischof von Preysing be- konkret der Judendeportationen aus Berlin in den Jahren zieht, lautet u. a.: »Ein grosser Teil der Menschheit, und

1941 - 1943, zu berichten, was ich erlebt habe und wie sich wir stehen nicht an zu sagen, auch nicht wenige von de- dieses Erleben eines einzelnen in den später veröffentlich- nen, die sich Christen nennen, tragen ihren Teil an der ten Quellen spiegelt. Dabei möchte ich vermeiden, dass Gesamtverantwortung für die Fehlentwicklung, für die der Eindruck entstünde, diese Ausführungen würden An- Schäden und für den Mangel an sittlichem Hochstand der klagen enthalten; sie sind der Versuch eines Betroffenen, heutigen Gesellschaft . . . Was in Friedenszeiten unter der der mit Ihnen seine Erfahrungen teilt. Mancher wird da- Oberfläche blieb, das drängte nach Kriegsausbruch an her diese Ausführungen als einseitig ansehen. Dieses sub- den Tag mit einer traurigen Reihe von Taten, die mensch- jektive Urteil von Menschen aus anderen Erfahrungsberei- lichem und christlichem Geist Hohn sprechen . .« Der chen habe ich zu akzeptieren, da ich mir nicht anmasse, Papst spricht davon, dass alle Gutgesinnten sich zu einem mehr als einen Baustein oder Denkanstoss anzubieten. Gelöbnis zusammenfinden müssten, um die menschliche Der entscheidende Wendepunkt im Schicksal der Berliner Gemeinschaft zum göttlichen Gesetz zurückzuführen. In Juden war der 27. Februar/1. März 1943. An diesen Ta- diesem Zusammenhang heisst es wörtlich: »Dieses Gelöb- gen wurden alle Juden direkt aus den Fabriken, wo sie nis schuldet die Menschheit den Hunderttausenden, die Zwangsarbeit leisteten, in die Deportationszentren ge- persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Volkszugehö- bracht, um von dort aus nach Auschwitz deportiert zu rigkeit oder Abstammung willen, dem Tode geweiht oder werden. Viele dieser Juden kamen damals in Auschwitz einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind.« 1 sofort ins Gas; ihr Eintreffen dort wurde gar nicht erst re- Wenn hier auch die Juden nicht expressis verbis erwähnt gistriert; man findet daher nur die Tatsache ihrer Depor- sind, so hat zweifellos zumindest der Berliner Bischof die- tation verzeichnet, nicht aber Hinweise für ihren Aufent- se Verfolgten in der Weihnachtsbotschaft des Papstes wie- halt in Auschwitz. Über andere dieser Transporte ist man dererkannt und war keineswegs im Zweifel, dass der orientiert, dass sie in Auschwitz zur Arbeit kamen. Ich Papst — so wie der Berliner Bischof auch — um das Schick- war Augenzeuge dieser Verschleppungen, denn in jenen sal der deportierten Juden weiss, also Kenntnis darüber Tagen, Ende Februar/Anfang März 1943, fuhr die SS — hat, dass sie umgebracht werden. Aus den inzwischen ver- und man nahm dazu auch Waffen-SS — mit Lastwagen öffentlichten Bänden des Vatikans geht hervor, dass in durch Berlin, um die Juden aufzuladen. Ich entging die- Rom die Tatsache der planmässigen Judenausrottung be- sem Schicksal, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in kannt war. Der vatikanische Geschäftsträger in Pressburg, der Fabrik arbeitete, sondern bereits halb illegal lebte. Am Burzio, teilt am 9. 3. 1942 mit, dass die nach Polen De- 28. 2. 1943 verliess ich die Wohnung, es war morgens um portierten »dem sicheren Tod« entgegengehen (Nr. 298). 9 Uhr, als ich sah, wie die SS die Juden in ihrer Arbeits- Am 17. 7. 1942 meldet der apostolische Visitator aus kleidung direkt von den Fabriken holte. Wir wohnten zu- Zagreb ähnliches (Nr. 431), und am 3. Oktober 1942 teilt fällig direkt gegenüber einem der Deportationszentren in die polnische Botschaft beim Vatikan mit, überall in Po- der Berliner Levetzowstrasse. Es war dies eine Synagoge, len, in Wilna, Warschau, Lublin, würden die Juden in La- die während des Judenpogroms vom November 1938 ger gebracht, um dort ermordet zu werden (Nr. 497). nicht angezündet, sondern nur innen demoliert worden Wenn wir diesen Problemkreis heute betrachten, so kön- war, so dass sie wieder instand gesetzt werden konnte. Das nen wir Urteile nicht allein mit unserem heutigen Wissen Gebäude ist später durch Bomben zerstört worden, wurde fällen, sondern müssen uns bemühen, uns in die damalige nach dem Kriege abgerissen, heute befindet sich dort ein Zeit und Situation zurückzutasten. Dafür haben sich drei Kinderspielplatz. Am Katholikentag in Berlin [1980] hat- Fragen als hilfreich erwiesen, die sich in einem Buch von ten wir von dort aus einen der Bussgänge begonnen. Helmut Gollwitzer finden ». . . und führen, wohin du Dieses von mir eben berichtete Geschehen spiegelt sich in nicht willst«. Diese drei Fragen lauten: den Dokumenten wie folgt: Brief des Berliner Bischofs 1. Wir haben davon nichts gewusst! — Aber warum haben Konrad von Preysing an Papst Pius XII. am 6. März wir nichts davon gewusst? — Haben wir nichts wissen kön- 1943: »Wohl noch bitterer trifft uns hier in Berlin die nen oder nichts wissen wollen? neue Welle von Judendeportationen, die gerade die Tage 2. Wir haben es nicht gewollt! — Haben wir es damals alle vor dem 1. März 1943 eingeleitet worden sind. Es handelt wirklich von ganzem Herzen nicht gewollt, oder wollen sich um viele Tausende, ihr wahrscheinliches Geschick ha- wir es nur heute nicht mehr? ben Eure Heiligkeit in der Radiobotschaft von Weihnach- 3. Wir konnten nichts dagegen tun! — Haben wir alles ge- ten angedeutet. Unter den Deportierten sind auch viele tan, was wir dagegen tun konnten? Haben wir alles an Katholiken. Wäre es nicht möglich, dass Eure Heiligkeit Hilfe für die Verfolgten getan, was wir konnten? noch einmal versuchten, für die vielen Unglücklichen — Gegen Ende erzähle ich eine Szene in einem Urlauberzug 1942, in dem einer von den Judenerschiessungen berichte- Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ehrlich veröffentlicht. ** Gehalten auf dem Forum »Aus Geschichte Zukunft gestal- ' s. u. a. in J. H. Nota: Edith Stein und der Entwurf einer Enzy- ten«. Weitere Ausführungen über den Katholikentag im FrRu klika ..., in: FrRu XXVI/1974, S. 41, sowie in: »Zur Erinne- XXXVII/1985. rung an Bernhard Lichtenberg, Predigt von Alfred Kardinal (Anmerkungen d. Red. d. FrRu.) Bengsch, 5. 11. 1973«, in: ebd. XXVI/1974, S. 43.

39 te und in unser bedrücktes Schweigen hinein sagte: geheimgehaltene neue Pläne von Verfolgungsmassnah- »Wenn es einen Gott gibt, muss sich das ja rächen. Es gibt men mit . . . in der ja nicht unberechtigten Hoffnung, dass einen Gott, und es hat sich gerächt . . .«. Ende des Zitats. unser Berliner Bischof, Graf von Preysing, durch sein . . .

Wir haben davon nichts gewusst: Was haben -wir wissen unerschrockenes Vorgehen bei Berliner Regierungsstellen können? Ich habe in Berlin gelebt, ich sah mit eigenen Au- vielleicht doch noch drohendes Unheil verhüten könne gen am 9. November 1938 die brennenden Synagogen, (ich erinnere an die beabsichtigte Zwangsscheidung der den Raub jüdischer Geschäfte, nicht nur durch primitive rassischen Mischehen), oder Sie hatten dringliche Bitten SA-Männer, sondern auch durch gut-bürgerliche Leute, für in Berlin verborgen lebende geflohene Verfolgte; oder wobei andere Deutsche mehr oder weniger deutlich im Sie suchten in gemeinsamer Überlegung mit uns nach im- Omnibus oder in der Strassenbahn ihren Abscheu darüber mer neuen Wegen der Hilfe für die armen gehetzten Men- aussprachen. Von den Kirchen hat man damals wenig ge- schen, besonders für die Juden. So arbeiteten Sie nicht nur hört. Irgendein Protest von Bischöfen oder der deutschen mit unserem Berliner Hilfwerk zusammen, sondern eilten Bischofskonferenz angesichts der Verbrennung von Got- von Bistum zu Bistum, von Bischof zu Bischof . . .« teshäusern hat nicht stattgefunden. Wir wissen nur vom Andererseits weiss ich von einem bedeutenden katholi- Dompropst Bernhard Lichtenberg, der zum Märtyrer schen Religionsphilosophen, der von zwei Freunden gebe- wurde. Er sprach am 9. November 1938 sein berühmt ge- ten wurde, angesichts des Novemberpogroms 1938 in der wordenes Nachtgebet: »Lasst uns beten für die verfolgten Sonntagspredigt ein Wort zu sagen und der sich abwand- nichtarischen Christen und für die Juden. Was gestern te und meinte, dies sei nicht seine Sache. war, wissen wir, was morgen ist, wissen wir nicht, aber Wir haben nichts davon gewusst. Dazu möchte ich eine was heute geschehen ist, haben wir erlebt: Draussen Meldung des evangelischen Divisionspfarrers einer Infan- brennt der Tempel — das ist auch ein Gotteshaus.« Und in teriedivision vorlesen, vom 21. 8. 1941. Diese Meldung einer anderen Predigt sagte er über die Juden: »Und sie beruht auf dem Bericht eines evangelischen sowie eines werden mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische sitzen, katholischen Pfarrers. und wem das nicht passt, mag draussen bleiben.« Das »Meldung des evangelischen Divisionspfarrers, Wehr- »Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat, Berlin« wurde machtsoberpfarrer Kornmann, an die 295. Infanterie-Di- von Prälat Lichtenberg inspiriert. Auf diese Weise verband vision vom 21. 8. 41. Der 295. Inf. Div. erstatte ich folgen- er sich mit dem Schicksal der Juden. Es ist bezeichnend, de Meldung: Gestern (am 20. 8.), gegen 15 Uhr, kamen 2 dass ein Mann wie Lichtenberg ein Gefühl für die Juden Kriegspfarrer einer hier liegenden Kriegslazarett-Abtei- besass, weil er mit ihnen zu tun hatte, sich für ihr Schick- lung zu mir und dem katholischen Kriegspfarrer der Divi- sal interessierte, sich nicht abwandte oder die Augen ver- sion und berichteten, in der Nähe, etwa 500 m entfernt, schloss. Jeden Abend wiederholte er sein Gebet für die Ju- befänden sich im oberen Stockwerk eines Hauses etwa den; seine Worte waren in den Ohren der Mitbetenden 80- 90 Kinder, vom Säugling bis in das schulpflichtige Al- und in denen, die vorgaben, nichts gewusst zu haben. Öf- ter hinein, die durch ihr Geschrei und ihr Jammern weit- fentlich machte Lichtenberg auf sich aufmerksam, als er hin zu hören seien und, da sie bereits 24 Stunden dort am 28. August 1941 einen schriftlichen Protest an den seien, die Nachtruhe in den Nachbarhäusern einquartier- Reichsärzteführer Conti wegen der Ermordung der Gei- ter Soldaten empfindlich gestört hätten. Durch diese Sol- steskranken richtete. Am 23. Oktober 1941 wurde er von daten hatten die beiden Kriegspfarrer selbst Kenntnis von zwei BDM-Studentinnen wegen seines täglichen Abend- der Anwesenheit der Kinder erhalten. — Ich ging mit den gebets für Verfolgte und Juden denunziert, er war damals beiden Kriegspfarrern und meinem katholischen Kollegen 66jährig. Durch eine Gesinnungsänderung hätte er vom in das betr. Haus und sah die Kinder in 2 kleinen Stuben Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt werden können, herumliegen und -sitzen — sie lagen z. T. in ihrem eigenen aber er weigerte sich. In den Verhören teilte er mit, er Unrat —, und es fehlte vor allen Dingen jeder Tropfen wolle das Los der nach dem Osten deportierten Juden tei- Trinkwasser, worunter die Kinder bei der Hitze sehr lit- len, um dort für sie zu beten. Lichtenberg wurde zu zwei ten. Ein Mann der ukrainischen Miliz stand unten Posten; Jahren Gefängnis verurteilt. Er überlebte als todkranker von ihm war zu erfahren, es handle sich um Judenkinder, Mann diese Haft, wurde aber am Tage seiner sogenann- deren Eltern erschossen worden seien. — Bei dem Posten ten Entlassung von der Gestapo abgeholt, um in das KZ stand eine Gruppe deutscher Soldaten, an einer anderen Dachau verschleppt zu werden. Am 5. November 1943 ist Hausecke stand eine weitere solche Gruppe, und.an bei- er auf dem Transport dorthin gestorben, nachdem man den Stellen wurde z. T. erregt über das, was hier zu sehen ihn vorher im Arbeitslager Wuhlheide gequält hatte. bzw. zu hören war, gesprochen. Da ich es für absolut un- Manchmal frage ich mich, warum Katholiken eigentlich erwünscht hielt, wenn solche Dinge sich in breitester Öf- relativ wenig über diesen Dompropst Lichtenberg spre- fentlichkeit abspielten, erstattete ich Meldung darüber. chen, sehr viele gar nicht von ihm wissen. Ich erkläre es Die beiden Kriegspfarrer waren von der Kriegslazarett- mir u. a. so, dass man an seinem Beispiel aufzeigen könn- abt. 4/607 und hiessen Wilczek (evang.) und Tewes te, was andere Amtsbrüder auch hätten tun können und (kath.). Kornmann, Wehrmachtsoberpfr.«. eben nicht getan haben. Bernhard Lichtenberg ist das Bei- Dieser Text ist interessant, weil aus ihm hervorgeht, was spiel dafür, dass es damals Christen gab, gerade auch Ka- Menschen, die im Osten Dienst taten, gewusst haben, da- tholiken, die nicht fortgeschaut haben2 und die nicht von waren Heerespfarrer nicht ausgenommen. meinten, es ginge sie eigentlich gar nichts an. In diesem Das Jahr 1943 ist durch die systematische Ausrottung der Zusammenhang müssen wir natürlich auch Gertrud Luck- Juden im deutschen Machtbereich gekennzeichnet. Es ner erwähnen, über die ihre Kollegin Dr. Margarete Som- war eine Reihe von mutigen Katholiken, welche ständig mer im Jahre 1960 u. a. das Folgende schrieb: »Unange- Rom wissen liessen, was mit den Juden geschah. An erster meldet, unerwartet standen Sie plötzlich vor mir im Berli- Stelle muss hier der vorher erwähnte Vertreter des Vati- ner Ordinariat. Entweder teilten Sie uns eiligst in Vorbe- kans in Bratislava genannt werden, Msgr. Burzio, der be- reitung befindliche, aber von den NS-Stellen noch streng reits 1942 nach Rom gemeldet hatte, die Juden gingen ei- nem sicheren Tod entgegen. Natürlich gab es nicht nur vgl. dazu: u. a. »In memoriam Dr. Margarete Sommer«, in: Judenretter in der römischen Kurie. Der tapfere Bischof ebd., XVI/XVII, Juli 1965, S. 68, sowie »Zur Erinnerung an Bernhard Lichtenberg. Predigt von Alfred Kardinal Bengsch, von Berlin, von Preysing, schrieb Pius XII., was ihm der 5. 11. 1973«, in ebd. s. o. S. 39, Anm. 1. Nuntius in Berlin, Msgr. Orsenigo, sinngemäss mitgeteilt

40 habe: Caritas sei gut und schön, die höchste Caritas sei, Überhaupt fällt in den kirchlichen Verlautbarungen nicht der Kirche keine Schwierigkeiten zu machen. Preysing der Terminus »Jude«. Kardinal Frings spricht am 25. 12. schreibt zu einer derartigen Haltung an den Papst: »Ich 1943 von denen, die »einer fremden Rasse« angehören, befürchte grosse Schädigung der kirchlichen Interessen die nicht getötet werden dürfen, und am 13. 2. 1944 heisst durch solche Auffassungen und Äusserungen des Vertre- es, »dass niemand seiner Güter oder gar seines Lebens be- ters Eurer Heiligkeit.« In den vatikanischen Aktenpubli- raubt werde, der unschuldig ist, etwa deshalb, weil er ei- kationen ist vom Todeslager Treblinka die Rede und vom ner fremden Rasse angehört. Das kann nur als himmel- Gas, durch welches die Juden ermordet wurden. schreiendes Unrecht bezeichnet werden.« Als der Kölner Im Oktoberheft 1980 der »Stimmen der Zeit« behandelt Erzbischof diese mutigen Worte im Februar 1944 sprach, Pater Ludwig Volk unser Thema. Als in München die Ju- waren die meisten Juden, zumindest die aus Deutschland dendeportationen vor aller Augen die Bevölkerung beun- deportierten, bereits tot. Als am 9./10. 11. 1938 die Syn- ruhigten, wendet sich Kardinal Faulhaber an den Vorsit- agogen angezündet wurden und Tausende von jüdischen zenden der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Ber- Menschen in die Konzentrationslager kamen, hat kein Bi- tram, der antwortet, bei der Virulenz nationalsozialisti- schof öffentlich von einem »himmelschreienden Unrecht« schen Judenhasses sehe er für Vorstellungen nicht die gesprochen, das hat sich dann später bitter gerächt. kleinste Erfolgschance. Der Nuntius Orsenigo hatte be- Auch Burkhard van Schewick, Kath. Kirche und national- reits Mitte Februar 1942 Kardinal Bertram persönlich soz. Rassenpolitik (Kirche, Katholiken und Nationalsoz. Nachrichten über Massenerschiessungen der nach Osten 1980, S. 83 ff.), kommt zu ähnlichen Urteilen wie Pater Deportierten gebracht. Wahrscheinlich hatte er diese von Volk. »Wenn sich die Bischöfe auch bezüglich der FrS'u Dr. Sommer vom Hilfswerk beim bischöflichen Or- Zwangssterilisierung exponierten und verschiedentlich die dinariat Berlin erhalten. Erst als im November 1942 ein nationalsoz. Rassenlehre öffentlich verurteilten, so blieb Gesetz drohte, nach welchem sogenannte »rassische der >flammende Protest< gegen die Diskriminierung und Mischehen« zwangsgeschieden werden sollten, protestier- Entrechtung der jüdischen Bürger doch aus. Selbst die te Kardinal Bertram bei den Behörden. Dieser Protest so- Nürnberger Rassengesetze, die 1935 eine deutliche Ver- wie die Belagerung des Berliner Deportationszentrums schärfung der Judenverfolgung einleiteten, haben zu- durch die sogenannten »arischen Frauen«, im März 1943 nächst zu keinem unmissverständlichen Einspruch ge- ein mutiger Widerstandsakt, den man nicht oft genug er- führt« (S. 89). »Auch die Novemberpogrome von 1938 ..., wähnen kann, ergaben die Freilassung der bereits inhaf- die zum erstenmal seit 1933 wieder reichsweit offenen tierten jüdischen Männer. Erst am 19. August 1943, als in Terror gegen Juden brachten, haben zu keiner Änderung Deutschland bereits alle greifbaren Juden deportiert wa- dieser Haltung geführt . . .« (S. 91). Ende des Zitats. Van ren, entschloss sich die Bischofskonferenz zu einem Hir- Schewick weist darauf hin, dass man ab Frühjahr 1942 ge- tenwort über den Dekalog, wo mitgeteilt wurde, dass wusst hat, ein erheblicher Teil der Deportierten würde »Tötung in sich schlecht« ist, »auch wenn sie angeblich im ausgerottet. In Bischof Bernings Notizen findet sich unter Interesse des Gemeinwohls verübt würde«. In diesem Zu- dem 5. 2. 1942 die Vermutung, es bestehe wohl der Plan, sammenhang werden neben den »geistesschwachen« auch »die Juden ganz auszurotten« (S. 97). »Wenn man auf sei- »Menschen fremder Rassen und Abstammung« genannt. ten der Kirche auch nicht die ganze Wahrheit kannte, so Das Wort »Jude« ist tabu. wusste man doch, dass die Deportation für unzählige Pater Volk zeigt in seinet Studie auf, dass es dem Berliner Menschen den Tod bedeutete . . . Diese Aussagen zur sy- Bischof nicht gelang, Kardinal Bertram zu einem Protest stematischen Judenermordung blieben jedoch, vergleicht in Sachen Judendeportation zu bewegen. »Dass er sich man sie mit dem Einsatz der Bischöfe gegen die >Euthana- dem zur Enttäuschung der Eingeweihten fürs erste ent- sie<, vorsichtig und abstrakt« (S. 98). Schewick versucht zog, rückt seine Ablehnungsgründe unter den Verdacht die Gründe aufzuzählen, die zur Haltung der Bischöfe in der Ausflucht«, schreibt Pater Volk. Offensichtlich wollte der Judenfrage geführt haben: 1. Unsicherheit über das der Kardinal, so meint Volk, mit einem Protest oder einer Ausmass der Verbrechen, 2. Furcht, durch energisches Eingabe nicht an das innerste Reizzentrum der NS-Ideo- Auftreten die Dinge noch zu verschlimmern, 3. Resigna- logie rühren. Erst am 17. 11. 1943 schrieb der Vorsitzende tion hinsichtlich der Möglichkeit irgendeiner Einflussnah- der Bischofskonferenz an Himmler. Aber zu dem Zeitpunkt me, 4. Sorge, -angesichts der bevorstehenden Niederlage waren viele der Deportierten gerade auch aus Deutsch- Deutschlands im Kriege, Objekt eine neuen »Dolchstoss- land bereits ermordet. Am 29. 1. 1944 verurteilt Kardinal Legende« zu werden. Wir halten diese Argumente subjek- Bertram die Aussonderung der Mischlinge, »an deren Ende tiv für richtig, objektiv für nicht stichhaltig. Spätestens im die Ausmerzung droht«. Obwohl Breslau in Schlesien lag, Jahre 1942 hätte man sich durch deutsche Soldaten, die also in derselben Provinz wie Auschwitz, und der Kardinal im Urlaub heimkamen oder in Lazaretten lagen, direkt von allen Bischöfen örtlich am nächsten wohnte, sucht er oder indirekt, Kenntnisse vom wahren Geschehen ver- nicht, sich in irgendeiner Weise damit zu befassen. schaffen können. Offenbar wollte man es nicht allzu ge- Pater Volk schreibt zu diesem Vorgehen: »In der Tat liegt nau wissen. Dass die Bischöfe gerade in der Judensache ein echter und beklagenswerter Unterschied darin, dass Furcht hatten, ist unbestritten, aber man hätte wohl doch den Juden in ihrer Bedrängnis kein zweiter Bischof Galen versuchen müssen, nachdem man sich das Wissen vom erstanden ist. Denn Wirkung hatten die kirchlichen Prote- Massenmord beschafft hatte, alles zu tun, um wenigstens ste gegen Euthanasiemorde erst von dem Augenblick an Katholiken davon abzuschrecken, an diesen Verbrechen gezeigt, als sie nicht mehr nur intern vorgebracht, sondern teilzunehmen. Mit der Resignation der Bischöfe hat die in die Öffentlichkeit getragen wurden.« SS offenbar gerechnet. Aber gerade angesichts der Erfol- Richtig ist zunächst, dass wenn Proteste erfolgten, sie in ge beim Einstellen der Euthanasiemorde wäre Resignation einem internen Briefwechsel geschahen, die Bevölkerung das letzte gewesen, was die Haltung der Bischöfe hätte davon also nichts erfuhr. Im übrigen wurde äusserst vor- bestimmen sollen. Schliesslich, wo es um das Leben von sichtig formuliert und von »Ausrottung der Juden« nie- Millionen von Menschen geht, hätten politische Spekula- mals gesprochen, obwohl Hitler selbst diesen Terminus tionen wie die von der »Dolchstoss-Legende« zurücktre- wiederholt öffentlich in Reden benutzte. Im Jahre 1942, ten müssen. Wir teilen die Meinung von Schewick, dass auf dem Höhepunkt der Mordtaten, verwendete er diesen solche Erwägungen tatsächlich eine Rolle gespielt haben, Terminus nicht weniger als fünfmal. aber die Juden mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen.

41 Es ist allerdings verständlich, dass die Bischöfe sich im schichte mehr, weil sie keine Heilsgeschichte mehr besit- Krieg für die Juden nicht exponiert haben, wenn sie es zen. Die Geschichte der Juden sei zu Ende. Das sind Bau- vorher auch nicht getan hatten, als bereits genug Verbre- steine, die der Eliminierung der Juden den Weg bereitet chen an den Juden verübt worden waren: die systemati- haben, indem die geistigen Abwehrkräfte des katholischen sche Ausplünderung der Juden, ihre Vertreibung, der Po- Volkes geschwächt wurden. Wir sind weit davon entfernt, grom von 1938/39. Das alles hatte man gewusst. Ange- den Rassenhass der Nationalsozialisten mit dem Antiju- sichts dieses Schweigens der Kirche konnten die NS-Ver- daismus der spätmittelalterlichen Kirche gleichzusetzen. brecher ziemlich sicher sein, dass sie mit den Juden alles Dieser hat aber dazu beigetragen, die Solidarität der Ver- tun könnten, ohne dass nennenswerter Widerstand seitens folgten zu durchbrechen; die Kirche hatte sich ja späte- der Kirche erwachsen würde. 30 Jahre später haben Teile stens seit 1936 als Verfolgte betrachtet. der kath. Kirche diesen ganzen Komplex klarsichtig er- In diesem Sinne hat die Landessynode der evangelischen kannt, wenn es im Würzburger Synoden-Dokument von Landeskirche in Baden am 3. Mai 1984 folgendes festge- 1975 wie folgt heisst: »Wir sind das Land, dessen jüngste stellt: »Durch Jahrhunderte wurde christliche Theologie, politische Geschichte von dem Versuch verfinstert ist, das kirchliche Predigt, Unterweisung und kirchliches Han- jüdische Volk systematisch auszurotten. Und wir waren in deln immer wieder von der Vorstellung belastet, das jüdi- dieser Zeit des Nationalsozialismus, trotz beispielhaften sche Volk sei von Gott verworfen. Dieser christliche Anti- Verhaltens einzelner Personen und Gruppen, aufs ganze judaismus wurde zu einer der Wurzeln des Antisemitis- gesehen doch eine kirchliche Gemeinschaft, die zu sehr mus. Deshalb bekennen wir betroffen die Mitverantwor- mit dem Rücken zum Schicksal dieses verfolgten jüdi- tung und Schuld der Christenheit in Deutschland am schen Volkes weiterlebte, deren Blick sich zu stark von der Holocaust4/5.« Bedrohung ihrer eigenen Institutionen fixieren liess und Ein weiteres Argument lautet: Die antijüdische Mentalität die zu den an Juden und Judentum verübten Verbrechen ge- der Katholiken habe allein religiöse und soziale Wurzeln. schwiegen hat. Viele sind dabei aus nackter Lebensangst Gegen Juden sei vor allem polemisiert worden, sofern sie schuldig geworden . .«3 Hinter diese Erklärung sollte liberale, antichristliche Politik mitgetragen hätten. Genau man nicht mehr zurückkommen, sie ist von der Synode an- diese Behauptung wird z. B. durch die erwähnte Äusse- genommen worden, wenngleich auch versucht wird, sie rung von Kardinal Faulhaber deutlich dementiert, wenn er zu verdrängen oder durch anderes zu übertünchen oder die theologische Enterbung der Juden weiterhin postuliert. dagegen zu polemisieren. Diese aufrichtige Erklärung der Der Antijudaismus der Kirche ist nicht mit dem Rassismus Synode sollte stehenbleiben, sie ehrt die Kirche. der Nationalsozialisten identisch, aber der Antijudaismus In diesem Zusammenhang ist nun eine Reihe von Thesen der Kirche hat eine mögliche Immunisierung gegen die aufgestellt worden: 1. Die Katholiken hätten trotz vor- Judenfeindschaft des NS-Regimes verhindert. Es ist hier handener Ressentiments gegen Juden dennoch nicht Hit- wenig sinnvoll, Zitate anzuhäufen, in denen deutsche Bi- ler und sein Antisemitismusprogramm gewählt. Dieser schöfe gerade in Zeiten, wo eine Solidarität mit den Juden Satz ist richtig, müsste aber dahingehend modifiziert wer- notwendig gewesen wäre, sich ausdrücklich von ihnen den, dass viele Katholiken keinen direkten Anstoss an der theologisch distanzierten, wenn auch in Form des Anti- Judenfeindschaft der Nazis genommen haben. Man woll- judaismus: etwa im Hirtenbrief von Erzbischof Gröber te sich zwar das Alte Testament nicht rauben lassen, die 1939 sowie von Bischof Hilfrich von Limburg, ebenfalls zeitgenössischen Juden hingegen blieben ohne Interesse. 1939. Das jüdische Volk sei des Gottesmordes schuldig Zitat: »Damals zerriss der Vorhang im Tempel auf Sion und stehe seit dem Tage der Kreuzigung unter einem Flu- und damit der Bund zwischen dem Herrn und seinem che. Trotz solcher vereinzelter Entgleisungen hat die ka- Volk. Die Tochter Sion erhielt den Scheidebrief, und seit- tholische Kirche jedoch den Rassegedanken verneint, was dem wandert der Ewige Ahasver ruhelos über die Erde . . . von den Nationalsozialisten mit Bitterkeit vermerkt wur- Diese Bücher sind nicht von Juden verfasst, sie sind vom de. (J. Roth, Die Katholische Kirche und die Judenfrage, Geiste Gottes eingegeben und darum Gotteswort und Forschung der Judenfrage, Bd. 4, 1940, S. 163 ff.) Gottesbücher . . Abneigung gegen Juden von heute darf Rudolf Lill kommt nach sorgfältiger Analyse (Rengstorf- nicht auf die Bücher des vorchristlichen Judentums über- Kortzfleisch, Kirche und Synagoge II, S. 408) bei der tragen werden« (Judentum, Christentum, Germanentum, Prüfung der in der Weimarer Zeit neu aufgelegten reprä- Adventspredigten von Kardinal Faulhaber 1933, S. 10 ff.). sentativen katholischen Enzyklopädien: Staatslexikon der Pater Volk (Stimmen der Zeit, 3. H. 1966, S. 185) be- Görresgesellschaft, Lex. für Theologie und Kirche, Der merkt dazu: »Wenn er seine staatsbürgerliche Ehrenhaf- Grosse Herder, zu folgendem Ergebnis: »Darin kommt tigkeit mit dem Argument verteidigt, nichts zur heutigen die schon früher aufgewiesene Ambivalenz zum Aus- Judenfrage in der konkreten Situation, also gegen den na- druck, welche die Haltung der Mehrheit der deutschen tionalsozialistischen Antisemitismus, gesagt zu haben, so Katholiken bis ins Dritte Reich bestimmt haben dürfte. enthüllte das den Grad seiner Bereitwilligkeit, das Gebot Vom radikalen Antisemitismus hielten sie sich fern, den wohlwollender Neutralität gegenüber der Parteidoktrin Verständigungswillen einer langsam erstarkenden Min- im allgemeinen unter die Loyalitätspflichten im weitesten derheit machten sie sich aber nicht zu eigen.« Gleichzeitig Sinne aufzunehmen.« ist ständig vom »modern-jüdischen Liberalismus« und sei- Damit hatte man allerdings die zeitgenössischen Juden nen »zersetzenden« Wirkungen in Wirtschaft und Kultur den Kirchenfeinden preisgegeben, für seine eigene Reli- die Rede. Ausdrücke wie »Weltplutokratie« und »Welt- gion jedoch das AT zu retten gesucht. Kein Wort von der bolschewismus« werden auf Juden angewendet, und in Zusammengehörigkeit von Juden und Christen, sondern diesem Zusammenhang ist von den dunklen Zügen »der es erfolgte die geistliche, die theologische Enterbung des vom Heimatboden vertriebenen jüdischen Volksseele« die Judentums in einem Augenblick, in welchem die Solidar- Rede. ität mit den Juden christliche Liebespflicht gewesen wäre. 4 S. 0. S. 6 f. Diese alte Pseudotheologie lässt sich so skizzieren: Die Erinnert sei auch an das »Gebet für die ermordeten Juden und Kirche ist das wahre Israel, die Juden haben keine Ge- ihre Verfolger« von den deutschen Bischöfen, 11. 6. 1961 (anläss- lich des Eichmannprozesses), in: ebd. XIII (Juni 1961), Nr. vgl.: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik 50/52, S. 3 und an »Bussruf der deutschen Bischöfe« am Vor- Deutschland: Für ein neues Verhältnis zur Glaubensgeschichte abend des Konzils, 23. 9. 1962, in: ebd. XIV (Nr. 53/56), S. 3, des jüdischen Volkes, in: ebd. XXVII/1975, S. 5. dsgl. in: ebd. XXVII/1975, S. 67.

42 Man darf, wie erwähnt, Katholiken nicht zu Pionieren nur ein Beispiel zu nennen. Das Ausland versperrte sich des Rassismus stempeln, wird aber sagen müssen, dass der nicht nur den Juden, sondern auch den Katholiken jüdi- vom Rassismus zu trennende traditionelle Antijudaismus scher Abstammung. Individuell haben Katholiken so ge- die Abwehrkräfte der Katholiken gegen die nazistische holfen wie andere, etwa Protestanten, Sozialisten und Judenfeindschaft erheblich geschwächt hat. So schreibt Kommunisten in Deutschland, jedenfalls kaum mehr als der katholische Historiker Victor Conzemius : »Die Ursa- andere. Eine Priorität einer einzigen Gruppe angesichts che dieser Haltung ist nicht, wie man vordergründig ge- der Judenhilfe zeigt sich nicht. Ludwig Volk ist zuzustim- meint hat, darin zu suchen, dass die Bischöfe auf die men, wenn er für Kardinal Bertram (und das gilt sicher Wahrung katholischer Interessen (Schulen, Verbände) be- auch für andere Bischöfe) sagt: »In seinem vom Kultur- dacht waren. Von grösserer Tragweite war, dass eine for- kampferleben geprägten Amtsverständnis hatte die Auf- maljuristische Sicht der Vorgänge ausserhalb des kirchli- rechterhaltung der Sakramentenspendung und die Pfarr- chen Raumes (Aushöhlung des Rechtsstaates, Perversion seelsorge absoluten Vorrang vor anderen Bischofspflich- der Gesetzgebung, staatliche Willkür) den Horizont der ten, im konkreten Fall dem öffentlichen Eintreten für die Hierarchie einengte. Erst mit zunehmender Verrohung personalen Grundrechte . . . Gegen den Meinungsdruck des öffentlichen Lebens weitete sich die Verantwortung eines Grossteils der Bevölkerung, den die Aufdeckung der auf den bedrohten Mitmenschen, gleich welcher Rasse Untaten des Regimes allerdings erst hätte hervorbringen und Konfession, aus. Im besonderen Fall der Judenverfol- müssen, waren die Machthaber keineswegs unempfind- gung wirkte ein unter Christen weitverbreiteter Antisemi- lich . . .« (Kleine deutsche Kirchengeschichte, 1980, tismus nach; Abwehrreflexe waren nur bei einer kleinen S. 125). So war also die Haltung angesichts der Judende- Minderheit entwickelt.« portation kleinmütig und furchtsam. Man interessierte Juden und Katholiken waren geistig und menschlich zu sich wenig für die Juden, wollte jedoch Mischehen und weit entfernt, als dass sich eine Solidarität angesichts der Mischlinge nicht gefährden und fürchtete laute Stellung- Judenverfolgung aufdrängte. Die alte Judenfeindschaft nahmen. Der Dekalog-Hirtenbrief vom Herbst 1943 kam hatte innerhalb der Kirche mögliche Abwehrmechanismen nicht nur zu spät, sondern war auch inhaltlich nicht gera- geschwächt. Da schon früh die fragwürdige Koexistenz de stark. Auch hier blieb das Wort »Jude« tabu. Es war zwischen Kirche und NS-Staat ein Ende nahm und zu- von den Nationalsozialisten derart negativ belastet und nehmend mehr kirchliche Institutionen ins Schussfeld der zudem von Hitler in den Jahren seit 1939 immer mit dem Nationalsozialisten gerieten, wandte sich die kirchliche Wort »ausrotten« verbunden worden, dass man selbst das Abwehr dem Erhalten der eigenen Existenz zu, was im Aussprechen des Wortes »Jude« nicht mehr zu wagen übrigen immer schwieriger wurde, je mehr sich der totali- schien. täre Staat festigen konnte und das politische Klima für al- Die Wurzeln allen Unheils war und blieb für Hitler und le NS-Gegner rauher wurde. Die anfängliche Anpassung seine Anhänger das Judentum. Deshalb trafen sein Hass einer Reihe von Katholiken hat sich dabei nicht ausge- und sein rasender Vernichtungswille zuerst die Juden. zahlt, denn der NS-Staat blieb kirchenfeindlich und zeig- Aber je länger, um so mehr trat dahinter das Christentum te diese Haltung auch zunehmend mehr. Trotz dieser kir- als eine durch und durch »jüdische Erfindung« auf. So chenfeindlichen Haltung der NS-Machthaber fand eine hingen die jüdische und die christliche Frage im NS-Staat Solidarität mit der verfolgten jüdischen Minderheit nicht viel enger zusammen, als den christlichen Kirchen je be- statt. Dies ist um so bedauerlicher, weil das Kirchenvolk wusst gewesen ist. Nur der Untergang Hitlers hat verhin- seiner kirchlichen Führung im Weltanschauungskampf dert, dass den Christen dafür gewaltsam die Augen geöff- um das Wertesystem in der grossen Mehrheit gefolgt ist. net wurden. Gleichwohl hat die Kirche den Träger der Staatsgewalt Das 2. Vatikanische Konzil hat theologische und mensch- auch im totalitären Regime akzeptiert und ihm als legale liche Konsequenzen aus dem Scheitern gezogen. Papst Obrigkeit gehorcht. Das Ja zum Staat und das Nein zum Johannes Paul II. stammt aus Krakau, das nicht weit von Regime ist eine der Ursachen für dieses eigentümliche Auschwitz entfernt liegt. Er selbst hat daher ein Verständ- Schwanken: geistige Abwehr nach innen und Gehorsam nis gezeigt, das nur jemand haben kann, der nicht apolo- nach aussen, mit all den tragischen Folgen, die das Werte- getisch argumentiert, sondern mit Verfolgten mitleidet. system nicht unberührt liessen. Mit dem Terminus der Das kommt zum Ausdruck, wenn er 1980 in Mainz sagte: »Gruppenräson« allein war man dem Phänomen der man- »Dabei geht es nicht nur um die Berichtigung einer fal- gelnden Solidarität mit den Juden nicht gerecht, wenn- schen religiösen Sicht des Judentums, welche die Verken- gleich es gewiss auch eine Rolle gespielt hat. Damit ist ge- nungen und Verfolgungen im Lauf der Geschichte zum Teil meint, dass sich Katholiken als geschlossene, eigene mitverursachte, sondern vor allem um den Dialog . . .« 6 Gruppe betrachteten, die durch Eintreten für andere nicht Und an anderer Stelle spricht der Papst mit Bezug auf die belastet werden sollte. Das war früher nicht immer so: Erklärung der deutschen Bischöfe über die gemeinsamen Der bedeutende Zentrumsführer Ludwig Windthorst ist Aufgaben: »Juden und Christen sind als Söhne Abrahams 1880 im Reichstag dem Antisemitismus wie folgt entge- berufen, Segen für die Welt zu sein, indem sie sich ge- gengetreten: »Keine Judenhetze, aber auch keine Chri- meinsam für den Frieden und die Gerechtigkeit unter allen stenhetze, und vor allem auch nicht eine Katholikenhet- Menschen und Völkern einsetzen.., mit der Bereitschaft ze.« Hier hat der Solidaritätseffekt funktioniert, ohne zu den Opfern, die dieses hohe Ziel erfordern mag . . .« 7 dass die eigene Gruppe belastet worden wäre, im Gegen- Hier klingen neue Töne an. Seit dem Konzil haben Juden teil. Freilich, das haben wir hinzuzufügen, kämpfte und Katholiken miteinander einen guten Weg begonnen, Windthorst im Kaiserreich und nicht im totalitären Ver- auf dem wir zwar die Last aus der Vergangenheit mittra- brecherregime. gen, aber diese verwandeln zum Segen für Juden und Die verfolgten katholischen »Nichtarier« liess man aller- Christen. dings nicht im Stich, 10 350 konnten über den Raphaels- verein, eine katholische Hilfsorganisation, auswandern. Dass es nicht mehr waren, ist nicht die Schuld der katholi- 6 vgl. Papst Johannes Paul II. in Mainz, in: ebd. XXXII/1980, S. 3f. schen Institutionen, sondern des Auslandes und der NS- ' vgl. u. a.: Ansprache von Johannes Paul II. an die Repräsentan- Behörden. Selbst die vom Vatikan angeforderten brasilia- ten jüdischer Organisationen am 12. 3. 1979, in: ebd. XXX/ nischen Visen konnten nicht voll ausgegeben werden, um 1978, S. 13-15.

43 IV »...Wo ist dein Bruder Abel?« Predigt von Flüchtlingspfarrer Paul Vogt, Zürich, gehalten am 27. Juni 1944 in der evangelisch-reformierten Leonhardskirche in Basel"' im Verein der Freunde Israels

Text: 1. Mose 1, 9. 10** Heute erteilen »Christen« die gleiche, klassische Kains- antwort achselzuckender Verantwortungslosigkeit: Ich Der Herr sprach zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er weiss nicht, wo der Jude ist. Es geht mich auch sauber rein sprach: Ich weiss nicht. Bin ich denn meines Bruders gar nichts an. Und heute wird von »Christen« dieselbe Hüter? — Er aber sprach: Was hast du getan? Horch, das klassische Kainsantwort achselzuckender Erbarmungslo- Blut deines Bruders schreit zu mir empor vom Ackerland. sigkeit und Herzlosigkeit erteilt: Bin ich denn meines Bru- ders Hüter? Das fehlte gerade noch, dass ich christlicher Judenhüter sein müsste! Angefangen wird diese christliche In unserer Jugendzeit sind die Augen des Vaters for- Kainsantwort bei den Fingerzeigen christlicher Schüler schend und fragend auf Sohn oder Tochter gerichtet ge- auf Judenkinder. Und fortgesetzt wird sie durch all die wesen, wenn sie ohne den anvertrauten Bruder aus dem billigen Judengeschichtlein, die mit kindlicher Freude in Dorf oder der Stadt zurückgekehrt sind. Scharf hat dann Umlauf gesetzt werden. Und vollendet wird diese Anwort der Vater gefragt: wo ist dein Bruder? im Höhepunkt der Unmenschlichkeit: Es ist ganz recht, Gottes Augen sind forschend und fragend auf den Bru- wenn die Juden ausgerottet werden mit Stumpf und dermörder Kain gerichtet gewesen. Gottes Frage hat den Stiel! — Brudermörder Kain schneidend scharf gefragt: Wo ist Die Augen Gottes ruhten unerbittlich auf Kain während dein Bruder Abel? seiner Kainsantwort. Die Augen Gottes ruhen unerbittlich Heute sind Gottes Augen forschend und fragend auf uns auf uns Christen während unserer Kainsantworten. Es Christen jetzt und hier gerichtet. Gott fragt uns Christen sind die Augen des Heilands am Kreuz. Es sind die Augen heute und hier unüberhörbar deutlich seine Gottesfrage, des Haupts voll Blut und Wunden. Sie enthalten einen die uns Tag und Nacht nachläuft und uns nicht zur Ruhe stillen Vorwurf: Ihr Christen, habe ich euch gelehrt, so zu kommen lassen will: Wo? Wo? Wo? denken, so zu reden, so zu handeln? Habe ich euch in der Du Christ in der verschonten Schweizerheimat, wo ist Seligpreisung gesagt: Selig sind die Hassenden, die das dein Bruder, der heimatlose Jude? Judenvolk hassen, denn sie werden das Land besitzen? Du christliche Mutter in verschonter Schweizerheimat, Selig sind die Menschen, die im Rassenwahn und Rassen- die du deine Kinder lieben, hegen und pflegen darfst: Wo hass Gegensätze aufreissen, denn sie werden Söhne Got- sind heute die heimatlosen Judenkinder? tes heissen. Ihr christlichen Männer in verschonter Schweizerheimat, Habe ich euch gelehrt: Du sollst Gott deinen Herrn lie- wo sind die Witwen, die Waisen, die Hungrigen, die Dur- ben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich stigen, die Fremdlinge aus dem Volk des Heilands, das er selbst — ausgenommen die Juden? glühend liebte und dem auch seine herrliche Heilandsein- Habe ich euch gesagt: Was siehst du den Balken in deines ladung gilt: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Splitters in dei- beladen seid, ich will euch erquicken! Wo sind die Brüder nem eigenen Auge? aus dem Volk des Petrus, dem die Augen aufgingen für Vergessen wir diese vorwurfsvollen Heilandsaugen bei die einzigartige Herrlichkeit des Gottessohnes im Juden- unseren Kainsantworten nie! — sohn Jesus von Nazareth? Wo sind heute die Volksgenos- sen des Paulus von Tarsus, die er so herzlich liebte, dass er bekannte: »Ich wünschte als ein Verfluchter selber fer- Hausierer müssen es sich gefallen lassen, an mancher ne von Christus zu sein zum Besten meiner Brüder?« Haustüre kurz abgefertigt zu werden durch billige Aus- Gottes Frage ist immer Frage nach dem Bruder. Heute reden. und hier ganz deutlich Frage nach den Brüdern aus Abra- Gott lässt sich nie billiger abfertigen durch menschliche hams Volk: Wo sind sind sie alle? Ihr Christen, sagt wo? Ausreden. Weder an der Tür der Weltgeschichte mit der grossen Politik, noch an der Türe unserer Lebensge- schichte mit der kleinen Politik unseres Umganges mit Kain hat auf die Gottesfrage nach dem Bruder Abel seine Menschen. Kainsantwort gegeben. Es ist die klassische Antwort der Gott selber gibt nach Kains Antwort seine Gottesantwort. achselzuckenden Verantwortungslosigkeit: Ich weiss Sie stammt aus seinem untrüglichen Wissen um des Men- nicht. Aus dieser Kainsantwort klingt der Trotz der Re- schen Schuld und Sünde: »Was hast du getan? Horch, das ' bellion: Was geht es dich, Gott, an, wo mein Bruder ist? Blut deines Bruders schreit zu mir empor vom Acker- Und was geht das mich an, wo mein Bruder ist? — Sauber land.« — rein gar nichts! Gott gibt uns Christen heute auch seine Gottesantwort. Und die Kainsantwort ist zugleich die klassische Antwort Sie ist ein dicker Strich durch jede billige Ausrede: Ich der achselzuckenden Erbarmungslosigkeit und Herzlosig- weiss nicht. Gott entgegnet: Ich aber weiss es! keit: Bin ich denn meines Bruders Hüter? Das fehlte gera- Gott weiss um das Rudel Judenkinder, dessen Eltern vor de noch, dass ich Bruderhüter sein müsste! Jahresfrist deportiert wurden und die völlig verwahrlost und demoralisiert den Stacheldraht unserer Grenze über- klettert haben. */** In: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Weitere Dokumente Gott w-eiss um das Ende ihrer jüdischen Väter und Müt- zur Juden- und Flüchtlingsnot unserer Tage. Hrsg. vom Schwei- ter. zerischen evangelischen Hilfswerk für die bekennende Kirche in Deutschland mit Flüchtlingsdienst. Zollikon-Zürich 1944. Evan- Gott weiss, wie die Ghettos von Polen geleert worden gelischer Verlag. S. 7-13. sind.

44 Gott weiss um das, was heute in Ungarn geschieht an — Wir Christen sind in Jesus Christus mit den Juden die 800 000 jüdischen Menschen. Mitgerichteten. Die Juden sind in Jesus Christus mit uns Gott weiss um den Brief des ungarischen Juden mit sei- Christen die Mitgeretteten. nem Hilfeschrei: Die Busse der Kirche ist heute der Missionsbefehl Gottes. »Aus obigem ersehen Sie, dass das ganze ungarische Ju- Busse ist die Wendung um 180 Grad, nicht von Gott weg, dentum zum Tod verurteilt ist. Es gibt keine Ausnahme, sondern zu Gott hin, nicht vom Bruder weg, sondern zum es gibt kein Entfliehen, es gibt keine Verbergungsmög- Bruder hin, nicht vom Juden weg, sondern zum Juden lichkeit und wir sehen unserem Schicksal entgegen. Für hin. — uns besteht nicht einmal die Möglichkeit, sich in ein be- Ich möchte beide Hände ausstrecken zu Gott empor: Ver- nachbartes Land zu flüchten, wohin? Das einzige in Be- gib uns Christen, dass wir Christus Schande gemacht ha- tracht kommende Land ist Rumänien, aber seine Grenzen ben! Unsere Schuld ist unleugbar offenbar geworden. auf ungarischer Seite sind so bewacht, dass ein Entkom- Und ich möchte beide Hände ausstrecken zu den Juden men fast ausgeschlossen ist. Es gibt nur zwei Möglichkei- hin: Vergebt uns Christen unser christusloses, christusfer- ten: Selbstmord oder sich dem Schicksal überlassen. Bitte nes Christsein! — unternehmt alles bei allen möglichen Stellen und Men- Busse der Kirche ist Missionsaufgabe Gottes. schen mit Herz. Helfet, helfet, helfet!!!« Damit aus echter Busse Gemeinde werde, in welcher Ge- Gott weiss um Vergasung und Verbrennung von täglich meinschaft lebendig ist, von der es heisst: Da ist nicht Ju- 8000 Judenleibern im Exekutionslager Auschwitz. de noch Grieche, da ist nicht Knecht noch Freier, da ist Das alles ist Frucht von lieblosem Denken, verantwor- nicht Mann und Weib, ihr alle seid einer in Christus Jesus. tungslosem Reden, gottlosem Tun. Busse der Kirche ist Missionsaufgabe Gottes. So wenig sind wir »Christen« Christen gewesen, dass wir Damit aus echter Busse Gemeinde werde, in welcher Lie- das Grauenhafte verhindern konnten. So wenig Salzkraft, be lebendig ist, nicht Rechthaberei, nicht Gesetzlichkeit, Leuchtkraft, Werbekraft ist von unserem Christentum nicht Selbstgerechtigkeit, sondern Liebe Jesu Christi, die ausgegangen. alles trägt, alles glaubt, alles hofft, alles duldet. Horch! sagt Gott. Horch! du Christ. Horch, das Blut Busse der Kirche ist Missionsaufgabe Gottes. deines Bruders, des Juden, schreit zu mir empor vom Damit aus echter Busse Gemeinde werde voll lebendiger Ackerboden! — Hoffnung auf das Kommen des wiederkommenden Mes- sias mit seinem Reich der Gerechtigkeit und des Friedens, IV. zu dem ganz Israel gerettet wird. Kürzlich sagte mir eine alte Christin: »Ich bin bis auf die Amen. Knochen erschrocken.« — Gebet: Wer über der Gottesantwort bis auf die Knochen er- Heiliger Gott, mit tiefer Beschämung und tiefem Er- schrickt, der erlebt ein heilsames Erschrecken. Es macht schrecken kommen wir heute zu Dir. Du hast uns gefragt aller falschen, einseitigen Beschuldigung ein radikales En- nach unserem Bruder, dem Juden. Und Du hast uns ge- de. Man kann dann den Juden nicht mehr einfach sagen: sagt, dass Du alles weisst, was mit diesem Bruder gegan- Ihr seid die Schuldigen. Ihr habt ja geschrien: Sein Blut gen ist und heute geht. 0 Heiliger Gott, wir sind nicht komme über uns und unsere Kinder. Die Richtung des wert, vor Dir zu stehen, weil wir Christen so wenig geliebt Zeigefingers wird um 180 Grad abgeändert und abgebo- und so wenig geglaubt und so wenig vertraut haben, dass gen. Der Zeigefinger zeigt dann auf uns selber. Er zeigt mitten in unserem Christentum die Gottlosigkeit das Volk auf uns, die Mitschuldigen. der Juden ganz ausrotten will und wir es nicht mehr hin- Wo das heilsame Erschrecken bis auf die Knochen erlebt dern können. 0 Vater, erbarme Dich, erbarme Dich. Ver- wird, da tönt ein zweites: Horch! — Horch, das Evange- gib uns unsere grosse Schuld. Hilf uns zu einem neuen lium! Horch, was der Heiland sagt, bei der Einsetzung Leben in der Nachfolge unseres Herrn und Heilandes. des heiligen Abendmahles: »Das ist mein Blut des Bundes, Hilf uns zu seinem Frieden, zu seiner Liebe, zu seiner das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden!« Barmherzigkeit. Tilge alle unsere Selbstgerechtigkeit. Horch, was der Jünger Johannes aus dem Judenvolk be- Zeig uns, wie erbärmlich unsere Moralität ist. Deck uns zeugt: »Das Blut Jesu, des Sohnes Gottes, reinigt uns von weiterhin den Zustand unserer Herzen auf. Reiss uns her- aller Sünde.« — aus aus aller unserer Gleichgültigkeit, allem unserem Horch, was der Verfasser des Hebräerbriefes verkündigt: Kainsdenken und unserer Kainsgesinnung. 0 hilf, dass »Ihr seid gekommen zu dem Mittler des neuen Bundes, Deine Kirche auf Erden wirklich Busse tut in Sack und Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das mächtiger Asche, Busse tut für alles Vergessen Deines Wortes und redet als das des Abel.« — Deines Willens, für alle Verachtung Deiner Verheissung Diese Juden! rebelliert unser Kainsherz. Auch für sie ist und Verharmlosung Deines Evangeliums. Hilf, dass Dei- Jesus Christus gestorben und auferstanden, das Lamm, ne Gemeinde auf Erden wirklich Hort wird für die Recht- das der Welt Sünde trägt, antwortet das Evangelium. Die- losen und Wehrlosen und Heimatlosen und Hilflosen. se Christen! lautet die Selbstanklage, wenn wir bis auf die Erbarme Dich der verfolgten Juden. Erbarme Dich der Knochen erschrocken sind. Auch für euch ist Jesus Chri- sterbenden Juden. Erbarme Dich der leidtragenden Juden. stus gestorben und auferstanden als das Lamm Gottes, das 0 komm Herr Jesu, komme bald! der Welt Sünde trägt, — tröstet der Trost des Evangeliums. Amen.

45 V Zum Gedenken: In Gurs, in Freiburg und an »Juden in Baden« A Ansprache von Oberbürgermeister Dr. Rolf Böhme, Freiburg, anlässlich der Gedenkfeier auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs (Südfrankreich) am 29. April 1984 Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Böhme sowie der Redak- 1400 Juden, im Jahre 1939 800 Juden, Ende 1940 41 Ju- tion entnommen dem »Mitteilungsblatt des Oberrates der Israe- den, 1942 keine Juden mehr. liten Badens für die angeschlossenen Gemeinden« (37/6), Karls- ruhe, Juni 1984. Welch menschliche Schicksale verbergen sich hinter die- sen Zahlen der Opfer einer einzigen Stadt und wieviel Am 22. Oktober 1940 wurden auf Anordnung der damali- Not, Elend und Verderben hat das dutzendjährige Reich gen deutschen NS-Machthaber aus ganz Baden 5617 Ju- des Faschismus vielen Menschen in Europa und in der den innerhalb von wenigen Stunden zu zentralen Sammel- ganzen Welt zugefügt! lagern in Frankreich und von dort hierher in das Lager Unsere Gedanken sind jetzt bei den 1250 Toten, die hier Gurs am Nordhang der Pyrenäen verbracht. Es waren in Gurs auf dem Friedhof ihre letzte Ruhestätte fanden, Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder und alte Menschen. fernab ihrer badischen Heimat und herausgerissen aus ih- Der älteste Deportierte war ein 98jähriger Greis, Moritz rer vertrauten Umgebung. Die Namen und Heimatorte Steiner aus Mannheim. auf den Gedenktafeln berühren uns besonders, weil sie Ein Grossteil dieser Menschen musste später den Gang in zeigen, dass hier unsere Nachbarn liegen und wir daher die Vernichtungslager Auschwitz und Majdanek antreten. nicht abstrakt, sondern konkret und persönlich zur Re- Über 70 Prozent der nach Gurs Deportierten starben so chenschaft gefordert sind. Heute sind rund vier Jahrzehn- als Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. te seit den damaligen Verbrechen vergangen, aber unsere Das bis dahin blühende Judentum in Baden war damit in Verantwortung wird nicht geringer. Sicher sind viele Mit- kurzer Zeit fast völlig ausgelöscht worden. Vor Beginn bürger, alle jungen Menschen, für das Geschehen der NS- der Nazi-Diktatur lebten in ganz Baden über 24 000 Ju- Zeit nicht verantwortlich zu machen. Aber wir alle haben den. Viele flohen rechtzeitig und entgingen dem Holo- dafür einzustehen, wie die damalige Zeit in unserer Ge- caust. Nach der Nazi-Herrschaft und dem Krieg gab es in schichte weiterlebt, und wir alle haben heute die Verant- Baden praktisch keine Juden mehr. Nur wenige Men- wortung, dass sich dieses dunkle Kapitel unserer Ge- schen kamen geschunden und erschöpft aus den Lagern schichte nie, nie wiederholt. zurück. Selbst am Anfang der 60er Jahre, also 15 Jahre Können wir sicher sein, dass dieses Gelöbnis für die Ge- nach dem Krieg, gab es in ganz Baden nur wieder rund genwart und Zukunft gehalten wird? 650 jüdische Gemeindemitglieder. Sehen wir nicht noch heute immer wieder Menschen, die Diese Zahlen sind Zeugen der Geschichte unserer jüdi- wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe schen Mitbürger in Baden, einem Land in Deutschland, oder wegen ihrer politischen Überzeugung verachtet, ver- das am Rhein zwischen Bodensee und Mannheim liegt folgt und misshandelt werden? und das bis zur Nazi-Herrschaft auf seine liberale und de- Und zweifeln nicht immer mehr Menschen, ob die schlei- mokratische Tradition seit dem 19. Jahrhundert stolz sein chende Zerstörung unserer natürlichen Umwelt oder die konnte. Die Zeit der Verfolgung ab 1933 hat aber auch immense Aufrüstung mit furchtbaren Vernichtungswaffen unser Land schuldig gemacht. Wir gedenken heute dieser in Ost und West die Welt nicht wieder einer neuen Kata- dunklen Geschichte, wir beklagen die Opfer und wir erin- strophe entgegentreiben lässt? nern uns unserer jüdischen Mitbürger. Wir empfinden Unsere Jugend und wir selbst stellen immer wieder die Schmerz und Scham über die Taten des NS-Regimes, und quälende und bohrende Frage, wie das Holocaust des Fa- wir trauern um unsere jüdischen Mitbürger, die unsere schismus möglich war. Die Mahnmale hier in Gurs und in Nachbarn waren. Wir gedenken zugleich der vielen ande- ganz Europa, für die der Name Auschwitz zum schreckli- ren Millionen Verfolgten, die kein Grab fanden, sondern chen Symbol eines unmenschlichen und zugleich sinnlo- in den Konzentrationslagern der unerbittlichen und un- sen Terror-Systems wurde, schärfen unser Wissen und menschlichen Maschinerie des Todes der NS-Machthaber Gewissen für die Vergangenheit. zum Opfer fielen. Diese Opfer dürfen nicht vergessen Aber diese Erinnerung darf nicht in Gedenktafeln verstei- bleiben; denn Unkenntnis der Vergangenheit ist ein Ver- nern und in Stunden wie heute nur zu einer momentanen lust für das Bewusstsein der Gegenwart und der Verant- Mahnung und Betroffenheit führen. Das Schicksal unse- wortung für die Zukunft. Der Faschismus war kein Na- rer badischen Juden, unserer früheren Mitbürger und turereignis, sondern wurde von damals handelnden Men- Nachbarn, soll uns vielmehr helfen, für die Zukunft aus schen gemacht und durchgesetzt. der Geschichte zu lernen. Die heutige Feierstunde soll da- Deshalb ist die heutige Gedenkstunde vor allem eine her ein Zeichen setzen, dass wir im Wissen und im Ge- Mahnung an uns Bürger von heute, sich die Geschichte denken an 12 Jahre unseliger faschistischer Diktatur eine der NS-Herrschaft immer wieder bewusst zu machen und bessere Gegenwart und Zukunft gestalten wollen für Frie- mit unseren Kräften dafür zu sorgen und einzustehen, den, Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde. dass Frieden, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und In Trauer und Ehrerbietung verneige ich mich vor den Menschlichkeit täglich neu verwirklicht werden müssen. Toten, die hier in Gurs ihr Leben liessen in Hoffnungslo- In diesem Sinne spreche ich heute in Gurs als Oberbürger- sigkeit, Elend und Verzweiflung — uns Lebenden zur meister der Stadt Freiburg im Breisgau und zugleich als Mahnung und Verpflichtung. Vertreter aller badischen Städte, Gemeinden und Land- Ich danke Ihnen allen, meine Damen und Herren, für Ih- kreise, welche diesen Friedhof und die Mahnstätte in re Verbundenheit in dieser Stunde der Trauer und Besin- Gurs pflegen, um unseren jüdischen Mitbürgern eine letz- nung. Ich danke Ihnen allen, die mithelfen, die Gedenk- te Ehre zu erweisen. stätte zu erhalten als Mahnmal für uns selbst und für die In meiner Heimatstadt Freiburg lebten im Jahre 1925 kommenden Generationen.

46 B Ansprache von Hans H. Altmann am 29. April 1984, >Jom Hashoa<" -, auf dem jüdischen Friedhof in Freiburg i. Br."-*

Im 8. Kapitel Jeremia lesen wir: »Wozu sitzen wir? Wir jeder von uns, bevor er sich hier setzte, mit sich zu Rate hoffen auf Heil und nichts Gutes ist da, auf Zeit der Hei- ging, warum er dies tat, und sollte ihn die Reue ergriffen lung und siehe da Schrecken. Ja siehe, ich lasse los gegen haben, dass er so handelte, oder noch die Reue ergreifen, euch Schlangen und Ottern, für die es keine Beschwörung ich hoffe, dass jeder von uns dann seinen Entschluss zu- gibt, und sie werden euch beissen, ist der Spruch des Ewi- rücknimmt und nicht da sitzen bleibt, wo er sitzt. gen.« Es war einmal richtig — und wieder lesen wir bei Jeremia: Treffender kann man wohl kaum jene dunklen Jahre be- »Wir sind sehr zu Schanden, denn wir müssen das Land schreiben, die jene, die hier sitzen, überleben durften, und verlassen, denn sie haben unsere Wohnungen niederge- die jenen unzähligen, derer wir heute gedenken, das Le- worfen.« Dies war, meine Freunde, und daher meine ben kosteten. Und da kommt nun wieder die Frage: Frage: Seid ihr mit euch zu Rate gegangen, bevor ihr die Wozu sitzen wir? Frage stellt: Wozu sitzen wir hier? Denn auch das sagt Deutlich die jüdische Antwort: Um jene Gebete zu spre- Jeremia: »Wie lange soll das Land trauern und das Gras chen und zu hören, die Jahrhundert über Jahrhundert alles Feldes dorren?« Und auch so sprach er: »Ihr werdet Märtyrer des Judentums über die Zeiten verbinden, um kein Schwert sehen und Hunger wird bei euch nicht sein, sie nicht reissen zu lassen, jene Kette, die mit Blut und sondern dauernden Frieden werd' ich euch geben an die- Tränen Generationen verbindet. »Wir hoffen auf Heil sem Ort.« und nichts Gutes ist da«, so mit Jeremia sprachen und So gedenken wir also und tun dies — das muss mit aller schrien wir aus allen Ecken der Welt, wohin uns die Vor- Deutlichkeit gesagt werden für die, denen es gefällt, und sehung verschlagen. denen, denen es missfällt — genau von dem Orte aus, von Und wie wir damals Kaddisch sagten und das El mole ra- dem wir in die Vernichtung oder in die Ferne geschickt chamim hörten, so sagen wir heute Kaddisch und hören wurden. Das ist des Nachdenkens wert, über den Sinn sol- das El mole rachamim, und wie damals die Schlangen und chen Handelns sollte man denken und sprechen. Ich mei- Ottern, für die es keine Beschwörung gab, gegen uns los- ne, hier waltet kein Zufall, hier warten Aufgaben. Hier gelassen wurden, so beissen sie uns auch heute noch — und warten keine Klagen und Beschwerden, denn jeder einzel- Jeremia sagt: das ist der Spruch des Ewigen. ne könnte es auch anders haben, er ist nicht gezwungen, Wir erinnern uns also, wir gedenken, wir verbinden in hier zu sitzen. Gedanken Zeiten, Menschen und weltweite Entfernun- Tut er es dennoch — ich persönlich halte es für richtig, gen. Wir sinnen nicht auf Rache, aber wir wollen nicht dass er sich nicht gegen die Vorsehung stemmt —, so muss vergessen, wir wollen nicht sühnen, aber wir wollen ge- er vorher mit sich ins reine gekommen sein, er muss wis- denken. Wozu sitzen wir aber hier? Auf dem guten Ort sen, dass er gedenkt, dass er sich erinnert, von wo aus er einer Stadt, die 400 Jahre keine Juden in ihren Mauern dies tut und warum er es gerade von diesem Orte in die duldete und die sie dann, als sie kommen durften, wieder Wege lenkt. »Hunger wird nicht bei euch sein« — wahr- in den Tod schickte?' Wozu aber sitzen wir hier? lich, so ist es. »Ihr werdet kein Schwert sehen«, auf den Ich hoffe, dass jeder einzelne genau weiss, warum er hier dauernden Frieden wartet die ganze Welt. Die grosse sitzt, in einer Stadt und in einem Lande, wo wir einstmals Welt da draussen und die kleine Welt bei uns. Um den auf Heil hofften, »auf Zeiten der Heilung, siehe da dauernden Frieden an diesem Ort haben wir noch sehr zu Schrecken«. Ich hoffe — und genau dies ist die Stunde der ringen. Wahrheit, meine Freunde —, dass jeder von uns, da die Versuchen wir es mit den Menschen, den Nachbarn, die grausigen Bilder des Holocausts sich über die blühenden mit und um uns leben, versuchen wir es unter den Mitglie- Felder eines herrlichen Frühlings projizieren wollen, dass dern dieser kleinen Gemeinde und gedenken wir immer des grossen Unglücks, neben dem unsere täglichen Miss- geschicke noch nicht einmal einem Staubkorn des Univer- * Erinnerungstag der Jüdischen Welt im Gedenken an alle NS- Opfer. sums gleichen. ** Mit auch freundlicher Genehmigung von H. H. Altmann und Vielleicht können wir dann selbst an einem solchen Tage der Redaktion des »Mitteilungsblattes des Oberrats der Israeliten und an einem solchen Orte zu der Auffassung Hillels Badens« s. o. S. 46. kommen: »Sondere dich nicht von der Gemeinschaft ab 1 s. auch o. S. 46. Ansprache von Oberbürgermeister Dr. Böhme und glaube nicht an dich bis zu deinem Todestag, und auf dem Deportiertenfriedhof in Gurs sowie Ansprache von Ge- orges Stern, S. 46. richte deinen Nebenmenschen nicht, bis du in seine Lage (Anmerkungen d. Red. d. FrRu) kommst.«

C Ansprache von Georges Stern anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Juden in Baden 1809-1984: 175 Jahre Oberrat der Israeliten Badens«"/"'"

Seit dem vergangenen Jahr werden in der deutschen Öf- hinzuweisen, um sie nicht der Vergessenheit anheimfallen fentlichkeit Rückblicke in unser Jahrhundert besonders zu lassen. Uns allen sollten die Stadien bewusst bleiben, intensiv angestrengt. 1983 war es der Hinweis auf den die schliesslich nach Auschwitz, Majdanek und There- Beginn der NS-Herrschaft vor 50 Jahren, und Jahr für sienstadt führten. Dadurch wird auch deutlich, dass es Jahr bieten sich uns neue Anlässe, auf bittere Ereignisse sich damals nicht um einen plötzlichen Absturz handelte, als ob gleichsam mit einem Schlag die Erde sich geöffnet * Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion dem »Mittei- hätte, um dem Inferno freien Lauf zu lassen. Die Barbarei lungsblatt der Israeliten Badens« (37/8), Karlsruhe, August 1984, entwickelte sich, wurde von Mal zu Mal immer grausa- entnommen. ** vgl. u. S. 148. mer. Und diese Entmenschlichung vollzog sich vor aller (D. Red. d. FrRu) Augen.

47 Sosehr Juden und Nichtjuden, sosehr wir alle daran inter- land als das der vernichtenden Barbarei für möglich hiel- essiert sein müssen, diese Entwicklung bis hin zu perfekt ten. organisiertem Massenmord wachzuhalten — der Würde Das Wagnis hat sich gelohnt, wenn wir alle uns auch ge- der gewaltsam Entwürdigten wegen und weil wir der jun- stehen müssen, dass wir noch immer am Anfang stehen gen Generation, den Unbeteiligten, die mit keiner Schuld und in unserer Wachsamkeit nicht nachlassen dürfen. belastet sind, helfen wollen, frühzeitig Gefahren zu erken- Nur — um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen — nen —, so deutlich müssen wir auch sehen, dass für einen diese Wachsamkeit ist nicht die herausragende Rolle der Grossteil der deutschen Bevölkerung das Bild vom Juden Juden in unserem Land. Die Juden sind nicht die bestell- fast ausschliesslich der geknechtete und gepeinigte Jude ten leidgeprüften und darum besonders aufmerksamen ist. Wachhunde. Diese Aufgabe obliegt allen. Denn am Der Oberrat der Israeliten Badens, so nennt sich traditio- Schluss sind alle betroffen. Wer die Würde dem einzelnen nell die Gemeinschaft der Juden im badischen Landesteil, abspricht, spricht sie allen ab — auch und zuerst sich selbst. möchte mit dieser Ausstellung den Blick weiten. Sie doku- Mit dieser Ausstellung wollen wir auch ins Gedächtnis zu- mentiert die vielfältigen kulturellen, wissenschaftlichen rückrufen, wie eng christlich-abendländischer Geist mit und wirtschaftlichen Leistungen überzeugter jüdischer dem Geist des Judentums verwoben ist, weil sich beide Patrioten, deren leidenschaftliche Verantwortung für ih- über Jahrhunderte hinweg befruchteten. Und wir sollten ren Staat, dem sie sich nicht weniger deutlicher zurechne- darüber Rechenschaft abgeben, dass die Geschichte des ten als andere. Abendlandes ohne das Judentum nicht hinreichend erklärt Wir wissen, dass wir an diese Tradition nicht einfach an- und verstanden werden kann. k.nüpfen können, um sie heute problemlos und unbeküm- Hätte dieses Bewusstsein der Befürchtung vorgeherrscht, mert fortzusetzen. Dazu war der Einbruch zu gross und wäre es nicht im nationalistischen Wahn krampfhaft un- das Martyrium in seinem Ausmass zu schrecklich. Dar- terdrückt worden, dann hätte dieses Jahrhundert vermut- über hinaus müssen wir uns verdeutlichen, dass vor der lich einen anderen, glücklicheren Verlauf genommen. NS-Diktatur in Baden 24 064 Juden lebten. Heute sind es Christen und Juden sind auf eine gemeinsame Basis ver- noch 1350, darunter nicht wenige, die jetzt erst beginnen, pflichtet; es ist für beide oberstes Gebot. Die Kinder ler- hier heimisch zu werden. Diese kleine Zahl jüdischer Mit- nen es im Elternhaus und in der Schule. Jedenfalls sollte bürger erschwert zwangsläufig die Begegnung mit dem es so sein. Es heisst einfach: Liebe deinen Nächsten, er ist Judentum. Wir sollten versuchen, diese Hürde des Ken- wie du. nenlernens zu überwinden. Denn solange wir zu wenig Das ist die Grundlage, auf der wir einander begegnen. Sie voneinander wissen, solange vor allem Juden — nicht zu muss als Richtschnur unseres Verhaltens dienen. Das ist, vergessen als Folge der radikalen und unerbittlichen Ver- wie jeder von uns weiss, eine hohe Anforderung, der wir folgung — wegen ihrer Rarität wie Exoten angesehen wer- nur selten gerecht werden. Doch nicht die Erfüllung des den, kann ein Dialog schwerlich entstehen. Gebotes ist die Richtschnur, sonst müssten wir frühzeitig Und damit wären also Versuche des Neubeginns eines be- verzagen, sondern das Bemühen. Darin sollten wir alle wussten und reiferen Miteinanders gescheitert, noch ehe miteinander wetteifern. wir ernsthaft den Versuch gewagt haben. Doch wir wol- Erlauben Sie einem Angehörigen der jüngeren Genera- len dieses Risiko nicht unvorbereitet und nicht leichtsinnig tion, der — nur — seines Alters wegen von der Mühsal und auf uns nehmen. Die Erfahrungen in diesem Jahrhundert der Verfolgung verschont blieb und bewusster Bürger die- lassen einen solchen Leichtsinn nicht mehr zu. Aber wir ses Landes ist, einen Vorschlag: Nehmen Sie Ihren jüdi- wollen auch die kaum vorstellbare Leistung unserer Väter schen Mitbürger so, wie er ist. Sehen Sie ihm seine Tor- und Mütter wachhalten, die nach den bitteren zwölf Jah- heiten nach, wie Sie selbst erwarten, dass man Ihnen die ren in einem unfassbaren und blinden Zutrauen hierher Ihren nachsieht, und übersehen Sie dabei nicht, dass er, zurückkehrten und damit vor sich und wirkungsvoll vor nur deshalb, weil er Jude ist, mehr Narben auf einer dün- der Welt demonstrierten, dass sie ein anderes Deutsch- ner gewordenen Haut trägt als die meisten anderen.

VI Niemals vergessen Zum 20. Juli'la Eine Gedenkrede von Otto Küster, Stuttgart

Verehrte Hinterbliebene, meine Damen und Herren! einer ihrer beschämten Mitbürger ist, tut gut daran zu Der Landesrat hat mir die Ehre erwiesen, mir heute das wirken, solange er das kann, und im Sachzusammenhang Wort zu geben, damit ich zum Gedächtnis der Opfer und seines Wirkens natürlich auch zu reden, nicht aber zu re- Märtyrer spreche. Ich habe das bisher nur ein einziges den in feierlichen Räumen und in feierlichen Stunden, als Mal vor 7 Jahren getan. Wer selbst nicht aus den Reihen könne er diejenigen ehren, deren stummes Zurückfragen, der Verfolgten und Widerstandskämpfer stammt, wer nur wo er denn damals gewesen sei, ihm, wenn er versteht, den Mund verschliesst. Diese Rede wurde am 16. 9. 1954 vor den Hinterbliebenen der Eines allerdings kann der Beschämte sagen, was die zu Opfer des 20. Juli 1944 in München gehalten. Ihr Inhalt ist heute Ehrenden ihm nicht verweisen können: Er kann sagen, nicht weniger zeitgerecht. Ja Anm. d. Red. d. FrRu: Zum 40. Jahrestag des 20. Juli ist diese dass er sich schämt. Unsere Bundesrepublik hat in all ihrer Rede auch noch »zeitgerecht«, wenngleich sich einige Beispiele vitalen Unbussfertigkeit doch auch wieder zu ihrem Ober- geändert haben mögen. Wir entnehmen den Beitrag dem »Rund- haupt einen Mann erwählt, der eben dies für uns alle sei- brief« X/1957/58 (Nr. 37/40), S. 3-6. nerzeit aussprechen konnte und wollte. Zeitgerecht auch ist sie zum Gedenken am 8. Mai 1985: Denken wir aus unserer Nachkriegsgeschichte dieses eine Der Besiegung »des Bösen, dessen Erscheinung als geschichtliche Macht fiir eine unauslöschliche Zeitspanne mit dem Namen unvermutete Wort von der deutschen Kollektivscham Deutschland identisch war . s. u. S. 51. fort, so wäre im Gebraus unseres zeitgenössischen Redens

48 überhaupt nichts hörbar geworden, was die moralische den wird, wird die Helligkeit noch wachsen, die von die- Grundsituation des übriggebliebenen Volkes massgebend sem Akt des Sichaufraffens ausgeht. Gelang so das Aus- aussprach. Dieselbe Stimme, in ihrer Autorität neu bestä- sergewöhnliche, so ist uns andererseits das Selbstverständ- tigt, hat nun zum 10. Jahrestag des 20. Juli so etwas wie liche fast misslungen: die Wiedergutmachung an den ein deutsches Staatsbekenntnis zu diesem Tag und zu den überlebenden Verfolgten als einzelnen. Geben wir uns 5000 Märtyrern ausgesprochen, deren Name sich mit die- heute vor den Toten Rechenschaft darüber, so ist einer- sem Datum verbindet. Es war eine offizielle Rede, aber je- seits klar, dass für die misslungene Wiedergutmachung si- der weiss, dass dieser Redner meint, was er sagte. Nur cherlich nicht das Fehlen der Mittel die Ursache bildet. wer im intimen Kreis Aug in Auge mit der gegnerischen Andererseits ist auch böser Wille nicht das rechte Wort. Gesinnung ohne Ausbiegungen dasselbe sagt, leistet hier- Schon deshalb nicht, weil zwar das Gute, aber keineswegs nach noch etwas, das die Präsidentenrede ergänzt. Ich bin das Böse seinen Sitz im Willen zu haben pflegt. Was fehlt mir also des geringen Zeugniswertes bewusst, wenn ich sind Kräfte. Zunächst in dem simplen Sinn, dass die Leute hier unter Gleichgesinnten und im auch schon fast offi- nicht zu finden sind, die die schwierige, verfängliche, iso- ziellen Rahmen dieser Feier sage: Mir, einem privaten lierte Sache anpacken möchten. Aus den Bonner Beratun- Deutschen, der am 20. Juli 1944 in die Normandie mar- gen von 1953 bleibt der Eindruck unvergesslich, wie sich schierte, der bei dem Haufen bis zum Ende blieb, der das Ausschusszimmer leerte, wenn das Wiedergutma- überzeugt war, dass nichts in der Art des 20. Juli gelingen chungsgesetz aufgerufen wurde, um sich dann wieder zu oder auch nur etwas Greifbares nützen könne, und dass füllen, wenn das Gesetz über den Vollstreckungsschutz an uns Deutschen vor dem Zuendebluten und ohne das die Reihe kam, so gewiss dieses nur eine wenig drängende Zuendebluten kein Heil mehr werden könne, der aber Ziselierarbeit war, und jenes eine elementare Rechtsauf- auch weiss, wie sehr ihn die ernsthafte Aufforderung eines gabe lösen sollte. Aber die Kräfte fehlen vor allem auch in Verschworenen, er solle mitmachen, in tiefster Seele er- der Brust des einzelnen, der sich, gern .oder nicht, mit der schreckt haben würde, wie sehr ihn der Jammer um Frau Aufgabe abgibt. Sie ernst zu nehmen ist eine solche Stra- und Kind und das Grauen vor Leiden und Tod in öffentli- paze, dass der Arbeiter auf diesem Feld ernstlich fürchten cher Unehre gepackt haben würden, mir jedenfalls, des- muss, sein Persönlichkeitsbild dabei zu verändern. Man sen damalige Situation und Einstellung wohl einigermas- darf nicht allzusehr mit ihm hadern, wenn ihm das nicht sen typisch war, ist es ein Vorwurf, am 20. Juli nicht dabei geheuer ist und er vorzieht, sich zu der kühleren Haltung gewesen zu sein. blosser Korrektheit zu stimmen. Hinzu kommt, dass es Ich glaube an die alten christlichen Grundbegriffe, die ich auch solche Mitwirkende gibt, in deren Gemüt Verände- alle erst kennengelernt habe, nachdem ich eigene Erfah- rungskräfte aufstehen und sich ungesehen mit an die Ar- rungen gemacht hatte, für die ich Begriffe suchte. So glau- beit machen, etwa nach dem Modell: Mir ist es im Dritten be ich an stellvertretendes Leiden und stellvertretende Ge- Reich bis zum Ende ganz gut gegangen, also kann dieses nugtuung. Wenn ich mir unter der Zahl der Märtyrer den Reich bis zum Ende keine ganz schlechte Sache gewesen heraussuche, der sozusagen das von mir Unterlassene für sein, also kann die Wiedergutmachung keine ganz gute mich getan hat, so wäre es Berthold Stauffenberg, der Sache sein. Die Folge sind Argumente und Beschlüsse, die Jurist und stille Bruder des hochgemuten Kopfes der auf keinem anderen Feld denkbar wären. Verschwörung, der Mann, der nicht an das Gelingen der Noch in allerjüngster Zeit bot der Finanzausschuss des Sache glaubte und sich doch zu ihr hielt und für sie starb, Bundesrats zusammen mit den Sprechern der Bundesre- weil eine Sache mit besserem Glücksstern in dieser Fin- gierung ein Beispiel dieser plötzlichen Ausschaltung alles sternis sich nicht zeigen wollte und weil es ihm besser er- gewohnten Denkens, als man sich darauf versteifte, den schien, es werde ein hoffnungsloser Einsatz gegen den Verfolgungswaisen, die als Lehrlinge oder Werkstudenten Mordstaat unternommen als überhaupt keiner. Wir haben 75 Mark im Monat verdienen, müsse dafür die ganze seit diesem Jahr das Buch, das die Witwe des sozialisti- Waisenrente gestrichen werden, obschon diese mindestens schen Propheten und Blutzeugen Julius Leber so sorgsam 100 Mark beträgt und bis zum 2 1/2fachen steigen kann. Fi- hat ausreifen lassen und das nun wirklich ein deutsches nanziell handelt es sich um einen Punkt ohne alle Trag- Martyrologium geworden ist2. Es wäre würdig und dien- weite, aber figurativ um ein neues Mosaiksteinchen, das lich, wenn nach alter Art ein jeder von uns Verschonten die Züge des Gesamtbildes verzerrt. So grotesk wie das sich daraus einen Hausheiligen erwählte, zu dem, zu des- Ergebnis war die Begründung. Man verwechselte zwei sen stellvertretendem Leiden er eine konsequente Andacht Dinge, die gewiss noch kein deutscher Beamter jemals pflegt. Es ist ein milder Büsserstand, denke ich. verwechselt hat: nämlich die Kinderzuschläge, die er zu Wenn ich vom Büsserstand spreche, zitiere ich die Rede, seinen Lebzeiten bekommt, und die Waisenrenten, die die ich vor dem Mahnmal für die ermordeten württember- nach seinem Tod seine Kinder erhalten. Diese Fahrigkeit gischen Juden vor 7 Jahren hielt. Heute zögere ich fast gibt der Wiedergutmachungsarbeit bis heute das Gepräge. vor diesem Zitat, aber nicht zu zögern brauche ich, zu Folge einer tief inneren Abgelenktheit, der auch solche wiederholen, was laut des damals Gesagten auf alle Fälle unterliegen, die es nicht nötig haben. Es wäre verfehlt, zu unserem ernst genommenen Büsserstand gehöre, näm- einzelne verantwortlich zu machen, und do'ch ist der Ein- lich der Entschluss, gutzumachen, was noch gutzumachen druck vieler Verfolgter verständlich, offenbar sei die deut- ist, und der Entschluss, dasselbe nicht ein zweites Mal zu sche Wiedergutmachung eine Fortsetzung des National- begehen oder begehen zu lassen. sozialismus mit anderen Mitteln. Die zerrüttenden und Mit dem ersten Entschluss, gutzumachen, was noch gut- beirrenden Kräfte, die der Mordgeist von damals zu zumachen ist, ist es uns seitdem so gegangen, wie man in Diensten hatte, sind mächtig geblieben. Wer unsere Wie- diesem Kreis weiss. Das fast Unwahrscheinliche ist zu- dergutmachung miterlebt und noch immer nicht an den stande gekommen: der Sühnevertrag mit Israel. Er hat ein Teufel glaubt, den darf man wohl der Ziererei bezichti- tröstliches Licht und sogar die Farben einer ersinnenden gen. Phantasie in unsere düstere Wiedergutmachungsgeschich- In der Präsidentenrede zum 20. Juli war, und das war ein te gebracht, und da er ohne Zweifel getreulich erfüllt wer- bitterer Tropfen in der Freude, von der praktischen Wie- dergutmachung nicht die Rede, namentlich nicht davon, ' Annedore Leber: Das Gewissen steht auf. 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand 1933-1945. Berlin/Frankfurt a. M. dass endlich eine mit wirklichen Vollmachten versehene, 1954. Mosaik-Verlag. allseitig beschickte Kommission, wie sie für das Gesetz

49 über die Hitlerorden erstmals zur Verfügung stand, von sich das Böse zu seiner Stunde aussucht. Um sie also ist höchster Stelle eingesetzt werden solle, um das noch im- mir nicht einmal so sehr bange. Weniger gut ist mir in be- mer verheissene endgültige Wiedergutmachungsgesetz zu zug auf uns andere zumute, uns, die wir wiedergutma- schaffen'. Es ist jetzt schon sehr spät damit geworden. chen wollten und nicht konnten, uns Deutsche im ganzen Wir, also diejenigen, die wiedergutmachen wollen, aber mit unserer halbbezahlten Rechnung — halbe Leistungen nicht können, werden gut tun, nun ernstlich mit der Mög- liebt der Himmel ja von jeher besonders. Was birgt der lichkeit zu rechnen, dass es endgültig zu keiner persönli- Himmel über Deutschland, unserem wohlgenährten, breit- chen Wiedergutmachung, über die man einmal gerne im lebenden und Waffenmusik summenden Deutschland? deutschen Geschichtsbuch nachliest, kommen wird. Ziem- Nahmen und nehmen wir unseren Büsserstand nach der lich wahrscheinlich ist es, dass irgendwann noch ein An- anderen Seite ernst, dass wir alles tun, damit nicht noch fall von Scham und Bestürzung dazu führen wird, dass einmal geschehen kann, was geschah? eine grosse Summe ungezielt ausgeschüttet wird, nach Die Beobachtungen, aus denen man die Beantwortung auf dem Muster der 5000 Mark, die jetzt schon ein jeder, diese Frage gewinnen müsste, sind so zwiespältig, schil- Mann oder Frau, zu beanspruchen hat, der einmal an der lernd und verwirrend, dass kein redlich verantwortetes Beendigung irgendeiner Ausbildung verhindert war und Urteil möglich ist. Sicher ist, dass wir vor 7 Jahren die diese nicht nachgeholt hat. Diejenigen Opfer unserer Frage, ob alles getan sei, mit viel besserem Grund hätten schlecht gekonnten Wiedergutmachung, die endgültig bejahen können, als wir es heute können. Ich will mich leer ausgehen oder sich mit einem Bruchteil ihres Scha- heute auch in Hinsicht auf diese zweite Frage beschrän- dens werden begnügen müssen, die trotz dem Satz, dass ken auf unser Verhältnis zu den Opfern und Märtyrern Unrecht vor Unglück geht, nicht erhalten, was jeder Ver- und einen weiteren Aspekt dann nur noch berühren. Un- triebene erhält, sie werden sich zu sagen haben, zwar ge- ser Verhältnis zu den Opfern und Märtyrern ist ja im wiss nicht zu allen Zeiten und gewiss nicht an allen Orten, Hinblick auf unsere Frage nicht etwa eine entlegene Ein- aber doch immer wieder sei es in der Welt Menschen so zelheit. Gegen die Wiederkehr des Bösen, das uns in sei- ergangen, dass sie nicht gewöhnlichem Unrecht zum Op- nen Fängen hatte, helfen in erster Linie nicht Waffen, fer fielen, sondern dass das Böse selbst irgendwo über- Sicherheitssysteme, Institutionen; sondern alles das kann hand nahm und sie schlug. Für diesen Fall muss der so oder so wirken, je nachdem der Geist unseres öffentli- Mensch wohl seinen natürlichen und pflichtmässigen Ent- chen Lebens und die Andacht unseres Herzens beschaffen schluss, für sein Recht zu kämpfen, modifizieren. Das sind, diese beiden unsichtbaren Dinge, die in so erstaunli- höchste Unrecht wird dem blossen Unglück, das hinzu- cher Kommunikation stehen. nehmen ist, wieder ähnlich. Ich bin gewiss, die Opfer wer- Unser Verhältnis zu den Märtyrern ist nicht wirklich in den, wenn es dahin kommt, auch diese Einsicht in guter Ordnung. Gerade dieses Verhältnis ist zwiespältig, ja Art vollziehen und den Tag, wo sie die Akten mit den Un- zwiezüngig. Auf Berliner Briefen findet man in diesen terlagen für ihre Ansprüche versiegeln oder verbrennen, in Wochen eine Gedenkmarke der deutschen Post in Berlin eigentümlicher Fröhlichkeit verbringen. Denn die Opfer zum 20. Juli. Aber es liegt nicht einmal ein Gesetzentwurf des Bösen, kommen sie nun aus dem Judenvolk mit sei- dafür vor, dass der 20. Juli Nationalfeiertag werde, was nem uralten Beruf zum Leiden oder aus dem deutschen doch der 17. Juni so schnell geworden ist. Der Präsident Widerstand, bringen ja in ihrer Grundhaltung zu einem hat sein Staatsbekenntnis zum 20. Juli abgelegt, so wie er grossen Teil etwas mit, was den Gesprächspartner sehr zu auch mitten im Winter nach Bergen-Belsen gewallfahrtet bewegen vermag, einen Leidensanstand, der in den Spit- ist. Aber mit seiner Gefolgschaft schon aus dem nächsten zenfällen fast ein Grussverhältnis mit dem Bösen hat, als Rang der Hierarchie ist es merkwürdig bestellt. Der 20. vermöchten sie auszudrücken, dass sie Gott in jeder Ge- Juli ist auch der Tag des Falles John geworden, und als- stalt wiedererkennen. Ich brauche nicht zu sagen, dass bald hörten wir als Fazit aus Ministermund, künftig müsse dies Leute sein können, die den Namen Gottes nicht ein- ein Mann nicht nur rechtfertigen, warum er Nationalso- mal mit dem Herzen kennen. Sie wissen trotzdem, dass es zialist geworden sei, sondern genauso, warum er es nicht das gibt, was in der Bibel die Macht der Finsternis heisst geworden sei. Der Ausspruch ist beirrend und stärkt die und wovon dort gesagt ist: Das ist eure Stunde. Sie wissen Frechen, auch wenn man weiss, dass der Urheber als Na- ja wohl auch, dass es nicht die geringsten Seelen sind, die tionalsozialist in einem wichtigen Bereich späten, aber dann robusten Widerstand geleistet hat. Ehrt diesen 3 Mittlerweile erging vom 29. 6. 1956 das Dritte Gesetz zur Än- Mann immerhin eine gewisse Entschiedenheit, so hat an- derung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung der dererseits die Weisheit einer deutschen Landesregierung Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, drei Durchfüh- zum diesjährigen 20. Juli den Beschluss gezeitigt, es er- rungsverordnungen hierzu sowie vom 19. 7. 1957 das Bundesge- setz zur Regelung der rückerstattungsrechtlichen Geldverbind- scheine als das Beste, an diesem Tag sich überhaupt still lichkeiten des Deutschen Reichs und gleichgestellter Rechtsträ- zu verhalten. Es kommt auf dieselbe Weisheit hinaus, ger (BRüG); ferner die elfte Durchführungsverordnung zum La- wenn die Ordenskanzlei in Bonn ihren Segen unparteiisch stenausgleichsgesetz vom 18. 12. 1956; das Bundesgesetz über für und gegen den Widerstand ausschüttet. Die Erklärung den Aufruf der Gläubiger der IG.-Farben vom 31. 5. 1957, durch welches den ehemaligen KZ-Häftlingen, die in Buna-Monowitz, des Gesetzgebers, der Widerstand gegen die Gewaltherr- Hevdebreck, Fürstengrube und Janinagrube Zwangsarbeit für die schaft sei ein Verdienst um das Wohl des deutschen Staa- IG.-Farbenindustrie geleistet haben, die Durchsetzung ihrer An- tes und Volkes gewesen, klingt hohl, wenn der lebendige sprüche nach Massgabe des mit der IG.-Farbenindustrie ge- öffentliche Geist sich nicht vollkräftig ebenso vernehmen schlossenen Vergleichs ermöglicht werden soll (siehe unten S. 89): das Gesetz betr. Verlängerung der Anmeldefrist für BEG- lässt. Freilich wäre es keine Besserung, wenn man versu- Ansprüche bis zum 1. 4. 1958. Zu erwarten ist noch der Erlass ei- chen wollte, mit Strafe und Zwang kalten Respekt und ner Durchführungsverordnung betr. Erhöhung der BEG-Renten formelhafte Bezeigungen zu erzwingen, wo gewachsene (Anm. d. Red. d. FrRu). — Vgl. dazu u. a.: Rechtsanwalt Otto Kü- Achtung und Andacht allein etwas bedeuten können. Es ster: »Das Minimum der Menschlichkeit. Lehrprozess für unsere Zeit. Plädoyer vor dem OLG Frankfurt/Main i. S. Wollheim/IG soll ruhig der Wortkampf mit denen weitergehen, denen Farben, gehalten 1. 3. 1955«. In: FrRu VIII (Nr. 29/32), Novem- die Verbrechen nur eilige Konzessivsätze entlockten, da- ber 1955. Sonderdruck (erhältlich als Fotokopie iiber die Red. d. mit sie dann breit dabei verweisen können, wie man eben FrRu). — Mittlerweile wurden auch eine Reihe anderer gesetzli- doch bei denen, die uns von den Mördern befreien woll- cher Bestimmungen im Rahmen der sog. »Wiedergutmachung« erlassen. (Vgl. dazu auch das mit dieser Hilfe zum Teil ermög- ten, über die Tatsache des Eidbruchs innerlich nicht hin- lichte Altenwohnheim in Nahariyya, s. u. S. 98.) wegkomme: oder wie bezeichnend es eben doch sei, dass

50 der Attentäter nicht einfach die Pistole gezogen, sondern rostet und erstarrt, es ist noch Bewegung, aber zur Furcht mit der unmöglichen Bombe gearbeitet habe, weil er von ist mehr Grund als zur Hoffnung. Wenn das Innerste in der Sache doch auch selbst noch etwas haben wollte. Her- einem Volk nicht in Ordnung ist, wenn es nicht weiss, ob gang und Motive, und die Gründe des Missgeschicks, es seine Märtyrer und Helden ehren oder ablehnen soll, müssen ausdiskutiert werden; wo das nüchtern geschieht, folgt unausbleiblich, dass sich auch die weiteren Schichten pflegt es dem Profil der damals Handelnden zugutezu- seines Gesamtlebens missentwickeln. So verfolgt der Be- kommen. Aber freilich ist der Geist, der vom Kleinen statt obachter mit grösster Sorge unsere rapide Rückbildung vom Grossen, vom Zweiten statt vom Ersten, vom Kor- zum autoritären Geheimstaat. Das Geheime steht in viel- rekten statt vom Rechten sein Aufheben macht, zu einer fähiger Beziehung zum Bösen. Das Böse bekennt sich wühlenden Gegenmacht geworden. nicht zu dem, was es im Geheimen tut; aber gern bekennt Halbheiten haben ihre Folgen, und da das Halbe ein Bö- es, dass es Geheimes tut. Eine Geheime Staatspolizei, die ses ist, bringt es fortzeugend Böses hervor. Wir stehen im öffentlich so heisst, ist an sich ein Widersinn; aber das Ge- Begriff, unser grosses Europaprojekt scheitern zu sehen, heime schreckt als das Bekannte, und so ist das Geheime mit allen Verhängnissen, die das bedeutet; denn wenn un- ein Hauptmittel des Bösen. Noch gibt es keine Stätten, sere Wiederbewaffnung schon unvermeidlich ist, so hätte von denen niemand wissen und niemand erzählen darf, sie auf europäisch weitaus am ehesten Elemente der wie es dort zugeht. Aber schon weiss jedermann, dass er Scham in sich aufgenommen, die einiges von dem nieder- nicht weiss, von wem er überwacht wird. Es schien nach gehalten hätten, wovor uns beim Gedanken an unser 1945, wir würden ein Staatsgebäude bekommen von Licht Waffenträgertum nicht gerade grundlos graut. Aber wie und frischer Luft durchflutet. Seitdem sind viele Fenster konnten wir hoffen, Europa zu schaffen, wenn wir es aus- mit blindem Glas versehen, viele Mauern mit verschlosse- schlagen, gemeinsame Gräber zu haben? nen Türen und herabgelassenen Schaltern eingezogen Die Gräber der Opfer und der Märtyrer hätten gemeinsa- worden. Waren wir bis 1949 ein Land ohne Staatsgeheim- me Gräber werden können 4. Gewiss war das, was die nisse, so plagen uns jetzt schon durch ihre Zahl die Ver- Märtyrer betrifft, für uns mit einer Schwierigkeit verbun- fahren über verratene Staatsgeheimnisse als Staatsgeheim- den. Wenn unser Blick in der Einfahrt eines französischen nisse zweiten Grades. Ja es bleibt geheim, was überhaupt Hospitals auf die Gedenktafel fällt, die die R8sistance der ein Geheimnis ist; denn die Gesetze definieren das nicht, hingerichteten Krankenschwester gesetzt hat — nun, sie sondern setzen es voraus, und was die Gerichte aus dem mochte hingerichtet worden sein wegen Verbindung mit Begriff machen, steht in geheimen Urteilen, so dass keine dem Marquis, dessen Kampfesweise bei uns ein anderes Öffentlichkeit, auch nicht die juristische Fachöffentlich- Gedächtnis hinterlassen musste als der offene Krieg. Aber keit, über die Entwicklung wachen kann. Es war schon Schwierigkeiten dieser Art innerlich durchzuarbeiten und einmal so, in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik, sie in Worten und Gesten zu meistern, das eben wäre Aus- als der Widerstand gegen den sich organisierenden Hoch- druck eines ernstgenommenen Büsserstandes derer gewe- verrat zum landesverräterischen Geheimnisverrat gestem- sen, in deren Namen das Unrecht entfesselt worden war. pelt wurde. Mit den bloss dienstrechtlichen Geheimnissen, Statt dessen geht nun durch die deutschen Hinterstuben deren Lautwerdenlassen den Beamten disziplinär verant- die interne Aufklärung, selbst Oradour, nun ja, die Exe- wortlich macht, steht es ähnlich; es ist geheim und muss kution der Männer sei gewiss eine harte Kriegsmassnah- erraten werden, was eigentlich geheim sei. Die Folge ist me gewesen, aber was die Frauen und Kinder anlange, so angstvolle Vorsicht, Anwachsen des Geheimgehaltenen wisse man ja jetzt, dass der Brand und die Explosion in ohne sachlichen Grund, in den oberen Stufen die Höf- der dunklen Kirche die Folge eigener Unvorsichtigkeit ge- lings-, in den unteren die Lakaienmiene, gezeichnet von wesen seien. Und wenn das im Dunkeln geflüstert wird, der Mitwisserschaft dessen, was nur die Herrschaft an- um so öffentlicher beschäftigt uns das Gesetz über die geht. Aber jeder Geheimnisträger ist in Wahrheit ein Ba- Tragweise der Hitlerorden, und mit keinem Wort setzt zillus in einer Volksgemeinschaft. sich die Begründung oder irgendeine offizielle Stimme da- Im Geheimen gedeiht die Verleumdung. Es streicht ein er- mit auseinander, welche ernsten Gegengründe hier beisei- ster Hauch von Inquisition über unser Land, im strikten te gesetzt werden sollen. Die neue deutsche Wehrmacht Sinn jener Verfahren, in denen Anklage und Zeugen vor will wieder in derjenigen Stufung von Ehre und Ruhm an- dem Angeklagten geheimgehalten wurden und in denen treten, die ihr der Führer gegeben und hinterlassen hat. Es sich Verbrechen verfolgen liessen, die nur im Wahn der soll darüber hinweggeschritten werden, dass die Wehr- Verfolger existierten. Als vor 700 Jahren diese Verfahren macht Adolf Hitlers die Männer des 20. Juli ausgestossen Europa überzogen, in einem schrecklichen Rückschritt und auf den Platz der Unehre verwiesen hat. Und es soll der Rechtsgeschichte, sollen die Ketzer, die ihre ersten darüber hinweggeschritten werden, was diese Wehrmacht Opfer waren, für das Böse viele Namen genannt haben; durchweg hatte ermöglichen müssen und in nicht auszu- einer davon, aus der Bibel gezogen, hiess: Est et non. Auf löschenden Einzelfällen selbst hatte durchführen müssen: deutsch etwa: So und Nichtso. Ich sage es, habe aber die amtlichen Massenmorde im Osten. Ich kann von dem nichts gesagt. Das ist sehr genau das Signum des Unheim- Gedanken an das Ordensgesetz die Erinnerung an jene lichen, das heute als eine Vorform des Bösen unter uns Nachtwache im Juni 1943 nicht trennen, als der andere umgeht und rasch an Macht zunimmt. Mann unseres Doppelpostens, von dem die Kompanie Die Märtyrer, die wir heute ehren, sind angetreten gegen wusste, dass es mit seiner plötzlichen Versetzung aus dem den vollendet bösen Staat, der zugleich der vollendete Ge- Osten eine Bewandtnis hatte, mich plötzlich anschrie. heimstaat war. Weil sie von den ruchlosen Geheimnissen Mensch, erschiess du mal Kinder! jenes Staates das, was sie wussten, beim Namen genannt Unser Ernst, unsere Aufmerksamkeit, unsere innerste Zu- hatten, starb in dieser Stadt, zum dauernden Ruhm ihrer wendung sind nicht in Ordnung. Es ist noch nichts einge- Universität, eine blühende Jugend. Das Böse, dessen Er- scheinung als geschichtliche Macht für eine unauslöschli- 4 Im Oktober 1957 wird in Oelde/Westf. ein Ehren- und Mahn- mal für die Opfer der beiden Weltkriege eingeweiht werden. che Zeitspanne mit dem Namen Deutschland identisch Neben den Namenstafeln für rund 1000 gefallene und vermisste war, ist besiegt worden durch die Waffen der Feinde und Soldaten ist auch eine Tafel angebracht für jüdische Mitbürger unser innerstes Gebet um Sieg derer, gegen die wir äusser- mit folgender Überschrift: »Jüdische Mitbürger, die in den Jahren 1933-1945 gewaltsam ums Leben kamen«. Dann folgen die Na- lich kämpften. Es ist auf diese Weise nicht mit Stumpf und men. Stiel ausgerottet worden. Es blieb regenerationsfähig, es

51 kann sich -wieder zu einem heillos >gesunden< Ganzen aus- erschreckt immer wieder der Gedanke, wieviele und was wachsen, das blitzartig zuschlägt und uns übermannt. Bis für Männer und Frauen diesem Volkskörper fehlen, weil zu dem Staat der einsam-kontaktlosen Entschlüsse, des sie das Märtyrerschicksal auf sich genommen haben. Wir obrigkeitlichen Geheimtuertums, der allzuvielen Geheim- möchten uns wohl trösten an dem alten Glauben, dass nisträger, bis zum Staat der nun fast schon permanent ge- jeder, der dem Bösen getrotzt und bis ans Ende beharrt wordenen Halbherzigkeit und Zwiezüngigkeit in dem, hat, auch an der Kraft des Bösen gezehrt hat und dass das was den Opfern und Märtyrern entgegengebracht wird, Blut der Märtyrer der Same echter Menschengemein- hat sich das deutsche Böse schon regeneriert. Und es ist schaft ist. Aber wir wissen nichts Verlässliches über die schön kräftig genug, nach denen zu schlagen, die an sei- Stärke des Gegners, der nicht von Fleisch und Blut ist. So nem Geheimnis zerren; denn das Gute ist in seinem We- müssen unsere letzten Entschlüsse, ohne der Hoffnung sen offenbar, das Böse aber ist ein Geheimnis, wie schon abzusagen, doch unabhängig von jeder Hoffnung sein. Es die Bibel sagt, und es ist darauf angewiesen, Geheimnis zu können darum doch leuchtende Entschlüsse sein. Ich sehe bleiben. Wer kennt sein nächstes Gesicht? Als Ernst Jün- meinen Hausheiligen Berthold Stauffenberg, der unab- ger 1940 dem Bösen das Gesicht eines Oberförsters gab, hängig von Hoffnungen mittat, über zweieinhalb Jahrtau- täuschte er nicht nur die Verfolger, sondern gab auch den sende hinweg an der Seite der biblischen Männer im Mitwissern ein Rätsel auf; denn nach einem Oberförster Feuerofen. Gott, sagten sie zu dem abgöttischen König, sah Hitler bei allem gelegentlichen Bemühen um Bieder- kann uns wohl aus diesem Ofen erretten. Aber wenn er es keit und Volksvatertum doch nicht gerade aus. Aber ob nicht will, so sollst Du dennoch wissen, dass wir Deine nicht das nächste Böse uns wirklich in vollkommener Götter nicht ehren wollen. Indem wir, in gehärteter Biedergestalt einfängt, wer wollte dafür 1954 ein Pfand Resignation hinsichtlich jeden äusseren Erfolges, das- geben. jenige nicht ehren, was so gebieterisch lockend und dro- Uns, die wir um die Kraft bitten, die Wiederkehr des Ent- hend geehrt zu werden verlangt, ehren wir die, vor deren setzlichen abzuwenden oder andernfalls es doch nicht unsichtbarem Angesicht wir heute zusammengekommen noch einmal als beschämte Zuschauer zu überleben, uns sind.

9 jüdisches Erbe in Deutschland als Botschaft und Herausforderung Ansprache von Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson am 10. März 1984 in der Synagoge in Worms"/"*

Über die Opfer spricht das dritte Buch Mose, das wir heu- heimer, Samson Wertheimer, Elia Loans, Jefta Juspa, Jair te angefangen haben zu lesen, über Opfer und die Stätte, Bacharach, der Autor des Chawot Jair, und unzählige an- wo sie dargebracht wurden: das Stiftszelt, beziehungswei- dere, die nicht alle aufgezählt werden können, noch viel se später der heilige Tempel zu Jerusalem. weniger können wir hier von ihnen berichten. Und vor al- Jerusalem ist öfter das Thema der christlich-jüdischen Ge- lem hat Raschi hier studiert und wohl auch einige Zeit ge- sellschaften gewesen. Wie könnte es auch anders sein? wirkt. Nicht nur Juden beziehen sich auf die heilige Stadt, indem Zur Zeit, als der Tempel in Jerusalem noch bestand, so sie sagen: »Wenn ich dein vergesse, Jerusalem, verdorre wird erzählt, kamen die Sendboten aus Jerusalem auch in meine Rechte !«, sondern auch für Christen ist diese Stadt die Urwälder Germaniens. In der römischen Niederlas- heilig und verehrenswürdig. sung Borbetomagus, die erst in merowingischer Zeit Wor- In diesem Jahr jedoch beschäftigen sich die Gesellschaften matia wurde, forderten sie die dort lebenden Juden auf, mit dem jüdischen Erbe in Deutschland als Botschaft und gemäss den Vorschriften der Tora zu den Wallfahrtsfe- Herausforderung. Und dies paradigmatisch am Beispiel sten im Tempel zu Jerusalem zu erscheinen. Sie erhielten dieser Synagoge, die vor 950 Jahren erbaut wurde. Nach zur Antwort: »Saget den Weisen im Lande unserer Väter, einer Quelle hatte der Bau schon 20 Jahre vorher, im Jah- wir haben uns hier, an den Ufern des Rheins, ein neues re 1014, angefangen. Denn jüdisches Leben spielte sich Jerusalem gegründet.« Ob es sich hier um mehr als eine immer zwischen Zentrum und Peripherie, oder wie es Leo fromme Sage handelt, ist zweifelhaft. Aber auch das Er- Baeck ausgedrückt hat, in den zwei Brennpunkten, dem zählen dieser Sage ist nicht unwesentlich, deutet sie doch Land Israel und der Diaspora ab, und dies schon in bibli- auf eine unzweifelhaft alte Tradition, die aus Gründen schen Zeiten. Israel war nicht denkbar ohne die Diaspora der Apologetik ebenfalls behauptet, dass Juden schon vor und die Diaspora nicht ohne Israel. Was wäre das Juden- der Entstehung des Christentums hier ansässig gewesen tum ohne die Propheten des Exils, ohne den Babyloni- waren. schen Talmud, ohne Sura und Pumbaditha, ohne Alex- Weshalb berichte ich das hier? Nicht nur aus geschichtli- andrien und Fostat, ohne Fez und Cordoba, ohne Toledo chem Interesse, das naturgemäss heute im Mittelpunkt un- und Gerona, ohne Lucca und Venedig, ohne Wilna und serer Betrachtungen steht, sondern auch aus geschichts- Warschau? Und was wäre es ohne Regensburg, Köln, philosophischen und theologischen Gründen. Mainz, Speyer und Worms? Hier, in dieser Stadt wirkten Da ist zunächst das Recht auf Leben. Man spricht heute die Grössten unserer Geschichte: Juda ben Baruch, Meir so oft davon, dass die Juden im Staat Israel ein Recht ha- ben Isaak, Jakob ben Jakar, Isaak ben Elasar, Kalonymus ben zu existieren. Wie grosszügig! Ich kann mich hier ben Schabtai, Menachem ben Jakob, Eleasar Rokeach, einer aufsteigenden Bitterkeit, ja, eines zutiefst traurigen Baruch ben Meir und Meir von Rothenburg, Jakob Moel- Zynismus nicht erwehren! Wie weit ist die Welt gesunken, lin — der Maharil —, Samuel Bacharach, Samuel Oppen- dass sie das Lebensrecht eines Volkes besonders betont und erwartet, dass man ihr dafür noch auf die Schultern * Gehalten anlässlich der Eröffnung der Woche der Brüder- lichkeit. klopft! Aber nicht nur die Juden in Israel haben ein sol- ** Mit freundlicher Genehmigung des Autors. ches Recht, auch die Juden der Diaspora betonen ihr

52 Lebensrecht. Das hat mit doppelter Loyalität überhaupt bei Tag und bei Nacht, wie es das Buch Josua und der er- nichts zu tun. Juden, die in der Diaspora leben, fühlen ste Psalm vorschreiben. Es ist die Abgrenzung von blossen sich mit den Juden Israels und den Juden in aller Welt ver- Affekten und Emotionen, die immer und immer wieder bunden. Dieses Band hat mit einer Staatsangehörigkeit die Menschen in die Gewalt verantwortungsloser Dem- nichts gemeinsam. Keiner hat das so klar erkannt wie agogen gebracht und sie damit schamlos und unter Ge- Franz Rosenzweig. Während er mit aller Entschiedenheit fährdung der Allgemeinheit ausgenutzt haben. Leben und jeder Verwässerung des Judentums als blosser Konfession Lehre, Lehre und Leben, die Tora ist Baum des Lebens, entgegentrat, schrieb er in dem Aufsatz Bildung und kein sie ist Lebenselixier, ohne sie, die Heine das tragbare Ende, dass das »Deutschtum sich notwendig abgrenzt ge- Vaterland genannt hat, wären wir längst wie die anderen gen andere Volkstümer«. »Das Deutschtum des jüdischen Völker der Antike dem Vergessen und dem Untergang Menschen schliesst sein gleichzeitiges Franzosen- oder anheimgefallen. Ohne sie, sagt der Midrasch, würde Gott Engländertum aus.« Die Tatsache, dass man wohl vom uns nicht kennen, und wir würden uns von keinem ande- jüdischen Menschen, aber schlecht vom deutschen oder ren Volk unterscheiden. Und diese Lehre war in gleichem französischen Menschen sprechen kann, zeigt, dass das Masse Produkt des Landes Israel und der Diaspora. In Judesein mit seinem Menschsein identisch ist, dass es ei- beiden wurde sie »das Erbe der Gemeinde Jakobs«. Von nen Totalitätsanspruch hat, denn »als Jude ist er Mensch, Zion ging sie aus, und in Worms wurde sie gelesen, kom- als Mensch Jude . . . Das Judesein ist keine Schranke, die mentiert und beobachtet. den Juden abgrenzt gegen irgend etwas, was sich selber Und das bringt mich zu dem dritten Aspekt, den ich hier abgrenzt. Nur Begrenztes kann an Begrenztem seine erwähnen möchte, dass Tora ohne konkrete Anwendung Grenze finden . . . Jeder spürt, dass der Jude nicht ein ab- im Leben, als blosses Studium im Elfenbeinturm, niemals gegrenztes Stück in ihm ist . . ., sondern eine . . . Kraft, jüdisches Ideal gewesen ist. Mit anderen Worten: zum Le- die sein ganzes Wesen trägt und durchströmt.« Man ist al- ben, zur Lehre gehört die Liebe. Sie ist die Ausführung der so Jude mit jeder Faser des Seins. Und dieses Judesein ist Lehre, ihre Konkretion. Sie verhält sich wie die Praxis zur nicht trennbar, so meine ich, von diesen zwei Brennpunk- Theorie, wie der Körper zum Geist. Wenn wir auch lesen, ten der jüdischen Seele: Israel und Diaspora. Und weder dass der Unwissende 15ein Gerechter sein kann und dass es hier noch dort kann man dem Juden das Leben streitig ohne vorheriges Studium keinen Massstab gibt für das machen. Israel und Diaspora ergänzen sich gegenseitig, Tun, so bleibt dennoch gültig das Wort unserer Weisen: geben sich Kraft und Stärke, im Religiösen, im Geistigen, »Nicht das Studium ist die Hauptsache, sondern das im Menschlichen. Es ist kein Entweder-Oder, es ist ein Tun«, oder die Überzeugung der Rabbinen, dass das Stu- Sowohl-Als-auch. dium deshalb von so überragender Bedeutung ist, weil es Die Betonung des Lebens ist daher kein Selbstzweck. Le- zum Tun führt. Die Tora ist ein Baum des Lebens denen, ben allein, so wie es heute die Friedenskämpfer anpreisen, die an ihr festhalten, sagt die Schrift, und das bedeutet, ist religiös bedeutunglos, wenn wir nicht auf die Stufe der denen, die ihre Gebote befolgen. Es steht hier nicht, de- geistlosen Kreatur regredieren, zurückweichen wollen, nen, die sie studieren, sondern es heisst: »die Worte dieser denn auch das Tier will leben. Das Leben führt daher in Lehre, die sie tun.« jüdischer Sicht zur Lehre. Ohne Tora ist Israel nicht Isra- Jerusalem und Worms erlitten dasselbe Schicksal. Der Al- el, ist der Jude kein Jude. Und Lehre bedeutet hier zu- tar wurde entweiht, hier und dort, der Tempel verbrannt, nächst das Studium, Talmud Tora. Es ist die Absage an je- das Heiligtum entweiht, hier und dort. Der Aufstand der den Antiintellektualismus, an jedes sentimentale Schwär- Heiden zeitigte Früchte. Was die heilige Stadt und insbe- mertum. Es ist das Hochhalten des Geistes, die Ehrfurcht sondere den Tempel betrifft, so finden wir eine interessan- vor dem Talmid Chacham, der in der Lehre Gottes forscht te Bemerkung im Midrasch Rabba, der rabbinischen Pre-

Der engagierte Religionskritiker Heinrich Margulies schrieb vor kurzem ein 82seitiges Manuskript: »Of- fene Antwort auf Otto Veit, Christlich-jüdische Koexistenz.« Darin werden jüdisch -deutsche und jüdisch- christliche Probleme sehr engagiert angepackt. Drei besonders schöne Stellen werden hier wiedergegeben: 1. Sowohl-Als-auch, statt Entweder-Oder: S. 2 2. Indifferenz der Deutschen als ein israelisches Pro- »Was mich betrifft, so kann ich in der Tat nur sa- blem: S. 14 gen, dass all mein Denken und Wünschen von je »Die Bereitschaft ist gross, mit allen in Gemein- um dieses Phänomen des Doppelten Antlitzes« schaft zu leben, auch mit den Deutschen. Sie wäre kreist. Der Mensch hat es nicht zu bewältigen ver- Deutschen gegenüber grösser, wenn diese es uns mocht. Unfähig, das Nebeneinander zu fassen, nicht so furchtbar erschweren würden, ihr Verhal- fasste er es auf als ein Gegeneinander. Unfähig, das ten zu verstehen. Wir haben aufgehört, Ankläger >Sowohl-Als-auch< zu konzipieren, verfing er sich zu sein, wir sind auch nicht mehr die Fordernden, in der Hoffnungslosigkeit des >aut-auv. Hierin er- und wie Ihr mit Eurer Vergangenheit fertig werdet, kannte ich das Grundübel in der Geschichte des geht nur noch Euch an und nicht uns — aber wir ste- Denkens, den Grundirrtum, von dem den Men- hen fassungslos vor dem menschlich-unmenschlichen schen zu befreien es der messianischen Erlösung Phänomen der Indifferenz, mit der Ihr es tut. bedarf. Nichts hat ihn so grausam in die Irre ge- führt, nichts hat ihm sein Leben so grausam ge- 3. Koexistenz zwischen Juden und Nichtjuden: S. 16 macht, nichts hat so sehr zum grausamen Handeln wie zum Erleiden geführt wie diese Irrlehre vom »Koexistenz setzt voraus, dass Christen als Chri- Dualismus. Ich sah mich in der Weltgeschichte um sten und Deutsche als Deutsche ihren Frieden ma- — hat es niemals lichtere Perioden gegeben, haben chen mit Gott, auf dass er ihre Herzen erwecke nirgends und niemals Menschen gelebt, die gegen und sie begnade zu dem Wunsch, die Herzen derje- sie aufstanden im Protest?« nigen verbinden zu dürfen, die sie zerbrachen.«

53 digt aus talmudischer Zeit, in bezug auf die Zerstörung in diesem Lande immer und immer wieder ausgelöscht des Tempels durch den römischen Feldherrn Titus. wurde, berechtigt uns nicht dazu, die Waffen zu strecken. Der Midrasch kommentiert den 74. Psalm. Dort lesen Wir dürfen nicht aufgeben, wir müssen weiterkämpfen, wir: vielleicht nicht nur für uns, sondern auch für eine bessere »Es brüllen Deine Bedränger inmitten der Stätte Zukunft für die Menschen dieses Landes. Denn zur Ver- Deiner Gegenwart .. . antwortung sind wir aufgerufen. Klingt das naiv? Klingt Anzuschauen wie wo einer ausholt nach oben, das unrealistisch? So sei es! Mit Realismus allein ist das Im Baumgeflecht mit Äxten. Leben nicht zu meistern. Wir müssen uns auch weiterhin Dass nun ihr Schnitzwerk insgesamt dem Leben, der Lehre und der Liebe verschreiben. Mit Hacke und Beilen sie zerschlagen Wie lesen wir in der Haftara dieses Tages: »Das Volk, In Feuer steckten sie Dein Heiligtum das ich mir gebildet, meinen Ruhm sollen sie erzählen.« Sie schändeten zu Boden Deines Namens Stätte. Unser Leben ist kein Selbstzweck. Es wurde uns gegeben, Sie sprachen in ihrem Herzen: um Gottes Ruhm zu verkünden. Auch unter Schwierigkei- Lasst uns sie quälen insgesamt, ten, unter Opfern, es gibt keinen anderen Zweck für un- Verbrennen alle Gottesstätten im Lande.« ser Bestehen. Und ferner ist verheissen: »Nun aber, höre Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erkoren. Also Dazu nun der Midrasch: »Sie wollten bis zum Himmel spricht der Ewige, dein Schöpfer und Bildner vom Mut- durchbrechen und vermochten es nicht, und weil sie Dir terleibe an, der dir beisteht: Fürchte nicht, mein Knecht im Himmel nichts anhaben konnten, bekriegen ,sie Dich Jakob, und Jeschurun, den ich erkoren. Denn ich giesse hier auf Erden.« Die Zerstörung des Tempels bedeutete Wasser auf Lechzendes und Fliessendes auf das Trocke- nach den Rabbinen nichts anderes als die Rebellion gegen ne; ich giesse aus meinem Geist auf deinen Samen und Gott selbst. Ihn suchten sie zu treffen, und sie verbrannten meinen Segen auf deine Sprösslinge. Dass sie wachsen wie statt dessen seinen heiligen Tempel. zwischen Gras, wie Weiden an Wasserbächen« (Jesaja Ähnliches geschah hier in Worms. Und nicht einmal, son- 43). Das ist es! Das ewige Versprechen. Die Zukunft Isra- dern öfter in der Geschichte der Stadt wurden Juden ge- els und die Zukunft der Menschheit. Es ist nichts zu tötet oder vertrieben. Und so könnte man meinen, es loh- fürchten und nichts aufzugeben. Und es wird Segen sein, ne sich nicht, ein Leben auch hier, in dieser Stadt, für Ju- und Geist, und Leben, Leben durch Lehre und durch Lie- den zu bejahen. Aber die Tatsache, dass jüdisches Leben be! Amen!

10 Ein Empfang der Katholischen Akademie München 19. Juli 1983, im Schloss Suresnes für Hans Lamm und Schalom Ben-Chorin anlässlich ihres 70. Geburtstages"

► Der jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin und der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in München, Dr. Hans Lamm, begingen im Jahre 1983 ihren 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass dankte die Katholische Akademie in Bayern beiden mit einem Empfang im Schloss Suresnes fair ihren jahrzehntelangen Einsatz im Hinblick auf Verständigung und Versöhnung zwischen Juden und Christen, zwischen Deutschen und Israelis. Schalom Ben-Chorin und Dr. Hans Lamm sind in München geboren und seit vielen Jahren der Akademie freundschaftlich verbunden.«* Es war eine denkwürdige, schöne, besonders dankenswerte Geburtstagsfeier, zu der die Katholische Akademie München eingeladen hatte und mit Hans Lamm und Schalom Ben-Chorin beging, mit auch vielen beglückenden Begegnungen und Wiederbegegnungen: ein hoffnungsfrohes Ereignis. Dr. Hans Lamm widmete sein Wort der Erinnerung: »Requiem für Babett« bei der Feier wie folgt (s. u. ) 1 . Von Schalom Ben-Chorin bringen wir ein »Erinnerungsblatt«, die Würdigung einer Novelle von Manfred Sturmann' — auch einem Weggefährten Ben-Chorins in Jerusalem' —, die anlässlich des 80. Geburtstages von Manfred Sturmann unter dem Titel »Heimkehr in die Wirklichkeit« noch einmal erschienen ist.' Erinnerungen auch enthält ein Briefwechsel der beiden Jubilare: Geburtstagsbrief Schalom Ben-Chorin an Hans Lamm' und Hans Lamm an Schalom Ben-Chorin 6. Gertrud Luckner

Vgl. »zur debatte«. Themen der Katholischen Akademie in 2 s. u. S. 55 f. Bayern. Mit freundlicher Genehmigung ihrer Redaktion entnom- 3 S. u. ebd. men aus: (13/6), München, November/Dezember 1983, S. 8. " Erstmals vorgelegt 1928 in einer Anthologie (s. u. S. 164). 1 s. u. s. u. S. 56 f. 6 S. U. S. 57 f. I Dr. Hans Lamm s.A.""- : Requiem für Babett Gesprochen auf dem Empfang am 19. Juli 1983 In den jüngsten Wochen hatte ich Gelegenheit, in Dank- Heute will ich an Babett erinnern, die zur Familie gekom- barkeit meiner Eltern, meines Bruders und meiner Lehrer men war irgendwann zwischen dem Geburtsjahr meines zu gedenken.* Bruders (1908) und dem meinigen (1913). Sie stammte * Dazu vgl. u. a. auch: In einer Feierstunde der Hebräischen Universität, Jerusalem, wurde der Name von Dr. Hans Lamm den. Vizepräsident Bernard Chernik würdigte Lamms Wirken als (München) auf einer Ehrentafel an der Gründermauer (Wall Historiker und Schriftsteller, als Präsident der Münchner Kultus- Founder's Wall) der Hebräischen Universität, Jerusalem, ange- gemeinde und vieler anderer Organisationen. Dr. Lamm erklärte bracht. Durch eine Sammlung unter seinen Freunden anlässlich in seinen Dankesworten, für wie wichtig er Völkerverständigung seines 65. und 70. Geburtstages wurden Mittel für einen Stipen- und die der Religionen, insbesondere in Jerusalem, hält. dienfonds gesammelt, der den Namen seiner Eltern Ignaz und (In: Israelitisches Wochenblatt [83/49], Zürich, 9. 12. 1983, Martha Lamm trägt und der alljährlich Stipendien an einen jüdi- S. 14). schen und einen arabischen Studenten an der H. U. gegeben wer- ** s. u. S. 197.

54 aus Unterthürheim im bayerischen Schwaben, einem Dorf selbstverständlich, wie auch für meinen Vater, der nie der in der Nähe von Buttenwiesen, wo mein Vater aufge- SPD, die im Landtag für ein Schächtverbot eingetreten wachsen war. Sie war bei uns Dienstmädchen, was man war, seine Stimme gegeben hätte. Dass sie gleich ihm dem heute wohl Hausangestellte nennen würde, wobei der Un- Königshaus treu ergeben war, war ihr und uns gleich terschied weit mehr als ein semantischer ist: Babett lebte selbstverständlich. in einer winzigen Kammer, hatte Sonntag »Ausgang«, Babett las — was, ich könnte es heute nicht mehr sagen — verdiente unfassbar wenig, wovon sie, was noch mehr sicher nicht die von Eltern und Kindern Lamm geschätz- unfassbar war, Ersparnisse machte, die z. T. der Heiden- ten Paul Keller oder Gerhart Hauptxnann, Thomas Mann mission zuflossen, z. T. in eine Bank, die unter einem un- oder Oskar Maria Graf (den sie wahrscheinlich als »un- getreuen Priester stand und die ihre Kunden um ihre moralisch« abgelehnt hätte). Sie ass mit uns am Familien- Sparpfennige brachte; sie waren wohl hauptsächlich tisch, und beim Kochen war sie der (1931 verstorbenen) Dienstboten wie Babett. Mutter und der Tante Cilly behilflich: dass die Vorschrif- Jener betrügerische Pfarrer (sein Name ist mir noch gut ten über koscheres Fleisch und Kochen ihr selbstverständ- erinnerlich) hat zwar Babett mit Wut erfüllt, aber ihren lich geworden waren — nun, das war eben ihr und uns Glauben so wenig erschüttert, wie Hiob je in seinem selbstverständlich, wie auch, dass sie am Samstag meine wankte. Mappe in die Luitpold-Oberrealschule, damals an der Babett ging (wenn ich mich recht erinnere: alltäglich) in Alexandrastrasse, zu tragen hatte. die Franziskanerkirche gegenüber der St.-Anna-Kirche. Ich glaube, dass Babett gern bei uns war. Als 1933 im Glaubensgespräche fanden zwischen Babett und uns Frühjahr SA-Leute bei uns eine Haussuchung nach Waf- kaum statt: sie lebte in ihrer streng-katholischen Welt, wir fen veranstalteten, schimpfte sie wie ein Rohrspatz, beton- in unserer fromm-jüdischen, die Ben-Chorin in seinen te, dass sie über 25 Jahre bei uns war und darum wisse, Autobiographien geschildert hat.*** dass keine Waffen im Haus waren. Ich mahnte sie: »Ba- Die Sabbat-Gesetze und die Gebräuche an den Feiertagen bett, die Herren tun nur ihre Pflicht«, nicht ahnend, wie kannte sie so gut wie wir Kinder. Sie wachte darauf, dass Pflichterfüllung später aussehen würde. Sie fand bei uns wir am »Schabbes«, wie er bei uns hiess, nicht reisen, Geborgenheit und stand uns wohl näher als den Familien- nichts ausserhalb des Hauses tragen, kein Geld oder Geschwistern Keller in dem elterlichen Anwesen. Ihre Schreibwerkzeug berühren würden. Wenn am Pessach- Schwester Margarethe war bei der Familie von Tutschek Fest (dem Fest der ungesäuerten Brote) mein Vater sie in Solln tätig und besuchte uns zuweilen. Als ich im Juli bat, in der benachbarten Wirtschaft »Zum Brüderl« Bier 1938 auswanderte, war sie mit Vater und Tante natürlich zu holen, dann reagierte sie alljährlich mit gespieltem Ent- am Zug, der mich nach Aachen brachte. Wenn ich sagen setzen: »Aber, Herr Lamm, Sie dürfen doch jetzt kein würde, dass ich mich ihrer Tränen entsänne, würde ich lü- Bier trinken«, und wenn wir am Abend des Rosch-ha- gen. Doch bin ich gewiss, dass sie für mich betete. Weder Schana-Fests (das mit Silvester nichts gemein hat) vom sie noch ich konnte auf ein Wiedersehen rechnen. Das Gottesdienst in der (am 9. November 1938) zerstörten Wiedersehen fand 1946 statt, und ich bin froh, dass ich Synagoge »Ohel Jakob« an der Herzog-Rudolf-Strasse ihr eine Romreise spenden konnte. Meine Hoffnung, dass heimkamen, dann entbot sie uns ein »Gutes neues Jahr« wir noch ein paar Jahre zusammen verbringen könnten, mit der Selbstverständlichkeit, mit der wir ihr Weih- blieb unerfüllt. Sie verstarb hochbetagt in einem Alters- nachtsgeschenke und -wünsche am Heiligen Abend ga- heim. ben. Nein, ein Weihnachtsbaum war in unserm Haus Sie war eine treue Seele, die sich im Leben für die Kirche, nicht zu finden, die Chanukkaleuchter, die Vater und wir die Lamms und die Armen verzehrte. Weil ich nicht weiss, Buben entzündeten, genügten ihr anscheinend. was Heilige sind, kann ich nur das Wort »heiligmässig«, Heilige spielten für sie eine grosse Rolle. Wenn ich etwas das sie gern verwandte (natürlich nicht in bezug auf sich), verlor, was damals (wie heute) oft vorkam, dann betete sie benutzen. Ihre Seele fand im Himmel ihr Plätzchen, wo- zum Heiligen Antonius, und wenn ich (wie heute) über bei ich meine, dass der Zwischenaufenthalt im Fegfeuer die Wirkkraft meine Zweifel äusserte, dann sagte sie lie- recht kurz gewesen sein dürfte. Dass in der Franziskaner- bend-streng: »Hänsle, spöttle nicht!«. Sie wusste, dass kirche an ihrem Namenstag (da ich weder Geburts- noch Spott mir damals (wie heute) fern lag. Sterbetag kenne) eine Messe für sie gelesen wird, mag sie Dass sie die »Bayerische Volkspartei4 wählte (der bayeri- erfreuen. sche Zweig des katholischen Zentrums im Reich), war ihr Heine schrieb einst: »Keine Messe wird man lesen, keinen *** Vgl. Schalom Ben-Chorin u. a.: Mein Glaube — mein Schick- Kaddosch wird man sagen.« Nun, Babett hat ihre Messen sal (s. u. S. 141). und eine dankbare Erinnerung in meinem Herzen.

II »Heimkehr in die Wirklichkeit«"/1, Novelle von Manfred Sturmann Wiedergegeben von Schalom Ben-Chorin, Jerusalem, für Manfred Sturmann Der Literarhistoriker Klaus Täubert bemerkt in seinem einen Novellenband »Abschied von Europa« veröffent- Nachwort, dass die Novelle ursprünglich in einer Antho- licht (Berlin/Stuttgart 1963), so dass eine abermalige Be- logie jüngster Prosa • 1928 vorgelegt wurde. Täubert ver- nennung mit dem Originaltitel zu Verwechslungen ge- mutet, dass innere Gründe zur Veränderung des Titels ge- führt hätte. führt haben. Dies dürfte aber wohl nicht ausschlaggebend Dennoch traf der ursprüngliche Titel das Anliegen der Er- gewesen sein, vielmehr hat Sturmann vor zwanzig Jahren zählung unmittelbarer, denn es geht um den Abschied ei- nes jungen europäischen Juden, der sich entschlossen hat, * s. u. S. 164. Chaluz zu werden, von Europa, eigentlich Deutschland, ' Erstmals unter dem Titel: »Abschied von Europa« (s. u.). vor seiner Alija nach dem Lande Israel, dem damaligen 2 Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von Schalom Ben-Chorin (erschienen in: Israelitisches Wochenblatt für die Palästina. Schweiz 83/34, Zürich, 26. 8. 1983, S. 47). Offenbar von Königsberg, der Geburtsstadt Sturmanns,

55 reist der Held dieser Ich-Erzählung durch verschneite Träume und Erlebnisse, die den jungen Dichter beflügeln, Landschaften nach Breslau, um dort von einem Freund leuchten hier noch einmal auf in einer Sprache, die nicht Abschied zu nehmen, der wohl das eigentliche Selbstpor- mehr die unsrige ist (so heisst es etwa immer »Haupt« trät Sturmanns darstellt, ein junger jüdischer Dichter statt Kopf, die Menschen »erheben sich«, stehen nicht deutscher Zunge. etwa auf, und ein Dienstmädchen öffnet »mit kammer- Unser Chaluz aber, der unmittelbar vor seiner entschei- kätzchenhafter Lieblichkeit«). Der deutsche Literarhisto- denden Palästinareise steht, stattet auch einer jungen riker vermutet hier Einflüsse von Stefan Zweig. Mag sein, Frau, Madja, einen Abschiedsbesuch ab. Diese Frau ist als aber es ist wohl ganz allgemein die Patina der 55 Jahre. der Inbegriff einer überkultivierten, grossbürgerlichen At- Verleger Mytze ist primär Antiquar, und so reizte es ihn mosphäre gezeichnet, unglücklich verheiratet mit einem wohl, ein Dokument versunkener Tage noch einmal ans alternden Mann, der sie, wie Ibsens Nora, in einem Pup- Licht zu heben — und wir freuen uns seines Fundes. Ich penheim hält. aber sehe den 25jährigen Dichter von 1928 noch in seiner Es kommt, wie es kommen musste, und der Abschied von strahlenden Jugendlichkeit, wenn er die Ewer-Buchhand- Europa, Abschied von Breslau, wird zur prägenden Lie- lung seines Freundes und Nachbarn Schlojme Monheit in besnacht der beiden. Madja hatte sich eigentlich ein Kind München besuchte und den Blick auf seinen ausgestellten von dem scheidenden Freund gewünscht, aber es war ihr Erstlingswerken ruhen liess. glücklicherweise oder unglücklicherweise nicht beschie- Ob heutige Leser im heutigen Deutschland diese Erzäh- den, so dass die romantische Idee, dieses Kind dem Vater lung noch nachfühlen können, muss der Erfolg erweisen. im Morgenlande zuzuführen, nicht realisiert werden Für uns, die Generation Sturmanns, ist sie wie ein Erinne- kann. rungsblatt, zwar schon ein wenig vergilbt, aber doch den Lavendelduft der Jugend bewahrend. III Geburtstagsbrief an Hans Lamm und an Schalom Ben-Chorin"/"-"- a) Schalom Ben-Chorin an Hans Lamm Zum 8. Juni 1983

Lieber Hans, mit der Existenz eines Bohemiens verbunden. Eine seltsa- wir werden siebzig: Du Anfang Juni; ich Ende Juli. In un- me Mischung, fürwahr, die — soweit ich sehe — der Paral- serem biblischen Alter spielt das wohl keine Rolle mehr, lele entbehrt. aber als wir uns vor über sechzig Jahren in der zweiten Ein gleiches Schicksal, das Los unserer Generation, trieb Klasse der St.-Anna-Schule in München kennenlernten uns aus unserer Vaterstadt München, wo Du noch 1932 (oder war es schon die dritte Klasse?), da war der sechs mit dem Studium begonnen hattest. Du hattest noch das Wochen ältere zweifellos der »Grössere«. An unsere ge- Glück, in den Jahren 1937/38 in Berlin an der Hochschu- meinsamen Schultage habe ich nur noch dunkle Erinne- le für die Wissenschaft des Judentums die letzten grossen rungen, aber im Gedächtnis strahlt mir der erste Seder- Lehrer des deutschen Judentums, Männer wie Leo Baeck, abend meines Lebens, der feierliche Beginn des Passahfe- zu Deinen Lehrern zu zählen, dann führte Dich der Weg stes — in Deinem traditionellen jüdischen Elternhaus an nach den USA, wohin Dein Bruder Heini (der Arzt Dr. der Bundesstrasse 12 im Münchner Stadtteil Lehel. Für Heinrich Lamm) Dir schon vorangegangen war. Ich war Dich war diese Feier schon etwas Vertrautes, für mich ein schon 1935 nach Jerusalem ausgewandert, wo wir uns so totales Novum. Ich sehe Deinen Vater noch vor mir, wie oft wiedersehen durften, da Du eigentlich, vor allem in er ein Stückchen Mazze, das ungesäuerte Passahbrot, in den Nachkriegsjahren, immer mehr und mehr eine Art der Hand hält und dazu erklärt, dass dieses Stückchen Fernbürger Jerusalems wurdest. ungesäuertes Brot unsere Erinnerung stärker wach gehal- Vor mir liegt das gewichtige Nachschlagewerk »Who's ten hat als die grossartigen Pyramiden Ägyptens. Who in World Jewry« vom Jahre 1955. Da erscheinst Du Du kamst aus dem kleinen, geschlossenen Kreis des or- als »organization executive«, »Social worker«, mit so vie- thodoxen Judentums in unserer Heimatstadt München — len und vielerlei Positionen im jüdischen Leben Amerikas, ich musste mir erst den Rückweg und Heimweg ins Ju- dass ich sie hier nicht aufzählen kann. In Erinnerung ist dentum aus einer assimilierten Familie bahnen. Dabei mir geblieben, dass Du im American Zionist Emergency kreuzten sich unsere Wege immer wieder. In der kleinen Council mit dem bedeutenden zionistischen Führer Ame- traulichen Synagoge des Ohel Jaakob, zu der Deine Fami- rikas, Rabbi Abba Hillel Silver, eng zusammengearbeitet lie gehörte, ich aber ein Aussenseiter war, begegneten wir hast. einander und im benachbarten jüdischen Jugendheim in Es kam das Ende des Krieges und der Zusammenbruch gemeinsamer Aktivität. des Dritten Reiches. Du gingst als Mitglied der amerika- Mich trieb die Entwicklung zu einem radikalen Zionis- nischen Streitkräfte nach Deutschland zurück (ich habe mus, während Du Dich einer gewissen Neutralität befleis- ein eindrucksvolles Bild von Dir in Uniform, aber wenig sigt hast, die Dir eigentlich bis heute anhaftet und Dich zu martialisch wirkend). Zu den historischen Aufgaben die- dem schweren Amt befähigt, das Du nun seit über einem ser Zeit gehörte Deine Rolle als Übersetzer Görings im Jahrzehnt inne hast, Präsident der Israelitischen Kultusge- Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. meinde in München zu sein. Da hast Du nun einen ganz Zu Deinen offiziellen Pflichten zählte wohl die »Reeduca- besonderen Stellenwert, wie man heutzutage in der Bun- tion« in Nachkriegsdeutschland, aber bald trieb es Dich desrepublik sagt: ein jüdischer Gemeindepräsident in sei- zu der innerjüdischen Aufgabe des Wiederaufbaus jüdi- ner eigenen Geburtsstadt. scher Gemeinden in der Bundesrepublik. Als Kulturrefe- Schon in jungen Jahren warst Du der geborene Repräsen- rent des Zentralrats der Juden in Deutschland hast Du tant und hast solche verantwortliche Ehrenstellung immer von Düsseldorf aus mit die Grundlagen zur Bewältigung einer geschichtlich unabweisbaren Aufgabe gelegt. Auch Deine Studien hast Du noch 1951 in Erlangen durch Dei- * Mit freundlicher Genehmigung ihrer Redaktion entnommen der »Tribüne« (22/86), 1983, S. 50 sowie u. S. 57 f. ne Dissertation über ein jüdisches Thema bei dem ver- ** ebd. S. 51. ewigten Professor Hans Joachim Schoeps abgeschlossen,

56 dem Du durch alle Fährnisse der Zeit hindurch die Treue che und unermüdliche Tätigkeit im Dienste christlich-jü- bewahrt hast. dischen Kennenlernens« ausgezeichnet wurde, so gehört Soweit ich sehe, wurdest Du erst in der Zeit nach 1945 neben Deiner Arbeit im »Deutschen Koordinierungsrat zum Schriftsteller und vor allem Herausgeber und zeit- für christlich-jüdische Zusammenarbeit« vor allem auch weise sogar zum Verleger durch die Gründung des Ner- dieses Heuss-Buch zu Deinen Verdiensten auf diesem uns Tamid-Verlages in München. gemeinsamen Gebiet. In München! Es zog Dich wieder dorthin . . . und das Ein unvergängliches Denkmal aber hast Du Dir selbst ge- kann ich Dir nachfühlen. Ich hatte freilich ein schwereres setzt mit dem umfangreichen Buch über jüdische Kultur Gegengewicht auf der Waage des Herzens: Jerusalem. in München »Vergangene Tage« (1982), eine erweiterte Das spezifische Gewicht von Kansas City und New York und neu durchgesehene Ausgabe des 1958 erschienenen kommt dagegen nicht auf. Bandes »Von Juden in München — Ein Gedenkbuch'.« In München wurdest Du dann Abteilungsleiter der Volks- Diese reiche Dokumentation wird lange bleiben, ist ein hochschule, konntest so Deine weit gefächerten geistigen über 550 Seiten umfassendes Standardwerk, das am Bei- Interessen und pädagogischen Begabungen zum Tragen spiel unserer Heimatgemeinde München Aufstieg und bringen. An Anerkennung hat es nicht gefehlt. Vom J.-E.- Untergang des deutschen Judentums darstellt. In diesem Drexel-Preis (1967) für politisch engagierte Publizistik bis Bande wird ausführlich des letzten Vorsitzenden der Is- zum Bayerischen Verdienstorden, um nur zwei der vielen raelitischen Kultusgemeinde in München, Oberlandesge- Auszeichnungen zu nennen, die Dir rechtens zuteil wur- richtsrat Alfred Neumeyer (1867- 1944), gedacht, der den. zwanzig Jahre lang, bis zu seiner Auswanderung nach Ar- Von Deinen vielen Publikationen sind mir drei besonders gentinien 1940, in schwerster Zeit an der Spitze unserer im Gedächtnis lebendig. Die schöne Schrift über Heine: Gemeinde stand. Wer hätte damals ahnen können, dass »Ewiger Zeitgenosse Heine« (1956), die Studie über Du sein Erbe antreten würdest? »Karl Marx und das Judentum« (1969) und die zeitge- Noblesse oblige: Du hast das immer gewusst und es ver- schichtlich so bedeutsame Dokumentation über den ersten standen, eine heute äusserst heterogene Gemeinde zusam- Präsidenten der Bundesrepublik, Theodor Heuss, »An menzuhalten und nach aussen zu repräsentieren. und über Juden« (1964). Wieviel Fleiss, Kenntnis und Repräsentant und Bohemien — Du warst es und bist es ge- Umsicht, Einfühlungsgabe und Akribie gehörten zur Zu- blieben und sollst es weiter bleiben, solange uns ein Blei- sammenstellung dieser Anthologie, die eine deutsche Va- ben auf diesem problematischen Planeten vergönnt ist. tergestalt in ihrer Beziehung zu den Juden und Judentum Es grüsst Dich aus Jerusalem Dein alter sichtbar macht. Wenn es in der Verleihung des J.-E.-Drexel-Preises an Schalom Ben-Cho rin Dich damals hiess, dass Dr. Lamm »für seine umfangrei- s. u. S. 150. (vormals Fritz Rosenthal) b) Hans Lamm an Schalom Ben-Chorin"/*" Zum 20. Juli 1983

Lieber Fritz, dreissiger Jahren Dich zu entwickeln schienest, weitge- . . . vor mir liegt ein Stoss von Büchern und Aufsätzen aus hend zurückgetreten ist hinter dem Religionsphilosophen Deiner Hand: von der »Seltsamen Gemeinde« und dem und demjenigen, der, vielleicht primär für Christen, die »Messiasspiel«, die noch vor 1933 erschienen sind, bis zu Brücke geschlagen hat zwischen dem Volk des Alten Bun- »Germania Hebraica« (1982), dem bisher jüngsten Werk. des (den Juden) und dem des Neuen (den Christen) . . . Darüber hinaus haben wir uns in jüngsten Monaten be- »Im jüdisch-christlichen Gespräch« erschienen 1962 und sonders oft gesprochen und reminisziert, uns an Ereignis- 1979 »Die Tafeln des Bundes« — nicht zufällig der Theo- se unserer Jugend, an Verwandte und Bekannte erinnert logischen Fakultät der (katholischen) Dormition-Abtei und Dinge berührt, die z. T. auch Lesern Deiner Autobio- auf dem Zion in Jerusalem gewidmet —, im gleichen Jahr graphien »Ich lebe in Jerusalem« (1972) und »Jugend an Deine Tübinger Vorlesungen unter dem Titel »Jüdischer der Isar« (1974) neu wären . . . Glaube« und 1980 Deine Münchener Vorlesungen, ge- Vermutlich hast Du Dich selbst gelegentlich gefragt, wel- widmet der Evangelisch-Theologischen Fakultät Deiner che Persönlichkeiten, ausser Deinen Eltern und Deiner (und meiner) Münchener Alma mater. 1972 so tragisch verstorbenen Schwester Jeanne, Dich »Den Christen zu predigen« — natürlich nicht in einem geprägt haben. uns fremden Missionarismus — war und ist Dir weit mehr Meiner Überzeugung nach waren die zwei für Dich mass- als Deinem Lehrer Brod zum Anliegen geworden: Sein geblichen Gestalten Max Brod und Martin Buber . . . Bekenntnisbuch »Heidentum. Christentum. Judentum« In einem Gedenkbuch für Max Brod, erschienen 1969 in von 1921 war Dir, ja unserer Generation, von fundamen- Tel Aviv, trafen sich über 50 Autoren zu einer Huldigung taler Bedeutung. Dort schrieb er, und das würdest Du mit für ihn, darunter auch Du (und ich). Du hast darin den grundlegender Überzeugung von der Mutter-und-Toch- »Dichter und Philosophen des neuen Judentums« auf 24 ter-Religion sagen: »Aber meiner tiefsten Überzeugung Seiten gewürdigt. Und die Frage, die Brod über Kafka nach sind diese beiden Gebiete gar nicht so abgetrennt aufgeworfen hatte, darf man heute, am Vorabend Deines voneinander, wie sie in einer nüchternen Begriffsentschei- 70. Geburtstages, über Dich stellen, da Du an Vielfalt dung scheinen mögen. Unterirdische Gänge führen von Deiner Schaffensaspekte Brod kaum nachstehst: einem Feld zum anderen, unterirdische Ströme durchrau- Wo anfangen? Es ist einerlei. Denn zu dem Besonderen schen in einheitlichem Strome ihre Fundamente.« In je- dieser Erscheinung gehört es, dass man von jeder Seite nem Sinn hast Du unter anderem populär gewordene her zu demselben Ergebnis kommt . . . Schriften über Jesus', Maria2 und Paulus geschrieben und Fest steht, dass der Dichter, zu dem Du in den frühen Ben-Chorin, Schalom: Bruder Jesus, in: FrRu XXIV/1972, S. 99; Jesus im Judentum, in: ebd. XXIII/1971, S. 144. 'V** s. o. S. 56, entnommen und gekürzt mit freundlicher Ge- 'vgl. ders.: Mutter Miriam, Maria in jüdischer Sicht, ebd. S. 145; nehmigung ihrer Redaktion der »Tribüne« (22/86), S. 351. XXIV, 102; XXV, 158.

57 damit Deinen Ruhm bei einem weiten christlichen Publi- religionsphilosophischen Ausgangspunkt und Kernstück. kum begründet und gefestigt. Deine führende Rolle in diesem Glaubensgespräch wurde Die tragische und zur Katastrophe führende Zeit, als Du immer wieder anerkannt: 1959 durch den Leo-Baeck- jene Worte über Brod schriebst, die Zeit, in der Brod sei- Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland und 1982 ne »Distanzliebe« zum Deutschtum fixierte (1934), war in Aachen durch die Verleihung der Buber-Rosenzweig- noch kaum angebrochen und von keinem von uns voll Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesell- erahnt: auch nicht von Brod oder Buber, welch letzterer schaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.' Bei die- in aufrüttelnden Aufsätzen ab 1933 die Juden Deutsch- ser Gelegenheit habe ich im dortigen Kirchenblatt über lands ansprach. Deine lebendige und lebensspendende Brückenfunktion Buber wurde Dir immer mehr zum Mentor, dem Du kurz schreiben dürfen. 4 Der Bundespräsident zeichnete Dich nach seinem Tod im Jahr 1965 das Büchlein »Zwiesprache durch das Bundesverdienstkreuz aus und Israel durch den mit Martin Buber« nachgesandt hast, ein Werk, in dem Küstermeier-Preis. das Wort »Zwiesprache« jene doppelte Bedeutung hat wie Dass Du all diese Ehrungen (und auch die durch die Uni- bei Deinem Meister. Das Wort »Zwiesprache« wählten versitäten in Tübingen und München) verdient hast, hat Rose Heller, Du und ich zum Titel einer »Zeitschrift jüdi- Deine kleine Gemeinde in Jerusalem und Deine viel grös- scher Jugend«, deren erste und letzte Nummer am 15. Ja- sere in der alten unvergessenen Heimat ehrlich erfreut. nuar 1933 erschienen und in der Bayerischen Staatsbiblio- In »Geschäftsführung ohne Auftrag« gratuliere ich Dir zu thek noch erhalten ist. Als wir drei (Rose Heller, nun Deinem 70. Geburtstag unpathetisch und doch sehr von Harburger, ging gleich Dir nach Jerusalem, während ich einem in Verbundenheit schlagenden Herzen motiviert — nach München heimgekehrt bin) Zwiesprache herbeifüh- als Freund von über sechs Jahrzehnten. Freund, der innig ren wollten, dachten wir primär an innerjüdische, ob- hofft, dass Dir (»bis zu 120 Jahren«, wie wir unter Anspie- schon wir noch Kontakte mit christlichen Mitschülern lung auf den biblischen Moses zu sagen pflegen) noch und Kollegen hatten. Auch wir wussten und erwarteten recht viele Jahre der Gesundheit und des schöpferischen nicht, dass uns sehr bald der Weg zum christlichen Nach- Wirkens beschieden sein mögen. barn erschwert, ja verwehrt werden würde. Nach Deiner Irgendwann mal — sei es vor oder nach der Jahrtausend- vorübergehenden Verhaftung am 1. April 1933 zogst Du wende — wird auch Dir der Tod (von dem Dein väterli- die Konsequenzen für die »Alija« (Aufstieg) nach Jerusa- cher Freund Buber meinte, dass er ihn nicht fürchte, son- lem . . . dern nur .das Sterben) die Feder aus der Hand nehmen, Du hast den Weg angetreten, den Du in den beiden auto- und dann wirst Du sie gelassen niederlegen, das uralte biographischen Bänden »Ich lebe in Jerusalem« und »Ju- Gebet »Sch'ma Israel« auf der Lippe und mit dem guten gend an der Isar« (Neuauflagen 1972 und 1974) geschil- Bewusstsein, dass Du ein reiches Leben geführt hast, ge- dert hast .. . füllt durch den Dienst am Glauben des Judenvolkes und Die Grösse Deiner Lehrer liegt in ihrer wesensverschiede- dem an den christlichen Brüdern. nen Individualität. Bubers weltweite Bedeutung wurde an Aus München grüsst Dich als alter Jugendfreund, dessen seinem 100. Geburtstag 1978 gerade in Deutschland klar, Lebensweg anders verlief und sich immer wieder mit Dir u. a. in der Gedenkausstellung in Worms, die von jener in und dem Deinen getroffen hat, sei es in Jerusalem oder an seinem Alterssitz Jerusalem beeinflusst wurde. Unter Hin- der Isar, Dein Hans Lamm weis auf die Nähe von Heppenheim (seinem Wohnort bis 1938) und Worms hat er über Judentum und Christentum Vgl. Exodus und Exil. Zur Verleihung der Buber-Rosenzweig- Medaille an Schalom Ben-Chorin, in: FrRu XXXW/1982, reflektiert. Vom Religionsstifter Jesus sprach er oft, und S. 54-56. für Dich wie ihn blieb sein Bekenntnis »Jesus habe ich von 4 Vgl. ebd., S. 55. Jugend auf als meinen grossen Bruder empfunden« zum (Anmerkungen d. Red. d. FrRu)

11 »Martin Luther und die Juden« Ansprache von Ministerpräsident Johannes Rau, Düsseldorf, vor den Teilnehmern eines wissenschaftlichen Symposions in Mülheim/Ruhr am 23. Februar 1983

Das Jahr 1983 ist ein Jahr der Jubiläen: Martin Luther, det, um dessen Verhältnis zu den Juden es bei dieser Ta- Karl Marx, Richard Wagner — das sind deutsche Gestal- gung geht. ten in der Geistesgeschichte der Welt. Man sagt bei sol- Ich glaube, dass der, der zu diesem Thema spricht, daran chen Jubiläen meist kaum etwas Kritisches über den gemessen wird, ob er die unangenehmen Seiten, die für Mann, dem das Gedenken gilt. Das ist in diesem Jahre — uns unangenehmen Seiten des Themas, nicht unter den ich denke, vor allem bei uns Deutschen — etwas anders. Teppich kehrt. Denn es gibt ja auch noch ein anderes Jubiläum, das Ganz gewiss werden wir nicht nur an diesem Tagungsort nichts mit Freude, nichts mit Festlichem und nichts mit Ju- darin übereinstimmen, dass es bei Marx und bei Wagner bel zu tun hat: die Erinnerung an den 30. Januar 1933. und auch bei Luther zu differenzieren gilt; aber man muss Ich schicke das voraus, weil es diesen 30. Januar gibt und auch darauf hinweisen, dass es im sogenannten Luther- weil es gestern die Erinnerung an die Auflehnung und an Jahr wie in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg den Tod der Geschwister Scholl gegeben hat, weil es auch nicht an apologetischen Versuchen gemangelt hat. den 23. März gibt, den Tag, an dem das Ermächtigungs- Manche Luther-Ausgaben nach dem Zweiten Weltkrieg gesetz verabschiedet wurde. haben unser Thema ausgelassen. Es gibt viele offizielle Solche Überlegungen sind wohl angebracht, wenn man Entlastungsversuche bei offiziellen Worten zum Luther- sich gedenkend und nachdenkend Martin Luther zuwen- Jahr. Wir sollten sie sorgfältig prüfen und manches davon

58 doch in Frage stellen, wie zum Beispiel die gängige Tren- Christen zu keiner Zeit unter Berufung auf Luther aus ih- nung zwischen dem jungen und dem alten Luther. rer Verantwortung entlassen, nach dem »soia scriptura« Ich meine nicht, dass von einer Wende in Luthers Stellung zu entscheiden, was zu tun ist. zu den Juden die Rede sein kann, sondern ich glaube, Von Dietrich Bonhoeffer haben wir gehört: »Nie kann das dass Luther, verhaftet im Geist seiner Zeit, die Juden als Gestern für mein sittliches Handeln heute entscheidend das ungehorsame Israel angesehen hat, das sich vom wah- werden. Vielmehr muss immer von neuem die unmittelba- ren Israel, der Kirche, getrennt hat. re Beziehung zu Gottes Willen aufgesucht werden, und Sie werden sich in diesen Tagen mit den Zitaten beschäfti- nicht, weil mir gestern etwas gut schien, tue ich es heute gen: mit den Psalmenvorlesungen der Jahre 1513 bis 15, wieder, sondern weil mich auch heute der Wille Gottes in mit der Schrift »Dass Jesus Christus ein geborener Jude diese Bahn weist. Das ist die grosse sittliche Erneuerung sei« aus dem Jahre 1523 und auch mit der späten Schrift durch Jesus, das Abtun der Prinzipien, der Grund- »Von den Juden und ihren Lügen« aus dem Jahre 1543. sätze . . .« Ich lasse die Zitate weg, weil Sie sie in diesen Tagen hier Wenn wir also das ernst nehmen, was Luther uns empfoh- hören, und ich denke, dass es gerecht ist, darauf hinzu- len und was Dietrich Bonhoeffer uns als die Freiheit ge- weisen: Luther hat nicht allein so gedacht, der Humanis- schildert hat, dann sollten wir uns nicht so sehr mit den mus mit Erasmus, Reuchlin, Eck stimmte darin überein. Entlastungen beschäftigen. So bemühen sich viele, »Luther in seiner Zeit« oder »aus Deshalb meine ich, es erübrigt sich, dann noch nach jenen seiner Zeit« zu verstehen. Es werden Zusammenhänge ge- Zitaten Ausschau zu halten, die etwa Luthers »Juden- sehen von Augustin über Thomas von Aquin bis zu Mar- Freundlichkeit« beweisen sollen. Das könnte man mit den tin Buber. Römerbriefvorlesungen der Jahre 1515/16, mit dem ver- Heute müssen wir sagen: deutschten und ausgelegten »Magnificat« 1521 und auch Es bleibt nach Auschwitz für immer unerträglich, dass mit Sätzen aus der Schrift »Dass Jesus Christus ein gebo- Auschwitz eine christliche Vorgeschichte hat. Wir können rener Jude sei«. nicht anders als bei Auschwitz mitbedenken, dass Juden Wir kommen allemal um diesen Satz nicht herum: »Wenn nicht nur an Giftgasen in den Gaskammern gestorben Gott mir keinen anderen Messias geben wollte, denn, wie sind, sondern auch an der jahrhundertealten antisemi- die Juden begehren und hoffen . . .« tischen Giftwolke. Es geht also nicht um Entehrung und es geht nicht um Eh- Wer die Quellen kennt, wer an dieses Gift vieler Jahrhun- renrettung. Wir setzen Luther nicht auf die Anklagebank derte denkt, der findet Entlastungsversuche peinlich. Und der Geschichte und schliessen uns selber von der Kritik da hilft auch nicht der Hinweis auf das »Gespür für die aus. Sprache des Grobianismus und ihre Nuancen«. Es geht um persönliche Stellungnahme und es geht dar- Natürlich wissen wir, wer Luther war und wie Luther um, ob die »ecclesia semper reformanda« sich bewährt. war. Stefan Zweig sagt: »Luther war und blieb zeitlebens Dazu gehört nach wie vor Mut. Wenn wir daran denken, eine kämpferische Natur, ein geborener Raufbold mit dass vor gut drei Jahren die Synode der Evangelischen Gott, Mensch und Teufel . . .« Kirche im Rheinland die Thesen zur Erneuerung des Ver- Stefan Zweig zitiert auch Martin Buber, der geschrieben hältnisses von Christen und Juden beschlossen hat', dann hat: »Fast tödlich durchschauert's mich, wenn ich an die kommen wir auch um das Echo auf der diesjährigen Syn- Wut denke, die in dem Manne kocht, sobald er mit einem ode nicht herum, das so beschrieben wird: »Wir haben Gegner zu schaffen hat.« Anlass, mit grosser Sorge danach zu fragen, wie es mit Auch wenn wir Verständnis für Zeitgeist und Sprache des dieser Umkehr und Erneuerung bestellt ist, in unserer Kir- 16. Jahrhunderts haben, muss uns das doppelte Erinne- che und in unserem Lande«. rungsjahr, von dem ich am Anfang gesprochen habe, dazu Es gibt also Anlass, in diesem Jubiläumsjahr über beide veranlassen, nicht Luther zu verdammen, sondern seine Aussagen nachzudenken und die Stimmen zu hören, die 'Wirkungsgeschichte 'aufzuarbeiten, denn auch 1933 war als Folge dieser Initiative der Rheinischen Synode laut ein Luther-Jahr . . . geworden sind, etwa: Dass doch »die Juden Christus ver- Und wer den sogenannten »starken Tobak« von Kirchen- worfen haben« oder: Man hat uns Enterbungslehren vor- vätern oder Zeitgenossen Luthers zitiert und ihn damit gestellt unter dem Stichwort »an die Stelle des alten Bun- entschuldigt, der muss bedenken, dass das Judenbild Lu- desvolkes tritt die Kirche«. Es gibt da auch eine Art Heils- thers wegen der Ausstrahlungskraft, die Luther gehabt hat chauvinismus des dritten Jahrhunderts, frei nach Cyprian: — Friedrich Engels hat ihn einen »Riesen an Denkkraft« ge- »Kein Heil ausserhalb der Kirche«. nannt —, viel folgenschwerer ist: Dass Luther missbraucht Wir dürfen uns nichts vormachen: wurde in den Jahren von 1933 bis 1945 ist deutlich auszu- Im jüdisch-christlichen Dialog haben wir noch einen lan- sprechen. Das war nicht nur beiläufig, wie manche ver- gen Weg vor uns, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt sucht haben, der Politik des NS-Staates eine reformatori- hat, die Karl Barth in der Kirchlichen Dogmatik niederge- sche Approbation zu geben. schrieben hat: »Der durch so viele Kalamitäten seiner Ge- Der junge Luther wurde zum Kronzeugen für eine eigen- schichte hindurch — man muss schon sagen: wunderbar — ständige judenchristliche Kirche aufgerufen. Walter bewahrte Jude ist als solcher bis auf diesen Tag das natür- Rehm hat damals gesagt: »Was Gott getrennt geschaffen lich-geschichtliche Monument der Liebe und Treue Got- hat, das haben wir zu vermischen nicht das Recht.« tes, in konkreter Gestalt der Inbegriff des frei gewählten Nun wird hier freilich auch deutlich, dass wir Martin Lu- und begnadeten Menschen, als lebendiger Kommentar ther seine Wirkungsgeschichte nicht anlasten können. zum Alten Testament der einzige, dafür schlagende aus- Vielmehr müssen sich die Christen fragen, ob sie vielleicht serbiblische Gottesbeweis. Was hätten wir ihn zu lehren, zu sehr auf die Autorität Martin Luthers geblickt haben, was er nicht schon wüsste, was wir nicht vielmehr bei ihm statt sich der von Luther empfohlenen, alleinigen Autori- zu lernen hätten?« tät von Glaube, Gnade und Schrift zuzuwenden. Wir sollten uns also lieber an die Empfehlung, die Karl Gerade wenn wir Martin Luthers Erkenntnis ernst neh- Heinz Stahl in der Wochenzeitung »Das Parlament« uns men, dass die Heilige Schrift die einzige Quelle der Of- mit auf den Weg gegeben hat, halten. Wir sollten keine fenbarung ist, das einzige Medium, durch das Gott sich Denkmalspflege mit Martin Luther betreiben, sondern, so fortwährend bekundet, dann waren und dann sind die 1 vgl. FrRu XXXI/1979, S. 15ff. (Anm. d. Red. d. FrRu)

59 sagt er, »ihm einen, seinen Sitz im Leben, in unserem Le- könnte ein gemeinsames Zeugnis sein. Es steht im Psalm ben einräumen«, einen, den er als »Madensack«, wie er 126 und heisst: »Wenn der Herr die Gefangenen Zions sich selber nannte, zu seiner Zeit ebenfalls innehatte. erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Wenn wir den jüdisch-christlichen Dialog intensiv fort- Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge führen, dann entfernen wir uns von der Denkmalpflege. voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Heiden: Wir befreien den Reformator auch von der »Gloriole der Der Herr hat Grosses an ihnen getan. Der Herr hat Gros- Überlebensgrösse«. ses an uns getan; des sind wir fröhlich. Herr, bringe wie- Das wäre wohl ein notwendiger Akt nicht nur des Geden- der unsere Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst kens, sondern des Vorausdenkens im Luther-Jahr. Und da im Mittagslande. Die mit Tränen säen, werden mit Freu- wir beim Vorausdenken sind, will ich mit einem Ausblick den ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen schliessen, mit einem Zitat, das nicht von Luther stammt, Samen, und kommen mit Freuden und bringen ihre Ga- sondern vom Psalmisten, aber das er formuliert hat. Es ben.«

12 Die Forschungen von Lavoslav Glesinger über jüdische Familiennamen Bearbeitet von Nelly Weiss, Chamb&y (Genf)

Wir bringen den folgenden Beitrag, um auf die Bedeutung der mir diese Dokumente aus. Professor Thoma half mir, sie jüdischen Familienforschung aufmerksam zu machen. Zudem zu interpretieren. Ich bin überzeugt, dass die Forschungs- möchten wir den bekannten jüdischen Arzt Professor Dr. med. Lavoslav Glesinger (Zagreb) ehren, der seine Freizeit diesem ergebnisse von Lavoslav Glesinger für die Familiennamen- Themenbereich gewidmet hat. Forschung bedeutsam sind. Wir danken Professor Dr. Glesinger und Frau Nelly Weiss, dass sie uns diese bedeutsame Arbeit zur Verfügung stellen. (D. Red. 3. Bemerkungen zur jüdischen Familiennamen-Forschung d. FrRu) LEOPOLD ZUNZ (1794-1886), der Altmeister jüdischer 1. Biographie Familiennamen-Forschung, schrieb im Vorwort zu seinem Buch »Namen der Juden« : »Den Lebenshauch empfängt Lavoslav ( = Leopold) Glesinger wurde am 6. Februar der Name von der Sprache, aber die Bedeutsamkeit von 1901 in Zagreb geboren. Er ist jüdischer Herkunft und der Geschichte, von der Sitte den Reiz. Darum bergen je- Mitglied der Zagreber jüdischen Gemeinde. Seine Vor- ne Namen eine geheime Geschichte, es sind Annalen in fahren wohnten im 16. Jh. in Teschen, österreichisches Chiffer-Schrift, zu welcher geistige Forschung den Schlesien, und hiessen ursprünglich Singer. Da sie aber Schlüssel gibt.« 1 eine Glasgiesserei betrieben, wurden sie die Glas-Singer Die jüdische Familiennamen-Forschung stand also von al- genannt. Daraus wurde schliesslich Glesinger. 1925 pro- lem Anfang an im Dienste der Geschichte des jüdischen movierte er an der Medizinischen Fakultät der Universität Volkes. Die Familiennamen sind ein hervorragender Re- Wien zum Doktor der gesamten Heilkunde. 1927-28 spe- flex des jüdischen Schicksals. In der Zeit zwischen dem zialisierte er sich im Zagreber Stiftungsspital in Neuro- Ersten und Zweiten Weltkrieg schrieb u. a. Erwin M. psychiatrie. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde Dreifuss über jüdische Familiennamen2. er als Reserveoffizier in die jugoslawische Armee eingezo- Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm das Interesse für jüdi- gen und geriet 1941-45 in deutsche Kriegsgefangenschaft. sche Familiennamen besondere Ausmasse an. Die Gründe 1945-1948 war er Neurologe bei der jugoslawischen dafür waren die Vernichtungen in Auschwitz und die Ab- Armee. wanderungen der restlichen europäischen Juden vor allem Nach weiteren Studien und mehreren Veröffentlichungen in die USA, nach Israel, England, Canada und Südameri- wurde er 1960 Professor und Dr. scientiae medicae an der ka. Die Anzahl der Familiennamen hatte sich verändert. medizinischen Fakultät von Zagreb; 1970 ordentlicher Sie wurde für die Zeit vor Hitler auf 75 000 geschätzt. Professor. 1971 Emeritierung. Nach dem Zusammenbruch des Nazireiches war die An- 2. Kontakte wegen Familiennamen-Forschung zahl wesentlich geringer. Ausserdem änderten viele Fami- lien nun ihre Namen entweder durch Anglisierung oder Seit 1935 beschäftigte sich Professor Glesinger in seiner Hebraisierung. Zum Beispiel nannten sich die Vertreter Freizeit unter anderem mit der Erforschung jüdischer Fa- der in Deutschland ehemals hochangesehenen Rabbiner- miliennamen. Da ich mich ebenfalls als Hobby für jüdi- und Gelehrtenfamilie Bamberger nun »Bar Giora«. Mit sche Familiennamen im Bereich des Habsburgerreiches der Identifizierung mit dem jüdischen Freiheitshelden Bar des 18./19. Jahrhunderts interessierte, ergab sich eine Be- Giora, der im ersten jüdischen Aufstand gegen Rom gegnung mit Glesinger im Juni 1983 in Zagreb. Er zeigte (60-70/73 n. Chr.) als messianischer Prätendent aufgetre- mir die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Forschung. ten war, wollte die Bamberger-Familie ihre bewusste Di- Bei einer folgenden Begegnung übergab er mir 61 Blätter, stanzierung von ihrer deutschen Vergangenheit dokumen- die das Ergebnis seiner jüdischen Familiennamenfor- tieren.' schung enthalten und im folgenden »Zusammenfassung« genannt werden. Sie tragen keinen Titel, beinhalten aber 1 Leopold Zunz, Namen der Juden, Eine geschichtliche Untersu- chung, Leipzig 1837, Nachdr. Hildesheim 1871, lf. Eine zweite, Entstehung, Bedeutung und Schicksal der jüdischen Fami- leicht veränderte Auflage dieses Werkes erschien 1876 in Berlin liennamen vor allem im deutschsprachigen Europa des 19. in den »Gesammelten Schriften von Dr. Zunz«, hg. vom Curato- und frühen 20. Jahrhunderts. rium der Zunzstiftung. Auf meine Zusicherung hin, dass diese Ergebnisse dem In- 2 Erwin M. Dreifuss, Die Familiennamen der Juden, Frankfurt a. M. 1927. stitut für jüdisch-christliche Forschung an der Theologi- 3 vgl. The Bamberger Family, The Descendants of Rabbi Selig- schen Fakultät Luzern, das unter der Leitung von Prof. mann Bär Bamberger, The »Würzburger Rav« (1807-1878), Dr. Clemens Thoma steht, übergeben würden, händigte er Jerusalem 21979 (published by the Bamberger Family).

60 Wichtige Veröffentlichungen zur jüdischen Familienna- nung als Grundlage für den zu bestimmenden Namen zu men-Forschung verdanken wir Michel Roblin, Ernest nehmen. Da nun aber viele Kandidaten auch durch ihre Maass, Zvonko R. Rode und Benzion C. Kaganoff.4 geistigen, sowohl intellektuellen als auch moralischen, Ei- genschaften und ihr Temperament bekannt waren, griff LAVOSLAV GLESINGER stand vor allem mit Michel die Kommission auch auf solche Eigenschaften zurück Roblin, mit dem er während des Zweiten Weltkrieges in und verwandelte sie in Familiennamen. deutscher Kriegsgefangenschaft gewesen war, in brief- Viele auf diese Weise entstandenen Namen behielten ihre lichem Kontakt und wissenschaftlichem Austausch. Mit adjektivische Form (Gross, Klein, Schwarz, Weiss etc.). welch guter Beobachtungs- und Kombinationsgabe und Eine Anzahl wurde jedoch mit dem Wort >Mann< verbun- mit welcher wissenschaftlichen Erfahrung er ausgestattet den, und so entstanden Zusammensetzungen wie Gross- ist, zeigt seine Reminiszenz an die Kriegsgefangenschaft mann, Kleinmann usw.« und die dort vorgekommene Namensänderung für Mitge- fangene. 4. Die wichtigsten Passagen von Glesingers In seiner »Zusammenfassung« heisst es S. 48-50 : »Wäh- »Zusammenfassung« rend des letzten Krieges befand ich mich vier Jahre lang 4.1. Metamorphosen jüdischer Familiennamen: S. 1-8 in deutscher Kriegsgefangenschaft und verbrachte eine »Vor der gesetzlichen Regelung der jüdischen Familien- längere Zeit im jugoslawischen Offizierslager (Oflag) in namen' kam es bei Juden nicht selten vor, dass Vater und Osnabrück, wo sich eine grössere Anzahl jugoslawischer Sohn verschiedene Familiennamen trugen, ja dass einzel- Offiziere befand, darunter auch zahlreiche Juden, die in ne ihren Familiennamen willkürlich änderten oder sich eigenen, abgesonderten Baracken untergebracht waren. mehrerer Familiennamen bedienten. Dass dies zu den ver- Unter diesen befanden sich auch drei kriegsgefangene zwicktesten Situationen führte, lässt sich wohl denken. Ei- Offiziere Namens >Fuchs<. Wohl unterschieden sie sich nige Beispiele mögen dies illustrieren. voneinander durch ihre Vornamen, aber wozu sich die Der jüdische Familienname Aschkenasi6 wurde im Mittel- Mühe geben, diese Vornamen im Gedächtnis zu behalten, alter solchen jüdischen Familien gegeben, die in Aschke- wenn die drei >Füchse< auf einfachere Art unterschieden nas ( = Deutschland) siedelten. Solange Zewi Aschkenasi werden konnten. Der eine von ihnen, der früh ergraut (1656 - 1718), Sohn des Jakob Aschkenasi, Rabbiner in Al- war und dessen Haar einen silbernen Schimmer hatte, tona war, hatte er diesen Familiennamen. Als er später den wurde einfach >Silberfuchs< genannt. Der zweite, dessen Rabbinerposten in Amsterdam angetreten hatte, nannte er rotes Haar schon von weitem auffiel und ihn von allen sich Chacham Zewi (der Rabbiner der sefardischen Ge- übrigen Gefangenen unterschied, bekam den Spitznamen meinde in Amsterdam führte den Titel »Chacham«). >Rotfuchs<. Der dritte hatte wohl normales brünettes Sein Sohn Jakob nannte sich sowohl Jakob Aschkenasi, als Haar und hätte gar keine nähere Bezeichnung nötig, son- auch Jakob Emden, aber auch Jakob Emden Aschkenasi dern hätte, zum Unterschied von den beiden andern, ein- und Jakob ben Zewi oder abgekürzt Jabez. Amtlich wurde fach >Fuchs< genannt werden können. Aber in Anlehnung er jedoch Jakob Hirschel genannt (ben Zewi: Sohn des an die damals modernen Blaufüchse, deren blauer Schein Hirsches, kleiner Hirsch, Hirschel). Nach einer Krankheit nur dem Kenner auffällt, wurde er >Blaufuchs< genannt. hat er dazu noch den Namen Israel angenommen. So gab es im Osnabrücker Oflag also einen Silberfuchs, In Varasdin (Kroatien, heute Jugoslawien) hatte den Rab- einen Rotfuchs und einen Blaufuchs, und bald verbreite- binerposten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts ein R. ten sich diese Namen im ganzen Gefangenenlager, und je- Sissl Hirschenstein inne. Auf hebräischen Schriftstücken dermann konnte die drei auf diese Weise unterscheiden. unterschrieb er sich R. Jekutiel Ewen - Zewi, eine wörtliche Noch heute, fast zwanzig Jahre nach Kriegsschluss, wer- Übersetzung seines amtlich geführten Namens. Da er je-, den sie so genannt, und zwar nicht nur im Kreise ehemali- doch aus der ungarischen Stadt Gyönk (zu deutsch: Jünk) ger Kameraden aus der Gefangenschaft, sondern auch in stammte, nannte er sich manchmal auch Simon Anker, ja weiteren Kreisen. er übersetzte auch diesen Namen ins Hebräische und un- Auf eben dieselbe Weise, wie diese drei Spitznamen ent- terschrieb sich gelegentlich R. Simeon Hajenaki. standen sind, entstand eine grosse Anzahl von Familien- Interessant ist die Entstehung und das Schicksal des Fami- namen. Fast alle Völker pflegten Menschen nach ihren liennamens Katzenellenbogen. Der Uneingeweihte wird körperlichen und geistigen Eigenschaften zu benennen, diesen Namen wohl für einen der zahlreichen jüdischen und diese Benennungen wurden im Laufe der Zeit zu Fa- zusammengesetzten Namen halten, die der Phantasie ei- miliennamen. Immer hat es Menschen gegeben, die sich nes der Mitglieder der Namensgebungskommission ent- durch solche Eigenschaften voneinander unterschieden: sprungen sind. Das ist jedoch ganz falsch! Dieser Name es gab grosse und kleine, helle und dunkle, dicke und ma- hat weder etwas mit der Katze noch mit dem Ellen- gere, fröhliche und ernste, arme und reiche, junge und al- bogen zu tun, sondern stammt von der Grafschaft und vom te Menschen, und diese Eigenschaften fanden in den Fa- Orte Katzenelnbogen in Hessen. Um die Entstehung miliennamen ihren Niederschlag. dieses Ortsnamens zu erklären, müssen wir weit zurück- Dass besonders bei den jüdischen Familiennamen eine gehen. ganz besonders grosse Anzahl solcher Namen zu finden Die uralte Ansiedlung Katzenelnbogen war eine Ansied- ist, hat seine besonderen Gründe. Als nämlich im 18. Jahr- lung der Katten, eines germanischen Volkes, von dem die hundert die Juden gezwungen wurden, Familiennamen Hessen abzustammen behaupten. Zur Zeit der Römer anzunehmen, war es für die Namenskommissionen wohl hiess diese Ansiedlung Cattimelibocus (d. h. Melibocus am einfachsten, ohne viel zu fragen, die äussere Erschei- der Katten). Später, zur Zeit als dieses Gebiet eine Graf- schaft wurde, wurde der Name Cattimelibocus in Katzen- 4 vgl. Michel Roblin, Sur les Noms de famille des Juifs en Euro- elnbogen umgewandelt. In dieser Grafschaft lag auch das pe Orientale, Revue Internationale d'Onomastique, 2 (1950) 291-297, ders.: La Demographie historique du Judaisme Italien gleichnamige Dorf, das noch heute als Marktflecken be- et l'Anthroponymie, Revue Anthropologique 1955; Ernest steht. Maass, Integration and Name Chaneing among Jewish Refugees from Central Europe and in the United States, Names, 6 (1958) 5 Glesinger denkt hier an das Toleranzedikt vom 2. Januar 1782 129-171; Zvonko R. Rode, The Origin of Jewish Family Names, und an das Namendekret vom 5. Juli 1787, die der österreichi- Names 24 (1976) 165-179; Benzion C. Kaganoff, A Dictionary sche Kaiser Joseph II. (1782-1792) herausgab. of Jewish Names and their History, London 1978. 6 Oft auch Ashkenasi, Askenasi u. ä. geschrieben.

61 Aus diesem Orte stammte Meir Katzenellenbogen 7, der im von der Mährischen Stadt Trebitsch! Beachte auch den 16. Jahrhundert in Padua Rabbiner war. Unter diesem Familienname Trier! Namen, aber auch unter dem Namen Meir von Padua ge- Manche jüdische Familiennamen lassen sich nicht anders langte er zu grossem Ansehen. Seine Nachkommen führ- deuten als durch die Annahme eines Schreibfehlers, der in ten die verschiedensten Familiennamen; einige von ihnen der Folgezeit zur festen Form geworden ist. In der Umge- nannten sich Katzenellenbogensohn. Wegen der unge- bung von Zagreb kommt der sonst ganz unbekannte Na- wöhnlichen Länge dieses Namens (20 Buchstaben) wurde me Deucht vor. Stellen wir uns vor, dass jemand seinen gelegentlich eine Kürzung vorgenommen, und so ent- Familiennamen Deutsch einem der deutschen Sprache stand der Name Katzenelson oder Katznelson (der ge- nicht mächtigen Schreiber in irgendeinem Amt buchsta- rechte Priester) und nach weiterer Kürzung Nelson. Aber bierte. Die ersten drei Buchstaben gehen noch glatt, aber man bediente sich auch anderer Kürzungsverfahren, und als das t-s-c-h- beginnt, verschreibt sich der Schreiber und so entstand einerseits der Name Bogensohn, andererseits statt >Deutsch< schreibt er >Deucht<. Da es sich um ein Elbogen und Ellenbogen. wichtiges Dokument handelt, ist die dort niedergeschrie- Durch weitere Kürzung entstand schliesslich der Name bene Namensform verpflichtend und unabänderlich. Bogen (italienisch: Boghen). Allerdings muss der Familien- Ebenso dürfte der in Ungarn vorkommende Name Iritz name Elbogen bzw. Ellenbogen nicht unbedingt auf eine durch falsches Abschreiben zu erklären sein. Der Abstammung aus Katzenelnbogen hinweisen. In einigen ursprüngliche Name lautete vermutlich Fritz, und das un- Fällen weist dieser Name auf eine Abstammung aus der deutlich oder verschnörkelte F mag mit einem I Ähnlich- nordböhmischen Stadt Elbogen (tschechisch Loket) hin. keit gehabt haben. Auch der Name Lin, der gar nichts be- Einige von den Nachkommen des R. Meir Katzenellen- deutet, entstand durch einen Schreibfehler aus dem Na- bogen führten auch andere Familiennamen. Die in der men Lion (Löwe). Der Schreiber hat den Buchstaben >o< polnischen Stadt Wallstein lebenden Nachkommen nann- einfach ausgelassen. (Ob nicht vielleicht auch der Name ten sich Wallstein oder Wallsteiner, wieder andere Jablon- Axelrad durch einen Schreibfehler aus Alexander entstan- ski usw. den ist? Axel = Kurzform für Alexander.) Ein Enkel des Meir Katzenellenbogen wurde Saul Wahl Eine merkwürdige Wandlung vollzog sich gelegentlich (oder Wohl) genannt und diesen Namen behielten auch mit dem Namen Pollak. Dieser häufige Familienname, der seine Nachkommen. Um ihn flicht sich folgende Legende, auf eine polnische Herkunft deutet (>Polak< heisst im die auch seinen Namen erklärt: der um 1545 in Padua ge- Tschechischen und Polnischen >Pole<), kommt auch in der borene Saul, Sohn des Samuel Juda Katzenellenbogen, Form des Tschechischen Diminutivs Polcdek (Pollatschek) kam in seiner Jugend nach Polen, wo er durch seine Weis- vor. Um aber ihre polnische Herkunft zu verbergen, stri- heit und Güte grosses Ansehen bei Juden und Nichtjuden chen einige den Buchstaben >o< einfach durch und nann- erwarb. Nach dem Tode des Königs Stephan Bathory ten sich Plaeek (Placzek, Platschek). Damit war aber der (1586) soll nun während des Interregnums Saul Katzenel- Umwandlungsprozess noch nicht beendet. In den slavi- lenbogen für einen Tag und eine Nacht, bis zur Wahl Si- schen Sprachen bedeutet nämlich Platschek soviel wie >ein gismunds III., geherrscht haben, nachdem er angeblich als Weinenden, und so wurde dieser Name als Weiner ins weisester und gütigster Mann in ganz Polen zum Eintags- Deutsche übersetzt. Zahlreiche Träger dieses Namens leb- könig erwählt worden war. Diese Wahl zum König be- ten in Wien, und manche von ihnen fanden es unlogisch, stimmte den Familiennamen Wahl oder Wohl, den Saul Wiener zu sein und Weiner zu heissen. Daher stellten sie bis zu seinem 1617 in Brest-Litovsk erfolgten Tode trug einfach zwei Buchstaben um und nannten sich Wiener. So und den auch seine Nachkommen trugen. entstand auf langen Umwegen aus dem Namen Pollak der Diese historisch nicht erwiesene Legende soll die Entste- Name Wiener. Immerhin eine ganz merkwürdige Meta- , hung des Namens Wahl (Wohl) erklären. Andere Erklä- morphose!« rungsversuche bringen ihn mit dem polnischen Wort

»Wlach« (der Fremde) oder »Wol« (der Ochse) in Verbin- 4.2. Berufe: S . 9- 14 dung. Mit Rücksicht auf Sauls italienische Abkunft ist der »Eine grosse Anzahl jüdischer Familiennamen bezeichnet Zusammenhang mit >Wlach< nicht von der Hand zu wei- die verschiedenartigsten Berufe und Beschäftigungen ihrer sen. Träger. Es ist erstaunlich, welche Beschäftigungen da ver- Vielfach umstritten ist die Entstehung des Namens Drey- treten sind: abgesehen von den religiösen Funktionen, die fus (Dreifuss). Im allgemeinen wird dieser in Frankreich wir in einer eigenen Gruppe umfassen wollen, gibt es da vorkommende Familienname von dem Ortsnamen Trier, eine fast unübersehbare Menge von intellektuellen und französisch Treves, abgeleitet. Daneben kommt auch manuellen Tätigkeiten, die in dieser Gruppe von Fami- manchmal die Form Treves vor. Einer der bedeutendsten liennamen als Namen erscheinen. jüdischen Historiker, Heinrich Grätz (1817-1891), zitiert Besonders zahlreich sind natürlich die askenasischen Fa- in seiner >Geschichte der Juden<, Bd. 8, S. 9, den >über- miliennamen, die von den Berufen und Beschäftigungen zeugenden Nachweis< N. Brülls, dass die Familiennamen abgeleitet wurden. Aber auch unter den sefardischen Ju- Treves und Trives von dem Ortsnamen Troyes abgeleitet den finden sich solche Namen, immerhin in bedeutend ge- sind, und zwar von der Schreibung >Trivus< im Hebräi- ringerer Anzahl. Sie sind entweder hebräisch oder ara- schen. Er fügt hinzu, dass der Name auch verdorben aus- bisch oder aber spanisch und italienisch. gesprochen würde als Dreifuss und Trefousse. Man hat den Hier einige sefardische Namen: Abulafia (Vater der Ge- Namen Dreyfus auch auf den französischen Ortsnamen sundheit = Arzt), Albahari (Pfeffermann), Alfandari Trevoux zurückgeführt, jedoch gleichfalls ohne Begrün- (Lehrer), Astrologo (Astrologe), Chalfan (Wechsler), Cha- dung. Die einzige heute wissenschaftlich anerkannte Er- jat (Schneider), del Banco (Bankier), del Medigo (Arzt), klärung des Namens Dreyfus ist seine Ableitung von dem della Seta (Seidenspinner oder -händler), Funaro (Seiler), Ortsnamen Trier (Treves)! Ganz falsch ist die Ableitung Fornari (Bäcker), Maestro (Lehrer), Melamed (Lehrer), des Namens Trebitsch von Trier. Dieser Name stammt Merkadi Merkado (Kaufmann), Orefice (Goldschmied), Pasta (Teigwarenerzeuger), Procaccia (Makler), Sabbah Glesinger macht in einer Anmerkung darauf aufmerksam, dass (Färber). der Wortteil Katz- sonst auch eine Abkürzung vom hebräischen Kohen zedeq (der gerechte Priester) sein kann. Bei den Katzen- Unter den askenasischen Namen, die einen Beruf anzei- ellenbogen-Familien ist dies jedoch nicht der Fall. gen, gibt es allerdings auch solche, die nicht den Beruf

62 selbst, sondern das Produkt einer Tätigkeit oder das Ma- Kreimer), Kaufmann, Händler (Handler), Kassier (Cassi- terial, womit diese Tätigkeit ausgeübt wird, bezeichnet rer, Kassirskij), Merkadi (Mercado), Wechsler (hebr. wird. Die Namen Nadel, Zwirn, Fingerhut, Mantel usw. Chalfan). Baufach: Baumann, Ziegler, Maler, Laqueur, weisen auf den Schneiderberuf hin, der Name Huth auf Hafner. Tierhandel: Schimmelburg, Rossdeutscher ( = den Beruf des Hutmachers, die Namen Zucker, Zucker- Rosstäuscher), Metzger, Fleischhacker, Fleischmann, kandl, Kandl, Honig, Zuckertort, Zwieback, Mandelbrot Beinhacker, Rosskamm (Spottname für Pferdehändler). auf den Zuckerbäckerberuf8, die Namen Holz, Stein, Verschiedenes: Binder (Bürsten-, Fass-), Flexner (Flachs), Schloss, Feder, Stiefel, Fischbein, Milstein (Mühlstein) auf Bergmann, Kriegsmann, Warmann, Schomer (hebr. f. die entsprechenden Berufe. Wächter), Dragoner, Seifensieder, Buchbinder, Drucker, Doch gibt es Berufe bzw. Beschäftigungen, die unter den Bader, Kleiber (Klauber, Kleber), Wassermann, Arbeits- jüdischen Familiennamen nicht vorkommen oder aber mann, Hafner.« ausserordentlich selten sind. Selten sind die Namen Jäger, Koch und Schmied, dagegen kommen die Namen Förster, 4.3. Hausschilder: S. 15- 16 Zimmermann und Wagner bei Juden nicht vor, wenigstens »Während des 30jährigen Krieges entstanden in Frankfurt konnte ich nicht einen einzigen jüdischen Träger eines am Main strenge Verordnungen gegen die Juden. Nicht dieser Namen feststellen. Auch für die folgenden Berufe nur, dass sie an ihren Kleidern besondere Abzeichen tra- fand ich keine entsprechenden jüdischen Familiennamen: gen mussten, die sie auf den ersten Blick als Juden kennt- Abdecker (Schinder), Advokat (Rechtsanwalt), Beamter, lich machten, sondern sie mussten auch an ihren Häusern Briefträger, Dachdecker, Diener, Friseur (Barbier), Gärt- besondere Schilder anbringen, damit diese Häuser für je- ner, Hirt, Ingenieur, Korbflechter, Mechaniker, Offizier, dermann erkenntlich seien. Auf diesen Schildern waren Optiker, Polizist, Schlosser, Schornsteinfeger, Schauspie- die absonderlichsten Gegenstände und Tiere abgebildet, ler, Selcher, Steinmetz, Strassenkehrer, Uhrmacher usw., manchmal jedoch waren sie nur durch eine besondere obwohl einige von diesen Berufen (Optiker, Uhrmacher Farbe bezeichnet. Nach diesen Schildern waren nicht nur u. a.) zweifellos von Juden häufig ausgeübt wurden. die Häuser benannt (es gab ja damals keine Strassenbe- Aber die Tatsache, dass ich diese Namen nicht finden zeichnungen und Hausnummern), sondern auch die Be- konnte, bedeutet nicht, dass sie nicht hin und wieder vor- wohner der einzelnen Häuser. So entstanden die Bezeich- kommen. nungen: »Der Jude Samuel zum Drachen«, »Der Jude Wir wollen nun eine Anzahl von Berufsnamen anführen, Mose zum Esel«, »Der Jude David zum grünen (roten, und zwar nach den einzelnen Gruppen menschlicher Be- weissen, schwarzen usw.) Schild«. tätigung. Aus dieser Schilderbezeichnung entstand eine Anzahl von Intellektuelle Berufe: Melämmed, Lehrer, Lerner, Doktor, Familiennamen: Schild, Rotschi« Schwarzschild, Stern, Rofe, Arzt, del Medigo, Aptejker, Rokeach, Apotheker, Blum, Buchsbaum, Schiff Traube, Stiefel, Weinstock, Ochse, Schreiber, Maestro, Schulmann, Gelehrter, Sofer. Künst- Weintraub, Nussbaum, Flesch (Flasche) u. dgl. ler: Künstler (holl. Kunstenaar), Pfeiffer, Fiedler, Maler, Da auf diesen Schildern häufig Fabeltiere dargestellt wa- Geiger, Trompeter (Trumpeter), Spieler, Spielmann, ren, entstanden auch solche Familiennamen wie Eichhorn, Zymbalist, Tänzer. Bekleidungsfach: Tandler (Altkleider- Drach, Greif u. a. Auch eine Anzahl anderer Tiernamen händler), Weber, Färber, Kürschner, Posamentier, mag ihren Ursprung in solchen Hausschildern haben, aber Knopfmacher (Knöpfelmacher), Bleicher, Schneider auch viele andere Namen, die einzelne Gegenstände be- (Chait, Chaitkin, Keith), Nadel, Faden, Zwirn, Fingerhut, zeichnen. Allerdings ist bei der Deutung solcher Namen Stricker, 'Wollner, Käppler. Landwirtschaft: Schäfer, Ak- grosse Vorsicht geboten, denn sie können auch auf ande- 11 kermann, Graber, Baumgärtner, Landmann, Bauer, Dre- re Weise entstanden sein . . scher, Fischer, Strohmenger. Gastgewerbe und Lebensmit- 4.4. Patronyme, Matronyme: S. 17- 20 telfach: Fleischmann, Fleischhacker, Beinhacker, Hacker, Bräuer (Breyer), Zuckermann, Brenner, Pfeffermann, »Innerhalb einer kleinen Menschengruppe war es einfach, Zuckerbäcker, Bronfenbrenner, Bronfmann9, Metzger, einzelne Menschen durch einen Namen zu unterscheiden. Koch, Schenk, Baech(er), Beck, Salzer, Salzmann, Mül- Aber in grösseren Menschenversammlungen genügte die ler, Mahler, Backofen, Biermann. Anzahl der vorhandenen Namen nicht mehr, um jedem Lederwaren: Lederer, Gerber, Schuster, Sandler (von einzelnen einen spezifischen Namen zu geben. Es war un- hebr. Sandelar), Ledermann, Pergamenter, Sattler. Ver- vermeidbar, dass zwei oder mehrere Menschen den glei- kehr: Schiffer, Schiffmann, Fuhrmann, Kutscher. Kunstge- chen Namen führten, und da entstand die Frage: Wie werbe: Steinschneider, Goldschmied, Golder, Goldner, können mehrere Träger des gleichen Namens voneinan- Goldzieher, Silberer, Formstecher, Schnitzler, Schnitzer. der unterschieden werden? Man ging nun in der ungefähr gleichen Art vor, wie dies Holzbearbeitung: Holz, Holzer, Sessler, Kestner (Käst- viele Jahrhunderte später der grosse Naturforscher Karl ner), Holzmann, Brettler, Drechsler, Schreiner. von Linne tat, in dem er 1753 in der Botanik und 1758 in Glaswaren: Glaser, Spiegler, Schaiber, Scheibner. Metall- der Zoologie die binäre Nomenklatur einführte. Dieses Klemperer, Schmied (Schmiedel), Klopfer, bearbeitung: System der Bezeichnung von Menschen durch doppelte Eisner, Löffler, Siegler. Namen kam schon im Altertum zur Anwendung und er- Mautner, Quittner.i° Öffentlicher Dienst: wies sich als sehr nützlich. Zehn verschiedene Vornamen Handel und Verwaltung: Buchhalter, Kramer (Krämer, ermöglichen die genau unterscheidbare Bezeichnung von In einer Anmerkung weist Glesinger noch auf die askenasi- zehn Personen. Zehn Vornamen und zehn Zunamen da- schen Berufsnamen Schneider, Zuckerbäcker und Köppler hin. gegen reichen für hundert Personen aus, ohne dass auch Zu ergänzen zu Glesingers Angaben -wäre z. B. auch der Name nur einer von diesen Doppelnamen wiederholt wird. Bei Flusser. Es handelt sich um eine Familie, die im Habsburgerreich zunehmender Anzahl der Vor- und Zunamen wächst die mit der Beaufsichtigung eines Herstellungsvorganges bei der Glasgewinnung beauftragt war. Sie musste aufpassen, dass die Anzahl der Kombinationen in geometrischer Progres- heisse Glasmasse richtig »floss«. sion.« 9 Bronf- Branntwein; also: Schnapsbrenner, Schnapsmann. »Jeder Jude hatte nun seinen eigenen Vornamen, den er " An Grenzorten erhob der eine die Maut ( Wegzoll), der an- anlässlich seiner Beschneidung erhielt. Diesem Namen dere stellte die Quittung aus. Daraus entstanden Mautner und Quittner. " Vgl. ähnlich Zvonko R. Rode, op. cit. (Anm. 4) 172.

63 wird bei der Ausübung religiöser Funktionen der Name sind (Türk, Schweizer, Böhm, Hamburger, Padovani, des Vaters hinzugefügt, so z. B. beim Aufruf zur Tora, Mantuani). Bei den Juden sind solche Familiennamen je- beim Totengebet usw. So entstanden die Formen Mosche doch viel häufiger, weil in sehr seltenen Fällen eine jüdi- Ben Jaakov (Moses, Sohn des Jakob), David Ben Zewi sche Familie an einem Ort sesshaft war, sondern ständig (David, Sohn des Zewi) u. a. Handelte es sich um einen gezwungen war, ihren Wohnsitz zu wechseln. So wander- Proselyten, also um einen zum Judentum übergetretenen ten Juden massenhaft aus Deutschland nach Polen aus, Nichtjuden, dann wurde seinem Namen nicht der Name aus Spanien nach der Türkei, aus Böhmen nach Deutsch- seines nichtjüdischen Vaters, sondern des Stammvaters al- land usw., und selbst im selben Lande waren Änderungen ler Juden, des Patriarchen Abraham, hinzugefügt. Man des Wohnortes sehr häufig. Diese Erscheinung sehen wir nannte ihn also z. B. >Josef Ben Avraham Avinu< d. h. >Jo- bei andern Völkern kaum, es sei denn, dass Angehörige sef, Sohn unseres Vaters Abraham<. einzelner europäischer Völker nach den Vereinigten Staa- Diese Art der Namengebung ist bei vielen Völkern, nicht ten oder nach anderen Überseeländern auswandern, wo- nur bei den Juden verbreitet. Schon die alten Griechen be- bei es sich immer nur um einzelne Personen oder Fami- dienten sich solcher Patronyme, die sie einzelnen Namen lien, fast niemals aber um ganze Bevölkerungsgruppen hinzufügten. Homer nennt z. B. die Brüder Menelaos und handelt. Agamemnon >Atreides<, d. h. Söhne des Atreus. Auch Diese Gruppe von Familiennamen ist ganz besonders Alexander der Grosse wurde >Alexandros ho Philippu< wichtig, weil wir aus ihnen nicht nur Schlüsse auf den Ur- d. h. Alexander Sohn des Philippus, genannt. Bei den Ara- sprung einzelner Familien ziehen können, sondern in bern wurde der Sohn ebenfalls nach dem Vater benannt, zahlreichen Fällen den ganzen Migrationsprozess verfol- und zwar durch Hinzufügung des Wortes >ibn< (Sohn). gen können.« Weit verbreitet ist der Gebrauch der Patronyme bei den Seite 24-47 (s. u.) stehen verschiedene Listen jüdischer germanischen und besonders bei den slawischen Völkern. Familiennamen, die mit Ländern, Städten und Dörfern So entstanden die Formen Peterson (Sohn des Peter), zusammenhängen. Seite 24 (s. u.) erwähnt Glesinger die Johnson (Sohn des John) u. dgl. Aber dem gleichen Zwek- Möglichkeiten, die zu derlei Wortbildungen führten: ke diente auch die einfache Bildung des Genitivs: >Jacobi< a) Einfach, ohne Endung (z. B. Moravia, Oistrach, (Sohn des Jakob), >Peters< (Sohn des Peter), >Pauli< (Sohn Böhm, Sachs) des Paul) usw.« b) mit der Endung -er (z. B. Nassauer, Spanier), Bei den Slawen wird dem Vornamen des Vaters die En- c) mit der Endung -ski -sky (z. B. Holländersky), dung »-owitsch« bzw. »-ewitsch« hinzugefügt. So entste- d) mit der Endung -o (z. B. Persico, Tedesco), hen die russischen Patronyme »Petrowitsch« (Sohn des e) Diminutiv (z. B. Hessel, Saxl, Türkel), Peter), »Dimitrijewitsch« (Sohn des Demetrius), die pol- f) Adjektivisch (z. B. Deutsch). nischen Patronyme »Kasprowicz« (Sohn des Kaspar), die Seite 26 macht Glesinger darauf aufmerksam, dass biswei- serbokroatischen Patronyme »Ivanovie«, »Martinovie«, len aschkenasische Juden Namen von solchen Ländern »Petrovit«, »Moskovie« usw. Die Bulgaren fügen an den führen, die von sefardischen Juden bewohnt werden (z. B. Namen des Vaters einfach die Endung »-ov« oder »-ev« Spanien). Ebenso führen u. a. sefardische Juden Namen an (Petrov, . . .). Die Russen haben neben diesen Patrony- von Ländern oder Städten, in denen aschkenasische Juden men noch regelrechte Familiennamen, doch wird das Pa- siedeln (z. B. Tedesco, Russo). Eigentlich sind das nicht tronym regelmässig neben dem Vornamen als Rufname Sefarden ihrer Abkunft nach, sondern bloss dem religiö- gebraucht. So wird z. B. Sergej Petrovie Kuznetzow ein- sen Ritus nach, den sie in ihrer neuen Umgebung ange- fach »Sergej Petrovie« angesprochen. nommen haben. Wir haben über die Bildung und Verbreitung der Patro- nyme etwas ausführlich gesprochen, da dieser Art der Bil- 4.6. Körpereigenschaften: S. 50-52 dung von Familiennamen bei den Juden eine ganz beson- »Da sind vor allem die Namen, die eine Farbe bezeichnen dere Bedeutung zukommt. Es sei noch bemerkt, dass die und die zum grössten Teil fast spezifisch jüdisch sind. Am Patronyme in dem Augenblick, da sie nicht nur dem Na- häufigsten sind die Namen Schwarz und Weiss (auch bei men der unmittelbaren Nachkommen hinzugefügt wer- Nichtjuden vorkommend!), die sich entweder auf die den, zum Familiennamen werden. Dies gilt sowohl für die Haarfarbe oder auf das Hautkolorit beziehen. Dann fol- bei den Juden gebräuchlichen Patronyme als auch für die- gen (nach ihrer Häufigkeit) die Namen Rot, Blau, Braun, jenigen, deren sich andere Völker bedienen. Gelb, Grün, Grau. Auch diese Namen bezeichnen zum Es ist jedoch nicht nur der Name des Vaters, der dem Teil die Haarfarbe, zum Teil die Hautfarbe. Sie kommen Namen des Sohnes zwecks näherer Bezeichnung hinzu- alle in verschiedenen Kombinationen, Abarten und Über- gefügt wird, sondern hin und wieder auch der Name der setzungen vor. Mutter. Solche Matronyme sind allerdings bedeutend sel- Dann folgen die Namen, die andere Körpereigenschaften tener als Patronyme. Auf diese Weise entstand z. B. der bezeichnen, auch körperliche Fehler und sichtbare Eigen- russische Name »Susanin« (Sohn der Susanne)." Eine An- schaften. Hier eine Anzahl dieser Namen: zahl jüdischer Familiennamen ist auf diese Weise ent- Schwarz, Schwarzer, Schwarzmann, Tschorny, Czerny, Ne- standen.« gro, Fekete, Schwarzkopf, Schwarzbart. Weiss, Weiss- mann, Bialik, Blank, Bianco, Feher, Weisskopf. Rot, 4.5. Länder- und Ortsnamen: S. 21 - 47 Roth, Rotmann, Rotter, de Rossi, Adumim, Rotbart. . . . »Besonders charakteristisch sind diejenigen jüdischen Blau. Braun, Brauner, Bräuner, Pardo. Gelb, Gelber, Ge- Familiennamen, die auf die Herkunft aus einem bestimm- ler, Geller, Gelbart, Hellebard. Grün, Grüner. Grau, ten Ort oder Land hinweisen, z. B. Lemberger, Wiener, Grauer, Graumann, Graubard. Goldfarb. Blass. Gross, Frankfurter, Sachs, Holländer, Pollak usw. Grossmann, Riese, Nagy. Wohl gibt es auch unter den nichtjüdischen Familienna- Klein, Kleiner, Kleinmann, Kiss, Petit. Lang. Kurz. Dick- men vereinzelte Namen, die auf diese Weise entstanden mann, Dicker. Stark, Schlang. Kahler. Kraus, Kraushaar. Alt, Alter, Altmann. Jung, Jungmann, de Jonge. Schön, Jaf- 12 Der Titel der ältesten russischen Oper »Ivan Susanin« von fe, Joffe, Jaffa, Sze. Rein, Reiner. Schmutzer, Blinder- Michail Glinka (russischer Komponist 1804-1857), uraufgeführt ca. 1830, zeigt, dass Susanin schon damals als Familienname auf- mann, Tauber, Taubmann. Schwitzer. Zitterer. Laufer, gefasst wurde. Frisch. Nick. Grossepeis.«

64 4.7. Charaktereigenschaften: S. 53 - 54 Man übersetzte sie entweder in die Landessprache oder »Noch zahlreicher sind die Namen, welche geistige und transkribierte sie im Sinne der betreffenden Orthogra- charakterologische Eigenschaften bezeichnen. Dabei wäre phie. Besonders geschah dies in slawischen Ländern (Russ- zu bemerken, dass sich die überwiegende Mehrzahl auf land, Polen, Böhmen, Südslawien), aber auch in Italien positive Eigenschaften bezieht, während negative Eigen- und besonders in Ungarn wurden jüdische Familien- schaften sehr selten vorkommen. namen vielfach abgeändert und bis zur Unkenntlichkeit In diese Gruppe gehören folgende Namen: Aufrichtig, entstellt. Butterweich, Biedermann, Ehrlich, Ehrenfest, Ehren- Die ungarischen Familiennamen der Juden entstanden auf freund, Ehrenwert, Ernst, Ehrmann, Fein (auch in Zu- dreierlei Art: sammensetzungen), Fröhlich, Fleissig, Freundlich, Fromm 1. Durch einfache Übersetzung ins Ungarische: Wolf — Far- (vielleicht von Avrohom?), Frommer, Gutmann, Guter- kas, Schwarz — Fekete. Bader — Furedi. Hirsch — Szarvas mann, Gelehrter, Gerngross, Geduldig, Glücklich, Glück- (i). Klein — Kiss. Gross — Nagy. Pollak — Lengyel. Neu- selig, Höflich, Hitzig, Klug, Klugmann, Kligermann, Lu- haus — Ujhazi. stig (auch Vessely und Wessely, obwohl letzteres auch 2. Nach dem Herkunftsort des Betreffenden: Czegledi (aus von »Wesel«!), Mühsam," Nobel, Neumann (von Nee- Czegled). Bonyhadi (aus Bonyhad). Körmendi (aus Kör- man = glaubwürdig), Neu, Neander, Redlich, Reich, mend). Kanizsai (aus Nagy Kanizsa). Kaposi (aus Kapos- Reichmann, Spieler (?), Sorger, Sauer, Sinnreich, Stolz, var). Springer, Steinhardt, Steinherz, Süss, Tänzer (?), Tu- 3. Nach der Assonanz: Frankl — Fraknoi. Bamberger — gendhaft, Treulich, Wohlmuth, Weiner, Wahrhaftig, Vamberi. Kohn — Kemenyi, Kohn — Kaposi, Kohn — Kar- Weiser, Zaghaft, Zauderer, Zierer, Zirner (? Zürner) usw. dos, Kohn — Karpati, Kohn, Kertenyi, Kohn — Körosi, Kohn — Kordes. Schwarz — Szilagyi. Weiss — Vazsonyi,

4.8. Namen aus Abkürzungen: S. 55 - 56 Weiss — Virivai. Roth — Revesz, Deutsch — Domenyi. Dux Eine Anzahl jüdischer Familiennamen ist aus Abbreviatu- — Doczi. Grünbaum — Gara. Fürst — Furedi. Apfelbaum — ren entstanden. So wie die Namen Raschi aus Rabbi Sche- Almasi. Hirschl - Horvath. Richter — Remenyi usw. lomo Jizchaki und Rambam aus Rabbi Mosche ben Mai- Auch in Böhmen und Mähren wurden deutsche Familien- mon entstanden sind, so entstanden unter anderen auch namen der Juden vielfach ins Tschechische übersetzt. So die folgenden Familiennamen aus Abkürzungen: entstanden: Hirsch — Jellin, Yellin, Hirschl Jellinek. Asch, Aschner — Eisenstadt, Altschul, Amsterdam. Back, Hahn - Kohout. Adler — Orlik. Tauber — Holub. Lustig Baeck = Ben Akiba. Badt = Ben David. Bardach = Ben oder Fröhlich — Vessely, Glücklich — Stiassny. Rabbi David Chasan. Basch Ben Schimon. Baum = Ben Mein Block = Ben Löb Kohen. Bock = Ben Akiba. Braun 5. Abschliessende Bemerkungen = Ben Rabbi Nathan. Brasch, Brosch, Brisch = Ben Rabbi Lavoslav Glesinger hat in unermüdlicher Kleinarbeit einen Schimon. Bradt, Barth = Ben Rabbi David. Bruck, Brock, Teil der faszinierenden jüdischen Onomastik bearbeitet. Broch, Brackl = Ben Rabbi Abraham Kohen. Bry = Ben Er vermag uns zu sagen, wie jüdische Familiennamen um- Rabbi /srael. Brill Ben Rabbi Jehuda Löw. Bud, Bude- gewandelt und neuen Sprachgefühlen angepasst wurden, wig = Ben David. Katz = Kohen Zedek, Nasch, Naschitz auf welche jüdischen Berufe und Wohnorte ihre Familien- = Nikolsburg. Pasch = Freistadt (P = F !). Popper — namen schliessen lassen. Wir erfahren von ihm auch eini- Frankfirter (P = F !) Pops = Frankfirt. Propper = Frank- ges über das jüdische familiäre Gefüge und jüdische Cha- Arter. Sack, Sackheim = _ Sera Kodesch (Nachkommen raktereigenschaften, soweit dies in jüdischen Familienna- von Märtyrern!). Schalit Schejichje Leorech Jomim To- men aufscheint. Zu Hilfe für diese Analysen kamen ihm wim. Schatz, Schatzky = Schaliach Zibbur. Schick — vor allem seine reichen Sprachkenntnisse: Deutsch, Fran- Schem fisrael Kadosch. Segal (Siegel?) = Segan Levija. zösisch, Italienisch, Englisch,. Kroatisch, Tschechisch, Ungarisch und Hebräisch. Ausserdem ist sein Wohnort 4.9. Anpassungen an andere Sprachen: S. 57-61 Zagreb seit der beginnenden Neuzeit ein wichtiger Kreu- »In den Vereinigten Staaten haben die meisten Juden ihre zungspunkt jüdischer Wanderungen und Vermischungen. deutschen Familiennamen ins Englische übersetzt, aber Seine »Zusammenfassung« ist dementsprechend einerseits auch andere Namen wurden vielfach der englischen eine sprachvergleichende Arbeit, andererseits eine Frucht Schreibweise angepasst. So entstanden neue Namen, de- reicher Beobachtung und vieler Kontakte. nen man trotzdem ihren jüdischen Ursprung anmerkt. Die Grenzen von Glesingers »Zusammenfassung« liegen Blumenfeld — Bloomfield. Davidsohn — Davidson, Davies in historischen Fragestellungen. Nur in wenigen Fällen ge- u. a. Feld — Field. Freimann — Freeman. Goldstein — Gold- lang es ihm, die Geschichte jüdischer Familien historisch stone. Grünfeld — Greenfield. Grünwald — Greenwood. exakt aufzuhellen. Nur der grosse Rahmen wird deutlich: Gutmann — Goodman. Hirschfeld — Hershfield. Isaaksohn Es handelt sich um jüdische Familien, wie sie onomastisch — Isaacs. Levi — Lewis, Lewit, Leawitt, Löwy, Lowy. May- seit der Aufklärungszeit bekannt sind. Diesen Mangel er — Myer. Müller — Miller. Katzenellenbogensohn — Nel- kann man Glesinger aber nicht zum Vorwurf machen. Die son. Preuss — Price, Rabinowiez ( = Rabbinsohn) — Ro- historische Familienforschung bleibt bis auf weiteres ein binson. Rosenblüth, Rosen. Silberstein — Silverstone. teilweise unerforschbares Feld. Glesingers sprach-, berufs- Weiss — White. Zuckermann — Sugarman usw.« und sozialvergleichende Arbeit kann aber zu einem gün- Auf ähnliche Weise ging man in manchen anderen Län- stigen Ausgangspunkt auch für historisch orientierte Fa- dern mit den deutschen jüdischen Familiennamen vor. miliennamen-Forschungen werden. Hierin liegt ihr unent- behrlicher Wert. Es dürfte für den 83jährigen jüdischen Arzt und Familien- namen-Forscher Glesinger, dessen Augen ihren Dienst " Der Jude Pinkus Seligmann Pappenheim hatte mit grosser Mühe bei Leuthen einen preussischen Offizier gerettet. 1784 nur noch schwach tun, eine grosse Genugtuung sein, empfing er persönlich von Friedrich II. den Namen »Mühsam«. wenn andere sein begonnenes Werk weiterführen.

65 13 Ökumenischer Rat der Kirchen Dialog mit Menschen anderer Religionen und Ideologien Ökumenische Erwägungen zum jüdisch-christlichen Dialog", Genf, 16. Juli 1982

Geschichtlicher Rückblick ren eigenen Worten und Begriffen zu beschreiben und zu Die »Konsultation Kirche und Jüdisches Volk« (CCJP) bezeugen. Dies ist von elementarer Wichtigkeit, denn Be- des ÖRK begann 1975 einen Denkprozess, dessen Ergeb- schreibungen des Glaubens anderer im Selbstbedienungs- nisse jetzt in diesen »ökumenischen Erwägungen zum jü- verfahren sind eine der Wurzeln für Vorurteile, Klischees disch-christlichen Dialog« vorliegen. Zunächst wurde da- und Herablassung. Grösste Aufmerksamkeit für das mals aus verschiedenen Regionen, die Erfahrungen mit SelbstVerständnis ihrer Nachbarn macht die Christen fä- dem jüdisch-christlichen Dialog hatten, Vorbereitungsma- hig, das Gebot besser zu erfüllen: >Du sollst kein falsch terial erhoben. Als der Zentralausschuss 1979 die »Leit- Zeugnis reden wider deinen Nächsten.< Dabei ist es linien zum Dialog« angenommen hatte, begann die Aus- gleichgültig, ob dieser Nächste einer seit langem beste- arbeitung spezifischer Überlegungen zum jüdisch-christ- henden religiösen, kulturellen oder ideologischen Tradi- lichen Dialog. Mehrere Entwürfe wurden erarbeitet und tion oder einer neu gebildeten religiösen Gruppe ange- verworfen, bis schliesslich dem »Internationalen Jüdischen hört. Partner im Dialog müssen anerkennen, dass das Komitee für Interreligiöse Konsultationen« (IJCIC), dem Selbstverständnis jeder Religion oder Ideologie, die einen jüdischen Gesprächspartner von CCJP, ein Entwurf zur universalen Anspruch erhebt, auch spezifische Vorstellun- Stellungnahme unterbreitet werden konnte. Nach Erörte- gen von anderen Religionen und Ideologien mit ein- rung in der DFI-Arbeitsgruppe wurde der so entstandene schliesst. Der Dialog bietet die Gelegenheit, das Selbst- Entwurf an Interessenten in den Kirchen versandt, die um verständnis der Dialogpartner und ihre Ansichten vonein- Stellungnahmen gebeten waren. Zahlreiche ausführliche ander kritisch zu durchleuchten. Ein sinnvoller Dialog und wichtige Stellungnahmen und Vorschläge sind einge- entsteht aus der gegenseitigen Bereitschaft, einander zu- gangen. zuhören und voneinander zu lernen.« (ÖRK, Leitlinien Im Juni 1981 erarbeitete CCJP in London-Colney den zum Dialog von 1979, III. 4) endgültigen Text und legte ihn der DFI-Arbeitsgruppe 1.2. Mit diesen, für jeden Dialog gültigen Leitlinien wen- vor, die diesen Text am 2. Januar 1982 auf ihrer Tagung det sich der ÖRK in erster Linie an seine Mitgliedskir- in Bali/Indonesien mit nur wenigen Änderungen be- chen, wenn er Notwendigkeit und Ergebnisse des Dialogs schloss. Gemäss einem Vorschlag des Exekutivausschusses beschreibt. Menschen anderer Religionen müssen ihr je- vom Februar 1982 wurden daraufhin noch mehrere be- weiliges Dialogverständnis selbst definieren und ihre Er- sonders betroffene Mitgliedskirchen sowie eine Reihe von wartungen dahingehend beschreiben, wieweit der Dialog CCJP-Mitgliedern konsultiert, um den Text erneut zu mit Christen ihre eigenen Traditionen und Einstellungen prüfen. Das Ergebnis dieses ganzen Prozesses, die »Öku- verändern und zu einem besseren Verständnis des Chri- menischen Erwägungen zum jüdisch-christlichen Dialog«, stentums führen kann. Das gegenseitige Fragen nach dem wurde vom Exekutivausschuss des ÖRK am 16. Juli 1982 Selbstverständnis des Partners sowie nach der Sicht des je in Genf entgegengenommen und den Kirchen zu Studium anderen wird nur fruchtbar, wo eine Bereitschaft zum und Anwendung empfohlen. Dialog wirklich vorhanden ist. Die Leitlinien des ÖRK Als der Zentralausschuss 1979 die »Leitlinien zum Dia- enthalten keine Vorhersage darüber, was die Dialogpart- log« annahm, empfahl er diese den Mitgliedskirchen »zur ner voneinander sowie über ihre eigene Geschichte und Prüfung und Diskussion, zur Erprobung und Auswertung Probleme lernen können. Sie bleiben innerkirchlich, denn sowie zur konkreten Anwendung und Weiterentwicklung sie sprechen von Einstellungen, Handlungsweisen und in der je spezifischen Situation«. Die vorliegenden »öku- Problemen von Christen. menischen Erwägungen zum jüdisch-christlichen Dialog« 1.3. In allen Dialogen gilt es, die jeweilige Asymmetrie stellen eine solche Weiterentwicklung dar für den Dialog zwischen zwei Glaubensgemeinschaften zu respektieren. mit Menschen eines bestimmten Glaubens. Es ist abzuse- Schon Begriffe wie Glaube, Theologie, Religion, Schrift, hen, dass auch andere Dialoge, mit Muslimen, Buddhi- Volk usw. sind weder unbelastet noch neutral. Zu Recht sten, Hindus, Marxisten etwa, zur Formulierung weiterer stellen die Dialogpartner oft schon die Sprache in Frage, »ökumenischer Erwägungen« führen werden, die für die- in der andere über religiöse Dinge denken. se Dialoge mit Menschen anderer Religionen und Welt- anschauungen gelten. Solche »ökumenischen Erwägun- 1.4. Im Fall des Dialogs zwischen Juden und Christen gen« sind stets als Schritte auf einem Weg zu verstehen, liegt eine spezifische historische und theologische Asym- die in dem Masse fortgeschrieben und präzisiert werden metrie auf der Hand. Während ein Verständnis des Ju- müssen, in dem ein umfassenderer, gründlicherer Dialog dentums der neutestamentlichen Zeit integraler und unab- grössere und vertiefte Einsichten in die Beziehungen zwi- dingbarer Bestandteil jeder christlichen Theologie ist, ist schen den verschiedenen Glaubensvölkern auf Gottes ei- für Juden ein »theologisches« Verständnis des Christen- ner Erde ermöglicht. tums von weniger grundsätzlicher oder integraler Bedeu- tung. Dennoch hat sich keine der beiden Glaubensge- I. Einleitung meinschaften ohne das Wissen um die Existenz der ande- 1.1. »Der Dialog hat unter anderem die Funktion, den ren entwickelt. Partnern die Möglichkeit zu geben, ihren Glauben mit ih- 1.5. Die Beziehungen zwischen Juden und Christen sind deswegen einzigartig, weil das Christentum geschichtlich * Vgl.: Leitlinien zum christlich-jüdischen Dialog. Verabschiedet in London-Colney, 26. 6. 1981. In: FrRu XXXIV71982, S. 9-12. aus dem Judentum hervorgegangen ist. Die christliche (Anm. d. Red. d. FrRu) Sicht dieses Vorgangs ist ein unverzichtbarer Teil des Dia-

66 logs und macht ihn notwendig. Als das Christentum seine Diese Sicht wird auch heute noch von manchen Wissen- Identität im Gegenüber zum Judentum definierte, entwik- schaftlern vertreten, die behaupten, keinerlei »theologi- kelte die Kirche auch ihre Sicht, ihre eigenen Definitionen sche« Interessen zu verfolgen. Das Judentum der ersten und Begriffe für das, was sie aus der jüdischen Überliefe- Jahrhunderte vor und nach der Geburt Jesu wurde so als rung übernahm, und auch für das, was sie in der Juden und »Spätjudentum« bezeichnet; die Pharisäer galten als Aus- Christen gemeinsamen Schrift las. Im Verlauf dieses Pro- bund von Gesetzesformalismus; Juden und jüdische zesses der Selbstfindung bildete sich in der Kirche ein Gruppen waren negative Beispiele; die Wahrheit und bestimmtes Bild vom Judentum heraus; den Juden wurden Schönheit des christlichen Glaubens wollte man dadurch feste Rollen im Verständnis der Kirche vom Heilshandeln hervorheben, dass man das Judentum als falsch und häss- Gottes zugeschrieben. Es ist deshalb nicht verwunderlich, lich darstellte. dass Juden solchen christlichen Theologien, die ihnen als 2.5. Durch eine neue Beschäftigung mit dem Judentum Volk eine negative Rolle zuschreiben, ablehnend gegen- und im Dialog mit Juden lernen Christen, dass das Juden- überstehen. Tragischerweise haben solche Vorstellungen tum zur Zeit Christi am Anfang einer langen Entwicklung im Christentum oft zu unverhüllter Verachtung, zu direk- stand. Unter der Führung der Pharisäer begann im jüdi- ter Verfolgung und Schlimmerem geführt. schen Volk eine geistige und geistliche Erneuerung von 1.6. Bibelfeste gläubige Christen meinen oft, dass sie »das« gewaltiger Kraft, die es dem jüdischen Volk ermöglich- Judentum kennen, weil sie das Alte Testament, die Streit- te, die Katastrophe zu überleben, die die Zerstörung gespräche Jesu mit jüdischen Lehrern sowie die früh- des Zweiten Tempels bedeutete. Diese Erneuerung christliche Darstellung des Judentums der damaligen Zeit führte zum rabbinischen Judentum, das Mischna und kennen. Keine andere Religion ist jemals so gründlich von Talmud schuf und das die Grundlagen für ein kraftvolles, den Predigern und Lehrern der Kirche »definiert« worden schöpferisches Leben durch die Jahrhunderte hindurch wie das Judentum. Diese Einstellung wird oft noch da- legte. durch verstärkt, dass man über die Geschichte jüdischen 2.6. Jesus wurde als Jude in diese Tradition hineingebo- Lebens und Denkens in den 1900 Jahren seit der Tren- ren. Er wuchs auf mit der Hebräischen Schrift, die für ihn nung der Wege von Judentum und Christentum nichts höchste Autorität hatte und der er durch sein Leben und weiss. seine Lehre eine neue Auslegung gab. Vor diesem Hinter- 1.7. Aus diesen Gründen ist es besonders wichtig, dass die grund verkündigte Jesus, dass das Reich Gottes nahe sei; Christen im Dialog aufmerksam darauf hören, wie Juden in seiner Auferstehung sahen seine Anhänger die Bestäti- ihre Geschichte und ihre Überlieferungen, ihren Glauben gung dafür, dass er der Herr und Messias war. und ihren Gottesdienst »mit eigenen Worten« beschrei- 2.7. Christen sollten nicht vergessen, dass viele der Kon- ben. Ein gegenseitiges Hören, wie der je andere vom Part- troversen zwischen Jesus und den »Schriftgelehrten und ner wahrgenommen wird, kann dazu beitragen, die Ver- Pharisäern«, die im Neuen Testament überliefert sind, ih- letzungen zu verstehen, die Ängste abzubauen und die re Parallelen innerhalb des pharisäischen und des daraus Missverständnisse zu korrigieren, die durch gegenseitige entstandenen rabbinischen Judentums haben. Diese Kon- Abkapselung entstanden sind. troversen fanden in einem jüdischen Kontext statt; als je- 1.8. Judentum wie Christentum enthalten vielfältige Über- doch die Worte Jesu von Christen benutzt wurden, die zeugungen, Entscheidungsmöglichkeiten, Theologien und sich nicht mehr wie er mit dem jüdischen Volk identifi- Formen des Lebens und Dienstes der Gläubigen. Weil zierten, wurden seine Worte oft zu Waffen in antijüdi- Verallgemeinerungen Stereotypen erzeugen, ist der jü- scher Polemik, und so wurde ihre ursprüngliche Absicht disch-christliche Dialog vor allem dann wichtig, wenn die auf tragische Weise verzerrt. Meinungsvielfalt in beiden Glaubensgemeinschaften mög- Gegenwärtig befinden wir uns in einer innerchristlichen lichst vollständig repräsentiert ist. Auseinandersetzung über die Frage, wie die Abschnitte im Neuen Testament, die antijüdische Aussagen zu enthalten 2. Wege zu einem christlichen Verständnis von Juden und scheinen, zu verstehen sind. Judentum 2.8. Das Judentum entwickelte aus seiner reichen geisti- 2.1. Durch den Dialog mit Juden haben viele Christen den gen und geistlichen Überlieferung im Talmud den mass- Reichtum und die Lebendigkeit jüdischen Glaubens und gebenden Leitfaden für jüdisches Leben als dankbare Ant- Lebens im Gottesbund schätzen gelernt und sind in ihrer wort auf die Gnade des Bundes Gottes mit Israel. Im Lau- eigenen Gotteserfahrung so-wie in ihrer Erkenntnis des fe der Jahrhunderte sind wichtige Kommentare, gründli- Willen Gottes für seine Schöpfung bereichert worden. che philosophische Arbeiten und tief religiöse Dichtungen 2.2. Im Dialog mit Juden haben Christen gelernt, dass die dazugekommen. Der Talmud steht im Zentrum des Ju- reale Geschichte des jüdischen Glaubens und des jüdi- dentums, er gilt dort als höchste Autorität. Das Judentum schen Lebens nicht mit den Vorstellungen übereinstimmt, ist deshalb mehr als die Religion nur der Heiligen Schrift die eine lange Tradition christlichen Lehrens und Lernens Israels. Das, was Christen als Altes Testament bezeichnen, geprägt haben, Vorstellungen, die durch die abendländi- hat im Talmud und in späteren Schriften eine Auslegung sche Kultur und Literatur auch in andere Teile der Welt gefunden, die für die jüdische Tradition die gleiche Auto- gebracht worden sind. rität besitzen wie Moses. 2.3. Einer klassischen christlichen Tradition zufolge ist die 2.9. Für die Christen gilt, dass der Bibel des Alten und Kirche als Volk Gottes an die Stelle Israels getreten, und Neuen Testaments ebenfalls Auslegungstraditionen die Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem legiti- folgten, die von den Kirchenvätern bis in die Gegenwart miert diesen Anspruch. Der Bund Gottes mit dem Volk Is- reichen. Juden wie Christen leben so in der Kontinuität je rael sei demnach lediglich eine Vorbereitung auf das ihrer Schrift und Tradition. Kommen Christi gewesen, danach sei er aufgehoben wor- 2.10. Christen wie Juden lesen in der Hebräischen Bibel den. die Geschichte, die Israels heilige Erinnerung an Gottes 2.4. Diese theologische Sicht sollte verhängnisvolle Folgen Erwählung und Bund mit seinem Volk überliefert. Für Ju- haben. Je mehr die Kirche sich an die Stelle der Juden als den ist dies ihre eigene Geschichte, die sich bis in die Ge- Volk Gottes setzte, um so mehr wurde das weiterexistie- genwart hinein fortsetzt. Die Christen, seit den Anfängen rende Judentum als erstarrte Gesetzesreligion angesehen. der Kirche meist nichtjüdischer Herkunft, sehen sich als

67 Erben eben dieser Geschichte durch die Gnade in Jesus gens um das Überleben des Volkes, das zu allen Zeiten im Christus. Die Beziehung zwischen den beiden Glaubens- Mittelpunkt des Judentums stand. Heute sollte ebenfalls gemeinschaften, die beide den Gott Abrahams, Isaaks und das Streben der — christlichen und muslimischen — Palästi- Jakobs anbeten, ist eine geschichtliche Tatsache. Wie die- nenser nach einem eigenen Staat, Teil ihres Ringens um se jedoch theologisch zu deuten sei, ist Gegenstand einer ein Überleben als Volk in jenem Land, volle Beachtung innerchristlichen Diskussion, die durch den Dialog mit finden. Juden allerdings bereichert werden kann. 2.17. Von Anfang an haben Juden, Christen und Muslime 2.11. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen bei- im Lande gelebt. Während »das Heilige Land« in erster den Religionen müssen sorgfältig untersucht werden. Die Linie eine christliche Bezeichnung ist, ist doch das Land christliche Kirche sieht in den Schriften des Alten und allen drei Religionen heilig. Zwar mag die Heiligkeit Neuen Testaments die für die Botschaft von der Erlösung jeweils anders verstanden werden, aber man kann nicht ausreichende Autorität; sie teilt Israels Glauben an den ei- sagen, dass es dem einen »heiliger« wäre als dem an- nen Gott, den sie im Geist als Gott und Vater des Herrn deren. Jesus Christus kennt. Für Christen ist Jesus Christus der 2.18. Dialog ist heute wichtiger denn je. Wenn er unter eingeborene Sohn des Vaters, durch den Millionen Men- Belastungen stattfindet, wird er auf die Probe gestellt. Ist schen an der Liebe Gottes Anteil erhalten haben und den Dialog lediglich etwas wie Diskussion oder Verhandlun- sie anbeten, den Gott, der zuerst den Bund mit dem Volk gen oder gründet er in dem Glauben, dass Gottes Wille Israel schloss. Weil die Christen den einen Gott in Jesus für die Welt ein gesicherter Frieden ist, der Gerechtigkeit Christus durch den Geist kennen, beten sie zu diesem und Mitmenschlichkeit einschliesst? Gott mit einem trinitarischen Bekenntnis zu Gott, Gott der Schöpfung, der Fleischwerdung und des Pfingstge- 3. Judenfeindschaft und Judenverfolgung — eine andauernde schehens. Von daher betet die Kirche Gott in einer Spra- Bedrohung che an, die dem jüdischen Gottesdienst und Empfinden 3.1. Christen können keinen Dialog mit Juden beginnen, fremd ist, die für Christen aber angemessen ist. ohne zu wissen und sich dieser Tatsache bewusst zu sein, 2.12. Christen wie Juden glauben, dass Gott Mann und dass Judenfeindschaft und Judenverfolgungen eine lange Frau als Krone der Schöpfung geschaffen und sie berufen und andauernde Geschichte haben, besonders in den Län- hat, heilig zu sein, in Verantwortung vor ihm die Haus- dern, wo Juden als Minorität unter Christen lebten. Zur halter der Schöpfung zu sein. Schrift und Tradition lehren tragischen Geschichte der Judenverfolgungen gehören Juden wie Christen, dass sie verantwortlich sind für ihre Massaker in Europa und im Nahen Osten, wie die Kreuz- Nächsten, vor allem für die Schwachen, die Armen, die züge, die Inquisition, Pogrome und der Holocaust. Die Unterdrückten. Auf verschiedene Weise erwarten Chri- Erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kir- sten und Juden den Tag, an dem Gott die Schöpfung erlö- chen erklärte 1948 in Amsterdam: »Wir ruren alle von uns sen wird. Im Dialog mit Juden haben viele Christen eine vertretenen Kirchen dazu auf, den Antisemitismus, gleich- tiefere Einsicht in die Exodushoffnung auf Befreiung er- viel welchen Ursprungs, als schlechterdings mit christli- fahren, so beten und arbeiten sie für Gerechtigkeit und chem Bekenntnis und Leben unvereinbar zu verwerfen. Frieden auf Erden. Der Antisemitismus ist eine Sünde gegen Gott und Men- 2.13. Im Dialog mit Juden lernen Christen, dass für das schen.« Dieser Aufruf ist häufig wiederholt worden. Die- Judentum das Überleben des jüdischen Volkes untrennbar jenigen, die dort leben, wo Hassausbrüche gegen Juden zusammenhängt mit seinem Gehorsam gegenüber Gott erfolgt sind, können der ganzen Kirche einen Dienst er- und seinem Bund. weisen, wenn sie die immer gegenwärtige Gefahr aufzei- 2.14. Lange Zeit, vor wie nach dem Aufkommen des Chri- gen, die sie erkannt haben. stentums, haben Juden Wege gefunden, gemäss der Tora 3.2. Die Verachtung von Juden und Judentum, die in be- zu leben und ihre Berufung zum besonderen Volk inmit- stimmten christlichen Traditionen gelehrt worden ist, hat ten der Völker durchzuhalten und ihr zu entsprechen. Es den Boden für den nationalsozialistischen Holocaust be- hat im Lauf der Geschichte Zeiten und Orte gegeben, wo reitet. Die Kirche muss lernen, das Evangelium so zu pre- Juden ihr Leben führen durften und von der Gesellschaft, digen und zu lehren, dass es nicht zur Verachtung von Ju- in deren Mitte sie sich niedergelassen hatten, respektiert dentum und jüdischem Volk missbraucht werden kann. und akzeptiert wurden: wo auch ihre eigene Kultur blühte Eine weitere Antwort der Christen auf den Holocaust, die und wo sie ihren spezifischen Beitrag zur Kultur ihrer auch von ihren jüdischen Partnern gegeben wird, ist der christlichen und muslimischen Mitmenschen leisten konn- feste Entschluss, derartiges nie wieder an Juden oder an ten. Oft waren es die nicht von Christen beherrschten einem anderen Volk geschehen zu lassen. Länder, die für das Leben in der jüdischen Diaspora die 3.3. Diskriminierung und Verfolgung von Juden haben besten Voraussetzungen boten. Es hat auch Zeiten gege- tiefsitzende sozio-ökonomische und politische Gründe. ben, in denen jüdische Gelehrte »aus der Not eine Tu- Religiöse Unterschiede werden übermässig betont, um gend machten« und das Leben in der Diaspora als ange- ethnischen Hass zu rechtfertigen, der nur den eigenen messene Besonderheit jüdischer Existenz bezeichneten. Interessen dient. Mit ähnlichen Phänomenen haben wir es 2.15. Es gab jedoch keine Epoche, in der die Erinnerung auch bei vielen rassischen Konflikten zu tun. Christen an das Land Israel und an den Zion, die Stadt Jerusalem, sollten alle religiösen Vorurteile bekämpfen, durch die nicht im Zentrum des Gottesdienstes und der Hoffnung Menschen zu Sündenböcken gemacht werden, d. h. für des jüdischen Volkes gestanden hätte. »Nächstes Jahr in die Fehler und Probleme von gesellschaftlichen und politi- Jerusalem« ist von jeher Bestandteil des jüdischen Gottes- schen Systemen verantwortlich gemacht werden. dienstes der Diaspora gewesen. Und die ständige Präsenz 3.4. Christen, die in den Regionen der Welt leben, in de- von Juden im Land und in Jerusalem hat immer mehr be- nen es keine oder kaum Judenverfolgungen gegeben hat, deutet, als dass sie hier lediglich einen Wohnort unter all dürfen nicht durch die begründeten Schuldgefühle ande- den anderen gehabt hätten. rer Christen vorherbestimmt werden. Sie sollen vielmehr 2.16. Die Juden sind sich in ihrem Verständnis des Staates selbst entdecken, welche Bedeutung die jüdisch-christli- Israel sowie seiner religiösen und/oder säkularen Bedeu- chen Beziehungen von den Anfängen bis heute für ihr Le- tung nicht einig. Dieser Staat ist für sie ein Teil des Rin- ben und Zeugnis haben.

68 4. Authentisches christliches Zeugnis glauben, dass die Bekehrung der Juden das eschatologi- 4.1. Christen sind berufen, ihren Glauben in Wort und sche Ereignis sein wird, das die Geschichte der Welt zu Tat zu bezeugen. Die Kirche hat eine Mission, ohne die ihrem Ende bringen wird. Wieder andere Christen räu- sie nicht Kirche wäre. Sie kann sich diese Mission nicht men der Mission unter Juden keine besondere Bedeutung aussuchen. ein, sie schliessen sie aber in die Mission an all denen ein, 4.2. Christen haben ihr Zeugnis oft dadurch verfälscht, die Christus nicht als ihren Heiland angenommen haben. dass sie — bewusst oder unbewusst, offen oder versteckt — Und es gibt noch andere, die davon ausgehen, dass Mis- unter Anwendung von Zwang Proselytismus betrieben ha- sion unter Juden nicht zum authentischen christlichen ben. Die Gemeinsame Arbeitsgruppe der Römisch-Katho- Zeugnis gehört, weil das jüdische Volk seine Erfüllung in lischen Kirche und des Ökumenischen Rates der Kirchen der Treue zum alten Gottesbund findet. erklärte zum Proselytismus zwischen christlichen Kir- 4.6. Dialog kann zutreffend als wechselseitiges Zeugnis chen: »Proselytismus ist alles, was das Recht eines Men- beschrieben werden, allerdings nur dann, wenn er in der schen — er sei Christ oder Nichtchrist — berührt, in religiö- Absicht geführt wird, auf den anderen zu hören, um des- sen Angelegenheiten frei von äusserem Zwang zu sein« sen Glauben, Hoffnungen, Erkenntnisse und Anliegen (Ecumenical Review 1 /1971, Seite 11). besser verstehen zu können und um den eigenen Glauben 4.3. Diese Absage an den Proselytismus und die Ermah- nach bestem Wissen darzulegen. Der Geist des Dialogs nung zur Achtung vor der Integrität und Identität aller besteht darin, in aller menschlichen Verletzlichkeit ohne Menschen und Glaubensgemeinschaften ist in den Bezie- Einschränkung für den anderen ganz offen und präsent hungen zu Juden und besonders zu den Juden, die als zu sein._ Minderheit unter Christen leben, ganz besonders wichtig. 4.7. Nach rabbinischem Recht werden Juden, die Jesus als Bemühungen, jede Art von Zwang zu vermeiden, sind von Messias anerkennen, als Abtrünnige angesehen. Für viele grosser Bedeutung. Im Dialog sollten Wege gefunden Christen jüdischer Herkunft ist jedoch ihre Identifikation werden, einander Sorgen und Beobachtungen in dieser mit dem jüdischen Volk eine wichtige geistliche Realität, Hinsicht mitzuteilen und zu erörtern, wie gegebenenfalls der sie auf verschiedene Weise Ausdruck geben: einige, Abhilfe geschaffen werden kann. indem sie Teile der jüdischen Tradition in Gottesdienst und Lebensweise übernehmen, viele, indem sie sich dem 4.4. Während alle Christen sich darin einig sind, dass es Wohlergehen des jüdischen Volkes sowie einer gesicher- keinen wie auch immer gearteten Zwang geben darf, sind ten und friedlichen Zukunft des Staates Israel besonders sie sich, aufgrund ihres jeweiligen Bibelverständnisses, verpflichtet fühlen. Bei den Christen jüdischer Herkunft nicht einig darüber, welches authentische Formen von findet sich eine ebenso grosse Vielfalt an Meinungen in Mission sind. In dieser Frage gehen die Meinungen weit der Missionsfrage wie bei anderen Christen, und es gelten auseinander: Von denen, die in der faktischen Präsenz für sie dieselben Kriterien für den Dialog wie auch für von Kirche in der Welt bereits das Zeugnis sehen, zu dem jede Ablehnung von Zwang wie für alle anderen. sie berufen sind, bis zu denen, die unter Mission die aus- 4.8. Wenn Christen verschiedener Traditionen auf loka- drückliche, organisierte Verkündigung des Evangeliums ler, nationaler und internationaler Ebene in den Dialog an alle verstehen, die Jesus (noch) nicht als HeilandAnge- mit Juden eintreten, werden sie ihr Verständnis des Ju- nommen haben. dentums in einer anderen Sprache, auf andere Art und 4.5. Diese Vielfalt an Meinungen in der Frage nach der Weise ausdrücken, als dies im Rahmen der hier vorliegen- Mission allgemein gilt auch für die Frage, wie authenti- den Ökumenischen Erwägungen geschehen ist. Diese ver- sches Zeugnis unter den Juden auszusehen habe. Hier ei- schiedenen Ausdrucksformen müssen unter den verschie- nige der von Christen vertretenen Ansichten: Es gibt Chri- denen Kirchen ausgetauscht werden — zum grösseren sten, die der Mission unter Juden eine besondere heilsge- Reichtum aller. schichtliche Bedeutung zumessen; es gibt andere, die (Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen: Ulrike Berger)

14 Beten, Sprechen und Denken in »jüdischen Kategorien« Von Dr. Franz Mussner, Professor emer. für neutestamentliche Exegese, Universität Regensburg

I. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher hat in seinen her- schrieben sehr stark aus dem Geist der Bibel, die ihnen meneutischen Entwürfen bemerkt: »Das Christentum hat vertraut war, in die sie sich hineingelesen hatten, deren Sprache gemacht. Es ist ein potenzierender Sprachgeist Sprache und Stil sie bewusst nachahmten. Die Männer von Anfang an gewesen und nochl«. Gewiss hat das Chri- der Urkirche dachten, sprachen, schrieben und beteten stentum »Sprache gemacht«, es hat die Sprachen der mis- in »jüdischen Kategorien« : eine Formulierung, die ich sionierten Völker ausserordentlich beeinflusst, ihr Lexi- von dem grossen jüdischen Gelehrten, dem besten Kenner kon vermehrt und semantisch angereichert. Daran ist der jüdischen Mystik, Gershom Scholem, übernommen nicht zu zweifeln, aber was man dabei nicht übersehen habe2. darf, ist dies, dass der eigentlich »potenzierende Sprach- geist«, von dem Jesus, Paulus und die Männer der Urkir- II. Beginnen wir mit Jesus und den Evangelien. Soweit wir che lebten, das vorchristliche Judentum war. Diese Män- sehen, gibt es kaum ein Lexem oder Syntagma in der ner waren ja selber grossenteils Juden, oder sie lebten und Sprache Jesu, das nicht aus der Sprachtradition seines Volkes, aus dem er hervorgegangen ist, stammen würde. ' E D. E. Schleiermacher, Hermeneutik. Nach den Handschriften Ich nenne zunächst exemplarisch zwei Grundbegriffe der neu herausgegeben und eingeleitet von H. Kimmerle (Abh. der Heidelberger Akad. der Wissenschaften, philos.-hist. Kl. 1959/ 2 G. Scholem, Walter Benjamin — die Geschichte einer Freund- 2. Abh.), (Heidelberg 21974), 38. schaft (Frankfurt 1975), 211.

69 synoptischen Predigt Jesu: »Umkehr« und »Königtum das Blut des Bundes !«, wobei besonders der Gedanke des (Reich) Gottes« bzw. — so vor allem im Mt-Evangelium — »Bundes« hervorzuheben ist, den Jesus aus der Tradition »Reich der Himmel«. Ich nenne ferner einen Grundbe- seines Volkes übernahm; mein Blut, das »vergossen griff, der vor allem im Mund des johanneischen Christus wird« : auch dies Übernahme einer hebräischen Wendung sich findet: »Leben« bzw. »ewiges Leben«'. Ich nenne wei- (vgl. Gen 9, 6; Ez 18, 10 u. ö.). Die Präpositionalphrase ter die Gottesanrede Jesu 'Abbä (»Vater«) bzw. die »für viele« ist orientiert an Jes 53, 12 (grosses Gottes- Gottesprädikation »der (unser) Vater im Himmel«. Ich knechtslied), und die »vielen« meint, wie vor allem das nenne schliesslich den in allen Schichten der evangeli- Qumranschrifttum jetzt zeigt, die Gesamtheit, d. h. also schen Tradition im Mund Jesu vorkommenden Begriff »alle«8. Hinter der Heilsansage Jesu »mein Bundesblut, »Menschensohn«. G. Dalman hat in seinem berühmten vergossen für viele«, steht die dem Judentum geläufige Werk »Die Worte Jesu« 4 darüber hinaus eine Menge von Idee vom stellvertretenden Sühnopfer9. Das zu Beginn des Begriffen und Redeweisen zusammengestellt, die sich im V. 25 stehende »Amen« stammt aus der liturgischen Spra- Mund Jesu bzw. in den Evangelien finden und die aus- che seines Volkes, wenn auch von Jesus im Sinn einer Be- nahmslos aus der jüdischen Sprachtradition stammen, et- teuerungsformel an den Beginn einer Aussage gestellt. wa die Gottesbezeichnungen »der Höchste«, »der Geprie- »Gewächs des Weinstocks« ist Hebraismus, der einfach sene« (»gepriesen sei er«), »die Kraft«, »der Heilige«, »der den Wein meint. »Reich Gottes« stammt aus der Sprach- Barmherzige« bzw. die damit verbundenen Ideen wie die, welt des Judentums. dass Gott der Heilige, der Barmherzige ist. Oder die soge- Ich habe in einem Aufsatz »Der Jude Jesus«" auf folgen- nannten vorsichtigen Redeweisen von Gott, wie: »die de Tatbestände hingewiesen, die sich aus den Evangelien Stimme«, »Schwur beim Himmel«, »Lohn, Schätze im erheben lassen: Himmel«, »eingeschrieben im Himmel«, »vor den En- —Der Gott Jesus ist der Gott Abrahams, Isaaks und Ja- geln«, »vor Gott«, »im Himmel gebunden« bzw. »gelöst«, kobs, der Gott Israels. »der Himmel«, »vom Himmel«, »Hosanna in der Höhe«, —Jesus ruft wie die Propheten Israels den Menschen radi- »von der Höhe«, »Amen«, »das Wohnen«, »die Herrlich- kal unter den Willen Gottes. keit«, »das Reden«, »der Ort«, das Passivum Theologi- cum. Dazu die christologischen Würdetitel »der Sohn —Jesus vertritt den alttestamentlich-jüdischen Schöp- Gottes«, »der Messias«, »Sohn Davids«, »der Herr« 5, »der fungsgedanken. Meister«6. —Jesus vertritt die alttestamentlich-jüdische Stellvertre- Ich wende mich einem zentralen Text der Jesusüberliefe- tungs- und Sühneidee. rung zu, nämlich den eucharistischen Einsetzungserzäh- —Jesus vertritt den Bundesgedanken. lungen, die uns bekanntlich im Neuen Testament in vier- —Jesus ist entschiedener Vertreter der »Armenfrömmig- facher Gestalt vorliegen (in Mk, Mt, Lk und 1 Kor). Es ist keit«, wie sie in Israel entwickelt worden ist. in der Exegese umstritten, welche Überlieferungsform, —Jesus tritt für eine bessere Gerechtigkeit ein. traditionskritisch gesehen, die älteste ist. Ich wähle für meinen Argumentationsgang die Mk-Erzählung (Mk 14, —Jesus ist Ansager der Zukunft Gottes. 22-25): »Und während sie assen, nahm (Jesus) Brot, —Jesus ist Vertreter der Emunä. sprach die Preisung, brach (es) und gab (es) ihnen und —Jesus ist Gesetzeslehrer — und gerade für viele Sätze sei- sagte: >Nehmt; dies ist mein Leib<. Und er nahm einen ner Halacha gibt es ähnliche Sätze in der phari- Kelch, sprach die Danksagung und reichte (ihn) ihnen, säisch-rabbinischen Halacha, wie uns die jüdische Le- und sie tranken aus ihm alle. Und er sagte zu ihnen: >Dies ben-Jesu-Forschung sehen liess, auch wenn Jesus harte ist mein Bundesblut, das vergossen wird für viele. Wahr- Kritik an der konkreten Torapraxis der Schriftgelehr- lich, ich sage euch: Auf keinen Fall werde ich trinken vom ten, und Pharisäer seiner Zeit geübt hat. Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, da ich es neu —Die Gebete Israels waren auch die Gebete Jesu, die er trinken werde im Reich Gottes<.«. von klein auf in seiner Familie betete". Die Psalmen Abgesehen davon, ob Jesu letztes Mahl im Rahmen des waren ihm vertraut". Als »bar mizwa« machte er zum jüdischen Pessachmahles stattgefunden hat, wofür zuletzt ersten Mal die Wallfahrt zum Pessachfest nach Jerusa- wieder R. Pesch in seinem grossen Markuskommentar lem mit (Lk 2, 41-51). entschieden plädiert hat', untersuchen wir im Rahmen un- Es ist gerade ein Anliegen des Lukas, die Gesetzestreue seres Themas diesen Text auf das Vorkommen »jüdischer und die Gesetzesfrömmigkeit der Eltern und der Ver- Kategorien« hin. Es fallen vor allem folgende ins Auge: wandtschaft Jesu hervorzuheben. Sie tun das, was in der »Brotbrechen« (entsprechend dem Eröffnungsritus des jü- »Tora des Herrn« geschrieben steht (vgl. z. B. 2, 23 f.), dischen Mahls, in der christlichen Gemeinde nach Aus- »wie es Sitte war« (2, 41). Schaut man auf die beiden be- weis der Apg dann geradezu Terminus technicus der Eu- rühmten Cantica in der lukanischen Kindheitsgeschichte, charistiefeier); »Preisung« (berakha), hier bezogen auf das »Benediktus« und das »Magnifikat«, so sieht man, den Preisspruch über das Brot; »Bundesblut«, eindeutige dass beide weithin ein Konglomerat — freilich ein wohlge- Anspielung auf Ex 24, 8, wo Mose das Volk mit dem Op- ordnetes — aus alttestamentlichen Zitaten darstellen, ähn- ferblut besprengt, verbunden mit dem Deutewort: »Siehe, lich wie die Loblieder der Qumranessener, freilich ge- schöpft aus dem freudigen Bewusstsein des jetzt anbre- Dazu E Mussner, 7.12H. Die Anschauung vom »Leben« im vier- chenden messianischen Heils und, was speziell das Ma- ten Evangelium unter Berücksichtigung der Johannesbriefe (München 1952). c Vgl. dazu J. Jeremias, in: ThWbzNT VI, 536-545. 4 Leipzig 2 1930. Vgl. auch J. Molitor, Grundbegriffe der Jesus- 9 Vgl. dazu besonders E. Lohse, Märtyrer und Gottesknecht. Un- überlieferung im Lichte ihrer orientalischen Sprachgeschichte tersuchungen zur urchristlichen Verkündigung vom Sühnetod Je- (Düsseldorf 1968). su Christi (Göttingen 1955), 9-110. Vgl. auch E Mussner, Art. Kyrios, in: LThK 21961, VI/ 1° Freiburger Rundbrief XXIII (1971), 3-7; vgl. auch L. Volken, 713-715; J. A. Fitzmyer, Der semitische Hintergrund des ntl. Ky- Jesus der Jude und das Jüdische im Christentum (Düsseldorf riostitels, in: Jesus Christus in Historie und Theologie (FS f. H. 1983). Conzelmann), (Tübingen 1975), 267-298. " Vgl. auch R. Aron, Die verborgenen Jahre Jesu (Frankfurt 6 Vgl. E. Lohse, in: ThWbzNT VI, 962-966. 1962). R. Pesch, Das Markusevangelium. II. Teil (Freiburg/Basel/ 12 Vgl. auch A. George, Jesus et les Psaumes, in: A la recontre de Wien 2 1980), 323-328. Dieu (Memorial A. Gelin), (Le Puy 1961), 297-308.

70 gnifikat angeht, gestaltet nach dem Vorbild des Danklieds Glaube wird immer in der Struktur jüdischen Glaubens der Hanna (vgl. 1 Sam 2, 1 - 10)13. Glaube seinu.« Was die christologische und soteriologische Interpretation Ich breche damit meine Ausführungen zu der These ab, des »Jesusphänomens« angeht, so griff die Urkirche dabei dass Jesus und die Urkirche weithin in »jüdischen Katego- auf die im Judentum vorgegebenen Würdetitel und Ideen rien« leteten, dachten, sprachen und schrieben. Ich frage zurück, vor allem auf die Idee der stellvertretenden Süh- aber nun abschliessend weiter: Welche Konsequenzen er- ne, des Sterbens »für viele«, für andere, mit deren Hilfe gaben sich daraus, wenn Jesus und die Urkirche — und mit sie im Anschluss an Jesus seinen Kreuzestod theologisch ihnen die Kirche bis heute — weithin in »jüdischen Kate- deutete, wie schon das »Urcredo« in 1 Kor 15, 3- 5 be- gorien« beteten, dachten, sprachen und schrieben? weist, dessen 1. Glied lautet: »Christus starb für unsere III. Konsequenzen aus der These Sünden.« Auch der Mann, von dem man im besonderen sagt, er ha- 1. Zweifellos hat Schleiermacher mit seinem Satz recht: be die Kirche aus dem Judentum herausgeführt, der Apo- »Das Christentum hat Sprache gemacht«, weil es die Spra- stel Paulus, sprach, dachte und schrieb vielfach in den »jü- chen der missionierten Völker ausserordentlich beeinflusst dischen Kategorien«, gerade auch in der von ihm vorge- hat, ihr Lexikon vermehrt und seinantisch angereichert tragenen Rechtfertigungslehre, auch wenn ihre Grundthe- hat. Aber der eigentliche »potenzierende Sprachgeist« war se, dass der Mensch »nicht aus Werken des Gesetzes, son- das Judentum, weil die Kirche in ihrer Verkündigung, dern durch den Glauben an Jesus Christus gerechtfertigt Theologie und Liturgie bis heute weithin in »jüdischen werde« (vgl. etwa Gal 2, 16), unjüdisch ist. Aber die Kategorien« redet, denkt und betet. Wir können gar nicht sprachlichen »Kategorien«, die verwendeten Lexeme genuin christlich reden, denken und beten, wenn wir es stammen aus der jüdischen Sprachtradition. Auch für das nicht in den übernommenen »jüdischen Kategorien« tun. sola-gratia-Prinzip gibt es jetzt frappierende Parallelen im Jesus war seiner menschlichen Natur nach Jude (vgl. M.t Qumranschrifttum. Dafür nur einige Beispiele aus den 1, 1 ff.; Röm 9, 5, Gal 4, 4 d). Er dachte, sprach und betete vielen, die genannt werden könnten": »Wenn ich aber selber in den »jüdischen Kategorien«; er lebte aus der wanke, sind Gottes Gnadenerweise mir Hilfe für immer. Sprachwelt seines Volkes. Die christliche Sprachwelt, die Komme ich zu Fall durch mein sündiges Fleisch, wird wir gern als genuin christlich empfinden, d. h. als »Pro- meine Rechtfertigung durch Gottes Gerechtigkeit ewig dukt« Jesu und der Kirche, stammt weithin aus dem Ju- bestehen . . . durch sein Erbarmen hat er mich nahege- dentum, wenn auch naturgemäss durch das »Christus- bracht, und durch seine Gnadenerweise kommt meine ereignis« die jüdischen Lexeme z. T. semantisch transfor- Rechtfertigung. Durch die Gerechtigkeit seiner Wahrheit miert wurden. Aber der Sprachboden blieb erhalten. In hat er mich gerichtet (gerecht gemacht), und durch die der Mission der Kirche werden bis zum heutigen Tag die Fülle seiner Güte wird er sühnen alle meine Sünden, und Völker der Welt mit den »jüdischen Kategorien« »infi- durch seine Gerechtigkeit reinigt er mich von menschli- ziert«; sie lernen auf diese Weise »jüdisch« denken. Mis- sionierung ist auch ein Sprachprozess ! Dies sollte deutlich chem Schmutz« (1 QS XI, 12 - 15). »Und ich weiss, dass der Mensch nicht Gerechtigkeit hat . . . bei dem höchsten und deutlicher gesehen werden. Gott sind alle gerechten Werke« (1 QHod IV, 30 f.). Man 2. Die Ekklesiologie spricht von »notae ecclesiae«, von vgl. ferner Esra-Apk 8, 36: »Denn dadurch wird deine »Merkmalen der Kirche«. Sie zählt deren vier auf: Die Gerechtigkeit und Güte, Herr, offenbar, dass du dich de- Kirche ist »eine«, ist »heilig«, ist »katholisch«, ist »aposto- rer erbarmst, die keinen Schatz von guten Werken ha- lisch«. Sie müsste eigentlich, belehrt vom Römerbrief, ben.« Freilich verband sich in Qumran solche Überzeu- noch eine fünfte »nota« nennen: die Kirche ist »Mitteil- gung von der Rechtfertigung »allein aus Gnade« mit haberin an der Wurzel« (11, 17). Wer ist mit der »Wur- strenger Torafrömmigkeit. Wie U. Wilckens in einem zel« gemeint, an der die Kirche teilhat? Aus dem Kontext Vortrag auf einer jüdisch-christlichen Tagung in Ham- von Röm 11, 17 ergibt sich, dass damit Israel gemeint ist, burg gezeigt hat, fällt Paulus auch mit seinem Glaubens- nicht etwa nur seine »Väter«, die Patriarchen. Denn da ist begriff nicht aus dem Rahmen des Judentums". Der ja nicht bloss von der »Wurzel« die Rede, sondern von »Glaubensbegriff« des Paulus meint genau das, was der dem »fetten Ölbaum« und seinen »Zweigen«. Diese Meta- Jude unter »emunä« versteht: Gott »trauen« und ihm »ver- phern vermitteln ein »Ganzheitsbild«, das sich auf Israel trauen«. »Glauben im Sinne des Paulus ist . . . als solches bezieht. Dass der Apostel dabei die »Wurzel« so stark her- gar nichts Neues . . Das Neue besteht nicht im Glauben austellt — viermal ist in 11, 16-18 von ihr die Rede —, hat als solchem, sondern einzig in der neuen Heilssetzung seinen Grund darin, dass es die Wurzel ist, aus der dem des Gottes Israels im Sühnetod Christi, aufgrund dessen Baum die Säfte zufliessen und so ihm seine »Fettigkeit«, Sünder nun an Gott glauben dürfen«16, d. h. sich ihm d. h. seine Fruchtbarkeit verleiht. Die (Heiden-)Kirche ist ganz anvertrauen und ihm vertrauen dürfen. Oder mit »gegen die Natur« in den edlen Ölbaum von Gott »ein- einer anderen Formulierung Wilckens': »Das Christen- gepfropft« worden (11, 20) und wurde so durch die Gna- tum hat sich keineswegs als eine neue Glaubensreligion de Gottes »Mitteilhaberin an der Wurzel« und »an der der jüdischen Gesetzesreligion gegenüber etabliert, son- Fettigkeit des Ölbaums« (11, 17). Die Konsequenz aus dern christlicher Glaube ist alttestamentlich-jüdischer Glau- dem Metaphernzusammenhang, den der Apostel aufbaut, be in neuer heilsgeschichtlicher Situation . . . Christlicher ist die, dass die Kirche ohne die Wurzel, die Israel heisst, gar nicht existieren könnte; sie hätte dann (trotz Christus) keine »Wurzel«. Paulus ruft das der Kirche ermahnend 13 Vgl. dazu etwa auch J. Gnilka, Der Hymnus des Zacharias, in: ins Bewusstsein: »Nicht du trägst die Wurzel, sondern die BZ, NF 6 (1962), 215-238; J. T Forestell, Old Testament Back- ground of the Magnificat, in: Marian Studies 12 (Washington Wurzel trägt dich I« (11, 18). Das heisst doch: Israel 1961), 205-244; W Keuck, Maria und die Bibel Israels. Sie hör- »trägt« die Kirche, nicht umgekehrt! Hat das aber die te, glaubte, betete die Bibel Israels (Freiburg/Schw. 1978). Kirche in ihrer Theologie jemals realisiert? Hätte sie das 14 Vgl. dazu F. Mussner, Der Galaterbrief (Freiburg/Basel/ getan, wäre sie nicht dem folgenschweren und fatalen An- Wien 41981), 168f. (mit der einschlägigen Literatur). tijudaismus verfallen, der die christliche Theologie bis 13 U. Wilckens, Glaube nach urchristlichem und frühjüdischem Verständnis, in: P. Lapide/F. Mussner/U. Wilckens, Was Juden zum Zweiten Vatikanischen Konzil weithin beherrscht und Christen voneinander denken. Bausteine zum Brückenschlag hat — und leider z. T. heute noch beherrscht. Was wir vor- (Freiburg/Basel/Wien 1978), 72-96. 16 Ebd. 95. 17 Ebd. 96.

71 her über die Rezeption der »jüdischen Kategorien« ausge- tiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein führt haben, hat nun gerade auch mit der »Wurzel«-Funk- Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn« (Gen 1, 26 f.). tion Israels zu tun. Denn Israel, das Judentum, ist auch in »Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaf- sprachlicher und hermeneutischer Hinsicht die »Wurzel« fen und ihn zum Abbild seines eigenen Wesens gemacht« der Kirche geworden, wie wir gesehen haben. Die Bedeu- (Weish 2, 23). tung dieser Erkenntnis sei kurz an zwei Beispielen demon- Die deutschen Bischöfe bemerken dazu (a. a. 0. 7, Nr. 4): striert. »Die Lehre von der Ebenbildlichkeit des Menschen mit 3. Dies sei zuerst an der Kategorie »Schöpfung«, die zu Gott impliziert die unantastbare Würde des Menschen den Grundkategorien alttestamentlich-jüdischen Denkens und damit auch das, was man >die Menschenrechte< gehört, demonstriert". Die Idee, dass die Welt von Gott nennt. Nach der Lehre des Judentums vermindert der erschaffen ist, kommt in klassischer Prägnanz gleich im Mörder die Gottebenbildlichkeit". Man darf den Näch- ersten Vers der Bibel zum Ausdruck: »Im Anfang erschuf sten nicht verachten, weil er nach Gottes Bild geschaffen Gott den Himmel und die Erde« (Gen 1, 1). Mag man ist20. Der Herr schuf mit eigenen Händen einen Men- diese Aussage auch als eine Art von »Überschrift« über die schen und machte ihn seinem eigenen Antlitz ähnlich .. . folgende Schöpfungsgeschichte betrachten, so enthält sie Wer des Menschen Antlitz verachtet, verachtet das Antlitz doch bereits ein theologisches Programm von grosser des Herrn21 ! Ganz aus diesen Überzeugungen des Juden- Tragweite für die ganze Menschheit, die ohnehin den tums heraus hat der Jakobusbrief formuliert: >Mit ihr (der Horizont der »Urgeschichte« von Gen 1-11 abgibt. Der Zunge) preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr ver- Vers stellt programmatisch fest, dass creator und creatura, fluchen wir die Menschen, die als Abbild Gottes erschaf- Schöpfer und Geschöpf, nicht identisch, austauschbar und fen sind< (Jak 3, 9).« verwechselbar sind. Im ersten Vers der Bibel wird so »die Solche Überzeugungen und »Kategorien« gehören zum ontologische Differenz« zwischen Gott und der Welt von grossen geistlichen Erbe Israels, vermittelt durch Jesus vornherein und für immer ausgesprochen. Kosmogonie ist und die Kirche in die Völkerwelt hinein. So gesehen ist Is- nicht Theogonie, wie in den altorientalischen Schöpfungs- rael paradigmatisch für die Völker geworden, die ohne Be- mythen. »Kein Wort gibt es in den Kosmogonien anderer achtung dieser Überzeugungen aus der Welt ein Konzen- Völker, das diesem ersten Wort der Bibel gleichkäme«, trationslager machen, wie die Erfahrung der Geschichte hat einst H. Gunkel bemerkt. immer mehr zeigt. Damit sind wir beim letzten Punkt. »Durch Jesus und die Kirche ist die Schöpfungsbotschaft 4. Dolf Sternberger veröffentlichte bald nach dem Zwei- des Alten Testaments in die Völkerwelt gekommen. Sie ten Weltkrieg ein Buch mit dem Titel »Wörterbuch des hilft den Menschen, das richtige Verhältnis zur Welt zu Unmenschen«. Auffällig am »Wörterbuch des Unmen- gewinnen« (so die deutschen Bischöfe in ihrer am schen«, wie er sich speziell in den atheistischen Grossdik- 28. April 1980 verabschiedeten »Erklärung über das Ver- taturen unseres Jahrhunderts manifestiert, ist der Um- hältnis der Kirche zum Judentum«, S. 7, Nr. 3). Die Welt stand, dass die »jüdischen Kategorien« aus diesem Wör- als creatura zu sehen, hält das Denken der Menschheit terbuch verschwinden oder einer semantischen Verdre- gesund. Dann wird die Welt in ihrer wahren Qualität ge- hung unterworfen werden. Zum Geschäft des vom Neuen sehen und ein sachgemässes Reden über Gott und die Testament angesagten »Antichrist« wird nicht bloss dies Welt selber erst möglich. Der erste Vers der Bibel verhin- gehören, »Jesus aufzulösen« (nach einer bedeutenden Les- dert eine Vergöttlichung der Schöpfung. art zu 1 Joh 4, 3) und die Kirche zu vernichten, sondern Eine zweite »Kategorie« alten jüdischen Denkens sei noch auch die: die »jüdischen Kategorien« aus der Denkge- genannt, die von besonderer Aktualität gerade für unsere schichte und dem bisherigen Wörterbuch des Menschen Zeit ist, vor allem im Hinblick auf die Menschenrechtsdis- auszumerzen. Das wird vor allem dazu führen, dass an kussion. Ich meine die Kategorie »Abbild« im Zusammen- die Stelle der Sprache der Liebe jene der nackten Macht hang der Lehre des alten Israel, dass der Mensch das Ab- treten wird. Dann wird die Welt nicht mehr Heimat des bild Gottes ist. »Dann sprach Gott: Lass uns Menschen Menschen sein, sondern ein Gross-KZ, in dessen »Sprach- machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen labor« das »Wörterbuch des Unmenschen« zur Perfektion über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, gebracht werden wird. über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriech- 19 Mekilta Bachodesch 8, 72 f. "' Vgl. dazu auch F. Mussner, Traktat über die Juden (München 20 Ebd. 20, 26. 1979), 92-99. 21 Slav. Henoch 44, 1.

15 Laudatio auf Franz Böhm Gehalten von Dr. Rainer Barzel anlässlich der Errichtung des Franz-Böhm- Lehrstuhls für Wirtschaftswissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem am 15. Juli 1982 im Saal der Israelitischen Kultusgemeinde in München

I nes Lebens«. Franz Böhm kannte ich aus der wissenschaft- »Es liegt eine edle und unbeugsame Standhaftigkeit in lichen Lektüre und aus den Zeitungen. Im Herbst 1957 dem lauteren Wahrheitsgefühl und in dem Pflichtbe- begegneten wir uns erstmals von Mensch zu Mensch. Wir wusstsein solcher Kinderseelen. Sie sind weich und hart waren Kollegen im Deutschen Bundestag, in der Fraktion zugleich; aber ihre Härte ist nicht Rohheit und Gewalt- der CDU/CSU und als Mitglieder im Wirtschaftsaus- samkeit, sondern die feine Härte des Diamanten.« schuss. Ich hatte ihn vorher nicht zu Gesicht bekommen. Diese beiden Sätze aus der Rede Franz Böhms zu Ehren Meine Neugier auf diesen Heroen des Geistes und der Pestalozzis (1946) treffen ebenso auf Franz Böhm selbst Moral war so stark wie meine Überraschung, als ich ihn zu. Sie sind — wie Mestmäcker meinte — »die Summe sei- bei gemeinsamer Arbeit mehr und mehr kennenlernte.

72 Dieser überragende Geist, der wortgewaltige Schreiber Die berühmte Rede, die Böhm im Jahre 1949 als Rektor und Redner, der kraftvolle Widerständler, zähe Unter- der Frankfurter Universität aus Anlass der Eröffnung des händler — alles das wusste ich über ihn —, der wirkte nun Internationalen Gelehrten-Kongresses in Frankfurt am so ganz anders; auf mich und für mich so ganz anders: Main hielt, enthält eine Passage, die ich oftmals nachgele- Zurückhaltend und fast schüchtern; liebenswürdig, hilfs- sen habe — nicht nur, weil sie brillant ist, sondern weil sie bereit, manchmal wie ein noch unbeholfener Junge; takt- ahnen lässt, wo der Kern der Böhmschen Gedanken wohl voll; immer von nebenan, nie von oben herab; dabei von zu finden ist. Ich zitiere: unübersehbarer Würde, die von selbst und aus dem Inne- »Ich glaube, die geschichtliche Erfahrung hat gelehrt, ren strahlte, sie auch dem Jüngeren zuerkannte. Von dass die Welt der persönlichen Kultur auf die Dauer bedächtiger Sprache war er, und seine Bewegungen schie- keinen Bestand haben kann, wenn sie nicht die Kraft nen mehr um Verständnis und Nachsicht zu bitten als et- hat, eine ihr entsprechende Welt der politischen und so- was zu fordern. Zart wirkte er und überaus gütig; sensibel zialen Kultur aus sich heraus zu erzeugen.« die Hände, der Mund und der Blick wissend, tiefgehend »Der geschichtliche Kampf zwischen Freiheit und und ohne Um- oder Abschweif geradeaus. Macht muss notwendig auf dem Boden der Macht und Nach landläufiger Vorstellung trat da wohl eher ein mit den Mitteln der Macht ausgetragen werden.« Künstler oder ein Professor in Erscheinung als ein homo »Nicht wenigen Deutschen ist es tatsächlich gelungen, politicus, der seine Zeit herausforderte, der unbequeme in der Zeit der Hitlerherrschaft ihre eigene Seele zu ret- Wege wies und vorausging, der durch nichts von seiner ten und ihre Hand rein zu halten von Mord, Raub, Erkenntnis abzubringen war, der scharfsinnig, zäh und Terror, Erpressung, Denunziation, Machtgier, Stellen- tapfer herbeizuführen oder zu widerstehen, der auch mit jägerei, Niedertracht und Gemeinheit. Aber ihr Volk List und Witz zu kämpfen wusste. vor der Überwältigung zu retten, das ist ihnen nicht ge- Ja, ja — da lebte und wirkte einer, den »edle und unbeug- lungen . . .« same Standhaftigkeit«, »lauteres Wahrheitsgefühl«, »Wenn ein böser, unreiner Geist in einem Volk Gestalt »Pflichtbewusstsein« und die geduldige, unbeugsame »fei- wird, unter ihm als Person lebt, im weiteren Umkreis ne Härte des Diamanten« auszeichneten. alles um sich schart, . . . mit hartem Willen die Zügel Nicht der Schlag mit der Faust — der stete Tropfen höhlt der Gewalt ergreift, . . . eine bestimmte Seite . . . der den Stein. Franz Böhm wusste und lebte das. menschlichen Natur in einer eindeutigen Fratze pla- 1950 schrieb Böhm über Walter Eucken: Der sei mehr ge- stisch werden lässt, die Nation in Schande, Frevel und wesen als ein grosser Gelehrter — ein geistiger Ermutiger. Wahn verstrickt . . ., dann wird sich dieses Volk wie ein Franz Böhm war mehr als das beides: ein Herausforderer, Verzweifelter wehren, wenn die erbitterte Welt den Durchsetzer, Beweger und Bezwinger. Versuch macht, ihm diesen Menschen zuzurechnen, ihm zu sagen: die Schuld dieses Menschen ist deine II Schuld, dieser Mensch ist dein Spiegelbild, er würde Nicht ohne Zögern habe ich den Ruf, diese Laudatio zu nicht Gewalt über dich, gewonnen haben, wenn du halten, angenommen. Ich habe gezaudert, weil es Berufe- nicht wärst wie er.« nere gibt; auch, well über Franz Böhm zutreffend so viel Für mich sind diese Sätze der Wegweiser zu dem Schlüs- Gutes — zu seinen Geburtstagen, anlässlich seiner Erfolge sel, welcher die Türe zu Böhms Gedankengebäude öffnet. und Ehrungen, zu seinem Tode — gesagt und geschrieben Denn, so ist doch wohl zu fragen, wie kommt so einer — wurde, dass mich die Sorge überkam, ich könne heute nur Jurist, Humanist, gelehrt, belesen, bürgerlich — wie noch einmal das aufnehmen, was schon gesagt ist. kommt ausgerechnet so einer dazu, sich dem Problem der Böhms Beitrag zu Konzept und Realität der sozialen privaten und öffentlichen Macht zu stellen? Auf diese Fra- Marktwirtschaft ragt heraus wie der zur deutschen Wie- ge eine Antwort zu wagen? So weit zu wagen, dass Franz dergutmachung an den Juden' und zum Beginn eines kon- Böhm uns so hintergründig zublinzelt wie apodiktisch struktiven Verhältnisses zwischen Deutschland und Israel; verkündet: »Der Wettbewerb ist das genialste Entmach- wie der zum Wiederaufbau un9eres Vaterlandes und sei- tungsinstrument der Geschichte.« ner Universitäten; wie sein durch tapferen, gefährlichen, Nachdem uns so der Schlüssel die Türe geöffnet hat, tre- zivilen Widerstand gelebter Beitrag zum Glauben an das ten wir ins Zimmer. Wir nähern uns, wie ich glaube, dem andere, bessere Deutschland in der finstersten Zeit unse- Zentrum, wenn wir diesen Satz lesen: »Der Anspruch der rer Geschichte. Das alles ist unverwechselbare, beispiel- Tyrannei ist nicht Bosheit, er ist Menschennatur.« Das ist, hafte Lebensleistung und verpflichtet uns. so meine ich, Böhms Schlüsselsatz. Mit meinen Worten: III Das Dämonische ist in uns. Nochmals habe ich von und über Böhm gelesen, was nur Böhm sagt es besser: »Wir müssen uns . . . zu der Erkennt- erreichbar war. Da wuchs in mir die Neigung, aus der Di- nis durchringen, dass der Geist der Inhumanität und der stanz der Jahre eine Deutung und Würdigung aus dem Gewaltsamkeit eine durchaus eigenständige Macht ist, die Werk Franz Böhms selbst zu wagen — nicht aus seinem keiner weiteren Erklärung bedarf als der Feststellung, Herkommen, nicht aus seinem Lebensweg, sondern aus dass Inhumanität und Gewaltsamkeit menschliche Urtrie- dem, was offenbar seinen Geist so beschäftigte, dass er es be sind, die das Verhalten zwischen Mensch und Mensch vortrug und niederschrieb. Ich wage das, weil ich erlebte, und weit mehr noch, das Verhalten zwischen Gruppe und dass er und wie er aus dem Geist lebte und für den Geist Gruppe zu bestimmen trachten.« wirkte. Zudem halte ich es für richtig und angemessen, Böhm beschreibt nicht nur, was er erkennt. Für ihn ist mehr den zu Ehrenden selbst zu Wort kommen zu lassen. Wissenschaft »eine die geschichtlichen Tatsachen mitge- Böhm braucht keinen Interpreten. Er ist — bis heute — staltende geistige Macht« — nicht, so seine Worte — ein le- selbst faszinierend. diglich registrierender, prognostizierender, glorifizieren- 1 Vgl. u. a. dazu: Franz Böhm: Der Wiedergutmachungsvertrag der Hausadvokat und Lakai der Geschichte. Böhm will und die arabischen Staaten. Rundfunksendung vom 18. 11. 1952; aus geistiger Erkenntnis gestalten. in: FrRu V, 19/20 (Januar 1953), S. 11 ff. — Ders.: Eine Weltver- Also will Böhm vor diesem Urtrieb, vor dieser urtümli- pflichtung/Israels Recht auf Existenz, ebd. IX, 33/36 (Oktober chen Macht nicht resignieren, sich nicht skeptisch mit ihr 1956), S. 4. — Moshe Tavor: Der Architekt der Versöhnung. Er- innerungen an Franz Böhm, ebd. XXIX/1977, S. 54. — Geboren arrangieren, sondern er will sie, soweit menschenmöglich, 1895, verstorben am 26. 9. 1977. (Anmerkung d. Red. d. FrRu) zurückdrängen — durch Verfassungsgrundsätze, Wettbe-

73 werb und Haltung besiegen; in den Griff bekommen, und totalitären politischen Gewalt. . . . Doch schon lange, würde man heute in unserer flacher und technischer ge- bevor sich im Volk diese Demokratiefeindlichkeit und wordenen Sprache wohl sagen. Machtversuchung ausbreiteten, hatten eine Reihe geisti- In seiner herausragenden Arbeit über »Die verantwortli- ger Avantgardisten Humanität und Rechtsstaat, Demo- che Gesellschaft« (1957) greift Böhm auf ein Gleichnis des kratie und Parlamentarismus in geschliffener Sprache mit Neuen Testamentes zurück, auf das vom barmherzigen vernichtender Kritik überschüttet und die kalte menschen- Samariter. Böhm betont, der Samariter habe aus Näch- verachtende Gewalt, den Tatmenschen ohne Gewissen stenliebe »vernünftig, zweckmässig, unter sinnvoller und und Mitleid, die mörderische Leidenschaft des vitalen ordnungskonformer Inanspruchnahme aller erreichbaren Barbaren gepriesen und verklärt. . . . Verfassungsmässige Mittel« geholfen. Er änderte und verbesserte die Lage des Begrenzungen und Kontrollen der politischen Gewalt fast Erschlagenen. Konkret, durch situatives Handeln, po- sind der einzig wirklich wirksame Schutz der Humanität.« litisch ausgedrückt: durch Zuständereform. Franz Böhm hielt die »individuellen Tugenden nicht für Von diesem Ansatz her behandelt Böhme die verantwort- ausreichend, um den Gefahren der wirtschaftlichen und liche Gesellschaft! Aus der Erkenntnis über das Vorhan- politischen Macht zu entgehen« (Mestmäcker). Verfas- densein des Bösen im Menschen fordert er, das Gute in sungsgrundsätze müssten das soziale und politische Zu- der Konkurrenz des Bösen konkret zu fördern, zu pfle- sammenleben beherrschen. »Nur diese könnten ein Volk gen, zu entfalten. Auf diese Weise das Böse zu überwin- gegen das Überhandnehmen von Macht, Gewalt, Unter- den. drückung und Ausbeutung schützen.« So wird, mit meinen Worten, Politik zur Sache der Re- form des Bestehenden, der Entfaltung realer Freiheit. V Leider kannte ich diese Schrift noch nicht, als wir zu- Freiheit und Ordnung prägen nach Franz Böhm die So- sammenarbeiteten. Ich hätte mich ihm sonst noch mehr ziale Marktwirtschaft. Er begründet diese Ordnung aber genähert. Denn dieses biblische Gleichnis, das seinen zen- nicht ökonomisch oder sozial, sondern ganz zuerst — wir tralen Ansatz ausdrückt, war auch mein politischer Aus- kennen den Grund — anthropologisch und politisch: Die gangspunkt. Erstaunlich, dass ein Liberaler von da her- Steuerung des marktwirtschaftlichen Systems durch die kam! Marktpreise garantiere nicht nur eine optimale volkswirt- So nimmt es nicht Wunder, dass Böhm auch einem ande- schaftliche Produktivität, sondern ein Höchstmass an ren Begriff neben der Freiheit zentralen Rang einräumt: rechtsstaatlicher und politischer Freiheit des Menschen. Der sozialen Gerechtigkeit: »Aufgabe der Wirtschaftsver- Die Individuen lenkten durch ihre alltäglichen Kaufent- fassung ist es«, so lehrte Böhm, »die bestmöglichen Vor- scheidungen über den Markt die Wirtschaft. Das sei eine aussetzungen dafür zu schaffen, dass die am Wirtschafts- täglich und stündlich wiederholte Volksabstimmung. So hergang beteiligten Rechtsgenossen sinnvoll zusammen- beschränke diese Ordnung der Freiheit nicht nur die wirken und dass das Ergebnis ihres Zusammenwirkens Staatsaufgaben, sondern sie räume den Bürgern ein Opti- nach einem Schlüssel verteilt wird, der sich vor dem mum von konsumtiver und produktiver Planungsordnung Richterstuhl der sozialen Gerechtigkeit verantworten ein. lässt.« Diese Ordnung füge sich vollkommen in die politische Diesen Grund-Satz können Liberale wie Christlich-Sozia- Demokratie ein und sei selbst ein demokratischer Vor- le und Sozialisten unterschreiben. Das erklärt zugleich, gang. In dieser demokratischen Wettbewerbsordnung sei warum der Respekt für Böhm nicht an parteiischen Gren- jeder von allen, aber keiner von einem bestimmten ande- zen Halt machte. ren abhängig. Diese Ordnung erhalte die Freiheit durch Machtbegrenzung und Verhinderung von Ausbeutung. IV Sie sei die höchste kulturelle Leistung. Schon 1946 meldete sich Franz Böhm in der verfassungs- Kurt Biedenkopf berichtet, Böhm habe gewusst, »seinen politischen Debatte — kritisch gegen Adolf Arndt — zu Studenten vor Augen zu führen, wie man die Unvollkom- Wort. Dabei liess er weder das Problem der Macht noch menheit des Menschen zum Nutzen des Menschen einset- die Frage nach der realen Freiheit ausser acht. Ich zitiere: zen« könne und müsse. »Ohne gerechte Wirtschaftsordnung keine Demokratie. VI Denn solange die Menschen in Angelegenheiten ihrer Be- In einem Brief begründete Franz Böhm die Notwen- darfsversorgung, ihres Einkommens und ihrer beruflichen digkeit, nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzuma- Beschäftigung von der Willkür eines Teils ihrer Mitmen- chen. So wie im einzelnen auch das Tyrannische ange- schen abhängen, solange sie sich im wirtschaftlichen All- legt sei, gäbe es eben im Staat und im Volk auch gut und tag dem Machtwillen von Privatpersonen, Privatgesell- böse. schaften und Privatverbänden beugen müssen, solange Böhm sagte es mit diesen Worten, die mich in ihrer nützt es ihnen nicht viel, wenn sie als Wähler oder Ge- schlichten und geraden Aufrichtigkeit anrühren; die ich wählte an der Staatsgewalt teilnehmen dürfen . . . Wir ver- zugleich einem anderen wohl kaum abgenommen hätte: langen von der Staatsgewalt nicht nur, dass sie ihre eige- »Wenn die Bösen ans Regiment kommen und ihrem nen Machtgelüste bändigt und sich... an feste Grenzen Staat und Volk zur Unehre gereichen, so ist es die und Grundsätze bindet, sondern auch, dass sie wildge- Pflicht der Guten, die Ehre ihres Staats und Volkes da- wachsene (private) Machtballungen entweder zerstört durch wiederherzustellen, dass sie Gutes tun und Wun- oder aber im Zaum hält.« den heilen, wenn sie ihrerseits wieder ans Regiment 1965 schrieb Franz Böhm »Zur Humanitätsfrage«. Er kommen . .« blieb seinem Ansatz wie seinem roten Faden treu; ich zi- »Es lässt sich nicht vermeiden, dass die Guten für die tiere: »Überhaupt handelt es sich bei der Humanität nicht Taten der Schlechten mit aufkommen, wenn die Guten um verzärtelte Umgangsformen, sondern um das gegen- so unvorsichtig oder so unvermögend waren, dass sie es seitige Geltenlassen . . . Verhängnisvoller als andere Ur- nicht verhindern konnten, dass sich die Schlechten des sachen, die in unserem Jahrhundert eine Epoche beispiel- Steuerruders in ihrem Staat bemächtigen . . .« loser Inhumanität heraufgeführt haben, war die Beseiti- »Als Mensch fühle ich mich nicht schuldig an dem, was gung aller rechtsstaatlichen und demokratischen Macht- sich in Auschwitz ereignet hat. Aber als Deutscher fühle begrenzungen und die Aufrichtung einer schrankenlosen ich mich haftbar für die Folgen.«

74 VII So ragt und mahnt sein Bild, gewinnt bleibende Gestalt, Bitte erlauben Sie mir, diese Würdigung abzuschliessen wirkt über den Tod hinaus, nimmt uns in die Pflicht und mit einer Erkenntnis und einer Forderung Franz Böhms: wird den Nachkommenden zum Wegkreuz. • Die Erkenntnis: Wir werden dieser Pflicht nur gerecht werden, wenn wir »Ich betone noch einmal: Die schwerste Gefahr, die uns der prinzipiellen und zentralen Forderung Franz Böhms heute bedroht, ist nicht die Gefahr der Atombombe, son- entsprechen: Ich sage es mit seinen Worten: »Die doppel- dern die Gefahr des totalitären Staates, der heute die ein- te Moral im persönlich-kulturellen und im politischen Be- zige Ursache davon ist, dass wir vor der Gefahr der reich aus dem Geist und aus der Wahrheit zu überwin- Atombombe zittern müssen.« (1957) den.« Aus dem Geist und aus der Wahrheit, nicht den »konstitu- Die Forderung: tiven Gegensatz von Macht und Geist« (Max Scheler) als ». . dass der Erfolg nicht den Burgfrieden zwischen den gegeben hinnehmen, nicht nur erkennen, beschreiben, Bekennern der Freiheit und den Lauen erfordert, sondern fordern, sondern handeln, siegen, eben: überwinden — den unablässigen Angriff der Bekennenden auf die Lau- auch das Tyrannische in uns, wie den in Deutschland ver- en.« (In: »Licht aus altem Grauen«) breiteten Gegensatz von Macht und Geist, überwinden. Wo dieser Geist wirkt, da lebt Freiheit, lebt Würde, lebt Das ist es. Toleranz. Da lebt auch die Entschlossenheit zum Kampf für diese Werte, für eine Ordnung aus und nach diesen VIII Werten. Wo das lebt und wirkt, ist Zukunft und Hoff- Wenn an dem Lehrstuhl nun aus diesem Geist gelehrt und nung. Es liegt an uns, weiterzugeben, was wir — dankbar — die Macht überwindend gehandelt wird, dann wird dieser empfingen. Lehrstuhl zum Samariter unserer Zeit, zum unbestechli- Ich hoffe und wünsche, dass der Lehrstuhl für Franz chen Mahner der Würde des Menschen, die er nur in Böhm an der Hebräischen Universität zu Jerusalem nicht konkreter, realer, alltagswirksamer, sozial gesicherter nur den Kommenden sagt: Ja, wir haben gesündigt. Nicht Freiheit erlebt. nur: Seht her, es ist den Edelsten gelungen, dem entge- Wenn es so wird, wenn so Kraft entsteht und wirkt, dann genzutreten und tapfer den Weg zu neuen Ufern zu wei- sind wir heute Zeugen eines geistigen Starts, der eher als sen und zu gehen. Nicht nur: Israelis und Deutsche, Chri- alle Raketen des Materialismus Berge versetzen, Hoff- sten und Juden haben gelernt, was sie verbindet. Sondern nungen begründen, Zustände reformieren und den Men- auch dies: Auf den Menschen kommt es an. Auf die, auf schen helfen kann, ihre Würde zu finden und zu erleben. den, auf dich. Der Entschluss, diesem Lehrstuhl den Namen Franz Franz Böhm war und ist aktuell, ein Wegweiser der Hu- Böhms zu geben, rührt mich als einen Deutschen als ein manität und der Freiheit. Ihm gelang das Höchste: Der zu Zeugnis dieses Geistes an: Ein Zeichen der Hoffnung und werden, der er sein sollte. der Ermutigung.

16 Israel: Berichte I Die Wahlen in Israel zur 11. Knesset, am 13. September 1984 vereidigt" a) Israels neue Einheitsregierung

Schimon Peres, Premierminister (bis auf weiteres auch Innen- und Religionsminister) (Arbeiterpartei) fizchak Schamir, stellvertretender Premier und Aussenminister (Likud) Jizchak Navon (Vizepremier, Erziehung und Kultur) (Arbeiterpartei) David Levy (Vizepremier; Wohnbauministerium) (Likud)

Minister der Arbeiterpartei: Minister des Likud (Cherut/Liberale): Jizchak Rabin (Verteidigung) Jizchak Moda'i (Finanzen) Gad Jakobi (Wirtschaftsplanung) Ariel Scharon (Industrie und Handel) Mordechai Gur (Gesundheit) Chaim Corfu (Transport) Mosche Schachal (Energie) Mosche Kazaw (Arbeit und Soziales) Chaim Bar-Lew (Polizei) Mosche Nissim (Justiz) Jakow Zur (Einwanderung) Awraham Scharir (Tourismus) Arie Nechemkin (Landwirtschaft) Gideon Patt (Wissenschaft und Entwicklung) Amnon Rubinstein (Kommunikation), Schinuj-Partei Eser Weizman (Minister im Büro des Premiers), jachad-Partei Minister ohne Portefeuille: Jizchak Perez (Schass, Orthodoxe) Jigal Hurwitz (Omez) Joseph Burg (Mafdal, Nationalreligiöse) Mosche Arens (Likud) Joseph Schapira (Moraschalkein Abgeordneter!)

* In: Israelitisches Wochenblatt (84/38), Zürich, 21. 9. 1984, S. 1, 13.

75 b) Israel hat eine neue Regierung Von .Dr. Roland Gradwohl, Jerusalem Schimon Peres ist am Ziel. Nach der Unterzeichnung des Neben dem Wirtschaftsproblem will Schimon Peres dem umfangreichen Koalitionsabkommens zwischen der Ar- Sicherheitsproblem seine grösste Aufmerksamkeit zuwen- beiterpartei und dem Likud von Jizchak Schamir, dem bis- den. »Unsere Hauptaufgabe besteht in der Garantierung herigen Ministerpräsidenten, wurde die bisher grösste Re- der Sicherheit der galiläischen Ortschaften und in der gierung Israels mit ihren 25 Abgeordneten am 13. Septem- Rückbringung unserer Soldaten (aus dem Libanon).« Zu- ber gegen Mitternacht vereidigt. dem wird er alles tun, um den Friedensprozess in Gang zu Weil keiner mit einer derart gro-ssen Zahl von Ministern halten. Er appelliert an die arabischen Nachbarstaaten, in kurzfristig Beschlüsse fassen kann, wird Wesentliches in »seriösen Verhandlungen die Streitigkeiten mit Israel bei- einer »kleinen Regierung« besprochen und entschieden. zulegen«, und ruft König Hussein von Jordanien zu bila- Das Mammutkabinett ist letztlich nichts anderes als ein teralen Gesprächen auf. »Wir sind bereit, mit Jordanien reduziertes Parlament. Über 90 Knessetmitglieder stützen jeden Vorschlag, den es vorbringt, zu diskutieren, in der die Regierung, knapp dreissig bilden die Opposition im Annahme, dass es Vorschläge von unserer Seite anzuhö- 120köpfigen Haus. Die prominente Schulamit Aloni von ren bereit ist.« Auch mit Ägypten will der neue israelische der Raz-Partei, der »Bürgerrechtsbewegung«, die sich ge- Premier die Kontakte »verbessern und verstärken«. Mos- gen die nationale Einheitsregierung wendet, erldärte be- kau fordert er auf, die diplomatischen Beziehungen, die reits, eine solche Opposition verdiene ihren Namen nicht. »es in einem Augenblick des Zorns abgebrochen hat«, Peres müsse seinen Gegnern eine ausgedehnte Redezeit wieder aufzunehmen. Nur zwei Dinge würden von den zubilligen und damit ihre numerische Unterlegenheit Sowjets erwartet: das Eintreten in einen Dialog und die wettmachen. Andernfalls werde es zu Protesten und De- Öffnung der Tore für die Juden der Sowjetunion. Mit monstrationen kommen. Eine »Diktatur der Mehrheit« warmen Worten würdigt Peres die »Freundschaft des werde nicht schweigend hingenommen. amerikanischen Volkes«. »Wir schätzen seine politische In einer staatsmännischen Rede stellte Schimon Peres sein Unterstützung, seine Verteidigungshilfe, seinen wirt- Kabinett vor. Der Mann, der als brillanter Schüler David schaftlichen Beistand.« Mit den USA teile Israel die Über- Ben Gurions gilt und seit über dreissig Jahren die Geschik- zeugung, »dass die Demokratie nicht nur die beste, son- ke der Arbeiterpartei mitbestimmt, erklärte, angesichts dern auch die stärkste aller Regierungsformen ist«. der internen Gegensätze im Einheitskabinett müsse man Schimon Peres besitzt das überwältigende Vertrauen des beweisen, dass »regieren soviel bedeute wie überzeugen«. Parlaments. Dem Politiker »mit den starken Nerven« wird Programmatisch tritt er für eine rasche Sanierung der ein gerüttelt Mass an Goodwill und Vertrauen geschenkt. Wirtschaftsmisere ein. »Intensives Handeln ist notwendig, Er wird es brauchen und während der ersten »hundert Ta- um die stürmische Wirtschaft zu beruhigen und zu stabili- ge der Gnade« alles daransetzen, um seine höchst hetero- sieren, Israels ökonomisches Wachstum zu erneuern, die gene Regierung auf Trab zu bringen. Peres ist ein harter Inflation zu reduzieren, die Handelsbilanz zu verbessern, Arbeiter, aber kein Supermensch und kein Mann, der die Arbeitslosigkeit zu verhindern, die Produktivität zu über eine sonderliche charismatische Ausstrahlung ver- erhöhen und ein faires Einkommen für jeden Berufstäti- fügt. gen zu bewahren.« Peres zeigt sich optimistisch, weil »un- Wenn seine ideologischen Gegner im Kabinett ihm keine ser Land mit menschlicher Fähigkeit reich beschenkt ist«. Hürden in den Weg stellen und die Bevölkerung die jetzt Daher sei es zweifellos möglich, »Israel in die vorderste mit Sicherheit zu erwartenden wirtschaftlichen Not- Linie der fortschrittlichen Staaten zu bringen, und zwar standsmassnahmen nicht sabotiert, steigen die Chancen auf den Gebieten der Wissenschaft, Technologie, Erzie- für Peres. Keiner weiss, wie lang die »Durststrecke« sein hung, Industrie, Landwirtschaft und des Tourismus«. wird, lang wird sie jedenfalls sein.

II Fünf Jahre nach dem Abkommen von Camp David (26. März 1979)*

Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des »Israelitischen rael liessen ihn diesen Schritt tun. US-Präsident Jimmy Wochenblatt für die Schweiz« (84/14), Zürich, 6.4.1984, S. 11 — Carter verlor die letzten Präsidentschaftswahlen gegen 14, entnommen dem Beitrag mit dem Titel: »Schalom — Salam! — Fünf Jahre Frieden«. Ronald Reagan und ist seither aus dem öffentlichen Le- ben ausgeschieden. Fünf Jahre nach dem historischen Ereignis, das einen über Schalom — Salam! — Fünf Jahre Frieden drei Jahrzehnte dauernden Kriegszustand formell beendet Von den drei Politikern, die am 26. März 1979 den isra- hat, stellt sich die Frage nach der Bewährung des Ver- elisch-ägyptischen Friedensvertrag auf dem Rasen vor tragswerks:Sind dessen einzelne Klauseln erfüllt, ist der dem Weissen Haus in Washington unterzeichnet haben, Friede zwischen Israel und Ägypten Wirklichkeit gewor- sitzt keiner mehr am Schalthebel der Macht. Der ägypti- den? Die Antwort kann nicht mit einem einfachen Ja oder sche Staatspräsident Anwar as-Sadat wurde am 6. 10. Nein gegeben werden, sondern bedarf der genaueren 1981, während einer Militärparade in Erinnerung an den Erörterung. Jom-Kippur-Krieg 1973, von fanatischen moslemischen 1. Zunächst verpflichteten sich beide Parteien, auf jegliche Fundamentalisten in Kairo ermordet. Menachem Begin, Kriegshandlung gegen den anderen Staat inskünftig zu Israels Premier, trat letztes Jahr in einer Phase der seeli- verzichten. Die Tatsachen zeigen, dass seit den letzten schen Depression zurück. Die verlustreiche Verstrickung fünf Jahren die »militärische Option« nicht mehr besteht. in Libanon und die wirtschaftliche Misere des Staates Is- Die MFO, die multinationale Kontrollmacht, die im Sinai * Vgl. FrRu Dokumente zum Abkommen von Camp David, in: die Ruhe zu festigen hat, bescheinigt beiden Ländern die FrRu XXXI/1979 S. 68-75. (Anmerkungen d. Red. d. FrRu) vorzügliche Beachtung der Verpflichtung.

76 2. Israel hat sich zur Rückgabe der Sinaihalbinsel an Isolierung Ägyptens in der arabischen Welt geführt. Mu- Ägypten bereit erklärt. Am 25. April 1982 wurde das ge- barak will sein Land aus dem Abseits in die Mitte, wenn samte Territorium mit seinen teilweise von Israel erschlos- nicht gar an die Spitze der Araber zurückführen. Die senen Erdölfeldern, touristischen Schönheiten und — in Preisgabe vieler seiner Verpflichtungen Israel gegenüber strategischer Hinsicht — wichtigen Übungsfeldern und Mi- scheint ihm als Entgelt für das Rapprochement an seine litärflugplätzen aufgegeben. Die Stadt Jamit und zwölf »Brüder« klein zu sein. Der formale Wiedereintritt in das ländliche Siedlungen wurden von israelischen Bulldozern Gremium der arabischen Länder — die Arabische Liga — ist zerstört. Das »Trauma von Jamit« ist auch heute in Israel ihm bisher nicht geglückt. Inoffizielle und selbst offizielle nicht überwunden. Die Ereignisse des Libanonkriegs ha- Kontakte zu den gemässigten Regimes sind indessen auf- ben es nur überdeckt. genommen worden, und die Organisation Islamischer 3. Der Sinai darf nicht mehr als Aufmarschgebiet gegen Staaten hat den Bann über das »verräterische« Ägypten Israel verwendet werden. Als Prophylaxe gegen alle Even- gelöst und ihm erneuten Zutritt gewährt. tualitäten — ein politischer Umsturz ist auch im relativ sta- Besonders gravierend erscheint auf der Sollseite die Un- bilen Ägypten nie auszuschliessen — ist die Anzahl der im terbrechung der Autonomieverhandlungen über die Zu- Sinai zugelassenen Truppenverbände beschränkt. Die kunft der Araber in Judäa, Samaria und dem Gazastreifen »Verdünnung« in genau bestimmten Regionen wird von durch die Mubarak-Regierung. Der Friedensvertrag sieht der Kairoer Regierung in der Regel strikte beobachtet. — nach der Wahl einer Autonomiebehörde durch die ara- Gelegentliche »Versehen« sind auf iraelischen Protest hin bischen Bewohner des Gebiets — eine fünfjährige Über- berichtigt worden. gangsperiode vor. Danach soll eine definitive Regelung 4. Der Friedensvertrag hat Ägypten in die Lage versetzt, über den zukünftigen Status der Bewohner (und des Ter- das einst aufgeblasene Budget des Kriegsministeriums zu ritoriums) getroffen werden. Bisher ist noch nicht einmal reduzieren. Anstelle eines Kriegsministeriums sorgt sich die Behörde gewählt worden. Ägypten fordert die Wahl- heute ein Verteidigungsministerium um die Ausrüstung beteiligung der Ostjerusalemer Einwohner, Israel wider- der Armee mit Waffen. Die Umpolung auf Verteidigung setzt sich, weil ganz Jerusalem zu Israel gehöre und nicht ist nicht zuletzt auch von grosser psychologischer Bedeu- zur einst jordanischen »Westbank«. Mubaraks Weigerung tung. Der einstige Erzfeind ist zum Nachbarn geworden, zur Fortsetzung der Gespräche hat die Lösung des Palä- vor dem man sich nicht mehr zu fürchten braucht (selbst stinenserproblems auf die lange Bank geschoben. Dies um wenn man sich faktisch auch früher nicht hätte zu fürch- so mehr, als für Israel die Errichtung eines Palästinenser- ten brauchen!). Die Einsparung wichtiger und ohnehin nur staats auf der »Westbank« nie in Frage kommen wird, spärlicher Geldmittel angesichts einer rasant steigenden Mubarak einen solchen autonomen oder mit Jordanien Bevölkerungszunahme wird ergänzt durch die massive verbundenen Staat jedoch bereits während der Fünfjah- US-Auslandhilfe von jährlich über einer Milliarde Dollar. resperiode proklamiert sehen will. Nach den von christli- Der Tourismus hat gewaltig zugenommen, die Durch- chen Phalangisten in den palästinensischen Flüchtlingsla- fahrt grosser Öltanker und anderer Schiffe durch den gern Beiruts im Herbst 1982 verübten Massenerschiessun- Suezkanal funktioniert reibungslos, der Erdölexport des- gen berief Mubarak seinen Botschafter aus Tel Aviv zu- gleichen. Israel bezieht von Ägyptens Erdölfeldern jähr- rück. Die Tatsache, dass Israel den Mord nicht verhindert lich zweihundert Millionen Tonnen des schwarzen Golds. hatte, diente ihm als Vorwand für ein weiteres Einfrieren Aussenminister Kamal Hassan Ali hat unlängst erklärt, der vertraglichen Verbindungen. Bisher ist Botschafter dank dem wirtschaftlichen Aufschwung habe sich der Le- Saad Mortada nicht auf seinen Posten zurückgekehrt. bensstandard des Ägypters seit 1979 um fünfzig Prozent Trotz amerikanischer Intervention in Kairo, trotz der Be- erhöht. Selbst wenn Alis Aussage nicht als bare Münze ge- strafung der Schuldigen in Israel nach dem Bericht der nommen werden darf, so ist — trotz der noch immer ange- Kahan-Untersuchungskommission. spannten Wirtschaftslage des Landes — eine effektive Ver- Wie sieht die Bilanz eines fünfjährigen Friedensvertrags besserung des Lebensstandards nicht zu übersehen. aus? Neben den Plus- stehen die Minuspunkte. Der Ge- Den ermutigenden Tatsachen stehen die negativen Punkte samteindruck ist nicht sonderlich erfreulich. Allzuviel ist gegenüber. Ägypten hat sich nicht zur Aufnahme intensi- nicht erfüllt worden, als dass man über die Entwicklung ver wirtschaftlicher Verbindungen entschlossen, obschon der Beziehungen zwischen den einstigen Feinden erfreut es von dem in Camp David ausgearbeiteten Vertrag her sein dürfte. Aus Kairo tönen viele Misstöne — auch viru- dazu aufgerufen war. An die achtzig Wirtschafts- und lent antisemitische Töne, die in den Massenmedien laut Kulturvereinbarungen wurden zwischen den beiden Staa- werden — nach Israel hinüber. Mubaraks Taktik mag sich ten unterschrieben. Sie blieben — bisher — auf dem Papier in bezug auf seine Annäherung an die arabische Welt be- stehen. Das Handelsvolumen betrug — vom Erdölhandel zahlt machen. Dem Verhältnis zu Israel ist sie in höch- abgesehen — 1981 15 Millionen Dollar, 1982 25 Millio- stem Masse schädlich. nen, 1983 nur 12 Millionen. Der Kulturaustausch existiert Doch trotz der Enttäuschung über die Stagnation eines praktisch nicht, der Tourismus geht nur in eine Richtung. einst dynamischen Prozesses bleibt der Trost — und er ist Etwa fünftausend Israelis reisen jeden Monat ins »Pha- nicht als Kleinigkeit beiseite zu schieben —, dass die Waf- raonenland«. Nur tropfenweise erfolgt die Einreise von fen schweigen. Israelis und Ägypter lernen sich kennen der anderen Seite der Grenze her. Das liegt teilweise am und verstehen. Der Friede muss langsam gedeihen; er geringen Einkommen der Ägypter, die sich grosse Sprün- kann nicht über Nacht geschaffen werden, in keinem Teil ge nicht zu leisten vermögen. Es liegt aber insbesondere der Welt. Im Nahen Osten am allerwenigsten. Botschafter an den bewusst aufgetürmten administrativen Hindernis- Mortada weilt nicht in Tel Aviv, doch die ägyptische Bot- sen der Kairoer Regierung, die einen regeren Touristen- schaft ist offen, und in Elat gibt es ein ägyptisches Konsu- austausch zu unterbinden sucht. lat. Der Handel ist minimal, aber er hat nicht aufgehört, Sadats Nachfolger Hosni Mubarak bekennt sich zwar auch nach dem Libanonkrieg nicht. Und in Kairo arbeitet zum Friedensvertrag mit Israel und erklärt immer wieder, Israels Botschafter Sasson. Anders als vor fünf Jahren der Friedensprozess sei nicht reversibel. In Tat und Wahr- weht in der ägyptischen Hauptstadt Israels Fahne. Vieles heit hält er diesen Vertrag jedoch auf Sparflamme und un- ist bisher ausgeblieben. Das Erreichte berechtigt indessen ternimmt alles, dass sich der »kalte Friede« nicht erwärmt. zur Hoffnung auf eine langsame, doch sicher eintretende Sadats mutiger Schritt, der mit Tabus brach, hatte zur Normalisierung.

77 III a Das israelisch-libanesische Abkommen — 17. Mai 1983"/**

Das israelisch-libanesische Abkommen vom 17. Mai 1983 wurde — Artikel 6. am 5. März 1984 von der libanesischen Regierung gekündigt. Beide Länder werden die Benutzung ihres Territoriums Kennzeichnend ist der syrische Einfluss, da Syrien keinen Frie- den mit Israel erlaubt. Der Vertrag war durch die freie libanesi- durch militärische Streitkräfte eines Staates, der einem der sche Regierung angenommen, aber dann nicht mehr ratifiziert beiden feindlich gesinnt ist, verhindern. worden. Dies zeigt, dass ein Friedensvertrag möglich war. Syrien —Artikel 7. ist nicht an einer unabhängigen libanesischen Politik interessiert, da es Libanon als integralen Teil von Gross-Syrien betrachtet. Internationale Truppen, die von der libanesischen Regie- Der beste Beweis dafür ist, dass es noch nie eine syrische Bot- rung erwünscht und akzeptiert sind, dürfen auf libanesi- schaft im Libanon gegeben hat, da man doch im eigenen Land ei- schem Gebiet eingesetzt werden. ne Botschaft nicht nötig hat. (Red. d. FrRu) — Artikel 8. Ein Gemeinsames Verbindungskomitee wird von Israel, Das israelisch-libanesische Abkommen, das von Syrien so- dem Libanon und den Vereinigten Staaten eingerichtet, gleich abgelehnt worden war, wurde späterhin unter syri- um die Einhaltung des Abkommens zu überwachen. schem Druck auch von dem Präsidenten des Libanon, Amin Gemayel, zurückgewiesen. Seither halten grosse sy- —Artikel 9. rische Truppen weiterhin den Osten und Norden des Li- Beide Länder werden innerhalb eines Jahres alle Verträge banon besetzt. Solange sie nicht abziehen, kann sich Israel und Gesetze, die im Widerspruch zu diesem Abkommen aus dem Süd-Libanon nicht zurückziehen, zum einen aus stehen, ausser Kraft setzen und werden keine neuen an- offensichtlich militärischen Gründen, zum andern, weil nehmen, die dazu im Widerspruch stehen. man darin übereingekommen war, dass der Rückzug aller — Artikel 10. ausländischen Streitkräfte Voraussetzung dafür sei. Das Abkommen tritt mit seiner Ratifizierung in Kraft, es Es folgt eine Zusammenfassung der 12 Artikel des Ab- wird alle früheren Abkommen zwischen den beiden Län- kommens. dern ablösen und darf in gegenseitigem Einvernehmen ge- ändert oder abgelöst werden. — Artikel 1. — Artikel 11. a. Beide Länder verpflichten sich, gegenseitig die Souve- Kontroversen zwischen den beiden Ländern werden ränität, die politische Unabhängigkeit und die territoriale durch Verhandlungen im Gemeinsamen Verbindungsko- Integrität zu respektieren. mitee beigelegt. b. Der Kriegszustand zwischen beiden Ländern wird auf- — Artikel 12. gehoben. Das Abkommen wird dem Sekretariat der Vereinten Na- c. In Anbetracht der zwei vorangehenden Paragraphen er- tionen zur Registrierung übermittelt. klärt sich Israel bereit, seine Streitkräfte aus dem Libanon Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass dieses Abkommen zurückzuziehen. ausgesprochen fair und vernünftig war. Es hätte ein sehr — Artikel 2. wichtiger Beitrag zum Frieden in der ganzen Region sein Beide Länder verpflichten sich, ihre Kontroversen mit können. Das Abkommen hatte die volle Unterstützung Hilfe friedlicher Mittel beizulegen. der USA. Natürlich wurde es von der Sowjetunion abge- lehnt, die reges Interesse daran hat, den Krisenherd im — Artikel 3. Nahen Osten weiterhin zu schüren. Beide Länder werden Sicherheitsvorkehrungen treffen. Bedauerlicherweise versäumten die europäischen Mächte, —Artikel 4. dem Abkommen wirksame Unterstützung oder uneinge- a. Libanon und Israel werden ein jeder verhindern, dass schränkte Anerkennung zuteil werden zu lassen. Viele ihr Territorium als Ausgangsbasis für feindliche und ter- Pressestimmen der westlichen Welt vertraten den negati- roristische Aktivitäten gegen den anderen benutzt wird. ven und wenig konstruktiven Standpunkt, dass Syrien b. Jedes Land wird terroristische Organisationen daran nicht hätte übergangen werden sollen. Zu einer positiven hindern, auf eigenem Territorium Fuss zu fassen. Annäherung wäre es dann gekommen, wenn darauf ge- drängt worden wäre, dass zwischen Syrien und dem Li- c. Jedes Land wird von Kriegsdrohungen oder -handlun- banon ein paralleles Abkommen abgeschlossen werde, um gen gegen den anderen absehen, ebenso wie von der Be- auf diese Weise die syrischen Interessen zu schützen. Auf nutzung des anderen Staatsgebietes zur Durchführung ei- diesen Gedanken scheinen westliche Zeitungen und Re- nes militärischen Angriffs auf einen dritten Staat und von gierungen nicht gekommen zu sein. Das Ergebnis ist die der gegenseitigen Einmischung in innere und äussere An- fortdauernde Besetzung des Libanons durch syrische und gelegenheiten. israelische Streitkräfte und einige Kampfeinheiten der d. Beide Länder werden gegen jede Person und jede Or- PLO. Dafür muss noch einmal die europäische Diploma- ganisation einschreiten, die gegen die vorangehenden Pa- tie eine schwere Last an Verantwortung tragen. ragraphen verstossen. —Artikel 5. Beide Länder werden von feindlicher Propaganda gegen den anderen absehen. In Konsequenz der weiteren Entwicklung entschied die israelische Regierung, einen Rückzug ihrer Verteidi- gungsstreitkräfte (IDF) auf die israelisch-libanesische Grenzlinie durchzuführen. * Original: The Israel-Lebanon Agreement — May 17, 1983, in: Britain & Israel, Commentary No. 156, July/August 1984, Israel: The Essential Documents — 2, S. 1. ** Aus dem Englischen übersetzt.

78 III b Kommunique des israelischen Kabinetts zum Rückzug'

Auf seiner Sondersitzung am 13. Januar 1985 beschloss jede weitere Phase entschieden; die Bemühungen, diplo- das Kabinett folgendes: matische Vereinbarungen zu treffen, werden fortgesetzt. a) Die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) wer- den an der Nordgrenze Israels neu formiert. Die BEIRUT Regierung wird alles tun, um die Sicherheit Galiläas zu ZAHLE garantieren. • ALEY b) Der Abzug wird in drei Hauptphasen durchgeführt: • DAMUR Phase 1 — Im westlichen Libanon werden die IDF aus

dem Gebiet von Sidon abgezogen und in der !,; Region Litani/Nabatiya stationiert. - . t. • -N Phase 2 — Im Ostteil des Libanon werden die IDF in der • e r , / Hasbaya-Region stationiert. SIDON • JEED E•: Phase 3 — Die IDF werden entlang der internationalen I israelisch-libanesischen Grenze stationiert, während gleichzeitig in einer Zone im Südlib- ASBAYA anon örtliche Truppen (SLA) mit israelischer • , Unterstützung dort operieren. • • • SYRIEN c) Die erste Phase wird innerhalb von fünf Wochen MARJAYOU31 durchgeführt. Der libanesischen Regierung und dem 0 TYR0844' (.‘ Sekretariat der Vereinten Nationen wird vorher der f •KIRTAT SCH ONA Zeitplan bekanntgegeben, um ihnen die Organisation 1' . _. und Stationierung von Truppen in dem Gebiet zu er- NAKURA möglichen, das die IDF räumen werden. J % 4.. In allen Phasen wird vom Kabinett über die Zeitpläne für ISRAELISR V.:...... /

* Aus: Israels Rückzug aus dem Libanon. In: »Zur Sache«, Do- — — — Grenzlinien kumentationsblätter. Botschaft des Staates Israel. Presse- und In- 1. Rückzugsphase formationsabteilung, Februar 1985. (Anm. d. Red. d. FrRu: nach Redaktionsschluss) .—.—.— israelische Streitkräfte nach der 1. Rückzugsphase

IV Johannes Paul II. zum Nahen Osten anlässlich eines Gesprächs im Vatikan mit dem neuen libanesischen Gesandten Nasri Salhab, 9. Januar 198 3"/''"

Es war ein bedeutsamer Austausch eines Gesprächs, als Auf diese Erklärung erwiderte Papst Johannes Paul II. wie der neue libanesische Gesandte im Vatikan, Nasri Salhab, folgt: am 9. Januar 1983 sein Beglaubigungsschreiben über- »Mit tiefster Genugtuung habe ich Ihren Worten entnom- brachte. Der Gesandte sagte: men, wie die Libanesen, ob Christen oder Moslems, leben »Unsere Gedanken und Herzen richten sich auf Jerusa- wollen. Die laufenden Gespräche werden zu einer Lösung lem, die dreifach gesegnete Stadt. Unsere Hoffnungen für der damit verknüpften empfindlichen Probleme führen, diese sind derart, wie Sie, Heiliger Vater, selbst dies vor- ohne dabei die Masse der palästinensischen Familien zu schlugen: Sie möge das gemeinsame Erbe der drei ge- vergessen, die so viel gelitten haben. In der heutigen Welt, offenbarten Religionen bleiben, der Ort, wo das Mensch- so wie sie ist, die sich im Besitz schrecklichster Zerstö- liche und das Göttliche sich begegnen und miteinander rungskräfte befindet, ist die Fähigkeit, sich in einen Dia- verschmelzen: der Hüter einer universalen Tradition, die log zu begeben, eine absolute Notwendigkeit, auf die ich eigennützige Exklusivität verabscheut. erneut am 15. September im vergangenen Jahr und erst Nie haben die Libanesen, gleich ob Christen oder Mos- kürzlich wieder anlässlich der Weltfriedenstage hinge- lems, Feindseligkeit oder Verachtung gegenüber dem wiesen habe. Er ist der einzige Weg, der den Leitern von jüdischen Volk empfunden. Im Gegenteil, alle Juden, wo Nationen würdig ist. Dies ist der Weg, den unsere Leiter immer sie leben, und besonders unsere Landsleute haben ihre Völker lehren müssen. stets unsere Achtung und unsere Zuneigung gefunden. Zum Abschluss: Der Nahe Osten, gemeinsam mit vielen Wir respektieren ihren Glauben und ihre Traditionen. anderen Regionen der Welt, braucht dringend Versöh- Wir teilen das unermessliche bedeutsame Erbe der Bibel. nung. Und ist es notwendig, Eure Exzellenz auf die Tat- Stets haben wir für den Frieden in Würde gearbeitet. Be- sache aufmerksam zu machen, dass Versöhnung nicht ständig und durch unveräusserliche Grundsätze inspiriert, eine blosse Angelegenheit guten Willens der Protagoni- denen wir leidenschaftlich anhängen, verurteilen wir jetzt sten ist? Die davon Betroffenen müssen oft lange und und künftig jede Ungerechtigkeit, sei es eine solche mühsame Anstrengungen unternehmen, um den Stand- gegenüber Menschen oder Völkern, denen ihr ihnen vom punkt des anderen, seine Geschichte, seine Lebensinteres- Schöpfer gewährte Naturrechte entzogen werden.« sen, seine Kultur und seine Sicherheitsbedürfnisse zu er- kennen und zu verstehen. Leider liefert uns die jüngste und die vergangene Geschichte Beispiele falscher Versöh- * In »La Documentation Catholique«, 19. 3. 1983. nung, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Grenzen ** Aus dem Französischen übersetzt. von Nationen.«

79 17 Schreiben des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Guido Del Mestri, betreffs Empfang des Papstes für PLO-Chef Arafat*

Auf unsere im Brief vom 18. 9. 1983 an den Apostolischen Volk und der Teilnahme an seinem langen Leiden<. Dabei Nuntius zum Ausdruck gebrachte tiefe Bestürzung über hat es Papst Johannes Paul auch nicht versäumt, seinem den vorgesehenen Empfang des Papstes für PLO-Chef Gesprächspartner gegenüber dem Wunsch Ausdruck zu Arafat' erhielten wir eine Antwort mit auch nachstehen- geben, >dass man sobald als möglich zu einer gerechten dem Schreiben: und dauerhaften Lösung des Konflikts im Nahen Osten Der Apostolische Nuntius Guido Del Mestri, Bonn, 29. Ok- komme<, zu einer Lösung, welche >den Einsatz von Waf- tober 1983 : fen und die Anwendung von Gewalt in jeder Form, beson- »In Erfüllung seines Hirtenamtes empfängt der Heilige ders von Terrorismus und Erpressung, ausschliesse< und Vater viele Audienzbewerber bekanntlich auch in der Ab- >zur Anerkennung der Rechte aller Völker führen muss, sicht, sein Interesse am Wohl der Völker zu bekunden, besonders zur Anerkennung des Rechtes des palästinensi- das Anliegen des Friedens voranzubringen und zur Ver- schen Volkes auf ein Vaterland und Israels auf seine Si- ständigung zwischen den Nationen beizutragen. Auch ist cherheit<. Mit dieser letzten Bemerkung wollte der Heili- zu betonen, dass die Gewährung einer Audienz nicht die ge Vater zu verstehen geben, dass die Anerkennung Isra- Übereinstimmung mit den Ideen und Einstellungen, die els von arabischer Seite eine Grundbedingung für einen dem Betreffenden zugeschrieben werden, bedeutet. Beitrag auf dem Weg zum Frieden ist.3 Wie die Pressestelle des Heiligen Stuhles nach dem Be- Es ist zu hoffen, dass die beschriebene Motivierung und such Herrn Arafats in ihrem Kommunique eindeutig fest- Bedeutung der Audienz verstanden werden; sie verbieten stellte, ging es dem Heiligen Vater vor allem um eine Ge- eine Deutung zum Nachteil Israels und des jüdischen ste >des Wohlwollens gegenüber dem palästinensischen Volkes in aller Welt und sprechen vielmehr zu deren Gun- V' s. FrRu XXXIV/1982, Umschlagseite 2. sten, insofern sie zum Dialog und zu Schritten des Frie- 2 Nach dem damaligen ruchlosen Attentat in Rom hielt Johannes dens im Nahen Osten ermutigen.« Paul II. nach dem Angelus am 10. Oktober 1983 eine Ansprache, in der er der jüdischen Gemeinde in Rom sein Beileid zu den Fol- gen des Attentats und seine tiefempfundene Solidarität mit der 3 s. dazu: Ze'ev Falk/Marcel Dubois OP: Ein Briefwechsel: Die Jüdischen Gemeinde aussprach. Katholische Kirche und die Juden: ein Austausch, o. S. 12-16.

18 Der Kardinal, der Esel und die Juden"

Es geschieht nicht häufig, dass ein Erzbischof, ja ein Besucher leicht, und man versteht schnell die grosse Trag- Kardinal verkündet: »Ich komme wie ein Esel voran . . .«1 weite der »verbindlichen Rede über die Juden«, die er in Wer ist dieser Roger Etchegaray, der sich mit dem Esel schweren Zeiten für die Christen von Marseille verfasst vergleicht, der am Palmsonntag Jesus trug, »ein kräftiges hat. Tier, das einen sicheren Tritt, aber auch seine Fehler hat: Anlässlich des Jom-Kippur-Krieges hat er verkündet (hier die Sturheit und die Faulheit«? spricht ein katholischer Prälat und kein angesehener Zio- Besuchen Sie in Marseille die eine oder andere der zwan- nist): »Dieser brudermörderische Kampf muss der letzte zig Synagogen, das israelische Konsulat oder die zionisti- sein, und es muss endlich Frieden geben durch die gegen- schen Organisationen, wird man Ihnen dort antworten, seitige und totale Anerkennung aller Völker des Nahen dass »Monseigneur« ein Freund ist, ein grosser Freund. Ostens. Mit den arabischen und jüdischen Einwohnern Man beglückwünscht ihn zu seiner Ernennung im von Marseille beten wir zum Gott Abrahams: dass der Vatikan, doch man hätte ihn lieber bei uns, »unter uns« Friede ohne Zögern wieder über das Land der Propheten behalten. Ich habe den Eindruck, dass Roger Etchegaray und das Land Christi komme !« im jüdischen Milieu von Marseille den Zugang zum Volk Im Jahre 1979, dem Jahr, in dem er auch Kardinal wird, genauso unvoreingenommen wie sein Kollege, der Ober- besteht er gegenüber seinen Schäflein darauf, dass sie sich rabbiner, gefunden hätte, ohne natürlich die Unterschiede den Film »Holocaust« ansehen und darüber nachdenken. zu verwischen, aber mit ganz ähnlichem Elan. Bei jeder Gelegenheit erinnert er daran, dass, da »es in Sowohl im Rahmen meiner zionistischen Tätigkeit als seiner guten Stadt Marseille 80 000 Moslems und 80 000 auch meiner Aktivitäten an der Universität habe ich des Juden gibt, die in bester Eintracht leben«, er durchaus öfteren Roger Etchegaray in seinem ein bisschen altmodi- dazu berechtigt ist, im Gebet zu wünschen, dass es so schen Büro getroffen, das zugleich Bibliothek und Emp- überall sei, »mit gutem Willen« . . . fangszimmer ist. Einmal war es, um die Verleihung eines Auf Seite 101 seines Buches lesen wir: »Der Antisemitis- »diplöme K. K. L.« an eine ortsansässige jüdische Persön- mus muss für sich allein analysiert werden; er darf nicht lichkeit in der Synagoge vorzubereiten. Ein anderes Mal abgeschwächt werden, indem man ihn unter die anderen war es, um den Stand der jüdisch-christlichen Beziehun- Formen des Rassismus oder des Völkermordes zählt. gen, ihre Probleme und ihre Perspektiven zu diskutieren. Denn seine Wurzeln sind spezifischer Art, nämlich reli- Freundlich, herzlich, eher dem humorvollen als dem lehr- giöser Natur. Zweifelsohne kam der Antisemitismus vor haften Stil zugetan, macht es Roger Etchegaray seinem dem Christentum auf, aber man muss zugestehen, dass er im christlichen Klima durch pseudoreligiöse Argumente * Original: »Le Cardinal l'Ane et les Juifs«, in: R8alit6s d'Israül, verstärkt -vvurde.« Etchegaray fügt hinzu: »Wir erliegen Tel-Aviv, 5 au 11 juillet 1984. noch sehr leicht der Versuchung, den Juden zu karrikie- Aus dem Französischen übersetzt. 1 Roger Etchegaray, »J'avance comme un äne«, Ed. Fayard, ren, um die Identität des Christen zum Ausdruck zu brin- Paris 1984. gen, den Wert des Alten Testaments zu schmälern, um

80 den des Neuen zu steigern, das Judentum als Religion der tion Mgr. Etchegarays »dort oben« ist der 0. M. soeben Furcht zu betrachten gegenüber dem Christentum, der in die nationale Liga aufgestiegen, wie ja jeder weiss. Er Religion der Liebe. Der Weg des Schreckens, der hinun- ist erhört worden: ist das nicht »belohnter Glaubens- ter nach Auschwitz führt, liegt immer vor uns, er beginnt eifer«? mit kleinen Schwächen: einem Scherz, Wandschmiere- Nur: Roger Etchegaray hat Marseille verlassen! Johannes reien, einer Tür, die sich schliesst, ein Gerücht, das leicht- Paul II. hat ihn nach Rom berufen, wo er jetzt — einer der fertig in die Welt gesetzt wird.« Und zum Schluss: Grossen der Kurie — der Kommission Justitia et Pax vor- »Solange das Judentum unserer Theologie und unserer steht und damit beauftragt ist, für die Einhaltung der Geschichte fremd bleibt, werden wir im Keime Antisemi- Menschenrechte in der ganzen Welt zu sorgen, sowie tisten sein !« dem Rat Cor Unum, der die caritativen Aktivitäten des Bei der Bischofssynode, die in Rom im Oktober 1983 zu- Vatikans koordiniert. sammenkam, hat Kardinal Etchegaray eine Intervention 2 Vor ungefähr zwei Jahren war Roger Etchegaray wieder eingebracht, die bedauerlicherweise in Israel sehr wenig einmal in Jerusalem: »Ich bin mit einer Pilgergruppe Mar- bekannt ist. Einige Sätze seien daraus zitiert: »Wir müssen seille entflohen, und ich habe sie an diesem Abend sich eingestehen, unsere jüdische Wurzel, die heilig bleibt, all- selbst überlassen, um mit meinen Freunden der >l'Associa- zuoft vergessen zu haben, denn >die Gnade und Berufung tion Interconfessionnelle< zu Abend zu essen.« Müde, Gottes sind unwiderruflich<. Ohne etwas von ihrer Origi- aber glücklich drückte uns Mgr. Etchegaray seine Freude nalität zu verlieren, wird die Kirche sich infolge des Zwei- aus, in Israel zu sein, und wir alle um den langen Tisch ten Vatikanischen Konzils allmählich bewusst, dass sie um herum waren darüber traurig, dass es uns nicht immer ge- so mehr erblüht, als sie aus ihrer jüdischen Wurzel lebt: lingt, diese doch so wichtigen und anregenden Begegnun- der dauernde Fortbestand des jüdischen Volkes bedingt gen gebührend nachklingen zu lassen. für die Kirche nicht nur ein Problem bezüglich der zu ver- Eine Frage wird Kardinal Etchegaray wahrscheinlich nie- bessernden äusseren Beziehung, sondern auch ein inneres mals gestellt werden. Und zwar: Wenn ein Bischofsstuhl Problem, das ihr eigenes Selbstverständnis berührt.« Über frei wird, schlägt die Bischofskonferenz des Landes dem diesen »Auftrag« sagt Roger Etchegaray: »Dass wir doch Papst drei mögliche Kandidaten vor, unter denen er aus- verstünden, Verzeihung zu erbitten vom Herrn und von wählt. Nach dem Ausscheiden des Kardinals Marty muss- unseren Brüdern, die so oft von >der Lehre der Verach- te das Erzbistum Paris mit einem neuen Amtsträger tung< getränkt in das Grauen des Holocaust getaucht besetzt werden. Als Vorsitzender der französischen Bi- worden sind. Dass wir doch alles ins Werk setzten, damit schofskonferenz hat nun Mgr. Etchegaray mit seinen Kol- das wieder gutgemacht werde, was gutgemacht werden legen dem Vatikan drei Namen vorgelegt, unter denen muss! Aber dass wir uns doch auch ihrer gegenwärtigen der des Bischofs von Orkans war, der Jean-Marie Lusti- Nachkommen erinnerten: derjenigen, die durch ihre ger hiess . . . Man wird niemals wissen, an welcher Stelle fleischliche und geistige Übereinstimmung mit der Schrift, dieser unter den dreien erschien, auch nicht nach welchen durch ihre Zurückweisung der Götzen und so oft durch Kriterien er bevorzugt wurde. Aber Mgr. Etchegaray ist ihr Martyrium unseren eigenen Glauben an Gott stützen !« sicherlich für diese Nominierung zumindest mitverant- Dieser 63jährige Baske hat also eine spitze Zunge, manch- wortlich und wird sich wohl kaum darüber beklagen .. . mal ohne dass man es erwartet. Hier schreibt er an den Roger Etchegaray, ein Virtuose des Dialogs dank seiner Propheten Elija (ja wirklich!): »Du, der du Elischa deinen freundlichen und rückhaltslosen Aufrichtigkeit, weiss na- >Geist< übertragen hast, als du ihm deinen Mantel über- türlich, dass es gemäss dem Dominikaner Yves Congar warfst, bedecke mich mit deinem Mantel, und ich werde »das Wahrheitsgesetz des Dialogs ist, bereit zu sein, an den Weg unter der brennenden Sonne wieder aufnehmen. sich selbst etwas zu ändern, dank dessen, was >der andere< Antworte mir nicht. Schicke mir einfach deinen Mantel mit einbringt, genauer gesagt: jeder andere«. Er wird sei- als Expressgut. Vielen Dank im voraus! . . .« ne Fähigkeiten als immer aktiver Redner und als bereitwil- Als Anhänger, ja sogar als Fan der Fussballer der »l'Olym- liger und anspruchsvoller Zuhörer in seinem neuen Amt pique de Marseille« schreibt unser Bischof am Tag nach brauchen können, das zweifellos politisch ist — was auch einer bitteren Niederlage: »Unsere Zeitungen auf der Ca- immer man in Rom darüber sagt — und das ihn mehr als nebiere zeigen halbmast an. Man wirft den letzten Ret- einmal in direkten Kontakt mit dem Judentum und mit tungsring: dass doch der Erzbischof — der neue Mose — Israel bringen wird. mit ausgestreckten Armen die >Bonne Mere< bitte! Nun, Seine israelischen Freunde schliessen sich den Juden in 0. M., hilf dir selbst und die >Bonne Mere< wird dir hel- der Provence an, um diesem mit dem Herzen sehenden fen, — ob du ihr nun eine grosse Kerze anzündest oder Kardinal ihre guten Wünsche mit auf den Weg zu geben nicht!« Ohne Zweifel, dank dieser — diskreten — Interven- und wünschen, dass er — »indem er wie ein Esel voran- kommt« — dieses Bündel an Wissen über die Juden und Freundschaft gegenüber Israel nach Rom trägt, was wir

2 S. 0. S. 3 f. auch dort gut gebrauchen können. Yehoshua Rash

81 19 Rundschau 1 Juden und Christen auf dem 87. Deutschen Katholikentag, Düsseldorf, 1.-5. September 1982, und auf dem 20. Deutschen Evangelischen Kirchentag, Hannover, 8.-12. Juni 1983

Zeit des Wohlgefallens, Gott, in der Fülle deiner Gnade erhöre I Auf dem 87. Deutschen mich mit deiner treuen Hilfe. Katholikentag :511-p. Toi= .np2=r5rim• . „, etp-ru Wie der erste Nachkriegskatholikentag 1948 in Mainz in die er- sten Septembertage, 1. bis 5. 9., fiel, so waren diese auch für den s rnnrxte .10,D tee 917_, 2'11Z WI Düsseldorfer Katholikentag 1982 bestimmt. Mit dem Leitwort dieses Katholikentages »Kehrt um und glaubt — erneuert die PP MW-1e 4:: Itern 57;1 Welt« verbinden sich auch Assoziationen des Katholikentages von 1948, als der »Rundbrief« das Licht der Welt erblickte und re7M5 :12M pe) erstmals erschien'. Mit dem Katholikentagssignet 1982 — »eine aus kleinen Segmenten bestehende Kreisform, die bei aller Ge- 'n :VV renne .rumei schlossenheit Dynamik andeutet und die Regenbogenfarben des Alten Bundes und das Kreuz als Symbol des Neuen Bundes dar- .97Prr21 tal5V tut '2 14? stellt — warb das Leitwort als >Markenzeichen< für das Düsseldor- Begrüssung und Einführung:Weihbischof Karl Flügel (s. u. S. 84 f.) fer Katholikentreffen« und in besonderer Weise damit auch für Psalm 130: Aus tiefer Not die Anliegen des Freiburger Rundbriefs. (abwechselnd zwischen Vorsänger und Gemeinde) Im folgenden bringen wir aus dem reichhaltigen Programm' den Wortlaut der christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier: »Umkehr — Glaube — Erneuerung«, den liturgischen Text der Gemein- schaftsfeier und Ansprachen von Weihbischof Flügel und Landes- Heinz Herrn ist Sannherzigkeit und ret-che - lö- sun& rabbiner Dr. N. P. Levinson (Maleachi 3, 7 und Mose 30, 11-14, 19-20a) sowie die Ansprache von Dr. Bernhard Servatius, Vize- ?sahn 130: Aus tiefer Not präsident des ZdK, im Leo-Baeck-Saal und ein Grusswort von Weihbischof Flügel. Ferner von Rabbiner Dr. Jacob Posen, Zürich, VII »Meditation am Beispiel des Jona«, dazu aus der Dialogrunde • 1. Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: zum christlich-jüdischen Gespräch sowie die Ansprache bei der Herr, höre meine Stimme! Abschlussfeier des Katholikentages von Jean-Marie Kardinal Lustiger. 2. Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen! Der »Freiburger Rundbrief« war auch auf diesem Katholikentag 3. Würdest du, Herr, unsere Sünden beachten, mit einem Informationsstand vertreten (s. u. S. 199). Herr, wer könnte bestehen? Gertrud Luckner 4. Doch bei dir ist Vergebung, Vgl. dazu »Rundbrief« Nr. 2/3 (1949), S. 1 f.; ebd. XXXIII/ damit man in Ehrfurcht dir dient. — 1981, S. 5 f. 5. Ich hoffe auf den Herrn, es hofft meine Seele, Vgl. den Berichtsband »Kehrt um und glaubt — erneuert die ich warte voll Vertrauen auf sein Wort. Welt«, hg. vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK), s. auch u. S. 192. 6. Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen. 7. Mehr als die Wächter auf den Morgen A Die christlich-jüdische soll Israel harren auf den Herrn! — 8. Denn beim Herrn ist die Huld, Gemeinschaftsfeier: bei ihm ist Erlösung in Fülle. »Umkehr — Glaube — Erneuerung« 9. Ja, er wird Israel erlösen von all seinen Sünden. — Donnerstag, 2. 9. 1982, Robert-Schumann-Saal Von der christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier bringen wir den Jüdische Gebete und Meditationen vollen Wortlaut der Liturgie sowie auch den vollen Wortlaut der Bischof. dabei gehaltenen und von den Liturgen uns gütigerweise zur Gott wird zu uns zud.i. ckkehren, wenn wir bereit sind, Ihn einzu- Verfügung gestellten Ansprachen. Es sprachen Weihbischof Karl lassen — in unsere Banken und Fabriken, in unser Parlament und Flügel, Regensburg, zur Begrüssung und Landesrabbiner Nathan unsere Vereine, in unsere Gerichtssäle und Untersuchungsaus- Peter Levinson, Heidelberg. Weitere Mitwirkende waren: Kan- schüsse, in unsere Häuser und Theater. Denn Gott ist in an allen tor: Gerald Rosenfeld, Mannheim, Vorsänger: Thomas Bergenthal, Orten oder nirgendwo, der Vater aller Menschen oder keines Bonn, an der Orgel Dr. Wolfgang Bretschneider, Bonn. einzigen, um alles besorgt oder um gar nichts. Nur in seiner Ge- genwart lernen wir, dass der Ruhm des Menschen nicht in sei- a) Der liturgische Text der nem Willen zur Macht besteht, sondern in seiner Kraft zum Mit- Gemeinschaftsfeier leid. Entweder ist der Mensch das Spiegelbild Seiner Gegenwart, oder er ist ein Tier. (Abraham J. Heschel) Eröffnung: Orgelspiel Gemeinde: Suchet Ihn, da er sich finden lässt! Gesang des Kantors: Ma towu (Komp. L. Lewandowski) Rufet ihn an, da er nah ist! Wie schön sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnstätten, Israel! Der Frevler verlasse seinen Weg, Durch die Fülle deiner Gnade darf ich in dein Haus kommen, der Mann des Bösen sein Vorhaben, mich vor deiner heiligen Stätte bücken in Furcht vor dir! Ewiger, er kehre um zu Ihm ich liebe die Stätte deines Hauses, den Ort, wo deine Ehre und er wird sich sein erbarmen, thront. Ich bücke mich, werfe mich nieder und knie vor dem ewi- zu unserem Gott, gen, meinem Schöpfer. Ich richte mein Gebet zu dir, Ewiger, zur denn er ist gross im Verzeihen. (Jesaja 55, 6-7)

82 Rabbiner: 1. Lobe den Herrn, meine Seele, Ist nicht das Lauschen auf den Pulsschlag des Wunders wert, und alles in mir seinen heiligen Namen! dass man schweigt und aufhört, sich selbst zu bestätigen? Wir le- 2. Lobe den Herrn, meine Seele, ben am Rande des Mysteriums und wollen es nicht wahrhaben, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: verlieren unsere Seele und gefährden unseren Anteil an der Welt 3. der dir alle deine Schuld vergibt Gottes. (Abraham J. Heschel) und alle deine Gebrechen heilt, 4. der dein Leben vor dem Untergang rettet Gemeinde: Lasse uns umkehren, Herr, zu dir, und dich mit Huld und Erbarmen krönt; erneuere unsere Tage zum Guten. (Klagelieder 5, 21) 5. der dich dein Leben lang mit seinen Gaben sättigt; Stilles Gebet wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert. — Übergang: leises Orgelspiel 6. Der Herr vollbringt Taten des Heiles, Recht verschafft er allen Bedrängten. Gemeinde: (betet stehend aus der Liturgie des Versöhnungstages) 7. Er hat Mose seine Wege kundgetan, den Kindern Israels seine Werke. Wir wollen unsere Wege prüfen und umkehren zu dir, 8. Der Herr ist barmherzig und gnädig denn deine Hand ist ausgestreckt langmütig und reich an Güte. dem, der den Weg sucht. 9. Er wird nicht immer zürnen, Unser Gott und Gott unserer Eltern, nicht ewig im Groll verharren. wir bekennen unser Irren, 10. Er handelt an uns nicht nach unsern Sünden ja, wir haben gesündigt: und vergilt uns nicht nach unserer Schuld. wir waren arrogant, beleidigend, charakterlos, 11. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, destruktiv, egoistisch, fremdenfeindlich, so hoch ist seine Huld über denen, die ihn fürchten. grössenwahnsinnig und haltlos 12. So weit der Aufgang entfernt ist vom Untergang, wir waren irreführend, jähzornig, kleinmütig, so weit entfernt er die Schuld von uns. launisch, mutlos, neidisch, 13. Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt, oberflächlich und prätentiös so erbarmt sich der Herr über alle, die ihn fürchten. — wir waren querulant, rechthaberisch, stur, 14. Denn er weiss, was wir für Gebilde sind, treulos, unehrlich, verräterisch, er denkt daran: Wir sind nur Staub. wankelmütig und zerstörerisch. 15. Des Menschen Tage sind wie Gras, Nun aber wollen wir vom Weg des Frevels lassen. er blüht wie die Blume des Feldes. Schicke uns nicht leer von dir hinweg. 16. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin; Höre unsere Stimme, der Ort, wo sie stand, weiss von ihr nichts mehr. Ewiger, unser Gott, 17. Doch die Huld des Herrn währt immer und ewig erbarme dich unser. für alle, die ihn fürchten und ehren; Der du die Fallenden stützest, 18. sein Heil erfahren noch Kinder und Enkel; hilf uns um deines Namens willen. alle, die seinen Bund bewahren, Zeige uns gnadenvoll die Wege zum Leben. an seine Gebote denken und danach handeln. — Wir wollen hören und tun, denn du bist unser Licht und unser Retter. 19. Der Herr hat seinen Thron errichtet im Himmel, Gib deinen Segen allen, die dir vertrauen. seine königliche Macht beherrscht das All. Friedensfülle gib deinem Volk. 20. Lobt den Herrn, ihr seine Engel, Gepriesen bist du, der uns segnet mit Schalom. ihr starken Helden, die seine Befehle vollstrecken, (Wer mit dem Gebet fertig ist, setzt sich) seinen Worten gehorsam! Leises Orgelspiel 21. Lobt den Herrn, all seine Scharen, seine Diener, die seinen Willen vollziehen! 1. Lesung: 5. Mose 30, 11-14; 19-20a 22. Lobt den Herrn all seine Werke, Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über an jedem Ort seiner Herrschaft! deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so Lobe den Herrn, meine Seele! — dass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten kön- nen? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müss- 2. Lesung Jesaja 58, 6-12 test: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und ver- kündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten frei- du kannst es halten. zulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot Den Himmel und die Erde rufe ich heute als Zeugen gegen euch auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, an. Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe Verwandten nicht zu entziehen. Dann wird dein Licht hervorbre- den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme, und halte dich an chen wie die Morgenröte, und deine Wunden werden schnell ihm fest; denn er ist dein Leben. vernarben. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des Herrn folgt dir nach. Wenn du dann rufst, wird der Herr dir Psalm 103: der gütige und verzeihende Gott Antwort geben, und wenn du um Hilfe schreist, wird er sagen: (abwechselnd zwischen Vorsänger und Gemeinde) Hier bin ich. Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleum- dest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf, und deine Finster- Herr wer - gibt die Schuld nis wird hell wie der Mittag. Der Herr wird dich immer führen, auch im dürren Land macht er dich satt und stärkt deine Glieder. Du gleichst einem bewässerten Garten, einer Quelle, deren Was- ser niemals versiegt. Deine Leute bauen die uralten Trümmerstät- und ret tet un aer Le ben. ten wieder auf, die Grundmauern aus der Zeit vergangener Ge- I —P nerationen stellst du wieder her. Man nennt dich den Maurer, der die Risse ausbessert, den, der die Ruinen wieder bewohnbar macht.

83 Kantor: Uwenucho lomar (Komp. L. Lewandowski) Er ist einzig, und kein Zweiter ist da, ihm zu vergleichen, zuzu- gesellen. rer meo .-zte rin.),;1 Er ist ohne Anfang, ohne Ende, ihm ist die Macht und die Herr- schaft. Er ist mein Gott, und mein Erlöser lebt, der Fels meines Anteils ilwe Mt-4 r: :51,31,1 zur Zeit der Not. Er ist mein Panier und Zuflucht mir, der den Kelch mir reicht am :14-11 971.1PrIl P14 Iri#1 97:12 Tage, da ich rufe. zziel 5k4 717!17. 111 11:317. In seine Hand empfehle ich meinen Geist zur Zeit, da ich schlafe 'ir•MP und erwache. nze-51:3 rry Und mit meinem Geist auch meinen Leib, Gott ist mit mir, ich fürchte mich nicht. 77M ri; Nrtrr-riT :tet-pjiltr5; tn.p .15c. num c5ly lt% :De+ 1:Irrr.t?-5;1 t2Y-r,71-1 7711 HIN .5z Nu; re :MV 12P; rill n;;;').), ri7k3 12PIPT:1 arp ru5 Ansprache: Landesrabbiner Dr. Nathan P. Levinson (s. u. S.86 ): :rntstmz mry terl re7,1 Psalm 112: Segen der Gottesfurcht (abwechselnd zwischen Vorsänger und Gemeinde) :r1I'r:lrit.? 15 5n0Q71> *;r3$

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84 und die Kraft des Guten. In dieser Hoffnung haben wir Die Bischöfe bemerken zu diesem Schriftwort: »Man gerade in den Kirchen Partner gefunden, die mit uns be- nennt die hier vom Apostel aufgezählten Vorzüge Israels reit waren, das Vergangene zu bedenken und daraus Fol- auch seine >Privilegien<, die ihm Gott selbst gewährt hat. gerungen zu ziehen« 3. Gott nimmt sie den Juden nicht weg; >sind doch seine Diese Hoffnung, die unsere jüdischen Mitbürger in uns Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich<« 6. setzen, dieses Vertrauen, das sie uns entgegenbringen, Der Papst sagt dazu: »Es ist mein dringender Wunsch, freut und ehrt uns. Es verpflichtet uns aber auch. Denn dass diese Erklärung geistiges Gut aller Katholiken in »die konkreten brüderlichen Beziehungen zwischen Juden Deutschland werde !« 7 und bestärkt uns so, die Würde des und Katholiken in Deutschland bekommen«, wie der auserwählten Volkes, die biblisch begründet ist, stets an- Papst in Mainz sagte, »einen ganz besonderen Wert vor zuerkennen. dem dunklen Hintergrund der Verfolgung und versuch- Wenn Paulus von seinen jüdischen Brüdern und Schwe- ten Ausrottung des Judentums in diesem Land« 4. stern auch den »Gottesdienst« als eines ihrer Privilegien, Es hat also diese christlich-jüdische Gemeinschaftsfeier das sie haben, herausstellt, verweist er uns auf den kostba- »einen ganz besonderen Wert«. ren Gebetsschatz des alten Bundesvolkes. Diese Kostbar- Wir Katholiken werden uns dieses Wortes vielleicht am keit hat Jesus Christus selbst, wie die deutschen Bischöfe besten bewusst, wenn wir zu Beginn dieser Begegnung dartun, als »ein reiches Erbe aus den religiösen Überliefe- zweier Religionen ein Gebet aus unserer Liturgie der rungen seines Volkes in die christliche Völkerwelt mit ein- Osternacht, die uns ja so eng mit Juden, die ihr Pascha- gebracht, so dass der Christ >mit dem Stamme Abrahams Fest feiern, verbindet, bedenken: »Gott, deine uralten geistlich verbunden< und dauernd auch aus diesem Erbe Wunder leuchten noch in unseren Tagen . . . Gib, dass alle schöpft« 8. Menschen Kinder Abrahams werden und zur Würde des Wir zu dieser Gemeinschaftsfeier im Heiligen Geist zu- auserwählten Volkes gelangen.« sammengerufenen Christen dürfen nun mit unseren jüdi- »Gott, deine uralten Wunder leuchten noch in unseren schen Mitbürgern, die — wie uns der Glaube sagt — vom Tagen.« Rabbinische Weisheit bestärkt die Juden im gleichen Geist gerufen sind, aus dem reichen geistlichen Glauben, dass jedesmal, wenn sich zehn Israeliten in einer Erbe des jüdischen Volkes schöpfen. Synagoge zum Gebet versammeln, die Gottesherrlichkeit Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz danke ich unter ihnen weilt; denn es heisst im Psalm: »Gott steht in unseren jüdischen Mitbürgern, dass sie »mit jener >Öff- der Gemeinde Gottes« (Ps 82, 1). Einer der Geistesmän- nung und Weitung des Geistes<, mit jenem >Takt< und mit ner Israels sagt sogar: »Sooft du in einer Synagoge stehst, jener >Behutsamkeit< . . ., die uns Katholiken von den steht der Allmächtige bei dir« 5 . Er, der Unaussprechliche, (päpstlichen) Richtlinien (für den Dialog mit den Juden) möge uns allen in dieser geheiligten Stunde die Gnade ans Herz gelegt werden« 9, sich jetzt zur Hochform jegli- schenken, dass die Gottesherrlichkeit bei einem jeden von chen Dialoges, zum Gebet mit uns vereinigen. uns, ob Jude oder Christ, steht. Ich sage ein herzliches Vergelt's Gott den Vertretern des Uns Christen möge aus Gottes Herrlichkeit die Kraft zu- Judentums, die sich im Gesprächskreis »Juden und Chri- fliessen, die Würde des auserwählten Volkes mit unseren sten« beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken ge- Herzen wahrzunehmen. müht haben, diese Stunde des Gebetes vorauszudenken. Was gibt jedem Menschen wie jedem Volk Würde? Dieses Vergelt's Gott gilt besonders dem Herrn Landes- Auf Gottes Weisung hören und sie befolgen. rabbiner Dr. Nathan Peter Levinson, mit dem ich gerne Gott, den einen und einzigen preisen. diese Liturgie gemeinsam feiere. Mit herzlicher Dankbar- Für den Glauben an Gott und für das treue Zusam- keit begrüsse ich dazu Herrn Kantor Gerald Rosenfeld menstehen mit jedem Menschen, diesem Ebenbild und mit ihm alle, die, je auf ihre Art, als Mitgestalter die- Gottes, auch unter Opfern, Zeugnis ablegen. ser christlich-jüdischen Gemeinschaftsfeier liebend wir- Diese Würde des auserwählten Volkes, die wir beim be- ken. reiten Hinhören auf das Beten und Reden unserer jüdi- »An uns ist es, den Herrn zur preisen... schen Mitbürger gerade bei einer solchen Gemeinschafts- Er ist unser Gott, keiner sonst .. . feier wahrnehmen können, wollen wir bleibend anerken- wie geschrieben steht in der Tora: >König bleibt er in nen. Der Papst sagt ja: »Es ist edel, bereit zu sein, jeden Weltzeit und Ewigkeit<.« 10 Menschen zu verstehen . . . und anzuerkennen.« Unseren Lobpreis möge Gott gnädig annehmen und aner- Die Würde des auserwählten Volkes anerkennen ist bibli- kennen. Wir bitten, dass so in unseren Herzen das als sches Denken. Das darf ich, indem ich Ihnen allen die Frucht des Geistes heranreift, was dieser 87. Deutsche Ka- herzlichen Grüsse der deutschen Bischöfe überbringe, im tholikentag insgesamt erflehen möchte: Anschluss an deren »Erklärung über das Verhältnis der Die Umkehr der Herzen — den Glauben in allen Her- Kirche zum Judentum« feststellen. zen — die Erneuerung der Welt durch unsere Herzen. In der bischöflichen Erklärung wird nämlich jenes Paulus- Es möge uns Gott dazu seinen Segen geben. Wort aus dem Römerbrief über die Juden zitiert: »Sie sind »Er, der Unaussprechliche, von dem uns seine Schöpfung Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlich- spricht; Er, der seine Menschheit nicht zum Guten zwingt keit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, und sie dennoch führt; Er, der sich in unserem Schicksal der Gottesdienst und die Verheissungen, sie haben die bekundet und verschweigt; Er, der uns für alle zu seinem Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Chri- Volk erwählt: Er führe uns auf seinen Wegen in seine Zu- stus« (Röm 9, 4 f.). kunft! — SEIN NAME sei gepriesen!«i ,

3 Ansprache an den Heiligen Vater bei der Begegnung mit Ver- tretern der Juden im Dommuseum in Mainz am 17. November 6 Die deutschen Bischöfe 26, Erklärung über das Verhältnis der 1980, dokumentiert in: Verlautbarungen des Apostolischen Kirche zum Judentum vom 28. April 1980 (Herausgeber: Sekre- Stuhls 25 A, Papst Johannes Paul II. in Deutschland (Herausge- tariat der Deutschen Bischofskonferenz) III. 1. ber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz) 100; vgl. a.a.O. 105. FrRu XXXII/1980, S. 5. 8 o. a. Erklärung der deutschen Bischöfe III. 1. c. 4 Ansprache an die Vertreter der Juden im Dommuseum in 9 Johannes Paul II. a. a. O. 104. Mainz am 18. November 1980, a. a. O. 103. 10 Gebet Alenu, zitiert nach Robert Raphael Geis, Vom unbe- 5 s. dazu Kurt Hruby, Die Synagoge, geschichtliche Entwick- kannten Judentum (Freiburg 2 1977 [1961]) 20 f. lung einer Institution (Zürich 1971), 75 f. 11 Johannes Paul II. a. a. O. 105.

85 2 Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson: den Nebenmenschen und den Glauben an uns selbst. Des- Predigt: Umkehr, Glaube, Erneuerung halb stehen auch jene grossen Gebote der Gottesliebe, der Menschenliebe und der recht verstandenen Eigenliebe in (Maleachi 3, 7 und 5 Mose 30, 11 - 14; 19- 20a) einem einzigartigen Verhältnis zueinander: »Du sollst den Umkehr, Glaube und Erneuerung sind uns aufgegeben. Ewigen, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, Aber schon hier stellt sich uns die Frage: Aus welcher ge- mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.« genwärtigen Situation sollen wir den Rückzug antreten? »Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (5 Und weiter: Was und an wen können wir glauben? Und Mose 6, 5; 3 Mose 19, 18; vgl. Matth 22, 37ff.; Markus schliesslich: Wie sieht diese Erneuerung aus, und wie kön- 12, 29ff.; Lukas 10, 27). Dieser Glaube, dieses Vertrauen nen wir sie vollziehen? Das sind die drei Fragen, die uns in seiner dreifachen Form ist unteilbar. Das eine ist nicht heute beschäftigen. Als erster Schriftvers diene uns das denkbar ohne das andere. Wenn wir den Glauben in den Wort des Propheten Maleachi (3, 7): »Führe uns zurück Urgrund unseres Seins und damit in den Sinn des Lebens zu Dir, Ewiger, denn wir wollen zurückfinden, erneuere wieder für uns erworben haben, wenn wir den Nächsten unsere Tage wie in früheren Zeiten.« lieben und uns selbst wieder respektieren und lieben kön- Wo stehen wir heute? Die Frage ist identisch mit jener, nen, dann werden wir den entscheidenden Schritt auf dem die einst Gott an Adam stellte, an den ersten Menschen, Wege der Umkehr vollzogen haben. als er ihn fragte: »Wo bist du?« Natürlich wusste Gott, Aber die Umkehr soll auch Erneuerung sein. Erneuerung der Allwissende, wo sich Adam befand. Aber unsere Rab- ist kein vollkommen neuer Anfang, ist keine Modetorheit. binen erklären, Gott befragte Adam nach seinem Stand- Sie ist Rückkehr zu den Werten unserer Geschichte — ort. Wo bist du Mensch in deiner Welt, und was hast du »wie in früheren Zeiten«. Sie bedeutet nicht Versteine- heute getan? rung oder das Schmoren im eigenen Saft, sondern die Der in Wien geborene jüdische Schriftsteller Jakov Lind, Verpersönlichung der Werte der Vergangenheit durch der heute in England und den USA lebt, hat soeben einen unser eigenes Leben und für den heutigen Tag. Im 18. Ka- vielbeachteten satirischen Roman geschrieben: Reise zu pitel des Propheten Ezechiel lesen wir von der Umkehr den Enu. Die Enu sind eine Art Menschen auf einer Süd- und dass sie von einem neuen Geist und einem neuen seeinsel, auf die der Held des Romans, ein moderner Gul- Herzen abhängt. Das meint doch, dass wir von neuem mit liver, nach einer aufregenden Reise verschlagen wird. Sie Geist und Herz erfüllt sein mögen, dass der Weg, auf dem leiden hauptsächlich an Langeweile. Arbeit ist ein Status- wir gegangen sind, in die Leere führte. Wir sind die Gene- symbol und nur für die reichen Leute da, die sie sich lei- ration der Gewalt, der Drogen und der Langeweile. Und sten können. Literatur gibt es nicht, denn Bücher werden weil wir ohne wahre Bindungen waren, fehlten die Liebe, gegessen. So übrigens auch die Fäkalien, die in einem das Vertrauen und die Geborgenheit. Diese, die wahren Prozess des »recycling« wiederaufbereitet werden. Logik Werte, sollen wir wieder für uns zurückgewinnen — »wie ist Sünde und Krieg der einzige Ausweg. Nur gewinnen in früheren Zeiten«. will man nicht so gern, denn dann müsste man den Be- Die Arbeit können wir nicht Gott allein überlassen. Sie ist siegten seinen Willen aufzwingen, und einen Willen hat uns aufgegeben. »Führe uns zurück, Ewiger« heisst, dass man nicht. Nicht einmal zum Leben. Man stirbt mit der- Gott uns leiten und uns helfen möge, aber die Anstren- selben Selbstverständlichkeit, mit der man zum Zahnarzt gung und der Wille, sie sind unser — nicht wie die Enu, die geht. Wahrlich, der Albtraum einer Utopie, von der ein nicht einmal mehr den Willen zum Leben hatten, denn Kritiker sagte, dass seit Orwell keiner so wahr über unse- das Leben war fade und schal, und es bedeutete ihnen re Befindlichkeit geschrieben hätte. nichts mehr. Wenn wir versuchen, dies alles auf einen Nenner zu brin- Es soll sich keiner hinter seiner Kreatürlichkeit verstek- gen, dann bedeutet es doch, dass diese Hominiden Lind- ken. Minderwertigkeitsgefühle sind hier nicht gefragt. scher Erfindung ihr Menschtum verloren haben — übri- Wir sind Partner Gottes, nur etwas geringer als die Engel, gens wachsen ihnen Klauen, wenn nötig, und auch ihr sagt der Psalmist. Und das Wort ist nicht zu wunderbar Aussehen ähnelt zu Zeiten dem verschiedener Tierarten. für uns — es ist nicht im Himmel, und es ist nicht jenseits Dass die Männer Vogelnester auf ihren Köpfen tragen, des Meeres, sondern »sehr nahe ist dir das Wort, in dei- sollte hier noch ergänzt werden. Denn Vögel verschiede- nem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust«. ner Gattungen dienen als Überich und sind daher die Der Prophet, der das neue Herz und den neuen Geist wahren Herrscher des Inselreiches. Das, was den Men- fordert, spricht es klar aus: Gott sagt, er habe kein Wohl- schen zum Menschen macht, ist seine Fähigkeit, Sinn zu gefallen am Tode dessen, der sich dem Tode verschrieben erfahren, und das ist hier unwiederbringlich verloren. Der hat, dessen Todestrieb ihn dazu bringt, sich selbst zu zer- Enu erfährt keine wirkliche Freude, und er erlebt keinen stören, sondern dass er umkehre und lebe! »Führe uns zu- Schmerz. Er existiert, mechanisch, oberflächlich, ohne rück zu Dir, Ewiger, wir wollen ja zurückkehren, erneue- Gefühl und ohne Kultur. Und er hasst seine jungen Män- re unsere Tage wie in früheren Zeiten!« ner, weil sie die älteren überleben. Und deshalb schickt er sie in den Krieg, mit der Hoffnung, dass sie umkommen. Erkennen wir uns in diesem Bild? Es ist hautnah, wir müs- B Die jüdisch-christliche Begegnung sen es nicht ausbuchstabieren. Das ist unser Domizil. Das im Leo-Baeck-Saal ist unser Standort. Hier befinden wir uns. Und auf die 1 Ansprache Dr. Bernhard Servatius, Frage »Wo bist du?« können wir mit einem Blick auf un- Vizepräsident des Zentralkomitees der Deutschen sere Zeit und unsere Lage nur sagen: »Am Abgrund«! Katholiken, anlässlich der christlich-jüdischen »Führe uns zurück zu Dir, Ewiger!« Zu Gott sollen wir Begegnung am 2. September 1982, 19.30 Uhr zurückfinden. Und das ist doch das zweite Thema, das uns gestellt wird: der Glaube, der uns emporträgt aus dem Exzellenzen! Vor allem: Hochwürdigster Herr Erzbischof Nihilismus, der Verlorenheit, der Sinnlosigkeit, der Ab- von Paris, Msgr. Lustiger! Ehrwürdige Rabbiner! Herr surdität unseres Daseins. Und Glaube bedeutet nicht, wie Staatsminister! Herr Botschafter! Hochverehrter Herr Martin Buber uns gelehrt hat, das Fürwahrhalten von Nachmann! Verehrte Mitglieder des Vorstandes der Jüdi- Glaubenssätzen, sondern das gläubige Vertrauen, das im- schen Gemeinde Düsseldorf! Meine Damen und Herren! mer miteinschliesst den Glauben an Gott, den Glauben an Liebe Freunde!

86 Als Vizepräsident des Zentralkomitees der Deutschen Ka- Ich gehe einen Schritt weiter. Wir müssen auch Israel lie- tholiken habe ich dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde ben, im biblischen und im gegenwärtigen Sinne: als Heim- Düsseldorf ein Wort aufrichtigen Dankes zu sagen. Ich statt der lebenden Juden. Wir tragen Mitverantwortung empfinde die an die Teilnehmer des Katholikentages ge- für das, was — unter anderem durch die Judenverfolgung richtete Einladung zu einer Begegnung mit der Jüdischen ausgelöst — im Nahen Osten heute als Heimstatt des jüdi- Gemeinde in Düsseldorf als ein Zeichen besonderer Auf- schen Volkes gewachsen ist. Diese so verstandene Verant- merksamkeit und als eine so tiefe Geste, als dass ich mich wortung verbindet uns auch mit dem heutigen Staat der mit meiner Antwort auf Höflichkeiten oder darauf be- Juden. schränken dürfte, in dieser — um mit Kardinal Hener zu Zwei grosse Männer haben das sehr früh begriffen: Ade- sprechen — eleganten Stadt lediglich gute Manieren vorzu- nauer und Ben Gurion. Wir beklagen in diesen Tagen den zeigen. Mir wäre sehr danach, mit Frohsinn auf den fröh- Tod eines Mannes, der das Werk dieser beiden Männer lichen Gesang Ihres reizenden Kinderchors zu reagieren". vorbereitete: Nahum Goldmann. Auch wir Christen ge- Jedoch: Wenn Juden und Christen, gläubige Christen, denken seiner und übermitteln Ihnen den Ausdruck unse- einander begegnen, schulden sie sich mehr.* (Dadurch, res aufrichtigen Mitempfindens. Was weitblickende Politi- und durch das anschliessende Wort von Exzellenz Flügel' ker und Regierungen einleiteten, wollen wir je einzeln erfahren Sie dann gleichzeitig etwas über die katholische nachvollziehen, damit es ein Werk der Völker werde.* Kirche in Deutschland, nämlich über die feinsinnige Un- Wir haben heute zwei Männer unter uns, die uns dabei terscheidung zwischen der Zuständigkeit des kirchlichen frühzeitig an die Hand nahmen. Ich meine den ersten Bot- Amtes, vertreten durch die Deutsche Bischofskonferenz, schafter Israels in Deutschland, Asher Ben Nathan, den und den Aufgaben des Zentralkomitees: Die Bischöfe sa- ich als eine Person der deutschen Zeitgeschichte grüsse, gen uns das wegweisende »geistliche Wort«, wir versu- und Werner Nachmann, dem mein ebenso herzlicher chen uns dann als gesellschaftliche Strukturen der Kirche Gruss gilt. Gestern haben Sie Dr. Isidor Evian zu Grabe in der Übersetzung dieser Wegweisung in die gesellschaft- getragen; wir verneigen uns auch vor ihm als einem der liche und politische Wirklichkeit; ich möchte diesen vielen, die im stillen wirkten. »Weltdienst des Laien« hier ausdrücklich in Anspruch In dem von mir soeben skizzierten Bewusstsein der Mit- nehmen.) verantwortung für das Schicksal des jüdischen Volkes Im Schott, der offiziellen benediktinischen deutschen heute stattete das Präsidium des Zentralkomitees der Ausgabe des neuen römischen Messbuchs, lesen wir am Deutschen Katholiken, begleitet von einigen Mitgliedern Schluss der Karfreitagsliturgie als Antwort auf die Frage des Gesprächskreises Juden und Christen des Zentral- »schuldig?« folgende Betrachtung: »Wir heutigen Chri- komitees, im vergangenen Jahr Israel einen offiziellen Be- sten dürfen wirklich keinen Stein auf die Zeitgenossen Je- such ab. Unvergessen sind uns die Begegnungen mit der su in Israel werfen. Wir brauchen nur zu betrachten, was Hebrew University, dem Interfaith Committee, dessen wir aus dem Christentum machen, um uns zu sagen: das Sprecher Joseph Emanuel ich hier begrüsse, mit Repräsen- ist schlimmer, als was sie mit Jesus taten. Wenn man be- tanten des israelischen Staates und der Stadt Jerusalem, denkt, dass die Welt durch die christliche Wahrheit erhellt da vor allem die mit dem unvergleichlichen Teddy Kollek. werden sollte, und dann sieht, wie wir ihr Bild verfinstern, Jerusalem ist der Ort Ihrer tausendjährigen Sehnsucht, dann muss man schon vollkommen verdreht sein, um sich zugleich Heimstatt auch der beiden anderen monotheisti- auch nur einen Augenblick für weniger schuldig zu halten schen Weltreligionen. Der Status von Jerusalem ist inter- als Kajafas oder Judas.« national noch nicht gesichert. Gleichwohl gibt es heute in Wie anders war doch das Bild, das durch Jahrhunderte, Jerusalem ein Mass an tolerantem Mit- und Nebeneinan- fast zwei Jahrtausende die Beziehungen zwischen Chri- der der verschiedensten Volksgruppen und Religionsge- sten und Juden bestimmte; und wie verheerend waren die meinschaften wie nie zuvor in der Geschichte jener Re- Folgen, die nicht zuletzt durch jenes andere Bild ausgelöst gion. Ich würde mir wünschen, dass Jerusalem alsbald die wurden. Die Christen sind hierdurch in zweifach tragi- völkerrechtlichen Regelungen erhielte, die es für eine scher Weise mit der Geschichte der Juden verbunden; je- friedliche Entwicklung braucht und wenigstens der Hl. denfalls wir deutschen Christen. Unter Ihnen, liebe Freun- Stuhl sich als der Partner erwiese, dessen wir zur Fortent- de — darf ich das schon sagen? — gibt es heute noch kaum wicklung einer Friedensordnung in Jerusalem bedürfen. eine Familie, der nicht durch Verbrechen, die Deutsche Die freie Religionsausübung für alle ist heute eine garan- im Namen Deutschlands verübt haben, unsagbares Leid tierte Selbstverständlichkeit, so wenig wir die Probleme zugefügt wurde. Hier stellt sich nicht die Frage persönlich der Christen übersehen, die Bürger des Staates Israel sein zurechenbarer Schuld; die meisten heute lebenden Deut- wollen und jüdischer Volkszugehörigkeit sind. Jerusalem schen waren 1945 noch Kinder oder nicht einmal gebo- ist heute nicht nur eine moderne Grossstadt geworden, ren. Es gilt aber zu erkennen, dass wir uns aus unserer ein auch international bedeutsames Zentrum von Wissen- Geschichte nicht davonstehlen können, " und den durch schaft und Kunst, Jerusalem ist eine Stätte vielfältiger unsere Geschichte Betroffenen zu beweisen, dass wir das Frömmigkeit geblieben. Wie deutlich stand Ihr Jerusalem, auch nicht wollen, dass wir unsere Verantwortung sehen. unser Jerusalem", das Jerusalem von heute auch, vor mir, Vielleicht haben wir unsere Lektion gelernt. Vielleicht ist als ich vorhin in der christlich-jüdischen Gemeinschafts- es keine Heuchelei, wenn wir uns mit den Worten anre- feier das Eingangslied des Kantors hörte: »Wie schön sind den : »In Gott, in dem einen Gott geliebte Brüder!« Deine Zelte, Jakob, Deine Wohnstätten, Israel!« Schlimm wäre es, liebten wir — mit der Scham als Wurzel Irre ich, wenn ich Israel auch als Chance der Christen im — nur die toten Juden. Wir müssen die lebenden Juden lie- Nahen Osten sehe? Für uns Christen ging von Jerusalem ben. Wer nur die toten Juden liebt, der steht in dem Ver- eine Botschaft des Friedens aus. Wir hoffen und wün- dacht, seine Liebe könnte in Wahrheit nur Vergangen- schen, dass von Jerusalem sich die Wirklichkeit des Frie- heitsbewältigung sein. dens ausbreite. Ist es erlaubt, einer Vision wie dieser nach- zugehen? Wer glaubt, kann das. Ich rufe Ihnen zu: * Anmerkung: Ca. 1000 Teilnehmer, 90 % junge Menschen [vgl. »Wenn Ihr es nur wollt, wird es geschehen!« u.]. An keiner Stelle gab es auch nur die geringste negative Reak- tion, an den mit * gekennzeichneten Stellen hingegen starken, Mit diesen Gedanken, meine Freunde, weist unsere Be- anhaltenden Beifall! gegnung nicht in die Vergangenheit, sondern in die

1 s. u. S. 88. Zukunft! Shalom! Shalom!*

87 2 Grusswort Weihbischof Flügel schen Religionsgemeinschaft weitergehen sollten, der des brüderlichen Dialogs und der fruchtbaren Zusammenar- zur Begegnung der Katholikentagsteilnehmer beit ist.«5 Durch unsere Begegnung heute wird gewisser- mit der jüdischen Gemeinde Düsseldorf, massen der theologische Dialog, der schon seit einiger 2. September 1982 Zeit vor allem im Gesprächskreis »Juden und Christen« Von Gott geliebte Schwestern und Brüder, beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken geführt es sei mir gestattet, Ihnen allen diesen biblischen Gruss zu und in einer Reihe von Podiumsgesprächen dieses Katho- entbieten. likentages erneut thematisiert wird, wie von selbst zu dem Mit dem Zuspruch »von Gott Geliebte« darf ich zuerst vom Papst gewünschten »brüderlichen Dialog«. Dafür auf die jüdische Gemeinde Düsseldorf und deren Freunde sind wir dankbar. zugehen. Dankbar sind wir, Ihre Gäste, sehr verehrte Damen und Auch von Ihnen gilt, was im Brief des Apostels Paulus an Herren der jüdischen Gemeinde, dass uns dieser brüder- die Römer geschrieben steht und was wir Christen uns ge- liche Dialog die Möglichkeit bietet, Gedanken zu den ge- rade bei dieser Begegnung neu ins Herz sagen lassen wol- meinsamen Aufgaben auszutauschen, die in der »Erklä- len: »Von ihrer Erwählung her gesehen sind sie (die Ju- rung der deutschen Bischöfe über das Verhältnis der Kir- den) von Gott geliebt, und das um der Väter willen. Denn che zum Judentum« angesprochen sind. Diese gemeinsa- unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott ge- men Aufgaben, die Sie genauso sehen wie wir, lassen sich kurz so artikulieren: währt« (Röm 11, 28 f.). Von Herzen sage ich im Auftrag und Namen der deut- Verwirklichung des Willen Gottes in der Welt — »Die schen Bischöfe der jüdischen Gemeinde der diesjährigen Weisungen der Tora und die Weisungen Jesu betref- Katholikentagsstadt Vergelt's Gott für die Einladung zu fen den Willen Gottes« 6 ; dieser Stunde der Begegnung. Mit dem einem Bayern Teilnahme am prophetischen Protest gegen bestehen- kostbaren Dankeswort »Vergelt's Gott« spreche ich Ihnen des Unrecht im wirtschaftlichen und sozialen Bereich ein kleines, herzhaftes Gebet zu. Es ist ganz im Sinn des und gegen alle ideologische Unterdrückung; grossen Gebetes Salomos gemeint. Er wusste sein Volk Is- rael von der rettenden Macht der Weisheit umwaltet und Friedensarbeit in der Welt; denn »>Shalom< ist (erst) sagte deshalb: Die Weisheit »gab den Heiligen den Lohn dann in der Welt Wirklichkeit, wenn alle Beziehungen ihrer Mühen und geleitete sie auf wunderbarem Weg« untereinander endlich in Ordnung sind, die Beziehun- (Weish 10, 17). gen zwischen Gott und Mensch und von Mensch zu Gott möge Ihnen für die Mühen bei der Vorbereitung Mensch«7 ; und Gestaltung dieses Beisammenseins seinen Lohn geben Bekundung unserer Erwartung eines »neuen Himmels und Sie allzeit »auf wunderbarem Weg« geleiten. und einer neuen Erde«, des endgültigen Heiles für die Auch uns Christen sagt Paulus: »Ihr seid von Gott ge- Welt, in das nur Gott führen kann. liebt« (Kol 3, 12). In der Öffentlichkeit aller Welt bezeugen, dass wir ge- Er fügt, damit wir dieser hohen Auszeichnung nicht verlu- meinsam gegen allen Materialismus, Nihilismus und stig werden, einige Mahnungen hinzu, so auch diese: Pessimismus »die Auferstehung der Toten und das Le- »Seid dankbar!« (Kol 3, 15). ben der kommenden Welt«s erwarten. Wie herzlich hat doch unser Heiliger Vater dafür ge- dankt, als er in Mainz mit Vertretern der Juden zusam- Ich bin sicher, dass unsere heutige Begegnung, zu der Sie menkommen konnte. Er gab seinen Dank mit dem schö- freundlicherweise eingeladen haben, selbst schon Aus- nen Wort: »Diese Begegnung war mir ein Herzensanlie- druck des brüderlichen Dialogs und fruchtbarer Zusam- gen«1 Ausdruck und wünschte: »Möge Gottes Segen über menarbeit ist. Sie möge ein fester Schritt in Richtung auf dieser Stunde stehen!« 2 jenes volle gegenseitige Verständnis sein, das zu erreichen Gleiche Dankbarkeit bewegt auch alle Ihre Gäste, verehr- wir vom Herrn der Geschichte aufgerufen sind. »Bei der te Damen und Herren der hiesigen jüdischen Gemeinde, Verfolgung dieses Zieles sind wir uns alle dessen sicher, in dieser Stunde. Sie haben uns eingeladen, um bei Ihnen, dass wir in Treue und Gehorsam gegenüber dem Willen wie Martin Buber und Franz Rosenzweig in ihrer gemein- Gottes, des Gottes der Patriarchen und Propheten, han- deln.«9 samen Übersetzung der »Fünf Bücher der Weisung« es Als Zeichen des bereits erreichten Verständnisses und der ausdrücken, »Gastsassen« 3 zu sein. Unseren geziemenden brüderlichen Liebe möchte ich noch einmal Ihnen, von Dank für diese Aufmerksamkeit möchte ich mit dem Gott geliebte Schwestern und Brüder, im Namen und Gebetswort aus dem Buch der Reden erstatten: »Er, Auftrag aller deutschen Bischöfe mein herzliches Vergelt's dein Gott segne dich in allem Tun deiner Hände, das du Gott für diese von Gott gewirkten und von Gott ge- tust.«4 schenkten Stunden sagen. Friede sei mit Euch! Shalom! Wir Christen wollen dankbar dafür sein, dass wir mit ei- Friede sei allen Ihren Glaubensbrüdern in jedem Land, in ner jüdischen Gemeinde und mit gewählten Vertretern dem sie leben und ihren Glauben an den Gott Abrahams, mancher jüdischen Gemeinden in Deutschland nach unse- Isaaks und Jakobs bekennen! Shalom! rem gemeinsamen Beten jetzt in gelöster Art beisammen sein dürfen. Johannes Paul II. hat in seiner Ansprache an Vertreter des Judentums am 12. März 1979 gesagt: »Wir erkennen mit 5 dokumentiert in: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in höchster Klarheit, dass der Weg, den wir mit der jüdi- deutscher Sprache, 10. März 1979/Nr. 13,4 (vgl. FrRu XXX/ 1978, S. 13). 6 Erklärung der deutschen Bischöfe vom 28. April 1980, doku- ' Ansprache an die Vertreter der Juden im Dommuseum in mentiert in: Die deutschen Bischöfe 26 (Herausgeber: Sekretariat Mainz am 17. November 1980, dokumentiert in: Verlautbarun- der Deutschen Bischofskonferenz) VI.1 [s. FrRu XXXII/1980 gen des Apostolischen Stuhls 25 A, Papst Johannes Paul II. in S. 7-17]. Deutschland (Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofs- ' ebd. VI.3. konferenz) 102 (vgl. FrRu XXXII/1980 S. 3f.). s s. zum Ganzen: Erklärung der deutschen Bischöfe a. a. O. In- 2 ebd. haltsangabe und S. 26ff. 3 Verlag Lambert Schneider, Heidelberg, 9 1976, 516. 9 Johannes Paul II. in seiner Ansprache vom 12. März 1979 4 ebd. a. a. O.

88 dass Gott letzten Endes die Sünder verschonen würde? Er C Glauben heisst umkehren! hat keine Lust mehr weiterzuleben. Da erhält Jona eine 1 Rabbiner Dr. Jacob Posen, Zürich: ganz persönliche Lehre: Eine schattenspendende Staude wächst über Nacht und schützt den Propheten vor. der Meditation: Umkehr am Beispiel des Jona Glut der Sonne. Doch schon am nächsten Tag verwelkt Aus dem vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken heraus- die Pflanze, weil ein Wurm die Wurzel abnagte, so dass gegebenen Dokumentenband (s. o. S. 82 Anm. 2*) zu dem hier Jona schutzlos den Sonnenstrahlen ausgesetzt ist. Jetzt im vollen Wortlaut wiedergegebenen folgenden Beitrag: möchte er am liebsten sterben, doch dann erfährt er die ironische göttliche Mahnung »Dir tut es leid um die Stau- Dialog: Prof. Dr. Wilhelm Breuning, Bonn; Dr. Ernst Ludwig de, um die du dich nie bemüht und die du nicht grossge- Ehrlich, Basel — Podiumsdiskussion mit: Asher Ben Nathan, Tel Aviv; Klaus Dorn, Veitshöchheim; Werner Nachmann, Karlsru- zogen hast, die als Kind einer Nacht entstand und als he; Gabriela Pagener, Düsseldorf; Ministerpräsident Dr. Bern- Kind einer Nacht verschwand. Mir aber sollte es nicht leid hard Vogel, Mainz — Anwalt des Publikums: Michael Huhn, tun um Ninive, die grosse Stadt, darin es mehr als 12 My- Münster — Jüdische Lieder: Aviva Semadar, Tel Aviv — Leitung: riaden Menschen gibt, die zwischen rechts und links nicht Prof. Dr. Clemens Thoma, Luzern. unterscheiden können und auch noch an Tieren die Men- Alle Schwierigkeiten, die Gott mit dem Propheten Jona ausste- ge?!« hen musste, hat er nach Auffassung von Rabbiner Dr. Jacob Po- Ist es wirklich so schwer, in diesem Jona uns selbst wie- sen auch mit den heutigen Menschen. In seiner Meditation »Um- derzufinden? Jona hatte eine begrenzte räumliche Vor- kehr am Beispiel des Jona« stellte er die Frage, ob es wirklich so schwer sei, im Propheten Jona »uns selbst« wiederzufinden? Jona stellung von der göttlichen Allmacht. Er glaubte, dass habe eine begrenzte, räumliche Vorstellung von der göttlichen Gottes Machtbereich sich nur auf den Boden des Landes Allmacht gehabt. Er glaubte, dass Gottes Machtbereich sich nur Israel erstrecke, aber ausserhalb dieses Territoriums un- auf den Boden des Landes Israel erstreckte, aber ausserhalb die- wirksam bleibe. Wie kindisch und dennoch wie modern ist ses Territoriums unwirksam bliebe. Posen nannte diese Auffas- diese Einstellung. Gott wird auf ein bestimmtes Gebiet sung »kindisch und modern« zugleich. Solange Jona seine kon- eingeschränkt, sowohl örtlich wie auch was den Wir- ventionelle Ansicht von Gott behalten durfte, wäre er mit Gott kungskreis anbetrifft. Für Jona war Gott ein nationaler und sich selbst zufrieden gewesen. Aber sobald er herausgefun- Gott, den man in Jerusalem anbeten konnte und dessen den habe, wie gross und umfassend die Allmacht Gottes war, ha- Gnade und Barmherzigkeit seinem Volke vorbehalten be er versucht, ihr mit allen Mitteln zu entfliehen. bleiben sollte. Solange Jona seine konventionelle Ansicht von Gott behalten durfte, war er mit ihm und mit sich Rabbiner Dr. Jacob Posen: selbst recht zufrieden. Aber sobald er herausfand, wie Beim Lesen biblischer Erzählungen kann man sich manch- gross und umfassend die Allmacht Gottes wirklich ist, da mal des Eindrucks nicht erwehren, dass Gott oft Men- war es unerträglich für ihn, und Jona versucht, mit allen schen als Träger seiner Botschaft auswählt, deren Charak- Mitteln der Gegenwart Gottes zu entfliehen; einem Gott, tereigenschaften ganz offensichtlich mit vielen Fehlern be- der sich weigert, auf ein Volk allein ausgerichtet zu sein, haftet sind. Ein solcher Künder eines Gotteswortes war dessen Erbarmen selbst Ninive, die Verkörperung des der Prophet Jona. Aber wir dürfen nicht vergessen: Alle Erzfeindes des alten Israel einschliesst. Dort in Ninive, wo Schwierigkeiten, die Gott mit Jona auszustehen hatte, hat die Schalthebel der politischen Macht zu finden waren, in er auch mit uns. Man erkennt dies nicht sofort auf den er- Ninive, einem blühenden Zentrum von Gewerbe und sten Blick, weil damalige Zeiten mit ihren Vorstellungen Handel, einer Millionenstadt, wo Reichtum und Armut und Symbolen uns Heutigen nicht vertraut sind und mit- eng beeinander hausten, dort das Wort Gottes zu verkün- unter fremd vorkommen. Hier nun einige wesentliche den, das bringt auch unsere modernen Jonasse dazu, zu Punkte des Jona-Buches. resignieren, sich davor zu drücken, für die Wahrheit der Jona ben Amitai erhält den göttlichen Auftrag, zur Stadt göttlichen Lehre auch ausserhalb organisierter Religions- Ninive zu gehen und ihre Vernichtung wegen ihrer Sünd- bereiche einzustehen. haftigkeit anzukündigen. Jona weigert sich, dies zu tun Es gibt niemanden, der fehlerfrei durchs Leben gehen und sucht zu entfliehen. Er schifft sich nach übersee ein. kann. »Irren ist menschlich«, auch der gläubige Mensch Ein Sturm bedroht das Schiff und seine Besatzung, die kann nicht vermeiden, sich immer wieder aufs neue mit durch das Los feststellt, dass Jonas Anwesenheit auf dem Schuld zu beladen, aber der gläubige Mensch hat eine Schiff den Sturm veranlasste, weil er vor seinem Gotte Möglichkeit, sich von Schuld zu befreien, wenn er echtes, floh. Auf seinen eigenen Vorschlag hin wird Jona ins uneingeschränktes Vertrauen zu seinem Gott hat. Aufs Meer geworfen. Der Sturm lässt nach, und die Seeleute Vertrauen kommt es in erster Linie an. Es gibt ein Wort, danken dem Gotte Jonas für ihre Errettung, das sowohl im christlichen wie im jüdischen Gottesdienst Jona selbst wird von einem grossen Fisch verschlungen, einen hohen Stellenwert hat. Es ist das Schlusswort vieler der ihn nach drei Tagen aufs trockene Land ausspeit. Gebete, AMEN. Es beinhaltet soviel wie etwa »so ist es — so Dann ergeht ein zweites Mal Gottes Wort an Jona, die soll es sein« und entstammt der gleichen Wurzel wie das ihm aufgetragene Botschaft in Ninive zu verkünden. Die- hebräische Wort EMUNA, das sowohl Glauben als auch ses Mal erfüllt er seinen Auftrag und muss feststellen, dass Treue und Vertrauen bedeutet. Für eine Interessenge- die Drohung »In vierzig Tagen wird Ninive zerstört« be- meinschaft mag als bloss vertragliche Beziehung auch ein wirkt, dass die Bewohner der Stadt und die Regierung beschränktes Vertrauen als Basis ausreichen, aber der sich ihrer Sünden bewusst werden und durch Fasten, Be- Glaube an Gott und Seine Lehre verlangt ein unbegrenz- ten und reumütiges Verhalten zu Gott zurückfinden. We- tes, uneingeschränktes Vertrauen. Wenn unser AMEN, gen dieser Reue wird die sündhafte Stadt nicht bestraft. unser »so ist es« mehr als ein blosses Lippenbekenntnis sein Nur Jona ist mit dem Ablauf der Dinge unzufrieden. Er soll, dann muss es uns anspornen, unserem Glauben nicht fühlt sich durch das Erbarmen Gottes über die Stadt und nur in konventionellen Bereichen nachzuleben, sondern ihre Bewohner desavouiert und als »falscher Prophet« ge- ihn auch dort zu verwirklichen, wo wir mit neuen Erkennt- brandmarkt. Hatte er nicht schon von Anfang an geahnt, nissen konfrontiert werden, wo wir — wie der erschreckte, einsame Jona — uns einer fremden, ja manchmal feind- * Der im Dokumentenband wiedergegebene Text (vgl. ebd. lichen Welt gegenübersehen — und das heisst notfalls um-

S. 413-416) ist leicht gekürzt (Anm. d. Red. d. FrRu). kehren — zurück vom bisher eingeschlagenen Weg.

89 Ninive ist nicht nur das Produkt des Fehlverhaltens ande- den sind, aber gegenüber allen anderen die Augen zu ver- rer Menschen. Hat unser eigenes Verhalten — so müssen schliessen? wir uns fragen — nicht auch ein gerüttelt Mass dazu beige- Glauben heisst umkehren. Und jeder kehre vor seiner eige- tragen, dass wir mit ängstlichen Blicken täglich in die Zu- nen Türe, sei es in punkto Ausländerfeindlichkeit, sei es, kunft starren, verunsichert und ohne rechte Hoffnung auf was die moderne Geissel der Arbeitslosigkeit anbetrifft, eine bessere Wendung im persönlichen und gesellschaftli- sei es in unserem Verhalten zur heranwachsenden Gene- chen Leben? ration, der wir oft mit Unverständnis gegenübertreten, sei Da wird Gott gebeten: »Unser täglich Brot gibt uns heu- es wegen unserer Gefühlskälte gegenüber der wachsenden te !« Aber fühlen wir uns auch verantwortlich dafür, dass Einsamkeit von betagten und auch behinderten Men- wenigstens ein Bruchteil von dem, was wir im Überfluss schen. Dürfen wir weiter tatenlos zusehen, wie sich die Si- verzehren können, den Hungernden in der Dritten Welt tuation im gesellschaftlichen Zusammenleben immer mehr zugute kommt? Sind wir nicht wie Jona, der sich seiner verschlechtert? Nicht nur Noblesse oblige — Adel verpflich- Verantwortung durch die Flucht entziehen möchte und tet —, ein geflügeltes Wort aus früheren Zeiten, auch versucht, während der Stürme, die die Welt durchbrau- Glauben verpflichtet zur aktiven Mitarbeit, und vor allem sen, in seiner gefährdeten Kajüte zu schlafen? Und wie unser eigenes Wort, unser AMEN »so soll es sein«, wenn Jona werden auch wir eines Tages aus dem Schlaf geris- wir Gott um Beistand für friedliche Koexistenz bitten. sen und gezwungen, auf dem bisher eingeschlagenen Weg Glauben heisst umkehren. Unter Umständen heisst das einzuhalten und — umzukehren! aber auch Abkehr von vielen liebgewordenen Gewohnhei- Ach, sagen viele, wenn das nur so leicht zu machen wäre, ten, die uns bis dahin Stütze, ja Wegweiser auf dem Le- denn welchen Einfluss haben meine persönlichen Über- benspfad waren. Wir mögen zwar einsehen, dass wir uns zeugungen auf eine Umgebung, die sich so völlig anders falsch verhalten haben, aber ist der neue Weg, den wir verhält? jetzt einschlagen sollen, garantiert fehlerfrei und richtig? Der Verfasser des Jona-Buches ist da ganz anderer Mei- Schaffen wir nicht mitunter neue Probleme, wenn wir nung. Er weiss, dass der Prophet, nachdem er die Sinnlo- neue Wege einschlagen, die neue Gefahren in sich bergen sigkeit seiner Flucht eingesehen hatte und sich nun voll zu können? seinem Gotte bekennt, auch seine nächste Umgebung — Religiöser Glaube ist kein passives Verhalten. Im Gegen- die Seeleute — überzeugen konnte, die nach ihrer Rettung teil: Echter, allumfassender Glaube ist und muss dyna- Gott danken und Ihm Opfergaben darbringen. misch sein, weil er sich in immer neuen Situationen zu be- Doch es gibt noch andere Einwände. Zugegeben, dass ein währen hat. Ohne Rückorientierung auf Gott bleibt unser standhafter, religiöser Mensch auch seinen nächsten Be- menschliches Bemühen nur Stückwerk. Doch unser Glau- kanntenkreis, besonders unter dramatischen Umständen, be macht uns zum Mitarbeiter Gottes, weil die anzustre- beeinflussen kann, aber das bleibt doch ohne Wirkung auf bende Harmonie von Gott — Mensch — Natur ohne diejenigen, die die Zügel der Weltpolitik in den Händen menschliche Mitarbeit unvollkommen bleiben muss. Es ist halten und mit ihren Aufrüstungs- oder Nachrüstungsan- richtig: Neue Fragen werden immer wieder auftauchen, strengungen, ja auch Kriegen, Sanktionen und sonstigen aber das darf uns nicht daran hindern, alte Verhaltenswei- Drohgebärden immer wieder neue Unruhen hervorrufen. sen, die früher einmal wirksam waren, kritisch unter die Werden diejenigen, die warnend ausrufen »Kehret um Lupe zu nehmen. und lebet«, nicht als Utopisten verschrien, weil ihr Ruf un- Unsere Glaubenskraft schöpfen wir aus einer Rückbesin- gehört verhallt und nicht in die Wandelgänge der Mächti- nung und Rückkehr zu unseren religiösen Quellen. Wer gen eindringen kann? Schön wäre es, wenn — wie in Nini- zu den Quellen zurückfinden will, darf sich aber nicht ve, wo der Gesinnungswandel im Volke sich bis zum Kö- vom Strom treiben lassen, sondern muss notfalls gegen nig hinauf durchsetzte — auch bei uns der Gedanke an den Strom der öffentlichen Meinung schwimmen und sich Umkehr von Fehlverhalten von der Basis her sich bis zu fortbewegen. den Trägern der Macht' durchsetzen könnte. Ich glaube Im Hebräischen heisst das Wort für Umkehr »Teschuwa«. nicht, dass man Vox populi mit Vox dei — die Stimme des Aber es beinhaltet auch den Weg der Umkehr, nämlich Volkes mit der Stimme Gottes — gleichsetzen darf. Nur zu Reue und Busse. Gott vermag vieles zu tun, doch Reue oft wird die Stimme des Volkes manipuliert, aber in Zei- und Umkehr muss zunächst vom Menschen ausgehen. ten der existenziellen Not kann die Stimme des auf Gott Den ersten Schritt muss er selber tun, dann wird ihm wei- vertrauenden Menschen sich auch in der Menge Gehör tergeholfen. Umkehr ist ein Sprung des Glaubens ins Un- verschaffen und sein Beispiel zum Lichtpunkt in einer ver- gewisse. Aber neugefestigter Glaube mit Umkehr kann unsicherten Welt werden. Ich weiss von Menschen,. die von Schuld früheren Fehlverhaltens befreien und zu ei- selbst unter unsäglichen körperlichen und seelischen Lei- nem Neubeginn verhelfen. Doch wie kann der Mensch den in den Vernichtungslagern anderen Mut und Hoff- Gewissheit verlangen, dass die frühere Schuld gesühnt ist nung einflössten, weil sie im uneingeschränkten Vertrau- und Gott ihm verziehen hat? en auf Gott selbst in dieser von Menschen geschaffenen Eine chassidische Geschichte schildert, wie eines Tages Hölle mit dem Dulder Hiob sagen konnten: »Ich weiss, ein schuldbeladener Mann seine Sünden einem Rabbi an- dass mein Erlöser lebt«. vertraute. Dieser sagte ihm: »Bereue, was du getan hast, Aber »Kehrt um und lebet« darf nur einer sprechen, der und Gott wird dir verzeihen.« Im nächsten Jahr kam die- nicht nur an Gott glaubt, sondern auch an das Gute in sei- ser Mann wieder zum Rabbi und fragte ihn: »Wie kann nen Mitmenschen. Denn Gott ist für alle da. Seine Liebe ich sicher sein, dass Gott mir verziehen hat?« Und der und Gnade beschränken sich keineswegs auf einige weni- Rabbi gab ihm die Antwort: »Wenn du nochmals in die ge Auserwählte. Das hatte Jona zu lernen, und weil sein gleiche Situation gerätst, in der du ursprünglich gesündigt Erfahrungsbericht mit allen Einzelheiten seiner seelischen hast, diesmal aber der Versuchung widerstehen kannst, Entwicklung im Buch der Bücher, der Bibel, Aufnahme dann sei gewiss, dass Gott dir verziehen hat.« fand, ist anzunehmen, dass er seine Lektion gelernt hat. Es ist nicht leicht, den Entschluss zur Umkehr zu fassen, Aber haben wir sie gelernt? Sind wir nicht allzuschnell be- auch wenn man vor sich selbst ein Fehlverhalten eingeste- reit, auch von unserem Glauben her nur denjenigen als hen muss. Denn Umkehr isoliert zunächst in erhöhtem unseren Nächsten anzusehen, mit dem wir verwandt- Masse, da sie oft Entfremdung von der bisherigen Umge- schaftlich, religiös, beruflich und politisch enger verbun- bung und deren Lebensweise mit sich bringt. Der Mensch

90 ist keine Insel, fähig, für sich allein seinen Lebensweg zu der eigenen Vergangenheitsbewältigung. Der Zwang zu bestimmen und zu verfolgen. Er braucht den Mitmen- einer friedlichen Lösung im Nahen Osten sei gegeben, al- schen, auch den unvollkommenen, den schuldbeladenen, lerdings nur mit denen, die die historischen und De-facto- selbst wenn dieser ihm drohend und feindlich gegenüber- Rechte Israels anerkennen würden. Auch müsse der Li- steht. Und dies auch auf dem Weg der Umkehr, der zu ei- banon zu einem neutralen Staat werden, der nach Abzug nem neuen Leben führen soll. Der Weg der Umkehr soll aller fremden Truppen seine Probleme in eigener Verant- nicht weg vorn Mitmenschen, sondern zu ihm in seiner wortung lösen müsse. Werner Nachmann betonte, die Ju- vollen irdischen Menschlichkeit führen. Wird uns dieser den in der Bundesrepublik wären dankbar für die Begeg- Weg nicht auch durch die göttliche Botschaft an Jona vor- nungen mit christlichen Gemeinden. Man sei 1945 nach gezeichnet, wenn er die Worte zu hören bekommt: »Mir Deutschland zurückgekommen, um mit der deutschen Ju- sollte es nicht leid tun um Ninive, die grosse Stadt, darin gend eine Demokratie aufzubauen. Dieser Jugend, auf die es mehr als 12 Myriaden Menschen gibt, die nicht unter- sich die Hoffnungen der Juden richteten, habe man nie ei- scheiden können zwischen rechts und links?« ne Schuld an Holocaust zugeschoben. Ministerpräsident Ein Mann, der sich von dieser Botschaft hat leiten lassen Vogel warnte davor, den jüdisch-christlichen Dialog mit und der sich seiner Mitverantwortlichkeit auch für den den Auseinandersetzungen der Politik zu identifizieren. sündigen Mitmenschen voll bewusst war, war Martin Bu- Kritik an Begin belaste den Dialog nicht. Klaus Dorn wies ber. Mit einem Zitat aus einem Brief an seinen Kollegen darauf hin, dass der Holocaust eine Wende in den Bezie- Louis. Massignon vom 13. September 1953 möchte ich hungen zwischen Juden und Christen herbeigeführt habe. schliesen. Er schreibt: Von der Jugend könne aber in dieser Frage kein Schuld- »Ihr Brief, in dem Sie zu mir im Namen von Toten spre- bekenntnis erwartet werden. Zur Darstellung der christ- chen, hat mir viel gesagt . . . Der jüdische Versöhnungs- lich-jüdischen Beziehungen nahm die Journalistin Gabrie- tag, Jom Kippur, fällt in diesem Jahr in den Monat Sep- le Pagener Stellung. Das Gespräch werde vor allem durch tember, Wenn Sie es wünschen, werde ich mit Ihnen für das Fernsehen mit Spielfilmen, Reportagen gefördert. Sie Israel und seine Gegner fasten, indem ich die einen mit meinte aber, man solle nicht so sehr Vergangenheitsbe- den andern in meinem Fasten und meinem Gebet vereine wältigung, sondern mehr Gegenwartsbewältigung betrei- und indem ich die grosse Vergebung ihres gemeinsamen ben'. Vaters ftir ihre Missetaten erflehe — ich möchte fast wa- 1 In: Kehret um ... Dokumentationsband, hrsg. v. Z dK, S. 416 gen, zu sagen für ihre gemeinsamen Missetaten. Ich -wer- (s. o. S. 82, Anm. 2). de wie immer mit mir selbst anfangen, dem einzigen, des- sen Böses ich- ganz kenne, dann werde ich für mein Volk und weiter für seine Nachbarn Fürbitte tun, die vereint D Erzbischof Jean-Marie Lustiger"-, sind durch die gemeinsame Aufgabe und die gemeinsame Paris: Schuld; die Schuld, die Aufgabe, die ihnen anvertraut ist, verkannt zu haben und weiter zu verkennen. Der Barm- Ansprache bei der Abschlussfeier herzige möge Ihr Gebet, wie das meine, erhören, als ob des 87. Katholikentages sie ein einziges Gebet für das unglückselige Volk des am 5. September 1982 Adam-würden.« Was ich hier gesehen, gehört, erlebt habe, ist für mich eine Überraschung: Ich habe eine neue Jugend gesehen. 2 Aus der Dialogrunde In meinem Inneren dächte ich, dass Deutschland wie auch zum christlich-jüdischen Gespräch die anderen westlichen Länder, wie auch Frankreich, ein In der sich anschliessenden Dialogrunde zum jüdisch- altes Land, ein zu altes Land sei. Alt und müde. Alt und christlichen Gespräch erinnerten sowohl der katholische geistig erschöpft. Alt und reich. Dogmatiker Prof. Dr. Wilhelm Breuning als auch der jüdi- Völker, die so leben, können nicht mehr lieben. Völker, sche Theologe Dr. Ernst Ludwig Ehrlich an die Begeg- die nicht mehr lieben, werden nie mehr an die Liebe der nung reit Papst Johannes Paul II. in Mainz. Breuning ver- anderen Völker glauben. wies auf das Wort Johannes Pauls II., dass die eigentliche Können solche Völker noch christlich sein? Unser Westen und zentrale Dimension des Dialogs die Begegnung zwi- hat die Säkularisation erfunden und den Tod Gottes. Er schen heutigen Christen und heutigen Juden sein müsse. hat die Kirche als veraltetes Hindernis beiseite geschoben, Ehrlich meinte, das Problem in der Vergangenheit sei ge- das den Fortschritt eines guten, bequemen, reichen Le- wesen, dass die Juden als Volk des Alten Testaments gal- bens erschwerte. Aber was für ein Leben? Das fragen seit ten und somit für einen Christen keine rechte Bedeutung Jahrzehnten die jüngeren Generationen. Und weil die mehr gehabt hätten. Was Johannes Paul II. seinen Glau- ältere schwieg, haben die jüngeren keinen anderen Weg bensgenossen sagen wollte, könnte man mit dem Begriff gefunden als den Nihilismus, der alles zerstört, der alles »Zeitgenossenschaft« umschreiben. Der Papst habe auf Leben verachtet. den ungekündigten Bund zwischen Gott und Israel hinge- Die jüngere Generation, Erbe aller Reichtümer, erbt in wiesen, der von den Christen 2000 Jahre lang ignoriert Wirklichkeit nur Verzweiflung. Heutzutage wird Fried- worden sei. rich Nietzsche in Taschenbüchern im Supermarkt ver- Die gegenwärtige Situation im Nahen Osten war zum kauft. Jeder kann ihn konsumieren. überwiegenden Teil Bestandteil der Fragen, die der »An- Aber in diesen Tagen habe ich hier eine andere Jugend ge- walt des Publikums« an Ministerpräsident Bernhard Vogel, sehen und gehört, die neugierig, frei, unbeschwert der Asher Ben Natan, den ersten israelischen Botschafter in Kirche alle Fragen stellt. der Bundesrepublik, Werner Nachmanrt vom Zentralrat Eine Generation, die jenseits des Nihilismus ist. Diese Ge- der Juden in Deutschland, die Journalistin Gabriele Page- neration, die ausserhalb von Gut und Böse geboren wur- ner und den wissenschaftlichen Assistenten Klaus Dorn de, will nun wissen, wo das Gute ist. In dieser Generation weitergab. Ben Natan betonte, manches, was in der Bun- haben schon viele Christus als den, der das Gute zeigt, desrepublik über den Libanonkrieg geschrieben worden wiedergefunden. In dieser Generation erheben sich neue sei, habe in Israel viel Kritik und Beklemmung ausgelöst. Jünger, die noch nicht viel von ihrem Meister wissen, die Er habe den Eindruck, das Geschehen im Libanon diene "- Mittlerweile: Jean-Marie Kardinal Lustiger.

91 nur am Anfang des Weges sind. Diese neue Generation 1 Dr. Pinchas Lapide, Frankfurt: findet die Reichtümer des Himmelreiches, die Talente wieder, die wir vergraben hatten. Wie liebt man seine Feinde? Aber jetzt muss ich zu Euch sagen, Ihr Jungen: Lasst Eure Mit einem Juden die Bergpredigt lesen' Talente Frucht bringen! Denn Euch muss nun gelingen, Zu den wichtigen Fragen des Grundverständnisses der Bergpre- was uns vielleicht misslungen ist. digt hat Pinchas Lapide einen klärenden Beitrag geliefert, dessen Ihr habt nicht mehr die Welt zu entdecken, aber Ihr habt sachlich-entscheidende Teile hier wiedergegeben werden. Zwi- sie zu vereinen. schen völlig utopischem Vollkommenheitsstreben einerseits und Die westlichen Nationen hatten die Welt erobert, Ihr einem resignierenden Unerfüllbarkeitsverständnis andererseits sieht Lapide, im möglichst präzisen Rückgriff auf Urtext und ur- müsst die Menschen sich selbst zurückgeben, Ihr müsst sie sprüngliche Situierung der Berglehre, reale Ansatzmöglichkeiten Gott zurückgeben. zu einem wirklichkeitsgerechten Verstehen dieses neutestament- Wir waren Eroberer, Ihr müsst Apostel sein. lich-jesuanischen Stückes. Dazu führt er aus: Wir wollten die Reichtümer der Welt besitzen, Ihr müsst . . . Die Aufgabe, die uns konfrontiert, ist also vorerst die Reichtümer Gottes weitergeben. sprachlicher Natur: Es gilt jesuanischen Weizen von helle- Wir suchten Kunden, Ihr müsst Brüder aufnehmen. nistischer Spreu zu trennen. Anders gesagt: Die Redak- Ihr kommt zu historischer Stunde. Und wir freuen uns tion des Matthäus von der Tradition der Apostel abzu- darüber. Die Welt, die wir aufgebaut haben, entgleitet un- schälen, um dem Wortlaut Jesu so nahe zu kommen, wie seren Händen, und Ihr kommt zur rechten Zeit, um ihr es nur menschenmöglich ist. das Wort Christi des Erlösers zu bringen. Ich gehe daher von der Voraussetzung aus, dass es sich Aber hört mir gut zu! Ihr habt noch nicht alle Quellen bei diesen drei Kapiteln im Matthäusevangelium nicht um entdeckt, um den vielfältigen Durst der Welt zu löschen. eine »Bergpredigt« handelt, sondern um das Herzstück Ihr müsst ANBETEN — ob in Freude oder in Trauer —, von Jesu Lehre. um zu bezeugen, dass der Mensch nicht allein vom Brot Denn so steht es ja dreimal im Text. Am Anfang heisst es: lebt, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Got- »Als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm, und tes kommt. er öffnete seinen Mund und lehrte sie« (Mt 5, 1-2). Und Ihr müsst Gott lieben wie Christus und in Christus, um am Ende lesen wir: »Als Jesus diese Worte beendet hatte, nicht vom Besitz der Reiche dieser Erde gefesselt zu sein, waren die Volksscharen ganz betroffen über seine Lehre. denn nur so könnt Ihr die Brüder lieben bis zum Ende, Denn er lehrte sie wie einer, der Macht hat, und nicht wie wie Christus uns geliebt hat. die Schriftgelehrten« (Mt 7, 28-29). Ihr müsst dafür danken, dass Ihr von Gott auserwählt Von Predigt ist hier nirgends die Rede. Es geht hier also wurdet, um die Kirche seines Sohnes zu sein. Liebt diese weder um endzeitliche Voraussagen noch um unerreich- Kirche. Liebt das Leben, das Gott Euch anvertraut hat. — bare Idealziele, sondern um etwas Menschlich-Machba- Dann seid Ihr fähig, in Euren Händen die Hoffnung der res, wie Jesus selbst es ja auch zum Schluss betont: Welt zu tragen. »Jeder, der diese meine Rede hört und sie befolgt, gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Felsen baut .. . doch jeder, der diese meine Worte hört und sie nicht be- folgt, gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf

den Sand gebaut hat« (Mt 7, 24 - 26). II Juden und Christen auf dem Es ist keine Wortklauberei, wenn ich mich weigere, diese Mitte der Botschaft Jesu zu einer zu-nichts-verpflichten- 20. Deutschen Evangelischen den »Bergpredigt« zu reduzieren, sondern sie in seinem Sinne zur Berglehre erheben will, die alles Wesentliche sei- Kirchentag, 8.-12. Juni 1983 ner Ethik umfasst. Sicherlich will Jesus keine Parteipro- gramme entwerfen, noch eine neue Aussenpolitik, wohl Wie bereits 1949 und 1967 hatte die Evangelisch-Lutherische aber die Richtschnur für eine Theo-Politik des Friedens Landeskirche Hannover den Kirchentag abermals eingeladen.' Das Kirchentagstaschenbuch schreibt: und einen Wegweiser für das wache Gewissen aller Zei- »In einer Zeit des Unfriedens und des Kriegsgeschreis, der Ag- ten. gressionen und der Verzweiflung, in einer Zeit, in der es wenig Eine jüdische Lesung dieser Berglehre ergibt daher eine Hoffnung auf die Zukunft zu geben scheint, kamen über 150 000 andere Deutung, die man als das Theo-politische Pro- Menschen nach Hannover, meist junge Menschen, um sich zu in- gramm eines real denkenden Idealisten bezeichnen kann: formieren, um miteinander zu reden und gemeinsam zu beten ... Was noch nicht ist, das muss zuerst »heraufgeträumt« Es waren kundige und mündige Christenmenschen, die einander werden, so sagt der Nazarener zwischen den Zeilen, vom 8. bis 12. Juni 1983 in Hannover unter der Losung >Umkehr wenn ich ihn richtig lese, aber durchgeführt werden sollte zum Leben< trafen. Sie argumentierten aus Überzeugung und auf es mittels machbarer Methoden, die keinen nüchtern den- der Basis eines soliden Wissens, aber sie hörten auch jenen, die eine andere Meinung vertraten, zu, sprachen miteinander und kenden Menschen als Mitarbeiter Gottes überfordern. lernten voneinander. Die Toleranz war gross, aber auch das Be- Denn letzten Endes geht es hier ja um Einladung in das dürfnis, zwischendurch still zu werden, innezuhalten, nachden- werdende Reich Gottes, die nicht erzwungen, sondern er- ken zu können, in der Halle der Stille, bei Meditation und Ge- rungen werden will — nicht schlagartig, noch über Nacht, bet, in den Gottesdiensten und bei den Bibelarbeiten.« sondern Schritt für sorgfältigen Schritt. Das gilt für alle Aus der Vielzahl von Veranstaltungen, die Zahl betrug mehr als Forderungen dieser Berglehre, die sowohl die Genialität 2000, bot die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen das fol- ihres Verfassers als auch seine konsequente Auslegung sei- gende Programm an: »Juden und Christen, Begegnung mit dem ner Hebräischen Bibel bezeugen. Islam«, Libanon Sommer 1982, Hintergründe eines komplexen Aus Zeitmangel wollen wir uns heute auf die Kernpassage Konflikts: Podiumsgespräch Arnold Hottinger, Paul Löffler, Friedrich-Wilhelm Marquardt, unter der Leitung von Klaus von zu Ende des fünften Kapitels des Mt beschränken. Bismarck, sowie den wiedergegebenen folgenden Vortrag: Es geht vor allem um jene Spitzenaussage jesuanischer Ethik, die als die Feindesliebe bekannt geworden ist. Hier ' Vgl. Deutscher Evangelischer Kirchentag Hannover 1983. Do- heisst es: »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Liebe deinen kumente, S. 5; s. auch u. S. 192. 2 Kirchentagstaschenbuch Hannover '83, Innenseite der US (s. auch ebd.). ' vgl. o., Anm. 1, ebd. S. 626-640.

92 Nächsten und hasse deinen Feind! Ich aber sage euch: mit allen Fasern deines Wesens. Grammatisch kommt das Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, mit dem Akkusativ, dem vierten Fall, zum Ausdruck. damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet« (Mt 5, Anders ist die Liebe von Mensch zu Mitmensch, wo keine 43 ff.). Gefühle befohlen werden, noch die totale Selbsthingabe, Nehmen wir diesen Absatz einmal unter die jüdische Lu- wohl aber Liebestaten, die deinem Nächsten helfen, sein pe: Der erste Teil dieser wohlbekannten Stelle enthält ein Menschsein voller zu entfalten: eine Liebe der Augen, die Zitat aus dem 3. Buche Moses: »Liebe deinen Nächsten die Not deines Bruders wahrnehmen; eine Liebe der Füs- wie dich selbst«, das Jesus auch als »das vornehmste« oder se, die zu ihm hineilen, um zu helfen, und eine Liebe der »das erste Gebot« betont — gefolgt von einer Unwahrheit, Hände, die flinken Beistand leisten, wo es der Liebesdien- die unmöglich von Jesus selbst stammen kann, nämlich: ste bedarf. Diese Tatenliebe kommt im Hebräischen mit- Hasse deinen Feind! Auch die katholische »Jerusalemer tels des Dativus Ethicus zum Ausdruck, der auf deutsch Bibel« muss betreffs des angeblich gebotenen Feindeshas- nicht übersetzt und nur hinkend umschrieben werden ses zugeben: »Der zweite Teil dieses Gebotes steht . . . kann. Wie etwa: Erweis ihm Liebe, durch Handwerk, nicht im Alten Gesetz, kann hierin auch nicht stehen« nicht durch Mundwerk; wende dich ihm liebend zu; oder: (Herder 1968, S. 21). Tu ihm Liebe an! Oder: Leb ihm zu Liebe nicht zum Leid! Was besagen will, dass nicht eine Herzensregung noch Noch klarer ist Ethelbert Stauffer, der evangelische Theo- emotionelles Empfinden befohlen werden — was so gut loge, der dank seiner berüchtigten »Entjudung« Jesu und wie unmöglich ist — und schon gar nicht fadenscheinige seiner aktiven Mitgliedschaft in der Nazipartei über jeden Liebeserklärungen, denen kein Gegner Gehör, geschwei- Verdacht des Philosemitismus erhaben ist. Auch der be- ge denn Glauben schenken würde, sondern um praktische zeugt: »Mit Recht hat die Synagoge seit jeher gegen Mt Liebeserweise geht es hier, wie etwa der Verzicht auf ein 5, 43 protestiert. Es gibt kein Gesetz, das den Feindeshass vorschreibt, weder im Alten Testament noch in der rabbi- Stück deines eigenen Rechts, das Ernstnehmen des ande- nischen Literatur« (Die Botschaft Jesu, Bern 1959, ren als Bruder unter Gott, Krankenbesuche, das heimliche S. 126). Geben von Almosen, das Trösten der Trauernden, Brot für die Hungernden — mit einem Wort: all die tausend Das Gegenteil des Feindeshasses liegt dem Judentum viel wirksamen Wohltätigkeiten, die Vertrauen schaffen, näher: »Wenn dein Feind zu Fall kommt, freue dich nicht, Feindseligkeiten abbauen und die Liebe fördern. und wenn er stürzt, frohlocke nicht dein Herz!« (Sprüche Da Jesus in parallelen Kontrastpaaren zu lehren liebte, 24, 17), und gleich auf der nächsten Seite heisst es: muss daher auch die Steigerung »liebet eure Feinde!« im »Wenn dein Feind hungert, so speise ihn mit Brot. Wenn ursprünglich semitischen Wortlaut diesen Dativus Ethicus er dürstet, so tränke ihn mit Wasser« (Spr 25, 21). beinhaltet haben, der keineswegs zur platonischen Fein- Im Testament Gad 6 aus dem 1. vorchristlichen Jahrhun- desliebe auffordert, sondern zum versöhnlichen Umgang dert lesen wir: »Sage nicht: Die mich lieben, liebe ich, und mit dem Gegner, der seine Entfeindung bezweckt. Das die mich hassen, hasse ich; sondern liebe alle! Denn: Wer deutet Jesus schon dadurch an, dass er ihn nicht »Feind« seinen Nächsten hasst, der gehört zu denen, die Blut ver- nennt, sondern »Hasser«, wie die Parallelstelle in Lukas 6, giessen.« 27 nahelegt. Was ist der Unterschied? Gew-altig für die Und ein berühmter Torameister lehrte seine Jünger zu Hellhörigen! Denn die Vokabel »Feind« klingt im He- Jesu Zeiten im Anschluss an das Nachtgebet zu bitten: bräischen, im Griechischen und im Deutschen wie ein »Vergebung sei einem jeden gewährt, der mir heute Leid vollamtlicher Beruf. So z. B.: Die Deutschen waren fast oder Unrecht angetan hat.« 1000 Jahre lang die Erzfeinde der Franzosen, oder: Die Über die Praxis dieser Einstellung berichtet Josephus Fla- Polen sind seit den drei Teilungen ihres Landes die Feinde vius, ein Veteran der Kriege gegen Rom im 1. Jahrhun- der Russen. Nicht so »der Hasser«. Denn hier geht es um dert: »Auch den besiegten Feind haben wir mit Güte ein hauptwörtlich gebrauchtes Zeitwort, dem, wie alle behandelt.« Kurzum: Schadenfreude, Feindeshass und Zeitwörter, die Zeitweiligkeit innewohnt. Anders gesagt: Vergeltung des Bösen mit Bösem sind im Judentum aus- Ein Hasser ist ein Mensch, der dich heute hasst und mor- drücklich verboten, während Grossmut und Liebesdienste gen auch noch hassen mag, der dich aber übermorgen kei- für den Feind in der Not geboten werden — aber »Feindes- neswegs zu hassen braucht, wenn du nur den Weg zu sei- liebe« als moralisches Prinzip scheint doch über alles nor- nem Herzen findest. Jesu Angebot zielt also darauf, dass male Menschentum erhaben. der Feind aufhört, ein Feind zu sein — was auch für das Mit Recht stellt daher Leonhard Ragaz die Frage der Er- Beten für die eigenen Verfolger gilt, wie eine sinnver- füllbarkeit: »Ist das nicht zuviel verlangt? Kann man das wandte Parallele aus dem Talmud bezeugt. Dort heisst es: halten? Kann man diejenigen lieben, die uns hassen und »Einige zügellose Gesellen wohnten in der Nachbarschaft Böses antun? Ist das nicht eine Illusion?« (Die Bergpredigt von Rabbi Meir, die ihm arg zusetzten. Rabbi Meir betete Jesu, 1979, S. 92). gegen sie, auf dass sie stürben. Da sprach seine Frau zu Die Antwort auf diese berechtigten Fragen, die erst bei ihm: Was kommt dir in den Sinn?! Etwa weil geschrieben der Rückübersetzung ins Hebräische zutage tritt, besagt steht: Es mögen die Sünder verschwinden! (Ps. 104, 35). klipp und klar: Hier wird weder Sympathie für Feinde Steht denn wirklich geschrieben: Sünder? Keineswegs! noch Sentimentalismus gefordert und schon gar nicht eine Denn wir können ja dasselbe Wort auch als >Sünden< le- Selbstpreisgabe, denn weder Gefühle noch das Martyrium sen — wie es die vokallose Orthographie im Hebräischen können befohlen werden — wohl aber »das Tun« — das erlaubt. Ausserdem verfolge doch den Vers bis zum Ende! häufigste Zeitwort im jesuanischen Sprachschatz. Und in >Dann wird der Frevler keiner mehr sein.< Sobald also die der Tat steht im Gebot der Nächstenliebe (Lev 19, 18) Sünden verschwinden, wird es auch keine Frevler mehr nicht: Liebe deinen Nächsten im Akkusativ, sondern im geben. Bete also für sie, damit sie in Reue umkehren! Dativus Ethicus. Worum geht es hier? In der Mutterspra- Dann wird der Übeltäter ein Wohltäter werden. Da betete che Jesu gibt es nämlich zwei Arten zu lieben: er für seine Verfolger um Erbarmen, und in der Tat, sie »Du sollst den Herrn deinen Gott lieben mit ganzem Her- kehrten in Reue um« (Ber 10a). zen und aller Seele und all deiner Macht« (Dt 6, 4). So weit die Lebensweisheit des Talmuds, der das Böse be- Hier ist Gott sozusagen der Gegenstand deiner Liebe; der kämpft, aber den, der es tut, zu gewinnen bemüht ist. Herr, der dich geschaffen hat und deine ganze Liebe will, Dass es Jesus um eben diese Entfeindung durch tatkräfti-

93 ge Versöhnlichkeit geht, keineswegs um schwärmerische »Mass für Mass«, die auch Jesus dreimal im Neuen Testa- Selbstaufgabe, bezeugt der Vers kurz zuvor: »Wer dich ment empfiehlt (Mt 7, 2; Mk 4, 24; Lk 6, 38), wird zum nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei!« Rechtsprinzip der Geldentschädigung und des Schmer- (Mt 5, 41) ... zensgeldes in allen Fällen von Körperverletzung erhoben. Diese Entfeindungsmethode hebt Jesus mit Recht als kon- Das Resultat liegt auf der Hand: In der Hebräischen Bibel krete Theopolitik zur Schrumpfung von Konflikten her- Jesu steht haargenau das Gegenteil von dem, was hier auf vor, indem er lehrt: »Erweiset euren Hassern Liebesdien- Griechisch mittels Zerstückelung eines Bibelzitats sugge- ste« — wie es richtig zu übersetzen wäre — »und betet für riert werden soll. Deshalb wurde ja das Zeitwort ausgelas- die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im sen, da dieses ansonsten die Tendenz des griechischen Himmel werdet!« (Mt 5, 44-45). Evangelisten entlarvt und entkräftet hätte. Jesus sagt ausdrücklich: »Werdet!« Nicht: Seid! Denn, Da Jesus aber seine Bibel mit Sicherheit besser kannte als ungleich der griechischen Gottessohnschaft, die mit der Matthäus, ist diese Entstellung wohl dem letzteren zuzu- Geburt beginnt, kann man im Judentum ein Sohn Gottes schreiben, der offensichtlich auch den zweiten Satz in der werden, indem man dem Vater im Himmel Nachfolge lei- Aussage Jesu missverstanden hat, nämlich: Widersteht stet, alle Schranken der Liebe aufhebt und sogar den dem Bösen nicht! .. . Feind durch Zuvorkommenheit entwaffnet, um ihn zum Vier Gründe sprechen gegen diesen Wortlaut: Freund zu machen. Wer so den Schalom zu fördern ver- 1. Weder im hebräischen noch im aramäischen Sprach- mag, durch eine beharrliche Praktik der kleinen Schritte, schatz des 1. Jahrhunderts findet sich ein Äquivaleht zur wie etwa Konflikt-Entschärfung, Prestige-Entsagung, griechischen Vokabel »widerstehen«. Man kann also die- Rechtsverzicht, Nachgiebigkeit und alle tausend und ein sen Auftrag gar nicht in die Muttersprache Jesu zurück Wege geduldiger Ameisenarbeit, der zählt auf hebräisch, übersetzen, was, gelinde gesagt, stutzig machen tnuss. wie Jesus sagt, zu den Söhnen Gottes, wie es auch in der 2. Jesu Auftrag an seine Jünger hiess: Klug wie die siebenten Seligpreisung heisst: »Selig sind die Friedens- Schlangen und zugleich sanft wie die Tauben zu sein — schöpfer, denn sie werden Gottessöhne heissen« (Mt 5, also: eine Kombination von Friedfertigkeit und gesundem 9) . . . Menschenverstand .. . Was also ist die Entfeindungsliebe, wie Jesus sie uns nahe- 3. Verzicht auf Gewalt ist keineswegs identisch mit Ver- legt? Sie beruht vor allem auf Realismus, der die Übel zicht auf Widerstand, der ja den Nächsten, dem Unrecht dieser Welt als Tatsachen akzeptiert — auch die Feindse- geschieht, im Stich lässt und so zum Unrecht-Tun beiträgt ligkeit, aber: als Herausforderung, um sie aus der Welt zu und den Leidtragenden zur Gegengewalt ermutigt . schaffen. 4. Verzicht auf Widerstand hilft aber auch »dem Bösen« Feindschaft gibt es wohl — aber es muss sie nicht immer nicht, der Gewalt übt — noch entfeindet es ihn. Ganz im geben, denn der Mensch hat es in sich, das Böse in ihm Gegenteil: Es bekräftigt ihn in seiner Feindseligkeit und und rings um ihn zum Guten umzuwandeln, wenn er nur lädt ihn ein, ungestraft weitere Gewalttaten zu bege- fest genug dazu entschlossen ist. hen . . . Daher zielt die Entfeindungsliebe auf die Vermensch- Auf der Suche nach Jesu ursprünglichem Wortlaut fällt lichung beider Parteien: des Gehassten als Zielscheibe der 3. Vers in Psalm ,37 auf, aus dem nicht weniger als meiner ungebändigten Aggression, die aus ihm einen Sün- fünf andere Verse in der Berglehre anklingen (Verse 9, denbock oder einen Prügelknaben macht, auf den ich all 11, 21, 22 und 29): »Wetteifert nicht im Unrecht-Tun!«, meine Fehler, Schwächen und Schattenseiten projiziere, so heisst es dort in poetischer Bibelsprache, wobei das bis er zuletzt entmenscht und verteufelt wird. Indem ich letzte Zeitwort »leharea« vom griechischen Übersetzer of- mit dieser Falschmünzerei Schluss mache und meinen fensichtlich als »dem Bösen« missverstanden worden ist — Gegner einen guten Mann sein lasse, wird er in meinem ein häufiger Fehler der Evangelisten, der der Vokallosig- Hinterkopf ein Mensch wie ich; und zugleich werde ich keit der hebräischen Orthographie zuzuschreiben ist. Ur- das ätzende Gift des Hasses los, um wieder liebesfähig sprünglich gemeint war: Ausbruch aus dem Teufelskreis und menschenfreundlich zu werden. Kurzum, die Ent- von Unrecht-Tun, das immer neues Unrecht heraufbe- feindung bekämpft die Feindschaft — aber nicht den Feind. schwört; ein Durchbruch durch die unheilvolle Eskalation Ihr Leitsatz stammt, wie Jesus sagt, aus dem 3. Buch Mo- von gegenseitiger Vergeltung, die immer schlimmere Fol- ses, wo es heisst: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!« gen mit sich bringt; Sprengung der angeblichen Sach- (Lev 19, 18) — eine Satzung, die als Doppelgebot verstan- zwänge, die Angst, Verdacht und Misstrauen durch Ge- den werden will. Denn hier wird sowohl die Nächstenlie- walt bekämpfen zu wollen — indem du den Mut auf- be befohlen als auch die Selbstliebe gutgeheissen . . . bringst, dem Übel in den Arm zu fallen und den Gegner Zu klären bleibt noch der Sinn des scheinbar selbstmörde- durch Klugheit und Güte entwaffnest. Anders gesagt: rischen Auftrags Jesu zur passiven Selbstauslieferung an Hier ergeht eine Aufforderung, diese Welt nicht den das Böse: »Ihr habt gehört, dass gesagt wird: Aug um Übeltätern zu überlassen, um den Sieg des Guten ins Jen- Aug, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Widersteht dem seits zu verschieben. Es gilt bereits hier auf Erden für Bösen nicht!« (Mt 5, 38 f.). So weit der Text, nun zur Recht und Gerechtigkeit einzutreten, indem man dem Bö- Analyse: Der erste Satz bringt ein Rumpf-Zitat aus der sen möglichst gewaltlos widersteht! Bibel Jesu (Ex 21, 24), aus dem der Evangelist den Kopf — Es bedeutet keineswegs Nachgiebigkeit gegen das Böse, nämlich das Zeitwort — weggelassen hat, so dass der fal- sondern den Sieg über das Böse, dem du nicht auf seinem sche Eindruck entsteht, es sei ein Freibrief für den Ge- eigenen Boden entgegentrittst, sondern ihm überlegen schädigten, sich selbst zu rächen, indem er Böses mit Bö- bleibst, indem du Unrecht mit Recht, Lüge mit Wahrheit sem vergilt. Anders gesagt: Jeder christliche Leser setzt und Gewalt mit Geist bekämpfst — soweit das mit Näch- unwillkürlich das Wort »nimm« voran: Nimm Aug' um stenliebe vereinbar ist. Mit einem Wort: Du sollst grösser Aug': nimm Zahn um Zahn! Im hebräischen Urtext steht sein als das Böse — und die Bösen —, um beide zu über- jedoch ausdrücklich: »Gib Aug' anstelle von Aug', Zahn winden, aber auch um zu überleben. Denn mit deinem anstelle von Zahn!« — was eindeutig an den Schädiger Dahingemordetwerden ist niemandem auf Erden gedient adressiert ist, der vor dem Richter Wiedergutmachung in — auch dem Lebendigen Gott nicht, der ein, Gott des Le- Form einer Abgeltung durch Schadenersatz leisten muss. bens und nicht des Todes ist. Mit anderen Worten: Die humanitäre Universalregel Besser als Matthäus, sicherlich früher als alle vier Evange-

94 listen, hat der Hebräisch-kundige Paulus den Sinn der je- schen Kurie waren vertreten: der Rat für die öffentlichen suanischen Ethik verstanden. Derselbe Heidenapostel, der Angelegenheiten der Kirche, die Kongregation für den sogar seinem Mitchristen Petrus öffentlich ins Angesicht Klerus (Internationaler Rat für die Katechese), die Kon- »widerstanden hat« (Gal 2, 11 ff.) — wie er sich im Gala- gregation für das katholische Bildungswesen, das Sekreta- terbrief rühmt. Er hätte sich wohl kaum seines Widerstan- riat für die Nichtchristen und die Vatikanische Kommis- des gerühmt, hätte ihn sein Herr verboten. sion »Justitia et Pax«. Auch andere Kirchen oder kirchli- Von der schöpferischen, streitbaren Liebe, die den aufge- che Gemeinschaften, die mit dem Judentum in Verbin- zwungenen Kampf nicht scheut, schreibt der Heiden- dung stehen, hatte man gebeten, Vertreter zu entsenden. apostel im 12. Kapitel seines Römerbriefes, wo er eine Vertreten waren: die anglikanische Gemeinschaft, der Kurzfassung der Berglehre bringt: Lutherische Weltbund, der Weltrat der Kirchen (Kom- »Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebet mit allen mission für die Kirche und das jüdische Volk) und die or- Menschen in Frieden!« (Röm 12, 18). Wobei die ersten thodoxen Kirchen. Auf diese Weise wurde die Tagung sechs Worte ganz unzweideutig sowohl gegen passive selbst zu einem wichtigen ökumenischen Ereignis, und sie Unterwerfung als auch gegen ein Sichheraushalten aus stellte erneut unter Beweis, wie wichtig die katholisch-jü- unvermeidlichen Konflikten plädieren. Ein sachlich und dischen Beziehungen für die Wiederherstellung der Ein- moralisch einwandfreier Vorschlag, der sowohl mit Jesu heit der Christen sind. Entfeindungsliebe als auch mit dem gewaltlosen Wider- Die Tagung fand vom 2.-5. März 1982 in den Räumen stand der zweiten Backen-Praxis übereinstimmt — ohne des Sekretariats statt. Das Programm umfasste drei Punk- auf Menschenwürde, auf Notwehr und auf Friedfertigkeit te: Zunächst wurde ein Überblick über die Arbeit der zu verzichten . . . Kommission in ihrer Bedeutung innerhalb und ausserhalb der Kirche gegeben. Diese Darstellung wurde dann von den Teilnehmern um wesentliche Informationen über ihre 2 I Kardinal Willebrands: eigenen Länder und Regionen bereichert. Ein zweiter Teil der Tagung war den biblischen und theologischen Grund- Zur Bischofssynode, Oktober 1983" lagen der katholisch-jüdischen Beziehungen und den sich Das Konzil beabsichtigte mit seiner Erklärung Nostra daraus ergebenden Problemen gewidmet. In diesem Zu- Aetate (Nr. 4) auch, den Weg für einen wirklichen Dialog sammenhang wurde ein Papier über die Tragweite der mit dem jüdischen Volk zu bereiten, mit dem wir so tiefe Politik und der politischen Situation des Judentums — vor gemeinsame Wurzeln haben. Dieses Bemühen, sich ken- allem in bezug auf den Staat Israel — innerhalb des gegen- nenzulernen, steht auch unter dem Zeichen der Erneue- wärtigen Dialogs verlesen. Schliesslich wurde den Anwe- rung und Versöhnung. Eine lange Geschichte der Tren- senden ein erster Entwurf eines Dokuments vorgelegt nung, der Feindseligkeit, des Missverstehens, manchmal über Richtlinien zur Darstellung der Juden und des Ju- sogar der Verfolgung muss überwunden und geläutert dentums in der katholischen Katechese, der eingehend werden. Dies ist die Aufgabe der Kommission für die reli- diskutiert wurde. Am 6. März [1982] empfing der Heilige giösen Beziehungen mit dem Judentum, die unserem Se- Vater die Teilnehmer und hielt eine gewichtige Anspra- kretariat angeschlossen ist, sich aber von ihm unterschei- che2 über die Bedeutung, den Hauptbeweggrund und die det. Die Kommission tut beides durch ihre Beziehungen Ausrichtung des katholisch-jüdischen Dialogs. Diese An- mit den Bischofskonferenzen und ihre regelmässigen sprache fand eine sehr grosse Zuhörerschaft und wurde in Kontakte mit Vertretern des Judentums. Wir nd schon der ganzen Welt kommentiert. ein gutes Stück vorangekommen, aber wir müssen diesen Etwa 30 Teilnehmer aus 17 Ländern nahmen an der Ta- Weg noch weiter gehen, wie es der Heilige Vater von den gung teil. Ein aufschlussreicher Ergebnisbericht (in drei Delegierten der Bischofskonferenzen und anderen Exper- Sprachen) wurde veröffentlicht, um die Bischofskonferen- ten anlässlich einer Audienz gefordert hat, die er ihnen zen und die Synoden der orientalischen Kirchen über den am 6. März 1982 während ihrer Tagung' in Rom gewähr- Inhalt und die Ergebnisse der Tagung zu unterrichten te. (vgl. »Information Service« Nr. 49, 1982/11-111, S. 63-64 und S. 37-39). * Aus »Die Tätigkeit des Sekretariats: Schriftlicher Bericht von Kardinal Willebrands für die Bischofssynode 1983«, in: ebd. s. o. 2 Papst Johannes Paul II.: Aufforderung zu einer dem Judentum S. 1 f., Anm. */"*, S. 19. und Christentum entsprechenden Verkündigung und Forschung. 1 ebd. s. o. Anm. 1. Ansprache an die Delegierten der Bischofskonferenzen für die Beziehungen zum Judentum, 6. 3. 1982; s. o. Anm. 1, ebd.

Dem vom »Sekretariat zur Förderung christlicher Einheit« herausge- gebenen »Information Service«* entnehmen wir folgende Beiträge: a) Die 10. Tagung des Internationalen Verbindungskomitees zwischen der katholischen II Die Kommission für die religiösen Kirche und dem Judentum, Mailand, Beziehungen mit dem Judentum"" 6.-7. September 1982"/** Seit der letzten Vollversammlung (November 1981) hat Das Hauptthema dieser Tagung war: »Die Heiligkeit und ein besonderes Ereignis das Leben und Wirken der Kom- der Sinn des menschlichen Lebens in der gegenwärtigen mission geprägt. Erstmals fand eine Tagung statt über die Situation der Gewalt«. Über die biblischen Aspekte des Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem Themas wurden fünf grosse Vorträge gehalten, drei von Judentum, an der die Delegierten der Bischofskonferenz jüdischer, zwei von katholischer Seite. In grossen Berei- und der Synoden der orientalischen Kirchen sowie andere chen fand man zu weitgehender Übereinstimmung. Experten teilnahmen.' Fünf weitere Behörden der Römi- Im Verlauf des Jahres 1983 steht eine kleine theologische Fachtagung einiger katholischer Bibelwissenschaftler so- * »Information Service«, Nr. 51, 1983/1-11, S. 35f. wie einiger jüdischer Sachverständiger auf dem Pro- ** Aus dem Englischen übersetzt. gramm.' 1 Vgl. dazu den Bericht über die »Tagung bischöflicher Dele- gierter und anderer Experten für die Beziehungen zwischen der "../** ebd. s. o., Anm. "/"-*. katholischen Kirche und dem Judentum, 2.-5. 3. 1982«, in: FrRu Diese Tagung fand im Januar 1984 statt. Hierzu s. o. XXX1V/1982, S. 50f. (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu)

95 b) Die 11. Tagung des internationalen mehr eine unkritische Übernahme der überzogenen For- katholisch-jüdischen Verbindungskomitees*, derungen und des autoritäten Stils der verschiedenen reli- Amsterdam, 27.-29. März 1984 giösen Gruppen und der »weltlichen Religionen« sei. Ju- den und Christen, so schlug er vor, sollten sich der Her- Die 11. Tagung des internationalen Verbindungskomitees ausforderung stellen, den Glauben innerhalb jener Ge- zwischen der katholischen Kirche und Vertretern des Ju- meinschaften zu pflegen, die eigentlich auf intellektueller dentums aus vielen Teilen der Welt fand vom 27. bis 29. und moralischer Autonomie, auf Toleranz und Respekt März 1984 in Amsterdam, Niederlande, statt. Von katho- anderen gegenüber und auf Bescheidenheit, gepaart mit lischer Seite wird die Tagung getragen von der vatikani- Achtung vor der Wirklichkeit Gottes, beruhen. schen Kommission für die religiösen Beziehungen mit Vier junge Leute, zwei Juden und zwei Katholiken, nah- dem Judentum', von jüdischer Seite von dem internatio- men dann dazu Stellung. Avraham Burg aus Jerusalem nalen jüdischen Komitee für interreligiöse Beratungen zeigte drei grosse Spannungsfelder auf, denen sich die is- (IJCIC), das sich aus dem World Jewish Congress, dem raelische Jugend ausgeliefert sieht: 1. das soziale, d. h.: Synagogue Council of America, dem American Jewish kann ein äusserst pluralistisches Israel ohne den »gemein- Committee, der B'nai B'rith Anti Defamation League und samen Nenner« des traditionellen jüdischen Brauchtums dem Israel Jewish Council for Interreligious Consulta- überleben, das seine disparaten Elemente miteinander ver- tions zusammensetzt. Teilgenommen hatten auch Vertre- knüpft? 2. das existentielle, d. h.: wie kann zu ein und der- ter der Beneluxländer (Belgien, Niederlande, Luxemburg) selben Zeit sowohl die Diaspora als auch das Sammeln sowie Rabbiner Rene Sirat, Oberrabbiner von Frankreich, der Juden im >Eretz Israel< gerechtfertigt werden; und 3. und Dr. Norman Solomon, der den Oberrabbiner des bri- das ideologische, d. h.: das zweifache Problem des Frie- tischen Commonwealth vertrat. dens und der Gewalt aus der Sicht der jüdischen Ethik. Er Der Tagungsort Amsterdam wurde von jüdischer Seite stellt die Frage, ob es im Namen der seit zwei Jahrtausen- besonders zu Ehren der positiven Geschichte der hollän- den ersten jüdischen Generation, die innerhalb eines jüdi- disch christlich-jüdischen Beziehungen und zu Ehren Sei- schen Staates aufwächst, zu einer wahren Synthese zwi- ner Eminenz Johannes Kardinal Willebrands gewählt. Als schen Zionismus und Judentum kommen kann. massgebliche Persönlichkeit des Zweiten Vatikanischen Claudio Betti von der Gemeinschaft St. Egidio in Rom Konzils unter Augustin Kardinal Bea und als der ihm fol- und Marloes Arendsen aus Amsterdam wiesen besonders gende Präsident der Kommission für die religiösen Bezie- auf den Materialismus, den Individualismus und den hungen mit dem Judentum war Kardinal Willebrands eine Mangel an sozialer Motivation bei einem grossen Teil der Schlüsselfigur in der internationalen Bewegung zur För- heutigen Jugend hin und stellten dies in Gegensatz zum derung der katholisch-jüdischen Beziehungen. Kardinal Idealismus der sechziger Jahre. Als sie auf ihre eigenen Willebrands war bei der Tagung anwesend und nahm die Erfahrungen zu sprechen kamen, konnten sie auch Zei- ganze Zeit hindurch daran teil. Den Vorsitz der Sitzun- chen der Hoffnung aufzeigen, vor allem der gelebte Glau- gen führten abwechselnd Dr. Gerhard M. Riegner, Mit- be in der Gemeinschaft. David Kessler aus Paris ging be- vorsitzender des Vorstandes des »World Jewish Con- sonders auf die speziellen Probleme der jüngeren Genera- gress« und des IJCIC, und Rev. Pierre Duprey, Vizepräsi- tion heute ein, wiederum im Vergleich zu jener der sech- dent der vatikanischen Kommission. ziger Jahre. Die gegenwärtigen Auflösungserscheinungen, Das Thema der Tagung war »Jugend und Glaube und die die Folgen der Shoah (nationalsozialistischer Völker- Reaktion der Jugend auf die sozialen Probleme unserer mord), der Zusammenbruch aller revolutionären Modelle Zeit«. Professor Riccardo Tonelli, S.D.B., Rom, formu- sowie die nukleare Bedrohung schaffen Probleme für den lierte die Frage, wie sie in katholischen Kirchengemein- Glauben, die auch eine ernsthafte Herausforderung dar- den auftritt unter der Überschrift »Eine Herausforderung stellen. Kessler betonte die Verantwortung der Erzieher, zwischen Hoffnungen und Schwierigkeiten«. Als Aus- die es den Studenten ermöglichen sollten, die richtigen gangspunkt wählte er die Verbindung von Glaube und Fragen zu stellen, die sowohl auf Universalismus als auch Kultur; seine Darlegungen, die auf umfangreichen Stu- auf dem Streben nach der eigenen Identität innerhalb der dien über die italienische Jugend beruhen, brachten das Gemeinschaft beruhen. Zerbrechen des Glaubens zum Vorschein, bedingt von der Beendet wurde die Tagung mit einem Informationsaus- zeitgenössischen Desillusionierung durch Technologie tausch über Themen von gegenseitigem Interesse sowie und Rationalismus als Antwort auf die Frage nach dem über den gegenwärtigen Stand vorangegangener Diskus- Sinn des Lebens. Tonelli hielt jedoch fest, dass er inmitten sionen. Diese umfassten die jüngsten Bemühungen der ka- dieser Krise des Glaubens viele Zeichen der Hoffnung ge- tholischen Kirche, qualitätsmässig die Aussagen über Ju- sehen habe. Die Suche nach dem Sinn an sich schon ge- den und Judentum innerhalb ihrer Lehre zu verbessern; schieht aus tief religiöser Motivation. Die traditionelle ein Weiterführen der weltweiten Untersuchung des Anti- Glaubenserfahrung, die »Botschaft« unserer Religionen semitismus; ein Rückblick auf die jüngsten Erklärungen muss heute neu formuliert werden in Anbetracht der per- des Papstes und der Bischofskonferenzen; Bemühungen sönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungen der heuti- um die Erneuerung der Ausbildung an katholischen wie gen Generation. jüdischen Bildungsstätten; die positive Änderung der Ein- Professor Gordon Tucker vom »Jewish Theological Semi- stellung der katholischen Kirche in Polen den Juden und nary in New York« definierte Glauben als einen Prozess, dem Judentum gegenüber; und Schritte, die in Israel un- in dem Frauen und Männer ihre Lebenserfahrungen in ternommen wurden, um Angriffe auf religiöse Institutio- umfassender Weise mit Sinn füllen. Glaube, so argumen- nen abzuwehren. Der jüngsten Intervention Roger Kardi- tierte er, sei deshalb von Natur aus wechselseitig wirksam nal Etchegarays von Marseille bei der Bischofssynode in und von sozialer Natur und spiegle den Stil der Gemein- Rom am 4. Oktober 1983 2 wurde rege und dankbare Auf- schaft wider, die sich zu ihm bekennt. Er hielt fest, dass merksamkeit zuteil. vom amerikanischen Standpunkt aus die Gefahr, die die Die Tagungsteilnehmer statteten der im 17. Jahrhundert Jugend bedroht, weniger ein Mangel an Weitblick als viel- erbauten portugiesischen Synagoge und dem Anne- Frank-Haus einen Besuch ab, der sie tief bewegte. In der ebd.: Nr. 54, 1984/1, S. 21 f. 1 vgl. o. 2 S. 0. S. 3 f.

96 »Isradlietisch Kerkgenootschap« (dem jüdischen Gemein- bannt. Es war ihnen verboten, Theater oder Konzerte dezentrum), in der die Tagung stattfand, gaben die katho- oder öffentliche Parks zu besuchen, und sie wurden ge- lischen, protestantischen und jüdischen Gemeinden der zwungen, den gelben Davidstern ab dem 6. Lebensjahr zu Niederlande (0 JEC) zu Ehren der Gruppe einen Emp- tragen. Sie wurden konsequent von der deutschen Bevöl- fang. kerung isoliert. Sie lebten in ewiger Angst vor brutalen Der Vorschlag wurde angenommen, dass der 20. Jahres- Haussuchungen sowie Verhaftungen durch die »Schnap- tag der Erklärung über die Juden, Nostra aetate Nr. 4, per« ( --= spezielle Polizeipatrouillen), die Haus für Haus des Zweiten Vatikanischen Konzils gefeiert wird, um den die Strassen nach Deserteuren, Spionen und Untergrund- seither erzielten Fortschritt zu würdigen und für die Zu- kämpfern durchsuchten. kunft zu planen. Jüdische Kinder und Jugendliche wurden dort hart ge- Es folgt eine Liste der offiziellen Delegierten und der ein- troffen, wo es am meisten schmerzte — ihn ihrem Recht geladenen Teilnehmer von beiden Seiten. auf Bildung. 1942 wurden alle Sonderschulen für jüdische Jüdische Teilnehmer: Kinder geschlossen und die Jungen ab 12. Lebensjahr ge- Vertreter des IJCIC: Dr. Gerhart M. Riegner (Genf); Fritz zwungen, in Fabriken, auf den Feldern usw. zu arbeiten. Becker (Rom); Dr. Ernst Ludwig Ehrlich (Basel); Theo- Und so geschah es, dass 200 Berliner Jungen und Mäd- dore Freeman (New York); Prof. Jean Halperin (Genf); chen dem Weissenseer Friedhof zugewiesen wurden. Un- Rabbiner Wolfe Kelman (New York); Dr. Joseph Lichten ter ihnen befand sich eine 13jährige, Lieselotte M., einzi- (Rom); Rabbiner Marc A. Tannenbaum (New York); ges Kind einer Mischehe, eines jüdischen Vaters und einer Dr. Geoffrey Wigoder (Jerusalem); Rabbiner Walter S. deutschen Mutter. Ihr Leben zu Hause und ihre Erfah- Wurzburger (New York). rungen auf dem Weissenseer Friedhof von 1942 bis fast Auf besondere Einladung: Oberrabbiner Rene Samuel Sirat Ende des Jahres 1944, beschrieben in ihren schriftlichen (Paris); Rabbiner Jordan Peralson (Toronto); Rabbiner Aussagen, fallen in zwei kurze, aber unterschiedliche Norman Solomon (Birmingham). Zeitspannen vor und nach der grossen Aktion vom März Sprecher: Prof. Gordon Tucker (New York); Avraham 1943 (der infamen Judenrein-Aktion in Berlin). Burg (Jerusalem); David Kessler (Paris). Der jüdische Friedhof in Weissensee, im Norden von Ber- Vertreter der jiidischen Gemeinden in den Beneluxländern: lin, 1880 eingeweiht, erstreckte sich über ein Gebiet von Oberrabbiner Emmanuel Bulz (Luxemburg); Robert vielen Quadratkilometern, und mit seinen Ahorn- und Groszman (Brüssel); Dr. E. M. Wikler (Amsterdam); Lindenbäumen, hohen Pappeln, gewaltigen Evergreen, Rabbiner L. B. van de Kamp (Den Haag); Rabbiner A. blühenden Hecken, Blumenbeeten und gut gepflegten Ra- Soetendorp (Den Haag). sen glich er' mehr einem immensen Privatbesitz als einem Katholische Teilnehmer: Friedhof. Viele bekannte jüdische Gelehrte, Männer der Kardinal J. Willebrands (Präsident des CRRJ); P. P. Du- Wissenschaft und Literatur, Künstler und bekannte Rab- prey (Vizepräsident des CRRJ); Msgr. Jorge Mejia (Se- biner, unter ihnen Hermann Cohen, M. J. Berdischevski kretär des CRRJ); Dr. Claudio Mario Betti (Italien); Dr. und Joseph Spier, fanden ihre ewige Ruhe dort. In den Eugene J. Fisher (USA); Most. Revd. Francis J. Mugavero Jahren vor der Durchführung der antijüdischen Gesetze, (Bischof von Brooklyn); Abbot O'Hamels (Belgien); als die Zahl der Berliner Juden die Höchstzahl von Revd. B. Dupuy OP (Frankreich); Rev. Prof. Riccardo 165 000 erreichte (immerhin ein Drittel der gesamten jüdi- Tonelli (Rom); Ms. Marloes Arendsen (Amsterdam); De- schen Bevölkerung des Landes), wurden die prächtigen ken Joseph Keet (Amsterdam). Anlagen und die Tausende von Gräbern mit ihren beein- druckenden Grabsteinen von einer Anzahl Gärtner, Totengräber und Pfleger gehegt. Selbst bei Beginn des Zweiten Weltkrieges mit einem jüdischen Bevölkerungs- 3 Zum Gedenktag des Holocaust rückgang bis auf 95000, der sich rasch mit jeder Deporta- (6. Mai 1984): tion bis auf 27 280 dezimierte, behielt der Weissenseer Friedhof bis März 1943 ziemliche Ähnlichkeit mit seiner Die »halbjüdischen« Kinder einst gewohnten Schönheit. von Berlin im NS-Deutschland* Die Gräber wurden durch einen stark reduzierten Stab in Ordnung gehalten, sie wurden noch besucht von Ver- Die Liste der antijüdischen Gesetze und Verordnungen wandten und Freunden, Beerdigungen wurden noch in im Nazi-Deutschland war endlos), 2 derselben stillen, würdevollen Form abgehalten, und einer Schon 1920 proklamierten die Nazis in ihrem Parteipro- der Blumenläden beim Eingang war für den Verkauf ge- gramm, dass alle deutschen Juden Ausländer wären. Fünf- öffnet. zehn Jahre später folgten dann die sogenannten Nürnber- Für die 200 jüdischen Jungen, dem Friedhof zugeteilt, ger Gesetze, die den deutschen Juden die Bürgerrechte wurde der Ort eine Insel des Friedens und der Sicherheit nahmen und sie zu Menschen zweiter Klasse degradier- inmitten einer See des tödlichen Hasses und der Deporta- ten. tionsüberfälle. Eines der Paradoxa des Naziregimes war, Durch zahllose neue Verordnungen, verstärkt durch dass kein Gestapo- noch SS-Mann je den Friedhof betrat, »spontane« Ausbrüche von Gewalttaten und Pogromen, weder vor noch nach der grossen Aktion. Die jungen wurden die Juden ihres Eigentums beraubt, aus dem bür- Knaben und Mädchen, vereint durch ihr Elendsabzei- gerlichen Leben ausgeschlossen, und das Recht zu arbei- chen, den gelben Stern, und geschützt durch die grünen ten wurde ihnen verwehrt! Zu Tausenden schickte man Grenzen den ganzen Tag lang, arbeiteten, indem sie den sie in Arbeits- und Konzentrationslager und schliesslich Gärtnern bei der Blumenpflege, der Pflanzung und Um- zur Vernichtung. Deutsche Juden wurden nicht in Ghet- pflanzung der Saat und der Gräberpflege halfen. tos getrieben, aber aus den besseren Wohnvierteln ver- * Mit freundlicher Genehmigung seiner Redaktion entnehmen Lieselottes Erzählungen wir folgenden Beitrag dem »Das Neue Israel«, Jg. 36, Nr. 11, 12, Der ganze Ort bedeutete für uns keinerlei Entsetzen. Auf 13, Zürich, Mai (S. 12-13), Juni und Juli 1984, s. u. S. 98 f. dem Friedhof waren wir glücklich, unseren Ängsten und 1,2 vgl. dazu u. a.: Joseph Walk:Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, in: FrRu XXXIV/1982, S. 101 f., sowie Zeittafel der Sorgen entfliehen zu können, welche uns draussen in Hitlerzeit, ebd. Sonderdruck aus XXV/1973, S. 3-15. jedem Moment unseres Lebens begleiteten.

97 Hier konnten wir die angespannten Gesichter unserer El- berstein.<« Er galt als Reklame für Hunderte von deut- tern vergessen und ihr qualvolles Ringen um die Existenz. schen Kunden. Hier konnten wir unseren Hunger vergessen. Wir wuch- Lieselotte: »Am nächsten Morgen hatte der Jüdische sen schnell, und Hunger war unser ständiger Begleiter. Mundfunk (Weg, auf dem die Nachrichten überall durch- Sicher, Mutter tat ihr Bestes, alles zusammenzukratzen, sickerten) die meisten der festgehaltenen Juden lokalisiert um einige Lebensmittel zu erhalten, aber alles, was unsere und benachrichtigte die Verwandten, wo man sie finden Familie zum Mittagessen hatte, waren schwedische Rüben konnte. Der jüdische Mundfunk, dieser erstaunliche Ver- und dazu ein paar Kartoffeln; unsere tägliche Brotration bindungsweg, der schnell und akkurat wie ein Messstab reichte niemals bis zum Abend. jede Neuigkeit aufzeichnete, die es gab, befähigte die Ju- »Gewehre machen uns stark, Butter macht uns dick«, den, die des Telefons und des Radios beraubt waren, un- donnerte der fette Reichsmarschall H. Göring (Radiosen- tereinander in Verbindung zu bleiben. (Es war verboten, dung von 1936). Wie auch immer, nach einigen Jahren öffentliche Beförderungsmittel zu benutzen, ausser zu des »siegreichen Krieges« wurden die Deutschen mit der oder von der Arbeit.)' Lebensmittelrationierung konfrontiert. Wie auch bei den Am Abend des 2. Tages sahen deutsche Passanten in ver- Juden wurden ihre Essensrationen auf das Mindestmass schiedenen Stadtteilen Schwärme von weinenden Frauen, reduziert. Die Rationskarten für Juden waren durch ein die nichtjüdischen Ehefrauen und meine Mutter unter ih- rotes J ( = für Jude) gekennzeichnet. nen, die verzweifelt versuchten, ihre Ehemänner zu sehen oder wenigstens etwas Essen, saubere Wäsche oder Ras- Die grosse Aktion sierzeug zu ihnen einzuschmuggeln. Die Polizei griff ein, Die grosse Aktion fand zu einer Zeit statt, als eine Stadt um die Frauen zu zerstreuen, aber diese kamen immer nach der anderen in den besetzten Gebieten, beginnend und immer wieder. Schliesslich wurden die Pakete ange- mit Polen, entweder für judenrein erklärt wurde oder sich nommen, aber sie erreichten ihre Empfänger nie.« im Prozess der Judenreinigung befand. Als Folge dieser Judenrein-Aktion arbeiteten die Gaskammern und Kre- Mischehen matorien von Auschwitz, Maidanek, Treblinka und der Das Gelübde, bis Ende März 1943 Berlin von den Juden anderen Vernichtungslager auf vollen Touren. Der zu säubern, war nicht ganz eingehalten worden. Von den Schriftauszug von »Hitlers 10-Jahres-Krieg gegen die 27 280 Juden bei Beginn der grossen Aktion verblieben bis Juden« des Instituts für jüdische Angelegenheiten, vom Ende März 1942 etwa 18 513 (Anmerkung durch Yad amerikanischen jüdischen Kongress, New York 1943, Vashem). Da gab es einige Schlupflöcher in dieser sorg- S. 30/31, liest sich folgendermassen: »Bei einer Ansprache sam geplanten und unbarmherzig durchgeführten »Juden- im Sportpalast im Februar 1943 machte Propagandamini- rein«-Operation : die Mischehen. Diese Ehen, bei denen ster Goebbels einen bedeutenden Zungenausrutscher, der es sich in der Mehrheit um jüdische Männer, verheiratet für einen Augenblick enthüllte, dass noch jener Vor- mit deutschen Frauen, handelte, bereiteten denjenigen hang der Heuchelei aufrechterhalten bleiben sollte. >Wir Kopfschmerzen, die mit der Endlösung des jüdischen möchten die Juden ausrotten<, sagte er, um dann schnell Problems betraut waren, speziell in Berlin. >ausrotten< in >ausschalten< umzuwandeln. Am vorher- Es war hier, wo die Assimilierung der deutschen Juden ih- gehenden Tag, dem 17. Februar, wurde den Deutschen ren Höhepunkt erreichte, und Mischehen waren in allen zum erstenmal durchs Radio bekanntgegeben, dass die Sozialschichten zu finden. Viele der Nazi-Würdenträger Massenausrottung der Juden durch die deutsche Be- und viele der führenden hohen Gestapo-Offiziere hatten satzung in Osteuropa ausgeführt wurde. Die Deutschen ein Familiengeheimnis in ihren Safes — eine jüdische Ehe- waren im Bilde, dass Berlin Ende März 1943 judenrein frau, einen Schwager, einen Neffen usw. Selbst viele sein würde.« nichtjüdische Partner lehnten es ab, sich von ihren jüdi- Lieselotte: »An jenem Morgen umstellte die Gestapo in ei- schen Eheteilen scheiden zu lassen, und ignorierten die ner gut organisierten Aktion Hunderte von Berliner Juden »freundliche Empfehlung« der Gestapo, so dass die letzte- und verfrachtete sie von den Munitionsfabriken und ande- ren entschieden, die Mischehen für die nächste Zeit in ren Werken, wo sie abgeschirmt arbeiteten und leicht Ruhe zu lassen. durch ihren gelben Stern auszumachen waren, in verstreut Da gab es möglicherweise andere Gründe für das milde liegende Sammellager der Stadt. Mein Vater, der als Aus- Vorgehen gegenüber den Mischehen. Bei einer Gelegen- besserungsarbeiter bei der Reichsbahn beschäftigt war (er heit, in einem Fall, kam Herr M. nach einer Woche Haft war Schriftsteller) und 32 Reichspfennig pro Stunde ab- in einem Sammellager nach Hause. Er war zu einem weit- züglich der Judentaxe von 15 % verdiente, kam auch nicht abgelegenen, weniger gefährlichen Arbeitsplatz als bei der mehr nach Hause zurück. Reichsbahn versetzt worden. Man wies ihn zusammen mit Einem glücklichen Zufall zufolge befand sich Lieselotte ein paar anderen Juden an, die Archive der jüdischen Ge- am ersten Tag dieser Aktion mit einer Erkältung im Bett. meinde zu sortieren und zu verpacken. Ihre Arbeitserlaub- Als ihre Mutter den Vorgesetzten von einer Telefonzelle nis und Strassenbahnbillette trugen den Gestapo-Stempel, aus anrief, um ihm Lieselottes Krankheit zu melden, wur- den bestmöglichen Schutz und zur selben Zeit ein Beweis de ihr gesagt: >Gott sei Dank, behalten Sie das Mädchen der völligen Ungereimtheit, Juden bei der Gestapo zu be- zu Hause. Etwas Schreckliches ist im Gange.< Und dann schäftigen. war die Leitung tot. Im gleichen Augenblick sah Frau M. den berüchtigten Möbelwagen Silberstein, der nahe bei Nach der grossen Aktion ihrem Hause hielt. Der Häscher war zu einer falschen Bis zur grossen Aktion hielt man die Aktivitäten der jüdi- Adresse gesandt worden, und es wurde ihm von den Mie- schen Gemeinde aufrecht, wenn auch in verringerter tern erklärt, dass dort keine Familie M. wohne. Niemand Form. Jetzt, auf einen Schlag, wurden das Personal der gab freiwillig die Auskunft, dass die Familie M. im näch- Gemeindeinstitution deportiert, die Gebäude von der Ge- sten Haus lebte. Eine Ironie des Schicksals, dass der be- stapo beschlagnahmt — ausgenommen davon blieben das rühmte Lieferwagen Silberstein, der von einem bekannten alte Gemeindehaus mit seinen Archiven und das jüdische jüdischen Umzugsgeschäft beschlagnahmt worden war Krankenhaus, wo man kranke Juden pflegte, bis sie ge- und für die Abholung der Berliner Juden benützt wurde, auf folgenden Slogan lautete: >Zieh aus, zieh ein, mit Sil- 3 ebd., Juni, S. 13.

98 stärkt genug waren, um deportiert zu werden, sowie der 16 Etagenwohnungen 20 Jahre lang gelebt. Das unserige Weissenseer Friedhof. Was von der einst blühenden jüdi- war die einzige Etage mit dem Davidstern an der Ein- schen Gemeinde verblieb, war symbolisch genug — die Er- gangstür, aber wir hatten ausserordentliches Glück mit innerung an das Vergangene, die Krankheit und der Tod. unseren Nachbam. Es gab nur ein eingeschworenes Mit- Lieselotte : »Noch teilweise betäubt und benommen von glied der Nazi-Partei, eine ältere Frau, aber selbst sie ent- den Ereignissen der letzten paar Tage, erfuhr ich einen schied sich, uns zu ignorieren. Einige der Nachbarn dreh- weiteren Schock bei der Rückkehr auf den Friedhof. Die ten die Köpfe weg, wenn sie uns begegneten auf den weite Anlage war plötzlich tot. Als ich sie vor einer Wo- Treppen, andere schauten uns mit verhüllter Sympathie che verliess, wimmelte sie von Arbeitern, jetzt war sie leer; an. Ich erinnere mich an zwei kleine Mädchen, von zwei nur acht Männer und zwei Jungen liefen verloren über verschiedenen Familien, die häufig bei uns klingelten und das Gelände. Es war unglaublich und kaum wahr: Die ohne ein Wort mir ein Stück Brot gaben, das sie in ihren Büroräume, die Telefonvermittlung, die Wohnung des Händen hielten — und dann wegliefen. Selbst der Haus- freundlichen Rabbiners Levy im Anbau, alles war verlas- meister, offiziell ein Luftschutzwart und inoffiziell ein sen. Die Pflanzschule mit ihren Gewächshäusern und Blu- Spion der Partei, tat uns niemals etwas. menbeeten war vom Friedhof abgetrennt worden. Die Unsere treue Freundin jedoch war Frau B., die Nachbarin Deutschen versuchten dort Gemüse anzubauen. Mit mei- der angrenzenden Tür. Sie war im Alter meiner Mutter, nem 14jährigen Verstand kam mir zum erstenmal die vol- eine Dame mit einer scharfen Zunge und dem wärmsten le Bedeutung der Welt um mich herum zum Bewusstsein. Herzen. Es waren viele Stunden, die meine Mutter und Und dennoch, die Arbeit musste weitergehen. Wenn es ich in ihrer Wohnung verbrachten, Radio hörten, mit ih- Tote gab, hatten wir sie zur Verbrennung vorzubereiten. rer kleinen Tochter spielten, richtigen Kaffee tranken und Manchmal fertigten wir selbst Särge, überzogen sie mit immer etwas zu essen bekamen und etwas zum Nachhau- Teer, gruben Gräber und kümmerten uns um ihren semitnehmen für meinen Vater. (Vater verliess die Woh- Schmuck. Bis Ende des Jahres 1944 wurden die Toten auf nung nie, nachdem er von der Arbeit heimkam.) Hier war dem Weissenseer Friedhof noch mit Anstand begraben. der einzige Ort, an dem Mutter ausspannen konnte, ihr Die Beisetzung der Urnen war eine zusätzliche Aufgabe, Leid ausschüttete und es auch für eine Weile vergass. Frau die man vom Friedhofspersonal verlangte. Die Urnen, die B. schwankte nie in ihrer Freundschaft zu uns: selbst von solchen Orten wie Dachau, Sachsenhausen und ande- nicht, als die Partei schreckliche Konsequenzen androhte, ren Konzentrationslagern geschickt wurden, bestanden weil sie mit >unerwünschten Elementen< befreundet war. aus Pappdeckelkartons, verpackt in Holzbehälter. Man Der Abend zu Hause war kurz. Ich blieb auf dem Fried- nahm an, dass sie die Asche von Gefangenen beherberg- hof solange als möglich. Die meiste Zeit zu Hause ver- ten, welche, mit nichtjüdischen Partnern verheiratet, ent- brachte ich Bücher lesend. Mutter, eine »Arierin«, konnte weder aus Versehen deportiert oder inhaftiert worden wa- sich frei in der Stadt bewegen. Sie war mein Bücherliefe- ren, weil. sie gültige Gesetze und Massnahmen verletzt rant. Die Bücherwelt bedeutete für mich ein liebes, siche- hatten. Der Friedhof hatte die nächste Verwandtschaft zu res, ferngelegenes Land. Mit Beginn der Nacht jedoch benachrichtigen und die Urnen in einem Feld beizusetzen, mussten wir uns an uns selbst festhalten, der Luftangriffe welches zu diesem Zwecke bereitstand. wegen. Wir hatten niemals einen ununterbrochenen Wenn keine Beisetzungen stattfanden, beschäftigte man Nachtschlaf. uns damit, alles in Ordnung zu halten, die Gebetshalle Wir, >die Feinde im eigenen Land<, waren in der seltsa- und ein oder zwei kleine Gebäude zu reinigen und uns men Lage, uns über die immer mehr zunehmende Gewalt um die Anlagen zu kümmen.«4 des Bombardements z,u freuen, wenn wir auch die Gefahr zusätzlich zu unseren eigenen Judenschwierigkeiten ertra- Seltsames Tun gen mussten. Bis 1944 machte ich noch einige Besuche bei Auf dem Weissenseer Friedhof waren Dinge im Gange, ehemaligen Klassenkameradinnen. Mehrere Male schlich die kein Gestapomann jemals geträumt hätte. Lieselotte : ich mich fort ins Kino — natürlich legte ich meinen gelben »An Rosh Hashana und Yom Kippur wurden heimliche Stern ab — und suchte die Plätze auf, die weit weg von zu Gottesdienste in einem der kleinen Gebäude vom Rabbi Hause und vom Friedhof lagen. Wenn jemand während M. R. abgehalten, an denen Berliner Juden unter Lebens- so langer Zeit in ständiger Gefahr lebt, wird er nachlässig gefahr teilnahmen. Weissensee lag weit weg im Norden, und sicher, dass nichts passieren würde. Einmal wurde ich und beides, Fahren (für Juden verboten) sowohl als Lau- beinahe geschnappt. Es wurde ein neuer Film mit Zarah fen, gebrandmarkt mit dem gelben Stern, war gleicher- Leander gegeben, und ich musste Zarah in ihrer neuen massen gefährlich. An Sukkot fertigten wir, drei Jugendli- Rolle sehen. Sobald ich sass, hörte ich eine Mädchenstim- che, eine Sukkah, gut verborgen hinter einer dicken Hek- me hinter mir: >Schau, hier ist das jüdische Mädchen vom ke. Friedhof.< Ich geriet nicht in Panik, noch versuchte ich Die acht Männer, einschliesslich des Rabbis, alle mit fortzulaufen. Ich blieb während der ganzen Aufführung nichtjüdischen Frauen verheiratet, und die drei halbjüdi- sitzen und genoss sie sogar. Erst als die Lichter wieder an- schen Jugendlichen waren in gewisser Hinsicht die Hüter gingen, kehrte ich zur Wirklichkeit zurück. Ich hetzte der jüdischen Traditionen in jenem verlassenen Friedhof. zum Ausgang, stiess die Tür auf und sprang in eine vor- Gerade der viele Hader war es tatsächlich, dass der Weis- beifahrende Strassenbahn. Ich sah keinen anderen Film senseer Friedhof ein Bewahrer (Hüter) von Hunderten mehr bis nach dem Krieg. von Torarollen wurde (von der Polizei dort hingewor- Die Luftangriffe nahmen an Stärke und Häufigkeit zu, fen).« Für die zwei Jungen und Lieselotte, die niemals die Engländer bombardierten bei Tag und die Amerikaner eine Gelegenheit gehabt hatten, eine Sefer Torah vom bei Nacht. Am Anfang wogen die Bomben nur 20 bis geschlossenen Bezirk aus zu sehen, war dies ein unver- 40 kg, aber 1944 kamen die Luftminen, deren Druck die gessliches Erlebnis. Häuser bis auf den Umkreis von mehreren hundert Me- tern zerstörte. Die Brandbomben wurden ab 1943 Phos- Das Leben zu Hause phorbomben, die Feuer innerhalb einer breitgefächerten Lieselotte: »Wir hatten in dem gleichen Appartement von Fläche entfachten und Phosphor ausspien5.

4 ebd., Juni, S. 13. ebd., Juli, S. 36-37.

99 Das Bündnis mit dem Tod lichkeit geschah, längst hinfällig. Die Akteure und Brand- Es schien, als ob die Amerikaner und Engländer ein Ab- stifter von damals haben sich selbst überlebt. Sie haben kommen mit der Hölle geschlossen hatten und ein Bünd- mitgeholfen, Europa an den Rand des Abgrundes zu brin- nis mit dem Tod. Niemand, der morgens zu Hause weg- gen. ging, wusste, ob er eine Familie bei der Rückkehr am Eine neue Generation hat die Verantwortung im Staat Abend haben oder ob er sein Haus noch stehend vorfin- und in der Gesellschaft übernommen. Sie hat die Pflicht, den würde. Die zunehmenden weiteren Luftangriffe wa- aus den Erfahrungen zu lernen und Bedingungen zu ren gleichzustellen mit der antisemitischen wütenden Pro- schaffen, die verhindern, dass Gotteshäuser niederge- paganda. Goebbels getreu Hitlers Grundsatz, dass grosse brannt und Menschen vertrieben, gedemütigt und getötet Massen leichter auf grosse Lügen hereinfallen als auf klei- werden, nur weil sie so sind, wie sie sind. ne, scheute vor keiner grausamen Geschichte noch Un- Mit.der Missachtung der Person beginnt der Verfall der wahrheit zurück, obgleich es kaum noch irgendwelche Ju- Humanität, und damit geht die Grundlage für die Demo- den in Berlin gab, gegenüber denen sie benutzt werden kratie verloren. Auch darum bekennen wir uns zur Hu- konnten. Jedesmal, wenn ein Luftangriff eine andere manität. Wir haben mit unserer Rückkehr nach der NS- deutsche Stadt in Asche legte oder ein anderer Berliner Diktatur am Aufbau und der Entwicklung der Demokra- Bezirk in die Luft flog, war dies natürlich das Resultat tie in der Bundesrepublik mitgewirkt. Wir haben Gemein- (die Folge) eines jüdischenglischen imperialistischen An- den und Synagogen wieder aufgebaut und gründen neue. griffs der Alliierten, den verlorenen Krieg zu gewinnen, in Unseren Weg, den wir mit der Wiederbelebung jüdischen dem sie unschuldige Frauen und Kinder ermordeten. Den Lebens in der Bundesrepublik begannen, wollen wir kon- Davidstern zu tragen wurde so gefährlich wie eine Dyna- sequent fortsetzen. Voraussetzung dafür ist die Sicherung mitbombe in seiner Tasche herumzutragen.« der Grundrechte und ein Klima der Toleranz und Freiheit Lieselotte: »Eines Tages, nach einem besonders heftigen in der Bevölkerung. Angriff, führte mein Heimweg durch die brennenden Es entspricht jüdischer Tradition, anstelle der Trümmer Strassen und Häuser, und ich lief an Hunderten von Berli- neue Synagogen zu errichten. Sie sind das Zentrum unse- nern vorbei, die von der Arbeit zurückkehrten. Ich war er- rer jüdischen Gemeinschaft. Sie waren und bleiben die si- staunt, wie die Deutschen es handhabten, nach dem cherste Garantie jüdischer Zukunft. Darum ist die Besin- schwersten Luftangriff mittels Umwegen und Notbehel- nung auf den 9. November 1938 ein Tag der Erinnerung fen die Verbindung untereinander wiederherzustellen. und Mahnung an unsere Umwelt und eine Verpflichtung Plötzlich sammelte sich eine Gruppe wütender Leute um für uns selbst. mich herum: >Schaut, da ist eine von ihnen... seht sie In: Allgemeine jüdische Wochenzeitung (XXXIX/45), Düssel- an !< Und bevor ich begriff, was gemeint war, flogen die dorf, 9. 11. 1984. Steine. Ich begann zu rennen. Als ich einen geraumen Ab- stand zwischen mich und meine Verfolger gelegt hatte, 5 Ehrung für Dr. E. L. Ehrlich ) riss ich den gelben Stern von meiner Jacke und beschloss, ihn nie und nimmer mehr zu tragen. Ich zog eine Depor- Rabbiner Prof. Jakob J. Petuchowski tation einer Steinigung vor. Mein Vater, der immer ir- und Dr. Gerhart Riegner gendein Gesetz befolgte, um dadurch von den Nazis als braver Mann belohnt zu werden, stimmte mir diesmal zu. 1 Für Dr. E. L. Ehrlich": Wir trugen unsere Sterne in unseren Taschen für alle Fäl- Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Religionsphilosoph, Schriftstel- le, aber keine Schnapper hielten uns an.« ler und langjähriger Mitarbeiter der ALLGEMEINEN, wurde Ich bin daran interessiert, das tragikomische Ende von am 29. Mai 1984 vom Bundespräsidenten Prof. Karl Car- Lieselottes Geschichte aufzuzeichnen. Als die Russen im stens für seine Verdienste um Versöhnung mit dem Bun- April 1945 in Berlin einmarschierten und die Zivilbevölke- desverdienstkreuz Erster Klasse geehrt. Er erhielt den Or- rung in verschiedenen Stadtteilen noch Schutz vor umher- den durch den deutschen Botschafter in Bern, Siegfried schwirrenden Kugeln suchte, betrat eine kleine Gruppe Fischer. Dr. Ehrlich ist gebürtiger Berliner, in der Schweiz von russischen Soldaten den Luftschutzkeller von Liese- ansässig und hauptamtlich Direktor des 19. europäischen lottes Haus. Sie waren auf der Suche nach deutschen Sol- Distrikts der B'nai B'rith. daten. Herr M. stieg bereitwillig voran und erklärte, dass * Vgl.: Allgemeine jüdische Wochenzeitung (XXXIX/23), Düs- er Jude sei — und wurde brutal zum Ausgang getrieben seldorf, 8. 6. 1984. von einem russischen Korpora'. Den Russen war gesagt worden, dass keine Juden mehr in Berlin leben würden. II Für Rabbiner Professor Jakob J. Petuchowski": Nur die Intervention und die Aussagen der deutschen Dr. Jakob J. Petuchowski, Forschungsprofessor für Jü- Nachbarn sowie der Beweis des gelben Sterns an der Tür disch-Christliche Studien' am Hebrew Union College in der Familie von Herrn M.s Wohnung retteten Herrn M. Cincinnati, Ohio, wurde von Bundespräsident Carstens in vor dem Zorn des russischen Korporals. Anerkennung seiner Verdienste um die Förderung jü- Was Lieselotte anbetrifft: Sie liess sich kurz nach dem disch-christlicher Studien an deutschen Universitäten und Krieg in Israel nieder und nahm ihre deutsche Mutter mit seiner Bemühungen um eine engere Zusammenarbeit zwi- sich. schen Juden und Christen in der Bundesrepublik Deutsch- land mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse ausgezeich- 4 Erklärung des Zentralrats net. Prof. Petuchowski ist in Berlin geboren. 1978 erhielt Prof. Petuchowski die Ehrendoktorwürde der Philosophi- der Juden in Deutschland schen Fakultät der Universität Köln als Anerkennung für zum 9. November 1984 seinen Rat und seine Hilfe bei der Errichtung eines Lehr- stuhls für Jüdische Studien an der Universität. Der Bun- Wir erinnern an die Pogromnacht 1938. Sie ist der sicher- desverdienstorden wurde Prof. Petuchowski am 11. Juli ste Nachweis dafür, daß die Diskriminierung und Verfol- 1984 in Cincinnati von Generalkonsul Dr. Deutz, Detroit, gung der deutschen Juden vor aller Augen geschah. Dar- überreicht. um ist die Diskussion, ob die Judenverfolgung und damit * vgl. ebd. (XXXIX/29), 20. 7. 1984. die Missachtung der Menschenrechte abseits der Öffent- 1 s. u. a. u. S. 130, 154.

100 III Vom »Hebrew Union College«, Cincinnati*, lichkeit und arbeiten aktiv für ihre Verwirklichung. In für Dr. Gerhart M. Riegner dieser Hinsicht muss man das Publikum von Beth Hage- Dr. Dr. h. c. Gerhart M. Riegner, der sich einen auch in- fen als nicht durchschnittlich, sondern speziell und ausge- ternational besonderen Namen gemacht hat, weil er als wählt bezeichnen. Die arabischen Mitglieder, Bürger Isra- Direktor im Jüdischen Weltkongress in Genf 1942 als er- els, sind sich voll der Tatsache bewusst, dass sie einer isra- ster, durch Weitergabe dieser Mitteilung, die westliche elischen Institution angehören, in der Loyalität zum Staa- Öffentlichkeit, die allgemeine wie die jüdische, von der te als selbstverständliche Voraussetzung angesehen wird, von den Nazis beschlossenen »Endlösung« unterrichtete, ebenso wie das Konzept der Gleichberechtigung aller wird mit dem »Roger-E.Joseph-Preis« des »Hebrew Union Bürger ohne Unterschied, Araber nicht weniger als Juden. College Jewish Institute of Religion« ausgezeichnet. Der Der Direktor von Beth Hagefen erinnert sich nur an eine mit 10 000 Dollar dotierte Preis wird am 27. Mai im Rah- einzige Ausnahme in der Geschichte der Anstalt, in wel- men der diesjährigen Rabbiner-Ernennungszeremonie im cher diese Voraussetzungen nicht erfüllt wurden: Der Re- Temple Emanu-El in New York überreicht werden. [— Dr. dakteur einer arabischen kommunistischen Zeitung, der Riegner sandte dann ein Telegramm mit dieser Nachricht vor 17 Jahren an einem von Beth Hagefen veranstalteten an Rabbiner Stephen S. Wise, den damaligen Präsidenten Zirkel für arabische Literatur teilnahm, schloss sich der des Jüdischen Weltkongresses]. PLO an und ging ins Ausland. 1911 in Berlin geboren, studierte Riegner in Deutschland, »Es gibt in Haifa wohl kein einziges jüdisches oder arabi- Frankreich und der Schweiz Rechtswissenschaft und trat sches Schulkind, das nicht an irgendeiner von Beth Hage- 1936 in die Dienste des Weltkongresses. Jahrzehntelang fen abgehaltenen Veranstaltung teilgenommen hätte, wie Rechtsberater und Generalsekretär dieser Organisation, sportlichen Wettkämpfen, Sommerschulen, Klassentreffen wurde er im Vorjahr zum Mitvorsitzenden des Weltkon- und dergleichen«, sagt Herr Israel. Lehrer und Jugendlei- gresses ernannt. Im Laufe der vergangenen 50 Jahre hat er ter, die sich an Zusammenkünfte zwischen Juden und seine Position zu einer Schlüsselstellung im internationa- Arabern erinnern können, an denen sie selbst teilgenom- len und jüdisch-internationalen Leben ausgebaut. men haben, als sie jung waren, lassen es sich jetzt angele- Der Präsident des College, Rabbi Dr. Alfred Gottschalk, gen sein, den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendli- der den Namen des diesjährigen Preisträgers bekanntgab, chen eine ähnliche positive Erfahrung zu vermitteln. In hob Dr. Riegners Verdienste u. a. um die Gründung des der Schulzeit angebahnte freundliche jüdisch-arabische Staates Israel, das Schicksal der Juden in der Sowjetunion Beziehungen entwickelten sich dann weiter in späteren und in den arabischen Ländern, um die Förderung und Jahren im Zuge eines natürlichen Prozesses. Das ist auch den Schutz der Menschenrechte, auch um das Zustande- die richtige Methode zur Verbesserung der Arbeitsver- kommen der Wiedergutmachungsverträge und um die Be- hältnisse und Förderung der Verständigung zwischen Ju- strafung der Kriegsverbrecher hervor. E. G. L. den und Arabern. Zvi Israel ist überzeugt, dass die Annä- herung zu Hause beginnen soll und altersmässig je früher, "- In: MB Wochenzeitung des Irgun Oleg Merkas Europa (52/22), Tel Aviv, 1.6. 1984 sowie in: »Annual Report 1984«, desto besser. »Hebrew Union College«, S. 27'. (Anm. d. Red. d. FrRu) Die Vision Abba Khuschis Beth Hagefen wurde im Februar 1963 als Verwirklichung 6 I Israelisch-arabische Begegnung einer Idee des damaligen Bürgermeisters von Haifa, Aba Khuschi, errichtet. Er war bestrebt, für die Befriedigung Das Beth Hagefen in Haifa"- der gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse der ara- Aktive jüdisch-arabische Zusammenarbeit bischen Bevölkerung Haifas und überhaupt der Araber im Von Eva Kimor und Mosche Ben Josef Norden des Landes etwas zu tun. Im Norden lebt ja die Mehrzahl der Araber Israels (60 bis 70 %), und Haifa ist Beth Hagefen in Haifa ist als »Jüdisch-arabisches Freund- eines ihrer Zentren. Beth Hagefen war als Einrichtung so- schaftszentrum« weit bekannt, und dieser Name ist sicher- wohl für Araber als auch Juden gedacht mit dem Zweck, lich treffender und aufschlussreicher als die offizielle beide Sektoren der Bevölkerung einander näherzubrin- Bezeichnung »Kulturzentrum für Jugend und Gemein- gen. Es ist einzigartig darin, dass es seine Ziele immer schaft«. Es gibt ja eine Menge Gemeinschafts- und Ju- weiter steckte und seine Tätigkeit ausdehnen konnte, gendzentren in Israel, aber Beth Hagefen unterscheidet sich während kein anderes Gemeinschaftszentrum im Land von anderen darin, dass es sich schon zwei Jahrzehnte Aktivitäten dieser Art und in dieser Vielfalt entwickelte. lang um die Förderung der jüdisch-arabischen Zusam- Das Theater und das Puppentheater von Beth Hagefen menarbeit bemüht. Es erhebt sich die Frage, ob echte spielen nicht nur für den Norden des Landes, sondern ha- freundschaftliche Beziehungen, die frei von Misstrauen ben Gastspiele im ganzen Land. Seit 1970 hat das Theater und Hass sind, zwischen Juden und Arabern überhaupt von Beth Hagefen, die einzige professionelle arabische erzielt werden können. Zvi Israel, der das Zentrum seit Bühne in Israel, zahllose Aufführungen für Erwachsene seiner Errichtung leitet, ist fest überzeugt, dass Angehörige und Kinder veranstaltet, wobei es zweimal im Jahre an beiderVölker friedlich und einträchtig zusammenleben kön- Orten ausserhalb des nördlichen Bezirkes spielt. Das letz- nen. Beth Hagefen beweist, dass er recht hat, wenn man te Stück, genannt »Das Leben für eine Nacht«, befasst sich mit dem komplizierten Problem richtig befasst, nicht sich mit den Problemen palästinensischer Flüchtlinge. Das rhetorisch, sondern praktisch, durch Beispiel und Vorbild. Puppentheater ist jüngeren Datums; gegenwärtig bereitet Ausgewähltes Publikum es Aufführungen von drei dramatisierten arabischen und Es stimmt, dass die 6000 eingeschriebenen Mitglieder des jüdischen Volksmärchen vor. Alle fünf Stücke werden so- Zentrums (60 % Araber, 40 % Juden) von vornherein der wohl in einer arabischen als auch in einer hebräischen Fas- Grundkonzeption von einem auf Gleichheit beruhenden sung aufgeführt werden, je nach dem Publikum, und der gegenseitigen Verhältnis positiv und mit Sympathie ge- Zweck ist, eine Art jüdisch-arabischen Kulturaustausch zu genüberstanden. Viele der Mitglieder glauben fest an die bewerkstelligen. Idee der arabisch-jüdischen Verständigung und Brüder- Bücher, Lieder, Tänze * Mit freundlicher Genehmigung seiner Redaktion entnommen Auch eine andere wichtige Veranstaltung, die jährliche aus »Das Neue Israel« (37/2), Zürich, August 1984, S. 7-8. »Woche des arabischen Buches«, erstreckt sich auf das

101 ganze Land. Sie wird im Beth Hagefen in Haifa abgehal- mesterausflug<, an dem ich damals, am 15. Juni 1969, als Gast ten und soll dem arabisch lesenden Publikum Bücher, die teilnehmen durfte"*. Es war, wie üblich, der in jedem Semester stattfindende Ausflug im Rahmen der Hebräischen Universität sowohl in Israel als auch ausserhalb, wie z. B. in Ägypten, mit der mit dieser verbundenen >Zentralstelle für Erwachsenen- Jordanien, Libanon usw., erschienen sind, zugänglich ma- bildung<. Gerade anwesend in Haifa, stiess ich um die Mittags- chen. Es kommen Tausende von Besuchern ins Beth Ha- zeit zu der Gruppe mit Haifaer Freunden des Hauses Hagefen. gefen, um die Bücher zu sehen, zu lesen und auch zu kau- Die etwa 50 Teilnehmer der Gruppe bestanden überwiegend aus erwachsenen jüdischen, christlichen sowie christlich- und mosle- fen. Aus diesem Anlass wurden auch Treffen mit Dichtern misch-arabischen Kursteilnehmern, ferner beteiligten sich einige und Schriftstellern organisiert sowie eine Bühne für arabi- Geistliche und Ordensschwestern. Es waren evangelische und ka- sche Theatervorführungen, Volkslieder und Volkstänze. tholische Geistliche, auch aus verschiedenen Ordensgemeinschaf- Die letzte Woche dieser Art wurde im Oktober 1983 in ten und Riten, unter anderem ein äthiopischer Priester. Evange- lischerseits waren auch Mitarbeiter der in der Altstadt gelegenen der Gegenwart des israelischen Staatspräsidenten Chaim >Erlöser-Kirche< dabei. Die für den Ausflug Verantwortlichen Herzog eröffnet. Ein Jahr vorher wurde die Eröffnungs- waren Dr. Kalman Yaron, der Leiter der Zentralstelle für Er- zeremonie vom ägyptischen Botschafter in Israel, Sa'ad wachsenenbildung der Hebräischen Universität, und Yizchak Mortada, eingeleitet. Cohe n, ein Sozialarbeiter der >Hadassah< Organisation. Nach dem Mittagessen fuhr eine frohe gemischte Gesellschaft: Araber Die arabisch-jüdische Gruppe für Volkstänze ist ein schö- aus Israel, aus der Altstadt und Umgebung (Moslems, Christen, nes Beispiel kultureller Zusammenarbeit. Sie tritt sowohl Armenier), Juden, nichtarabische Christen vieler Schattierungen bei verschiedenen Veranstaltungen in Israel als auch auf — zur Besichtigung prägnanter Sehenswürdigkeiten Haifas . . jährlichen Gastspielen im Ausland auf. Bisher besuchte sie Weitere Gespräche ergaben sich an dem fast bis Mitternacht währenden Abend. Ein geselliges Zusammensein, zu dem sich die Schweiz und die Bundesrepublik, Kanada, Spanien, auch dem Haus Hagefen Nahestehende aus Haifa einfanden, Frankreich und Griechenland. Israel kann wohl kaum bes- vereinte eine frohe Gesellschaft. Weit gespannte orientalische sere Botschafter in fremde Länder senden. Folklore sowie Musik vieler orientalischer Länder im Wechsel mit israelischer füllte den Abend, dessen Harmonie die Wirklich- Vieechrige Tätigkeit keit der doch so nahe liegenden Fronten — an denen die Waffen sprechen — Lügen zu strafen schien. Aber dieser Eindruck ist kei- Es wäre schwer, sämtliche Aktivitäten des Beth Hagefen ne Ausnahme. Trotz der ständigen Spannungen geht das Leben aufzuzählen oder zu entscheiden, welche davon die wich- in Israel ungehindert weiter. Dabei gibt es gewiss — gerade oft tigsten sind. Eine »Bibliothek auf Rädern« bringt Bücher auch in der Stille — auch im bisher nicht israelischen Gebiet so manche Versuche mit dem >Kleinen Frieden< . . .*** in Dörfer, deren Bewohner sonst kaum dazu kämen, ein Gertrud Luckner« Buch zu lesen. In der im Haus Beth Hagefen in Haifa be- *" in: FrRu XXI/1969, S. 138 f. findlichen Bücherei gibt es eine grosse Anzahl von arabi- *** s. ebd. S. 137 f.: »Ein Versuch mit dem >Kleinen Frieden<«. schen Büchern, abgesehen von solchen in hebräischer, englischer und französischer Sprache. Ein grosser Lese- II Arabisch-israelisches saal mit Lehrbüchern und einer Spielecke ist für Schulkin- Schülerinnentreffen der aus armen und kinderreichen Familien bestimmt, die zu Hause keinen Platz und keine Gelegenheit haben, ihre Vor kurzem organisierte das israelische Erziehungsmini- Hausaufgaben ungestört zu machen. Ausser diesem Platz sterium den ersten Besuch einer arabischen Schülerinnen- stellt ihnen Beth Hagefen Lehrkräfte zur Verfügung, die, gruppe vom Westufer in einer israelischen Schule. 50 wenn nötig, Nachhilfe und Anweisung geben. Erwähnens- Mädchen, die soeben an der Beit-Sahur-Schule ihr Abitur wert sind auch Kurse für Erwachsenenbildung, kreative gemacht hatten, waren Gäste der Hadassa-Seligsberg- Arbeitsgemeinschaften wie künstlerische Vorführungen. Gesamtberufsschule und wurden auf das herzlichste Der Direktor des Beth Hagefen, Zvi Israel, legt besonde- begrüsst. Die gemeinsame Sprache war Englisch. Die 50 ren Nachdruck auf das gesellschaftliche Beisammensein jüdischen Schülerinnen begrüssten ihre arabischen Kolle- von jüdischen und arabischen Mittelschülern. Solche ginnen mit Blumen und Tänzen. Danach tanzte man im Treffen finden viermal im Jahr statt. Sie werden sorgfältig Kreise miteinander, und schliesslich wurde daraus ein geplant, und Instrukteure des Beth Hagefen besuchen die »Happening« im besten Sinne. Dina Epstein, Leiterin der betreffenden Schulen, um dort Lehrer und Schüler heran- Seligsberg-Schule, sagte: »Wir haben so viel gemeinsam, zuziehen und vorzubereiten. Diese Treffen fördern den ich hoffe, dass wir eine neue Beziehung zueinander auf- jüdisch-arabischen Dialog auf allen Ebenen und Gebieten. bauen können.« In ihrer Antwort sagte Fifi Farami, Rek- Schulklassen statten sich gegenseitig Besuche ab, Schüler torin der Beit-Sahur-Schule: »Danke für alles. Wir hof- werden in Familien der anderen Nationalität eingeladen, fen, dass auch Ihr bald unsere Schule besucht, damit wir Diskussionen werden abgehalten, und man macht ge- auf ähnliche Weise zusammensein können.« meinsame Ausflüge'. Vier solche bescheidene Veranstal- Die Gäste aus Beit Sahur unternahmen einen Rundgang tungen im Jahr tragen wahrscheinlich mehr dazu bei, dass durch die verschiedenen Abteilungen der Seligsberg-Schu- sich Angehörige der beiden Völker besser kennen- und le, in der akademische Fächer ebenso gelehrt werden wie verstehen lernen, als vierhundert grosse Reden über die Handels- und Berufsschulfächer. Der Abschied war be- Notwendigkeit einer solchen Verständigung'. wegend, die Mädchen umarmten einander und verspra- chen, in Verbindung zu bleiben. (IK) Einzigartiger Beitrag (In: Allgemeine jüdische Wochenzeitung XXXIX/40, Düssel- Es ist kein Zufall, dass Beth Hagefen im Dezember 1983 dorf, 7. 10. 1984.) einen der vom Knesset-Vorsitzenden verliehenen Preise für »Lebensqualität« erhielt als Anerkennung seines Bei- trages zur Förderung der jüdisch-arabischen Beziehun- gen. Viele sprechen über jüdisch-arabische Zusammenar- 7 Lehrstuhl für beit, und noch mehr Menschen möchten, dass sie überall Holocaust-Geschichte an der dort besteht, wo Juden und Araber nebeneinander leben. Bar-Ilan-Universität (Tel Aviv) Beth Hagefen setzt diese Idee in die Wirklichkeit, die Theorie in die Praxis um'. Simone Veil, frühere Präsidentin des Europa-Parlaments, kam zur Einweihung eines Lehrstuhls über Holocaust- Vgl. dazu auch: »Ein jüdisch-arabischer Semesterausflug, Juni Geschichte an der Bar-Ilan-Universität nach Israel. Der 1969« : »Es ist für mich auch heute noch ein >unvergesslicher Se- nach ihr benannte Lehrstuhl wird, wie sie in ihrer Anspra-

102 che erklärte, nicht nur von literarischer Bedeutung sein, (49/20) vom 13. Mai 1984: »Jeder erkenne sich selbst um die Rolle der europäischen Widerstandsbewegungen schuldig an diesem Geschehen.< Das Oberammergauer in der Literatur aufzuzeigen, sondern wird auch den Passionsspiel und wir Christen'.« Überlebenden der Katastrophenzeit dazu verhelfen, die Franz Mussner: »Man hat dem Oberammergauer Pas- Erinnerung wachzuhalten. »Der Überlebende führt ein sionsspiel sowohl von jüdischer als auch von christlicher schizophrenes Leben«, erklärte sie, »einerseits ist er aktiv Seite den Vorwurf gemacht, Text und Regie des Spiels hier und jetzt, andererseits bedrängen ihn Alpträume und enthielten Antijudaismen, die entfernt werden sollten. Erinnerungen, so dass er sich oftmals fragt: Was mache Text und Regie geben in der Tat Anlass zu solchem Vor- ich eigentlich hier?« Simone Veil meint, es sei Zeit für die wurf und zu dieser Forderung. Unterdessen ist erfreuli- Historiker, in systematischerer Weise als bisher sich mit cherweise manches geschehen, um den Text so zu gestal- dem Holocaust zu befassen und alle Einzelheiten aufzu- ten, dass die Gefühle der -Juden durch ihn nicht verletzt decken. Man dürfe nicht auf diejenigen hören, die erklä- werden. ren, sie seien all der Greuelgeschichten überdrüssig, sowie Es könnte sicher noch mehr getan werden. Doch sollte so- denen nicht glauben, die erklären, sie seien nicht mitschul- wohl den Juden als auch den Christen im Bewusstsein dig. bleiben, dass es sich bei jedem Passionsspiel, wo es auch In: MB. Mitteilungsblatt des Irgun Olej Merkas Europa [52/28], aufgeführt werden mag, um eine Dramatisierung jener Tel Aviv, 13. 7. 1984, S. 5. Erzählungen der Evangelien handelt, nach denen von der damaligen politisch-geistlichen Behörde der Juden, >Ho- her Rat< genannt, gegen Jesus von Nazareth ein Prozess 8 Christliche Ereignisse angestrengt wurde, der am Ende durch den römischen und Nachrichten aus Israel Gouverneur Pontius Pilatus zur Kreuzigung Jesu führ- te . . . Benediktinerabtei der Dormitio auf dem Der Hohe Rat konnte gar nicht zu einem anderen Urteil kommen . . . Das >Credo< Israels, das nach Deuterono- Zion beteiligt sich an Israel-Festival" mium 6,4 lautet: >Höre, Israel, unser Gott, Jahwe ist einzig!<, duldet keinen >Sohn Gottes< neben Jahwe! Als im Jahre 1982 die Benediktinerabtei der Dormitio auf Wir Christen glauben an den einen Gott in drei Perso- dem Berg Zion eine Konzert-Pfeifenorgel installierte, hat- nen . . . ten die Väter vorgehabt, zwei bis drei öffentliche Konzer- Der Hohe Rat war der Überzeugung, das Judentum wür- te pro Jahr zu veranstalten. »Ich weiss nicht, wie es dazu de durch diesen Jesus seine Identität und den Väterglau- kam«, sagt Fr. Immanuel Jacobs, »aber allein im gegen- ben verlieren! Die Mitglieder des Hohen Rates haben auf wärtigen Jahr werden wir hier in der Kirche etwa 100 die Kreuzigung Jesu bei Pontius Pilatus gedrängt, weil sie Konzerte haben.« ihn aufgrund ihrer Glaubensüberzeugungen für einen Die Erklärung für die Art und Weise, wie die Abtei dazu Gotteslästerer hielten, nicht weil sie blinde und fanatische kam, in das diesjährige Israel-Festival (19. Mai bis 16. Ju- >Charakterkrüppel< waren. ni [1984]) miteinbezogen zu werden, kann auf einen Dies gibt nun auch einem Passionsspiel seinen unerbittli- Sonntagnachmittag im vergangenen Jahr zurückgeführt chen Ernst, Text und Regie müssen den Zuschauern ins werden, als der künstlerische Leiter Avital Mossinsohn Bewusstsein bringen: Hier steht Glaubensüberzeugung anfragte, ob die Abtei vielleicht willens sei, sich am Festi- gegen Glaubensüberzeugung! Erkennt man dies, so sieht val zu beteiligen. Er schlug einige Orgel-Rezitale vor . . . man auch, dass sowohl das Passionsspiel wie auch die Bis zum Schluss des vierwöchigen Festivals diente die Ab- Erzählungen der Evangelien über den Prozess Jesu von teikirche ausserdem als Standort für Abendkonzerte des der Sache her nichts mit >Antijudaismus< zu tun haben. Tölzer Knabenchors, des Brigham-Young-Universitäts- Doch können durch verkehrte Texte und eine verkehrte 15. chors und für Rezitale sephardischer Gesänge aus dem Regie eines Passionsspiels im Zuschauer antijudaistische Jahrhundert, vorgetragen durch Victoria de Los Angeles. Gefühle geweckt werden, besonders nach den furcht- Fr. Jacobs misst besondere Bedeutung der Tatsache bei, baren Erfahrungen, die mit >Auschwitz< zusammenhän- dass ein Mormonenchor einen hebräischen Gesang in ei- gen . . . ner katholischen Kirche in Jerusalem vortrug. »Eines un- . Wir Christen müssen uns zudem erinnern, was Jesus serer Hauptanliegen ist es, Menschen zusammenzubrin- selbst über den Sinn seines Kreuzestodes gesagt hat: Sein gen. Unsere Kirche steht neben dem, was 20 Jahre hin- Tod ist ein Tod >für uns<, für uns Sünder. Sein Tod ist ein durch ein >Niemandsland< innerhalb der geteilten Stadt stellvertretender Sühnetod für alle Welt, Israel einge- war. Dass wir heute eine Brücke zwischen Völkern, Kon- schlossen! Das II. Vatikanische Konzil lehrt in seinem fessionen und Gemeinden darstellen können, bereitet uns Dekret >Nostra Aetate< (Nr. 4), in dem es auch um das grosse Freude.« Verhältnis der Kirche zum Judentum geht, ausdrücklich: * In: »Das Christliche Leben in Israel«. Nachrichten und Ereig- >Auch hat Christus . . . in Freiheit um der Sünden aller nisse. Nr. 12 Uerusalem, Sommer 1984). Menschen willen sein Leiden und seinen Tod aus unendli- cher Liebe auf sich genommen, damit alle das Heil erlan- gen'a.< 9 Zum Oberammergauer Auch im Prolog des Oberammergauer Passionsspiels ruft Passionsspiel 1 9 8 4 der Sprecher in den Zuschauerraum hinein: >Gegrüsst seid auch ihr, Brüder und Schwestern des Volkes, aus dem der Im folgenden bringen wir zwei Beiträge von Pfarrer Wi lm San- Erlöser hervorging. Fern sei jedes Bemühen, die Schuld ders, kirchlich (kath.) Beauftragter für Hörfunk (NDR) sowie bei anderen zu suchen: Jeder erkenne sich selbst als schul- von Dr. Hans Lamm, Präsident der Israelitischen Kultusgemein- den in Bayern, und von Schalom Ben-Chorin, Jerusalem, und stel- dig in diesem Geschehenl.«< len von Professor Dr. Franz Mussner einige, ebenfalls zum The- ma erschienene grundsätzliche Betrachtungen voran.

Anlässlich der 1984 — mittlerweile nun stattgefundenen — 1 s. u. S. 107. Jubiläumsaufführungen der Passionsspiele veröffentlichte la vgl. in FrRu XVI/XVII (Juli 1965), S. 7. Professor Franz Mussner u. a. im Passauer Bistumsblatt (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu)

103 I Eindrücke vom Oberammergauer auch seinen Artikel: »Die ersten 100 Jahre des Oberam- Jubiläumsspiel 1984 mergauer Passionsspieles — Neues zum Beginn und zur Textgestalt« im »Jahrbuch für Volkskunde« 1982). Der Von Pfarrer Wilm Sanders, Hamburg geschichtliche Durchblick macht deutlich, wie oft in der Dem »Informationsdienst der KNA — Katholische Nachrichten- Vergangenheit der Passionsspieltext geändert wurde, und Agentur« Nr. 54, Bonn, 23. 8. 1984, entnehmen wir folgende eröffnet somit die Hoffnung, dass auch in unserer Zeit ein Zeilen und stellen sie den nachstehenden »Eindrücken« voran: Text entstehen wird, der die Passion Jesu als glaubwürdi- »Auf Dauer muss es nach Ansicht von Pfarrer Wilm Sanders zu ei- nem völlig veränderten Passionsspiel in Oberammergau kommen. ges Verkündigungsspiel auf die Bühne bringt. Dies kann Pfarrer Sanders, der für den Gesprächskreis Juden und Chri- man ja leider von der Textfassung des Pfarrers Joseph sten< beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken die diesjäh- Alois Daisenberger aus dem Jahre 1860 nicht mehr be- rigen Passionsspiele besuchte, vertrat die Auffassung, dass die haupten. Ich wiederhole aus meinen »Impressionen« von Spiele in Oberammergau nicht noch mehr zur Folklore werden 1980: »Homiletiker und Katecheten werden darin über- dürfen. Vielmehr müsse dort wieder glaubwürdige Verkündi- gung geschehen ... Es sei zu prüfen, ob die >Passio nom( von Pa- einstimmen: so wie es in Oberammergau geschieht, kann ter Ferdinand Rosner die geeignete Grundlage für die nächsten man heute nicht mehr predigen und lehren.« Auch das Passionsspiele sein könne.« Passionsspiel 1984 hat vom Erzbischöflichen Ordinariat Vor 350 Jahren gelobte die Gemeinde von Oberammer- in München keine Missio canonica, keine kirchliche Lehr- gau zum Ende einer Pestepidemie, alle zehn Jahre die beauftragung, erhalten. Passion Jesu zu spielen. Anlässlich dieses Jubiläums finden Rückblickend erweist es sich als doppelt tragisch, dass der in diesem Jahr Passionsspiele ausser der Reihe statt; ich von der Reformpartei der Probenaufführung von Rosners konnte die Aufführung am Samstag, dem 7. Juli 1984, be- »Passio nova« aus dem Jahre 1977 angebotene Kompro- suchen. miss im Dorf nicht angenommen wurde: auch die Anhän- P. Dr. Stephan Schaller OSB aus Ettal, dessen Neufas- ger der Reformpartei hätten bei der Daisenberger-Passion sung des Passionsspieltextes im Jahre 1970 von der Ge- 1980 mitgewirkt, wenn man sich für 1984 — also für das meinde Oberammergau nicht akzeptiert wurde', hat für Jubiläumsspiel ausser der Reihe — für die Rosner-Passion den diesjährigen offiziellen Bildband eine sachkundige entschieden hätte. Leider wurde den Verantwortlichen für Einführung geschrieben: »Rückblick auf 350 Jahre«. (Vgl. die Rosner-Probe keine Chance gegeben, ihre eigenen kritischen Erkenntnisse nach der ersten Erfahrung mit ' Vgl.: Stephan Schaller: »Nie wieder: Verfluchte Synagoge! Die Rolle des Judentums in der Geschichte des Oberammergauer den Anregungen der Kritiker von aussen zu verbinden, Passionsspiels.« In: FrRu XXXII/1980, S. 77-81. danach das Spiel auszufeilen und zu perfektionieren, was ja eigentlich Sinn einer Probe ist. Es muss jedenfalls gera- »Statt Reformpassion ein Versöhnungsspiel. Oberammergauer de wegen der menschlich-familiären Situation in Oberam- Passionsspiel nun doch revidiert.« in: ebd. XXIX/1977, S. 103f. mergau nochmals darauf hingewiesen werden, dass der 3 ebd. XXI/1969, S. 79: Das Passionsspiel in Oberammergau: Impuls zur »Passio nova« gerade vom Gedanken einer Dr. Schaller mit Neufassung von Kardinal Döpfizer beauftragt, glaubwürdigen Verkündigung für unsere Zeit entstanden stösst auf harten Widerstand in Oberammergau. >American Jew- ish Congress< hatte sich für Revision eingesetzt. ist, dass dieser Impuls von kirchlicher Seite begrüsst Eine Pressemitteilung der Ordinariats-Korrespondenz, München und ermutigt wurde (Kardinal Döpfner, Regionalbischof Nr. 20, 7. 6. 1984, berichtet über ein Gespräch zwischen einer Schwarzenböck, Ökumenereferent Prälat Dr. Michael jüdischen Delegation der »Anti-Defamation-League of B'nai Höck u. a.), dass schliesslich erst ein Beschluss des Ge- B'rith«, New York, eine der grössten jüdischen Organisationen, meinderates und des Passionsspielkomitees das Reform- der katholischen Kirche und der Gemeinde Oberammergau im Münchner Erzbischöflichen Ordinariat am 24. 5. 1984. Das Ge- spiel von 1977 ermöglichte3, wozu es einen Aufruf des in- spräch kam auf Wunsch der jüdischen Organisation zustande. zwischen verstorbenen Bürgermeisters Ernst Zwink gab, Katholische Gesprächspartner waren Weihbischof Flügel, Re- alle Oberammergauer sollten bei diesem Versuch mitwir- gensburg, 'Weihbischof Franz Schwarzenböck, München, Prof. Mussner, Passau, und Josef Georg Ziegler, Mainz. Die Gemein- ken. Die »Arbeitsgemeinschaft Passion« der Reformer de Oberammergau war vertreten durch den Ortspfarrer Josef (mit heute immer noch über 300 beitragzahlenden Mit- Forstmayr, dem ersten Bürgermeister Klement Fendt und dem gliedern) hat im Jahre 1982 nochmals versucht, die Ros- Spielleiter Hans Maier. Das Gespräch wurde von allen Teilneh- ner-Fassung für 1984 zu realisieren, ist aber an den Mehr- mern als offen und freimütig charakterisiert. Es wurde verein- heitsverhältnissen im Dorf gescheitert. bart, Publikationen, in dem das Oberammergauer Passionsspiel behandelt wird, auszutauschen und sich nach Möglichkeit auch So unterscheidet sich das Passionsspiel 1984 unter dem gegenseitig über neue Entwicklungen zu informieren. Seitens der gleichen Spielleiter Hans Maier kaum von dem des Jahres jüdischen Delegation wurde ausdrücklich betont, man wolle we- 19804/5. Hier meine Beobachtungen im Blick auf den der das Oberammergauer Passionsspiel noch die Glaubenshal- tung katholischer Christen antasten, auch wolle man über mögli- christlich-jüdischen Dialog: che unterschiedliche Meinungen nicht über die Offentlichkeit, sondern mit den dafür verantwortlichen Personen sachlich spre- /. Zum Text des Passionsspiels chen. Die Vertreter der Gemeinde erklärten ihre grundsätzliche Das Textbuch des diesjährigen Spiels enthält auf der Bereitschaft, solche Gespräche weiterzuführen, äusserten aller- dings den Wunsch, die jüdische Seite möge nun mit einer Stimme Titelseite die Zeile: »erneut überarbeitet durch die Ge- sprechen, damit solche Gespräche zu einem von beiden Seiten meinde Oberammergau im Jahre 1984«. Diese Überar- annehmbaren Ergebnis kommen können. Die Delegation sagte beitung besteht aber überwiegend nur aus kleinen kos- zu, sich um eine Einigung unterschiedlicher jüdischer Stand- metischen Veränderungen und zusätzlichen Kürzun- punkte zu bemühen. Im Anschluss an die Unterredung im Ordinariat wurden die Ge- gen, die zwar in sich alle begrüssenswert sind, aber den sprächspartner auch vom Erzbischof von München und Freising, Gesamteindruck kaum beeinflussen. Dr. Friedrich Wetter, empfangen. Dabei äusserte der Erzbischof In der I. Vorstellung, 3. Auftritt, endet die Szene nicht Verständnis dafür, dass es auf jüdischer Seite eine in den schreck- mehr mit dem Ruf der Volksmenge: »Ja! Er gehe zu- lichen Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit begründete be- rechtigte Empfindsamkeit gebe. Der Erzbischof erneuerte aller- grunde!« Statt dessen bekräftigt das Volk: »Ja! Moses dings auch seine bereits bei der Eröffnung der Passionsspiele vor- ist unser Prophet!« (S. 24) getragene Ansicht, dass das Spiel weder einen Vorwurf noch eine In der V. Vorstellung, 3. Auftritt, fehlt nach dem Satz Anklage gegen das Judentum erhebe und dass die Frage nach der des Kaiphas: »Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als Schuld am Tod Jesu auch nicht auf die Juden abzuwälzen sei. Der Erzbischof sagte: »In den Menschen, die Christus ans Kreuz 4/5 vgl. dazu: Das Oberammergau Passionsspiel: ed. by L. Swid- gebracht haben, se-hen wir uns selbst.« ler with G. S. Sloyan, veröffentlicht von Anti-Defamation League (vgl. u. S. 107) Anm. Red. FrRu of B'nai B'rith, New York 1980, in: ebd. XXXII/1980, S. 109.

104 dass das ganze Volk zugrunde geht!« die unbiblische In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal der Erweiterung: »Solange er lebt, ist kein Friede in Israel, Wunsch ausgesprochen, für die Schreibweise der bibli- keine Sicherheit für das Gesetz des Moses, keine ruhige schen Namen und Orte möchte die ökumenische Über- Stunde für uns!« Und anschliessend unterlässt der Rab- einkunft berücksichtigt werden. bi den Satz: »Nur durch den Tod des Galiläers kann das Volk Israel gerettet werden!« (S. 53) 2. Zur Inszenierung In der VIII. Vorstellung, 2. Auftritt, unterlässt Kaiphas Auch in diesem Jahr wirkt die Aufführung weithin die Begründung seiner Ungeduld : »Um den Feind unse- blass, ja stellenweise langweilig. (Der schlagendste Be- rer Religion dem verdienten Tode zuzuführen.« (S. 71> weis dafür ist mir, was ich in früheren Jahren so nicht Und beim Verhör Jesu beginnt Kaiphas (im 3. Auftritt) erlebt habe, dass pausenlos irgendwelche Zuschauer nicht mehr mit dem Satz: »Du bist also derjenige, der aufstehen, um zur Toilette zu gehen, dann bei der unserer Religion und dem Gesetz des Moses den Un- Rückkehr natürlich nochmals auf gleiche Weise stören. tergang bereiten wollte.« (5.72). Annas beschliesst Letztlich ist es aber doch ein Ausdruck dafür, dass sie diese Szene laut Textbuch mit dem Satz: »Gott gebe, von der Darbietung nicht gefesselt werden.) dass bald die Zeit kommt, die uns für immer von ihm - Entsprechend der grösseren Einwohnerzahl wirken bei befreit«, wo es früher hiess: »Von unserem Feinde.« den Massenszenen diesmal erheblich mehr Menschen (S. 74) mit: Statt wie früher ca. 600 sind es jetzt zwischen 800 Und schliesslich unterlässt die Volksmenge bei ihren und 900. Natürlich ist das zunächst choreographisch ei- Rufen auf dem Kreuzweg (XII. Vorstellung, 3. Auf- ne beachtenswerte Leistung. Allerdings spricht es auch tritt) den Satz: »Heil Israel! Dein Feind ist überwun- für die Situation im Dorf, dass der Spielleiter nie weiss, den!« (S. 109) wieviele Dorfbewohner zu den Massenszenen wirklich Leider halten sich die Spieler, vor allem oft die Hohen- kommen. Anscheinend machen viele ihre Mitwirkung priester Kaiphas und Annas, nicht an diese Kürzungen, hier sehr vom Wetter abhängig, auch wenn ihnen die die ja in der Tat die dramaturgische Wirkung beein- Aufwandsentschädigung dann entgeht. Somit scheint trächtigen. So setzt sich gegen das Textbuch gelegent- der religiöse Elan, mit dem das Dorf die Passion erlebt, lich die Macht der Gewohnheit durch oder neue For- schwächer geworden zu sein. mulierungen werden eingeführt, die nicht im Textbuch Die sehr erhöhte Beteiligung von Mitspielern bei der stehen. So rief die Volksmenge etwa bei der letztge- sog. »Empörung«, bei der Verurteilung Jesu durch Pila- nannten Szene (S. 109) zusätzlich: »Tod dem Verrä- tus, mag vor allem zu dem Eindruck der amerikani- ter!« oder im 10. Auftritt der X. Vorstellung schloss schen Juden beigetragen haben'. Laut Presseberichten Annas mit dem Satz: »Er (Pilatus) höre den vielstimmi- haben ja Mitglieder des American Jewish Committee gen Ruf des Volkes !«. die »demagogische Anstachelung« angegriffen', die Eine bemerkenswerte Änderung und Verbesserung hat nicht mehr vom Text, sondern von der »überwältigen- der Passionsspieltext bei der Abendmahlsszene erfah- den Kraft der szenischen Darstellung« ausgehe. Jeden- ren; denn dort sind bei den Deuteworten über Brot und falls ist die Differenzierung der Volksmenge, wenn die Wein die originalen Beraka-Sprüche der jüdischen Li- Anhänger Jesu als kleines Grüppchen rufen sollen: »Gib turgie aufgenommen. Über das Brot sagt Jesus zu- ihn frei, er ist ohne Schuld« genauso misslungen wie nächst: »Gepriesen bist du unser Gott, König der Welt, 19802. der du die Frucht der Erde erschaffen hast« (S. 44) und Durch die grössere Zahl der Mitwirkenden dauern die über den Kelch: »Gelobet seist du unser Gott, König Auf- und Abtritte länger. Deshalb mussten die Rufe der der Welt, der du die Frucht des Weinstockes erschaffen empörten Volksmenge gegenüber dem Textbuch ver- hast.« (S. 45) Für katholische Christen wird hier eine doppelt, teils verdreifacht werden. Natürlich verschär- Verbindung hergestellt zu den nach dem II. Vatikani- fen diese vervielfachten Rufe: »Ans Kreuz mit ihm!« schen Konzil neu geschaffenen Gebeten zur Darbrin- (dreimal) — »Er sterbe!« (zweimal) — »Ans Kreuz mit gung von Brot und Wein bei der Gabenbereitung, die ihm!« (zweimal) (S. 99) — »Er sterbe!« (S. 100 zweimal) ebenfalls nach dem Vorbild jüdischer Beraka-Sprüche und nach den Worten: »Der falsche Messias! Der Be- formuliert wurden. trüger!« nochmals hinzugefügt: »Er sterbe!« den Ein- Trotzdem rechtfertigen diese Textänderungen und druck der empört agierenden Volksmenge. -verbesserungen noch nicht die Berufung auf die Zu- 7 Dazu schreibt die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung stimmung der Ökumene-Kommission der Deutschen (XXXIX/22), Düsseldorf, 1. 6. 1984: »Amerikanische Juden ver- Bischofskonferenz für Fragen des Judentums oder gar urteilen Passionsspiele scharf: auf die Ansprache von Papst Johannes Paul H. bei der Auch die wiederholt überarbeitete Fassung der Oberammergauer Generalaudienz vom 16. März 1983, an der eine Ober- Passionsspiele stösst bei amerikanischen Juden auf scharfe Ableh- nung. Brutalität und Hass auf die Juden zeigten sich in dem Spiel ammergauer Pilgergruppe zur Vorbereitung des Jubi- immer noch in einer Form, die nach Auschwitz und Dachau läumsjahres teilnahm', wie es Pfarrer Forstmayr von Angst mache, erklärten Vertreter einer Delegation des American Oberammergau im Vorwort zum Textbuch des diesjäh- Jewish Committee in München'. Trotz der Bemühungen in Ober- rigen Passionspiels versucht, als ob nun alles in Ord- ammergau, antisemitische Passagen aus dem Text zu entfernen, bleibe das Spiel auch in seiner äusseren Darbietung >durch eine nung sei. Auch der Hinweis von P. Dr. Stephan Schaller tiefe und durchdringende antijüdische Ausrichtung beeinträch- in dem schon genannten »Rückblick auf 350 Jahre« auf tigte. Die Delegation bestand aus Führungskräften des seit 1906 Kardinal Ratzinger scheint hier verfehlt, wenn es heisst: bestehenden Komitees, der zweitgrössten jüdischen Organisation »Seine Billigung hat an Gewicht gewonnen, seit er als in der Welt, und zwei prominenten christlichen Wissenschaft- lern*. Sie rief dazu auf, >Verleumdungen von Juden und des Ju- Präfekt der Glaubenskongregation an die Kurie in Rom dentums< bis zu den nächsten regulären Passionsspielen im Jahre berufen wurde.« Mit allen diesen Formulierungen kön- 1990 endgültig zu beseitigen. Ein Aufruf zu Beginn des Dramas, nen sich die Oberammergauer der bleibenden Aufgabe jeder einzelne möge seine Schuld erkennen, werde vom Spiel einer Reform nicht entziehen, wollen sie auf Dauer selbst widerlegt, kritisierte Rabbi A. James Rudin, Direktor für überkonfessionelle Angelegenheiten des in den USA 60 000 Mit- glaubhafte Verkündigung spielen. glieder zählenden Komitees. Das Passionsspiel konzentriere sich auf die Machenschaften der Juden, ignoriere grösstenteils die Unterdrückung durch die Römer und wasche Pontius Pilatus von 6 S. U. S. 108, Abs. 2 und 3. jeder Schuld frei.«

105 —Der unbiblische Taubenhändler Dathan spielt seine —Erhalten sind nach wie vor die beiden problematischen Rolle wie eh und je. Bereits 1979 hatte ich angefragt, Bilder von der Verurteilung des Naboth und vom Sün- ob man seine Rolle nicht auf zwei Personen verteilen denbock. Die alttestamentliche Naboth-Parallele ent- könnte. hält in sich die Behauptung, bei der Gerichtsverhand- —Nach wie vor gibt es die merkwürdige Rolle des »Rab- lung gegen Jesus vor dem Hohen Rat handle es sich um bi« ohne Namen. Rabbiner gehören bekanntlich zum einen beabsichtigten Justizmord. Dem »Sündenbock«, pharisäischen Judentum; schon deshalb ist ein solcher dem die Sünden des Volkes aufgeladen werden, müsste Rabbi als Ratgeber der Sadduzäer-Tempelpartei unhi- das »Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt«, ge- storisch. Auch vergisst das Passionsspiel, wie oft Jesus genübergestellt werden und nicht Barabbas. (Vgl. die in den Evangelien als »Rabbi« ( = mein Lehrer) ange- ausführlichen Begründungen von Hans-H. Mallau in sprochen wird. EMUNA-Horizonte, Nr. 4/1970, S. 235ff.) —Unbefriedigend bleibt weiterhin die Rolle des Pilatus. Wenn früher kritisiert wurde, er werde als zu mitleidig 4. Zur Eröffnungspredigt von ErzbischofDr. Wetter dargestellt, so versucht das diesjährige Textbuch dies an Leider hat auch Erzbischof Dr. Friedrich Wetter in seiner zwei Stellen zu korrigieren. Bei der XI. Vorstellung be- Predigt beim Eröffnungsgottesdienst der Passionsspiele ginnt der Prologsprecher mit den Worten: in Oberammergau am 19. Mai 1984 (wie Kardinal Rat- »Eine Jammergestalt steht der Erlöser da. zinger 1980) nicht auf die Predigt von Kardinal Döpf- Von Grauen erfasst, stellt ihn Pilatus vor.« ner im Jahre 1970 Bezug genommen. Kardinal Döpfner Wo es früher hiess: »Von Mitleid erfasst«. Der Bass- sagte damals: Solo nimmt den Gedanken auf und soll singen: »Wir sind uns alle darin einig, dass der Text des Pas- »Pilatus ruft voll Grauen aus : sionsspieles auch in unserer Zeit einer Neufassung seht welch ein Mensch!« bedürfte. An Bemühungen in dieser Hinsicht hat es Auch hier hiess es früher: »Voll Mitleid«. Schon bei der nicht gefehlt. Da aber noch keine allseits befriedigen- Durchsicht des Textbuches wollte ich anfragen, ob die- de Lösung gefunden wurde, hat man mit gewissen se Korrekturen auf den Seiten 95 und 96 so viel ein- Änderungen wieder den Daisenberger-Text des vori- brächten, wenn es dann im Text auf Seite 99 unverän- gen Jahrhunderts als Grundlage benützt. Es wird das dert aus dem Munde des Pilatus klingt: Bemühen der Verantwortlichen bleiben müssen, um »Kann selbst dieser Anblick eine Neufassung bestrebt zu sein, die in Sprache und euren Herzen kein Mitleid abgewinnen?« Auffassung dazu beiträgt, dass das Passionsspiel auch Aber dann erlebte ich bei der Aufführung am 7. Juli, für unsere Zeit eine besondere Form der Verkündi- dass der Bass-Sänger bedauerlicherweise den alten Text gung von Kreuz und Auferstehung bleibt.« vortrug: Pilatus blieb »voll Mitleid« und das charakteri- So ist die Predigt von Erzbischof Wetter, wie schon die siert am besten die milde und freundliche Pilatus-Dar- von Kardinal Ratzinger 1980, Wasser auf die Mühlen stellung im gesamten Spiel. der konservativen Kräfte im Dorf. Bedauerlicherweise —Die Kostüme der Spieler blieben unverändert und müs- -wurde das religiöse Engagement der Reformpartei für sen alle früher geäusserte Kritik weiterhin erfahren, vor eine glaubwürdigere Verkündigung in unserer Zeit allem die völlig unterschiedliche Kleidung der Jünger nicht mit einer Zeile gewürdigt, so dass sich hier viele, Jesu (römische Togen) und seiner Gegner (orientali- gerade auch jüngere Leute, von der Kirche alleingelas- sche Burnusse). sen fühlen. Auch wenn Nikodemus nicht mehr wie noch 1970 Erzbischof Dr. Wetter hob in seiner Predigt sehr stark seinen Hut auf der Bühne abnimmt, ehe er bei der darauf ab, das Passionsspiel sei vor allem anderen ein Kreuzabnahme von Jesu Leichnam hilft, so erschei- Spiel vor Gott. So hatte auch Kardinal Ratzinger bereits nen doch Joseph von Arimathäa und Nikodemus auf 1980 formuliert, die Passionsspiele müssten ihrem Kern Golgotha barhäuptig, was sie nun eindeutig als Freun- nach Gebet sein, inneres Eingehen auf den Weg Jesu de Jesu ausweist, während sie vordem den Judenhut Christi und in den Weg Jesu Christi. Für das Passions- trugen. spiel hat diese Art der Argumentation die unglückliche Folge, dass die schauspielerische Leistung der einzelnen 3. Die lebenden Bilder Mitwirkenden sinkt. Wenn es hier mehr um die Erfül- Lebende Bilder aus der Bibel des Volkes Israel als Aus- lung des Gelübdes als einer Art Gottesdienst geht und deutung des Passionsgeschehens gibt es wie 1980 insge- weniger um das Spiel der Verkündigung, kann die Lei- samt 15, obwohl ein Bild neu wiederaufgenommen stung des einzelnen nicht wie im Theater üblich einge- wurde. Dafür wird nun das Manna-Wunder und die fordert werden. Wahrscheinlich hat die langweiligere Kundschafter mit den Trauben als ein Bild vorgestellt. Form der Darbietung in dieser Sicht des Passionsspie- —Wiederaufgenommen wurde das Bild von der Erhö- les, die auch der jetzige Spielleiter teilt, ihren Haupt- hung der Ehernen Schlange. In der Tat ist dieses Bild grund. die Urform aller Vorbilder und fusst auf dem Jesuswort Die Frage von Erzbischof Dr. Wetter an die Oberam- von Joh 3, 14. Deshalb war es sehr verwunderlich, dass mergauer, ob sie die Passion auch dann spielen würden, es seinerzeit der Kürzung zum Opfer fiel, zumal es im wenn niemand von auswärts käme, stellten wir als Öku- christlich-jüdischen Dialog nie kritisiert worden war. menische Studiengruppe im Auftrag der Arbeitsgemein- —Besonderen Anstoss hatte bekanntlich im herkömmli- schaft Ökumenischer Kreis in Deutschland (AÖK) und chen Passionsspiel das Esther-Bild erregt, wo das Volk in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Koordinie- Israel wie die heidnische Königin Vasthi als verstossen rungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zu- vorgestellt wurde. Nun hatten gerade die dazu vorge- sammenarbeit bereits 1970. Sie wird im Dorf jeweils tragenen Gesänge ihre besonders eindringliche Melodie umgehend bejaht, besitzt aber eine ziemliche Realitäts- von Rochus Dedler. Der Spielleiter Hans Maier hat ferne, da die Mitwirkenden sich ihre Aufwands- deshalb diese Melodien wieder ins Passionsspiel aufge- entschädigung für die einzelnen Rollen genau ausrechnen. nommen und mit neuen, längeren Texten im Prolog Zum christlich-jüdischen Dialog hat Erzbischof Dr. zum letzten Gang nach Jerusalem (III. Vorstellung) un- Wetter wichtige Sätze gesagt, die deshalb hier in vollem terlegt. Wortlaut wiedergegeben seien:

106 »Wollte jemand im Passionsspiel antisemitische Ten- von Kirche und Judentum seinem grossen Zuschauer- denzen sehen, so würde er an der Sache völlig vor- kreis nahezubringen., beigehen. Dieses Spiel erhebt weder einen Vorwurf Dies wird sicher auch im neuen Gemeinderat zu disku- noch eine Anklage gegen das Judentum. Sind doch tieren sein. Die Wahlen vom April brachten eine völlig Jesus selbst und seine Mutter Maria und alle Apostel veränderte Zusammensetzung. Auf Anhieb wurde eine Juden, Angehörige des Volkes, dem Gott die Ver- neu gegründete Wählerliste »Dorfpolitik — neu über- heissungen unseres Heiles gegeben hat und dem sich dacht« unter der Leitung von Klement Fendt mit sieben die Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Vertretern zur stärksten Fraktion im Gemeinderat. Seit brüderlicher Aufmerksamkeit zuwendet. Wenn die 1. Mai 1984 ist Klement Fendt auf sechs Jahre Bürger- Frage der Schuld an Jesu Tod aufkommt, wälzen wir meister von Oberammergau. Zu seiner Liste und zu sei- diese Schuld nicht auf die Juden ab. Wir alle haben nen Wählern gehören zahlreiche Anhänger des Re- an die Brust zu schlagen. Denn Jesus ist unserer Sün- formspieles. Jedenfalls hat der jetzt gewählte Gemein- den wegen gestorben. Hier macht keiner eine Aus- derat die Verantwortung dafür, was 1990 gespielt wird. nahme. Denn >wir alle haben gesündigt<, sagt der Ob innerhalb von sechs Jahren ein völlig neuer Pas- Apostel (Röm 5, 12). Wir alle haben ihn ans Kreuz sionsspieltext vorhanden sein kann, mag man füglich gebracht. So bekennen wir es im Lied: >Was du, bezweifeln. Deshalb sollte man sich nach den Spielen Herr, hast erduldet, ist alles meine Last, ich, ich hab dieses Jubiläumsjahres noch einmal friedlich zusam- es verschuldet, was du getragen hast.< In den Men- mensetzen und prüfen, ob nicht doch der künstlerisch schen, die Jesus ans Kreuz gebracht haben, sehen wir beste Passionsspieltext, den Oberammergau je hatte, uns selbst6 (s. o. S. 103, Anm. 1). nämlich die Passio nova des P. Ferdinand Rosner, die Grösser jedoch als unsere Schuld ist die Liebe Got- geeignete Grundlage für die nächsten Spiele ist. tes, die am Kreuz offenbar wird. >So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn dahin- Die vorliegenden EINDRÜCKE verstehen sich als Ergänzung zu den früheren Publikationen: gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde Antisemitismus bei den Christen? — Gedanken zur christlichen gehe, sondern das ewige Leben hat< (Joh 3, 16). Die- Judenfeindschaft am Beispiel der Oberammergauer Passionsspie- se grössere Liebe Gottes verkünden Sie im Passions- le, Johannes-Verlag, Leutesdorf a. Rh. 1970 spiel heute, denn sie gilt auch den Menschen von Aus den Interviews der Ökumenischen Studiengruppe in Ober- ammergau, EMUNA-Horizonte, Nr. 4/1970 heute. Damit verkünden Sie auch den österlichen Was man auch sehen muss beim Passionsspiel in Oberammergau Sieg Gottes über Sünde und Tod, den Sieg, den Got- — EMUNA-Horizonte, Nr. 4/1970 tes Liebe für uns errungen hat.« Oberammergau und die Katechese über die Juden — Katecheti- sche Blätter, Nr. 11/1970 — Angesichts der Situation in Oberammergau wirken die- Ökumene und Juden — Gedanken zu einer Katechese (mit Anne- se Sätze aber als Rechtfertigung für die Konservativen marie Weiss), Katechetische Blätter, Nr. 6/1971 Das Blut Jesu und die Juden — Una Sancta, Nr. 3-4/1972 und erschweren den Reformern die Weiterarbeit an ei- Wilm Sanders: Die Karfreitagsfürbitte für die Juden vom Missale ner Neufassung. Pius' V. zum Missale Pauls VI. Freiburger Rundbrief, Jahrgang In diesem Zusammenhang seien auch die beiden folgen- XXIV/1972, S. 26-30, abgedruckt auch in: Liturgisches Jahr- den Erfahrungen aus Oberammergau mitgeteilt: buch Nr. 4/1974 Buchbesprechung: Schaller/Eckert/Limbeck/Thomas/Schubert/ Die Predigt von Kardinal Ratzinger von 1980 gilt im Oesterreicher: Passionsspiele heute? — EMUNA-Horizonte, Nr. Dorf nach wie vor als Rechtfertigung der Daisenber- 1/1974 ger-Passion und als Absage an die Rosner-Passion. Zu- Auf dem Weg der Versöhnung — Ausführungsbestimmungen der sätzlich wird dabei auf sein jetziges Amt als Präfekt der Judenerklärung zum Heiligen Jahr — KNA — Katholische Korre- spondenz, 14.1.1975 Glaubenskongregation Bezug genommen. Oberammergau 1977 — Stellungnahme zur Rosner-Passion — Von der Predigt Kardinal Döpfners 1970 geht inzwi- EMUNA-Israelforum, Nr. 4/1977 schen das Gerücht, sie entspräche gar nicht seiner eige- Bemerkungen zum vorläufigen Textbuch der Oberammergauer nen Meinung. Der Kardinal habe damals in der nach- Passionsspiele 1980 (Manuskript Juli 1979) Impressionen von Oberammergau 1980 (Manuskript Juli 1980) konziliaren Zeit mit vielen Romreisen und in der Vor- Franz Mussner: »Jeder erkenne sich selbst schuldig an diesem Ge- bereitung der Synode der deutschen Bistümer so viel zu schehn<. Das OberammergauerPassionsspiel und wir Christen.« Pas- tun gehabt, dass er sich mit der Problematik von Ober- sauer Bistumsblatt, 49/20, 13. Mai 1984. (s. o. S. 103, Anm. 1). ammergau nicht genug habe beschäftigen können. So habe er eine von Prälat Dr. Höck ausgearbeitete Pre- II Und wieder: Traditionsreiches digt vorgetragen, ohne ihr innerlich zuzustimmen. Oberammergau...

5. Abschluss Neuer Bürgermeister und neuer Geist?* Dass es auf die Dauer zu einem völlig veränderten Pas- Als Münchner bin ich in gewissem Sinn mit Oberammer- sionsspiel kommen müsste, sollte weiterhin öffentlich gau aufgewachsen; wenn ich mich nicht irre, besuchte ich gewünscht und gefordert werden. von 1930 an fünf verschiedene Aufführungen. Dieses Es ist dies notwendig aus christlicher Sicht, damit das Halbhundert schliesst nicht ein die heute fast totgeschwie- Spiel nicht (noch mehr) zur Folklore wird (viele emp- gene von 1934, bei der »der. Führer und Reichskanzler« finden heute schon nichts anderes), sondern wirklich Hitler Ehrengast war und daraufhin in Lobeshymnen auf wieder glaubwürdige Verkündigung geschieht. die Passionsspiele ausbrach, als ob sie eine Bestätigung Es ist dies notwendig im Blick auf den christlich-jüdi- seines rassistischen Antisemitismus wären, hanebüchener schen Dialog: das Passionsspiel 1984 erregt wie das von Unsinn, denn unter den über 17-00 Gestaltern gibt es nur 1980 keinen grösseren Anstoss, weil es nach wie vor um eine Handvoll Nicht-Semiten, und zwar Pilatus, den rö- eine Stunde gekürzt und von allen beanstandeten ju- mischen Hauptmann Longinus und sechs Soldaten, d. h. denfeindlichen Textstellen gereinigt ist. ein gutes Dutzend Römer unter 1700 Juden, die laut Pro- Dennoch wiederhole ich, was ich schon nach dem Spiel * Der »Münchner Jüdischen Gemeindezeitung« Nr. 28, Juni 1980 zum Ausdruck brachte: durch Weglassen kann 1984, entnommen mit freundlicher Genehmigung des Verfassers, man nicht verkündigen! Oberammergau begibt sich der Dr. Hans Lamm, Präsident der israelitischen Kultusgemeinden in Chance, auf seine Weise das gewandelte Verständnis Bayern s. A., und der Redaktion. (Die Red. d. FrRu)

107 gramm in Apostel, Freunde des Herrn, Priester, Phari- Am 1. Mai 1984 trat der im Vormonat gewählte neue Bür- säer, Händler und Zeugen zerfielen. germeister Klement Fendt sein Amt an, nachdem der Die fünf Aufführungen und Studium der Literatur zum 28jährige seinen 59jährigen Vorgänger Frank Hofmann Thema von 1950 an erlaubt mir eine Wertung der Ent- mit 56 Prozent der Wählerstimmen geschlagen hatte. Der wicklung und Wandlung, die 1984 einen Höhepunkt (je- junge Bürgermeister empfing mich freundlicherweise am doch wohl keinen Endpunkt) erreicht hat. 2. Mai zu seinem ersten Interview. Er hatte die Wähler- 1983 war für das Passionsspieldorf — von der Weltöffent- liste »Dorfpolitik — neu überdacht« angeführt und reprä- lichkeit fast unbemerkt — ein Jahr positiver Errungen- sentiert eine neue Generation gegenüber den Männern schaft. Bei einem Empfang im Vatikan am 16. März des (Frauen spielen in der Oberammergauer Gemeindepolitik Vorjahrs sagte Papst Johannes Paul II. zu einer Pilger- noch keine registrierbare Rolle!), die von 1950 bis 1980 gruppe aus Oberammergau, angeführt vom langjährigen Politik auch im Festspielgeschehen bestimmt hatten. Ob Spielleiter Hans Maier sen., u. a.: ». . . ein würdiger Auf- und wie sich dies 1990 auswirkt, ist heute zu früh zu takt zur 350-Jahr-Feier Eurer Passionsspiele, auf die Ihr ahnen. Änderungen wird es geben, wie sie sich von Jahr- Euch für das Jahr 1984 vorbereitet. Eure Treue zum zehnt zu Jahrzehnt eingeschlichen hatten . . . Schwur Eurer Vorfahren sei nicht nur verantwortungsbe- Wenn man fragt, ob sich etwas positiv in Oberammergau wusste Pflege eines kostbaren geschichtlichen Erbes, son- seit 1945 und insbesondere seit dem Vatikanum II geän- dern stets auch Bekenntnis Eures christlichen Glau- dert habe, dann wird jeder redlich Denkende zu einem bens . .«1. Dies waren nicht Unverbindlichkeiten eines »Ja« komm-en, wobei der eine meinen wird, dass noch freundlichen älteren Herrn, sondern die wohlüberlegten nicht genug erreicht und dass vielleicht doch der uralte Worte eines Papstes — des ersten in diesem Jahrhundert! — Barocktext Ferdinand Rosners (1749) oder gar ein ganz für das Oberammergauer Passionsspiel. Johannes Paul II. neuer besser gewesen sei, während andere den Fortschritt formulierte diese Absolution auf dem Wissen dessen, was des letzten Halbjahrhunderts anerkennen und glauben, das Zweite Vatikanische Konzil am 28. Oktober 1965 er- dass fast das Optimum annähernd erreicht wurde. In je- klärt hatte: nem Sinn hat selbst der ebenso kritische wie sensitive Rab- »Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern bi M. H. Tanenbaum schon im Oktober 1979 anerkannt, auf den Tod Christi gedrungen hatten, kann man doch dass die Textänderungen für 1980 »zum Teil unseren Be- die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden anstandungen entsprechen« und er konzedierte, dass der Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last »überarbeitete Text seine bedeutenden Verbesserungen legen. Gewiss ist die Kirche das neue Volk Gottes, trotz- gegenüber früheren Fassungen« enthalte. (Zitiert in Muss- dem darf man die Juden nicht als von Gott verworfen oder ners Buch von 1980, Seiten 162 und 180/181). verflucht darstellen, als wäre dies aus der Heiligen Schrift Die Crux ist und bleibt, ob die anti-jüdischen Tendenzen zu folgern.« la der Evangelien Markus und Matthäus getilgt werden kön- Diese spät errungenen Einsichten sind von Rom über Bi- nen. schöfe zu Pfarrern, z. B. dem Geistlichen Rat Josef Forst- Die überwältigende Mehrheit der Oberammergauer hat mayer nicht gelangt und haben damit (unheilige) Tradi- den Vorwurf des »Antisemitismus« nie begriffen und stets tionen fundamental gewandelt: solche Einsichten hätten gutgläubig erwidert, dass sie nur das Neue Testament dra- den Kreuzzügen ein anderes Gesicht gegeben. Der Pater matisierten. Dr. Stephan Schaller OSB vom benachbarten Kloster Et- Eines haben (gläubige) Juden und (gläubige) Oberammer- tal schrieb bereits 1980 aufatmend und befreit: »Nie wie- gauer gemeinsam: ihren Konservatismus, der das Juden- der, Verfluchte Synagoge 42, und der damalige Münchner tum an die zwei Jahrtausende lebendig erhielt und der die Kardinalerzbischof Professor Dr. Joseph Ratzinger sah Oberammergauer in diesem Jahr 350 des auf einem Ge- dazu, dass Oberammergau die Stimme des Vaticanums lübde von 1634 beruhenden Passionsspiels dankbar feiern vernahm und verwirklichte. Jetzt ist er bekanntlich Prä- lässt. fekt der Glaubenskongregation der Kurie in Rom. Er Ein kluger Freund, der ein begeisterter Freund von »Ana- wird vom Münchner Katholikentag im Juli sicher den tevka« ist, wies mich darauf hin, mit welchem Nachdruck Weg zu einer der 99 Aufführungen in Oberammergau fin- der durch Shmuel Rodenski so herrlich porträtierte den . »Held« immer wieder »Tradition — Tradition« hervorhebt. Am 5. Mai 1983, kurz nach der Romreise der Oberam- Bei den Oberammergauer Gemeindewahlen im März mergauer, trafen sich in München Vertreter der Gemein- 1984 gab es zehn Wahlvorschläge, von denen zwei »Tra- de mit der für Fragen des Judentums zuständigen Ökume- dition« im Kennwort hatten. In Bayern gehen bekanntlich ne-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz — Prä- die Uhren anders als anderswo: In dieser Hinsicht waren lat Josef G. Ziegler, Weihbischof Karl Flügel, Professor die Oberammergauer bisher doppelt »anders« als andere Franz Mussner und als Bischofsvertreter Weihbischof und doppelt »konservativ«. Deswegen ist der Vergleich Schwarzenböck; sie billigten einstimmig das für 1984 vor- mit dem Konservativismus des Tewje in »Anatevka« sinn- liegende — eben jetzt erst im Druck erschienene — Text- voll und erhellend. Der Lernprozess ist im Passions- buch, das gegenüber dem Text von 1980 neue verbessern- spieldorf doppelt behutsam, jedoch nicht entmutigend de Veränderungen enthält. für denjenigen, der seit 1950 mit dem Problem befasst Im Prolog lesen und hören Wir: ist. »Wir heissen Euch hoffen« mahnt ein verjüngtes Oberam- »Gegrüsst seid auch ihr, Brüder und Schwestern des Volkes, mergau, und gerade der sturmerprobte Spielleiter Hans Maier sen. betonte mir gegenüber überzeugend, wie aus dem der Erlöser hervorging. 4700 Mitbürgern Gefühle des Hasses seien, Fern sei jedes Bemühn, die Schuld bei andern zu fremd seinen die sie durch Liebe und Versöhnung zu ersetzen bestrebt suchen; sind. Die Oberammergauer wussten jahrhundertelang nur jeder erkenne sich selbst über »Ökonomie« Bescheid; die jüngeren, an ihrer Spitze als schuldig an diesem Geschehn.« Bürgermeister Klement Fendt, können sich genauso sach- Töne, undenkbar noch 1950, 1960 oder 1970! kundig über »Ökologie« äussern. Tradition und Fort- schritt, selbst in Oberammergau Anno 1984. lila »Nostra aetate« Nr. 4 in: FrRu XVIII/1966, S. 28 f. s. o. S. 104, Anm. 2. Hans Lamm, München

108 III Von Jerusalem nach Jerusalem die amerikanische Öffentlichkeit, und das will berück- sichtigt werden. Besuch in Oberammergau Frau Neumüller berichtet mir, dass Besucher aus Israel Von Schalom Ben-Chorin, Jerusalem" sich keineswegs so kritisch und sensibel verhalten wie amerikanische Juden. Das erklärt sich meiner Ansicht Vor fünfzig Jahren, als ich noch ein Schüler des Münch- nach daraus, dass der amerikanische Jude als Mitglied ei- ner Theaterprofessors Arthur Kutscher war, bildete sich ner Minderheit sehr genau darauf achtet, wie ein derarti- in seinem Seminar eine Kabarettistische Bühne, deren füh- ges Spiel auf den christlichen Nachbarn wirken könnte. render Geist Helmut Käutner war, der ein vielgesungenes Man fürchtet, dass hier schlafende Hunde geweckt wer- Liedchen dichtete: den, ein latenter Antisemitismus quasi religiösen Auftrieb Die ganze Welt ist eine Einbahnstrasse, erleben könnte. Der Israeli hingegen hat diese Galut- Die führt zu einem kleinen Nest. Mentalität des Diaspora-Juden nicht. Er ist nicht auf das Das lebt in ungeheurem Masse Wohlwollen eines christlichen Nachbarn angewiesen, den Seit 1634 von der Pest. es meistens gar nicht gibt. You must go Diesen Gesichtspunkt brachte ich auch in der Fernseh- To Oberammergau sendung des Bayerischen Rundfunks zum Ausdruck, die To see the Passion Play. der Anlass meines Besuches war: der Reise von Jerusalem, Judas mit dem roten Bart, meinem Wohnort seit fast einem halben Jahrhundert, in Magdalena blond behaart, das Traum-Jerusalem der Festspielbühne von Oberam- Es kräht der Hahn, der Dollar rollt, mergau. Der liebe Gott hat's so gewollt. Verfängliche Frage Let us go Besonders angeregt war die Unterhaltung mit Spielleiter To Oberammergau. Hans Maier. Ich stellte ihm die verfängliche Frage: »Wel- Ein halbes Jahrhundert später konnte ich diesen kategori- che Art Brot benutzen sie beim Letzten Abendmahl?« schen Imperativ erfüllen. Mitte September 1984 sah ich In gutem Bayrisch antwortete er: »Ja, da nehmen wir ein das Oberammergauer Passionsspiel, anlässlich des 350. ganz einfaches Schwarzbrot . . .« Jubiläumsjahres 1984. Gerade das sollte er nicht tun, denn es war natürlich das Neubearbeitung ungesäuerte Brot der Mazza, das Jesus mit den Seinen Dem diesjährigen Spiel liegt eine Neubearbeitung durch beim letzten Passahmahle brach. die Gemeinde Oberammergau 1984 zugrunde, die sich Die realistische Frau Neumüller wies darauf hin, dass man wesentlich von der Fassung von 1960 unterscheidet, vor Mazze in jedem Supermarkt bekomme und sie gerne »ko- allem was gewisse antijüdische Affekte anlangt. schere Gäste« damit bewirte. Das kommt schon in dem neuen Prolog zum Ausdruck, in Jüdisches Brauchtum ist in Oberammergau naturgemäss welchem es heisst: weithin unbekannt. Es gab nur, vor 1938, einen jüdischen »Gegrüsst seid auch ihr, Brüder und Schwestern des Vol- Bürger, auch er hiess Maier, in Oberammergau. Nach kes, aus dem der Erlöser hervorging. Fern sei jedes Be- 1945 kam er wieder zu Besuch, aber ob er nun praktische mühn, die Schuld bei andern zu suchen; jeder erkenne Judentumskunde vermitteln konnte, bleibe dahingestellt. sich selbst als schuldig in diesem Geschehn.« 1 Weder Jesus noch die Jünger tragen eine Kopfbedeckung, Im Prolog von 1960 war davon noch nicht die Rede, auch obwohl die Barhäuptigkeit zur Zeit Jesu als ein Zeichen schrie dort das unschuldig vergossene Blut Jesu noch um des Leichtsinns galt. Vor allem aber fehlen beim Passah- Rache; heute schreit es zum Himmel. mahl jene Polster, die vorgeschrieben waren und in Mk Hinter diesen Revisionen stehen zwei ganz verschiedene 14, 15 und Lk 22, 12 ausdrücklich erwähnt werden. Elemente: Innerkatholisch — die Beschlüsse des Zweiten Unerfindlich Vatikanums in bezug auf das Judentum, die eine Wende Unerfindlich bleibt es, warum die Hohepriester (eigent- um 180 Grad darstellen. 2 lich gab es ja immer nur einen) gewaltige Hörner auf dem Amerikanisch-jüdisch: starke Proteste des American Je- Kopfe haben. Niemand konnte mir das erklären, auch wish Committee und der Anti-Defamation League des nicht der gelehrte Pater Dr. Stephan Schaller OSB von Ordens B'nai B'rith. 3 der benachbarten Abtei Ettal, der beste Kenner deutscher Amerikanisch jüdische Proteste ernst genommen Passionsspiele. Sollen die Hörner die Macht oder doch das teuflische Bei einem gemeinsamen Mittagessen (nach den ersten drei Element symbolisieren? Die Frage bleibt offen. Stunden des Passionsspiels in regnerischer Septemberküh- Ich habe keinen antisemitischen Affekt in dem Spiel fest- le) mit dem jungen dynamischen Bürgermeister von Ober- stellen können. Nur eine Szene scheint mir unter diesen ammergau, dem Spielleiter Hans Maier, und der Presse- Gesichtspunkten problematisch. Im Spiel wird Jesu zu- sprecherin der Passionsspiele, Frau Neumüller, wurde es nächst von der jüdischen Tempelwache, den Knechten mir klar, dass die amerikanisch-jüdischen Proteste von des Hohepriesters, verhöhnt, während es im Neuen Testa- den Oberammergauern sehr ernst genommen werden. ment ausschliesslich die römische Soldateska ist (vgl. Mt Oberammergau ist ja ein amerikanisches Wallfahrtsziel 27, 27 - 30; Mk 15, 16-18; Joh 19, 1-5). geworden. Alle Aufschriften in diesem oberbayerischen Gebirgsdorf sind zweisprachig, deutsch und englisch. Mohrenwäsche des Pilatus Amerikanisch-jüdische Organisationen haben Einfluss auf Diese Umstellung hängt mit der Mohrenwäsche des Pila- tus zusammen, der hier als vergewaltigter Edelmann er- " Wir bringen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung von Schalom Ben-Chorin (erschienen auch in: »Israel Nachrichten«, scheint, der wider seinen Willen den jüdischen Hetzern Nr. 3367, Tel Aviv, 5. 10. 1984). erliegt. Bedenkt man aber, dass die Grausamkeit des Pila- 1 vgl. o. S. 108: Prolog sowie dazu: Johannes Paul II.: Hinweis tus bereits im Neuen Testament angedeutet wird, durch auf »Nostra aetate«, Nr. 4. die auf seinen Befehl erfolgte Niedermachung galiläischer 2 s. o. S. 103. 3 ebd.: diese Proteste. . Festpilger (Lk 13, 1), so wird man sich der tendenziösen (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu) Darstellung bewusst. Das entsprach dem Geschmacke

109 Adolf Hitlers, der 1934 die Festspiele besuchte und zu be- bel, dem christlichen Alten Testament, erlebt wird. Diese merken hatte, dass Pilatus als der edle Arier den jüdischen lebenden Bilder sind besonders schön, erinnern an Dore Untermenschen gegenübergestellt werde. Wozu er dann und Schnorr von Karolsfeld. den Juden Jesus rechnete, konnte ich nicht erfahren. Echte Volkskunst Das Spiel ist nicht nur ein christliches, es ist ein katholi- sches, trotzdem nimmt neuerdings auch der evangelische Oberammergau bietet echte Volkskunst. Manchem Kriti- Ortspfarrer am Festspielkomitee teil. Das Katholische ker ist es heute bereits zuwenig Volk und noch nicht ge- zeigt sich vor allem in der ganz unbiblischen Sicht Ma- nügend Kunst. Ich schliesse mich diesem Urteil nicht an. riens. Im Neuen Testament ist das gespannte Verhältnis Sicher kann man Oberammergau nicht mit Salzburg ver- Jesu zu seiner Mutter unverkennbar: »Weib, was habe ich gleichen, aber die Intention ist eine andere. Vor 350 Jah- mit dir zu schaffen?« (Joh 2, 4). ren haben die Oberammergauer nach der Errettung von Hier aber, auf der katholischen Festspielbühne von Ober- der Pest diese Spiele als Zeichen des Dankes und der Be- ammergau, ist die liebliche Madonna (sie darf anachroni- sinnung gelobt — und sie haben ihr Wort gehalten. Die stischerweise nie älter als 35 Jahre sein) Jesu Herzensmüt- Frage, ob man die Heilsgeschichte auf die Bühne bringen terchen, in .deren Schoss, nach dem Vorbild der Pietä- kann, ohne dass der Teufel durch die Pforte des Kitschs Darstellungen kirchlicher Kunst, der tote Christus ruht. hereinschlüpft (das tat er auch in Lourdes, wie schon Diese Szene bildet sogar das Umschlagfoto des prachtvol- Huismans, der Zeitgenosse Zolas, bemerkte), haben sich len Bildbandes, den mir der Bürgermeister und der Spiel- die Oberammergauer nie gestellt. Deshalb wollen auch leiter in der Mittagspause mit freundlicher Widmung wir sie nicht stellen. Eine junge Historikerin stellt die Fra- überreichten. ge, ob die Oberammergauer auch ohne einen Zuschauer In dieser Pause w-ar auch ein Gang hinter die Bühne mög- spielen würden? Die Frage ist müssig, denn die Spiele sind lich, wobei mir in der Garderobe Christi auffiel, dass sie ausverkauft — und das spricht für die Aktualität des nie nicht nach seinem Wort: »Wenn du zwei Röcke hast, gib veraltenden Geschehens, das hier szenisch gestaltet wird. einen den Armen hin« gestaltet wird; die Kostüme sind in doppelter Grösse vorhanden, da die Rollen zweifach be- setzt werden müssen. 10 I Wie sehen wir einander: Judentum, Christentum, Islam? Aussergewöhnlicher Elfolg Das Spiel ist ein aussergewöhnlicher Erfolg. Die Festspiel- Bericht über das dritte religionswissenschaftliche halle fasst nahezu genauso viele Plätze, wie Oberammer- Symposion der 'drei Weltreligionen in der gau Einwohner hat. 4700 Personen folgen durchschnitt- Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung lich Freitag, Samstag, Sonntag, Montag und Mittwoch Donaueschingen vom 12. bis 15. Januar 1982 den Passionsspielen, die von Ende Mai bis Ende Septem- ber (bei jeder Witterung) durchgeführt werden . . . und Auch dieses 3. Symposion stand unter der Leitung des Di- dies seit 350 Jahren. Die Zuschauer sitzen zwar unter dem rektors der Akademie, Professor Lothar Mattheiss tt. Über Dach der Festspielhalle, aber die Freilichtbühne ist dem die Veranstaltung hatte, wie schon über die beiden vor- Wechsel der Witterung ausgesetzt. aufgegangenen von 19782 und 1979' das Ministerium für Ich habe gefroren, und wie die Jünger in Gethsemane bin Kultus und Sport Baden-Württemberg das Protektorat ich auch zuweilen eingenickt, denn »der Geist ist -willig, übernommen und ihre Bedeutung durch die Teilnahme doch das Fleisch ist schwach«. seiner Referentin, Frau Regierungsdirektorin Kaschuba, Trotz aller Überarbeitungen bleibt der dramatische Text, unterstrichen. — Der Mitträger des Symposions war der insbesondere in den gereimten Teilen, recht fragwürdig. Internationale Studienkreis Baden-Wüttemberg (ISK) un- Das dialogische Element kommt zu kurz. Es ist eine An- ter Leitung von Dr. E Bran, Calw. einanderreihung von Monologen, die in larmoyanter Pa- Referenten und Vertreter der beiden christlichen Konfessionen, thetik rezitiert werden. Professor A. Wasserstein von der Hochschule für jüdische Stu- dien in Heidelberg, Professor Peter Fiedler, der gemeinsam mit Am schönsten ist die Musik. Sie stammt aus dem Jahre Professor Dr. G. Biemer das Forschungsprojekt »Judentum im 1810 und wurde vom Dorfschullehrer Rochus Dedler katholischen Religionsunterricht« am Seminar für Pädagogik komponiert und 1950 von Professor Eugen Papst bearbei- und Katechetik der Universität Freiburg leitete, sowie der Imam tet. von Hamburg, Herr Razvi, und eine Anzahl im südlichen Baden- Württemberg ansässiger Muslime setzten sich in den drei Tagen Debatte im Fernsehen mit einer Reihe von Problemen auseinander, die das Zusammen- Zwei Tage nach dem Besuch in Oberammergau fand die leben von Angehörigen der drei Weltreligionen auf dem Boden der Bundesrepublik und Baden-Württemberg mit sich bringt. Die Debatte im Bayerischen Fernsehen statt. Die katholische Probleme konnten freilich nur anskizziert, keineswegs geklärt Seite wurde von Pater Dr. Stephan Schaller OSB und werden. Prof. J. G. Ziegler von der Universität Mainz vertreten, War in den voraufgegangenen Symposien die gegenseitige die jüdische Seite durch den Historiker Prof. Michael Kenntnisnahme in mehr theoretisch-wissenschaftlicher Wolffsohn und mich, den Gast aus Jerusalem. Geleitet Weise erfolgt, indem man das gemeinsame Erbe des Glau- wurde dieser christlich-jüdische Dialog um Oberammer- bens von Abraham heraushob, oder sich mit dem zentra- gau von dem Moderator Fink vom Bayerischen Rund- len Thema der Tora (Gesetz-Weisung) in der Bibel und funk. Vieles klärte sich im Dialog, noch mehr bleibt weite- im Koran beschäftigte, so hat man auf der dritten Tagung ren Auseinandersetzungen offen. untersucht, welches das Erscheinungsbild ist, das Chri- Wolffsohn sagte es deutlich: Das Image von Oberammer- sten, Juden und Muslime sich gegenseitig bieten, m. a. W. gau ist problematischer als die Realität. Die Oberammer- was vorgeht, wenn die nach Hunderttausenden zählenden gauer sind viel besser als ihr Ruf. Sie erwiesen sich als ausländischen Mitbürger ihre in der Religion und Kultur Menschen guten Willens. In den lebenden Bildern des andersartigen inländischen Mitbürger erleben und umge- Spiels werden stets alttestamentliche Präfigurationen des kehrt. Insbesondere war die Lebensweise in freiheitlich- Passionsgeschehens gezeigt — etwa beim Verrat des Judas, der Verkauf Josephs durch seine Brüder; beim Gang nach 1 s. u. S. 118. 2 s. XXX/1978, S. 138-152. Golgatha, der Weg Isaaks nach Moria usw. —, so dass die 3 S. U. S. 116. enge Rückverbindung zum Tenach, zur hebräischen Bi- 4 s. ebd. XXX/1978, S. 3-8, S. 15.

110 demokratischer Gesinnung und das Leben nach Grundsät- sprechen will. Vielmehr geht es mir um etwas ganz ande- zen der Verfassung unseres Bundeslandes und unserer res : Es geht mir um Gottes Wort, durch das Er sich Sei- Bundesrepublik überhaupt ins Gespräch zu bringen, und nem Volke und der Menschheit offenbart und durch das ganz konkret war zu fragen, wie solches Gedankengut Er Seinen Willen und Sein Wesen kundgetan hat. Dieses und solche Grundwerte den nichtdeutschen bzw. nicht- Wort Gottes, diese Worte Gottes sind in der Bibel nieder- christlichen Schülern vermittelt werden, obgleich für diese geschrieben, so wie sie offenbart wurden. Und so, wie sie die Grundsätze an unseren Schulen und in unseren Städ- niedergeschrieben sind, haben sie für immer Anspruch auf ten und Dörfern schon längst mehr oder weniger prak- Gültigkeit. tisch in Übung sind oder sein sollten. Die Bibel, in deren Worten sich das Wesen und der Wille Von vornherein war das Ziel des Symposions dahin ge- Gottes offenbart, ist aber in menschlicher Sprache ge- steckt, zu Einsichten und Ergebnissen zu kommen, die in schrieben. In menschlicher Sprache : das heisst auch, in ei- den Religionsunterricht, den Ethikunterricht und den Un- ner Sprache, deren Ausdrucksmöglichkeiten und deren terricht der übrigen tangierten Fächer an der Staatsschule Verständlichkeit genau so beschränkt sind wie das zu übernehmen sind. menschliche Auffassungsvermögen, das menschliche Wis- Es versteht sich von selbst, dass zu einer derart aufgefä- sen, die menschliche Vernunft. Daher bedarf die Bibel der cherten Fragestellung eine Vielzahl von Arbeiten gehört, Erklärung, hinter der dieselbe Autorität steht, auf die das u. a. Milieu-Studien, Untersuchungen und Analysen, geschriebene Wort sich beruft. Es ist eine der Grundlagen grundsätzlichere Beiträge im engen und weiteren An- des jüdischen Glaubens, so wie wir ihn von unseren Vor- schluss an die Tagungsthematik, insbesondere aber der fahren überliefert bekommen haben, dass zusammen mit Austausch von Experten-Meinungen. Nachfolgend sind der geschriebenen Lehre, der Thora, zusammen mit dem die auf zwei Feldern angesiedelten Beiträge, d. h. Aussa- Gesetz, wie die Christen das hebräische Wort Thora gen zur Lehre (Theorie) und Aussagen zum Theorie-Pra- (Lehre, Weisung) übersetzen, auch eine »mündliche« mit- xis-Bezug abgedruckt bzw. zusammengefasst. offenbart wurde, und dass diese, zusammen mit der ge- Es handelt sich um die Beiträge von Prof. Dr. Wasserstein, schriebenen Thora, vom Berge Sinai her, in einer unge- Heidelberg, von Imam Razvi, Hamburg und von Direk- brochenen Traditionskette, die mit Moses beginnt, durch tor G. Martin, Pädagogisch-Theologisches Zentrum der die Kontinuität aller Generationen Israels bis zu den Evangelischen Landeskirche Württemberg. Schriftgelehrten der zwei oder drei Jahrhunderte vor der Die Einleitung zum jeweiligen Beitrag unternimmt es, ihn christlichen Zeitrechnung und bis ins dritte Jahrhundert entsprechend der Tagungsplanung einzuordnen. nach Christus überliefert wurde, von Moses an Josua, von Ein weiterer Beitrag sichert das Ergebnis einer Gesprächs- Josua an die Ältesten und so weiter bis zu den Schriftge- runde und eines Meinungsaustausches, das sich im An- lehrten, die wir unsere Weisen nennen, die Chachamim. schluss an einen vorangestellten thematischen Beitrag Es ist hier übrigens interessant, dass in der Traditionsge- oder überhaupt aus der Gesamtproblematik des Ge- schichte der »mündlichen Lehre« die Priester als solche sprächs unter Vertretern der drei Weltreligionen ergab. nicht erwähnt werden. (Mischna Aboth 1, 1.) Protokollant war Studienleiter Kurt Bätz vom Religions- Diese Traditionsgeschichte, die im Talmud und über- pädagogischen Institut der Evangelischen Landeskirche in haupt in der rabbinischen Literatur enthalten ist, kann Baden. Dr. Alwin Renker, Freiburg man die Gründungsurkunde des rabbinischen, also des ganzen heute bestehenden Judentums nennen. Auf sie Vorbemerkung zum Beitrag von Prof. Wasserstein stützt sich der Autoritätsanspruch der Rabbinen innerhalb In einem Dialog zwischen Juden und Christen erscheint des Judentums, von ihr hängt auch das Überleben des Ju- grundsätzliche Übereinstimmung möglich über den ge- dentums als einer offenbarten Religion ab. schichtlichen Charakter der Offenbarung, worunter das Die offenbarte Bibel bedarf nämlich der Auslegung, und Wort Gottes in Schrift und Tradition verstanden ist. zwar der befugten, qualifizierten, autorisierten Auslegung Das Thema »Das Wort Gottes in der rabbinischen Tradi- durch jene, die nicht nur den Auftrag dazu erhalten ha- tion«, das Prof Dr. A. Wasserstein behandelt, zeigt einen ben, sondern auch die Belehrung, d. h. durch jene, die die erstaunlich dynamischen Offenbarungsbegriff; vor allem Grundsätze der Bibelauslegung und des Bibelstudiums in wird die Frage beantwortet, wer nun — nach christlichem einer ungebrochenen Tradition von altersher empfangen Verständnis — die Lehrautorität in der rabbinischen Tradi- haben. tion und damit die letzte Verbindlichkeit der Aussage dar- Das Magisterium der Rabbinen, die Lehrfähigkeit und die stellt. Den muslimischen Gesprächsteilnehmer dürfte diese Lehrbefugnis der Rabbinen, ist uns Juden dogmatisch ge- Lösung des Problems, wie Rechtgläubigkeit bewahrt und nau so wichtig und grundlegend wie das Magisterium der gleichzeitig den geschichtlich sich ändernden Verhältnis- Kirche für die Christen. sen Rechnung getragen wird, als Problemanzeige ihre vol- Um diese Autorität der Rabbinen zu gründen und zu be- le Aufmerksamkeit abverlangen und sie einladen, ihre ei- gründen, zu bekräftigen, zu erhalten und zu bekunden, genen Theorien der Anpassung der Autorität des Korans hat man schon im Altertum zu den stärksten Mitteln ge- (etwa an die modernen Verhältnisse einer westlichen Zivi- griffen, sowohl in der theologischen Propaganda wie auch lisation) zu überdenken. in der Rechtsprechung. Zum Standort der Ausführungen von Prof. Wasserstein Ich wies oben darauf hin, dass in der niedergeschriebenen innerhalb der Gesamtthematik des Symposions ist zu sa- Traditionsgeschichte der jüdischen Lehre die Priester, als gen, dass sie die Entwicklungsfähigkeit und die Notwen- solche, nicht erwähnt werden. Die Rabbinen gehen aber digkeit biblischen wie christlichen Weltverständnisses dar- noch viel weiter. So lesen wir im Talmud z. B. den Satz tun, ihnen somit grundlegende Bedeutung zukommt. Chacham adif mi-navi, DER WEISE HAT VORRANG VOR DEM PROPHETEN (B.B. 12 b). Oder in einem Prof. A. Wasserstein, Heidelberg/Jerusalem: anderen Text lesen wir, dass ein Mamser, ein in Blutschan- Das Wort Gottes in der rabbinischen Tradition de Geborener, d. h. ein sozial sehr niedrigstehender Das Wort Gottes wird in der jüdischen wie auch in der Mensch, der ohne Platz in der Gesellschaft ist, wenn er christlichen Tradition als mit schöpferischer Kraft begabt ein Weiser ist, Vorrang hat sogar vor dem Hohenpriester, betrachtet. Gott sprach, und die Welt wurde. Es ist aber wenn dieser nicht ein Weiser ist (Horajot 13a). In einem nicht über das Wort Gottes in diesem Sinne, dass ich hier anderen Zusammenhang, nämlich wenn man sich nur den

111 radikal zugespitzten Stil dieser Formulierungen anschaut, Himmel, sie ist uns Menschen gegeben, und wir haben würde man von stoisch gefärbten Paradoxen sprechen. jetzt, in eigener Verantwortung, nach Regeln natürlich, Was uns hier aber interessiert, ist der Autoritätsanspruch und nach der Autorität der Tradition, und kraft des rabbi- der Weisen, der Schriftgelehrten, der sich hier ausdrückt. nischen Magisteriums, zu entscheiden. Wenn Gott hier in Dieser Anspruch wird immer wieder in verschiedenster dieser Aggada als lächelnd dargestellt wird über das, was Form betont. So zum Beispiel: Die Worte der Ältesten Er da von Erden her aus dem Munde der Rabbinen zu hö- (hier eine andere Bezeichnung für die Schriftgelehrten) ren bekommt, so ist das nicht nur eine naiv erbauliche Ge- sind schwerwiegender als die Worte der Propheten (P.T. schichte, sondern eine Bestätigung des rabbinischen Magi- Berakhot 1.5). steriums. Wenn Gott dort zitiert wird: »meine Kinder ha- Und: »Die Worte der Schriftgelehrten sind wichtiger ben mich besiegt«, so bedeutet das die Anerkennung (oder (eigentlich >lieben) als die Worte der Thora selbst« besser: den Anspruch auf Anerkennung) der Autorität der (Midrasch Rabba z. Psalmen cap. I.). Rabbinen zur Auslegung der Lehre und zur Festsetzung Hier ist eine etwas längere Stelle, die ich Ihnen vorlesen und Weiterentwicklung (!) des Gesetzes. Nichts nämlich möchte. Es handelt sich da um eine für uns hier an sich ist dem traditionellen, gesetzestreuen, uns seit der Zeit der nicht wichtige, nur rituelle Frage von Reinheit und Un- Pharisäer von unseren Vätern überlieferten Judentum reinheit. In der Diskussion stellte es sich heraus, dass die fremder als versteinertes Festhalten an alten Formen. Was Weisen geteilter Meinung waren. Einer von ihnen, R. dem Juden heilig ist, ist das offenbarte Wort Gottes. Elieser b. Hyrkanos, urteilte, dass ein gewisser Backofen Ebenso heilig aber ist ihm der offenbarte Auftrag Gottes, nicht rituell verunreinigungsfähig sei, die anderen Rabbi- dieses Wort, dieses unveränderliche Wort, die Heilige nen aber waren entgegengesetzter Meinung. Und jetzt Schrift in jeder Generation den Umständen gemäss, dem möchte ich Ihnen den Text vorlesen (Übers. v. L. Gold- gewachsenen Verständnis gemäss, der immer wachsenden schmidt mit kleinen unwesentlichen Ändertzngen): Gotteserkenntnis gemäss, der immer sich neu entfaltenden »Es wird gelehrt: An jenem Tage machte R. Elieser alle Offenbarung gemäss, neu, mit grösserer Sicherheit, mit Einwendungen (zur Verteidigung der von ihm vertretenen grösserem Vertrauen, auch Selbstvertrauen, der zum Leh- Ansicht) der Welt, man nahm sie aber von ihm nicht an. ren Befugten, zu erklären, auszulegen und unserem Ver- Hierauf sprach er: Wenn die Halakha (Gesetzesentschei- ständnis näherzubringen. dung) wie ich ist, so mag dies dieser Baum beweisen! Da Diesen Auftrag haben unsere Rabbinen von Generation rückte der Baum hundert Ellen von seinem Orte fort. Die zu Generation, ohne Unterbrechung, weitergegeben. In anderen Weisen aber erwiderten: Man bringt keinen Be- dieser Kontinuität der Tradition zeichnet sich eine gewis- weis von einem Baume. Hierauf sprach er: Wenn die Ha- se Ähnlichkeit ab mit dem Magistertum der Kirche, das lakha wie ich ist, so mag dies dieser Wasserarm beweisen! sich ja auch auf die Kontinuität der apostolischen Nach- Da trat der Wasserarm zurück. Sie aber erwiderten: Man folge stützt. Nur darf man hier einen wichtigen Unter- bringt keinen Beweis von einem Wasserarme. Hierauf schied nicht vergessen: die Kontinuität der apostolischen sprach er: Wenn die Halakha wie ich ist, so mögen dies Nachfolge in der Kirche sichert für den Christen die die Wände des Lehrhauses beweisen! Da neigten sich die Reinheit und Gültigkeit der von der Kirche gelehrten Wände des Lehrhauses und drohten einzustürzen. Da Doktrin — ebenso aber auch die Gültigkeit der Sakramen- schrie sie Rabbi Joschua an und sprach zu ihnen: Wenn te. Dies ist bei uns Juden anders : bei uns hatten die Rabbi- die Gelehrten einander in der Halakha bekämpfen, was nen im Altertum und haben die Rabbiner bis heute keine geht dies euch an! Sie stürzten hierauf nicht ein, wegen sakramentale Funktion. Sie habe eine Aufgabe: die Lehre, der Ehre Rabbi Joschuas, und richteten sich auch nicht d. h. die Auslegung des Wortes Gottes. Ein jüdischer gerade auf, wegen der Ehre Rabbi Eliesers; sie stehen Schriftgelehrter des Altertums hat von der unbedingten, jetzt noch geneigt. Hierauf sprach er: Wenn die Halakha verbindlichen Notwendigkeit dieser Auslegung der ge- wie ich ist, so möge dies der Himmel beweisen! Da er- schriebenen Lehre gewusst, und dieses Wissen hat er, in et- scholl eine Stimme aus dem Himmel und sprach: Was was polemischer Weise, so formuliert: Der Buchstabe tö- habt Ihr gegen R. Elieser; die Halakha ist stets wie er. Da tet, der Geist macht lebendig (2 Kor 3, 6). Dieser jüdische stand R. Joschua auf und sprach: Sie ist nicht im Himmel Schriftgelehrte, Paul von Tarsus, hat den Satz, den ich (nämlich die Thora; siehe Deut 30, 12) — Was heisst das: gerade zitiert habe, etwas anders gemeint, als die Phari- sie ist nicht im Himmel? R. Jirmeja erwiderte: Die Thora säer seiner Zeit, die geistigen Vorfahren des überlieferten ist bereits vom Berge Sinai her verliehen worden (und das Judentums. Aber: so wie der Satz formuliert ist, hätte er heisst, sie ist nicht mehr im Himmel). Wir achten nicht auf von jedem, von irgendeinem Pharisäer auch formuliert die Himmelsstimme, denn bereits hast du am Berge Sinai werden können — und das war auch der Fall: denn Paul in die Thora geschrieben: nach der Mehrheit zu entschei- war ja selbst ein Pharisäer und Schüler eines phari- den (Ex 23, 2). R. Nathan traf den Propheten Elija und säischen Schriftgelehrten, und er verstand daher sehr gut, fragte ihn, was Gott in dieser Stunde tat. Dieser erwider- seiner Ausbildung nach, und den ihm von seinen phari- te: Er schmunzelte und sprach: Meine Kinder haben mich säischen Lehrern überlieferten Lehrgehalten nach, dass besiegt, meine Kinder haben mich besiegt (B.M. 59b)«. das geschriebene Wort Gottes der Auslegung bedarf, Nun lesen Sie in Ex 23, 2 nach, was da wirklich steht. berufener, befugter Auslegung bedarf und dass es ohne Was dort wirklich steht, ist dem Sinne nach ganz klar, diese Auslegung unfruchtbar bleibt, anstatt Leben zu und zwar, dass man nicht der Menge nachgehen soll, spenden. nämlich im Abweichen vom rechten Wege. Die Worte aber, »der Menge nachgehen«, »nach der Mehrheit ent- Vorbemerkung zum Beitrag von Imam Razvi scheiden«, acharei rabim lehatot, kommen da vor, und sie Nach dem gewöhnlichen Verständnis, wie es im westeu- werden hier, unter anderem, zum Anlass genommen, um ropäischen Kulturraum anzutreffen ist, gilt die Lehre des das Majoritätsprinzip in der Rechtsprechung zu begrün- Koran (Qur'an) als fundamentalistisch, d. h. zu keiner den. Wichtiger aber, und interessanter sogar, als dieser Entwicklung und Anpassung an moderne Gegebenheiten souveräne Umgang mit dem Text der Bibel, und von hi- fähig. Es muss daher als besondere Schwierigkeit in einem storisch-geistesgeschichtlich grösster Bedeutung, ist der Dialog zwischen Juden und Christen auf der einen Seite Autoritätsanspruch, der Souveränitätsanspruch der Rabbi- und Muslimen auf der anderen Seite gelten, sich über die- nen, der sich hier ausdrückt. Die Thora ist nicht mehr im se echte oder vermeintliche Starrheit in den Auffassungen

112 über das Wort Gottes auszutauschen bzw. eine eventuelle »Er hat euch als Religion verordnet, was er seinerzeit dem Verständigungsbasis zu finden. Noah anbefohlen hat und was wir (nun mehr) dir (als Of- Es ist denkbar, dass man sich möglicherweise unter christ- fenbarung) eingegeben und was wir (vor dir) dem Abra- lichen und jüdischen Theologen einerseits und Koran-Ge- ham, Moses und Jesus anempfohlen haben (mit der Auf- lehrten und gebildeten Muslimen andererseits verständi- forderung) : Haltet die (Vorschriften der) Religion, und gen kann. Der in der Bundesrepublik Deutschland leben- teilt euch nicht (in verschiedene Gruppen) !« de fromme, einfache Moslem wird seinen Glauben in der Aus diesem Vers lernen wir, dass alle Propheten Gottes ihm fremden Arbeitswelt und in der fremden religiösen dieselbe Religion gelehrt haben und alle Offenbarungen Umgebung gerade durch besondere Treue und Anhäng- dieselben Worte, Ideale, ethische und moralische Vor- lichkeit an die überkommenen Traditionen und Formen schriften, dasselbe universale Gesetz vermittelt haben. Da- bewahren wollen. Der Unterschied zwischen der Genera- her finden wir, dass wenn im Heiligen Qur'an von der tion, die ins Gastland einwanderte, und der Generation Thora und dem Evangelium geredet wird, die identischen der hier Geborenen bedeutet eine weitere erhebliche Ver- Worte und Formulierungen benutzt werden, um die We- schärfung der Problematik, da der Jugend das stützende sensgleichheit der drei Offenbarungen darzustellen, z. B. selbstverständliche Beispiel in einer anerkennenden Öf- in Sure 5:44 wird über die Thora gesprochen: fentlichkeit fehlt und sie unsicher wird. »Wir hatten die Thora hinabgesandt, in der Führung und Imam Razvi aus Hamburg eröffnet mit seiner klaren und Licht war. Damit haben die Propheten, die gehorsam prägnanten Beschreibung, auf welche Weise das Wort (Muslim) waren, den Juden Recht gesprochen, und so Gottes im Islam gilt, den Problemhorizont und zeigt auch auch die Rabbinen und die Gelehrten, denn ihnen wurde zum Schluss, welchen Stellenwert primäre und sekundäre aufgetragen, das Buch Allahs zu bewahren, und sie waren Erkenntnisquellen bei der Auslegung des Koran haben. ihre Hüter . . .« und dann über das Evangelium in Vers 46: Imam Razvi, Hamburg: »Und wir liessen Jesus, den Sohn der Maria, in ihren Spu- Das Verständnis des Wort Gottes im Islam ren folgen, zur Erfüllung dessen, was schon vor ihm in Es ist nicht möglich, in einer kurzen Erklärung wie dieser, der Thora war, und wir gaben ihm das Evangelium, worin alle Aspekte unseres wichtigen Themas zufriedenstellend Führung und Licht war, zur Erfüllung dessen, was schon darzulegen. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass vor ihm in der Thora war, eine Führung und Ermahnung viele der Begriffe und Ausdrücke, die in unseren drei ab- für die Gottesfürchtigen.« rahamitischen Religionen, nämlich Judentum, Christen- Und dann schliesslich über den Qur'an in Vers 48: tum und Islam, zu dem gemeinsamen theologischen »Und wir haben dir das Buch hinabgesandt mit der Wahr- Wortschatz gehören, in den betreffenden Religionen und heit, als Erfüllung dessen, was schon in dem Buche war, auch von den einzelnen Gelehrten in voneinander stark und als Wächter darüber. Richte darum zwischen ihnen abweichendem Sinne gebraucht werden. Daher erscheint nach dem, was Allah hinabgesandt hat, und folge nicht ih- es mir besser, mich bei dieser Betrachtung an den Heili- ren bösen Neigungen gegen die Wahrheit, die zu dir ge- gen Qur'an selbst zu wenden. kommen ist. Einem jeden von euch haben wir eine klare Das Sprechen ist eines der wichtigsten Attribute Gottes Satzung und einen deutlichen Weg vorgeschrieben. Und und Ausgang seines schöpferischen Wirkens. Der Heilige hätte Allah gewollt, Er hätte auch alle zu einer einzigen Qur'an lehrt uns, dass wenn Gott etwas beschliesst, er nur Gemeinde gemacht, doch er wünscht euch auf die Probe zu sprechen braucht, und es wird (2:117). zu stellen durch das, was er euch gegeben. Wetteifert dar- In der islamischen Theologie wird der Begriff Wort Got- um miteinander in guten Werken. Zu Allah ist euer aller tes (Kaläm Allah) in seinem engeren Sinne für die göttli- Heimkehr; dann wird er euch aufklären über das, wor- che Offenbarung (Wahiy) in der Form von prophetischen über ihr uneinig wart.« Schriften und himmlischen Büchern (Zuhuf al Anbiya wa Diese Verse machen uns deutlich, dass in dem Heiligen Kutub as Samawiya) gebraucht. Der Islam lehrt uns, dass Qur'an der Begriff »Islam« in zwei verschiedenen Bedeu- seit die Menschen auf dieser Erde weilen, Gott für ihre tungen benutzt wird. Einmal als die Ur-Religion der Führung und Leitung unter ihnen Propheten und Gesand- Menschheit, die alle Propheten verkündet haben, und ein- te erweckt und sein Wort in ihren Mund legt. Ein Muslim mal in engerem historischen Sinne, wie es von dem letzten ist dazu aufgefordert, an alle Propheten und Gesandten Gesandten und Propheten Gottes Muhammad verkündet Gottes zu glauben. und verwirklicht wurde. Ähnlicherweise werden auch die »Der Gesandte (Gottes) glaubt an das, was von seinem Begriffe »Wort Gottes« oder »Schrift Gottes« in einem Herrn (als Offenbarung) zu ihm herabgesandt worden ist, transzendentalen (fi lauh mahfuzin in einer himmlischen und (mit ihm) die Gläubigen. Alle glauben an Gott, an sei- Tafel aufbewahrt) und in einem immanenten Sinn (Thora, ne Engel, an seine Schriften und an seine Gesandten — Evangelium, Qur'an) verwendet. wobei wir bei keinem von seinen Gesandten (dem anderen Der heilige Qur'an ist für uns Muslime die letzte Schrift gegenüber) einen Unterschied machen. Und sie sagen: Gottes und bleibt bis zum Ende der Welt bindend und Wir hören und gehorchen. (Schenk uns) Deine Verge- massgebend. Entsprechend dem göttlichen Gebot (3:79) bung, Herr! Bei dir wird es (schliesslich alles) enden« ist es die Aufgabe der gottergebenen Gelehrten, dieses (2:285). Buch zu studieren, zu erforschen und auszulegen. Dafür Die Prophetie und die Offenbarung ist nach islamischem haben sie im Laufe der Jahrhunderte methodologische Glauben nicht allein auf die Kinder Abrahams beschränkt, Prinzipien und Techniken erarbeitet, wobei der Heilige sondern alle Völker der Erde sind in die unbeschränkte Qur'an und die Sunna des Propheten die primären und Gnade der göttlichen Barmherzigkeit einbezogen. die Vernunft und der Konsens die sekundären Quellen »Und wir haben doch Noah und Abraham (als unsere Bo- bilden. ten) gesandt und in ihrer Nachkommenschaft die Prophe- zum Beitrag von Direktor G. Martin tie und die Schrift (heimisch) gemacht« (57:26). Vorbemerkung Die Struktur dieses arabischen Satzes mit dem Gebrauch Ein Bereich, an dem unser Staat und die jeweilige Reli- der 3. Person Plural unterstreicht den universalen Charak- gionsgemeinschaft teilhaben, ist das Erziehungswesen, ter der göttlichen Offenbarung. Hierauf würde u. a. auch näherhin der schulische Unterricht und der religiöse in der Sure 42:13 hingewiesen. Unterricht; in der Bundesrepublik Deutschland besteht

113 die Einrichtung eines staatlich getragenen Religionsunter- Frage: Welches ist die Religionsgemeinschaft, die als richts. Gleichwohl wird der Inhalt, die Lehre und Praxis Partner des Staates tätig wird? Weiches sind die Grund- des Religionsunterrichts nicht vom Staat, sondern von sätze, auf die diese Religionsgemeinschaft verweisen den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften bestimmt kann? (Institutioneller Aspekt.) (Art. 7 GG). 1.2 Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach. Diesen Grundsätzen ist zur Auflage gemacht, dass sie mit Über die Teilnahme am Religionsunterricht entschei- dem Ziel des Unterrichts, der an der Staatsschule erteilt den die Erziehungsberechtigten; ab 14 Jahre entschei- wird, übereinstimmen. Der Beitrag des Direktors des det der Junge oder das Mädchen selbst. Nicht einmal Pädagogisch-Theologischen Zentrums der Evangelischen eine Information, geschweige denn eine Erlaubnis der Landeskirche in Württemberg, Gerhard Martin, Stuttgart, Eltern ist gesetzlich vorgeschrieben. In das Verfahren untersucht die Erfordernisse, die sich aus dem verfas- der Abmeldung vom Religionsunterricht sind dagegen sungsrechtlichen Erziehungsauftrag gegenüber jüdischen pädagogische Sicherungen eingebaut. D. h.: Die Ein- und muslimischen Schülern, die unsere staaatlichen Schu- richtung von Religionsunterricht gewährleistet noch len besuchen, ergeben. Abgesehen vom Verfassungsauf- nicht, dass an ihm auch teilgenommen wird. (Indivi- trag wird an den Charakter und die Qualität eines islami- dueller Aspekt.) schen Religionsunterrichts, der an staatlichen Schulen ein- 1.3 Religionsunterricht muss qualifiziert unterrichtet wer- zurichten ist, eine Reihe von Anforderungen zu stellen den; dazu ist ein Lehrplan und sind Lehrer mit ver- sein bzw. wird ein wie auch immer gearteter Religions- gleichbaren Qualifikationen zu der übrigen Lehrer- unterricht, dem christlich-konfessionellen Religionsunter- schaft erforderlich. richt vergleichbar, bestimmten Mindestanforderungen zu 1.4 Religionsunterricht muss sich in das Bildungsgefüge genügen haben. Ob die Konzeption und die Verwirkli- der Schule einfügen; das betrifft die Ziele und Inhal- chung eines muslimischen Religionsunterrichts an der te, die im Lehrplan stehen. Das betrifft aber auch den Staatsschule eine realisierbare Möglichkeit darstellen, Unterrichtsstil bzw. das Lehrerverhalten (z. B. Stra- wird in diesem behutsam abwägenden und die vielen fen). Sch-wierigkeiten — etwa Bewahrung der muslimischen Das allgemeine Aufsichtsrecht und die Aufsichts- Identität — aufzeigenden Statement angefragt. pflicht des Staates müssen gewährleistet sein, wenn- gleich die inhaltliche Verantwortung der Religionsge- Direktor Gerhard Martin, Stuttgart: meinschaften nicht ausser acht bleiben darf. Das be- Islamischer Religionsunterricht in der Schule? deutet z. B., dass die Unterrichtssprache Deutsch sein müsste und die Zuständigkeit für die Lehrereinstel- Vorbemerkung: lung bei der deutschen Schulaufsichtsbehörde läge. In der Bundesrepublik Deutschland gehön noch immer die weitaus überwiegende Mehrheit einer der christlichen These 2: Jeder Religionsunterricht hat nur begrenzte Mög- Kirchen an, die alle auf derselben Grundlage stehen und lichkeiten, die man genau bedenken muss; u. U. gemeinsame Glaubensbekenntnisse haben. Dennoch gibt schafft der Religionsunterricht auch neue Proble- es keinen christlichen, sondern einen evangelischen Reli- me. Daiiir liegen im evangelischen und katholi- gionsunterricht, einen katholischen Religionsunterricht. schen Religionsunterricht Erfährungen vor, die Das deutet darauf hin, dass neben der Zugehörigkeit zu übertragbar sind. einer Religion die konkrete Ausbildung der Lehre, die 2.1 Das religiöse Leben findet in Gemeinde und Familie Glaubensverkündigung und vor allem die unterschiedli- statt; der Religionsunterricht kann dieses Leben nicht chen Traditionen von Bedeutung sind. Auf diesem Hinter- ersetzen, er kann eigentlich nur ergänzen, reflektie- grund sind die Verfassungsregelungen zu sehen, wonach ren, vertiefen. Wo ein Verlust an Erfahrung bei der Religionsunterricht nicht auf eine Religion oder auf eine Mehrheit der Schüler vorliegt, wird der Religionsun- Wissenschaft bezogen ist, sondern auf eine verfasste Re- terricht fraglich. Wie weit er dazu motivieren kann, ligionsgemeinschaft. sich am religiösen Leben ausserhalb der Schule zu be- Zu beachten ist der Unterschied des grundgesetzlich ab- teiligen, ist schwer zu kontrollieren. gesicherten Religionsunterrichts zu einer »Religionskun- 2.2 Zwischen Religionsunterricht und religiöser Praxis de« und zu einem Unterricht, wie er in England in Form der Familie besteht häufig eine Differenz. Ist die Fa- von »Religious education« üblich ist. milie gleichgültig, so wird der Religionsunterricht Aufgrund der historischen Entwicklung spielt bei uns nicht sehr effektiv sein; aber immerhin legitimiert er nicht nur das Verhältnis der Religionen zueinander eine die Religion als gesellschaftlich wichtiges Phänomen. Rolle, sondern in Sachen Religionsunterricht vor allem Wenn konservative Eltern erleben, dass ihre Kinder das Verhältnis Staat — Religionsgemeinschaften. einen »progressiven« Religionsunterricht bekommen, Das Ziel dieses Statements ist es nicht, Schwierigkeiten zu führt das häufig zu Spannungen. Soll für die Kinder machen, sondern auf vorhandene Schwierigkeiten hinzu- ein innerer Zwiespalt vermieden werden, bleibt nur weisen, damit nicht Bemühungen unternommen werden, die Möglichkeit der Abmeldung. Eine positive Ver- die einer Fehleinschätzung der wirklichen Lage entstam- stärkung bringt der Religionsunterricht dann, wenn men. (Den Teilnehmern des Symposions wurde der Bei- er ungefähr mit der familiären Erziehung überein- trag des Verfassers aus der Zeitschrift »ru« 2/81 samt der stimmt und nur bescheidene Korrekturen vornimmt. Replik von Doedens in der Nr. 4/81 und der Gegenreplik des Verfassers in Nr. 1/82 ausgehändigt.) These 3: Vermutlich gibt es einige spezielle Schwierigkeiten These 1: Es gibt Schwierigkeiten, einen islamischen Reli- für einen islamischen Religionsunterricht; diese gionsunterricht einzurichten kann ich jedoch nur in Form von Fragen anspre- 1.1 Unser Staat ist religiös-weltanschaulich neutral, des- chen, da mir eine zureichende Kompetenz fehlt. halb braucht er für den Religionsunterricht eine Re- 3.1 Gibt es überhaupt den islamischen Religionsunter- ligionsgemeinschaft als Partner. Vgl. Art. 7 GG. Da- richt? Müsste man evtl. auf konfessionelle Unterschie- nach ist RU »in Übereinstimmung mit den Grundsät- de (Schiiten, Sunniten) oder auf nationale Unterschie- zen der Religionsgemeinschaften« zu erteilen. de achten? Ganz besonders erhebt sich die Frage, was

114 die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts b) Die Landesverfassung sieht die Schule als christliche durch aufgeklärte Muslime bei türkischen Kindern Gemeinschaftsschule. Inwieweit an einer solchen Schule aus sehr einfachen Familienverhältnissen bewirken muslimischer Religionsunterricht eingerichtet werden würde. Wird hier nicht die Furcht vor einer systemati- kann, bleibt offen: Ist die Verfassung zu ändern? Rechts- schen Entfremdung der Kinder die Abneigung gegen hermeneutisch dürfte von Belang sein, dass die Väter der die Schule weiter fördern? Landesverfassung mit ihrer Entscheidung für eine christli- 3.2 Wie kommt der Islam mit der Stellung der Frau bei che Gemeinschaftsschule sich gegen die Konfessionsschu- uns zurecht? (Praxis der Elternhäuser im Blick auf die le aussprachen. Die Frage der Einbeziehung von Unter- Mädchen und im Blick auf das Verhalten der Buben richt für nicht-christliche Kinder stellte sich ihnen nicht. — gegenüber Lehrerinnen usw.) Weiter ist zu sehen, dass das Judentum — wenngleich nicht 3.3 Das Problem der muslimischen Identität wird durch als Regelfall — Religionsunterricht in Baden-Württemberg islamischen Religionsunterricht nicht gelöst, wenn es erteilt. Die hier offenen Rechtsfragen sind abzuklären. nicht gesellschaftlich gelöst wird; die Schule allein Gegebenenfalls ist eine politische Willensbildung im Blick wäre mit der Aufgabe der Integration überfordert; auf die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht noch viel mehr wäre ein islamischer Religionsunter- auf muslimischer Seite zu betreiben. richt damit allein überfordert. Wie sich aber Integra- c) Wie weit der Staat von sich aus diese Fragen im Auge tion in die deutsche Gesellschaft mit einer muslimi- hat, stellte ein weiteres Problem dar. Seine Neutralität im schen Identität überhaupt verbinden lässt, das ist ja Blick auf Religion und Weltanschauung macht eine Initia- die Grundfrage. Hier ist mit einer doppelten Zielset- tive für islamischen Religionsunterricht von Staatsseite her zung (sowohl Integration als auch Bewahrung der ur- unmöglich. — Die Berücksichtigung der Begegnung zweier sprünglichen Identität) nicht beizukommen. Kulturen durch das Miteinander der christlichen und 3.4 Welche Möglichkeiten gibt es, Islam, Religion und muslimischen Schüler ist ihm in doppelter Weise aufgetra- Politik zu unterscheiden? Lässt sich eine islamische gen und wird auch wahrgenommen: Lehre denken, die mit dem Geist und den Inhalten —muslimische Kinder in Deutschland müssen die Mög- des Grundgesetzes versöhnt ist? lichkeit erhalten, sich mit unserer Kultur und Religion vertraut zu machen, und Schlussbemerkung: —deutsche Kinder brauchen eine sachgemässe Einfüh- Eine Hilfestellung kann auch im Aufzeigen von Schwie- rung in den Islam im Geiste der Toleranz. rigkeiten liegen; dies ist die Absicht dieser Ausführungen. Sollte verfassungsrechtlich die Einrichtung islamischen Religionsunterrichts möglich sein, so stellen sich zwei Studienleiter Kurt Bätz, Karlsruhe weitere Probleme : Protokoll-Notiz zu der Diskussion über G. Martins Vortrag —die Erstellung von Lehrplänen über islamischen Reli- am 14.115. I. 1982 in der Staatlichen Akademie Donau- gionsunterricht und eschingen —die Berufung von geeigneten Religionslehrern. Besprochen wurden folgende fünf Themenkreise: d) Im Blick auf die Lehrpläne stellt sich die Frage nach den Verfassern und nach den Inhalten. Voraussetzung ist, (1) Islam-Unterricht für muslimische Kinder dass ein inhaltlicher Konsens für die in Baden-Württem- (2) Muslime im Kindergarten berg lebenden Muslime gefunden werden kann. Da hier (3) Islam als Thema im Ersatzfach unterschiedliche muslimische Rechtsschulen betroffen (4) Islam als Thema im christlichen Religionsunterricht sind, dürfte diese Aufgabe schwierig werden. Orientieren (5) Darstellung von Islam und Christentum aus der Sicht könnte man sich an den Lehrplänen und Lehrbüchern der jeweils anderen Religion muslimischer Länder (die meisten Türken sind Hanafiten, (1) Islam-Unterricht für muslimische Kinder z. B. Pakistan). Das Problem ist gekennzeichnet durch die Notwendigkeit e) Als Religionslehrer könnten z. B. türkische Lehrer in der muslimischen Kinder, Betracht kommen (kultureller Austausch?) —sich mit unserer Kultur vertraut zu machen, Als besonderes Problem wurde generell angesprochen, —ihre Identität als Muslime zu wahren. dass in Baden-Württemberg Türken die grösste muslimi- sche Gruppe darstellen, sie aber auf dem Symposion nicht Von daher ist die Frage, welche schulischen und vor- vertreten waren: für sie ist eine nicht unproblematische bzw. ausserschulischen Massnahmen möglich, sinnvoll Ineinssetzung von radikal-politischen Ansichten und isla- und erstrebenswert sind, um die obengenannten Ziele zu mischen Grundsätzen festzustellen. Gerade diese proble- erreichen. Auf muslimischer Seite tendierten die Teilneh- matische Verquickung könnte nach Meinung einiger mus- mer dazu, den Staat zur Errichtung von islamischem Re- limischer Teilnehmer durch qualifizierten Religionsunter- ligionsunterricht analog zu christlichem zu bewegen. richt aufgebrochen werden. Die Muslime baten die Kir- a) Um dies möglich zu machen, sind die Rahmenbedin- chen um Hilfestellung bei den auf sie zukommenden or- gungen von Grundgesetz und Landesverfassung zu beach- ganisatorischen und sachlichen Aufgaben. ten. Dabei stellt sich vom Grundgesetz her die Aufgabe, den Islam in, Baden-Württemberg als »Religionsgemein- (2) Muslime im Kindergarten schaft« zu konstituieren. Wichtigstes Problem hier: Grün- dung einer rechtlich zureichenden Organisationsform al- Auszugehen ist von der Tatsache, dass in zahlreichen Fäl- ler in Baden-Württemberg betroffenen Muslime, die als len ein nicht-christlicher Kindergarten nicht zur Verfü- Partner für den Staat in Frage kommen; dabei ist die hohe gung steht. Für die Entwicklung zumal der Sprachfähig- Anzahl der türkischen Muslime zu beachten. Sie müssen keit gerade ausländischer Kinder ist aber der Aufenthalt diese neu zu gründende Organisation als Sprecher in Sa- im Kindergarten eine grosse Hilfe. Im Blick auf die kon- chen Islam anerkennen. Welche Organisationsform zu fessionellen Kindergärten zeichnet sich ein Dilemma ab: wählen ist, war offen, eine juristische Abklärung durch ei- — einerseits das berechtigte Interesse an christlicher Erzie- nen muslimischen Juristen wäre sinnvoll. Ein erster Schritt hung mit konfessioneller Prägung (wobei altersbedingt ist etwa die Gründung eines eingeschriebenen Vereins. operatives Vorgehen unerlässlich ist) und

115 — andererseits das ebenfalls berechtigte Interesse muslimi- II Gottes Weisungen in den drei scher Eltern, speziell christlich-religiöse Vollzüge bei Weltreligionen: Christentum, Judentum ihren Kindern zu unterlassen. und Islam Innerhalb der Kirchen sind diese Fragen diskutiert und kontrovers; gemeinsam wird freilich betont, dass Zurück- Bericht von Professor Dr. Alwin Renker haltung bei Gruppen mit muslimischen Kindern notwen- über das zweite Symposion für Religionslehrer dig ist und intensive Elternkontakte gepflegt werden soll- an der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung, ten. Zwischen den Kirchen und Muslimen gibt es auf ver- Donaueschingen, 3.- 6. März 1979* schiedenen Ebenen intensive Gespräche, deren Ergebnisse abzuwarten sind. Das zweite religionswissenschaftliche Symposion für Religions- lehrer an der neugestalteten gymnasialen Oberstufe, das auch (3) »Ersatzfach« Ethik diesesmal unter der Leitung von Direktor Prof. L. Mattheiss stattfand, diente der weiteren gegenseitigen sachlichen Informa- Verwiesen wurde auf den durch die Landesverfassung tion und der persönlichen Begegnung von Juden, Christen und und ihr folgend das Schulgesetz vorgezeichneten Konflikt Muslime. Vertreten waren eine jüdische Gruppe mit 7 Teilneh- zwischen der christlich-abendländischen Kultur und den mern, eine katholische Gruppe mit 11 Teilnehmern, eine evange- sie prägenden Werten und der muslimischen Kultur und lische Gruppe mit 14 Teilnehmern und eine islamische Gruppe mit 11 Teilnehmern. ihrer Werte. Im nachfolgenden Kurzbericht können nur die Referate in einem Da Ethik-Unterricht einerseits von dem Weltanschau- Überblick bzw. nur in ihrer Zielsetzung angeführt werden. Die ungspluralismus in der Bundesrepublik Deutschland aus- jeweils an die Referate sich anschliessenden Aussprachen boten die einzigartige Gelegenheit, die eigenen Auffassungen über Ge- geht und andererseits das persönliche Engagement des setz, Weisung und Rechtsleitung jeweils im Verhältnis zur ande- Lehrers in Fragen der Wertvermittlung voraussetzt, ist die ren Religion bzw. Konfession zu artikulieren; eine Aufgabe, zu Behandlung des Islam unter vordringlicher Berücksichti- der normalerweise niemand gezwungen ist, solange er sich in sei- gung seiner Selbstsicht unerlässlich. Dabei käme es we- ner eigenen Glaubensgemeinschaft bewegt. Tatsächlich leben die drei Weltreligionen aber nicht nebeneinander her, sondern be- sentlich auf die Förderung eines gegenseitigen Verständ- gegnen sich tagtäglich in vielen Berührungspunkten. Die Vorträ- nisses an. ge wie die Gespräche, nicht zuletzt die praktische Frömmigkeit in den Gebetsgottesdiensten zeigten, dass das Verständnis für- (4) und (5): Diese Fragen wurden nur kurz gestreift, einander bei allen gewachsenen Unterschieden sich auch auf fun- nicht aber ausführlich in der Diskussion behandelt. damentale Gemeinsamkeiten stützen kann. Die Abfolge der Referate ist thematisch geordnet, d. h. sie be- Ergänzend zu dem Dargestellten führt Schuldekan Dr. ginnt mit dem Alten Testament (Dr. A. Renker), setzt sich fort Wagner aus: im nachbiblischen Judentum (Dr. E. L. Ehrlich) und im Islam (M. Rassoul) und greift die historisch gesehen jüngste umfassende Wenn man islamischen Religionsunterricht will, müssten neue Sicht der Dinge in der Reformation durch Martin Luther die Muslime folgende Schritte unternehmen: auf (H. Schmogro). Dr. Alwin Renker, Freiburg Bildung von Elterngemeinschaften, beides als Vorstufen Gründung von Elternvereinen, Gymnasialprofessor Dr. A. Renker, Freiburg: Islamische Vereine Die Bedeutungsgeschichte von Tora im Alten Testament Dachverband Baden-Württemberg (wegen Kulturhoheit der Länder) Weisung (Tora) und Wegweisung sind in der Geschichte des altbundlichen Gottesvolkes in einem Atemzug mit Dann müssten die Zielvorstellungen geklärt werden: dem Dekalog, dem Zehngebot (Ex 34, 28) zu nennen. Will man türkischen Religionsunterricht, d. h. Religions- »Was stund auf den Tafeln des Bunds?«, so frug der junge unterricht in türkischer Sprache oder einen islamischen Goethe und antwortete: »Wie gehörig lesen wir also die Religionsunterricht in deutscher Sprache? Gesetze darauf, die sie ( = die Israeliten) vor allen Völ- Bei Einführung eines islamischen Religionsunterrichts wä- kern auszeichnen . . . Wie gerne wirft man den beschwer- re eigentlich nur das letztere möglich, weil der Unterricht lichen alten Irrthum weg: es habe der partikularste Bund an deutschen Schulen von deutscher Seite aus kontrollier- auf Universalverbindlichkeiten (denn das sind doch die bar bleiben muss. meisten der zehen Gebote) gegründet werden können« Ein Muslim meinte, die arabische Sprache sei für einen (Zwo wichtige bisher unerörterte Fragen zum erstenmal Muslim von grosser Bedeutung, und deshalb sei zu fra- gründlich beantwortet von einem Landgeistlichen in gen, weshalb nicht für Muslime Arabisch an die Stelle von Schwaben — Titel einer anonymen Schrift Goethes, datiert Latein treten könne. vom 6. 2. 1773). Auf den Tafeln des Bunds, die Mose er- neut fertigt, standen nach Goethes Auffassung alle Wei- Imam Razvi von Hamburg gibt eine Art von Prioritätenli- sungen von Ex 20 bis 34. ste an, die er sich für einen islamischen Religionsunter- Mit dem Stichwort »Bund« (Bundestafeln) ist die zu richt vorstellen könnte: »Weisung« komplementäre Kategorie genannt. Von einer 1. Ethik bestimmten Entwicklungsstufe ab hat Israel sich im Bund 2. Dogmatik mit Gott gewusst als, wie es später heisst, dessen segullah 3. Ritual. (Eigentumsvolk). Damit hat die »Weisung« die ihr vorauf- Auf die Rolle der Politik befragt, meint der Imam: Politik gehende (und folgende) Motivierung offengelegt bekom- ist ein Teil der menschlichen Existenz, nicht das Ganze. men. Religion ist das Ganze. Bei der »Bedeutung« von Tora handelt es sich um die Es wird zugegeben: Auch bei uns im Christentum gab es Wiederentdeckung, die die Forschung am Alten Testa- die Verquickung von Staat und Kirche. ment machte, als sie auf das eigentümlich begründete Es wird dann noch die Frage des Ethikunterrichts (Ersatz- Gottesrecht (Tora) stiess. A. Alt und seine Leipziger Schu- fach) angesprochen. Herr Epting gibt einen Überblick le bezeichneten dieses Gottesrecht als »volksgebunden is- über die Themen der Klassen 8-10. Klasse 11 ist in Vor- raelitisch« und »gottgebunden jahwistisch« (Kleine Schrif- bereitung. Die Muslime sind befriedigt darüber, dass der * Vgl. Bericht über ein Symposion für Religionslehrer: »Abra- Ethikunterricht nicht von Religionslehrern erteilt werden ham, Vater des Glaubens im Judentum, Christentum und Islam, soll. in: FrRu XXX/1978, S. 138-152.

116 ten I, S. 323), und damit war das apodiktische Recht, das Mündliche Tora bringt eine Dynamisierung der bereits von kasuistischem Recht im Ursprung (Alt, 1934) zu Mose auf dem Sinai gegebenen Tora, insofern sie eben- scheiden ist, wiederentdeckt. falls Bestandteil der Tora ist und doch auch ihre neue Ge- Wenn man es unternimmt, die Bedeutungsgeschichte von stalt darstellt, wobei der eigentliche Schriftbeweis für Mi- Tora (Weisung) im Alten Testament anhand der For- schna und Gemara durch den Gedanken der Tradition schungsergebnisse der letzten 40 Jahre freizulegen, dann abgestützt wird. Tora jedenfalls umgreift Mischna, Hala- kann man das nicht als ein nur wissenschaftlich interes- chot und Haggadot (Sifre Dtn 32, 3 § 306). Bei der Rede, santes Ergebnis bezeichnen. dass »etwas bereits dem Mose am Sinai gesagt worden Die Ergebnisse der Forschung zeigen, dass — ähnlich wie war«, handelt es sich nicht um historische Darlegungen, in der modernen Naturwissenschaft — der Betrachter- sondern um »dogma-ähnliche Sätze« über Traditionsbil- oder Beobachterstandpunkt, seine insbesondere geistig- dung bzw. über die Einheit der Offenbarung. Das Legiti- sittliche Fragehaltung, in das beobachtete Objekt einge- mitätszeichen einer Halacha, die nicht aus der schriftli- gangen ist. Wir hätten vieles nicht sehen können, wenn chen Tora abgeleitet ist, ist ihre Herkunft aus einer aner- uns nicht die bis zur Stunde herrschenden Verhältnisse in kannten Traditionskette, an deren Spitze Mose steht. Kirche und Gesellschaft (Staat) gelehrt, ja gezwungen Alle Halachot haben als Bestandteil der Tora die Verbind- hätten, hier gründlicher nachzusehen. Erinnert sei nur an lichkeit der Tora. Als »Preis« für diese Absicherung der die derzeitige Grundwertediskussion. Denn Weisung (To- novellierten Tora ist die grosse Autorität der Rabbinen zu ra) im Alten Testament ist nicht lediglich ein Geschäft von betrachten (Dtn 17, 11). Das Verbot der Seefahrt am Sab- Priestern, die in einer für uns vergangenen Opfer- und Ri- bat, das Verbot der Kriegführung wie überhaupt das Ver- tualreligion den Fragen nachgingen, was »rein« bzw. »un- bot einer Verteidigungshandlung am Sabbat waren durch rein«, »heilig« bzw. »unheilig« sei. Überraschend frisch den Druck der Verhältnisse in den Grundsatz verwandelt und ein unausgeschöpftes Reservoir sind vielmehr die worden, dass bei Lebensgefahr jede Verteidigung erlaubt Vorstellungen vom Gottesrecht (Tora) bei den Propheten, sei (Erub 45a). Eine solche Dynamisierung der Tora wie es in ihrer Sozialkritik aufleuchtet. Diese Massstäbe reicht von Beginn der nachexilischen Periode bis in die er- taugen auch heute noch ohne weiteres zur Beschreibung sten Jahrhunderte n. Chr. In diesem Sinn zielt alle Be- und Erfassung gesellschaftlicher Zustände (Missstände). schäftigung mit der Tora darauf hin, den Willen Gottes in Dabei — dies ist das wichtigste Ergebnis des Referats — dieser Welt zu verwirklichen. Die Tradition kommt damit waren die Propheten nicht, wie J. Wellhausen (Israeliti- zur Offenbarung hinzu, und auf diese Weise werden Leh- sche und jüdische Geschichte S. 108) wollte, die Schöpfer rer zu Trägern des Heiligen Geistes. des ethischen Monismus. Und nicht sie haben die Ethik in Beschäftigung mit der Tora und Verwirklichung der Lie- den Dekalog eingeführt, sondern die Priester. Priester- be gehen direkt ineinander über: »Als sie alle vor dem Tora ist zu allen Zeiten mehr als Opfer-Tora gewesen. Berg Sinai standen, die Tora zu empfangen, waren sie alle Die Frage, was das alles für den Dialog zwischen den Re- gleichgestimmt, die Herrschaft Gottes besimcha (in Freu- ligionen und insbesondere für den schulischen Religions- de) zu empfangen.« Natürlich ist die Tora Israel gegeben unterricht abwirft, möchte der Referent mit Gegenfragen als Zeichen der Erwählung, als Bedingung für den Bund; zu beantworten suchen. Sind wir bei dem Ungenügen von andererseits besitzt Tora auch ein universalistisches Ele- Tora als Gesetz (vgl. den Nomos bei Paulus) zu reden ment, »das sich von Israel gelöst hat« : Tora ist (weil sie Is- nicht verunsichert? Sind Abwehrgefühl, ja Auflehnung ge- rael nicht im eigenen Land gegeben worden war) für alle gen (Gottes-)Recht und Ordnung am Ende doch nur des- Menschen, die in die Welt kommen (le chol bae haolam). wegen so heftig, weil diejenigen, denen Gottes Wegwei- Wenn der biblische Text nicht mehr dem religiösen Be- sung zu erteilen anvertraut ist, diese gar zu dürftig kennen wusstsein einer späteren Zeit entsprach, musste er adap- bzw. kaum aus der Hl. Schrift erheben und mitteilen kön- tiert werden (was wohl gerade seinen Sinn und seine Gel- nen? tung wiederherstellt, A. R.), wie der Midrasch zu Ps 112, 1 zeigt: »Beglückt der Mann, der sich an Seinen ( --- Got- Dr. Ernst Ludwig Ehrlich, Basel: tes) Geboten erfreut, aber nicht am Lohn Seiner Gebote.« Die Bedeutung der Tora im nachbiblischen Judentum In den Reihen der Pharisäer (ihre Geschichte muss hier im Tora, ursprünglich durch die Priester erteilte Weisung einzelnen unberücksichtigt bleiben) war die Tradition der (Jer 18, 18; Hag 2, 11; Ez 7, 26) ist auch der Begriff für Tora bewahrt. Die »Versammlung der Chassidim«, die die Unterweisung in der Familie (Spr 1, 8; 6, 20). Erst in zusammen mit der Makkabäer-Revolte gegen die Syrer der jüdisch-hellenistischen Kulturwelt wurde Tora mit aufstand, mit den Hasmonäern gemeinsame Sache mach- nomos übersetzt, was einem verengenden Bedeutungsge- te, hat sich dann aber auch zurückgezogen, um sich der halt von Tora gleichkommt. Paulus und Philo hatten »Lehre des Höchsten« zu widmen, nach der Weisheit der Schwierigkeiten mit dieser Tora-Auffassung, und Philo Alten zu suchen und über den Sinn der Prophetien nach- von Alexandrien versichert, dass die Weisung Tora, ge- zudenken (Ben Sira, 39, 1 ff.). Die pharisäische Tradition mäss der die Patriarchen Gott wohlgefällig lebten, durch arrangierte sich mit dem Tempel, der Priesterschaft, dem »Naturgesetze«, also in der »Natur« eines gottgefälligen Sanhedrin nach der Maxime Hillels, dass Pharisäer fried- Lebenswandels der Patriarchen begründet ist. Die nachbi- liebende, den Nächsten liebende Schüler Aarons sind. blisch-halachitische Literatur hat das Toragesetz nicht un- Hier ist nicht von Priestern, d. h. leiblichen Söhnen verändert gelassen, sondern es stets novelliert, daher kann Aarons die Rede, sondern von denen, die die Menschen keineswegs von einer legalistischen Sicht der Dinge ge- zur Tora bringen. sprochen werden. Der Begriff Tora ist dann wie der Be- (Zusammenfassung durch Dr. A. Renker) griff Mizwa zu einer Totalität des Überlieferungsguts ge- worden, so schon die Bedeutung von Tora in Ps 1. Tora ist darüber hinaus die dem Kosmos zugrunde liegende Mohamed Ahmed Rassoul, M. A., 1. Vorsitzender des Idee und die Garantie seiner Ordnung. Tora schafft die Islamischen Zentrums Köln: Verbindung zwischen Mensch und Gott. Zur schrift- lichen Tora ist die mündliche Tora hinzuzunehmen; die Gottesweisung im Islam letztgenannte ist implizit in der geschriebenen Tora Unter Gottesweisung (Schari' a, Schar') im Islam versteht enthalten. man die Gesamtheit aller Gebiete des islamischen Rechts,

117 die einen integralen Bestandteil des Aufbaus der islami- und kontrovers ist das Thema der Weisungen und der Ge- schen Lehre darstellen. bote Gottes zwischen den Weltreligionen. Die Quellen der Gottesweisung sind nicht nur der Koran Die Verheissung Gottes und das Gebot Gottes als das eine allein, der das reine Gotteswort enthält, sondern vielmehr Wort Gottes an den Menschen ist seit der Reformation die Weisung des Propheten Muhammad (Sunna), der das beherrschende Thema der evangelischen Theologie Konsensus der islamischen Nation (umma) und die Ana- gewesen. Das zentrale Thema von Gesetz und Evange- logie (qias). lium in der Gestalt der Rechtfertigungslehre Luthers und Gottesweisung hat das Ziel, die fünf Grundwerte durch in der Form des theologischen Prinzips der »Zwei-Rei- Sanktionen zu schützen, nämlich: den Glauben, das Le- che-Lehre« hat die Frömmigkeit, das Menschenbild und ben, das Eigentum, die Familie samt Abstammung und die das protestantische Staatsverständnis über Jahrhunderte Vernunft. Die Unterteilung dieser Gebiete hat eine grosse geprägt. Reichweite, so dass sich der Mensch nach genauen einzel- Der evangelische Beitrag reflektiert das Thema »Gesetz nen Details in seinem Leben nach Gottesweisung richten und Evangelium« in der Perspektive und Fragestellung kann. unserer heutigen Zeit auf dem unmittelbaren Hintergrund Empfänger der Gottesweisung ist zunächst Muhammad der Theologie Luthers. selbst, der Empfänger der göttlichen Botschaft und letzter aller Propheten und Gesandten; sowohl ihm, als auch al- Vorbemerkung zum Lichtbildervortrag von Oberstudienrat len Menschen zu allen Orten und Zeiten gilt die Anrede Dr. Karsten Weber, Karlsruhe: Allahs (Chitabul-lah). Die Menschen sind verpflichtet Da bei diesem zweiten Symposion (vgl. auch o. S. 110) der über- (mukallafun), Gottesweisung bis zum Jüngsten Gericht wiegende Teil der Gesprächspartner aus evangelischen und ka- durchzuführen. Der einzelne Mensch, als Mukallaf (ver- tholischen Religionslehrern bestand, war es zweckdienlich, durch Dr. Weber als Medienfachmann die Umsetzungschancen für die pflichtet) und als Muchatab (angesprochen), ist zwecks auf dem Symposion gewonnenen Erkenntnisse in den Religions- Ausführung der Gottesweisung mit einer Dhimma ausge- unterricht zu sondieren bzw. auf Konkurrenz (»geheime Miter- stattet, d. i. im Regelfall ein Komplex von zwei Fähigkei- zieher«) hingewiesen zu werden. Dr. Weber demonstrierte in seinem Lichtbildervortrag, wie seit ten: die Rechtsfähigkeit (Ahliyat al-wudschub) und die der Aufklärung bis heute Kommunikationsmittel und Informatio- Geschäftsfähigkeit (Ahliyat al-ada'). nen in ihren geheimen Weisungen von den Autoren und den ver- Gottesweisung soll nur dem Menschen und der Gesell- antwortlichen Medienpolitikern als »Lenkung« gehandhabt wer- schaft zugute kommen, denn aufgrund Seiner Vollkom- den. menheit nützt Gott weder Gehorsam noch schadet Ihm Dr. Weber stellt auch eine Rückwirkung auf den Medieneinsatz in der Religionspädagogik fest. Ungehorsam des Menschen. Nachfolgend eine Übersicht ohne Kommentar über den Vortrag Die Bid'a (Erneuerung) wird aufgrund ihrer Gefahr für von Oberstudienrat Dr. Karsten Weber, Landesbildstelle Karls- Gottesweisung, die vollkommen und abgeschlossen ist, ruhe. Dr. Alwin Renker bekämpft. Die Störungen, die den Menschen von der Ausführung Orientierungshilfe zum Vortrag: der Gottesweisung beeinflussen, sind verschiedener Natur Die geheimen Weisungen der Massenmedien und Herkunft: Sie kommen zustande entweder aus natür- Oberstudienrat Dr. Karsten Weber, Karlsruhe lichen oder aus unnatürlichen und erworbenen Gründen. Einteilung der Rechtsfolge (hukm) der Gottesweisungen 1. Sekundäre Systeme: in kultischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen steht Hegel, Marx, Freyer Bilder 1-6 im Zusammenhang mit der Teilung des Rechts im Recht Jochen Geilen, DIE ZEIT, 9.2.79 Gottes (haqqul-lah) und im Recht des Menschen (haqqul- 2. Visuelle und auditive Kommunikation — historisch: lbad). Die ständigen Merkmale der Gottesweisung beste- Encyclopedie Frafflise, Bilder 7,8 hen darin, dass diese von Menschenhand nicht aufgeho- Kirchenlieder der Reformation, Rock-Messen ben bzw. geändert werden darf und dass das Leben der 3. Zur Rhetorik der audiovisuellen Medien: Gesellschaft danach ausgerichtet werden muss, aber nicht Das Ego und sein massenmedialer Spiegel: umgekehrt. Bonanza Bilder 9,10 Politische Klischees Persönlichkeit als Skandal Gymnasialprofessor H. Schmogro, Esslingen: politisch-religiöse Heiligenscheine Bilder 11-17 Das religionswissenschaftliche Symposion in der Staatli- 4. Exkurs: Rückwirkungen der Comic-Ästhetik chen Akademie Donaueschingen versteht sich als eine in die Medien der Religionspädagogik Möglichkeit der Begegnung für Lehrer aus den drei Welt- Maria als Rührfigur religionen. Im Religionsunterricht der Oberstufe spielen Jesus als Raumfahrer Bilder 18 - 23 Judentum und Islam sowohl im biblischen Unterricht als Josef als Prinz Eisenherz auch bei der Darstellung der Wirkungsgeschichte des Ausnahme: Reinhardt Hermanns Illustrationen Evangeliums in der Kirchengeschichte und bei ethischen der Elementarbibel Bilder 24- 27

Fragestellungen eine nicht geringe Rolle. Jedoch hat der Petrus auf dem Meer Bilder 28 - 32 Religionslehrer selten die Möglichkeit, das Selbstver- 5. Weisungen der Werbung: ständnis, die Positionen und Problemstellungen der ande- Freiheit, Sex, Technik, Elite, Macht Bilder 33 - 39 ren Religionen aus erster Hand zu erfahren und zu stu- dieren. 6. Verwandlung von Mitteilungen des Fernsehens 1968 Die Konzentration auf ein theologie- und kulturge- in der Plakatrhetorik der Studenten Frankreich Bilder 40 - 44 schichtlich bedeutsames Thema hat sich schon beim ersten Gruppenmedien und Intellektualität Massenmedium und Trivialität Bilder 45 -48 religionswissenschaftlichen Symposion 1978 als ein Weg erwiesen, um die typischen Formen des jeweiligen Gottes- 7. Die Generalweisung der mobilen Gesellschaft: und Weltverständnisses darzustellen. Kommunikations-Unverhalten. Status quo und Im Mittelpunkt der letztjährigen Tagung stand die Abra- religiöse Orientierung hamgestalt. Ebenso konstitutiv, wie die Abrahamfigur für die drei Weltreligionen bis heute geblieben ist, so zentral

118 20 Literaturhinweise

MATTHIAS AUGUSTIN / JÜRGEN KEGLER (Hrsg.): lische Benutzer«, für Studierende und Dozierende ge- Das AT als geistige Heimat. Festgabe für H. W. Wolff schriebene Buch beginnt mit einer »Dogmengeschichtli- zum 70. Geburtstag (EHS Reihe XXIII, Bd. 77). Frank- chen Prinzipienlehre«. Bemerkenswert ist neben der auch furt/Bern 1982. Verlag Peter Lang. 135 Seiten. sonst in protestantischen Lehrbüchern referierten, hier Neben der »grossen« Festschrift für den bekannten Hei- aber durch kritische Griffigkeit gefallenden kurzen »Ge- delberger Alttestamentler (Die Botschaft und die Boten, schichte der Dogmengeschichte« vor allem ein Überblick 1981) vereint dieser Band Arbeiten jüngerer Schüler, die zur katholischen Theorie der Dogmenentwicklung. Im sich, dem Beispiel ihres Lehrers folgend, sowohl wissen- weiteren Aufbau behandelt dieser 1. Band (»Gott und schaftlichen Studien als auch gemeindedienlicher Bibel- Welt«) die »vordogmatische Epoche« der Dogmenge- predigt gewidmet haben. Die vier abgedruckten Predigten schichte bis zur Konstitution der doppelteiligen Bibel, da- (Chr. Wolff zum Volkstrauertag und zu Jes• 30, 15-17; nach den ersten Teil der »ökumenischen Epoche« bis zum H.-J. Abromeit über Gen 3; J. Stocluneier zu Mt 21, Abschluss des trinitarischen Dogmas. Band II (»Gott und 14-17) bewahrheiten an den Schülern: »H. W. Wolff re- Mensch«) wird den »christologischen« Teil der »ökumeni- det nicht über, sondern aufgrund und aus der Wirklich- schen Epoche« sowie den gesamten Zeitraum der »abend- keit Gottes« (H.-J. Abromeit). ländischen Epoche« von Augustin bis zu den reformatori- M. Ogushi hat über den »Tadel Jahwes im AT« geschrie- schen und nachreformatorischen Glaubensnormen umfas- ben und damit einen Aspekt seiner bibeltheologischen sen. Dissertation von 1978 (»Der Tadel im AT«) weiter ver- In dem die vordogmatische Epoche einleitenden Kapitel tieft. Tadel ist kein Gerichtswort und will auch keinen über den »jüdischen Glauben« kommt ein Grundproblem blinden Gehorsam erzwingen: Mit dem Eingreifen Jahwes der Dogmengeschichtsschreibung zur Sprache, nämlich und seiner Kritik soll der Getadelte zum hoffnungsvollen die Frage nach dem Ansatz- bzw. Anknüpfungspunkt. Mit Nachdenken unter der liebevollen Geduld Jahwes finden. Recht wird gesagt, dass es eine geistige Aneignung und M. Mach, Assistant Teacher für jüdische Philosophie an Verarbeitung der urchristlichen Verkündigung durch ihre der Universität Tel Aviv, geht in seiner Studie »Tora-Ver- ältesten Vermittler und Empfänger gab. In diesem Kon- leihung durch Engel« von Gal 3, 19 aus und warnt die text wird Beachtliches über das hellenistische Judentum christlichen Kommentatoren, hier eine allgemein-jüdische gesagt. Zu in Dogmengeschichten bekannten Themen- Tradition zu vermuten, wonach die Tora unter Mitwir- kreisen — wie z. B. das nachapostolische Zeitalter, die kung der Engel gegeben worden sei. Weder rabbinische Apologeten des 2. Jahrhunderts, der häretische Gnostizis- noch apokalyptische Quellen noch Apg 7, 38.53 liessen mus, die Entstehung des Schriftkanons — ist das Material sich als Zeugen anführen. Vielmehr sieht er eine spezifisch brauchbar gesichtet und geordnet. Das Spezifische des paulinische Traditionsbildung, die anti-angelologisch ver- Christentums auf seinem Weg durch die Geschichte hätte standen werden müsse (vgl. dagegen: P. Schäfer, Rivalität von mehreren Seiten her tödlich verwundet werden kön- zwischen Engeln und Menschen, Berlin 19755. nen. Dass und wie es sich dabei durchgesetzt und be- M. Augustin untersucht die chronistische Umgestaltung hauptet hat, wird durch die gesamte Darstellung gut er- der deuteronomistischen Königschroniken. Ergebnis: hellt. Gefährdet war im besonderen die christliche Sicht »Hinter den mit den Augen des Chronisten und seiner des Verhältnisses von Gott und Welt, sei es im Sinne einer Zeit gesehenen judäischen Königen schimmert so die Ge- Kosmologisierung Gottes und damit einer Verschattung stalt des Hohenpriesters durch, und es gewinnen Kriterien der Transzendenz oder eines solchen Bruches, dass dem der kultischen Makellosigkeit an Bedeutung, die im dtr einen Gott seine Schöpfertätigkeit abgesprochen wurde. Geschichtswerk keineswegs diese Relevanz hatten« (42). Damit war jedesmal das Verständnis und die Realität der Bernd Feininger, Freiburg christlichen Soteriologie gefährdet. Die Überwindung ge- schah wesentlich im treuen Festhalten am geschichtlichen Ereignis der Menschwerdung des göttlichen Logos-Soh- KARLMANN BEYSCHLAG: Grundriss der Dogmen- nes. geschichte. Bd. I: Gott und Welt. Darmstadt 1982. Wis- Es ist kein einfaches Unternehmen, eine Dogmenge- senschaftliche Buchgesellschaft. XVIII, 248 Seiten. schichte zu schreiben, die nicht nur eine Kompilation von Der protestantische Autor, seit 1971 Ordinarius für Hi- schon Bearbeitetem ist, sondern auf dem Stande schon ge- storische Theologie in Erlangen, widmet sein Buch dem leisteter Forschung schon Geschriebenes und Beschriebe- Andenken der Erlanger Dogmenhistoriker Gottfried Tho- nes kritisch beleuchtet und Verstehens- und Glaubenshil- masius und Werner Elert und versteht dies als ein Be- fen zu bringen versucht. Dies und das Vorhaben des Au- kenntnis zu dem »genius loci«, dem er sich als Theologe tors, »das Schwierige verständlich zu sagen, das Weitläu- verpflichtet weiss. In seinem dogmenhistorischen Aufbau fige übersichtlich zusammenzufassen« (XI), ist vor allem schliesst das Werk an die immer noch »klassischen« Lehr- im letzten Teil des Buches über die ökumenische Epoche bücher von Harnack, Seeberg und Loofs an. Deutlich er- gut geglückt. Ludwig Hauser, Mödling kennbar spielt Harnacks Ansatz mit, doch so, dass dessen subjektiv verfärbter Denkhorizont kritisch beleuchtet wird, damit die objektiven Geschehnisse christlicher Glau- MARTIN BUBER: Das Buch der Preisungen. Ver- bensgeschichte als solche wahrheitsgemässer zum Vor- deutscht von Martin Buber. Mit einer elfseitigen Beilage: schein kommen können. K. Beyschlag versteht Dogmen- Zur Verdeutschung der Preisungen. 9., durchgesehene geschichte wesentlich als »Normgeschichte des christli- Auflage der neubearbeiteten Ausgabe von 1958. Heidel- chen Glaubens«. Dabei wird die Bedeutung des Normati- berg 1982. Verlag Lamben Schneider. 172 Seiten. ven mit dem rechten theologischen Spürsinn gesehen: auf »Wir können als Urteilende nicht mehr die Stufe preisge- dem Spiel steht die Heilsfrage, deren Beantwortung nicht ben, die mit Schleiermacher und Humboldt erreicht war. einfach dem subjektiven Ermessen oder der weltanschauli- Der Begriff der Übersetzungskunst müsste literarästhe- chen Beliebigkeit überlassen werden könne (2). tisch geschützt werden.« Mit diesen Worten schloss der Das — wie eigens vermerkt — für »katholische und evange- Freiburger Romanist Hugo Friedrich seine Schrift »Zur

119 Frage der Übersetzungskunst« (Rede zur Aufnahme in die Nietzsche reicht. Ein zweiter Teil präsentiert sich unter Heidelberger Akademie der Wissenschaften, 1965; publi- der Überschrift »Versuche unserer Zeit« ; sie beinhaltet ziert bei Carl Winter im nämlichen Jahr, Zitat daselbst nicht nur die mit eigenen Abschnitten bedachte »Lehre« S. 21), in der er in gewohnter meisterhafter Präzision und von Heidegger und Scheler, sondern auch deren philoso- Kürze einen Überblick über die Geschichte des Überset- phiegeschichtliches Vor- und Umfeld. zens und die darin sich entwickelnden Tendenzen, An- Was es mit dem Menschen für Buber auf sich hat, haben schauungen, Wertmassstäbe und Ziele eröffnete. kann und sollte, entfaltet er in der zweiten der hier zur An diese Stadien der Entwicklung der Kunst des Überset- Besprechung anstehenden Publikationen. Für den heuti- zens (und des Über-setzens im Sinne Herders) wird man gen Leser legt es sich fast nahe, »Das Problem des Men- zumal bei einer Übertragung des grossen dichterischen schen« als eine philosophische Einleitung zu »Ich und Du« Werkes der Bibel, genannt Psalmen, erinnert. Buber nennt zu lesen, denn das Konzept Bubers über die genannte es denn auch eine Verdeutschung, was er da vorgelegt hat: Problemfrage Mensch kommt ohne Zweifel hier zur Aus- ein Versuch, ur- kundlich zu verdeutlichen (wie ich es ein- führung. Dass das zweite Buch etwa fünfzehn Jahre vor mal genannt habe), was nur die Ur-Sprache in Ur-Sprach- dem erstgenannten erschien, sei vermerkt, es ändert aber lichkeit auszusagen vermag. Von dem Eigentlichen, dem für Darstellung und Nachvollzug des Denkwegs nichts; es Letzten, dem Unverfügbaren eine ganz ur-sprüngliche lässt im Gegenteil die Konsequenz des Verstehensweges Kunde zu geben, das ist und bleibt das Ziel. Buber muss von Buber um so deutlicher werden. dabei (zusätzlich zu anderen Schwierigkeiten) unserer Und damit sind wir beim Kern. Bedeutende Philosophen Sprachvereinseitigung und Sprachverarmung entgegen- und Denker haben ihre Konzeption, ihre Sicht: sowohl wirken, und jedes »hörbereite« Lesen (wie Buber selbst es des Menschen wie der Sachverhalte. Und sie sind vorab nennt) wird dies sogleich festzustellen vermögen. Es mag, Interpreten ihres Denkens — ihres eigenen. Buber ist also um nur einen kleinen Hinweis zu geben, daran erinnert in der Darstellung anderer Denkwege nicht ein Historiker sein, wie schwer es allein schon sein kann, ein in unglaub- der Philosophie, sondern selbst ein Philosoph. Nur so lich vielfältigen Facetten sich darbietendes alemannisches lässt sich in kurzen dürren Worten Wert, Eigenheit und Sprachgut in angemessener Weise in Hochsprache zu set- Grenze seiner Darlegungen andeuten. Beachtet man aber zen; ähnlich finden sich — und Buber verweist darauf in dies, so wird einem der unerschöpfliche Reichtum des dem kleinen Beiheft »Zur Verdeutschung der Preisungen« Denkens von Martin Buber ungeschmälert zuteil werden — zahlreiche hebräische Wortdifferenzierungen, für die es können. Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. nicht einfach ein ebenfalls differenziertes deutsches Wort (Grundwort, Stamm usw.) gibt. Wenn Buber also, gerade MARTIN BUBER: Das dialogische Prinzip (Reihe: Lam- hier, sehr wortschöpferisch tätig ist, vor allem etwa zahl- bert Schneider Taschenbücher). 5., durchgesehene Aufla- reiche Tätigkeitswörter aus anderen Wörtern ableitet ge. Heidelberg 1984. Verlag Lambert Schneider. 324 Sei- oder neu bildet, welche zunächst äusserst ungewohnt oder ten. eigenwillig erscheinen, so ist dies keineswegs ein Versuch, Mit dieser Publikation wird ein Sammelband neu vorge- aus dem vorliegenden Text etwas Neues und Eigenes zu legt, welcher aus dem im Jahre 1954 erschienenen Band machen, sondern vielmehr und im Gegenteil ein Eingehen mit dem Titel »Die Schriften über das dialogische Prin- auf eine Notwendigkeit des Textes selbst und ein Bemü- zip« erwachsen ist. Im einzelnen enthält der Band folgen- hen, eben diesem im Sinne urkundlichen Verdeutlichens de Beiträge : Ich und Du (einschliesslich des Nachworts so weit als eben möglich zu entsprechen. Die kurzgefasste von 1957); Zwiesprache; Die Frage an den Einzelnen; Beilage bietet dazu wertvolle Hinweise. Elemente des Zwischenmenschlichen; schliesslich, als Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. Nachwort: Zur Geschichte des dialogischen Prinzips. An- geschlossen sind ein Namenverzeichnis und eine editori- MARTIN BUBER: Das Problem des Menschen (Reihe: sche Anmerkung. Lambert Schneider Taschenbücher). 5., verbesserte Aufl. Wie ersichtlich, bietet dieser Sammelband — als Taschen- Heidelberg 1982. Verlag Lambert Schneider. 172 Seiten. buch in sehr handlicher Form und trotzdem, wie bei Lam- Ders.: Ich und Du. (Reihe: Sammlung Weltliteratur im bert Schneider nicht anders zu erwarten, in bester Aus- Verlag Lambert Schneider). 11., durchgesehene Auflage. stattung — die wichtigen Veröffentlichungen Bubers zu je- Heidelberg 1983. Verlag Lambert Schneider. 163 Seiten. nen Bereichen, die wir als die des »Individuellen« und des Schon in seiner Einleitung, überschrieben »Die Fragen »Sozialen« zu bezeichnen (und zu trennen) gewohnt sind. Kants« (S. 9-21), stellt Buber die Frage nach dem Men- Bubers Sicht vereint. Die Einheit wird aber weder er- schen als Problemfrage heraus. Er lässt dies an zwei Bei- zwungen noch sonst künstlich hergestellt, sie kommt also spielen deutlich werden, die er vorführt: Da ist einmal der nicht von aussen her über andere; sie ereignet sich von in- Rabbi Bunam von Przysucha, einer der grossen chassidi- nen her, sie erschliesst sich von innen heraus. Das ist im schen Lehrer, der ein Buch mit dem Titel »Adam« schrei- Grunde eben das Geheimnis des Dialogischen in der Ver- ben wollte: »es sollte darin stehen der ganze Mensch.« stehensweise Bubers; es lässt sich nicht eigentlich verob- Doch er kam darauf, dass er ein solches Buch gar nicht jektivierend darstellen — und es will das vor allem gar schreiben könne. — Und da ist zum anderen der Oratoria- nicht: der Nachvollzug lässt erleben (was natürlich bedeu- ner Malebranche (t 1715), der feststellt, dass seltsamerwei- tet: erkennend leben), was es damit auf sich hat. se Wissenschaft und Allgemeinheit der Menschen sich Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. gleichermassen wenig mit dem Menschen als solchem zu beschäftigen scheinen; Buber pflichtet ihm bei, stellt aber ALFONS DEISSLER: Zwölf Propheten. Hosea, Jodl, abschliessend fest: ». . . eine Lehre vom Wesen des Men- Amos (Die Neue Echter Bibel, Lieferung 4). Würzburg schen hat auch er nicht begründet.« 1981. Echter Verlag. 136 Seiten. Das kleine Buch mit dem Titel »Das Problem des Men- Auf dem Platz, den der Text der Einheitsübersetzung schen« führt also an eben dieses Problem heran. Und Bu- noch übriglässt, bringt Deissler eine erstaunliche Fülle von ber tut dies, indem er in grossen Schritten durch die Ge- Kommentardetails unter, hält sich meisterhaft an den schichte geht. Der erste Teil des Büchleins steht denn Klappentext (»präzise und knapp«). Der Band enthält auch unter dem Titel »Der Weg des Problems«, in dem ei- Einleitungen (mit Literaturangaben) zum Zwölfprophe- ne Übersicht gegeben wird, welche von Aristoteles bis zu tenbuch und zu den einzelnen Propheten (Zeithinter-

120 grund, Botschaft, Buch-Redaktion) sowie eine fortlaufen- Die Arbeit wurde 1981 als Dissertation des Münsteraner de Kommentierung des Schrifttextes. Diese umfasst text- Kath.-Theol. Fachbereiches angenommen. Zur Wahl des und literarkritische Diskussionen, Beobachtungen zur Themas stellt der Verf. gleich zu Anfang fest, dass das Form (lautliche Formung, Aufbaustrukturen, Kompositio- Interesse am Buch Tobit mehr als gering ist. Als Randphä- nen, Redaktion), zur geprägten Sprache (Formel, Sche- nomen in der Exegese enthält das Buch Tobit gleichwohl ma), zum Horizont (über die Randstellen der Einheits- einige neuralgische Punkte und ungelöste Fragen. Dese- übersetzung hinaus werden viele wichtige Bezüge gese- laers konzentriert sich vor allem auf die literaturkritische hen), zur Echtheitsfrage, zur Hermeneutik; sie vermittelt Analyse und Deutung, wobei er mit gleichbleibender Aus- Realienwissen, soweit es für das Textverständnis wichtig dauer sowohl die Grunderzählung wie die verschiedenen ist; schliesslich ist sie bibeltheologisch ausgerichtet. Erweiterungsschichten des Buches untersucht. Denn bei Der Standpunkt Deisslers sei in einigen Punkten umris- der literaturkritischen Analyse stellt der Verf. fest, dass im sen: Der Grundbestand des Hos-Buches (vom Propheten Buch Tobit eine Grunderzählung (die ca. 47 % des Text- und seinen Schülern) lag 722 bereits vor, er wurde in den bestandes ausmacht) in dreifacher Abstufung bearbeitet Süden gebrächt und jüdäisch überarbeitet und erweitert worden ist. Die Grunderzählung realisiert sich in ent- (u. a. 1,1.7; 3,5; 4,15; 5,5; 6,11). In nachexilischer Zeit scheidenden Ansätzen in der literarischen Form des Ro- kam 14,10 dazu. Nicht alle Heilstexte sind dem Prophe- mans und weist einen überraschenden Beziehungsreich- ten abzuerkennen (bei 2,1-3 ergeben sich am meisten tum zu biblischen Traditionen auf. Das Märchen von der Zweifel an der Echtheit). In Gomer sieht Deissler eine Braut des Unholdes gibt dabei die Basisstruktur des Tobit- Frau, die sich dem orgiastischen Baalsdienst verschrieben romans ab. Dem Jahweglauben sperrige Elemente des hat (Opfer der Jungfrauschaft oder Kultdirnen-Dienst). Märchens werden gleichzeitig überformt und integriert. Auch in Hos 3 ist Gomer gemeint; sie war ihrem Mann Auch vielfältige Elemente der alttestamentlichen Traditio- entlaufen und in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten. nen (bes. Gen 24) hat die Tobiterzählung in einer neuen Hos 1 und Hos 3 stammen von verschiedenen Händen. Form gesammelt und verarbeitet. Das Joel-Buch ist im grossen und ganzen eine Einheit Die theologische Intention der Grunderzählung wird (aus der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts). Die Einheit- transparent durch den »Leitwortstil« (eine Reihung der lichkeit ergibt sich aus der »Doppelbödigkeit« von Joel 2 Begriffe weist einen inneren Zusammenhang auf), der ei- (die erneute Heuschreckenplage wird auf den Tag nen hohen Grad der Entsprechung zwischen Gott und YHWHs hin transparent gemacht). Nachträge sind 4,4-8; Mensch aufweist. Das solidarische Handeln ist die Sum- 4,21 und eventuell 4,18-20. ma für ein Leben, das sich als Ganzes an Jahwe und der Die Hauptmasse des Am-Buches geht auf die Predigt von ihm gesetzten Ordnung orientiert. Als Adressaten des Propheten zurück und ist von der Jüngerschaft nur sieht Deselaers die Oberschicht der jüdischen Immigran- leicht retuschiert worden. Aus späterer Zeit stammen ten in Alexandria. 1,2.9-10.11-12; 2,4-5; 4,13; 5,8; 8,11-14; 9,5-6.11-15. Die Bearbeitungsschichten sind verschiedenen Weisheits- Beachtlich ist die literarkritische Diskussion zu Am schulen zu verdanken, die jetzt nicht mehr aus ihrer An- 9,11-15: Die Vorentscheidung, »die Unheilsprophetie des onymität zu holen sind. Sie tragen ihrerseits zielstrebig 8. Jh. schliesse Heilsworte aus«, kann kein literarkritisches Akzente ein und eröffnen neue Horizonte, indem sie die Argument sein (S. 136). Die Leser des Freiburger Rund- Tobiterzählung durch Theologisierung, Aktualisierung briefs werden sich besonders über die Ausblicke ins Neue und »Orthodoxierung« mehr und mehr in die kanonische Testament freuen. Hier wird das Verhältnis der Testa- Literatur einbinden. In dem Rahmen ist die stärkere Aus- mente in erfreulicher Vielfalt gesehen und nicht auf sim- richtung nach Jerusalem zu sehen. plifizierende Formeln gebracht. Das Alte Testament wird Der Arbeit ist eine vollständige Übersetzung des Buches als (auch für Christen) verbindliches Gotteswort ernstge- beigegeben, bei der die verschiedenen Drucktypen die nommen. Durch die neutestamentliche Erfüllung ist es Entstehungsgeschichte des Tobitbuches transparent ma- nicht abgetan. Es ist von bleibender Bedeutung; es ist un- chen wollen. Mit seiner Arbeit hat Deselaers eine schwere erlässliche Prämisse, tragendes Fundament des Neuen Te- Lücke in der alttestamentlichen Forschung geschlossen. staments (vgl. nur S. 36, 49, 60, 82, 130). Auch Christen Seine Analysen sind bahnbrechend, und es wird schwer kann die Kultkritik des Amos voll treffen (S. 118 f.). Und sein, seine Ergebnisse zu überholen. vor allem können Christen vom Alten Testament her das Dirk Kinet, Augsburg Neue besser verstehen (vgl. nur S. 15). Wer wie Deissler eine Fülle von Details präsentiert, bietet MONICA DORNEICH (Hrsg.): Vaterunser-Bibliogra- natürlich eine Fülle konkreter Ansatzpunkte für die Kri- phie. Jubiläumsausgabe der Stiftung »Oratio Dominica«. tik. Ich bin beispielsweise nicht davon überzeugt, dass die Freiburg i. Br. 1982. Verlag Herder. 240 Seiten. Grundeinheit des Joel-Buches das Jona-Buch voraussetzt Die unter dem Titel »Vaterunser-Bibliographie« erschie- (S. 66). Doch ist hier nicht die Fachdiskussion zu eröff- nene Schrift enthält bei näherem Zusehen vier Teile: 1. ei- nen. Der Faszikel erfüllt das Programm, das der Klappen- nen Forschungsbericht von Eleonore Jahnke. »Die mehr- text für die Kommentarreihe formuliert: er »dient allen, stimmige Vertonung des lateinischen Vaterunser in der die das Alte Testament besser kennenlernen möchten«. Zeit von 1500-1700. Überlegungen zum liturgischen Ort Als Schönheitsfehler sind die inkonsequente* Anwendung des Gebetes und der Vertonung« (Seiten 9-20); sodann 2. der Loccumer Abkürzungen (vgl. S. 5, 28 f., 65 f., 84) und die Bibliographie des Vaterunser in zwei Teilen: einmal die sonderbare Transliteration des Hebräischen zu notie- Bücher und Zeitschriftenaufsätze umfassend (Seiten ren (Letzteres geht wohl nicht zu Lasten des Autors). 21-161), bearbeitet von Monica Dorneich; zum anderen, S. 51 (Z. 17-19 rechts) erschwert ein falsch plaziertes wieder von Eleonore Jahnke besorgt, eine diesbezügliche Komma das Verständnis. Musikbibliographie und Diskographie seit 1945 (Seiten Gottfried Vanoni SVD, Mödling bei Wien 163-214); es schliesst sich an 3. ein »Arbeitsbericht der Stiftung >Oratio Dominica<, Abteilung ->Weltgespräch<

PAUL DESELAERS: Das Buch Tobit. Studien zu seiner und Ökumene von 1965 - 1984 (Seiten 215 - 234) aus der Entstehung, Komposition und Theologie (Orbis Biblicus Feder von Walter Strolz; und abschliessend werden die et Orientalis, Bd. 43). Freiburg/Göttingen 1982. Verlag Veröffentlichungen, welche vom Religionskundlichen In- Vandenhoeck & Ruprecht. 534 Seiten. stitut der Stiftung veranlasst, betreut bzw. herausgegeben

121 wurden, genannt (Seiten 235-240). — Man wird der über- Jesu — angeblicher — Reinigung des Tempelvorhofs. aus fleissigen, mühsamen und präzisen Arbeit von Monica Schliesslich behandelt D. Flusser »Das Testimonium Fla- Dorneich und Eleonore Jahnke ebenso Dank wissen, wie vianum. Die Neuentdeckung der Worte des Josephus über man, anlässlich vorliegender Jubiläumsausgabe, dem durch Jesus« (155-163); er bezieht sich dabei auf die von Sh. Pi- seine eigenen Bücher und Aufsätze ebenso wie durch seine nes in einer alten arabischen Übersetzung identifizierte Institutstätigkeit in Gesprächen und Publikationen interna- Originalfassung. Das Gespräch selbst orientierte sich be- tional bekannten Chef der »Oratio Dominica«, Dr. Walter greiflicherweise an Flussers bekannten Positionen aus sei- Strolz, zu den weitreichenden Erfolgen seiner Arbeit gratu- nem Jesus-Buch. Immerhin sind durch die Gesprächspart- lieren darf. Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. ner differierende Gesichtspunkte eingebracht. Aufs ganze gesehen, führt zwar die Uberschätzung der lukanischen KARL MARTIN FISCHER: Das Ostergeschehen. Zwei- Darstellung immer wieder dazu, dass man sich bei der te Auflage. Göttingen 1980. Verlag Vandenhoeck & Rup- Auswertung von Evangelienperikopen unnötigerweise auf recht. 124 Seiten. recht zweifelhafte Auswege einlässt. Doch wird davon das Diese Auflage ist als Lizenzausgabe der Evangelischeri Verdienst des Buches nicht geschmälert, das darin besteht, Verlagsanstalt Berlin (1978) erschienen. Bei dem Buch dass christliche Leser aus berufenem Mund jüdischer Ex- handelt es sich um eine Vorlesung (an der Leipziger Karl- perten vor allzu grossem Zutrauen in die historische Zu- Marx-Universität gehalten). Dementsprechend sind die verlässigkeit der neutestamentlichen Passionsüberlieferun- Erörterungen wissenschaftlicher Positionen knapp und gen gewarnt werden. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. gezielt ausgefallen; das erhöht die Flüssigkeit der Darstel- lung. Das Thema wird in vier grossen Blöcken (mit jeweils HUBERT FRANKEMÖLLE: Jahwe-Bund und Kirche zahlreichen Untergliederungen) behandelt: »Die Mög- Christi. Studien zur Form- und Traditionsgeschichte des lichkeit und Grenze der historischen Frage nach dem »Evangeliums« nach Matthäus (Neutestamentliche Ab- Ostergeschehen« (11-31); »Die Quellen und ihre Rede- handlungen, N. F. 10). 2. Aufl. Münster 1984. Verlag weise« (32-40); »Was ist das Ostergeschehen?« (41-44); Aschendorff. XX u. 420 Seiten. »Die historische Analyse der Ostertraditionen« (45-109). Gemäss den weithin angenommenen Ergebnissen neute- In diesem letzten Block bilden abschliessende »Überle- stamentlicher Exegese ist das Mt-Evang. hier als Redak- gungen zur Osterpredigt« die Brücke zu drei anhangswei- tion gegen Ende des 1. Jh. verstanden, in dem Überliefe- se abgedruckten Predigten (110-118). Einzelne Punkte rung aus der Spruchquelle Q, dem Mk-Evang. und ande- reizen zum Widerspruch. So etwa, wenn zum »Charakter res »Sondergut« in überlegter literarischer und theologi- der Ostererscheinungen« einleitend mit Recht festgestellt scher Reflexion zu einer Einheit verbunden sind. Der Ab- wird: »von keinem Zeugen haben wir einen Bericht, der schluss um das Jahr 100 bedeutet, dass das Evangelium in uns den Inhalt und die Art der Erscheinung deutlich ma- der schon bestehenden Trennung von Synagoge und Kir- chen würde«, Paulus eingeschlossen (73), und wenn dann che Ort und Zeit hat und dies expliziert. Evangelium und doch »als historisch gesichert« angenommen werden soll, Kirche sind Erfüllung des AT und der Berufung Israels. »dass der Inhalt der Ostervisionen eine Vision Jesu als Die Gegenwart der Kirche ist heidenchristlich universal. himmlischer Gestalt in Herrlichkeit war« (97). Oder wenn Israel ist im AT das immerwährende »Mitsein« Jahwes ( = »die Erhöhung Jesu unmittelbar vom Kreuz aus« als »In- Ich bin der Daseiende) zugesagt. Wie oft früher, so muss terpretament des Ostergeschehens« älter sein soll als das- auch nun über Israel Gottes Klage ergehen (Mt 17, jenige der Auferstehung (100, vgl. 91-105) — die durchaus 14-21; 23, 32-39). Die theologische Leitidee des Mt- einleuchtend begründete »Vermutung . . ., dass Jesus ohne Evang. ist das »Mitsein« Jesu, des »Emmanuel« (Mt 1, ordentliches Begräbnis zusammen mit anderen Gehenkten 23). Das Mitsein Jesu wird konkret in der Jüngerschaft. vergraben wurde« (68), erfordert keineswegs, die Be- Gott ist der Vater und die Jünger sind mit Jesus, dem kenntnisaussage der Auferweckung derart zurückzuset- Sohn Gottes, Gottes Söhne und miteinander »Brüder«, zen. Schliesslich wird der Vf. seinen eigenen Kriterien wie sich ja auch Israel als grosse Familie gewusst hat. nicht gerecht, wenn er in einer Predigt feststellen zu kön- Wohl sind die Zwölf zuerst nur zu Israel gesandt (Mt 10, nen meint, dass sich über Jesu »Beseitigung sowohl die 5 f.). Jedoch ist Mt 10 keine historische Situation im Le- frommen Juden wie der heidnische Pilatus plötzlich einig« ben Jesu, sondern eine »kunstvolle Komposition«. Wie Je- gewesen seien (114). Davon abgesehen, bietet das Buch sus sich zu den Heiden gesandt weiss und zu ihnen geht eine umsichtige Erörterung der neutestamentlichen Oster- (Mt 8 u. 15, 21-28), so sind nun auch die Völker berufen botschaft. Die historisch-kritische Methode ist dabei nicht (Mt 24, 9; 25, 32; 28, 19). Israels Geschichte ist erfüllt im Selbstzweck, sondern dient dazu, den jeweiligen theologi- neuen »Evangelium«, zusammengefasst zwischen Prolog schen Gehalt präzise zu erfassen und auf seine aktuelle (Mt 1-2) und Epilog (Mt 28). Wie Israel Gottes »Volk« Bedeutung für das christliche Glaubensleben abzuhor- und berufene Gemeinde ( = Ekklesia) war, so ist nun die chen. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. Kirche neue Gemeinde (Mt 16, 18; 18, 17) und Gottes Volk (22, 28; 28, 16-20). Die Kirche verwirklicht auch DAVID FLUSSER: Die letzten Tage Jesu in Jerusalem. die verheissene »Königsherrschaft Gottes« (Parabeltrilo- Das Passionsgeschehen aus jüdischer Sicht. Bericht über gie, Mt 21, 28-22, 14). In ihr wird das »Gesetz« befolgt, neueste Forschungsergebnisse (Engl. Ausgabe 1980). wobei Mt ebenso konservativ wie radikal fortschrittlich Stuttgart 1982. Calwer Verlag. 163 Seiten. ist, indem er das Gesetz auf das Liebesgebot konzentriert An einem Symposium über die Ereignisse der Karwoche (Mt 5, 16; 22, 36-40). »Der Evangelist ist ein durch und nahmen ausser D. Flusser und R. Lindsay, seinem Ge- durch kirchlicher Theologe«. Als Sohn Davids ist Christus währsmann für die Abhängigkeitsverhältnisse der Evange- gesandt zu Israel; als Sohn Abrahams erfüllt er die Ver- lien, M. Avi-Yonah und Sh. Safrai teil. Das durch zahlrei- heissung für alle Völker. Die zahlreichen Reflexionszitate che Bilder sehr ansprechend gestaltete Buch stellt »eine re- des Mt zeigen die Erfüllung des AT an. digierte Zusammenfassung« (14) des bereits einige Zeit Das Vorwort zur 2. Auflage ergänzt die Literatur aus den zurückliegenden Gesprächs dar. Ausserdem enthält es ei- Neuerscheinungen. Dazu erklärt es weiter Anlage und nen Beitrag von B. Mazar, »Neue archäologische Entdek- Absicht des Buches, insbesondere auf das akute jüdisch- kungen in Jerusalem« (143-148); darin geht es hauptsäch- christliche Gespräch hin. lich um die »Königliche Säulenhalle« in Verbindung mit Als Israel Ägypten verliess, nahm es die Schätze der Ägyp-

122 ter mit. Als die Kirche Israel verliess, nahm sie dessen literarischen Details tragen — im Gegensatz zu den para- Schätze mit. Ein grosser Schatz ist das Alte Testament in bolischen und allegorischen bzw. metaphorischen — zur seiner Fülle. K. H. Schellde, Tübingen Deutung nichts bei. Metapher und Allegorie setzt Buzy einander gleich; alle besonderen Züge eines Gleichnisses WOLFGANG HARNISCH (Hrsg.): Gleichnisse Jesu, seien »parabolische Elemente«. Iver K. Madsen sucht Positionen der Auslegung von Adolf Jülicher bis zur »einen ungebrochenen psychologischen Zusammenhang Formgeschichte (Wege der Forschung, 366). Darmstadt durch die ganze Parabel hindurch, teils durch die Berüh- 1982. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 457 Seiten. rungsassoziationen, teils durch die Ähnlichkeitsassozia- Dieses Buch' erweist sich bei fortschreitender Lektüre als tionsformen« (S. 109), kann aber m. E. nicht ganz über- recht neuzeitlich hermeneutisch orientiert. Wie es sich zeugen, weil die eigentlich philologische Grundlage der geziemt, eröffnet ein sonst kaum zugänglicher Artikel Gleichnisforschung doch zu wenig zur Geltung kommt. Adolf Jülichers den Band. Micher lässt zunächst die Evan- Ähnlich wie Buzy, aber nun mit der Berücksichtigung gelisten »das den Gleichnissen gemeinsame Grundmo- Bultmannscher Begriffe, geht C. H. Dodd an die Ausle- ment in ihrer bildlichen, metaphorischen Eigenart« erken- gung der Gleichnisse heran. Zugrunde legt er den Begriff nen, verwirft aber bald diese Erkenntnis als unhistorisch; der »Metapher bzw. des Vergleichs« und deren Ausgestal- beim Gleichnis handle es sich vielmehr um einen »erwei- tung zu einer Erzählung (S. 121). Er stellt fest, dass es in terten Vergleich«, im Fall der Stücke in Lk 15-19 »haar- allen Schichten der Evangelien Gleichnisse mit Anwen- genau« um Fabeln. Johannes Weiss' Bew-underung für die dungen neben solchen ohne Anwendungen gegeben hat Tragfähigkeit von Jülichers »musterhafte(r) Methode« (S. 132 f.). Jülichers Methode müsse ergänzt werden hindert ihn freilich nicht daran, in einzelnen Fragen an- »durch einen ernsthaften Versuch, die Gleichnisse auf ders zu denken; das betrifft nicht zuletzt die Einleitungs- ihren besonderen >Sitz< innerhalb der Krise zu beziehen, formel der Gleichnisse: Weiss will von diesen Formeln die Jesu Wirken hervorrief« (S. 135 f.). ganz absehen. Mit seinen energischen Hinweisen auf die Einen eindringlichen Forschungsbericht bietet Eberhard rabbinische Literatur hat sich Paul Fiebig bleibende Ver- Angel, »Die Problematik der Gleichnisrede Jesu«. Zu- dienste erworben. Allerdings sind bei Fiebig Widerspruch nächst legt Jüngel dar, wie Jülicher nicht nur Aristoteles' gegen Jülicher und Übereinstimmung mit ihm ineinander Rhetorik, sondern ebensosehr seiner Logik und Ontologie verschränkt — wohl aufgrund einer gemeinsamen allge- verpflichtet ist. Den Konsequenzen von Jülichers Auffas- meinen Bildungstradition; Eberhard Angel widmet Fiebig sung stellt Jüngel seine Bedenken gegenüber (S. 290 f.); in seiner umsichtigen und höchst informativen »Problema- für Jüngel gehorchen die Gleichnisse Jesu einer anderen tik der Gleichnisse Jesu« eine ausführliche Anmerkung Gesetzlichkeit als der aristotelischen Satzlogik. Im weite- (S. 291 ff.). Es ist daher zu begrüssen, dass Fiebig in die- ren entdeckt Jüngel einige »glückliche Inkonsequenzen sem Band zweimal zu Worte kommt, auch wenn wir heu- Jülichers« (S. 298 f.), die für die Revision seiner Anschau- te Fiebigs Anfänge noch ganz erheblich zu erweitern und ungen von Bedeutung sind. Vor allem aber wirft Jüngel zu vertiefen haben. Jesus, die Apostel und die Evangeli- Jülicher vor, den eschatologischen Charakter der Gleich- sten (so Fiebig, S. 76 dieses Buches) waren Semiten und nisse Jesu ex radice verkannt zu haben (S. 299). Bult- sprachen und dachten anders als Griechen oder Lateiner; mann, der »mit seinem Ansatz sachlich in der Nähe Jüli- das habe Jülicher zu wenig bedacht. Die Radikalität seines chers bleibt«, geht bei seiner formgeschichtlichen Analyse Kampfes gegen alle allegorisierenden Momente wäre vom »unliterarischen Charakter des Überlieferungsstof- durch die am Einzelnen und Konkreten haftende jüdische fes« aus, so dass es unerheblich ist, ob die Tradition Denkweise gemildert worden. »Die inhaltliche Originali- mündlich oder schriftlich sei (S. 300). Die »eschatolo- tät der Gleichnisse Jesu liegt darin, dass 1. viele Gleichnis- gische Stimmung« ist wohl ein Echtheitskriterium, hilft se Jesu eschatologisch-messianischen Charakter haben, aber nicht dem Verständnis der Gleichnisse als solcher was bei der Richtung des rabbinischen Denkens völlig zu- (S. 304). Ein Entmythologisierungsprogramm verfolgt rücktritt; 2. darin, dass Jesu Denken nicht in dem Masse auch C. H. Dodd in seinem Buch über die Gleichnisse wie das Denken der Rabbinen der Schriftauslegung dient; vom Reich Gottes. Aus der von Albert Schweitzer gefor- 3. darin, dass bei Jesus die grossen religiösen Themata derten konsequenten Eschatologie wird nun aber eine und Grundgedanken wesentlich mehr in den Vorder- »realized eschatology«, deren begriffliche Widersprüch- grund treten als in den rabbinischen Gleichnissen« (S. 78). lichkeit von Jüngel scharf herausgestellt wird. Die Suche Das am Einzelnen und Konkreten Haften des jüdischen nach dem »Sitz im Leben Jesu« führt dann dazu, dass die Denkens ist auch verantwortlich für die »Inkonzinnität in Gleichnisse »zu biographischen Illustrationen des eschato- dem Anfang vieler Gleichnisse Jesu« (S. 80). Jülicher hat logischen Wirkens Jesu« werden. Dodds einseitigen Basi- sich zu wenig vergegenwärtigt, dass es »bei vielen Gleich- leia-Begriff samt der daraus folgenden »Verkürzung der nissen psychologisch sehr naheliegt, von einzelnen Meta- Eschatologie« (S. 317) hat Joachim Jeremias abgelehnt. phern auszugehen . . ., und dann ergeben sich sehr leicht Statt nach dem »Sitz im Leben« zu fragen, sucht er für je- Mischformen zwischen reinen, ausgeklügelten Allegorien des Gleichnis dessen »bestimmten historischen Ort« in Je- und reinen Gleichnissen. Jülicher perhorresziert Misch- su Leben (S. 317 f.). Letztlich aber sind die Gleichnisse formen« (S. 81). »christologische Selbstzeugnisse des historischen Jesus«. Für Denis Buzy (1916) sind die Gleichnisse der Evangelien Ernst Lohmeyer und Ernst Fuchs haben nun die Aufgabe »eine Zwischengattung zwischen der Geschichtserzählung erkannt, das Wie der eschatologischen Bestimmung der und der einfachen Fiktion« (S. 85). Letztlich sei das Gleichnisse mit dem Verständnis ihrer Sprachform zusam- Gleichnis nichts anderes als ein entwickelter Vergleich, menzubringen. Lohmeyers wichtiger Aufsatz »Vom Sinn dessen Hauptlehre sich aus dem augenfälligen Grundzug der Gleichnisse Jesu« ist abgedruckt. »Fragen der literari- der Erzählung und aus dem Kontext ergebe. Aufgrund schen Form« (eschatologisches oder paradigmatisches des Studiums rabbinischer Gleichnisse kommt Buzy zum Gleichnis) »drängen zu denen des sachlichen Gehaltes« Schluss, dass Undeutlichkeit der Analogie zwischen den (S. 322). Wenn Gleichnisse nicht »mögliche Mittel der beiden Gleichnisgliedern (Bild- und Sachhälfte) durchaus Überzeugung« sind, sondern »eine notwendige Form des möglich und keineswegs ein Indiz der Unechtheit ist. Die Da-Seins der Sache, von der der Hörer überzeugt werden soll«, so ergibt sich, dass die »Sprachform der Gleichnisse 1 s. o. S. 124. (Anm. d. Red. d. FrRu) in dem, was sie zur Sprache bringen«, begründet ist

123 (S. 324 f.). Erst jesuanisch ist die »unlösliche Einheit« pa- »Erstadressaten« fragwürdig; Harnisch greift lieber eine radigmatischer und eschatologischer Gleichnisrede Aus- Formulierung Dan 0. Vias auf, wonach das Gleichnis »et- druck der eschatologischen Einheit von Zukunft und Ge- was zu dem und über den Menschen und nicht nur zu genwart (S. 325 f.). Ernst Fuchs seinerseits erklärt die dem und über den Menschen in einer besonderen histori- Gleichnisse als »Sprachbewegungen im Neuen Testa- schen Situation« sagt (S. 406 f.). Jesu analogische Sprache ment« : Im Sinne des Glaubens will das Mögliche sich als kann eben nicht auf eine »soziale Tatsachenbasis« redu- es selbst aussprechen, erfordert aber die Sprachbewegung ziert werden; der Zweck der Gleichnisrede erschöpft sich der Analogie. Dieses Mögliche will aber »dem Wirklichen nicht in der Situation, sondern erhebt den Anspruch, »der sprachlich zu seiner Wahrheit verhelfen«; darum muss die Situation menschlicher Existenz hilfreich entsprechen zu Sprachbewegung' um des Wirklichen willen stattfinden können« (S. 407f.). Die für Jesu Verkündigung charakte- (S. 329). Es geht Fuchs um die »Sprachkraft des existie- ristische Wortfigur der Metapher bringt die »analogische renden Glaubenden« (S. 330). Das Zeugnis vom eschato- Kraft der Sprache ins Spiel«. Sie soll bewirken, dass der logischen Ereignis bedarf einer Analogie, welche »die er- Gesprächspartner »die Bewegung mitvollzieht, zu der die forderte Einstellung« zur Wahrheit dieses Ereignisses »mit Analogie auffordert«. Jesu Gleichnisse sind also nicht ar- anderen Einstellungen« vergleicht, »uns so an das Mögli- gumentative Streitreden, sondern Aufforderungen zum che erinnernd«. Darum »bildet Jesus im Zentrum seiner Mitgehen (»Nachfolge«) beim affirmativ verkündeten Ge- Verkündigung das Gleichnis bzw. . . . die Parabel, die der schehen der Basileia. Methapher näher steht als dem reinen Bildwort« (S. 331). In dieser vom Interesse der Gleichnisforschung bestimm- Das im Bildteil Gesagte soll für die Stellungnahme des ten Anzeige konnten nicht alle Teile dieses Bandes gebüh- Partners offen bleiben, zugleich aber die Pointe der Sach- rend berücksichtigt werden. Harnischs verdienstvolle hälfte unterstreichen (S. 332); die Sachhälfte »ist der ei- Sammlung bedeutet — trotz den bedauerlichen Einschrän- gentliche Sitz im Leben für das Gleichnis« (S. 335). Einen kungen, von denen er zu berichten hat — einen wichtigen eigenen Bezug zur »Analogie« verrät die »Paradoxie« im Beitrag zur neueren Geschichte der neutestamentlichen Vergleich zwischen Bild- und Sachhälfte als »ein in den Wissenschaft. Simon Lauer, Luzern Gleichnissen Jesu angewendetes Stilmittel« (S. 336 f.). Jüngel schliesst seine Darstellung mit einigen Folgerungen DERS. (Hrsg.): Die neutestamentliche Gleichnisforschung und Erwägungen: Die Sprache Jesu kann nicht als blosse im Horizont von Hermeneutik und Literaturwissenschaft Form vom Inhalt seiner Verkündigung getrennt werden. (Wege der Forschung, Bd. 575). Darmstadt 1982. Wissen- Die Basileia und die Gleichnisse müssen wechselseitig schaftliche Buchgesellschaft. IX/441 Seiten. voneinander her verstanden werden; sonst wird die Basi- Dieser Sammelband »thematisiert neue Wege der Gleich- leia als eine von Jesus proklamierte These missverstanden. nisforschung« und verdient besondere Aufmerksamkeit, »Die Basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. weil er »einen tiefgreifenden Wandel der methodologi- Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleich- schen Besinnung erkennen lässt« (VII). Er verdient daher nis zur Sprache (S. 338).« In den Gleichnissen Jesu sam- eine eingehende Besprechung. melt ein primum comparationis durch seine analogische Es handelt sich um eine Sammlung von elf repräsentativen Kraft einzelne Anschauungselemente . . . auf sich als Poin- Entwürfen über neue Wege der ntl. Gleichnisforschung. te . . . und erscheint so schliesslich als »ultimum compara- Dabei kommen sowohl die Ergebnisse der modernen Lite- tionis« am Ende des Gleichnisses. Diese Pointe soll zur je- raturwissenschaft als auch jene der Hermeneutik zur weiligen Pointe der Existenz des angesprochenen Men- Sprache. Der Herausgeber macht darauf aufmerksam, schen im extra nos der Gottesherrschaft werden. Das dass und wie sich Hermeneutik und Literaturwissenschaft Gleichnis hat sowohl verbergende als auch entbergende wechselseitig bedingen: Bei den Gleichnissen kann »mit Tendenz, insofern es seine Einzelzüge auf die Pointe hin dem Erzählcharakter des Gleichnisses auch der Gleich- sammelt bzw. die Pointe der Einzelzüge bedarf. »Die nischarakter des Erzählten thematisiert« werden (VIII). Gleichnisse Jesu sind Sprachereignisse, in denen das, was Als besonderes Verdienst ist anzurechnen, dass der Her- in ihnen zur Sprache gekommen ist, ganz da ist, indem es ausgeber die ausserdeutsche, insbesondere die amerikani- als Gleichnis da ist.« Indem die Gottesherrschaft aber als sche neutestamentliche Gleichnisforschung einbezieht, da Gleichnis da ist, wahrt sie die Differenz zwischen Gott und ja die deutsche Exegese darin längst nicht mehr führend Welt... Dadurch erscheint die Schöpfung . . . im Lichte ist. Im folgenden werden einzelne Autoren, Beiträge und der das Alte beendenden Gottesherrschaft, während die auffallende Ergebnisse herausgegriffen, um den Reichtum Gottesherrschaft ihrerseits in der Sprache des Alten zum dieses Buches erahnen zu lassen.

Gleichnis wird. »Jesu Verhalten erklärt den Willen Gottes Der Hermeneutiker Ernst Fuchs (Die Analogie, S. 1 - 19) mit einer an Jesu Verhalten ablesbaren Parabel. Wolfgang analysiert die Begriffe Metapher, Bildwort, Allegorie, Harnisch setzt sich mit der — seines Erachtens allzu gängi- Gleichnis, Parabel, Beispielerzählung und Sprichwort. Er gen — These vom argumentativen Charakter der Gleich- gelangt zum Schluss, dass man von den Parabeln her sa- nisse Jesu auseinander. In diesem Zusammenhang zitiert gen kann, »dass Jesus sich selbst verkündigt hat«. Es blei- er, was Hauck (ThWNT V 747) über die rabbinischen be aber offen, »ob Jesus auch für uns zum Mass der exi- Gleichnisse sagt: Sie dienten der Auslegung zur Erläute- stentiellen Besinnung wird« (S. 17). Robert W. Funk (Das rung einer Aussage innerhalb einer Auseinandersetzung. Gleichnis als Metapher: S. 20-58) wendet sich dagegen, Die argumentative Wirkung der Analogie im Streitge- die Gleichnisse nur als objektive Erzählung zur morali- spräch beruht aber auf deren literarischer Funktion schen Belehrung aufzufassen. Sie sind vielmehr »Sprach- (S. 396). Dass die Analogie den Charakter eines Beweis- ereignisse, bei denen der Hörer zwischen zwei Welten zu mittels habe, beruht auf der rhetorischen — nicht poeti- wählen hat« (57 f.). In seinem zweiten Artikel (Die Struk- schen — Herkunft der Fabel (gemäss Herders, nicht Les- tur der erzählenden Gleichnisse Jesu : S. 224 -247) unter- sings Theorie, deren Einfluss auf Jülicher Hans G. Klemm sucht er zehn erzählende ntl. Gleichnisse. In allen findet in diesem Band ausführlich darzutun sucht). Der Gegen- er drei Hauptbeteiligte (Partizipanten), von denen stets ei- stand (sc. die neutestamentlichen Schriften) lässt sich in- ner der Determinant und die beiden anderen die Respon- dessen in keine der von der Rhetorik aufgestellten Arten denten sind. Nach Dan 0. Via (Die Wechselbeziehung einordnen (so E. Auerbach, zitiert S. 404 Anm. 53). Im von Form und Inhalt in den Gleichnissen: >Das hochzeitli- Lichte moderner Hermeneutik wird die Orientierung am che Mahl< : S. 59-75) sind die ntl. Gleichnisse autonome

124 ästhetische Objekte, d. h. selbsttragende, frei erfundene trennte, nicht strikt zueinander passende Bereiche zuein- Geschichten. Im Gleichnis vom hochzeitlichen Mahl (Lk ander in ein Verhältnis gesetzt werden. Durch diesen 14,16-24 par.) liege eine »vereinheitlichende Wirkung ei- »Transfer der Etiketten« (296) erweisen sich die Gleich- ner Hauptfigur« in Gestalt des einladenden Königs vor, nisse als »dichterische Sprache, die nicht wörtlich sagt, »der als einziger der Geschichte Kontinuität verleiht« was die Dinge sind, sondern wem sie gleichen. Gerade auf (70 f.). Dadurch ergebe sich eine »Verlagerung von einem diese mittelbare Weise sagt sie, was sie sind« (297). Die vorherrschend existentiellen zu einem vorherrschend religiöse Sprache bildet das »qualifizierende Moment des theologischen Standpunkt« (72). Hier wäre der Hinweis Gleichnisses« (248). Sie »modifiziert« das Poetische zu hilfreich gewesen, dass hier eine Annäherung an den rab- einer »sonderbaren Sprache«, in der die Begriffe zu binischen Gleichnistyp vorliegt, der auch dem theologi- »Grenzausdrücken« werden, und zwar im Sinne von schen Element gegenüber dem existentiellen Vorrang ein- »qualifier« bei I. T. Ramsey. Eberhard Jüngel (Das Evan- räumt. Louis Marin (Versuch zur strukturalen Analyse des gelium als analoge Rede von Gott: S. 340-366) stellt die Gleichnisberichts (Mt 13,1-23: S. 76-126) bietet eine Er- notwendige Thematik des analogen Redens von Gott klärung des Gleichnisses vom Sämann mit strukturaler zur Diskussion. Die Gleichnisse sind ja analoge Rede. Methodik, wobei er nicht zwischen Tradition und Redak- »Was sich hermeneutisch im Blick auf die Rede von tion und auch nicht zwischen Gleichnis- und Rahmentext Gott als je immer grössere Ähnlichkeit in noch so grosser unterscheidet. Der ganze Text ist für ihn das »Corpus« Unähnlichkeit erweist, muss sich deshalb auch onto- bzw. das »Terrain«, über das er verschiedene Modelle logisch im Blick auf das Sein angeben und formulieren legt, um es transparent zu machen. John D. Crossan lassen« (366). (Gleichnisse der Verkehrung: S. 127-158) stellt die These Der Sammelband gibt einen ausgezeichneten Überblick auf, die bei Lukas zu Beispielerzählungen verwandelten über die im Gang befindliche Gleichnisforschung. Viele Gleichnisse seien von Jesus als »Gleichnisse der Verkeh- neue methodologische Entwürfe der letzten Jahre werden rung« erzählt worden. Die Jesusgleichnisse hätten zur dargelegt, und zwar von erstklassigen Autoren. Wenn je- Herausforderung des Reiches gegenüber Selbstzufrieden- mand an einer grösseren Konvergenz in der Gleichnisfor- heit in anerkannter Welt gedient. Die Pointe der Gleich- schung der Zukunft interessiert ist, muss er dieses Buch nisse habe darin gelegen, dass durch den Hereinbruch des lesen. Georg Klostermann, Kriens (Luzern) Reiches eine Umkehrung bisheriger Werte und Urteile eintrete. Nach Werner G. Kümmel (Noch einmal: Das WOLFGANG HUBER / ILSE TÖDT (Hrsg.): Ethik im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat: S. 159-178) wä- Ernstfall. Dietrich Bonhoeffers Stellung zu den Juden und re das ntl. Gleichnis als blosses selbständiges ästhetisches ihre Aktualität. (Internationales Bonhoeffer-Forum, 4). Objekt, losgelöst von der Person Jesu und der konkreten München 1982. Verlag Kaiser. 264 Seiten. Situation, missverständlich. Erhardt Güttgemanns (Narra- Die Beiträge des Sammelbandes — bis auf die Einleitung tive Analyse synoptischer Texte: S. 179-223) gibt einen der Hrsg. (11-22) und die abschliessende Predigt von sehr nützlichen Einblick in die moderne linguistisch beein- Chr. Gremmels (237-242) allesamt überarbeitete Vorträ- flusste, strukturale Erzählforschung. Deren Ergebnisse ge — kreisen um diese beiden zusammengehörigen Pole: wendet er zur Analyse einiger Perikopen aus den Synopti- die Bewertung der Äusserungen Bonhoeffers zur »Juden- kern an. In Anlehnung an die Arbeiten anderer Forscher frage« 1933' und die Folgerungen, die sich aus seiner wei- an einem »Lexikon narrativer Themen« eruiert er aus den teren Entwicklung in dieser Frage für die durch den Be- synoptischen Gleichnissen ca. 80 Motifeme (kleinste Ein- schluss der rheinischen Landessynode 1980 ausgelöste heiten des Tiefentextes). Er ldassifiziert sie dann, um Diskussion innerhalb der evangelischen Kirche ergeben. sichtbar machen zu können, »ob die seit der Formge- Zur »Entscheidung« des jungen Bonhoeffer nehmen H. E. schichte üblichen Gattungsbestimmungen tiefenseman- Tödt und E.-A. Scharffenorth unter verschiedenem tisch überhaupt haltbar sind oder nur auf Oberflächen- Aspekt Stellung: der erste (139-183) zeichnet die theolo- differenzen beruhen« (183). In einem dritten Schritt wer- gische Entwicklung nach, von der aus dann die »Judenfra- den »die sechs semiotischen Aktanten (Donator, Objekt, ge« zum »Ernstfall« der Ethik wurde; der zweite Adressat, Protagonist, Adjuvant und Opponent) einge- (184-234) beleuchtet Bonhoeffers Position durch den führt und ihnen entsprechende Ausdruckselemente zuge- Vergleich mit denen W. Künneths auf der einen und H. ordnet« (183. 199). Ein vierter Schritt »widmet sich der Ehrenbergs auf der anderen Seite (der Abdruck der ein- narrativen Logik, d. h. der semantischen Logik des narra- schlägigen Texte im Quellenanhang erleichtert den Nach- tiven Tiefentextes«. Dadurch kann gezeigt werden, »wie vollzug). Der Kritik an missverständlichen Aussagen des der Text eine mehrere transformationelle Durchläufe Synodenbeschlusses stellt sich B. Klappert (77-135). In- durchlaufende Transformation der narrativen Basis (Mo- dem er mit seiner Interpretation späterer Texte zu belegen tifeme und Aktanten) ist, so dass so erzählt werden muss, sucht, dass Bonhoeffer sich schliesslich von seinem »theo- wie erzählt worden ist, wenn sich ein sinnvolles Ganzes logischen Antijudaismus« abgewendet hat, kann er den (semantische Kohärenz des Textes) ergeben soll« (184). umstrittenen Aussagen einen eindeutigen Sinn geben. Bezüglich der Aktanten findet Güttgemanns, »dass in kei- Darüber hinaus folgert er aus jener »Kehrtwendung«, ner Erzählung mehr als maximal 6 >Rollen< (Träger der dass die Synode noch gar nicht alle Konsequenzen aus Motifeme) unterstellt werden müssen« (223). Anhand der Bonhoeffers Einsichten gezogen hat. So ging sie auch analysierten Erzählungen hält Güttgemanns seine Hypo- »von einer fraglos vorausgesetzten heilsgeschichtlichen these für begründet, mit den 80 Motifemen und 6 Aktan- Kontinuität der Kirche« aus; aber: »Wegen ihres Versa- ten sei eine restlose Klassifizierung gegeben. Paul Ricceur gens in der >Judenfrage< betrifft die traditionelle« — gegen (Biblische Hermeneutik: S. 248-339) bespricht die literari- das Judentum gerichtete — »Diskontinuitätsthese die Kir- sche Form der Gleichnisse nach drei Gesichtspunkten: che selbst« (98)! Voraus geht der Versuch W. Schrages, nach der narrativen Form, dem metaphorischen Prozess sein Ja (als Synodale) und sein Nein (als Neutestamentler) und der Besonderheit der religiösen Sprache. Unter meta- phorischem Prozess versteht er die Fähigkeit der Meta- phern für Bedeutungserweiterungen (Interaktionstheorie 1 Vgl. dazu u. a.: Bonhoeffers Aufsatz: »Die Kirche vor der Ju- denfrage«, fertiggestellt am 15. April 1933 (s. Bd. 4 der Bonhoef- der modernen Semantik). In der Metaphorik geschieht fer-Auswahl, besprochen von Otto Dudzus in: FrRu XXIV/ immer ein »kalkulierter Irrtum« (295), weil ja zwei ge- 1972, S. 106, sowie s. u. S. 179).

125 zu rechtfertigen (41 -76). Wenn er dabei die Hoffnung chen Verfasser(kreis), Israel in hoffnungsloser Zeit der äussert, der Behauptung nicht zu begegnen, die Darstel- tröstlichen Nähe seines Gottes zu vergewissern. In der lung des jüdischen Gesetzesverständnisses durch Paulus göttlichen Anordnung zum Bau eines Heiligtums am Sinai sei »nur ein einziges grandioses Missverständnis« (50), so zeigt sich die wahre, der Schöpfung entsprechende Be- hält er sie inzwischen hoffentlich nicht mehr aufrecht (vgl. stimmung Israels: auf Erden ein Abbild jener himmlischen z. B. nur Smend/Luz, Gesetz: dazu meine Rez. in FrRu Wohnstatt Gottes zu errichten, damit Gott inmitten seines XXXII/1980, S. 107 f.). Es ist demnach gewiss nicht über- Volkes »wohnen« und ihm durch dessen Mittler Mose trieben, wenn E. Bethge (30-40) auf »ein beängstigendes und Aaron nahe sein kann. Die auf die Grundsituation Mass an Wiederaufarbeitung und Neuerarbeitung« hin- des verwirkten Lebens bezogene Aussagegehalt von »Süh- weist (37). Oder mit den Worten W. J. Pecks, der ihm bei- ne« wird nun in der himmlischen Sühnetheologie von P pflichtet (25 - 29): »Vor uns steht das gesamte Problem des vertieft und weitergeführt. Obwohl nun der Priester Christentums nach dem Holocaust . . .« grammatisches Subjekt des Sühnehandelns ist, bleibt es Peter Fiedler, Freiburg i. Br. letztlich doch Jahwe, der den Sühnevorgang kultisch voll- zieht; der Priester ist der von ihm bevollmächtigte Mittler. BERND JANOWSKI: Sühne als Heilsgeschehen. Studien Sühne ist auch bei der Priesterschrift kein vom Menschen zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel ausgehender Akt der »Selbsterlösung«, sondern die von KPR im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT, Gott her ermöglichte, im kultischen Geschehen Wirklich- Bd. 55). Neukirchen 1982. Neukirchener Verlag. XIV/ keit werdende und hier dem Menschen zugute kommende 394 Seiten. Aufhebung des Sünde-Unheil-Zusammenhangs. Die Prie- Der Sühnebegriff gehört zu den Grundlagen der christli- sterschrift hat das kultische Sühnegeschehen primär als ei- chen Überlieferung, er wird jedoch sehr kontrovers beur- nen Akt der Weihe verstanden, indem in ihm zeichenhaft teilt. Nach Janowski gibt es zwei theologie- und kirchen- die Lebenshingabe des Opfernden vollzogen wird. So geschichtlich folgenreiche Deutungsmuster, die einen beruht das kultische Sühnegeschehen nicht auf der Logik sachgemässen Zugang zur Sühnethematik in der Vergan- eines do ut des, sondern auf dem Gedanken eines do quia genheit weitgehend verhindert haben: die strafrechtliche dedisti. Definition von Sühne als »ausgleichende Gerechtigkeit« Die Untersuchung ist vorzüglich dazu geeignet, das Ge- sowie die theologische Qualifizierung kultischen Han- spräch zwischen Judentum und Christen bzw. innerhalb delns als »menschliche Leistung«. Die grundlegende Fra- der christlichen Konfessionen zu vertiefen und anzuregen. gestellung nach dem Sinn der Sühne (Leistung des Men- Dass Janowskis Thesen fundiert genug sind, um als Ge- schen zum Zweck der »Selbsterlösung« oder gnädiges sprächsgrundlage zu dienen, wird durch seine wissen- Handeln Gottes für den Menschen) ist dann auch das schaftliche Akribie und seine saubere Methodik gewähr- Leitmotiv, das den Verfasser bei seiner Untersuchung be- leistet. Dirk Kinet, Augsburg gleitet hat. Das Werk wird eingeleitet durch eine Studie über die MANFRED KAEMPFERT (Hrsg.): Probleme der reli- Wurzel kpr in den semitischen Sprachen (im Ak kadischen, giösen Sprache (Wege d. Forschung, Bd. 442). Darmstadt Nordwestsemitischen und Südsemitischen). Aufgrund der 1983. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 391 Seiten. Polysemie der akkadischen und arabischen Wurzel liefern Die theologischen, hermeneutischen und linguistischen diese Sprachen keine eindeutige Etymologie für die Probleme, die die religiöse Sprache in sich trägt, werden hebräische Wurzel. Eine genaue Erfassung des im Alten erst seit kurzer Zeit systematisch erforscht. Man kann Testament mit »Sühne« und »sühnen« gemeinten Sach- noch nicht von einer bewährten Forschungstradition re- verhalts verweist methodisch auf die Analyse des Sprach- den. Kaempfert lässt solche moderne Autoren über allge- gebrauchs, dem ja infolgedessen auch der Hauptteil der mein theoretische oder methodologische Probleme der re- Arbeit gewidmet ist. ligiösen Sprache zu Wort kommen, die seiner Meinung Die Untersuchung des alttestamentlichen Sprachge- nach »sowohl die Verschiedenartigkeit der Aspekte und brauchs teilt sich in zwei grosse Bereiche auf, weil die Ansätze« erkennen lassen »als auch das überwiegend noch Priesterschrift und die ihr nahestehende Literatur eine Tentative und Programmatische des Forschungsstandes« Sonderstellung einnehmen. Im Sprachgebrauch ausserhalb zeigen (7). Folgende Autoren und Themen aus den Jahren der Priesterschrift zeichnet sich Sühne im zwischen- 1948-1977 sind in diesen Sammelband aufgenommen menschlichen Bereich, im Sühnehandeln Jahwes und im worden: Gustav Mensching, Sprache und Religion Bereich der interzessorischen Vermittlung ab. Die Wurzel (9-33), Friso Melzer, Vom Neuwerden der Sprache und kpr begegnet dort von Anfang an im Kontext mensch- vom Dienst am kirchlichen Wortschatz (34-49), Romano licher Schulderfahrung. Die Aufhebung des Sünde-Un- Guardini, Die religiöse Sprache (50-71), Gerhard Ebe- heils-Zusammenhangs betrifft immer das ganze Sein, kei- ling, Wort Gottes und Sprache (72-81), Paul Tillich, Das nen Teilaspekt des Menschen. Schon der älteste Sprach- Wesen der religiösen Sprache (82-93), August Langen, gebrauch der Wurzel lässt jene anthropologische Grund- Zum Problem der sprachlichen Säkularisation in der deut- situation des verwirkten Lebens und der im Menschen schen Dichtung des 18. und 19. Jhs. (94-117), Joseph Bo- angelegten Verantwortlichkeit für Ausgleich durch ein chenski, Über Bedeutung im religiösen Sprechen bestimmtes Sühnehandeln deutlich erkennen. (118-151), Ian T. Ramsey, Modelle und Qualifikatoren Die Hauptbelege und zudem eine ausgeprägte Theologie (152-183), Wim A. de Pater, Erschliessungssituationen dazu befinden sich in der Priesterschrift, in Ezechiel und religiöse Sprache (184-210), Erhardt Güttgemanns, 40-48 und im chronistischen Geschichtswerk. Dabei stellt Theologie als sprachbezogene Wissenschaft (211-256), sich Lev 17,11 als Summe der kultischen Sühnetheologie Manfred Kaempfert, Einige Thesen zu einer vielleicht heraus. Für das nach dem staatlichen Zusammenbruch möglichen allgemeinen Theorie der religiösen Sprache und Tempelzerstörung weiterexistierende Israel war die (257 -272), William J. Samarin, Die Sprache der Religion Möglichkeit, Gemeinschaft mit seinem Gott zu haben, und die Religionsforschung (273-292), Walter Magass, grundsätzlich in Frage gestellt. In einzigartiger Neubesin- Exempla ecclesiastica (293-337), Helmut Fischer, Sprach- nung auf die Offenbarungsgeschichte und in umfassender probleme der religiösen Verkündigung heute — eine Pro- Vergegenwärtigung der Einzelheiten des einst in Jerusa- blemanzeige (338-352), Eugen Biser, Religion und Spra- lem wieder auszuübenden Kultes gelang es dem priesterli- che (353-372).

126 Für judaistische Arbeiten an alten Texten sind besonders und Kompetenz->Texten< ist für die Interpretation rabbi- die Beiträge von Ian T. Ramsey, Wim A. de Pater und Er- nischer Texte aufschlussreich. Die rabbinischen Gleichnis- hardt Güttgemanns von Bedeutung. Wie die Auseinander- erzählungen sind z. B. Kompetenz->Texte<, die aus vorlie- setzung um die religiöse Sprache vertieft und weiter ver- genden Bibelversen ( = Performanz->Texte<) durch die läuft, beschreibt Güttgemanns in seiner polemischen Art Kompetenz des Erzählers, der eine disclosure hatte und so: »Der Historisierung der Theologie in den letzten 200 weitergibt, erzeugt worden sind. Der vorliegende Band ist Jahren und der Hermeneutisierung der Theologie in den also für vielerlei Textanalysen wegweisend. letzten 40 Jahren muss nun eine Linguistisierung der Georg Klostermann, Kriens (Luzern) Theologie folgen, wenn die Theologie wirklich die >Wis- senschaft der Rede von Gott< sein und bleiben soll. Als RAINER KAMPLING: Das Blut Christi und die Juden. solche kann sie sich heute nur noch ausweisen im interdis- Mt 27, 25 bei den lateinsprachigen christlichen Autoren ziplinären Rahmen der Wissenschaft von der Rede über- bis zu Leo dem Grossen (Neutestamentliche Abhandlun- haupt« (214). gen, Neue Folge 16). Münster i.W. 1984. Verlag Aschen- Inspirierend für die religiösen Sprachtheorien de Paters, dorff. VIII u. 260 Seiten. Güttgemanns und anderer war vor allem Ian T. Ramsey. Einer Besinnung auf Kirche und Synagoge im Neuen Te- Dieser musste sich mit den Neopositivisten und den stament ist der Ruf der Juden: »Sein Blut komme über uns Nachfolgern von Wittgenstein II auseinandersetzen. Ih- und über unsere Kinder« (Mt 27, 25) aufgegeben.' Der nen gegenüber betonte Ramsey, »dass religiöse Sprache in fachlich anerkannte Kommentar zum Mt-Ev. von dem Ju- Erschliessungssituationen verwurzelt und dass sie eine mit den C. G. Montefiore (New York, 1927) schreibt dazu: Hilfe qualifizierter Modelle aufrufende oder evokative »Ein schrecklicher Vers, eine entsetzliche Erfindung . . . Sprache ist« (so de Pater über Ramsey, 197). Nach Ram- Diese Sätze sind mitschuldig an Meeren von Menschen- sey beruhen religiöse Ausdrücke nicht auf einem irratio- blut und an einem ununterbrochenen Strom von Elend nalen Gefühl, sondern haben eine enge »logische Struk- und Verzweiflung.« tur« (177). Sie besteht darin, dass Denlunodelle (z. B. Heutige Exegese mag erwägen, dass Mt 27, 24 f. Sonder- Causalreihen) durch Qualifikatoren (wie: unendlich, voll- gut des Mt-Ev. ist. Dieses erhielt seine endgültige Gestalt kommen) im Prozess einer »charakteristischen Erschlies- wohl etwa 80-90 n. Chr., also in einer Zeit, da Judentum sung (disclosure)« (158) das Bewusstsein einer neuen und Christentum schon zwei getrennte und gegensätzli- Wirklichkeit eröffnen. So kann Ramsey von der »logi- che Religionen waren. Manche Texte dieses Evangeliums schen Struktur der Glaubensweisen« reden (177). (wie Mt 23, 13-39; 27, 62-66) lassen dies erkennen. Ge- Nach de Pater reichen semantisch-syntaktische Erkennt- hört auch Mt 27, 24 f. dazu? Gemäss Mt 27, 25 »rief das nisse nicht zur Erklärung religiöser Texte aus (vgl. 184 f.). ganze Volk: Sein Blut komme über uns . . .«. Ist das ganze »Die Analyse religiöser Sprache . . . erfordert sprachwis- Israel und für immer schuldig? Doch, war wirklich das senschaftliche Untersuchungen. Denn die linguistische ganze Volk damals vor Pilatus versammelt? Unserer Aus- Komponente ist input für die rhetorische; d. h. die seman- legung scheint die Verteilung der Schuld am Kreuze Jesu tisch-syntaktische Beschreibung ist vorausgesetzt für die nach Recht und Umständen eine kaum lösbare Frage. Bi- Erfassung der konkreten Bedeutung von Aussagen, wie blische und nachbiblische Texte lassen erkennen, dass in sie in der historischen Lage einmalig geäussert worden der Überlieferung die Römer immer mehr entlastet, die sind« (196). Dazu müsse aber noch »eine Erforschung des Juden immer mehr belastet werden. Ist die genaue Histo- Pragmatischen, besonders der sogenannten Gesprächs- rizität von Mt 27, 24 f. dadurch undeutlich? Angesichts implikaturen« erfolgen (196). De Pater nennt das Prag- der folgenden Geschichte Israels stellt sich die Frage, wie matische (mit andern) »die rhetorische Komponente« der Text Mt 27, 24 f. in der Nachgeschichte verstanden (190). Unter Rhetorik versteht er »ein Regelsystem des wurde und sich auswirkte. Darauf gibt die vorliegende, vernünftigen Redens, . . . eine Theorie der persuasiven sorgfältige Dissertation aus dem Fachbereich Katholische Kompetenz«, die »eine kommunikative Auseinander- Theologie der Universität Münster i.W. eine Antwort. setzung in bezug auf das vernünftige Handeln« bedeutet Ein Ergebnis ist, wie früheste Auslegung in aller Anklage (191). Israels nicht vergisst, dass das vergossene Blut Christi Güttgemanns will seine neue Methode zur Erschliessung nicht nur schuldig machte und macht, sondern auch und von Texten, also die linguistische Theologie, als Weiter- noch mehr Heil vermittelt. Das Heil gelangt nun wohl führung der hermeneutischen Theologie verstanden wis- zuerst zu den Völkern, deren Repräsentant Mt 27, 24 f. sen (220). Die Hauptfrage der linguistischen Theologie Pilatus ist, der in der äthiopischen Kirche endlich als Hei- lautet: »Aus welcher Sprachkompetenz heraus sind die liger verehrt wird. Das Heil gelangt aber auch zu Israel, >Texte< generiert? Die >Generative Poetik< . . . frägt an- dem es ja Mt 23, 39; Röm 11, 25 f. verheissen ist. Je län- hand der . . . Performanz-Phänomene nach derjenigen ger, je mehr freilich wird Mt 27, 25 verstanden als Grund linguistischen Kompetenz, die die >Texte< erzeugte« und AnIdage der bleibenden Schuld der Juden (so ins- (243). Güttgemanns redet dementsprechend von »Kompe- besondere bei Hieronymus). Als sichtbare Straffolge er- tenz->Texten<« und von »Performanz->Texten«<. Perfor- klären Väter die Verwüstung Jerusalems und seines Tem- manz->Texte< sind solche, »die kompetente Sprecher/Hö- pels 70 n. Chr. Sodann wird die verlorene Situation der rer einer Sprache aus deren virtuellen Repertoire an Mög- Juden in der damaSgen zeitgenössischen Gesellschaft be- lichkeiten bisher realisiert haben« (218). Solche Perfor- schrieben. Die Auslegung geschieht bisweilen in persönli- manz->Texte< sind die biblischen Texte und deren tradier- cher Auseinandersetzung mit Juden, die ihre Religion zu te Interpretationen bis hin zu den schriftlichen Predigtvor- verteidigen suchen; so bei Hieronymus mit Juden in Palä- lagen. »Kompetenz->Texte< . . . sind diejenigen >Texte<, stina; bei Augustinus und Papst Leo I. mit Synagogen die kompetente Sprecher/Hörer einer Sprache aus deren bei ihnen. virtuellem Repertoire an Möglichkeiten bisher noch nicht Wenn Juden und Christen einander begegnen wollen, realisiert haben, aber jeden Augenblick aus ihrer Sprach- sollte Mt 27, 25 Verhältnis und Gespräch nicht belasten. Kompetenz erzeugen können . . . >Kompetenz< befähigt Karl Hermann Schelkle, Tübingen also zur >Erzeugung< = >Generation< von Sätzen und ' Vgl. auch: K. H. Schelkle: Die »Selbstverfluchung« Israels Sinn-Einheiten« (219). nach Mt 27, 23-25, in: FrRu XVIII/1966, S. 52-55 (Anm. d. Die Unterscheidung Güttgemanns zwischen Performanz- Red. d. FrRu).

127 ROLLIN KEARNS: Vorfragen zur Christologie II. im hellenistischen Zeitalter anzusetzen ist (so auch U. Überlieferungsgeschichtliche und Rezeptionsgeschichtli- Müller, Messias und Menschensohn in jüdischen Apoka- che Studie zur Vorgeschichte eines christologischen Ho- lypsen und in der Offenbarung des Johannes [StNT 6], heitstitels. Tübingen 1980. Verlag Mohr (Paul Siebeck). 1972, 38-43 und J. Theisohn, Der auserwählte Richter 200 Seiten. [StNT 12], 1975, 31 ff.). Der Auserwählte ist ein engelar- Im Teilband I (1979) dieser Studie' ging es um die Bedeu- tiges Wesen, seinen Funktionen nach der Engel Jahwes. tungsvielfalt des Wortes brn§ in den westaramäischen Dieser »Engel Jahwes« ist nicht identisch mit Jahwe, auch Umgangssprachen und um die Problematik, dieses Wort keine Erscheinungsform, Hypostase oder Personifizie- im Anschluss an griechische Übersetzungsengführung im rung einer Eigenschaft, Wirksamkeit oder eines Attributs Deutschen mit »Menschensohn« wiederzugeben. Hier im von Jahwe. Er ist vielmehr Repräsentant Jahwes, Mittler zweiten Band der Studie wird nun die weitere Überliefe- der Gnade Jahwes für Israel. Weiterhin ist der Auserwähl- rungsgeschichte des Wortes in der apokalyptischen Tradi- te Richter beim Endgericht, königlicher Messias und hy- tion des Judentums untersucht. Der Begriff entwickelte postasierte Weisheit, Träger kosmologischer Präexistenz sich ab 2. Jahrhundert v. Chr. zum Epitheton eines escha- und gegenwärtiger Offenbarer. tologisch epiphan werdenden Hoheitswesens, wie es in Eine weitere Übertragung findet sich in der auf die Juden der Danielüberlieferung, vor allem 7, 1-28, und in der Babyloniens zurückgehenden und in der Spekulation über Esraüberlieferung, vor allem IV Esra 12, 51-13, 56, auf- den Kainiten Henoch auftretenden chaldäischen Mis- tritt und wie es im Rahmen der Gattungen Apokalyptische sionstheologie: Henoch wandelte mit Gott, wurde am En- Gesichtsschilderung, Gleichnistraum und Auditionär Ge- de seines Lebens entrückt, ist Erfinder der Kultur, der deuteter Traum, Theophanie, Himmelsreise und Him- Schrift, der Wissenschaft und Prototpy der überirdisch melsschau beheimatet ist. Mit Hilfe von Symbolen, Weisen, weil er auf ausgedehnten Himmelsreisen alle irdi- Gleichnissen und Präsentativen werden Gesichts- und schen und himmlischen Geheimnisse und die kosmologi- Trauminhalte eines Dialogs zwischen Offenbarungsemp- sche Ordnung auskundschaftete. fänger und Offenbarer über den göttlichen Heilsentwurf Bei der Übernahme des Epithetons in die Gleichnistraum- mitgeteilt, oft unter formelhafter Geheimhaltungsauffor- Theophanie erfuhr es eine entscheidende Umdeutung, in- derung und Gebeten, vgl. auch syr Bar 36, 1-43, 3; 53, sofern es nun zum Epitheton des theophanen Jahwe wur- 1-76, 4. V. unternimmt es nun zuerst, den ursprünglichen de, wobei Elemente der Erscheinung Jahwes am Sinai, des Umfang der Daniel- und Esraüberlieferung zu bestimmen himmlischen Fliegens Jahwes mit den Wolken und ande- und die verschiedenen Schichten der jeweiligen Überliefe- rer Traditionen aufgenommen wurden (FV Esra). Umge- rungszusammenhänge abzugrenzen, wobei der hebrä- kehrt wurde der Inhalt des Apokalyptischen Gesichts ins isch-aramäische, griechische, altlateinische und vulgata- nur noch Symbolische abgewertet, als die »Heiligen des lateinische Danieltext sowie der lateinische, syrische, Höchsten« und der »königliche Messias« mit dem Epithe- äthiopische, arabische und armenische Esratext berück- ton allegorisch umschrieben wurden (Dan). Eine weitere sichtigt werden (S. 16-51). semantische Fortbildung erfährt der Begriff in seiner An- Das älteste Material der Danielüberlieferung ist nach V. wendung auf den »heiligen Rest« ,und das »heilige Volk« der Gleichnistraum 7,2.3.4.5.6.7.11 mit der Gesichtsschil- im Epilog der Danielapokalypse. Es findet eine »implizite derung der vier nacheinander hervortretenden Tiere Koordinierung der Heiligen des Höchsten mit dem Völ- (S. 17). Die ursprüngliche Erzählung wurde zu einem Au- kerarchonten der Juden statt« (173). Schliesslich wird das ditionär Gedeuteten Traum ausgebaut, dem eine vorge- Epitheton auch auf den »Knecht des Höchsten« ange- formte Legendensammlung vorangestellt wurde, so dass wandt, einer selbständigen Gestalt innerhalb der Eschato- die aramäischsprachige Urapokalypse 1, 1-7, 28 entstand, logie des Judentums, die in der bisherigen Forschung die ihrerseits durch die hebräischsprachigen Offenba- nicht genügend gewürdigt wurde, vgl. IV Esra 7, 26-29, rungsgänge 8, 1-27; 9, 1-27; 10, 1-12, 4 erweitert wurde. 12, 31-34, 13, 25-52 und 14, 9. Die Gestalt des Vorboten Dann folgt S. 52-82 die Überlieferungsgeschichtliche (Mal 3, 1 a) und die des königlichen Messias, der Israel Analyse der Esraüberlieferung. Ältestes Material ist die und Jerusalem wieder herstellt, stehen hinter dem Bild Gleichnistraum-Epiphanie 13, 1; 2-6.8-12.13, die mehr- vom »Knecht des Höchsten«, einem vom Himmel kom- fach erweitert wurde. S. 83-93 versucht V. die textkriti- menden überirdischen Wesen. Als Mittler des Höchsten sche Wiederherstellung des Wortlauts der Daniel- und wird er die Schöpfung erlösen (IV Esra 7, 26-28) und das Esraüberlieferung. Dann folgt S. 97-190 die rezeptionsge- Territorium Israels, das Land Palästina, neu errichten (IV schichtliche Variation der Bedeutung von brnl in den ein- Esra 13, 48; 7, 26; 9, 8; 12, 34). Palästina ist ein himmli- zelnen Stufen der literarischen Entwicklung der Daniel- sches Gegenbild für die endzeitliche Wiederherstellung und Esraüberlieferung, wobei auch die unter Juden ent- der Schöpfung. standene, aber innerjüdisch nicht ableitbare Wendung br Indem der V. auf diese Weise die literarische Rezeptions- nplj verglichen wird. Zuvor war längst bekannt, dass das geschichte des Begriffs brng in mehreren reichsaramäi- Epitheton brng in verschiedenen jüdischen Überlieferun- schen pseudoetymologischen Umsetzungen des 2. Jahr- gen vorkommt, aber diese Beobachtung ist von der bishe- hunderts v. Chr. bis 2. Jahrhunderts n. Chr. verfolgt, kann rigen Forschung unsachgemäss ausgewertet worden, in- er nachweisen, dass die Übersetzer von einer Bedeutung dem das Epitheton als ein innerjüdischer Begriff behan- von brng im Jüdisch-Palästinischen ausgingen, die dem delt wurde und nicht die Rezeption des Epithetons ins Ju- Epitheton eigentlich ursprünglich nicht zugrunde lag, so dentum geprüft wurde. Im Judentum dient das Epitheton dass die Bedeutung »Menschensohn« entstand, obwohl nämlich nicht als Bezeichnung eines apokalyptischen Ho- des hebräische Wort eine solche auf die menschliche Ge- heitswesens, sondern wurde jeweils radikal umgedeutet, stalthaftigkeit bezogene Bedeutung nicht vorgab. um es auf ein in jüdischer Tradition geläufiges eschatolo- Für die semantische Variation konstanter Terme in reli- gisch wirksames Wesen zu beziehen. Diese Übertragung giösen Sprachtranspositionen je neuer Vorstellungskon- des Titels auf einen je neuen Signifikanten bezog sich zu- texte bringt die Studie interessante Ergebnisse und metho- nächst auf die in der Eschatologie des Judentums eigen- dische Verfahrensweisen. Es wird deutlich, dass ein Titel ständige Gestalt des »Auserwählten«, dessen Entstehung wie »Menschensohn« eine sehr lange literarische Vorge- schichte und mehrfache grundlegende Bedeutungswandel

1 Vgl. FrRu XXXI/1979, S. 114. erfahren hat, bis er über das Buch Daniel und IV Esra in

128 jene jüdische Eschatologiesprache gelangte, die dann wo er zum städtischen Pantheon gehörte. Im 19. Jh. v. auch das Neue Testament übernahm. Der Wert der Stu- Chr. übernehmen die Amoriter in Syrien die Hadad-Ver- die liegt in der genauen methodischen Nachzeichnung ehrung, von dort die Babylonier. Seit dem 8. Jh. ging seine solcher Begriffswanderung einschliesslich seiner Bedeu- Verehrung zurück. Im 14. Jh. ist der Hadad-Kult für tungswandlung. Für die christologische Dogmengeschich- Ugarit nachweisbar, ab 10. Jh. bei den Aramäern, wie te sind die Ergebnisse dieser Studie beachtenswert, für die hadadhaltige, theophore Namen von Regenten belegen. Interpretation neutestamentlicher Menschensohnchristo- Zwischen dem 10. und 6. Jh. hat das davidische Gross- logie unumgänglich. Paul-Gerhard Müller, Stuttgart reich und seine Nachfolgestaaten Juda und Israel den Hadadkult bekämpft, ihn aber nicht völlig ausgerottet. DERS.: Vorfragen zur Christologie III. Religionsge- Um 720 ist der Hadadkult in Samaria und in der Megid- schichtliche und Traditionsgeschichtliche Studie zur Vor- doebene belegt. geschichte eines christologischen Hoheitstitels. Tübingen Die Hellenisierung Syriens und Palästinas durch Alexan- 1982. Verlag Mohr (Paul Siebeck). W, 213 Seiten. der den Grossen brachte den mit Zeus Oympios identi- Teilband I (1979) dieser Studie habe ich im FrRu XXXI/ schen Hadad-Gott nach Palästina, wo ihm einige grosse 1979, S. 114 besprochen; die Rezension von Teilband II Kultzentren gewidmet waren (Hierapolis-Bambyke, Stra- ist vor dieser Besprechung plaziert. Hier im dritten Band tonike, Delos, Heliopolis-Baalbek). Die römische Erobe- der Studie wird nun eine weitere überlieferungsgeschicht- rung Palästinas brachte dem mit Juppiter identifizierten liche Spur des Epithetons des apokalyptischen Hoheits- Hadad-Kult neuen Aufschwung, wie zahlreiche Weihein- wesens brn§ in der syrisch-palästinischen Tradition des schriften zeigen, so auch in Dura-Europos und vor allem Judentums terminologisch untersucht und vor allem in Damaskus. Plinius und Porphyrios hinterliessen literari- die Frage der religionsgeschic,htlichen Motivableitung sche Zeugnisse über den Hadad-Kult in Syrien. gestellt. Dieser Gott Hadad erhielt nun schon früh das Epitheton Eine Fülle von Hypothesen hierzu wurden in diesem Jahr- »Weltenherr« b'l (Baal, Bel), wodurch die kultisch-myti- hundert vorgebracht: Ableitung vom hellenistischen An- sche Gestalt Hadads zu einem eschatologisch epiphan thropos-Mythos, der seinerzeit vom babylonisch-persi- werdenden, transzendentalen apokalyptischen Hoheits- schen Urmensch-Mythos abhängig ist (R. Reitzenstein wesen gedeutet wurde, eben bim§ vergleichbar. Wie die 1904); Ableitung aus der jüdischen Messiaserwartung (E. Grundstruktur dieser kultisch-mythischen Hadadtradition Sellin 1909), aus der judäischen Königsideologie (A. Bent- sich im 2. Jh. v. Chr. auf die Menschensohngestalt der jü- zen 1948), aus Jahwe selbst (0. Procksch 1920), vom En- dischen Apokalyptik überträgt, zeigt V. in ausführlichen gel Jahwes (N. Schmidt 1900; J. Grill 1902) oder vom En- Analysen (85 - 194). geltyp des Völkerarchonten (U. Müller 1972), vom himm- Die kultisch-mythische Hadadtradition hat vom Anfang lischen Wesir (F. Stier 1934), vom Urmensch-Adam her des 2. Jahrtausends v. Chr. bis in die hellenistische, ja so- (P. Volz 1903/34), aus einer Individualisierung des Vol- gar römische Zeit eine inhaltliche Stabilität gehabt, die er- kes Israel (E. Hertlein 1911, aufgegriffen von M. Black staunlich ist. Eine radikale Neuerung erfuhr sie erst in der 1975), aus der platonischen Ideenlehre (A. Kalthoff apokalyptischen Umformung der Hadadtradition und 1904), aus der kosmogonischen Mythologie vom babylo- durch die Eschatologisierung im Zusammenhang des na- nischen Gott Marduk (H. Gunkel 1895 und E. Kraeling tionalen Geschichtsbewusstseins und wachsender natio- 1933), vom babylonischen Urkönig Adapa, dem »Samen nalpolitischer Hoffnungen des Judentums. Das Gefährt der Menschheit« (A. Jeremias 1899), vom assyrischen des Weltenherrn, seine Königswürde, die Verleihung des Atrahasis (W. Albright 1946), von dem babylonischen Königtums, der Endsieg als Weltenherr über die Fürsten präexistenten Wesen Ea-Oannes (R. Reitzenstein 1904 u. und das Chaosungeheuer Jamm, der Verzicht auf Waf- H. Jansen 1939), aus der babylonischen Uranographie, fengewalt, der Ruf des Weltenherrn, der Endzeitkampf, Sternbild-Orakeldeutung und Astralmystik (R. Eisler der Betagte und sein Hofstaat, der Thron und das Er- 1930), aus dem indoiranischen Mythos von Gayomart als scheinungsbild des Betagten, all das sind Elemente des Urahnen des Urmenschen (W. Bousset 1907), vom persi- Hadad-Baalepos, die sich in der biblischen Menschen- schen Yima, dem König des goldenen Zeitalters, oder von sohntradition wieder in Anklängen finden. Mithra aus der iranischen Volksreligion (H. Gressmann Mit dieser minutiösen, sorgfältigen und methodisch über- 1905), vom iranischen Sao§yant aus dem Samen Zarathu- zeugenden Studie ist V. der Nachweis gelungen, der den stras (A. von Gall 1926), vom iranischen Engel Srao§a (E. Zusammenhang der Menschensohn-Messianologie mit Meyer 1921), von den iranischen endzeitlichen Heilanden dem Hadadkult als Hypothese akzeptabel macht und alt- Frara§is (R. Otto 1934 und W. Steark 1938), aus dem in- wie neutestamentlicher Exegese zur ernsthaften Prüfung dischen Purusa/narayana, dem für die einzelnen Inkarna- empfiehlt. Paul-Gerhard Müller, Stuttgart tionen vorausgesetzten himmlischen Wesen Buddhas (0. Pfleiderer 1903 und A. Drews 1909), das durch den syn- KLAUS KOCH / JOHANN M. SCHMIDT (Hrsg.): kretistischen Chaldäismus ins Judentum vermittelt worden Apokalyptik (Wege der Forschung, 365). Darmstadt sei; aus dem ägyptischen Sonnengott Re (H. Gressmann 1982. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 500 Seiten. 1905), vom kanaanäischen Sonnengott in Tyros (j. Mor- Es geht um einen forschungsgeschichtlichen Überblick genstern 1961), vom jebusitischen Hauptgott El Eljon im über die letzten ca. 175 Jahre (bis 1975), wobei 26 wichti- nachdavidischen Jerusalem (J. Emerton 1958), vom ka- ge Forschungsarbeiten neu abgedruckt sind. Sie betreffen naanäischen-ugaritischen Hadad (C. Colpe 1969). besonders das Danielbuch und die Johannesapokalypse Diese letztgenannte kanaanäische Hypothese einer reli- sowie deren Zusammenhang mit ausserisraelitischer, alt- gionsgeschichtlichen Ableitung des Ursprungs der Gestalt und neutestamentlichen Vorstellungen. Dabei greifen re- des apokalyptischen Hoheitswesens »Menschensohn« aus ligionsgeschichtliche Forschungen und theologische dem Hadad-Mythos greift V. auf und weist eine termino- christliche und jüdische Wertungen ineinander. Die mei- logische Herleitung des Epithetons brn§ aus dem Tradi- sten neu abgedruckten Artikel, die Geschichte gemacht tionsgefüge um Hadad nach (30-82). Zuerst bietet V. eine haben, stammen aus ca. 1900- 1940. Die wichtigsten sind: Geschichte der Hadad-Verehrung in Syrien und Palästina Julius Wellhausen (1899): »Zur apokalyptischen Litera- (vgl. H. Gese, Die Religionen Altsyriens, 1970). Die älte- tur« (58-66), Wilhelm Bousset (1903): »Die religionsge- ste Bezeugung Hadads ist die in Ebla im 24. Jh. v. Chr., schichtliche Herkunft der jüdischen Apokalyptik«

129 (132-145), Robert H. Charles (1914): »Prophetie und schung herrührt. Man stellt sich dort die Frage, welchen Apokalyptik« (173-192), Gustav Hölscher (1922): »Die Stellenwert die Apokalyptik als Vorgeschichte des Chri- Weisheit der Mystiker« (204-213), Jakob Klatzkin/Jehes- stentums hat. Resignierend meint er: »Heutzutage setzt kel Kaufmann (1928): »Apokalytik« (228-248), Paul Volz wohl jeder Neutestamentler das Mass apokalyptischer Be- (1934): »Merkmale jüdischer Apokalyptik« (249-257), einflussung anders an als sein Kollege« (25). Ernst Lohmeyer (1934/35): »Die Offenbarung des Johan- Die Forschungsübersicht ist wichtig für jeden Professor, nes« (258-264). der über Apokalyptik (Dan, JohApk etc.) liest, und für je- Die Auswahl der Artikel ist im allgemeinen geglückt. Viel- den Studenten, der sich in die Problematik der beiden leicht hätte man den Artikel von Gerschom Scholem Jahrhunderte vor und nach Christus hineinlesen muss. Die (1963): »Zum Verständnis der messianischen Idee im Ju- Register am Ende des Buches (471-500) sind vorzüglich. dentum« (327-376) auslassen können, da ja die Stärke Clemens Thoma Scholems gerade nicht in der frühen Apokalyptik liegt. Eher hätte sich da ein anderer jüdischer Autor angeboten: GÜNTER LANCZKOWSKI: Die heilige Reise. Auf den Benjamin Uffenheimer, The Visions of Zechariah (hebr.), Wegen von Göttern und Menschen. Freiburg i. Br. 1982. Jerusalem 1961. Die Wiedergabe eines Kapitels aus die- Verlag Herder. 256 Seiten. sem Buch würde einen charakteristischen Einblick über In diesem Buch über die heilige Reise — die Reise aus reli- heutige jüdische Forschungstendenzen vermitteln, um so giösen Motiven — ist es dem Heidelberger Religionswis- mehr, als das Sacharjabuch sich neben dem Danielbuch senschaftler gelungen, ein wichtiges und faszinierendes für die Apokalyptik-Forschung auch grundlegend erweist. Phänomen in einer Gesamtschau darzustellen. Mit tref- Die Zusammenstellung der Artikel ist hauptsächlich Jo- fenden Belegen aus den Religionen der Vergangenheit hann M. Schmidt zu verdanken, der seinerzeit (1969) eine und Gegenwart werden in fünfzehn Kapiteln verschiede- ausgezeichnete Forschungsgeschichte geschrieben hat: ne Typen der heiligen Reise herausgestellt. Es zeigen sich »Die jüdische Apokalyptik. Die Geschichte ihrer Erfor- allerdings auch die Schwächen und Tücken der religions- schung von den Anfängen bis zu den Textfunden von phänomenologischen Methode, die der Autor gewählt Qumran«. Von Klaus Koch stammt die Einleitung (1-30). hat. Dies kann etwa am zentralen und eingehendsten Ka- Aus ihr sieht man, welche Schwerpunkte die Herausgeber pitel über die Wallfahrt deutlich werden. Lanczkowski hat aus der Forschungsgeschichte herauslesen. Koch ist miss- m. E. die Unterschiede in der Wallfahrt der verschiedenen trauisch gegenüber jeder Vorherrschaft von soziologi- Religionen zuwenig klar herausgearbeitet. Am Symbol schen Blickpunkten zur Deutung der Apokalypsen der Stupa im Buddhismus und am Begriff der thirta im (18-21). Sein Forschungsausgangspunkt ist das Daniel- Hinduismus (cf. 158) wäre dies mit Hilfe einiger Aufsätze buch. Er und seine Schüler scheinen derzeit vor allem in in der Zeitschrift »History of Religions« möglich gewe- Jürgen Lebram (vgl. TRE VII 1981, 325-349) ihren metho- sen. Es ist wohl doch etwas grosszügig, die Prozession der dologischen Widerpart gefunden zu haben. Koch sieht Mysten von Athen nach Eleusis als Wallfahrt zu bezeich- vor allem in den seit ca. 1800 neugefundenen pseudepi- nen (151). Es ist schade, dass die vielbeachteten, wenn graphischen Texten das movens, weshalb die Deutung des auch nicht unbestrittenen Studien von Victor Turner über Danielbuches starken Schwankungen unterlag und unter- die Wallfahrt nicht genannt werden, besonders wenn es liegt: »Der Zuwachs an Texten verschiebt das Gesamt- um Wesen und Sinn der Wallfahrt geht (cf. 177, 209). Im bild« (4). Das Unverdauteste ist derzeit das Dreieck: Da- vierten Kapitel mit der Überschrift »Auf der Suche nach nielbuch — 1. Henochbuch — Qumranschriften: »Die bei dem Heil« würde man auch etwas über die Wanderungen weitem aufregendste Entdeckung in Qumran für die Apo- der südafrikanischen Buren und über das Suchen des Mit- kalyptikforscher aber war die Auffindung von ungefähr telalters nach dem sagenumwobenen Priesterkönig Johan- zwanzig aramäischen Fragmenten des 1. Henochbuches. nes erwarten. Es ist klar — der Autor ist sich dessen be- Sie beweisen nicht nur, dass die umfangreichste der uns wusst (10) —, dass eine Studie von so beschränktem Um- bekannten Apokalypsen im vorchristlichen Palästina im fang Lücken aufweisen muss, und es mag nicht gerecht Umlauf war, sondern sie lassen . . . erschliessen, dass von sein, auf solche hinzuweisen. Reiches und informatives den fünf Teilen des 1. Henoch zwei in das 3. Jh., wenn Material wird knapp und doch leicht lesbar dargestellt. nicht das 4. Jh. v. Chr. hinaufreichen, nämlich das angelo= Das Buch zeigt, dass die religionsphänomenologische Me- thode trotz aller Kritik nach wie vor ihre Berechtigung logische Buch, Kap. 1 - 36, und das astronomische Buch, und Bedeutung hat. Otto Bischofberger, Luzern Kap. 72 - 82, während das Geschichtsbuch oder Buch der Träume, Kap. 83-90, kurz vor dem Danielbuch abgefasst worden ist; noch ins 2. Jh. gehört wohl auch das Buch der JAKOB J. PETUCHOWSKI: Wie unsere Meister die Giganten, das anstelle der Bilderreden (Kap. 37-71) in ei- Schrift erklären. Beispielhafte Bibelauslegungen aus dem nigen Handschriften auftaucht und bisher nur als ein Teil Judentum. Freiburg i. Br. 1982. Herder. 144 Seiten.* des späteren manichäischen Kanons bekannt war. Für die Der Gedankengang Petuchowskis beginnt wissenschaft- Apokalyptikforschung bedeutet das nicht weniger als ei- lich-alltäglich. Man sei sich im Judentum immer schon be- nen Umsturz . . . Die Entdeckung, dass Henoch generell wusst gewesen, dass die Bibel auf verschiedene Weisen älter ist und also spezifische Apokalypsen schon im 3. Jh. ausgelegt und verstanden werden könne. In Ps 62, 12 längst vor jeder Verfolgung entstanden sind, macht eine heisst es ja: »Eines hat Gott gesagt, zweierlei habe ich ge- Neuorientierung notwendig, deren Folgen sich noch nicht hört: Bei Gott ist die Macht.« Die talmudischen Gelehrten absehen lassen« (10 f.). Koch sieht im Menschensohn redeten (in bSan 34a zu Jer 23, 29) von der Funken sprü- (Dan 7) eine himmlische Gestalt und meint abschliessend: henden Schrift, wovon die Konsequenz sei, dass »ein ein- »Das Verhältnis dieser Gestalt zur traditionellen Messias- ziger Bibelvers viele verschiedene Lehrer vermitteln« kön- gestalt bleibt unklar (4 Esr 7, 29f.; 12, 31 - 33)« (15). Wohl ne (7). Im Mittelalter (Alphabet des Rabbi Akiba) sprach mit Recht meint er auch, dass »die aramäischen Teile des man von 70 Arten, in denen die Tora ausgelegt werden Danielbuches . . . vermutlich in der babylonischen Diaspo> - könne (13). Die Biblia Rabbinica, in der die Ansichten ra, die ältesten Schichten in der Henochsammlung jedoch in samaritanischen Kreisen entstanden sein dürften« * Vgl. »Es lehrten unsere Meister« ... Rabbinische Geschichten aus dem Judentum [in: FrRu XXXI/1979, S. 139] sowie: Ders.: (19 f.). Ferner konstatiert er, dass der starke Forschungs- Neue rabbinische Geschichten aus dem Judentum, ebd. 118 Sei- dissens zum grossen Teil von der neutestamentlichen For- ten.

130 verschiedener jüdischer Autoritäten über einzelne Bibel- Schmidt / L. Schmidt, »Altes Testament« (1983) hat der abschnitte mitgedruckt sind, ist jedenfalls der eindrück- Neukirchener Verlag zwei ausgezeichnete Arbeitsbücher lichste — wenn auch heute schwer verstehbare — Beweis auf den Markt gebracht, die besonders für die fachtheolo- der im Judentum eingespielten Toleranz in den Tora- gische Ausbildung hilfreich, aber sprachlich so abgefasst Deutungen. sind, dass sie auch dem interessierten Laien erstklassige 'Wendet man sich von Petuchowskis Ausgangsbasis seinen Information in die Hand geben. Seitdem W. H. Schmidt Schlussfolgerungen zu, dann glaubt man, einen Pauken- 1979 (2-1982) zum ersten Mal mit dem Prinzip einer Ein- schlag zu hören: »Wie wäre es nun, wenn man jüdischer- leitung in das AT als rein literaturwissenschaftliches Kom- seits damit rechnen würde, dass auch die christlichen pendium gebrochen hatte, sind verschiedene »gemischte« Auslegungen der Heiligen Schrift mit zu den siebzig Aus- Einleitungen entstanden. Rendtorff erfasst in der seinen legungsmöglichkeiten gehören? Das würde nicht zu be- drei Bereiche: a) einen historischen Aufriss der Geschichte deuten haben, dass Juden jetzt die christlichen Auslegun- Israels, b) Gattungen und ihr Sitz im Leben, c) die eigent- gen annehmen müssten . . . Aber es würde doch bedeuten, liche Literaturgeschichte, die nun auf diesem Fundament dass man endlich hinter der Vielfältigkeit der Auslegung aufbauen kann. wieder auf den Gedanken kommt, dass sich beide Seiten, Im geschichtlichen Teil kommt der Abschnitt über die die jüdische und die christliche, um das Verständnis des Erzväter zu kurz (Ethnologie, Soziologie, die Sippen!), gleichen Gotteswortes bemühen — beide Seiten, mit ihrer auch wären einleitende Bemerkungen zur altorientali- Liebe zu Gott, ihrer Bereitschaft, seinen Willen auf Erden schen Chronologie sinnvoll gewesen. Dagegen ist Aus- zu tun, und auch ihren menschlichen Schwächen und Be- zugs- und Sinai-Geschichte sehr übersichtlich dargestellt, grenztheiten« (134 f.). Petuchowski ist sicher, dass »eine ebenso die Landnahme. Rendtorff vermeidet jede Einsei- derartige Auffassung der christlichen Exegese mindestens tigkeit und arbeitet die Hauptthesen der Forschung sehr eine theoretische Möglichkeit darstellt, die sich aus den klar und leicht nachvollziehbar heraus. Er scheut sich hermeneutischen Voraussetzungen der jüdischen Bibel- auch nicht, das jeweilig kritisch gesicherte Minimum fest- exegese ergibt« (135). Auch die christliche Exegese sei zustellen oder offen ein »non liquet« auszusprechen. Das fähig, ins Gespräch einzutreten. Nach Röm 11, 1 f. habe gilt in hohem Mass auch für die verwickelten Verhältnisse ja Gott sein Volk nicht verstossen. Ferner erfahre die veri- der Exils- und Wiederaufbauzeit, die Verf. sehr besonnen tas hebraica seitens christlicher Forscher durchweg hohe interpretiert (die Zuordnung Esra-Nehemia 69; das Pro- Wertschätzung. blem des »Gesetzes« 71). Die Marginalien verstärken Das Material, das Petuchowski in diesem Buch zugäng- gerade hier die Einprägsamkeit des Stoffes. Fazit dieses lich macht, um die Vielfältigkeit der jüdischen Bibeldeu- Abschnittes: Die 79 Seiten bieten einen konzentrierten, tung und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten für aber gut lesbaren Intensivkurs israelitischer Geschichte Neuakzentuierungen der jüdischen und der christlichen auf spürbar fachwissenschaftlicher Grundlage. Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte zu zeigen, ist Die Gattungskritik schöpft einführend aus Gunkels »Die fragmentarisch. Er zitiert folgende jüdische Kommentato- israelische Literatur« und ordnet dann den Sitz im Leben ren: Raschi (1040- 1150), Abraham ibn Esra (1089 - 1164; nach den grossen Bereichen »Alltagsleben«, »Rechts- Petuchowski bezeichnet ihn als den ersten Mann, der aus leben«, »Kult«, »Königtum«, »Prophetie«, »Literatur«. wissenschaftlichen Gründen an der Einheit des Penta- Während der Sitz im Leben anschaulich hervortritt, ist die teuchs zweifelte und der daher am Anfang der modernen sprachliche Struktur der Gattungen nicht immer so deut- Bibelkritik steht), Rabbi Samuel ben Meir (1085 - 1174), lich. Vielleicht wären einige Tabellen hilfreich gewesen? Jesaja di Tirani (1180-1250), David Kimchi (1160-1235), Für die Psalmen-Gattungen hätte man doch noch die Ein- Mose ben Nachman (1194- 1270), Isaak Abrabanel teilung nach H.-J. Kraus berücksichtigen sollen (»Form- (1437 - 1508) und Obadiah ben Jakob Sforno (1475 — gruppen«). Die Theophanie hätte ich als eigene Gattung 1550). Diese Autoren kommen bei folgenden Themen, aufgeführt. Besonders gelungen ist der Abschnitt über die bzw. Bibelstellen, zu Wort: Gen 1, 1 (Schöpfung), Gen Gattungen des Rechtslebens. Ausgewogenheit und Über- 2, 2 f. (Schabbat), Gen 22 (Akeda), Ex 13, 9 (wörtliche sichtlichkeit mit vielen Stichwortverweisen sind wiederum und bildliche Auslegung), Ex 21, 24 f. (»Aug um Aug«), Hauptvorzüge der Darstellung. Dtn 6, 4 f. (Höre Israel), das Buch Hosea (Die Ehe mit Schwerpunkt der Einleitung bildet die 170 Seiten starke der Dirne), das Buch Jona, Proben der Psalmenexegese, Literaturgeschichte. Rendtorff legt im Anschluss an B. S. das Hohe Lied, Jes 7, 14-16 und Ps 2 (Auseinanderset- Childs den Akzent auch auf den Weg der atl. Überliefe- zung mit der christlichen Bibelexegese) und Ibn Esra zu rungen als theologische Literatur und das kanonische Dtn 1, 1 (Anfang der modernen Bibelkritik). Zur getroffe- Endstadium der Bücher. Auch in diesem Zusammenhang nen Auswahl könnte man teilweise Einwände machen. Es interessiert besonders die Aufbereitung der Pentateuch- geht aber Petuchowski gar nicht um einen vollen Wurf, komposition durch den Pentateuchforscher Rendtorff. Er sondern hauptsächlich um eine Anregung, die man nicht fasst seine bekannten Positionen klar zusammen: Die er- überhören dürfte: Lasst Deutungsmaterial zur Bibel nicht zählenden Überlieferungen wurden in den einzelnen Tra- in den rabbinischen Bibeln veröden! Versucht es zu aktua- ditionskomplexen je für sich gesammelt (Bildung grösse- lisieren und für ein fundiertes Verständnis von Judentum rer Einheiten) gemäss inhaltlicher Entsprechungen, aber und Christentum fruchtbar zu machen! Falls dieser »Ver- unter verschiedenen Leitgedanken. Die grösseren Einhei- suchsballon« eines bedeutenden jüdischen Wissenschaft- ten der Genesis sind durch deuteronomisch/deuteronomi- lers, der auch viel vom Christentum versteht, nicht ver- stische Redaktion mit den übrigen Büchern verknüpft; die hallt, sollte ein weiterer Schritt (unter Leitung Petuchow- Bücher Exodus-Numeri sind bereits in ihrem erzähleri- skis) getan werden: Die historisch-theologische Ver- schen Material von übergreifenden dtn/dtr Traditionsbil- gleichsarbeit zur Bibel sollte umfassend und systematisch dungen geprägt. Parallel läuft die priesterliche Traditions- von Juden und von Christen gemeinsam unternommen bildung mit Verknüpfungen zu den kultgesetzlichen Be- werden. Clemens Thoma stimmungen in den Büchern Ex-Num. Durchlaufende Quellen nimmt Rendtorff nicht mehr an: ROLF RENDTORFF: Das Alte Testament. Eine Einfüh- »Die dtn/dtr Kreise, die an der Gestaltung der folgenden rung. Neukirchen 1983. Neukirchener Verlag. 323 Seiten. Bücher massgeblich beteiligt waren, haben auch den Auf- Zusammen mit H.-J. Boecker / H. J. Hermisson / J. M. riss des Pentateuch wesentlich mitgestaltet. Hier wie dort

131 haben sie ältere Überlieferungen unterschiedlicher Art nicht aufheben, solange es Juden gibt, die sich auf ihre jü- theologisch bearbeitet und interpretiert. Der Übergang dische Bibel berufen« (115). ». . mit dem messianischen vom Pentateuch zu den folgenden Büchern bedeutete für Auftreten Jesu (ist) nicht etwa die >heilsgeschichtliche< ihre Arbeit zunächst keinen grundsätzlichen Einschnitt« Ablösung oder Enterbung Israels durch die >Kirche<, son- (173). dern vielmehr die endzeitliche Assoziierung glaubender Daneben stellt R. die klassischen Ansätze der Pentateuch- Heiden zu Israel als Gottes bleibend erwähltem Eigentum kritik verständnisvoll dar. Bis auf einige platzbedingte in Gang gekommen . . .« (141). »Für das heutige jüdische Vereinfachungen (z. B. zur Josefsgeschichte 145, Gen 15 Verständnis der eigenen Geschichte ist zweierlei evident: [146], deuteronomische Bewegung 165) wird auch dieser dass die Gründung des Staates Israel eines der grossen Abschnitt zu einer idealen Einführung in die Problematik Schlüsselereignisse der jüdischen Geschichte ist und dass und besticht durch seine Verbindung von Referat und sie unlösbar mit dem Holocaust verbunden ist« (185). Originalität. Es gibt vermutlich ausser der Heidelberger Theologischen Die Darstellung der übrigen Bücher zeichnet sich durch Fakultät keine Theologische Fakultät in der Bundesrepu- die schon erwähnten Vorzüge der Verständlichkeit und blik, in der so viele Mitglieder des Lehrkörpers bereit wä- Konzentration auf das Wesentliche aus, ohne dabei wich- ren, das Thema »Theologie nach Auschwitz« in solcher tige Forschungspositionen zu übergehen. Mit dieser Ein- Einmütigkeit zu behandeln. Leider! leitung im universitären Kurs zu arbeiten, müsste eigent- Franz Mussner, Passau lich Spass machen! Aber auch als Nachschlage- und Lite- raturkompendium wird es seinen Platz behaupten (aus- ALWIN RENKER: Zentralthemen des Alten Testaments führliche Register). In den Literaturangaben überwiegt im Religionsunterricht der Sekundarstufe I und II. Pader- bisweilen das Heidelberger Seminar. Soweit erschienen, born—München—Wien—Zürich 1984. Verlag F. Schöningh. sollte noch auf die neue katholische Kommentarreihe der 200 Seiten. »Neuen Echter Bibel« hingewiesen werden sowie auf Dieses Buch, geschrieben von einem erfahrenen Fach- einige weitere'. Bernd Feininger, Freiburg mann in der Lehrerfortbildung, wendet sich an Lehrer 1 Zu 1/2 Könige liegt der neue Kommentar von M. Rehm vor und Studenten, die vor der schwierigen Aufgabe stehen, (2 Bde., Würzburg 1979/82) und zu Obadja die bislang einzige das Alte Testament im Religionsunterricht der Sekundar- Monographie von J. Wehrle: Prophetie und Textanalyse, die stufe I und II zu behandeln. Es bietet dazu keine fertigen Komposition von Obadja 1-21, interpretiert auf der Basis textlin- guistischer und semiotischer Konzeptionen; Diss. (masch.) Frei- Unterrichtsmodelle oder praktikablen Lernsequenzen, burg i. Br. 1980. J. Jeremias, »Theophanie«, sollte in der überar- sondern die Kenntnisse, die der Unterrichtende heute von beiteten und erweiterten Fassung 2-1977 angeführt werden (246). der Hebräischen Bibel haben sollte. In sieben ausführli- chen Kapiteln erhält der Benutzer ausführliche Informa- DERS. / EKKEHARD STEGEMANN (Hrsg.): Ausch- tionen zu folgenden Schwerpunkten : 1. Exodus-Ereignis witz — Krise der christlichen Theologie. München 1980. und Exodus-Theologie; 2. Der Dekalog; 3. Aussagen Chr. Kaiser Verlag. 189 Seiten. über den »Bund«; 4. Abraham, Vater aller Glaubenden; 5. Neun Professoren der Evangelisch-Theologischen Fakul- Schöpfungsgeschichte und Urgeschichte; 6. Die Botschaft tät der Universität Heidelberg haben sich in einer Ring- der Propheten im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr.; 7. Der vorlesung jeweils von ihrem Fach her im Wintersemester Gottesknecht. Zu all diesen Themen enthält das Buch 1979/80 mit der Frage beschäftigt: Was bedeutet es für übersichtlich und klar gegliedert historische, kulturelle, li- die christliche Theologie, dass sie heute Theologie »nach terarische und theologische Aspekte, insofern diese für Auschwitz« ist? Die kenntnisreichen Vorlesungen liegen, den Religionsunterricht wichtig werden können, und sei mit Literaturangaben versehen, erfreulicherweise nun es auch nur als Hintergrundwissen für den Lehrer. Wer auch als Buch vor: G. Seebass, Christlicher Antijudaismus eine Fachbibliothek nicht in seiner Nähe hat, wer in sei- und moderner Antisemitismus; G. Rau, Die antijüdisch- nem Bücherschrank nur wenige alttestamentliche Titel antisemitische Predigt; K. Hungar, Faschismus und Anti- greifen kann, der findet hier eine komprimierte Darstel- semitismus; W. Huber, Die Kirche vor der »Judenfrage« ; lung, in der kenntnisreich und treffsicher viel Forschungs- L. Steiger, Die Theologie vor der »Judenfrage« — Karl material verarbeitet ist. Natürlich muss der Lehrer diese Barth als Beispiel; R. Rendtorff, Die jüdische Bibel und Informationen für den Unterricht methodisch/didaktisch ihre antijüdische Auslegung; E. Stegemann, Der Jude übersetzen, aber im Anhang jeden Kapitels findet er dazu Paulus und seine antijüdische Auslegung; H. Thyen, Ex- ein paar pädagogische Prinzipien und Anregungen. Sie egese des Neuen Testaments nach dem Holocaust; F. nehmen dem Lehrer nicht die Last der konkreten Vorbe- Crüsemann, Tora und christliche Ethik. Es folgt noch ein reitung ab, geben aber Hinweise, was zu beachten und »Nachwort«: Aufgaben einer christlichen Theologie nach was zu vermeiden ist. Vielleicht könnte man in einer wei- Auschwitz. teren Auflage noch einige Anmerkungen zu der Darstel- Ich zitiere wichtige und besonders weiterhelfende Sätze lung des Alten Testaments in Richtlinien, Curricula, aus dem Buch: ». . . entweder trägt die Verheissung des Schulbüchern und Unterrichtsmodellen machen, damit Juden- und Christen-Gottes die Juden und Christen ge- der Lehrer auch hier seine Kompetenz erweitern kann. meinsam, oder diese sind in der Welt verloren« (45). »Die Das Buch ist sicher eine grosse Hilfe für den Lehrer, der Kirche stand und steht in Wahrheit nicht vor der >Juden- meist vor der doppelten Schwierigkeit steht, die alttesta- frage<, sondern vor der Frage des christlichen Verhältnis- mentliche Forschung zur Kenntnis zu nehmen und ein zu- ses zu den Juden und damit vor einer Christenfrage in ei- nächst nicht sonderlich schülernahes Thema unterrichtlich nem eminenten Sinn« (75). »Das Alte Testament hat eine zu behandeln. Ein paar Wünsche bleiben allerdings offen. doppelte Nachgeschichte und Wirkungsgeschichte, auch Warum wurden nicht die interessanten Untersuchungen wenn christliche Theologen das nicht anerkennen wollen. Hossfelds zum Dekalog oder Zengers zur Priesterschrift Dabei ist die Kontinuität der jüdischen Tradition mit dem bei der Behandlung der Schöpfungserzählungen einbezo- Alten Testament viel unmittelbarer als die der christlichen. gen? In beiden Schriften sind noch andere Akzente ge- Das bedeutet nicht, dass die christliche Inanspruchnahme setzt als hier. Der Benutzer des FrRu wird noch kritisch des Alten Testaments weniger legitim und weniger gut be- vermerken, dass das Tetragramm etwas sorglos benutzt gründet sei; aber sie ist anders begründet, und der christli- wird. Seit Levinsons Kritik an diesem christlichen che Gebrauch des Alten Testaments kann den jüdischen »Brauch« sollte man damit vorsichtiger umgehen und

132 auch die Lehrer auf die Problematik hinweisen. Schliess- vielen Theologen, die dieses Hauptproblem der Theologie lich wünschte man sich für die Schule noch ein Kapitel des 20. Jahrhunderts übersehen haben und dadurch eine über die Psalmen, die uns oft vergessene Möglichkeiten wichtige theologische Bedeutung des Alten Testaments, des Betens eröffnen. Trotzdem — ein Buch, dem man wei- des Judentums und Christentums vernachlässigt haben. te Verbreitung bei Religionslehrern und (hier nicht eigens Clemens Thoma angesprochenen) Seelsorgern wünscht. Es wird bei ihnen Mut und Fähigkeit wachsen lassen, das kostbare Erbe des KURT-VICTOR SELGE: Einführung in das Studium Alten Testaments weiterzugeben. Werner Trutwin, Bonn der Kirchengeschichte. (Die Theologie.) Darmstadt 1982. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. XIII, 225 Seiten. HENNING GRAF REVENTLOW: Hauptprobleme der Der Verfasser, vor allem bekannt durch Arbeiten zur mit- alttestamentlichen Theologie im 20. Jahrhundert (Erträge telalterlichen Kirchengeschichte, legt eine Einführung in der Forschung, 173). Darmstadt 1982. Wissenschaftliche das Studium der Kirchengeschichte vor, die zunächst als Buchgesellschaft. 203 Seiten. Neubearbeitung von H. Bornkamms »Grundriss zum Stu- Das eigenständige Fach »Biblische Theologie« beginnt dium der Kirchengeschichte« (1949) gedacht war, nun- nach übereinstimmender Meinung mit der Altdorfer An- mehr aber ein neues und eigenständiges Werk darstellt. trittsrede Johann Philipp Gablers im Jahre 1787. Graf Re- Seine Einführung umfasst drei grosse Kapitel: I. Der Ge- ventlow, ein heute führender atl. Bibeltheologe, führt in genstand der Kirchengeschichte, II. Die Periodisierung diesem Buch in die Fragestellungen der atl. Bibeltheologie der Kirchengeschichte und III. Aspekte der Kirchenge- von damals bis heute ein. Dabei verrät er eine ungemein schichte. Schlussbemerkung, Zeittafel, Literaturhinweise grosse Belesenheit und souveräne Urteilskraft. Der Re- und ein Namen- und Sachregister schliessen das Werk ab. zensent begegnete noch nie einer Forschungsgeschichte Die einleitenden Überlegungen gelten dem Gegenstand über alt. Bibeltheologie, in der so vieles in so geglückter der Kirchengeschichte. Dazu werden zunächst die An- Knappheit unter Beiziehung von so viel Literatur zu fin- schauungen einiger bedeutender protestantischer Theolo- den wäre. Die grossen Namen der atl. Bibeltheologie: gen über die Aufgabe der Kirchengeschichte angeführt. Hermann Gunkel, Georg Hölscher, Karl Barth, Otto Diese Theologen sind: F. Schleiermacher, E. Troeltsch, Eissfeldt, Ernst Eberling, Gerhard von Rad, Walter Zim- K. Barth, G. Ebeling und W. Pannenberg. Ergänzend da- merli, 'Wolfhart Pannenberg, Klaus Westermann, Alonso zu stehen Positionen katholischer Historiker, wie sie im Schöckel, Rolf Rendtorff und viele andere erfahren eine 1970 erschienenen Sammelband »Kirchengeschichte heute eingehende Würdigung. Reventlow vergisst nie, den kul- — Geschichtswissenschaft oder Theologie?« vorgelegt turpolitischen Hintergrund zu zeichnen, aus dem heraus sind. In einem zweiten Schritt blickt der Vf. zurück auf die einzelnen Autoren schrieben. So vermag er auch ihre verschiedene in der älteren Kirchengeschichte vertretenen Aporien zu durchschauen. Immer geht es um ein Ringen Meinungen über den Gegenstand der Kirchengeschichte. zwischen Systematik und Geschichte, Glaube und Erfah- Gestreift werden Eusebius v. Caesarea, mittelalterliche rung, Verkündigungsethos und exakte Beobachtung, Theologen (Bernhard v. Clairvaux und der junge Luther), Heilsgeschichtskonstruktionen und Einzelaussagen, Fun- ausführlicher dargestellt ist Joachim von Fiore; dann fol- damentalismus und Bibelkritik, dialektische Theologie gen summarisch Chronisten, ausführlicher wieder refor- und spirituelle Aneignung, Altem und Neuem Testament, matorische Historiker (Matthias Flacius Illyricus, Seba- Verheissung und Erfüllung. Typisch für die geistige Grat- stian Franck), aus der Zeit des Pietismus G. Arnold und wanderung der biblischen Theologen sind etwa die Sätzb als Wendepunkt zur wissenschaftlich kritischen Kirchen- von Karl Barth: »Die Geschichte als solche ist nicht Of- geschichtsschreibung der Aufldärung Johann Lorenz von fenbarung, obwohl Offenbarung Geschichte ist . .. Wohl Mosheim. Der dieses Kapitel beschliessende Abschnitt aber ist die Offenbarung in der Geschichte zu finden, je- legt eigene Vorschläge zur Bestimmung des Gegenstandes doch nur, indem sie als Rede Gottes in Person von dem der Kirchengeschichte vor. Der Vf. will darunter verstan- fragenden Menschen gehört wird« (23). den wissen die weltgeschichtlichen Folgen der geschichtli- Die Übersicht Reventlows gliedert sich in fünf Hauptteile: chen Existenz Jesu von Nazareth als Horizont und Rah- 1. Vorgeschichte und Neuaufbruch seit dem 1. Weltkrieg. men der Kirchengeschichte und nennt dazu drei genauere 2. Das Problem einer systematischen Darstellung. 3. Das Bestimmungen: Kirchengeschichte ist Geschichte der Problem der Geschichte. 4. Die »Mitte« des Alten Testa: Christen, Geschichte der christlichen Gemeinschaft und ments. 5. Der Welthorizont alttestamentlicher Theologie. Geschichte der Kirche Jesu Christi. Reventlow steht — im Gegensatz zu manchen besonders Das zweite Kapitel beschreibt Probleme der Periodisie- jungen Alttestamentlern — den reichen Möglichkeiten der rung der Kirchengeschichte. Einleitende Bemerkungen alttestamentlichen Theologie positiv gegenüber. Man gelten grundsätzlichen Einteilungen, Monats- und 'wo- müsse sich aber hüten, irgendeinen theologischen Ansatz chentagsbezeichnungen, Kalenderreformen und chrono- »als Universalschlüssel« zum Verständnis aller Probleme logischen Einteilungen. Wichtiger sind jedoch die grösse- zu erldären. ren Sinnzusammenhänge, die sich dem Betrachter abhän- Eine Kritik am Rande für die ganze Wissenschaft der atl. gig vom jeweils eigenen historischen Standpunkt erschlies- Theologie drängt sich nach der Lektüre auf. Unter dem sen. Der Vf. behandelt heilsgeschichtliche Entwürfe einer Abschnitt »Der Welthorizont der atl. Theologie« kommt ganzen Geschichte, ihre Wurzeln im griechischen und is- Reventlow auf Schöpfung, Mythos und Weisheit zu spre- raelitisch-jüdischen Denken und die Entfaltung im christ- chen. Hier wäre aber noch das Thema: Spannung zwi- lichen Gedanken der Einheit und Gliederung der Weltge- schen Volk Gottes und Weltvölkern anzusprechen gewe- schichte im Ganzen, ihre Ausformung in der Frühzeit der sen. Es wirkt befremdend, dass die Theologen des Alten Kirche und im Mittelalter. Ausführlicher kommen dann Testamentes dieses historische und theologische Haupt- Entwürfe zu Wort, die aus Reformationsbewegungen her- problem des Alten Testaments selten und so beiläufig be- aus entwickelt wurden und die zur bekannten Einteilung handeln. Es ist typisch, dass z. B. die Rolle Esthers nir- im Altertum, Mittelalter und Neuzeit führten. Schliesslich gends — in keinem Zitat und in keinem Ansatz — auf- werden auch Entwürfe des Idealismus vorgestellt (F. C. scheint. In Esther und in den meisten atl. Büchern ist die Baur), positivistische Entwürfe des 19. Jh. (A. Comte) und Bewältigung dieses wichtigen Themas aber deutlich arti- neuere Periodisierungsversuche (K. Heussi, E. Wolf, H. kuliert. Diese Kritik trifft weniger Reventlow, sondern die Jedin).

133 Nach diesen grundlegenden Fragen nach Gegenstand und entspringenden Aussöhnung zwischen Josef und seinen sinnvoller Gliederung folgt nun das umfangreichste dritte Brüdern, während der zweite Teil (41-53) an der Erzäh- Kapitel, das mehr als die Hälfte des Werkes umfasst. Hier lung von Davids Verbrechen an Urija und seinen Folgen geht es nun um Inhalte der Kirchengeschichte, die in einer (2 Sam 11-12) den Prozess von Reue herausarbeitet. Da- als Versuch charakterisierten Weise dargeboten werden. bei wird deutlich: »Gemeinsam an Umkehr und Reue Der Vf. bedient sich dabei — in Absetzung von im ersten ist . . ., dass sie auf seiten der Schuldigen die Haltung Kapitel genannten eher theologischen Aufgabenstellung — sind, der auf seiten der Geschädigten und Gekränkten die einer »beschreibenden Formel«. Es geht ihm um eine Ge- Verzeihung entspricht, so dass aus der Begegnung von schichte des Christuszeugnisses : »Es ist zu zeigen, auf beiden, von Verzeihung und Reue, die Versöhnung ent- welche Weise diejenigen, die sich Christen nannten, in ih- steht« (53). Der dritte Teil (55-79) zeigt am Phänomen rer gemeinsamen und besonderen Lebensweise dies auch der kofär-Zahlung, am Bruderkonflikt Jakob-Esau und zu sein glaubten« (49). Dieses soll beschrieben werden in an verschiedenartigen Regelungen, die Folgen einer fluch- grundlegenden Aspekten, die in ihrer gegenseitigen Ver- beladenen Tat einzudämmen, überzeugend auf, wie im al- flochtenheit sichtbar gemacht werden. Die Wahl der ein- ten Israel »Sühnung« eines der hauptsächlichsten Mittel zelnen Aspekte wird zunächst jeweils begründet, danach war, die Eskalation von Gewalt in der Gesellschaft zu ver- werden einzelne Stationen der Geschichte ihrer Erfor- meiden, ja Gewalt selbst zu überwinden. Am theologisch schung und schliesslich ihre Inhalte dargestellt. Der erste, gewichtigsten ist m. E. der vierte Teil (81-119), der das so wohl auch grundlegend gedachte Teil befasst sich mit In- oft missverstandene Phänomen der kultischen Sühne an- stitutionen des Christentums als dem »Knochengerüst der thropologisch und theologisch als einen von Gott selbst Kirchengeschichte« (51). Gegenstände sind: Entwicklung ermöglichten und an Israel geschenkten Weg der Versöh- der Ämter innerhalb der Kirche und der Kirchen, Ge- nung darstellt. Jenseits aller Verzerrungen, die Sühne als schichte der Konzilien und Synoden, der Klöster, der drei Tauschgeschäft oder als >Werk< disqualifizieren, aber Normen (Glaubensregel, Amt und Schrift) und institutio- auch in Ablehnung von Versuchen, im Sühneblut eine >Er- neller Formen der Busse. Ein zweiter Teil beschreibt die satzgewalt< zu sehen, wird hier ein differenziertes und tie- Geschichte des Kirchenrechts. Der dritte enthält eine fes Verständnis von Sühne entfaltet, das nicht die Strafe, knappe Darstellung der Theologiegeschichte, die wohl sondern die Versöhnlichkeit Gottes und somit die Gnade nur als erste Hinführung gedacht ist. Theologie, verstan- ins Zentrum rückt. In einem knappen Schlussteil den als denkende Rede von Gott, wird unterschieden von (121 - 144) werden sodann die gewonnenen alttestamentli- Theologiegeschichte, die der Vf. erst aufgrund der Theo- chen Einsichten für ein vertieftes Verständnis der in Jesus logiekritik des Pietismus und der Aufklärung entstanden Christus geschehenen Versöhnung und Sühne fruchtbar sieht. Auch hier werden im Gang durch die Kirchenge- gemacht. schichte dann Inhalte beschrieben: von ntl. Theologie Das Buch, dessen menschliche und theologische Leiden- über die altkirchlichen Lehrstreitigkeiten, die Scholastik schaft für die beschriebenen Lösungswege des Gewaltpro- und sehr ausführlich die protestantische Kirchenreforma- blems fasziniert, ist aus mehreren Gründen zu empfehlen: tion. Sie ist für den Vf. »(. . .) historisch geurteilt, das be- es führt den Leser kompetent in alttestamentliche Textbe- deutendste und wichtigste Ereignis der abendländischen reiche ein, die teilweise noch wenig erschlossen sind; es ist Theologiegeschichte — man darf wohl sagen, der Theolo- einfühlsam und gut lesbar geschrieben, ohne je oberfläch- giegeschichte überhaupt« (118). Ein vierter Teil behandelt lich zu werden; es ist ein bewusst in christlicher Tradition Frömmigkeits- und Sozialgeschichte. Das Kapitel schliesst stehender Versuch, das Jesusgeschehen von der Tiefen- mit Bemerkungen zum Zusammenhang der Geschichte. struktur des AT und NT gemeinsamen (!) Gottesbildes Die Schlussbemerkung verweist auf gängige Gesamtdar- her zu begreifen, ohne das AT christlich zu vereinnah- stellungen der Kirchengeschichte und rät, bewusst subjek- men; für das jüdisch-christliche Gespräch werden hier be- tiv, welche Stellen der Kirchengeschichte dem Vf. als für sonders den christlichen Partnern nachdenkenswerte Rah- das vertiefte Studium lohnend erscheinen. men-Vorgaben gemacht. Erich Zenger, Münster/Westf. Als eine Einführung gedacht erfüllt das Werk sicher sei- nen Zweck. Dennoch, das verleugnet der Vf. auch nicht, EDMUND SCHLINK: Ökumenische Dogmatik. Grund- ist bei allem Bemühen um Ausgewogenheit sein dezidiert züge. Mit Geleitworten von Heinrich Fries und Nikos A. protestantischer Standort nicht zu übersehen. Auch für Nissiotis. Göttingen 1983. Verlag Vandenhoeck & Rup- sein eigenes Werk gilt für viele Wertungen sein Urteil recht. XXI, 828 Seiten. über Theologie insgesamt: sie »trägt das entmutigende, ja Nach der Lektüre von über 800 sehr dicht gedruckten Sei- auch Misstrauen erweckende Zeichen hoher fachmänni- ten dieser »Grundzüge« ergibt sich ein zwiefacher Ein- scher Gelehrsamkeit bei vollendeter Uneinigkeit der Au- druck: toren der unzähligen Bücher theologischen Inhalts an a) E. Schlink legt hier mit grosser Sachkenntnis eine Sum- sich« (104). Einführungen erscheinen mir dann sinnvoll, ma heutiger ökumenischer Theologie mit ihren offenen wenn sie zum Weiterlesen und Weiterdenken, auch zur Möglichkeiten und Grenzen vor; Kritik, im besten Fall zum eigenen Standpunkt führen. b) Hebräische Bibel und Judentum fungieren im gesamten Das vorliegende Werk bietet einen möglichen Einstieg, Werk als Negativfolie zur Profilierung des christlichen erfordert aber eigenes weitergehendes Studium. Standpunktes. Klaus Bernhard Schnurr, Freiburg Es können hier nur drei der wichtigsten Strukturelemente angedeutet werden, mit denen in diesem voluminösen ADRIAN SCHENKER: Versöhnung und Sühne. Wege Werk alle klassischen Traktate der Dogmatik durchformt gewaltfreier Konfliktlösung im Alten Testament. Mit ei- werden. Es sind dies die Erfahrung der Grosstaten Gottes, nem Ausblick auf das Neue Testament (Biblische Beiträge die Doxologie und die Trinitarisierung. »>Die grossen Ta- 15). Freiburg (Schweiz) 1981. Verlag Schweizerisches Ka- ten Gottes< aber sind der bleibende Grund aller Zeugnisse tholisches Bibelwerk. 179 Seiten. und aller Gebete. In der Konzentration auf sie gewinnt Das Buch ist in vier in sich selbständige Teile gegliedert, die Dogmatik' die Weite, ohne die sie keine ökumenische die man für sich selbst lesen und verstehen kann. Der erste Dogmatik wäre.« (62) Auf diesem Hintergrund kann etwa

Teil (15 -40) beschreibt am Beispiel der Josefsgeschichte eine ausgewogene Diskussion über die gegenwärtige die Vielschichtigkeit der aus Verzeihung und Umkehr Theologie des Herrenmahles (z. B. 500 ff., 513) unter Ein-

134 beziehung des Lima-Dokumentes von 1982 gelingen sches Verhältnis zum Gesetz trotz seiner Anerkennung (509). Formendes Prinzip solcher Systematik, gleichsam der alttestamentlichen Schriften« (263, vgl. 525). Jesus hat ihr Angelpunkt, bleibt die Interpretation des Dogmas von demgegenüber etwas Neues gefordert, z. B. im Gebot der der Doxologie her. Dabei erweist sich Doxologie als eine Feindesliebe (317, vgl. 380). Er »stellte so das alttesta- nicht beliebige liturgische Aussagestruktur; vielmehr »ist mentliche Liebesgebot und die Gebote des Dekalogs ge- sie eine notwendige Antwort des Glaubens aufgrund von gen die Halacha und machte es den Menschen unmög- Gottes grossen Taten, ohne die die anderen Antworten in lich, sich hinter der Kasuistik rabbinischer Gesetzeslehre Gebet, Zeugnis und Lehre früher oder später verkümmern zu verstecken und dem Anspruch des göttlichen Gebotes würden«. (209) Z. B. hat Dogmatik in der Christologie zu entziehen« (316; vgl. auch die Logik 464). So hat Jesus das Bekenntnis zu interpretieren und weiterzubedenken mehrfach das Sabbatgebot übertreten (332, vgl. 315). Die- (274); Doxologie ist Letztaussage (273), und die »Struk- ser Kampf und Widerspruch gegen Halacha, das mosai- tur, in der die Anerkennung Gottes selbst zur expliziten sche Gesetz, Schriftgelehrte und Pharisäer sind von Aussage gelangt, ist die Doxologie«. (64) Ostern her sogar als Gehorsam Jesu gegen Gott zu verste- Schlink hat so die Möglichkeit, seine gesamte Dogmatik hen (370 f.). In ihrer Ablehnung Jesu handelten die Juden trinitarisch durchzuformen und das ökumenisch äusserst daher ungerecht (777), wird doch im Evangelium die In- bedeutsame Trinitätsdogma neu zu bedenken, nämlich feriorität des jüdischen Gesetzes manifest (779 f.). Denn »als die doxologische Antwort auf Gottes grosse Taten«. erst -durch das Evangelium kann das Wesen des alttesta- (741) Die Vergöttlichung des Menschen kann existentiali- mentlichen Gesetzes erkannt werden (vgl. 416, 424, 427, siert werden, insofern sie zu verstehen ist als Aufnahme 434). (Hat Verf. wohl Leo Baecks »Das Evangelium als des Begnadeten in die Zirkulation des göttlichen trinitari- Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte« herangezo- schen Lebens (439) — eine Aussage, die sich so auch in gen?) der Theologie von MJ. Scheeben findet. Leben im Plero- Als Konsequenz bleibt dann ein ekklesiologischer Integra- ma des dreieinigen Gottes wird die Vollendung menschli- lismus, in dem die Kirche das Judentum enterbt (Substitu- cher Existenz sein (718). tionsmodell; vgl. 566: »Über den ungläubigen Juden«). Von diesen Leitmotiven her besteht eine zutiefst ökumeni- Gottes Gericht gegen das jüdische Volk (296) führt zur sche Wesensverwandtschaft zwischen protestantischer Kirche als dem neuen Gottesvolk, das aus Juden und Hei- und katholischer Theologie, etwa mit der von E. Schille- den besteht (564). Sehr eindeutig heisst das dann: »Die beeckx oder von K. Rahner (dessen primär bei der kon- Totengebeine des gerichteten alttestamentlichen Gottes- kreten Heilsgeschichte ansetzende Trinitätstheologie volkes sind nun lebendig gemacht zum Lobpreis Gottes« Verf. S. 755 gerade deshalb nicht so unvermittelt in die (564). Verf. plädiert zwar dafür, dass die Christen ange- Nähe der Hegelei setzen sollte). Gleiches gilt in bezug auf sichts von gemeinsamem Ursprung und gemeinsamer Zu- die orthodoxe Theologie, etwa beim trinitarischen Dog- kunft in der Nazizeit an den Juden schuldig geworden ma (vgl. 759). seien. »Diese Schuld wird allerdings nicht dadurch ge- Das Programm dieser heilsgeschichtlichen Dogmatik sühnt werden können, dass der Heilsplan Gottes nun so stellt so einen richtungweisenden Schritt in der gegenwär- verstanden wird, als ob für das jüdische Volk der Weg zu tigen Diskussion zwischen den Kirchen dar. Andererseits Gott an Jesus vorbeiführen würde« (565). Kurz zuvor hat- zeigt sich aber auch unübersehbar, dass in diesem Werk te es geheissen: »Dabei können die von Christen vollzoge- jede Ökumene mit dem Judentum unmöglich gemacht nen Judenverfolgungen in gar keiner Weise mit dem Hin- wird. Verf. wendet sich zwar ausdrücklich gegen Ideolo- weis auf die am Anfang der Kirchengeschichte erfolgten gien, Vorurteile und den Schutt von Missverständnissen Christenverfolgungen durch die Juden entschuldigt wer- (V, 30 f., 641 f.), doch gilt das offensichtlich nur für den den. Denn die Juden handelten in einem vermeintlichen Binnenbereich des Christlichen. Selbst wenige Mosaikstei- Gehorsam gegen das alttestamentliche Gesetz« (565). An ne können hier genügen, um diese Negativfolie sichtbar dem folgenschweren Gottesmordvorwurf tragen die Ju- zu machen. den selbst die Schuld, denn »unter dem Eindruck der Israel hat den Bund gebrochen und Jesus ans Kreuz ge- durch viele Jahrhunderte hindurch erfolgenden regelmäs- bracht (3, 60, 315 f.). Er wurde als Gotteslästerer hinge- sigen Verfluchung Jesu und der Christen in jüdischen Ge- richtet (115), von »Juden und Heiden abgelehnt und getö- beten wurden von den Christen weithin vor allem die Ju- tet« (174). Verf. spricht (mit Apg 2, 23) sogar von der den als die Mörder Jesu angesehen. Hieraus folgten wie- »Untat und Greueltat der Juden« (256), wobei ihm Joh 8, der schwere, tief beldagenswerte Verfolgungen von Juden 44 als dictum probans dienlich ist (182). Schriftgelehrte durch Christen« (334). Aber schliesslich bringen auch die und Pharisäer widersetzen sich selbst Jesu letztem und Opfer des Holocaust Gott ihren Lobpreis dar (790). äusserstem Ruf zur Umkehr (338). Es stimmt nachdenklich, solchen verborgenen Antijudais- Zwar findet sich Kritik am Despoten Pilatus (168), doch mus hier zitieren zu müssen. Statt Gräben aufzureissen erscheint auf anderer Seite folgende Schuldzuweisung: Es hätte es gerade diese »Ökumenische Dogmatik« von ih- »griff das Nein seiner jüdischen Gegner um sich und wur- rem Ansatz bei den gedolot JHWH her vermocht, eine le- de auch zum Nein der Römer. Durch das gemeinsame bendige Brücke zwischen Christen und Juden zu errich- Nein von Juden und Heiden wurde Jesus ans Kreuz ge- ten. Denn auch für die Dogmatik haben die Worte Karl bracht.« (328, vgl. 333) Joseph Blinzler, Der Prozess Jesu Barths von 1966 ihre Notwendigkeit behalten: »Wir sol- (München 41969), wird hierzu als seriöse Information ge- len nicht vergessen, dass es schliesslich nur eine tatsäch- nannt. Ein Blick in die gründliche und sehr präzise Unter- lich grosse ökumenische Frage gibt: unsere Beziehungen suchung von Ruth Kastning-Olmesdahl, Die Juden und zum Judentum.« Karl-Heinz Minz, Düsseldorf der Tod Jesu (Neukirchen-Vluyn 1981), hätte genügt, um den massiven Antijudaismus bei Blinzler zu erkennen. HEINZ SCHMIDT: Didaktik des Ethikunterrichts I. Die Juden haben Jesus ans Kreuz gebracht, weil er in Grundlagen. Stuttgart 1983. Verlag W. Kohlhammer. 260 unerhörter Weise das alttestamentliche Gesetz radikali- Seiten. siert hat (5, vgl. 343, 347, 525, 631 u. ö.). Das späte Juden- Die Einführung des Faches »Ethik« für Schüler, die nicht tum (250) mit seinem späten Gesetzesverständnis war es, am Religionsunterricht teilnehmen, hat Rechtsprobleme dem Jesus und die urchristliche Botschaft begegneten aufgeworfen, die zugleich auf inhaltliche Schwierigkeiten (217). Das Charakteristische an Jesus ist u. a. »sein kriti- dieses Faches hinweisen. »Darf die staatliche Schule einen

135 Unterricht über Sinn- und Wertfragen veranstalten, ohne jede ihm gewidmete Untersuchung auf einer schwachen gegen das Prinzip weltanschaulicher Neutralität zu ver- Basis, die dann zum verführerischen Glatteis werden stossen? Welche inhaltlichen Vorgaben sind von Rechts konnte, wenn vergessen wurde, dass für »judenchristlich« wegen möglich oder nötig? Lassen sich Wertbindungen, reklamierte Aussagen kein Kontrolltext zur Verfügung die ja kein derartiger Unterricht vermeiden kann, durch stand. Erschwerend wirkte, dass man sich in der For- die Verfassungen demokratischer und pluralistischer Ge- schung eigentlich bis heute nicht darauf geeinigt hat, was sellschaften überhaupt legitimieren?« (9) Die Legitima- denn als »judenchristlich« zu verstehen sei — und da lassen tionsprobleme dieses Faches betreffen die Aufgaben und sich einige Bestimmungen denken, um den Begriff inhalt- Inhalte von Ethik gleichermassen und sind, wie die unter- lich zu füllen. schiedlichen und disparaten rechtlichen Festlegungen in Einig war man sich in der Forschung dagegen schon län- den einzelnen Bundesländern zeigen, bislang nicht gelöst. ger, dass in den pseudoklementinischen Homilien und Re- Um so dringlicher wird das Desiderat einer Diskussion cognitionen eine judenchristliche »Grundschrift« verarbei- der Grundlagen des Ethikunterrichts und seiner Didaktik. tet sei, aus der sich einiges über die Gedankenwelt jener Heinz Schmidt sammelt in dem hier angezeigten Buch Christen entnehmen liesse. Aber bei dem Stand der sonsti- fachdidaktische und konzeptionelle Ansätze, wie sie — gen Zeugnisse war auch die Berufung auf diese Schriften eher zufällig und vereinzelt — im deutschen Sprachraum a priori mit dem leisen Verdacht der Willkürlichkeit be- (besonders wichtig der Beitrag von 0. Höffe), im anglo- haftet. amerikanischen und sozialistischen Raum sowie aus den Unter diesen Umständen war es das unbestreitbare Ver- vorhandenen Rahmenrichtlinien in der Bundesrepublik zu dienst G. Streckers, seine Arbeit auf einer literarkritischen rekonstruieren sind. Dabei wird deutlich, dass es eine aus- Analyse der Pseudoklementinen aufgebaut zu haben. Ein gearbeitete, konsensfähige Fachdidaktik des Ethikunter- umfangreicher Forschungsüberblick (S. 1-34) gibt Auf- richts nicht gibt. Konsens besteht nur darüber, dass Ethik- schluss über die Entwicklung bis zum ersten Erscheinen unterricht nicht schon sittliche Erziehung bedeutet, son- des Buches (1958). Ihm folgt der Versuch, aus den beiden dern diese Erziehung durch Schule, Elternhaus und Um- pseudoklementinischen Werken die ihnen zugrunde lie- welt voraussetzt (92) und durch kognitive Lernprozesse gende Schrift soweit als möglich zu rekonstruieren ergänzt (vgl. 165. 210). Folgerichtig beschäftigt sich (S. 35-96); die Ergebnisse finden sich auf S. 92-96 tabel- Schmidt ausführlich mit jenen Theorieansätzen, die die larisch zusammengefasst. Nach einem Exkurs über die Konstanten sittlicher Entwicklung und Erziehung, Autori- »Ordination in den Pseudoklementinen« (S. 97-116) geht tät, soziale Kognition, Handlungskonflikte, soziale Struk- der Vf. aber noch nicht gleich zu inhaltlichen Fragen turen, Ich-Entwicklung, Gewissen, untersuchen und Ele- über, sondern untersucht zunächst die verwendeten mente einer Theorie sittlicher Lernprozesse auch im Kon- Schriftzitate. Dabei macht er den einleuchtenden Vor- text eines Faches Ethik bilden können. schlag, die Abweichungen des Textes nicht als Zeugnis Schmidt referiert all diese Ansätze kenntnisreich und mit eines eigenen Texttypus zu verstehen, sondern als Folge grosser Sorgfalt. Wenn mir auch das Problem einer religiö- von freiem Zitieren und Angleichung an den je neuen sen Interpretation des Gewissensphänomens zu kurz ab- Kontext. Die Breite dieser literarischen Bemühungen zeigt getan erscheint, so bleibt doch festzuhalten, dass das Buch den Ernst des Vf.s, seine Aussagen auf gesicherten Boden für jeden, der sich mit den Grundlagen einer Didaktik des zu stellen, desgleichen seine gelegentlich vorsichtigen For- Ethikunterrichts und der sittlichen Erziehung befasst, un- mulierungen von »Ergebnissen«. Es versteht sich von verzichtbar ist. Es bündelt zum Teil weit verstreute recht- selbst, dass literarkritische Operationen dieses Ausmasses liche Festlegungen, didaktische Entwürfe, humanwissen- nicht immer völlig evident gemacht werden können und schaftliche Grundlagen und pädagogische Forschungsan- ein gewisser Rest persönlicher Entscheidung hier immer sätze in einer Übersicht, wie sie für eine fundierte Ausein- mit im Spiel ist. Bei der inhaltlichen Beschreibung der ju- andersetzung mit den Grundlagen einer Theorie sittlicher denchristlichen Theologie, wie sie in den Pseudoklementi- Lernprozesse bislang gefehlt hat — und nun vorliegt. Dar- nen vorliegt, nimmt die Besprechung der Kerygmata Pe- aus erhellt, dass das Buch, obwohl es sich von seiner Ziel- trou den grössten Raum ein; eine Quellenschrift, für de- setzung her nicht mit dem christlich-jüdischen Dialog ren Isolation der Vf. Vorläufer hat und die er selbst neu beschäftigt, gleichwohl auch für die Reflexion der Erzie- abzugrenzen versuchte (S. 137-220). Kürzer fällt dagegen hung zu diesem Dialog eine Fülle von Grundlagenmate- die Kommentierung der zweiten ausgesonderten Quelle, rial bietet. Damit hat sich jüngst ja auch das Expertenge- vom Vf. AJ-II-Quelle genannt (Rec. I 33-71 mit Einschü- spräch über »die Begründung des Ethischen im Judentum ben des Recognitionisten), in fortlaufender Paraphrase und Christentum« näher befasst. Lothar Kuld, Stuttgart aus. Dies gilt insbesondere für den religionsgeschichtli- chen Vergleich besonders mit jüdischen Quellen. Auf we- GEORG STRECKER: Das Judenchristentum der Pseu- nigen Seiten skizziert Vf. dann seine Vorschläge zur Re- doklementinen. 2., bearb. u. erw. Aufl. Berlin 1981 (TU konstruktion der Entwicklung von den Quellenschriften 702). Akademie Verlag. 326 Seiten. bis zu den beiden jetzt bekannten Werken, mit der wichti- Unter den religiösen Gruppen der ausgehenden Antike gen Einschränkung, dass schon der Vf. der Grundschrift, nimmt eine einen besonderen Platz ein: das Judenchri- der die Kerygmata und die AJ-II-Quelle benutzt habe, stentum. Wenn auch aus der Grosskirche wie aus der »sich trotz seiner jüdischen Sympathien des Abstands vom Synagoge frühzeitig ausgeschlossen, von den Kirchenvä- Judentum bewusst war« (S. 258). tern gelegentlich mit den Gnostikern identifiziert und Bis hierhin ging auch die erste Auflage des Werkes. Die schliesslich — ca. im fünften Jahrhundert — einfach nicht Auseinandersetzung mit der seither vorgelegten For- mehr historisch greifbar, hat man es doch immer wieder schung wird im wesentlichen in einem Anhang durchge- für Einflüsse positiver wie polemischer Art bis ins achte/ führt, der auch die meiste seitdem erschienene Literatur neunte Jahrhundert hinein verantwortlich gemacht, und nennt. zwar sowohl in der patristischen wie auch in der rabbini- Mit dieser Neuauflage ist eines der wichtigsten Bücher schen Literatur. Wurde das Judenchristentum somit in zum Studium antiken Judenchristentums wieder zugängig den überlieferten Quellen (eine Qumran oder Nag Ham- gemacht, und man wird Vf. und Verlag dafür Dank wis- madi vergleichbare Bibliothek hat es nicht hinterlassen) sen. Allerdings fragt sich, ob man das Buch heute, 1984, sehr früh nur noch polemisch erwähnt, so steht und stand noch einmal so hätte schreiben können. Wahrscheinlich

136 nur schwer! Das Wissen um antikes Judentum ist seit Dennoch ist das Projekt zu begrüssen: Zum einen ist ein 1956 um vieles bereichert worden — nicht nur durch die derartiges >Fachgespräch< zwischen jüdischer und christli- seit 1949 gemachten und allmählich veröffentlichten Text- cher Bibelwissenschaft schon als ein solches ein Meilen- funde. Streckers Behandlung der Kirchenväterliteratur, stein auf einem notwendigen Weg, und zum anderen ist die den grösseren Raum einnimmt, bleibt auch heute noch mit dem Thema »Land« ein theologisches Zentralthema von Wert, sein Zugang zum Judentum hätte sich dagegen jüdischer Existenz aufgegriffen, mit dem die christliche inzwischen anders dargestellt. Hierzu nur ein paar Finger- Tradition sich seit ihrem Ursprung schwertut — und dem zeige: sie sich dennoch nicht verweigern darf! Als Ansatzpunkte Judentum als solches ist und war eine heterogene Grösse. für ein weiterführendes gemeinsames Gespräch sind m. E. Dass Josephus nicht für den gebildeten Juden schreibt, ist die Vorträge von W Zimmerli und L. Perlitt geeignet. längst anerkannte Tatsache, dass Philon (besonders wenn Beiden ist die von der Prophetie und vom Deuterono- er allein steht) nur schwer als Zeuge jüdischer Tradition mium her aufgezeigte Theologie gemeinsam, wonach >das verstanden werden kann, ist zumindest ein schon nicht Land< für Israel als der zu gestaltende Ort von Gerechtig- mehr umstrittenes Problem. Hellenistisches, apokalypti- keit und als göttliche Heilsgabe, die für und mit der Tora sches, rabbinisches und mystisches Judentum (und die gegeben wurde, zu gelten hat. Das ist zugleich eine Kon- Grenzen sind fliessend von Schriftsteller zu Schriftsteller), kretion der These, mit der Z. Werblowsky die Beiträge er- neben Essenern und anderen Randgruppen verbieten in öffnet: »Die Beziehung zum Land beginnt mit dem Aus- ihrem Nebeneinander und Miteinander (das zuweilen zug Abrahams aus seinem Vaterhaus, und zwar so, dass zum Gegeneinander wird) heute die katalogische Behand- die Landesverheissung — um es paradox überspitzt zu sa- lung sogenannter »jüdischer Motive«. Zudem ist die Frage gen — der Volksverheissung vorausgeht: Gen. 12, 1 - 2. nach den Beziehungen des Judentums zur Gnosis und um- Den existentiellen Theologen bleibe die Freiheit unbe- gekehrt mit der Publikation der Nag-Hammadi-Texte nommen, gemäss den Regeln ihrer Homiletik (denn es ist völlig neu gestellt und beginnt erst als solche behandelt Homiletik und nicht >Hermeneutik() >Existentialmi- zu werden. Man wäre wohl daher heute vorsichtiger, drasch< zu treiben, doch dem Bibelleser ist es klar, dass vom >jüdisch-gnostisch-(christlichen)-Hintergrund< der der Genesistext gerade nicht von einem Auszug ins Unge- Grundschrift zu sprechen (passim). Eine eingehendere Be- wisse spricht, sondern genau umgekehrt von einem Gang handlung der zum Vergleich herangezogenen jüdischen in die Gewissheit der Verheissung. Das Volk ist nicht au- Parallelen hätte wohl auch einiges anders erscheinen las- tochton : Es zieht in ein Land, welches, wie auch das Volk sen (in zwei Fällen auch glatten Irrtum vermieden: selbst, von Gott dazu bestimmt bzw. auserwählt ist. Land S. 272/140 zum »sakralen Amt« und S. 208 zum Tauch- und Volk sind sich gegenseitig angelobt und verheissen. bad vor dem Essen). Kurz: Auch das hinter diesem Juden- Es ist Gottes Land nicht aus mythologisch-kosmogoni- christenturn stehende (oder vermutete) Judentum verlangt schen Gründen, sondern weil >Gottes Augen allzeit darauf auch und gerade nach Streckers Buch noch einiges an gerichtet sind< (Dtn 11, 12) — die Augen desselben Gottes, Klärung. der von sich sagt (Ex 19, 5): >Denn mein ist die ganze Er- Das Buch bleibt ein Orientierungspunkt in der For- de«< (3 f.). schungsgeschichte der Judenchristen. Wer sich heute über Der Band kann, bei aller Begrenztheit seiner einzelnen die judenchristlichen Bestandteile der Pseudoklementinen Fragestellungen, insgesamt die Situation des jüdischen äussern will, wird an Streckers Buch nicht vorbei können. Volkes begreifen helfen, die Moses Hess (erstmals 1864) Mit der Neuvorlage des Werkes ist nun aber auch der An- so formuliert hat: »Ja, das Land (la terre) ist es, was uns sporn zu ebenso präziser Weiterarbeit gegeben. fehlt, um unsere Religion auszuüben.« Michael Mach, Jerusalem Erich Zenger, Münster/Westf. JOSEF DE VRIES: Grundbegriffe der Scholastik. Darm- DERS. (Hrsg.): Das Land Israel in biblischer Zeit. Jerusa- stadt 1980. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. XII und lem-Symposium 1981. Göttingen 1983. Verlag Vanden- 113 Seiten, 6 Seiten Register. hoeck & Ruprecht. 222 Seiten. Wenn, wie das Sprichwort sagt, sich in der Beschränkung Der Band bringt in erweiterter und bearbeiteter Form die erst der Meister zeigt, dann ist das vorliegende Bändchen Vorträge, die vom 6. bis 13. September 1981 bei einem geradezu ein Schulbeispiel eines Meisterstücks. Die Kolloquium im Rahmen der Partnerschaft der Universität »Scholastik«, keineswegs ein monolithischer Block von Göttingen und der Hebräischen Universität Jerusalem ge- Lehrmeinungen, sondern ein Verfahren, die Vielfalt von halten wurden. Die vierzehn Beiträge aus der Feder der Fragestellungen, Methoden und Ergebnissen des Denkens Jerusalemer Bibelwissenschaftler und Religionshistoriker so ins Gespräch zu bringen, dass nicht jeder Verfasser Z. Werblowsky, A. Malamat, M. Weinfeld, Z Kallai, S. Ja- »vom Punkte Null anfangen« muss, sondern ein fort- phet, M. Haran, S. Safrai und ihrer Göttinger Kollegen W schreitendes Lernen (»Schule«) möglich wird, brauchte Zimmerli, L. Perlitt, R. Smend, R. Hanhart, H. Stegemann, für dieses Gespräch zwischen Individuen, Gruppen und B. Schaller, G. Strecker (jeweils in der Reihenfolge der Bei- Generationen eine geeignete Sprache. Diese musste flexi- träge) arbeiten auf methodisch sehr unterschiedliche Wei- bel genug sein, um wissenschaftlichen Innovationen Raum se die Bedeutung des Landes Israel für die jüdische und zu geben, und zugleich beständig genug, um Kontinuität die judenchristliche Existenz heraus; auch die Tempelrol- des Dialogs über Generationen hinweg zu ermöglichen. le, Philo und die Rabbinen werden erfreulicherweise mit- Diese Sprache ist, aus unterschiedlichen Gründen, der einbezogen. Während die jüdischen Autoren offenkundig Philosophie verlorengegangen, so dass der Dialog mit frü- sich mehr mit der historischen Realität des Landes (z. B. heren Generationen von Philosophierenden abbrach. Dies Strategien der Eroberung, Grenzziehungen des >Gelobten gilt um so mehr, als einzelne Wörter dieser ehemaligen Landes<, Identitätsprobleme in der Pluralität des nach- Sprache (z. B. Materie, Substanz, Ursache) in einer ver- exilischen Judentums) beschäftigen, diskutieren die christ- engten und erstarrten Bedeutung noch heute weiterver- lichen Autoren stärker literarische und vorstellungs- wendet werden und so den Zugang zu ihrer ehemaligen orientierte Probleme der unterschiedlichen Literaturberei- weiteren und zugleich tieferen Bedeutung verstellen. Der che. Leider fehlen in der Dokumentation eine echte Aus- Verfasser gibt an 19 Beispielen Proben von diesem ehe- einandersetzung und zumindest der Versuch, ein theolo- mals reicheren Bedeutungsgehalt solcher Begriffe. Termi- gisches oder gar ansatzhaft aktuelles Fazit zu ziehen. ni wie »Abstraktion«, »Analogie«, »Form«, »Teilhabe«

137 und selbstverständlich der ontologische Zentralbegriff Zunächst bietet der Verfasser in einer »Einleitung« »Sein/Seiendes« werden in einer Weise behandelt, die die- Grundsätzliches zum Verständnis der Psalmen; dabei se scheinbar starren Begriffe als Ausdruck einer lebendi- geht es um die Fragen nach der Entstehung der Psalmen, gen Bewegung philosophischen Denkens verständlich nach ihren Arten und Gattungen, nach den religionsge- macht. Am Ende stellt sich der Leser die Frage, ob er be- schichtlichen Hintergründen und ähnlichem mehr. So- klagen soll, dass die Sprache dieses Lebens heute zur dann werden in 11 Abschnitten die ausgewählten Psal- »toten Sprache« einer vergangenen Epoche geworden ist men, nach Arten bzw. Gattungen eingeteilt, im einzelnen oder ob er, mit dem Verfasser, hoffen darf, dass das neue vorgeführt: Klagepsalmen des Volkes, Vertrauenspsalmen Hinhören auf diese Sprache auch das philosophische Den- des Volkes, Königspsalmen, Klagepsalmen des einzelnen, ken der Gegenwart bereichern wird. Vertrauenspsalmen des einzelnen, Berichtende Lobpsal- Richard Schaeffler, Bochum men (Dankpsalmen) des einzelnen, Beschreibende Lob- psalmen (Hymnen), Liturgische Psalmen, Zionslieder, HARALD WAGNER: Einführung in die Fundamental- Segenspsalmen, Psalmen und Weisheit. Am Schluss findet theologie. Darmstadt 1981. Wissenschaftliche Buchgesell- sich der Abschnitt »Jesus Christus und die Psalmen«, der schaft. 132 Seiten. auch, nach Art eines Unterabschnitts, eine starke Seite zu Der (katholische) Autor versucht in drei Hauptteilen die der Frage nach der »Bitte gegen die Feinde« enthält. — Geschichte, die aktuelle Situation und die Zukunft der Das »Psalmenregister« suche man nicht auf der im In- Fundamentaltheologie zu skizzieren. Der erste Teil, in haltsverzeichnis angezeigten Seite 211, die sich im Buch dem summarisch über Entstehung und Entwicklung dieser gar nicht findet, sondern vielmehr auf der Innenseite des theologischen Disziplin berichtet wird, ist aber bei weitem vorderen Einbanddeckels. nicht der ausschliesslich historisierende Abschnitt des Bu- Geht man von der oben genannten Einteilung aus — und ches. Immer wieder verwebt der Verfasser geschichtliche dies empfiehlt sich nach meinem Dafürhalten —, so erhält Vorgänge und Deutungen in seine Überlegungen. Da- man eine reichhaltige und dazu sehr übersichtliche Ein- durch kann fast dem ganzen Buch das Etikett eines funda- führung in die Psalmen. Von da aus erschliesst sich die mentaltheologisch-geschichtlichen Abrisses aufgedruckt Lektüre der Psalmen insgesamt, und so könnte man wohl werden. Leider bleiben dabei Wiederholungen nicht aus sagen, dass der besondere Wert dieser Ausgabe für breite- (S. 110 f., 121). Ab und zu erregt die Darstellung den Ein- re Kreise in ebendieser Hinführung zum Psalmenver- druck, als ob die Themenvielfalt, mit der sich die Funda- ständnis überhaupt liegt. — Von einzelnen beliebigen Psal- mentaltheologie zu befassen hat, dem Autor einen Streich men darf man leider oft nicht ausgehen, denn da muss spielen würde (vgl. Vorwort S. XI. Hier zitiert der Verfas- man die Erfahrung machen, dass — bei einer Auswahl ser H. Fries, der von »Teamwork« in der heutigen Funda- nicht anders zu erwarten — das Gesuchte sich nicht findet; mentaltheologie spricht). immerhin wird etwa ein Drittel des Psalters vorgeführt. Das Ziel der gegenwärtigen Fundamentaltheologie be- Zu exegetischen Einzelfragen ist hier nicht Stellung zu schreibt der Verfasser so, »dass es der Fundamentaltheo- nehmen. Dass man auch in manchen Einteilungsfragen logie in erster Linie darum geht, die Glaubwürdigkeit anders urteilen kann als der Verfasser, wird den Wert des (Sinnhaftigkeit, Angemessenheit) göttlicher Offenbarung Buches in keiner Weise mindern. Für ein breiteres Lesepu- darzutun« (S. 40). Wenn der Schritt von der ursprüngli- blikum (aber nicht nur für dieses) wird die eigentliche chen »Apologetik« zur (heutigen) »Fundamentaltheolo- theologische Fragestellung immer drängender werden. In gie« in verschiedener Hinsicht eine Neuorientierung be- dieser Hinsicht bleibt ein weites Feld offener Fragen; man deutete, so stellt sich — aus der Perspektive des theologi- wird aber für jede Hilfe dankbar sein müssen, auch wenn schen jüdisch-christlichen Gesprächs — hauptsächlich fol- ihre Unzulänglichkeit zuweilen schmerzlich spürbar gende Frage an den Verfasser: Kann »Offenbarung« in- bleibt. Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. nerhalb einer heutigen (ökumenisch geforderten) Funda- mentaltheologie noch ausschliesslich so interpretiert wer- HANS WALTER WOLFF : Prophetische Alternativen. den, dass der Alte Bund nur »Vorbereitung« des Christus- Entdeckungen des Neuen im Alten Testament. (Kaiser Ereignisses (S. 54; vgl. auch S. 56, 66) war? Führt diese Traktate, 70.) München 1982. Verlag Chr. Kaiser. 86 S. Sicht nicht zur Substitutionslehre (Kirche hat Israel/Ju- Im Untertitel klingt die »klassische« Formel an: »Novum dentum abgelöst)? Die Darlegungen machen den An- Testamentum in Vetere patet.« So wendet man sich nach schein, dass der Ökumenebegriff für den Autor tatsäch- den Texten über die »Gerichtspropheten« Amos, Hosea, lich rein innerchristlich bleibt! Denn hier (S. 106-108) Micha und vor dem abschliessenden Essay »Wie wird der vermisst man z. B. — trotz aller sachlichen Kriterien — das falsche Prophet erkannt?« neugierig der Erörterung der Stichwort Judentum, obwohl Wagner mehrmals betont, Frage zu: »Was ist das Neue im neuen Bund?« — zumal dass christlicher Glaube heutzutage nicht einfach vor ausdrücklich die Perspektive angegeben ist: »zum jüdisch- Glaubenden zu reflektieren resp. zu rechtfertigen sei (vgl. christlichen Dialog nach Jeremia 31, 31-34« (S. 55-69). S. 59 u. ö.). Die Zielsetzung ist eindeutig: »Auschwitz . . . muss zur Vom dritten Hauptteil, der Aufgaben und Akzente der brennenden Frage werden —, nicht nur an die Adresse der Fundamentaltheologie schildert, hätte die Rezensentin ei- Deutschen, sondern mehr noch an die der Christen. Wo gentlich mehr und klarere Postulate erwartet als die hier liegt unsere Mitschuld? Wie können wir neuen Judenhass resümierten Problemfelder. hindern? Wie kann es zu einer Bruderschaft von Juden Abschliessend möchte man dieses Buch, das »Einführung« und Christen kommen?« Die folgende Auslegung von Je- genannt wird, eigentlich lieber »Einblick in die Entwick- remia 31 ist durchaus bestrebt, in diese Richtung Wege zu lungsgeschichte der Apologetik/Fundamentaltheologie weisen: Israels Vorrang in der Berufung, die Existenz von mit besonderer Berücksichtigung heutiger Ansätze« nen- Juden »trotz allem bis heute« als Zeichen für Gottes nen. Jedem Theologiestudierenden wird es aber wertvolle Treue, das christliche Bewusstsein der Vorläufigkeit (als Hinweise liefern, die zum Weiterstudium anregen. »gerecht und Sünder zugleich«) u. a. m. Aber dann wird Rita Egger, Fribourg doch wieder davon geredet, dass der alte Bund »hinfällig« CLAUS WESTERMANN: Ausgewählte Psalmen. Über- sei (S. 59); wird doch wieder die verheissene Tora im setzt und erklärt von Claus Westermann. Göttingen 1984. Herzensinnern — unter völliger Ausblendung von Dtn Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. 210 Seiten. 30, 14 etwa — als das »gänzlich Neue« behauptet (S. 61);

138 wird die zugesagte Sündenvergebung als »das Fundament Unter den Aufsätzen des zweiten Teils stellt insbesondere des neuen Bundes« wieder (mit Hilfe Jesu Christi) den Ju- »Mose als Verfasser der Tora bei Philon« (Nr. 4) auch für den nicht nur vorenthalten, sondern entrissen: »Dieses den mit Philon und der Literatur über ihn Vertrauten eine Fundament kannte der alte Bund nicht« (S. 66). So sieht gewichtige Ergänzung dar. In dieser Abteilung fehlt sich Wolff schliesslich zur Frage ermächtigt: »Könnte der früher erschienene Aufsatz »Die Allegorie Philons nicht auch die heutige Judenschaft uns [sc. Christen!' nä- in ihrem Verhältnis zur Homerallegorie«3, was durch herkommen, wenn sie in Jeremias neuem Bund nicht nur den jetzt eingefügten, Nr. 6, nur teilweise aufgewogen den erneuerten alten, sondern den verheissenen neuarti- wird. gen Bund der Hoffnung erkennen könnte? Weist die Pro- Die Aufsätze in der dritten Abteilung zeigen Amir im Ge-. phetie nicht ganz eindeutig über die Tora hinaus . . .?« gensatz zu den Überblicken der ersten als Interpreten des (S. 69) Nicht allein Jeremia 31,33 ist hier stillschweigend Details, hier in zwei Studien über »Über die zehn Gebote« verabschiedet (die Tora als »Basis« auch »des neuen Bun- und »Über die Unveränderlichkeit Gottes« ( = imm) des« : S. 61), sondern offensichtlich auch die eingangs an 55 51ff. Bei der Behandlung des zuletzt genannten Textes die Christen gerichtete Frage. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. macht sich eher bemerkbar, dass Amir seine früheren Ar- beiten für das jetzt vorgelegte Buch in ihrer ursprüngli- YEHOSHUA AMIR: Die hellenistische Gestalt des Ju- chen Fassung belassen und übersetzt hat. Hier sind zum dentums bei Philon von Alexandrien (Forschungen zum Thema der Gottesliebe und zur zentralen Textstelle neu- jüdisch-christlichen Dialog 5). Neukirchen 1983. Neukir- ere Arbeiten erschienen, die nun nicht berücksichtigt wur- chener Verlag. 220 Seiten. den4. Prof. Y. Amir (ehemals H. Neumark) legt mit diesem Hatten die drei ersten Teile Philon im Kräftespiel palästi- Buch seit seiner Dissertationl zum ersten Mal wieder ein nischer und hellenistischer Einflüsse gesehen, so wendet Werk über Philon in deutscher Sprache vor. Das heisst sich der abschliessende vierte Philons Stellung in der hel- nicht, dass Amir seit damals nichts über den Alexandriner lenistischen Philosophiegeschichte zu, wobei Philons reich veröffentlicht hätte! Aber die Umstände der Zeit brachten überliefertes Schrifttum die Heutigen für vieles, das verlo- es mit sich, dass diese kleineren Arbeiten überwiegend in renging, zu entschädigen hat. Der Titel dieser Abteilung hebräischer Sprache erschienen. Das nun vorgelegte Buch fasst Amirs Anliegen treffend zusammen. ist denn auch keine Überblicksstudie über Philon, sondern Die durchweg solide Darstellung ist ganz auf eine Diskus- eine Sammlung deutscher Übersetzungen der erwähnten sion des philonischen Textes abgestellt — Literaturhinwei- hebräischen (und einmal: englischen) Arbeiten, ergänzt se sind sparsam angebracht. Man hätte sich vielleicht hier durch einige noch unveröffentlichte Studien (Nr. 5, 6 und und da etwas mehr Diskussion mit anderen Meinungen 11 der folgenden Liste), in vier Abteilungen gegliedert: gewünscht, aber Amir konzentriert sich auf die Darstel- I »Jüdisches Leben«: 1) Philon und die jüdische Wirklich- lung des von ihm Vorzutragenden. Das trägt auf der an- keit seiner Zeit. 2) Die Wallfahrt nach Jerusalem in Phi- deren Seite wesentlich zur Klarheit bei. Ebenfalls an die- lons Sicht. — II »Bibelverständnis und Bibelauslegung« : 3) ser Interpretation der Texte im Lichte der je behandelten Philon und die Bibel. 4) Mose als Verfasser der Tora bei Frage liegt es, wenn andere Fragestellungen, die nicht di- Philon. 5) Rabbinischer Midrasch und philonische Allego- rekt zu Amirs Thema gehören, beiseite gelassen werden. rie. 6) Die Übertragung griechischer Allegorien auf bibli- Hier hätte ein gelegentlicher Verweis (und sei es in den sche Motive bei Philon. — III »Offenbarung und Gottes- Anmerkungen) das philonische Gesamtbild besser wahren nähe« : 7) Die Zehn Gebote bei Philon von Alexandrien. helfen. Ich nenne nur zwei kleine Beispiele: Wenn Amir 8) Philons Erörterungen über Gottesfurcht und Gotteslie- (S. 175) richtig feststellt, daß Gen 18 die drei Abraham be in ihrem Verhältnis zum palästinischen Midrasch. — besuchenden Männer immer nur Männer und nicht Engel IV »Philon an der Wende zu einem religiösen Zeitalter« : genannt würden, dann ist damit der Weg frei für die phi- 9) Irrationales Denken in rationalem Gewande bei Philon Ionische Auslegung der drei auf Gott und seine beiden von Alexandrien. 10) Die religiöse Umdeutung eines phi- obersten Kräfte. Allerdings heissen Gen 19 zwei der drei losopischen Begriffs bei Philon. 11) Die Umformung des Männer »Engel«, und die ganze Auslegung Philons in Et58ati.uov in den ,9Eo(palig bei Philon. Quaestiones in Genesis IV 30 ist unverständlich, wenn Wie die Übersicht zeigt, wird Philon hier in der Auseinan- Philon nicht Gen 18 zusammen mit Gen 19 gelesen hat. dersetzung mit dem rabbinischen Judentum einerseits2 Der Hinweis hätte sich vielleicht gelohnt, dass auch Phi- und dem Hellenismus andererseits gesehen. Wohl kaum lon in Gen 18 drei Engel sieht (im Literalsinn seiner Aus- ein anderer Autor ist heute noch in der Lage, beide lepng, z. B. '»Über Abraham« 113-118, QG IV 8 vgl. Aspekte derart in einer Person zu vereinen. Das führt da- »Uber die Wanderung Abrahams« 173-175). Eine andere zu, dass das Buch zuallererst anregend und in manchen solche Stelle, QG IV 140, führt Amir S. 90 an. Die arme- Aspekten geradezu erfrischend geschrieben ist: Amir trägt nische Überlieferung läuft hier der aus den griechischen aus eben dieser Zusammenschau Fragen an Philon heran, Texten bekannten philonischen Auffassung zuwider (was die so selten gestellt wurden. Das gilt besonders für die er- für seine Spezialfrage auch Amir nicht entgangen ist): ste Abteilung. Hinzu kommt der klare Stil des Verfassers, Philon sieht normalerweise im Untergang der Sonne eben der die Lektüre zu einer Freude werden lässt. Für den nicht die Öffnung der Seele zum göttlichen Zustrom, son- deutschen Leser sind besonders der erste Teil und Aufsatz dern das Verlassen-werden der Seele von Gott selbst, wes- Nr. 5 wichtig, da hier vergleichbare Darstellungen z. T. halb dann Gottes Logoi erscheinen (vgl. »Über die Träu- einfach fehlen oder zumindest nicht in dieser autoritativen me« I 72; 115 f.; »Über die Einzelgesetze« I 40; QG III 34 Klarheit vorgetragen sind. In diesen Abschnitten kann u. ö.). Doch dienen solche Ergänzungen nur zur Abrun- Amirs Buch auch für den Anfänger als eine gewisse Hin- dung des Philon-Gesamtbildes — der von Amir jeweils vor- leitung zum Studium der philonischen Schriften dienen. getragenen These tun sie keinen Abbruch. Vielleicht ist es kein Zufall, dass einer der letzten Schüler 1 Die Verwendung griechischer und jüdischer Motive in den Ge- I. Heinemanns auch nach dem Erscheinen von Wolfsons danken Philons über die Stellung Gottes zu seinen Freunden. Diss. Würzburg 1937. 3 In: EXOAIA/Eschkolot 6,1970, S. 35-45. 2 Es liegt an der Natur der Schriften Philons, dass nicht-rabbini- 4 Vgl. N. A. Dahl/A. F. Segal, Philo and the Rabbis on the Na- sches Judentum (Apokalyptik, Essener etc.) wenig bis gar nicht mes of God. In: JSJ 9, 1978, S. 1-28, und A. Nissen, Gott und zur Sprache kommt. der Nächste im antiken Judentum. Tübingen 1974 (WUNT 15).

139 grosser Philonmonographie auf der von seinem Lehrer war, weil er sich Rabbi nennen liess. Er übte die Tätigkeit abgesteckten Linie bleibt und sehr viel mehr den stoischen der Pharisäer aus, lehren und richten und polemisierte ge- Hintergrund Philons betont (wiewohl er Abhängigkeiten gen die heuchlerischen unter ihnen. Dennoch akzeptierte von Platon sorgfältig und häufig anmerkt). Philon wird Jesus voll ihre Theorie. Auch das Gesetzesverständnis Jesu hier nicht zu einem Vertreter des typischen Mittelplato- ragt nicht über das pharisäische hinaus. Den Tod Jesu be- nismus (die Werke von Dillon und Krämer6 werden nicht gründet V. politisch: Die Pharisäer wollten einen ihnen erwähnt). An zwei Punkten, die zumindest in der Litera- unliebsamen Kritiker los werden, die Sadduzäer bangten tur kontrovers sind, hat sich Amir eindeutig festgelegt: um ihre Stellung und die Römer fürchteten eine Revolu- Philon benutze die Septuaginta (und nicht den hebräi- tion. schen Text der Bibel) und verstehe auch kein Hebräisch. Jesus, verstanden als »Ur- und Nur-Jude« (31), kann da- Kann der Rezensent Amir hier gerne folgen, dann scheint her von einem Juden Bruder genannt werden. Daraus Amirs Neigung, hinter widersprüchlichen Äusserungen zieht V. folgende Konsequenz: »Der Glaube Jesu einigt Philons gelegentlich palästinische Traditionen anzuneh- uns, der Glaube an Jesu trennt uns (4).« Deutlich wird men (mit Ausnahme der in Aufsatz Nr. 8 vorgetragenen), hier die Trennungslinie zum Christentum aufgezeigt. etwas problematisch — aber da handelt es sich letztlich um Dank hellenistischem Einflusse und dem Umstande, dass Interpretationsfragen, die unentscheidbar sind und von der auferweckte Gottessohn einer Zeit willkommen sein Amir vorsichtig formuliert vorgetragen werden. musste, in der die Götter starben, konnte der Glaube an Unter dem Aspekt, dass gerade die o. g. Aufsätze des er- Christus erstehen. Dies, obwohl Jesus »jede Erweiterung sten Teils für den Ungeübten eine Art Einführung in Phi- seiner Botschaft und Wirksamkeit in übernationale Di- lonstudien sein könnten, ist es bedauerlich, dass Amir ge- mension radikal ablehnt« (28). Für den Juden konnte und rade den jüdischen Hintergrund, den er hier zum Ver- kann Jesus nicht der Messias sein, weil die Wunden der gleich anführt, nicht immer belegt (wiewohl seine Anfüh- Welt nicht geheilt wurden. rungen der Sache nach richtig sind). Der Rezensent kann Zu schnell hat das Christentum dann vergessen, was Pau- sich deutsche Leser vorstellen, die hier vielleicht Schwie- lus in Röm 11,1-2a geschrieben hat. Juden wurden grau- rigkeiten haben werden, Amirs Material zu überprüfen. sam verfolgt, unter anderem, weil antijüdische Elemente Doch dürfen sie sich da getrost auf Amirs Kenntnisse ver- im NT nicht situationsgebunden verstanden und interpre- lassen. Für dieselbe Gruppe von Lesern wäre vielleicht tiert wurden, sondern weil solche Aussagen fundamentali- auch ein Verzeichnis der Abkürzungen philonischer stisch gebraucht wurden. So geschah es, dass »durch die Schriften auf einer Seite nützlich gewesen, ebenso fehlen kirchliche Aggression . . . dem Juden nicht sichtbar wer- dem Buch Register und Bibliographie. Die Sammlung ist den« konnte, »dass im Christentum etwas von Gott her eben als Aufsatzsammlung konzipiert und nicht als Ge- geschehen ist, eine Annäherung an das Ziel der Geschich- samtdarstellung. Aber alles das kann den bereits erwähn- te, an das Reich Gottes« (79). Vom V. wird deutlich ge- ten Eindruck nicht schmälern, dass hier eine in deutscher macht, dass Juden (heute!) wie Christen (heute!) gemein- Sprache' lange vermisste Darstellung einiger philonischer sam auf das Kommen dieses Reiches hoffen. Diese Hoff- Probleme geboten wird, die höchst lesens- und empfeh- nung sollte — eine Herausforderung des Judentums an das lenswert ist. Michael Mach, Jerusalem Christentum — nicht durch eine kurzschlüssige Christolo- gie, die die Unerlöstheit der Welt überspielt, oder durch Die Auseinandersetzung mit Thesen H. A. Wolfsons bzw. de- eine Enderwartung, die durch die individuellen Jenseits- ren Bestreitung ist ein durchgängiges Charakteristikum dieses Bandes (Philo. I—II Harvard 1948). glauben ersetzt wird, zerstört werden. 6 S. J. Dillon, The Middle Platonists. A study of Platonism 80 Diesem eher dialogischen Teil folgt der eher informelle B. C. to A. D. 220 (London 1977) und H. J. Krämer, Der Ur- Abschnitt: Vom unbekannten Judentum. Es fehlen aller- sprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Plato und Plotin. Amsterdam 1964, die dings auch hier nicht die Bezüge zum Christentum, wur- Philon beide ein Kapitel widmen. den die Vorträge und Artikel doch für Christen geschrie- ' Während des Drucks haben sich einige Druckfehler eingeschli- ben oder gehalten. V. hält fest, dass das Judentum keine chen (besonders in Rückverweisen), die meisten davon wird der monolithische Grösse ist, sondern sich grob in orthodo- Leser selbst schnell feststellen (wie die Jahreszahl »39/40 v. Chr.« für die Gesandschaft an Caligula, S. 10, die natürlich »n. Chr.« xes, konservatives und Reform-Judentum gliedern lässt. zu lesen ist). Wichtig dagegen ist die Korrektur der Anmerkung Ihnen entspricht ein je eigenes Verhältnis zu Tradition 1 auf S. 119: »Sp. 6, S. 37-40« sollte heissen: SP ( = Studia Philo- und Thora. Dennoch ist dem Judentum die Einheit Gott- nica) 6,1979/80, S. 37-40; dort steht der zitierte Aufsatz von J. Volk-Land wichtig. Die Juden sind und bleiben Gottes Dillon. Auf S. 124 fehlt die Anmerkung 22 nicht, vielmehr ist der Leser gebeten, eine Seite zurückzublättern. Es ist dieselbe Stel- auserwähltes Volk, wobei Auserwählung nicht Rassismus lenangabe gemeint. meint, sondern »dass Israel das mündigste aller Völker ist, dem Gott seine Gebote geoffenbart hat, so dass es in vol- ler geschichtlicher Verantwortung steht. Dadurch aber SCHALOM BEN CHORIN: Theologia Judaica. Gesam- wird es zum Modellfall für alle Völker. An diesem Volk melte Aufsätze. Tübingen 1982. Verlag J. C. B. Mohr. 212 erweisen sich immer wieder Gericht und Gnade Gottes Seiten. für die ganze Menschheit, und deshalb konnte die Heilige Unter dem Titel »Theologia Judaica« legt der in Jerusa- Schrift des Alten Testaments, die eigentlich primär die lem lebende Journalist und Schriftsteller Schalom Ben Volksgeschichte Israels umfasst, das Lehrbuch und Zeug- Chorin eine Sammlung von Vorträgen und Artikeln vor, nis für die Menschheit werden« (121). Mitte des Juden- die zwischen 1974-1982 entstanden sind. Diese werden tums ist das Bekenntnis des Einen Gottes, das seinen Aus- unter zwei Themenkreise geordnet: Judentum — Christen- druck in der Thora findet. Es geht daher nicht an, Thora tum (1-101) und Vom unbekannten Judentum (115 - 198). auf Gesetz einengen zu wollen. Thora meint Weisung. Eingeleitet wird das Buch mit drei exegetischen Vorbe- Und diese Weisung wird im Judentum als mündliche und merkungen, abgeschlossen mit einem Bibel-, Namen- und schriftliche Thora gefasst, die eine Einheit bilden. Sachregister, dem sich ein Register über das rabbinische Das Buch ist in einem flüssigen, leicht lesbaren und gut Schrifttum anschliesst. verstehbaren Stil geschrieben. Wiederholungen, bedingt Hauptaussagen zum »Judentum — Christentum« sind fol- durch das Zusammenfügen der verschiedenen Vorträge, gende: Jesus vom Judentum her sehen heisst, ihn als Juden helfen, sich Wichtiges einzuprägen. Es ist allerdings wich- ernst nehmen. Für V. ist klar, dass Jesus ein Pharisäer tig, dass sich der Leser dabei auf die Denkweise des Au-

140 tors einlässt, der seine Gedanken sehr oft mehr assoziativ stein. (Herderbücherei, Bd. 1091.) Freiburg/Basel/Wien als logisch aneinanderreiht. Das Buch leistet einem Leser, 1984. Verlag Herder. 127 Seiten. dem das Judentum fremd ist, gute Dienste, weil ihm das Der wenn auch gelegentlich streitbare Versöhner von Fremde vertraut gemacht werden kann und zugleich wie- Christen und Juden bringt in diesem liebenswerten Büch- der fremd bleibt. Dabei muss allerdings darauf hingewie- lein auf die vorzügliche Befragung durch den Gesprächs- sen werden, dass viele Dinge, die für V. gesichert sind partner mannigfache Lebenserinnerungen'. Trotz zu- (z. B. Jesus als ein Pharisäer), in der Forschung keines- nehmender Verwurzelung im Land der Väter kehrte er wegs als so gesichert gelten. Ferner sollte der Leser auch vielmals nach Deutschland zurück und berichtet über vie- wissen, dass Chorin ein Reformjude ist und diesen Stand- le Begegnungen und Erfahrungen2. Ihm wurde !dar, »dass punkt vertritt. Für den Fachmann ergeben sich fruchtbare Holocaust nicht das letzte Wort sein kann« (52); es »liess Impulse für weitere Fragen: Kann der Dialog so geführt sich durch Fakten belegen, dass mit dem Zusammenbruch werden? So betont V. z. B., dass jüdischer Monotheismus des Dritten Reichs in Deutschland demokratische, huma- und christliche Trinitätslehre, Transzendenz und christli- ne und geistige Kräfte frei wurden, die vorher verschüttet che Inkarnationslehre, jüdischer Messianismus und Chri- waren« (85). Ben Chorin weiss viel über manche bedeu- stologie unvereinbar sind. Das heisst doch aber, dass ge- tende Persönlichkeiten (S. 88: Leo Baeck; S. 99: Else Las- nau diese Themen, die zentral zum Christentum in seiner ker-Schüler; S. 111: Max Brod u. a.). Als »Wilderer im konkret-historischen Ausgestaltung gehören, von einem Wald der Theologie« gemäss Altabt Laurentius Klein (83) Dialog ausgenommen werden. Mir scheint, dass damit der will Ben Chorin »lieber ein Dilettant als ein Fachidiot« Dialog dort aufhört, wo er beginnen müsste, sollen diese sein (85) und richtet sich nach dem Wort des Rabbi Tar- Fakten nicht einfach als Demarkationslinie zur Sicherung phon aus den Sprüchen der Väter: »Es ist dir nicht gege- der eigenen Identität beitragen. So wie das Judentum kein ben, das Werk zu vollenden; aber du bist nicht frei davon, monolithischer Block ist, ist auch das Christentum keiner. es zu beginnen« (91). Oda Hagemeyer, Abtei Herstelle Ferner ist auch die Frage zu stellen, wie weit die je eigene Vgl. dazu o. - Vgl. o. S. 54, 57 f. Geschichte der getrennten Brüder ernst genommen wird — es gibt ja nicht nur ein Judentum, das den furchtbaren MAX P. BIRNBAUM: Staat und Synagoge 1818-1938. Holocaust überlebt hat, sondern auch ein Christentum Eine Geschichte des Preussischen Landesverbandes jüdi- nach dem Holocaust. Gerade in seinen Aporien ist für scher Gemeinden (Schriftenreihe Wissenschaftlicher Ab- mich das Buch Chorins sehr anregend. handlungen des Leo Baeck Instituts). Tübingen 1981. Hanspeter Ernst, Emmen/Schweiz Verlag Mohr (Paul Siebeck). 308 Seiten mit Anhang: Do- kumente, Register. DERS.: Vom Kirchenvater Abraham und anderen Unge- Der vorliegende Band zeichnet sich durch sympathische reimtheiten. Wuppertal 1983. Brockhaus Verlag. 112 Sei- Bescheidenheit einerseits und erstaunliche Vielseitigkeit ten. andererseits aus. Die daran beteiligten Persönlichkeiten Die aus Diskussionen und Gesprächen berichteten Mei- werden durch zusätzliche informierende Fussnoten er- nungen von am Judentum interessierten Christen zeigen, hellt. dass innerhalb der ganzen Christenheit, auch bei Theolo- Das Buch enthält viel mehr, als sein Titel verspricht: Es gen, eine bestürzende Unkenntnis des Judentums vorhan- beschreibt anschaulich den langsamen rechtlichen Auf- den ist. Darum ist die Unterrichtung über das Judentum stieg des deutschen Judentums im letzten Jahrhundert bis ein dringender Nachholbedarf. Aus vielen Fragen und zu seiner völligen Entrechtung und Vernichtung in der auch Antworten und Äusserungen geht hervor, dass das Nach-Weimar-Periode. Es ist im Grunde eine »Geschich- Judentum weithin nur als ein »Stück Vergangenheit, als te« des deutschen Judentums zwischen Emanzipation und Vorstufe des Christentums« (17; vgl. 22 und 26) angese- Endlösung. Der Kampf um echte staatsbürgerliche hen wird. Das heute existierende, lebendige, sich den Pro- Gleichberechtigung, der in den letzten Jahren dem ver- blemen unserer Zeit stellende Judentum wird meist gar zweifelten Kampf um nacktes Überleben Platz macht, die nicht gesehen oder zur Kenntnis genommen, weil es — si- Ohnmacht dem Staatsapparat gegenüber treten plastisch cher als Folge einer verkehrten Unterweisung — aus- hervor. Auch die Zerrissenheit innerhalb des deutschen schliesslich unter dem Vorzeichen der Vergangenheit als Judentums, die Reibungen und Auseinandersetzungen eine Art von denkwürdigem Museum angesehen wird. zwischen den Vertretern seiner assimilierten (deutsch- Die Frage eines bedeutenden Theologen ist darum auf- nationalen) und orthodoxen bzw. zionistischen Gruppen schlussreich: »Hat es im Judentum nach dem Abschluss werden schonungslos aufgedeckt. Dieser Umstand erklärt des Kanons des AT noch eine theologische Entwicklung zum Teil die Blindheit und Überraschung des deutschen gegeben?« (19, vgl. 68). Selbstverständlich ja, und dabei Judentums seinem eigenen unabwendbaren Schicksal ge- spielt es keine Rolle, ob in diesem Zusammenhang die genüber, das trotz sich häufender bürgerlicher Restrik- »Sprüche der Väter«, die Weisen des Mittelalters oder die tionen und Verfolgungen die Hoffnung auf deren vor- Theologen der Neuzeit wie Martin Buber oder Andr8 übergehende Gegebenheit selbst im Schatten des Todes N8her genannt werden: Das heutige Judentum ist eine nicht aufgab. aus der Wahrheit der Bibel stammende und von der Weis- Jene Zeitereignisse, belegt durch ein reichliches Quellen- heit der Lehre geprägte Glaubens- und Volksgemein- material und bereichert durch die Erfahrungen des erle- schaft. benden und mitwirkenden Zeitgenossen (der Autor war Dieses Buch gibt darüber hinaus viele gute Informationen Beamter des »Preussischen Landesverbandes jüdischer über das Judentum und für das gegenseitige Gespräch Gemeinden« in leitender Stellung seit dem 1. 6. 1926) sind zwischen Juden und Christen. Weil diese Ausführungen für uns kaum noch nacherlebbar. Den Beweis liefert uns im ernsthaft-humorvollen Ton von aus Gesprächen her- der Autor selbst; so schreibt er: (S. 1) »Nach langen vorgegangenen Äusserungen gehalten sind, werden diese schwierigen Kämpfen gipfelten diese Bemühungen (um Hinweise sicher auf fruchtbaren Boden fallen. Rechtsgleichheit) in der frühen Periode der Weimarer Re- Rudolf Pfisterer, Schwäbisch Hall publik in der Gleichstellung der jüdischen Religionsge- meinschaft mit den Kirchen in rechtlicher und fiskalischer DERS.: Mein Glaube — mein Schicksal. Jüdische Erfah- Beziehung. Damit erreichte die Emanzipation ihre End- rungen mitgeteilt im Gespräch mit Karl-Heinz Flecken- phase: die Emanzipation nicht nur der Juden, sondern

141 auch des Judentums«. Weiter heisst es: »Dass kaum zehn Maimonides habe sie so ausgewählt und formuliert, dass Jahre später diese Errungenschaften von den Nazis ausge- sie »a pedagogic and supportive function« für das jüdische löscht wurden, kann bei aller Tragik des Geschehens Volk und gegen Christentum und Islam hatten. Ihre For- nicht die Bedeutung des vorangegangenen Zeitabschnitts mulierung »served to delineate and to teach beliefs which verringern«. Es fällt uns heute schwer, diese »Bedeutung« could not be renounced by a professing Jew . . . The 13 zu erkennen, die letzten Endes der deutschen Judenheit Principles, when placed against the professions of faith of die Chimäre der »Sicherheit« vorgaukelte und ihr die Fä- other religious denominations, is an eloquent denial of higkeit nahm, die kommenden Ereignisse rechtzeitig und religious and theological universalism« (15). Das philoso- richtig zu sehen und die notwendigen Konsequenzen zu phische und pastorale Genie des Maimonides zeigte sich ziehen. darin, dass er solche Glaubensprinzipien aufstellte, die ge- Diese Beurteilung Birnbaums ist um so erstaunlicher, da gen Christen und Muslim gebraucht werden mussten und der Historiker Birnbaum in seiner Beschreibung dieser die gleichzeitig das innerjüdisch-ideologische Selbstbe- Epoche fast auf jeder Seite seines Buches den Eindruck wusstsein stärkten. Bis heute gelten sie als das unverkenn- aufkommen lässt, dass die Forderungen der jüdischen Re- barste jüdische Schibbolet gegenüber christlichen Univer- ligionsgemeinschaften, sogar in der Weimarer Periode, salisierungen und Humanisierungen. Bleich schreibt zu- selbst wenn sie nach erbittertem Drängen zum Teil aner- nächst eine allgemeine Einleitung über »Faith and Dogma kannt wurden, im Grunde auf Widerstand und Ablehnung in Judaism« (1-12). Dann folgen die 13 Prinzipien des gestossen waren, die keineswegs mit den Prinzipien eines Maimonides: zuerst jeweils eine Einführung, dann die Rechtsstaates vereinbar sind. Als anschauliches Beispiel wichtigsten Texte des Maimonides über des betr. Prinzip. dafür kann die Behandlung der »Judengesetzrevision« sei- Daran angeschlossen werden Texte anderer jüdischer Re- tens der zuständigen Behörden (S. 144-168) dienen. Sie ligionsphilosophen des Mittelalters geboten, in denen zu zeigt deutlich, dass der Jude bzw. die jüdische Religions- den Texten des Maimonides oder zum gemeinten Pro- gemeinde als störender Fremdkörper in der deutschen Ge- blem Stellung bezogen wird. Zur Sprache kommen u. a. sellschaft angesehen worden ist. Andererseits wird die Saadja, Gaon, Joseph Albo, Bachja ibn Paquda, Gersoni- Tatsache der staatsbürgerlichen Sonderstellung der Juden des, Jehuda Hallevi, Mose ben Nachman, Abravanel, seitens der Behörden von jüdischer Seite (bewusst?) igno- Hasdai Crescas und Isaak ben Sheshet. Die Maimonides- riert. Texte und die seiner geistigen Unterstützer und Gegner Jüdische Persönlichkeiten, ihr Wirken und Versagen für werden ausführlich dargeboten, und zwar immer in der die Dinge des deutschen Judentums, ihre Stärke, Schwä- jeweils besten kritischen Übersetzung. Es handelt sich im- chen und Sonderlichkeiten, die Gegensätze der Gemein- mer um »die richtigen« Texte. Die Einleitungen von Da- den und Länder, einschliesslich der Austrittsgemeinden, vid Bleich geben den Gehalt der Texte konzis wieder. So ihre Vorurteile und Befürchtungen in den .Beziehungen wird das Buch zu einer bedeutsamen jüdischen Glaubens- zueinander werden deutlich gemacht und erinnern nicht lehre. Wer eine Einführung in (orthodoxe) jüdische Glau- selten an heutige Zustände innerhalb des weltweiten Ju- bensinhalte braucht, könnte kein besseres Buch finden. dentums. Man erfährt aus Bleichs Buch z. B., wie wichtig Maimoni- Der Leser wird mit den schweren Folgen der Inflation für des selbst seine 13 Prinzipien einschätzte. In der Einlei- die Erhaltung der kleinen und mittleren jüdischen Ge- tung seiner Mischne Tora gibt er seiner Überzeugung meinden und ihrer religiösen Institute, die von den Mit- Ausdruck, wer diese Prinzipien annehme, sei ein wahrer gliedern der Gemeinden unterhalten werden mussten, be- Jude, wer sie ablehne, verfalle der Exkommunikation und kannt gemacht. Dem heroischen, aber aussichtslosen Ver- dem Untergang (43 f.). Aus dem 318-321 im Zusammen- such, den kleinen und mittleren Gemeinden nach 1933 ih- hang mit der Prophetie (6. Prinzip) wiedergegebenen re »normale« Existenz im Zeichen des stetigen Nieder- Kommentar des Mose ben Nachman zu Gen 18 kann man gangs und der galoppierenden Rechtlosigkeit irgendwie sehr gut beobachten, wie die innerjüdische geistige Selbst- zu erhalten, in wachsender Sorge um die Jugend und die kritik funktioniert. Zum Prinzip der Unveränderlichkeit Erhaltung jüdischer Werte und Tradition wird ein treues der Tora schreibt Bleich einleitend: »The immutable and Denkmal gesetzt. Dr. Yehiel Ilsar, Jerusalem unchanging nature of the Law of Moses is without ques- tion the most distinctive belief in Judaism. Acceptance of J. DAVID BLEICH: With Perfect Faith. The Founda- this principle is in itself sufficient ground for total rejec- tions of Jewish Belief. New York 1983. Ktav. Paperback, tion of the claims of both Christianity and Islam« (393). 688 Seiten. Diese Stelle zeigt neben vielen anderen, dass es Bleich »Ein weitverbreitetes Missverständnis über das Judentum nicht um die Herstellung von Konkordanzen mit anderen besteht in der Vorstellung, das Judentum sei eine dog- Religionen, speziell der christlichen, geht, sondern um menlose Religion.« Mit diesem Satz beginnt J. David scharfe Hervorhebungen der Diskrepanzen. Maimonides Bleich sein umfangreiches Werk, das aus jahrelangen ist hier der beste Zeuge. Es tut aber auch uns aussenste- Vorlesungen über jüdische Philosophie an der Yeshiva henden Christen gut, wenn wir das geistige jüdische Profil University in New York herausgewachsen ist. Der bedeu- in deutlicher Abgehobenheit vom Christentum — ohne tendste jüdische Denker, Moses Maimonides, zeige die dass irgendeine gegenchristliche Polemik in Bleichs Buch Unentbehrlichkeit der dogmatischen Seite der jüdischen zu merken wäre — erklärt erhalten. Clemens Thoma Religion, weil keine Erfüllung religiöser Pflichten ohne Begründung und Zustimmung des menschlichen Geistes MICHAEL BROCKE / HERBERT JOCHUM (Hrsg.): möglich sei. Wolkensäule und Feuerschein. Jüdische Theologie des Am besten lassen sich jüdische Glaubensinhalte im Zu- Holocaust. München 1982. Chr. Kaiser Verlag. 284 Seiten. sammenhang mit den 13 von Maimonides aufgestellten »Dieses Buch macht dem deutschsprachigen Leser die jü- »Prinzipien des Glaubens«, den Einwänden gegen sie und dischen theologischen Reflexionen angesichts und nach den Zusätzen zu ihnen darstellen (ihre Formulierung nach der totalen Vernichtung, dem >Holocaust<, zugänglich, der Einleitung zu Cheleq: 36-44). Im jüdischen Volksbe- wie sie von Denkern der verschiedensten Richtungen, in wusstsein gelten sie trotz Einwänden von Joseph Albo, der Diaspora wie in Israel, hervorgebracht worden sind« Hasdai Crescas u. a. als »the definite creed of Judaism« (Vorwort der Hrsg.). Die Verfasser und ihre Beiträge: I. (13). Bleich nennt auch die Gründe dieser Wertschätzung. Maybaum, Der dritte Churban; M. I. Hartom, »unserer

142 Sünden wegen . . .«; Y. Hutner, Bürde der Erwählung; E. 7. Was auch nach Auschwitz für Juden und Christen blei- Berkovits, Das Verbergen Gottes; E. L. Fackenheim, Die ben muss, ist die Anbetung des unbegreiflichen Willens gebietende Stimme von Auschwitz; R. L. Rubenstein, Der Gottes. Dieser Gott ist nach Ps 136 der Gott, »der in un- Tod Gottes; A. A. Cohen, Mysterium Tremendum; I. serer Erniedrigung unser gedachte, denn ewig währt seine Greenberg, Augenblicke des Glaubens; M. Wyschogrod, Huld!« Franz Mussner, Passau Gott — ein Gott der Erlösung (Auseinandersetzung mit Greenberg!); J. Neusner, Holocaust—Mythos und Identi- MICHAEL BROCKE (Hrsg.): Beter und Rebellen. Aus tät (Auseinandersetzung mit Fackenheim und Ruhen- 1000 Jahren Judentum in Polen. Deutscher Koordinie- stein!); E. Levinas, Die Tora mehr zu lieben als Gott; rungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zu- A. H. Friedländer, Medusa und Akeda. Es folgt noch ein sammenarbeit: Frankfurt 1983. 368 Seiten. Nachwort der beiden Herausgeber, Der Holocaust und Der Sammelband will die »folkloristische Engführung« die Theologie — »Theologie des Holocaust«, und ein um- durchbrechen (so M. Stöhr im Vorwort), unter der die Be- fangreiches Literaturverzeichnis zum Thema »Holo- trachtung des osteuropäischen Judentums durchweg leidet caust«. (dass gegenüber dem Jahresthema 1981 aus »Osteuropa« Man ist zunächst erstaunt über den »Pluralismus« der hier nun »Polen« wurde, scheint nicht eben glücldich). Die versammelten jüdischen Stimmen und Meinungen zu dem Themen der — z. T. aus dem Englischen oder Hebräischen schrecklichen Ereignis des Holocaust. Aber wer vermag es übersetzten — 15 Beiträge sind facettenreich: die span- endgültig zu deuten und seinen »Sinn« zu erkennen? Es nungsvolle Begegnung von west- ( = deutschen) und sei dem christlichen Theologen erlaubt, seinerseits etwas osteuropäischen Juden im Umfeld des 1. Weltkriegs; die zu dem furchtbaren Phänomen des Holocaust zu sagen, Siedlungsbewegungen seit der (Vor-)Kreuzzugszeit; Ge- wenn auch nur stammelnd. meindeleben, Synagogen und Kultgerät (dazu Grundrisse 1. Das Holocaust war das grösste Verbrechen der und Abbildungen); der Baal Schem Tow und der Chassi- Menschheitsgeschichte, begangen von den Schergen der dismus — einschliesslich der Uminterpretation Bubers — Nazis. exemplarisch an einem »synoptischen Vergleieh« vorge- 2. Das Holocaust hat den Menschen in seinen verbreche- führt; der Beitrag ostjüdischer Künstler zur Weltkunst rischen Potenzen endgültig enthüllt. und jiddische Literatur und Theater; die Jüdische Arbei, 3. Ohne den Holocaust gäbe es vermutlich den Staat Isra- terbewegung; L. Pinskers Bedeutung für die moderne na- el nicht, der doch ein Hoffnungszeichen für die Juden ist tionaljüdische Bewegung; die jüdischen Parteien im polni- und auch für die Christen sein sollte. schen Parlament nach dem 1. Weltkrieg; der wechselseiti- 4. Das Holocaust gibt theologisch die grössten Rätsel auf, ge Einfluss von Juden aus Osteuropa und amerikanischer für die es keine Lösungen zu geben scheint. Davon zeugt Kultur; zum (bitteren) Ende eine Forschungsdokumenta- das Buch »"Wolkensäule und Feuerschein« mit seinen so tion zur jiddischen und hebräischen Literatur in Polen verschiedenen, z. T. entgegengesetzten Antwortversu- und Litauen seit dem Holocaust. Die auch den meisten chen. übrigen Beiträgen in Anmerkungen beigefügten Hinweise 5. Für den christlichen Theologen können vielleicht Ant- auf Quellen und Sekundärliteratur orientieren über Mög- worten in folgender Richtung versucht werden: lichkeiten weiterer Vertiefung einzelner Aspekte. Drei —Wenn nach Paulus die Toten »Tote in Christus«, dem Karten, eine Geschichtstafel und ein Glossar runden das Gekreuzigten und Auferstandenen, sind, dann sind auch Buch ab, das sachgerechte Zugänge zu einer untergegan- die Opfer des Holocaust »Tote in Christus« und damit genen Welt erschliesst, die noch »im Angesicht des To- endgültig Gerettete. des . . . um die Ehre der Menschen« kämpfte, »um der —Wenn der gekreuzigte Christus der vom Propheten ge- Schönheit, der Kraft, der Weisheit und des Geistes wil- sch-aute »Gottesknecht« ist, was er nach seinem eigenen len« (R. Auerbach). Peter Fiedler, Freiburg i. Br. Selbstverständnis war, dann nimmt er auch die Opfer des Holocaust in sein Opfer hinein und macht sie dadurch MARTIN BUBER: Baal Schem Tow. Unterweisung im sinnvoll und fruchtbar für die Erlösung der Welt. Umgang mit Gott. Nachwort und Kommentar von Lothar — Sowenig wie das Kreuz Jesu rational zu »erklären« ist, Stiehm. Neuausgabe Heidelberg 1981. Verlag Lambert vielmehr sein Leiden und Sterben nach dem Neuen Testa- Schneider. 164 Seiten. ment auf einem undurchschaubaren »göttlichen Muss« be- Der ganze Titel lautet: Des Rabbi Israel Ben Elieser, ge- ruht — der Menschensohn »muss« (am Kreuz) erhöht wer- nannt BAAL-SCHEM-TOW, das ist Meister vom guten den; der Messias »musste« dies leiden und so in seine Namen, Unterweisung im Umgang mit Gott, aus den Herrlichkeit eingehen —, sowenig lässt sich die Frage be- Bruchstücken gefügt von Martin Buber. Mit einem Nach- antworten, warum Gott den Holocaust »zugelassen« hat. wort und Kommentar herausgegeben von Lothar Stiehm. —Wenn uns das Holocaust etwas ins Bewusstsein bringt, — Die neugestaltete und erweiterte Ausgabe verstärkt das dann dies: Gott ist »kein gemütlicher, älterer Onkel« Büchlein gegenüber der Ausgabe von 1970 (vgl. dazu die (Kierkegaard), vielmehr der Deus absconditus, der »unbe- Rezension in FrRu XXII/1970, S. 121 f.) um rund 50 Sei- kannte Gott«, worauf K. Rahner kurz vor seinem Tod ten. nochmals hinwies; »das absolute Geheimnis«, wie er auch Sehr zu Recht macht Lothar Stiehm in seinem Kommen- gern sagte. tar darauf aufmerksam, dass das vorliegende Büchlein — Wenn dem so ist, kann christliche (und wohl auch jüdi- zum theoretischen Schrifttum des Chassidismus gehört sche) Theologie nach Auschwitz nicht mehr in derselben (S. 129 f.). Und ich möchte nicht versäumen, angesichts Weise betrieben werden wie vor Auschwitz. »Der jüdische der ansonsten bei Namensnennung sich sogleich einstellen- Glaube ist . . . von Anbeginn an Glaube, dass Gott tun den Vorstellungen vom Erlebnis- und Erweckungscharak- kann, was menschlich unbegreiflich ist. In unserer Zeit ter chassidischer Religiosität auf eben diese weitaus weni- schliesst das den Glauben ein, dass trotz Auschwitz Gott ger bekannte, aber keineswegs weniger bedeutsame Seite Seine Verheissung erfüllen wird, Israel und die Welt zu zu verweisen. Die beiden ersten Bruchstücke, überschrie- erlösen. Kann ich verstehen, wie das möglich ist? Nein« ben »Vom Erkennen« (S. 16-19), sind Musterbeispiele da- (Wyschogrod, S. 185). für. »Der Endsinn des Wissens ist, dass wir nicht wissen 6. Gott »wacht über dieses Volk Israel, selbst wenn es können. Aber es gibt zwei Arten des Nichtwissenkönnens. nicht den Anschein hat« (Wyschogrod, S. 194). Das eine ist das alsbaldige: da beginnt einer gar nicht erst

143 zu forschen und zu erkennen, weil es ja doch unmöglich und Klischees sie von den Juden und ihrem Gottesglauben ist zu wissen. Ein anderer aber forscht und sucht, bis er er- hatten. Teil II entfaltet die Auseinandersetzung des helle- kennt, dass man nicht wissen kann« (S. 16). Hier ist jene nistischen Judentums mit der hellenistisch-römischen Höhe einer (auch im modernen Sinn wissenschaftsgerech- Welt, wie sie sich in der LXX und bei verschiedenen jüdi- ten) philosophisch-theologischen Mystik erreicht, welche schen Schriftstellern, z. B. Artapanos, Ezechiel dem Tra- alle Grenzen so weit zu übersteigen vermag, als dies eben giker, Philo von Alexandrien und Josephus Flavius zeigt. nur menschenmöglich sein kann: »Wer Ohren hat zu hö- In Teil III wird die Auseinandersetzung zwischen Chri- ren, der höre.« Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. sten und Juden bis Origenes dargestellt. Dabei kommen u. a. die ntl. Hagiographen, die Apostolischen Väter, CARSTEN COLPE (Hrsg.): Die Diskussion um das Marcion, Hegesipp, das Kerygma des Petrus, Justin der »Heilige«. (Wege der Forschung, Bd. CCCV.) Darmstadt Märtyrer, Tatian, Melito von Sardes, Irenaeus, Tertul- 1977. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 500 Seiten. lian, Clemens von Alexandrien und Origenes zur Sprache. Der Sammelband vereinigt Aufsätze verschiedener For- Sehr gut brauchbare Register (Sachverweise, Namen und schungsgebiete wie der allgemeinen Religionswissen- Orte, Autoren und Schriften) schliessen das Werk ab. schaft, der Religionsgeschichte, der Religionsphilosophie Die Charakterisierung der spätantiken Autoren ist jeweils und der Ethnologie. Die Auswahl, die dafür getroffen verbunden mit Angaben, wo in ihren Werken das Thema wurde, wird im Vorwort der Herausgebers näherhin be- Heiden-Juden-Christen aufscheint sowie mit Hinweisen gründet. Das Hauptziel dieses Buches besteht darin, »ei- auf den Stand der heutigen Forschung. Conzelmanns nem Auseinanderfallen der Religionswissenschaft in einen Buch ist somit ein Nachschlagewerk, das sowohl über modernen und einen restaurativen Zweig vorzubeugen« spätantike jüdische, griechisch-jüdische, römische und (Vorwort S. X). Die meisten Beiträge stammen aus der er- christliche Autoren als auch über moderne Fragestellun- sten Hälfte dieses Jahrhunderts. Das erweckt den An- gen referiert. Dabei reibt sich die Thematik dauernd an schein, dass das Thema des »Heiligen« damals unver- spätantiken antijüdischen Unterstellungen, an der jüdi- gleichlich intensiver behandelt worden ist als in den letz- schen Apologetik und an theologischen Neuanfängen, die ten drei Jahrzehnten. in die Auseinandersetzung mit jüdischen Positionen hin- Die fünf Hauptteile gliedern sich wie folgt: 1) Zum deut- eingerieten. schen Sprachgebrauch, 2) Das Heilige in der Theorie sei- Über literarkritische Einzelanalysen Conzelmanns ist ner Heterogonie, 3) Philologische Präzisierungen und nichts Negatives zu vermerken, ausser dass viele Abschnit- Verifikationen, 4) Die Auseinandersetzung um Rudolf te sprachlich den Eindruck von entwurfsmässigen Darle- Ottos Theorie des Heiligen; 5) Neue Problemstellungen. gungen machen. Die Angaben sind oft nur stichwortartig, Die ungeheure Fülle gibt jedem Leser etwas für sein »Res- nicht zu ganzen Sätzen ausgebaut. Entscheidender ist der sort« her. Das Alte Testament und das Neue Testament theologische Standpu*t Conzelmanns. Er baut einen von bzw. deren »Heiligkeitslehren« werden — zum Teil inner- der Thematik des Buches her nicht erforderlichen ideolo- halb grösserer ethnologischer Kontexte — zum Gegen- gischen Nebenkriegsschauplatz auf, auf dem er gegen stand der Einzeluntersuchungen. Besonders bei Wundt heutige Formen des theologischen Gesprächs mit den Ju- (S. 57-75) und bei Söderblom (S. 76-116) wird der Be- den polemisiert. Einige Zitate können das Ausmass der griff des Heiligen in engster Verknüpfung mit dem des theologischen Verflechtung Conzelmanns andeuten: Tabu gesehen. — Ottos Beitrag über Wundt (S. 257-301) »Wenn sich die Kirche für das wahre Israel hält, ist das hi- erscheint als Abhandlung der Völkerpsychologie und storische Israel jedenfalls für sie kein heiliges Volk mehr« sprengt den Rahmen der Problemstellung dieses Bandes (2). »So gibt es keinen kontinuierlichen antiken Antisemi- ziemlich. Von den neueren Fragestellungen mag die The- tismus, vielmehr die Kontinuität des jüdischen Volks- und se Aquavivas interessant sein, »dass das Heilige in der in- Erwählungsbewusstseins mit der Bereitschaft, die Konse- dustriellen Gesellschaft dazu neigt, von einem aktiven, quenzen als Volk zu tragen. Kontinuierlich ist das Be- sichtbaren Element, das es bis vor kurzem war, immer wusstsein der Pflicht, dem Gesetz treu zu sein. Dieses jü- mehr zu einer Art nicht ausgedrückter Potentialität zu dische Bewusstsein kann bis heute bei keinem Versuch ei- werden« (S. 486). Und »der Untergang des Heiligen... ner christlich-jüdischen Verständigung angetastet werden. hängt mit einer Wendung in der Entwicklung der Gesell- Den Christen ist keine Anerkennung Israels als eines heili- schaft und der menschlichen Psychologie zusammen« gen Volkes und seines Gesetzes möglich, wohl aber die (S. 490 f.). menschliche, nicht religiöse Verständigung, da die Chri- Jedem Theologen und religionswissenschaftlich Interes- sten in der Welt unter dem Liebesgebot, des Gesetzes En- sierten kann dieser Sammelband gute Dienste leisten. de, stehen« (119 f.). »Im jüdisch-christlichen Gespräch Rita Egger, Fribourg wird ja auch nicht objektiv verhandelt — es soll das auch HANS CONZELMANN: Heiden — Juden — Christen. nicht. Die jüdische Seite erwartet — mit historischem Auseinandersetzungen in der Literatur der hellenistisch- Recht — als Vorgabe die Anerkennung des Judentums als römischen Zeit. (Beiträge zur historischen Theologie 62.) der Mutter des Christentums, wobei offen ist, ob diese Tübingen 1981. Verlag J. C. B. Mohr. 351 Seiten. Tochter anerkannt werden darf. Wenn, dann nur, wenn Das Buch ist eine Fundgrube für Literaturen und Perso- sie auf die Verkündigung Jesu als des Messias verzichtet. nen der hellenistisch-römischen, teilweise auch schon der Gegenwärtig scheint man auf christlicher Seite wenigstens hellenisch-vorrömischen Zeit (3. Jh. v.-3. Jh. n. Chr.). teilweise bereit, diesen Punkt wenigstens vorläufig zu- Der Verfasser will zeigen, welches politische und religiöse rücktreten zu lassen. Dass man dadurch der Verständi- Selbstbewusstsein das jüdische Volk damals hatte, wie die gung einen Dienst erweist, ist zu verneinen. Was erhofft Griechen/Römer und die frühen Christen darauf reagier- man sich davon, dass man sich auf ein Minimum zurück- ten und welche Möglichkeiten der Apologetik und des zieht, das so bemessen ist, dass nichts mehr passieren geistig-religiösen Kompromisses sich für Juden und kann? (225). »Man kann sich nicht in der Kategorie der Nichtjuden ergaben. In Teil LA werden die politischen Heilsgeschichte als das wahre Gottesvolk behaupten, oh- Grundlagen für das theologische Verhältnis der Juden zu ne dem jüdischen Volk (für die Zeit nach Christus und so- den Griechen/Römern und den Christen untersucht. In fern es nicht an diesen glaubt) diesen Charakter abzuspre- Teil I:B geht es um 38 griechisch-römische Autoren mit chen. Die Lage ist aussichtslos, weil auf beiden Seiten ihren Werken unter der Rücksicht, welche Kenntnisse >heilig< überlieferte und als wirklich geschehen geglaubte

144 Geschichte direkt als Heils- bzw. Unheilsgeschichte be- brachte. Dabei machte er es sich und anderen — zuerst hauptet wird« (228). Juden, dann aber auch Christen, jedenfalls immer auch Man muss Conzelmann daran erinnern, dass er selbst dar- wieder seinen Freunden — offensichtlich nie leicht. Das auf hinweist, dass jüdische Apologeten der Spätantike die zeigte sich etwa — nach der Auseinandersetzung mit dem Identität des Gottes der Juden mit dem Gott der Grie- Vater, der als assimilierter Jude »bürgerliche« Berufspläne chen, wenn auch unter bestimmten Kautelen, annahmen für seinen Sohn hatte — in den verschiedenen Rabbinats- (vgl. 124-127). Ferner attackiert er zwar das moderne ämtern, so vor allem in den Stellen als Jugendrabbiner christlich-jüdische Gespräch von seinem »Gesetz- und in München (1932-1934) und dann in Mannheim Evangelium-Denken« her, ohne jedoch auch nur ein (1934-1937). Es zeigte sich in den Auseinandersetzungen, einziges Buch eines jüdisch-christlichen Dialogikers die er um die Berücksichtigung der Religion in der Kib- zu zitieren. Dadurch gerät Conzelmann in die Gefahr, buzbewegung des Vorkriegspalästina führte (1935 hatte dass man ihn einerseits als blendenden Analytiker spät- er im Mai eine Informationsreise dorthin unternommen). antiker Autoren und Schriften taxieren kann, dass man Es zeigte sich dann exemplarisch ebenso etwa in der Kor- aber andererseits in seinem theologischen Blickpunkt respondenz mit Eva Reichmann (279-310). Geis scheute reaktionäre, dem Stand der Verständigung zwischen sich auch nicht, den sogenannten »Purim-Streit« 1963/64 Juden und Christen nicht entsprechende Züge feststellen in der »Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim muss. Clemens Thoma Deutschen Evangelischen Kirchentag« (den H. Gollwitzer erläutert: 225-275) auszulösen. Das Thema »Judenmis-

Leiden an der Unerlöstheit der Welt. — ROBERT sion«, um das es hierbei ging, ist ja bis heute auf evangeli- RAPHAEL GEIS 1906 bis 1972. Briefe, Reden, Aufsätze. scher, besonders lutherischer Seite noch nicht ausgestan- Herausgegeben von Dietrich Goldschmidt in Zusammen- den — der Leser stösst hier auf die Wurzeln der Auseinan- arbeit mit Ingrid Überschär. München 1984. Chr. Kaiser dersetzungen, die durch den Beschluss der Landessynode Verlag. 399 Seiten. der Evangelischen Kirche im Rheinland vom 11. 1. 1980 Die vorgelegte Sammlung versteht sich als »Biographie in neu entfacht wurde. Geis hat mit seiner scharfen Attacke Dokumenten« (Vorwort des Hrsg.). Man könnte ebenso- vielen seiner christlichen Freunde erst die Augen für ihre gut von einem durch biographische Fragmente dokumen- bisherige Voreingenommenheit bzw. Unempfänglichkeit tierten Zeitzeugnis sprechen, das gerade in der Person für die Tiefe der Problematik öffnen können. Er hatte da- und Lebensbahn von R. R. Geis von allgemeiner Bedeu- zu nicht nur das Recht, weil er eines der jüdischen Grün- tung für die Geschichte der deutschen Juden und des dungsmitglieder dieser Arbeitsgruppe war. Vielmehr sah christlich-jüdischen Verhältnisses ist. Das Fragmentari- er sich aus existentieller Betroffenheit dazu aufgerufen: sche ergibt sich aus der Tatsache, »dass Geis im Sommer Trotz schlimmster persönlicher Erfahrungen (nach dem 1971 zur Vereinfachung des Umzugs von Düsseldorf Novemberpogrom 1938 einen Monat lang im KZ Buchen- nach Baden-Baden den grössten Teil seiner umfangrei- wald; Ermordung von Schwester, Schwager und Neffen chen Korrespondenz vernichtet hatte« (ebd., 7). Die Su- in Auschwitz) sah er seine Lebensaufgabe im Nachkriegs- che durch Frau Geis und den Herausgeber bei Freunden deutschland, und da vor allem in der christlich-jüdischen und Bekannten hat aber wieder so viel Material zusam- Verständigung (vgl. 321 das Wort von Eva Reichmann: mengebracht, dass die wichtigsten Etappen des Lebens in »Geis ist ein Rabbiner für die Christen«). Von der Leitidee Deutschland vor dem Krieg und nach dem Aufenthalt in der »Theopolitik« aus liess er sich darüber hinaus immer Palästina, von wo er über London, Zürich und Amster- wieder auch als unbequemer Mahner zugunsten von Min-

dam (1946- 1952) in die Bundesrepublik kam, deutlich derheiten, gegen restaurative Tendenzen vernehmen. So konturiert sind. Für die dazwischenliegenden Jahre in Pa- scheint mir diesen Mann, der sein »Leiden an der Uner- lästina bilden die scharfsichtigen Familienerinnerungen, löstheit der Welt« auch in einer zeitlebens angegriffenen die B. Maoz 1984 für die Jahre 1936-1953 zu Protokoll Gesundheit zu tragen hatte, am treffendsten B. Maoz zu gab (94-100), einen vollwertigen Ersatz. Die in Lebens- charakterisieren: »Er hat wirklich sehr grosse Qualitäten stadien oder thematisch gegliederten Einheiten sind zur gehabt — dieser Mann in seinem Widerspruch« (100). Erleichterung des Verständnisses jeweils durch einen Peter Fiedler, Freiburg i. Br. knappen Kommentar eingeleitet. Dazu kommen einzelne Verständnishilfen in Anmerkungen direkt bei den jeweili- KARL ERICH GRÖZINGER: Musik und Gesang in der gen Dokumenten und schliesslich ein Glossar und ein Per- Theologie der frtihen jüdischen Literatur. Texte und sonenregister (in Auswahl) mit Erläuterungen im Anhang Studien zum Antiken Judentum (Hrsg. M. Hengel / P.

(379- 399). Zur Abrundung dienen die Einführungen von Schäfer), Bd. 3. Tübingen 1982. J. C. B. Mohr. XIII, D. Goldschmidt (11-16) und F.-W. Marquardt (17-28) 373 Seiten. sowie die am Schluss des Buches abgedruckten Nachrufe >Singet dem Herrn, diese Aufforderung an das Volk (1972) von G. Casalis, E. L. Ehrlich, S. Lauer und H. D. Israel steht am Beginn seiner Geschichte als Gottes-Volk, Leuner (365-372). Die in diesen Band aufgenommenen und so sind Musik und Gesang je angemessene Antworten Predigten, Reden, Aufsätze sind entweder heute kaum Israels auf Gottes Wirken an diesem Volk im Verlauf sei- mehr zugänglich' oder waren überhaupt noch nicht im ner Geschichte mit ihm. So zielt die vorliegende Fassung Druck erschienen. So dankbar diese Vervollständigung der Habilitation des Frankfurter Judaisten Grözinger auf des schriftstellerischen Werks begrüsst werden kann — die Untersuchung von Musik und Gesang für die Zeit der wichtiger ist für den Leser, der wie der Rezensent nur die frühen rabbinischen Literatur, deren theologische Aussa- bisherigen Veröffentlichungen kannte, das lebensvolle gen zur Musik eben in jenen >alttestamentlichen< w-urzeln, Bild des Menschen R. R. Geis, der — seitdem er sich noch bisher aber noch keine umfassende Darstellung erfahren als Kind seines Judentums bewusst geworden war — 'dieses haben. Grözinger geht es denn auch nicht um ein >musi- eigenständig ausprägte und kämpferisch zur Geltung kologisches< Thema, sondern sein Fragen gilt den »Aussa- gen dieser Literatur über die Musik und den Gesang« (1), Vgl. u. a.: R. R. Geis: »Gib, o Gott, dass in keines Menschen ist also auf die rabbinische Theologie der Musik aus- Herz Hass aufsteige!« in: FrRu III/IV, Januar 1951 (12/15), gerichtet, fragt »nach deren Sitz in der Theologie« (1). S. 5 - 7. Im Personenverzeichnis des Gesamtregisterbands des FrRu 3=111/1981 ist R. R. Geis vielfältig verzeichnet. Diese Fragestellung ermöglicht dann auch dem Vf. neben (Anm. d. Red. d. FrRu.) der Beschreibung der Textgattungen zum Thema den

145 Aufweis über Zeit, Ort und Art der Verwendung von Mu- JOSEPH GUTMANN: The Jewish Sanctuary. (Icono- sik und Gesang. Die grundlegenden Texte zu der Arbeit graphy of Religions, XXIII/1.) Leiden 1983. E. J. Brill. bilden die Talmudim, die Midraschim, Teile der Targu- XI, 34 Seiten, 48 Abb. mim sowie die frühen Traktate der Mystiker der Der schmale Band besteht aus einer allgemeinen Einfüh- Merkava-Hekhalotmystik. Die Texte umfassen somit rung (1-22), einem Katalogteil (23-34) und 77 Abbildun- einen Entstehungszeitraum von fünf bis sechs Jahrhunder- gen auf 48 Tafeln, die jüdische Kultgegenstände aus Mit- ten, bieten aber — wie Grözinger aufweist — doch eine telalter und Neuzeit darstellen (leider alle nur Schwarz- angesichts dieser Zeitspanne und verschiedenster rabbi- weiss). Die Einführung skizziert kurz die Entstehung und nischer Einzeltopoi oder Tradentenkreise insgesamt Entwicklung der Synagoge und ihrer Ausstattung, der erstaunlich homogene Musikauffassung der Rabbinen Torarollen, ihrer Hülle und ihres Schmucks, des Gebets- dieser Epoche. mantels sowie der Gebetsriemen. Innerhalb des be- In den beiden Hauptteilen der Untersuchung — Teil I Tal- schränkten Raums bietet G. eine Fülle an Informationen mud und Midrasch, Teil II Die mystischen Traktate — zum religiösen Brauchtum in seiner historischen Entwick- wird das gesamte Textmaterial nach den verschiedenen lung und den regionalen Unterschieden. Problematisch ist erkennbaren theologischen Leitgedanken hin aufgeglie- höchstens der erste Abschnitt über die Anfänge der Syn- dert und im »Rahmen gemeinrabbinischer theologischer agoge, die G. als pharisäische Institution aus der Hasmo- Vorstellungen« (6) interpretiert. Dieses methodische Vor- näerzeit betrachtet. Die ägyptischen Inschriften über pro- gehen Grözingers sowie die Darbietung der Texte in seuchai akzeptiert G. nicht als Beleg für Synagogen, offen- deutscher Übersetzung ermöglicht auch dem Nicht-Judai- bar auch nicht die Ausgrabungen von Herodion und Ma- sten, in die rabbinische Gedankenwelt zu diesem Thema sada oder die Theodotus-Inschrift von Jerusalem (S. 1 eingeführt zu werden. Selbst bei Divergenz einzelner rab- »There is no secure archaeological evidence of the syn- binischer Sätze lassen sich »Grundstrukturen der rabbini- agogue's existence before the third century C. E.«). Wenn schen Musiktheologie« (332) verfolgen. Ausgangs- und G. für die Synagoge von Dura Europos nur eine minimale Zielpunkt aller Zuordnungen von Musik und Gesang zu Beziehung zum babylonischen Judentum annimmt, mag konkreten Orten im Kultus und im Leben ist die Erkennt- das stimmen, ist jedoch nicht belegbar. Erhaltene Synago- nis des »himmlischen Königs, das Offenbarwerden seines gengegenstände datieren nach G. erst ab dem 15. Jh.; die >Kavod<, seiner Ehre, Macht und Herrlichkeit« (6, im ein- erhaltene steinerne Menora von Chammat Tveria sowie zelnen ausgeführt 8-56), auf die der Mensch singend und diverse Lampen aus palästinischen Synagogen zählt G. spielend antwortet. Musik ist so »zum einen Zeichen und wohl nicht zu dieser Kategorie. Die Anfänge der Synago- Merkmal der Herrschaft und Herrlichkeit und zum an- ge sollten hier offenbar nur gestreift werden — dafür siehe dern Zeichen der Anerkennung und Unterwerfung unter z. B. J. Gutmann Hrsg., Ancient Synagogues. The State of sie« (332). Sie ist bereits in der Schöpfung verwurzelt, ja Research, Chico 1981 —; für die Synagogenkunst der spä- sie wurde allein um des Lobpreises Gottes willen erschaf- teren Zeit ist der Text jedoch durchaus informativ und zu- fen (9-13), das Nichtsingen seines Lobpreises ist denn verlässig. Günter Stemberger, Wien auch Verwerfung der Herrschaft Gottes und gilt als Sün- de, wie ebenso das Singen vor >fremden Herrn< und ande- HAROLD HAMMER-SCHENK: Synagogen in ren Göttern (40-48). Anerkennung der Herrschaft Gottes Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. und und der Erkenntnis seiner Macht findet dann auch ihren 20. Jahrhundert. 2 Bde. Hamburg 1981. Hans Christians adäquaten Ausdruck im Gesang, wenn der Mensch im Sa- Verlag. 708 Seiten und 502 Abbildungen mit Anmerkun- kralbereich zu stehen kommt und um die Gegenwart Got- gen und Indices. tes weiss (s. 57-73). Dies geschieht dann aber nicht nur im »Bis auf einige Ausnahmen ist bisher in kaum einer allge- Sakralbereich, sondern überall und zu jeder Zeit dort, wo meinen Geschichte der Architektur des 19. Jahrhunderts Gottes Handeln im Leben des einzelnen (so auch bei eine Synagoge auch nur ausführlicher erwähnt oder gar Hochzeit und Tod, bei rabbinischer Ordination oder son- abgebildet. Synagogen gehören in Deutschland zu einer stigen Feierlichkeiten) oder des Volkes Israel als rettendes Baugattung, die nicht nur in ihren Denkmälern verschol- und befreiendes erfahren wird. Antwort gibt Israel mit len ist, sondern auch im Bewusstsein der Architekturge- >gesungenem Dank< (s. bes. 170 ff. »Das Lied als Dank des schichte verlorengegangen zu sein scheint. Mittelalterliche Menschen vor Gott«), der somit einerseits auf die bisheri- Synagogen und jüdische Kultbauten der Renaissance und ge Geschichte Gottes mit seinem Volk rückblickt (202 ff.), auch noch der Barockzeit fanden durchaus Berücksichti- wie andererseits in der Gewissheit zukünftiger Rettungs- gung in der Forschung vor dem Krieg. Als jedoch das taten Gottes (195 ff.) gipfelt. Ein Midrasch soll hier exem- Interesse für das 19. Jahrhundert breiter wurde, begin- plarisch hervorgehoben werden, der die von Leidens- nend mit den späten dreissiger Jahren, war es nicht oppor- stationen geprägte Geschichte der Juden bis hin in die tun, sich mit Synagogen zu beschäftigen, und nach dem jüngste >Vergangenheit< nachhaltig geprägt hat und die Krieg waren sie aus dem Bild der deutschen Städte ver- >ohnmächtige< Haltung der Juden im Angesicht der schwunden.« Feueröfen aller Verfolger in einem anderen Licht erschei- Diese Sätze entstammen dem Vorwort der hier zu bespre- nen lässt: ». . . >Wenn ihr in Not kommt, dann sprecht chenden gründlichen und bemerkenswerten Untersu- nicht: Wir wollen einen Krieg fechten, sondern der chung über die Synagogenbauten des deutschsprachigen Herr wird für euch streiten (Ex 14, 14) und ihr sollt sin- Raums von ca. 1780 bis 1933. Sie ist zugleich ein Bei- gen!«< (192). trag zur Geschichte, Religions- und Kulturgeschichte Der Arbeit Grözingers, mit einem umfangreichen Anhang und Historie des deutschen Judentums wie zur allge- versehen (338-373), kommt so das Verdienst zu, nicht meinen Architekturentwicklung Deutschlands in diesem nur eine Lücke in der judaistischen Forschung geschlossen Zeitraum. zu haben, sondern auch den am jüdisch-christlichen Ge- Das Buch bespricht in ausgewählten klassischen Beispielen spräch Beteiligten eine Dimension jüdischer Frömmigkeit die Entwicklung der Baugeschichte seit der Emanzipation erschlossen zu haben, die in eine gemeinsame Richtung der Juden in Deutschland und zeigt auf, wie sich in einem von Juden und Christen weist: Musik und Gesang als Ant- Baustil auch jüdisches Selbstverständnis zeigt, das sich wort des Menschen auf die erfahrene Herrschaft Gottes. von Epoche zu Epoche verändert. Ebenso ist darin auch Alfred Wittstock, Bielefeld/Bethel die gesellschaftliche Stellung innerhalb ihrer christlichen

146 Umwelt ablesbar. Angefangen von den Dorf- und Klein- BASIL HERRING (ed.): Joseph ibn Kaspis Geviac Kesef. stadtsynagogen am Ende des 18. Jahrhunderts, die sich A Study in Medieval Jewish Philosophic Bible Commen- noch innerhalb ihrer christlichen Umwelt verstecken müs- tary. New York 1982. Ktav. XII, 303 Seiten. sen, da die Emanzipation in den meisten Gegenden Geviac Kesef bedeutet wörtlich »silberner Becher«; der Deutschlands noch nicht eingeführt wurde. (Erst Napo- Ausdruck findet sich in Gen 44, 2. Joseph ibn Kaspi leon brachte bekanntlich von aussen her kommend die (1279-1340), ein südfranzösischer Jude, wollte mit die- Wende.) Hier auch, in Kleinstädten und Dörfern, lebte sem Buch verschiedene Geheimnisse der Tora für die jüdi- die Masse der Juden, die Grossstädte waren ihnen durch sche intellektuelle Elite, besonders für die Studenten der Edikte fast überall in Deutschland noch versperrt. Philosophie, aufschlüsseln. Er steht dabei in der Tradition Das 19. Jahrhundert ist in der Geschichte der Juden in des Aristoteles und des Mose ben Maimon (1135-1204). Deutschland dadurch geprägt, dass eine zunehmende Im »silbernen Becher« behandelt ibn Kaspi besonders die Landflucht und eine Ausdehnung des deutschen Reiches erzählenden Partien des Pentateuch. Fast die Hälfte des nach Osten einen grossen Zuzug von Juden von Land und Werks ist der dunklen Vision Abrahams von den Welt-

Kleinstadt bzw. aus dem Osten in die deutschen Gross- reichen (Gen 15,17 - 21) gewidmet. Er will darlegen, wie städte bewirkte. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung diese und andere schwierige Bibelpassagen im Zusammen- zumindest der die Gemeinden bald beherrschenden füh- hang mit Erkenntnissen des Mose ben Maimon einleuch- renden Schichten des Judentums setzte nun auch eine tend und für die Kontroverse mit Christen und frühen grosse Bautätigkeit von Synagogen in den Grossstädten Kabbalisten brauchbar werden können. So deutet er z. B. ein, die so den Hauptteil der Untersuchung darstellen. den Hl. Geist als intellectus agens (1. Kapitel). Ferner Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts versuchen die Syn- kämpft er mit scholastischer Terminologie gegen schola- agogenbauer, bescheidene Bauten, die nicht besonders im stische Erklärungen der Dreifaltigkeit Gottes. Z. B. redet Stadtbild auffallen, zu errichten; erst danach, mit wach- er davon, dass das Tetragramm im Aaronssegen dreimal sender Selbstsicherheit der Gemeinden, beginnt man riesi- vorkommt, dass jede intelligentia drei Komponenten hat ge Bauwerke aufzuführen, die eine zentrale Stellung im und dass Gott selbst in dreifacher Hinsicht die Ursache Stadtbild einnehmen, ähnlich wie die Kirchen. In Anpas- der Welt ist: als causa efficiens, causa formalis und causa sung und Unterscheidung versucht man, sich Kirchbau- finalis. Die Zahl drei sei die vollkommene Zahl, sie habe formen anzupassen oder aber einen eigenen Stil zu schaf- einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Daher gebe es fen, den sogenannten maurischen Stil, der bis zur Jahr- notwendigervveise sprachliche Verwandtschaften beim hundertwende den Synagogenbau in Deutschland be- Reden über Gott zwischen Juden und Christen. Trotz des stimmt. sprachlichen Konsenses bestünden aber harte Glaubens- Durch den aufkommenden Antisemitismus, der das Ju- differenzen: »Wir sind weit entfernt von den Christen im dentum damit als Fremdkörper abstempeln will, geht man Gemeinten, trotz einer äusseren Ähnlichkeit in Sätzen dazu über, in neuromanischem Stil — der gotische Stil ist und in der Rede, obwohl einzelne Christen ähnliche Auf- den Kirchbauten vorbehalten — Monumentalbauten auf- fassungen wie wir haben« (95, 156). zuführen, die die fortgeschrittene Emanzipation symboli- Basil Herring legt eine vorbildliche Edition und Kommen- sieren sollen. In der Suche nach Unterscheidungsmerkma- tierung von Geviac Kesef vor. Er bietet den Text von ibn len gewinnt die Innenausstattung grössere Bedeutung, die Kaspi auf der Grundlage des Turiner Manuskripts. Aus- sich auf jüdische Symbole zurückbesinnt, die aus der Anti- serdem beschreibt er das Leben ibn Kaspis, die philosophi- ke und dem Schmuck der Synagogen bis zum 18. Jahr- schen Auseinandersetzungen seiner Tage, den Ort des hundert entnommen sind. Nach dem Ersten Weltkrieg »silbernen Bechers« im Gesamtwerk ibn Kaspis und die wird der Synagogenbau führend in den modernen Rich- besonderen Schwierigkeiten, die in der Diktion dieses tungen, besonders bei jüdischen Architekten, noch vor einzelgängerischen jüdischen Philosophen liegen. Die Kirchen und staatlichen Bauten, was der jüdischen Ge- Mediävisten und Philosophen sind durch diese Edition meinde aber auch als Absonderung von deutscher Norm bereichert worden. Clemens Thoma vorgehalten wird. Das Ende ab 1933 ist bekannt bis hin zur Vernichtung fast aller Synagogen im damaligen deut- GUSTAV HORN (Hrsg.): Jüdische Jugend im Über- schen Reich. gang. Ludwig Tietz 1897-1933. Sein Leben und seine Der Verfasser schätzt, dass ca. 2100 Synygogenbauten in Zeit. Tel Aviv 1980. Verlag Bitaon Ltd. 240 Seiten. der Zeit zwischen 1780 und 1933 errichtet wurden. Da- Selten wird sich in einer Veröffentlichung, die dem Geden- von wurden nur ca. 750 Synagogen als repräsentativ für ken dient an jemand, der vor mehr als fünfzig Jahren ver- ihre Zeit und ihren Stil ausgew-ertet, dazu noch ca. 200 storben und nur in der — allerdings bedeutenden — Umwelt Synagogenentwürfe. Das Buch hat also keinesfalls vor, seiner Freunde und Mitarbeiter bekannt geworden ist, so ein Kompendium sämtlicher Synagogen Deutschlands zu viel Zeitgeschichte widerspiegeln wie in diesem eindrucks- sein. Bei der Einzelbesprechung ist alles zeitgeschichtliche vollen und reichhaltigen Buch. Es füllt eine echte Lücke, Material mit viel Fleiss zusammengetragen, ausgewertet denn selbst in dem 1840 Seiten umfassenden Band III von und mit seinen wichtigsten Partien ausführlich zitiert. Werner Kindts hervorragender »Dokumentation der Ju- Der Verfasser hat Kunstgeschichte, Archäologie und Ge- gendbewegung« (Eugen Diederichs Verlag, 1974), wel- schichte studiert, sein Zugang ist durchaus vom kunstge- cher der »bündischen Zeit« (1920-1933) gewidmet ist und schichtlichen, architektonischen Blickwinkel zu verstehen. immerhin ein Kapitel von 25 Seiten über »Die jüdische Ju- Er ist heute Professor am Institut für Bau- und Kunstge- gendbewegung in Deutschland« enthält, kommt Ludwig schichte der Universität Hannover. Trotzdem ist es ihm Tietz überhaupt nicht vor. Und doch hat er, wie das vorlie- gelungen, gerade auch die kultur- und geistesgeschichtli- gende Buch, das aus Erinnerungen an den Verstorbenen, che Komponente der Architekturgeschichte abzugewinnen. aus Gedenkreden und -artikeln nach seinem allzu frühen Das Buch ist das Meisterwerk einer Einführung in ein bis- Hinschied, aus eigenen Aufzeichnungen und Briefen zu- her völlig vernachlässigtes Gebiet, und es kann das Ver- sammengestellt ist, eine massgebende, ja die entscheidende dienst für sich buchen, ein Kapitel deutsch-jüdischer Ver- Rolle gespielt bei der Zusammenführung sehr unterschied- gangenheit trotz der Vernichtung der steinernen Zeugen licher Gruppen der deutschen Jugendbewegung in der der Vergessenheit und auch der geistigen Vernichtung Weimarer Zeit, die 1924 zur Gründung des »Reichsaus- entrissen zu haben. Michael Krupp, Jerusalem schusses der jüdischen Jugendverbände« führte.

147 Als Vorsitzender desselben hat Ludwig Tietz in den näch- ker in der oben erwähnten Dokumentation Werner sten Jahren, wo man das Verhängnis der Folgezeit — wenn Kindts schreibt — »Kibbuzim und Siedlungen ehemaliger auch nicht in seinen wirklichen Dimensionen — schon her- Mitglieder der jüdischen Jugendbewegung in Israel bilden annahen sah, noch Hervorragendes geleistet — neben sei- bis heute Stätten der Verwirklichung der Gedankenwelt ner eigenen Berufsarbeit als vorzüglich ausgebildeter und der deutschen und jüdischen Jugendbewegung in hoch anerkannter Arzt —, vor allem durch die Förderung Deutschland«. Hans Thieme, Freiburg i. Br. 1 einer echten jüdischen Erziehung und jüdischen Bildung 1 Vgl. u. a. auch Ch. Schatzker: Die Juden in den deutschen Ge- im Rahmen der Jugendverbände und durch die Organisa- schichtsbüchern (s. o. S. 160) (Anm. d. Red. d. FrRu). tion von Hilfe und »Berufsumschichtung« für arbeitslose Jugendliche, zumal für solche, die sich zur Auswanderung nach Palästina anschickten, sowie endlich durch Ver- JUDEN IN BADEN 1809- 1984. 175 Jahre Oberrat der handlungen mit der sogenannten »Reichsjugendführung«, Israeliten Badens. Hrsg.: Oberrat der Israeliten Badens. welche kurz vor seinem Tode noch mit der offiziellen An- Bearb.: Dr. Jael B. Paulus. Karlsruhe 1984. Oberrat der erkennung der von Tietz geleiteten Organisation endeten. Israeliten Badens. 256 Seiten. Dass diese Verhandlungen im Herbst 1933 »sehr anstän- BEGLEITBUCH ZUR AUSSTELLUNG JUDEN IN dig, höflich und respektvoll« auch von der Gegenseite — BADEN 1809- 1984. 175 Jahre Oberrat der Israeliten Ba- »persönlich wahrscheinlich integern Männern« — geführt dens. Karlsruhe 1984. Gross-Oktav. 75 Seiten mit zahlrei- und mit einem mehrmaligen Händedruck beendet wur- chen Abbildungen. den, wie »der einzige lebende Zeuge« Gustav Horn in sei- Aus Anlass des 175jährigen Bestehens des Oberrats der ner Einführung schreibt, mag immerhin die Unvorherseh- Israeliten Badens ist von demselben in Karlsruhe eine barkeit der »Endlösung« dartun. »Mit der Anerkennung Ausstellung veranstaltet und seither auch noch andernorts des Reichsausschusses wurde auf Jahre hinaus die fast un- gezeigt worden, zu deren Eröffnung im Frühjahr 1984 die behinderte Erziehungsarbeit der jüdischen Jugend wenn hier anzuzeigenden, wertvollen beiden Publikationen er- nicht gesichert, so doch wenigstens vorübergehend er- schienen sind. Die an erster Stelle genannte enthält an- möglicht.« (S. 17) fangs ein Grusswort des Ministerpräsidenten Späth, worin Ludwig Tietz stammte aus einer wohlhabenden, »assimi- mit dem Dank für Werner Nachmann, den Präsidenten lierten« Berliner Kaufmannsfamilie — entfernt verwandt des Oberrats, und dessen Mitglieder zugleich Inhalt und mit den Inhabern des Warenhauses Tietz — und hatte den Aufgabe der Ausstellung klar bezeichnet werden, nämlich, Ersten Weltkrieg als Sanitätsunteroffizier mitgemacht, er- sich mit der Geschichte des Judentums auseinanderzuset- litt aber dabei gesundheitliche Schäden, die ihn das ganze zen, eine Vorstellung von den Verbrechen des National- Leben begleiteten und wohl auch sein frühes und plötzli- sozialismus zu gewinnen, dem Geist der Unfreiheit und ches Ende ausgelöst haben. Dass dieses nicht, wie an einer der Tyrannei zu widerstehen. Stelle (S. 97) zu lesen, auf Freiwilligkeit beruhte, sondern In den folgenden, nicht weniger als zwanzig Beiträgen die Folge eines durch dauernde Überanstrengung ausgelö- wird nun das Thema >Juden in Baden< von sechzehn Mit- sten Herzversagens war, darf der aufmerksame Leser den arbeitern sachkundig abgehandelt: die Geschichte der vielen über die letzten Monate und Tage von Ludwig Juden Badens, die Zeit der Verfolgung 1933-1945, Syn- Tietz mitgeteilten Einzelheiten wohl mit Sicherheit ent- agogen in Baden, das religiöse Leben, Aspekte der sozia- nehmen. Auch ein Überfall auf ihn und seine Freunde len Lage der Juden, jüdische Soldaten im Ersten Welt- durch eine SA-Horde im Sommer 1933 mag dazu beige- krieg, einzelne bedeutende Persönlichkeiten wie Otto tragen haben. »Das war schlimmer, als was wir im Krieg, Nachmann, Gertrud Luckner und Hermann Maas, die im Nahkampf Mann gegen Mann, erlebt haben«, äusserte Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und die er hierzu. jüdischen Gemeinden in Karlsruhe, Mannheim, Freiburg Das Wirken von Ludwig Tietz war nicht in erster Linie und Konstanz. Es lässt sich in Anbetracht der Knappheit religiös motiviert, nicht zionistisch, nicht antibürgerlich, des dafür zur Verfügung stehenden Raums nur unvoll- sondern es war geprägt durch seine enge Bindung an kommen wiedergeben, welche Fülle von sorgfältig doku- Deutschtum und Judentum. Dennoch war er — wie es in mentierten Informationen, welche ergreifenden Schicksa- der CV-Zeitung vom November/Dezember 1933 hiess — le, welche wichtigen gedanklichen Anregungen hier vor »ganz durchdrungen von der Wahrheit der jüdischen Leh- dem Leser ausgebreitet werden. Die besondere Entwick- re, dass Gott zur Erlösung des Menschen dessen eigene lung des Judenrechts in Baden — wo schon 1809 die tätige Mithilfe braucht«. »Alles, was wirklich neu, lebens- Gleichstellung der Religionsgemeinschaften gesetzlich kräftig und jung im deutschen Judentum ist, strahlte von verankert wurde — zeigte hoffnungsvolle Ansätze, aber es ihm aus.« (S. 218) »Er definierte oft wahre Religion nicht gab noch einen langen, entbehrungsreichen Weg bis zur nur als die Bindung an Gott, sondern vor allem auch an endgültigen bürgerlichen Gleichstellung der Juden 1862, den Mitmenschen.« (S. 137) Selber ist Tietz nie in Israel und es gab vor allem noch Vorbehalte und Diskriminie- gewesen; sein Andenken wurde jedoch schon 1943 durch rungen — bis hin zum Antisemitismus und seinen grauen- eine Gedenkfeier und wird bis heute — wie dieser wertvol- vollen Massnahmen während des Dritten Reichs, bis zu le Band erweist — dort in hohen Ehren gehalten. Über ihn dem Pogrom im November 1938, zur Deportation nach äussern sich darin Persönlichkeiten wie Leo Baeck, Mena- Gurs am Fusse der Pyrenäen 1940 und zur sogenannten chem (Hermann) Gerson, Robert Jungk, Chajim Weiz- »Endlösung«. Vor allem auch für junge Menschen kann mann — um nur einige der Namen zu nennen —, die von die Lektüre dieses Bandes — dem noch ein sehr anschauli- der einzigartigen Ausstrahlungskraft, von dem Charme, ches Begleitbuch beigegeben ist, entstanden aus den Vorla- von der vornehmen Gesinnung und Integrität des Verstor- gen der Ausstellung — nicht genug empfohlen werden. Zu benen berichten. In Freiburg hatte er Medizin studiert danken ist derselbe, wie der Oberrat eingangs im Beiheft und 1923 promoviert; an der Berliner Charite hatte er sei- kundtut, ist das Zustandekommen der Ausstellung über- ne Kenntnisse der Lungenheilkunde erworben und als haupt, neben der Hilfe finanzieller Art von Landesregie- stellvertretender Chefarzt eines Sanatoriums in Badenwei- rung, Städten und Gemeinden, neben der Mitarbeit von ler betätigt, bis ihn sein Verantwortungsbewusstsein für Landesmuseum und Archiven, in erster Linie Frau Dr. die jüdische Jugendbewegung wieder nach Berlin führte. Jael Paulus, die >mit Ausdauer und Fleiss und ihrer her- Sein Wirken war nicht umsonst, denn — wie Ch. Schatz- vorragenden Kenntnis ihrer jüdischen Religion und der

148 Historie die Ausstellung möglich gemacht< und auch den zur Folge gehabt hatte. Die im Bund zusammengeschlos- umfangsreichsten Beitrag zum Sammelband verfasst hat. senen Frauen wirkten der Entfremdung von Gemeinde- Viele interessante Einzelheiten liessen sich aus diesem an- mitgliedern entgegen und mussten gleichzeitig Wege zur führen, um die wechselvolle Geschichte der Juden Ba- Bekämpfung des Antisemitismus ebenso finden, wie dies dens, die im 13. Jahrhundert anhebt und die ja stets auch ihre Männer taten. »Die jüdische Frauenbewegung in eine christlich-jüdische Begegnung einschliesst, anzudeu- Deutschland wurde nicht nur von der Stellung der Frau ten. Es handelt sich hierbei auch um ein Stück Ideenge- innerhalb des Judentums geprägt, sondern ebenso von der schichte und Rechtsgeschichte, deren Zusammenhang die Situation der Frauen und der Juden in Deutschland« (23). besondere Aufmerksamkeit des Rezensenten gilt. Viel- Da jüdische Frauen schon stets besonders aktiv in ihrer leicht darf er aber statt dessen drei zusätzliche Hinweise Gesellschaft waren, beteiligten sich sehr viel mehr in die- geben: auf die Erstausgabe des >Endinger Judenspiels< — sem Bund als bei ihren christlichen Nachbarn: die grösste die dortige Ritualmordbeschuldigung (1462)i führte zu Organisation der deutschen Frauenbewegung, der Bund einem Privileg Kaiser Maximilians, gegen das noch 1782 deutscher Frauenvereine, hatte 1909 eine Mitgliederzahl Goethes Schwager Schlosser namens der badischen Ju- von 132 000, das waren 0,7 % aller Frauen über 18 Jahren. denschaft vergebens anging — durch seinen grossen Amts- Nach Frau Kaplans Hochrechnung beteiligten sich hinge- vorgänger Karl v. Amira (1883), worin derselbe >jenes ju- gen 20-25 % aller Jüdinnen am JFB. So war dieser die denhetzerische Treiben< angeprangert hat, >das unserer grösste Tochterorganisation des BDF. Diese Beliebtheit Civilisation zur Schmach gereicht<, auf die Schriften sei- war eine Folge davon, daß 1908 ein Gesetz aufgehoben nes hoch verehrten, im 96. Lebensjahr stehenden Kollegen wurde, das den Frauen die politische Betätigung untersagt Guido Kisch (Basel), zum Beispiel >Zasius und Reuchlin< hatte. Man spricht vom »sozialen Feminismus« als einem (Pforzheimer Reuchlinschriften Bd. 1, Konstanz 1961), Bindeglied zwischen der traditionellen und der modernen deren Berücksichtigung auch der Geschichte des Juden- Beteiligung an den Belangen der Industriegesellschaft. rechts in Baden zugute kommt; und endlich auf seinen ei- Zum Verw-undern der 1946 in Amerika geborenen Verfas- genen — in den Zusammenhang mit v. Dohms >geradezu serin stellte der JFB »die bisher geltenden Geschlechter- schicksalgestaltendem< Buch >Über die bürgerliche Ver- rollen nur indirekt in Frage und versuchte nicht, die Um- besserung der Juden< (1781) — so Adolf Lewin (1909) — verteilung der Macht zwischen Männern und Frauen zu gehörenden Fund der Schrift >Ideen über die Behandlung erzwingen. Sein Bestreben ging nur dahin, das >spezifisch der Juden in Deutschland< von Mart. Heinr. Friedr. Pilger Weibliche< in die männliche Gesellschaft zu integrieren« (Wetzlar 1791), von welcher er in der Festschrift für (26). Die Autorin ist an den damaligen Aktivitäten im H. U. Scupin >Recht und Staat im sozialen Wandel< (Ber- Spiegel der heutigen, oft auch militanten und zornigen, lin 1983) berichtet hat. Und ganz zuletzt sei noch Wolf- feministischen Bewegung interessiert. Ihre sorgfältig erar- gang Leisers vorzüglicher Aufsatz über den als Sohn eines beitete historische Quellenanalyse mutet daher bei aller jüdischen Händlers 1752 in Bayern geborenen nachmali- Fülle des wichtigen Materials ungewollt komisch an. Das gen badischen Baron Sensburg, Mitglied des Staatsmini- gehört zum Stil des neuesten Feminismus, der allerdings steriums in Karlsruhe, 1831 gestorben, erwähnt (Gerichts- sehr schnell veralten könnte. Bereits jetzt, nach etwa fünf- lauben-Vorträge, Sigmaringen 1983): auch dies ist Ge- zehn Jahren Feminismus, predigen einige der Vorkämpfe- schichte! Hans Thieme, Freiburg i. Br. rinnen genau das Gegenteil ihrer antimännlichen Tiraden, 1 Vgl. dazu: Gab es jüdische Ritualmorde? Gegen eine Ritual- durch die die Bewegung Aufsehen erregte und vielleicht mord-Verleumdung von 1503 ... Eine Untersuchung in Endin- auch so manche Frau in eine ihr nicht gemässe Entwick- gen und Hugstetten/Baden von Pfarrer Dr. Heinrich Roth, lung getrieben hat. Daher hätte man/frau sich gewünscht, Hugstetten, in: FrRu XIX/1967, S. 119-120. Dabei wird auch dass Ms. Kaplan ihre Dissertation weniger ideologisch berichtet, dass in Endingen und in Hugstetten die jahrhunderte- langen Verleumdungen im Sinne des II. Vatikanums in diesen eingefärbt hätte. Das schreit bereits im ersten Kapitel mit- Gemeinden von Grund auf bereinigt worden sind. (Anm. d. Red. tels der Überschrift entgegen: »Die Emanzipation: Das d. FrRu.) Ziel von Juden und Frauen«. Hier tritt anstelle anderer Ideologien eine nicht bessere als jene, die verworfen wer- JÜDISCHE GEMEINDEN IN WÜRTTEMBERG — den. einst und jetzt. Synagogen und Friedhöfe in Bild und Dennoch ist das Buch lesenswert wegen der reichhaltigen Wort. Katalog zur Ausstellung. Gestaltung der Ausstel- Materialien, auf die es sich stützt: die Unterlagen des JFB lung und Texte: Henny Trautmann, Gesellschaft f. Christ- im Leo Baeck Institute in New York sowie weitere öffent- lich-Jüdische Zusammenarbeit, Stuttgart* 1984. 56 Seiten. liche und private Sammlungen. Die Rolle der jüdischen »Die Ausstellung soll — im Sinne des Jahresthemas 1984 Frauen wird ab 1871 geschildert, darunter auch die Bne- >Jüdisches Erbe in Deutschland — Botschaft und Heraus- Briss-Schwesternverbände. Bertha Pappenheim (1859— forderung<** — eine landesgeschichtliche, aber auch eine 1936) wird in ihrem vielseitigen Wirken dargestellt — von pädagogische Aufgabe erfüllen.« G. L. ihrer schwierigen Jugend als »Anna 0.«, der erste Fall der * Anschrift: Marienstr. 1 B, 7000 Stuttgart. Psychoanalyse, sowie als Gründerin des JFB, als Autorin ** Vgl. dazu o. S. 52ff. und Politikerin. Hier konnte sich Ms. Kaplan auf die Ar- beiten von Dora Edinger stützen. Bereits seit 1904 wur- MARION A. KAPLAN: Die jüdische Frauenbewegung in den Wohnheime für alleinstehende junge Jüdinnen ge- Deutschland. Organisation und Ziele des Jüdischen gründet. Seit 1907 wurde die Hilfe für alleinreisende Frauenbundes 1904-1938. Hrsg. vom Institut für die Ge- Mädchen auf Bahnhöfen verstärkt. Hier bestand eine en- schichte der deutschen Juden. Hamburg 1981. Hans Chri- ge Zusammernarbeit mit der Bahnhofsmission der beiden stians Verlag. 280 Seiten. Kirchen. Diese wurde 1936 verboten. Bertha Pappenheim Der Jüdische Frauenbund kämpfte für die rechtliche und war von 1907 bis zu ihrem Tode nach einem Gestapo- gesellschaftliche Gleichstellung der Frauen in einer Ge- Verhör freiwillige Hausmutter des Heims für gefährdete sellschaft, die im nachhinein als »patriarchalisch« ge- Mädchen in Neu-Isenburg bei Frankfurt. Angeschlossen brandmarkt wird. Ihre Mitglieder bauten ein öffentliche, war ein Heim für verwahrloste oder retardierte jüdische umfangreiche Sozialarbeit auf, richteten Fürsorge- und Kinder. Nach der teilweisen Zerstörung des Heims und Bildungsinstitutionen ein und befassten sich energisch mit der Deportation seiner Einwohner hauste dort die Hitler- jenem Umfeld, das u. a. Mädchenhandel und Prostitution Jugend.

149 Zur jüdischen Innenpolitik gehörte die Frage des Wahl- stentum nicht annehmen konnten, und nennt die ersten rechts in den Gemeinden. Dieses wurde in den zwanziger Christen >Juden, die ihr Judentum missverstanden, und, Jahren in den meisten Gemeinden erteilt. — In diesem Heiden, denen ihr Heidentum abhanden gekommen war<. Kontext wiederholt Ms. K. alle gängigen Fehlinterpreta- Die >geistige Heimat< des Christentums — so schreibt der tionen der Rolle der jüdischen Frau nach dem Religions- Verfasser — >ist keineswegs Rom, sondern Jerusalem<. Er gesetz, die sich auch in einigen anderen amerikanischen ist aber auch selber bereit, immer noch hinzuzulernen: Büchern dieser Art finden. Ähnlich meint sie, dass der >Man kann nicht alt genug werden, um seine eigenen Feh- Kampf der Nazis »den Juden und den Frauen« galt ler und Irrtümer richtig zu stellen.< Und er bejaht die (S. 308). Und während sie anerkennend die notwendige Pflicht und das Anrecht der Juden, in christlichen Dingen Umschulung infolge der Nürnberger Gesetze beschreibt, mitzureden, >denn wir sind für das Entstehen des Chri- bei welcher Frauen sich schneller als Männer an neue Be- stentums mitverantwortlich<. >Nicht ein christlich-jüdi- rufe anpassten, rügt sie doch zugleich, dass der JFB die scher Dialog tut not, sondern ein aus dem Judentum Frauen nicht »warnte«, d. h. nicht die kommenden Verfol- schöpfendes Umdenken christlicher Formen und Werte.< gungen und Ermordungen voraussah . . . (S. 310-313). Es Auch zu politischen Gestalten wie Karl Marx oder Hitler gibt kein Wort des Mitfühlens für die Opfer der unvor- findet E. Laor eindeutige Worte. Besonders seine Betrach- hersehbaren Geschehnisse. Ja es wird fast bedauert, dass tung >Warum Antisemitismus?< fordert unsere Selbstbesin- bis dahin die Juden eine Mittelschicht darstellten und dass nung heraus. Das Gebotene mag an dieser Stelle genügen; der Frauenbund nicht verstand, dass Hausarbeit »Ausbeu- es steht für vieles, was als Anregung zu Nachdenken, tung« sei (321). Alles in allem also viel Grund zum Ärgern Widerspruch oder Zustimmung Veranlassung gibt. Vie- beim Lesen dieses so gründlich erarbeiteten Werks. les ist so hervorragend formuliert, dass es Eingang in Auch fehlt bedauerlicherweise ein abschliessendes Kapitel unser Schrifttum finden sollte. Wir empfinden Achtung über die Geschichte nach 1945: die Neugründung jüdi- für E. Laor auch wo wir ihm nicht folgen können, und scher Gemeinden und des Frauenbundes. Und mit keinem wir ehren seinen Drang, dem Wahren, Schönen, Guten zu Wort wird Jeanette Wolff erwähnt, deren posthum er- dienen. Hans Thieme, Freiburg i. Br. schienenes Buch »Mit Bibel und Bebel« (1980) fehlt, trotz einer umfangreichen Literaturangabe, auch aus den letz- NATHAN PETER LEVINSON: Ein Rabbiner erklärt ten Jahrzehnten. Mindestens für die deutsche Ausgabe die Bibel. München 1982. Chr. Kaiser Verlag. 192 Seiten. wäre es notwendig gewesen, diese Kämpferin für eine ge- Der vorliegende Band enthält 4 Aufsätze und 32 Predig- rechte Gesellschaft, die jüdische und deutsche Politikerin, ten und Aufsätze des bekannten Rabbiners, der sich gros- zu erwähnen. Sie hatte seit 1905 als Kindergärtnerin, Er- se Verdienste um das jüdisch-christliche Gespräch erwor- zieherin und Journalistin gewirkt. ben hat. Hier sind Arbeiten zusammengestellt, die zumeist Pnina Nave Levinson, Heidelberg in den letzten 10 Jahren entstanden sind. Für den christli- chen Leser ist dieses Buch eine Fundgrube rabbinischer HANS LAMM (Hrsg.): Vergangene Tage. Jüdische Kul- Einsichten über die Bibel und zugleich eine gute Einfüh- tur in München. Erweiterte und neu durchgesehene Aus- rung in jüdische Spiritualität. Besonders wichtig scheinen gabe des 1958 erschienenen Buches »Von Juden in Mün- mir z. B. die Mahnungen zu sein, den Gottesnamen, das chen — Ein Gedenkbuch«i. München—Wien 1982. Albert Tetragramm, nicht unnötig auszusprechen und auch nicht Langen/Georg Müller. 552 Seiten. ständig in christlichen Bibeln und Büchern zu benutzen, »Dieses Werk bietet ein Stück Kulturgeschichte, die weit um den Darlegungen jüdisches Kolorit zu geben. Da- mehr als nur von lokaler Bedeutung ist . . .« Die damalige durch jedenfalls werde der Dialog nicht gefördert, zumal 1. Auflage umfasste 405 Seiten. — Hans Lamm publizierte für den Juden das Gebot nach wie vor gelte: »Du sollst die Neuausgabe zur 800-Jahr-Feier Münchens. Sie ent- den Namen des Ewigen, deines Gottes, nicht umsonst spricht in Gehalt und Gestalt der ihr gestellten Aufgabe: aussprechen« (Ex 20, 7). »Dem Gedenken derer, die vor uns gingen.« G. L. Interessant auch die Ausführungen über das »Alte Testa- S. o. S. 182 u. S. 197. S. FrRu XI (Nr. 41/44), 9. 11. 1958, S. 113. ment« als Heilige Schrift. Die Aktualisierungen betonen vor allem die Aussagen über Freiheit, soziale Gerechtig- ERAN LAOR: Abrechnung mit dem Abendland. Wien keit, Umweltschutz und Frieden. 1982. Sensen-Verlag. 95 Seiten. Die Predigten erscheinen mir aus vielen Gründen wichtig. Wir haben im FrRu XXXIV/1982 5.96 den zweiten Drei seien hier kurz angedeutet. Einmal gelingt es Levin- Band der Erinnerungen des Verfassers, betitelt >Ein Leben son in der einen oder anderen Predigt, sogenannte für Israel. Rückblick eines Weltbürgers<, vorgestellt, der »schwere Stellen« zu deuten und zu interpretieren, z. B. sein wechselvolles Leben bis 1945 schildert, das ihn aus 2 Mos 7-11 »Gott verhärtete das Herz des Pharao«; oder der Südslowakei über Wien nach Konstantinopel, 1933 1 Mos 22, wo von der Opferung Isaaks erzählt wird. Die nach Palästina und seither nach Beirut, nach Teheran so- Ausführungen erscheinen unter der Überschrift »Das wie während fünfundzwanzig Jahren nach Genf führte. Glück unserer Kinder«. Als zweites Charakteristikum bie- Diesmal legt er nun Gedanken, Sprüche und Aussagen so- tet das Buch — entsprechend guter jüdischer Tradition — wie essayartige Meditationen vor, die in mehr als drei grossartige Erzählungen, z. B. von Gottes Gerechtigkeit Jahrzehnten entstanden sind und die sein Verhältnis zu und Barmherzigkeit (S. 43) oder von der Stunde, als Israel Judentum und Christentum, zu dem geistigen Erbe, das die Tora verliehen wurde (S. 143). Als drittes Element ge- ihn geprägt und das er sich in weitreichender Lektüre an- fallen schliesslich die vielen Aktualisierungen der Bibel. geeignet hat — bis hin zu Nietzsche, Heidegger und Freud Bewegt muss man sein über die Ausführungen zu Holo- —, mannigfaltig belegen. Es kann hier nicht unsere Aufga- caust (S. 83 ff.) oder zum Staat Israel. be sein, dies alles wiederzugeben, und noch viel weniger, Pfarrer und Religionslehrer sollten das Buch kennen und dazu Stellung zu nehmen. Manches verdient volle Zustim- benutzen. Werner Trutwin, Bonn mung, manches fordert zum Widerspruch auf. Im Deka- log z. B. sieht der Verfasser >die Voraussetzung für das JOHANN MAIER: Grundzüge der Geschichte des Ju- gesellschaftliche Sein überhaupt<, in dem Gebot der Berg- dentums im Altertum. Darmstadt 1981. Wissenschaftliche predigt Mt 5, 39 hingegen >das feige Ducken des Macht- Buchgesellschaft. Mit Literaturverzeichnis, Register, losen. Er sucht zu erklären, weshalb die Juden das Chri- 160 Seiten.

150 Auf kurzem Raum ist hier die Geschichte des Judentums za wurde von Alexander Jannai im Jahre 96 (und nicht von Alexander dem Grossen bis zur Eroberung durch den 46) v. Chr. erobert (S. 51), Jerusalem von den Arabern im Islam zusammengestellt, und zwar in seinen Hauptzen- Jahre 638 (und nicht 538) (S. 138). tren, Palästina und der Diaspora im Römischen Reich Michael Krupp, Jerusalem und in Babylonien. Das Buch will nach einer Religionsge- schichte des Verfassers (Geschichte der jüdischen Reli- MOSES MAIMONIDES' TREATISE ON RESUR- gion, Berlin 1972) und einer Kulturgeschichte (Das Ju- RECTION. Translated and Annotated by Fred Ros- dentum, München 1980) einen Grundriss der politischen ner. New York 1982. Ktav Publishing House, Inc. 126 Geschichte des Judentums in diesem Zeitraum bringen. Seiten. Das Buch verzichtet auf jegliche Anmerkungen und auch Maimonides' Traktat über die Auferstehung der Toten ist auf einen Quellennachweis, so dass es nicht immer leicht eine polemische oder besser apologetische Schrift, in der ist, festzustellen, wie der Verfasser zu diesen seinen Er- der Autor gegen den Vorwurf des Gaons von Bagdad, Sa- gebnissen kommt, z. B. Gründung jüdischer Militärkolo- muel b.Ali Halevi, er leugne die leibliche Auferstehung, nien in Arabien schon im 6. vorchristlichen Jahrhundert seinen philosophischen Intellektualismus mit der jüdisch- (»Die Nachrichten lassen genauere Erkenntnisse nicht traditionellen Lehre von der eschatologischen Wiederbe- zu . . .« [S. 15]), die Tatsache, dass die Aufständischen im lebung des Leibes in Einklang zu bringen sucht; eine reli- Bar-Kochba-Krieg Jerusalem erobert haben (S. 109) oder giöse Überzeugung, die Maimonides an anderer Stelle die Behauptung, dass »militant-apokalyptische Kriegsge- den 13 Grundprinzipien (oder »Dogmen«) des Judentums fangene von 66-70 n. Chr. von den Diasporagemeinden zurechnet, freilich als das der Reihe (und Bedeutung) losgekauft, diese mit ihrem Fanatismus infizierten« (S. 99) nach letzte dieser Prinzipien. und somit zum Ausbruch des Aufstandes 115-117 n. Chr. Der Herausgeber und Übersetzer der englischen Neuaus- in der Diaspora beitrugen. gabe ist von Haus nicht Theologe oder Philosoph(iehisto- Dies und manches andere wird in der Forschung so oder riker), sondern Mediziner, ist aber in der Vergangenheit so beantwortet werden. Worauf der Leser aber mit gewis- bereits mit Übersetzungen maimonidischer Texte (darun- ser Vorsicht reagieren sollte, ist die Einschätzung aller ter medizinischer Schriften des Autors) hervorgetreten nationalen Bewegungen des Judentums, die nach dem und hat sich zudem wiederholt zu medizinisch-ethischen Verfasser schlechtweg für den Untergang der politischen und -religionsgesetzlichen Fragen geäussert. Die vorge- Freiheit des jüdischen Volkes in der Antike verantwortlich legte Übertragung der verbreiteten (mittelalterlichen) he- sind, angefangen mit der Bewegung der Hasmonäer, die bräischen Übersetzung Samuel ibn Tibbons der von Mai- eine durchweg negative Bewertung vom Verfasser erfährt. monides in arabischer Sprache verfassten Schrift basiert So ist die Politik der Hasmonäer, besonders ihr Hass auf auf den Editionen von Joshua Finkel (1939), Mordechaj den »Götzendienst«, die Wurzel und die Begründung des Dov Rabbinowitz (1951,21960) und Josef Kafih (1972). antiken Judenhasses. Wenn es nicht die. Judaisierungspoli- Der Übersetzer versucht, wie er schreibt, »so genau wie tik der Hasmonäer ist, so ist es ihr hellenistisches Macht- möglich den Charakter (flavor) und Sinn des Originals gebaren oder ihre »proseleukidische Orientierung«, die wiederzugeben« (S. 14), vermeidet es also, sich allzuweit die Hasmonäer als Führer des jüdischen Volkes scheitern vom Text zu entfernen; eine blosse Inhaltsparaphrase will lässt. »Doch das Judentum war komplexer und nicht mit er nicht bieten. Um dem Benutzer die religions- und phi- dem Staat der Hasmonäer identisch, er konnte unterge- losophiegeschichtliche Einordnung des Traktats zu er- hen, ohne den Bestand des Judentums zu gefährden« leichtern, ist das entsprechende Kapitel (The Resurrection (S. 45). Der Tyrann Herodes kommt dagegen viel besser Debate) aus der Monographie von Daniel Jeremy Silver: weg, denn er verstand es, durch seine heidenfreundlichen Maimonidean Criticism an the Maimonidean Controversy Massnahmen etwas zum Abbau des Hasses zwischen den 1180-1240 (Leiden 1965, S. 199-235) abgedruckt. Sehr Juden und ihren Nachbarn beizutragen. hilfreich ist auch die beigegebene revidierte Fassung der Dieselbe negative Bewertung des nationalen Anliegens von Jacob I. Dienstag zusammengestellten Bibliographie findet sich dann auch in der Beurteilurig des Aufstandes der den Traktat betreffenden Literatur (Editionen, Über- gegen Rom 66-70 n. Chr. »Es ist im nachhinein leicht, setzungen, Sekundärliteratur). Für die des Hebräischen den Römern und ihrer Härte die Schuld an der Eskalation unkundigen Interessenten, die ja doch die eigentliche zuzuschreiben, doch erfordert es die historische Einsicht, Zielgruppe der kommentierten Übersetzung sind, ist es die Ausweglosigkeit dieses religiös-politischen Fanatismus freilich hinderlich, dass man es hier — einschliesslich der der militanten jüdischen Kreise klar herauszustellen« Vorbemerkungen — bei der hebräischen Anlage belassen (S. 83). So endet der Aufstand in Massada »in seinem fa- hat, in der die Liste vor zehn Jahren in der Jerusalemer natischen Aberwitz« im kollektiven Selbstmord. Rom hat- bibliographischen Zeitschrift Kirjath Sepher (Bd. 48, te nur seine Pflicht erfüllt, denn »diese Weltmacht hatte 1973, S. 730-740) erstmals erschienen ist; doch ist sie des- nicht gegen das Judentum Krieg geführt, sondern gegen wegen für diesen Leserkreis natürlich nicht gänzlich un- die rebellischen Bevölkerungsteile einer Provinz« (S. 92). brauchbar. »Und die Zerstörung des Tempels sollte sich noch zum Das solide, in Leinen gebundene und fadengeheftete Buch Vorteil auswirken« (S. 93), in einer monotheistischen Um- (heute schon fast eine Seltenheit) erleichtert die Auseinan- welt, nämlich später in byzantinischer Zeit. So »ersparte dersetzung mit der Problematik der Auferstehung im die Katastrophe eine innerjüdische Reform« (S. 94). Kontext der maimonidischen Lehren und Koiltroversen. Wohlgefallen hat der Autor denn an der gemässigten Besonders Studenten der mittelalterlichen jüdischen Politik der Rabbinen nach dem Bar-Kochba-Aufstand. Theologie und Philosophie werden sich des nützlichen Dieser Teil des Buches fällt trotzdem besonders kurz aus, Hilfsmittels gerne bedienen. Hermann Greive, Köln weil, wie der Verfasser im Vorwort anmerkt, diese Zeit eine Zeit ist, in der das Judentum nur noch passiv im po- MENDELSSOHN-STUDIEN. Beiträge zur neueren litischen Geschehen vorkommt, besonders zur Zeit der deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, hg. von C- zunehmenden politischen Unterdrückung durch das cile Lowenthal-Hensel und Rudolf Elvers. Band 5. Berlin christliche Byzanz. 1982. Verlag Duncker & Humblot. 210 Seiten. Zum Schluss seien noch zwei Druckfehler notiert, weil Den früheren, zuletzt im FrRu XXXIV/1982 S. 77 ge- hier falsche Jahreszahlen Verwirrung stiften können. Ga- würdigten Bänden dieser Reihe ist nun noch einer gefolgt,

151 der es vornehmlich mit dem berühmtesten Namensträger nen Gedichten Werner Bergengruens wollen wir schlies- der Familie, dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bar- sen: . . . Du hast gewagt, in diese Sklavenjahre tholdy, zu tun hat. So schildert z. B. Michael Cullen die ein ungeschändet Menschenbild zu stellen. Geschichte des Hauses Leipziger Strasse 3 in Berlin, eine Du bist verbannt. Verbannt wohin? Ins Klare, >Baubiographie< von besonderem Interesse, denn ausser verwiesen aus dem Lärm der Narrenschellen .. . den Familien Mendelssohn (1825-1851), von der Reck Hans Thieme, Freiburg i. Br. (1725-1825) und de Pourtales (1843-1850) war auch der preussische Staat mit diesem Grundstück verbunden. Bis PNINA NAV ✓ LEVINSON: Einführung in die rabbini- 1855 diente es der Ersten Kammer, hernach Herrenhaus sche Theologie. Darmstadt 1982. Wissenschaftliche Buch- genannt, später (1867-1870) dem neugeschaffenen gesellschaft. XII und 157 Seiten. Reichstag des Norddeutschen Bundes (1867-1870) und Wer immer an der Theologie des Judentums interessiert wiederum dem preussischen Herrenhaus, bis es 1898 ab- ist, wird dieses sehr überschaubare und handliche Buch gebrochen und ein Neubau errichtet wurde, worin heute mit hohen Erwartungen aufschlagen. Und er wird, um es die Akademie der Wissenschaften der DDR ihren Sitz sogleich zu sagen, darin nicht enttäuscht werden. Der Re- hat. — Weiter wird an der >höchst poetischen Natur< des zensent möchte seiner Freude Ausdruck geben, dass hier Prinzen Louis Ferdinand (1772-1806) von Norbert Mül- endlich eine neue jüdisch-biblische Theologie in deutscher ler die Berliner Musik um 1800 exemplifiziert, welche für Sprache vorgelegt wird. Und das von äusserst kompeten- den jungen Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847) ter Seite. wegleitend wurde, auch wenn er selbst die Werke des Die gelehrte Verfasserin bietet den Stoff in fünf Abschnit- Prinzen gar nicht kannte. — Ein nachgelassenes Werk von ten : biblisch-rabbinische Religiosität hinsichtlich der ihm beschreibt Wolfgang Dinglinger: den 98. Psalm (op. Grössen des einzelnen und der Gruppierung, des Schrift- 91), den Mendelssohn im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. tums und der Tradition; die Lehre von Gott; die Lehre für den Neujahrsgottesdienst 1844 im Berliner Dom kom- vom Menschen; die Lehre von der Welt; schliesslich ein poniert hatte. Die Neigung des Königs zur gregoriani- Daten-Abschnitt, der ein ausgezeichnetes Hilfsmittel dar- schen Liturgie führte damals zu einem anhaltenden >Berli- stellt, nicht zuletzt kraft seiner hervorragend ausgewähl- ner Geschwätz von Katholisieren< (S. 102), wie Chr. v. ten Bibliographie, welche jede weitere Verfolgung einzel- Bunsen vermerkte. Mendelssohn selbst unterzog sich die- ner Gebiete und Fragen ermöglicht. ser Aufgabe nur ungern, die Domgeistlichkeit war verär- Die Darstellung zeigt im einzelnen alle wünschenswerten gert, das Publikum hingegen nahm die Komposition Vorzüge. Dem theologisch interessierten Leser wird in dankbar entgegen. — Mit Korrekturen im Autograph eines knapper, ihm fasslicher Form das Wesentliche geboten. Streichquartetts und mit einem Albumblatt von Mendels- Wer die älteren Werke, auf die man bislang verweisen sohn haben es die beiden nächsten Beiträge Hans-Günter musste, kennt, der weiss, welche Vorteile diese Publika- Kleins, Rudolf Grumbachers und Albi Rosenthals zu tun; tion bietet. Dafür darf man der Verfasserin ausserordent- das letztere ist — wie eine Abbildung zeigt — eine eigen- lich dankbar sein. Ebenso, dass sie an zahlreichen Stellen händige, freundliche Erinnerung an einen Besuch Interla- viele moderne Fragen in die Darstellung bzw. Erörterung kens im Sommer 1842, denn es zeigt die Skizze eines Ber- einbezieht. ner Bauernhauses von Mendelssohns Hand, dazu Melo- Bei einer neuen Auflage, die man der Verfasserin ebenso die und Text eines Schweizer Geissenlieds, freilich nicht wie ihrem Anliegen baldigst wünschen möchte, könnten in der Mundart, die >in Meiringen bekanntlich nicht die- ein paar »Schatten« getilgt werden. Jüdisch-rabbinische selbe wie in Leipzig ist< (S. 129). — Es folgt die Wiederga- Theologie ist m. E. eine so grossartige Sache (und die be eines Briefs der Witwe Felix Mendelssohn-Bartholdys Verfasserin weiss dem ja auch in entsprechender Weise von 1849, der für die politischen Ereignisse in Sachsen Genüge zu tun), dass eine Profilierung im Gegenzug zu interessant ist; >der Kapellmeister Wagner und der Bau- gewissen, im Raum des Christentums sich daraus finden- meister Semper sind leider in die aufrührerischen Versu- den, aber keineswegs alleinvorkommenden und schon gar che mit verwickelt und werden verfolgt<, heisst es darin nicht alleingültigen Auffassungen und Vorstellungen nicht (S. 132). — Die letzten Beiträge enthalten >Unbekannte nötig sein kann — zumal andererseits sich längst oder be- Gedichte von Wilhelm Hensel<, eine Eintragung aus dem reits wieder findende Gemeinsamkeiten zur Stelle sind Militärkirchenbuch von Neisse (1821) über die Schreibart (vgl. S. 40 f. z. B. die Fragen um den »Schriftbeweis«, die des Namens Mendelssohn, das Verzeichnis des Nachlas- alma-betula-Diskussion, das Menschwerdungs- und Got- ses von Arnold Mendelssohn (1855-1933), eine gehalt- tessohnzeugungsverständnis und schliesslich die Sühne- reiche Würdigung des Steuerrechtlers Albert Hensel — Tod-Theorien). Es lassen sich für alle Zeiten der christli- eines Urenkels von Fanny Mendelssohn-Bartholdy, der chen Theologiegeschichte ebenso zahlreiche wie promi- bis zu seiner zwangsweisen Beurlaubung 1933 in Königs- nente Autoren benennen, welche den genannten Proble- berg lehrte und dessen Schriften heute noch wegleitend men mindestens so weit Rechnung tragen, dass das Ge- sind — durch den Heidelberger Juristen Paul Kirchhof so- spräch zwischen jüdischer und christlicher Theologie zu wie endlich einen Gedenkartikel für den Dichter Werner einer Sache von grösstem Reiz, gepaart mit grösstem Re- Bergengruen (1882-1964) — den Schwager Albert Hensels spekt, werden müsste. Wir sollten, so finde ich, als Juden — von seiner Tochter, der Germanistin Luise Hackelsber- und als Christen, uns von den Spitzen unserer Glaubens- ger. Denker her kennenzulernen versuchen. Das würde we- Dieser letzte unter den elf in diesem Bande vereinigten sentlich dazu beitragen, uns Perspektiven beglückender Beiträgen dürfte die Leser des FrRu ganz besonders an- Offenheit (und oft sogar ungeahnter Gemeinsamkeit) zu sprechen, gibt er doch in knapper, klarer Form, durch gewähren. Anschliessend könnten wir uns dann — viel- Verse und unveröffentlichte Aufzeichnungen belegt, ein leicht mit etwas mehr Erfolg als bisher — unseren jeweili- Abbild von Leben und Wirken des Dichters, der — von ei- gen »Nachzüglern« widmen. Odilo Kaiser, Freiburg i. Br. nem christlichen Leitbild geprägt und 1936 zur katholi- schen Kirche übergetreten — durch die Herkunft seiner JACOB NEUSNER (Hrsg.): The Study of Ancient Ju- Gattin Charlotte geb. Hensel bedroht und mit einem daism. Bd. 1: Mishnah, Midrash, Siddur, 194 Seiten. Bd. Schreibverbot belegt war. Mit einem für sich selbst spre- 2: The Palestinian and Babylonian Talmuds. New York chenden Zitat, entstanden 1937, aus den 1950 erschiene- 1981. Ktav. 199 Seiten.

152 Diese neue »Einleitung« ins rabbinische Schrifttum hat schen Liturgie als Teil judaistisch-rabbinischer Forschung. sich viel vorgenommen. Nach den 'ZVorten des Hera4sge- Die ältesten Spuren sind hier besonders schwer zu orten. bers und Mitarbeiters Jacob Neusner will der gegenwärti- Was den Erforschern der rabbinischen Literatur heute zu ge Forschungsstand wiedergegeben werden, wobei es um schaffen macht, sind die vielen Textverschiebungen und Text- und überlieferungsprobleme und um Beurteilung -vermischungen zwischen den beiden Talmuden und den der heute verwendeten Forschungsmethoden geht. Bis Midraschim (man redet von out-of-place-Traditions: II jetzt diente Hermann L. Stracks Einleitung in Talmud 42), der Zustand der Texte im allgemeinen, die literari- und Midrasch mehreren Generationen von Wissenschaft- schen Kleinformen (memra, sugya, macase etc.: II lern als Handbuch für erste zuverlässige Informationen 160-167), das viele eingeschobene anonyme Textmaterial beim Studium des rabbinischen Schrifttums. Das neue und die Frage nach den historisch besten Handschriften Buch soll dasjenige von Strack in dieser Funktion ablösen, und frühen Drucken. meint der Herausgeber. Interessant sind auch etwa folgende Ergebnisse: Im baby- Die wissenschaftsgeschichtliche Situation ist derzeit da- Ionischen Talmud gibt es Zusätze bis ins 9. Jh. n. Chr. hin- durch gekennzeichnet, dass die rabbinische Traditionslite- auf: II 127. Streichungen von rabbinischen Passagen wur- ratur zum universitären Untersuchungsobjekt geworden den zwischen dem 4.-9. Jh. keinesfalls nur wegen kirchli- ist; nicht mehr die Interpretationen in yeschiwöt sind be- cher Zensur vorgenommen. Früheste Textzensurierungen stimmend, sondern historisch-kritische Analysen von Leu- geschahen vielmehr innerjüdisch. Abschnitte theosophi- ten, die ihre Forschungstätigkeit von ihrem Glauben tren- scher oder magischer Natur, die von den Karäern verspot- nen. In dieser Stunde der Emanzipation der judaistischen tet wurden, wurden ausgemerzt (II 127 ff.). Der Talmud Wissenschaft fallen die Urteile über bisherige Forschungs- ist keine blosse Bibelinterpretation; in den vielen gesetzli- weisen ziemlich hart aus: Die Mischna-Forschung des chen Passagen spielt die Bibel keine grosse Rolle (I 65). 19./20. Jhs. sei »zur Hauptsache primitiv und unterent- Auch die homiletischen Midraschim sind weitgehend von wickelt« gewesen (I 8). Man habe die Mischna kaum als der Bibel losgelöst: »Jede Perikope hat ihre eigene Kohä- eigenständiges Gesetzeswerk und schon gar nicht als ein renz, die auf einem Thema oder auf einer Sinngebung von mit form- und redaktionsgeschichtlicher Methodik zu divergenten Bibelversen beruht« (I 78). Die Mischna-For- Untersuchendes betrachtet. Man habe sie mit der Gemara schung der Zukunft hat u. a. die Aufgabe, »den dreifa- und den Aussagen mittelalterlicher und neuzeitlicher Ge- chen Knoten: Text — Kontext — innere Logik« nicht aus- setzesautoritäten harmonisiert und dadurch ihren Eigen- einanderzureissen (I 25). Diese und eine Fülle anderer Be- charakter verundeutlicht. Neusner betrachtet es als seine obachtungen und Feststellungen deuten an, dass diese persönliche Aufgabe, die Mischna »vom Zusammenhang neue Einleitung, die wie ein wissenschaftlicher Wirbel- mit einem überzeitlichen Gesetzessystem zu trennen und wind gegen traditionelle Auffassungen anstürmt, ihrem darauf zu bestehen, dass sie als Einzelwerk gelesen wird« Anliegen gerecht wird. Clemens Thoma (I 20). Ähnlich fällt das Urteil über die Midraschfor- schung aus: »Die wissenschaftliche Erforschung des Mi- HEIKO A. OBERMAN: Wurzeln des Antisemitismus. drasch steckt noch in ihren Kinderschuhen« (I 55). Auch Christenangst und Judenplage im Zeitalter von Humanis- bei der Erforschung der jüdischen Liturgie seien »grundle- mus und Reformation. Berlin 1981. Severin und Siedler gende methodologische Fragen nicht gestellt worden« (I Verlag. 217 Seiten. 108). Das Urteil über die bisherige Erforschung des baby- In der »Feuilleton-Kultur des Abendlandes« spielte Ionischen Talmuds lautet: »Die formkritische Erfassung Martin Luther die unheimliche Rolle eines platten Vor- des babylonischen Talmuds ist noch in einer sehr vorläufi- läufers des Antisemiten Hitler. Die Judenpogrome im gen Phase« (II 187). Die Autoren verlangen auch die Re- Dritten Reich seien ideologisch von der von Luther ge- vision der traditionellen Lexika; sie genügen den moder- forderten »scharfen Barmherzigkeit« gegenüber den Ju- nen philologischen Erkenntnissen nicht mehr (II 143). den und von einer Fülle von antijüdischen Ausfällen Selbstverständlich lässt man auch löbliche Ausnahmen von Luthers gespeist worden. Nicht nur über die Nachge- Forschern gelten: vor allem Sherira Gaon (9. Jh.) sowie schichte, sondern auch über die Lebensgeschichte Luthers J. N. Epstein und Saul Lieberman (20. Jh.). In einer neuen gebe es eine ganze Reihe verfestigter unhistorischer Vor- Auflage wird man zweifellos noch mehr Goldkörner in stellungen. Zum Beispiel: Der junge Luther sei noch (bis der Forschungsvergangenheit finden! 1523) solidarisch zu den Juden gewesen. Der alte Luther Mit den beiden Bänden ist ein unentbehrliches For- hingegen sei zu einem schlimmen Hetzer gegen die Juden schungs-Grundbuch geschaffen worden. Man weiss nun, geworden. welche Probleme sich der heutigen rabbinischen Wissen- Dem Abbau dieser Luther-Klischees dient dieses Buch schaft stellen, wie Begriffe zu fassen sind und wer sich von Heiko A. Oberman. Die Lösung ist zunächst einfach darüber wie geäussert hat. Die Literatur-, Methoden- und und einleuchtend: Alle Zerrbilder über Luther und seine Problemübersichten sind das beste dieser Bände. Folgende Nachwirkungen fussen auf ungenügender historischer Be- Untersuchungen finden sich in den beiden Bänden: Jacob trachtungsweise. Das Thema »Luther und die Juden« ist Neusner, The Modern Study of the Mishnah: I 3-26; Joel eine aus dem Leben, den Ideen und der Umwelt Luthers H. Zaiman, The Traditional Study of the Mishnah: I herausgehobene Abstraktion. Gewiss hat Luther Juden- 27-36; Baruch M. Bokser, Bibliography on the Mishnah: schriften verfasst. Sie gehören aber »zusammen mit den I 37-51; Gary G. Porton, Defining Midrash: I 55-92; Lee Türken- und Papstgeschichten zu der einen unauflösba- Haas, Bibliography on Midrash : I 93-103; Richard S. Sa- ren Gattung der Endzeitprophetie«. Die Juden sind für rason, The Modern Study of Jewish Liturgy: I 107-179; Luther Typus, Anschauungsmaterial, sowohl für die Ver- ders., Recent Developments in the Study of Jewish Litur- fälschungen des Evangeliums innerhalb und ausserhalb gy: I 180-187; Baruch M. Bokser, An Annotated Biblio- der päpstlichen Kirche als auch für das Nahen des Anti- graphical Guide to the Study of the Palestinian Talmud: christs. In dieser Sicht des zu seiner Zeit bedrohlich-end- II 1-119; David Goodblatt, The Babylonian Talmud: II geschichtlichen »Zusammenpralls von Gesetzesreligion 120-199. Die beiden letzten Artikel (von Bokser und und Evangelium, von Heils- und Unheilsgeschichte, Gott Goodblatt) sind Reprints aus dem Reihenwerk, Aufstieg und Widergott, Christus und Antichrist« hat sich bei und Niedergang der römischen Welt, Bd. 19, Berlin 1979. Luther »über Jahre hinweg . . . nichts geändert«. Trotz der Besonders dankbar ist man für die Einbeziehung der jüdi- unterschiedlichen Ausdrucksweise handelt es sich beim al-

153 ten Luther so wenig um Rassenhetze wie beim jungen um vom »Wortführer in himmlischen Angelegenheiten« je- Solidarität mit den Juden. denfalls jüdischerseits nur beschränkt zutrifft; das Nach- Die geschichtliche Fundierung zur Wertung von Luthers wort »Entwicklungsstadien des Rabbinats« erhärtet dies Einstellung zu den Juden darf nicht bei der Biographie von der Historie her. Vielmehr — da man »den Rabbi als Luthers stehenbleiben. Luthers Ansichten müssen darüber gesteigerten Juden charakterisieren« könnte, »in dessen hinaus besonders mit denen von Johannes Reuchlin, Eras- Person die von der Schrift emanierende Weisheit und jü- mus von Rotterdam, Johannes Pfefferkorn und Johannes dische Authenzität konzentriert bestehen, wie ein Erbgut« Eck konfrontiert werden. Humanisten, Gegenreformato- (Vorwort), erschliesst das Buch dem Leser jüdisches Le- ren und Reformatoren dürfen bei keiner geschichtlichen ben in seiner Fülle und Tiefe. Betrachtung gesondert behandelt werden. Auch die vorre- Dies tut auf seine Art auch der andere Band. Er versam- formatorische Grundlage der Judenhetze der Reformato- melt Witze, die thematisch geordnet in Essays vorgeführt ren muss berücksichtigt werden. Oberman unterzieht sich werden, durch die ein authentisches Verständnis vermit- dieser Vergleichsarbeit sachkundig und geistreich. Vor al- telt wird. Wenn gesagt werden kann: »Viele der besten jü- lem hebt er hervor, dass Johannes Eck alle Reformatoren dischen Witze bleiben offen. Sie enden mit einem Frage- an Judenfeindschaft überboten habe. Dem auf Ritualmord- zeichen« (129), dann wird die hier zutage tretende Eigen- legenden versessenen Eck gegenüber habe Luther »den prägung jüdischen Daseins transparent auf das Humanum Sprung vom Rufmord zum Wahrheitskampf« gewagt. schlechthin. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. Bei der ganzen historischen Vergleichsarbeit gilt es nach Oberman, »hellhörig zu werden, achten zu lernen auf JAKOB J. PETUCHOWSKI: Feiertage des Herrn. Die Hintergründe und Verleumdungsintensität, auf Verleum- Welt der jüdischen Feste und Bräuche. Freiburg/Basel/ dungsebenen und Angriffspunkte«. Die Frage ist nur, ob Wien 1984. Verlag Herder. 142 Seiten. man dadurch den ganzen Albdruck, der auf der Luther- Behandelt werden hier die Feste des jüdischen Kalenders, Forschung wegen Luthers Judenfeindschaft und wegen die in vorchristliche Zeit zurückgehen, also einschliesslich heutiger verzweifelt emotionaler »Geschichtsbewältigun- des Chanukkafestes, das ja nur im AT-Kanon der katholi- gen von Auschwitz her« liegt, wegwälzen kann. Oberman schen und orthodoxen Kirche (darauf bezieht sich »katho- verschliesst sich dieser Frage nicht, wenn er auch biswei- lische Bibel« S. 9) sowie im Johannes-Evangelium auf- len Luther gegenüber in Geschichtsapologetik abzugleiten taucht. Auf einen einleitenden Überblick über Entwicklung droht. Er weiss, dass Luther den Juden als Juden zu kei- und Aufbau des Kalenders folgen die biblischen Texte für ner Zeit eine Zukunft beschieden hat. Zukunft läge für sie die Feste, dazwischen Hinweise auf Fasttage und den einzig im Eintritt ins Evangelium. Ebenso weiss er, »dass »Neujahrstag der Bäume« sowie eine kurze Erörterung der sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die Wellen Bedeutung des Neumondstages. Die Darstellung der ein- religiöser Vertiefung und der Ruf nach Reform stets un- zelnen Feiertage hebt auf die geschichtlichen Ansätze, heilvoll für die Juden ausgewirkt haben«. Er verschliesst Wandlungen und Ausprägungen ab, in denen sich der le- sich (nur en passent) auch nicht der Erkenntnis, dass die bendige Glaube des Judentums spiegelt. Ist diese >liturgie- Sichtweise Luthers »nicht dagegen gefeit« gewesen sei, geschichtliche< Einführung in das Verständnis der jüdi- »für eine rassistische Endlösung vereinnahmt zu werden«. schen Feste schon an sich für den christlichen Leser sehr er- Man kann die deutsche Geschichte nicht mechanistisch giebig, so erhöht sich ihr Wert dadurch, dass sie einen von Luthers Judenfeindschaft bis zu Hitlers Endlösung Schwerpunkt auf die Feier und Bedeutung dieser Feste im festlegen. Man darf Geschichte auch nicht schuldbewusst, frühen Judentum — somit auch bei Jesus und seiner Jünger- sondern man muss sie quellenbewusst schreiben. Dies gemeinde — legt. Dadurch werden weitreichende Perspek- zeigt und belegt Obermans Buch beispielhaft. Zwei Un- tiven eröffnet, wie die Ausführungen zum Versöhnungstag stimmigkeiten liegen aber noch auf dem Weg: Oberman beispielhaft zeigen: Auf der Basis von Lev 16, 27 ff. (bei hätte zusätzlich die jüdisch-antikirchlichen Quellen des Vers 30 scheint mir die Zuspitzung auf »levitische Rein- späten Mittelalters und der Reformationszeit in Rechnung heit« — S. 85 — unberechtigt) wird nicht nur die rabbinische, stellen müssen. Ferner wäre deutlicher zu machen gewe- sondern auch die (früh-)christliche Sühnetheologie ange- sen, dass die gewiss bestehenden Unterschiede der Auf- sprochen. Diese setzt sich nach Ausweis von Hebr 10, 18 fassung über die Juden bei Humanisten, Reformatoren, unter antithetischer Bezugnahme auf den Versöhnungstag Gegenreformatoren und späteren Rezipienten die ganze von jener ab. Schliesst man nun die Möglichkeit nicht von Misere der damaligen christlich-kirchlich-humanistischen vornherein aus, dass »Jesus selbst, als observanter Jude, ihn Antihaltung gegenüber den Juden nicht verdecken kön- wohl gefeiert haben wird« (S. 86), dann ergeben sich hier- nen. Besser wird die Sache erst dann, wenn die geschicht- aus für die christliche Soteriologie fundamentale Fragen. liche Aufarbeitung in den kirchlichen Konfessionen all- Das wird noch deutlicher, wenn man neben die von Paulus gemein zur Kenntnis genommen wird und wenn das für in Röm 3, 25 f. aufgenommene, schon in Richtung von damals geltende, sarkastische Wort des Erasmus nicht Hebr 8-10 weisende Tradition die Aussage von Röm 9, 4 mehr zutrifft: »Wenn Judenhass der Ausweis echten Chri- stellt, dass zu den Heilsgaben Gottes an sein jüdisches stenlebens ist, dann sind wir alle vorzügliche Christen.« Volk — nach 11, 29 unwiderruflich — der Tempelgottes- Clemens Thoma dienst, somit auch der Versöhnungstag, gehört. Die grund- sätzliche Bedeutung dieser Feststellung des Apostels wird ELIZABETH PETUCHOWSKI: Ein .Rabbi kommt sel- durch die von ihm nicht vorhersehbare Tempelzerstörung ten allein. Rabbinergeschichten aus Frankfurt und anders- nicht abgeschwächt, auch wenn sich ein solcher Eindruck wo. Mit einem Nachwort von Jakob J. Petuchowski. Frei- in unserer christlichen Tradition bereits sehr früh verfestigt burg/Basel/Wien 1983. Verlag Herder. 127 Seiten. hat. So kann das Buch zu einer vertieften Besinnung auf die DIES.: Das Herz auf der Zunge. Aus der Welt des jüdi- christliche Identität anregen, wenn man nur willens ist, sei- schen Witzes. Freiburg/Basel/Wien 1984. Verlag Herder. ne vielfältigen Impulse dazu aufzunehmen. Drei Register 141 Seiten. erleichtern seine Benutzung. NB: Auf S. 26 hätte man für Die beiden Bücher ergänzen einander vortrefflich. Das er- den Gedanken der »Tischgemeinschaft« von Gott und ste, das »den Rabbinerstand möglichst bunt feiern« will, Mensch im christlichen Raum auch auf das deutsche erzählt nicht bloss heitere und nachdenkliche Geschichten Gebet zurückgreifen können: »Komm, Herr Jesus, sei über solche Menschen, auf die die landläufige Auffassung unser Gast . . .« Peter Fiedler, Freiburg i. Br.

154 CHAIM POTOK: Wanderungen. Geschichte des jüdi- aufwerfen und klären und dass man das Buch mit grossem schen Volkes. Aus dem Amerikanischen von Margaret Gewinn — nicht nur aus der Hand legt, sondern es sicher Carroux. Tübingen 1980. Rainer Wunderlich Verlag. 547 wieder und wieder aufschlägt. Seiten. Annemarie Mayer, Tübingen Chaim Potok, dessen Romane ich hier im FrRu begeistert besprochen habe, legt nun ein neues, anderes Buch vor, LEO PRIJS: Die Welt des Judentums. Religion, Ge- ein Geschichtswerk mit Bibliographie und Register über schichte, Lebensweise. (Beck'sche schwarze Reihe, den Weg Israels zwischen den Völkern unter dem be- Bd. 261.) München 1982. Verlag C. H. Beck. 222 Seiten zeichnenden Titel »Wanderungen«. Es ist das Ergebnis mit 38 Abbildungen. weitreichender und tiefgehender Studien nicht nur unzäh- Dieser Band — so charakterisiert ihn der Autor im Geleit- liger Bücher, sondern auch vieler Reisen an die Stätten wort — »zeigt in loser Folge die vielseitigen Aspekte des vergangener, vergegenwärtigter Geschichte. Eine unge- Judentums, sozusagen in Momentaufnahmen«. Der Leser heure Fülle von Begebenheiten breitet Potok vor dem Le- hat in der Tat den Eindruck, hier sei das vereinigt nachge- ser aus, vor allem über Völker und Religionen der alten tragen, was in der Einführung »Die jüdische Religion« Welt, über Sumerer und Ägypter, Hethiter und Kanaa- (1977: Rez. in FrRu XXX/1978, S. 175) weggelassen näer, Griechen und Römer, Christentum und Islam, um werden musste, wofür es aber zu schade war, es im Zettel- nur einige zu nennen. Die Welt füllt sich mit Gestalten kasten untergehen zu lassen. Unter dieser Voraussetzung und Ideen, die einander ähneln oder widersprechen, be- — also nicht für den, der eine erste Hinführung sucht — kämpfen oder befruchten, begegnen oder fliehen, vernich- bietet das Buch (mit seinen teils alten, teils neuen Bildern) ten oder stärken. Verschwenderisch werden Mosaikstein- eine Fundgrube für alle, die sich die Vielfalt und Leben- chen und Perlenschnüre hingeworfen, gegliedert durch digkeit des Judentums in Geschichte und Gegenwart vor wiederkehrende Leitworte, so das Wandern, das König- Augen führen lassen wollen. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. sein und Nichtkönigsein, des sonnig Warmen und finster Kalten, unterbrochen von verdichteten Knotenpunkten, in DERS.: Lachen und Überleben. Echte jüdische Witze, denen der Zusammenhang von Land und Volk, von Per- serviert von Leo Prijs. (Herderbücherei 1126.) Freiburg/ sönlichkeit und Gemeinschaft, von Idee und Gestalt, At- Basel/Wien 1984. Verlag Herder. 124 Seiten.' mosphäre und Bedeutung aufleuchtet. Das Lesen wird zur Diese kleine Sammlung erhebt gar keinen Anspruch auf Lehre und zum Genuss. Und dennoch kann ich ehrlicher- Originalität. »Die Quellen der jüdischen Witze« werden weise nicht verschweigen, dass ich gelegentlich etwas un- vielmehr eigens angesprochen (41-45) und in den Anmer- befriedigt war. Potok hat es dem Leser manchmal sehr kungen ausgewiesen. Die Darbietung durch den Vf. be- schwer gemacht, aus den Mosaiksteinchen ein Bild zu zieht auch nichtjüdische Witze mit ein, so dass sich der schaffen, seine hin und wieder recht rätselhafte Diktion geneigte Leser der allgemeinen Struktur und der differen- zu verstehen, gerade da, wo er die Erkenntnis aus vielen tia specifica der rubrizierten Witze vergewissern kann. gereihten Einzelheiten vertiefen möchte. Ausserdem hat Peter Fiedler, Freiburg i. Br. die Übersetzerin manche Ausdrücke störend unübersetzt gelassen (z. B. Brigant, Suzerän). Auf Unstimmigkeiten, JEHUDA REINHARZ : Dokumente zur Geschichte des die in einer solchen Fülle nicht ausbleiben können, möch- deutschen Zionismus 1882-1933. (Wissenschaftliche Ab- te ich nur am Rande und mit einem einzigen Beispiel hin- handlungen des Leo Baeck Instituts 37.) Tübingen 1981. weisen: Potok baut seine Interpretation der Schlacht Josu- Verlag J. C. B. Mohr. IL/580 Seiten. as bei Gibeon auf die Lage der Stadt im Osten Jerusalems Bis in die zwanziger Jahre war der deutsche Landesver- auf. Sie liegt aber im Nordwesten. band der Zionistischen 'Weltorganisation zwar gering an Schwerwiegend scheint mir aber zu sein, dass die eigentli- Zahl, aber bedeutend an Einfluss, weil wichtige Persön- che Geschichte des jüdischen Volkes vor all den andern lichkeiten im Vorstand Deutsche und weil die wichtigen fast zu kurz kommt. Vor allem ist das Zentrum des Juden- Büros in Deutschland, in Köln zuerst, dann in Berlin wa- tums, das Pharisäertum etwa von Hillel bis zu Jehuda, ren. Da sich die Zionistische Weltorganisation so neutral dem Fürsten, nicht mit der gleichen Intensität in seinen wie nur möglich verhalten wollte, verringerte sich in ihr Grundzügen erfasst und mit der gleichen Wärme und der deutsche Anteil während des Ersten Weltkrieges und Hingabe geschildert wie etwa die Griechen oder frühen unmittelbar danach, vollends durch den Umstand, dass Moslems. Hier müsste meiner Meinung nach der Kristalli- die Hauptbüros zunächst nach London und später nach sationspunkt sein, wo sich die vielfältigen Linien, die von New York verlegt wurden, obwohl in dieser Zeit die Zahl der hebräischen Bibel herkommen, sammeln, umwandeln, der Zionisten in Deutschland erheblich, nämlich auf gestalten und von daher wieder ausstrahlen in die vielfälti- 20 000 Mitglieder, anstieg. gen Ausprägungen des Judentunis in der weltweiten Dia- Jehuda Reinharz ist bei der Sammlung dieser Dokumente spora. Dort ist die Darstellung dann zwar geraffter als die vielen Schwierigkeiten begegnet. Denn infolge der Nazi- des Altertums, aber in eindrucksvollen Bildern gestaltet. herrschaft wurden nicht nur die geschichtlich gewachse- Besonders bewegt hat mich die Geschichte des spanischen nen jüdischen Organisationen verboten und aufgelöst, Judentums der islamischen Zeit, das auch noch in seiner sondern auch deren Akten teils vernichtet, teils versteckt Zerstreuung tief befruchtend auf die Gemeinden der neu- oder in alle jüdische Welt verlagert. Die 215 ausgewählten en Gastländer wirkte. Sehr gelungen scheinen mir auch Dokumente fanden sich in drei Kontinenten, besonders in die letzten, immer persönlicher werdenden Abschnitte des New York und vor allem in Israel. Dabei musste der Be- Buches, wo all die fernen Ströme des Geschehens gleich- griff »Dokumente« recht weit gefasst und mussten oft an- sam in der einen Person mit Namen Chaim Potok zusam- stelle von Originalerem auch Protokolle von Kongress- menlaufen: die Katastrophe, die, gerade weil sie fast nur reden, Broschüren, Flugblätter und Zeitschriften herange- angedeutet ist, erschüttert, der Neubeginn, der, gerade zogen werden. Was aber, etwa aus Herzls und Bubers weil er nicht lautstark gepriesen wird, Hoffnung weckt, 'Werk, eh schon allgemein bekannt ist, wurde hier voraus- der Schluss, der, gerade weil er Fragen offenlässt, den gesetzt und darum ausgelassen. Jeder Text ist numeriert, Kreis der Geschichte Israels rundet. So kommt es, das Po- mit Überschrift versehen und datiert; sein Fundort wird toks »Wanderungen« nicht nur die Fülle der Ereignisse in angegeben. In Anmerkungen wird hervorragend kom- Zeiten und Räumen ausbreiten, sondern auch Probleme mentiert und werden die Daten der erwähnten Personen

155 präsentiert. Den Dokumenten voran gehen Danksagun- sten, wie man sagte, nicht aus Zionut, sondern aus Ger- gen, Verzeichnis der Dokumente, Verzeichnis der Archi- mania, also nicht aus Überzeugung, sondern, als Flücht- ve (22 an der Zahl!), der Abschnitt zur Einführung (eine linge, aus Not und Zwang. kurze, aber gehaltvolle Geschichte des deutschen Zionis- In den zwanziger Jahren kreisten die Diskussionen um mus auf 29 Seiten) und einige Bemerkungen zur Art der zwei Probleme. Einmal stand zur Debatte, ob auch ande- Dokumente und ihrer Bearbeitung; den Dokumenten re als zionistische Juden in der Jewish Agency mitarbeiten folgt ein ausführliches Personen- und Sachregister, das könnten. Die Sorge, dadurch könnte das zionistische Pro- die Benützung des Buches erleichtert. Der Band ist, wie gramm verwässert werden, wurde aber durch die weite die ganze Reihe, hervorragend ausgestattet. Beim Lesen und tatkräftige Hilfe aus fast allen Lagern beschwichtigt. störten mich manchmal die vielen Abkürzungen. Je grösser die Gefahr wurde, um so mehr traten die Un- Die Entwicklung des deutschen Zionismus mit seinen terschiede zurück vor den gemeinsamen Anstrengungen, wichtigsten Gruppierungen im Inneren und Gegnern im soviele Menschen wie nur möglich vor dem sonst sicheren Äusseren, mit seinen ideologischen Strömungen, Konflik- Untergange zu retten. Zum anderen wurde damals schon ten und Lösungsversuchen wird in historischer Folge dar- die arabische Frage gründlich durchdacht. Die offiziellen gestellt. Die Zeitspanne gliedert sich in vier Abschnitte: Vertreter der deutschen Zionisten traten für Mässigung anfangs entstanden verschiedene Organisationen, dann ein. Da sie mit ihren neuen Nachbarn im Israelland in folgte eine organisatorische Konsolidierung zwischen Frieden leben wollten, müssten sie realistisch bleiben; am 1897 und 1914, des weiteren die Epoche des Grossen besten liesse sich diese Haltung in einem binationalen Krieges und zuletzt die der Weimarer Republik. Fast das Staate verwirklichen. Die grösste Zahl der Dokumente zu ganze vorige Jahrhundert lang bestimmten religiöse Moti- einem Einzelthema bezieht sich auf die arabischen Unru- ve das Interesse am Israelland; erst seit den 1880er Jahren hen des Jahres 1929 und ihre Wirkungen auf die Zioni- traten, verursacht durch das Aufkommen des Antisemitis- sten in Deutschland. Was damals gesagt und geschrieben mus, praktische, politische, vor allem eben nationale Mo- wurde, das ist gegenwärtig noch und wieder ungemein mente als wesentlich dazu. An diesem geschichtlichen aktuell. Wendepunkt setzte Reinharz mit seiner Dokumenten- Das Buch schliesst mit dem Entscheidungsjahr 1933. Kurz sammlung und -kommentierung ein. Damals entstanden zuvor hatten sich Zionisten und Centralvereinler zum er- nämlich nicht allein viele zionistische Vereine und Verbin- stenmal für einen gemeinsamen Wahlkampf zusammenge- dungen, sondern wurden auch mancherlei zionistische schlossen, hatten sogar Zionisten noch gehofft, es entste- Zeitschriften begründet. Ihre praktische Aufgabe sahen he ein Pluralismus von Nationalismen und darin verbliebe die ersten zionistischen Organisationen Deutschlands da- ein Freiraum auch für jüdischen Nationalismus. Was aber mals in der Hilfe für die aus dem Osten durch Deutsch- von da an geschah und was von da ab dokumentarisch be- land nach Amerika flüchtenden Juden durch Sammeln legt ist, kommt aus einer derart komplexen, bespitzelten von Geld. Da die erste Generation auch der deutschen und gefährdeten Ausnahmesituation, war darum ver- Zionisten jüdisches Leben in Deutschland wie selbstver- schlüsselt, bleibt oft unverbindlich und unklar, so dass es ständlich bejahte, stellte sich ihnen die Frage der Loyalität zum Verständnis eines ausführlichen Kommentars be- in schärferer Form als anderen Juden. Aber sie wehrten dürfte, der den Rahmen des hier Vorgelegten sprengen sich, etwa gegen die Anschuldigung, sie gefährdeten die würde. Errungenschaften der Emanzipation, mit dem Hinweis, Jehuda Reinharz hat ein wertvolles Buch mit vielen zuvor dass auch sie gute Deutsche seien — was sie dann auch schwer zugänglichen Texten vorgelegt. Damit ist eine fe- durch Tapferkeit im Krieg bewiesen. ste Grundlage und ein weiter Rahmen geschaffen, jedem Während Mitglieder des Centralvereins mit Aufklärung, unentbehrlich, der sich intensiv mit diesem letzten und Angleichung oder auch mit Rechtsmitteln die Antisemiten wesentlichen Abschnitt der Geschichte des deutschen Ju- bekämpften, sahen Zionisten in der antisemitischen Dok- dentums befasst. Reinhold Mayer, Tübingen trin (leider zu Recht) eine unheilbare Krankheit, der nur durch der Juden Selbstvertrauen und Stolz sachgemäss zu ERNST ROTH / LEO PRIJS: Hebräische Handschrif- begegnen sei. ten. Teil 1 a im Verzeichnis der Orientalischen Hand- Die zweite Generation der Zionisten liess sich denn auch schriften in Deutschland. Ed. Wolfgang Voigt. Band VI, (seit kurz vor dem Krieg) durch Herzls Verneinung der 1 a. Wiesbaden 1982. Franz Steiner Verlag. 214 Seiten. Diaspora in solcher Weise bestimmen, dass sie ihre artge- Der Titel »Hebräische Handschriften« ist ungenau, denn mässe und kulturelle Verschiedenheit gegenüber den das hier zu besprechende Buch enthält nur die erste Hälf- Deutschen betonte. Vollends unter dem Eindruck der te der Handschriften der Stadt- und Universitäts-Biblio- Weltkriegserlebnisse — Begegnung mit lebendigem Juden- thek Frankfurt a. M. Der beabsichtigte Teil scheint dann tum in Osteuropa, Erschütterung über die Judenzählung, auch »Hebräische Handschriften in Frankfurt/M.« gewe- aber auch Hoffnung, erweckt durch die Balfour-Erklä- sen zu sein, wie es im Prospekt des Gesamtplans der rung — veränderten viele Juden ihr Ziel und ihr Verhalten: Handschriftenkataloge am Ende des Buches heisst. Das jetzt trat das Israelland in ihren Blick, jetzt fragten sich Buch ist eine lang erwartete Fortsetzung des schon 1965 einzelne, ob sie nicht selber aktiv als Bauern oder Arbeiter erschienenen Teils II der »Hebräische Handschriften« am Aufbauwerk mithelfen sollten. Und nach dem Krieg (VI 2), der Handschriften der kleineren Bibliotheken verliessen dann Junge ihre Schulen und Universitäten, Deutschlands besprach. Der Band VI 1 b wird die Fortset- fühlten sich dem Sozialismus verbunden und bereiteten zung der Handschriften der Frankfurter Bibliothek ent- sich auf die Einwanderung vor. Denn wie die Vorkriegs- halten, ausserdem sind noch die Bände VI 1 c und VI 3 an- zeit für die Zionisten in Deutschland durch ideologische gekündigt, ohne dass es klar ist, welche Bibliotheken sie Auseinandersetzungen vorrangig bestimmt war, so die umfassen werden. Der vorliegende Band scheint haupt- Zeit danach durch den Willen zu personhafter Verwirkli- sächlich von L. Prijs bearbeitet zu sein, der alleine das chung des zionistischen Traumes. Diese Wandlung ist Vorwort unterzeichnet. wichtiger, als Zahlen es beweisen könnten: vor dem Krieg Ein Katalog der Frankfurter Handschriften ist besonders zogen nur etwa 30, zwischen 1919 und 1933 höchstens notwendig geworden, denn noch nie zuvor sind die 2000 Zionisten aus Deutschland nach Israel. Unter denen, Frankfurter Handschriften als solche besprochen worden, die danach einwanderten, kamen dann wieder die mei- ausserdem hielt sich bis in die Gegenwart das Gerücht,

156 dass diese Handschriften im Zweiten Weltkrieg verloren- ste Talmudkommentar ist in MS 78 (Hananael) enthalten, gegangen seien. Dies scheint allerdings auf die wertvolle zu Traktat Niddha, der eine ältere und bessere Version Sammlung von Genizafragmenten zuzutreffen. Die erhalten hat als der Druck. Handschriften waren während des Krieges ausgelagert Eine Besonderheit der Frankfurter Handschriften ist es, und sind erst in den fünfziger Jahren nach Frankfurt zu- dass sie bei der wissenschaftlichen Edition einzelner Texte rückgekehrt, seitdem aber Wissenschaftlern zugänglich häufig oder meist übersehen wurden, obwohl es sich hin gewesen. Von den ca. 300 Handschriften sind nur ca. 20 und wieder um durchaus wertvolle Quellen, in seltenen Handschriften im Jerusalemer Mikrofilm-Institut mikro- Fällen sogar um die ältesten Quellen mancher Werke filmiert und verzeichnet, was wohl weiterhin zu der An- handelt. Das besondere Verdienst der Herausgeber ist es nahme verleitet hat, dass die Hauptmasse der Handschrif- nun, dass sie sehr sorgfältig jede Veröffentlichung der ten verlorengegangen ist; einige Gelehrte zitieren diese Werke, die hier in handschriftlicher Form vorliegen, Handschriften, als ob sie sich heute in Jerusalem befinden. vermerkt haben, ebenso, ob die Handschrift der Frank- Alle diese Irrtümer sind nun beseitigt durch das Erschei- furter Bibliothek zu einer wissenschaftlichen Herausgabe nen des Kataloges. Die Schwäche des Kataloges ist es, herangezogen wurde oder nicht bzw. ob sie erwähnt dass er die Handschriften nach der rein zufälligen Rei- wurde. henfolge des Frankfurter Kataloges bespricht und nicht Dabei stellt sich heraus, dass einiges wertvolle Material inhaltlich zusammenfasst. Das macht einen Überblick be- bisher gar nicht veröffentlicht wurde, anderes nicht min- sonders schwer, zumal, für den ersten Teil eines Werkes der wertvolles Material bisher in den vorhandenen wissen- verständlich, bisher ein Index fehlt. Nur durch Durchblät- schaftlichen Ausgaben nicht verwertet wurde. Dies gilt tern des Gesamtbuches kann sich der Wissenschaftler das auch für namhafte Ausgaben und Werke der Gegenwart, ihm Wichtige der Fülle von Mitteilungen entnehmen. die in den beiden letzten Jahrzehnten in Israel, Europa Die Sammlung von Frankfurter Handschriften ist — vergli- oder Amerika erschienen sind. Das Hauptverdienst des chen mit anderen grossen Bibliotheken wie Hamburg, Kataloges ist es, die Wissenschaft auf dieses Versäumnis München oder Berlin — recht jung. Die Frankfurter hingewiesen zu haben. Der Katalog bringt eine Fülle von Sammlung kann dann auch in keiner Weise mit Alter und Anregungen und Möglichkeiten zukünftiger wissenschaft- Wert dieser oder anderer kleinerer Bibliotheken wett- licher Arbeit. Dem Laien eröffnet der Katalog die Fülle an eifern. Im wesentlichen setzt sich die Sammlung aus zwei Themen und den Reichtum hebräischer Literatur in den Privatsammlungen zusammen. Der Hauptbestandteil letzten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends. stammt aus der Sammlung des Münchener Rabbiners und Michael Krupp, Jerusalem grossen Numismatikers Abraham Merzbacher (1812— 1885). Von dieser Sammlung besteht ein Titelkatalog von FOLKERT SIEGERT: Drei hellenistisch-jüdische Pre- Raphael Nathan Rabbinowicz. Der kleinere Teil der digten, Ps. Philon, »Über Jona«, »Über Simson« und Handschriften entstammt der Sammlung des Rabbiners »Über die Gottesbezeichnung >wohltätig verzehrendes und Bibliophilen Eljaqim Carmoly (1802 - 1875). Ende des Feuer<«. Übersetzung aus dem Armenischen und sprachli- neunzehnten Jahrhunderts kamen diese Sammlungen che Erläuterungen. Tübingen 1980. Verlag J. C. B. Mohr nach Frankfurt am Main. (Paul Siebeck). 109 Seiten. Von den hier besprochenen 150 Handschriften (wobei Da wir viel zuwenig Quellen über das hellenistische Ju- manche Handschriften mehr als einen Titel enthalten) dentum besitzen, ist jeder einzelne Text für uns wichtig. stammt die Hauptmasse (45 Handschriften) aus dem 18. Freilich haben wir von den hier vorliegenden Texten auch Jahrhundert, der Rest aus dem 17. (20), dem 19. (12), nicht mehr die griechischen Originale, sondern nur eine dem 14. (5) und sogar dem 13. Jahrhundert (1 Hand- armenische Übersetzung, die sich zufällig zwischen den schrift Nr. 35). Für 6 Handschriften geben die Herausge- Buchdeckeln einiger Philon-Codices gefunden hat. ber kein Alter an. 2 Nummern sind keine Hanschriften, Bei diesen Texten handelt es sich um Predigten, wobei die sondern Druck bzw. Fotokopie. Ein Teil der Handschrif- antiken Predigten mit den modernen nicht zu vergleichen ten sind Abschriften von Handschriften anderer grosser sind. Früher hatte man offenbar Stunden gepredigt. Über Bibliotheken. Für die Altersangaben steht man auf siche- Jona haben Juden wahrscheinlich schon in der Antike am rem Grund wohl nur bei den datierten Handschriften Versöhnungstag gepredigt (vgl. bMeg. 31 a). Besonders (36). Bei allen anderen Handschriften handelt es sich die hellenistischen Juden mögen von diesem Buche beson- um Schätzungen, zum Teil unter Beziehung auf Rab- ders angesprochen gewesen sein, weil es über ein exklusi- binowicz. Niemals werden Gründe der Schätzung mit- ves Judentum hinausweist: Jona wurde gesandt, um die geteilt. fernen Menschen aus Ninive zur Umkehr aufzurufen. Inhaltlich umfassen die bisher besprochenen Handschrif- Demgegenüber ist die Predigt über Samson, wie Siegert ten das ganze Spektrum hebräischer Literatur von Kom- meint, eher eine Warnung vor Proselyten. Auch in dieser mentaren zu Talmud über spätere exegetische Literatur Predigt bleibt die Thora im Hintergrund, was freilich zu (Midraschim), kabbalistische Literatur, Responsa, poeti- keinen Schlüssen auf die Haltung des Diasporajudentums sche Stücke (Pijutim), Liturgien und ethische Werke zu zulässt. Eher dürfte hier die christliche Rezeption von Be- philosophischen und naturwissenschaftlichen und apolo- deutung sein; man wählte aus und übersetzte, was in die getischen Abhandlungen. Originaltexte früher rabbini- eigene christliche Theologie passte. scher Literatur, wie Talmudtexte oder Texte der Haupt- Die Predigt »Über die Gottesbezeichnung . . .« enthält midraschim, finden sich nicht. Allerdings enthält MS 78 stoische Metaphysik und Gotteslehre, angewendet zur Al- Pergamentfragmente im Einband, die nicht herausgelöst legorisierung einiger illustrer Bibelstellen. Insofern finden zu sein scheinen und Fragmente der Talmud-Traktate wir hier einen einzigartigen Text, denn sonst verwendet Ketubot und Jebabot enthalten. An späten Midraschim das hellenistische Judentum vor allem stoische Ethik und enthält MS 35 eine wertvolle Sammlung kleinerer Midra- aus naheliegenden Gründen nicht Elemente des Gottesbe- schim (angeblich aus dem 13. Jahrhundert, sicher eine der griffes. Dieser wird in die Nähe des »Logos spermatikos« wertvollsten Handschriften der Sammlung). MS 93 ent- gerückt. Die von Gott »verbrauchte« Materie ist sein hält den Midrasch Tehilim (aus dem Jahr 1541), den Bu- weiblicher Gegenpart. »Denn das Weibliche, das Leiden- ber für seine Ausgabe berücksichtigte. Ebenso enthält de, ist die Materie, das Männliche aber der Weltschöpfer« MS 22 wertvolle kleinere Midraschim (14. Jh.). Der älte- (S. 87). Bei dieser Predigt »Über die Gottesbezeich-

157 nung .« handelt es sich leider nur um ein kurzes Frag- Churgin 1927 herausgegebenen »Targum Jonathan to the ment. Der Text geht von Gen 18, 2 aus, als Abraham die Prophets«. Der ganze Band ist ein Stück gelungener Wis- Erscheinung der drei Männer erhielt. senschaftsgeschichte. Dies, weil durch die »Studien« und Die Studie von F. Siegert ist für die Erforschung des helle- Churgins Werk ein zeitlicher Raum von mehr als 50 Jah- nistischen Judentums von Bedeutung; die Übersetzung ist ren abgedeckt ist. Es ist für den Leser wohltuend zu se- sehr sorgfältig und die notwendige knappe Kommentie- hen, wie eine neue Problematik sich aus den Aporien alter rung wesentlich zum Verständnis dieser schwierigen, aber Antworten ergibt. Für einmal besteht Wissenschaft nicht sehr interessanten Texte. Ernst Ludwig Ehrlich, Basel darin, den Früheren nachzuweisen, dass sie nicht recht haben, sondern darin, dass ihr Ansatz aufgegriffen und LEVY SMOLAR / MOSES ABERBACH: Studies in weitergeführt wird. Dies geschieht nicht in einer unkriti- Targum Jonathan to the Prophets. Pinkhos Churgin, Tar- schen Weise. gum Jonathan to the Prophets. New York 1983. Ktav. Ferner scheint mir das Werk auch ein gut gelungener Ver- XXIII, 453 Seiten. such zu sein, wie Exegese betrieben werden kann. Die Die Verfasser (Smolar/Aberbach) gehen von der Feststel- Targumisten übersetzten die Bibel so, dass sie für die lung aus, dass TJon ( = Targum Jonathan to the Pro- Zuhörer zur Orientierung werden konnte. Kritisch in die- phets) eine der wichtigsten Quellen des frühen rabbini- sem Zusammenhang ist allerdings zu fragen, ob nicht die schen Judentums sowie des Christentums in den ersten Übersetzungsarbeit der Targumisten mehr hätte ausge- Jahrhunderten ist. Weil Targume in der Synagoge Ver- leuchtet werden müssen. wendung fanden, »erklärten und weiteten die Targu- Die Schwäche dieser Darstellung besteht in ihrer Systema- misten das aus, was ihnen dunkel erschien, passten Ereig- tik, die dogmatische Meinungen der Verfasser wiedergibt. nisse der Vergangenheit den Ideen der Gegenwart an und Man kann dies an ihrer Behandlung der Sekina zeigen: betonten die Moral, die aus der Nationalgeschichte (na- Seite 221 geben sie eine Art Definition der Sekina: »Die tional history) gelernt werden konnte« (XI). Ferner hatten rabbinische Literatur im allgemeinen und die Targume im sie die Tendenz, prophetische Äusserungen auf die unmit- besonderen verw-enden den Ausdruck Sekina (wörtlich telbaren Feinde Israels zu beziehen. göttliche Gegenwart) entweder als eine Alternative für Ob die Targume auch Anthropomorphismen vermeiden, Gott (besonders wo anthropomorphe Ausdrücke vermie- wie allgemein angenommen wurde, wird in der Forschung den werden müssen) oder um die numinose Immanenz nicht widerspruchslos hingenommen. Implizit scheinen Gottes im geschaffenen Universum zu beschreiben.« Zwar sich die Autoren jedoch an diese hermeneutische Regel zu wird diese Definition von den Verfassern selbst an mehre- halten. ren Stellen modifiziert. Aber auch so verhindert diese Um- Im ersten Teil der Studie dokumentieren die Verfasser schreibung eine adäquate Interpretation der Sekina-Stel- überzeugend, wie die Halacha die Übersetzung der Bibel len. Fragwürdig ist vor allem die Anthropomorphismus- beeinflusste. »Wo Halacha und Geschichte nicht überein- These. In 1 Kön 6, 13 heisst es: »Ich werde mitten unter stimmen, opferte rabbinische Exegese stets die authenti- den Söhnen Israels wohnen.« TJon zu dieser Stelle lautet: sche Geschichte auf dem Altar unentwegter Halacha« »Ich werde meine Sekina mitten unter den Söhnen Israels (14). In einem weiteren Teil (63-128) zeigen sie auf, wie weilen lassen.« Sekina ist hier der theologische (ein tradi- die realen gesellschaftlichen Verhältnisse der rabbinischen tionell jüdischer Rezensent würde sagen: halachische) Zeit die biblische ÜberSetzung beeinflusste. Term für die Daseinsweise Gottes in der israelitischen Be- Die »Theologischen Vorstellungen« (concepts: 129-227) schränkung. Damit bleibt der Anthropomorphismus, werden mit der Feststellung eingeleitet, dass dort, wo die wenn auch in anderer, theologisch reflektierter Diktion, Übersetzung vom Literalsinn des biblischen Textes ab- bestehen. weicht, eine theologische Absicht dahintersteht (129). Die Dass mit dem Sekina-Begriff kaum einmal die anthropo- Theologie, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ist ortho- morphistische Ausdrucksweise der Bibel bekämpft werden dox, d. h. so wie sie von den Pharisäern und Rabbinen will, zeigt etwa auch der Vergleich zwischen les 64, 3 mit entwickelt wurde. Die Einzigartigkeit und Einheit Gottes, dem entsprechenden Targum. Die biblische Stelle lautet: des Schöpfers, wird in den Mittelpunkt gestellt. Gott kann »Kein Auge hat einen Elohim wie dich gesehen.« TJon mit nichts verglichen werden, und was seiner nicht ge- übersetzt: »Kein Auge sah, was dein Volk sah: die Sekina, ziemt, wird von ihm ferngehalten (132 f.). Betont wird sei- deine Pracht, YHWH!« Hier ist die Sekina kein Ersatz- ne Allgegenwart, die wichtiger ist als seine Allmacht. Des- wort für Gott im allgemeinen, sondern die Präzisierung halb werden Sekina und Memra bedeutsam — wobei Gott des Gottes Israels, dessen spezielle Eigenschaft das Ein- nicht vermittelnder Wesen bedarf. Memra wie auch wohnen sei. Die Theologisierung des Weilens Gottes mit- Sekina dienen als Blitzableiter (lightening conductor), um ten in Israel geschieht also nicht aus Furcht vor dem un- ungeziemende Ausdrücke von Gott fernzuhalten (131). aussprechlichen oder gar absolut transzendenten Gott Is- Die Tora wird zum eigentlichen hermeneutischen Schlüs- raels, sondern aus homiletischen Rücksichten: Es war den sel für das Lesen der Gegenwart: Geschichtliche Kata- rabbinischen Gottesdienstgemeinden klar, dass der Israel strophen wie Exil, Tempelzerstörung sind Folgen der zugewandte Teil Gottes mit dem Ausdruck Sekina präzise Nichtbeobachtung und des Nichteinhaltens der Tora. umschrieben werden kann. Reue heisst demnach immer Zurückfinden zur Tora. We- Auch in einem weiteren Punkt ist die definitorische Anga- gen der Zerstörung des Tempels und des Fehlens des be des Verfassers ungenau: Die Sekina wird nur sehr sel- Tempelkultes erhalten das Gebet und der Gerechte eine ten auf das Universum bezogen, sie meint vorwiegend besondere Bedeutung. Der Gerechte wird belohnt, sein Gottes Verweilen mitten unter den jüdischen Gemeinden Lohn ist die Erlösung. Aber auch Israel als Gemeinschaft sowie Gottes endzeitliche Heimführung Israels und seine soll belohnt werden. Der Sünder aber wird mit der Ferne Belohnung der Gerechten in der kommenden Welt (vgl. Gottes im Gehinnon bestraft, wo er zum zweiten Tod bBer 17a; TJon zu Ez 38, 35 und zu Hab 3, 4 und die teil- auferstehen wird. Immer wieder wird Gottes absolute weise anderslautende Deutung der Verfasser Seite 221 f.). Gerechtigkeit betont, welcher nur nach dem Mass der Damit will nicht gesagt sein, dass die Sekina-Traditionen Sünden bestraft und auch dann nur, wenn dieses Mass er- nicht auch dazu dienen, die ehrfürchtige Rede über den füllt ist. transzendenten und immanenten Gott zu fördern. Dieser Studie folgt nun der Neudruck des von Pinkhos Hanspeter Ernst, Luzern

158 PETER SCHÄFER: Geschichte der Juden in der Antike. ABRAHAM SCHAUT (Hrsg.): Zur Josephus-For- Die Juden Palästinas von Alexander d. Gr. bis zur arabi- schung. (Wege der Forschung, Bd. 84). Darmstadt 1973. schen Eroberung. Stuttgart 1983. Kath. Bibelwerk. 287 S. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 419 Seiten. Eine Geschichte der Juden Palästinas von der Zeit an, da Durch seinen Titel verrät das Buch bereits seine Richtung: Alexander der Grosse seinen Siegeszug in den Orient an- Seine Beiträge sind vor allem dem forschungsgeschichtlich trat (333 v. Chr.), bis zur Zeit, da die Muslim sich des hei- Interessierten dienlich. Abraham Schalk stellt darin 14 be- ligen Landes bemächtigten (636 n. Chr.), ist ein längst reits einmal publizierte Aufsätze von zehn verschiedenen herbeigewünschtes Ereignis. Der Berliner Judaist Peter Autoren vor. Den Zweck des Bandes erklärt der Heraus- Schäfer erfüllt mit seiner überblicklich und verständlich geber so : ». . . Sammlung, die in der Hauptsache eine Ein- geschriebenen Untersuchung dieses Desiderat. Es geht führung in die Josephus-Studien der letzten siebzig Jahre ihm vor allem um die Darstellung der politischen Ge- in den Hauptzügen sein soll« (S. XV). schichte Palästinas, »wobei unter >politisch< aber nicht die Obwohl die Auswahl sowohl der Autoren wie der behan- blosse Abfolge von Herrschern und Schlachten verstanden delten Themata zwangsmässig eingeschränkt werden ist, sondern die Verflechtung von politischem Handeln musste, weisen die verschiedenen Beiträge doch recht mit sozialen, wirtschaftlichen und religiösen Gegebenhei- deutlich auf die häufigsten Problemkreise und ihre Be- ten« (11). Das Buch sei nicht für Fachleute geschrieben, handlungen innerhalb der Josephus-Forschung hin. Man sondern »soll von allen benützt werden können, die am könnte die Hauptinhalte der — durchaus heterogenen — Judentum interessiert sind, insbesondere aber auch von Artikel, Aufsätze und Vorlesungen auf vier grosse Grup- Studenten der Theologie und der Judaistik« (13). pen reduzieren : Den Haupteinschnitt in dieser über 900jährigen Epoche 1) Der immer wiederkehrende Ansatz ist die Persönlich- bildet das Jahr 70 n. Chr., als der Tempel von Jerusalem keit des Josephus. Aufgrund deren Beurteilung wurden von den Römern zerstört wurde. Die Zeit nach 70 n. Chr., und werden oft problematische Stellen wie Berichte und d. h. die Zeit der Rabbinen, ist Peter Schäfer eher besser deren historische Glaubwürdigkeit, Quellenkritiken, lite- geraten als das Frühjudentum vor 70 n. Chr. In frühjüdi- rarische Abhängigkeiten, allgemein philologische Unter- scher Zeit spielten sich Dinge ab, die folgenschwer wur- suchungen und das »Testimonium Flavianum« je anders den. Schäfer weist auf sie hin, aber er gewichtet nicht im- interpretiert. 2) Urkunden und die Echtheitsfrage. 3) Die mer genügend. Etwa die Errichtung des Zeuskultes in Jeru- »Sekten« des Judentums gemäss Josephus. 4) Josephus salem (167 v. Chr.) wäre einer wirkungsgeschichtlichen und die hellenistische Geschichtsschreibung. Analyse würdig gewesen (vgl. S. 59). Auch eine Erörterung So divergieren die Meinungen zu Punkt 1 von einer spür- der Schwächen und Tücken des Geschichtsschreibers Jose- baren Geringschätzung (der persönlichen Arbeit) des Jo- phus Flavius wäre gut gewesen, zumal Josephus notwen- sephus (v. a. Willrich, z. T. auch Niese) bis hin zu diffe- digerweise der von Schäfer am häufigsten zitierte Autor ist. renzierter Hochschätzung seines Werkes (v. a. Bickerman Bezüglich der rabbinischen Zeit ist Schäfer ein souveräner und Schalit). In bezug auf das »Testimonium Flavianum« Autor. Als kritischer Leser gerät man bisweilen geradezu in (Ant 18, 639 hoffte und wünschte Norden schon im Jahr den Bann seiner Ausführungen. Besonders wichtig sind sei- 1913, »dass nunmehr das Zeugnis des Juden über Jesus ne Darlegungen über die Rabbinen, insofern sie sich als Christus dauernd in der Versenkung verschwinde« (S. 46). geistige Nachfahren der durch die Tempelzerstörung »ar- Laqueur zählt gleichsam die Sünden des Josephus auf und beitslos« gewordenen jerusalemischen Kultpriester ver- spricht von »unerhörten Verfälschungen« (S. 83) in bezug standen. Die Mischna gibt ihre Identität wieder: »Der ent- auf das Bellum, das »vielleicht die innerlich verlogenste scheidende Unterschied zum Ideal der Priester bestand al- Schrift« (ebd.) ist. lerdings darin, dass sie . . . versuchten, die Heiligkeit des Beim zweiten grossen Themenkreis (»Urkunden«) scheint Tempels auf alle anderen Bereiche des täglichen Lebens zu sich innerhalb der fortschreitenden Forschung mehr und übertragen; d. h. sie waren bestrebt, ganz Israel zu Prie- mehr die These der Echtheit gewisser bisher umstrittener stern zu machen und damit das private Haus oder noch ge- Dokumente und ihre Applikation durch Josephus zu er- nauer den privaten Tisch zu einem Modell des Tempels. härten (v. a. Bickerman, in etwa auch Thackeray). Der Tempel selbst und der Kult im Tempel war letztlich Im dritten Themenfeld ist Moores »Verdacht« der Her- nicht mehr notwendig, also entbehrlich. Jeder, der die von kunft der Stelle der drei jüdischen haireseis bei Josephus ihnen entwickelten Reinheits- und Speisevorschriften ein- (Ant 13, 171-173) unmittelbar aus dem Werk Nikolaus' hielt, machte sein Haus und seinen Tisch zum Tempel und von Damaskus (S. 182 f.) umstritten oder mindestens nicht trug dazu bei, die ursprünglich auf den Tempel begrenzte eindeutig wie auch Grintzens Aufsatzthematik aus der Heiligkeit auf ganz Israel zu übertragen« (148; vgl. »Frühzeit« (1953) in bezug auf die Identität der Qumran-

178 - 181). Hinter dem Bar-Kochba-Aufstand sieht Schäfer leute mit den Essenern. zu Recht auch innerjüdische Auseinandersetzungen. Tora- Schliesslich untersucht Collomp den Platz des Josephus in Rigoristen, die die volle und ungeteilte Einheit der Tora im der Technik der hellenistischen Geschichtsschreibung im religiösen wie im politischen und sozialen Sinn verwirkli- Vergleich zu griechischen und römischen Literaten. Wel- chen wollten, suchten sich gegen jüdische »Hellenisten« che Ansichten Josephus als Historiker zum »Verhältnis Is- durchzusetzen (159- 175). Wichtig für die Erforschung der raels zu den Völkern« prägten und beschäftigten, erörtert späteren rabbinischen Literatur ist auch die Feststellung Schlatte r. Schäfers, von ca. 220 bis ca. 250 sei Griechisch, nicht Aus dem Gesamt der Beiträge zur Josephus-Forschung ist Hebräisch, »die gemeinsame Sprache der Juden Palästinas entnehmbar, dass vorder- oder hintergründig die ambiva- und der Diaspora« gewesen (181). S. 189 begeht er den lente Persönlichkeit des Josephus auch in der neueren Fehler, aus einem rabbinischen Gleichnis, in dem ein Forschung ihre spezifischen Probleme aufgibt, selbst dort, Räuber vorkommt, auf grosses Räuberunwesen in Palästi- wo sich ein Konsensus der Meinungen abzuzeichnen be- na zu schliessen. Da die rabbinischen Gleichnisse bewusst ginnt. Man darf hoffen, dass dieser forschungsgeschicht- konstruiert wurden, geben sie keine direkten Einblicke in lich interessant gestaltete Band noch die Nebenwirkung die damalige soziale Situation. zeitigt, dass gegenwärtige und künftige Forscher ihr Au- Insgesamt ist Peter Schäfer sehr für dieses gute Buch zu genmerk auch auf Themen richten, die in der bisherigen danken. Er führt uns mit grosser Meisterschaft in sehr kom- Josephus-Forschung zu kurz gekommen sind. plexe Vorgänge ein. Gabriel Orlandini, Zugerberg/CH Rita Egger, Fribourg

159 CHAIM SCHATZKER: Die Juden in den deutschen Ge- losophie und Jura. Er war Professor für Philosophie in schichtsbüchern. Schulbuchanalyse zur Darstellung der Petersburg und Berlin, von wo er 1934 nach London emi- Juden, des Judentums und des Staates Israel. (Schriften- grierte. Führende Aufgaben im Jüdischen Weltkongress reihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band und in der Unesco machten ihn zu einer der herausragen- 173.) Bonn 1981. 188 Seiten. den Persönlichkeiten der jüdischen Welt. Sein historisches Die erste, breit angelegte systematische Studie über »Jüdi- Interesse verdankte er besonders seinem Freund Simon sche Geschichte in deutschen Geschichtslehrbüchern« Dubnow, dessen Hauptwerke er vom Russischen und He- wurde 1963 von Ch. Schatzker gemeinsam mit dem in- bräischen ins Deutsche übersetzte. Er starb 1975. zwischen verstorbenen Erziehungswissenschaftler S. B. Der vorliegende Band von Aufsätzen aus mehreren Jahr- Robinsohn erarbeitet. zehnten, die ursprünglich in Russisch, Jiddisch, Deutsch Zu diesem Thema liegt nun eine neuerliche Untersuchung oder Englisch erschienen waren, zeigen einen Denker, von Ch. Schatzker vor, der Erziehungswissenschaften an der sich nicht auf jüdische Fragestellungen beschränkt, der Hebräischen Universität Jerusalem lehrt und als Gast- sondern die Umwelt, besonders des Christentums und des professor an der Hochschule für jüdische Studien in Hei- Sozialismus, mit einbezieht und der gerade von daher die delberg tätig ist. zutiefst messianische Aufgabe des Judentums begreift. Sei- Seine Analyse basiert auf einer repräsentativen Auswahl ne eigenwillige Deutung geschichtlicher Situationen wer- von 34 heute in der Bundesrepublik Deutschland verbrei- den im Rückblick höchst interessant, ja manchmal gerade- teten Geschichtslehrwerken und wird von der Auffassung zu ergreifend. Ähnlich wie Franz Rosenzweig in s'einen geleitet, dass »das Judentum anhand seiner gemeinschafts- Aufsätzen, nimmt er Tagesereignisse zum Ausgangs- bildenden Elemente verständlich gemacht und, historisch- punkt, um historischen Linien nachzuspüren, geschichtli- kausalen Zusammenhängen Rechnung tragend, in wie im- che Konturen herauszustellen. Im Vergleich kommt aber mer auch geraffter Übersichtlichkeit dargestellt werden bei Steinberg, obwohl Philosoph, die historische Seite (sollte)«. (S. 34) mehr heraus, er ist weit bewandert in der Geschichte Die methodische Grundlage der Untersuchung bildet eine Russlands, Amerikas, der katholischen Kirche. Er sieht Kombination von quantitativer Bestandsaufnahme und schon in den späten zwanziger Jahren die Katastrophe qualitativer Analyse der Inhalte jüdischer Geschichte in heraufziehen, besitzt aber den starken, realistischen Opti- den einzelnen Lehrwerken, gegliedert nach sechs Haupt- mismus des Judentums, der in den jahrhundertelangen perioden: 1. Von den Anfängen bis zur Errichtung des Leiden des Exils gewachsen und gereift ist. Zweiten Tempels; 2. Die Zeit des Zweiten Tempels; 3. Der Band wird eröffnet durch ein Porträt des originellen, Das Mittelalter; 4. Die Neuzeit bis zum Ende des Ersten unabhängigen Denkers, des warmherzigen Aristokraten Weltkrieges; 5. Weimarer Republik und »Drittes Reich«; und toleranten religiösen Juden (von Gerhart M. Rieg- 6. Das Judentum nach dem Zweiten Weltkrieg. ner). Uriel Tal schrieb die Einführung, in dem er die Hin- Als Hauptergebniss dieser vorbildlich angelegten quanti- tergründe und Voraussetzungen der Entwicklung dieses tativen Inhaltsanalyse kann festgehalten werden, dass in die ganze westliche Kultur und Geschichte umfassenden einem Grossteil der untersuchten Geschichtsbücher »Ju- Denkens herausarbeitete'. Die Aufsätze Steinbergs sind in den plötzlich und unmotiviert da oder dort auftauchen, vier Abteilungen gegliedert: Das kulturelle Element im hi- zuweilen ebenso unmotiviert vertrieben und immer wieder storischen Wandel, Jüdische Ethik und messianische gehasst und verfolgt werden, ohne dass das eine noch das Hoffnung, Gestalten und Missbildungen des Messianis- andere erklärt wird« (S. 49 f.). Zwar finden sich in einigen mus, In die Zukunft. Eine Arbeit über die frühen messia- Lehrwerken Bemühungen, in Form von Rückblenden nischen Bewegungen des Judentums zeigt, wie Steinberg oder Vorgriffen Beziehungslinien zwischen den verstreu- die ganze jüdische Geschichte heimlich von messianischen ten Inhalten jüdischer Geschichte aufzuzeigen. Eine voll- Impulsen bewegt sieht. Da sich der Autor intensiv mit Do- ständige zusammenhängende Behandlung allerdings, die stojewsky befasst hat, vermag er in »Dostojewsky und die bereits in der Schulbuchuntersuchung von 1963 empfoh- Juden« den tiefen Widerstreit des Dichters zwischen Isra- len wurde, erfolgt nur in einem für das Kurssystem der elliebe und Antisemitismus lebendig anschaulich, zugleich gymnasialen Oberstufe konzipierten Themenheft. die Gründe christlicher Haltung gegenüber Juden einsich- Es bleibt zu befürchten, dass die Darstellung der Juden in tig zu machen. Das dialektische Gegen- und Miteinander den heutigen Geschichtslehrbüchern in der Regel wenig von Religion und Sozialismus, christlicher Vorwegnahme dazu geeignet ist, den Schülern eine fundierte, auf Ein- und jüdischer Erwartung des Messianischen, von Friede sicht in historisch-kausale Zusammenhänge beruhende und Gerechtigkeit, Liebe und Wahrheit, Realismus und Stellungnahme zu ermöglichen, die sie befähigt, neuerli- Utopie, ja Wundererwartung, gestaltet das Nachdenken chen Formen der Feindseligkeit Juden gegenüber enga- über »Sozialismus und Messianismus«. giert entgegenzutreten. Nicht nur interessant, sondern wichtig ist es in der Gegen- Neben einer Fülle von Einzelbelegen für diese Einschät- wart einer drohenden Zukunft, Stimmen zu hören, die er- zung bietet die vorliegende Publikation auch Hinweise, zählen, wie der Nationalsozialismus von wachen Geistern wie angemessenere Schulbuchtexte aussehen könnten. Für vor der Katastrophe erlebt wurde. Steinberg sieht 1934 die Erarbeitung weitergehender, mehr systematisierter das »Christentum in der Krise«. Nachdem die Kirche aus Empfehlungen an Lehrplankommissionen und Schulbuch- ihren grossen Krisen, dem Ost-West-Schisma des Alter- autoren, die der Zusammenarbeit von Historikern, Ge- tums, der Reformation des Mittelalters und der Französi- schichtsdidaktern und Erziehungswissenschaftlern bedarf, schen Revolution der Neuzeit gestärkt hervorgegangen hat Ch. Schatzker eine unentbehrliche Grundlage ge- ist, steht sie nun in der schwersten Krise angesichts der schaffen. Ursula Reck, Freiburg i. Br. Bedrohung durch Bolschewismus und Faschismus gleich- zeitig. Nach anfänglichen Angleichungen und Kompro- AARON STEINBERG: History as Experience. Aspects missen werden beide Kirchen in Deutschland unter zu- of Historical Thought — Universal and Jewish. Selected nehmender Bedrohung in den Widerstand und das Märty- Essays and Studies. New York 1983. 486 Seiten. rertum Einzelner geführt. Erschütternd, wie Steinberg Aaron Steinberg, 1891 in Russland geboren, erhielt eine nun die Solidarität des Judentums mit der christlichen Si- traditionell jüdische, aber auch weltlich-aufklärerische Er- tuation begreift. In den mittelalterlichen judenchristlichen ziehung und studierte in Petersburg und Heidelberg Phi- S. u. S. 195 (Anm.: Gertrud Luckner).

160 Disputen sieht er immer noch die gemeinsame Grundlage Wer allerdings erwartet, dass das neue Buch seinen Klap- der hebräischen Bibel und das gemeinsame Ziel ihrer Aus- pentext getreulich erfüllt: »Der Wiener Judaist widerlegt legung; zwischen Rosenbergs Glauben des zwanzigsten das alte Vorurteil, der Talmud sei ein dunkles, unver- Jahrhunderts und den biblischen Religionen ist der Ab- ständliches Buch«, der wird, sollte er nach der Lektüre grund unüberbrückbar. Aber nicht das Christentum wird dieses Buches den Talmud selbst zur Hand nehmen, ent- aufgerufen, dem bedrängten Juden zu helfen, sondern die täuscht sein. So leicht lassen sich die Verstehensschwierig- Juden, dem Christentum im Kampf gegen das neue Hei- keiten mit dem Talmud nicht überwinden. Das Buch ist dentum beizustehen, und zwar Juden, die wirklich Juden keine praktische Anleitung zum Verständnis dieses Bu- sind und die seit alters gerufen sind, einen Weg durch die ches. Nirgends wird die Formelsprache des Talmuds er- Wüste zu bahnen. klärt, nirgends seine genau durchdachte Logik von Punkt 1930 zeigt Steinberg, wie die Zentren Paris — Rom — Jeru- zu Punkt in seiner Gedankenführung eines gesetzlichen salem im zwanzigsten Jahrhundert von Moskau — New Arguments wirklich erklärt. Wahrscheinlich ist ein solches York — Jerusalem ersetzt worden sind. Die wichtigen re- Unterfangen auch ohne gediegene Hebräisch- und Ara- volutionären Kräfte der Gegenwart gehen von Russland mäischkenntnisse gar nicht möglich. Was das Buch aber aus, vom Sozialismus, vom russischen Menschen in seiner wirklich leisten kann, den interessierten Laien und Stu- Vitalität und Unmittelbarkeit und seiner Verbundenheit denten eine Vorstellung zu geben, was ihn bei der Lektüre mit dem Land, was vor allem die Bilu-Bewegung der frühe- des Talmuds erwartet und welche geistige Kraft hinter ren Zionisten beeinflusst hat. Aber auch die neue Welt- den trockenen Sätzen und den Tausenden von eng be- macht Amerika, welche die neuen Möglichkeiten der druckten Folioseiten verborgen ist, welcher Schatz hier Technik und des Geldwesens in ungeahnter Weise zur Ent- eventuell zu haben ist. wicklung brachte, wirkte auf die Bildung der Jewish Agen- Das Buch enthält drei Teile, der erste und letzte, zusam- cy als eines weltweiten Instruments der Zusammenarbeit men nur ein Viertel des Buches ausmachend, enthalten ei- zionistischer Kräfte. Beides hat die Entwicklung einer jüdi- nen historischen Überblick über die Entstehung des Tal- schen Heimstatt in Erez Jisrael bestärkt, aber beide brach- muds und seine Wirkungsgeschichte. Gerade der letzte ten auch die Gefahr, heidnische Untugenden über das bi- Teil, besonders das Kapitel über den Talmud in der christ- blische Erbe des Landes herrschen zu lassen, die Gefahr, lichen Polemik, ist ausgesprochen spannend zu lesen und dass Juden, die 2000 Jahre lang Jerusalem im Exil nicht zeigt die erschreckende Ignoranz des Christentums ge- vergassen, es nun in Jerusalem selbst vergessen könnten. genüber seiner Schwesterreligion. Den Hauptteil des Bu- Die erstaunliche Aktualität vieler Gedanken Steinbergs ches bilden ausgewählte Partien des Talmuds nach der lassen diese historischen Aufsätze zu einer spannenden Übersetzung des Verfassers mit kurzen Anmerkungen Lektüre werden, die gegenwärtige Diskussionen berei- zum Text und mit einer je nach Schwierigkeit des Textes chern könnten. Annemarie Mayer, Tübingen kürzeren oder längeren Erklärung am Ende eines jeden Abschnittes. Schon die Länge dieses Teiles, fast drei Vier- GÜNTER STEMBERGER: Der Talmud. Einführung, tel des Buches, machen deutlich, dass es sich hier um den Texte, Erläuterungen. München 1982. Verlag C. H. Beck. Schwerpunkt des Buches handelt. Mit Register, 324 Seiten. Diese Auswahl unterscheidet sich nun wohltuend von der Der Talmud ist wohl das Buch, das am meisten umstritten Fülle der Talmud-Blütenlesenliteratur, die am Anfang des wurde in seiner 1500jährigen Geschichte, geschmäht von Jahrhunderts, aber auch heute noch auf dem Buchmarkt seinen Gegnern, Lebenspfad und Leuchte für seine Ver- zu haben ist, die es sich zur Aufgabe macht, die »schönen fechter. Wenn das Buch so auch in aller Munde ist, so ha- Partien«, besonders das erzählerische Gut aus dem Tal- ben doch die wenigsten eine klare Vorstellung, was er ei- mud, zusammenzustellen, das ja gar nicht so typisch für gentlich beinhaltet, obwohl es nicht an Büchern gefehlt dieses Buch ist. hat, die ihn beschrieben, erläutert, verketzert oder geprie- Der Schwerpunkt des Talmuds ist die gesetzliche Litera- sen hätten. tur, die meist ganz übergangen wird. Auch Stemberger Die Literatur über ihn würde eine ganze Bibliothek füllen. hat sie sicher nicht in den rechten Proportionen ausge- Seit 80 Jahren gibt es auch eine deutsche Übersetzung. wählt, aber sie bilden doch einen wichtigen Bestandteil Aber all das hat nicht zu seinem Verständnis beigetragen. seiner ausgewählten Texte, wobei die Texte gut ausge- Das mag einmal am Umfang dieses Werkes liegen. 20 Fo- wählt und kommentiert sind. Ob ein Laie sie in seiner lo- liobände füllt die klassische Talmudausgabe mit allen gischen Folge immer nachvollziehen kann, kann ich nicht Kommentaren, die vor hundert Jahren in Wilna erschien entscheiden; vielleicht wäre es ratsam gewesen, wie auch und seitdem dutzende Male nachgedruckt wurde. 12 Bän- später bei den erzählerischen Stoffen, weniger Material de umfasst die Übersetzung von Daniel Goldschmidt, der auszuwählen und dieses Material noch ausführlicher zu nur die Übersetzung zum Text des Talmud selbst enthält. erklären. Jedenfalls wurden die verschiedenen Gattungen Und der, der sich in die Lektüre der Übersetzung zu ver- gesetzlicher Texte anhand von inhaltlich interessanten tiefen begann, hat bald unbefriedigt davon abgelassen. Gebieten durchexerziert. Auch in der Übersetzung scheint der Talmud ein ver- Etwas ausführlicher wird die nichtgesetzliche Literatur in schlossenes Buch zu sein mit sieben Siegeln, in fremden ihren vielen Spielarten vorgestellt, angefangen von histori- Gedankengängen sich bewegend, in unverstandenen An- schen, biographischen Erzählungen über Wunderge- spielungen und sinnlos 'scheinender Logik, von Punkt zu schichten, Fabeln, Polemik, Gleichnisse hin bis zu Gebe- Punkt unvermittelt springend. Was aus dem Talmud von ten, Predigten und nichtgesetzlichen Bibelauslegungen. Freunden und Feinden dann gemacht wurde, ist eine Aus der Fülle des Stoffes kann natürlich in einem solchen Fundgrube schöngeistiger Sätze, amüsanter Anekdoten, begrenzten Rahmen nur ein kleiner Teil ausgewählt wer- erbaulicher Erzählungen oder, wenn Antisemiten die den und auch nur in sehr begrenztem Umfang. Die Aus- Fundgrube durchstreiften, ein Abgrund von Abscheulich- wahl wird immer eine nur sehr individuelle sein können. keiten, dummer Phantasien, Hasstiraden gegen die Nicht- Trotzdem sei dazu dem Rezensenten hier eine einzige juden, Lästerung der Dreieinigkeit Gottes und überhaupt Anmerkung gestattet: Im Rahmen der Wundergeschich- Ausgeburt von Teufelswerk. Auch darüber wird der inter- ten, in denen viel von der Gebetskraft um Regen die essierte Leser in dem hier vorzustellenden Buch »Der Tal- Rede ist, die sehr typisch in der rabbinischen Literatur mud« mehr erfahren. sind, werden auch zwei Heilungsgeschichten berichtet

161 (S. 191 f.). In der sehr kurzen Anmerkung dazu spricht dentum. Der Grundtext für die römerfreundliche Haltung

Stemberger von »dem Typus der Fernheilung durch Ge- ist i Makk 8, 1 - 16. Stemberger nennt dieses um 100 bet, wie ein Vergleich mit Joh 4, 43-54 zeigt«. Er vergisst v. Chr. entstandene Werk ein jüdisches Werk »späterer aber, anzumerken, dass diese Heilungsgeschichten im Ge- römischer Propaganda« (6) und »eine bewusste Schön- gensatz zur neutestamentlichen Literatur in der rabbini- färbung Roms« (9). Recht originell meint er, die jüdisch schen Literatur ganz vereinzelt dastehen und so durchaus traditionelle Rechtfertigung für die jüdische Römer- nicht typisch sind. Auch der andere Hinweis auf Lk 8, 55 freundlichkeit sei Dtn 7, 1 f. gewesen, wonach Israel »mit ist wieder nur eine neutestamentliche Parallele. In der Städten, die sehr weit von dir entfernt liegen«, freund- zweiten Wunderheilung, wieder ist der Wundertäter der schaftliche Beziehungen unterhalten soll. Die Nachbaror- fromme Rabbi Hanina ben Dosa, tritt die Frage auf, war- te hingegen seien wegen ihres Verführungswillens zum um dieser so unbedeutende Rabbi heilen kann und der Götzendienst zu bekämpfen und zu meiden (9 f.). Die grosse Rabbi Jochanan ben Sakkai, der Führer des Juden- Hasmonäer, in deren Umkreis 1 Makk entstand, sahen tums, nicht, und die Frage wird so beantwortet, dass Rab- z. B. den römischen Senat parallel zur eigenen Gerusie [so bi Hanina wie ein Sklave vor seinem Herrn ist, während Alexander Jannai (11)]. Die um 40 v. Chr. entstandenen R. Jochanan ben Sakkai wie ein Fürst. Stemberger sieht Psalmen Salomons sahen im römischen Feldherrn und darin eine Abwertung der Wundertätigkeit gegenüber der Tempelentweiher Pompeius die Zuchtrute Gottes gegen Grösse der Lehrer Israels. Das Bild aber soll sicher nur die die frevelhaften Hasmonäer (13). Da aber Pompeius seine besondere Nähe des frommen einfachen Mannes zu Gott Funktion durch 'Überheblichkeit missbrauchte, musste er bezeichnen, während das Bild König—Fürst die Distanz (wie Antiochos IV) jämmerlich sterben (15). enthält. Ab Beginn unserer Zeitrechnung dominierte die Furcht Zum Abschluss der Beispiele bringt Stemberger einen fort- vor den Römern. Das Danielsche Denkschema findet sich laufenden Text, um so Einblick gerade in das Verwoben- in Apokalypsen und später auch im rabbinischen Schrift- sein von erzählerischem und gesetzlichem Material aufzu- tum. Es gab aber Ausnahmen. Philo von Alexandrien zeigen und überhaupt den Charakter des Talmuds in ei- (gest. 41 n. Chr.) rief zur beschränkten Loyalität mit den ner fortlaufenden Lektüre besser begreiflich zu machen. Römern auf, um das jüdische Volk vor deren allzu hartem Zweifelsohne wird das Buch sehr viel zu besserem Ver- Würgegriff herauszuhalten. »Der römische Rechtsstaat ist ständnis des Talmuds beitragen, gerade unter den Krei- für ihn die Garantie des jüdischen Lebens in der Dia- sen, die diesem Gebiet gegenüber grosses Interesse auf- spora« (48). Josephus Flavius sah in der Zerstörung des brachten, aber keine geeignete Lektüre zur Einführung Tempels die gerechte Strafe Gottes für das Treiben der vorfanden. Es sei damit ausdrücklich einer breiten Leser- jüdischen Aufständischen. Obwohl Josephus eine messia- schaft empfohlen. Michael Krupp, Jerusalem nische Prophezeiung auf den römischen Feldherrn und späteren Kaiser Verspasian bezog, wertete er das Römer- DERS.: Die römische Herrschaft im Urteil der Juden. reich nicht als messianisches Reich, sondern nur als eine (Erträge der Forschung 195.) Darmstadt 1983. Wissen- Phase zur Bestrafung Israels. schaftliche Buchgesellschaft. 183 Seiten. Die Hauptuntersuchungen richtet Stemberger auf das rab- Der Verfasser behandelt die ca. 800 Jahre, während de- binische Schrifttum, wenn dieses auch nicht das ganze nen die Juden Palästinas und der Diaspora unter dem Ein- Judentum nach 70 n. Chr. repräsentierte, sondern nur die fluss und der Herrschaft des römischen Reiches standen Schicht der Rabbinen (59). Das rabbinische Judentum hat- (ca. 170 v. Chr. bis 638 n. Chr.). Er will aber keine »Fak- te keinerlei Interesse an sachlicher Geschichtsschreibung, tengeschichte« bieten, sondern eine Übersicht über das sondern stellte das Geschehen der Unterdrückung in An- »subjektive Geschichtserleben« der Juden während dieser ekdoten, legendenhaften Ausschmückungen und Lehr- Zeit. Wie deuteten jüdische Kreise das Römerreich und beispielen für die Schule dar. Auffallend ist die Unifor- die römische Unterdrückung? Durch welche Vorstellun- miertheit der Rabbinen über einzelne römische Reprä- gen gaben sie ihrem Los als Unterjochte Ausdruck? Wo sentanten, die tief ins Leben des Judentums eingriffen. Im sahen sie Kompromisse und Lösungen? Stemberger weiss, talmudischen Schrifttum werden Pompeius, die Kaiser dass die jüdische Reaktion auf die Römerherrschaft sehr Augustus, Caligula und Konstantin der Grosse nur einmal variabel war. Andererseits vermag er dominante jüdische erwähnt, Domitian überhaupt nicht. Nero kommt häufi- Sichtweisen aus apokalyptischen, geschichtlichen und rab- ger vor, aber sehr widersprüchlich. Er gilt sogar als jüdi- binischen Schriften zu verdeutlichen. scher Konvertit, vielleicht im Gegensatz zur Dämonisie-

Im Buch Daniel (168 - 164 v. Chr.) sind die Römer als be- rung, die Nero in christlichen Quellen erfuhr (65 f.). Kai- drohliche Weltmacht zum ersten Mal in einer jüdischen ser Septimius Caracalla kommt in mehreren rabbinischen Quelle erwähnt (Dan 11, 30); sie werden aber in ihrer Be- Schulanekdoten unter dem Namen Antoninus vor (93). deutung unterschätzt. Im Schema der vier Weltreiche Die späteren Kaiser, besonders Diokletian, werden weni- (Dan 2) kommen sie nicht vor. Das vierte Weltreich, das ger mit legendenhaften Zügen überwuchert als die frühe- nach Dan das grausamste und letzte vor dem Anbruch der ren, offenbar weil sie in der Hauptzeit der Abfassung des Endherrschaft Gottes sein wird, dient aber schon bald als rabbinischen Schrifttums lebten (97 ff.). Als übelster Kai- Chiffre für die Römer. Dazu gesellten sich Esau-Jakob- ser wird Titus, der Tempelzerstörer, gebrandmarkt. Auf Motive (Esau = Rom = letzte Frevelmacht; Jakob =- ihn werden die Züge des Antiochus IV Ephphanes über- Israel = Judentum = das messianische Endreich der tragen, der bereits im Danielbuch als endzeitlicher Frevler Gerechtigkeit). Im Qumran (1QpHab) und im 3. Buch geschildert ist. der Sibyllinen (wohl vor 100 v. Chr.) wird Rom zum er- Wichtig ist auch die Frage, wie sich die Rabbinen das En- sten Mal als das Endreich des Frevels gesehen (41 u. ö.). de Roms vorstellten. Auch der romtreue Jude hoffte ab Neben diesem jüdischen Denkeq im Anschluss an das Da- dem 2./3. Jh. n. Chr., dass Rom in der messianischen Zeit nielsche Reichsschema, das bis ins Mittelalter hinein im überwunden (San 98) und dass dann die Heils- und Herr- Judentum überwog, gab es aber auch römerfreundliche schaftszeit Israels anbrechen werde. Unter diesem Vorbe- Tendenzen. In frühjüdischer Zeit sah man in der römi- halt konnte er die Herrschaft Roms knirschend vorläufig schen Macht eine Hoffnung um der Bedrückung durch anerkennen. orientalische Reiche zu entgehen, oder man betrachtete' Stemberger verfolgt das jüdisch-römische Verhältnis bis die Römer als die Zuchtrute Gottes gegen das sündige Ju- ins Mittelalter hinein. Seine Themenwahl erweist sich als

162 guter Aufhänger für eine römisch-jüdische Religions- und nicht Anstoss nehmen. Andere Stellen aber, wie den Zah- Geistesgeschichte. Er arbeitet sehr differenziert, wobei er lenwert des hebräischen Wortes ejcha oder das Alter sich sowohl mit den Sekundärautoren auseinandersetzt als Isaaks von 37 Jahren bei der Opferung, um nur zwei Bei- auch über den Wert der Primärquellen gründlich infor- spiele zu nennen, wird der Leser gar nicht verstehen, weil miert. Es ist ein Glück, dass die europäischen Judaisten sie ihm der Autor nicht erklärt. ausgezeichnete Historiker sind, die auch für die römische Im allgemeinen aber muss gesagt werden, dass der Autor Geschichte fachlich zuständig sind. Stemberger steht hier sein Ziel, einen ersten Eindruck von der jüdischen Litera- in der ersten Reihe. Clemens Thoma tur zu vermitteln, sehr wohl erreicht hat. So ist zu wün- schen, dass das Buch den Leserkreis, den es erreichen will, DERS.: Epochen der jüdischen Literatur, an ausgewähl- erreichen und das bewerkstelligen möge, was sich der ten Texten erläutert. Mit Zeittafel und Quellennachweis. Verfasser erhofft: die Sehnsucht, tiefer in das weite Meer München 1982. C. H. Beck Verlag. 176 Seiten. der jüdischen Literatur einzutauchen. Auch die im Quel- Das Buch ist die Niederschrift einer Sendereihe des Süd- lenverzeichnis genannte Literatur kann dazu eine Hilfe westfunks Baden-Baden, in den Monaten Dezember 1980 sein, ebenso wie die anderen Bücher' des Verfassers und bis April 1981 ausgestrahlt im Rahmen eines umfassenden die, die noch zu erwarten sind. Michael Krupp, Jerusalem Schwerpunktprogramms mit dem Titel »Begegnungen mit ' Ausser dem oben Erwähnten z. B. H. L. Strack/G. Stemberger: dem Judentum«. Im Rahmen des Gesamtprogramms hatte Einleitung in Talmud und Midrasch. Beck'sche Elementarbü- cher, München 1982, und G. Stemberger: Der Talmud. Einfüh- es Stemberger, der bekannte Wiener Judaist, übernom- rung, Texte, Erläuterung. Beck, München 1982 (s. u.). men, »exemplarische Aspekte der jüdischen Literatur bis 1800 an ausgewählten Textbeispielen zu erläutern«. Die HERMANN L. STRACK / GÜNTER STEMBERGER: moderne Epoche wurde von anderen Autoren übernom- Einleitung in Talmud und Midrasch. 7. Aufl. Beck'sche men. Dieser gesteckte Rahmen markiert Grenzen und Elementarbücher. München 1982. Verlag C. H. Beck. 341 Chancen der Vorträge und des Büchleins auf. Adressen- Seiten. kreis ist durch keine Vorkenntnisse geprägte breite Bevöl- Seit 1887 gibt es von Hermann L. Strack die »Einleitung kerungsschicht, auf kürzesten Raum muss das Wesentli- in Talmud und Midrasch«. Seitdem ist es das Standard- che aus der grossen Fülle unterschiedlichster Literatur aus werk auf diesem Gebiet. Die letzte von Strack noch völlig drei Jahrtausenden ausgewählt werden. Das Ergebnis neu bearbeitete 5. Auflage von 1920 wurde immer wieder wird immer ein sehr subjektives sein. Ein anderer Autor nachgedruckt, ins Englische übersetzt (nach einem von hätte vielleicht andere Schwerpunkte gesetzt. Dem Autor Strack verbesserten Exemplar der 5. Aufl.) und ist auch in war dies durchaus bewusst und entschuldigt sich quasi für der angelsächsischen Welt das Standardwerk zur Einfüh- die von ihm getroffene Auswahl, die er auch selber hätte rung in das schwierige und verschlossene Gebiet gewor- anders treffen können, fährt dann aber fort: den. Seit 1920 ist besonders in Amerika und Israel sehr »Doch mag diese bescheidene Auswahl vielleicht geeignet viel in der Forschung auf diesem Gebiet geschehen; so sein, das Interesse zu wecken, sich bei Gelegenheit umfas- war eine Neuüberarbeitung des Strackschen Werkes sender mit der jüdischen Literatur zu beschäftigen. Meine schon lange eine Notwendigkeit. Aber niemand wollte >Geschichte der jüdischen Literatur. Eine Einführung< sich an das schwierige Unternehmen wagen. Als 1976 vom (Beck'sche Elementarbücher, München 1977) könnte da- Beckschen Verlag eine 6. Aufl. angekündigt wurde, war bei weiterhelfen. Wenn das Büchlein dies grössere Interes- dies eine Enttäuschung, denn es handelte sich lediglich se zu wecken vermag, dann hat es seinen Zweck erreicht.« um einen unveränderten Nachdruck der 5. Auflage von Das Buch stellt es sich zur Aufgabe, durch ausgewählte 1920 mit einer neueren Literaturliste im Anhang, für die Textbeispiele, die vielleicht ein Viertel oder ein Drittel des G. Stemberger verantwortlich zeichnete. Buches ausmachen, folgende Epochen der jüdischen Lite- 1982 erschien nun diese hier zur Besprechung vorliegende ratur zu erhellen: die Bibel, die Apokalyptik, Qumran, die 7. Auflage. Tatsächlich handelt es sich hier nicht schlecht- jüdisch-hellenistische Literatur, Mischna, Talmud und weg um eine Überarbeitung des alten Standardwerkes, Midrasch, die jüdische Mystik und Kabbala, die hebrä- sondern praktisch um ein neues Buch. Der Name Strack ische Literatur des Mittelalters, die jiddische Literatur in unter den Verfassern erhebt nur den Anspruch, dass die- Deutschland und schliesslich die Literatur der jüdischen ses Werk das alte Werk ersetzen möge. Nur wenige Stel- Aufklärung in Italien und Deutschland. Eine Fülle an Li- len des »alten Strack« sind in das neue Werk übernommen teratur, die allein in ihren Textausgaben eine ganze Bi- worden. Alles andere ist neu geschrieben. bliothek von vielen hundert Bänden ausfüllen würde. Auch der Aufbau des Werkes ist geändert worden. Nach Wo das Herz des Autors schlägt, wird deutlich an seinen einer allgemeinen Einleitung von 100 Seiten, die einiges Quellenangaben. Für die Kapitel 5 (Talmud) und 6 (Mi- vom Strackschen Werk aufnimmt, grösstenteils aber neu- drasch) findet sich die Angabe »Die Zitate sind eigene en Stoff bringt, folgt in zwei weiteren Teilen die talmudi- Übersetzung«. Stellenangaben finden sich jeweils im Text. sche Literatur, Michna, Tosefta, die beiden Talmude und Für alle anderen Gebiete (mit Ausnahme des jüdischen die ausserkanonischen Traktate und als dritter Teil die Historikers Joephus Flavius) zitiert der Autor aus Text- Midraschim. übersetzungen anderer Übersetzer oder aus Sekun- War der »alte Strack« mehr ein Nachschlagewerk und für därliteratur. In dem Kapitel Midrasch tut der Autor sicher eine kontinuierliche Lektüre ungeeignet, so ist der »neue recht daran, zur Illustrierung, wie die Rabbinen eine bibli- Stemberger« flüssig geschrieben und wahrscheinlich auch sche Geschichte interpretieren und weiter nachdenkend für den Laien weit verständlicher, als es der Strack war, vertiefen, sich auf ein Beispiel zugunsten einer grösseren abgesehen von einigen Österreichismen, die der deutsche Ausführlichkeit zu beschränken. Hierfür wählt er die ein- Leser in einem Duden erklärt bekommen wird, wie »auf- dringliche Geschichte von der »Opferung Isaaks«, die der scheinen« für »vorkommen«. Midrasch in seiner ganzen Tiefe durchleuchtet. Merkwür- Trotz aller Vorteile, die die neue Ausgabe hat und von dig ist es aber dabei, dass sich der Verfasser dafür einen denen noch die Rede sein wird, sind einige wertvolle Be- verhältnismässig späten Midrasch aussucht, Pirqe de Rab- standteile des alten Werkes zu kurz gekommen oder ganz bi Eliezer, und dazu noch Textstellen zitiert, die zum Teil weggelassen worden. Das gilt schon für die äussere Auf- aus viel früheren Midraschim übernommen wurden. Hier- machung. Es ist merkwürdig, dass in einem Standard- an wird der Leser, für den das Buch geschrieben ist, sicher werk, das auch den Fortgeschrittenen dienen soll, ganz

163 auf hebräische Buchstaben verzichtet wurde, wohl ein auf Artikel zu einzelnen Traktaten in der englischen En- technisches Problem des Buchsatzes, aber unverzeihlich cyclopaedia Judaica. In der Neuausgabe liegt nun endlich bei dem Fortschritt gerade auf diesem Gebiet. Hebräische ein zusammenfassender Bericht vor, der den Studenten Worte sind in einer vereinfachten Umschrift wiedergege- den Einstieg in dieses wichtige Gebiet der rabbinischen Li- ben, die nirgendwo erklärt wird. Aus diesem technischen teratur eröffnet. Grunde sind vielleicht auch einige Übersichtstabellen aus Für jeden Studenten, der sich mit der rabbinischen Litera- der alten Strackschen Ausgabe weggefallen, wie die Kapi- tur befassen will, wird diese Neuauflage des »alten telanfänge der Mischna- bzw. Talmudtraktate, die sehr Strack« unentbehrlich und auch dem »Fachmann« auf die- hilfreich für die Erschliessung der mittelalterlichen Litera- sem Gebiet eine wichtige Hilfe sein. So verdient der »neue tur waren, die danach zitiert. Ebenso fehlt die kurze Stemberger« mit Recht das Prädikat »Strack«. Es ist der Übersicht über alle Traktate der Mischna mit ihrem Vor- »alte Strack« auf den neuesten Stand gebracht. kommen im babylonischen und jerusalemischen Talmud Michael Krupp, Jerusalem sowie in der Tosefta einschliesslich ihrer Reihenfolge in diesen Werken und den verschiedenen Drucken. Bei einer MANFRED STURMANN: Heimkehr in die Wirklich- weiteren Auflage sollten diese Versäumnisse wieder gut- keit. Novelle. Mit Nachwort von Klaus Täubert. Berlin gemacht werden. Ausserdem wäre dafür eine Reihe 1983. Verlag europäische Ideen (A. W. Mytze). 27 Seiten. Druckfehler zu beheben und einige Flüchtigkeiten zu ver- Zum 80. Geburtstag des Jerusalemer Dichters Manfred bessern sowie einige Irrtümer zu berichtigen, wie z. B. die Sturmann ist die Novelle des 25jährigen »Abschied von Mitteilung, dass das Wort Gemara als Überschrift in den Europa« —, erstmals 1928, in einer »Anthologie jüngster Talmuddrucken die Erfindung christlicher Zensur sein Prosa« — noch einmal unter dem neuen Titel »Heimkehr in soll (S. 163f.). die Wirklichkeit« erschienen.' G. L. Bei der Aufzählung der Handschriften ist sehr wichtiges S. o. S. 55 f. Neues erwähnt, wie die erst kürzlich entdeckte Jerushal- mi-Handschrift zu den drei Babot Escorial aus Spanien. ELIE WIESEL: Von Gott gepackt. Prophetische Gestal- Anderes, ebenso Wichtiges, aber fehlt, obwohl es im alten ten. Freiburg i. Br. 1983. Verlag Herder. 144 Seiten. Werk noch da war, wie die Talmudhandschriften Mün- Dieses spannende Buch durchzulesen, hat wohl bei uns chen 6 und 140 und die meisten äusserst wertvollen Tal- selbst zur Folge, dass wir von der Vielfalt der biblischen mudhandschriften aus Oxford, während manches weniger Botschaft gepackt werden, die im Leben dieser von Gott Wichtiges mit Recht weggelassen wurde, wie eine Reihe zu einem besonderen Dienst berufenen Männer Gestalt späterer Handschriften, die Abschriften von Drucken dar- angenommen hat. stellen. Da tritt Josua — sein Name ist übrigens aus dem gleichen Die Inhaltsangabe über die Mischnatraktate ist noch kür- Wortstamm wie der Jesu: Retter, Befreier gebildet — vor zer ausgefallen als beim alten Strack, sehr kurz ist auch unsere Augen, dem die schwere Aufgabe zufällt, die erste die Übersicht über die Halachakompendien. Einiges ist Generation der aus der SIdaverei Ägyptens Befreiten zu auch in der neuen Ausgabe veraltet wie das, was über die führen (7) und der die grosse Bewegung der Heimfüh- christliche Zensur gesagt wird (aus der alten Ausgabe fast rung des jüdischen Volkes in sein Land zu vollziehen hat- unverändert übernommen) oder über die hebräische te: »Sie kehrten heim und waren keine Eindringlinge« Paleographie. (25). In all den harten Kämpfen taucht dabei die wichtige Ein Werk, das eine solche Fülle von Informationen wie- Frage auf, ob »man zu weit gehen kann, um das eigene derzugeben hat, kann nicht alles bringen und muss sich Überleben zu sichern« (9) und ob die Landnahme und sei- beschränken. Das gilt auch für das Literaturverzeichnis; ne Behauptung nicht manchmal die von Gott gesetzte Be- trotzdem vermisst man einiges Bahnbrechende besonders rufung verdunkeln können, »dessen Siegel die Wahrheit auch aus der älteren Literatur, wie die Grammatik des und dessen Namen Frieden ist« (27). Mischnischen Hebräisch von Porat (Leschon Hakhamim, Gegen eine Bedrohung anderer Art, die von innen, mach- Jerusalem 1938), der erste Versuch einer Grammatik auf- te Elias Front. Sein Name auf hebräisch — Elijahu: »Der grund von alten Handschriften und Genizafragmenten. Ewige ist mein Gott« — ist ein Programm, das in Zeugnis Auf dem Gebiet fehlt übrigens auch Segals erweiterte und und Leiden, im Angriff auf die falschen Götter und in der verbesserte Grammatik des Mischnischen in hebräischer kompromisslosen Vernichtung ihrer Priester (41) sich nie- Sprache. dergeschlagen hat. Gott kann in seinem eigenen Volk ein Bei den neueren Kommentaren zur Mischna finden sich Fremder (43) werden, so dass die ihm Treuen eine Min- nur die Giessener Mischna und Neussner, aber nicht die derheit werden und versteckt leben müssen (44). Diese sehr wertvolle Mischnakommentierung der ganzen Verborgenheit Gottes und die von daher stammende Ein- Mischna von H. Albeck, zu schweigen von den orthodo- samkeit des Propheten — und der Zeugen Gottes — gehö- xen neueren Kommentaren. ren zusammen. In der Stunde der Entscheidung auf dem Trotz dieser und manch anderer Mängel ist aber die enor- Karmel heisst es schon damals: »Das Volk . . . antwortete me Leistung nicht zu verkennen, die der »neue Strack/ nicht. Schon damals wartete man lieber ab, um sich dem Stemberger« widerspiegelt. Manche Teile des Buches sind Sieger anzuschliessen« (45). Ruft uns dies nicht das Ver- ganz neu hinzugekommen oder stark erweitert worden, halten des Petrus in der Leidensgeschichte in Erinnerung: wie der Abschnitt über den palästinensischen Talmud, der »Petrus folgt ihm aber von ferne . . ., auf dass er sähe, wo im alten Strack völlig ungenügend war. So findet sich in es hinaus wollte« (Mt 26, 58)? der neuen Ausgabe die ausführliche Diskussion über den Und kommt in der tragischen Gestalt des Königs Saul die ursprünglichen Text des palästinensischen Talmuds und fast nicht zu tragende und zu vollziehende Einzigartigkeit seiner Quellen. Ebenso ausführlich und der neuen For- Israels zum Ausdruck? Kann man es in den Spannungen schungslage entsprechend ist das Kapitel über die ausser- dieser Welt aus- und durchhalten, dass »Gott und nur er kanonischen Talmudtraktate. allein der König Israels ist« (73)? Ist es nicht verständlich, Ein besonderes Lob verdient der dritte Teil über die Mi- sich von dieser vermeintlich unsicheren Unsichtbarkeit ei- draschim. Hier ist die Forschung in besonderer Weise vor- nem sichtbaren Herrn zuzuwenden, damit es zugehe in angeschritten, und seit Jahren gab es kein Werk, das den Israel, wie es bei anderen Völkern üblich ist (73)? Kann neuesten Stand der Forschung wiedergegeben hätte, bis ein Volk in einer solchen Zerreissprobe bestehen — und

164 gar sein erster König? Wird in seinem Schicksal — weil renheit an Angst und Trauer zu befreien, sie aus jeder Art über die damaligen Zeitläufe hinaus — nicht umrissen, dass von Verzweiflung, ja aus der Hölle herauszuholen. So das Schicksal Sauls immer wieder auch das des von Gott sagt ein Chassid: »Wenn ich in die Hölle gelangt bin, erwählten Volkes werden kann, nämlich »von seinen Ver- dann werde ich sie — das schwöre ich — nicht eher wieder bündeten verraten, von seinen Freunden verlassen, von verlassen, bis ich alle ihre Insassen bis zum letzten Mann Gott verworfen« (82)? (Wobei der letztgenannte Aus- mitnehmen kann. Und dem Richter werde ich sagen: druck nicht eine Verwerfung im endgültigen Sinn be- Mein Leben lang habe ich versucht, Gefangene zu befrei- zeichnet, sondern den Eindruck vermittelt, dass Gott — en, warum möchtet Ihr, dass ich jetzt aufhöre?« (72). In wie etwa in Auschwitz — sein Angesicht verborgen habe.) diesem Wohltun an den Menschen äussert sich die froh- Ist dieser Weg in die Tiefe und die Verlassenheit bei Jere- machende Liebe, ein wichtiges Merkmal des Chassidis- mia nicht mit Händen zu greifen? Er lebt unter dem fast mus: »Man muss Gott und die Menschen lieben, nicht Ihn ständigen Vorzeichen der Anfechtung, von Gott gerufen gegen sie oder ohne sie lieben« (70). Denn Gottes Zuwen- zu sein und dann allein gelassen zu werden. »Auch inmit- dung gilt den Menschen in ihrer Angst und Not: »Gottes ten der Massen ist Jeremias allein — allein mit Gott und Lieblingssitz ist weder ein Palast aus Gold oder Marmor, manchmal allein gegen Gott« (102). Ist er nicht ein Mann, sondern das schwache und verwundbare Herz des Men- dessen Schicksal uns alarmieren muss? Stimmt es nicht schen, das Herz des Menschen, das leidet und klagt — nachdenklich, »dass seine Worte niemand erschrecken oder verstummt . . ., das fähig ist, zur gleichen Zeit zu und dass die grosse Masse ungerührt bleibt« (106)? Ist uns schweigen und zu schreien« (21 f.). Heutigen klar, was das heisst: »Nur wenn er die Wahrheit Das Schreien und das Schweigen sind Zeichen eines ech- über das künftige Geschehen enthüllt, besteht eine Chan- ten Umgangs mit Gott. Eine von grossem Schmerz heim- ce, dass es nicht passiert« (107)? Muss es uns in all seinen gesuchte Frau klagte einst: »Was für ein Gott ist denn der Verfolgungen nicht entsetzen, dass hier eine Erfahrung Gott Israels? Er ist grausam und nicht barmherzig. Er sich ergeben könnte, nämlich, dass »noch schlimmer als nimmt, was er gegeben hat« (80). Gegenüber einer allzu das Leiden sinnloses Leiden ist« (112)? Er bleibt der Bote raschen, fromm scheinenden Ergebung fordert ein Chas- in der Nacht, in der stillen Hoffnung, dass deren Macht sid sie zum Widerstand und Protest im Sinne vieler Psalm- doch niemand in die Katastrophe schleudern möge. Jere- dichter und Hiobs auf: »Und ich sage dir, Frau, man muss mia erinnert darum an die Vergangenheit, den Bund, das es nicht annehmen. Man muss sich nicht unterwerfen. Ich Gesetz. Wo das verdrängt und gestrichen wird, ist alles rate dir zu rufen, zu schreien, zu protestieren, Gerechtig- verloren. »Vergessen heisst, die Bedeutung der Vergan- keit zu fordern, verstehst du mich, Frau?« (80 f.). genheit zu leugnen« (105). Hier gilt dies im positiven Darüber darf aber das Schweigen nicht vergessen werden. Sinn, es kann aber auch seine Bedeutung im negativen »Denn Gott liebt das Schweigen . . . Gott ist Schweigen« Sinn haben, wenn wir Schuld und Schande wegschieben (118). Nur an einer stillen Stelle legt Gott seinen Anker wollen. Denn was wir nicht annehmen, holt uns ein; wir an, und »nach ohrenbetäubendem Lärm tritt Stille ein, können ihm nicht entlaufen. und das ist ein Zeichen, dass Gott da ist . . .« (118). Um Jona konnte dies auch nicht, als er sich dem Auftrag Got- aufnahmebereit zu werden, müssen Geräusche verstum- tes zur Verkündigung in Ninive durch die Flucht entzieht. men. Von daher wird der Hinweis sinnvoll und verständ- Es leuchtet diesem eigensinnigen Boten Gottes offenbar lich: »Wir brauchen drei Jahre, um sprechen zu lernen, nicht ein, dass »der Kreislauf von Verbrechen und Strafe und siebzig Jahre, um schweigen zu lernen« (115). unterbrochen werden kann, ehe er sich vollendet« (139). Aber alles zu seiner Zeit und in der rechten Weise! Der Sinn der göttlichen Zuwendung durch die direkte Schweigen gegenüber Menschen kann Ausdruck einer be- Ansage der Strafe ist die Chance der Umkehr, und wo sonders tiefen Verachtung sein. Dies wird aus der Begeg- diese »ausschliesslich den Völkern dienende Mission Jo- nung von Kain und Abel deutlich: »Kain sagte zu seinem nas« (140) nicht durchgeführt wird, bleibt Ninive — und Bruder Abel«, heisst es dort, aber der Text verrät nicht, die Welt — im argen. Das Wegschieben dieses Auftrags ge- was er ihm sagt, als wolle er uns begreiflich machen, dass lingt nicht. Gott holt den flüchtigen Jona ein, indem er die Abel nicht zugehört hat. Und auf einmal erfassen wir, was ihm angemessenen Nachhilfestunden erteilt. »Denn seit hinter der Ermordung des Menschen durch seinen Bruder Adams Zeiten ist es noch keinem Menschen gelungen, steckt: das Schweigen zwischen ihnen verleugnet das sich vor Gott zu verstecken . . . Gott ist immer schneller Wort. Und dieses Schweigen muss unweigerlich zum To- als der Mensch und stets als erster da, selbst wenn er als de führen. Denn es bedeutet Gleichgültigkeit« (115). letzter aufbricht« (125 f.). Gott behält dabei das letzte Ohne die lebendige Beziehung zu Gott und die tatsächli- Wort (143); dies ist kein belehrender Vortrag oder stren- che Einbeziehung des lebendigen Menschen in dieses Ver- ger Befehl, sondern eine Frage — die Frage — und damit hältnis — droht das Leben in Unmenschlichkeit zu versin- Zuwendung — nach dem orientierungslosen Menschen. ken. Um dies zu verhindern, bedarf es der Liebe, der Die Frage bleibt — und wartet auf Antwort. Wachsamkeit und — der Intelligenz: »Was können wir Ein in seiner besonnenen Überlegung und stillen Überle- vom König Salomo lernen: Ohne Gott ist alle Intelligenz genheit packendes Buch, das uns beim Lesen selbst packen ohnmächtig« (137). dürfte. Jedenfalls vermittelt es Impulse, die das Leben in Dies sind nur einige Hinweise auf den grossen Reichtum der Bibel bereichern. Rudolf Pfisterer, Schwäbisch Hall dieses Buches: der Schatz will in gründlichem Nachden- ken gehoben sein und kann uns so im Sinne der biblischen DERS.: Geschichten gegen die Melancholie. Freiburg Botschaft zu neuem Mut und wahrer Freude anleiten. i. Br. 1984. Verlag Herder. 144 Seiten. Rudolf Pfisterer, Schwäbisch Hall In diesem anschaulichen Buch wird der Chassidismus in seiner ungeheueren und damit lebendigen Vielfalt (96) DIETMAR BADER: Kardinal Augustin Bea: Die Hin- uns vor Augen geführt, und jeder Versuch, diese erstaun- wendung der Kirche zu Bibelwissenschaft und Ökumene liche Bewegung in den Rahmen eines Gedankensystems (Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiöze- einzuordnen, schlägt fehl. Die verschiedenen Ausprägun- se Freiburg). München/Zürich 1981. Verlag Schnell & gen sind dabei von einer tiefen Freude durchzogen — ein Steiner. 86 Seiten. Gegengift gegen die Melancholie. Das Bändchen enthält die Vorträge der Tagung, die zur Dabei geht es immer darum, Menschen aus ihrer Verlo- Erinnerung an den 100. Geburtstag von A. Bea stattfand.

165 Die Biographie skizzierte sein ehemaliger Sekretär Stje- dann die »>Themenzentrierte Interaktion< in ihrer Bedeu- pan Schmidt SJ, Kardinal Wi llebrands würdigte Beas Lei- tung für den >Lernprozess Christen Juden<« vorzustellen stungen im Zusammenhang mit dem II. Vaticanum, wäh- (2.7, S. 94-100). Eher exkursartig sind von U. Reck »Prin- rend N. Lohfink seine Verdienste um die moderne katho- zipielle Überlegungen zur Medienproblematik beim Reli- lische Bibelwissenschaft in aufschlussreiche Beziehung zu gionsunterricht über des Verhältnis Christen Juden« ange- zurückliegenden und heutigen Tendenzen setzte. Landes- schlossen (2.8, 101-110). Der »Vorschlag einer didakti- bischof H. Dietzfelbinger stellte sich der Frage, welche schen Konzeption zur unterrichtlichen Planung des >Lern- Rolle die Bibel heute für die innerchristliche Ökumene prozesses Christen Juden«< (2.9, 110-114) führt zum Kap. spielt. Da ein jüdischer Referent, der diese Frage im Blick 3 »Umriss- und Prozessplanung eines Basiskurses zum auf die christlich-jüdische Ökumene hätte aufgreifen kön- >Lernprozess Christen Juden<«4 mit ausführlicher Didakti- nen, bei der Tagung nicht dabei war, blieb es Kardinal scher Analyse, Unterrichtsverlaufsplänen und ausgewähl- Willebrands vorbehalten, in seinem Vortrag den hohen ten Unterrichtsprotokollen (S. 115-183). Letztere gewäh- persönlichen Einsatz A. Beas gerade auch für das Zu- ren in wohltuender Offenheit und »Ungeschütztheit« Ein- standekommen von »Nostra aetate, Art. 4« wenn auch blick in tatsächliche Unterrichts-und Gesprächsabläufe. In knapp, so doch eindringlich in Erinnerung zu rufen. ähnlicher Anlage werden die »Aufbaukurse«5 referiert. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. Vorangestellt ist dem umfänglichen Part von A. Biesinger eine sehr aspektreiche »Religionsdidaktische Grundle- GÜNTER BIEMER / ALBERT BIESINGER / PETER gung« von G. Biemer und P. Fiedler (Kap. 1, S. 11-42), FIEDLER (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit E. L. Ehrlich, die für sich schon eine eingehende Beschäftigung lohnte. B. Feininger, K.-H. Minz, U. Reck und B. Uhde: Was Ju- Es bedeutet fraglos eine sehr subjektive Prioritätenset- den und Judentum für Christen bedeuten. Eine neue Ver- zung, wenn ich innerhalb des darin vorgestellten und be- hältnisbestimmung zwischen Christen und Juden. Lehr- gründeten »Konvergenzmodells« besonders der aus einer und Lerneinheiten für die Sekundarstufen (»Lernprozess »existentialphänomenologisch orientierten Didaktik«6 ge- Christen Juden«, Bd. 3).* Freiburg/Basel/Wien 1984. folgerten Aufgabe der »Vermittlung als Erlebniszeugen- Verlag Herder. 152 Seiten. schaft« eine über das hier verhandelte Projekt hinausrei- Die Veröffentlichung erscheint als 3. Band der von G. chende (religions-)didaktische und pädagogische Beach- Biemer und E. L. Ehrlich herausgegebenen Reihe »Lern- tung wünsche. prozess Christen Juden«. Sie dokumentiert aufs neue den Dass die in Kap. 5 zusammengefassten Beiträge über Anspruch und das Niveau des gesamten Unternehmens. »Medien und fachwissenschaftliche Bezüge« als »An- Wer die Absichtsbestimmung des Vorwortes überliest, hang« aufgeführt werden, darf ja nicht den Verdacht er- wonach die Arbeit »nicht nur das Ziel (hat), ein Curricu- wecken, als handle es sich hier um Beiträge minderen Ge- lum zum Lernprozess Christen Juden vorzustellen, son- wichtes. Es werden durchgängig für die Praxis' sehr hilf- dern auch einen Beitrag zur Didaktik des Religionsunter- reiche und für die fachwissenschaftliche Grundlegung und richts zu leisten« (S. 9), der mag wohl ob einiger langer Reflexion weiterführende Informationen und Orientie- »Anläufe« ungeduldig werden. Gelegentlich könnten auch rungen gebotens. die Proportionen ein wenig verlagert erscheinen, so dass Angeschlossen sind ein umfängliches Literaturverzeichnis der Titelhinweis »Was Juden und Judentum für Christen (M. Moser; 6, S. 319-337) und ein Verzeichnis der als ge- bedeuten. Eine neue Verhältnisbesinnung zwischen Chri- sonderte Veröffentlichung (Band 4) erscheinenden Doku- sten und Juden« eher als exemplarischer Themenanhalt mente der Reihe »Lernprozess Christen Juden« innerhalb einer »Didaktik der Religionsgeschichte« ge- (S. 338-345). Eine gute Hilfe für die Erschliessung der wichtet werden möchte. Damit ist beileibe keine Mangel- vielfältigen Themenbezüge des Bandes bieten die Register anzeige beabsichtigt; vielmehr soll der Leser nur auf die (8)9. Intention und die Zugangswege des Werkes aufmerksam Eine Auseinandersetzung mit den fachwissenschaftlichen gemacht werden. Positionen, die das in diesem Band vorgestellte Unter- Das Corpus der Arbeitl entstammt mit Ausnahme der richtsunternehmen und dessen didaktische Grundlegung »Aufbaukurse« der 1981 der Theologischen Fakultät der orientieren, ist kaum möglich, da hier die als Band 2 der Universität Freiburg vorgelegten Habilitationsschrift von Reihe verfassten »Freiburger Leitlinien . . .« vorausgesetzt A. Biesinger. Kap. 2 (»Didaktische Konzeptionen«) gibt und rezipiert werden". Dies gilt sowohl hinsichtlich der eine recht ausführliche Darstellung und Würdigung neuer Frage nach der Angemessenheit und Relevanz der theolo- Entwürfe zur »Didaktischen Analyse«2 und erhebt deren 4 Inhaltlich ist dieser Basiskurs festgemacht am »fundamentalen« Relevanz und Ertrag für die »Planung von Unterrichtsein- Thema »Bund«, vgl. S. 43. heiten zum Thema >Lernprozess Christen Juden<« (2.4, 5 4.1 »Volk«; 4.2 »Land«, S. 184-214. S. 71-75). Mit demselben leitenden Interesse werden Er- 6 E. Schütz im Anschluss an E. Fink; 1.2.2, S. 19-21 u. ö. gebnisse der »lernpsychologischen Diskussion«3vorgestellt 7 5.1 K.-H. Minz / U. Reck: Kurzcharakteristik von Lehr-Lern- Einheiten zum Thema »Christentum—Judentum«, S. 214-237. und reflektiert. Im Rahmen »themenspezifische(r) Metho- 5.2.1 B. Feininger: Das Judentum unter der Weisung Gottes. denoption« (2.6, S. 86-94) greift A. Biesinger schliesslich Toraverständnis in Geschichte und Gegenwart, S. 237-266; 5.2.2 das (pädagogische und didaktische) Problem des Vorur- B. Uhde: »ER unser Gott, ER Einer«. Uberlegungen zum Prinzip teils/Vorurteilsabbaus und des Antisemitismus auf, um des Judentums, S. 266-273; 5.2.3 und 5.2.4 K.-H. Minz: Das Volk Gottes im christlichen Verständnis; »Land« als theologische * Vgl. FrRu XXXI/1979, S. 111 f.; XXXII/1980, S. 98 f.; Kategorie, S. 273-281, 281-291; 5.2.5 E. L. Ehrlich: Die Zukunft XXXIV/1982, S. 60. des jüdischen Volkes in der biblischen Verkündigung, S. 2: Didaktische Konzeptionen zur Unterrichtsplanung — 3: Um- 291-303; K.-H. Minz: Die eschatologische Kategorie »Hoff- riss- und Prozessplanung eines Basiskurses zum »Lernprozess nung/Zukunft«, S. 303-311; 5.2.7 E. L. Ehrlich: Über die Befrei- Christen Juden« — 4: Aufbaukurse; S. 45-213. ungsbewegung des jüdischen Volkes: Der Zionismus, 2.1 Von der bildungstheoretischen zur kritisch-konstruktiven S. 311-318. Didaktik — W. Klafki, S. 46-56; 2.2 Didaktische Planung nach 9 Besonders das Sachregister/Glossar von P. Fiedler, S. 346-348. der lerntheoretischen Didaktik — Von der »Berliner Schule« zum " G. Biemer u. a.: Freiburger Leitlinien zum Lernprozess Chri- »Hamburger Modell« — P. Heimann / W. Schulz, S. 56-68; 2.3 sten Juden. Theologische und didaktische Grundlegung. For- Die kybernetisch-informationstheoretische Didaktik — F. von schungsprojekt »Judentum im katholischen Religionsunterricht« Cube, 68-70. am Seminar für Pädagogik und Katechetik der Universität Frei- 3 2.5 Darstellendes und entdeckenlassendes Lernen — D. P. burg (Lernprozess Christen Juden, hrsg. von G. Biemer, E. L. Ausubel, J. S. Bruner, S. 76-86. Ehrlich, Bd. 2), Düsseldorf 1981, s. o.

166 gisch-didaktischen »Kurzformel« »Freiheit/Sinn—Liebe- »Werdende Gottesherrschaft durch werdende Christus- Hoffnung« (S. 12 u. ö.) als auch für die nähere Bestim- herrschaft« (christlich) (85; vgl. frühere Bände der Reihe) 1 mung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen eine innere Konsistenz; auch das (theologisch-pädagogi- Juden und Christen. Es liegt nahe, dass ein derartiges Un- sche) Projektziel der Reihe wurde konsequent durchge- ternehmen dieses ja gerade auf der »Praxisebene« so halten : »1. dass das Judentum als eigenständige, durch die grauenvoll belastete Verhältnis von Juden und Christen Jahrhunderte bis in die Gegenwart lebendige und vom von der (Wieder-)Entdeckung der »gemeinsamen Wur- Christentum unabhängige Religionsgemeinschaft aner- zel« und der daraus erwachsenden Verantwortung fürein- kannt und geachtet wird, 2. dass die bleibende Bezogen- ander angeht". Diese Absicht ist nicht nur legitim, son- heit des Christentums auf das Judentum erfasst wird, 3. dem von der Sache und von der geschichtlichen Last her dass ein neuer Begründungszusammenhang für das Chri- geboten. Doch darf die Frage nach den Gemeinsamkeiten stentum aus der jüdischen Wurzel erkannt und realisiert und Unterschieden um eben dieser Verantwortung willen wird, 4. dass die Dialogfähigkeit mit den Juden in ihrer diejenige nach der jeweiligen Identität nicht geringer ver- vielfältigen Lebenswirklichkeit heute und morgen erreicht anschlagen. Und da ist dann doch anzufragen: Zweifels- wird« (6). Der Rezensent ist von der Einheitlichkeit der frei ist, dass »das Christusereignis . . . den grundlegenden Gesamtreihe beeindruckt und ist überzeugt, dass mit ihr Unterschied zwischen dem Glauben Israels und der Kir- das bedeutendste religionspädagogisch-didaktische Werk che konstituiert« (S. 38). Aber: Ist das »Christusereignis« über die Problematik Judentum-Christentum im deut- (oder die »Inkarnation Gottes in Jesus Christus«, S. 126) schen Sprachraum seit Beginn des jüdisch-christlichen tatsächlich das alleinige identitätsbestimmende Unter- Dialogs vorliegt. Es ist daher nicht gut, dass man die drei scheidungskriterium, auch im Sinne der dort exklusiv ste- vorausgegangenen Bände dieser Reihe nur in den Anmer- henden Feinzielformulierung: »Erkennen, dass das zen- kungen des Vorwortes finden kann. trale Unterscheidende zwischen Christen und Juden der Das Lesebuch ist folgendermassen gegliedert: I. Judesein: Glaube an den inkarnierten Gottessohn ist« (S. 139, vgl. religiös, historisch, politisch. II. Bundesschluss/Bundes- S. 165)? Und: Ist die Rede von dem in Christus »erneuer- schlüsse und ihre Erneuerungen. III. Tora als Zeichen des ten Bund« (S. 275 und früher, vgl. auch S. 299- 301) bei Bundes. IV. Feier des Bundes in Familie und Gemeinde. aller Berechtigung, die sie hat, im hier gegebenen Kontext V. Wurzeln des Christentums im Judentum. VI. Gemein- nicht in der Gefahr, das Unterscheidende zwischen Juden samkeiten und Unterschiede von Christentum und Juden- und Christen auf blosse unterschiedliche »heilsgeschichtli- tum. VII. Zuordnungsmodelle von Christentum und Ju- che Perspektivitäten« zu reduzieren? Der vorliegende dentum. VIII. Vorurteile gegenüber Juden und Judentum. Band weckt Fragen insbesondere nach weiterer systema- IX. Gemeinsame Aufgaben von Christen und Juden. Die- tisch-theologischer Reflexion und Erforschung der The- se 9 Hauptkapitel sind sorgsam und überlegt unterteilt in matik, ein Anliegen, das natürlich nicht durch didaktische 93 Unterabschnitte. In allen Abschnitten kommen jene Umsetzung ersetzt werden kann. Autoren und Dokumente vor, die am deutlichsten und Diese Feststellung mindert nicht das sehr positive Urteil, prägnantesten die Problem- oder Hoffnungslage beleuch- das das Werk verdient. Die Beschäftigung mit »Was Ju- ten. Teilweise sind den Herausgebern ausgezeichnete For- den und Judentum für Christen bedeuten« bringt reichen schungsgeschichten gelungen. Wer diesen »Reader« liest, Gewinn. Der nur an Hilfen zur praktischen »Umsetzung« wird z. B. schnell und klar darüber informiert, was über Interessierte wird manche »lange Anläufe« vermeiden und den Prozess Jesu und die jüdische Schuld (102-118), die deshalb partienweise »quer« lesen wollen. Doch auch er Vorurteile gegen Juden und andere Minoritäten sollte sich dann noch die Zeit nehmen, sich der Vielfältig- (129-139), die jüdisch-christliche Dialoggeschichte in keit und dem Reichtum der Themen und Aspekte des gan- Deutschland (140 - 147) heute gedacht und geforscht wird zen Buches auszusetzen. Auch ihm käme zunutzen, dass und wie man sich selber ein Urteil bilden könnte. Die der Band einen über den unmittelbaren Themenanlass Herausgeber hatten durchweg in ihrer Auswahl der Pri- hinausreichenden, sehr gewichtigen Klärungsbeitrag lei- märtexte (Konzils- und Synodentexte, Aktennotizen aus stet zur »Ortsbestimmung« des Religionsunterrichts im NS-Büros und aus Sekretariaten der deutschen Bischofs- Bezugsfeld von Pädagogik und Theologie und innerhalb konferenz, Zeitungsausschnitte, Memoranden etc.) eine einzelner didaktischer Theorien sowie für eine didaktisch glückliche Hand. Die einzige Ausnahme sind die Texte weiträumige Unterrichtsplanung und -reflexion. Dieser über die Pharisäer, die nicht besonders gut ausgewählt Beitrag fordert nicht nur die »Kurzatmigkeit« mancher wurden (51-55). Über die Haltung der deutschen Bi- derzeitiger religionsdidaktischer Vermittlungsansätze her- schofskonferenz und des Vatikans während der NS-Zeit aus; er gibt auch viele kompetente Impulse für den inter- wird der neueste Forschungsstand dokumentiert: Aus disziplinären didaktischen Dialog. Und nicht zuletzt des- Briefwechseln zwischen den Kardinälen Pacelli, Faulha- halb ist der neue (dritte) Band aus der Reihe »Lernprozess ber, Preysing und Bertram kann man die Spannung erken- Christen Juden« es auch wert, seitens der religionspäd- nen, die innerhalb der deutschen Bischofskonferenz vor agogischen Theorie mit sehr viel Ernst aufgegriffen und allem zwischen Kardinal Bertram (Breslau, Vorsitzender ins Gespräch genommen zu werden. der Bischofskonferenz) und Preysing (Berlin) bestand. Alfred Assel, Freiburg i. Br. Laut einem Brief von Kardinal Bertram an die Bischöfe 11 Vgl. besonders die Zielformulierungen S. 115 f.; 172. von Köln, München, Freiburg, Paderborn und Bamberg hatte der unvergessliche Domkapitular Lichtenberg be- PETER FIEDLER / URSULA RECK / KARL-HEINZ reits 1933 gefordert, die Bischöfe sollten gegen den Boy- MINZ (Hrsg.): »Lernprozess Christen Juden«. Ein Lese- kott jüdischer Geschäfte protestieren (124). Geradezu buch. 4. Band der von Günter Biemer und Ernst L. Ehr- spannend hört sich der von besten Zeitgeschichtlern erar- lich hrsg. Reihe »Lernprozess Christen Juden*«. Freiburg 1 Peter Fiedler: Das Judentum im katholischen Religionsunter- 1984. Verlag Herder. 288 Seiten. * richt. Analysen — Bewertungen — Perspektiven (Reihe: »Lernpro- zess Christen Juden« Bd. 1), s. in: FrRu XXXI/1979, S. 111 f. Dieses Lesebuch ist eine Zusammenfassung und ein vor- (Hrsg.): Freiburger Leitlinien zum Lernprozess—Günter Biemer läufiger Abschluss der Reihe »Lernprozess Christen Ju- Christen Juden. Theologische und didaktische Grundlegung den«. Die Reihe besitzt durch die formelhafte Verhältnis- (Bd. 2), s. in: FrRu XXXII/1980, S. 98 f. — Günter Biemer/Albert bestimmung: »Werdende Gottesherrschaft« (jüdisch) — Biesinger / Peter Fiedler (Hrsg.): Was Juden und Judentum für Christen bedeuten. Lehr-Lerneinheiten für die Sekundarstufen * Vgl. dazu u. S. 166, Anm. ". (Bd. 3), s. in: FrRu XXXIV/1982, S. 60.

167 beitete Bericht über die Gegensätze zwischen Kardinal deutung ist. Sie enthält auch einen »Cursus Vitae« des Bertram und Bischof Preysing an (192-205). Aus ihnen Msgr. Oesterreicher und ein Verzeichnis seines umfassen- ersieht man die Schwäche der institutionellen Kirchen ge- den Schrifttums; am Ende einen »Index of Texts and genüber Hitler. Auch ein Essay über Gertrud Luckner Terms« und einen »Index of Subjects and Authors«. Mit darf in diesem Lesebuch ebensowenig fehlen wie die Rede ihr ist der Jubilar hervorragend geehrt worden. Wir wün- des Papstes vor den Juden in Mainz im Jahre 1980 (142 f.; schen ihm zum 80. Geburtstag alles Gute und Gottes 205-210). Segen. Franz Mussner, Passau Wer sich kurz und gründlich über Judentum-Christentum informieren will, wer Religionsunterricht (mit Dokumen- LEON KLENICKI / GEOFFREY WIGODER (Ed.): A ten!) zu halten hat und wer lernen will, wie die Verant- Dictionary of the Jewish-Christian Dialogue. A Stimulus wortung der Christen für das jüdische Erbe im Christen- Book. New York 1984. 113 Seiten. tum und für die Juden getragen werden muss, kann an Es war zu erwarten, dass auch dieses Stimulus Book wie diesem Lesebuch nicht vorbeigehen. Clemens Thoma die Vorgänger (besonders Bd. 1: Stepping Stones to fur- ther Jewish-Christian Relations, hrsg. von Helga Croner ASHER FINKEL / LAWRENZE FRIZZELL (Ed.): 1977') neue Pfade betritt, Dunkles und Unausgesproche- Standing before God. Studies on Prayer in Scriptures and nes klärt und für das künftige Gespräch zwischen Juden in Tradition with Essays. In Honor of John M. Oesterrei- und Christen neue Leitfäden und Schwerpunkte bestimmt. cher. New York 1981. Ktav Publ. House. 410 Seiten. Ein Dictionary für das momentan holperig vorankom- Msgr. Johannes Oesterreicher, geboren vor 80 Jahren in mende Gespräch trifft auf ein dringendes Bedürfnis. der österreich-ungarischen K.u.K.-Monarchie, infolge der Die Herausgeber präsentieren nun 34 Stichwörter, die jü- politischen Vorgänge aber seit Jahrzehnten als Professor disch und christlich unterschiedliche Stellenwerte haben. in den USA lebend, hat sich seit eh und je um den christ- Zuerst handelt ein Jude das Stichwort ab, dann ein Christ. lich-jüdischen Dialog bemüht und dafür auch Verfolgun- Der Leser soll herausfinden, wo die Unterschiede liegen gen erduldet und hat sich vor allem um die Entstehung und sich dann vergleichende Gedanken machen. Die des Konzilsdekrets »Nostra aetate«, in dessen Nr. 4 auch wichtigsten Stichworte sind: Antisemitismus, Bibel, Chri- das Verhältnis der Kirche zum Judentum auf neue Grund- stus: Jesus, Sohn Gottes; Bund, Schöpfung, Dogma, Er- lagen gestellt wurde, hoch verdient gemacht. Er schrieb wählung, Eschatologie, Exil, Glaube, Gott, Israel, Jü- dazu auch den massgebenden, umfangreichen Kommen- disch-Christlicher Dialog, Gesetz/Halacha, Messias, Mis- tar mit Dokumentation der dramatischen Vorgeschichte sion, Pharisäer, Gebet, Umkehr, Erlösung, Tradition und dieses Dekrets für den Ergänzungsband II des »Lexikon Universalismus. für Theologie und Kirche», S. 406-478. Als Dankesgabe Ein so gewichtiges Buch muss gründlich besprochen und erhielt er zu seinem 75. Geburtstag eine Festschrift unter freimütig kritisiert werden. Es scheint mir teilweise neue dem Haupttitel »Standing before God«, mit 25 Beiträgen und richtige Schneisen in das jüdisch-christliche Dickicht von jüdischen und christlichen Schülern und Freunden, zu schlagen, in mancher Hinsicht jedoch sein Ziel zu ver- deren Verfasser und Titel hier vorgestellt werden: E. fehlen oder ungenügende, von Apologetik beherrschte Weinzierl, The Beginnings of John M. Oesterreicher's Pionierarbeit zu leisten. Work; E. H. Maly, »The Highest Heavens Cannot Con- Sehr gut sind meistens die Stichworte, die jüdischerseits tain You«: Immanence and Transcendence in the Deut- von David Blumenthal und christlicherseits von Michael eronomist; A. Deissler, The Theology of Psalm 104; L. B. McGarry behandelt werden (besonders Erw-ählung, Frizzell, A Hymn of Creation in Daniel; 0. Betz, »To Exil, Israel, Liebe, Martyrium, Sünde). Beide Autoren ge- Worship God in Spirit and in Truth«: Reflections on John hen auch auf die jeweilige Gegenseite ein und erwägen, 4,20-26; P. G. Ahr, »He Loved Them to Completion« : wo man in Zukunft neu ansetzen sollte. Auch das von The Theology of John 13,14; L. H. Silberman, Prophets/ Leon Klenicki aus jüdischer Sicht her bearbeitete kurze Angels : LXX and Qumran Psalm 151 and the Epistle to Stichwort Jüdisch-Christlicher Dialog ist weiterführend. the Hebrews; G. S. Sloyan, Who Are the People of God?; Zu jüdisch-christlichem Nachdenken regen z. B. folgende D. Zeller, God as Father in the Proclamation and in the Sätze an: »Nach Auschwitz und der Gründung des Staa- Prayer of Jesus; A. Finkel, The Prayer of Jesus in Mat- tes Israel müssen die christlichen und die jüdischen Ge- thew; J. Sievers, »Where Two or Three .« : The Rab- meinschaften die neuen Dimensionen von Exil und Heim- binic Concept of Sheschinah and Mt 18,20; K. Hruby, kehr sowohl im jüdischen Leben als auch in der universa- The Proclamation of the Unity of God as Actualization of len Bedeutung überprüfen und zu verstehen suchen. Beide the Kingdom; A. Goldberg, Service of the Heart: Liturgi- Gemeinschaften können der Suche nach dem Sinn von cal Aspects of Synagogue Worship; C. Thoma, Observa- >Gottes verborgenem Antlitz< mitten im Schrecken des tions on the Concept and the Early Forms of Akedah Spi- Holocausts nicht ausweichen . . . Dialog ist der Versuch, rituality; J. J. Petuchowski, Theology and Poetry in the wahr zueinander und zu Gott zu sein« (102 f.). Ungenü- Liturgy of the Synagogue; R. M. Nardone, The Church gend wird aber das Stichwort Kirche und Synagoge abge- of Jerusalem and the Christian Calender; W. Strolz, The handelt. Der jüdische Autor behandelt nur die Synagoge, Unique One: The Uniqueness of God according to Deu- der christliche nur die Kirche. Der Anlage des Dictionary tero-Isaiah; E. A. Synan, Prayer, Proof, and Anselm's und der Gesprächsnotwendigkeit entsprechend hätten bei- Proslogion; A. Kraus, The Sin of Folly; W. P. Eckert, de Autoren über beide Stichwörter schreiben müssen, The Vision of Synagoga in the Scivias of Hildegard of dann hätten sie die Auseinandersetzungsproblematik Bingen; M. Wyschogrod, Judaism and Conscience; H. deutlicher getroffen. Eine Konfusion herrscht bei den Weiner, On the Mystery of Eating: Thoughts Suggested Stichwörtern Leben nach dem Tode und Eschatologie. by the Writings of Rav Abraham Isaac Kuk; J. B. Agus, A Vieles steht unter Eschatologie, was unter Leben nach Jewish View of the World Community; Sh. Talmon, Uto- dem Tode stehen müsste und umgekehrt; ausserdem kom- pia and Reality in Martin Buber's Thought; M. K. Hell- men Wiederholungen '•Vor. wig, A Cycle of Holocaust Songs. Auf einzelne Stichwörter hätte verzichtet werden können; Dieser Überblick über die Titel der Beiträge lässt den rei- andere hätten statt dessen eingeführt werden müssen. Das chen Inhalt der Festschrift erkennen, der sowohl für jüdi- Stichwort Ideologie gibt kaum etwas her, da der jüdische sche als auch für christliche Theologen von grosser Be- Vgl. dazu in: FrRu XXIX/1977, S. 153f.

168 und der christliche Autor teilweise nicht dieselbe Sache chen Gottesvolkes; ehe dieses Ziel nicht erreicht ist, darf darunter verstehen. Der jüdische Autor versucht, Ideolo- man nicht von der Erfüllung der Verheissungen Gottes gie der Theologie gegenüber aufzuwerten, der christliche sprechen. Paulus ist Apostel nicht gegen, sondern zugun- redet (mit mehr Recht) von den verschiedenen Missbräu- sten Israels, weil Christus seinem Verständnis nach nicht chen des Begriffs. Ideologie gehört primär nicht als Leit- gegen, sondern für Israel und die Völkerwelt von Gott ge- wort in den jüdisch-christlichen Dialog hinein, sondern sandt, in den Tod gegeben und auferweckt wurde« (29). eher in die Philosophie- und Geistesgeschichte. Ähnliches »Paulus ist ein von Gott in Christus zum Apostel berufe- gilt für Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit. Statt dessen ner Jude, der die Heiden an dem Israel zugesagten mes- wären folgende Stichwörter unabdingbar gewesen: Holo- sianischen Heil beteiligen durfte (vgl. 1 Kor 9, 19-23). Be- caust (da auch Israel ein Stichwort ist), Theologie (da ihr teiligen heisst, den Heiden Anteil zu geben an einer auch Stellenwert ja christlich-jüdisch umstritten ist), Shekina ihr Leben bis zur endzeitlichen Ankunft des Christus tra- (da Christus z. T. im Zusammenhang mit der Shekina ge- genden Rettungsgeschichte, die mit der Erwählung des deutet wird und da die beiläufigen Bemerkungen zu She- Volkes Israel begann« (33). Aus dem Beitrag von Lapide: kina S. 75 nicht genügen), Jesus als Jude (da die »Heim- »Ihnen, den Juden, verheisst Paulus das Heil zuerst und holung Jesu« ins Judentum ein wichtiges jüdisches Anlie- zuletzt; ja oft scheint es, als ob die gesamte Heidenmis- gen ist), Einheit Gottes (da darunter christlich und jüdisch sion nur ein Umweg sei, um ganz Israel zu erretten« (48), Verschiedenes verstanden wird) und Orthodoxie/Ortho- so ganz gewiss nach Röm 11. Für Paulus »war sein Da- praxie (da mit diesen beiden Begriffen die christliche resp. maskus-Erlebnis jener Kairos der Heilszeit, jener seit jüdische Religion zum Teil charakterisiert werden). Ich Abraham prädestinierte Wendepunkt im göttlichen Heils- behaupte nicht, die mit diesen zusätzlich vorgeschlagenen plan, der Juden mit Heiden versöhnen sollte« (53). Im üb- Begriffen gemeinten Sachverhalte seien im Dictionary rigen, so muss ich gestehen, tue ich mich als wissenschaft- nicht angesprochen. Es gibt aber in allen Nachschlagewer- lich arbeitender Exeget mit der Exegese meines Freundes ken das heikle Problem nicht gut gewählter Stichworte, Lapide manchmal schwer, da er da und dort nicht zusam- die zu falschen Gewichtungen oder zum Reden an den mengehörige Schriftstellen kombiniert oder nur halb zi- bedrängenden Problemen vorbeiführen. Es gibt in der tiert, so dass ihr eigentlicher Skopus nicht recht zur Gel- Dictionary-ologie eine eigene, ziemlich wirre Rezeptions- tung kommt. Und wie steht es eigentlich mit Röm 9, geschichte solcher Stichworte. In diesem Zusammenhang 30 - 33? Diesen Text bezieht Lapide in den Aufbau seines wäre auch zu fragen, ob nicht einige historische Darstel- Paulusbildes nicht ein. Aber darf man ihn übergehen? lungen nötig gewesen wären: Rabbinisches Judentum, Während Lapide im Dialog mit Stuhlmacher erklärt: »Je- Kabbala, Martin Buber, Franz Rosenzweig, Zweites Vati- sus war nicht, Paulus und all seinen wohlgemeinten Aus- kanisches Konzil, Zionismus u. ä. Ein Mangel liegt auch sagen zum Trotz, der Messias Israels« (55), bemerkt Rah- darin, dass es am Ende des Dictionary zwar zwei Indices ner: »Für mich bleibt bei allem, was Sie über den Weg Is- gibt: »Index of Hebrew Terms« und »General Index«; raels zu Gott sagten, eben doch die letzte entscheidende dort werden zwar die vorkommenden Begriffe aufge- Frage die, ob Jesus auch der Erlöser der Juden ist und als zählt, aber man wird im Ungewissen belassen, wo sie vor- solcher von diesen anerkannt wird. Unter Voraussetzung kommen. Ein Dictionary müsste doch auch im Detail als dieser Anerkennung könnte ich mich als heidenchristli- Nachschlagewerk gebraucht werden können. Ebenfalls cher Theologe dann immer noch fragen, ob und in wel- wäre es nötig gewesen, dem Dictionary ein Abkürzungs- chem Sinne ich einen eigenen Weg Israels im Unterschied verzeichnis beizugeben. Die Belege aus dem rabbinischen zu dem von uns Heidenchristen anerkennen kann« (67). Schrifttum werden nicht immer gleich wiedergegeben, oft Lapide: Ob der Erlöser »Jesus von Nazareth sein wird, ist fehlen sie auch, so dass wiederum verschiedene Möglich- für Sie eine Gewissheit, für mich eine nicht auszuschlies- keiten der Eindeutigkeit verpasst sind. sende Möglichkeit« (89), aber dann deutlicher wieder: Trotz dieser Mängel scheint mir dieser Dictionary ein gu- »Ich kann zwar Jesus weder als den Messias Israels noch ter und mutiger Anfang zu sein. Wahrscheinlich passt er als den Erlöser einer noch unerlösten Welt anerkennen, auf amerikanische Verhältnisse besser als auf europäische. aber dass Gott sich seiner bediente, um einen Ruck vor- Den Herausgebern ist zu raten, nach einiger Zeit eine wärts, einen Fortschritt auf dem Weg zur Erlösung zu er- 2. Auflage herauszubringen. Nachdem sie eine Schneise wirken, ist eine Tatsache von profunder theologischer ins Dickicht geschlagen haben, wird auch die Zeit für ei- Tragweite« (93). Lapide fragt Rahner: »Könnte (das) nen ausgeweiteten Dictionary reifen. Clemens Thoma Nein der Juden, das ja letztlich dem Glauben und nicht dem Unglauben entspringt, eine positive, gottgewollte PINCHAS LAPIDE / PETER STUHLMACHER: Pau- Rolle im universalen Heilsplan gespielt haben?« Rahner lus. Rabbi und Apostel. Ein jüdisch-christlicher Dialog. darauf: »Natürlich kann ich dem Nein der Juden zu Jesus Stuttgart/München 1981. Calwer/Kösel Verlag. 80 Seiten. im Heilsplan Gottes eine positive, konstruktive Bedeutung PINCHAS LAPIDE / KARL RAHNER: Heil von den zuerkennen. Denn auch wenn ich von allen tiefsinnigeren Juden? Ein Gespräch. Mainz 1983. M. Grünewald Verlag. theologischen Überlegungen über die Sünde und deren 123 Seiten. positiver Funktion im Heilsplan Gottes absehe, kann ich Der jüdische Schriftsteller und Theologe P. Lapide hat als Christ sagen, ich habe als solcher die Pflicht, dieses jü- schon in den vergangenen Jahren Dialoge mit christlichen dische Nein zu Jesus als dem Christus als aus einem posi- Theologen geführt: mit W. Pannenberg (Judentum und tiven Verhältnis zu Gott entspringend zu interpretieren, Christentum. Einheit und Unterschied), mit J. Moltmann obwohl ich zu diesem Nein nein sage« (109). Man muss (Israel und Kirche: ein gemeinsamer Weg) und U. Luz Lapide dankbar sein, dass er Rahner zu diesem intensiven, (Der Jude Jesus. Thesen eines Juden — Antworten eines auf hohem Niveau sich bewegenden Dialog gewinnen Christen); nun auch noch mit dem evangelischen Neute- konnte, bei dem »die heissen Eisen« offen zur Sprache stamentler P. Stuhlmacher (Tübingen) und mit dem dieses kommen. Dieser Dialog ist ein Muster des brüderlich ge- Jahr verstorbenen grossen katholischen Systematiker K. führten »Streitgesprächs«, wie es anders nach Auschwitz Rahner (Innsbruck). Aus dem Gesprächsbeitrag von nicht mehr geführt werden darf. Und dass Rahner sich Stuhlmacher einige wichtige Sätze: »Das Ziel der Heilsge- vor seinem Tod nun auch noch in das jüdisch-christliche schichte besteht nach Paulus in der Erlösung Israels durch Gespräch einschaltete, bleibt für immer denkwürdig und den Messias Jesus und in der Versammlung des endzeitli- eine Wegweisung für die Zukunft. Franz Mussner, Passau

169 HANS LIEBESCHÜTZ: Synagoge und Ecclesia. Reli- FRANZ MUSSNER: Traktat über die Juden. München gionsgeschichtliche Studien über die Auseinandersetzung 1979. Verlag Kösel. 399 Seiten. der Kirche mit dem Judentum im Hochmittelalter. Veröf- Liegt in folgenden Übersetzungen vor: fentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Französisch: Traite sur les Juifs. Paris 1981. Les ditions Dichtung. Heidelberg 1983. Verlag Lambert Schneider. du Cerf. Übersetzer: Robert Givord. 263 Seiten. Italienisch: Il Populo della Promessa. Per il Dialogo Man hätte dieses Buch spätestens in den 50er Jahren drin- Cristiano-Ebraico. Roma 1982. Cittä Nuova Editrice. gend gebraucht, als das Thema Kirche und Synagoge in Übersetzer: Guglielmo Corti. einer grossen Zahl von Veröffentlichungen unter dem Spanisch: Tratado sobre los Judios. Para el diälogo judeo- Eindruck der Schreckensereignisse von Auschwitz sehr cristiano. Salamanca 1983. Ediciones Siguome. Überset- polemisch abgehandelt wurde. Der 1978 in England ver- zer: J. C. Rodriguez Herranz. storbene Hans Liebeschütz hatte das Manuskript im Mai Englisch - amerikanisch: Tractate on the Jews. The Signifi- 1938 im Berliner Schockenverlag eingereicht. Es konnte cance of Judaism for Christian Faith. SPCK, London aber wegen der Judenpolitik der Nazis nicht gedruckt 1984. Philadelphia, Fortress Press. Translated and with an werden. Man fand einen Durchschlag im Nachlass des Introduction by Leonard Swidler. (Red. d. FrRu) Verstorbenen. Alexander Patschowsky bearbeitete das Manuskript, fügte zusätzliche Literaturhinweise, eine FRANZ MUSSNER / SHEMARYAHU TALMON / Würdigung des Verstorbenen und dessen Bibliographie R.-J. ZWI WERBLOWSKY: Jesus — Messias?: Heilser- bei. wartungen bei Juden und Christen / Hans-Jürgen Gre- So steht ein Werk vor uns, das unser Staunen erregt. Lie- schat. Regensburg 1982. Verlag Pustet. 107 Seiten. beschütz war ein Mensch grossen, unabhängigen und no- Seit dem Beschluss der rheinischen Synode mit dem Be- blen Geistes, dem jedes Polemisieren zuwider war. Er ur- kenntnis zu Jesus, dem Juden, der als Messias Israels der teilte nie nach dem blossen Wortlaut einer antijüdischen Retter der Welt ist und die Völker mit dem Gottesvolk Schrift der Spätantike und des Mittelalters, sondern un- verbindet, steht die Jesusfrage wieder neu im Gespräch tersuchte eingehend ihre wirtschaftlichen, gesellschaftli- zwischen Christen und Juden. Auch die Katholische Aka- chen, kulturellen und religiösen Hintergründe. Der karo- demie in Bayern hat sich zu Regensburg eingehend mit lingische Erzbischof Agobard von Lyon, dieser »Haupt- diesem. Thema befasst. Vier Vorträge einer Tagung im vertreter einer frühmittelalterlichen Publizistik« (55), der Dezember 1980, von Professoren für Religionsgeschichte meistens zu den üblen kirchlichen Judenfeinden gezählt bzw. Biblische Wissenschaften, jeweils parallel von einem wird, erfährt durch Liebeschütz eine von grossem Ver- Christen und einem Juden gehalten, sind hier vorgelegt ständnis für seine Situation getragene Würdigung. Er sei und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wor- ein kluger und dem Kaiser gegenüber mutiger Kirchen- den. fürst gewesen. Mit den Juden sei er aus wirtschaftlichen, Greschat zeigt eindrücklich die allmenschliche Er- kirchenpolitischen und religiösen Gründen in Konflikt ge- wartung eines Heilsbringers und einer Heilszeit an mosle- raten. Nach der Untersuchung der Werke Agobards (De mischen, hinduistischen und buddhistischen Beispielen, insolentia Iudaeorum, De Iudaicis superstitionibus usw.) auch in Stammesreligionen und in säkular-nationalen Ent- schreibt Liebeschütz, für Agobard sei »die klassische Ein- würfen. Überall lassen sich ähnliche Strukturen nachwei- fachheit des biblischen Monotheismus in mehrfacher Wei- sen: Je turbulenter die Gegenwart, um so stärker die se wichtig« gewesen. »Und gerade diese eigene Nähe zur Hoffnung auf eine strahlende, friedliche, paradiesische Bibel mag Agobard feinfühlig gemacht haben für die auch Zukunft. Die erwartete Wende bringt meist ein (oft als sonst bei den Zeitgenossen angedeutete Gefahr, dass das Gott wiederkommender) grosser Mensch. Solche Messia- lebende Judentum in eine gewisse Konkurrenz zu dem ka- nismen sind, besonders bei unterdrückten Völkern, ge- rolingischen Christentum treten könnte« (91). Sein Ab- genwärtig-lebendig. schlussurteil lautet: »Wir sehen also, dass der Raum, den Shemaryahu Talmon macht faszinierende Beobachtungen die Kirche in der neuen Publizistik . . . der Bekämpfung an den biblisch-nachbiblischen Berichten über messiani- des Judentums zuwies, nicht ganz unerheblich gewesen sche Erwartungen: Zwar sind in den Texten fast durchge- ist. Soweit wir es feststellen können, ist dadurch die sozia- hend Heils- und Messiashoffnungen miteinander ver- le Stellung der Juden im ganzen nicht verändert worden, schmolzen, aber durch Textanalyse lasse sich zeigen, dass obwohl in diesem Kampf schon viel von den Betrach- sie ursprünglich unabhängig voneinander konzipiert wur- tungsweisen und Zielen steckte, die Jahrhunderte später den: früher die allgemeine — universale — kosmische Heils- für die Judenheit verhängnisvoll werden sollten« (93). Wie erwartung, später (seit der Königszeit) die speziellere — auch Alexander Patschowsky feststellt, ist das Agobard- partikulare — eher nationale Erwartung eines Gesalbten — Kapitel (55-94) von solcher Qualität, dass es auch heute was sich durch Vergleich mit der samaritanischen Tradi- neben der massgebenden Biographie Egon Boshofs beste- tion, die Talmon hervorragend kennt, bestätigen lässt, in hen kann (242). Entsprechendes gilt über das, was Liebe- der die Erfahrung des Königtums bekanntlich fehlt. Tal- schütz über den Apostel Paulus (17-29) und über Thomas mons Vortrag vermittelt eminent wichtige, grundsätzliche von Aquin (222-236) zu sagen hat. Weitere bemerkens- Einsichten: Geschichtshoffnung eschatologisiert sich werte Kapitel sind: »Kreuzzugsbewegung und Judentum« durch Geschichtsenttäuschung; nachexilisch wurde zu- (95-134) und »Volksfrömmigkeit und religiöse Symbolik« künftig messianische Erwartung zu Erfüllung in der Ge- (135-180). genw-art; durch der Menschen Verhalten soll die Welt In keiner einzigen Passage dieses Buches kommen über- verwandelt werden; Heils- und Messiaszeit vollziehen holte Fragestellungen vor. Mediävisten und die jüdisch- sich innert der hiesigen Welt; Messiaszeit steht auf einem christlichen Dialogiker dürfen einen weisen, milden und neuen König, der neue Chancen eröffnet, Heilszeit ist gründlichen Mann zur Kenntnis nehmen, der als Jude am umfassend Gottes Werk, das allen Menschen gilt. Vorabend des Zweiten Weltkrieges das historische und Z. Werblowsky stellt die Komplexität des nachbi- theologische Verhältnis zwischen Juden und Christen mit blisch-jüdischen Messiasverständnisses dar. Unterscheiden einem bis heute nicht wieder erreichten gütigen Verständ- lassen sich individuelle, kollektive und kosmische Heilser- nis behandelt hat. Er schrieb ein Buch ohne Vorwürfe und wartungen; einmal Gott selber Heilsbringer, ein andermal ohne Oberflächlichkeiten. Clemens Thoma sind es Menschen, selber Heiles bedürftig. Einmal wird

170 Rettung aus Tod, ein andermal Rettung aus Leben er- Chen 1979). Zu diesen Titeln gesellt sich nun eine entspre- hofft, einmal Rettung gegenwärtig erfahren, ein andermal chende Monographie des Neutestamentlers der Kirchli- zukünftig ersehnt. Wichtig, weil Christen es fast immer chen Hochschule der Evangelischen Kirche Berlin-Bran- anders behaupteten: Israel war das Volk der Erfüllung; denburg. die Väterverheissungen haben sich erfüllt; David und Sa- Von der Osten-Sacken entwickelt seine Grundzüge einer lomo waren Modelle für erfüllte Geschichte! Erst unter Theologe im christlich-jüdischen Gespräch in sieben un- dem Druck massloser Enttäuschung wurde die Geschichte terschiedlich langen Kapiteln, deren Themenfolge einen negativ betrachtet und stattgehabte Erfüllung zu zukünfti- logischen Duktus verraten. Die Überlegungen des einfüh- ger Erwartung »eschatologisiert«, Politisches spirituali- renden Kapitels »Hermeneutische Orientierungspunkte siert, Kollektives individualisiert. Wie messianische Er- einer Theologie im christlich-jüdischen Gespräch« wartungen aus Enttäuschung kommen, so führen sie not- (13 - 38) vermessen das Gelände, auf dem sich der Neute- wendig in immer neue tiefere Enttäuschung, weil messia- stamentler in den nachfolgenden Kapiteln bewegt. Er nische Bewegungen zum Scheitern verurteilt sind. Trotz- würdigt die Entwürfe einer christlichen Theologie des Ju- dem steht jüdischer Glaube auch auf ihnen. Nach Rosen- dentums von Thoma und Mussner kritisch. Besonders ge- zweig folgten die besseren Juden den Messiassen, wäh- gen Thoma sind seine Einwürfe der Abstraktheit des Be- rend die Stärkeren sich ihnen verweigerten. Die Meister griffs »Judentum«, die sich nicht zuletzt im Fehlen einer des Talmuds, tief traumatisiert, warnten darum vor mes- theologischen Aussage über den Staat Israel zeige (14), sianischen Abenteuern, während die späteren Kabbalisten und der Verniedlichung des neutestamentlichen Antiju- eine zuerst zeitlose Mystik wieder an einer fieberhaften daismus gerichtet. Mit Thoma in gleicher Weise betroffen Messianik festmachten. Seit den grossen mittelalterlich- ist Mussner vom Vorwurf der apologetischen Tendenz messianischen Katastrophen fragen Juden die Christen und der vorschnellen christologischen Lösung von Au- wieder neu, wie ein Messias mit der immer noch unerlö- schwitz sowie von dem Hinweis auf das Defizit, die Juden sten Welt zusammen erlebt und gedacht werden könne. Christen der Gegenwart nicht bedacht zu haben. Von der Der Messianismus ist für Juden ein randhaft-sekundäres Osten-Sackens Ausstellungen markieren gleichzeitig die Problem; er kommt aus dem Judentum und gehört zum Fragen, denen er besondere Aufmerksamkeit widmet. Judentum, ist ihm aber nicht, nicht mehr, wesentlich. Ju- Dass er sich um Rückbindung an das Neue Testament be- dentum lässt sich nicht auf Messianismus reduzieren. Weil müht, wird bereits mit dem zweiten Kapitel: »>Sie sind Is- der Juden erste Sorge nicht ist, gerettet zu werden, son- raeliten . .< : Zur Identität des jüdischen Volkes« (39-67) dern vor Gott zu leben, darum steht die zur Halacha aus- deutlich. Die Frage, wer Israel sei, beantwortet er im Ge- gelegte Tora im Zentrum, die sowohl fordert als auch er- spräch zwischen der paulinischen Definition von Röm 9, möglicht ein gottgefälliges Leben in der hiesigen Welt. 4 f. und jüdischer Überlieferung. Der Autor findet zu sehr F. Mussner. Der Messias Jesus weist einerseits die starke schönen Aussagen eines christlich-jüdischen Konsenses im Verankerung dieser Aussage im Neuen Testament, ande- Verständnis der Würde Israels, ohne die Differenzpunkte rerseits die antijüdische Bestreitung ihrer Jüdischkeit (etwa in der Frage der Erlösung oder der Teilhabe des durch die kirchliche Theologie auf. Dann wird das Ne- Geistes) zu überspringen. Er hofft auf jüdisches Einver- beneinander von mindestens drei wesentlichen jüdischen ständnis, wenn er schliesslich die Kennzeichnung »Schwe- Schichten im urchristlichen Messiasbild nachgewiesen. Je- stern und Brüder Jesu« zur Umschreibung des jüdischen sus wurde mit dem Geist gesalbt, galt darum als messiani- Volkes verwendet, womit er zum grossen christologischen scher Geistträger; Jesus war als Geistträger auch messiani- Kapitel »Jesus Christus: Sohn Israels und Erstgeborener scher Weisheitslehrer, der den Weisen Salomo überbot; in aus den Toten« (68 - 143) überleitet. Seine »Leitlinien ei- der Passionsgeschichte erscheint Jesus als messianischer ner Israel bejahenden Christologie« zeichnen den irdi- Knecht und Prophet (nach dem Vorbild von Sap. Sal. 2, schen Jesus in seiner Pro-Existenz, den Auferstandenen 12 ff. und 5,1 ff.), der durch die Auferweckung legitimiert mit der Kraft des Versöhners der Gemeinde mit Israel wird. Wenn Juden zu diesen Texten auch wesentlich an- und den Kommenden in seiner Andersartigkeit trotz vor- ders stehen, so bleiben sie doch durch die sie begründende ausgesetzter Identität mit dem Gekommenen so, dass die Erwartung miteinander verbunden. Christen lernen von verschiedenen Beleuchtungen der einen Gestalt Jesu Chri- Juden, das Defizit zwischen Verheissenem und Erfülltem sti auf eine »Für-Struktur« treffen, die das jüdische Volk ernster zu nehmen; sie harren gemeinsam mit Juden der auch angesichts seines Neins zum Evangelium bejaht. Von endgültigen Erlösung. diesem alles beherrschenden Bezugspunkt her lichtet er Dieses einfach aufgemachte Büchlein verdient hohe Be- u. a. »den herumgeisternden exegetischen Spuk der soge- achtung. Wer als Pfarrer, Lehrer, Katechet von jüdischem nannten Aufhebung des Judentums oder der Tora durch Messianismus allgemein und über das Messiastum Jesu Jesus« (89). speziell zu reden hat, sollte diesen Schatz heben. Das Ringen um eine neue Sicht des Judentums hat im Bin- Reinhold Mayer, Tübingen nenraum der Kirche und christlichen Existenz eine Nagel- prdbe in der Vergewisserung, ob denn dort in diesem Bin- PETER VON DER OSTEN-SACKEN: Grundzüge ei- nenraum selbst die jüdische Dimension »zugelassen« wird. ner Theologie im christlich-jüdischen Gespräch. (Abhand- So handelt von der Osten-Sacken zwangsläufig von »Isra- lung zum christlich-jüdischen Dialog 12.) München 1982. els Gegenwart in der Kirche: Die Judenchristen« (4. Kapi-

Christian Kaiser Verlag. 240 Seiten. tel = 144- 167). Das Thema der Judenchristen der Ge- Vielleicht kann man schon von »Klassikern« der Denkbe- genwart war bislang in Dialog und Theologie gemieden, mühung »nach Auschwitz« in der gegenwärtigen christli- was deren »Einsamkeit nach beiden Seiten hin« (154) ver- chen Theologie um Juden und Judentum sprechen. Ge- festigte. In seinem eigenen Volk gilt der Judenchrist als meint sind die Entwürfe zu einer »Theologie des Juden- Apostat; und seiner kirchlichen Gemeinde ist er, insofern tums« aus der Feder des Luzerner katholischen Bibelwis- er aus jüdischem Lebenszusammenhang heraus seinen senschaftlers und Judaisten Clemens Thoma (Christliche Glauben theologisch artikuliert, suspekt. Angesichts dieser Theologie des Judentums = Der Christ in der Welt VI, Einsamkeit besteht die Aufgabe der Völkerkirchen darin, 4 a/b, Aschaffenburg 1978) und des langjährigen Neute- den Judenchristen bei der Ausprägung ihrer Identität zu stamentlers der Regensburger Katholisch-theologischen helfen, und zwar um ihrer selbst willen, aber auch der Fakultät, Franz Mussner (Traktat über die Juden, Mün- Völker willen (diese sind im ekklesiologischen Sinn ohne

171 judenchristlichen Teil abgeschnitten von ihrer Wurzel) der Osten-Sackens, beim Bedenken Israels gehe es nicht und um Israels -willen (weil die Judenchristen als Freunde um ein regional eingrenzbares Einzelthema der Theologie Israels und der Völker die Möglichkeit der Friedensstif- (vgl. 16). In dieser Sicht trifft von der Osten-Sacken sich tung zwischen Gottesvolk und den Völkern bezeugen). mit dem von ihm gescholtenen Clemens Thoma, der die Im 5. Kapitel »Israel und Kirche: Existenz im Miteinan- Theologie des Judentums programmatisch als »Theologie der« (168-188) handelt der Autor vom jüdischen Volk als ohne Antisemitismen« definierte. Bei aller zugestandenen dem Zeugen für die Wahrheit Gottes gegenüber der Kir- Schwäche der Genitiv-Theologien hebt Thomas Formu- che, in dessen Leben und Geschichte besonders das Be- lierung »Christliche Theologie des Judentums« deutlich kenntnis zum einen Gott tief eingeprägt ist. Das Gegen- auf die Eigenverantwortlichkeit christlicher Theologie für über solcher Zeugenschaft bedeutet den heilsamen Dienst ihre Aussagen ab, welche in der Formulierung einer Israels an der Kirche, dass die »Tradition religiöser Un- »Theologie im christlich-jüdischen Gespräch« doch eher duldsamkeit« durch den eschatologischen Vorbehalt ge- verdunkelt erscheint. bändigt wird. Analoges gilt für eine Begrenzung des Ju- Zu kritischen Rückfragen fordern jene Positionen von der dentums durch die christliche Gemeinde. Diese wechsel- Osten-Sackens heraus, die sich in seiner Sachkritik neute- seitige Begrenzung hat nun jedoch nach von der Osten- stamentlicher Aussagen und in seiner dezidierten Ent- Sacken eine gewichtige christologische Folgerung: »Das scheidung für eine subordinatianische Christologie mel- Zeugnis Israels von dem einen Gott ist eine für die Kirche den. So sehr paulinische Aussagen Grundstützen seiner bleibend bedeutsame Anfrage an die Integrität ihres hin- Theologie bilden — von der Osten-Sacken nimmt Paulus sichtlich der Einheit gleichlautenden Bekenntnisses. Es ist nicht aus der »Sachkritik«, deren Grundproblematik hier damit Krisis einer jeden Christologie, die nicht eindeutig nicht weiter aufgenommen sei, aus (vgl. nur 41, 72). Ein subordinatianisch orientiert ist, d. h. von der Vorausset- Ausgangspunkt seiner Sachkritik an Paulus ist die These, zung der klaren Unterordnung des Sohnes Gottes unter »das Leben des irdischen Jesus (komme) bei ihm (Paulus) Gott selbst aus entworfen und so zugleich funktional ori- bekanntlich nicht in den Blick« (72). Welche Auswirkung entiert ist« (183). Solche funktional orientierte Christolo- auf seine Sachkritik hätte es, wenn von der Osten-Sacken gie treibt von der Osten-Sacken im Bedenken der Herr- sich mit der zunehmenden Tendenz in der katholischen schaft Gottes, deren Medium im jüdischen Volk die Tora, Exegese auseinandersetzt, die Paulus sehr wohl am irdi- in der christlichen Gemeinde Jesus Christus als anfangs- schen Jesus interessiert sieht (J. Blank, M. Theobald u. a.), weise Erfüllung der Tora ist. Das 6. Kapitel (Die Kirche und sich von ihr überzeugen liesse? Durchgängig bringt in ihrem Verhältnis zu Israel und Schöpfung: 188-197) von der Osten-Sacken Vorbehalt und Sachkritik am Jo- handelt von der Überzeugung, ein gewandeltes Verhältnis hannesevangelium vor (vgl. nur 72, 139, 181 ff., 193 f.), zum jüdischen Volk verändere auch die Beziehung zur das am Ende eines Prozesses zunehmender Ausweitung übrigen Schöpfung. Der Bogen des mit hermeneutischen der Bedeutung Jesu Christi im Neuen Testament steht Überlegungen eröffneten Buches schliesst sich, wenn das und symptomatisch für den christologischen Fortgang in 7. Kapitel Folgerungen »zum Umgang mit der Schrift« den nachfolgenden Jahrhunderten bis hin zu Konstantino- vorlegt (198-217). Eine Israel bejahende Theologie pel (vgl. 139, 162) ist. schliesst das kräftige Ja zur Juden und Christen gemeinsa- Blockiert von der Osten-Sacken mit der Entscheidung ge- men Bibel ein, ohne das Recht zu deren interpretativ chri- gen die johanneisch angestossene Inkarnationschristolo- stiana auszuklammern. Freilich kann bei solcher Interpre- gie nicht die binnenkirchliche und innertheologische Be- tation das traditionelle Motiv der »Überbietung« eine kir- reitschaft, das Anliegen der Überwindung des theologi- chenkritisch-ethische Spitze erhalten: »Wenn schon in der schen Antijudaismus in der notwendigen Breite aufzuneh- Zeit vor dem Kommen des Messias das Gebot der Liebe men? Ist es wirklich obsolet und apologetisch oder Beleg zum Fremden in Geltung steht (Lev 19, 33 f.), um wieviel der Unbussfertigkeit gegenüber dem Ruf nach einem tief- mehr in der Zeit nach seiner Ankunft« (211). Abschlies- greifenden Wandel christlicher Theologie, das Ja christli- send laufen die »Konturen eines Resümees« (218-220) — cher Theologie zu Israel vom »vere Deus« Jesus Christi am Beispiel der armen Witwe mit ihrem Scherflein skiz- her durchzubuchstabieren und eben inkarnationschristo- ziert — auf eine Tentenz zu, welche in fast Rosenzweig- logisch zu untermauern? Gerade der Einsatz von inkarna- scher Diktion die Gesamttendenz der Grundzüge bün- tionschristologischer Reflexion her hat in der katholi- deln: »Es gibt nach Jesus Menschen, die sind bereits dort, schen Theologie der letzten Jahre — dies durchaus in sach- wohin das Dogma sie erst durch das Bekenntnis zu ihm licher Aufnahme von Anstössen Karl Barths — zu innova- gelangen lassen will« (220). Begriffs-, Autoren- und Stel- torischen Formulierungen ad Israel (neben dem zitierten lenregister (227- 240) beschliessen den Band. P. Lenhardt: B. Dupuy, T. Pröpper, F. Mussner, P.-W. Für einen fundamentaltheologisch orientierten katholi- Scheele, R. u. W. Feneberg, R. Schaeffler u. a.) geführt. schen Ökumeniker ist von der Osten-Sackens Buch, das Sodann scheint die Kritik von der Osten-Sackens an der von der einzelexegetischen Ausführung immer wieder zur christologischen Entwicklung zur Aussage von der We- bibeltheologischen und systematischen Reflexion über- sensgleichheit des Sohnes mit dem Vater doch in einer ei- geht, höchst anregend und aufregend zugleich. Durch- gentümlichen Spannung zu seinem unterstreichenswerten bruch — vielleicht auch Gradmesser der Reife des christ- Interesse an der jüdischen Auslegung der Schrift in nach- lich-jüdischen Dialogs — ist sein Buch darin, dass es die biblischer Zeit (»Vom Nutzen jüdischer Schriftausle- Existenz von Judenchristen in der Gegenwart als theologi- gung« : 214-218) zu stehen. Hat er in der Kritik der nach- sche Grundfrage reklamiert (und auch das Faktum des neutestamentlichen Theologie- und Dogmenentwicklung Übergangs von Christen zum Judentum streift: 187 f.). einen gleichsam »sadduzäisch-karäischen« Standpunkt be- Teilweise sehr eindrucksvoll ist es dort, wo es dem positi- zogen, um die gleichsam »pharisäisch-rabbinische« Op- ven Sinn des Neins Israels auf die Spur zu kommen ver- tion für die Wahrnahme der nachbiblischen jüdischen sucht (vgl. nur 107,114,122,169ff.). Seine Stärke hat es Tradition zu reservieren? Spätestens hier wird die katho- darin, dass es die jüdische Kontur des »rere homo« kräftig lisch-protestantische Note des Dissenses deutlich. Dass sie und positiv herausarbeitet, sie — über eine blosse Erinne- sich im christlich-jüdischen Kontext meldet, ist als öku- rung an die jüdische Herkunft Jesu hinaus — in die Chri- menisches Hoffnungszeichen und als Beleg für die stologie einträgt und in ekklesiologische Folgesätze aus- Fruchtbarkeit der Arbeit von der-Osten-Sackens zu lesen. zieht. Darin zeigt sich nochmals das Recht der These von Hans Hermann Henrix, Aachen

172 DERS.: Katechismus und Siddur. Aufbrüche mit Martin gangenheit und Gegenwart breit zu Wort kommen lässt Luther und den Lehrern Israels. (Veröffentlichungen aus und behutsam auslegt, kann dabei die Tragweite der — dem Institut Kirche und Judentum, Bd. 15.) Berlin/Mün- auch inhaltlichen — Querverbindungen oft nur andeuten, chen 1984. Selbstverlag Kirche und Judentum in Zusam- so etwa bei den Themen Exodus (s. bes. 147-149) oder menarbeit mit dem Chr. Kaiser Verlag. 372 Seiten. Vergebung (s. bes. 206-209 und 235-237). Auf diese Wei- Ist das nicht der Versuch einer Quadratur des Kreises, se stellt das Buch über seinen Entstehungsanlass hinaus zwischen »Luthers Erklärungen der fünf Hauptstücke des (für eine »Tagung der Regionalsynode» Berlin West: 13) christlichen Glaubens« (im Kleinen und im Grossen Kate- ein nicht leicht zu erschöpfendes Angebot zur Vertiefung chismus) und »Grundtexten jüdischen religiösen Lebens«, des christlichen Verständnisses für das Judentum — im wie sie das Gebetbuch enthält und die »mit Hilfe von Sinn einer Begegnung >von Mitte zu Mitte< — für den vor- Überlieferungen der rabbinischen Literatur« gedeutet gesehenen Adressatenkreis dar: »Gedacht ist . . . einerseits werden, »Querverbindungen« herzustellen, und zwar so, an Theologen — vor allem an Pfarrer, Lehrer und Studen- dass nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsam- ten« (>höhere Ränge< sollten sich nicht ausgeschlossen keiten zutage treten (18)? Immerhin — zwischen den für fühlen!) »— und andererseits an Nichttheologen, die für die jeweilige Seite repräsentativen Texten (beide Katechis- das Thema aufgeschlossen oder noch zu gewinnen sind«, men »sind Teile der evangelisch-lutherischen Bekenntnis- also die Mehrzahl in den Gemeinden. Selbstverständlich schriften, und beide gehören zu den wenigen Arbeiten ist das Buch auch für Katholiken höchst empfehlenswert. Luthers, zu denen er sich bleibend bekannt hat« : (13) sind Zu lernen ist nicht bloss, wie auf evangelischer Seite Lu- die Entsprechungen unübersehbar: Die Zehn Gebote und thers Auslegung allgemein christlicher Texte heute gele- die »Zehn Worte (als Teil der Tora)«, Apostolicum und sen werden kann, sondern man kann auch die Erfahrung »Höre, Israel«, Vaterunser und Achtzehnbittengebet, bestätigt finden, dass »der Rückbezug der Konfessionen Taufe und Beschneidung, Abendmahl und Kiddusch/Pas- auf die gemeinsamen Wurzeln im Volk der Bibel eine sah (14). Einer positiven Aufnahme solcher Entsprechun- Stärkung der ökumenischen Seite des Lebens der Kirchen gen steht auf christlicher Seite jedoch dieser (wohlwollend bedeutet» (20). Ebenso empfiehlt die gegenwärtige Kate- beschriebene) Tatbestand entgegen: »Beide Katechismen chismus-Renaissance Aufmerksamkeit für das jüdische sind durchgängig von dem bestimmt, was man unpole- Glaubensleben und die Stimmen der Lehrer Israels, soll misch eine totale Israel-Vergessenheit nennen könnte.« die auch auf katholischer Seite vorherrschende Israel-Ver- Dem entspricht die Beobachtung, dass »Israel auch von gessenheit endlich überwunden werden. denen, die die Katechismen lehren und erklären, nicht Peter Fiedler, Freiburg i. Br. vermisst wird« (15). Deshalb muss zunächst die theologi- sche Berechtigung, ja Unerlässlichkeit des Vorgehens er- KLEMENS RICHTER (Hrsg.): Die katholische Kirche wiesen sein. Dem dient eingangs die Feststellung, die der und das Judentum. Dokumente von 1945 bis 1982. Mit Vf. auf der »Grundlage« des Wortes »Gottes, wie es von Kommentaren von Ernst Ludwig Ehrlich und Erich Paulus in Röm 9-11 ausgelegt wird mit seiner Spitze in Zenger. Freiburg/Basel/Wien 1982. Verlag Herder. 160 der Bekräftigung der unverbrüchlichen Erwählung und Seiten. Errettung Israels«, so formuliert: »Die Gewissheit, dass Die bereits in FrRu XXXII/1980, S. 144 angezeigte Ver- Gott an der Erwählung Israels und an der Zuwendung zu öffentlichung des Pax-Christi-Sekretariats ist — mit eini- seinem Volk festhält, auch wenn es nein zu Jesus Christus gen Korrekturen versehen und um die Papstansprache »an sagt, ist Teil des christlichen Glaubens. Diese Gewissheit die Delegierten der Bischofskonferenzen für die Bezie- gehört deshalb grundsätzlich ebenso ins Credo wie in ei- hungen zum Judentum vom 6. März 1982« erweitert — nen christlichen Katechismus« (16). Diese ebenso folgen- nun in einer handlichen Paperback-Ausgabe erhältlich. K. reiche wie letztlich unumgängliche Feststellung erhält vor Richter und E. L. Ehrlich beziehen diese Papstrede in ihre allem noch im »Ausblick« ihre theologische Stütze, wo die Kommentierung ein. Der Dokumentenband hat nichts durch das ganze Buch beeindruckend vorgeführte Ände- von seiner Notwendigkeit eingebüsst. rung im »Umgang« mit der Gewissheit »allein aus Glau- Peter Fiedler, Freiburg i. Br. ben« mit (vgl. Röm 9 und 11), aber auch gegen Paulus (Gal 3 f.) begründet wird (264-268) — so ist das Problem SJALOOM, TER NAGEDACHTENIS VAN MGR. der christlichen Israel-Vergessenheit an der Wurzel ge- DR. A. C. RAMSELAAR. Uitgave van de B. Folkertsma packt, von der allein es auch geheilt werden kann. Nimmt Stichting voor Talmudica in samenwerking met de Katho- man nämlich wahr, dass der Vorwurf des Paulus, »Israel lieke Raad voor Israel. 1983. wolle >aus Werken des Gesetzes gerechtfertigt< wer- Anfang des Jahres 1981 starb im Alter von 81 Jahren einer den, . . . an der Realität jüdischer Glaubensexistenz vorbei der bedeutendsten katholischen Pioniere in der Bewegung geprägt ist«, und erkennt man an, dass der paulinische der Erneuerung der christlich-jüdischen Beziehungen, der Sitz im Leben< nicht mit dem unsrigen zu identifizieren Niederländer Mgr. Dr. A. C. Ramselaar. Zu seinem ist, dann ist es uns verwehrt, »christliche gegen jüdische Andenken wurde von der >B. Folkertsma Stichting voor (Glaubens-)Gewissheit auszuspielen« (267 f.), deren Fun- Talmudical< in Zusammenarbeit mit dem niederländi- dament die Erwählung — und nicht »die Gerechtigkeit aus schen katholischen Rat für Israel' ein Buch veröffentlicht, Werken« — bildet (264 f.). Auf dieser Basis ist als Aufgabe das einen ausgezeichneten Eindruck der Vielseitigkeit der klar, dass »gewissermassen mit Luther gegen Luther, so- Person und der Arbeit von »Toon« Ramselaar vermittelt. dann mit Hilfe der biblischen und der rabbinischen Über- Dass dieses Buch sechzehn Beiträge in vier verschiedenen lieferung über destruktive Beziehungen der christlichen Sprachen (Niederländisch, Deutsch, Französisch, Eng- Gemeinde zum jüdischen Volk hinausgeführt wird« (17; lisch) enthält, deutet diese Vielseitigkeit schon an. dabei sei dahingestellt, ob man sich erst und nur vom spä- Das Buch ist in zwei Abschnitte mit den Bezeichnungen ten Luther zu distanzieren habe). Dann ergibt sich »eine »Herinnering« (Erinnerung) und »Uitzicht« (Voraus- Fülle überraschender sachlicher Verbindungen zwischen schau) gegliedert. Der erste Teil enthält Beiträge enger der Art und Weise, wie Luther und wie die Lehrer Israels Freunde Ramselaars mit ausführlichen Beschreibungen vom Handeln Gottes reden und Schrift und Tradition seiner Person und seines Lebensweges. Geboren 1899, auslegen« (16). Die Auslegung, die die Texte unter sorg- wurde er 1922 zum Priester geweiht. In Rom studierte er fältigem Hinhören auf die jüdischen Stimmen aus Ver- Musikwissenschaft, wurde Priester der katholischen Pfad-

173 finderbewegung in den Niederlanden, und nach dem Einen solchen Dank möchte ich hier auch persönlich bezeugen. Zweiten Weltkrieg übernahm er bis zu seiner Pensionie- Im Mai 1952 besuchten Prof. Dr. Karl Thieme und ich — aus der Bundesrepublik war dies sehr früh — in Apeldoorn auch Prof. rung im Jahre 1964 die Leitung des »Kleinseminariums« Ramselaar. Viele weitere Besuche folgten. Als Präsident des »Nie- des Erzbistums Utrecht. Von 1963 bis 1975 war er ausser- derländischen Katholischen Rats für Israel« lud Msgr. Ramselaar dem »aumonier g8neral« der Weltunion der katholischen auch zu den internationalen Studientagungen über christlich- Frauenorganisationen und nahm als solcher als »peritus« jüdische Beziehungen in das gastliche Kleine Seminar des Erz- bistums Utrecht zu Apeldoorn ein. Zu der ersten Studientagung am Zweiten Vatikanischen Konzil teil. Diese biographi- vom 9. bis 13. 8. 1958 waren Persönlichkeiten aus 10 verschiede- schen Daten lassen aber kaum den umfassenden Geist nen Ländern dort, »wo eine beglückende Gemeinschaft in der Ramselaars erkennen, auch nicht sein leidenschaftliches Sicht jener Beziehungen des Neuen Gottesvolkes zu den älteren Interesse an der Sache der Erneuerung der Beziehungen getrennten Brüdern sich ergab. Den Höhepunkt bildete ein Bericht von Abt Leo von Rudloff von der Jerusalemer Dormi- zwischen Juden und Christen. Im Laufe seines Lebens hat tio.«*/*"/*** er in vielen Ländern Freunde gewonnen, unter anderem Auch heute ist das Wort von Prof. Ramselaar aktuell: . . . »Das auch in Lateinamerika. Seinem Wunsch gemäss wurden in Verhalten der Völker gegenüber dem jüdischen Volk bedeutet immer seinen Grabstein die Worte »Sjaloom Jisrael« gemeisselt. viel für den Frieden und die Gerechtigkeit der Welt.«*** Das Gedenken von A. C. Ramselaar zum Nachruf Jules Isaacs In den Niederlanden begründete er den »Katholiek Raad möge auch für ihn selbst gelten. Gertrud Luckner voor Israel«, war Redakteur der von Juden und Christen »Möge seine Arbeit nach seinem Tode tausendfältige Frucht herausgegebenen Zeitschrift »Ter Herkenning« (Zur tragen, möge seine Seele gebunden sein im Banne des ewig- Wiedererkennung), und unter seinem Vorsitz wurde der strahlenden Lichtes.«**** Internationale Rat der Christen und Juden in seiner Vgl. FrRu XI (41/44), 9. 11. 1958, S. 80. heutigen Form konstituiert. Für seine Verdienste um die ** Uber die zweite internationale Studientagung vgl. ebd. XIII christlich-jüdischen Beziehungen wurde ihm 1972 die (50/52), Juni 1961, S. 10-11. *** Aus: »A. C. Ramselaar, Die jüdisch-christlichen Beziehungen Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. in den Niederlanden«, ebd. XII (49), September 1960, S. 16. Von welch grosser Bedeutung die christlich-jüdischen Be- **** Ebd. XV (57/60), Januar 1964, S. 80. — Vgl. o. S. 192. ziehungen für ihn waren, wird aus den Beiträgen jüdi- scher und christlicher Freunde im zweiten Abschnitt des CLEMENS THOMA: Die theologischen Beziehungen Buches deutlich. Der Beitrag des früheren Sekretärs des zwischen Christentum und Judentum. (Grundzüge, Bd. Rates für das Verhältnis zwischen den Kirchen und Israel 44.) Darmstadt 1982. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. der Niederländischen Reformierten Kirche, Dr. Sam 174 Seiten. Gerssen, enthält einige Überlegungen über Einheit und »Die wirklichen religiösen und theologischen Beziehun- Spannung zwischen Judentum und Christentum, grup- gen zwischen Christentum und Judentum liegen nicht zu- piert um die Themen Die Schrift, Der Messias, Das Volk tage. Sie müssen vielmehr mühsam unter viel Schutt her- Gottes. In seiner exegetischen Studie über die Worte vorgeholt werden.« Mit diesem Satz (S. 2) schildert Cle- >nicht zu aller Zeit< aus dem Gesetz zum Versöhnungstag mens Thoma, der Leiter des Instituts für jüdisch-christli- in 3 Mose 16, Vers 2 bringt Ben Hemelsoet, Professor an che Forschung an der theologischen Fakultät in Luzern, der Katholischen Theologischen Hochschule Amsterdam, die Ausgangslage für die theologischen Beziehungen zwi- diese Worte mit dem Wort >einmal< aus dem Hebräerbrief schen Christentum und Judentum. Positiver ausgedrückt: in Verbindung, der sich auf das Opfer Christi bezieht. Jede theologische Frage hat vielfältige historische Zusam- Professor Heinz Kremers aus Duisburg befasst sich aus menhänge, und deshalb müssen die theologischen Bezie- Anlass der Diskussion um den Beschluss der Rheinischen hungen zwischen diesen beiden Partnern auch auf einer Synode zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen breiten Front angepackt werden. Die gegenseitige Ver- und Juden vom 11. Januar 1980 mit dem Ölbaumgleichnis wurzelung, das Ineinandergreifen der Geschichte und der in Röm 11, 17 (auf Deutsch). Der jüdische Gelehrte Pro- Theologien müssen dazu führen, in mühsamer, aber span- fessor Manfred Vogel, der an der Northwestern Universi- nender Kleinarbeit diese theologischen Beziehungen kla- ty in Evanston bei Chicago lehrt, befürwortet in seinem rer abzustecken. auf Englisch geschriebenen Artikel eine Neuformulierung Nach der Einführung behandelt Thoma im zweiten Kapi- der zionistischen Ideologie, die die Legitimität des jüdi- tel die Ansätze der Kirchen für den Dialog mit Juden seit schen Lebens in der Diaspora einschliesst. Professor 1945. Es ist die Periode des christlichen Umdenkens und Schmuel Safrai von der Hebräischen Universität Jerusa- der Selbstreinigung, die bis jetzt noch nicht abgeschlossen lem kommt mit einem an Informationen reichen, auf Eng- ist, aber Thoma will weiter ziehen. Ob bei den Gründen lisch abgefassten Artikel über Märtyrertum in der Lehre zum Umdenken auch die Austrittsbewegung aus den Kir- der Tannaim zu Wort. Sein Kollege von der gleichen Uni- chen eine Rolle spielt, wage ich zu bezweifeln, und es ist versität, Professor David Flusser, befasst sich in einem sogar die Frage, ob man diese typisch innerkirchliche Pro- deutschen Beitrag mit dem Lavater-Mendelssohn-Streit blematik auch in diesem Zusammenhang mitzählen darf. und den Spuren, die dieser in Lessings >Nathan der Wei- Thoma bleibt praktisch und geht auf die über 50 kirchli- se< hinterlassen hat. Der jüdische Professor Henri van chen Erklärungen kurz ein. Er weiss, wie schwer es ist, in Praag verteidigt die These, dass Christentum und Antise- diesem Jungle einen Weg zu suchen. Die Erklärungen mitismus ihrem Wesen nach unvereinbar sind. Das Buch und die verschiedenen Körperschaften, die sich für den schliesst mit der Predigt eines Freundes Ramselaars, Pro- Dialog einsetzen, haben einen eigenen Stellenwert und fessor Theo de Kruijf von der Katholischen Theologi- sind einander nicht gleichzusetzen. Die Themen der ver- schen Hochschule Utrecht, und einem Nachruf von Rab- schiedenen Erklärungen bilden gemeinsam das ganze biner Yehuda Aschkenasy, Leiter der Folkertsma-Stiftung Netz der theologischen Beziehungen, aber vorläufig weist für Talmudica in Hilversum, Niederlande. (Sofern nichts das Netz noch Mängel auf und ist manchmal nicht viel anderes vermerkt, sind die Beiträge auf Niederländisch mehr als eine Traktandenliste für die Zukunft. Thoma geschrieben.) gleicht dabei einem Forschungsingenieur, der in seinem Sowohl im Teil »Erinnerung« als auch im Teil »Voraus- Labor ein weitgestecktes Ziel verfolgt, bei seiner Arbeit schau« bringt dieses huch die grosse Dankbarkeit dafür aber immer wieder an neue Grenzen stösst, die mit viel zum Ausdruck, was Gott uns in der Person Ramselaars grösseren Problemen in der Wirklichkeit von Kirche und geschenkt hat. Synagoge korrespondieren. Jacobus Schoneveld, Heppenheim Im dritten Kapitel zeigt er die Hemmnisse heutiger Juden

174 gegen den Dialog mit Christen auf. Auch die aktuellen um das »Fleisch« eines Juden handelt. Deshalb rückt Vol- politischen, geschichtlichen und soziologischen Faktoren ken im zweiten Teil seines Buches (»Jesus, der Christus, werden von ihm nicht ausser acht gelassen. Es fällt in die- und das Christentum«) die »jüdische Verwurzelung Jesu« sem Kapitel auf, wie er einige Male von »wir Juden« in den Vordergrund, besonders im Abschnitt B dieses Tei- spricht. Es zeigt sein Engagement und den Willen, sich les mit der Untergliederung: Jesus, der Jude; Jesus und weit in die jüdische Identität zu versetzen. die Tora; Jesus, der Messias. Wichtig scheint mir in die- Im vierten Kapitel befasst er sich mit der angefangenen, sem Teil des Buches auch das Schlusskapitel »Das Chri- missdeuteten, missbrauchten und erwarteten Heilsge- stentum als Volk Gottes« zu sein, darin besonders der Ab- schichte. Die jüdischen und christlichen Auseinanderset- schnitt »Die Sendung des Volkes Gottes«, in dem Volken zungen mit der Geschichte als Heilsgeschichte decken ei- schreibt: »Gott hat sich ein Volk auserwählt, um dadurch nen Grossteil der theologischen Beziehungen zwischen seinen Heilsplan gegenüber den Völkern zu verwirkli- Juden und Christen ab. Es wartet noch viel Arbeit. chen. Seine Erwählung Israels hat ihren Sinn in dessen Im fünften Kapitel werden christliche Lehren in jüdischer Sendung . . . Sein und Sendung bilden in ihm eine innere Perspektive und jüdische Lehren in christlicher Perspekti- Einheit. Seine Aussonderung aus den Völkern ist notwen- ve behandelt. Der Autor weiss, wie wenig es bringt, wenn digerweise auch eine Aussonderung für die Völker. Es ist in einem vermeintlichen Dialog harmlose Differenzen und ein Mittlervolk.« ebenso harmlose Übereinstimmungen hervorgehoben Die Kirche nimmt als das durch den Einbezug der Heiden werden, die entscheidenden Widersprüche und Unverein- in das messianische Heil erweiterte Gottesvolk an dieser barkeiten dabei aber in den Hintergrund geschoben wer- Mittlerrolle teil: Sie vermittelt das reiche geistliche Erbe den. Er will selbstkritisch sein, sonst wird es mit diesen jü- Israels, von dem das II. Vatikanische Konzil gesprochen disch-christlichen Beziehungen nichts. 'Weitgehend muss hat, in die Völkerwelt, so dass die Gojim in »jüdischen auch die christliche Theologie, und zwar in allen Diszipli- Kategorien« (Gershom Scholem) sprechen, beten und nen, sich neu und eingehend mit sich selbst und mit der denken lernen. »Allerdings, die entscheidende Neuheit be- jüdischen Theologie, so wie sie sich selbst versteht, aus- steht darin, dass im Bund zwischen den Menschen und einandersetzen, sonst bleibt der Dialog ein Gespräch auf Gott mehr als die Schrift, die Tora, sich jetzt Jesus Chri- Distanz. stus, das personhafte, menschgewordene Wort, als das Den Horizont der christlich-jüdischen Beziehungen bildet Bestimmende in der Heilsvermittlung erweist« (203). Im für Thoma die weltweite Humanität. Er sieht mächtige dritten Teil seines Buches (»Ergebnis«) kommt Volken Menschenfeinde, und sowohl Juden als Christen sehen auf die Rolle des Paulus bei dem Loslösungsprozess der sich dieser Anti-Macht gegenübergestellt, und von ihnen Kirche von Israel zu sprechen, vor allem anhand von Röm

-wird eine Antwort erwartet. Es ist auch ihre gemeinsame 9- 11, wobei Volken leider einmal einer Falschüberset- Arbeit, die beide Partner miteinander verbindet. Die Fra- zung der »Einheitsübersetzung« zum Opfer fällt, nämlich ge bleibt, ob die bis jetzt angelaufenen Dialoge, die sich bei der Wiedergabe von Röm 11,28 (vgl. dazu F. Muss- zögernd entwickelnde Gesprächsbereitschaft und Offen- ner, Sind die Juden »Feinde Gottes«?, in: Dynamik des heit schon jetzt tragfähig genug sind, dieses Ziel in An- Wortes [FS des Kathol. Bibelwerks] Stuttgart 1983, griff zu nehmen. 235-240). Volken zitiert dabei auch die schönen Sätze des Auf 160 Seiten bildet dieses Buch ein Vorwort auf viele Juden Jules Isaac: »Ich verlange von ihnen [den Christen] kommende Werke, die aber konsequenterweise mit der- nicht, auf irgendeine Aussage, die der heilige Paulus im selben Ehrlichkeit, mit demselben wissenschaftlichen Römerbrief macht, zu verzichten. Ich bitte nur darum, Scharfsinn und demselben weiten Blick angelegt werden dass die christlichen Kirchen an seiner Liebe für Israel An- sollten. Nico Sonnevelt, Rüschlikon teil nehmen« (215), und er betont, dass auch »das Juden- tum nicht einfach das Christentum ignorieren« kann, weil CLEMENS THOMA / MICHAEL WYSCHOGROD das Christentum »Teile des gemeinsamen Erbes, die ver- (Hrsg.): Das Reden vom einen Gott bei Juden und Chri- gessen oder gar verdrängt in der Wurzel liegen, zur Aus- sten. Bern 1984. Verlag Lang. wirkung gebracht« hat (223). Dieser Hinweis scheint mir Eine Würdigung folgt in: FrRu XXXVII/1985. wichtig zu sein. Unter diesen »Erbteilen« nennt Volken vor allem die hl. Schrift, Gott (». . . wenn das Christentum LAURENZ VOLKEN: Jesus der Jude und das Jüdische einen anderen Gott hätte als Jesus, dann wäre es kein im Christentum. Mit einem Geleitwort von Erich Zenger. Christentum mehr«), das Gebet, das Doppelgebot der Lie- Düsseldorf 1983. Patmos Verlag. 263 Seiten. be. Abschliessend behandelt Volken noch die Frage »War- L. Volken, seit langem Professor für Dogmatik an der um ist Gott Jude geworden?« und das Thema »Jesus als Theologischen Fakultät der Dormitio in Jerusalem, betei- Brücke zwischen Juden und Christen«. ligt sich schon immer intensiv am christlichen Dialog mit Volken legt ein wichtiges, kenntnisreiches und flüssig ge- dem Judentum und dem Islam. Auch ihn beschäftigt lei- schriebenes Buch für den christlich-jüdischen Dialog vor, denschaftlich die Wiederentdeckung der »Wurzel« und das eine glückliche Ergänzung zu meinem »Traktat über des »Edelölbaums«, als die Paulus in Röm 11,16-24 Isra- die Juden« und zu Clemens Thomas Buch »Christliche el bezeichnet. Diesem Edelölbaum ist die Heidenkirche, Theologie des Judentums« darstellt. der »Wildschössling«, »eingepfropft« worden, so dass Franz Mussner, Passau nach dem Apostel Israel die Kirche »trägt« und nicht um- gekehrt, wie die christliche Theologie jahrhundertelang in WILLEM ZUIDEMA: Gottes Partner. Begegnung mit ihrer Selbstgerechtigkeit meinte, so sie überhaupt Kennt- dem Judentum. Aus dem Niederländischen übersetzt von nis von der »Wurzel« nahm. Der Ursprung wurde ver- Wolfgang Bunte. (Information Judentum, 4.) Neukir- drängt, wie Volken im ersten Teil seines reich geglieder- chen-Vluyn 1983. Neukirchener Verlag. XI, 282 Seiten. ten Buches darlegt. Die »Substitutionslehre«, nach der die Der Reiz dieser Einführung ins Judentum besteht darin, Kirche das alte Gottesvolk der Juden abgelöst habe, be- dass sie von einem im christlich-jüdischen Dialog eingeüb- herrschte das christlich-theologische Bewusstsein, mit der ten Autor stammt, der aufgrund seiner wissenschaftlichen fatalen Konsequenz, dass auch das Wissen um den Juden und beruflichen Erfahrung weiss, worauf er als Christ für Jesus verdrängt wurde und es vergessen wurde, dass es eine christliche Leserschaft besonders zu achten hat: auf sich bei der Fleischwerdung des Logos und Sohnes Gottes Themen, die stets Aufmerksamkeit geniessen (Synagoge

175 und Sabbat); auf Themen, die das Verständnis von Leben LEONARD BAKER: Hirt der Verfolgten. Leo Baeck im und Tradition im Christentum bereichern wollen (etwa in Dritten Reich. Stuttgart 1982. Klett-Cotta Verlag. 512 den Kapiteln über das liturgische Jahr); auf Themen, die Seiten. christlicherseits oft beiseite geschoben werden (Holocaust Es war eine gute Idee von Baecks Familie, nicht einem und Staat Israel) und >natürlich< auf solche Themen, wo Wissenschaftler, sondern einem verantwortungsbewussten es in besonderem Masse Vorurteile auszuräumen gilt. Schriftsteller dabei behilflich zu sein, eine kompetente Deshalb gibt es auch ausser den Kapiteln über das Leben Biographie Leo Baecks zu schreiben, wobei der Schwer- nach der Tora ein (auf das einleitende über die Vielfalt im punkt auf den Jahren der Verfolgung liegt. Baker, der Judentum folgendes) Kapitel »Tora oder Gesetz?«; dazu Leo Baeck nicht gekannt hat, vermochte dennoch der gehört noch die Auflistung der gern gegen das pharisä- Persönlichkeit gerecht zu werden, ihn sowie die Men- isch-rabbinische Judentum ausgespielten 613 Ver- und schen um ihn herum zu schildern, wie sie waren. Baker Gebote mit ihren biblischen Bezugsstellen (im Anhang). hat zahlreiche Quellen verwendet und sich in nützlicher An die Zurückweisung des nomistischen Missverständnis- Weise der »Oral History« bedient, d. h. Interviews mit ses von Tora schliesst sich sinnvollerweise ein Kapitel mit Menschen geführt, die Baeck gekannt haben. Gelegentli- Überlegungen zur »Trennung der Wege« von Kirche und che Ungenauigkeiten muss man in Kauf nehmen, ändern Judentum an. Der Autor kann und will hier keineswegs aber nichts am Wen des Buches; es erscheint wenig sinn- detailliert die aufgeworfenen Fragen erörtern, welche voll, hier eine derartige Liste aufzustellen. Nur einige Bei- Rolle dabei der Prozess des Synhedriums gegen Jesus spiele seien erwähnt: Zum Rabbiner wird man nicht »ge- (falls es überhaupt einen gegeben hat), die Verkündigung weiht«, und daher gab es bei Franz Rosenzweig keine des Paulus in der Heidenwelt und die (angebliche?) »Rabbinerweihe«; er erhielt den Titel »Morenu«, »unser Flucht der Judenchristen ins Ostjordanland zu Beginn des Lehrer«, was nicht mit dem des Rabbiners identisch ist jüdischen Aufstands gegen Rom gespielt haben könnten. (S. 147). Im jüdischen Gottesdienst wird auch nicht »zele- Doch ist die Grundrichtung unbezweifelbar angebracht, briert«, und Baeck hatte auch nicht Orgel und gemischten diesbezüglich auch in der Theologie noch weitverbreitete Chor »zuzulassen«; das war der Ritus der liberalen Syn- »Glaubensüberzeugungen« (35) zurückzuweisen: Die mit- agogen (S. 158). Für Mädchen wird keine »Bar«-Mizwa- unter noch sehr engen Beziehungen zwischen Christen Feier eingeführt, sondern eine Bath-Mizwa-Feier. Leider und Juden bis ins 4./5. Jahrhundert hinein, die auch durch wird allzu oft ein christlicher Begriff verw-endet, der für Angriffe von offizieller kirchlicher Seite bestätigt werden, das Judentum irreführend ist (»Hirtenbrief« S. 273). Eine verbieten jede einfache Schematisierung. Unter einem sol- solche Institution gibt es im Judentum gar nicht. Das mö- chen Vorbehalt steht übrigens auch der Lösungsvorschlag gen Kleinigkeiten sein, die relativ leicht wiegen gegen den des Vf.: »Die Trennung der Wege ist die Folge eines so- korrekten Eindruck, den das Buch von der Persönlichkeit ziologischen Prozesses, der in der ältesten Gemeinde be- Baecks vermittelt. So ist etwa Baecks Einstellung zum gonnen hatte als Konsequenz des tiefen Glaubens, der Rabbinerberuf präzise dargestellt: »Dazu gehörte seine Messias sei auch für die Heiden gekommen« (45). Dem persönliche Lebensweise, seine Strenge gegen sich selbst« Rückblick auf die Anfänge entspricht der Ausblick des (S. 143). Baeck war der Überzeugung, ein Rabbiner habe Schlusskapitels »Judentum und Christentum als Wegge- für alle da zu sein, seine Persönlichkeit solle im Hinter- nossen«. Hier erhält der Leser aufschlussreiche Hinter- grund bleiben, daher verwendete Baeck weder in Wort grundinformationen über das Zustandekommen kirchli- noch Schrift das Wort »ich« (S. 143). Baker weist auf cher Dokumente; darin sind auch Erwägungen über den einen eigentümlichen Charakterzug Baecks hin: Er sagte Antizionismus eingefügt. ungern »nein«, eher schon »jein«, er mochte Menschen Wenn der Autor in diesem Kapitel angesichts der »oftmals eine Bitte nicht direkt und deutlich abschlagen. Anderseits so sehr theoretisch und so wenig existentiell« scheinenden jedoch konnte er Studenten in der Freitagmorgen-Homi- kirchlichen Erldärungen »ein unbefriedigendes Gefühl« letik-Übung scharf kritisieren, wenngleich er eine solche äussert, weil nirgendwo zu sagen gewagt wird: »Juden, Kritik mit einer höflichen Floskel einleitete. Baker schil- wir brauchen Euch! Oder: Die Kirche braucht das jüdi- dert recht plastisch das Verhältnis Baeck—Buber. Die bei- sche Volk und gibt sich darüber Rechenschaft, dass ihre den Männer achteten zwar einander, aber Baeck fühlte Begegnung mit ihm Konsequenzen haben wird (wie es ein sich wohl als der Überlegenere, was Buber offenbar auch Vertreter des Vatikans so energisch formulierte!)«, dann so empfand. Baeck schätzte an Buber gewiss das umfas- ist diesem Buch dankbar zu bescheinigen, dass es »einen sende Wissen, den Reichtum der Gedanken, hatte ihn je- heilsamen Prozess der Veränderung« auf christlicher Seite doch in dem Verdacht, gerade aktuellen Meinungen zu auszulösen vermag, »einen Prozess der Identifikation, der huldigen: »Was lehrt er jetzt?« pflegte Baeck ironisch zu wachsenden Identität«. Aus dieser Erfahrung heraus lehrt fragen. Wie erwähnt behandelt Baker vor allem die innere der Vf. »die Juden und das Judentum in ihrer Identität an- und äussere Geschichte der deutschen Juden in der Zeit erkennen« (207 f.). Peter Fiedler, Freiburg i. Br. der NS-Verfolgung. So beschreibt Baker die harmonische Zusammenarbeit mit Gertrud Luckner und dem späteren Propst Grüber, Christen, die den Juden in der Stunde der J. ALBRECHT u. a.: Christentum und Nationalsozialis- Not zur Seite standen. Der Verfasser vermag es, nuancen- mus. Sekundarstufe I: Lehrerheft und Schülerheft. (Ein- reich zu schildern, und so kommt Baecks paradoxe Per- greifprogramm Christentum in der Geschichte.) Hildes- sönlichkeit gut zum Ausdruck: ein liberaler Rabbiner, heim 1983. Bernward Verlag. 52 und 76 Seiten. doch in seinem Innern ein konservativer Jude; ein Wissen- Neben dem Punkt IV »Die Kirche im Schatten der natio- schaftler, der ein auch heute noch lesenswertes Buch über nalsozialistischen Judenverfolgung« werden das Verhält- die Evangelien veröffentlichte, aber ein Jude voller Miss- nis zu den Juden und die Einstellung zum Antisemitismus trauen gegen Christen und Christentum, schliesslich hat des »3. Reiches« auch in den übrigen vier Punkten ver- Baecks wissenschaftliche Laufbahn mit der Auseinander- schiedentlich angesprochen. Der genannte Titel ist auch setzung mit Harnack begonnen. Davon ist Baeck zeit- die Überschrift zu Erläuterungen, die die Herausgeber lebens geprägt geblieben. Er war ein höflicher, urbaner (M. Gartmann / R. Göllner) in den Katechetischen Blät- Grandseigneur, konnte aber im Augenblick des Zorns tern 108 (1983), 492-500 gegeben haben. schneidend scharf und heftig werden. Ein Mann der Tole- Peter Fiedler, Freiburg i. Br. ranz gegenüber kleinen Schwächen der andern, aber zu-

176 weilen intolerant, wenn es um Wichtiges ging und sein die im besetzten Lande tätig war, ein besonderes Referat Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit verletzt wurde. Ein geschaffen, welches vom Judenreferat der militärischen Mann von Grundsätzen, zugleich aber auch von Kompro- Organisation Heimatarmee sämtliche Kontakte, also die missen, so dass man manchmal den Eindruck erhielt, er Verbindungen zu den jüdischen politischen Kämpfern, so- schlösse allzu leicht diese Kompromisse. Baeck war ein wie die karitativen Angelegenheiten übernehmen sollte« umfassend gebildeter Mann, und zugleich war ihm eine (73). Bartoszewski wurde Stellvertreter des Leiters dieses Liebe zum Detail zu eigen, Grundbedingung für seine Referats'. »Von diesem Zeitpunkt bis zum Ausbruch des Hingabe an den Midrasch. Baeck war jede Form des Warschauer Aufstandes im Jahr 1944 gingen durch die Nationalismus ärgerlich, ein deutsch-jüdischer Welt- Untergrundzelle, in der ich arbeitete, sämtliche Funksprü- bürger, doch eigentlich vor allem im Judentum daheim. che und Berichte der jüdischen Untergrundbewegung Er hatte das Auftreten und die Art eines deutschen Profes- nach England, den Vereinigten Staaten und nach Palästi- sors, und er geisselte zugleich deren Charakterlosigkeit: na, an die Funktionäre des Jüdischen Weltkongresses, an Manche von ihnen seien wie die Reptilien, ohne Rück- die Zionistische Weltorganisation und an den >Bund< in grat. der freien Welt, ebenso die Geldbeträge, die von diesen Diese Widersprüche fochten Baeck nicht an, sie gehörten Organisationen für die Juden in Polen überwiesen wur- zu seiner Persönlichkeit. Wahrscheinlich war er im Grun- den« (73 f.). Die Schilderung beruht also ausser auf Selbst- de ein einsamer Mensch, der zwar zuhören konnte, aber erlebtem auf Quellen erster Hand: über das Leiden und lieber allein blieb. Zahlreich sind seine Ämter gewesen, al- Sterben im Ghetto bis zu seiner Auslöschung nach dem len voran das des Rabbiners und Dozenten an der Hoch- Aufstand im Frühjahr 1943, über den Naziterror und Re- schule für die Wissenschaft des Judentums, Präsident der aktionen in der übrigen Stadt, über gelungene Hilfe trotz Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Präsident ständiger Bedrohung des Lebens der Helfer und der Ge- des deutschen B'riai B'rith. Auch hier wieder die typische retteten und — eher verhalten — über die Erfahrungen der Paradoxie: Einerseits wollte er ein Rabbiner des jüdischen Vergeblichkeit, der Unzulänglichkeit der geleisteten Hil- Volkes sein, anderseits war er Präsident einer jüdischen fe, die weder im Innern noch von aussen die erforderliche Organisation, die zu seiner Zeit nicht jedem Juden offen- Unterstützung erfuhr. Zur erzieherischen Bedeutung die- stand, sondern ein Auswahlverfahren kannte. Er mag in ses Berichtes mögen diese Hinweise genügen: Das Buch alldem keine Gegensätze gesehen haben, für ihn vereinig- lässt sehr klar hervortreten, was ein Aufruf der Jüdischen te sich alles in seiner Rabbinerexistenz, die er als Lehrer, Kampforganisation vom Dezember 1942 so formuliert Prediger, Gelehrter, Seelsorger und als inoffizielles Ober- hatte: »Erinnert auch, dass wir, die jüdische Zivilbevölke- haupt der deutschen Judenheit empfand. Ähnlich ist auch rung, uns an der Front des Kampfes um Freiheit und seine Haltung zu Erez Israel paradox: Als einer der weni- Menschlichkeit befinden« (72 f.). Ebenso deutlich macht gen liberalen Rabbiner hatte er schon früh ein positives es, dass es auf christlicher Seite Menschen gab, die sich ih- Verhältnis zum Lande Israel, vermied die Deutschtümelei rer Verantwortung bewusst waren — entsprechend einem mancher Kollegen, anderseits fand er an den politischen Flugblatt der Schriftstellerin Zofia Kossak-Szatkowska, de- Zionisten wenig Geschmack; er hielt es mit dem Central- ren Organisation der Autor angehört hatte: »Die sterben- verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, ohne den Juden sind von lauter sich die Hände in Unschuld wa- jedoch aus dem Deutschtum eine Pseudoreligion zu ma- schenden Pilatussen umgeben . . . Wir wollen keine Pila- chen wie manche anderen CVer. (»Jüdische Staatsbürger tusse sein! Wir können aktiv nichts gegen die deutschen deutschen Glaubens«.) Diese Reihe von Paradoxien könn- Metzeleien unternehmen . . . — aber wir protestieren aus te fortgesetzt werden. In Bakers Buch kommen sie deut- der Tiefe des Herzens derer, die von Mitleid, Entrüstung lich zum Ausdruck. Wer Baeck gekannt hat, wird ihn in und Grauen ergriffen sind... Wer nicht mit uns diesen diesem Buche wiederfinden; das ist nicht nur ein Ver- Protest unterstützt — der ist kein Katholik!« 2 (47 f.). Die dienst des Autors, sondern auch der flüssigen Überset- Erfahrung, die sich daraus ergab, ist so gültig wie damals : zung von Charlotte Roland. Nur: dass dieses Buch keinen »Die Zusammenarbeit der Menschen verschiedener Ab- Namenindex enthält, ist unverzeihlich. E. L. Ehrlich stammung und Weltanschauung (Polen und Juden, Sozia- listen und Katholiken) war innerhalb des Hilfsrats für Ju- WLADYSLAW BARTOSZEWSKI: Das Warschauer den sehr eng und gestaltete sich durchaus harmonisch. In Ghetto — wie es wirklich war. Zeugenbericht eines Chri- diesen Fragen entschied nicht die politische Anschauung, sten. Mit einer Einleitung von Stanislaw Lem und Foto- sondern vor allem die ethische Haltung einer Person . . .« dokumenten. Frankfurt/M. 1983. Fischer Taschenbuch (75). So stellt das Buch in seiner historischen Sachlichkeit Verlag (Fischer Taschenbuch 3459). 124 Seiten. zugleich einen Appell dafür dar, was das Resümee so aus- »Das Gedenken an die Zusammenarbeit von Juden und drückt: »Der Sinn des Lebens der grossen Menschenfami- Nichtjuden im vom Hitler besetzten Europa, das Geden- lie kann auf Dauer nur bewahrt werden durch das Bemü- ken an die geheimen Kontakte der jüdischen und polni- hen, alles was Menschen trennt zu überwinden — durch schen Untergrundbewegung mit der freien Welt..., die aktive Verteidigung der natürlichen Rechte der Menschen unter Lebensgefahr aufrechterhalten wurden, ist von einer auf ein von Angst freies und würdiges Leben und durch überaus grossen historischen und erzieherischen Bedeu- die beständige Erinnerung an alles, was die Menschen tung« (15). Zum Historischen: Zwischen dem 22. 7. und verband und verbindet« (124). 12. 9. 1942 wurden über 310 000 Menschen aus dem Peter Fiedler, Freiburg i. Br. dem 'vgl. dazu o. S. 32-35. Warschauer Ghetto »in den Tod, hauptsächlich nach Tre- 2 s. insbesondere o. S. 36 ff. blinka II« deportiert (58). Das führte dazu, dass jüdischer- seits gemeinsamer Widerstand unter den Übriggebliebe- DERS.: Herbst der Hoffnungen. Es lohnt sich, anständig nen und auf polnischer Seite Hilfsmassnahmen für diese zu sein. Mit einem Nachwort, hrsg. v. Reinhold Lehmann. organisiert wurden. Der Autor, der seit seiner Entlassung Freiburg 1983. Herder Verlag. 141 Seiten. aus der »Schutzhaft« in Auschwitz bereits an Hilfeleistun- Wenn man dieses Buch gelesen und auf sich hat einwirken gen beteiligt war, nahm als Vertreter einer katholischen lassen, so drängt sich ein Gedanke auf: Wir wüssten heute Gruppe an der Vorbereitung und Konstituierung des kein anderes Buch, das derart für die Schulen geeignet »Hilfsrates für Juden« (Dezember 1942) teil. Zur gleichen wäre. Hier beschreibt ein Mann sein Leben, der durch Zeit »wurde bei der Vertretung der polnischen Regierung, Gefängnisse der verschiedensten Art hindurchgegangen

177 ist, durch das KZ Auschwitz wie durch stalinistische Haft nicht mehr als die Slowaken, Rumänen, Litauer . .« und nicht zuletzt auch durch die in jüngster Zeit in Polen (S. 74) Und immer wieder kommt Bartoszewski auf den errichteten Lager für politisch Unliebsame. Wer ist dieser Warschauer Gettoaufstand zu sprechen: »Die erste Auf- merkwürdige Mann? Ein katholischer Christ, der sein lehnung einer Stadt in der Geschichte der europäischen Christentum wirklich lebt und daher leicht zwischen alle Widerstandsbewegung, der erste aufrührerische Kampf Stühle gerät. Seinem Katholizismus gegenüber ist er im Zentrum einer Millionenstadt, in der eine deutsche durchaus kritisch, wenn er in Polen den alten, von der Garnison von mehreren zehntausend Mann stationiert Kirche tradierten Judenhass bemerkt, ebenso registriert er war.« (S. 75) die verschiedenen kommunistischen Spielarten, bei denen Wenn man dieses Buch liest, so fragt man sich immer, wie Kommunisten Katholiken keinen geistigen und politi- dieser »Berufswiderständler« (S. 73) überhaupt überleben schen Spielraum lassen. Aber Bartoszewski ist Pole: Er hat konnte. So wurde er z. B. wegen der Judenhilfe denun- am eigenen Leibe erlitten, was Polen durch Deutsche er- ziert. Eine ihm unbekannte polnische Beamtin auf der fahren haben. Gerade deshalb tritt er für den Frieden mit Post liess den an die Gestapo gerichteten Brief verschwin- Deutschen ein, für die Aussöhnung, denn eine Kollektiv- den bzw. leitete ihn um: Sie sandte ihn an Bartoszewski, schuld kann es nicht geben. da der Brief seine genaue Adresse enthielt. Bartoszewski ist durch zwei Phänomene geprägt worden: Nach dern•Gettoaufstand fand später auch der Aufstand durch die Synagoge — hier stellvertretend für das Juden- der Polen statt, der scheiterte, weil die Russen den Polen tum — und das Gefängnis. Mit Juden hat er von früh an nicht zu Hilfe kamen: »Die Russen blieben da, wo sie Kontakt gehabt, ja Freundschaft gepflegt; Gefängnisse standen. Sie rechneten damit, dass der Rest unserer polni- der verschiedensten Sorte gehören zum tragischen Be- schen Elite vollends verblute, um ihnen die Übernahme zu standteil seines Lebens, in sie ist er immer wieder als ein erleichtern. Die schmutzige Arbeit überliessen sie den Nonkonformist geraten. Deutschen. Die Hauptstadt Polens wurde vernichtet . . .« Bartoszewski lebt aus einem Glauben, nicht notwendiger- (S. 78 f.) Das, was durch Kampfhandlungen nicht zerstört weise aus dem herkömmlichen, traditionellen, von Autori- worden war, haben die Deutschen dann gesprengt, so das täten vorgeschriebenen: »Ich war nie sehr fromm gewe- Palais Brühl, »eines der schönsten Denkmäler der deut- sen, zumindest nicht in einem traditionellen Sinn, aber schen Baukunst in Warschau« (S. 86). »Das sind keine Gott existierte für mich. Für mich war die Nächstenliebe Menschen, sagten wir, das sind Barbaren« (S. 86). wichtig, das Evangelium, die Bergpredigt.« (S. 33) Angesichts der von Deutschen an Juden und Polen verüb- Bartoszewski ist kein Philosemit; das sind nicht selten ten Untaten hat sich auch Bartoszewski gefragt, wie eine Leute mit einem verkrampften Verhältnis zu Juden, viel- gemeinsame Zukunft überhaupt möglich sei: »Es kann leicht sogar solche, die bewusst oder unbewusst in sich ei- keine allgemeine Rache geben . . . Ein allgemeines Gefühl nen Antisemitismus zu bekämpfen haben. Er hat ein völlig der Rache bringt dem Rächer noch grösseren Schaden als natürliches Verhalten gegenüber Juden: »Ich kenne ver- dem Opfer, weil er in seinen Rachegefühlen nicht mehr schiedene Juden, die negative Eigenschaften haben. Aber zu sich selbst zurückfindet . . .« (S. 114). »Menschen ha- diese verbinde ich nicht mit ihrer Herkunft, sondern mit ben dies Menschen angetan . . . Nicht Deutsche den Po- ihrer Person, mit ihrem Lebenslauf.« (S. 34) Im übrigen len. Das war die Einsicht, die zu Frieden und Versöhnung weiss der Verfasser, dass in Polen »der religiöse Anti- führen könnte« (S. 117). semitismus« eine grosse Rolle spielte, gerade auch auf Bartoszewski hat aber noch ein anderes Problem. Es geht dem Lande, wo wenige Juden lebten: Judenfeindschaft ja nicht nur um die Nazis, die Henker, von denen ohne- ist also oft unabhängig vom Verhalten des jeweiligen Ju- hin nichts zu erwarten war. Die Polen fühlten sich auch den. Zumindest in der vorkonziliaren Zeit (vielleicht von ihren deutschen katholischen Mitbrüderri im Stich ge- auch noch später) herrschte allgemein das Vorurteil: »Die lassen. »Die Katholiken liessen uns total allein.« (S. 121) Juden haben unseren Jesus ermordet.« (S. 35) Im Vor- Am Ende seines Buches zieht der Verfasser seine Bilanz, kriegspolen verkehrten Juden kaum mit Nichtjuden: »So »die Erfahrung meines Lebens«. Darin heisst es u. a.: glaube ich, dass ich in meiner Schulklasse der einzige »Wenn ich das angenommen hätte, was ich in der katho- war, der jüdische Familien und Häuser besucht hat, der lischen Schule und Kirche über die Juden gehört habe, als Kind schon normal mit jüdischen Kindern spielte . . .« ich wäre Antisemit geworden. Nur mein Widerstand (S. 36) gegen Dummheiten und Zwänge im Denken haben mich Der Verfasser beschreibt dann ausführlich seinen Aufent- dahin gebracht, dass ich die Juden verteidigen konnte.« halt in Auschwitz, den Aufstand im Warschauer Getto (S. 125) und seinen Widerstand gegen die deutsche Besatzungs- Im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen in Polen macht. Über den Warschauer Gettoaufstand heisst es: wurde der Verfasser wieder einmal mehr verhaftet. Wahr- »Ich glaube, dass dieser Kampf wichtig für die Idee eines scheinlich hat er es u. a. einem Juden zu verdanken, dass eigenen Staates Israel war, dass er der Welt signalisierte: er schliesslich früher als andere entlassen wurde. Der Prä- ein Volk will überleben.« (S. 71) Bartoszewski erzählt von sident des Verbandes jüdischer Kämpfer, Stefan Grayek, einem Flugblatt aus dem Sommer 1942, das ihn stark ein Warschauer, der jetzt in Israel lebt, erschien zu den beeindruckte. Darin heisst es u. a.: »Angesichts der Ver- Feierlichkeiten anlässlich des Gettoaufstandes. Den polni- brechen darf man nicht passiv bleiben. Wer angesichts schen Behörden teilte er mit: »Wenn Bartoszewski nicht des Mordens schweigt, wird zum Komplizen der Mör- bis zum 19. April 1982 entlassen wird, dann werde ich der. Wer nicht protestiert, stimmt zu. Das Blut Wehr- nicht teilnehmen und einfach wieder abreisen . . .« loser schreit zum Himmel nach Rache. Wer nicht mit (S. 130) Er wurde am 19. April 1982 mit dem Hubschrau- uns diesen Protest unterstützt, der ist kein Katholik . . .« ber vom Lager abgeholt . . . (S. 71) Während der Lektüre dieses Buches habe ich mich ständig Immer wieder beschäftigt den Verfasser der Vorwurf, die gefragt, ob es nicht auch wie viele andere in Bibliotheken Polen hätten zu wenig für die Rettung der Juden getan mehr oder weniger ungelesen verschwindet. Dem entge- (von »jüdischen Mitbürgern« kann man hier gar nicht re- genzuwirken hätte z. B. die Deutsche Bischofskonferenz den, denn so empfanden die Polen Juden ja gar nicht). Zu eine sinnvolle Aufgabe: Eine weite Verbreitung dieses Bu- diesem beklemmenden Komplex meint der Verfasser: »Si- ches könnte verspätet dazu dienen, etwas davon abzutra- cherlich waren viele Polen antisemitisch gesinnt,; doch gen, was Theodor Heuss »Kollektiv-Scham« genannt hat.

178 Mit diesem Buch wird eine konstruktive, positive Leistung Die beiden Autoren lassen je einen Unterrichtsvorschlag erbracht, nichts verschwiegen, aber auch nicht undiffe- (für S I) folgen — G. Ringshausen: »Kirche, Weimarer Re- renziert geurteilt. Es wäre tragisch, wenn Deutsche hier publik und die Machtergreifung der NSDAP« und J. nicht die grosse Chance wahrnähmen, d. h. dieses Buch Thierfelder: »Evangelische Kirche und Drittes Reich — dazu verwendeten, ihre Zukunft zu bewältigen. dargestellt am Beispiel des württembergischen Landes- Ernst Ludwig Ehrlich, Basel bischofs Theophil Wurm.« Anstelle einer ausgeführten Unterrichtsplanung gibt es beide Male einen »Informa- DIETRICH BONHOEFFER: Widerstand und Erge- tionsteil mit historischen und didaktischen Hinweisen« zu bung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Neuaus- den jeweils angehängten Materialien. Entsprechend »cur- gabe, hrsg. von Eberhard Bethge. München 1985. Chr. ricular offen« gibt sich E. Jander in seinem »Versuch eines Kaiser Verlag. 464 Seiten. Geschichtslehrers, einen Kurs >Kirchengeschichte im Drit- Diese Neuausgabe erscheint kurz vor dem 9. April 1985, ten Reich< zu planen« (für S II). Schade, dass nicht einmal an dem Tag, als Dietrich Bonhoeffer vor vierzig Jahren bei der Drucklegung auf eine bessere gegenseitige Abstim- im KZ Flossenbürg umgebracht wurde. Dieses Buch, das mung der für den Unterricht_ sicher reichhaltigen (wenn »zu den >religious classics< gehört, hat sich seit seinem er- auch mitunter beliebig scheinenden) Quellendarbietungen sten Erscheinen 1952 tiefgreifend verändert«.* geachtet wurde! So wird § 24 des Programms der NSDAP Nach Redaktionsschluss ist jetzt an dieser Stelle nur noch dreimal zitiert (S. 90, 168f. und 173). Statt dessen hätte eine Ankündigung dieses grossartigen Buches möglich, die behauptete — doch nach Ausweis der Quellen un- aber doch unerlässlich. Es bedeutet eine tiefe Bereiche- durchführbare — Ausblendung des »Bereichs« Kirche und rung und verpflichtet zu grossem Dank. G. L. Antisemitismus (s. die Bemerkung S. 81) aufgehoben wer.: * vgl. Klappentext. den können: Eine sehr grundsätzliche Perspektive böte hierzu die (bereits 1931 getroffene) Feststellung vom JANINA DAVID: Ein Stück Fremde. Erinnerungen an »hemmungslos eschatologisch(en)« Charakter der NS- eine Jugend. München/Wien 1983. Hanser Verlag. 308 Ideologie (S. 76, Anm. 15). Immerhin steht dort die für Seiten. unsere Zeit ebenso brisante Frage: »Wird das bei der heu- Nach »Ein Stück Himmel« und »Ein Stück Erde« (s. FrRu tigen Neuentdeckung der Eschatologie bedacht?« XXXIV/1982, S. 89 f.) nun »Ein Stück Fremde«. Wievie- Peter Fiedler, Freiburg i. Br. le »Stücke« werden noch kommen? Janina ist am Schluss dieses ihres dritten Buches erst achtzehn, und jetzt ist sie MARTIN GILBERT: Auschwitz and the Allies. How the vierundfünfzig . . . Erfolg verführt. Waren die ersten bei- Allies responded to Hitler's Final Solution. London 1981. den Bücher erschütternd und anrührend, nicht zuletzt Michael Joseph. 368 Seiten. durch die Verfilmung, ist diese Fortsetzung — mit Erinne- Die Ergebnisse der umgemein soliden Forschungen von rungen aufgefüllte Tagebuchnotizen — eher fades Jung- Martin Gilben haben eindeutig gezeigt, dass die Alliierten mädchen-Geplauder, ergreifend nur auf dem tragischen bereits im Sommer 1942 über die systematische Ausrottung Hintergrund einer unbewältigten Vergangenheit und der Juden orientiert waren. Im Dezember 1942 rafften sie tröstlich insofern, als man das Buch aus der Hand legt in sich dann zu einer gemeinsamen Erklärung auf, um die der Überzeugung, dass dieses Mädchen ihren Weg ma- von Deutschen begangenen Verbrechen zu verurteilen chen wird — bis hin zur Erfolgsautorin. Ihren seinerzeit le- und den Verantwortlichen Strafe anzudrohen. Obwohl bensrettenden und subjektiv ehrlichen Übertritt zur ka- man sogar die Namen der meisten Vernichtungslager tholischen Kirche anulliert sie, als sie in Paris bei einem kannte, unternahm man nichts Tatkräftiges zur Rettung eher zufälligen Synagogenbesuch ihre Solidarität mit den der Juden. Bei den Engländern spielte wahrscheinlich im Juden innerlich erfährt. Das bedeutet jedoch keineswegs Kolonial- und Aussenministerium die Sorge eine Rolle, echte religiöse Verankerung, sondern lediglich Rückbin- ein Eintreten für die Juden könnte negative Rückwirkun- dung an Herkunft und verlorene Elternheimat. Der Glau- gen auf die Araber haben, ferner wäre damit möglicher- be an Gott verfinstert sich vor dem aufgehenden Glanz ei- weise eine Festigung der jüdischen Position in Palästina ner entschlossenen und siegessicheren Suche nach Selbst- verbunden. Es kann daher kaum bestritten werden, dass verwirklichung. Wer durch solche Höllen gegangen ist bei den Engländern gewisse antijüdische Haltungen ein wie dieses tapfere Menschenkind, darf wohl mit Ver- Eintreten für die Juden hemmten. ständnis für eine solche Einstellung rechnen. Auch in den USA interessierte man sich kaum für die Ret- Paulus Gordan, Salzburg tung der Juden. Der Einfluss jüdischer Persönlichkeiten in den USA auf diesem Gebiet war schlicht nicht vorhanden. EVANGELISCHE KIRCHE UND DRITTES REICH. Roosevelt ignorierte entsprechende Interventionen. Ein Arbeitsbuch für Lehrer der Sekundarstufen I und II. Ein Kapitel des von Gilbert aus den Quellen gearbeiteten Hrsg. vom Dozentenkollegium des Religionspädagogi- Buches ist der Frage gewidmet, warum Auschwitz nicht schen Instituts Loccum. (Analysen und Projekte zum RU, bombardiert wurde. Amerikanische Flugzeuge flogen Heft 17.) Göttingen 1983. Verlag Vandenhoeck & Rup- über Auschwitz, fertigten Photographien der Gaskam- recht. 199 Seiten. mern und Krematorien an. Diese wurden nicht etwa her- Der Untertitel nennt die Zielgruppe des Buches. Ausser ei- gestellt, um später diese Ziele zu bombardieren, sondern nem fachwissenschaftlichen Beitrag von G. Brakelmann um festzustellen, welche Schäden bei vorangegangenen (»Hoffnungen und Illusionen evangelischer Prediger am Angriffen auf die kriegswichtigen Betriebe' von Monowitz Beginn des Dritten Reiches am Beispiel gottesdienstlicher bei Auschwitz entstanden waren. Feiern aus politischen Anlässen«) und einer Erlebnisskizze Nicht einmal die Eisenbahnschienen wurden bombardiert, von Bischof K. Scharf enthält der Band fachdidaktische um Transporte zu verhindern. Im Jahre 1944, in welchem Beiträge zu einer Loccumer Tagung mit dem Thema die jüdischen Stellen diese Bombardierungen ständig for- »Kirchengeschichte — Lerngeschichte für heute und mor- derten, wurden Hunderttausende von ungarischen Juden gen«. Von hier aus legen sich grundsätzliche Überlegun- nach Auschwitz deportiert. Die wiederholten Versiche- gen zu Konzeptionen des Kirchengeschichtsunterrichts rungen besonders der Amerikaner, die Bombardierungen (G. Besier/D. Pohlmann in der Einleitung) und speziell wären technisch schwierig, waren reine Ausreden und zur Frage Kirchengeschichte des »Dritten Reiches« nahe. Unwahrheiten, denn zur gleichen Zeit, in der jüdische

179 Führer darauf drangen, endlich die Zufahrten zu den festgenommen, von Krakow nach Auschwitz depor- Auschwitz zu bombardieren sowie die Gaskammern und tiert . . . In Sambor wurden 900 Juden auf dem Markt- Krematorien, flogen die Amerikaner Angriffe gegen Fa- platz der Stadt erschossen, wobei viele Mütter gezwungen briken, die nur 45 Meilen von Auschwitz entfernt waren, wurden, zuzuschauen, wie zuerst ihre Kinder sterben so Mährisch-Ostrau und Bohumin. mussten . . .«‘ Bei dieser Verweigerung spielte gewiss Antisemitismus ei- Das Desinteresse an den Verbrechen an den Juden ist in ne Rolle. Noch stärker jedoch wird sich ein Mangel an der Bundesrepublik erheblich. Sonst wäre es nicht mög- Verstehen und Vorstellungskraft geltend gemacht haben: lich, dass sich die demokratischen Parteien des Deutschen Trotz aller Beweise vermochte man das Unvorstellbare Bundestages seit Jahren um ein Gesetz streiten, das die des systematischen Massenmordes an den Juden in seiner unter Strafe stellt, die behaupten, die Vernichtung der Ju- ganzen Grausamkeit und seinem vollen Umfang nicht zu . den sei eine Erfindung der Juden selbst, etwa um Geld aus glauben. Nicht selten schimmert noch der Verdacht hin- dem deutschen Volk zu erpressen oder Deutsche in Miss- durch, die Juden würden vielleicht doch übertreiben. kredit zu bringen. Das Buch von Martin Gilbert enthält mannigfache Ant- Das vorliegende Buch kann in hervorragender 'Weise als worten auf viele Fragen, die sich gerade heute junge Men- Hilfsmittel im Geschichtsunterricht verwendet werden, schen stellen; daher ist es durchaus sinnvoll, dass inzwi- falls der Geschichtsunterricht nicht aus Zeitmangel vor schen auch eine deutsche Übersetzung vorliegt. Beginn des Ersten Weltkrieges endet oder bestenfalls nur E. L. Ehrlich noch die zwanziger Jahre behandelt. Gerade die knappe Darstellung und das Kartenmaterial, der Aufweis des DERS.: Auschwitz und die Alliierten. Aus dem Engli- Schicksales einzelner und die wissenschaftliche Sachlich- schen von Karl Heinz Siber. München 1982. Verlag C. H. keit sorgen dafür, dass hier jeder ein nützliches Werk in Beck. 482 Seiten, 34 Abb. auf Tafeln, 19 Karten im Text. die Hand bekommt, mit dem man wirldich arbeiten kann. In seiner Würdigung der englischen Ausgabe (s. o. S. 179) Es ist nicht überflüssig zu erwähnen, dass der Verfasser stellt Dr. Ehrlich fest, dass es »durchaus sinnvoll ist, die zahlreiche bisher unveröffentlichte Quellen benutzt. Ergebnisse der ungemein soliden Forschungen von Martin Schliesslich räumt der Verfasser mit der Legende auf, die Gilbert in auch deutscher Übersetzung dieses Buches vor- Juden hätten sich widerstandslos von ihren Mördern da- zulegen«. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe bringt auf- hinschlachten lassen. An vielen Orten haben die Juden, schlussreiche Daten, die beim Erscheinen des englischen wenn meist auch vergeblich, versucht, ihren Verfolgern zu Buches noch unbekannt waren. Ein Jahr später ist die entgehen, angesichts ihrer Waffenlosigkeit hatten die Identität einer Person gelöst, »die Geschichte seiner Mörder mit den Juden ein relativ leichtes Spiel. Man soll- Flucht aus Auschwitz in allen Einzelheiten bekannt. Dies te dieses Buch lesen und nicht verdrängen; es gehört in zeigt wieder einmal, dass der historische Erkenntnispro- den Geschichtsunterricht und in die Hände der Abgeord- zess niemals abgeschlossen ist. Doch jeder Historiker neten des Deutschen Bundestages, die meinen, Wichtige- bringt ihn mit seiner Arbeit ein Stück weiter, und man res zu tun zu haben, als Verleumdern das Handwerk zu kann als Historiker nur immer wieder an die Worte erin- legen, wenn es sich auch nur um deutsche Landsleute nern, die der britische Kirchengeschichtler des 19. Jahr- handelt, die behaupten, die von Gilbert aufgewiesenen hunderts, Bischof Mandell Creighton, in seinen Grabstein Tatsachen wären bei weitem übertrieben. meisseln liess: >He tried to write true history<.«' Ernst Ludwig Ehrlich, Basel Und »wenn man aus geschichtlichen Werken etwas lernen kann, dann lässt sich, so muss man hoffen, diesem Buch JISRAEL GUTMAN / EFRAIM ZUROFF (Ed.): Rescue auch eine Lehre entnehmen, wie man es anstellen muss, Attempts during the Holocaust. Proceedings of the dass Ignoranz, Apathie, Unmenschlichkeit nicht sich Second Yad Vashem International Historical Conference. durchsetzen, wo Handeln geboten ist«.2 New York/Yad Vashem Jerusalem 1974. Ktav Publishing Wir konnten dies in jenen schreckensvollen Jahren und House. 679 Seiten. inmitten der versuchten Hilfsarbeit, mit gebundenen Hän- Dieses Werk ist von grösster Bedeutung für die Frage, den, kaum erhoffen. G. L. warum so wenig für die Rettung der verfolgten Juden 1 ebd. S. 10. getan wurde. In diesem Band wird die Situation in den 2 ebd. vgl. Klappentext. einzelnen Ländern analysiert, ferner internationale Or- ganisationen, die wie das Internationale Komitee vom Ro- DERS.: Endlösung und Vernichtung der Juden. Ein Atlas. ten Kreuz an den Juden gescheitert sind, woran auch kei- Reinbek bei Hamburg 1982. Rowohlt-Taschenbuchver- ne nachträgliche Apologie irgend etwas ändern kann. lag. 264 Seiten. Nun ist es natürlich nicht so, dass allein das IKRK ange- Das vorliegende Buch enthält eine minutiöse Darstellung sichts der Ausrottung der Juden versagte. In den einzel- der Vertreibung und Vernichtung der Juden. In 314 Kar- nen Studien wird aufgewiesen, wie wenig z. B. die Eng- ten wird in chronologischer Abfolge die Zerstörung sämt- länder oder Amerikaner taten, um den Juden zu helfen. licher wichtiger jüdischer Gemeinden in Europa sowie Wenn auch nicht überall, so doch an einigen Orten konn- Widerstandsaktionen und Aufstände, Flucht- und Ret- te eine jüdische Führerschaft, wenn sie überlegt und klug tungswege sowie das Schicksal von Individuen dargestellt. handelte, manches zum Besseren wenden, so z. B. in der Der Verfasser hat in diesem Atlas versucht, eine chronolo- Slowakei, wo der Priester Tiso als Staatspräsident und der gische Darstellung von der Entwicklung der Judenausrot- praktizierende Katholik Tuka als Ministerpräsident will- tung zu geben und zu zeigen, wie diese Entwicklung mit fährig deutschen Wünschen zur Deportation der Juden den Änderungen im Verlauf des Zweiten 'Weltkrieges zu- nachkamen. Nur für die sogenannten »getauften Juden« sammenhing. Um dem Leser einen Eindruck von diesem erhebt Tiso gelegentlich Einspruch. Grundlegend für ein Buch zu vermitteln, wie es gearbeitet wurde und was der neues Geschichtsbild über das Schicksal der holländischen Leser zu erwarten hat, zitieren wir willkürlich aus einer Juden ist der Artikel des leider zu früh verstorbenen B. A. Seite; wir wählen S. 155: »Im Laufe des März 1943 ver- Sijes. Holländische' Polizei im Einvernehmen mit andern liessen fünf Züge Holland mit Ziel Sobibor, ein Zug Paris holländischen Bürokraten arbeiten gemeinsam mit den mit Ziel Auschwitz und zwei Züge Paris mit Ziel Majda- deutschen Okkupanten und Mördern; leider verfügt der nek . . . Im Generalgouvernement . . . wurden 10000 Ju- holländische Judenrat — im Unterschied zur slowakischen

180 jüdischen Führerschaft — über viel zu wenig Phantasie, schen Kindern und Erwachsene vor dem sicheren was mit den Juden geschehen könnte. Einige jüdische Tod.v3/4 Führer in Holland kollaborieren mit den Okkupanten und Ein Soldat braucht im Krieg . . . keine eigene Verantwor- liefern widerstandslos Listen von Juden aus bzw. lassen tung zu übernehmen, sondern hat nur die Befehle seiner neue Listen überhaupt erst erstellen. Die Studie von B. A. Vorgesetzten zu befolgen.« Die Leute von Le Chambon Sijes nimmt bereits Ergebnisse voraus, die durch die 1984 mussten dagegen aus eigener Verantwortung handeln, erschienene, aus den Quellen erarbeitete Studie von Ger- und am Ende sahen sie sich oft mit einem gefährlichen hard Hirschfeld, Fremdherrschaft und Kollaboration, Die Flüchtling im Haus und ihren eigenen Skrupeln allein ge- Niederlande unter deutscher Besatzung 1940-1945 (Stutt- lassen . . . Die ganzen Jahre der Besatzung hindurch war gart), voll bestätigt werden. Die Geschichte von dem hol- ihnen die Rettung von Flüchtlingen wichtiger als die ländischen Volk, das sich rettend seiner Juden angenom- Rücksicht auf ihre eigene Person. Die wachsende Gefahr men hätte, gehört in das Reich der Legende; dank wissen- zeigte ihnen lediglich, dass diese Menschen wirklich in schaftlicher Studien ist hier eine eigentliche Geschichts- tödlicher Gefahr waren und verzweifelt ihre Hilfe brauch- klitterung noch nicht aufgekommen. Anders wie andere ten. Wenn die Gestapo unbewaffnete Menschen bedrohte Gruppen, stellen sich die Holländer ihrer Geschichte und und sogar tötete, nur weil sie einem Flüchtling Schutz ge- weisen es ab, Geschichtsschreibung und Apologetik be- währt hatten, was würde sie dann wohl erst mit diesem redsam zu vereinen. Die Studie von B. A. Sijes ist ein gu- selber tun, wenn sie ihn in ihre Hände bekam?« »Sie wa- tes Beispiel dafür, dass auch Menschen aus der eigenen jü- ren überzeugt, dass die Flüchtlinge sie brauchten« dischen Gemeinschaft nicht verschont werden. Zu erwäh- (S. 212/213). nen ist auch die Arbeit von Leni Yahil, weil die Rettung In gleicher Weise wussten auch die Gemeinde von Assisi, der dänischen Juden wirklich einen Sonderfall darstellt. Bischof, Priester, Nonnen und die anderen Bürger, was Das dänische Volk hat sich — fast ohne Ausnahmen — an sie zu tun hatten, als immer mehr Flüchtlinge in die Stadt die Seite der Juden gestellt und auf diese Weise ein gross- strömten. 1/3/5 artiges Rettungswerk ermöglicht. Diese Studien enthalten »Dass nicht unschuldig Blut vergossen wurde, ist die er- nicht sämtliche Schauplätze von Rettungsversuchen. So staunliche Begebenheit, die in verheerenden Zeiten, im fehlt z. B. ein Kapitel über Bulgarien, wo es dem König Unterschied zu Fatalismus und Opportunismus auf der ei- Boris gelang, wenigstens die Juden in Alt-Bulgarien vor nen und zu gewaltsamem Widerstand auf der anderen der Auslieferung an die NS-Mörder zu schützen; die Ju- Seite, dem als unbesiegbar geltenden Bösen und der bru- den Mazedoniens (erst 1941 von Jugoslawien zu Bulga- talen Gewalt mit der Reinheit des Gewissens, der Festig- rien gekommen) konnten nicht gerettet werden. Mit keit und Stärke, der Friedfertigkeit und der Phantasie des Recht ist das abschliessende Kapitel den »Gerechten unter Glaubens aktiv und tatkräftig begegnet wurde.« 3 den Völkern« gewidmet. Sie haben nicht nur viele Juden Beide Berichte: »Dass nicht unschuldig Blut vergossen gerettet, sondern sie sorgen dafür, dass Juden an ihrer werde« und »Der Assisi-Untergrund« sollten vielen, be- Umwelt nicht verzweifeln, dass sie sich vor Verallgemei- sonders der Jugend bekannt werden. G. L. nerungen hüten können, denn es gab diese Ausnahmen, 1 s. in FrRu XXXII/1980, S. 138 f. die eben nun leider die »Gerechten« darstellen. Wenn es vgl. ebd., Anm. 1: Vgl. hierzu: Der »Couteau Fleuri« in: Le nur mehr davon gegeben hätte... und wenn es mehr Chambon-sur-Lignon. Aus: »Rettet sie doch!« Franzosen und die Menschen in einflussreichen Stellungen gewesen wä- Genfer Ökumene im Dienste der Verfolgten des Dritten Reiches. Hrsg.: Adolf Freudenberg. Zürich 1969. EVZ-Verlag. ren . . . S. 132-135. [(vgl. in FrRu XXII/1970, S. 140 f.) Anm. G. Luck- In jedem Fall stellt der vorliegende Band einen wertvol- ner] len Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung dar; ohne 3 vgl. Klappentext. ihn wird man dieses Thema in Zukunft nicht behandeln 4 Das Hebrew Union College — Institute of Religion, Cincinna- ti/Ohio, ehrte das Dorf Le Chambon mit dem Roger E. Joseph können. Dort, wo noch weiter geforscht werden muss, Prize. Professor Galland als Vertreter des Ortes und benachbar- bietet das Buch viele Anregungen. ter Ortschaften nahm den Preis entgegen. Der Betrag der damit Ernst Ludwig Ehrlich, Basel verbundenen Zuwendung von 10 000 Dollar ist bestimmt für Schaffung eines Museums und dokumentarischem Material, das die Tätigkeit von Le Chambon in der Zeit des Zweiten Welt- PHILIP HALLIE: ». . Dass nicht unschuldig Blut ver- kriegs betrifft. Die finanziellen Mittel sollen auch der Erhaltung gossen werde. Die Geschichte des Dorfes Le Chambon des Museums dienen, u. a. Ausstellungen des Materials ermögli- und wie dort Gutes geschah.« Aus dem Amerikanischen chen. In einer bewegenden Feier anlässlich einer Ordination von Rabbinern des New Yorker Zweiges des College im >Temple übersetzt von Heidi und Georg Wolfgang Schimpf. Titel Emanu-El< und vor einem Auditorium von über 2000 Teilneh- der amerikanischen Originalausgabe: »LEST INNOCENT mern erklärte Professor Alfred Gottschalk, der Präsident des He- BLOOD BE SHED. The story of the village Le Chambon and brew Union College, bei der Verleihung: »Heute, da wir neue how goodness happened there.« Nach der Harper Colo- Dienende des jüdischen Volkes weihen, danken wir zugleich den Männern und Frauen, die dem jüdischen Volk in bitterster Be- phon-Ausgabe von 1980. New York, Verlag Harper & drängnis in unseren Tagen beistanden.« Er fügte hinzu: »Deren Row. Neukirchen-Vluyn 1983. Neukirchener Verlag. Verhalten alle inspirieren, die an die Bruderschaft der Menschen 303 Seiten. glauben.« — Prof. Galland, der am College C8venol in Le Cham- Paulus Gordan OSB schreibt in seiner Würdigung der bon Erdkunde und Geschichte lehrt — das College bot damals be- sonders jüdischen Jugendlichen Zuflucht —, sagte: »Wer hätte 1940 erschienenen französischen Ausgabe: »Dieses gross- sich damals vorstellen können, dass diese doch selbstverständlich artige Buch . . ., ins Deutsche übersetzt . . ., müsste eigent- angebotene Hilfe eine Anerkennung finden würde?« lich ein >Bestseller< werden. So viel Menschlichkeit, so viel (Vgl. dazu: Hebrew Union College — Jewish Institute of Reli- Ergriffenheit atmet dieser ohne literarischen Ehrgeiz, aber gion: »The Chronicle« Nr. 25, New York, Juli 1983). — Vgl. da- zu u. a. o. mit Anmut der Wahrheit geschriebene Bericht. 1/4 s. u. S. 185. In Le Chambon-sur-Lignon im Departement Haute- (Alle Anmerkungen d. Gertrud Luckner) Loire, diesem protestantischen 400-Seelen-Dorf in Süd- frankreich, leisteten Pfarrer Andre Trocme und seine re- formierte Gemeinde, wie überhaupt alle Bewohner von Le INGEBORG HECHT: Als unsichtbare Mauern wuchsen. Chambon und seiner Umgebung, im vollen Bewusstsein Eine deutsche Familie unter den Nürnberger Rassegeset- der Bedrohung durch die deutsche Besatzung und der SS zen. Mit einem Vorwort von Ralph Giordano. Hamburg gewaltlosen Widerstand und retteten Tausende von jüdi- 1984. Hoffmann und Campe Verlag. 156 Seiten.

181 Vf. ist die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts; ihre besser geworden, wenn der Judenrat nicht für die Gestapo Mutter, geb. v. Sillich, entstammte einer christlichen Offi- die Listen der holländischen. Juden hergestellt und ausge- ziersfamilie, die ob ihrer Verdienste geadelt wurde. Unter liefert hätte. dem Sonderrecht der Nürnberger Gesetze »zum Schutz Dieser Erlebnisbericht, so persönlich er auch sein mag, des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« wurde die kann als ein Identifikationsmodell dienen, was Juden erlit- Familie schrittweise zugrunde gerichtet. Erst nach vierzig ten haben, und das Buch lässt uns einmal mehr erkennen, Jahren findet Vf. die Kraft zur Niederschrift ihrer Erinne- uns alle, die vor und die nach 1930 geborenen, zu wel- rungen. Die einzelnen Erlasse des Sonderrechts für die Ju- chen Bosheiten Individuen, die mit andern nur zum den im NS-Staat werden jedem Kapitel der dokumentari- Schein die menschliche Dimension gemeinsam hatten, fä- schen Schilderung der Erlebnisse vorangestellt. Der Vater hig waren. E. L. Ehrlich verschwand in Auschwitz, Ingeborg Hecht und ihre Mut- ter überlebten. »Wir waren rechtlos geworden, haben ANTON MARIA KEIM (Hrsg.): YAD VASHEM. Die Ju- nichts Gescheites lernen, keine Existenz aufbauen können denretter aus Deutschland. Aus dem Hebräischen über- und nidit heiraten dürfen. Wir haben die Angst mit denen setzt von Benyamin Z. Barslai. Mainz 1983. Matthias- geteilt, die die Verfolgung nicht überlebten . . . Wir haben Grünewald-Verlag. 160 Seiten. das nicht unversehrt überstanden« (S. 156). Im Grusswort zu dem gut gemeinten und schlecht gelun- Oda Hagemeyer, Abtei Herstelle genen Buch mahnt Martin Stöhr mit Zitaten von Rosen- zweig und Buber »Das Gedächtnis nicht verlieren«. Die Das denkende Herz der Baracke: Die Tagebücher von 17 Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille des DKR ETTY HILLESUM, hg. u. eingel. vj. G. Gaarlandt. Frei- [Deutschen Koordinierungsrates] begrüssen die Veröf- burg/Heidelberg 1983. F. H. Kerle Verlag. 238 Seiten. fentlichung der Dossiers aus Yad Vashem. A. M. Keim Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um Tagebü- (Träger des Leo-Baeck-Preises 1982) erklärt das Wesen cher einer holländischen Jüdin, die diese in den Jahren von Yad Vashem. Es folgt das diesbezügliche Gesetz von 1941 bis 1943 verfasst hat. Sie ist im September 1943 aus 1954, und dann folgen die Dossiers der »Judenretter«, die dem Lager Westerbork nach Auschwitz deportiert und in Jerusalem geehrt wurden. So weit, so gut. dort bald darauf ermordet worden. Die Tagebücher spie- Nicht gut ist die A.nordnung der Dossiers von Elisabeth geln nicht nur ein Judenschicksal wider, sondern vor al- Abegg bis Gustav Zubeil. 12 Österreicher werden mit lem auch die innere Entwicklung einer jungen Frau Ende Deutschen zusammen geehrt, als ob der Anschluss von ihrer Zwanzigerjahre. Unter »normalen« Umständen wäre 1938 nicht 1945 rückgängig gemacht worden wäre. Die eine Publikation eines solchen Buches nicht von Notwen- Namensliste auf den Seiten 159/160 ist nicht in Einklang digkeit gewesen: Ihre Liebesabenteuer, Neurosen, Rei- zu bringen mit den abgedruckten Dossiers. Deren Über- fungsprozesse etc. sind kaum von Interesse für den Leser. setzung ist holprig und nicht gelungen. »Ue« steht oft, wo Wichtig ist jedoch der Hintergrund, auf dem sich das Ge- »ü« stehen sollte, usw. - schehen abspielt: das von den Deutschen besetzte Hol- Vielleicht bin ich ein schulmeisterischer »Jecke«, Kritika.- land, die Reaktionen der Holländer und der Juden. Etty ster und Besserwisser. Wie dem auch sei, eine so gute Sa- Hillesum stammt aus einer holländisch-jüdischen Familie, che wie Yad Vashem (Gertrud Luckner ist im Buch mit der Vater war Gymnasiallehrer in einem kleinen Ort, sie Recht zweimal erwähnt) hätte mehr Sorgfalt und Können selbst ist kulturell, geistig interessiert, vom Judentum erheischt. Guter Wille ist lobenswert, aber nicht immer weiss sie wenig. In ihrer Religiosität könnte das Buch ausreichend. Hans Lamm, München auch von einer Christin stammen, spezifisch jüdische Ten- denzen findet man nicht. Daher sollte das Buch weniger Dr. Kempner's Erinnerungen — ein epochales Geschichts- als philosophisches, biographisches oder gar theologisches werk: ROBERT M. W. KEMPNER: »Ankläger einer Werk gelesen werden, sondern als zeitgeschichtliches: Epoche — Lebenserinnerungen« in Zusammenarbeit mit Wie erfährt eine junge Frau von jüdischer Abstammung Jörg Friedrich. Berlin 1983. Verlag Ullstein. 476 Seiten, das Judenschicksal, wie reagiert sie und die andern? Da- 43 Illustrationen. bei berührt gewiss ihr Edelmut sympathisch: der Wille, Dr. Robert M. W. Kempner hat — ungeachtet, dass er im nicht zu hassen, keine Rachegefühle gegen die NS-Mör- Jahr 1984 in voller Frische seinen 85. Geburtstag feiern der zu hegen, denn die meisten Juden ahnen längst, dass konnte — in seinen Erinnerungen sowohl sein Elternhaus ihnen die Ausrottung durch die deutschen Herrenmen- wie auch seine Tätigkeit vor und nach 1933 spannend und schen droht. Insofern ist dieses Buch dann wieder wichtig, farbig geschildert. Wer dieses Buch wiederholt liest, wird weil es zeigt, was jüdische Menschen angesichts dieser erkennen, dass hier ein historisches Dokument geliefert tödlichen Bedrohung empfinden, wie sie reagieren. Dabei wurde, das einerseits ein faszinierendes Leben eines tapfe- findet sich gelegentlich (da ja die politischen Ereignisse ren und geistreichen Mannes porträtiert, andererseits ein ohnehin nicht im Mittelpunkt stehen), ein Hinweis dar- Geschichtsbuch hohen Werts darstellt. auf, dass keinesfalls alle Holländer Sympathie für verfolg- Schulmeisterliche Rezension te Juden zeigten, sondern entweder Hilfsdienste für die Wenn ich glauben würde, dass es ein Verhalten gibt, das Mörder leisteten oder sonst durch völlig unnötige Boshei- man als »typisch deutsch« bezeichnen könnte, dann wür- ten Juden kränkten. Als z. B. Etty Hillesum einmal in eine de ich die süss-säuerlich schulmeisterliche Rezension in Apotheke ging, keifte sie ein Holländer an, indem er sag- der »Zeit« vom 18. November 1983 als »typisch deutsch« te: »Dürfen Sie überhaupt dort einkaufen?« Die Jüdin war kennzeichnen. Aber Herr Hanno Kühnen liebt weder den natürlich sofort durch den Judenstern kenntlich. Zwi- berlinischen Witz noch die amerikanische Informalität schen vielen sehr persönlichen Aufzeichnungen findet sich Dr. Kempners. dann plötzlich eine Erkenntnis von zeitgeschichtlichem Eine Autobiographie im Jahr 1983 muss sich weder Goe- Wert: »Es ist wohl nie wiedergutzumachen, dass ein klei- thes »Dichtung und Wahrheit« noch Bismarcks oder Bü- ner Teil der Juden mithilft, die überwiegende Mehrheit lows Erinnerungen zum Vorbild oder stilistischen Korsett abzutransportieren. Die Geschichte wird später ihr Urteil nehmen. Die schulmeisterliche Kritik des Hamburger darüber fällen« (S. 179). Gerade in Holland hat der Ju- Beclunessers gewinnt nicht an Überzeugungskraft durch denrat in seiner Phantasielosigkeit und Überaktivität eine aus dem Zusammenhang gerissene und zum Teil gekürzte besonders üble Rolle gespielt. Manches wäre vermutlich Zitate sowie sein erstaunliches Schimpfvokabular.

182 Kempner hat sein jüngstes Buch dem jungen Jörg Fried- Dankbarkeit dieser grossen Männer und mancher kleiner rich diktiert. Dieser hat weder grosse historische Sach- wird Kempner noch lange begleiten. kenntnis noch redaktionelle Sorgfalt bewiesen; da wird Eines freilich hätte Dr. Kempner erspart bleiben sollen — der Geopolitiker Karl Haushofer, Lehrer von Rudolf die positive Würdigung in einer berüchtigten Münchner Hess, verwechselt mit seinem Sohn Albrecht, der in Ber- Wochenschrift; er, der jahrzehntelang gegen alte und lin-Moabit inhaftiert und hingerichtet wurde (Autor der neue Nazis gekämpft hat, bedurfte dieses Beifalls aus der »Berliner Sonette«); da wird Jakob Wassermann zu den falschen Ecke wahrlich nicht. Hans Lamm, München Schriftstellern gezählt, die nach Kalifornien gingen, wäh- rend er praktisch in der Silvesternacht 1933/34 verstarb; BRUNO KÖHLER: Gotha, Berlin, Dachau. Werner Syl- da wird Noske geschrieben, wo Gessler gemeint war, und ten. Stationen seines Widerstandes im Dritten Reich. wo Papst Paul II. steht, ist es Paul IV. gewesen. Stuttgart 1980. Radius-Verlag. 92 Seiten.

Mini -Mängel Köhler gibt ein anschauliches Bild vom Leben des 1942 im Die Aufzählung der irritierenden Fehler ist keine beck- Schloss Hartheim bei Linz vergasten evangelischen Pfar- messerische Besserwisserei; sie soll dem Verlag Ullstein rers Werner Sylten. Er zeigt, wie der 1893 geborene Syl- nur bei der Verbesserung des fakten- und wissensreichen ten, der nach den »Nürnberger Gesetzen« als »Halbjude« Buches in einer Neuauflage dienen. Dutzende von Per- galt, durch seine Arbeit in der Fürsorgeerziehung und in sönlichkeiten erscheinen ohne Vornamen im Register — der Bekennenden Kirche zum Gegner des Nationalsozia- wäre es wirklich schwer gewesen zu eruieren, dass Ballins lismus wurde. 1936 wird Sylten als Leiter eines Thüringer Name Albert, des Ministerpräsidenten Held Heinrich Mädchenheims entlassen und arbeitet danach in Gotha war? In einem einzigen Tag hätten alle Lücken gefüllt für die Bekennende Kirche. werden können! Nach der Schliessung des Gothaer Büros ist er in Pastor Die Mini-Mängel werden jedoch bei weitem ausgewogen Heinrich Grübers »Evangelischer Hilfsstelle für Rassever- durch das, was man in dem stattlichen Band lernt, sei es folgte«, dem »Büro Grüber« in Berlin tätig. 1940 wird über das Elternhaus mit der schönen und klugen Mutter, Grüber verhaftet und kommt ins KZ Dachau. Sylten löst der Rechts- und Unrechtssysteme der Weimarer Republik das Büro auf und wird am 27. Februar 1941 verhaftet. Am (1919-1932) und des Dritten Reiches (1933-1945), Vor- 30. Mai 1941 kommt er auch nach Dachau und überlebt bereitung und Ergebnisse des Nürnberger Prozesses und dort keine 15 Monate. Im Rahmen der Grossaktion »14 f vieler anderer, die Kempner durchgefochten hat. 13«, mit der schwache und kranke Häftlinge aus den KZs Glänzendes Gedächtnis entfernt und ermordet wurden, wird Werner Sylten ver- In vierzig Kapiteln erörtert der mit einem glänzenden Ge- mutlich wegen eines Sonnenbrandes, den er sich bei schwerer Feldarbeit geholt hatte, am 12. August 1942 mit dächtnis, mit Geist, Witz und vor allem einem nie erlo- einem »Invalidentransport« nach Schloss Hartheim ge- schenen Suchen nach Gerechtigkeit gesegnete Kempner eine Fülle von Themen. Zu den wichtigsten zählen die bracht und dort wenige Tage später vergast. überzeugende Rechtfertigung der Verfahren in Nürnberg Köhler verbindet die theologische Zielsetzung und die und die Darstellung besonders haarsträubender Schand- menschliche Stärke Syltens mit einer transparenten Dar- stellung des Apparates, dem er vor und nach seiner Ver- urteile der NS-Justiz, z. B. gegen den greisen Nürnberger haftung ausgesetzt war. Exakt arbeitet er die Hintergrün- Gemeindevorsteher Leo Katzenberger. de der Vernichtungsaktion »14 f 13« an KZ-Häftlingen Im Rahmen einer Rezension kann die Bedeutung eines 1941 und 1942 heraus und stellt dabei den Mechanismus Buches nur angedeutet, nicht spürbar gemacht werden. »Selektion — Transport — Vergasung« klar heraus. Die Für Deutsche und andere Europäer wird es Geschichts- Verbindung von Einzelschicksal und Verfolgungssystem (und Geschichten-)Quelle bleiben. Juden werden doppelt ist die Stärke dieser Arbeit .. . Gewinn daraus ziehen, weil Kempner viel jüdisches Schicksal mit-erlebt und mit-gestaltet hat. Entnommen, leicht gekürzt, dem »Das Parlament«, Nr. 4 a, Bonn, 9.10. 1982 mit freundlicher Genehmigung seiner Redak- Januskopf tion. (Anm. Red. d. FrRu) Im gleichen Jahr wie seine Memoiren hat er auch darge- stellt, wie leicht Hitler hätte entmachtet werden können, KONRAD KWIET / HELMUT ESCHWEGE: Selbst- vor seiner Machtergreifung, nach der die Köpfe rollten, behauptung und Widerstand. Deutsche Juden im Kampf wie er vor dem Reichsgericht versprochen, nur fast keiner um Existenz und Menschenwürde 1933-1945. (Hambur- ihm geglaubt hatte. Kempner hatte den Burschen durch- ger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band XIX.) schaut und vernehmlich, von Belegen unterstützt, ge- Hamburg 1984. Hans Christians Verlag. 384 Seiten. warnt. Ein viel zuwenig beachtetes Ullstein-Taschenbuch Das Buch ist einem Aspekt des Holocaust gewidmet, der »Der verpasste Nazi-Stopp« (Berlin 1983) tut dar, dass allein schon durch diesen Begriff ausgeschaltet scheint weder das Dritte Reich noch der Zweite Weltkrieg unver- und bisher noch nicht in dieser umfassenden Weise ge- meidbares Schicksal gewesen waren. Wäre der schon 1923 würdigt worden ist. Gewiss war durch »die soziale, politi- wegen Hochverrats allzu mild bestrafte Österreicher Hit- sche und religiöse Heterogenität des Judentums — und ler ausgewiesen worden, dann hätte ihn Hindenburg am dies galt auch später für die jüdischen Gemeinschaften in 30. Januar 1933 nicht zum Reichskanzler berufen. Dann den besetzten Gebieten — . . . ein einheitliches innerjüdi- wären 50 Millionen (50 000 000) Menschen eines natürli- sches Abwehrkonzept« ausgeschlossen (50). Doch gab es chen Todes gestorben, nicht auf Schlachtfeldern und zweierlei, nämlich »Widerstand im engeren Sinne... als nicht in Vergasungskammern .. . Antifaschismus verstanden«; zum andern den »Bereich Kempner hat einen Januskopf: einerseits der glasklar den- des weiteren Widerstandes«: »alles nichtkonforme Ver- kende Jurist, der nach Recht und nicht nach Rache sucht, halten, das sich in der Weigerung ausdrückte, sich dem und der Freund, der Treue in Stille praktiziert. Als Freund Herrschaftssystem voll zu unterwerfen; es wird verschie- hat er dauerndste Denkmäler errichtet für Erich Klause- dentlich auch als Resistenz oder Opposition bezeichnet« ner und Michael Musmano, für Telford Taylor, Benjamin (19). So ist es möglich, nicht nur »all jene deutschen Anti- B. Ferencz und den jüngst verstorbenen Herbert Weich- faschisten jüdischer Herkunft miteinzubeziehen, die in mann, den er gerühmt hat als »ein Geschenk Preussens den Reihen der verschiedenen politischen Widerstandsor- und der USA an die Bundesrepublik Deutschland«. Die ganisationen gekämpft haben« (20), wie es das 2. Kapitel

183 »Juden im organisierten Widerstand« im einzelnen tut ERWIN LEISER: Leben nach dem Überleben. Dem (61-139). Vielmehr werden gerade auch die Juden be- Holocaust entronnen — Begegnungen und Schicksale. rücksichtigt, die sich auf unterschiedlichste Weise »dem Königstein/Ts. 1982. Athenäum-Verlag. 184 Seiten. allgemeinen Rollenverhalten widersetzten, das von der jü- Fünfzehn Jahre beschäftigte sich Vf. mit den Schicksalen dischen Bevölkerungsgruppe im nationalsozialistischen von Menschen, die das Konzentrationslager überlebten. Herrschaftssystem erwartet wurde« (19). Daher werden Zahlreiche Gesprächspartner schildern ihre nunmehrige zur »Typologie nonkonformen Verhaltens« in Kapitel 3 Situation in der Welt von heute. Vf. stellte im Anschluss (141-215) verschiedene Formen der »Verweigerung« be- an ärztliche Gutachten bei den ehemaligen Häftlineen das sprochen (Flucht und Leben im Untergrund, dazu deut- sog. »Konzentrationslager-Syndrom« fest. Das Überle- sche und jüdische Fluchthilfe sowie Selbstmord als »die benden-Syndrom ist Folge von »Seelenmord« (63), ist ein extremste Form der Flucht« : ( 191) und in Kapitel 4 ständiges Leben in Angst und Schrecken. Die Kinder der (217-302) Formen der »Abwehr« (offener Protest und il- Überlebenden werden in ihrer Vorstellungswelt »Überle- legale Druckerzeugnisse; Attentate, Sabotage, Spionage; bende künftiger Holocauste« (102). Einer Überlebenden Widerstand in den Ghettos und KZs sowie in Partisanen- »ist, als sei die Hinrichtung nur aufgeschoben . . . Es ist gruppen). Im einleitenden Kapitel werden die »Rahmen- der natürliche Zustand der Angst und Qual zu leben. Es bedingungen« (11-60) sowohl für diese Untersuchung ist unnatürlich, dass es einem gut geht. Man muss immer (der Forschungsstand und die Schwierigkeiten des Quel- bereit sein wegzugehen, seine Sachen zu packen; denn lenzugangs) als auch für Resistenz und Widerstand der man kann nie wissen . . .« (146). »Die Welt muss erfahren, deutschen Juden vorgeführt: Bei der »Frage nach dem dass diese Deportationen uns bis in die dritte Generation Verhalten und der Verantwortung der Gesellschaft« (34) gezeichnet haben« (171). werden ausser der Führung, der Partei, dem und Dr. Stanislaus Klodzinski, Krakau, bestätigte in der Bi- dem Behördenapparat auch Militär und Wirtschaft, Kir- schöflichen Akademie der Diözese Rottenburg/Stuttgart chen und Wissenschaft einbezogen, bevor auf die Bevöl- im November 1982 diesen Befund: »Man muss in jedem kerung insgesamt geblickt wird. In ihrer Haltung werden Fall davon ausgehen, dass jeder Überlebende der Nazi- »drei Grundmuster« unterschieden: »Solidarität, Aggres- Lager in irgendeiner Weise eine Sozialinvalidität erlitten sion und Gleichgültigkeit« (42). Schliesslich wird »die so- hat . . . Die Analyse der Spätfolgen der Nazi-Verfolgun- ziale Landschaft« der deutschen Juden beschrieben, »in gen richtet unsere Aufmerksamkeit auf das -von der der die jüdischen Abwehr- und Überlebensstrategien ent- Menschheit erlebte Inferno und ist eine Warnung für die standen« (49). Die Kritik, die die Entstehung des Buches Zukunft« (Chronik der Akademie 1982). in Deutschland (Ost und West) und Israel begleitete und Oda Hagemeyer/Abtei Herstelle behinderte (dazu 17 f.; vgl. 10 im Vorvvort des Mitheraus- gebers der Reihe W. Jochmann), mag ein Zeichen für die JOACHIM MAIER: Schulkampf in Baden 1933 - 1945. Brisanz des Themas sein. Jedenfalls stellt das Buch keine Die Reaktion der katholischen Kirche auf die nationalso- Apologie dar, und die Bedeutung der Erlebniszeugen- zialistische Schulpolitik, dargestellt am Beispiel des Reli- schaft ist gerade seit der »Holocaust«-Fernsehserie allge- gionsunterrichts in den badischen Volksschulen. (Veröf- mein erkannt. fentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe Bei der Fülle von Detailangaben können Irrtümer natür- B: Forschungen, 38.) Mainz 1983. Matthias-Grünewald- lich nicht ausgeschlossen werden (z. B. 168 bei Gertrud — Verlag. XXXI, 304 Seiten. ohne e — Luckner nicht »Katholische Aktion«, sondern Das Buch, dem eine Freiburger theologische Dissertation Caritas-Verband und auch seit 1941 als Caritasreferent zugrunde liegt, geht der Entwicklung des katholischen der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Conrad RU in Baden während der Nazizeit nach. Einleitung Gröber, Freiburg, und Prälat Hermann Maas gehört nicht (1-12) und Teil A (13-30: »Die bildungspolitische und ins »katholische Lager«, sondern ins evangelische). Doch pädagogische Situation 1933«) stecken den Gesamtrah- garantieren reichhaltige Belege in den Anmerkungen men ab. Teil B (31-76: »Bildungspolitische Massnahmen (307-350) und ein ausführliches Quellen- und Literatur- des NS-Regimes und die Reaktion der Kirche in Baden«) verzeichnis (3517375) die Nachprüfbarkeit und wissen- stellt zunächst die besondere »rechtliche Lage« dar, die schaftliche Solidität des Unternehmens. Die unpathetische durch das Konkordat von 1932 und die darin erneut fest- und gerade deshalb tief betroffen machende Darstellung geschriebenen »weitgehenden religiösen Sicherungen« für spart auch Fälle von zweideutiger Kollaboration und ein- die Simultanschule (in Baden seit 1876 Regelschule) ge- deutigem Verrat nicht aus. Sie bemüht sich bei aller Ent- kennzeichnet ist. Von da aus werden die Veränderungen schiedenheit auch harten Urteilens darum, nicht ins Pau- der Rechtslage durch das Reichskonkordat und durch schale zu geraten (z. B. hinsichtlich der jüdischen Reprä- Reichsgesetze vom Januar 1934 beschrieben, deren Folge- sentanten 59 f. und weiter im Personenregister bei Leo massnahmen (im Zusammenspiel von staatlichen und Par- Baeck und Otto Hirsch). Mehr noch als die Diskussion teistellen) auf die Verdrängung der Kirche aus der Schule auf jüdischer Seite sollte das Buch allerdings die auf nicht- hinausliefen; die im Anhang dokumentierte »Berliner Be- jüdischer Seite und hier zur »Trauerarbeit« anregen. sprechung vom 30. März 1938« (259 - 277) bietet ein Mu- Denn mit dem jüdischen Kampf um Existenz und sterbeispiel für die Erfolglosigkeit von Bemühungen Menschenwürde dokumentiert es zugleich die »allgemei- kirchlicher Würdenträger (Nuntius; Erzbischof Gröber), ne Passivität und Gleichgültigkeit« unter der übrigen auch nur im Ansatz die Respektierung kirchlicher Rechts- deutschen Bevölkerung, die sich »bereits zuvor als unfähig ansprüche zur Geltung zu bringen. Der anschliessende erwiesen hatte, die jüdische Existenz zu achten, geschwei- (zentrale) Abschnitt in Teil B geht auf die Rolle(n) ein, ge denn zu lieben« (46). »Sofern hier auf nichtjüdischer die Lehrer/innen und Geistliche im »badischen Schul- Seite überhaupt eine >Bewältigung< möglich ist, liegt sie in kampf« spielten bzw. spielen mussten (77-179); eine Wür- der Aufarbeitung und Veränderung der gesellschaftlichen digung des Freiburger Erzbischofs schliesst sich als Zu- Bedingungen und Verhaltensweisen, die die Realität von sammenfassung an (179-192). Teil C wendet sich dem Auschwitz ermöglicht haben. Diese >Trauerarbeit< steht »Konflikt in der Praxis« hauptsächlich unter dem (reli- noch aus.« Wer will deshalb den Autoren ihre Skepsis ver- gions-)pädagogischen Blickpunkt von Erziehungspostula- denken, »ob sie in naher Zukunft geleistet werden wird« ten und Inhalten (Schulbücher, Lehrplan) zu (193-253). (304)? Peter Fiedler, Freiburg i. Br. Die Gesamtentwicklung, die das Verhalten des Erz-

184 bischofs »sowohl in schulpolitischen wie in religionspäd- gen«. Ausser dem »Marxistenpastor« Georg Fritze von agogischen Fragen« spiegelt, ist weitgehend von der »Be- Köln' und der tapferen Helga Barth, die als engagierte reitschaft zur Koexistenz mit dem nationalsozialistischen evangelische Christin für die Kommunistenfamilie Hantel Staat« bestimmt, auch dann noch, als sich die Streitfälle alles wagte und im KZ Ravensbrück ermordert wurde, re- wegen missliebiger Äusserungen von Geistlichen und konstruiert er dokumentarisch die Schicksale des nichtari- weltlichen Lehrern häuften«; erst kurz vor dem Krieg schen Kölner Kirchenmusikers Julio Goslar und des hoch- »vollzog sich auf kirchlicher Seite ein Umdenkungspro- begabten deutschnationalen evangelischen Pastors Ernst zess« (so in der Zusammenfassung 255-258). Damals war Flatow, eines Berliner jüdischen Konvertiten, den seine — es aber für eine Umkehr des Geschehenen zu spät — auch »bekennende« ! — Kirche 1933 wegen seiner Rasse als in der Hinsicht, die ein Pfarrer so erläutert: »Dass katho- »dienstunfähig« erklärte und die nichts tat, um ihn vor lische Lehrer und viele andere Laien ein so wenig rühmli- dem Holocaust zu bewahren, sie beide Opfer kleinlicher ches Zeugnis für Christus ablegen, ist gar nicht zu ver- und pedantischer Bürokratie und Herzensträgheit, wie wundern. Von uns haben sie es bestimmt nicht lernen kön- wir es jetzt sehen, während in Wahrheit diejenigen, die so nen. Unsere Pastorationsmethoden gipfelten in weltlicher handelten, selber Opfer des Psychoterrors waren, dessen >Klugheit< (in Wahrheit: Kurzsichtigkeit) und Zurückwei- Übergewalt sich die Nachgeborenen kaum noch vorzu- chen vor jedem Druck Böswilliger. Keine Position schien stellen vermögen. Paulus Gordan, Salzburg dazu bestimmt, auch unter Schwierigkeiten gehalten zu 1 Hinweisen darf ich auch auf das im Anhang dieses ausnehmend werden« (191). Der Pfarrer hat dabei sicher nicht allein an sorgfältig gearbeiteten Buches enthaltene Personenregister. Es die Vorgänge um die »Verpflichtung der Geistlichen bietet mit seinen Daten besondere Information über solche »aus- durch das Treuegelöbnis« auf Hitler gedacht (123-129). getan aus dem Land der Lebendigen«. — Die Abb. (S. 39), Pfarrer Georg Fritze mit seiner Frau Katharina, gebürtige Holländerin, Allerdings muss dem Erzbischof bescheinigt werden, dass Havelaer und seiner Schwiegertochter weckt lebendige Erinne- er in Lehrfragen keinerlei Kompromissbereitschaft zeigte rung an Frau Pfarrer Fritze. Die Familie gehörte zu den Religiö- — so, als im November 1937 der Versuch von staatlicher sen Sozialisten, die damals Kontakt zu den NS-Verfolgten such- Seite unternommen wurde, »die Kirchenbehörde zur ten und Wege der Hilfe in jeweiliger derzeitiger Situation. Dabei lernte ich Frau Pfarrer Fritze 1941 kennen und besuchte sie auf Streichung des alttestamentlichen Unterrichts aus dem meinen Hilfsfahrten anlässlich häufiger kurzer Aufenthalte in Lehrplan zu veranlassen« (86). Allerdings — und hier hat Köln bis vor meiner Verhaftung 1943. Sie bleibt mir in steter das Buch wegen seiner exemplarischen Behandlung der Dankbarkeit sehr lebendig im Gedenken. (Anm. Gertrud Luck- Einstellung zum »Alten Testament« zusätzliche Bedeu- ner) tung, weil dabei auch der »katholische Antijudaismus« zum Tragen kommt (207 Anm. 72, mit B. van Schewick) — ALEXANDER RAMATI: Der Assisi-Untergrund. Assisi die Verteidigung des AT geht mit klarer Distanzierung und die Nazi-Besetzung nach dem Bericht von Pater Ru- vom Judentum einher (86, vgl. 238-240). Das gleiche gilt fino Niccacci. Aus dem Englischen von Uta Roy-Seifert. vom Satz Joh 4, 22 »Das Heil kommt von den Juden« : 1978. Amerikanischer Original-Titel: »The Assisi Under- »Mit der modernen Judenfrage hat der Satz nicht das ge- ground'«. München 1984. Lev Rottman Verlag. 204 Sei- ringste zu tun« (235, aus einem Brief Gröbers an das Kul- ten. tusministerium in Karlsruhe). Für den Talmud konnte da Die von Dr. Ehrlich als wünschenswert bezeichnete deut- >selbstverständlich< nicht eingetreten werden (209-211), sche Übersetzung2 dieses bewegenden zeitgeschichtlichen und von Äusserungen von Pfarrern zugunsten von Juden Dokuments liegt nun vor und sollte in viele Hände, be- bzw. des jüdischen Volkes unter Berufung auf die Bibel sonders junger Leser, kommen 2a. Eine Würdigung von distanzierte man sich . . . (219-221). E. L. Ehrlich, anlässlich der bereits in London 1978 er- Das Buch liefert somit durch seine Fülle von (archivalisch schienenen Ausgabe' findet sich im Freiburger Rundbriefe. belegten) Einzelbeispielen ein Mosaik, das einen überaus Der israelische Autor berichtet, wie »ein Pater, sein Bi- erhellenden Einblick in den »badischen Schulkampf« und schof, die Oberin und Schwestern der Armen Klarissen darüber hinaus in das Vorgehen der Machthaber und die sowie die einfachen Bürger der italienischen Gemeinde Reaktion der Kirche gewährt. Da das Buch seine Perspek- Assisi jüdische Flüchtlinge vor dem sicheren Tode retteten tive zu einem wesentlichen Teil von »unten«, also den un- — und ein deutscher Oberst es stillschweigend geschehen mittelbar Betroffenen in der Schule, hat, stellt es eine liess«.3 grosse Bereicherung gegenüber den meist von »oben« ge- Dazu Dr. Ehrlich: »Es hat schon einen Symbolgehalt, dass schriebenen Untersuchungen dieser Thematik dar. Wenn diese tätige Humanität sich gerade in Assisi begeben hat es sich auch selbst gegen vorschnelle Verallgemeinerun- und dass nun Pater Rufinos Tat auch in die Zukunft aus- gen wendet, so erlaubt es doch Folgerungen, die über die strahlt. Damit hat Assisi einen zusätzlichen Sinngehalt be- unmittelbare Fragestellung weit hinausführen. kommen.«2 G. L. Darum wünscht man es sich nicht nur in die Hände von 1 White the Pope kept silent, Assisi and the Nazioccupation, as Fachleuten, sondern von allen, die an den jüngsten Ent- told by Padre Rufino Niccacci. George Allen & Unwin, 181 pp. wicklungen in der Kirche (Verhältnis zum Judentum!) 2 XXXII/1980, S. 136. interessiert sind, insbesondere natürlich in die Hände von 2a »Welt am Sonntag«, Nr. 10, Hamburg, 10. 3. 1985, berichtet: Pfarrern und Religionslehrern. »Alexander Ramatis Buch >Der Assisi Untergrund< wurde jetzt Peter Fiedler, Freiburg i. Br. an den Originalschauplätzen verfilmt. Regie führte Buchautor Ra- mati. Das Foto zeigt Ben Cross als Pater Rufino und Maximilian Schell in der Rolle des deutschen Oberst Dr. Müller . . . Der Film läuft im Mai 1985 in der Bundesrepublik an.« HANS PROLINGHEUER: Ausgetan aus dem Land der 3 Vgl. Klappentext. (Alle Anmerkungen d. Red. d. FrRu) Lebendigen. Leidensgeschichten unter Kreuz und Haken- kreuz. Neukirchen-Vluyn 1983. Neukirchener Verlag. 236 Seiten. KARIN WOLFF (Hrsg.): Hiob 1943. Ein Requiem für Vf. dieses Buches ist ein Einzelgänger und Fährtensucher. das Warschauer Getto. Neukirchen-Vluyn 1983. Neukir- Getrieben von Wahrheitsliebe und Gerechtigkeitssinn ge- chener Verlag. 320 Seiten. lang es ihm, die Spuren von vier Opfern des Hakenkreu- Auch dieses Buch beweist wie so viele andere, dass so ent- zes zu sichern und ihr Andenken zu bewahren, damit sie setzliche Dinge, wie man sie unter dem Begriff »Holo- nicht vollends »ausgetan seien aus dem Land der Lebendi- caust« zusammenzufassen sich gewöhnt hat, literarisch

185 nicht zu bewältigen sind. Mit kluger, kundiger Hand und ren Karäern bekannt, ist niemand anderes als der »Lehrer bebendem Herzen hat die Herausgeberin hier Texte ver- der Gerechtigkeit« und höchstwahrscheinlich der Verfas- sammelt: Erlebnisberichte, Momentaufnahmen, Gedichte, ser der Rolle selber. Er ist nach Wacholder um das Jahr Meditationen, auch solche von christlichen Autoren, die 240 v. Chr. geboren und 170 gestorben. Die Rolle selber alle das Thema »Warschau 1943« einkreisen. Biographi- ist um das Jahr 200 geschrieben worden. Er ist der Grün- sche Notizen über die Verfasser, von denen die meisten der der neuen Sekte, eine Sekte, die nicht mit der Erobe- die schrecklichen Ereignisse nicht überlebt haben, bewah- rung Qumrans und der Vernichtung des Landes Israel ren die Konturen der Zeugen. Erschütternd die letzten durch die Römer unterging, sondern die noch bis ins 10. Seiten aus dem Tagebuch von Janusz Korczak, dem gros- nachchristliche Jahrhundert überlebte und Stammvater sen Pädagogen, der mit »seinen Kindern« voll hoher Wür- der karäischen Juden wurde, die seit dem 8. Jahrhundert de der Vernichtung in Treblinka entgegenging.1 Von ihm belegt sind. auch das Gebet zu dem Einen Gott aller Menschen, das Mit der genauen Datierung, auch einer relativen Datie- sich unversehens an — Christus richtet: »Herr, der Du ge- rung anderer Qumran- und apokryphen Schriften, die viel litten hast und durch Dein Leiden die Menschheit erlösen früher ansetzt als bisher gemeinhin üblich, vor allem in die solltest, — erbarme Dich über unser Volk, das Dich verra- vormakkabäische Periode das Entstehen der Sekte ver- ten, aber nicht gekannt hat! Wir kennen Dich nicht, der legt, versucht der Autor auch eine Reihe anderer, bisher Du littest für der Menschen Schuld. Doch Deine Leiden — umstrittener und dunkler Andeutungen, die sich so zahl- waren sie schrecklicher als die, die wir erdulden?« reich in dieser Literatur finden, zu erklären. Ob ihm dies (S. 174). Grossherzigster Versuch der Sinngebung des gelungen ist, wird die Fachwelt zu entscheiden haben. Zu- Sinnlosen! Paulus Gordan, Salzburg mindest ist eine neue interessante und eigenwillige These 1 u. a. vgl. dazu FrRu XX/1968, S. 137 f. (Anm. d. Red. d. FrRu). zu der Vielzahl der Meinungen über Qumran hinzuge- kommen. Michael Krupp, Jerusalem HELLMUT BECKER / LUDWIG LIEGLE: Israel — Er- ziehung und Gesellschaft. Stuttgart 1980. Verlag Klett- BRIEFE AN JUNGE DEUTSCHE. Juden antworten Cotta. 123 Seiten. deutschen Schülern auf einen Leserbrief in der »Jerusalem Aus der Gesamtdarstellung des israelischen Bildungswe- Post«. Hrsg. von F. Angern, Kl. Kleinherne, L. Munkler, sens haben die beiden renommierten Autoren ihren Bei- W. Vetten-Schumann in Zusammenarbeit mit den Schü- trag (»Erziehung in Israel — von aussen gesehen«) hier lern der Klasse 10e des Schuljahrs 1981/82 am Gymna- vorweg veröffentlicht, um so »einem breiteren Leserkreis sium Hochdahl. Düsseldorf 1983. der kleine verlag. 112 einen Einblick in die Probleme« zu geben. Den Wert die- Seiten. ser Einführung, die selbstverständlich die Beschäftigung Ein aus Holland stammender Israeli hatte aufgrund seiner mit dem Gesamtwerk nicht ersetzen kann, erhöhen ein im Erfahrungen mit Nazideutschland und unter Hinweis auf Anhang beigefügter »Aufriss des israelischen Bildungswe- neonazistische Aktivitäten hierzulande seine fortdauernde sens und Literaturhinweise zu ausgewählten Problemen Abneigung gegen die Deutschen in einem Leserbrief be- des Staates Israel und seines Bildungswesens« (8). kundet. Eine Schulklasse, die davon erfuhr, war so betrof- Peter Fiedler, Freiburg i. Br. fen, dass sie ihrerseits einen Leserbrief verfasste, in dem sie auch um Rat dafür bat, was zur Überwindung solcher BEN ZION WACHOLDER: The Dawn of Qumran — Unversöhnlichkeit von ihnen als Angehörigen einer nach- The Sectarian Torah and the Teacher of Righteousness. geborenen Generation getan werden könnte. Die Reak- Cincinnati 1983. Hebrew Union College Press. With no- tion, die in diesem Band vorgelegt wird, waren 31 Briefe tes and Index, 310 Seiten. von — meist deutschstämmigen — Juden aus aller Welt und Das Buch untersucht die zuletzt gefundene und längste dazu drei Briefe des Leserbriefverfassers an die Klasse. der Qumranrollen, die vom Entdecker und Herausgeber Die Briefe sprechen für sich selbst: mit ihrem Ausdruck (1977), dem jüngst verstorbenen Y. Yadin so genannte der Enttäuschung und des Leids, das man von den Deut- »Tempelrolle«. Wacholder, Professor am Hebrew Union schen erleben musste und das dennoch meist nicht als An- College in Cincinnati für Talmud und Rabbinica, nennt lass genommen wird, sich von allen Deutschen zu distan- sie »Die Sekten Torah« oder »Qumran-Torah« und zieren. Besonders bestürzt ist der christliche Leser über glaubt, dass sie in Qumran »sepher tora« genannt wurde, die Rolle, die der berüchtigte Gottesmord-Vorwurf nach also wie das grosse Vorbild, die fünf Bücher Moses, Ausweis sehr vieler dieser Zeugnisse damals, ja auch heute selbst. Das ist nun auch die Hauptthese des Buches, dass noch spielt. Dazu und darüber hinaus gilt unserer Jugend die längste Rolle nicht nur einfach eine zusätzliche, wenn die Mahnung: »Lassen Sie nie eine lärniende Minderheit auch sehr wichtige Rolle ist unter den Schriftrollen vom Sie zu etwas verleiten. Gebrauchen Sie Ihren eigenen Ver- Toten Meer, sondern dass diese Rolle einmal das älteste stand und Ihr eigenes Urteil. Lassen Sie andere nie Ihre Schriftdokument der Sekte ist, zum anderen aber das Entscheidungen treffen!« Offensichtlich sieht dann der Wichtigste, das eigentlich Kanonische, mit der Absicht Briefautor auch eine Möglichkeit, seine Abneigung abzu- veröffentlicht, die Tora des Moses selbst zu verdrängen, bauen; denn er fährt fort: »Vielleicht gibt es dann Hoff- zumindest deren Platz einzunehmen. Der Verfasser ver- nung für die Zukunft, für Ihre Generation.« Das Buch ist sucht nachzuweisen, dass Anspielungen in der anderen allen, die sich mit dem deutsch-israelischen und dem Qumran-Literatur, der in Qumran gefundenen Rollen wie christlich-jüdischen Verhältnis befassen, nachdrücklich anderen schon vorher bekannten apokryphen Schriften empfohlen, vor allem natürlich dem Schulunterricht (Ge- wie den Jubiläen, auf diese »Qumran-Tora« angespielt schichte und Gemeinschaftskunde, Religion), und zwar wird. So ist der Inhalt der Rolle auch weniger die Be- schon in der Hauptschule bzw. Sekundarstufe I. schreibung des neuen Tempels, wie die bisherige For- Peter Fiedler, Freiburg i. Br. schung erklärt, obwohl auch Wacholder nicht leugnen kann, dass über ein Drittel der Rolle diesem Gegenstand MARTIN BUBER: »Ein Land und zwei Völker«. Hg. gewidmet ist, sondern es ist eine Aufnahme der halachi- von Paul Mendes-Flohr. Frankfurt/M. 1983. Insel-Ver- schen (gesetzlichen) Teile der Torah, so umgeschrieben, lag. 393 Seiten. dass die Hauptperson Zadok ist. Zadok, auch aus der In dem Band sind Martin Bubers zum Teil bisher unveröf- pharisäischen Literatur wie dem Josephus und den späte- fentlichte Vorträge, Aufsätze und Briefe zur zionistischen

186 Politik im allgemeinen und zur Araberfrage im speziellen Wie sonst, so verlangte Buber gerade auch hier ein offe- zugänglich gemacht, wie sie zwischen 1917 und 1965 ent- nes partnerschaftliches Gespräch aus Kenntnis und Aner- standen sind. Manche wichtigen Briefe und Fragen an Bu- kenntnis. Seine prophetische Politik aus hebräisch-bibli- ber sind mit abgedruckt. Paul R. Mendes-Flohr, Professor schem Humanismus versuchte, die Probleme der anderen für Neuere Jüdische Geistesgeschichte an der Hebräi- in das Überlegen und Handeln als wesentlichen Punkt schen Universität Jerusalem, hat der Sammlung eine treff- miteinzubeziehen. Er wollte wissen, was dem anderen liche Einleitung vorangestellt, die Texte, soweit nötig, ge- Freude macht, auch was im wehe tut. Die Folge und das rahmt und kommentiert. Ein Quellenverzeichnis sowie ein Ergebnis können nur sein: ein unnaiver, gläubiger Realis- Personen- und Sachregister belegen die Herkunft und er- mus und ein dialogischer Kompromiss: Jüdischer An- schliessen den Zugang. Das Buch ist vorzüglich ausge- spruch darf arabische Rechte nicht schmälern. stattet, die Texte sind in bekannt meisterhafter Art über- Ein unwahrscheinlich anregendes, ein geradezu aufregen- setzt von Frau Dr. Dafna Mach. des Buch, das, leider, gegenwärtig so aktuell, noch aktuel- Unter Zionistenführern wurde leidenschaftlich darüber ler ist als die Schriften und Reden es je waren. Gilt doch diskutiert, inwiefern bei der Durchsetzung jüdischer für Israel wie für uns alle, dass die Vorbereitung des Frie- Interessen auch die Wünsche der Araber zu berücksichti- dens möglich sein muss, weil er einfach überlebensnot- gen seien. Unter dem Zwang der Verhältnisse fiel die Ent- wendig ist. Reinhold Mayer, Tübingen scheidung zugunsten eines messianischen Nationalismus, der die Ziele der Araber nicht in die eigenen Überlegun- BARBARA JUST-DAHLMANN / Fotos von OTTO gen einbezog. Juden waren zunächst eine Minderheit im PFAFF: Aus allen Ländern der Erde. Israel — Verheissung, Land, aber sie machten für ihre Besiedlungspolitik ein hi- Schicksal und Zukunft. Stuttgart 1982. Radius Verlag. storisches Recht geltend; ausserdem bräuchten sie das 119 Seiten. Land dringender als die Araber. Juden machten es sich Der Text — zu den exzellenten Bildern aus dem heutigen zur praktischen Aufgabe, die Mehrheitsverhältnisse durch Israel — stellt die jüngste jüdische Geschichte und darin Forcierung der Einwanderung zu ihren Gunsten zu verän- den Staat Israel in das Licht biblischer Hoffnungen und dern, während die Araber nicht eine gute Behandlung Verheissungen, ohne in Schwärmerei zu verfallen. Gerade forderten, sondern wünschten, dass die Juden erst gar diese Nüchternheit lässt die Gewissensfrage überzeugend nicht kämen. Juden sprachen dann gerne vom tragischen klingen: »Entgegen allem, was wir an.. . Flüchtlingselend Konflikt, um ihre Machtpolitik gegenüber den Arabern und Umweltverschmutzung, an Wettrüsten und schreck- zu rechtfertigen. lichstem Elend um uns herum erleben — ja selbst noch Martin Buber lehnte solche Argumentation entschieden nach dem Holocaust! —, beteuern wir Christen uns und ab, weil damit der moralische Aspekt in der Politik ausge- anderen unseren Glauben daran, dass die Erlösung der klammert bliebe. Für ihn stand die moralische Frage im Welt zumindest schon begonnen habe. Wir glauben, was Zentrum; er war bereit, mit den Problemen zu leben und wir nicht sehen. Sollten wir nicht in der Lage sein zu glau- immer neu einen fairen Ausgleich zu suchen. Buber nahm ben, was wir sehen?« (70). Diese Frage verbindet sich zu die Ängste der Araber ernst, ohne auf die jüdischen Inter- Recht mit dem Hinweis auf die gerade in letzter Zeit bei essen zu verzichten. Ein pazifistischer Zionist, wollte er uns gewachsene Bereitschaft, »die Schwierigkeiten im Zu- alles national Jüdische minimalisieren. sammenleben zwischen Juden und Arabern in Israel« und Zur Zusammenarbeit bedurfte es freilich auch der Bereit- zwischen Israel und seinen Nachbarn »einseitig den Isra- schaft einer arabischen Gruppe von Gleichgesinnten. Aber elis anzulasten. Das ist grobes Unrecht . . ., Rückfall in Zionisten müssten, als neu Herzukommende, den Anfang den Antisemitismus, der uns selbst zerstört« (76). Damit machen, aufrichtig und einfallsreich Gesten guten Willens warnt das Buch unmissverständlich vor einer Herzensver- zeigen. Das wäre realistischer als schiere Machtpolitik. härtung, die sich dem Erkennen verweigert, wie sie seit Aber auch eine Einschränkung der Alija liesse sich verant- neutestamentlicher Zeit gern dem Judentum entgegenge- worten, wenn dadurch Recht und Würde der Araber ge- halten wird. Im Unterschied zu Jesaja 6, 9 f. ist diese (neu- mehrt würde. erliche) Verstockung auf christlicher Seite jedoch nicht als Ursache des politischen Fehlverhaltens ist die Sonderung von Gott gewirkt entschuldbar. In diesem Buch wird der Religion von der »säkularen« Welt. Aber alle Schöp- Wahrheit vernehmlich, die frei macht. fung ist heilig. Nicht der Glaube an Gott ist schwer, wohl Peter Fiedler, Freiburg i. Br. aber erfordert der Glaube, dass die hiesige Welt Gottes Welt sein wird, eine grosse Treue. Gerade der politische MICHAEL KRUPP: Zionismus und Staat Israel. Güters- Bereich darf darum nicht von der Heiligung ausgeschlos- loh 1983. Gütersloher Verlagshaus (Gerd Mohn). 187 Sei- sen werden. Politik ist nicht ein lästiger Ballast für den ten. Geist, sondern die Bewährungsprobe des Geistes. Und die Dieses Buch, vor mehr als zwei Jahrzehnten entstanden, Araberfrage speziell ist ein Prüfstein fürs Judentum. Buber hat unter dem Titel »Vergesse ich Dein Jerusalem« seinen fragte immer neu nach der »Demarkationslinie«, an der Weg zu den Lesern begonnen und ist inzwischen längst sich zu einer bestimmten, nie dagewesenen und nie wie- zum Bestseller geworden, der keiner weiteren Empfeh- derkehrenden Stunde das Höchstmass an Wahrheit und lung mehr bedarf. Auf weite Strecken hin ist der alte Text Gerechtigkeit verwirklichen lasse. Er verweigerte sich so- in der neuen Auflage erhalten geblieben — ein Zeichen da- wohl der zynischen Hinnahme der unvollendeten Welt als für, wie solide Michael Krupp schon damals als Tübinger auch der inhaltslosen Reinheit eines abstrakten Prinzips — Student gearbeitet hat. zwischen »Real«politikern und Weltverbesserungsträu- Die Zitate sind durch kleineren Druck besser vom Text mern ging er mitten hindurch einen unverwechselbaren, abgesetzt; sonst wurde stilistisch verbessert und sachlich eben seinen Weg, indem er versuchte, das Gebot inner- ergänzt, manchmal der Text gestrafft. So fehlt ein Wort halb der Grenzen der real gegebenen Situation in die Tat vom Hass, auch eine Kritik gegenüber der Bundesrepu- umzusetzen. In der Auseinandersetzung mit Franz Rosen- blik Deutschland (1. Aufl. S. 143 und 164). Grössere Ein- zweig wurde deutlich, dass sich der »Anarchist« Martin griffe fanden am Anfang und vor allem gegen Schluss des Buber eminent im politischen Bereich verwirklichte, hier Buches statt. gehorchte er mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und Damals setzte das Buch in weitem Schwung bei den mit ganzer Kraft. Vätern ein, jetzt beginnt es mit dem ersten Exil, in dem ja

187 die Zionssehnsucht auch entstanden ist. Früher gab es ei- len und Sekundärliteratur, mit der er sich auseinander- nen Abschnitt über das Verhältnis von Arabern und Israel, setzt, mit. der jetzt fehlt. Ebenso sind weggelassen die Kapitel über Das Buch ist chronologisch geordnet. Es durchstreift ver- Israels Selbstverständnis und seine Berufung und über das hältnismässig schnell die Vor- und Frühgeschichte des Gespräch — vermutlich, weil sie viel theologische Refle- Negev, ebenso die israelitische Zeit, bis es zur Siedlungs- xion brachten. Das Schwergewicht ist eindeutig verlagert geschichte der Nabatäer kommt. Hier liegt das Hauptin- zum Militärisch-Politischen hin: Jetzt stehen Bericht und teresse des Buches, so nimmt diese auch den grössten Teil Orientierung über Sinaifeldzug, Sechstagekrieg, Jom- ein. Hier sind auch die meisten Eigenforschungsergebnis- Kippur- und Libanonkrieg — über leidvolle Wirklichkeit se zu finden, Ergebnisse, die so bisher noch nicht vorge- der Geschichte da. Auch der Epilog hat ein eminent politi- legt wurden. Schlüsse allerdings auch, die nicht immer un- sches Gewicht mit seinem weiten Spektrum von Argumen- bestritten bleiben dürften, besonders wenn die archäologi- ten für und wider den Zionismus. Mit der Sorge um Isra- schen Quellen so spärlich sind, dass sie nur für Vermutun- els Zukunft und mit einem Plädoyer für den Frieden Isra- gen Raum lassen. Dies gilt schon für die recht früh ange- els schliesst dieses Buch mit seinem wundervollen Stil und setzte Besiedlung der Nabatäer im mittleren Negev, die seinen klaren Einsichten. Negev schon ins 6. bis 4. vorchristliche Jahrhundert anset- Eine Zeittafel, ein Namenregister, ein Orts- und Länder- zen will, obwohl er dafür praktisch keine archäologischen register, Quellennachweise und Karten runden das Werk Funde anführen kann. Der früheste Beleg für das Vor- ab, das nicht nur mit dem Herzen eines Freundes, son- handensein der Nabatäer im Negev ist eine Schrifttafel, dern aus der intimen Vertrautheit eines der besten Kenner die von Wooley und Lawrence 1914 in Haluza gefunden Israels geschrieben ist, so dass, wer gut beraten sein will wurde und die vielleicht aus der Mitte des 2. vorchristli- über die Geschichte der Zionshoffnung und Zionsver- chen Jahrhunderts stammt. Wenn das zutrifft, wäre dies wirklichung, wohl zu Michael Krupps Buch greifen muss. das älteste nabatäische Schriftdokument überhaupt. Die Reinhold Mayer, Tübingen Tafel ist im Buch abgebildet und übersetzt (S. 40f.). Negev unterscheidet eine »Frühnabatäische Periode« vom ABRAHAM NEGEV: Tempel, Kirchen und Zisternen. 6./4. vorchristlichen Jahrhundert bis 100 v. Chr., in der Ausgrabungen in der Wüste Negev — Die Kultur der Na- die Nabatäer Zeltnomaden waren. Solche Zeltsiedlungen batäer. Stuttgart 1983. Calwer Verlag. 258 Seiten. Mit sucht Negev für Haluza, Avdat und Nizana nachzuwei- Zeittafel, Literaturverzeichnis, Namen-, Orts- und Sach- sen. In dieser Zeit leben die Nabatäer vom Gewürz- und , register sowie Karten, Zeichnungen und Abbildungen. Edelsteinhandel vom Persischen Golf über Petra und den Im Vorwort zu diesem Buch bekennt der Autor seine tiefe Negev zum Mittelmeer. Mittelmeerhafen der Nabatäer ist Verbundenheit mit dem im Buch verhandelten Stoff. Ein Gaza. Gaza fällt um 100 v. Chr. in die Hände Alexander Autor, der Negev heisst und über den Negev, die Südwü- Jannais, hasmonäischer Herrscher über das jüdische nörd- ste Israels, schreibt, hat wahrscheinlich über sein Objekt liche Nachbarland. Dadurch erleiden alle nabatäischen etwas zu sagen. Tatsächlich ist der Autor nicht unter die- Siedlungen im Neeev einen harten Schlag. Jedenfalls las- sem Namen geboren, sondern hat ihn als Decknamen in sen sich in der »Ubergangsperiode« von 100-30 v. Chr. der Hagana, der vorstaatlichen jüdischen (illegalen) Ar- keine nabatäischen Siedlungen im Negev nachweisen. mee, angenommen. Negev, in Palästina geboren, war Von 30 v. Chr. bis 50/70 n. Chr. setzt Negev die »Mit- 1943 in den Negev gekommen, in den damals gegründe- telnabatäische Periode« an mit der Gründung der Naba- ten Kibbuz Revivim, neues Pioniergebiet im Herzen des täerstädte Mampsis, Shivta und Ruheibe. In dieser Zeit Negev. Revivim liegt inmitten der alten Nabatäerstädte, werden feste Städte angelegt, die den durchreisenden Ka- besonders nahe an Haluza und Ruheibe. (Ich benutze im rawanen Schutz gewähren können. Die Nabatäer haben Gegensatz zum Buch die heute in Israel gebräuchlichen inzwischen Damaskus erobert und somit einen anderen geographischen Namen.) Ausflüge des damals Zwanzig- Zugang zum Mittelmeer. In der »Spätnabatäischen Perio- jährigen in seiner freien Zeit dorthin erweckten immer de« (ca. 70 bis ca. 150 n. Chr.) gehen die Nabatäerstädte mehr das Interesse an den früheren Bewohnern der Re- zur Landwirtschaft über und werden Virtuosen auf die- gion, die das Land zum ersten Mal kultiviert hatten und sem Gebiet, indem es ihnen gelingt, mit den niedrigsten in der Lage gewesen waren, diesem trockenen Land so Regenmengen ausreichende Erträge zu erzielen. Dieser viel Ertrag abzutrotzen, dass es die Existenz solch gewal- Übergang ist forciert durch die Eroberung des Nabatäer- tiger Städte zuliess wie Mampsis, Avdat, Shivta und Niza- reiches durch die Römer, die sie ihres Handelsmonopols na, um die restlichen der sechs Nabatäerstädte des berauben, worauf Negev aber nicht besonders eingeht. Zentralnegev zu nennen. Das Interesse an der Vergangen- Besser hätte Negev diese Zeit mit dem Jahre 106 begon- heit bewegte Abraham Negev bald, sein Wüstensiedlersein nen, der neuen Ära der römischen Provinz Arabia felix. aufzugeben, an die Universität zu gehen und die Lauf- Die »Nachnabatäische Periode« — erstaunlich, dass Negev bahn eines Archäologen einzuschlagen. Negev hat dann sie so nennt — von 150 bis 350 n. Chr. ist geprägt durch ei- in Cäsarea und in Bet Shean ausgegraben, vor allem aber nen religiösen Synkretismus zwischen nabatäisch-semiti- im Negev: 1958-1961, 1976/77 und 1979/80 in Avdat, schen und römisch-griechischen Vorstellungen. 1965-67 in Mampsis und 1973,1979/80 in Haluza, wo er Alle diese Perioden werden der Reihe nach anhand der in Zukunft weiterzugraben gedenkt. Er lehrt heute an der archäologischen Funde einiger der sechs Nabatäerstädte Universität des Negev, der Ben-Gurion-Universität in behandelt, wobei einmal die eine, dann wieder eine ande- Beer Sheva. 60 Monate reine Ausgrabungszeit hat Negev re besonders in den Vordergrund tritt, je nachdem wie ty- im Negev verbracht, was, wie er einmal erwähnt, einer pisch die entsprechende Stadt für eine bestimmte Epoche Ausgräberzeit von 30 Jahren entspricht. Das Buch ist der ist. Eingeblendet sind Kapitel über nabatäische Religion, Ertrag all dieser Jahre, die Summe aller Funde und Er- Landwirtschaft, Handel oder Schriftfunde. Die Christia- kenntnisse dieser Zeit. nisierung der Nabatäerstädte setzt Negev sehr früh an. Biographisches und persönliche Erfahrungen durchziehen Schon um 350 werden seiner Meinung nach die ersten der nicht nur das Vorwort, sondern das ganze Buch, lockern 17 bekannten Negevkirchen gebaut. Alle frühen Kirchen es auf und machen es zu einer spannenden Lektüre. Zu- sind als Basiliken gebaut, weisen aber im Gegensatz zur gunsten der leichteren Lesbarkeit verzichtet der Autor auf bisherigen Forschung nur eine Apsis auf mit zwei vierecki- Anmerkungen, teilt aber im Text seine wichtigsten Quel- gen Seitenräumen zu beiden Seiten der Apsis, die zur Re-

188 liquienaufbewahrung von Märtyrern aus der Zeit der tiellen Schwierigkeiten und emotionellen Hemmungen, Christenverfolgung im Negev dienten. Erst in späterer der deutschen Kultur und Literatur in dem Land entge- Zeit wurden diese Räume geöffnet und nachträglich mit gengebracht wurde« (S. X). Sie betont jedoch, dass die Apsen versehen, die in besonderen Nischen Reliquienkä- mit der deutschen Sprache nach dem Erlebnis der vergan- sten enthielten. All das, um das Volk der Reliquienvereh- genen Schreckensherrschaft verbundenen »grauenhaften rung näherzubringen. Kirchen, die von vorneherein Assoziationen« zwar nie völlig verwunden werden konn- dreiapsig gebaut wurden, sind aus späterer Zeit. Zeichen ten, aber inzwischen doch nicht mehr ausschliesslich das der frühen Kirchen sind ausserdem riesige, in Kreuzform Denkbild beherrschen. Die in deutscher Sprache Schaf- und aus einem Stein gehauene Baptisterien, da die Er- fenden erhielten im Laufe der Zeit neue Antriebe und wachsenentaufe noch das übliche zu Beginn der Christia- neue Spannkraft, obgleich ihre beruflichen Probleme nisierung war, sowie Kreuze auf den Mosaikfussböden, schwieriger wurden. Das Interesse in den deutschen Staa- was bald verboten wurde. ten, vornehmlich in der Bundesrepublik Deutschland, er- Die Nabatäerstädte waren zu dieser Zeit die Südgrenze streckte sich aber nicht auf die nur wenig bekannten des römischen Imperiums und wurden von Rom reichlich deutschsprechenden Autoren innerhalb Israels, die ihr unterstützt, um die gefährdete Grenze gegen die immer Ideengut noch nicht in der neuen »Muttersprache« zum wieder hereinbrechenden nomadischen Araberstämme zu Ausdruck bringen können. Diese Anthologie will daher verteidigen. Der Negev ging so einer neuen Blütezeit ent- die Kenntnisnahme der Werke deutschschreibender Auto- gegen. Die Bewohner dieser Städte lebten von der immer ren ausserhalb der Grenzen ihres nunmehrigen Heimat- mehr verfeinerten Landwirtschaft, besonders, wie Negev landes herbeiführen und fördern, um einen weiteren annimmt, von der Qualität der Negevweine. Riesige Leserkreis zu schaffen und Kontakte herzustellen, Traubenpressenanlagen wurden entdeckt, die frühere wenngleich im Bewusstsein, dass mit dieser Generation Forscher für Badeanlagen gehalten hatten. Auch Klöster, von Autoren »die für beide Teile so bedeutsame und wie das in Shivta, lebten vom Weinanbau und der Wein- fruchtbare deutsch-jüdische Symbiose zumindest auf herstellung. Für die Entstehung des Klosters teilt Negev literarischem Gebiet ihren Abschluss gefunden zu haben übrigens eine phantasievolle Theorie mit, die annimmt, scheint« (XIII). dass das grosse Säulenpodest im Atrium der Klosterkirche Die Texte atmen den Hauch einer »Distanzliebe«, die Li- die Stelle der Säule des Säulenheiligen St. Sergius bezeich- teratur ist zu einem nicht geringen Teil geprägt vom Er- net, dem hier wahrscheinlich jährlich ein besonderes Fest lebnis »Auschwitz«. Aber auch der israelisch-arabische abgehalten wurde. Konflikt, die teils überstandenen Kriege und der Aufbau Auch nach der Christianisierung der Nabatäerstädte blie- des Landes sind weitere Dominanten dieser Literatur. ben die Bewohner, wie aus ihren Namen hervorgeht, zum »Die ethnisch bedingten Lebensgesetze, das jahrhunderte- grössten Teil Nabatäer. Dokumente aus dem täglichen lang geübte Verlieren, ohne zu verzweifeln, die zähe Leben der Städte aus dem Ende der christlichen und dem Kraft, stets wieder neu zu beginnen, bilden Hintergrund Anfang der moslemischen Ära wurden bei Ausgrabungen der Erzählmomente« (XVII). schon in den dreissiger Jahren im Kirchenarchiv von Ni- Das Ganze ist geteilt in Lyrik und Prosatexte. Eine Unter- zana gefunden, denen Negev ein besonders interessantes teilung dieser beiden Sammlungen ist nicht erkennbar. Kapitel mit vielen Zitaten daraus widmet. Manche Gedichte sind geprägt von Heimweh (Schalom Trotz aller Unterstützung durch die Zentralregierung Ben-Chorin, Berta Kraus-Rosen : S. 2-4. 19), von Sehn- konnten sich die entfernteren Nabatäerstädte Mampsis sucht nach ethischem Denken und Beten (Ephraim Pisti- und Avdat nicht länger gegen die immer häufiger und ner: S. 6). Lola Landau gesteht, dass »wir« die Spuren von stärker werdenden Sarazenenstürme behaupten. Sie schei- fremden Ländern tragen, »ins Antlitz geschnitten mit nen schon vor der grossen arabischen Eroberung von ih- schmerzhaftem Schnitt. ren Bewohnern verlassen worden zu sein. Sie fielen Vertrieben von zärtlich geliebten Fluren kampflos in die Hände der Eroberer und wurden ver- schleppen wir auf dem Rücken verlassene Länder brannt. Die anderen Städte wurden erobert, Leben in ih- mit« (S. 35). nen konnte sich aber unter islamischer Herrschaft noch Dem stehen andere Stimmen gegenüber. Leo Erminn ver- fast ein Jahrhundert behaupten. Die harte Besteuerung, sichert, dass seine Heimat dort ist, »wohin ich spät zu- Ausbeutung und Zwangsrekrutierung aber, von der die rückgekehrt und wo man mir die Würde nicht verwehrt« Nizanadokumente so beredtes Zeugnis geben, machte ein (12). Ja, Frieda Hebel erfährt das Glück der Heimkehr im längeres Durchhalten unmöglich. So wurde die Wüste Dämmerlicht der Synagoge angesichts des kleinen Lichts wieder zur Wüste nach einem Intermezzo von knapp zu Häupten des Tora-Schreins, des »Lichts vom Lebens- 1000 Jahren. baum«, worin alle Schrecknisse zu »Gott-Gemeinsamkei- Jedem, der an dieser Geschichte und an dieser Region be- ten« wurden (11). Und Leopold Marx bricht aus in ein sonderes Interesse hat, sei dieses Buch von Abraham Ne- Freudenlied über die Heimkehr in das Land der Väter gev besonders empfohlen. Es ersetzt keinen Reiseführer und mahnt zugleich : für diese Gegend, erweckt für den Besucher aber diese Städte zu ganz neuem Leben. Michael Krupp, Jerusalem »Seid stolz! Das Land, das öde lag und wüst, ihr löst es aus. Sein Fluch ist abgelöst. MARGARITA PAZI (Hrsg.): Nachrichten aus Israel. Ihr seid zuhaus! Der Ort, das Land, das Meer Deutschsprachige Literatur in Israel, hg. von Margarita sind unser, und die Welt schaut auf uns her... Pazi (Auslanddeutsche Literatur der Gegenwart, Hrsg. Seid stolz, doch nicht zu sehr! Von Dem der Ruf Alexander Ritter. Bd. 10.) Hildesheim/New York 1981. ureinst erging, Der dieses Volk sich schuf — Olms Presse. XX u. 283 Seiten. Es ist kein Ding, das ohne Ihn gedeiht... Die Herausgeberin dieser Sammlung lehrt deutsche Lite- Seid stolz — in Demut stets dem Ruf bereit, f.) ratur und Sprache an der Universität Tel Aviv und ist so- stets wissend, Wem ihr Antwort schuldig seid.« (23 mit legitimiert für die Zusammenstellung der betreffenden Der zum Gärtner gewordene frühere Fabrikleiter muss Texte. Seit 1945 im damaligen Palästina und nunmehrigen wissen, was er mit diesen Versen sagt. Als echter nun- Israel heimisch, gibt sie einführend »Zeugnis für die Be- mehriger Gärtner singt er auch innige Frühlingslieder deutung, die in all diesen Jahren, ungeachtet der existen- (25 f.).

189 Und er durchlebt Pessach von neuem, aber mit der War- ungsunterricht über die aktuelle politische Situation er- nung, nur leise und nicht zu bald zu jubeln; denn wartet, kann nicht von den geschichtlichen Zusammen- »noch und wieder lockt uns das Gewohnte, hängen absehen. Ebensowenig kann der Pilger, der zu ob Berufne wir, ob Gold-Verfrohnte, den heiligen Stätten des Lebens Jesu und den Ursprüngen Wegbereiter oder dumpfe Herde . . .« (28). seiner Kirche wallfahrtet, an der lebendigen Wirklichkeit der Kirchen und christlichen Gemeinden im Heiligen Von Else Lasker-Schüler wurden keine Verse aufgenom- Land heute vorbeigehen. Denn das Heilige Land darf kein men. Nur Werner Kraft widmet ihr einige Zeilen mit dem Museum werden, wie mit Recht Paul VI. sagte. Schlussatz : Die vom ZdK und Katholischen Bibelwerk gemeinsam »Geheimen Lautes gibt sie unsern Leiden herausgegebene Broschüre setzt bei den vielfältigen Er- ein Augenöffnen und ein Ohrenweisen« (57). wartungen der Heilig-Land-Pilger an. Sie versucht, in ge- Auch von Hugo Bergmann, Martin Buber, Gershom Scho- raffter Weise die gegenwärtige Wirklichkeit dieses Landes lem und Max Brod wurde nichts Eigenes in die Sammlung zu erschliessen, die geschichtlichen Ursprünge der christli- aufgenommen, wohl weil sie, die nicht mehr Lebenden, chen Präsenz in drei konzentrischen Kreisen aufzuzeigen nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in Ivrith ge- und zur Begegnung mit diesen Kirchen und Gemeinden schrieben haben. (Gemäss der Einführung der Anthologie vor Ort einzuladen. Auch die ganze Vielfalt der ökumeni- sollten die der hebräischen Sprache nicht oder nicht hin- schen Initiativen und die Glaubenswelt des Islam in die- reichend Mächtigen bekanntgemacht und gefördert wer- sem Lande, wo die Verschiedenartigkeit der Religionen den.) Die Prosatexte berichten aber z. T. über sie (Walter und die Zerrissenheit der Christenheit am handgreiflich, Goldstein über Martin Buber, S. 118 ff., Margarita Pazi sten ist, wird ausführlich dargestellt. Hier und an manch über »Max Brod aus israelischer Sicht«, S. 126 ff., und über anderen Punkten, etwa bei der Beschreibung der gegen- die anderen Vorgenannten in der »Einführung« (XI). wärtigen politischen Konstellation am Beispiel des Mitein- Die Prosatexte sind weithin angefüllt mit Berichten über ander von Juden und Arabern, wird deutlich, dass sich die die vergangene Schreckenszeit: Ephraim Pistiner über Broschüre nicht als eine blosse Neuauflage der »Merksät- Birkenau-Auschwitz (136 ff.) und über eine israelische ze und Leitlinien für eine Reise ins Heilige Land« ver- Widerstandskämpferin (148 ff.); Meir Färber über die steht, die das ZdK und das KBW bereits 1974 herausgege- Verfolgungen in der Ukraine (153 ff.); Herbert Freeden ben hatte. Den Anstoss zu einer völligen Neuüberarbei- über die Schicksale einer ehemaligen Schulklasse: »Der tung gaben schliesslich die Begegnungen und Gespräche Klassentag« (180 ff.); Oskar Neumann über die Verschik- anlässlich der Reise einer hochrangigen Delegation des kung nach Sibirien (189ff.); Nora Hauben über die Erret- Zentralkomitees im Frühjahr 1981 nach Israel. tung eines Knaben durch sein Geigenspiel vor dem Ver- Das Herzstück der Broschüre ist die Einladung zu einer folger (198 ff.). Alice Schwarz beklagt »die Kindheit . . vertieften Begegnung mit dem Judentum: Hier wird kon- die man mir hat zerschlagen« (54). Alexander Czerski kret, was im vielbeachteten Arbeitspapier des Gesprächs- schreibt über eine Vergewaltigung während der Besat- kreises »Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christli- zungszeit und über ihre Folgen (75ff.). Margarete Moses chen Dialogs« (1979) grundgelegt ist.' Es geht hier nicht spricht vom Sinai und »Zehnwort«, Israels erstem »Ge- nur darum, die ungeheuerliche geschichtliche Last aufzu- schenk an die erwachende Menschheit« (105) und fragt arbeiten und an das gemeinsame Erbe zu erinnern, es geht klagend: »Wohin versank das heilige Zehnwort — die ein- auch um die aktuelle gegenseitige Anfrage: Was macht zige — die grandiose Rettung der Menschheit? . .« heute den Juden zum Juden und den Christen zum Chri- (105 ff.). Oskar Neumann spricht vom »süssen Wiegen- sten, und was haben sie vor Gott einander zu sagen, um liedchen vom Maschiach« mitten im »Sturm vor den Zel- von daher »Schulter an Schulter« in nach vorne offener ten« (43). Weggemeinschaft sich der gemeinsamen Verantwortung Aber auch aktuelle Themen werden behandelt. Meir Fär- für die Zukunft der Menschheit zu stellen. Besondere ber schreibt ausführlich »Von der Möglichkeit arabisch- Aufmerksamkeit verdienen die Ausführungen über die Vorgeschichte und die gegenwärtige Situation des Staates jüdischer Freundschaft« (62 - 69), Erich Gottgetreu über das aus dem Libanon-Feldzug weithin bekannte »Tor am Israel und das Verhältnis des Christen zu dieser Realität. >guten Zaun. (70 ff.) und über die Israelischen Philhar- Ein eigenes Schlusskapitel unter dem Titel »Hoffnung moniker (73 f.), Dov Amir über das Kibbuz-Leben (83 ff.), und Auftrag« weist schliesslich auf das bleibende Ver- Herbert Freeden in einer Sendung des Deutschlandfunks mächtnis einer jeden Reise ins Heilige Land hin, Möglich- über die Frage: Kann man in Jerusalem leben? (95 ff.) keiten der gemeinsamen Begegnung und der gemeinsa- Themen aus der Glaubensgeschichte Israels behandelt men Bewährung der Hoffnung in der Heimat wahrzuneh- Heinz Weissenberg (über Moses, Echnaton und den men. So versteht sich diese Handreichung als echtes Do- Kampf um Kadesch mit den Amalekitern (211 ff.). Es kument des christlich-jüdischen Dialogs, wurde ihr Wort- kann nicht alles angeführt werden. laut doch von den Mitgliedern des Gesprächskreises, Ju- Oda Hagemeyer OSB, Abtei Herstelle den und Christen, einstimmig verabschiedet. Die Katholi- sche Bibelanstalt, die das Projekt gefördert und finanziell REISE INS HEILIGE LAND. Hrsg.: Zentralkomitee der ermöglicht hat, hat damit einen Impuls gegeben, der für deutschen Katholiken (ZdK [Gesprächskreis »Juden und die Begegnung von Glaubenden verschiedener Religionen Christen«]). Bonn/Stuttgart 1984. Katholisches Bibel- und Konfessionen im Heiligen Land, aber auch für das werk. 36 Seiten.* Gespräch und Miteinander zwischen Christen, Juden und Die neue Broschüre lädt zu einer vertieften Begegnung Muslimen bei uns von grosser Bedeutung ist. »Es geht der mit der heutigen Wirklichkeit des Hl. Landes ein. biblisch bestimmte Gläubige — der Christ wie der Jude — Die vom Gesprächskreis »Juden und Christen« beim ZdK aus dem Land der Verheissung in die ganze Welt als ei- erarbeitete und reich bebilderte Broschüre »Reise ins Hei- ner, der Zeichen des Heils gesehen hat und Hoffnung des lige Land« gehört nicht nur in das Gepäck der Reiseleiter Heils weiterträgt.« Gerhard Bauer, Bonn und Pilgerführer: Sie ist für jeden geschrieben, der die Vielschichtigkeit dieses Landes und seiner Geschichte nä- * Die Broschüre ist erhältlich beim Katholischen Bibelwerk, Sil- her kennenlernen möchte. Wer sich über blossen Ferien- berburgstr. 121A, 7000 Stuttgart 1 (Tel. 0711/626001). tourismus hinaus von einer Reise nach Israel Anschau- S. in FrRu XXX/1978, S. 34-37.

190 ALICE SCHWARZ-GARDOS (Hrsg.): Heimat ist an- Nach Redaktionsschluss: derswo. Deutsche Schriftsteller in Israel. Erzählungen und Gedichte. Mit Vorwort von Martin Gregor-Dellin.* Freiburg/Basel/Wien 1983. Herderbücherei Bd. 1064. BARBARA JUST-DAHLMANN: Der Kompass meines 190 Seiten. Herzens. Begegnung mit Israel. Freiburg/Basel/Wien Noch einmal eine Auswahl von Erzählungen, Geschichten 1984. Verlag Herder. 191 Seiten. und Selbstzeugnissen zahlreicher deutschsprachiger Auto- Das ist ein ganz persönliches Israel-Buch — und macht ge- ren, die in Israel wenig zu Gehör kommen, weil Deutsch rade deshalb mit den Menschen dort ungleich mehr ver- nach wie vor ihre Muttersprache ist und bleibt, in der sie traut als jeder noch so ausführliche Reiseführer. Aus zahl- schreiben. Diese »Jekkes» flüchteten insgesamt vor dem losen Begegnungen, an denen die Autorin den Leser teil- nationalsozialistischen Terror in das Land der Väter. Je- nehmen lässt, vermittelt sie ein plastisches Bild des »dich- der spricht auf seine Weise von den Tränen des Ab- ten Lebens« in dem Land, das seinen Gründern und Be- schieds, dem Grauen der Flucht, der Mühsal des Neube- wohnern »das Haus gegen den Tod« bedeutet. Einzelne ginns und dem Sieg über Armut und Wüste. Wieder kom- Reiseetappen bieten immer wieder Gelegenheit zu Rück- men die schon genannten Autoren zu Wort, einschliess- blenden — in die Lebensgeschichte der Gesprächspartner lich der Herausgeberin. Eine ergreifende Schilderung des und damit verwoben in die (Vor-)Geschichte des jüdi- Werdens und Wachsens in Israel. schen Staates. Die oft bedrückende Vergangenheit des Ein Verzeichnis der Autoren beschliesst »diese Textsamm- einzelnen Menschen, die grossen Probleme des um seine lung als einen Versuch, der Stimme aus Israel bei uns ein Existenz ringenden Staates — nichts wird beschönigt. Aber Echo zu verschaffen . . .« (Martin Gregor-Dellin s. S. 10). es wird auch nicht »neutral« Stellung bezogen: »Der Oda Hagemeyer, Abtei Herstelle Kompass des Herzens« bestimmt die Richtung. Deshalb * »Deutsche Texte aus Israel — das ist eines der ungewöhnlich- wirkt dann etwa auch die Blossstellung der Haltung, die sten und erregendsten Buchvorhaben der jüngsten Zeit . ..« Mit die Welt oder die Kirchen zum Palästinenser- und zum diesen Worten eröffnete Martin Gregor-Dellin, der Präsident des Libanon-Problem »normalerweise« einnehmen, so über- deutschen P.E.N.-Clubs, das Vorwort und kam zu der vom Her- der-Verlag am 21. September 1983 auf dem Frankfurter Flugha- zeugend. Wieviel Antisemitismus und Antijudaismus sich fen eigens anlässlich der Herausgabe dieser Anthologie veranstal- heute als Antizionismus tarnt oder hinter angeblich objek- teten Pressekonferenz, die auch während der Ausstellung »Faszi- tiven Urteilen oder gar human klingenden Appellen ver- nierendes Israel« stattfand. Anwesend waren ferner u. a.: Israels birgt, ist uns in Deutschland gerade in jüngster Zeit wie- Botschafter in der Bundesrepublik, Jitzchak Ben-Ari, der Bot- schafter der Bundesrepublik in Israel, Dr. Niels Hansen, die Her- der verstärkt zu Bewusstsein gebracht worden. Ebenso er- ausgeberin Alice Schwarz-Gardos, leitende Redakteurin der »Isra- halten wir Christen für unser Verhältnis zum Judentum el-Nachrichten« Tel Aviv, die die Anthologie der Offentlichkeit einige Wahrheiten ins Stammbuch geschrieben, die nur vorstellte, und als Referentin Dr. Margarita Pazi, Germanistin allzu gern verdrängt werden. Und dies alles eben nicht in der Universität Tel Aviv. »Es stellt eine späte, vielleicht schon zu späte Wiedergutmachung abstrakter Argumentation, sondern aus Gesprächen, Er- dar; >die leise Stimme deutschsprachiger Schriftsteller in Israel, lebnissen und Eindrücken von Mensch zu Mensch gewon- die noch einmal gehört werden soll, bevor sie verklingt<«, sagte nen. Gerade deshalb wird das Buch vielen »Appetit« auf Dr. Hermann Herder zur Einführung. »Viele der Autoren seien Israel, das Land und seine Menschen machen und denen, bei uns zu Unrecht namenlos. Das einzige, was sie bei der Ver- treibung mitnehmen konnten, war die Sprache, und der Sprache die das nicht mehr brauchen, jetzt schon das Herz und bei hielten sie die Treue, obwohl Deutsch in Israel lange suspekt ihrem nächsten Aufenthalt im Land für vieles die Augen war.« Botschafter Ben-Ari sprach von »einer neuen Brücke zwi- öffnen. Peter Fiedler, Freiburg i. Br. schen unseren beiden Völkern«. Bundespräsident Carstens sandte ein schriftliches Grusswort und würdigte das Werk als Beitrag zu einem neuen Kapitel zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur MICHAEL COMAY: Der Zionismus. Entstehung, Fak- (Anm. d. Red. d. FrRu). ten, Hintergründe. Originaltitel: , Israel and the Palestinian Arabs. Jerusalem 1983. Keter. — Überarbeitete Auflage. Neuhausen-Stuttgart 1985. Hänssler Verlag (Ta- gesfragen Bd. 21). 120 Seiten, 4 Karten. DIES.: Frauen in Israel. Die Emanzipation hat viele Ge- sichter. Ein Bericht in Lebensläufen. Freiburg/Basel/Wien SHLOMO EREL: Neue Wurzeln. 50 Jahre Immigration 1979. Herderbücherei Bd. 742. 144 Seiten. deutschsprachiger Juden in Israel. Tel-Aviv 1983. Stutt- Das Leben der Frauen in Israel ist durch besondere Bedin- gart, Bleicher Verlag. 312 Seiten. gungen geprägt. Ihre Frauenrolle ist im voraus fixiert durch eine lange religiöse Tradition. Doch fordert der YAFFA ELIACH: Träume vom Überleben. Chassidische permanente Verteidigungszustand des jungen Staates die Geschichten des 20. Jahrhunderts. Freiburg i. Br. 1985. äussersten Leistungsreserven auch der Frauen heraus. Ei- Verlag Herder. 208 Seiten. nige Frauentypen bildeten sich heraus: unter den Promi- nenten lael Dayan, die als Schriftstellerin bekannte Toch- ELIE WIESEL: Der fünfte Sohn. Roman. Freiburg i. Br. ter Moshe Dayans: Golda Meir, »das Angesicht einer 1985. Verlag Herder. 192 Seiten. Epoche«; Paula Ben Gurion, die Ehefrau »par excellence«. Würdigungen folgen im FrRu XXXVII/1985. Dann die »unbesungenen Heldinnen des Alltags« : eine Arztfrau, schaffende Frauen im Kollektiv, arabische DAS KIRCHENTAGSTASCHENBUCH: Hannover '83 Nachbarinnen usw. Schliesslich die »Karrierefrauen«: eine (hrsg. von Carola Wolff). Stuttgart 1983. Kreuz Verlag. Parlamentsabgeordnete, eine Rabbinerfrau, eine Schau- 256 Seiten. spielerin, eine Intendantin, eine Richterin, eine Komponi- s. 0. S. 92. stin und die Nachlassverwalterin des Nobelpreisträgers Agnon. Vf. vertritt als Journalistin ausländische Zeitungen DEUTSCHER EVANGELISCHER KIRCHENTAG und Zeitschriften und ist Schriftleiterin der »Israel-Nach- Hannover 1983. Dokumente, hrsg. im Auftrag des Präsi- richteni«. Oda Hagemeyer, Abtei Herstelle diums des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Stutt- gart 1984. Kreuz Verlag. 759 Seiten. Vgl. u. a. o. s. 0. S. 92-95.

191 »KEHRT UM UND GLAUBT — ERNEUERT DIE redaktionsgeschichtliche Entwicklung der Konfessionen WELT«. 87. Deutscher Katholikentag, Düsseldorf, 1. bis Jeremias und der sonstigen Klagen im AT nachzuzeich- 5. Sept. 1982. Dokumentation: Grossveranstaltungen — nen. Foren — Forenreihen. Paderborn 1982. Bonifatius-Druk- Ein guter Überblick über die Forschungsgeschichte der kerei. 640 Seiten. Konfessionen Jeremias, verschiedene Einzelanalysen s. o. S. 82 ff. (z. B. Vergleich zwischen Jer 20,7-9 und 18,18-23; Ein- zelfragen zur Form der Konfessionen und ihrer deutero- EBERHARD / RENATE BETHGE (Hrsg.): Letzte Brie- nomistischen Bearbeitung; die Nachgeschichte der Klage fe im Widerstand. Aus dem Kreis der Familie Bonhoeffer. bei Deuterojesaja) sowie zahlreiche Exkurse (Klage des München 1984. Chr. Kaiser Verlag. 133 Seiten. Mose in Num 11; Klage Jeremias in Kap. 20; die Konfes- Die Briefe sind aus »einem Zuspruch für den vor sich ge- sionen Jeremias und die Redeformen des Rechtslebens; sehenen Weg geschrieben: >Wenn Gott will, kann er aus die Urrolle und die Klage Jeremias) bringen ein umfassen- dem Tod eines Menschen mehr sagen als durch sein Le- des Bild vom Gebrauch der Klageform bei Jeremia. Durch ben<«. (Justus Delbrük — [In ebd. S. 93]). die eingegrenzte Methodik liefert die Arbeit zwar einen Diese Sammlung sollte in die Bibliotheken und auch in wichtigen Beitrag zur Formgeschichte der Klage, Literar- sehr viele andere Hände kommen. G. L. kritik und Redaktionsgeschichte hätten dennoch für wich- tige Ergänzungen und Korrekturen sorgen können. FERDINAND AHUIS: Der klagende Gerichtsprophet. Dirk Kinet, Augsburg Studien zur Klage in der Überlieferung von den alttesta- mentlichen Gerichtspropheten (Calwer Theologische Monographien, Bd. 12). Stuttgart 1982. Calwer Verlag. Bibliographische Notizen 234 Seiten. Mit der völlig überarbeiteten Fassung seiner Heidelberger EDITH-STEIN-FORSCHUNG 1984: Eine Bibliographie, zu- Dissertation (WS 1973/74!) legt der Verf. eine formge- sammengestellt von Johanna Hauke OCD / Gabriele schichtliche Studie zu den Klagen der Gerichtsprophetie Dick OCD. Mit einer Einführung von Waltraud Herb- vor. Nachdem Ahuis von der Voraussetzung ausgeht, dass strith OCD. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte, der Blick auf die vorredaktionellen Klagezusammenhän- Bd. 42, hrsg. im Auftrag des Instituts für ostdeutsche Kir- ge des Jeremiabuches kaum durch redaktionsgeschichtli- chen- und Kulturgeschichte von Joachim Köhler. Hildes- che Arbeit alleine freigelegt werden kann, bedient der heim 1984. Verlag August Lax. 236 Seiten. G. L. Verf. sich vorwiegend der formgeschichtlichen Methode. Dabei werden an erster Stelle die mündlichen Redevor- TRIBÜNE: Zeitschrift zum Verständnis des Judentums. gänge und die diesen Vorgängen entsprechenden Rede- Frankfurt a. M. (erscheint dreimonatlich). formen herangezogen. Ausgehend von der Annahme, dass Mit dem Dank für die wertvolle Information und Hilfe die alttestamentlichen Gerichtspropheten von Jahwe be- und auch für aktuelle Situationen im Judentum und Isra- auftragte Boten sind, bestimmt Ahuis die zwei wesentli- els sei nach Redaktionsschluss dieser Doppelfolge des chen Faktoren dieser Form als einen Botenvorgang (mit >Rundbriefs< auch hingewiesen auf Jg. 24, Heft 94/1985 Beauftragung des Boten, Ausführung des Auftrags und der >Tribüne<.* bei der Rückmeldung des Misslingens auch die Klage) Dieses Heft widmet sich ganz : »20 Jahre diplomatische und das Warten auf Angekündigtes (wobei eine allzu aus- Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland—Israel«. gedehnte Zeitspanne bis zum Eintreffen wiederum zu ei- Gertrud Luckner ner — allerdings andersgearteten — Klage führen kann). * vgl. o. S. 56-58: Geburtstagsbrief an Hans Lamm und an Scha- Mit diesen Kriterien versucht Ahuis anschliessend, die lom Ben-Chorin.

2 1 In memoriam

Für seine unermüdliche Anteilnahme, seinen Einsatz und seine 1 Abt Leo von Rudloff OSB mir erwiesene Güte bleibe ich, in grosser Dankbarkeit, Abt von Rudloff verbunden. Gertrud Luckner *31. Januar 1902 in Düren, Abt L,eo v. Rudloff (geboren: Alfred Felix v. Rudloff) t 17. August 1982 in Weston/Vermont (USA) wuchs in Münster/Westfalen auf. Er trat 1920 in die Bene- 8. August 1926 Bei meinem ersten Aufenthalt in Israel, Juni bis August 1951, diktinerabtei Gerleve ein, wurde dort am durfte ich Abt Leo von Rudloff die Grüsse seiner Verwandten zum Priester geweiht. Während der Jahre in Gerleve, aus Freiburg überbringen. Seither gab es viele Wiederbegegnun- 1928-1938, übte er eine vielseitige Tätigkeit aus. Seine gen in Israel, in Freiburg, in Rom, in Apeldoorn, in Niederaltaich erstmals 1934 bei Friedrich Pustet, Regensburg, erschie- und anderswo; auch anlässlich von Gesprächen in kleinen Krei- nene »Kleine Laiendogmatik« erlebte in rascher Folge sen oder bei Tagungen. Es waren Jahre der Aufbau- und Pionier- arbeit mit Anliegen für Israel, die u. a. Probleme »der katholi- neun Auflagen. Ebenso rasch wurde das Buch in die engli- schen Arbeit für Israel, das Verhältnis zwischen der katholischen sche, französische, italienische, holländische, polnische, li- Arbeit in Israel und den katholischen Instanzen dort und ausser- tauische, ungarische, tschechische und spanische Sprache halb des Staates Israel«* betrafen. Die Zusammenarbeit stellte übertragen und 1948 in Deutsch neu aufgelegt. Als Ergän- neue Forderungen im Zusammenhang der Eingliederung der ein- gewanderten europäischen Christen**. Abt von Rudloff war für zung zu diesem kleinen Werk veröffentlichte Abt Leo alle solche Fragen offen, zum Wohl Israels bedacht und einsatz- 1937 eine unter dogmatischem Gesichtspunkt getroffene bereit. Mit seinem grossen Verständnis für Israel gingen manche Auswahl aus den Schriften der Kirchenväter unter dem Anstösse von ihm aus. Titel »Das Zeugnis der Väter«. Als 1938 die NS-Verfol- gung auch die Klöster zu bedrohen begann, reiste Abt * s. dazu auch u. S. 193, Anm. 5. ** vgl. Elisabeth Hemker: Kirche in der Verkündigung, in: Leo in die Vereinigten Staaten, um die Möglichkeiten der FrRu XIX/1967, S. 61 f. Arbeit für Benediktiner dort zu erkunden, und lehrte als

192 Professor der Philosophie und Theologie an einem Semi- mittlerweile schön hergestellte Dormitio mit der beson- nar der Erzdiözese von Newark, New Jersey, von ders eindrucksvollen Krypta. Es bedarf auch eines Rück- 1938-1941. Nach seiner Rückkehr 1947 in die Abtei Ger- blicks auf die christlich-jüdischen Beziehungen vor und leve wurde er 1949 zunächst als Visitator und Prior in das nach dem Konzil und auf den damaligen Stand der Öku- Kloster Mariä Heimgang auf den Sion in Jerusalem ent- mene. sandt und stand dem Sionskloster von 1952-1969 als Abt »Zur Erneuerung der christlich-jüdischen Beziehungen in vor. Die letzten Lebensjahre verbrachte Abt Leo v. Rud- den Niederlanden [und darüber hinaus] erinnert Dr. Jaco- loff in dem von ihm gegründeten Priorat zum Hl. Erz- bus Schoneveld eindrucksvoll in seinem Beitrag' an einen engel Gabriel zu Weston (Vermont)/USA. Am 5. Mai der bedeutendsten katholischen Pioniere in der Bewegung 1982 flog er von Boston nach Tel Aviv, nahm in Tabgha der Erneuerung der christlich-jüdischen Beziehungen, an der Konsekration der neuen Kirche teil und flog von [den Anfang des Jahres 1981 verstorbenen] Mgr. Dr. Tel Aviv am 26. Mai nach Holland zu Besuch bei seinen Ramselaar, Präsident des niederländischen katholischen Verwandten in Rotterdam. Die weiteren vorgesehenen Rats für Israel, und an die internationalen Studientagun- Reisen konnte er, erkrankt, nicht mehr durchführen; gen über christlich-jüdische Beziehungen in dem gastli- u. a.: das in der Abteikirche in Gerleve geplante Pontifi- chen >Klein-Seminar< des Bistums Utrecht zu Apeldoorn. kalamt am Pfingstsonntag und auch seinen in Freiburg Zu der ersten Studientagung vom 9. bis 13. 8. 1958 waren von uns mit Freude erwarteten Besuch. Persönlichkeiten aus zehn verschiedenen Ländern dort. Am 27. Mai wurde Abt v. Rudloff nach Gerleve in die Ab- Den Höhepunkt bildete der Bericht von Abt Leo v. Rud- tei abgeholt. Der Verdacht auf Krebs bestätigte sich am loff.« Das ihm aufzugebene Thema lautete: »Zum Ver- 24. Juni im Franziskushospital in Münster. Zwei seiner hältnis zwischen der katholischen Arbeit im Staat Israel Mönche aus Weston holten ihn in Westfalen ab. Abt Leo und den katholischen Instanzen für Israel und ausserhalb flog mit ihnen am 9. Juli nach Boston zurück und kam mit des Staates.'« einem Krankenwagen sofort ins Krankenhaus nach Beim Durchblättern der langjährigen Korrespondenz mit Weston. Abt v. Rudloff entdeckte ich das Programm mit der Anga- Am 17. August starb Abt Leo in seinem Zimmer, während be des o. a. Themas, aufschlussreich für die damalige Si- einer seiner Mönche die hl. Messe las und seine Mitbrü- tuation52Besonders in den fünfziger und sechziger Jahren der das Kommunionlied sangen. Sein Mitbruder Pater ging es um solche Pionierarbeit, die die gegenseitigen Be- Bernhard' schreibt: »Dass Abt Leo am 17. August in die ziehungen innerhalb Israels und von aussen zu Israel an- Ewigkeit einging, also noch im Schatten (oder Licht) des gingen. Wie oben bereits erwähnt, ergaben sich Probleme Hochfestes >Mariä Aufnahme in den Himmel<, ist für ihn, infolge grosser Einwanderung europäischer Christen in der der Abtei so lange vorstand, ein Geschenk des Him- Israel hinsichtlich ihrer Eingliederung. Auch gab es neue mels.« Perspektiven, die mit der Suche nach neuen Wegen im Zur Beisetzung noch am Nachmittag des gleichen Tages Zuge der Vorbereitung für das Konzil und dem Sekreta- erreichten in den USA lebende Verwandte in Weston riat für die Einheit der Christen zusammenhingen. Am Priory den Gedächtnisgottesdienst, zunächst im kleinen 5. Juli 1960, dem Pfingstfest, errichtete Papst Johannes Kreis in der kleinen Kapelle. Aus einem eindrucksvollen XXIII. das Sekretariat für die Einheit der Christen mit Brief dürfen wir daraus entnehmen 2 : Kardinal Bea an der Spitze. Kardinal Bea war auch mit ». . Abt Leo lag in einem handgefertigten Sarg aus Tan- der Frage der Beziehungen zu den Juden beschäftigt und nenholz, sah sehr entspannt aus und ganz im Frieden. Um an Israel lebhaft interessiert. Auf meinen Fahrten führte 17.17 Uhr schlossen die Brüder den Sarg. Dreizehn hand- mich mein Weg in jenen Jahren jeweils nach und aus Isra- gefertigte Schrauben waren vorhanden. Jeder Bruder kam el über Rom zu Gesprächen mit Pater, nachmals Kardinal und schloss den Sarg mit einer Schraube. Auf sechs Bea. Vor der Abreise aus Jerusalem gab es vorbereitende Schrauben war am Ende jeder Schraube ein Kreuz, auf Besprechungen mit Abt v. Rudloff. Auch an der Wegbe- sechs anderen ein Davidsstern: zur Erinnerung daran, wie reitung für Frau Elisabeth Hemker, die seit 1962 ihre sehr Abt Leo Israel liebte. Auf der letzten Schraube war Hilfsarbeit in Israel aufnahm, um den nach Israel einge- ein Baum: das Emblem von Weston Priory. wanderten Christen aus den Ostblockstaaten nach der Dann trugen die Brüder den Sarg in die grosse Kapelle in NS-Verfolgung dort bei Eingliederungsangelegenheiten der Baracke, wo sich etwa 300 Personen versammelt hat- zu raten und zu helfen', hatte Abt v. Rudloff Anteil. Frau ten. Die Brüder setzten sich im Kreis um den Sarg, und je- Hemker hat später auch entscheidend dazu beigetragen, der sprach einige Worte der Erinnerung an ihn. Dann tru- dass das Altersheim in Nahariyya entstand und ermöglicht gen die Brüder den Sarg zum Grab, alle folgten. Jeder diese Weiterführung.' Bruder legte eine Gladiole hinein. Nach einigen Gebeten In lebhafter Erinnerung ist mir ein allererstes christlich- ging die Gemeinde in die Kapelle zurück, und bei Beginn jüdisches Gespräch in Jerusalem in kleinem Kreis, im der hl. Messe begann es zu regnen . . 2« Haus von Rabbiner Philipp s. A., kurz vor meiner Abreise Die mit dem Signet bezeichneten Schrauben', die den bei meinem ersten Aufenthalt in Israel, am 12. August Sargdeckel schliessen, geben beredtes Zeugnis von dem 1951, mit u. a. Abt v. Rudloff und Prof. Hugo Bergmann von Abt v. Rudloff hinterlassenen bedeutsamen Erbe und s. A. und auf seine Anregung. Aus dieser Begegnung ent- über sein Sein und Wirken. Um diese Bedeutung im vollen stand zwischen beiden, denen bisher manche ihrer Berei- Ausmass zu würdigen, bedarf es auch eines Rückblicks che dem anderen fremd waren, gegenseitiges Verständnis auf das ganz neue Verhältnis und Zusammenleben von und freundschaftliche Verbundenheit. Juden und Christen indem seit Mai 1948 neu entstande- ». . sie sollen ausruhen von ihren Mühen, denn ihre Wer- nen Staat Israel. Dies, als Leo v. Rudloff 1949 nach dem ke begleiten sie« (Offb 14, 13). Gertrud Luckner Holocaust und dem arabisch-jüdischen Krieg nach Israel 4 in FrRu s. o. S. 174, Anm." kam und auf die vom Krieg äusserst mitgenommene, aber Entnommen dem Programm zur Einladung zu dem »Freund- 1 Diese Daten verdanken wir Herrn Pater Bernhard (Dicks) schaftlichen Zusammentreffen der katholischen Freunde Israels OSB, dem Bibliothekar der Abtei Gerleve. Wir bewahren dem in Apeldoorn« (s. o.), unterzeichnet: Im Namen des katholischen mittlerweile Verstorbenen ein dankbares Gedenken (Die Red. d. Rats für Israel von P. C. F. Pauwels OP, Dominikanerkloster in FrRu). Zwolle. 2 Aus dem Englischen übersetzt. 5a vgl. o. S. 174. s. o. 6 S. U. S. 198 f.

193 2 Professor Lothar Mattheis gegnungen wurden Gesprächsgruppen von Juden, Chri- sten und Muslimen zu gegenseitigem Kennenlernen ihres (1923-1983) Glaubens zusammengeführt (siehe FrRu XXX/1978, S. 138-152 sowie oben S. 110-118). Mit dem »Freiburger Am 14. Oktober 1983 verstarb unerwartet an Herzver- Rundbrief« und mit Frau Dr. Luckner war Prof. Mat-. sagen der Direktor der Staatlichen Akademie für Lehrer- theiss schon seit 1964 verbunden, so als er die Vortrags- fortbildung in Donaueschingen, Professor Lothar Mat- tätigkeit von Frau Luckner im Rahmen der Lehrerfortbil- theiss. Professor Mattheiss war nahezu zwei Jahrzehnte dung des Süd-westdeutschen Lehrerverbandes für Ge- mit dem Freiburger Rundbrief in vielfältigen Anliegen ver- schichte und Federation beige des Professeurs d'Histoire bunden.' in Nivelles (Belgien) initiierte, um im Ausland wie im In- Nach dem Tod von Dr. Giessler — der seit 1948, dem Be- land zur Bewältigung des schrecklichen Erbes der ginn des »Rundbriefs«, zu den Mitherausgebern zählte Judenverfolgung aus der Zeit des Dritten Reiches und zur und, nachdem 1969 der Freiburger Rundbrief ein eigener Völkerversöhnung beizutragen (FrRu XX/1968, S. 151). Verein wurde, stellvertretender Vorstand war — übernahm Im Jahr 1968 leitete Prof. Mattheiss die entsprechende Prof. Mattheiss 1981 diese Tätigkeit.2 Veranstaltung im Auftrag des Kultusministeriums Baden- Der Tod dieses dynamischen, weitsichtigen und ideenrei- Württemberg an der Akademie Calw (FrRu XXI/1969, chen Mannes trifft nicht nur seine Frau und seine zwei S. 54- 57). Mit deren Direktor Dr. F. Bran verbanden Söhne hart. Auch die engeren Mitarbeiter, vor allem Frau Mattheiss gleiche Interessen, so dass Dr. Bran noch heute Dr. Luckner, verlieren mit ihm eine grosse Stütze. Auch in als Leiter des Internationalen Studienkreises stets auch seinen vielen persönlichen Verbindungen zwischen staatli- Mitveranstalter der religionswissenschaftlichen Symposien chen und kirchlichen Stellen in Freiburg und Stuttgart, in ist. denen er sich als Vermittler solcher Koordination ver- Im Sinn der Aufarbeitung der unseligen Vorkommnisse stand, ist er schwer ersetzbar. Es war sein selbstloser, un- zwischen jüdischen und christlichen Menschen hat Lothar ermüdlicher persönlicher Einsatz, der uns Hinterbliebe- Mattheiss auch eine Revision des Denkens bis in die Lehr- nen den grössten Respekt abnötigt, zumal Herr Mattheiss pläne hinein erreicht (FrRu XXIV/1972, S. 38). die Tätigkeit ehrenamtlich neben seinen hauptberuflichen In der Position des Akademiedirektors in Donaueschin- Aufgaben wahrnahm. Die Freunde des Freiburger Rund- gen waren für Prof. Mattheiss ideale Bedingungen gege- briefs werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. ben, das Ministerium für Kultus und Sport in seiner Auf- Lothar Mattheiss wurde am 25. Mai 1923 in Gaggenau gabe der Verständigung zwischen den Religionen zu un- geboren und wuchs in Mannheim auf. Er nahm an der terstützen, indem er die scheinbar weit auseinanderliegen- Universität Heidelberg das Studium in Latein, Griechisch den Lebensweisen von kulturell anders aufgewachsenen und Geschichte auf mit dem Ziel des Staatsexamens für jüdischen, christlichen und muslimischen Menschen in ein den höheren Schuldienst. Nach dem Referendariat erfolg- und demselben Land einander näherbrachte. Zu diesem te 1954 die Übernahme in den Staatsdienst als Assessor, Zweck wurden sowohl evangelische und katholische Re- 1959 die Verbeamtung auf Lebenszeit. 1960 wechselte ligionslehrer an Gymnasien, als auch jüdische Lehrer der Studienrat Lothar Mattheiss nach Freiburg i. Br. über und Universität Strassburg und der Hochschule für jüdische kam an das Gymnasium Waldkirch nahe Freiburg. Dort Studien in Heidelberg eingeladen. Hinzugeladen waren war Herr Mattheiss massgeblich bei der Planung und der Leiter des islamischen Zentrums in Köln, Mohamed Durchführung eines seit 1968 laufenden Schulmodells be- Rassoul M. A., Dr. phil. Mohamed Zaiane, Denzlingen, teiligt. sowie namhafte Muslime aus Freiburg. Die in diesen Jahren der Bildungsreform auf dem schuli- Prof. Mattheiss pflegte die Beziehungen über die Grenzen schen und gesellschaftlichen Sektor von Herrn Mattheiss des Landes zum Europarat nicht zuletzt deswegen, weil er gewonnenen Erfahrungen empfahlen ihn schliesslich für der festen Überzeugung war, dass der jüdisch-christliche das Amt des stellvertretenden Direktors des Instituts für Dialog ein Beispiel abgeben kann, wie Menschen unter- Bildungsplanung und Studieninformation (1974-1977), schiedlicher Kultur und Religion in Europa nach dem einer Einrichtung des Kultusministeriums von Baden- Ausweis der Geschichte zu friedlichem Zusammenleben Württemberg in Stuttgart. 1977 wurde Prof. Mattheiss und nicht zu tödlichem Hass kommen. Mattheiss war der zum Direktor der neu errichteten grössten Akademie für Auffassung, dass dies nur durch Sich-Öffnen, nicht durch Lehrerfortbildung des Landes Baden-Württemberg nach Ghetto-Haltungen zu leisten ist und dass man diese Hal- Donaueschingen berufen. tung die nachwachsende Generation besonders den Aus- Prof. Mattheiss gebührt zweifellos das Verdienst, diese ländern gegenüber lehren müsse. Bildungsstätte grosszügig aufgebaut, über ein halbes Jahr- Wer Prof. Mattheiss persönlich näher kannte, wusste, zehnt geleitet und zu einer Einrichtung mit internationa- dass er ein rastlos arbeitender Mensch, doch voller Ziel- len Beziehungen ausgebaut zu haben. Erwähnt seien nur strebigkeit war. Er bejahte im Tiefsten seines Herzens das u. a. die Kontakte zum Europarat in Strassburg. Eine der Leben und hatte einen erstaunlich sicheren Blick für das ersten Tagungen der jungen Akademie Donaueschingen Machbare. Wo andere zögerten, war er voller Entschluss- war das religionswissenschaftliche Symposion 1978, dem kraft, auch wenn ihm in den letzten Jahren gesundheitli- weitere Symposien 1979 und 1981 folgten. Bei diesen Be- che Beschwerden zusetzten. Zu seinem beispiellos grossen Bekanntenkreis zählten leitende Persönlichkeiten in Kir- che und Staat, Professoren der Universität, hohe Ministe- 1 Vgl. dazu u. a.: Auf die Bitte des Zentralrats der Juden in rialbeamte und Direktoren der Schulen, Politiker aller Deutschland 1964 an mich wegen Berichtigung der Pfarrchronik Parteien und viele katholische Akademiker, deren Sek- im Falle der Ritualmord-Verleumdung von 1503 — Richtigstel- tionsvorsitzender Prof. Mattheiss in Freiburg bis zu sei- lung in Endingen und Hugstetten (Baden) holte mich Prof. Mat- nem Tod war. Überhaupt war die Mitarbeit in katholi- theiss mit seinen Söhnen später zu einem Besuch in Endingen und Hugstetten ab. Die Ortspfarrer ergriffen dann selber die In- schen Laiengremien für Professor Mattheiss nicht eine itiative zu der Bereinigung und Klärung (vgl. Pfarrer Dr. Hein- Last, sondern fügte sich nahtlos in das Bild einer ausser- rich Roth, Hugstetten: Gab es jüdische Ritualmorde?, in: FrRu gewöhnlichen Persönlichkeit. XIX/1967, S. 119ff.) Möge Gott ihm Seinen Frieden schenken. 2 s. u. S. 199. (Anmerkungen d. Gertrud Luckner) Professor Dr. Alwin Renker, Freiburg i. Br.

194 3 Professor Dr. Hermann Greive heimer seine Ansprache. Im Namen der Freunde des Schweizer Kinderdorfes Kiriat Jearim und in Vertretung t 25. Januar 1984 in Köln der Präsidentin Dr. Hartmann von Monakow nahm Ro- Am 25. Januar 1984 wurde Prof. Dr. Greive Opfer eines bert Gutmann Abschied von Pfarrer Vogt, dessen uner- Attentats. Wir verurteilen jegliche Gewalttaten, von wel- schrockener Einsatz in schwerster Zeit hervorzuheben sei. cher Seite sie auch kommen. Prof. Greive hat sich jahre- Paul Vogt war bei der Gründung 1952 Vizepräsident und lang durch solide Rezensionen, auch für den Freiburger bis 1961 Mitglied des Vorstandes. 1960 gründete er die Rundbrief, verdient gemacht.' Wir bewahren ihm ein Sektion Ostschweiz der Freunde des Schweizer Kinder- dankbares Gedenken. Gertrud Luckner dorfs, und er war bis 1966 Präsident dieser Sektion, seit- u. a. s. u. S.151: Moses Maimonides': Treatise an Resurrection. her Ehrenpräsident. Die Tatsache, sich hilfsbereit zeigen zu können in der Un- terstützung auch arabischer Jugendlicher Jerusalems, be- 4 D. Dr. h. c. Paul Vogt, geisterte ihn sehr. Ein grosser Freund Israels, ein grosser Helfer im Leid, besonders auch im Leid jüdischer Kinder, Flüchtlingspfarrer der Evangelisch- ist nicht mehr . . . mk. Reformierten Kirche in der Schweiz verschied im März 1984 in Walzenhausen (Schweiz) 5 Professor Dr. Uriel Tal s. A., Dem »Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz« (84/12), Zü- rich, 23. März 1984, entnehmen wir die folgende Würdigung. In Herzlia/Israel Erinnerung an die damals von Pfarrer Vogt und der »Zentralstel- (" 1920 in Wien — t Juni 1984 in Israel) le für Flüchtlingshilfe« in Zürich ausgehende grosse Ermutigung und Hilfe auch für uns hierzulande möchten wir unseren tiefen Mitte Juni 1984 starb unerwartet Dr. Uriel (Uri) Tal, Pro- Dank und bleibende Verehrung bezeugen. (Gertrud Luckner).* fessor für Moderne Jüdische Geschichte an der Universi- Zu einem ergreifenden Abschied gestaltete sich die Ab- tät Tel Aviv. Sein Name wird in unserem Gedenken und dankungsfeierlichkeit zu Ehren von Alt-Flüchtlingspfarrer im Freiburger Rundbrief fortleben. Wir danken Prof. Tal D. Dr. h. c. Paul Vogt im Kirchlein von Walzenhausen, für sein grosses Verständnis für die den Rundbrief tangie- bei der Pfarrer Hans Schaffert, Leiter des HEKS (Hilfs- renden Anliegen, fürseine Beiträge, Rezensionen (s.Anm. 1), werk der Evangelischen Kirchen der Schweiz), der als für die Begegnungen auch in Israel und alle seine Mitar- Vorstandsmitglied der Zentralstelle für Flüchtlingshilfe beit. Wir werden ihn sehr vermissen. (Gertrud Luckner) sprach, den Verstorbenen als Propheten, Rufer und Wek- Dem »Israelitischen Wochenblatt«» entnehmen wir: ker des Gewissens in der Zeit der Judenverfolgung wür- »Der frühe Tod des jungen und besonders erfolgreichen digte, dessen Herz den Schutzlosen gehörte. Schaffert hat Historikers Professor Dr. Uriel Tal, Herzlia, ist ein damals in gemeinsamer Arbeit miterlebt, wie Pfarrer Vogt schwerer Verlust für die jüdische Geschichtswissenschaft ein Heim für orthodoxe jüdische Flüchtlinge schuf, wie und deren Repräsentanten, nicht zuletzt für das Leo- ernst und eindringlich er fordern konnte. Er war damals Baeck-Institut, dessen Jerusalemer Vorstand er angehörte. ein prophetischer Störer, aber auch ein Träger von Hoff- Der gebürtige Wiener, Jahrgang 1920, lebte seit 1940 in nungen, ein Tröster Verzweifelnder, ein Kämpfer für eine Palästina/Israel. Nach Absolvierung seiner Militärdienst- gute Sache, ein Sprachrohr für Gottes Wort, ein Werk- pflichten studierte er an der Hebräischen Universität in zeug in dessen Plan. Jerusalem, die er um 1963 mit Erlangung der Doktorwür- Dr. Arthur Emsheimer gedachte Pfarrer Vogts als ehemali- de verliess. In seiner dann einsetzenden breiten wissen- ger Flüchtling. Seine Verehrung gilt dem Vater der Lei- schaftlichen Tätigkeit stand jüdische Geistesgeschichte denden und Verfolgten. Er erfüllte aber auch einen Auf- zunächst im Vordergrund von Forschung und Lehre so- trag des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, wie seiner reichen Publikationstätigkeit. Zuerst an >seiner< den Dank der Judenheit für diesen grossen Helfer und Hochschule, ging er 1977 an die Universität Tel Aviv, wo Betreuer auszusprechen. Pfarrer Vogt kämpfte um den er Neuere Jüdische Geschichte lehrte. Daneben dozierte Menschen als Ebenbild Gottes, als einer, dem sein Gewis- er viel als Gastprofessor, wiederholt an verschiedenen In- sen oberstes Gebot war. Dr. Emsheimer erinnerte an eine stituten in den USA, auch an der Universität Oxford/ Predigt Pfarrer Vogts im Jahre 1944, als dieser fragte: England. Mehr und mehr konzentrierte er sich auf die »Wo ist dein Bruder Abel?'« — und darauf antwortete: Geschichte des Antisemitismus, namentlich des Holo- »Ich möchte meine beiden Hände ausstrecken zu Gott catist, und auf Probleme der jüdisch-christlichen Bezie- empor: Vergib uns Christen. Und ich möchte die Hände hungen. 1971 hielt Professor Tal im New Yorker Leo- ausstrecken zu den Juden hin: Vergebt uns Christen we- Baeck-Institut die 14. Leo-Baeck-Gedenkvorlesung. gen unseres christuslosen Christseins.« Das war Pfarrer 1974 sprach er an gleicher Stelle über >Religiöse und anti- Vogt. »Mögen diese Worte nachklingen, und in diesem religiöse Wurzeln des modernen Antisemitismus<, das The- Nachklingen verbeugen wir uns vor dem lieben Verstor- ma, dem 1975 sein grosses Werk >Christen und Juden in benen in Ehrfurcht und Dankbarkeit«, schloss Dr. Ems- Deutschland — Religion, Politik und Ideologie im Zwei- * In auch dankbarer Erinnerung an das Schreiben von Pfarrer ten Reich (1870-1914)< 1 gewidmet war. Bemerkenswert Vogt aus Grabs vom 22. 1. 1952 möge dies hier wiedergegeben ist auch der Beitrag >Theologische Debatte um das >Wesen< stehen: ».. . Empfangen Sie sehr herzlichen Dank fiir den prachtvol- des Judentums<, den Uri Tal 1976 dem umfangreichen len 'Rundbrief vom Dezember 1951, der mir dieser Tage zugekom- Sammelwerk des LBI >Juden im Wilhelminischen Deutsch- men ist. Ich schätze dieses Heft sehr und bin froh, es zu besitzen. Es weht darin ein guter christlicher Geist, was ich als evangelischer land 1890-1914< beisteuerte.« E. G. Lowenthal (Berlin) Pfarrer mit Freuden konstatiere. Herzliche Grüsse! (gez.) Pfr. Paul Vogt« * Vgl. ebd.: 84/28, Zürich, 13. 7. 1984, S. 22. Martin Buber und das christlich-jüdische Zwiegespräch, in: 1 s. o. S. 44-45: »... Wo ist dein Bruder Abel?« In: »Soll ich mei- FrRu XXII/1970, S. 3-7. — Jüdisches Selbstverständnis und das nes Bruders Hüter sein? Weitere Dokumente zur Juden- und Land und der Staat Israel, in: XXIII/1971, S. 27-32. — Zur neu- Flüchtlingsnot unserer Tage.« Hrsg. vom Schweizerischen evan- en Einstellung der Kirche zum Judentum, in: XXIV/1972, gelischen Hilfswerk für die bekennende Kirche in Deutschland S. 150-160. — Strukturen der Gemeinschaft und des Gemeinwe- mit Flüchtlingsdienst. Zollikon-Zürich 1944. Evangelischer Ver- sens im Judentum, in: XXVI/1974, S. — »Himmler als lag. S. 7-13. Ideologe«, in: XXVII/1975, S. 27-33. — über Judentum und 2 S. o. S. 44-45. (Anmerkungen d. Red. d. FrRu) Humanismus in der Erziehung, in: XXX/1978, S. 63-67.

195 6 Rabbiner Dr. Max Elk s. A. überwechselte, die er absolvierte. Nach kurzem Zwischen- spiel als zweiter Rabbiner in München war er von 1926 "- 1899 in Frankfurt, verschied 1984 in Haifa bis 1935 der Gemeinderabbiner in Stettin, der vorletzte. 1965 schrieb er das Geleitwort zur 2. Auflage der Ge- Mit diesem Gedenken verbinde ich zugleich ein besonderes Wort herzlichen Dankes an Dr. Elk für seine mir erwiesene Güte, seine schichte dieser Gemeinde. Er hat den wissenschaftlich Sorge für mich in Israel und langjährige Anteilnahme. gründlichen und den pädagogischen Geist seiner eigenen Nachdem Dr. Leo Baeck mich im Oktober 1950 mit der Mittei- Ausbildungsstätten »seiner« Leo Baeck School aufgeprägt. lung überraschte, dass sich in Israel Leute über meinen Besuch Es ist bewundernswert, wie er es verstand, für ihre Ent- freuen würden und er mich dorthin einlade, sandte mir Dr. Elk als Direktor der Leo-Baeck-Schule in Haifa im Frühjahr 1951 wicklung die Stadt Haifa, vor allem aber die grosszügig eine offizielle Einladung nach Israel. interessierte Gebefreudigkeit jüdisch-liberaler Menschen Nach der schönen Mittelmeerfahrt ab Neapel gen Haifa landete und Kreise, namentlich in Amerika, zu gewinnen. Für ich am 14. Juni dort, allerdings erst nach einigem Erstaunen von Haifa, für Israel, aber auch für die jüdisch-liberale Sache seiten an Bord befindlicher Zuständiger der Passbehörde. Was war das wohl für ein Passagier mit einem israelischen Visum in ist das Ableben dieses tatkräftigen, begeisterungsfähigen einem deutschen Pass und aus der Bundesrepublik kommend? Ein Mannes (der auch Ehrendoktor des amerikansichen »He- solches Visum war erstmalig an Bord. In Israel angelangt, war al- brew Union College« war) ein schwerer, fühlbarer Ver- les klar, nachdem das Boot mit den Unterlagen dem Schiff wie lust. Sein Name behält einen guten Klang. üblich entgegenkam. Ich durfte als erste von Bord gehen, erwar- tet ganz heimischerweise von Verwandten in Isr.ael aus Freiburg, die längst in enger Verbindung mit Dr. Elk waren. In diesen für Der neue Gebäudekomplex der Leo - Baeck - Schule mich so erfüllten und bedeutsamen Wochen in Israel sind mir In einer mit dieser Tage zugegangenen vervielfältigten, auch unvergesslich die Besuche bei Dr. Elk und in der Leo- mich sehr erfreuenden Schrift mit auch ausgezeichneten Baeck-Schule, dabei erinnere ich mich besonders an eine Unter- richtsstunde bei Dr. Baeck in der Schule. Fotografien' begegnet mir die neue Leo-Baeck-Schule: Ungeachtet der in den ersten Jahren nach dem arabisch-jüdi- Das Leo-Baeck-Erziehungszentrum besteht aus folgenden schen Krieg 1949 und nach der Staatsgründung und der auferleg- Einrichtungen: ten Beschränkung der für das alltägliche Leben erforderlichen 1. Sechsjähriges Gymnasium mit reformierter Oberstufe. Mittel sowie der auch entsprechenden grossen Raumnot in dem alten Schulgebäude war das schulische Leben dennoch von hoher Im Schuljahr 1982/83 wurden hier 1193 Schüler in 38 Qualität, die Atmosphäre und das Niveau beeindruckend. Nähe- Klassen unterrichtet — 2. Gerneindezentrum, hier werden res darüber noch unten.* Gertrud Luckner Vorträge, Vorführungen, Konzerte und Kurse für Kin- der, Jugendliche, Erwachsene und Senioren angeboten Von Pro! Dr. E. G. Lowenthal" 3. Jugendabteilung, sie leistet ausserschulische Jugendar- Die 1939 in Haifa gegründete »Leo Baeck School«, die beit an 10- bis 18jährigen und ist integriert in die allge- sich mit Recht als Schulwerk der »World Union for Pro- meine Pfadfinderbewegung Israels — 4. Synagoge, religiö- gressive Judaism« Neltvereinigung für fortschrittliches ses Zentrum für Schule und Gemeinde. Judentum) bezeichnet, ist ohne Zweifel die Errungen- Die Konzeption zeigt deutlich, dass es hier nicht, wie üb- schaft ihres Gründers und langjährigen ersten Direktors, lich, nur darum geht, gut fundiertes Allgemeinwissen an des Rabbiners Dr. Max Elk. Jetzt müssen wir das Ableben Schüler weiterzugeben, sondern dass es dem Initiator die- des genialen Pädagogen und ideenreichen Organisators ses Erziehungszentrums ein wesentliches Anliegen war, beklagen — er ist 85 Jahre alt geworden. Nachdem er sich über die wissenschaftliche Bildung hinaus eine Bildung mit 75 aus der aktiven Arbeit zurückgezogen hatte, ver- des Herzens zu vermitteln, »die Botschaft des Herzens« lieh ihm die Stadt Haifa die Ehrenbürgerwürde. Wenn steht als Leitmotiv über allem, was in diesem Zentrum ge- das nicht ein deutlicher Beweis der besonderen Anerken- schieht.2 Was die »Botschaft des Herzens« meint, ist im nung war, die man Elk für seine immense Auf- und Aus- Zitat »Das Wesen des Judentums« von Leo Baeck enthal- bauleistung des geglückten Haifaer Werkes zollte! Als die ten: »Das Gebet ist >ein Dienst im Herzen<, . . . >alle unse- Schule mit einer Klasse und 16 Kindern begann, konnte re Handlungen erhalten ihren inneren Wert erst durch die niemand den ungewöhnlichen Aufschwung, die sie seit- Gesinnung, die sich in ihnen ausspricht, durch die Rein- dem nahm, vorausahnen. Nach und nach umfasste sie so heit und Echtheit des Willens, aus dem sie hervorgehen.< gut wie alle denkbaren Richtungen und Stufentypen eines >Frage nicht, ob er gross ist, ob er Geringes leistet, aber modernen Schulwerks, mit einigem Vorrang von Natur- frage, ob sein Herz Gott zugewendet ist,' . . >und es ist wissenschaften und Technologie. Worauf es Dr. Elk an- ein Weg zu Gott, wenn wir unseren Menschenbruder su- kam, war dies: den vielen ihm und seinem Lehrerstab an- chen; an ihm beweisen wir unsere Frömmigkeit, unsere vertrauten jungen Juden und Jüdinnen von unterschied- Gottesfurcht4/"<.« lichster Herkunft und Alija eine fundierte jüdische, aber Das Emblem der Leo - Baeck - Schule, das auf kleinstem auch eine breitgefächerte Allgemeinbildung zu vermitteln Raum ein so grosses Ziel symbolisiert:7 und in sie das Bewusstsein einzupflanzen, dass sie als Ju- den eine Aufgabe auch gegenüber der Menschheit haben. Zudem förderte Elk den israelisch-amerikanischen Schü- Eine zarte Pflanze wächst aus der Erde, leraustausch. genauer gesagt, aus dem Herzen. Von aussen her wirkt der grosse Komplex auf dem Car- ( = lev = Herz)5 mel nüchtern, ja streng, aber das geräumige Innere strahlt Darüber steht in hebräischer Sprache: Licht, Farbe und Lebendigkeit aus, und die zeitweise bis zu tausend Schüler machen den Eindruck, als seien sie zu- r112911 r1)41:) 3173>i frieden mit dem modernen Lehrbetrieb. »emet me-erez tizmach« (Psalm 85,12)7 Von Elk persönlich sollte man wissen und — weitergeben, dass er Schüler des Philanthropins seiner Vaterstadt Frankfurt am Main war, zunächst das Jüdisch-Theologi- Eindrücke von einem Besuch in der Leo-Baeck-Schule, Haifa, am 1. 10. 1984, von Johanna Fischele, 18 Seiten. sche Seminar in Breslau besuchte und später zur Hoch- ebd. S. 5, 6. schule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin hin- 3 J. Kauffmann Verlag, Frankfurt a. M. 1932. 4 ebd. S. 214. * s. dazu auch u., Anm. 1 sowie Anm. 3 u. 4. " vgl. u. a. zum 100. Geburtstag von Rabbiner Dr. Leo Baeck in: ** Entnommen dem Israelitischen 'Wochenblatt (84/24), Zürich, FrRu XXV/1973, S. 75-79. 15. 6. 1984, S. 45. Die Initialen bedeuten den Namen Leo Baeck (LB).

196 In der Übertragung nach N. H. Tur-Sinai : 6 »Dass Treue wir«. Er führte eine brilliante, journalistische, spitze Fe- aus der Erde sprosst«, und der Psalmist fährt fort mit den der; den Lesern der »Allgemeinen« ist sie seit 1950 bestens Worten, die auch auf dem Thora-Schrein in der Synagoge vertraut. des Leo-Baeck-Erziehungszentrums stehen: »Gerechtig- Neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Abteilungslei- keit vom Himmel schaut. / Gleich wird der Ewige das ter in der Münchner Volkshochschule, wo er ebenso wie Gute geben / und unser Land gibt seine Frucht.» an der Jüdischen Volkshochschule Berlin und anderen Gertrud Luckner Bildungsanstalten mit hervorragenden Referaten dozierte, hatte Dr. Lamm zahlreiche Ehrenämter inne. Seit 1970 6 vgl. dazu: Die Heilige Schrift, ins Deutsche übertragen von N. H. Tur-Sinai (K. Torczyner). Jerusalem 1954, Bd. 4: Tehillim- war er Präsident der IKG [Israelitischen Kultusgemeinde] Preislieder, Erstes Buch, S. 111. München. Er war langjähriges Mitglied des Direktoriums ' vgl. s. o., Anm. 1. des Zentralrats der Juden in Deutschland, hatte Sitz und Stimme im Bayerischen Rundfunkrat und war auch stell- vertretender Vorsitzender des Fernsehausschusses. Eben- 7 Dr. Hans Lamm s. A. so aktiv war er in der B'nai-B'rith-Loge Bavaria, Mün- chen. Aber dieses Abbild seines immensen Einsatzes bietet 8. 6. 1913 — 23. 4. 1985 in München nur einen Teilaspekt, bliebe seine beispielhafte Arbeit für »Lebenslang im Dienste der Versöhnung« überschreibt das Ge- die israelischen Belange ungenannt. Seit Jahr und Tag war denkwort' den Nachruf. Dieser Dienst erfüllte das Sein und Tun Dr. Lamm im Präsidium der Deutsch-Israelischen Gesell- von Dr. Lamm. Auch ich bin auf das tiefste be- und getroffen schaft wie auch im Vorstand des Deutschen Koordinie- und werde Dr. Hans Lamm sehr vermissen. Er nahm auch am rungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zu- »Rundbrief« Anteil. Sein Beitrag an und von dem schönen Fest in sammenarbeit. Für seinen aufopfernden Einsatz in diesen München erscheint nun postum'. Wir werden ihn nicht verges- Gremien, in denen seine stets konstruktive Mitarbeit all- sen — und in grosser Dankbarkeit seiner gedenken. seits geschätzt wurde, gilt ein Satz aus der Verleihungsur- (Gertrud Luckner). kunde des Joseph-E.-Drexel-Preises, den er »vor allem Nach kurzer, schwerer Krankheit starb Dr. Hans Lamm für die umfangreiche und unermüdliche Tätigkeit im am 23. April (2.Ijar 5745) in seiner Heimatstadt München. Dienste christlich-jüdischen Sichkennenlernens« empfing. Eine lapidare Information, die seinen Freundeskreis, der Dr. Lamm hatte auch in der nichtjüdischen Umgebung bis nicht nur sein Heimatland Deutschland umfasst, sondern zu den höchsten kirchlichen Amtsinhabern hinauf einen sich bis in überseeische Länder, insbesondere Israel und ausgezeichneten, seine Leistungen anerkennenden Ruf. Er die USA, erstreckt, aufs tiefste trifft. war ein unermüdlicher Kämpfer für Recht und Freiheit, Ein bereits vergilbtes Blättchen ohne Datum, das aber so der immer stets dann auf dem Kampfplatz zu finden war, etwa aus dem Jahre 1950 stammen dürfte, schrieb über wenn es um die Verteidigung jüdischer, demokratischer ihn: »Bei der Nürnberger Jugend, aber auch bei den Er- Belange ging. Wer ihn auf Tagungen erlebt hat, weiss, ziehungsberechtigten aller Bevölkerungsschichten wusste dass er oftmals hochgehende Wellen von Meinungsver- sich Dr. Lamm den Ruf eines Idealisten und Wohltäters schiedenheiten durch seine Toleranz und den Willen zum zu verschaffen. Persönlich anspruchslos, soll er den gröss- Ausgleich zu glätten vermochte. ten Teil seiner Einnahmen zur Unterstützung Bedürftiger Es ist nicht erstaunlich, dass auch die Zahl der Ehrungen, verwendet haben.« die ihm zuteil wurden, nicht gerade gering ist. Vom Jo- Diese Charakteristik ist bis zu seinem letzten Atemzug seph-E.-Drexel-Preis, der ihm 1967 zugesprochen wurde, gültig gewesen. Sie wird auch unter vielem anderen durch war bereits die Rede. 1978 wurde ihm der Bayerische Ver- eine Tat ergänzt, die auf seinen 65. Geburtstag zurück- dienstorden verliehen, ein Jahr darauf die Medaille führt: »Zum ehrenden Andenken seiner Eltern Ignaz und »München leuchtet«. Im Oktober wurde er Honorary Fel- Martha Lamm hat er einen Stipendienfonds an der He- low der Hebräischen Universität Jerusalem, in deren Eh- bräischen Universität in Jerusalem eingerichtet . .« 2 renurkunde er als »Gelehrter, Idealist und Philantrop« be- Das sind zwei bedeutende Mosaiksteine, die Hans Lamm zeichnet wurde. Für die wirksame Tätigkeit an der für immer ehren: Anständigkeit, Wohltätigkeit und unver- Münchner Volkshochschule wurde ihm die Medaille »in brüchliche Bindung zum Elternhaus, das heisst zur jüdi- honorem fautoris« in Gold zugesprochen und fast genau schen Tradition. Der am 8. Juni 1913 Geborene studierte auf den Tag im gleichen Monat drei Jahre später das Bun- an der Universität München in den Jahren 1932/33 Jura desverdienstkreuz am Bande. und Zeitungswissenschaft und später, noch 1937/38, an Aus dem Buch »Brücken schlagen. Aufsätze und Reden der Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft des Ju- aus den Jahren 1946 bis 1962 von Karl Marx«, das Dr. dentums in Berlin. Nach seiner Flucht in die USA erhielt Lamm und ich gemeinsam herausgaben, zitierte der Hei- er nach kurzem Soziologiestudium an der Universität von ne-Kenner Lamm eine Stelle aus des Dichters Testament Kansas City den B. A. und ein Jahr darauf bereits den von 1851 mit Bezug auf Marx, den Gründer der »Allge- M. A. Ein Jahr danach wurde er an der Washington Uni- meinen« : »Es war die grosse Aufgabe meines Lebens, an versity M. S. W. Der akademische Abschluss war 1952 der dem herzlichen Einverständnis zwischen Deutschland und Dr. phil. von der Universität Erlangen bei Prof. Hans Joa- Frankreich zu arbeiten und die Ränke der Feinde der De- chim Schoeps. Seine Doktorarbeit ist noch heute hochak- mokratie zu vereiteln, welche die internationalen Vorur- tuell und lesenswert. teile und Animositäten zu ihrem Nutzen ausbeuten. Ich Die Liste seiner Publikationen ist nicht gerade kurz.' Auf- glaube mich sowohl um meine Landsleute wie um die gezählt seien hier: »Über innere und äussere Wandlungen Franzosen wohlverdient gemacht zu haben.« im deutschen Judentum« (1951) und seine hervorragen- Was Lamm auf Karl Marx anschliessend münzte, trifft den Arbeiten über Heine, Karl Marx, Theodor Heuss, Ja- gleichermassen auf ihn selber zu : »Wenn wir die Worte kob Wassermann, Max Brod und Essays wie »Israel und >Frankreich< und >Franzosen< durch >Israel< und >Juden< ersetzen, dann haben wir eine Zusammenfassung des Wir- 1 Der »Allgemeinen jüdischen Wochenzeitung« (XL/18), Düs- seldorf, 3. Mai 1985 mit ihrer freundlichen Genehmigung ent- kens des deutschen Juden (Hans Lamm) . . . Er hat sich nommen: s. o. S. 54-55. um Deutschland und um das Judentum verdient ge- s. o. S. 54, Anm. macht.« Dr. Hans Lamm wird nicht vergessen werden. vgl. auch o. S. 150: Vergangene Tage ... (Anm. d. G. Luckner). Hermann Lewy

197 22 Zum 8. Mai 1985: Nach Redaktionsschluss Stellungnahme und Arbeitsprogramm"- Akademiedirektor Pfarrer D. Martin Stöhr, Evangelische Akademie Arnoldshain Der Besuch des Präsidenten der USA in der Bundesrepu- Recht darauf, dass genau gefragt wird: Warum wurden blik und das deutsche Besuchsprogramm haben deutlich Menschen auf so vielfältige Weise zu Opfern gemacht? gezeigt, dass die (durch Wirtschafts- und Bündnisinteres- Warum liessen sich viele zu Tätern, zu Ohnmächtigen sen geförderte) Verdrängung der jüngsten deutschen Ge- oder Gleichgültigen machen? Keine Generation wird die- schichte die Wunden der Menschen (im In- und Ausland), se Fragen los. Die Vernichtungslager konnten nur arbei- die unermesslich gelitten haben, erneut aufreisst. ten, weil die Gewalt des Krieges und die modernsten Mit- Wir melden uns heute als Christen zu Wort, weil wir es tel einer Vernichtungstechnik genügend Mitläufer und nicht den überlebenden Juden und Sinti allein überlassen Mittäter fanden. Wir verspielen eine bessere Zukunft für können, für ein ehrliches Gedenken einzutreten, das der alle unsere Kinder und Enkel, wenn wir folgende Fragen Ungeheuerlichkeit eines von Nazi-Deutschland perfekt wegschieben: geplanten Massenmordes standhält. Woher stammt Judenfeindschaft? Warum wurden Min- Zwei kleine Völker, die sich nicht im Krieg mit Deutsch- derheiten verachtet? Warum liessen Wissenschaft und Mi- land befanden, standen auf der Ausrottungsliste. Dass es litär, Justiz und Verwaltung, Schule und Kirche sich mit dahin kam, ist auch die Schuld der Christen. Sie schufen vielen Menschen missbrauchen oder stumm machen? oder duldeten Vorurteile. Sie arbeiteten dem ethischen Warum widerstanden so wenige? Warum standen so we- Versagen der Wissenschaften zu wenig entgegen. Die nige Menschen den bedrohten Opfern bei? Was lebt noch Botschaft der Bibel und des Juden Jesus Christus fanden in unserer Gesellschaft an Judenfeindschaft, Fremdenhass, nicht die menschenrettende Aufmerksamkeit vieler Men- Freund-Feind-Denken, Demokratieverachtung, Gewalt- schen in unserem Land. Noch leben Opfer und Täter. Sie denken nach innen und aussen? Wer 40 Jahre nach und alle Nachgeborenen sind verantwortlich für eine bes- Kriegsende fordert, einen Schlussstrich unter die jüngste sere Zukunft. Vergangenheit zu ziehen, verlängert nicht die Gewalt, Das Leiden der 50 Millionen Opfer des Zweiten Weltkrie- sondern die Gedankenlosigkeit, lässt die Opfer wieder ges, zur Mehrzahl Zivilisten, soll und darf weder verklei- allein und betrügt sie um das Mitbestimmungsrecht für nert noch vergessen werden. Nur: Alle Opfer haben ein eine menschlichere Zukunft. Akademiedirektor, sowie eine grosse * Wir möchten diese »Stellungnahme« zugleich auch als Arbeits- (D. Martin Stöhr, programm auffassen (die Red. d. FrRu). Anzahl weiterer Unterzeichner) 23 Aus unserer Arbeit I Altenwohnheim für NS-verfolgte nen die Verfolgung durchstanden, nach dem Krieg die Geretteten heirateten und schliesslich mit ihnen nach Isra- Christen in Israel (Nahariyya)" el kamen. Die meisten Bewohner des Heimes sind derzeit über 90 Jahre alt. Nach langen, schweren Jahren haben sie Zur Information für neue Leser sind folgende Abschnitte aus der endlich eine Geborgenheit in dem Heim gefunden und vorhergehenden Jahresfolge** wiedergegeben: erstmals wieder ein eigenes Zimmer. Das Altenwohnheim ist für aufgrund der Nürnberger Ge- Das Haus bietet 20 Insassen Heimat. Alle haben eine ge- setze Verfolgte nicht jüdischen Glaubens bestimmt. Es meinsame Vergangenheit während der Zeit der Verfol- handelt sich dabei um nach Israel Eingewanderte des gung. Der Grundgedanke dieses Hauses ist: soviel Privat- deutschen Kulturkreises aus den Ostblockländern. Meist initiative wie möglich und sowenig Hilfestellung als nö- sind dies katholische Frauen, die in der NS-Zeit jüdische tig . . . Sie kamen als NS-Verfolgte aus den Ostblockstaa- Kinder und Männer, Letztüberlebende, retteten, mit ih- ten mit verschiedenen Sprachen. Hebräisch haben sie * vgl. dazu: FrRu XXVII/1975, S. 147 ff., ibid.: XXVIII/1976, nicht mehr gelernt; da sie keine gemeinsame Sprache ha- S. 137 f.; XXIX/1977, S. 159 f.; XXX/1978, S. 188 f.; XXXI/ ben, gibt es keine verbale Kommunikation. Trotzdem 1979, S. 159 ff. aber verständigen sich die Bewohner untereinander und "" FrRu XXXI/1979, S. 159; XXXII/1980, S. 144 f. mit dem Personal. Das Heim hat keine Pflegestation. Wegen der NS-Verfol- gung haben die Heimbewohner keine Angehörigen. Des- halb ist das Heim bemüht, die Bewohner wie in einer Fa- milie zu pflegen, damit sie nicht noch einmal entwurzelt werden müssen. Dies ist sowohl finanziell wie personell eine grosse Belastung, da das Heim nur eine Haushälterin und eine Sozialpraktikantin hat. Verantwortlich für das Heim ist Frau Elisabeth Hemker, der das Heim entschei- dend mitzuverdanken ist'. Alle Bewohner des Heimes sind keine Selbstzahler. Das Heim ist nur auf die Sätze des israelischen Sozialministe- riums angewiesen. Deshalb ist jede über das Treuhand- konto eingehende Spende eine grosse Hilfe, damit das Heim diese dringende Aufgabe weiter erfüllen kann. Wir danken allen Spendern und Helfern sehr herzlich, dass sie durch ihre Spenden das Heim mitgetragen haben. -11111111111- Wir sind für jede weitere Hilfe ausserordentlich dankbar. Ausschnitt: Im Speisezimmer, rechtssitzend: Elisabeth Hemker. vgl. ebd.: XXXIV/1982, S. 104, insbes. Anm. 7 u. 8.

198 Etwaige Schreiben erbitten wir an: Denn es ist unser tiefer Glaube, dass wir uns in der Erin- FREIBURGER RUNDBRIEF nerung an das Holocaust nicht von dem Ausmass seiner Postfach 420, D-7800 Freiburg i. Br. Schrecken lähmen lassen sollten. Wir sollten uns bewegen Der Deutsche Caritasverband hat für das Altersheim ein lassen von der Menschlichkeit, die die Opfer zu allen Zei- Treuhandkonto errichtet. Spenden sind erbeten an: ten bewahrt haben, und wir sollten demütig und dankbar Deutscher Caritasverband, 7800 Freiburg i. Br. auf diese wenigen einzelnen schauen, die aus ihrem Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 7926-755 religiösen Glauben oder aus ihrer humanistischen Erzie- hung oft spontan unsere Beschützer wurden, besser noch Mit Vermerk: ALTERSHEIM ISRAEL unsere Verbündeten und Freunde. Alle und jeder einzelne Gertrud Luckner von ihnen erinnert uns daran, was viele andere hätten tun können und was so viele andere nicht getan haben. Im Auftrag des United States Holocaust Memorial Coun- II »Glaube an die Menschlichkeit«" cil, seines Beratungsausschusses und des Komitees der Retter von Juden während des Holocaust Zweiten Generation und seinen hingebungsvollen Koordi- Internationale Konferenz des »United States Holo- natoren heisse ich Sie alle willkommen zu dieser Ver- caust Memorial Council« in Washington, D. C., sammlung, die dem Gedenken und der Dankbarkeit ge- widmet ist. Elie Wiesel vom 17. bis 19. September 1984 An die Retter von Juden 2 Die Einladung zu dieser einzigartigen, bedeutungsvollen Während des Holocaust waren Sie allein, und wir waren al- Konferenz überraschte mich über das Auswärtige Amt in lein. Sie waren allein beim Helfen, und wir waren allein als Bonn ziemlich unmittelbar vor Beginn der Tagung, so Opfer. Und in diesem Nebeneinander ist etwas Merkwürdi- dass die Formalitäten mit grosser Hilfe des Auswärtigen ges: Was auch immer sich auf das Holocaust bezieht, ist Amtes und der Botschaft der Bundesrepublik in Washing- merkwürdig. Das Geheimnis des Bösen ist in diesem Fall ton nur noch telefonisch gelangen. ausgeglichen durch das Geheimnis des Guten. Elie Wiesel Die Konferenz wollte Retter von Juden und einige der Auszug aus einer Ansprache, Oktober 1972, New York (N. Y.) Geretteten zusammenführen. Ihr Zeugnis sollte für künf- * e: Gertrud Luckner tige Generationen festgehalten werden. Eingeladen waren auch vor allem Pädagogen und Erzieher aus den USA. Wir freuen uns mitzuteilen, dass Herr Professor Dr. Al- Das Material sowie auch über den Verlauf der Konferenz win Renker, Direktor des Instituts für Religionspädagogik ist für das US Holocaust Memorial Museum bestimmt in Freiburg, als Nachfolger für Professor Mattheiss' stell- und soll höheren Schulen und der Erwachsenenbildung vertretender Vorstand des Freiburger Rundbrief e. V. ist. im Lande dienen. Eine Dokumentation über die Tagung 1 s. o. S. 194. ist in Vorbereitung.' Die Arbeit des Council ist in einem vom amerikanischen III Der Freiburger Rundbrief auf Kongress von 1980 einmütig beschlossenen Mandat ver- ankert. Präsident des Council ist Elie Wiesel, Ehrenvorsit- dem 87. Deutschen Katholikentag, zender Ronald Reagan, der Präsident der USA. Die Ta- Düsseldorf, 1. bis 5. September 1982"- gung wurde von Aussenminister George Shultz eröffnet. Wie bereits 1978 in Freiburg und 1980 auf dem Berliner Das Motto des Programms lautet: »Für die Toten und die Katholikentag, stellte der Freiburger Rundbrief auch auf Lebenden müssen wir Zeugnis geben.« Elie Wiesel dem Düsseldorfer Katholikentag seine Arbeit** vor, wie Im folgenden bringen wir einen Brief von Elie Wiesel an schon in Berlin in einer Koje zusammen mit der Katholi- die Freunde und ein Zeichen des Gedenkens an die Retter schen Akademie des Bistums Aachen. von Juden: An unsere Freundet In jener Zeit herrschte überall Dunkelheit. Im Himmel und auf Erden schienen alle Tore des Mitleids verschlos- sen. Die Mörder mordeten, und die Juden starben, und die Welt ausserhalb verhielt sich entweder als Mittäter oder gleichgültig. Nur wenige hatten den Mut, sich zu kümmern. Diese wenigen Männer und Frauen waren arm, schwach, verwundbar, voller Angst und hilflos — wodurch waren sie anders als ihre Mitbürger? Was veranlasste sie, ohne Rücksicht auf Gefahr und Qual die Menschlichkeit zu wählen? Was bewegte sie, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ein jüdisches Kind, eine jüdische Mutter zu retten? Und vor allem, warum waren es so wenige? War es wirk- lich unmöglich, der organisierten, systematischen, legali- sierten Grausamkeit und dem Mord zu widerstehen und Blick in die Koje sich um die Opfer, um ein Opfer zu kümmern? Angeregt durch die ausgestellten Materialien und auch Dies sind einige Fragen, die in den nächsten Tagen auf die Überblicke über die Themenbereiche des »Rund- uns alle zukommen, die an dieser dringend notwendigen briefs« (in der Abb. hinten rechts, daneben Plakat >Begeg- und bedeutungsvollen Konferenz teilnehmen und denen nung<), haben zahlreiche Katholikentagsteilnehmer die wir uns zu stellen haben. Möglichkeit genutzt, sich über die Anliegen des christ- * Faith in Humankind. Rescuers of Jews during the Holocaust. lich-jüdischen Dialogs eingehend zu informieren. G. L. 1 In dieser Doppelausgabe des FrRu bringen wir, nach Redak- tionsschluss, diesen Hinweis über die Konferenz. Ein Bericht * Über die Koje auf dem 88. Katholikentag 1984 in München folgt in der nächsten Jahresfolge des FrRu. wird die Jahresfolge XXXVII/1985 berichten. 2 Aus dem Englischen übersetzt. ** vgl. auch o. S. 82.

199 24 Systematische Übersicht über die Literaturhinweise Seite Seite Ia Bibel und Theologie Ders. (Hrsg.): Das Land Israel in bibl. Zeit. Jerusalem-Sym- posium 1981 137 E Ahuis: Der klagende Gerichtsprophet 192 de Vries: Grundbegriffe d. Scholastik 137 M. Augustin / J. Kegler (Hrsg.): Das AT als geistige Hei- H. Wagner:Einführung in d. Fundamentaltheologie 138 mat. Festgabe f. H. W. Wolff z. 70. Geb. 119 C. Westermann: Ausgewählte Psalmen 138 K. Beyschlag: Grundriss d. Dogmengeschichte. Bd. I: Gott H. W Wolff: Prophetische Alternativen. Entdeckungen des u. 'Welt 119 Neuen im AT 138 G. Biemer / A. Biesinger / P. Fiedler (Hrsg.): Was Juden u. Judentum f. Christen bedeuten. Lehr- u. Lerneinheiten f. d. Sekundarstufen (»Lernprozess Christen Juden« Bd. 3) Ib Jüdische Geschichte und Judentum [s. u. IIa] 166 * P. Fiedler / U. Reck / K.-H. Minz (Hrsg.): »Lernprozess Y Amir: Die hellenist. Gestalt d. Judentums bei Philon v. Christen Juden« Bd. 4. E. Lesebuch [s. u. Ha] 167 Alexandrien 139 M. Buber:Das Buch d. Preisungen 119 L. Baker: Hirt d. Verfolgten. Leo Baeck i. 3. Reich [s. u. III] 176 Ders. :Das Problem d. Menschen [s. u. IIa] 120 Sch. Ben-Chorin:Theologia Judaica. Ges. Aufsätze 140 Ders. : Das dialogische Prinzip [s. u. IIa] 120 Ders. : Vom Kirchenvater Abraham u. and. Ungereimtheiten 141 A. Deissler: Zwölf Propheten. Hosea, Joel, Amos (D. Neue Ders.: Mein Glaube — mein Schicksal. Jüd. Erfahrungen Echter Bibel) 120 mitgeteilt im Gespräch m. K.-H. Fleckenstein 141 P. Deselaers: Das Buch Tobit. Studien zu seiner Entstehung, M. P. Birnbaum: Staat u. Synagoge 1818-1938. E. Ge- Komposition u. Theologie 121 schichte d. Preuss. Landesverbandes jüd. Gemeinden 141 M. Dorrteich (Hrsg.): Vaterunser-Bibliographie. Jubiläums- J. D. Bleich: With Perfect Faith. The Foundations of Jewish ausgabe d. Stiftung »Oratio Dominica« 121 Belief 142 Edith-Stein-Forschung 1984. E. Bibliographie, zusammen- M. Brocke / H. Jochum (Hrsg.): Wolkensäule u. Feuerschein. gestellt v. Johanna Hauke OCD/Gabriele Dick OCD, m. Jüd. Theologie d. Holocaust [s. u. IIa, III] 142 Einführung v. Waltraud Herbstrith OCD [s. u. III] 191 M. Brocke (Hrsg.): Beter u. Rebellen. Aus 1000 Jahren Ju- K. M. Fischer:Das Ostergeschehen 122 dentum in Polen 143 D. Flusser: Die letzten Tage Jesu in Jerusalem. Das Pas- M. Buber:Baal Schem Tow. Unterweis. i. Umgang m. Gott 143 sionsgeschehen aus jüd. Sicht 122 Ders.: »Ein Land und zwei Völker«. Hrsg. v. P. Mendes- H. Frankemölle: Jahwe-Bund u. Kirche Christi. Studien z. Flohr [s. u. IV] 186 Form- u. Traditionsgeschichte d. »Evangeliums« nach Mt 122 C. Colpe (Hrsg.): Diskussion um d. Heilige 144 W. Harnisch (Hrsg.): Gleichnisse Jesu. Positionen d. Ausle- H. Conzelmann: Heiden — Juden — Christen. Auseinander- gung v. A. Jülicher bis z. Formgeschichte 123 setzungen in d. Literatur d. hellenist.-röm. Zeit 144 Ders. (Hrsg.): Die ntl. Gleichnisforschung im Horizont v. Yaffa Eliach: Träume vom Überleben. Chassid. Geschichten Hermeneutik u. Literaturwissenschaft 124 aus d. 20. Jh. [s. u. III] 191 W Huber / L Tödt (Hrsg.): Ethik im Ernstfall. D. Bonhoef- Leiden an d. Unerlöstheit d. Welt — R. R. Geis 1906- 1972. fers Stellung z. d. Juden u. ihre Aktualität [s. u. Ib, III] 125 Briefe, Reden Aufsätze [s. u. IIa] 145 B. janowski: Sühne als Heilsgeschehen. Studien z. Sühne- K. E. Grözinger: Musik u. Gesang in d. Theologie d. frühen theologie d. Priesterschrift u. z. Wurzel KPR im Alten jüd. Literatur. Texte u. Studien z. Antiken Judentum 145 Orient u. im AT 126 j Gutmann: The Jewish Sanctuary. Iconography of Reli- M. Kaempfert (Hrsg.): Probleme d. religiösen Sprache 126 gions, XXIII/1 146 R. Kampling: Das Blut Christi u. d. Juden. Mt 27, 25 bei d. H. Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland. Geschichte lateinsprachigen christl. Autoren bis z. Leo d. Grossen [s. e. Baugattung im 19. u. 20. Jh. 146 u. IIa] 127 B. Herrin$ (Ed.): Joseph ibn Kaspi's Gevia' Kesef. A Study R. Kearns: Vorfragen z. Christologie II. Überlieferungsge- in Mecheval Jewish Philosophic Bible Commentary 147 schichtl. u. Rezeptionsgeschichtl. Studie z. Vorgeschichte G. Horn (Hrsg.): Jüd. Jugend im Übergang. Ludwig Tietz e. christolog. Hoheitstitels 128 1897-1933. Sein Leben u. seine Zeit 147 Ders.: Vorfragen z. Christologie III. Religionsgeschichtl. u. W Huber / L Tödt (Hrsg.): Ethik im Ernstfall. D. Bonhoef- Traditionsgeschichtl. Studie z. Vorgeschichte e. christo- fers Stellung z. d. Juden u. ihre Aktualität [s. u. Ia, III] 125 log. Hoheitstitels 129 Juden in Baden 1809-1984. 175 Jahre Oberrat d. Isaraeliten K. Koch / M. Schmidt (Hrsg.):Apokalyptik 129 Badens. Hrsg.: Oberrat d. Israeliten Badens. Mit Begleit- G. Lanczkowski: Die hl. Reise. Auf d. Wegen v. Göttern u. buch. [s. u. III] 148 Menschen 130 Jüd. Gemeinden in Wttbg. einst u. jetzt. Synagogen u. P. Lapide / P. Stuhlmacher:Paulus. Rabbi u. Apostel. E. jüd.- Friedhöfe in Bild u. Wort. Katalog. [s. u. III] 149 chr. Dialog [s. u. Ha] 169 M. A. Kaplan: Die jüd. Frauenbewegung in Deutschland. P. Lapide / K. Rahner: Heil von d. Juden? Ein Gespräch Organisation u. Ziele d. Jüd. Frauenbundes 1904- 1938. [s. u. Ha] 169 Hrsg. v. Institut f. d. Geschichte d. dt. Juden 149 F. Mussner:Traktat über d. Juden (in Übersetz.) [s. u. IIa] 170 M. Krupp:Zionismus u. Staat Israel [s. u. IV] 187 P. v. d. Osten-Sacken: Grundzüge e. Theologie im chr.-jüd. H. Lamm (Hrsg.): Vergangene Tage. Jüd. Kultur in Mün- Gespräch. Abhandl. z. chr.-jüd. Dialog 12 [s. u. Ib, Ha] 171 chen [s. u. III] 150 Ders.: Katechismus u. Siddur. Aufbrüche mit M. Luther u. E. Laor:Abrechnung mit d. Abendland 150 d. Lehrern Israels [s. u. Ib, IIa] 173 N. P. Levinson: Ein Rabbiner erklärt d. Bibel 150 J. J. Petuchowski: Wie unsere Meister d. Schrift erklären. j Maier:Grundzüge d. Gesch. d. Judentums i. Altertum 150 Beispielhafte Bibelauslegungen aus d. Judentum 130 Moses Maimonides' Treatise on Resurrection. Transl. and R. Rendtorff:Das AT. E. Einführung 131 annotated by Fred Rosner 151 R. Rendtoe / E. Stegemann (Hrsg.): Auschwitz — Krise d. Mendelssohn-Studien. Beiträge z. neueren dt. Kultur- u.Wirt- chr. Theologie 132 schaftsgesch., hg. v. C. Lowenthal-Hensel u. R. Elvers 151 A. Renker: Zentralthemen d. AT im Religionsunterricht d. P. Nave Levinson:Einführung in d. rabbin. Theologie 152 Sekundarstufe I u. II 132 J. Neusner (Hrsg.): The Study of Ancient Judaism. Bd. 1: H. Graf Reventlow: Hauptprobleme d. atl. Theolog. 20. Jh. 133 Mishnah, Midrash, Siddur 152 K.-V Selge: Einführung in d. Studium d. Kirchengeschichte 133 H. A. Oberman: Wurzeln d. Antisemitismus. Christenangst A. Schenker:Versöhnung u. Sühne. Wege gewaltfreier Kon- u. Judenplage i. Zeitalter v. Humanismus u. Reformation 153 fliktlösune im AT. Mit e. Ausblick auf d. NT 134 P. v. d. Osten-Sacken: Grundzüge e. Theologie im chr.-jüd. E. Schlink: Okumenische Dogmatik. Grundzüge 134 Gespräch. Abhandl. z. chr.-jüd. Dialog 12 [s. u. Ia, Ha] 171 H. Schmidt: Didaktik d. Ethikunterrichts. I. Grundlagen 135 Ders.: Katechismus u. Siddur. Aufbrüche mit M. Luther u. G. Strecker:Das Judenchristentum d. Pseudoklementinen 136 d. Lehrern Israels [s. u. Ia, IIa] 173 E. Petuchowski: Ein Rabbi kommt selten allein. Rabbinerge- * Dazu vgl. u. S. 201, II a. schichten aus Frankfurt u. anderswo 154

200 Seite Seite J. J. Petuchowski: Feiertage d. Herrn. D. Welt d. jüd. Feste Sjaloom. Ter nagedachtenis van Mgr. Dr. A. C. Ramselaar 173 u. Bräuche 154 C. Thoma: Die theol. Beziehungen zwischen Christentum Ch. Potok: Wanderungen. Geschichte d. jüd. Volkes 155 u. Judentum 174 L. Prijs: Die Welt d. Judentums. Religion, Geschichte, Le- C. Thoma / M. Wyschogrod (Hrsg.): Das Reden v. einen bensweise 155 Gott bei Juden u. Christen 175 Ders.: Lachen u. Überleben. Echte jüd. Witze 155 L. Vo/ken: Jesus d. Jude u. d. Jüdische im Christentum 175 J. Reinharz: Dokumente z. Geschichte d. dt. Zionismus W. Zuidema: Gottes Partner. Begegnung mit d. Judentum 175 1882 - 1933. Wissenschaftl. Abh. d. Leo Baeck Instituts 37 155 E. Roth / L. Pnjs: Hebr. Handschriften 156 F. Siegert: Drei hellenist.-jüd. Predigten 157 III Verfolgung und Widerstand L. Smolar / M. Aberbach: Studies in Targum Jonathan to the Prophets.. P. Churgin:Targum Jonathan to the Prophets 158 J. Albrecht u. a.: Christentum u. NS. Sekundarstufe I: Leh- P. Schäfer: Geschichte d. Juden in d. Antike. D. Juden Palä- rerheft u. Schülerheft [s. u. IIa] 176 stinas v. Alexander d. Grossen bis z. arab. Eroberung 159 L. Baker: Hirt d. Verfolgten. Leo Baeck i. 3. Reich [s. u. Ib] 176 A. Schafit (Hrsg.): Zur Josephus-Forschung 159 W. Bartoszewski: Das Warschauer Ghetto — wie es wirklich Ch. Schatzker: Die Juden in d. dt. Geschichtsbüchern. war. Zeugenbericht e. Christen 177 Schulbuchanalyse z. Darstellung d. Juden, d. Judentums Ders.: Herbst d. Hoffnung. Es lohnt sich, anständig zu sein 177 u. d. Staates Israel [s. u. IV] 160 D. Bonhoeffer: Widerstand u. Ergebung. Briefe u. Aufzeich- A. Steinberg: History as Experience. Aspects of Historical nungen aus d. Haft. Neuausgabe, hg. v. Eberhard Bethge 179 Tho. ught — Universal and Jewish 160 E. u. R. Bethge: Letzte Briefe im Widerstand 192 G. Stemberger: Der Talmud. Einführung, Texte, Erläute- M. Brocke / H. Jochum (Hrsg.): Wolkensäule u. Feuerschein. rungen 161 Jüd. Theologie d. Holocaust [s. u. la, Ha] 142 Ders.: Die röm. Herrschaft im Urteil d. Juden 162 J. David: Ein Stück Fremde. Erinnerungen an e. Jugend 179 Ders.: Epochen d. jüd. Literatur, an ausgewählten Texten Edith-Stein-Forschung 1984. E. Bibliographie, zusammen- erläutert 163 gestellt v. Johanna Hauke OCD/Gabriele Dick OCD, m. H. L. Strack / G. Stemberger: Einleitung in Talmud u. Mi- Einführung von Waltraud Herbstrith OCD [s. u. Ia] 191 drasch 163 Yaffa Eliach: Träume vom Überleben. Chassid. Geschichten M. Sturmann: Heimkehr in d. Wirklichkeit [s. u. IV] 164 aus d. 20. Jh. [s. u. Ib] 191 Ehe Wiesel: Von Gott gepackt. Prophetische Gestalten 164 Evang. Kirche u. 3. Reich. E. Arbeitsbuch f. Lehrer d. Se- Ders.: Geschichten gegen d. Melancholie 165 kundarstufen I u. II [s. u. IIa] 179 Ders.: Der 5. Sohn. Roman [s. u. III] 191 M. Gilbert: Auschwitz and the Allies. How the Allies responded to Hitler's Final Solution 179 Ders.: Auschwitz und die Alliierten 180 Ha Christlich-jüdische Beziehungen Ders.: Endlösung u. Vernichtung d. Juden. E. Atlas 180 J. Gutman E. Zuroff (Ed.): Rescue Attempts during the J. Albrecht u. a.: Christentum u. NS. Sekundarstufe I: Leh- Holocaust. Proceedings of the 2nd Yad Vashem Internat. rerheft u. Schülerheft [s. u. III] 176 Historical Conference 180 D. Bader: Kard. Augustin Bea: D. Hinwendung d. Kirche z. P. Hallie: ». . . Dass nicht unschuldig Blut vergossen werde. Bibelwissenschaft u. Ökumene 165 D. Geschichte d. Dorfes Le Chambon u. wie dort Gutes G. Biemer / A. Biesinger / P. Fiedler (Hrsg.): Was Juden u. geschah« 181 Judentum f. Christen bedeuten. Lehr- u. Lerneinheiten f. L Hecht: Als unsichtbare Mauern wuchsen. E. dt. Familie d. Sekundarstufen (»Lernprozess Christen Juden« Bd. 3) unter d. Nürnberger Rassegesetzen 181 [s. u. Ia] 166 Das denkende Herz d. Baracke: D. Tagebücher v. Etty Hil- M. Brocke / H. Jochum (Hrsg.): Wolkensäule und Feuer- lesum 182 schein. Jüd. Theologie d. Holocaust [s. u. Ia, III] 142 Juden in Baden 1809-1984. 175 Jahre Oberrat d. Israeliten M. Buber: Das Problem d. Menschen [s. u. Ia] 120 Baden. Hrsg.: Oberrat d. Israeliten Baden. Mit Begleit- Ders.: Das dialogische Prinzip [s. u. Ia] 120 buch [s. u. Ib] 148 Evang. Kirche u. 3. Reich. E. Arbeitsbuch f. Lehrer d. Jüd. Gemeinden in Wttbg. einst u. jetzt. Synagogen u. Sekundarstufen I u. II [s. u. III] 179 Friedhöfe in Bild u. Wort. Katalog [s. u. Ib] 149 Das Kirchentagstaschenbuch. Hannover '83 191 A. M. Keim (Hrsg.): Yad Vashem: D. Judenretter aus Deutscher Ev. Kirchentag. Hannover '83. Dokumente 191 Deutschland 182 *P. Fiedler / U. Reck / K.-H. Minz (Hrsg.): »Lernprozess R. M. W. Kempner: »Ankläger e. Epoche — Lebenserinne- Christen Juden« Bd. 4. E. Lesebuch [s. u. Ia] 167 rungen« 182 A. Finkel / L. Frizzell (Ed.): Standing before God. Studies B. Köhler: Gotha, Berlin, Dachau. Werner Sylten. Stationen an Prayer in Scriptures and in Tradition with Essays 168 seines Widerstandes im 3. Reich 183 Leiden an d. Unerlöstheit d. Welt — R. R. Geis 1906-1972. K. Kwiet / H. Eschwege: Selbstbehauptung u. Widerstand. Briefe, Reden, Aufsätze [s. u. Ib] 145 Dt. Juden im Kampf um Existenz u. Menschenwürde 183 R. Kampling: Das Blut Christi u. d. Juden. Mt 27, 25 bei d. H. Lamm (Hrsg.): Vergangene Tage. Jüd. Kultur in Mün- lateinspr. christl. Autoren bis z. Leo d. Grossen [s. u. Ia] 127 chen [s. u. Ib] 150 »Kehrt um u. glaubt . . .« 87. Dt. Katholikentag 1.-5. 9. '82 E. Leiser: Leben nach d. Überleben. D. Holocaust entron- in Berlin. Dokumentation 192 nen — Begegnungen u. Schicksale 184 L. Klenicki / G. Wigoder (Ed.): A Dictionary of the Jewish- I. Maier: Schulkampf in Baden 1933-1945. D. Reaktion d. Christian Dialogue 168 kath. Kirche auf d. NS. Schulpolitik, dargest. am Beispiel P. Lapide / P. Stuhlmacher: Paulus. Rabbi u. Apostel. E. jüd.- d. Religionsunterrichts in d. bad. Volksschulen 184 chr. Dialog [s. u. Ia] 169 H. Prolingheuer: Ausgetan aus d. Land d. Lebendigen. Lei- P. Lapide / K. Rahner:Heil v. d. Juden? E. Gespr. [s. u. Ia] 169 densgeschichten unter Kreuz u. Hakenkreuz 185 H. Liebeschütz: Synagoge u. Ecclesia. Religionsgeschichtl. A. Ramati: Der Assisi-Untergrund 185 Studien über d. Auseinandersetzung d. Kirche m. d. Ju- Ehe Wiesel: Der 5. Sohn. Roman [s. u. Ib] 191 dentum im Hochmittelalter 170 K. Wolff (Hrsg.): Hiob 1943. Requiem f. d. Warsch. Getto 185 F. Mussner: Traktat über d. Juden (in Übersetz.) [s. u. Ia] 170 F. Mussner / S. Talmon / R. J. Z. Werblowsky: Jesus — Mes- sias? Heilserwartungen b. Juden u. Christen 170 IV Zionismus und Staat Israel P. v. d. Osten-Sacken: Grundzüge e. Theologie im chr.-jüd. Gespräch. Abhandlung z. chr.-jüd. Dialog 12 [s. u. Ia, Ib] 171 H. Becker / L. Liegle: Israel — Erziehung u. Gesellschaft 186 Ders.: Katechismus u. Siddur. Aufbrüche mit M. Luther u. B. Z. Wacholder: The Dawn of Qumran — The Sectarian d. Lehrern Israels [s. u. Ia, Ib] 173 Torah and the Teacher of Righteousness 186 K. Richter (Hrsg.): Die kath. Kirche u. d. Judentum. Doku- Briefe an junge Deutsche. Juden antworten dt. Schülern auf mente v. 1945 bis 1982 173 e. Leserbrief in d. Jerusalem Post 186 M. Buber: »Ein Land u. zwei Völker«. Hrsg. v. P. Mendes- * Dazu vgl. o. S. 200, I a. Flohr [s. u. Ib] 186

201 Seite M. Comay:D. Zionismus. Entstehung, Fakten, Hintergr. 191 A. Schwarz-Gardos (Hrsg.): Heimat ist anderswo. Dt. Seite Sch. Erel: Neue Wurzeln. 50 Jahre Immigration deutsch- Schriftsteller in Israel. Erzählungen u. Gedichte 191 sprachiger Juden in Israel 191 Dies. : Frauen in Israel. D. Emanzipation hat viele Gesichter. B. Just-Dahlmann / Fotos v. 0. Pfaff: Aus allen Ländern d. E. Bericht in Lebensläufen 191 Erde. Israel — Verheissung, Schicksal u. Zukunft 187 M. Sturmann:Heimkehr in d. Wirklichkeit [s. u. Ib] 164 Dies.: Der Kompass meines Herzens. Begegnung m. Israel 191 Bibliogr. Notizen*: Edith-Stein-Forschung 1984. E. Biblio- M. Krupp:Zionismus u. Staat Israel [s. u. Ib] 187 graphie, zusammengestellt v. Johanna Hauke OCD/ A. Negev: Tempel, Kirchen u. Zisternen. Ausgrabungen in Gabriele Dick OCD, m. Einführung von Waltraud d. Wüste Negev — D. Kultur d. Nabatäer 188 Herbstrith OCD [s. u. Ia, III] 192 M. Pazi (Hrsg.): Nachrichten aus Israel. Deutschspr. Litera- »TRIBÜNE« : Zeitschrift zum Verständnis des Judentums tur in Israel 189 (s. u. I a, IV) 192 Reise ins HI. Land (Hrsg. v. ZdK) 190 * Wegen des in dieser Doppelfolge besonders umfangreichen Ab- Ch. Schatzker: Die Juden in d. dt. Geschichtsbüchern. schnitts der Literaturhinweise konnten nur diese beiden Biblio- Schulbuchanalyse z. Darstellung d. Juden, d. Judentums graphischen Notizen, ausnahmsweise auch an dieser Stelle, Auf- u. d. Staates Israel [s. u. Ib] 160 nahme finden.

I Wie in den vorangegangenen Rundbriefen ist im vorliegenden H eft unter den gleichen Hauptgesichtspunkten, jeweils alphabetisch geordnet, die dann verarbeitete Literatur verzeichnet, um deren Auffindung zu erleichtern.

25 Systematisches Register über den Inhalt Jg. XXXV/XXXVI Standortangabe der Sparten siehe 4. Umschlagseite Seite Seite 6 Die Christen u. das Judentum. Ein Text d. Pastoral- kommission Österreichs I. Aufsätze und Berichte A Der Text [s. u. I/1, 1/5, 1/6] 18 B Kommentar v. Dr. E. L. Ehrlich [s. u. I/1, 1/3, 1/6] 21 Pl. Bibel und Theologie I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum u. Christen- 113. Jüdische Geschichte und Adentum tum. Intervention anlässlich d. Bischofssynode in 8 II A Das Warschauer Ghetto. Von Dr. Wladislaw Bar- Rom, 4. 10. 1983 toszewski, Prof. an d. Universität Lublin [s. u. 1/8] 32 3 A Der Wortlaut [s. u. 1/2, 1/4, 1/5, 1/6, 1/9, I/II] B Ein ungewöhnliches Manifest. Aussöhnung zw. B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 Polen und Juden [s. u. 1/6, 1/8] 35 II St. Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur Gedanken zu einem Manifest v. Samuel Scheps Versöhnung. Ein Arbeitspapier [s. u. 1/4, 1/5, 1/6, [vgl. u. B] 38 1/9, I/11] 5 V Zum Gedenken: In Gurs, in Freiburg und an »Juden 2 Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden in Baden« I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen u. A Ansprache von Oberbürgermeister Dr. Rolf Böh- Juden«. Erklärung [s. u. 1/2, 1/6, I/II] 6 me, Freiburg, auf dem Deportiertenfriedhof in II Ein mutiger Schritt. Kommentar v. Landesrabbiner Gurs, 29. 4. 1984 [s. u. 1/8] 46 Dr. N. Peter Levinson [vgl. u. 1] 7 B Am 29. 4. 1984: gom Hashoa< auf dem jüd. Fried- 5 Papst Johannes Paul II.: An die Juden hof in Freiburg i. Br.: Ansprache von H. H. Alt- I An die Vorsteher der jüd. Gemeinde Madrid, 3. 11. mann [vgl. u. A] 47 1982 [s. u. 1/4, 1/6] 17 C Ansprache von Georges Stern anlässlich der Eröff- II Christen und Juden sind aufgerufen, Gerechtigkeit nung der Ausstellung »Juden in Baden 1809-1984: und Frieden zu fördern. Ansprache vor Repräsentan- 175JahreOberratd.IsraelitenBadens«[vgl.u.A] 47 ten d. »Anti-Defamation League d. B'nai 'B'rith — 9 »Jüdisches Erbe in Deutschland als Botschaft und Her- ADL« im Vatikan, 22. 3. 1984 [s. u. 1/4, 1/6, I/11] 17 ausforderung«. Ansprache v. Landesrabbiner Dr. N. Pe- 6 Die Christen u. d. Judentum. Ein Text d. Pastoralkom- ter Levinson am 10. 3. 1984 in der Synagoge in Worms mission Österreichs [s. u. 1/7] 52 A Der Text [s. u. 1/2, 1/3, 1/6] 18 10 Ein Empfang der Katholischen Akademie München, 19. B Kommentar v. Dr. E. L. Ehrlich [s. u. 1/3, 1/6] 21 7. 1983, im Schloss Suresnes für Hans Lamm und Scha- 7 Theologische Fachtagung in Luzern, 16.-18. 1. 1984. lom Ben-Chorin anlässlich ihres 70. Geburtstags Bericht v. Dr. Simon Lauer, Luzern [s. u. 1/6, I/II] 27 I Dr. Hans Lamm s. A.: Requiem für Babett, gespro- 13 Ökumenischer Rat der Kirchen. Dialog mit Menschen chen auf dem Empfang [s. u. 1/6, IV/VI] 54 anderer Religionen und Ideologien. Okumenische Er- II Heimkehr in die Wirklichkeit. Novelle v. Manfred wägungen zum jüd.-chr. Dialog, Genf, 16. Juli 1982 [s. Sturmann, wiedergegeben v. Schalom Ben-Chorin u. 1/6] 66 für Manfred Sturmann 55 14 Beten, Sprechen und Denken in »jüdischen Katego- III a)Schalom Ben-Chorin an Hans Lamm zum 8. 6. rien«. Von Dr. Franz Mussner, Prof. emer. für ntl. Ex- 1983 56 egese, Univ. Regensburg 69 b)Hans Lamm an Schalom Ben-Chorin zum 20. 7. 1983 [s. u. 1/6] 57 1/2. Katechese 12 Die Forschungen von Laroslav Glesinger über jüdische Familiennamen. Bearbeitet von Nelly Weiss-Füglister, I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum u. Christen- Chambesy (Genf) 60 tum. Intervention anlässlich d. Bischofssynode in Rom, 4. 10. 1983 A Der Wortlaut [s. u. I/1, 1/4, 1/5, 1/6, 1/9, I/11] 3 1/4. Kirche und Synagoge B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 1 I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum und Chri- 2 Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden stentum. Intervention anlässlich d. Bischofssynode in I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen u. Rom, 4. 10. 1983 Juden«. Erklärung [s. u. I/1, 1/6, 1/9, I/II] 6 A Der Wortlaut [s. u. I/1, 1/2, 1/5, 1/6, 1/9, I/II] 3 II Ein mutiger Schritt. Kommentar v. Landesrabbiner B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 Dr. N. Peter Levinson [vgl. u. I] 7 II St. Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur 5 Papst Johannes Paul II.: An die Juden Versöhnung. Ein Arbeitspapier [s. u. I/1, 1/5, 1/6, I/ I An die Vorsteher der jüd. Gemeinde Madrid, 3. 11. 11] 5 1982 [s. u. I/1, 1/4, 1/6] 17 2 Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden II Christen u. Juden sind aufgerufen, Gerechtigkeit I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen u. und Frieden zu fördern. Ansprache vor Repräsentan- Juden«. Erklärung [s. u. I/1, 1/2, 1/5, 1/6, I/II] 6 ten d. »Anti-Defamation League d. B'nai B'rith — II Ein mutiger Schritt. Kommentar v. Landesrabbiner ADL« im Vatikan, 22. 3. 1984 [vgl. u. I] 17 Dr. N. Peter Levinson [vgl. u. 1] 7

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Seite Seite 3 I Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem v. 10 Ein Empfang der Katholischen Akademie München, 19. 20. 4. 1984 [s. u. 1/6, I/10, I/11, 1/13, 1/14] 8 7. 1983, im Schloss Suresnes für Hans Lamm und Scha- Papst zu Rabbiner Jellin [s. u. 1/6, I/11, 1/15] 9 lom Ben-Chorin anlässlich ihres 70. Geburtstags II Dr. E. L. Ehrlich, Basel: Kommentar [1/3, 1/6, I/10, I Dr. Hans Lamm s. A.: Requiem für Babett, gespro- 1/11, 1/14] 10 chen auf dem Empfang [s. u. 1/3, 1/7] 54 Ze'ev W. Falk/Marcel J. Dubois OP: Ein Briefwech- III a) Schalom Ben-Chorin an Hans Lamm zum 8. 6. sel über »Das Apostolische Schreiben über die Stadt 1983, b) Hans Lamm an Schalom Ben-Chorin Jerusalem« [s. u. 1/6, 1/10, I/11] 12 zum 20. 7. 1983 [vgl. u. I] 56 5 Papst Johannes Paul II.: An die Juden 11 »Martin Luther und die Juden«. Ansprache von Mini- I An die Vorsteher der jüd. Gemeinde Madrid, 3. 11. sterpräsident Johannes Rau, Düsseldorf, anlässlich eines 1982 [s. u. 1/6] 17 Symposions in Mühlheim/Ruhr, 23. 2. 1983 [s. u. 1/3, II Christen und Juden sind aufgerufen, Gerechtigkeit 1/6, 1/8, I/II] 58 und Frieden zu fördern. Ansprache vor Repräsentan- 13 Ökumenischer Rat der Kirchen. Dialog mit Menschen ten d. »Anti-Defamation League d. B'nai B'rith — anderer Religionen und Ideologien. Ökumenische Er- ADL« im Vatikan, 22. 3. 1984 [s. u. 1/6, I/11] 17 wägungen zum jüd.-chr. Dialog, Genf, 16. 7. 1982 [s. u. 6 Die Christen und das Judentum. Ein Text d. Pastoral- I/1, 1/5] 66 kommission Österreichs 14 Beten, Sprechen und Denken in »jüdischen Katego- A Der Text [s. u. 1/2, 1/5, 1/6] 18 rien«. Von Dr. Franz Mussner, Prof. emer. für ntl. Ex- B Kommentar v. Dr. E. L. Ehrlich [s. u. I/1, 1/2, I/ egese, Univ. Regensburg [s. u. I/1, 1/6] 69 3, 1/6] 21

117. Deutsche und Juden — Juden und Deutsche 1/5. Ökumene 9 »Jüdisches Erbe in Deutschland als Botschaft und Her- I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum u. Christen- ausforderung«. Ansprache v. Landesrabbiner Dr. N. tum. Intervention anlässlich d. Bischofssynode in Peter Levinson am 10. 3. 1984 in der Synagoge in Rom, 4. 10. 1983 Worms [s. u. 1/3, 1/6] 52 A Der Wortlaut [s u 1/1, 1/2, 1/4, 1/6, 1/9, I/II] 3 Heinrich Margulies aus: »Offene Antwort auf Otto B Clemens Thoma, I uzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 Veit: Christi.-jüd. Koexistenz« [s. u. 1/6, 1/15] 53 II St. Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur Versöhnung. Ein Arbeitspapier [s. u. I/1, 1/4, 1/6, 118. Verfolgung und Widerstand I/9, I/1 1] 5 6 Die Christen und das Judentum. Ein Text d. Pastoral- 8 Im Rückblick: 50 Jahre nach dem 30. Januar 1933: kommission Österreichs I Im Juni 1933: Anklageschrift gegen KZ-Komman- A Der Text [s. u. In, 1/2, 1/3, 1/6] 18 danten: »Es gab auch solche Staatsanwälte«. Von B Kommentar v. Dr. E. L. Ehrlich [1/3, 1/6] 21 RA Dr. Otto Gritschneder, München 28 13 Ökumenischer Rat der Kirchen. Dialog mit Menschen II A Das Warschauer Ghetto. Von Dr. Wladislaw Bar- anderer Religionen und Ideologien. Ökumenische Er- toszewski, Prof. a. d. Universität Lublin [s. u. 1/3] 32 wägungen zum jüd.-chr. Dialog, Genf, 16. 7. 1982 [s. u. Johannes Paul II. erinnert an den Aufstand des War- 1/1, 1/6] 66 schauer Ghettos [s. u. 1/9] 33 B Ein ungewöhnliches Manifest. Aussöhnung zw. Polen und Juden [s. u. 1/3, 1/6] 35 116. Christen und Juden Karol Wojtyla und das Judenkind [s. u. 1/8, I/15] 35 1 I Kardinal Roger Etchegaray: Judentum und Chri- Gedanken zu einem Manifest von Samuel Scheps [s. u. stentum. Intervention anlässlich d. Bischofssynode in 1/3, 1/6] 38 Rom, 4. 10. 1983 • III Katholische Kirche und Judentum zur Zeit des NS — A Der Wortlaut [s. u. I/1, 1/2, 1/4, 1/5, 1/9, I/II] 3 eine geschichtliche Erfahrung und eine Herausfor- B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 derung an uns. Vortrag auf dem 88. Katholikentag, II St. Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur München, 5. 6. 1984, gehalten von Dr. E. L. Ehrlich Versöhnung. Ein Arbeitspapier [s. u. I/1, 1/4, 1/5, [s. u. 1/6, I/II] 39 I/11] 5 IV »... Wo ist dein Bruder Abel?« Predigt von Flücht- 2 Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden lingspfarrer Paul Vogt, Zürich, 27. 6. 1944 in d. ev.- I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen u. ref. Leonhardskirche in Basel 44 Juden«. Erklärung [s. u. I/1, 1/2, VII] 6 V Zum Gedenken: In Gurs, in Freiburg und an »Juden II Ein mutiger Schritt. Kommentar v. Landesrabbiner in Baden« [s. u. 1/6] Dr. N. Peter Levinson [vgl. u. I] 7 A Ansprache von Oberbürgermeister Dr. Rolf Böh- 3 I Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem v. me, Freiburg, auf dem Deportiertenfriedhof in 20. 4. 1984 [s. u. 1/4, I/10, I/11, 1/13, 1/14] 8 Gurs, 29. 4. 1984 [s. u. 1/3, 1/9] 46 II Dr.E.L.Ehrlich,Basel :Kommentar[I/3, I/10,I/14] 10 B Am 29. 4. 1984: >Jom Hashoa< auf dem jüd. Fried- III Clemens Thoma/Simon Lauer, Luzern: Kommentar hof in Freiburg i. Br.: Ansprache von H. H. Alt- [s. u. 1/3, I/11, 1/14] 11 mann [vgl. u. A] 47 Papst zu Rabbiner Jellin: »Ich bete täglich für das Wohl C Ansprache von Georges Stern anlässlich der Er- Jerusalems«. [s. u. 1/4, 1/11, 1/15] 9 öffnung der Ausstellung »Juden in Baden 4 I Ze'ev W. Falk/Marcel J. Dubois OP: Ein Briefwech- 1809-1984: 175 Jahre Oberrat der Israeliten Ba- sel über die . Stadt Jerusalem [s. u. 1/5, I/10, I/11, dens« [s. u. 1/3, 1/6, 1/8, 1/9] 47 1/13, 1/14] 12 II Johannes Paul II. zum Chefredakteur von »Maariv« 1/9. Sühne und Wiedergutmachung [s. u. 1/6] 16 8 VI Niemals vergessen. Zum 20. Juli. Eine Gedenkrede 5 Papst Johannes Paul II.: An die Juden von Otto Küster, Stuttgart 48 I An die Vorsteher der jüd. Gemeinde Madrid, 3. 11. 15 Laudatio auf Franz Böhm. Gehalten von Dr. Rainer 1982 17 Barzel anlässlich der Errichtung des Franz-Böhm- II Christen u. Juden sind aufgerufen, Gerechtigkeit u. Lehrstuhls f. Wirtschaftswissenschaften an der Hebrä- Frieden zu fördern. »Anti-Defamation League d. ischen Universität Jerusalem am 15. 7. 1982 im Saal der B'nai B'rith — ADL« [vgl. o. 1/4, Nr. 5] 17 Israelitischen Kultusgemeinde in München [s. u. I/12] 72 6 Die Christen u. das Judentum. Ein Text d. Pastoral- kommission Österreichs /// 0. Staat Israel A Der Text 18 4 II Johannes Paul II.: Zur diplomatischen Situation B Kommentar v. Dr. E. L. Ehrlich [vgl. o. 1/3, Nr. zwischen dem Vatikan u. Israel [s. u. 1/6, 1/11] 16 6 B] 21 16 Israel: Berichte 7 Theologische Fachtagung in Luzern, 16.-18. 1. 1984. I Die Wahlen in Israel zur 11. Knesset am 13. 9. 1984 Bericht von Dr. Simon Lauer, Luzern [s. u. I/1, 1/5, a) Israels neue Einheitsregierung 75 1/6, I/II] 27 b) Dr. R. Gradwohl: Israel hat e. neue Regierung 76 8 B Ein ungewöhnliches Manifest. Aussöhnung zw. II Fünf Jahre nach dem Abkommen von Camp David Polen u. Juden [s. u. 1/3, 1/8] 35 (26. März 1979). Schalom — Salam! — Fünf Jahre Gedanken zu e. Manifest v. Samuel Scheps [vgl. u. B] 38 Frieden [s. u. 1/14] 76 Heinrich Margulies aus: »Offene Antwort auf Otto III Das israelisch-libanesische Abkommen, 17. Mai Veit: Christi.-jüd. Koexistenz« [s. u. 1/7, I/15] 53 1983 [vgl. u. II] 78

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Seite Seite IV Johannes Paul II. zum Nahen Osten anlässlich eines D Jean-Marie Kardinal Lustiger: Ansprache bei der Gesprächs im Vatikan mit dem neuen libanesischen Abschlussfeier, 5. 9. 1982 [s. u. 1/15] 91 Gesandten Nasri Salhab, 9. 1. 1983 79 II Juden u. Christen auf dem 20. Dt. Ev. Kirchentag in 17 Schreiben des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Hannover, 8.-12. 6. 1983 [s. u. IV/6, IV/II] 92 Guido Del Mestri, betreffs Empfang des Papstes für Pinchas Lapide: Wie liebt man seine Feinde? Mit ei- PLO-Chef Arafat [s. u. I/11] 80 nem Juden die Bergpredigt lesen [s. u. IV/6] 92 9 Zum Oberammergauer Passionsspiel 1984 103 1/11. Kirche und Christen in Israel — Kirche u. Israel I Eindrücke vom Oberammergauer Jubiläumsspiel 1 II St. Jakobus-Gemeinde in Jerusalem: Ein Aufruf zur 1984. Franz Mussner, Pfarrer Wilm Sanders, Ham- Versöhnung. Ein Arbeitspapier [s. u. I/1, 1/4, 1/5, burg, Hans Lamm, Schalom Ben-Chorin, Jerusalem 1/6, I/11] 5 [s. u. FV/2, IV/6] 103 3 I Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem v. 20. 4. 1984 [s. u. 1/4, 1/6, 1/13, 1/14] 8 IV/2. Katechese II Dr. E. L. Ehrlich, Basel: Kommentar [vgl. 1/3, 1/6, 2 I Kardinal Willebrands: Zur Bischofssynode, Oktober I/10, 1/14] 10 1983 [s. u. IV/4, IV/6] 95 III Clemens Thoma/Simon Lauer, Luzern: Kommentar 9 Zum Oberammergauer Passionsspiel 1984 103 [s. u. 1/3, 1/6, I/10, 1/14] 11 I Franz Mussner, Pfarrer Wilm Sanders [s. u. IV/1] Papst zu Rabbiner Jellin: »Ich bete täglich für das II Hans Lamm [vgl. u. I] Wohl Jerusalems«. [s. u. 1/4, 1/6, 1/15] 9' III Schalom Ben-Chorin, Jerusalem [vgl. u. II] 16 FV Johannes Paul II. zum Nahen Osten anlässlich eines 10 I Wie sehen wir einander: Judentum, Christentum, Is- Gesprächs im Vatikan mit dem neuen libanesischen lam? Bericht über das 3. religionswissenschaftliche Gesandten Nasri Salhab, 9. 1. 1983 [s. u. 4] 79 17 Schreiben des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Symposion der drei Weltreligionen in der Staatl. Akademie für Lehrerfortbildung Donaueschingen Guido Del Mestri, betreffs Empfang des Papstes für vom 12.-15. 1. 1982 [s. u. IV/5, IV/II] PLO-Chef Arafat [s. u. I/10] 110 80 II Gottes Weisungen in den drei Weltreligionen: Chri- 1/12. Deutschland und Israel stentum, Judentum und Islam. Bericht von Prof. Dr. 15 Laudatio auf Franz Böhm. Gehalten von Dr. Rainer Alwin Renker über das 2. Symposion für Religions- Barzel anlässlich der Errichtung des Franz-Böhm- lehrer an der Staatl. Akademie für Lehrerfortbil- Lehrstuhls f. Wirtschaftswissenschaften an der Hebrä- dung, Donaueschingen, 3.-6. März 1979 [vgl. u. I] 116 ischen Universität Jerusalem am 15. Juli 1982 im Saal der IV/3. jiidilche Geschichte und Judentum Israelitischen Kultusgemeinde in München [s. u. 1/9] 72 3 Zum Gedenken des Holocaust, 6. 5. 1984: Die »halbjü- 1/13. Jerusalem u. d. HL Stätten dischen« Kinder von Berlin [s. u. IV/8] 97 3 Apostolisches Schreiben über die Stadt Jerusalem, 20. 4 Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland 4. 1984 [s. u. 1/4, 1/14] 5 zum 9. 11. 1984 [s. u. IV/7, IV/8] 100 5 Bundesrepublik ehrt Dr. E. L. Ehrlich, Rabbiner Prof. I/14. luden und Araber Jacob J. Petuchowski, Dr. Gerhart Riegner [s. u. IV/7] 100 16 II Fünf Jahre nach dem Abkommen von Camp David 7 Lehrstuhl für Holocaust-Geschichte an der Bar-Ilan- (26. März 1979). Schalom — Salam! Fünf Jahre Frie- Universität (Tel Aviv) [s. u. IV/8, IV/12] 102 den [s. u. I/10] 76 III Das israelisch-libanesische Abkommen, 17. Mai IV/4. Kirche und Synagoge 1983 [vgl. u. II] 78 2 I Kardinal 'Willebrands: Zur Bischofssynode, Oktober 1983 [s. u. rv/2, IV/6] 95 I/15. Erzählungen und erzählende Berichte Papst zu Rabbiner Jellin [s. u. 1/4, 1/6, I/11] 9 IV/5. Ökumene Joh. Paul II. zum Chefredakteur v. »Maariv« [s. u. 1/6] .16 2 II Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit Karol Wojtyla und das Judenkind [s. u. 1/8] 35 dem Judentum Heinrich Margulies aus: »Offene Antwort auf Otto a) Die 10. Tagung des ICCJ, Mailand, 6.-7. 9. 1982 Veit: Christ1.-jüd. Koexistenz« [s. u. 1/6, 1/7] 53 [s. u. IV/6, IV/II] 95 18 Der Kardinal, der Esel und die Juden [I/15] 80 b) Die 11. Tagung des ICCJ, Amsterdam, 27.-29. 3. 1984 [vgl. u. a)] 96 10 I Wie sehen wir einander: Judentum, Christentum, Is- I/II. Tagungen lam? Bericht über das dritte religionswissenschaftli- che Symposion der drei Weltreligionen in der Staatl. 1 Kardinal Roger Etchegaray: Judentum u. Christentum. Akademie für Lehrerfortbildung Donaueschingen, Intervention anl. d. Bischofssynode in Rom, 4. 10. 1983 12.-15. 1. 1982 [s. u. IV/3, IV/II] 110 A Der Wortlaut [s. u. , 1/2, 1/4, 1/5, 1/6, 1/9] 3 II Gottes Weisungen in den drei Weltreligionen: Chri- B Clemens Thoma, Luzern: Kommentar [vgl. u. A] 4 stentum, Judentum und Islam. Bericht von Prof. Dr. 2 Landessynode der Evang. Landeskirche in Baden Alwin Renker über das zweite Symposium für Reli- I Beschluss vom 3. 5. 1984 zum Thema »Christen u. gionslehrer an der Staatl. Akademie für Lehrerfort- Juden«. Erklärung [s. u. I/1, 1/2, 1/6, 1/9] 6 bildung, Donaueschingen, 3.-6. 3. 1979 [vgl. u. I] 116 II Ein mutiger Schritt. Kommentar v. Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson [s. u. I/1, 1/2, 1/4, 1/6] 7 IV/6. Christen und Juden 7 Theologische Fachtagung in Luzern, 16.-18. 1. 1984. I Juden und Christen auf dem 87. Dt. Katholikentag Bericht von Dr. Simon Lauer, Luzern [s. u. I/1, 1/6] 27 in Düsseldorf, 1.-5. 9. 1982 [s. u. IV/1, IV/II] 82 11 »Martin Luther und die Juden«. Ansprache von Mini- A Die chr.-jüd. Gemeinschaftsfeier: »Umkehr — Glau- sterpräsident Johannes Rau, Düsseldorf, anlässlich eines be — Erneuerung,« Symposions in Mühlheim/Ruhr, 23. 2. 1983 [s. u. 1/3, a) Der liturgische Text [s. u. IV/1] 82 1/6, 1/8] 58 b) I. Weihbischof Flügel, 2. Landesrabbiner Dr. N. Peter Levinson [vgl. u. a)] 86 B Die jüd.-chr. Begegnung im Leo-Baeck-Saal IV. Rundschau 1. Dr. B. Servatius, 2. Weihbischof Flügel 86 C »Glauben heisst umkehren« 89 1. Rabbiner Dr. Jacob Posen [s. u. IV/1] 89 IV/1. Bibel und Theologie 2. Aus der Dialogrunde [vgl. u. 1] 91 I Juden und Christen auf dem 87. Dt. Katholikentag D Jean-Marie Kardinal Lustiger: Ansprache bei der in Düsseldorf, 1.-5. 9. 1982 [s. u. IV/6, IV/II] 82 Abschlussfeier, 5. 9. 1982 [s. u. IV/6, IV/15] A Die chr.-jüd. Gemeinschaftsfeier: »Umkehr — Glau- II Juden und Christen auf dem 20. Dt. Ev. Kirchentag be — Erneuerung.« 82 in Hannover, 8.-12. 6. 1983 [s. u. IV/1, IV/II] 92 a) Der liturgische Text [s. u. IV/6] 82 Pinc,has Lapide: Wie liebt man seine Feinde? Mit ei- b) Ansprachen: 1. Weihbischof Flügel, 2. Landes- nem Juden die Bergpredigt lesen [s. u. 1V/1] 92 rabbiner Dr. N. Peter Levinson 84 2 I Kardinal Willebrands: Zur Bischofssynode, Oktober C »Glauben heisst umkehren« 89 1983 [s. u. FV/2, 1V/4] 95 I. Rabbiner Dr. Jacob Posen [s. u. IV/6] 89 II Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit 2. Aus der Dialogrunde [vgl. u. 1] 91 dem Judentum

204 Seite Seite a) Die 10. Tagung des ICCJ, Mailand, 6.-7. 9. 1982 II Die Kommission für die religiösen Beziehungen mit [s. u. IV/5, W/II] 95 dem Judentum 92 b) Die 11. Tagung des ICCJ, Amsterdam, 27.-29. 3. a) Die 10. Tagung des ICCJ, Mailand, 6.-7. 9. 1982 1984 [vgl. u. a)] 96 [s. u. IV/5, IV/6] 95 5 Bundesrepublik ehrt: Dr. E. L. Ehrlich, Rabbiner Prof. b) Die 11. Tagung des ICCJ, Amsterdam, 27.-29. 3. Jacob J. Petuchowski, Dr. Gerhart Riegner [s. u. W/3, 1984 [vgl. u. a)] 96 IV/7] 100 10 I Wie sehen wir einander: Judentum, Christentum, Is- 9 Zum Oberammergauer Passionsspiel 1984 103 lam? Bericht über das dritte religionswissenschaftli- che Symposion der drei 'Weltreligionen in der Staat- IV/7. Deutsche und Juden — Juden und Deutsche lichen Akademie für Lehrerfortbildung Donau- 4 Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland eschingen vom 12.-15. 1. 1982 [s. u. IV/2, IV/5] 110 zum 9. 11. 1984 [s. u. IV/3, IV/8] 100 II Gottes Weisungen in den drei Weltreligionen: Chri- 5 Bundesrepublik ehrt: Dr. E. L. Ehrlich, Rabbiner Prof. stentum, Judentum und Islam. Bericht von Prof. Dr. Jakob J. Petuchowski, Dr. Gerhart Riegner [s. u. IV/6] 100 Alwin Renker über das zweite Symposium für Reli- gionslehrer an der Staatl. Akademie für Lehrerfort- IV/8. Verfolgung und Widerstand bildung, Donaueschingen, 3.-6. März 1979 [vgl. u. I] 116 3 Zum Gedenken des Holocaust, 6. 5. 1984: Die »halbjü- IV/VII/II »Glaube an die Menschlichkeit.« Retter von Ju- dischen« Kinder von Berlin [s. u. IV/3] 97 den während des Holocaust. Internat. Konfe- 4 Erklärung des Zentralrats der Juden in Deutschland renz d. »United States Holocaust Memorial zum 9. 11. 1984 [s. u. IV/3, IV/7] IOC Council«, Washington D. C., 17.-19. 9. 1984 199 7 Lehrstuhl für Holocaust-Geschichte an der Bar-Ilan- Universität (Tel Aviv)[s. u. IV/3, IV/10] I C2 6 Glaube an die Menschlichkeit. Retter von Juden wäh- rend des Holocaust [s. u. IV/II, VII/II] 199 VI. In memoriam IV/9. Sühne und Wiedergutmachung [s. u. IV/8] 199 1 Abt Leo von Rudloff, 17. 8. 1982 192 IV/10. Staat Israel 2 Lothar Mattheis, 14. 10. 1983 194 6 I Israelisch-arabische Begegnung. Das Beth Hagefen 3 Dr. Hermann Greive, 25. 1. 1984 195 in Haifa. Aktive jüdisch-arabische Zusammenarbeit 4 Flüchtlingspfarrer D. Dr. h. c. Paul Vogt, März 1984 195 [s. u. IV/14] 101 5 Dr. Uriel Tal s. A., Juni 1984 195 II Arabisch-israelisches Schülerinnentreffen [v gl. u. I] 102 6 Rabbiner Dr. Max Elk s. A., 1984 ' 196 7 Lehrstuhl für Holocaust-Geschichte an der Bar-Ilan- 7 Dr. Hans Lamm s. A., 23. 4. 1985 197 Universität (Tel Aviv) [s. u. IV/3, IV/8] 102 8 Christliche Ereignisse und Nachrichten aus Israel. Be- nediktinerabtei der Dormitio auf dem Zion beteiligt sich an Israel-Festival [s. u. IV/11] 103 Nach Redaktionsschluss : IV/11. Kirche u. Christen in Israel — Kirche u. Israel 8 Christliche Ereignisse und Nachrichten aus Israel. Be- nediktinerabtei d. Dormitio auf dem Zion beteiligt sich Zum 8. Mai 1985: an Israel-Festival [s. u. IV/10] 103 Akademiedirektor Martin Stöhr, Ev. Akademie Arnolds- hain: Stellungnahme u. Arbeitsprogramm [s. u. IV/6, IV/8, IV/14. Juden und Araber IV/9] 198 6 I Israelisch-arabische Begegnung. Das Beth Hagefen in Haifa. Aktive jüdisch-arabische Zusammenarbeit [s. u. IV/10] 101 II Arabisch-israelisches Schülerinnentreffen [vgl. u. I] 102 VII. Aus unserer Arbeit IV/II. Tagungen I Altenwohnheim für NS-verfolgte Christen 198 1 I Juden u. Christen auf dem 87. Deutschen Katholi- II »Glaube an die Menschlichkeit«. Retter von Juden wäh- kentag, Düsseldorf, 1.-5. 9. 1982 und auf dem 20. rend des Holocaust. Internationale Konferenz d. »Uni- Deutschen Evangelischen Kirchentag, Hannover, 8.— ted States Holocaust Memorial Council«, Washington 12. Juni 1983 [s. u. IV/1, IV/6] 82 D. C., 17.-19. 9. 1984 [vgl. IV/II] 199 2 I Kardinal Willebrands: Zur Bischofssynode, Oktober III Der »Freiburger Rundbrief« auf dem 87. Deutschen Ka- 1983 [s. u. IV/2, FV/4] 95 tholikentag, Düsseldorf, 1.-5. 9. 1982 [vgl. IV/6, IV/II] 199

26 Personenregister Jahrgang XXXV/XXXVI" - Das Personenregister umfasst alle Namen einschliesslich der Namen und Autoren aus dem Alten Testament und Neuen Testament, jeweils nachgewiesen mit Seitenangabe. Berufsbezeichnungen oder Titel sind soweit übernommen, als es der eindeutigen Bestimmung von Personen dienlich ist. Statt des im Deutschen gebräuchlichen ß ist das international übliche ss verwendet. Vornamen sind bei neu- zeitlichen Namen nachgestellt, bei Namen des Altertums oder Mittelalters ist hingegen die natürliche Wortfolge beibehalten oder der bekannteste Teil des Namens vorangestellt. — Für arabische und hebräische Namen ist die Schreibweise verwendet, in der sie am häufig- sten im FrRu erscheinen. — Nicht in allen Fällen konnte der Vorname angegeben werden. Die Bibelstellen aus dem AT und NT sind getrennt in der üblichen Reihenfolge angeführt.

* Für »IMMANUEL« separates Register s. u. S. 244/IM 34

Aaron (AT) 117, 126 Adam (AT) 86, 120, 165 Ahr, Peter G. 168 Alt, Albrecht 117 Abegg, Elisabeth 182 Adapa (babyl. Urkönig) 129 Akiba, Rabbi 130 Alt, Franz 8 Abel (AT) 44, 45, 165 Adenauer, Konrad 87 Albeck, Chanoch 164 Altmann, Hans Heinz 28, 47 Aberbach, Moses 158 Agamemnon 64 Albo, Joseph 142 Ambrosius v. Mailand 5 Abrabanel, Isaak 131, 142 Agnon, Schaj (Samuel Josef) Albrecht, J. 176 Amir, Dov 190 Abraham (AT) 4, 9, 17, 19, 20, 191 Albright, William F. 129 Amir, Yehoshua (Neumark, H.) 40, 43, 44, 64, 68, 70, 80, 85, Agobard v. Lyon 170 Alexander der Grosse 64, 129, 139, 140 88, 110, 113, 116, 122, 132, Agus, Jacob B. 168 151, 159 Amira, Karl v. 149 137, 139, 141, 147, 158, 169 Ahasver 42 Ali, Kamal Hassan 77 Amos (AT) 120, 121, 138 Abromeit, Hans-Jürgen 119 Ahuis, Ferdinand 192 Aloni, Schulamit 76 Ananias (Annas, NT) 105

205 Andropov, Juri 23 Bergengruen, 'Werner 152 Churgin, Pinkhos 158 Egger, Rita 138, 144, 159 Angern, F. 186 Bergenthal, Thomas 82 Clemens v. Alexandrien 144 Ehmann, Karl 30 Anselm von Canterbury 168 Berger 35 Cohen, Arthur A. 143 Ehrenberg, Hans 125 Antiochus IV. Epiphanes 162 Berger, Ulrike 69 Cohen, Hermann 97 Ehrlich, Ernst Ludwig 10, 18, Antonius v. Padua, Heiliger 55 Bergmann, Hugo 190, 193 Cohen, Yizchak 102 21, 39, 89, 91, 97, 100, 116, Aquaviva, Sabino S. 144 Bergson, Henri 15 Collomp, Paul 159 117, 145, 158, 166, 167, 173, Arafat, Yassir 11, 12, 13, 80 Berkovits, Eliezer 143 Colpe, Carsten 129, 144 177, 179, 180, 181, 182, 185 Arendsen, Marloes 96, 97 Bernhard v. Clairvaux 133 Comay, Michael 191 Ehrlich, Henryk 37 Arens, Mosche 75 Berning, Wilhelm, Erzbischof 41 Comte, Auguste 133 Eisler, Robert 129 Aristoteles 120, 123, 147 Bertram, Adolf, Kardinal 41, 43, Congar, Yves, M. J., OP 81 Eissfeldt, Otto 133 Arndt, Adolf 74 167, 168 Conti 40 Elchinger, Leon Arthur, Arnold, Karl 28 Besier, Gerhard 179 Conzelmann, Hans 70, 144 Bischof 5 Arnold, Gottfried 133 Bethge, Eberhard 126, 179, 192 Conzemius, Victor 43 El Eljon 129 Aron, Robert 70 Bethge, Renate 192 Corfu, Chaim 75 Eiert, Werner 119 Aron, Wilhelm 31 Betti, Claudio Mario 96, 97 Corti, Guglielmo 170 Eliach, Yaffa 191 Artapanos 144 Betz, Otto 168 Creighton, Mandell, Bischof Eliezer ben Hyrkanos 112 Aschkenasi, Jakob 61 Beyschlag, Karlmann 119 180 Elihai, Yohanan 6 Aschkenasi, Zewi (Chacham Bickerman, Elias J. 159 Crescas, Hasdai 142 Elija (AT) 81, 112, 164 Zewi), Rabbi 61 Biedenkopf, Kurt 74 Croner, Helga 168 Elischa (AT) 81 Aschkenasy, Yehuda 174 Biemer, Günter 19, 110, 166, Cross, Ben 185 Elk, Max, Rabbiner 196 Assel, Alfred 167 167 Crossan, John D. 125 Elvers, Rudolf 151 Atrahasis 129 Biesinger, Albert 166, 167 Crüsemann, Frank 132 Emanuel, Joseph 87 Atreus 64 Birnbaum, Max P. 141 Cube, Felix v. 166 Emerton, John A. 129 Auerbach, Erich 124 Bischofberger, Otto 130 Cullen, Michael 152 Emmanuel s. u. Immanuel Auerbach, Rachel 143 Biser, Eugen 126 Cyprian v. Karthago 59 (AT, NT) Augustin, Matthias 119 Bismarck, Klaus v. 92 Czerniakow, Adam 33 Emsheimer, Arthur 195 Augustinus, Aurelius 59, 119, Bismarck, Otto v. 182 Czerski, Alexander 190 Engels, Friedrich 59 127 Black, Matthew 129 Epp, Franz, Ritter von 30, 31 Augustus, röm. Kaiser 162 Blank, Josef 172 Dahl, Nils A. 139 Epstein, Dina 102 Ausubel, David Paul 166 Bleich, J. David 142 Epstein, Jacob N. 153 Avi-Yonah, Michael 122 Blinzler, Joseph 135 Daisenberger, Joseph Alois 104 Epting 116 Blumenthal, David 168 Dalman, Gustaf 70 Erasmus v. Rotterdam 59, 154 Baal-schem-tov (Beiname des Bochenski, Joseph 126 Daniel (AT) 20, 128, 130, 162, Erel, Shlomo 191 Israel ben Elieser) 143 Boecker, Hans-Jürgen 131 168 Ermann, Leo 189 Bacharach, Jair 52 Böhm, Franz 72, 73, 74, 75 Dathan 106 E,rnst, Hanspeter 141, 158 Bacharach, Samuel 52 Böhme, Rolf 46, 47, 3. US David (AT) 9, 10, 18, 122, 134, Esau (AT) 21, 134, 162 Bader, Dietmar 165 , Bokser, Baruch M. 153 171 Eschwege, Helmut 183 Baeck, Leo, Rabbiner 52, 56, Bonhoeffer, Dietrich 59, 125, David, Janina 34, 179 Esra (AT) 71, 128, 130, 131 135, 141, 148, 176, 177, 184, 179 Davies, Norman 37 Esther (AT) 20, 133 196 Bonhoeffer (Familie) 192 Dayan, Jael 191 Etchegaray, Roger, Kardinal 3, Bätz, Kurt 111, 115 Bornkamm, Heinrich 133 Dayan, Moshe 13, 191 4, 5, 13, 16, 80, 81, 96, 2. US Baker, Leonard 176, 177 Borwicz, Michael 36, 37 Dedler, Rochus 106, 110 Eucken, Walter 73 Balaban, Meir 38 Boshofs, Egon 170 Deissler, Alfons 120, 121, 168 Eusebius v. Caesarea 133 Ballin, Albert 183 Bossuet, Jacques Benigne 5 Delbrück, Justus 192 Evian, Isidor 87 Bamberger, Seligmann Bär, Bousset, Wilhelm 129 Delp, Alfred 3 Ezechiel (AT) 70, 86, 117, 126, Rabbi 60 Brakelmann, Günter 179 Deselaers, Paul 121 158 Bar Giora, Simeon 60 Bran, Friedrich 110, 194 Deutz 100 Ezechiel der Tragiker 144 Bar-Lew, Chaim 75 Bretschneider, Wolfgang 82 Dick, Gabriele, OCD 192 Barnabas (NT) 106 Breuning, Wilhelm 89, 91 Dicks, Bernhard, P. OSB 193 Fackenheim, Emil L. 143 Barslai, Benyamin Z. 182 Brocke, Michael 142, 143 Dienstag, Jacob J. 151 Färber, Meir 190 Barth, Helga 185 Brod, Max 57, 58, 141, 190, 197 Dietzfelbinger, Hermann, Falk, Ze'ev W. 12, 13, 14, 16, 80 Barth, Karl 59, 132, 133, 135, Brüll, N. 62 Landesbischof 166 Farami, Fifi 102 172 Bruen 7 Dillon, S. J. 140 Faulhaber, Michael, Kardinal Bartoszewski, Wladyslaw 32, Bruner, Jerome Seymour 166 Dinglinger, Wolfgang 152 41, 42, 167 177, 178 Buber, Martin 57, 58, 59, 86, Diokletian, röm. Kaiser 162 Feiner, Leon 33 Baruch (AT) 128 88, 91, 119, 120, 141, 143, Dodd, Charles H. 123 Feininger, Bernd 119, 132, 166 Baruch ben Meir 52 155, 157, 168, 169, 176, 182, Döbig, Friedrich 29, 30 Fendt, Klement 104, 107, 108 Barzel, Rainer 72 186, 187, 190, 195 Döpfner, Julius, Kardinal 104, Feneberg, Rupert 172 Bathory, Stephan, poln. König Buchkremer, Joseph, Weih- 106, 107 Feneberg, Wolfgang 172 62 bischof 2. US Dohm, v. 149 Ferencz, Benjamin B. 183 Bauer, Gerhard 190 Buddha 129 Dohnanyi, Claus v. 2. US Fiebig, Paul 123 Bauer-Oltsch 29 Bülow, Bernhard v. 182 Domitian, röm. Kaiser 162 Fiedler, Peter 110, 122, 126, Baur, Friedrich Christian 133 Bultmann, Rudolf 123 Dore, Gustave 110 139, 143, 145, 154, 155, 166, Bea, Augustin, Kardinal 96, Bulz, Emmanuel, Rabbiner 97 Dorn, Klaus 89, 91 167, 173, 176, 177, 179, 184, 165, 166, 193 Bunam von Przysucha, Rabbi Dorneich, Monica 121, 122 185, 186, 187, 191 Bebel, August 150 120 Dostojewsky, Fedor M. 160 Fink 110 Becker, Fritz 97 Bunsen, Christian Karl Josias, Dreifuss, Erwin M. 60 Fink, Eugen 166 Becker, Hellmut 186 Freiherr v. 152 Drews, Arthur 129 Finkel, Asher 168 Beigel, Ed., Prälat 2. US Bunte, 'Wolfgang 175 Dubnow, Simon 160 Finkel, Joshua 151 Begin, Menachem 12, 76, 91 Burg, Avraham 9.6 Dubois, Marcel Jacques, OP 6, Fischer, Helmut 126 Ben-Ari, Jitzchak 191 Burg, Joseph 75 12, 16, 80 Fischer, Karl Martin 122 Ben-Chorin, Schalom (Fritz Ro- Burzio, Giuseppe 39, 40 Dudzus, Otto 125 Fischer, Ludwig 32 senthal) 54, 55, 56, 57, 58, Buzy, Denis 123 Dühring, Eugen 21, 26 Fischer, Siegfried 100 103, 109, 140, 141, 189, 192 Duprey, Pierre 96, 97 Fisher, Eugene J. 97 Ben-Gurion, David 76, 87 Caligula, röm. Kaiser Dupuy, Bernard, OP 14, 97, Fitzmyer, Joseph A. 70 Ben-Gurion, Paula 191 162 172 Flamm, Moritz 28 Ben Nathan, Asher 87, 89, 91 Carmoly, Eljaqim 157 Flatow, Ernst 185 Benda, Ernst 3. US Carroux, Margaret 155 Ea-Oannes 129 Fleckenstein, Karl-Heinz 141 Bengsch, Alfred, Kardinal 39, Carstens, Karl 100, 191, 3. US Eban, Abba 11, 13 Flügel, Karl B., Weihbischof 82, 40 Carter, Jimmy 12, 76 Ebeling, Gerhard 126, 133 84, 87, 88, 104, 108 Benjamin, Walter 69 Casalis, Georges 145 Eberling, Ernst 133 Flusser, David 122, 174 Bentzen, Aage 129 Chamberlain, Houston Stewart Echnaton 190 Forestell, J. T. 71 Berdischevski, Micha Josef 97 21, 26 Eck, Johann 59, 154 Forstmayr, Josef 104, 105, 108 Berenson, Leon 38 Charles, Robert H. 130 Ecken, Willehad Paul, OP 107, Franck, Sebastian 133 Berg, Karl, Erzbischof 2. US Chernik, Bernard 54 168 Frank, Hans 31 Bergengruen, Charlotte 152 Childs, Brevard S. 131 Edinger, Dora 149 Frankemölle, Hubert 122

206 Fraralis 129 Gressmann, Hugo 129 Herzl, Theodor 26, 155, 156 Jellin, Richard, Rabbiner 9 Freeden, Herbert 190 Grill, Julius 129 Herzog, Chaim 102 Jeremia (AT) 47, 117, 130, 138, Freeman, Theodore 97 Grintz, Y. M. 159 Heschel, Abraham J. 82, 83 139, 165 Freud, Sigmund 150 Gritschneder, Otto 28 Hess, Moses 137 Jeremias, Alfred 129 Freudenberg, Adolf 181 Gröber, Conrad, Erzbischof 42, Hess, Rudolf 183 Jeremias, Joachim 70, 123 Freyer, Hans 118 184, 185 Heuss, Theodor 57, 178, 197 Jeremias, Jörg 132 Friedlander, Albert, Rabbiner 7, Grözinger, Karl Erich 145, 146 Heussi, Karl 133 Jesaja (AT) 3, 9, 16, 54, 70, 82, 143 Groszman, Robert 97 Heydrich, Reinhard 30, 31 83, 119, 131, 158, 168, 187 Friedrich II. 65 Gruber, Heinrich 176, 183 Hieronymus 127 Jesaja di Tirani 131 Friedrich, Hugo 119 Grumbacher, Rudolf 152 Hild, Helmut 2. US Jeschurun s. u. Jakob (AT) Friedrich, Jörg 182, 183 Guardini, Romano 126 Hildegard von Bingen 168 Jirmeja, Rabbi 112 Friedrich, Wilhelm IV., König Güttgemanns, Erhardt 125, 126, Hilfrich, Bischof 42 Joachim v. Fiore 133 152 127 Hillel 19, 47, 117, 155 Jochanan ben Sakkai, Rabbi 162 Fries, Heinrich 134, 138 Gulliver, Lemuel 86 Hiller, Helen 35 Jochmann, Werner 184 Frings, Joseph, Kardinal 41 Gunkel, Hermann 72, 129, 131, Hiller, Moses 35 Jochum, Herbert 142 Fritze, Georg 185 133 Hiller, Schachne 35 Joel (AT) 120, 121 Fritze, Katharina 185 Guntz, Eduard 28 Hillesum, Etty 182 Johannes, Evangelist 4, 9, 19, Frizzell, Lawrence 168 Gur, Mordechai 75 Himmler, Heinrich 28, 29, 31, 20, 45, 72, 106, 107, 109, 110, Fuchs, Ernst 123, 124 Gutman, Jisrael 180 32, 41, 195 128, 130, 135, 162, 168, 185 Füglister, Notker, OSB 3 Gutmann, Joseph 146 Hindenburg, Paul v. 183 Johannes (Priesterkönig) 130 Funk, Robert W. 124 Gutmann, Robert 195 Hiob (Ijob, AT) 55, 90, 165, Johannes XXIII., Papst 13, 193 185 Johannes Chrysostomus 5 Gaarlandt, Jan G. 182 Haas, Lee 153 Hirsch, Otto 184 Johannes Paul II. (Wojtyla, Ka- Gabler, Johann Philipp 133 Habakuk (AT) 158 Hirschel, Jakob 61 rol), Papst 8, 9, 10, 11, 12, 16, Galen, Clemens August, Graf v., Hackelsberger, Luise 152 Hirschenstein, R. Sissl 61 17, 19, 22, 33, 35, 43, 79, 80, Kardinal 41 Hadad 129 Hirschfeld, Gerhard 181 81, 84, 85, 88, 91, 95, 105, Gall, August v. 129 Hagemeyer, Oda, OSB 141, Hitler, Adolf 21, 23, 28, 36, 41, 108, 109, 168 Galland 181 182, 184, 190, 191 43, 51, 52, 60, 100, 110, 150, Jona (AT) 82, 89, 90, 91, 131, Gartmann, M. 176 Haggai (AT) 117 153, 154, 177, 183, 185 157, 165 Gayomart 129 Hallevi, Jehuda 142 Höck, Michael 104, 107 Joschua, Rabbi 112 Gebirtig, Mordecai 38 Hallie, Philip 181 Höffe, Ottfried 136 Josef, Mann Marias (NT) 118 Geftmann, Rina 6 Halperin, Jean 97 Höffner, Joseph, Kardinal 87 Josef, Mosche Ben 101 Geilen, Jochen 118 Hammer-Schenk, Harold 146 Hölscher, Georg 133 Josel von Rosheim 25 Geis, Robert Raphael, Rabbiner Hanania ben Dosa, Rabbi 162 Hölscher, Gustav 130 Joseph (AT) 110, 134 85, 145 Handelsman, Marceli 38 Hofmann, Frank 108 Joseph II., österr. Kaiser 61 Gelin, Albert 70 Handschuch, Hugo 30 Homer 64 Joseph v. Arimathäa (NT) 106 Gemayel, Amin 78 Hanhart, Robert 137 Horn, Gustav 147, 148 Josephus Flavius 93, 122, 137, George, Augustin 70 Hanna (AT) 71 Hosea (AT) 120, 121, 131, 138 144, 159, 162, 163 Gerson, Menahem (Hermann) Hansen, Niels 191 Hossfeld, Frank Lothar 132 Josua (AT) 53, 111, 155, 164 148 Hantel 185 Hottinger, Arnold 92 Journet, Charles, Kardinal 16 Gersonides (Levi ben Gershom; Haran, Menahem 137 Hruby, Kurt 85, 168 Juda ben Baruch 52 RaLBaG) 142 Harms, H. H., Bischof 2. US Huber, Wolfgang 125, 132 Judas Iskariot (NT) 87, 109, Gerssen, Sam 174 Harnack, Adolf v. 7, 119, 176 Huhn, Michael 89 110 Gese, Hartmut 129 Harnisch, Wolfgang 123, 124 Huismans 110 Jülicher, Adolf 123, 124 Gessler, Otto 183 Hartinger, Josef 29, 30, 31, 32 Humboldt, Wilhelm v. 119 Jüngel, Eberhard 123, 124, 125 Giessler, Rupert 194 Hartom, Menahem Immanuel Hungar, Kristian 132 Jünger, Ernst 52 Gilbert, Martin 179, 180 142 Hurwitz, Jigal 75 Jungk, Robert 148 Giordano, Ralph 181 Hauben, Nora 190 Hussein, König v. Jordanien 76 Juppiter 129 Givord, Robert 170 Hauck, Albert 124 Hutner, Yitzchak 143 Juspa, Jefta 52 Glesinger, Lavoslav 60, 61, 62, Hauke, Johanna, OCD 192 Just-Dahlmann, Barbara 187, 63, 64, 65 Hauptmann, Gerhart 55 Ibn Esra, Abraham 131 191 Glik, M. 38 Hauser, Ludwig 119 Ibn Kaspis, Joseph 147 Justin der Märtyrer 144 Glinka, Michail 64 Haushofer, Albrecht 183 Ibn Paquda, Bachja 142 Gnilka, Joachim 71 Haushofer, Karl 183 Ibn Tibbon, Samuel 151 Kaempfert, Manfred 126 Gobineau, Josef Arthur, Graf Hausmann, Leonhard 30 Ibsen, Henrik 56 Käutner, Helmut 109 21, 26 Hebel, Frieda 189 Illyricus, Matthias Flacius 133 Kafih, Josef 151 Goebbels, Josef 98, 100 Hecht, Ingeborg 181, 182 Ilsar, Yehiel 142 Kafka, Franz 57 Göllner, R. 176 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich Immanuel (AT, NT) 122 Kaganoff, Benzion C. 61 Göring, Hermann 56, 98 118 Irenaeus 144 Kain (AT) 44, 45, 165 Goethe, Johann Wolfgang v. Hegesipp 144 Isaac, Jules 4, 16, 174, 175 Kaiphas (NT) 87, 104, 105 116, 149, 182 Heidegger, Martin 120, 150 Isaak (AT) 40, 68, 70, 88, 110, Kaiser, Odilo 120, 122, 138, Goldberg, Arnold 168 Heine, Heinrich 53, 55, 57, 197 150, 163 144, 152 Goldmann, Nahum 87 Heinemann, Isaak 139 Isaak ben Elasar 52 Kallai, Zecharia 137 Goldschmidt, Daniel 161 Heinemann, Paul 166 Isaak ben Sheshet Perfet Kalonymus ben Schabtai 52 Goldschmidt, Dietrich 145 Heinrich, Held 183 (Ribash) 142 Kalthoff, Albert 129 Goldschmidt, Lazarus 112 Heller, Rose 58 Israel, Zvi 101, 102 Kamp, L. B. van de, Rabbiner 97 Goldstein, Bernard 35 Hellwig, Monika K. 168 Israel s. u. Jakob (AT) Kampe, Walther, Weihbischof Goldstein, Walter 190 Hemelsoet, Ben 174 2. US Gollwitzer, Helmut 39, 145 Hemker, Elisabeth 4, 192, 193, Jachowicz 35 Kampling, Rainer 127 Gomer (AT) 121 198 Jacobs, Immanuel 103 Kant, Immanuel 120 Goodblatt, David 153 Hengel, Martin 145 Jahnke, Elenore 121, 122 Kantschuster, Johann 30 Gordan, Paulus, OSB 2, 179, Hengsbach, Franz, Bischof 6 Jakob (AT) 21, 40, 53, 54, 68, Kaplan, Marion A. 149, 150 181, 185, 186 Henoch (AT) 128, 130 70, 82, 87, 88, 134, 162 Karski, Jan 36, 37 Goslar, Julio 185 Henrix, Hans Hermann 172 Jakob ben Jakar 52 Kaschuba 110 Gottgetreu, Erich 190 Hensel, Albert 152 Jakobi, Gad 75 Kastning-Olmesdahl, Ruth 135 Gottschalk, Alfred, Rabbiner Hensel, Wilhelm 152 Jakobus (NT) 4, 72 Katzenberger, Leo 183 101, 181 Herbstrith, Waltraud, OCD 192 Jamm (Chaosungeheuer) 129 Katzenellenbogen, Meir (Meir Gradwohl, Roland 76 Herder, Hermann 191 • Jander, E. 179 v. Padua), Rabbi 62 Grätz, Heinrich 62 Herder, Johann Gottfried v. Jannai, Alexander 151, 162, 188 Katzenellenbogen, Saul 62 Graf, Oskar Maria 55 120, 124 Janowski, Bernd 126 Kaufmann, Jeheskel 130 Grayek, Stefan 178 Hermann, Reinhardt 118 Jansen, H. Ludin 129 Kazaw, Mosche 75 Greenberg, Irving 143 Hermisson, Hans-Jürgen 131 Japhet, Sara 137 Kazenelson, Jizchak 38 Gregor-Dellin, Martin 191 Herodes der Grosse 151 Jean-Roger, AA 4 Kearns, Rollin 128, 129 Greive, Hermann 26, 151, 195 Herranz, J. C. Rodriguez 170 Jedin, Hubert 133 Keet, Joseph 97 Gremmels, Christian 125 Herring, Basil 147 Jehuda ha-Nassi, Rabbi (Juda Kegler, Jürgen 119 Greschat, Hans-Jürgen 170 Hertlein, E. 129 »der Fürst«) 155 Keim, Anton Maria 182

207 Keller, Babett 54, 55 Lavater, Joh. Kaspar 174 Marduk (babyl. Gott) 129 Mosheim, Johann Lorenz v. 133 Keller, Paul 55 Lawrence, David, H. 188 Margulies, Heinrich 53 Mossinsohn, Avital 103 Kelman, Wolfe 97 Leander, Zarah 99 Maria (Mirjam), Mutter Jesu Mubarak, Hosni 77 Kempner, Robert M. W. 182, Leber, Annedore 49 (NT) 4, 16,. 57, 71, 107, 110, Müller, Manfred, Bischof 2. US 183 Leber, Julius 49 113, 118 Müller, Norbert 172 Kessler, David 96 Lebram, Jürgen 130 Maria Magdalena (NT) 109 Müller, Paul-Gerhard 129 Keuck, Werner 71 Lehmann, Reinhold 177 Marin, Louis 125 Müller, Ulrich B. 128, 129 Khuschi, Abba 101 Lehrburger, Karl 31 Maritain, Jacques 16 Mugavero, Francis J. 97 Kierkegaard, Sören 143 Leiser, Erwin 184 Markus, Evangelist 19, 70, 86, Muhammad s. u. Mohammed Kiessner, Hermann 29 Leiser, Wolfgang 149 94, 108, 109 Munkler, Lydia 186 Kimchi, David 131 Lem, Stanislaw 177 Marquardt, Friedrich-Wilhelm Musmano, Michael 183 Kimmerle, Heinz 69 Lenhart, Pierre, NDS 172 92, 145 Mussner, Franz 26, 69, 70, 71, Kimor, Eva 101 Leo der Grosse 127 Marquardt, Klaus 92 72, 103, 104, 107, 108, 132, Kindt, Werner 147, 148 Leo I., Papst 127 Martin, Gerhard 111, 113, 114, 143, 168, 169, 170, 171, 172, Kinet, Dirk 121, 126, 192 Lerski, Jerzy 36, 37 115 175 Kirchgässner, Wolfgang, Weih- Lessing, Gotthold Ephraim 124, Marty, Fratwois, Kardinal 81 Mutzbauer, Josef 29, 30, 31, 32 bischof 2. US 174 Marx, Karl 57, 58, 118, 150, Mytze, A. W. 56 Kirchhof, Paul 152 Leuner, Heinz David 145 197 Kisch, Guido 149 Levinas, Emmanuel 143 Marx, Leopold 189 Naboth (AT) 106 Klafki, Wolfgang 166 Levinson, Nathan Peter, Rabbi- Massignon, Louis 91 Nachmann, Otto 148 Klappert, Bertold 125 ner 7, 52, 82, 84, 85, 86, 132, Matthäus, Evangelist 5, 8, 19, Nachmann, Werner 84, 86, 87, Klatzkin, Jakob 130 150 20, 70, 71, 86, 92, 93, 94, 108, 89, 91, 148 Klausener, Erich 183 Levinson, Pnina Nave 150, 152 109, 119, 122, 125, 127, 150, Napoleon Bonaparte 147 Klein, Hans-Günter 152 Levy, David 75 168 Nardone, Richard Morton 168 Klein, Laurentius 141 Levy, Rabbiner 99 Mattheiss, Lothar 110, 116, 194 Nathan, Rabbi 112 Kleinherne, Klaus 186 Levy, Ze'ev 2 Maunz, Theodor 30 Navon, Jizchak 75 Klemm, Hans G. 124 Lewandowski, Louis 82, 84 Maximilian, Kaiser 149 Nechemkin, Arie 75 Klenicki, Leon 168 Lewin, Adolf 149 Maybaum, Ignaz 142 Nefzger, Sebastian 30 Klodzinski, Stanislaus 184i Lewin, J. 38 Mayer, Annemarie 155, 161 Negev, Abraham 188, 189 Klostermann, Georg 125, 127 Lewy, Hermann 197 Mayer, Reinhold 156, 171, 187, Nehemia (AT) 131 Koch, Klaus 129, 130 Lichten, Joseph 36, 37, 97 188 Neher, Andre 141 Köhler, Bruno 183 Lichtenberg, Bernhard 39, 40, Mayer, Rupert 30 Nero, röm. Kaiser 162 Köhler, Joachim 192 167 Mazar, Benjamin 122 Neumann, Oskar 190 Kolakowski, Leszek 38 Lieberman, Saul 153 McGarry, Michael B. 168 Neumeyer, Alfred 57 Kolbuszewski, Kazimierz 38 Liebeschütz, Hans 170 Meir, Golda 13, 191 Neumüller 109 Kollek, Teddy 87 Liegle, Ludwig 186 Meir ben Isaak 52 Neusner, Jakob 143, 152, 153, Konopnicka, Maria 36 Lill, Rudolf 42 Meir, Rabbi 93 164 Konstantin der Grosse, röm. Limbeck 107 Meir von Rothenburg 52 Niccacci, Rufino 185 Kaiser 5, 162 Lind, Jakov 86 Mejia, Jorge 97 Niese, Benedikt 159 Korczak, Janusz 38, 186 Lindsay, R. 122 Melito v. Sardes 144 Nietzsche, Friedrich 91, 120, Kornmann 40 Linne, Karl v. 63 Melzer, Friso 126 150 Kortzfleisch, Siegfried v. 42 Loans, Elia 52 Menachem ben Jakob 52 Nikodemus (NT) 106 Kossak-Szatkowska, Zofia 33, Löffler, Paul 92 Mendelssohn, Arnold 152 Nikolaus v. Damaskus 159 177 Lohfink, Norbert 166 Mendelssohn, Moses 174 Nissen, Andreas 139 Kraeling, Emil G. 129 Lohmeyer, Ernst 123, 130 Mendelssohn-Bartholdy, Fanny Nissim, Mosche 75 Krämer, Hans J. 140 Lohse, Eduard, Landesbischof 152 Nissiotis, Nikos A. 134 Kraft, Werner 190 70, 2. US Mendelssohn-Bartholdy, Felix Noah (AT) 113 Krahelska-Filipowicz, Wanda Longinus, röm. Hauptmann 107 152 Nora 56 33 Loofs, Friedrich 119 Mendes-Flohr, Paul 186, 187 Norden, Eduard 159 Kramsztyk, B. 38 Louis Ferdinand, Prinz 152 Menelaos 64 Nordhues, Paul, Weihbischof Krasicky, Jozef Ignacy 36 Lovsky, Frafflis 15 Mensching, Gustav 126 2. US Kraus, Annie 168 Lowenthal, Ernst G. 28, 196 Merzbacher, Abraham 157 Noske, Gustav 183 Kraus, Hans-Joachim 131 Lowenthal-Hensel, Cecile 151 Mestmäcker, Ernst J. 72, 74s Nota, J. H., SJ 39 Kraus-Rosen, Berta 189 Luckner, Gertrud 28, 37, 40, 54, Mestri, Guido Del, Erzbischof Nowak, Jan 36, 37 Kremers, Heinz 174 82, 102, 148, 149, 150, 160, 80 Nuernbergk 29, 30, 31 Krüger 35 164, 168, 176, 179, 180, 181, Meyer, Eduard 129 Kruijf, Theo de 174 182, 184, 185, 192, 193, 194, Micha (AT) 138 Obadiah ben Jakob Sforno 131 Krupp, Michael 147, 151, 157, 195, 196, 197, 199 Mickiewicz, Adam 36 Oberman, Heiko A. 153, 154 162, 163, 164, 186, 187, 188, Lukas, Evangelist 17, 70, 86, 93, Milosz, Czeslaw 38 Oesterreicher, John M. 107, 168 189 94, 109, 123, 125, 162 Minz, Karl-Heinz 135, 166, 167 Ogushi, Motosuke 119 Kruse, Martin, Bischof 2. US Lustiger, Jean-Marie, Kardinal Mithra 129 O'Hamels, Abbot 97 Kühnert, Hanno 182 81, 82, 86, 91 Moda'i, Jizchak 75 Oppenheimer, Samuel 52 Kümmel, Werner G. 125 Luther, Martin 21, 23, 24, 25, Möhl, 'Wolfgang 31 Origenes 144 Künneth, Walter 125 26, 58, 59, 60, 116, 118, 133, Moelin, Jacob ben Moses Orlandini, Gabriel 159 Küster, Otto 48, 50 153, 154, 173 (Maharil) 52 Orsenigo, Cesare, Nuntius 40, Kuk (Kook), Abraham Isaac Luz, Ulrich 126, 129 Mohammed 113, 118 41 168 Mohn, Gerd 187 Orwell, George 86 Kuld, Lothar 136 Maas, Hermann 148, 184 Molitor, Joseph 70 Orzeskowa, Eliza 36 Kutscher, Arthur 109 Maass, Ernest 61 Moltmann, Jürgen 169 Osten-Sacken, Peter von der Kwiet, Konrad 183 Mach, Dafna 187 Monakow, Hartmann v. 195 171, 172, 173 Mach, Michael 119, 137, 140 Monheit, Schlojme 56 Otto, Rudolf 129, 144 Lamm, Hans 54, 55, 56, 57, 58, Madsen, Iver K. 123 Montefiore, Claude 127 103, 107, 108, 150, 182, 183, Magass, Walter 126 Moore, George Foot 159 Pacelli, Eugenio s. u. Pius XII., 192, 197 Magdalena s. u. Maria Magda- Morgenstern, Julian 129 Papst Lamm, HetnriCh 56 lena (NT) Mortada, Saad 77, 102 Pachowiak, Heinrich, Weih- Lamm, Ignaz 54, 197 Maier, Hans 104, 106, 108, 109 Mose (AT) 19, 23, 44, 52, 58, bischof 6, 2. US Lamm, Martha 54, 197 Maier, Joachim 184 67, 70, 81, 82, 83, 86, 93, 94, Pagener, Gabriele 89, 91 Lanczkowski, Günter 130 Maier, Johann 150 104, 105, 111, 113, 116, 117, Pannenberg, Wolfhart 133, 169 Landau, Lola 189 Malamat, Abraham 137 126, 139, 142, 150, 174, 186, Pappenheim, Bertha 149 Langen, August 126 Maleachi (AT) 82, 86, 128 190 Pappenheim, Pinkus Seligmann Laor, Evan 150 Malebranche, Nicole 120 Mose ben Maimon (Maimoni- 65 Lapide, Pinchas E. 71, 92, 169 Mallau, Hans-H. 106 des) 65, 142, 147, 151, 195 Papst, Eugen 110 Laqueur, Richard 159 Maly, Eugene H. 168 Mose ben Nachman (Nachma- Pater, Wim A. de 126, 127 Lasker-Schüler, Else 141, 190 Mann, Thomas 55 nides; RaMBaN) 131, 142 Patschowsky, Alexander 170 Lauer, Simon 8, 11, 27, 124, 145 Maoz, B. 145 Moser, Martin 166 Patt, Gideon 75 Lauterbach, Alfred Jan 38 Marcion 144 Moses, Margarete 190 Paul II., Papst 183

208 Paul VI., Papst 5, 8, 9, 12, 14, Raszeya, J. 38 Semper, Gottfried 152 Schnitzer, Malka 16 16, 17, 107, 183, 190 Ratzinger, Joseph, Kardinal Sensburg, Baron 149 Schnitzer, Schmuel 16 Paulus, Apostel 3, 25, 44, 57, 105, 106, 107, 108 Septimius Caracalla, röm. Schnorr v. Karolsfeld, Julius 110 69, 71, 85, 88, 95, 112, 117, Rau, Gerhard 132 Kaiser 162 Schnurr, Klaus Bernhard 134 122, 126, 140, 143, 154, 169, Rau, Johannes 58, 3. US Sergius, Heiliger 189 Schöckel, Alonso 133 170, 172, 173, 175, 176 Razvi, Imam v. Hamburg 110, Servatius, Bernhard 82, 86 Schoeps, Hans Joachim 56, 197 Paulus, Jael B. 148 111, 112, 113, 116 Shamir, Yitzhak 13 Scholem, Gershom 69, 130, 175, Pauwels, C. F., P. OP 193 Re (ägypt. Sonnengott) 129 Sherira ben Hanina Gaon 153 190 Pazi, Margarita 189, 190, 191 Reagan, Ronald 23, 76, 199 Shultz, George 199 Scholl, Geschwister 58 Peck, William Jay 126 Reck, Ursula 160, 166, 167 Siber, Karl Heinz 180 Schoneveld, Jacobus 174 Peralson, Jordan, Rabbiner 97 Rehm, Martin 132 Sick 8 Schrage, Wolfgang 125 Peres, Schimon 75, 76 Rehm, Walter 59 Siebeck, Paul 128, 129, 141, 157 Schubert 107 Perez, Jizchak 75 Reichmann, Eva 145 Siegert, Folkert 157, 158 Schubert, Hermann 31 Perlitt, Lothar 137 Reinharz, Jehuda 155, 156 Sievers, Joseph 168 Schütz, Egon 166 Pesch, Rudolf 70 Reitzenstein, Richard 129 Sigismund III. 62 Schulc, Bruno 38 Pestalozzi, Joh. Heinrich 72 Rendtorff, Rolf 7, 131, 132, 133 Sijes, B. A. 180, 181 Petrus, Apostel 44, 95, 118, 144, Rengstorf, Karl Heinrich 42 Silberman, Lou H. 168 Schulz, Wolfgang 166 164 Renker, Alwin 111, 116, 117, Silver, Abba Hillel, Rabbiner 56 Schwarz-Gardos, Alice 190, 191 Petuchowski, Elizabeth 154 118, 132, 194, 199 Silver, Daniel Jeremy 151 Schwarzenböck, Franz, Weih- Petuchowski, Jakob J., Rabbiner Reuchlin, Johannes 59, 149, 154 Simson (AT) 157 bischof 104, 108 100, 130, 131, 154, 168 Reventlow, Henning Graf 133 Sirat, Rene Samuel, Rabbiner Schweitzer, Albert 123 Pfaff, Otto 187 Richter, Klemens 173 96, 97 Pfefferkorn, Johannes 154 Ricceur, Paul 125 Skallon 33 Stahl, Karl Heinz 59 Pfisterer, Rudolf 141, 165 Riegner, Gerhart M. 96, 97, Sloyan, Gerard S. 104, 168 Stalin, Josef 37 Pfleiderer, Otto 129 100, 101, 160 Smend, Rudolf 126, 137 Stauffenberg, Berthold 49, 52 Philipp, Rabbiner 193 Ringelblum, Emanuel 38 Smolar, Levy 158 Stauffer, Ethelbert 93 Philo v. Alexandrien 117, 137, Ringshausen, Gerhard 179 Söderblom, Nathan 144 Steark, W. 129 139, 140, 144, 157, 162 Ritter, Alexander 189 Soetendorp, A., Rabbiner 97 Stegemann, Eckehard 7, 132 Pilatus (NT) 20, 25, 103, 104, Robinsohn, Saul B. 160 Solomon, Norman, Rabbiner Stegemann, Hartmut 137 106, 107, 109, 110, 122, 127, Roblin, Michel 61 96, 97 Steiger, Lothar 132 135 Rode, Zvonko R. 61, 63 Sommer, Margarete 40, 41 Stein, Edith (Teresia Benedicta Pilger, Martin Heinrich Rodenski, Shmuel 108 Sonnevelt, Nico 175 a Cruce) 39, 192 Friedrich 149 Rokeach, Eleasar 52 Späth, Lothar 148, 3. US Steinberg, Aaron 160, 161 Pines, Shlomo 122 Roland, Charlotte 177 Spier, Joseph 97 Steinbrenner, Hans 31, 32 Pinsker, Leon 143 Roosevelt, Franklin D. 179 Spira, Israel, Rabbiner 35 Steiner, Moritz 46 Pistiner, Ephraim 189, 190 Rops, Daniel 5 Sraob. 129 Stemberger, Günter 146, 161, Pitzer, Franz Xaver 31 Rosenberg, Alfred 161 Swidler, Leonard 104, 170 162, 163, 164 Pius V., Papst 107 Rosenfeld, Gerald 82, 85 Sylten, Werner 183 Stepp 30 Pius X., Papst 12 Rosenthal, Albi 152 Synan, Edward A. 168 Stern, Georges 28, 47 Pius XI., Papst 18 Rosenzweig, Franz 3, 53, 88, Sternberger, Dolf 72 Pius XII., Papst 9, 12, 39, 41, 160, 169, 171, 172, 176, 182, Schachal, Mosche 75 Stiehm, Lothar 143 167 187 Schäfer, Peter 119, 145, 159 Stier, Fridolin 129 Plaskow, Judith 2 Rosner, Ferdinand 104, 107, Schaeffler, Richard 138, 172 Stimpfle, Josef, Bischof 2. US Plato (Platon) 140 108 Schaffen, Hans 195 Stockmeier, Johannes 119 Plinius (d. Altere) 129 Rosner, Fred 151 Schaller, Berndt 137 Stöhr, Martin 143, 182, 198 Plotin 140 Roth, Ernst 156 Schaller, Stephan, OSB 104, Strack, Hermann L. 153, 163, Pohlmann, Dietmar 179 Roth, Heinrich 149, 194 105, 107, 108, 109, 110 164 Pompeius (Gnäus P. Magnus) Roth, J. 42 Schamir, Jizchak 75, 76 Strauss, Alfred 30, 31 162 Roy-Seifert, Uta 185 Schapira, Joseph 75 Strauss, Franz Josef 3. US Pontius Pilatus s. u. Pilatus Rubenstein, Richard L. 143 Scharf, Kurt, Bischof 179 Strecker, Georg 136, 137 Porat 164 Rubinstein, Amnon 75 Scharffenorth, Ernst-Albert 125 Strolz, Walter 121, 122, 168 Porphyrios 129 Rudin, A. James, Rabbiner 105 Scharir, Awraham 75 Stroop, Jürgen 35 Porton, Gary G. 153 Rudloff, Alfred Felix v. Scharon, Ariel 75 Strug, Andrzej 36 Posen, Jacob 82, 89 s. u. Rudloff, Leo v. Schatzker, Chaim 148, 160 Stuhlmacher, Peter 169 Potok, Chaim 155 Rudloff, Leo von, Abt, OSB Scheeben, Matthias J. 135 Sturmann, Manfred 54, 55, 56, Praag, Henri van 174 174, 192, 193 Scheele, Paul-Werner, Weih- 164 Preysing, Konrad Graf v., Kar- bischof 172 dinal 39, 40, 41, 167, 168 Saadia ben Joseph (Gaon zu Scheler, Max 75, 120 Täubert, Klaus 55, 164 Priester, Roman 11 Sura) 142 Schelkle, Karl Hermann 123, Tal, Uriel 160, 195 Prijs, Leo 155, 156 Sacharja (AT) 13, 130 127 Talmon, Shemaryahu 168, 170 Procksch, Otto 129 Sachs, S. 38 Schell, Maximilian 185 Tanenbaum, Marc H., Rabbiner Pröpper, Thomas 172 Sadat, Anwar el 76, 77 Schenker, Adrian 134 97, 108 Prolingheuer, Hans 185 Safrai, Shmuel 122, 137, 174 Scheps, Samuel 38 Tarphon, Rabbi 141 Prus, Boleslaw 36 Salhab, Nasri 79 Schewick, Burkhard van 41, 185 Tatian 144 Przepiorka, Dawid 38 Salomo (AT) 9, 10, 88, 162, Schick, Eduard, Bischof 2. US Tavor, Moshe 73 Pszenny, Josef 35 165, 171 Schillebeeckx, Edward, OP 135 Taylor, Telford 183 Purusa/narayana 129 Samarin, William J. 126 Schimpf, Georg Wolfgang 181 Tertullian 144 Samuel (AT) 71, 134 Schimpf, Heidi 181 Tewes 40 Raabe-Wasowicz, Ewa 33 Samuel ben Ali (Halevi) 151 Schindler, Oskar 27 Tewje 108 Rabbinowicz, Raphael Nathan Samuel ben Meir, Rabbi 131 Schlatter, Adolf 159 Thackeray, H. St. John 159 157 Sanders, Wilm 103, 104, 107 Schleiermacher, Friedrich Da- Theisohn, Johannes 128 Rabbinowitz, Mordechaj Dov SaoSyant 129 niel Ernst 69, 71, 119, 133 Theobald, Michael 172 151 Sarason, Richard S. 153 Schlink, Edmund 134, 135 Thieme, Hans 148, 149, 150, Rabin, Jizchak 75 Sasson 77 Schloss, Louis 28, 29, 30, 31 152 Rad, Gerhard v. 133 Saul (AT) 164, 165 Schlosser, Johann Georg 149 Thieme, Karl 174 Ragaz, Leonhard 93 Scupin, Hans Ulrich 149 Schmid, Rudolf, Weihbischof Thierfelder, Jörg 179 Rahner, Karl, SJ 135, 143, 169 Secunda, Sholom 84 2. US Thoma, Clemens, SVD 4, 11, Ramati, Alexander 185 Seebass, Gottfried 132 Schmidt, Heinz 135, 136 60, 89, 130, 131, 133, 142, Ramselaar, Antonius C. 173, Seebass, Horst 7 Schmidt, Johann Michael 129, 145, 147, 153, 154, 163, 168, 174, 193 Seeberg, Reinhold 119 130, 131 169, 170, 171, 172, 174, 175 Ramsey, Jan T. 125, 126, 127 Segal, Arthur F. 139 Schmidt, Ludwig 131 Thomas 107 Raschi (Solomon ben Isaac) 52, Segal, M. H. A. 164 Schmidt, N. 129 Thomas v. Aquin 59, 170 65, 131 Seibert, Klaus 31 Schmidt, Stjephan 166 Thomasius, Gottfried 119 Rash, Yehoshua 81 Selge, Kurt-Victor 133 Schmidt, Werner H. 131 Thyen, Hartwig 132 Rassoul, Mohamed Ahmed 116, Sellin, Ernst 129 Schmogro, Hartmut 116, 118 Tietz, Ludwig 147, 148 117, 194 Semadar, Aviva 89 Schneider, Lambert 120 Tillich, Paul 126

209 Tiso, Joseph 180 Wiesel, Elie 164, 165, 191, 199 Bibel, Apokryphen, Obadja 1-21 (132) Titus, röm. Kaiser 54, 162 Wiesenthal, Simon 36, 37 Habakuk 3,4 (158) Tobit (AT) 121 Wigoder, Geoffrey 97, 168 Pseudepigraphen, Haggai 2,11 (117) Tödt, Heinz Eduard 125 Wikler, E. M. 97 Neues Testament Sacharja 14,18 (13) Tödt, Ilse 125 Wilckens, Ulrich 71 Maleachi 3,1a (128); 3,7 (82; Tonelli, Riccardo, S.D.B. 96, 97 'Wilczek 40 Genesis 1,1 (72; 131); 1,9.10 86) Trautmann, Henny 149 'Willebrands, Jan G. M., Kardi- (44); 1,26 (17; 72); 1,27 (18); Matthäus 1,1ff (71); 1-2; 1,23 Tresrnontant, Claude 4 nal 95, 96, 97, 166, 2. US 1-11 (72); 2,2f (131); 3 (122); 4,23 (8); 5,1-2 (92); Trocme, Andre 181 Willrich, Hugo 159 (119); 9,6 (70); 12,1-2 (137); 5,9 (94); 5,16 (122); 5,23f Troeltsch, Ernst 133 Winawer, B. 38 15 (132); 15,17-21 (147); 18 (5); 5,38f (94); 5,39 (150); Truman, Harry S. 35 Windthorst, Ludwig 43 (139; 142); 18,2 (158); 19 5,41 (94); 5,43 ff (93); Trutwin, Werner 133, 150 Winter, Carl 120 (139); 22 (131; 150); 24 5,44-45; 7,2 (94); 7,12 (19); Tucker, Gordon 96 Wintersberger, Carl 28, 29 (121); 44,2 (147) 7,24-26; 7,28-29 (92); 8; 10; Tuka, Vojtech 180 Wise, Stephen S., Rabbiner 101 Exodus 4,22 (4); 7-11 (150); 10,5f (122); 13,1-23 (125); Turner, Victor 130 Wittgenstein, Ludwig 127 13,9 (131); 14,14 (146); 19,5 15,21-28 (122); 15,24 (20); Tur-Sinai, N. H. (Harry Wittler, Helmut Herm., Bischof (137); 20,7 (150); 20-34 16,18; 17,14-21; 18,17 (122); Torczyner) 2, 3, 17, 197 2. US (116); 21,24 (94; 131); 23,2 18,20 (168); 21,14-17 (119); Tuwim, Julian 38 Wittstock, Alfred 146 (112); 24,8 (70); 34,28 (116) 21,28-22, 14; 22,28; Wojtyla, Karol s. u. Johannes Leviticus 16,2 (174); 16,27ff 22,36-40 (122); 22,37ff (86); Überschär, Ingrid 145 Paul II., Papst (154); 17,11 (126); 19,18 (19; 23,13-39 (127); 23,32-39; Uffenheimer, Benjamin 130 Wolf, E. 133 23; 86; 93; 94); 19,33f (172); 24,9; 25,32 (122); 26,58 Uhl, Harald 2. US 'Wolff, Carola 191 19,34 (19) (164); 27,23-25; 27,24 f; Uhde, Bernhard 166 "Wolff, Christian 119 Deuteronomium 1,1 (131); 6,4 27,25 (127); 27,27-30 (109); Urija (AT) 134 Wolff, Hanna 8 (19; 23; 93; 103; 131); 6,5 27,62-66 (127); 28; 28,16-22; Wolff, Hans Walter 119, 138, (19; 86); 7,1f (162); 11,12 28,19 (122) Vanoni, Gottfried, SVD 121 139 (137); 17,11 (117); 30,11-14 Markus 4,24 (94); 12,19-31 Vasthi (AT) 106 Wolff, Jeanette 150 (82; 83; 86); 30,12 (112); 30, (19); 12,29ff (86); 14,15 Veil, Simone 102, 103 Wolff, Karin 185 14 (138); 30,19-20a (82; 83; (109); 14,22-25 (70); Veit, Otto 53 Wolffsohn, Michael 110 86) 15,16-18 (109) Vergani, Antonio 4 Wolfson, Harry Austryn 139, 1 Samuel 2,1-10 (71) Lukas 1,39-56 (2); 1,49 (17); Vespasian, röm. Kaiser 162 140 2 Samuel 11-12 (134) 2,23 f; 2,4r-51 (70); 6,27 Vetten-Schumann 186 Wooley, C. Leonhard 188 1 Könige 6,13 (158) (93); 6,38 (94); 8,55 (162); Via, Dan 0. 124 Wothe, Franz-Josef 2. US Esther 3,8 (20) 10,27 (86); 13,1 (109); 14,16- Vogel, Bernhard 89, 91 Wundt, Wilhelm 144 1 Makkabäer 8,1-16 (162) 24 (125); 15-19 (123); 22,12 Vogel, Manfred 174 Wurm, Theophil 179 Psalmen 1 (117); 2 (131); (109) Vogt, Paul 44, 195 Wurzburger, Walter S., Rabbi- 37,3.9.11.21.22.29 (94); 62, Johannes 2,4 (110); 3,14 (106); Voigt, Wolfgang 156 ner 97 12 (130); 74 (54); 82, 1 (85); 3,16 (107); 4,20-26 (168); Volk, Ludwig, SJ 41, 43 Wyschogrod, Michael 143, 168, 84 (85), 11 (2);85 (18); 98 4,22 (20; 185); 4,43-54 (162); Volken, Laurenz 70, 175 175 (152); 103 (83); 104 (168); 6,45 (9); 8,44 (135); 13,14 Volz, Paul 129, 130 104,35 (93); 112 (84); 112,1 (168); 13,34 (19); 19,1-5 (117); 126 (60); 130 (82); 133 Vries, Josef de 137 (109); 20,19 (9); 20,19-31 (4) (17); 136 (143); 151 (168) Yadin, Yigael 186 Wacholder, Ben Zion 186 Sprüche 1,8; 6, 20 (117); 24,17; Apostelgeschichte 2,23 (135); Yahil, Leni 181 Wäckerle, Hilmar 28, 29, 30, 25,21 (93) 37,38.53 (119) Yaron, Kalman 102 31, 32 Weisheit 2,12ff (171); 2,23 (72); Yima (pers. König) 129 Römer 1,3 (18); 3,25f (154); Wagner 116 5,1ff (171); 10,17 (88) 5,12 (107); 6,10 (8); 9 (8); Wagner, Adolf 29, 30, 31 Jesaja 6,9 (187); 7,14-16 (131); 9,4f (85; 154; 171); 9,5 (71); Wagner, Harald 138 19,25 (3); 30,15 (16); 9,30-33 (169); 9-11 (19; 23; Wagner, Richard 58, 152 Zach, F. 26 30,15-17 (119); 43 (54); 25; 173; 175); 11 (169); 11, Wahl, Saul 62 Zacharias (NT) 71 53,12 (70); 55,6-7 (82); 58,6- lf (131); 11, 1-2a (140); Walk, Joseph 97 Zadok (AT) 186 12 (83); 62,1 (9); 64,3 (158) 11,15 (4); 11,16-18 (71); Wassermann, Jakob 183, 197 Zaiane, Mohamed 194 Jeremia 8 (47); 18,18 (117); 18, 11,16-24 (3; 175); 11,17 (71; Wasserstein, A. 110, 111 Zaiman, Joel H. 153 18-23 (192); 20, 7-9 (192); 174); 11,18 (3; 71); 11,20 Weber, Karsten 118 Zarathustra 129 23,29 (130); 31,31-34 (138); (71); 11,25f (127); 11,26 'Weber-Krebs, Frieda 2 Zasius, Ulrich 149 31,33 (139) (25); 11,28 f (88; 175); 11,29 Wehrle, Josef 132 Zeller, Dieter 168 Klagelieder 5,21 (83) (3; 154); 11,33-36 (4); 12,18 Weichmann, Herbert 183 Zenger, Erich 132, 134, 137, Ezechiel 7,26 (117); 18 (86); (95) Weiner, Herbert 168 173, 175 18,10 (70); 38,35 (158); Weinfeld, Moshe 137 Zeus Olympios 129 40-48 (126) 1 Korinther 9,19-23 (169); Weinzierl, Erika 168 Ziegler, Josef Georg 105, 108, Daniel 1,1-7, 28 (128); 2 (162); 15,3-5 (71) Weiss, Johannes 123 110 7 (130); 7,1-28; 7,2-7.11; 2 Korinther 3,6 (112) Weiss, Nelly 60 Zimmerli, Walther 133, 137 8,1-27; 9,1-27; 10,1-12, 4 Galater 2,11ff (95); 2,16 (71); 'Weissenberg, Heinz 190 Zola, Emile 110 (128); 11,30 (162); 14,3ff 3f (173); 3,19 (119); 4,4d Weizman, Eser 75 Zubeil, Gustav 182 (20) (71) Weizmann, Chaim 148 Zuidema, Willem 175 Hosea 1; 1,1.7; 2,1-3; 3; 3,5; Epheser 2,14.16 (9); 2,15f (3) Wellhausen, Julius 117, 129 Zunz, Leopold 60 4,15; 5,5; 6,11; 14,10 (121) Kolosser 3,12 (88); 3,15 (88) Werblowsky, R.-J. Zwi 137, 170 Zur, Jakow 75 Joel 2; 4,4-8; 4,18-20; 4,21 Hebräer 7,27 (8); 8-10 (154); Wertheimer, Samson 52 Zuroff, Efraim 180 (121) 9,12 (8); 10,10 (8); 10,18 Westermann, Claus 133, 138 Zweig, Stefan 56, 59 Amos 1,2. 9-10. 11-12; 2,4-5; (154) Wetter, Friedrich, Erzbischof Zwink, Ernst 104 4,13; 5,8; 8,11-14; 9,5-6. 11- Jakobus 3,9 (72) 104, 106 Zygielbojm, Szmul 35 15 (121) 1 Johannes 4,3 (72)

210 IJNIIIIIJ Dokumente des heutigen religiösen Denkens 1111111d1111 und Torschens in Israel Hebräische Veröffentlichungen aus Israel in deutscher Übersetzung IMMANUEL Folge XI/XII (1983/84) Jerusalem/Freiburg i. Br. HERAUSGEBER: Dr. Marcel J. Dubois OP

Stellvertretender Herausgeber: Rabbi Jonathan Chipman Ökumenisch TheologischeForschungsgemeinschaft in Israel* INHALT und Freiburger Rundbrief in Zusammenarbeit mit: I Die Methodenfrage bei der Er- der Abteilung für »Interfaith-Angelegenheiten« der forschung des rabbinischen Anti-Defamation League der B'nai B'rith Denkens. Von Ithamar Grün- wald, Professor für jüdische der Abteilung für Vergleichende Religionswissenschaft der Hebräischen Universität Jerusalem Philosophie an der Universität der »School of Jewish Studies« Tel Aviv 212 / IM 2 der Universität Tel Aviv der »Israel Interfaith Association« II Der Bar-Kochba-Aufstand — dem Israel Büro des »American Jewish Committee« seine Eigenart und seine Erfor- der »Anti-Defamation League of B'nai B'rith« schung. Von Aharon Oppenhei- der »Reformed Churches of Holland« mer, Professor für antike jüdi- sche Geschichte an der Univer- Redaktionskomitee sität Tel Aviv 219 / IM 9 Für 5 Fachbereiche mit je einem jüdischen und christli- chen Redakteur: III Die Lehre des MaHaRaL zwi- Hebräische Bibel: Dr. Benjamin Uffenheimer, Profes- schen Existenz und Eschatolo- sor für Bibelwissenschaft, Bibelabtlg. der Universität gie. Von Rivka Schatz-Uffen- von Tel Aviv — Professor Jacques-Raymond Tournay heimer, Edmonton, Professor OP, Ecole Biblique der Dominikaner in Jerusalem für jüdische Philosophie und Kabbala an der Hebräischen Neues Testament und zeitgenössisches Judentum: Dr. Universität Jerusalem 227 / IM 17 David Flusser, Professor für Vergleichende Religions- wissenschaft, Hebräische Universität Jerusalem — Dr. Michael Krupp, Beauftragter der Evangelischen Kir- IV Übersetzung des Talmud Yeru- che Berlin für das Ökumenische Gespräch zwischen shalmi, hg. von Martin Hengel/ Christen, Juden und Muslimen in Jerusalem Jacob Neusner/Hans P. Rüger/ Jüdisch-christliche Beziehungen in Vergangenheit und Peter Schäfer. Buchbericht von Gegenwart: Dr. Ze'ev W. Falk, Professor für Familien- Dr. Michael Krupp, Jerusalem . 237 / IM 27 und Erbrecht, Hebräische Universität Jerusalem — Dr. Paul Figuera V Abraham Goldberg: Textausga- Jüdisches Denken und Spiritualität: Dr. Moshe Idel — be zur Mischna Schabbat. Buch- Fr. Joe Espinosa, SJ bericht von Dr. Michael Krupp . 241 / IM 31 Zeitgenössisches religiöses Gedankengut in Israel: Pro- fessor Dr. Pinhas H. Peli, Beersheba — Dr. Wesley VI Arnold Goldberg: Me'am Brown Lo'ez. Diskurs und Erzählung Berater: Rev. Äke Skoog, Ökumenisch-Theologische in der Komposition, Hayye Forschungsgemeinschaft in Israel — Theodore Freed- Sara, Kapitel I 243 / IM 33 man, Anti-Defamation League der B'nai B'rith, New York VII Personenregister IMMANUEL, Für die deutsche Ausgabe (Auswahl): Dr. Gertrud Luck- Jg. XI/XII 244 / IM 34 ner, Dr. Clemens Thoma SVD, Professor für Bibelwis- senschaft und Judaistik, Theologische Fakultät Lu- zern, Leiter des Instituts für jüdisch-christliche For- schung Grunder und Herausgeber 1972-1980 Dr. J. (Coos) Schoneveld

/M 1 1 211 I Die Methodenfrage bei der Erforschung des rabbinischen Denkens" Von Ithamar Grünwald, Professor für jüdische Philosophie an der Universität Tel Aviv I Akiwas bzw. Rabbi Jischmaels, Sura, Pumbedita und Forscher und Denker gehen heutzutage selbstverständlich Nehardea, Israel und Babylonien und dgl. zurück, um da- davon aus, dass der rabbinischen Literatur ein systemati- mit die Existenz von verschiedenen Systemen in der Ent- sches Denkgebäude zugrunde liegt, und dass das Thema wicklung der Halacha zu bezeichnen. Schwieriger liegen »rabbinisches Denken« ein legitimer Gegenstand akade- die Dinge im rein gedanklichen Bereich. Dort werden we- mischer Forschung und Lehre ist. Grundsätzlich ist diese der Lehrhäuser noch Schulen genannt, auch sind Systeme Voraussetzung durchaus berechtigt, allerdings bleibt noch einzelner Akademien zumindest noch nicht fassbar. Ei- zu klären, wie das systematische Moment des rabbini- nige Unterscheidungen lassen sich allerdings auch hier schen Denkens wissenschaftlich in den Griff zu bekom- treffen, etwa die zwischen tannaitischer und amoräischer men ist. Dieser Frage, die in der Hauptsache eine metho- Lehre; Unterschiede in der Haltung von israelischen bzw. dologische ist, wollen wir im folgenden nachgehen und babylonischen Lehrern sind zu finden, und man kann so- zur Illustration das Thema »der Mensch als Gegenstand gar von einer historischen Schichtung und Gliederung des rabbinischen Denkens« heranziehen. Voranzuschicken ist, Denkens sprechen, wodurch dem Forscher seine Arbeit dass viele Arbeiten zur Literatur des Midrasch und zum doch etwas erleichtert wird. In der Tat hat jede ernstzu- rabbinischen Denken sich darauf beschränken, die Art des nehmende systematische Untersuchung mit der umfassen- betreffenden Midrasch, die darin verwendeten Techniken den Sammlung, sorgfältigen Sichtung und klaren Gliede- und sein literarisches Genre zu bestimmen. Den methodi- rung des Materials zu beginnen. Chronologische Unter- schen Problemen bei der Erforschung des rabbinischen scheidungen sind von grundlegender Bedeutung, und die Denkens wird — wenn überhaupt — sehr viel weniger Auf- Bestimmung des jeweiligen Ortes, der näheren Umstände merksamkeit gewidmet. Daher können unsere Ausführun- und, wenn möglich, der Schule ist nicht weniger wichtig. gen über den Charakter der rabbinischen Literatur, ja Faktisch haben hier die Geisteswissenschaftler einiges an selbst die exakte Feststellung, inwiefern das darin enthal- Methodik von den Naturwissenschaftlern übernommen, tene gedankliche Material systematisch oder unsystema- und jeder künftige Geisteswissenschaftler muss sich dem tisch dargeboten wird, die Methodenfrage innerhalb der Kriterium der Beherrschung dieser Methoden stellen. Forschung nicht erschöpfend behandeln, sondern allen- So kommt es, dass das meiste, was im Laufe der letzten falls die Schwierigkeiten aufzeigen. Generationen mit dem Ziel, zusammenfassende Aussagen Ein Satz wie »allen Quellen [die unter den Sammelbegriff zu diesem oder jenem Gegenstand des rabbinischen Den- >Literatur des Midrasch und des Talmud< fallen] gemein- kens zu machen, gesagt oder geschrieben worden ist, sich sam ist die Tatsache, dass dort nirgends theologische Fra- durch eine vollständige oder teilweise Sammlung der rab- gen systematisch abgehandelt werden, auch ist kaum je- binischen Äusserungen zu dem betreffenden Thema aus- mals ein Thema fortlaufend Gegenstand der Erörterung« 1 zeichnet. Das gesammelte Material wird daraufhin ge- ist charakteristisch und umreisst die Problematik, sagt je- sichtet, im einzelnen untereinander verglichen, nach chro- doch nichts darüber, wie eine Methode zu erkennen und nologischen und thematischen Gesichtspunkten angeord- zu definieren sei. Manche Forscher postulieren einen net, ausserdem wird seine Bedeutung erörtert, und gele- grundsätzlichen Unterschied zwischen halachischem und gentlich werden noch Vergleiche mit anderem Gedanken- aggadischem Midrasch, und da sich das rabbinische Den- gut, mit benachbarten Religionen und Kulturen, ange- ken überwiegend in der Aggada ausgeprägt habe, die an stellt. Allerdings muss nachdrücklich darauf hingewiesen Bedeutung hinter der Halacha zurückstehe, sei bei der Er- werden, dass bei den meisten dieser Bemühungen doch forschung des rabbinischen Denkens methodisch kein so nur eine Sammlung — vielleicht darf man sagen: eine An- hohes Mass an Wachsamkeit geboten. Dagegen gehen wir thologie — von rabbinischen Äusserungen zu einem be- von der Voraussetzung aus, dass sich das rabbinische stimmten Thema herauskommt. Im günstigsten Fall ist das Denken in der Halacha nicht weniger niedergeschlagen Äussere einer solchen Anthologie von Sichtung und Glie- hat als in der Aggada, vielmehr steht es in einer Wechsel- derung des Materials bestimmt, während die Analyse ver- beziehung zu beiden. Bei der Erforschung des rabbini- sucht, den Dingen die philosophische Tiefe oder die Wei- schen Denkens hat weder die Halacha noch die Aggada te religionswissenschaftlicher Forschung zu verleihen. Auf den Vorrang. Daher müssen wir es überall aufsuchen: in den etwaigen Einwand, dass unsere Darstellung hier doch der Mischna, in der Tossefta, in beiden Talmuden und in etwas übertreibe oder zu stark vereinfache, wäre zu erwi- den verschiedenen Midrasch-Sammlungen (wobei wir uns dern, dass die polemische Schärfe in der Formulierung ja darüber im klaren sein sollten, dass gelegentlich spätes durchaus darauf abzielt, die Aufmerksamkeit auf die me- Material am alten festhält, während älteres Material Neu- thodologische Problematik bei der Erforschung des rabbi- es bringen kann). nischen Denkens zu lenken. Wenn es um die Entwicklung der Halacha geht, greift die Wenn wir uns mit der Analyse und gedanklichen Auswer- Forschung gern auf verallgemeinernde Nomenklaturen tung von rabbinischen Aussprüchen befassen, müssen wir wie »Bet Schammai« und »Bet Hillel«, die Schule Rabbi uns die Frage stellen, ob wir überhaupt berechtigt sind, unserer Arbeit eine Sammlung von Aussprüchen zugrunde * Oberarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten am 26. 1. 1982 zu legen, die wir selbst — nach bestem Wissen und Gewis- an der Ben-Gurion-Universität im Negew anlässlich der jährli- sen — aus über viele Stellen verstreuten Äusserungen von chen Tagung israelischer Geisteswissenschaftler, die sich mit der Rabbinen zusammengestellt haben. Denn die Summe des- Erforschung des rabbinischen Denkens befassen. Aus dem He- bräischen übersetzt von Dr. Dafna Mach, Jerusalem. sen, was wir da zusammenbringen und als repräsentativ ' E. E. Urbach, The Sages — Their Concepts and Beliefs, Jerusa- für das rabbinische Denken über einen bestimmten Ge- lem 1975, S. 4. genstand darstellen, ist nicht mehr als eine recht zufällige

2121 IM 2 und individuelle Auswahl, für deren Anlage einzig und handene Material ist keineswegs zufällig oder gar willkür- allein wir verantwortlich sind und deren Elemente aus lich zusammengestellt. Die redaktionelle Arbeit daran ist ihrem ursprünglichen Kontext gerissen sind. Eine solche deutlich erkennbar, und vermutlich waren sich die besse- Sammlung, mag sie noch so wohl gegliedert und geordnet ren unter den Redakteuren auch der gedanklichen Aspek- sein, ist doch nur ein künstliches Gebilde, selbst wenn wir te des Materials bewusst, das sie auswählten und in die sie als eine unerlässliche Vorbedingung für jegliche syste- unter ihren Händen entstehenden Bände aufnahmen. In- matische Beschäftigung mit geistigen und philosophischen sofern ist der Hinweis angebracht, dass ein Redakteur Dingen betrachten. Wenn aber jemand behaupten wollte, vom Gelehrtenformat wie der des Midrasch Genesis rabba mehr sei in unserem Fall nicht zu leisten, da das Material (wenn der Hauptteil dieses Midrasch tatsächlich das über die verschiedensten Schriften verstreut sei, dem For- Werk eines einzigen Redakteurs ist) wohl kaum alles, was scher also so gut wie nie bereits geordnet vorliege, wir ihm begegnete, ohne vorherige Sichtung und Scheidung ohnehin nicht genau wüssten, wer zu welchem Anlass in seinen Midrasch aufgenommen haben dürfte. Wahr- welchen Ausspruch getan hat — dann muss er sich sagen scheinlicher ist doch, dass nur Dinge, die entweder ihm lassen, dass wir sehr unrecht daran tun, rabbinische Aus- privat oder im Hinblick auf seine Leserschaft wichtig sprüche zu nehmen und auf unsere Karteikarten zu schienen, in seine Midrasch-Sammlung Aufnahme gefun- schreiben, um sie dann vergleichend auszuwerten. Zwei- den haben. Somit stellen wir die Behauptung auf, dass bei fellos sind gedankliche Linien durch Vergleich von Ein- der Erforschung des jüdischen Denkens eine Untersu- zelheiten zu gewinnen, und Einzelheiten lassen sich häu- chung der gedanklichen Inhalte, wie sie in einer bestimm- fig am besten im Isolierverfahren vergleichen, d. h. wenn ten Einheit innerhalb von Talmud oder Midrasch erschei- rabbinische Aussprüche, die untersucht werden sollen, aus nen, am Platze ist und dass diese Untersuchung dem Ver- ihrem ursprünglichen Zusammenhang heraus sozusagen gleich von ganzen Midrasch- oder Talmudkomplexen ins Labor verpflanzt werden, wo der Forscher für Exi- bzw. von einzelnen künstlich isolierten Aussprüchen vor- stenzform, Anordnung und sogar für die Qualität des angehen sollte. Materials verantwortlich ist. Wenn wir dagegen die rabbi- In der Tat ist die Anlage von Midraschsammlungen und nischen Aussprüche gewissermassen in ihrer natürlichen die Anordnung von talmudischen Fragestellungen kein Umgebung, da wo sie jeweils stehen, untersucherj wollen, Werk des Zufalls, ebensowenig wie die Gliederung von müssen wir unsere Methode bei der Erforschung rabbini- Mischna- oder Baraita-Sammlungen. Zwar werden wir schen Denkens von Grund auf ändern. Wir werden das nie wissen können, aus welchem Gesamtkorpus die Aus- Material also nicht mehr Satz für Satz »stapeln« können, wahl getroffen ist, und auch die Auswahlkriterien sind sondern es im Rahmen seines jeweiligen Kontextes be- nicht so ohne weiteres offenkundig; aber die Redakteure trachten müssen, denn der Kontext gibt die Richtung der des Altertums waren sicher nicht schlechter als ihre neu- Deutung an und bildet die Voraussetzung für ein richtiges zeitlichen Kollegen: die einen wie die anderen lassen sich Verständnis. Mit anderen Worten: Bei der Erforschung in ihrer redaktionellen Tätigkeit von gewissen Vorstellun- rabbinischen Denkens werden wir das Gegenteil von dem gen leiten. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir es bei zu tun haben, was heutzutage in der Forschung üblich ist: der Erforschung ganzer talmudischer und midraschischer Wir werden die Dinge nicht aus ihrem Sachzusammen- Komplexe weniger mit den Worten der Rabbinen als viel- hang herausnehmen, sondern sie in ihrem jeweiligen Rah- mehr mit den Ideen und Vorstellungen der Redakteure zu men unter die Lupe nehmen. Demnach werden wir bei der tun haben, aber immerhin beschäftigen wir uns mit den Beschäftigung mit dem Material aus zwei Midrasch- Redakteuren, von denen wir doch abhängig sind: sie ha- Sammlungen wie Genesis rabba und Midrasch Tanchuma ben entschieden, was in die von ihnen angelegten Samm- — die Beispiele sollen im folgenden herangezogen werden lungen aufgenommen wird und was nicht, sie haben den — nicht diesen oder jenen Satz aus Genesis rabba mit ei- Stil geprägt, und häufig sind auch sie es, die für uns fest- nem ähnlichen oder entgegengesetzten Spruch aus Mi- gelegt haben, wer was gesagt hat. Und selbst wenn wir drasch Tanchuma vergleichen, sondern wir werden die diese Beschränkungen anerkennen, können wir uns von Gesamtheit der Aussprüche im einen Werk mit der thema- den Früchten ihrer redaktionellen Tätigkeit doch nicht tisch entsprechenden Einheit von Aussprüchen im anderen freimachen. Meines Erachtens besteht kein Zweifel daran, vergleichen. Und nicht selten lässt sich die gedankliche dass auch das Gefüge der Midrasch- und Talmudkomple- und werthafte Funktion des einen oder anderen Spruchs xe, von denen unsere Betrachtungen ausgehen sollen, et- gerade dann wahrnehmen, wenn er in dem Zusammen- was Fragmentarisches und Willkürliches an sich hat. Al- hang bleibt, in dem er steht. lerdings lässt sich dieser fragmentarische Charakter und Anders ausgedrückt: Wir machen hier den Vorschlag, die die redaktionelle Willkür nicht dadurch beseitigen, dass systematische Beschäftigung mit rabbinischem Denken man rabbinische Aussprüche, die aus den verschieden- nicht, wie bisher üblich, mit dem Vergleich isolierter oder artigsten Quellen genommen sind, fein säuberlich ordnet. aus dem Zusammenhang gerissener Sätze zu beginnen, Ein nachträglicher Redakteur bleibt deshalb doch ein Re- sondern mit dem Vergleich von Midrasch-Einheiten un- dakteur, und die Erforschung des rabbinischen Denkens, tereinander sowie mit der Untersuchung von literarischen wie wir sie kennen, erinnert manchmal sehr an eine nach- Einheiten in Talmud oder Midrasch, in denen sich theore- trägliche Redaktion. tisches Material findet. Meines Erachtens lassen sich Meine bisherigen Ausführungen wollen nicht besagen, wichtige Einblicke in die Gedanken- und Vorstellungs- dass wir die vergleichende Untersuchung von Einzelsät- welt der Rabbinen nicht nur dadurch gewinnen, dass wir zen, wie sie heutzutage bei der Erforschung des rabbini- da und dort Aussprüche zu einem bestimmten Thema schen Denkens üblich ist, ganz und gar aufgeben sollten. sammeln, sondern auch, wenn wir ganzen halachischen Wenn wir jedoch einen systematischen Durchblick durch und aggadischen Komplexen nachgehen, wie wir sie heut- die Worte der Meister selbst zu finden suchen, müssen zutage sowohl in Mischna und Tossefta, als auch in bei- wir prüfen, ob ein solcher zunächst aus den uns vorliegen- den Talmuden sowie in den Midrasch-Sammlungen vor den Midraschkomplexen sowie aus dem Vergleich solcher uns haben. Das Material einzelner Abschnitte in den Rab- Einheiten untereinander zu gewinnen ist. Reichtum oder ba-Midraschim, das von den verschiedenen Redakteuren Armut, Tiefe oder (selten) Oberflächlichkeit einer Ab- der uns vorliegenden Midraschim Tanchuma und felamde- handlung werden wir erst dann feststellen können, wenn nu sowie das in den sonstigen Midrasch-Sammlungen vor- wir beobachten, was der Redakteur eines bestimmten Mi-

/M31213 draschbandes mit Hilfe des von ihm zusammengetragenen solches Reservoir stellt das Begriffsrepertoire dar, das sich Materials zu diesem oder jenem Thema zu sagen hat. Ein in der halachischen Literatur herauskristallisiert hat, ein solcher Midrasch-Komplex ist zumeist etwas Willkürli- weiteres besteht in den verschiedenen Sprachschichten der ches : eine Sammlung von Aussprüchen zu einem bestimm- Bibel. Die Wechselbeziehung dieser sprachlich-stilisti- ten Thema; eine Sammlung von Einleitungen zu einer schen Bereiche untereinander und die sich daraus erge- bestimmten Sache; eine Sammlung von Äusserungen zu bende sprachliche und begriffliche Synthese bieten sich als einem bestimmten Bibelvers oder -abschnitt. Die Struktur lohnende Forschungsobjekte an. In unserem Zusammen- ist meistens künstlich und wird nicht nur durch innere hang sollte vor allem darauf hingewiesen werden, dass wir Faktoren, sondern auch durch äusserliche Gesichtspunkte uns bei der Analyse und Bewertung rabbinischen Denkens bestimmt. Was aber den Inhalt betrifft, da hatte der Re- einer unzulässigen Modernisierung und Vermengung von dakteur freie Hand, die Fülle seiner Kenntnis und seines grundverschiedenen Dingen schuldig zu machen drohen. Verständnisses einzubringen. Im letzten Teil unserer Aus- Die Übertragung rabbinischen Denkens in die Sprache führungen soll an einem Beispiel vorgeführt werden, wie heutiger philosophischer Problematik ist ein von Grund ein Vergleich zwischen ganzen Midrasch-Komplexen auf zweifelhaftes Unternehmen. Doch selbst wenn wir uns durchzuführen ist und zu was für Ergebnissen er führt. einer solchen Übertragung bewusst enthalten, bietet unse- Auch dies soll nicht verschwiegen werden: Was hier vor- re Kenntnis der Sprache der Rabbinen noch keinerlei Ge- gelegt wird, ist ein erster Entwurf, dessen Gültigkeit und währ für das Verständnis der Welt ihrer Bedeutungen und Effektivität noch anhand möglichst vieler und verschie- Inhalte. Auch der Vergleich rabbinischer Aussprüche mit denartiger Forschungsarbeiten zu überprüfen ist. Es lässt solchen aus anderen Kulturen und Religionen des Alter- sich noch keine definitive Aussage machen, wie weit sich tums birgt für den Forscher nicht wenige Fussangeln. Je- die hier vorgeschlagene Forschungsmethode für das Ver- denfalls haben wir den Eindruck, dass die Erforschung ständnis der geistigen Welt der antiken Rabbinen als hilf- des rabbinischen Denkens auf sehr viel sichererem Boden reich erweisen wird. schreitet, wenn die Äusserungen der Rabbinen in mög- Zweifellos eröffnet sie uns einen Zugang zu den Intentio- lichst weitem Kontext betrachtet werden, und zu diesem nen der Redakteure. Sicher wird sie unseren Blick schär- Zweck ist der redaktionelle Rahmen zweifellos ein kon- fen für das reiche und kontroverse Spektrum von rabbini- textuell besonders wichtiger. schen Äusserungen zu einem bestimmten Thema in einer Midrasch-Einheit. Höchstwahrscheinlich werden wir bei II einer Betrachtung der Dinge in ihrem eigenen Kontext Innerhalb unserer methodologischen Fragestellung wollen auch den Zusammenhang zwischen Halacha und Aggada wir uns nunmehr einem forschungskritischen Aspekt zu- besser erkennen können. Wenn wir vom jeweiligen redak- wenden. Eine kürzlich veröffentlichte Studie gelangt zu tionellen Kontext ausgehen, werden wir auch die primä- der unzweideutigen Feststellung: »Die Erforschung des ren exegetischen Probleme jeder einzelnen Sache klarer Midrasch steckt noch in den Kinderschuhen« 2. Selbst und richtiger sehen. Nach unserer Methode besteht keine wenn die heutige Tagung, auf der mein Beitrag der einzi- Gefahr, dass wir die Dinge gegen ihren eigentlichen Sinn ge ist, der sich mit rabbinischem Denken befasst, eine sol- interpretieren, indem wir sie als Beleg für etwas heranzie- che Feststellung in gewisser Weise zu bestätigen scheint, hen, womit sie im Grunde nichts zu tun haben. So liessen ist der Erforschung des Midrasch mit solchen provokati- sich noch manche Vorteile unserer Methode aufzählen, ven Verallgemeinerungen m. E. doch wenig gedient. Im die wiederum nicht als Alternative zur herkömmlichen Laufe der Jahre hat sich bei uns eine Fülle von wichtigen Methode gemeint ist, die auch ihre unleugbaren Verdien- Arbeiten auf allen Gebieten der jüdischen Wissenschaft, ste aufzuweisen hat. einschliesslich des jüdischen Denkens zur Zeit von Unabhängig von der Methode droht besonders dem isra- Mischna und Talmud, angeSammelt. Der hier zur Verfü- elischen Erforscher rabbinischen Denkens eine andere gung stehende Raum reicht bei weitem nicht aus, um die Gefahr: die sprachliche Kontinuität innerhalb der jüdi- Vorzüge all dieser Arbeiten im einzelnen aufzuzählen. schen Überlieferung verleitet zu Fehlschlüssen und Miss- Daher begnügen wir uns mit dem Hinweis auf das überra- verständnissen aller Art. Wir müssen uns darüber im kla- gende Werk von E. E. Urbach, The Sages — Their Concepts ren sein, dass es in gewisser Weise illusorisch ist, sich auf and Beliefi, das hebräisch erstmals 1969 erschienen und in dem Weg über die hebräische Sprache in die geistige — der Zwischenzeit mehrmals neu aufgelegt und sogar ins und nicht nur die geistige — Welt der Rabbinen zurückver- Englische übersetzt worden ist'. Es ist symptomatisch für setzen zu wollen. Ungeachtet dessen, dass Hebräisch so- den Stand der Erforschung rabbinischen Denkens, dass wohl die Sprache des modernen Israel als auch die der an- bis zum heutigen Tag keine ausführliche Besprechung die- tiken Rabbinen ist, wäre es naiv anzunehmen, der rabbini- ses Buches erschienen ist; eine solche müsste von einem sche Sprachgebrauch sei mit dem heutigen identisch. Fachmann auf dem Gebiet des jüdischen Denkens ge- Nicht nur die lexikalische Bedeutung, sondern auch die schrieben werden. Buchbesprechungen sind bekannter- Semantik von Wörtern und Begriffen hat sich in vielen massen ein mühsames und undankbares Geschäft. Aber Fällen geändert. Über die lexikalische Problematik hinaus, ohne eine ernsthafte, gewissenhafte und konstruktive die viel erforscht wird, steht noch die allgemeine konzep- Buchkritik ist in der Wissenschaft kein Fortschritt mög- tuelle Frage. Nicht mehr nach der Bedeutung eines einzel- lich. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Bespre- nen Begriffs bei den Rabbinen ist zu fragen, sondern nach chung des Buches von Urbach nicht im Rahmen einer der Beschaffenheit ihres Begriff-Repertoires. Die Rabbi- nen äussern ihre Gedanken bekanntlich nicht in philoso- 2 G. Porton, Midrash: Palestinian Jews and the Hebrew Bible in phischer Fachsprache. Ähnlich wie in der begrifflichen the Greco-Roman Period, in: ANRW II 19/2, Berlin/New York 1979, S. 104: »The scholarly study of midrash is in its infancy«. Welt der Halacha gibt es dort ein konkretes reales Be- Vgl. ferner R. S. Sarason, Toward a New Agendum for the Stu- griffssystem, dessen Bezugsrahmen in den Bildern und dy of Rabbinic Midrashic Literature, in: J. J. Petuchowski/E. Vergleichen, insbesondere in den Gleichnissen der Rabbi- Fleischer (Eds.), Studies in Aggadah, Targum and Jewish Liturgy nen zu finden ist. Bilder und Vergleiche bilden eines der in Memory of Joseph Heinemann, Jerusalem 1981, S. 55-73; A. Goldberg, Entwurf einer formanalytischen Methode für die wichtigsten Bedeutungsreservoirs beim Verständnis des Exegese der rabbinischen Traditionsliteratur, in: FJB 5 (1977), begrifflichen Kontextes sowie des signifikatorischen Sy- S. 1-41. stems in der Gedankenwelt der Rabbinen. Ein weiteres 3 Übersetzung von Israel Abrahams, Jerusalem 1975.

2141 IM 4 kurzen Rezension oder innerhalb von ein oder selbst zwei gesagt, nicht selten vor, dass die Verbindung zwischen Druckbogen abzumachen ist. Eine ausführliche Bespre- den einzelnen behandelten Gegenständen assoziativer Art chung dürfte den Umfang einer eigenen Abhandlung er- ist, während die sachliche Analyse im allgemeinen die ei- reichen, und das Format der erforderlichen Besprechung gentliche Bedeutung der Dinge erhellt und sich mit ihrer ist mit das beste Zeugnis für die Grösse des Werkes, mag polemischen oder apologetischen Komponente befasst. die Kritik dann ausfallen, wie sie will. Auch hier soll kein Seltener findet sich in Forschungsarbeiten eine gründliche Versuch unternommen werden, diese Lücke im Bereich dialektische Abhandlung, die versucht, die Wege abzu- der Buchbesprechungen zu schliessen. Wenn wir hier auf schreiten, auf denen sich die verschiedenen Strömungen Urbachs Buch und einige dort behandelte Gegenstände zu innerhalb des rabbinischen Denkens freundschaftlich oder sprechen kommen, so geschieht dies, weil sich angesichts feindlich begegneten. Ebenfalls allzu selten erhielten The- des bedeutenden Umfangs dieses Werkes alles, was jemals men wie die im jeweiligen Einzelfall angewandte exegeti- auf dem Gebiet der Erforschung rabbinischen Denkens sche Technik die ihnen gebührende Aufmerksamkeit, und geleistet worden ist oder künftig geleistet werden soll, an der entscheidende Punkt, nämlich wie die Rabbinen eine diesem Vorbild messen muss. Bibelstelle auslegen und inwiefern sie dabei im Vergleich Urbachs Buch beginnt mit einem Kapitel, das offenbar zur Bibel selbst sowie untereinander Neues bringen, wird nicht als Einleitung, sondern als erstes der regulären Kapi- kaum genügend beachtet. tel gedacht ist. Es heisst: »Die Erforschung der Geschich- Das jeweils Neue in den Äusserungen der Rabbinen ist für te des rabbinischen Denkens«. Auf Methodisches wird jemanden, der sich um ein adäquates Verständnis des rab- dort nicht eingegangen, aber aus der Gesamtanlage des binischen Denkens in seiner Entwicklung und seinen Strö- Buches geht Urbachs Methode doch klar hervor: Samm- mungen bemüht, einer der interessantesten Aspekte, und lung, Gliederung und vergleichende Analyse. Das versteht jede Studie zum rabbinischen Denken, die diesen Aspekt sich fast von selbst, doch stellt sich von neuem unsere Fra- vernachlässigt, ist in unseren Augen nur halbe Arbeit. Die ge: Kann sich aus dem Zusammentragen rabbinischer hebräische Bibel ist in jedem Fall der Hintergrund, der die Aussprüche, hier ein bisschen, dort ein bisschen, und aus Höhen- und Tiefendimensionen des gesamten jüdischen dem Zusammensetzen der einzelnen Teile wirklich ein ge- Denkens in all seinen Ausprägungen und Epochen be- treues Bild ergeben? Haben wir zuni Schluss ein Ganzes stimmt. Als im philosophisch-dialektischen Denken geüb- in der Hand? Lässt sich der fragmentarische Charakter te Erforscher der jüdischen Geistesgeschichte interessiert des Stoffes sowie die anthologische Arbeitsweise der For- uns, wie die Rabbinen mit Hilfe von Auslegung und Kom- schung durch eine elegante Darbietung des Materials ver- mentar zu alten Texten neue Welten schaffen, deren In- tuschen? In der Studie von E. Stiegman, Rabbinische An- novationsimpetus erstaunlich ist. Uns geht es nicht um die thropologie, findet sich eine ähnliche Haltung, auch richtige Interpretation der heiligen Schrift: diese Frage wenn das Material dort noch so perfekt angeordnet er- liegt ausserhalb des Gesichtskreises von Forschern auf scheint. Gegliedert ist es in fünf Hauptthemata, von denen dem Gebiet der jüdischen Geistesgeschichte. Vielmehr jedes soundsoviele Untertitel und Unteruntertitel enthält, geht es uns darum, wie die neuen Schichten des jüdischen insgesamt etwa fünfzig, die im günstigsten Fall einen Denkens zustande kommen und was sie im Verhältnis interessanten Themenkatalog darstellen, während das ei- zum biblischen sowie im Vergleich untereinander und mit gentlich gebotene Material dürftig ist und die Analyse fast ihrer religiösen und kulturellen Umwelt bedeuten. völlig fehlt. Selbstverständlich lässt sich das Thema auf In diesem Sinne würde ich sagen, dass der organische Zu- den ca. 100 Seiten der Arbeit von Herrn Stiegman nicht sammenhang zwischen der schriftlichen und der mündli- erschöpfend behandeln, und trotz aller Bemühungen des chen Lehre im Judentum, wie er durch die verschiedenen Verfassers, sich auf das Wichtigste zu konzentrieren, exegetischen Regeln gegeben ist, ein Phänomen darstellt, müssen letzten Endes Lücken bleiben. Jedenfalls wird hier das unsere wissenschaftliche Neugier erregt, aber kein Ar- kein vollständiges Bild des Gegenstands geboten. gument für die Existenzberechtigung der mündlichen In Urbachs Buch dagegen ist ein ganzes Kapitel dem The- Lehre. Richtige Beurteilung dessen, was im rabbinischen ma »Der Mensch« gewidmet (Kap. 10); es steht zwischen Denken neu ist, erfordert eine vorherige kritische Be- einem Kapitel über den Weltschöpfer und einem über die schäftigung mit dem biblischen Denken; daher muss ein Vorsehung. Diese Reihenfolge ist etwas erstaunlich, und künftiger Erforscher rabbinischen Denkens zunächst eine das Erstaunen wächst, wenn wir feststellen, dass später in Einführung in die biblische Gedankenwelt erhalten. Das dem sehr langen Kapitel »Rechnung des Menschen und ist ein Fachgebiet, auf dem es sehr viel Sekundärliteratur Rechnung der Welt« (Kap. 15) der Mensch noch einmal gibt, allerdings gehen die meisten der allgemeineren Ar- in extenso behandelt wird. Während das letztgenannte beiten zur biblischen Theologie von einseitigen, überwie- Kapitel in acht Abschnitte untergliedert ist, was die An- gend christlichen, theologischen Prämissen aus. Jedenfalls ordnung des Materials erleichtert, ist das Kapitel »Der ist auf diesem Gebiet noch vieles und wesentliches unge- Mensch« fortlaufend geschrieben, und die Dinge ergeben leistet. Ausserdem braucht ein künftiger Erforscher des sich eines aus dem anderen gemäss dem Verständnis des rabbinischen Denkens noch umfassende Kenntnisse im Forschers, der sich mit dem fragmentarischen Charakter Bereich der apokryphen Literatur (Weisheitsliteratur, des ihm vorliegenden Materials auseinanderzusetzen hat. Apokalyptik und Qumran), auch in der hellenistisch-jüdi- In der Regel wird das Material, wenn es gesammelt ist, schen Literatur sollte er bewandert sein. Zweifellos gehört sortiert und in Unterthemata eingeteilt, und zwar meist auch die religiöse und philosophische Literatur der Antike nach folgenden Kriterien: gedankliche oder chronologi- überhaupt auf die Liste der Themen, mit denen er sich be- sche Nähe, Verwendung gleicher oder ähnlicher Termi- fassen muss, und innerhalb der rabbinischen Literatur hat nologie* sowie Bezugnahme auf biblische Verse oder Epi- er sich nicht nur für literarische und exegetische Techni- soden. Die gelehrten Bemerkungen unten auf der Seite ken zu interessieren, sondern auch für den Bereich der bestehen zumeist in ausführlichen terminologischen Erör- Halacha, wo für das Verständnis rabbinischen Denkens terungen, philologischen, historischen und sonstigen An- ausserordentlich wichtige Beobachtungen zu machen merkungen sowie Hinweisen auf Parallelstellen und Se- sind. Kurz gesagt: Es gibt sehr viel zu tun, und wir müs- kundärliteratur. In der eigentlichen Arbeit kommt es, wie sen unablässig daran arbeiten, um den Anforderungen 4 E. Stiegman, Rabbinic Anthropology, in: ANRW II 19/2, von Erforschung und Erfassung des rabbinischen Den- S. 487ff. kens gerecht zu werden.

/M 51 215 Ein kurzes Beispiel dürfte m. E. genügen, die Tiefe und nehmen wollten, dass es sich bei diesen Sammlungen um Weite des Problems zu illustrieren. Im Rahmen der An- künstlich, vielleicht sogar zufällig zusammengestellte thropologie ist bekanntlich die Frage nach dem Verhältnis Werke handle . zwischen Körper und Seele einer der wichtigsten Punkte, Nach unserem Ansatz gehen wir davon aus, dass die Re- mit dem sich jede Art von religiöser Literatur ausführlich dakteure des jeweiligen Midrasch versucht haben, mittels auseinandersetzt. Selbst innerhalb eines so weitgehend ho- Quantität, Auswahl und Anordnung des Materials Dinge mogenen religiösen Rahmens wie dem Judentum gibt es zu sagen, die von klarer und eindeutiger gedanklicher Be- dazu viele verschiedene Ansichten. Z-weifellos ist eine deutung sind. Zwar erfordert jegliche Erörterung von gründliche Untersuchung der biblischen Auffassung da- theoretischen Themata, die in der midraschischen Litera- von für die Behandlung des Themas überaus wichtig. Al- tur vorkommen, eine vorherige Klärung von Fragen der lerdings haben in der Bibel zu diesem wie zu jedem ande- Redaktion und Materialanordnung, aber ein Versuch, zu ren Thema verschiedene und einander zum Teil konträr gedanklichen Folgerungen zu gelangen, darf bereits vor entgegengesetzte Ansichten ihren Ausdruck gefunden. Beantwortung dieser formalen Fragen unternommen wer- Deren korrekte Darstellung ist nicht nur ein Erfordernis den, zumal es in der Natur der Sache liegt, dass sich eben der Bibelwissenschaft, sondern auch eine unerlässliche diese formalen Fragen häufig nicht eindeutig und endgül- Vorbedingung für die Erörterung dieser Frage innerhalb tig beantworten lassen. des rabbinischen Denkens. Wenn also Urbach festellt, Wenden wir uns zunächst dem Midrasch Genesis rabba zu dass die Bibel in dieser Sache eine monistische Auffassung und betrachten das Material, das er bis einschliesslich des vertrete, mit seinen Worten »der Mensch nicht aus zwei Verses Gen 1, 26 bringt. Die dort angeführten Midra- Elementen, Leib und Seele oder Fleisch und Geist, zusam- schim gliedern sich in drei Gruppen: erstens — sechs Ein- mengesetzt« sei (hebr. S. 190, engl. S. 214), so scheint uns leitungen zum Midrasch Genesis rabba insgesamt; zwei- dies nicht nur der Bibel nicht gerecht zu werden, sondern tens — das Material bis zum betreffenden Vers; drittens — auch ein falscher Ansatz für die Behandlung des rabbini- das Material zu unserem Vers selbst. Überall, wo im Mi- schen Materials'. Was immer man von Urbachs Analyse drasch von der Weltschöpfung die Rede ist, findet sich der Bibelstellen, die er zur Stützung seiner These anführt, reiches Material zum Problem des Menschen, so dass wir halten mag, so muss er sich doch die Frage nach der Inter- hier nur auf das eingehen wollen, was ausdrücklich und pretation des Verses Koh 12, 7 gefallen lassen: »Es kehrt unmittelbar auf unser Thema Bezug nimmt. Es bleibt fest- der Staub wieder zur Erde, wie er war, und der Geist zustellen, dass der Verfasser des Midrasch zwar nicht aus- kehrt zurück zu Gott, der ihn gegeben«. Wo immer wir drücklich sagt, dass der Mensch die Krone und der Inbe- versuchen, Neuansätze im rabbinischen Denken zu fas- griff der Schöpfung sei, dass dies aber aus dem reichen sen, müssen wir zuvor das biblische Material in all seinen Material, das er zu unserem Thema bringt, eindeutig her- Schattierungen durchforscht haben. Wer die rabbinischen vorgeht. Äusserungen zum Fragenkomplex Leib-Seele-Geist unter- Die sechs Einleitungen — deren Zahl offenbar nicht zufäl- suchen will, muss zunächst die biblischen Aussagen zu lig ist — tragen nacheinander folgendes zum Thema der diesem Thema sowie das einschlägige Material in den üb- Anthropologie bei: 1) das Verbot, sich mit dem Thema rigen oben genannten Literaturen gründlich und sorgfäl- der Weltschöpfung zu befassen, ein Verbot, das auch in tig befragen, bevor er daran gehen darf, sich ein Urteil der Fortsetzung drei weitere Male wiederkehrt. Dieses über den Umgang der Meister mit diesen Dingen zu Verbot lässt sich als ein Versuch verstehen, dem For- bilden. schungs- und Wissensdrang des Menschen Grenzen zu stecken, wofür sogar Gründe angegeben werden, wobei der Hauptgrund darin besteht, den Menschen vor der Wenn wir also nach unserer Methode untersuchen wol- Äusserung blasphemischer Dinge zu bewahren; 2) die Be- len, wie ein bestimmtes Thema — und als Beispiel haben lohnung der Gerechten im Paradies und die Bestrafung wir das Thema der Anthropologie gewählt — in einer be- der Übeltäter in der Hölle. Das ist die Frage nach der stimmten midraschischen Einheit behandelt wird, müssen Vergeltung im Jenseits; 3) das Problem der Theodizee, wir sowohl die Grundthematik des betreffenden Ab- das hier allgemein formuliert ist: »Alles, was du über dei- schnitts als auch die übrigen dort vorkommenden Thema- ne Geschöpfe verhängst, akzeptieren sie als gerecht und ta sowie deren Verhältnis untereinander feststellen. In nehmen es getreulich an«; 4) das Problem des Monotheis- manchen Fällen wird es nicht schwierig sein, die Grund- mus in Fragen, die für den Menschen intellektuell und thematik herauszukristallisieren und ihre Bedeutung zu ethisch verbindlich sind: »Kein Geschöpf steht an zu sa- formulieren, in anderen Fällen dürfte die reiche Vielfalt gen: Zwei Gewalten haben die Tora gegeben, zwei Ge- des mit einem Thema zusammenhängenden Materials dies walten haben die Welt geschaffen«; 5) das Recht des Vol- erschweren. Nun wollen wir an den Vergleich zweier sol- kes Israel auf das Land Israel im Rahmen der Aufteilung cher midraschischer Einheiten gehen, die sich beide mit der Welt unter Völker und Nationen; 6) der Körperbau der Weltschöpfung befassen: auf der einen Seite Genesis des Menschen und sein wunderbarer Bestand: »Dieser rabba, wo infolge der Fülle des Materials nicht einmal die Mensch besteht aus lauter Höhlungen und Öffnungen, Erfassung dessen, was dort als sekundäres Thema fungiert und doch entweicht sein Geist nicht daraus«. Bei diesen und wo es um den Menschen geht, ohne weiteres gelingt, sechs Themata geht es also um folgendes: die intellektuel- und auf der anderen Seite Midrasch Tanchuma, wo der le Beschränktheit des Menschen; Lohn und Strafe; Theo- Verfasser des Midrasch seine Absichten ganz direkt und dize; die jüdische monotheistische Ethik; Volk und Land ohne Umschweife zum Ausdruck bringt. Der Unterschied Israel; die physische Existenz des Menschen. Grob verall- zwischen diesen beiden Midrasch-Einheiten erschöpft gemeinernd liesse sich sagen, dass dieses Spektrum von sich m. E. nicht in der unterschiedlichen Quantität und Aussagen die Stellung des Menschen in der Welt insge- Qualität des Materials, resultiert auch nicht nur aus der samt, d. h. in intellektueller, ethischer, ethnischer und für jede dieser Midrasch-Sammlungen charakteristischen physiologischer Hinsicht, umreissen will. Darunter gibt es literarisch-strukturellen Konzeption, selbst wenn wir an- grundsätzliche Feststellungen, die ins Prinzipielle gehen und den Rahmen für die weiteren Erörterungen abstek- ' Zum dualistischen Verhältnis von Leib und Seele vgl. die grundlegenden Ausführungen im Dialog zwischen Sokrates und ken, die der Verfasser von Genesis rabba in der Fortset- Alkibiades, Alkibiades I 129f. zung noch bringen will und die in dem von ihm angeführ-

216 1 TM 6 ten Material ihren Ausdruck finden werden. Die richtige Gerechtigkeit: »da zog er das Erbarmen mit heran und er- Beurteilung dieser grundsätzlichen Aussagen des Mi- schuf ihn«; die Eifersucht der Engel auf den Menschen: drasch erfordert eine vorherige Auseinandersetzung mit »manche von ihnen sagen: er soll geschaffen werden, dem einschlägigen biblischen Material, was wir aber an manche von ihnen sagen: er soll nicht geschaffen wer- dieser Stelle nicht leisten können. den«; die Partnerschaft zwischen den Geschlechtern: In der Fortsetzung des Midrasch bis zum Vers Gen 1, 26 »kein Mann ohne Frau, keine Frau ohne Mann, und beide werden nacheinander folgende Themata angesprochen: nicht ohne die Gottesgegenwart«; des Menschen Gott- das Verbot, verschiedenen Fragen im Zusammenhang der ähnlichkeit: »als Adam erschaffen war, gab es Dienst- Weltschöpfung, speziell der zeitlichen Abfolge innerhalb engel, die irrtümlicherweise vor ihm sanctus sprechen der Schöpfung, nachzugehen; das Jenseits: »du sollst wis- wollten«. Ferner werden folgende Themata behandelt: sen, dass es dort zwei Welten gibt, zum Lohn und zur Gleichheit und Unterschiede zwischen Menschen und En- Strafe«; das sittlich Positive der Welt: »Ich erschaffe sie eeln; die Erschaffung des Menschen aus Irdischem und durch Segenswort«; die Sonderstellung der Tora: »die Uberirdischem; das Gebot >seid fruchtbar und mehret Welt und ihre Fülle ist nur durch das Verdienst der Tora euch<. Der Überblick über die ersten acht Kapitel des Mi- geschaffen«; die Abhängigkeit menschlichen Wissens von drasch Genesis rabba zeigt, dass wir ein reiches Spektrum der Auslegung der Schrift: »und wenn das Schriftwort von Äusserungen vor uns haben, die sich auf das Thema sinnleer ist — dann liegt das an euch [eigenwillige Interpre- »der Mensch« beziehen. Das Panorama, das der Redak- tation des Verses Dtn 32, 47], weil ihr es nicht auszulegen teur vor unseren Augen entrollt, indem er dieses vielfälti- versteht«; die Minderwertigkeit des Menschen gegenüber ge Material an einer Stelle zusammenträgt, vermittelt uns den Engeln: »die Oberen leben, die Unteren sterben«; die ein überaus inhaltsreiches Bild unseres Themas. »Der Bestrafung der Erde um der Sünde des Menschen willen: Mensch« wird aus den verschiedensten Richtungen ange- »die Erde erwartet, dereinst das ihrige aus der Hand des gangen, woraus zu entnehmen ist, dass es gemäss dem jü- Menschen zu empfangen«; die Verfehlungen der Genera- dischen Denken, wie es sich uns im Midrasch Genesis rab- tionen vor Abraham: »da sprach der Heilige gelobt sei Er: ba darstellt, darum geht, das Thema des Menschen dyna- wie lange soll die Erde noch im Finstern wandeln, es kom- misch, aus dem raschen unablässigen Wechsel — auch me das Licht ( = Abraham)«; die Abhängigkeit der Erlö- Wiederkehr — der Aspekte zu erfassen. Das Wesen des sung von Taten der Umkehr: »auf was für Verdienst hin Menschen ist hier kein monothematisches. Wie im Leben, kommt sie zustande? . . . durch das Verdienst der Um- so verhält es sich auch im Denken: eine Sache jagt die an- kehr«; Gottes Vorliebe für die Taten der Gerechten: »an dere, ein Thema verdrängt das andere. den Taten der Gerechten hat er Wohlgefallen und nicht Ein monothematischer Zugang zum Thema »der an den Taten der Bösewichte«; die Belohnung der Ge- Mensch«, wie wir ihn im Midrasch Tanchuma antreffen rechten in der künftigen Welt: »das Licht, das an den werden, ist in hohem Masse statisch und lässt sich als ein sechs Tagen der Schöpfung erschaffen . . . ist verborgen Versuch bezeichnen, den Bereich der Beziehungen des für die Gerechten in der künftigen Welt«; der Mensch als Menschen und zum Menschen erheblich einzuengen. Die- Partner Gottes: »Von Anbeginn der Weltschöpfung be- ser Schluss beruht auf dem Vergleich der Arbeiten zweier gehrte der Heilige gelobt sei Er, sich Gemeinschaft zu Redakteure untereinander. Er ist nicht an sich aus den je- machen mit den Unteren«; die Prophetie des Menschen: weils für sich betrachteten Einzelaussprüchen hervorge- »manchmal vermögen die Erde und ihre Fülle seine Glorie gangen. Doch wer sich für die Thematik interessiert, aus nicht zu ertragen, manchmal spricht er zum Menschen der das Thema des Menschen, wie es uns in der rabbini- zwischen den Haaren seines Hauptes hervor«; die Ver- schen Literatur entgegentritt, zusammengesetzt ist, kann derbnis der Erde infolge der Verfehlung des ersten nicht umhin, die Art und Weise zu berücksichtigen, in der Menschenpaares: »Adam und Eva und die Schlange [wur- diese Thematik in den jeweiligen Quellen, mit denen er es den zur Rechenschaft gezogen], da wurde die Erde mit zu tun hat, erscheint. ihnen verderbt«; die Bestrafung der Übeltäter: »es gibt ein Das im Midrasch Tanchuma zum allgemeinen Thema Feuer, das aus dem Körper des Bösewichts ausfährt und »Weltschöpfung« angeführte Material ist, wie bereits an- ihn verbrennt«; die Fähigkeit der Gerechten, Wunder zu gedeutet, im Vergleich zu dem überaus reichen Material tun: »das sind die Gerechten, die Macht haben über das, in Genesis rabba thematisch und inhaltlich sehr viel enger was geschaffen zu erleuchten ( = den Mond)«. gefasst. In beiden Midraschim erscheint das Thema »der All dies sind Aussprüche, die direkt mit dem Menschen, Mensch« als zentraler Ausläufer des Gesamtkomplexes seiner Stellung, seiner moralischen Verpflichtung und sei- »Weltschöpfung«. Die Beschränkung in der Anführung ner Beziehung zu Gott und Welt zu tun haben. Darüber von Material, die sich der Verfasser des Midrasch Tan- hinaus liessen sich noch zahlreiche Äusserungen anfüh- chuma im Zusammenhang mit dem Thema der Weltschöp- ren, die ebenfalls mit dem Thema des Menschen zusam- fung auferlegt, wirkt sich auch auf den Themenbereich menhängen, allerdings indirekt, weshalb wir hier auf sie des Menschen aus, und da doch wohl anzunehmen ist, verzichtet haben. Nun kommen wir zu den Aussprüchen, dass die Fülle des Materials, die dem Redakteur von Ge- die zu dem Vers Gen 1, 26 gebracht werden (Gen r. nesis rabba vorlag, auch dem Redakteur von Midrasch VIII); dort werden folgende Punkte angesprochen: Be- Tanchuma zur Verfügung stand, kann die thematische Be- lohnung in der künftigen Welt: »wenn ein Mensch es ver- schränkung jeweils eigentlich kein Zufall, auch nicht aus- dient hat, geniesst er beide Welten . . . wenn nicht, wird er schliesslich literarisch bedingt sein. Hier stehen sich zwei zur Rechenschaft gezogen«; Adams ursprüngliche Ge- entgegengesetzte Denkansätze gegenüber: der eine weit stalt: »als Zwitter (androgynos) schuf er ihn . . . zwiege- ausgreifend, der andere eng begrenzt. Die Gründe dafür sichtig (dyprosopon) schuf er ihn . . . formlos (golem) schuf mögen historischer oder anderer Art sein. Von der Ent- er ihn, so dass er sich von einem Ende der Welt bis ans an- wicklung des jüdischen Denkens her betrachtet ist es al- dere erstreckte . . . die ganze Welt ausfüllend schuf er lerdings kein Zufall, dass der Schlüsselsatz im Midrasch ihn«; Beschränkung des menschlichen Forschens in bezug Tanchuma lautet: »Dies lehrt, dass die Welt einzig und al- auf die Erschaffung der Welt: »>seit man Menschen setzte lein auf die Tora gegründet ist, und der Heilige gelobt sei auf die Erde< (Hiob 20, 4) — vorher hast du nichts zu deu- Er hat sie Israel gegeben, auf dass es sich mit ihr und ih- ten«; die Beteiligung des göttlichen Erbarmens bei der Er- ren Geboten Tag und Nacht befasse«. Zwar klingen im schaffung des Menschen als Gegengewicht zur göttlichen Tanchuma auch andere Themen an, wie etwa Lohn und

./M 71 217 Strafe in der künftigen Welt und der Bestand der Welt — Der Versuch, eine »Theologie« des Midrasch Genesis rab- einschliesslich des Menschen — durch den Geist, aber das ba bzw. Tanchuma herauszuarbeiten, die das Gesamtgefü- Hauptaugenmerk ist doch auf den Menschen und dessen ge des Midrasch vom ersten bis zum letzten Kapitel um- Verpflichtung, Tora zu lernen und zu tun, gerichtet. Hier fasst, scheint uns ein müssiges Unterfangen. Mehr für sich wird kurz und treffend ein eindeutig pädagogisches Anlie- hat ein Versuch, die allgemeine theologische Auffassung gen vorgetragen, im Unterschied zu der gelehrten Man- eines bestimmten Midraschverfassers oder -redakteurs nigfaltigkeit des reichen gedanklichen Materials im Mi- herauszukristallisieren, wie sie in einzelnen fest umrisse- drasch Genesis rabba. Man könnte sagen, dass in der Ge- nen Einheiten innerhalb des betreffenden Midrasch zum schichte des jüdischen Denkens die Haltung des Tanchu- Ausdruck kommt. Dies scheint jedenfalls sehr viel aus- ma zum Thema des Menschen die Oberhand gewonnen sichtsreicher als die Suche nach der rabbinischen Theolo- hat — ein Befund, der noch eingehend geklärt und über- gie überhaupt. dacht sein will. Um die Vorzüge der hier vorgeschlagenen Methode im Auf den etwaigen Einwand, dieses Ergebnis sei doch et- Umgang mit rabbinischen Texten zur Gänze zu ermessen, was mager und die andere Methode habe schon ein- muss noch sehr viel exemplarische Forschungsarbeit gelei- drucksvollere Resultate gezeitigt, wäre etwa folgendes zu stet werden, zumal da die bisherigen Arbeiten in dieser erwidern: Wir haben ja gar nicht vor, der Beschäftigung Richtung sich mehr mit der Geschichte der Halacha als mit von hier und da zusammengetragenen rabbinischen mit den rein gedanklichen Inhalten befasst haben6. Aber Aussprüchen, einer Art nachträglicher Redaktion auf- eines lässt sich mit Sicherheit zugunsten unserer Methode grund der redaktionellen Tätigkeit anderer, von Grund anführen: Sie schafft keine Zusammenhänge und kon- auf die Berechtigung abzusprechen; zu dieser Methode struiert keine Modelle, die von vornherein nur das Werk gehört ein hohes Mass an Gelehrsamkeit, und sie hat sich der modernen Forschung sind. Ihr Gegenstand ist viel- unbestreitbar grosse Verdienste erworben. Allerdings dür- mehr das Material in seinem natürlichen Kontext, jeden- fen wir uns der Tatsache nicht verschliessen, dass die Tex- falls so, wie es der Redakteur, dessen Arbeit uns vorliegt, te der rabbinischen Literatur, so wie sie uns vorliegen, das dargestellt hat. Die Mannigfaltigkeit und der geistige Werk von Redakteuren sind und dass ihrer Abfassung be- Reichtum des rabbinischen Denkens können nur gewin- reits eine ganz bestimmte gedankliche Auffassung zugrun- nen, wenn sie nicht in von hier und da zusammengetrage- de liegt. Die Aufdeckung dieser Grundauffassung ist die nen Details betrachtet werden, sondern wie sie erschei- unabdingliche Vorbedingung für die Erhellung der Be- nen, in bewusst angelegten literarischen Einheiten, deren deutung der Details, der einzelnen Aussprüche, die in den Material unter dem Einfluss einer gedanklichen Konzep- uns vorliegenden Komplexen von Midrasch und Talmud tion steht. So stellen etwa die »Sprüche der Väter« ein rei- angeführt sind. Bisher ging man davon aus, dass solche ches Korpus von Aussprüchen zur Anthropologie dar. Aus Grundideen und Leitlinien im rabbinischen Denken durch einer Darstellung dieses allmählich gewachsenen Korpus Zusammenstellung und Untersuchung verstreuter Äusse- gewinnen wir wichtige Aufschlüsse nicht nur über die rungen zum jeweiligen Thema zu gewinnen seien. Das tannaitische Anthropologie, sondern auch über gewisse wollen wir auch gar nicht leugnen. Aber wir haben den Vorstellungen, die der Mischna Rabbi Judas des Fürsten Eindruck, dass die Betrachtung des rabbinischen Denkens insgesamt zugrunde liegen. So können wir etwa den Vor- in der Form, wie wir es aus den Händen der Redakteure stellungsgehalt der »Sprüche der Väter« mit dem von empfangen, die nicht nur für den Inhalt des Materials, das Genesis rabba, einem überwiegend amoräischen Werk, sie bringen, verantwortlich sind, sondern auch für dessen vergleichen und auf diese Weise viel über die allgemeine Formulierung, Bearbeitung sowie die Namen der jew-eili- Auffassung vom Menschen in den verschiedenen Genera- gen Sprecher, sträflich vernachlässigt worden ist. Nichts tionen der Meister lernen. Dies alles parallel zu und spricht gegen die Annahme der hier vorgeschlagenen Me- vielleicht vor einem Vergleich isolierter Aussprüche unter- thode, sofern sie den ihr zukommenden Stellenwert er- einander. Hier sind noch viel Arbeit und Mühe zu inve- hält: Sie will die andere Methode ausdrücklich weder wi- stieren; an dieser Stelle sollten zunächst nur die Wegmar- derlegen noch verdrängen. Unseres Erachtens hat sie ihre ken gesteckt werden, bevor der Weg selbst gebahnt und Notwendigkeit und ihre Berechtigung, aber das gilt eben- begangen werden kann. so für die andere Methode, deren zeitliche Priorität kein Zufall ist. Erst nachdem der allgemeine Charakter und die Ausrichtung des Materials in seinem jeweils primären 6 Entscheidende Schritte in diese Richtung hat J. Neusner in sei- Rahmen festgestellt sind, darf es in seine Bestandteile zer- nen zahlreichen Studien unternommen, auf die hier aus Raum- legt und diese untereinander verglichen werden. mangel nicht ausführlich eingegangen werden kann.

Rabbi Simon ben Eleazar sagte: So der böse Trieb: Womit ist der böse Trieb zu vergleichen'? Nur durch Worte der Tora kann man ihn zurechtbiegen. Mit Eisen, das man ins Feuer legt. Es heisst nämlich: »Ist mein Wort nicht wie Feuer? Solange das Eisen im Feuer ist, Spruch des Ewigen« (jer 23, 29) kann man jedes beliebige Gerät daraus schmieden. Pesikta deRav Kahana

218 I IM 8 II Der Bar-Kochba-Aufstand — seine Eigenart und seine Erforschung"/"" Von Aharon Oppenheimer, Professor für antike jüdische Geschichte an der Universität Tel Aviv

Der Bar-Kochba-Aufstand in den Jahren 132 - 135 nach ziehung des relevanten archäologischen Befunds zu re- der christlichen Zeitrechnung war der letzte ernsthafte konstruieren. Und all dies reicht doch nicht aus, um ein Versuch, die Autonomie des jüdischen Volkes in seinem klares und einigermassen vollständiges Bild vom Verlauf Land wiederherzustellen — bis hin zur Errichtung des des Aufstands zu gewinnen oder Kardinalfragen wie den Staates Israel. Dieser Aufstand zeichnete sich durch Einig- territorialen Umfang des Aufstands, das Schicksal der keit des Volkes und dessen Geschlossenheit um die Füh- Stadt Jerusalem in seinem Verlauf, Neubau des Tempels rerpersönlichkeit des Bar-Kochba aus, im Unterschied zu u. a. m. zu beantworten. den Bruderkriegen und den Kämpfen um die Vormacht- 2) Es war üblich, die Epoche des Exils in der jüdischen stellung, die für die früheren Revolten zur Zeit des Zwei- Geschichte mit der Zerstörung des Zweiten Tempels be- ten Tempels charakteristisch gewesen waren. Demzufolge ginnen zu lassen. Diese Auffassung beruht auf apologeti- war dies auch ein gewaltiger Aufstand, was Anzahl und scher Grundlage, insofern als die christlich-protestanti- Schlagkraft der Mitkämpfer betrifft, und zu seiner Nie- sche Forschung im neunzehnten und frühen zwanzigsten derschlagung waren die Römer gezwungen, Truppen im Jahrhundert bestrebt war, die Zerstörung des Zweiten Umfang von acht bis neun Legionen sowie zahlreiche Tempels als Bestrafung des jüdischen Volkes und entspre- Hilfstruppen, die aus den Weiten des Imperiums zusam- chend das Auftreten des Christentums als legitime Fort- mengebracht wurden, ins Land zu schicken, dazu ihren führung des Judentums darzustellen. Verständlicherweise grössten Feldherrn, Julius Severus, den Statthalter von erlaubte eine solche Auffassung keine Beschäftigung mit Britannien, ja es hat sogar den Anschein, als ob Kaiser dem Bar-Kochba-Aufstand, denn dieser zeugte ja von Hadrian höchstpersönlich eine Zeitlang den Oberbefehl politischer und militärischer Aktivität eindrucksvollen über die römischen Truppen geführt habe. Auch die Fol- Ausmasses — und das nur 62 Jahre nach der Tempelzerstö- gen des Aufstands waren schwerwiegender als die der frü- rung. In Wahrheit überwogen in der Zeit unmittelbar heren, nicht nur was die Anzahl der Getöteten, Verwun- nach der Tempelzerstörung die Merkmale der Freiheit die deten und in die Sklaverei verkauften Kriegsgefangenen Zeichen des Exils bei weitem. Insbesondere gilt dies für betrifft, sondern auch in bezug auf die harten Massnah- die Institutionen der Selbstverwaltung, die in den Händen men religiöser Verfolgung sowie die schwere wirtschaftli- der Gelehrten lagen und die das Leben der Nation nicht che Krise, die zu einer einschneidenden Dezimierung der nur in religiöser, sondern auch in wirtschaftlicher und Bevölkerung von Judäa und zur Verlegung des Zentrums kultureller Hinsicht regelten und infolgedessen eine natio- nach Galiläa führte und eine starke Abwanderungsbewe- nale Führung ersten Ranges darstellten, die sogar über die gung aus dem Land Israel in die Länder der Diaspora aus- Diasporajudenschaft eine gewisse Autorität ausübte. Die- löste. se Führung trug wesentlich zur Wiederaufrichtung des Ungeachtet dessen wurde dieser Aufstand von der histori- Volkes nach der Tempelzerstörung bei, wobei das durch schen Forschung lange Zeit vernachlässigt, und erst in den die Zerstörung entstandene Vakuum aufgefüllt werden letzten Jahren hat die wissenschaftliche Beschäftigung mit musste; dadurch ermöglichte sie ein religiös-nationales ihm einen Aufschwung genommen, begünstigt in nicht ge- Leben ohne Jerusalem und Tempel. Die Einigkeit des ringem Masse durch die Entdeckung der Bar-Kochba- Volks im Bar-Kochba-Aufstand sowie dessen militärische Briefe. Die mangelnde Beachtung des Bar-Kochba-Auf- und politische Stärke bilden den Höhepunkt dieses Vor- stands beruhte auf zwei Faktoren: gangs und spiegeln die Vitalität des Volks in den ersten 1) Wir besitzen keine zeitgenössische literarisch-histori- Generationen nach der Zerstörung des Zweiten Tempels sche Quelle, keine Beschreibung aus erster Hand. Anders wider. gesagt: diesem Aufstand fehlt sein Josephus, der in seinen Hinter dem Bar-Kochba-Aufstand steht die Entschlossen- Schriften eine ausführliche und sachkundige Schilderung heit, sich mit der römischen Herrschaft nicht abzufinden. des Krieges gegen die Römer in den Jahren 66-73 nach In den Tagen des Zweiten Tempels und in tannaitischer der christlichen Zeitrechnung bietet, in dessen Verlauf der Zeit verweigerten das jüdische Volk und seine Leiter jegli- Tempel zerstört wurde. cher heidnischen Herrschaft über das Land Israel die An- Ob des Fehlens einer solchen Quelle sieht sich die For- erkennung. Das Eintreiben von Steuern für die Obrigkeit schung gezwungen, den Bar-Kochba-Aufstand aus Mo- wurde als »Vergewaltigung« empfunden, und die römi- saiksteinchen fragmentarischer, gelegentlich widersprüch- schen Pachtherrn werden als »Bedränger« bezeichnet. Für licher, bisweilen tendenziöser Aussagen, die sich in der den Fall, dass die Regierung von ihr konfiszierten Grund talmudischen Literatur, in den Schriften römischer und Boden verkauft, gilt das Recht des sikarikon, wonach Schriftsteller, in den Werken der Kirchenväter und in den nur der ursprüngliche Eigentümer zum Kauf berechtigt samaritanischen Chroniken verstreut finden, unter Einbe- ist. Somit stellten die Gelehrten die Ablehnung der Fremd- herrschaft und die Negierung von deren Legitimität sogar * Einleitung zu einer hebräischen Sammlung von Beiträgen ver- höher als die Besiedlung des Landes, die doch auf ihrer schiedener Verfasser: The Bar-Kokhva Revolt, edt. by Aharon Werteskala einen sehr hohen Stellenwert hatte. Was auch Oppenheimer, Jerusalem, The Zalman Shazar Center, 1980, S. 9-21, englische Fassung in: Immanuel 14 (Frühjahr 1982), immer die Anlässe zum Bar-Kochba-Aufstand gewesen S. 58-76. Aus dem Hebräischen übersetzt von Dr. Dafna Mach, sein mögen — letzten Endes ist er aus der Weigerung des Jerusalem. jüdischen Volkes hervorgegangen, sich in ein helleni- ** Die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung dieser stisch-römisches Regime zu fügen, aus seinem nachdrück- deutschen Übersetzung des Beitrags verdanken wir dem Verfas- ser Dr. Oppenheimer und dem Zalman Shazar Center. (Die Red. lichen Streben nach Eigenständigkeit und Unabhängig- d. FrRu). keit.

/M 91 219 Vorspiele zum Bar-Kochha-Aufstand rias und Sepphoris, den zentralen Orten von Galiläa, Der Schlüssel zum Verständnis der Faktoren, die zum durch Entsendung einer weiteren Legion ins Land Israel, Bar-Kochba-Aufstand geführt haben, liegt zweifellos in zusätzlich zur zehnten, die in Jerusalem stationiert war, der richtigen Beurteilung der Entwicklungen im Land Is- sowie durch Errichtung von Lagern und Anlage von rael während der Diaspora-Revolte unter Trajan Strassen zum Gebrauch der römischen Truppen. Allem

(115 - 117 nach Chr.) sowie in der Zeit von da bis zum Anschein nach sind diese Massnahmen bereits in Ha- Bar-Kochba-Aufstand (117-132 nach Chr.) und im Erfas- drians erste Regierungsjahre zu datieren. Dies wird be- sen der Grundlinien hadrianischer Politik in den Provin- zeugt durch eine Stadtmünze von Tiberias, geprägt im zen überhaupt und speziell im Land Israel. Aber das Pro- Jahr 101 seit Gründung der Stadt ( = 119/120 n. Chr.), blem besteht ja gerade darin, dass eben diese Punkte mit auf welcher der Zeustempel abgebildet ist, der als Hadria- so vielen Fragezeichen versehen sind. neum gilt, sowie durch die Meilensteine aus dem Jahre Seit langem herrscht in der Forschung die Meinung, dass 120 n. Chr. an der Strecke Legio-Sepphoris und Akko- die Diaspora-Revolte unter Trajan — zumindest in Ägyp- Sepphoris. Der Ort Legio selbst ( = Kefar Othnai) in der ten, Kyrene und Libyen — mit einer messianischen Bewe- Nähe von Megiddo fungierte als Hauptstützpunkt der zu- gung und Erlösungshoffnung verbunden war. Die Quel- sätzlichen Legion, die Hadrian ins Land gebracht hatte. len erwähnen ausdrücklich eine messianische Gestalt, die Die jüdischen Bewohner von Tiberias und Sepphoris nah- in Kyrene an der Spitze des Aufstands stand und von dort men offenbar keinen Anstoss an Hadrians Aktionen; den nach Ägypten ging. Dies ist eine auffallende Parallele zum »Gewalttätigen« unter ihnen (wie sie in rabbinischer Phra- Bar-Kochba-Aufstand, dessen ausgesprochen messiani- seologie genannt werden), teilweise Mitgliedern der scher Charakter keines Beweises bedarf. Aufgrund der re- Stadtverwaltungen, waren sie vielleicht sogar willkom- lativen zeitlichen Nähe der beiden Aufstandsversuche und men. Diese Juden verfolgten assimilatorische Tendenzen, ihrer ähnlichen Ursachen stellt sich die Frage nach etwai- und es gab unter ihnen solche, die durch einen operativen gen Beziehungen zwischen ihnen. Dem ist folgende Frage Eingriff die Tatsache ihres Beschnittenseins zu vertuschen voranzuschicken: Wie kommt es-, dass sich zur Zeit der suchten. Die Vermutung liegt nahe, dass das Ausbleiben Diaspora-Revolte im Land Israel offenbar nur einzelne von Widerstand in Tiberias und Sepphoris, vielleicht so- Vorkommnisse von Terror und Rebellion ereigneten, die gar beifällige Äusserungen aus einer gewissen Bevölke- in der hebräischen Literatur als »Quietus-Streit« bezeich- rungsschicht, Hadrian zu dem Versuch ermutigte, auch net werden, nach Lucius Quietus, der an der blutigen Nie- Jerusalem in eine heidnische Stadt mit Zeustempel zu ver- derschlagung des Aufstands in Mesopotamien beteiligt wandeln. Allerdings würde man es sich mit der Annahme, war und später zum Statthalter über Palästina ernannt Hadrian habe gar nicht gewusst, dass er damit das Juden- wurde. Dagegen geschah es ausgerechnet unter Hadrian — tum antaste, sondern nur die aus den übrigen Provinzen der Quietus hinrichten liess und allgemein als aufgeklärter bekannte Taktik angewandt, wonach sich neben einem und friedliebender Kaiser gilt, der um des Friedens mit Militärstützpunkt eine Siedlung entwickelt, die gelegent- den Parthern willen sich bis zum Euphrat zurückzog — lich Stadtrecht erlangt, wohl zu einfach machen. Es ist dass im Land Israel der Bar-Kochba-Aufstand ausbrach. doch nicht anzunehmen, dass der vielgereiste und wis- In der talmudischen Literatur wird Hadrian einerseits als sensdurstige Hadrian nicht gemerkt haben sollte, dass sei- wissbegieriger Kaiser dargestellt, der sich mit Rabbi Jeho- ne Massnahme gegen das Judentum gerichtet war, ausser- schua ben Chanania unterhält und nach dem Wesen des dem ist die Errichtung einer Stadt rings um einen Militär- Judentums fragt, andererseits wird er mit dem Epheton stützpunkt, wodurch eine Legion mitten in eine römische Vehiq casamot (»mögen seine Knochen zermalmt wer- Kolonie zu liegen kommt — wie im Fall von Jerusalem — den«) belegt. Dies zeugt nicht so sehr von einem ambiva- ein Unikum in der römischen Geschichte. lenten Verhältnis zur Gestalt Hadrians als vielmehr von Der Ausbau von Jerusalem zu einer heidnischen Stadt war Enttäuschung und Ingrimm beim Volk auf Hadrians poli- der Hauptanlass zum Bar-Kochba-Aufstand. Zu beachten tische Schachzüge hin. Zu Beginn seiner Regierungszeit ist, dass die volle Durchführung dieses Ausbaus erst in die hatte er eine Reihe von Massnahmen ergriffen, die dazu Zeit nach dem Aufstand fällt, denn während desselben angetan waren, das Volk optimistisch zu stimmen und sei- war die Stadt ja in der Hand der Aufständischen, die si- ne Hoffnungen anzufachen. Er liess Lucius Quietus hin- cher von den römischen Bauten keinen Stein auf dem an- richten, unterstützte die alexandrinischen Juden, die den dern liessen. Möglicherweise war ein weiterer Anlass zum Diaspora-Aufstand überlebt hatten, erweckte' den Ein- Ausbruch des Aufstands ein Verbot der Beschneidung. druck, als interessierte er sich für Judentum, vielleicht ver- Aufgrund der Quellen lässt sich nicht eindeutig ausma- sprach er sogar den Wiederaufbau Jerusalems als jüdische chen, ob das Beschneidungsverbot dem Aufstand voraus- Stadt. Als sich nun herausstellte, dass Jerusalem als heidni- ging oder ob es in die Religionsverfolgung im Anschluss sche Stadt aufgebaut und statt des erhofften jüdischen an den Aufstand gehört. Tempels ein Heiligtum des Zeus darin errichtet wurde, .gingen die Wogen der Enttäuschung und Erbitterung ver- Die Vorbereitungen zum Aufitand ständlicherweise hoch, und daraus entsprang der Auf- Der Bar-Kochba-Aufstand brach nicht spontan aus, son- stand. dern war exakt vorbereitet. Die Aussagen des römischen Eine Analyse der wenigen Quellen über die Zeitspanne Historikers Cassius Dio, erhalten in den Auszügen des zwischen diesem und jenem Aufstand zusammen mit dem christlichen Mönchs Xiphilinus, bieten das zuverlässigste archäologischen Befund vermag der Forschung zu einem und umfassendste Zeugnis über den Bar-Kochba-Auf- teilweisen Verständnis der Vorgeschichte des Bar-Koch- stand. Unter anderem geben sie Auskunft über den Um- ba-Aufstands zu verhelfen. Es stellt sich heraus, dass be- fang der Vorbereitungen zum Aufstand. Über die Vorge- reits in dem Zeitraum zwischen diesem und jenem Auf- schichte des Bar-Kochba-Aufstands steht dort folgendes stand Fälle von anti-römischem Terror vorkamen, deren zu lesen (Cassius Dio, Römische Geschichte XLIX,

Anfänge vielleicht direkt in den Tagen des »Quietus- 11 - 15): Streits« zu suchen sind. Hadrian seinerseits unternahm be- 11. ... Hadrian zog durch Judäa nach Ägypten . . . reits in einem frühen Stadium Versuche, solche Vor- 12. Ein weder kleiner noch kurzer Krieg brach aus, kommnisse zu unterdrücken und zu verhüten. Dies äus- als Hadrian in Jerusalem anstelle der zerstörten Stadt sert sich bei der Regelung der Stadtverwaltung von Tibe- eine neue begründete, die er auch Aelia Capitolina

220 1 /M /0 nannte, und als er anstelle des Tempels Gottes einen strategische Lage von Betar günstig, aber im judäischen Zeustempel errichtete. Denn die Juden erregten sich Bergland hätten sich gewiss noch etliche weitere Orte fin- darüber, dass sich Fremde in ihrer Stadt niederliessen den lassen, die den Bedürfnissen der Aufständischen mehr und heidnische Tempel darin gebaut wurden. Sie ver- oder weniger entsprachen. Die Antwort auf diese Frage ist hielten sich ruhig, solange Hadrian in Ägypten und wohl darin zu suchen, dass Betar nicht nur die letzte Fe- dann in Syrien weilte. Aber sie fertigten die Waffen, stung der Aufständischen war, sondern auch ein wichtiges die er von ihnen produzieren liess, unzulänglich, auf jüdisches Zentrum während und schon vor dem Aufstand, dass sie selbst sie benützen könnten, nachdem die' um das sich ein erheblicher Teil der Aufstandsvorberei- Römer sie zurückgewiesen hätten. tungen konzentrierte. Quellen aus der talmudischen Lite- Als Hadrian sich entfernte, erhoben sich die Juden ratur ergeben, dass Betar in der Zeit vor dem Bar-Koch- offen gegen ihn. Die Juden hatten nicht den Mut, ba-Aufstand eine bedeutende jüdische Siedlung war. Al- sich einem frontalen Zusammenstoss mit den Rö- lem Anschein nach wurde dorthin der Sanhedrin bereits mern auszusetzen. Sie besetzten die günstigen Plätze im Hinblick auf den Aufstand verlagert, dort sass auch des Landes und befestigten diese durch unterirdische Rabban Schimon ben Gamliel, der dann nach dem Auf- Systeme und Mauern, damit sie ihnen im Belage- stand als Vorsitzender des Sanhedrins fungieren sollte, rungsfall als Schlupfwinkel dienten und auch damit und mit ihm weitere Personen aus der Fürstenfamilie. Die sie sich im Geheimen unterirdisch aufeinander zube- Befestigung und Verstärkung von Betar im Rahmen der wegen könnten. Sie brachten in den unterirdischen Aufstandsvorbereitungen und die Verlegung von Füh- Strassensystemen Öffnungen an, damit Luft und rungsgremien dorthin hängen zweifellos mit seiner Licht Zutritt hätten. geographischen Nähe zu Jerusalem zusammen, dessen Aus den Worten des Cassius Dio ist einiges über die Vor- Befreiung den Hauptanlass zum Ausbruch des Aufstands kehrungen zu entnehmen, welche die Juden im Hinblick bildete. auf den Aufstand trafen: Produktion von Waffen, die Manche Forscher vermuten einen Zusammenhang zwi- dem römischen Rüstungsstandard nicht entsprachen, da- schen Rabbi Akibas zahlreichen Reisen in die Diaspora mit diese als untauglich zurückgewiesen würden und so- und den Vorbereitungen zum Bar-Kochba-Aufstand. Die- mit für Eigengebrauch zur Verfügung ständen; Aushe- se Forscher verknüpfen Rabbi Akibas Beteiligung am Bar- bung von Festungsanlagen, raffinierten unterirdischen Kochba-Aufstand mit der häufigen Erwähnung seiner Schlupfwinkeln und Errichtung von Festungen; Wahl des Reisen und meinen, seine Auslandsreisen seien dazu be- Zeitpunkts so, dass der Aufstand erst ausbräche, nachdem stimmt gewesen, finanzielle und personelle Unterstützung Hadrian und sein Gefolge den Umkreis des Landes Israel für den Aufstand zu werben. Diese Auffassung entbehrt bereits verlassen hätten. Auf den ersten Blick entsteht der jeglicher Grundlage, denn bei den Berichten über die Rei- Eindruck, dass Cassius Dio bei diesen Schilderungen et- sen findet sich keinerlei Hinweis darauf, dass sie irgend- was übertreibt, um eine plausible Erklärung für die Mühe wie von den üblichen Zwecken solcher Reisen abgewi- zu bieten, die die Römer mit der Niederschlagung des chen wären, als da sind: Besuche bei jüdischen Gemein- Aufstands hatten. Insbesondere gilt dies für die detaillier- den, öffentliche Predigten, Entscheidung halachischer ten Angaben über die Anlage von Festungen und unterir- Zweifelsfälle u. ä. Ausserdem unternimmt Rabbi Akiba ei- dischen Systemen. Aber der archäologische Befund, der nen Teil dieser Reisen innerhalb einer Gesandtschaft un- im Bereich des Aufstands nach und nach zutage tritt, fügt ter Leitung von Rabban Gamliel, der höchstwahrschein- sich erstaunlich gut zum Bericht des Cassius Dio und be- lich vor dem Jahr 115 n. Chr. starb. Und es ist doch kaum stätigt ihn. In Herodeion, allem Anschein nach dem Ver- anzunehmen, dass jemand den Bar-Kochba-Aufstand waltungszentrum der Aufständischen, und in Kefar Arub noch vor der Diaspora-Revolte unter Trajan vorbereitet (an der Strasse von Bethlehem nach Hebron), das man haben sollte. Vermutlich ist die häufige Erwähnung und wahrscheinlich mit dem in den Briefen erwähnten Ort Beschreibung von Rabbi Akibas Reisen auf dessen zentra- Kirjat Arbaia identifizieren darf, wurden Grabensysteme le Stellung zurückzuführen; zu beachten ist, dass die mit Fundmaterial aus der Zeit des Bar-Kochba-Aufstands Quellen halachische Entscheidungen, Predigten und Aus- aufgedeckt. In Chirbet Naqiq, Chirbet Aitun, Chirbet Ki- sprüche von Rabbi Akiba in ähnlich hohem Masse ver- schor und anderen Orten, wenige Kilometer südlich von zeichnen und überhaupt dazu neigen, alles, was mit seiner Amazia, wurden unterirdische Grabensysteme gefuriden, Wirksamkeit zusammenhängt, stark hervorzuheben. teilweise mit Luftlöchern, und darin einbezogen Vorrats- und Wohnräume, Zisternen und Höhlen, alles unterir- Bar-Kochba, der Führer des Aufstands disch. Die Datierung dieser Anlagen in die Zeit des Bar- Der Rang, den Bar-Kochba in der Geschichte des Auf- Kochba-Aufstands liegt überaus nahe. Diese unterirdi- stands einnimmt, geht weit über den eines Feldherrn hin- schen Anlagen, die mit den Wohngebäuden der betreffen- aus. Bar-Kochba leitet das Leben der Nation, und der Ti- den Ortschaften verbunden waren, ermöglichen zweifel- tel, der ihm beigelegt wird, ist der eines Königs, genauer los geheime Aktionen im Notfall. Es ist kaum anzuneh- gesagt: des Königs Messias. Der Talmud spricht vom men, dass solche Anlagen im Gedränge des eigentlichen »Königtum des Ben Kosiba«, und auf den Münzen und in Aufstands errichtet wurden, vielmehr bestätigen sie die Briefen findet sich der Titel »Fürst«, der einen idealen Kö- Aussage, dass solche im Rahmen der Aufstandsvorberei- nig bezeichnen soll, im Sinne des Fürsten in den Endzeit- tungen angelegt wurden. visionen bei Hesekiel. Die kühnste Äusserung über Bar- Auch Betar gehört mit in die Aufstandsvorbereitungen Kochbas Rang stammt aus dem Munde von Rabbi Akiba: hinein. Dieser Ort wird mit dem arabischen Dorf Batir »Es lehrte R. Schimon ben Jochai: Akiba mein Meister identifiziert, etwa zehn Kilometer südwestlich von Jerusa- pflegte auszulegen: >aufgeht ein Stern (hebr.: kochab) aus lem gelegen. Im Nordwesten des Dorfes erhebt sich eine Jakob< (Num 24, 17) — aufgeht Kosba aus Jakob; wenn steile Anhöhe mit einem Trümmerfeld, das bei den Ara- Rabbi Akiba Bar Kosba sah, pflegte er zu sagen: dies ist bern Chirbet al-jahud (= Trümmerstätte der Juden) der König Messias« (jTaaniot IV [68d]). heisst. Was die Funktion von Betar im Zuge des Bar- Aus den Änderungen über Bar-Kochbas Tätigkeit geht Kochba-Aufstands betrifft, so ist die Schlüsselfrage die: hervor, dass er Führungsfunktionen in verschiedenen Le- Warum wurde gerade dieser Ort zum Stützpunkt der bensbereichen wahrgenommen hat. In den Briefen steht Aufständischen gewählt? In der Tat ist die topographisch- zu lesen, wie Bar-Kochba sich um Feststräusse zum Laub-

IM 11 I 221 hüttenfest kümmert, Grund und Boden verpachtet, der bis der Kampfhandlungen seine Stärke konzentriert erschien. dahin offenbar in römischer Hand war, davon die Zehn- Die Briefe geben Aufschluss über Bar-Kochba als Befehls- ten einzieht, u. a. m. Bar-Kochbas fester Wohnsitz, sofern haber. Sie bieten kein umfassendes und detailliertes Bild er während des Aufstands überhaupt einen solchen hatte, vom Verlauf des Aufstands; vielmehr werfen sie Streiflich- war mit ziemlicher Sicherheit Herodeion, das schon frü- ter auf einzelne Vorkommnisse des Alltags. Ein Beispiel her Distrikthauptstadt war und während des Aufstands als dafür ist ein im Nahal Hever gefundener Brief, in dem Bar-Kochbas Verwaltungszentrum fungierte. Bar-Kochba seine Untergebenen in Ein Gedi beschuldigt: Die Hauptfrage, die sich in bezug auf Bar-Kochbas Füh- »Ihr sitzt da in aller Ruhe, esst und trinkt von den Gütern rungsposition erhebt, ist die, dank welcher Eigenschaften Israels und sorgt in keiner Weise für eure Brüder. [. . .] und Fähigkeiten er in den Rang eines messianischen Kö- das Schiff, das bei euch im Hafen liegt«. Ein Gedi fungier- nigs aufstieg. Bekanntlich lag die Leitung des Volk in der te als Hafen für die Aufständischen; Bar-Kochba macht Epoche nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in den seinen dortigen Untergebenen Vorwürfe, sie kümmerten Händen der Gelehrten. Es gibt aber keinerlei Anhalts- sich nicht rasch genug um die Ladung eines Schiffes, das punkt dafür, dass Bar-Kochba ein Schriftgelehrter gewe- vermutlich vom Süden oder Osten des Toten Meeres ge- sen wäre, in seinem Namen werden keine rabbinischen kommen war, und die Fracht war zweifellos für seine Verordnungen, halachischen Entscheidungen, Predigten Truppen an der Front bestimmt. In einem anderen Brief, oder rabbinischen Aussprüche überliefert. der im Wadi Murabaat gefunden wurde, droht Bar-Koch- Die Gestalt Bar-Kochbas ist historisch in so dichten Nebel ba den Leuten einer seiner Truppen unter dem Oberbefehl gehüllt, dass bis zur Entdeckung der Briefe nicht einmal von Jeschua ben Gulgola, er werde »ihre Füsse in Fesseln sein Name klar war. Nicht alle Forscher identifizieren den schlagen«, wie er bereits einem anderen getan habe. Ganz Namen Simon, der auf den Aufstandsmünzen vorkommt, offenkundig wurden diese und ähnliche Briefe nicht erst mit Bar-Kochba, manche vermuteten dahinter Simon ben in einem Stadium verfaist, als die Lage der Aufständi- Gamliel, der nach dem Aufstand Vorsitzender des San- schen aussichtslos war, sondern sie geben Zustände wie- hedrins war. Viele meinten, Bar-Kochba (= Sternensohn) der, wie sie bei Militäreinheiten im Kriegszustand üblich sei die ursprüngliche Namensform des Führers des Auf- waren und sind, und in ihnen erscheint .Bar-Kochba als stands, und Bar-Kosba ( Lügensohn) sei ein ihm erst ein Feldherr, der weiss, dass der Weg zum Erfolg über nach Scheitern seiner Mission beigelegter Schimpfname. Sorgfalt im Detail führt. Anhand der Bar-Kochba-Briefe, darunter einige persönli- Eine umstrittene Frage ist das Verhältnis der Gelehrten che Schreiben von ihm selbst, die er als »Simon ben Kos- zum Bar-Kochba-Aufstand überhaupt und zur Gestalt ba« unterzeichnet, hat sich herausgestellt, was sein eigent- Bar-Kochbas speziell. In der talmudischen Literatur findet licher Name war. Demnach war also gerade »Bar-Koch- sich einerseits Rabbi Akibas Votum, der Bar-Kochba als ba« ( = Sternensohn) ein Beiname, den offenbar Rabbi messianischen König proklamiert, andererseits auch die Akiba ihm verliehen hatte, indem er den Vers Num 24, Aussage, die Gelehrten selbst hätten Bar-Kochba getötet, 17, der gern auf Führerpersönlichkeiten angewandt wur- nachdem sie ihn geprüft und festgestellt hätten, dass er de, auf ihn deutete (vgl. CD VII, 19 f.). Man kann allen- über keine messianische Qualifikation verfügte. Zu lösen falls noch Unterschiede finden zwischen der Schreibung ist dieser Widerspruch sicher durch die Unterscheidung des Namens »Kosba« mit stimmhaftem S (von der hebräi- zwischen Quellen, die das Verhältnis von Gelehrten zu schen Verbalwurzel für »Lüge, Täuschung« abgeleitet) Bar-Kochba während des Aufstands wiedergeben, und bzw. mit stimmlosem S (die von ihm selbst angewandte solchen, in welchen sich nachträglich eine kritische Hal- Schreibung, wonach der Name keine Etymologie hat); tung äussert. Mehrfach überliefert findet sich ein Aus- demnach wäre Bar-Kochba der Beiname zur Zeit seiner spruch von Bar-Kochba, wonach er gesagt habe : »Herr Grösse und Bar-Kosba (mit stimmhaftem S) der Beiname der Welt, unterstütze mich nicht und blamiere mich nach seinem Scheitern. nicht«, d. h. Bar-Kochba habe sich angemasst, ohne göttli- Die Aussagen der talmudischen Literatur heben Bar- che Hilfe auszukommen, sofern nur kein göttlicher Wi- Kochbas ungewöhnliche Körperkraft hervor, so z. B.: derstand erfolge. Ein solcher Ausspruch im Munde von

»Und was pflegte Bar-Kosba zu tun? Er fing Schleuder- Bar- Kochba, der sich doch Rabbi Akibas uneingeschränk- steine mit dem Knie auf, warf sie und tötete damit etliche ter Zustimmung erfreute, klingt höchst unglaubwürdig Menschen« (Thr. r. II 4). Demzufolge hätte Bar-Kochba und muss wohl als anachronistische Formulierung gewer- Geschosse aus römischen Schleudermaschinen mit seinem tet werden zwecks nachträglicher Rechtfertigung des Körper aufgefangen und auf die Angreifer zurückge- Fehlschlags. schleudert. Aus den Äusserungen über Bar-Kochba ergibt Unter den Quellen, die das Verhältnis von Gelehrten zu sich das Gesamtbild einer charismatischen Führergestalt. Bar-Kochba während des Aufstands wiedergeben, finden Daraus erldärt sich auch das Fehlen jeglicher Angaben sich nur zwei Gegenstimmen. Da ist zum einen die Erwi- über seine Herkunft und seine Position vor dem Aufstand, derung von Rabbi Jochanan ben Torta an Rabbi Akiba denn das Auftreten einer charismatischen Führergestalt in »Akiba, aus deinen Wangen wird Gras wachsen, und der kritischer Situation sprengt schon als solches die her- Davidssohn ist immer noch nicht da« (jTaaniot IV [68 d]). kömmlichen hierarchischen und sozialen Ordnungen. Daraus lässt sich nichts über Rabbi Jochanan ben Tortas Charakteristisch dafür sind auch die legendären Berichte Einstellung zum Aufstand überhaupt ableiten, er war nur über Bar-Kochbas Tod, der nicht von Menschenhand ver- dagegen, in Bar-Kochba geradezu den messianischen Kö- ursacht gewesen sei. Charismatischen Führergestalten nig sehen zu wollen. Zum andern gibt es den Bericht vom wird in der Regel kein natürlicher Tod zugestanden. In Ende Betars, wo von Rabbi Elasar haModai die Rede ist, einer der Versionen heisst es, man habe Bar-Kochba tot der in Sack und Asche sass, Tag für Tag betete und aufgefunden mit einer um sein Knie gewundenen Schlan- sprach: >Herr der Welten, sitz heut nicht zu Gericht, sitz ge. Dies erinnert an die Erzählung von Simson — zweifel- heut nicht zu Gericht.<« (jTaaniot ebd.) Manche wollen los eine der hervorstechendsten charismatischen Führer- Rabbi Elasar haModai mit Elasar dem Priester identifizie- gestalten der Bibel — der mit dem Verlust seines Haupt- ren, der auf den Münzen des Bar-Kochba-Staats vor- haares seine legendäre Körperkraft eingebüsst haben soll. kommt. Das ist nicht ausgeschlossen, denn das Verhalten Auch Bar-Kochbas Tod wird mit einer Verletzung des von Rabbi Elasar im belagerten Betar gehört ja zweifellos Körperglieds in Verbindung gebracht, in dem während auf den Hintergrund und in die Atmosphäre der letzten

222 I IM 12 Aufstandstage. Von daher wäre es durchaus verständlich, das offenkundigste Zeichen für die Erneuerung der politi- wenn ein Gelehrter, der neben Bar-Kochba als Regie- schen Autonomie. Dies kommt besonders deutlich zum rungsinstanz fungierte, Anzeichen von Verzweiflung Ausdruck auf den Aufstandsmürizen, auf über der Hälfte zeigte in einer Situation, als der Fall von Betar nurmehr von deren Werten — aus allen drei Jahren des Aufstands — eine Frage von Tagen war. der Name Jerusalem steht oder die Aufschrift: Für die Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass die Position Freiheit Jerusalems. Es ist ziemlich sicher anzunehmen, von Rabbi Akiba, der mit Recht als geistiger Führer des dass die Aufständischen Jerusalem eroberten, sehr viel Aufstands gilt, durchaus repäsentativ ist für die unter den fraglicher ist es, wie weit es Bar-Kochba und seinen Leu- Gelehrten verbreitete Haltung zum Aufstand und zu sei- ten gelang, die Stadt und insbesondere den Tempel wie- nem Anführer. Nur die Annahme einer uneingeschränk- der aufzubauen. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass ten Unterstützung durch die Gelehrtenführung vermag Herodeion das Verwaltungszentrum des Aufstands war die Stosskraft des Aufstands und die Geschlossenheit, mit und die Hauptfestung der Aufständischen in Betar lag; so der das Volk hinter Bar-Kochbas Führung stand, plausi- entsteht der Eindruck, als hätten die Aufständischen nicht bel zu machen. Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei die Zeit gehabt, die Stadt Jerusalem aus den Trümmern den 24 000 »Schülern«, die Rabbi Akiba gehabt haben neu erstehen zu lassen. Es gibt keine eindeutige Aussage, soll, nicht um Gelehrtenschüler — so viele hätte keiner der was den Wiederaufbau des Tempels und die Wiederauf- damaligen Gelehrten um sich versammeln können —, son- nahme des Tempeldienstes betrifft. Die Münze mit der dern um Mitkämpfer am Aufstand auf Rabbi Akibas Ge- Tempelfront besagt nicht unbedingt, dass der Tempel heiss. Eine Bestätigung dafür findet sich im Schreiben des wiederaufgebaut worden wäre, es könnte sich auch um Raw Scherira Gaon (Ed. B. Lewin, S. 13): »Rabbi Akiba ein Wunschbild handeln. Zweifellos war der Neubau des stellte viele Schüler auf, und es geschah eine Verheerung Tempels eines der Hauptanliegen der Aufständischen, unter den Schülern des Rabbi Akiba . . .« — die dort ge- aber allem Anschein nach kamen sie unter dem Druck der brauchte Vokabel »Verheerung« (Schemad) bedeutet in Kampfhandlungen nicht dazu. der Regel gewaltsamen Tod durch die Obrigkeit. Die Erforschung des Bar-Kochba-Aufstands hat noch Maimonides schildert den Bar-Kochba-Aufstand folgen- nicht zu voller Klarheit geführt, was das territoriale Aus- dermassen: »Rabbi Akiba war nämlich ein grosser unter mass des Aufstands betrifft. Die Grundfrage dieses Pro- den Gelehrten der Mischna, und er war der Waffenträger blems ist die, ob sich der Aufstand auf Judäa beschränkte des Königs Bar Kosba, und er pflegte von ihm zu sagen, oder auch auf Galiläa und transjordanische Gebiete aus- er sei der König Messias; er und alle Gelehrten seiner Ge- gedehnt hatte. Gelegentlich ist die Identifizierung der in neration meinten, er sei der König Messias, bis er um der den Quellen zum Bar-Kochba-Aufstand genannten Orts- Übertretungen willen getötet wurde« (Mischne Tora, Se- namen schwierig. So z. B. der Ort Kefar Charuba, wo der fer Schoftim, Hilchot Melachim XI 3). Vermutlich hatte Aufstand ausgebrochen sein soll, den einige mit Kefar Maimonides die Information, Rabbi Akiba sei der »Waf- Charub südlich von Susita, andere wieder mit einem Ort fenträger« Bar-Kochbas gewesen, aus Quellen, die nicht gleichen Namens zwischen Lod und Schaalabim identifi- auf uns gekommen sind. Offenbar erwähnt Maimonides zieren. Entscheidendes Gewicht kommt dem Umstand zu, den Bar-Kochba-Aufstand, um seine Zeitgenossen, die das,, Judäa nach dem Aufstand nahezu völlig in Trüm- teilweise pseudomessianischen Gestalten nachliefen, zu mern liegt, ein Teil der Überlebenden nach Galiläa flüch- warnen. tet, wohin auch die Führungsinstitutionen auf Dauer ver- legt werden. Zwar gibt es Belege für einzelne Fälle von Zum Verlauf des Aufstands Rebellion in Galiläa, auch von Strafaktionen der Römer Die literarischen Quellen und der archäologische Befund dort wird berichtet, auch finden sich Galiläer unter Bar- zusammen bieten keine Möglichkeit, ein vollkommenes Kochbas Kriegern; aber zu einer Judäa vergleichbaren Er- Bild vom Verlauf des Aufstands zu entwerfen. Versuche hebung im grossen Stile scheint es in Galiläa nicht gekom- einer detaillierten Schilderung beruhen zum grossen Teil men zu sein. auf Vermutung. Wer auf so unsicherem Grund nicht bau- Da erhebt sich natürlich die Frage, weshalb Galiläa nicht en möchte, der muss sich wohl mit einer allgemeinen ebenso wie Judäa revoltierte. Dies ist um so befremdli- Skizze begnügen, in der einzelne Punkte besonders aus- cher, als zu jener Zeit erwiesenermassen keinerlei Unter- geleuchtet sein können. schied im Charakter der judäischen bzw. galiläischen Be- Überaus spärlich sind die Zeugnisse über die ersten Etap- völkerung bestand. Der Hauptgrund ist wohl darin zu se- pen des Aufstands, denn Cassius Dio — der Hauptge- hen, dass Galiläa von Jerusalem, Anlass und Ursache des währsmann für die Geschichte des Aufstands — geht dar- Aufstands, relativ weit entfernt war. Ausserdem ist zu be- auf kaum ein, vermutlich weil damals die Aufständischen obachten, dass Galiläa schon einige Zeit vor Ausbruch des die Überlegenen waren. Aufstands unter so scharfer römischer Kontrolle stand, Zu Beginn des Aufstands fügten die Aufständischen der dass eine komplette Revolte schlechterdings unmöglich Zehnten Legion (Phratensis), die in Jerusalem stationiert war. Besonderen Wert legten die Römer auf Schaffung ei- war, offenbar erhebliche Verluste zu. Die Überreste die- ner Pufferzone zwischen Galiläa und Samarien, wodurch ser Legion ergriffen die Flucht und Jerusalem fiel in die die Bildung einer durchgehenden Front vereitelt und aus- Hand der Aufständischen. Auch weitere Legionen oder serdem der Zugang nach Judäa abgeschnitten wurde. Als Teile von solchen, die aus den Nachbarprovinzen herbei- Beleg dafür können zwei neuerrichtete Lager dienen, das beordert wurden, erlitten Verluste. Besonders hart getrof- eine in Legio bei Megiddo für die von Hadrian ins Land fen wurde die aus Ägypten herbeigerufene 22. Legion gebrachte zusätzliche Legion, das andere in Tell Schalem (Deiotariana): sie wird nach dem Bar-Kochba-Aufstand (ca. 6 km südlich von Bet-Schean), das allem Anschein schriftlich überhaupt nicht mehr erwähnt, wurde also ent- nach auch schon aus der Zeit vor dem Aufstand stammt. weder völlig aufgerieben oder wegen Unfähigkeit aufge- Cassius Dio schildert den weiteren Verlauf des Aufstands löst und aus der Liste der römischen Legionen gestrichen. wie folgt: Zweifellos war die Eroberung Jerusalems eine Art Höhe- 13. Zunächst beachteten die Römer die Juden nicht. punkt des Aufstands, denn der Hauptanlass zum Aufstand Erst als ganz Judäa in Aufruhr war, die Juden an al- war ja der Ausbau Jerusalems zur heidnischen Stadt Aelia len Ecken des Landes Unruhen stifteten und zahlrei- Capitolina gewesen, und die Befreiung Jerusalems war che Übeltaten sowohl im Verborgenen als auch öf-

IM 131223 fentlich begingen, sich den Juden auch viele andere hauene lateinische Inschrift erwähnt die Zenturionen von aus der heidnischen Bevlkerung aus Gewinnstreben den Gesandtschaften der fünften, der makedonischen, anschlossen — ja man kann sagen, als die ganze Welt und der elften, der claudischen Legion; dies sind die Le- in Bewegung war, da entsandte Hadrian zu ihnen die gionen, die zur Niederschlagung des Bar-Kochba-Auf- besten unter seinen Feldherrn, an ihrer Spitze Julius stands aus dem Balkan herangeholt worden waren. Die Severus aus Britannien, wo er Statthalter gewesen tannaitische Überlieferung verlegt das Datum der Einnah- war, gegen die Juden. Er liess sich nirgends in eine me von Betar auf den 9. Ab (MTaanit FV 6). Ob dieses offene Auseinandersetzung mit ihnen ein, da er ihre Datum nun historisch ist oder nicht — klar erkennbar ist grosse Zahl und ihren verzweifelten Mut wahrnahm. die Tendenz, den Fall von Betar auf dieselbe Stufe zu stel- Dank der grossen Zahl seiner Soldaten und seiner len wie die Zerstörung des Zweiten Tempels. Unterbefehlshaber gelang es ihm, sie gruppenweise Eine Art Epilog zum Bar-Kochba-Aufstand bildet der zu fassen, ihre Nachschubwege einzukreisen und zu Versuch der Bar-Kochba-Anhänger in der Gegend von unterbinden. Dadurch vermochte er es allmählich Ein-Gedi, sich in die schwer zugänglichen Höhlen in den und unter geringem eigenem Risiko, sie zu ermüden, Felsspalten der Wadis, die sich von der Wüste Juda bis ans zu schwächen und zu vernichten. Faktisch entrannen Tote Meer erstreckten, zu flüchten. Das Schicksal der nur sehr wenige von ihnen. Höhlenflüchtlinge ähnelte in gewisser Weise dem der Diese Ausführungen machen einen zuverlässigen Ein- Kämpfer von Mazada im Anschluss an den jüdischen druck, was die letzten Etappen des Bar-Kochba-Auf- Krieg der Jahre 66-70: Ihr Versteck wurde von den Rö- stands betrifft. Offenbar hatte Julius Severus aus den Feh- mern entdeckt, die es zwar nicht überfallen konnten, aber lern seiner Vorgänger gelernt und vermied das Wagnis ei- Lager errichteten, deren Überreste bis heute bei den Höh- nes frontalen Angriffs auf die Aufständischen, sondern len vom Wadi Hever zu sehen sind; sie schnitten den Ein- kreiste sie langsam ein und rückte ihnen Schritt für Schritt geschlossenen somit die Zufahrtswege ab und hungerten auf den Leib. Die Befolgung dieser Taktik wird auch sie dadurch aus. durch Äusserungen der talmudischen Quellen bestätigt, wo davon die Rede ist, dass die Römer Festungen und Etwaige Mitkämpfer Bar-Kochbas von ausserhalb Stellungen errichteten, um die Truppenverbände der Auf- Die Ausführungen bei Cassius Dio erwecken den Ein- ständischen einzukreisen und gruppenweise abzufangen, druck, als hätten sich Juden aus der Diaspora und Teile so z. B.: Hadrianus — zermalmt werden seine Gebeine! — der heidnischen Bevölkerung des Landes den aufständi- postierte drei Wachen, eine in Hammata ( = Emmaus), schen Truppen angeschlossen. Was die Diasporajuden be- die andere in Kefar Lakitia und noch eine im judäischen trifft, so ist wohl kaum anzunehmen, dass sie aktiv am Bet El, denn er sagte sich : wer der ersten entkommt, wird Aufstand beteiligt waren. Die harten Folgen der Diaspo- von der nächsten gefasst, und wer der nächsten ent- ra-Revolte unter Trajan hatten zur nahezu völligen Auflö- kommt, wird von der dritten gefasst (Thr. r. I 45; vgl. Ed. sung der jüdischen Gemeinwesen in den Judäa benachbar- Buber, S. 82). ten römischen Provinzen geführt. Die religiöse Verfol- Die von Julius Severus angewandte Methode erwies sich gung im Anschluss an den Bar-Kochba-Aufstand betraf als erfolgreich, und schliesslich wurden die aufständisQben nicht die Juden in der Diaspora, sondern ausschliesslich Truppen nach Betar abgedrängt, das von den Römern so- die palästinischen; daraus darf man doch wohl schliessen, gleich heftig belagert wurde. Die Belagerung von Betar ist dass die Beteiligung von Diaspora-Juden am Aufstand das letzte entscheidende Stadium des Aufstands und hat nicht erheblich gewesen sein kann. Genauer betrachtet als solches tiefen Eindruck in der talmudischen Literatur bieten auch die Worte des Cassius Dio keinen sicheren hinterlassen. An einer Stelle heisst es dort: »dreieinhalb Anhalt für die Beteiligung von Diaspora-Juden am Auf- Jahre lang umzingelte Hadrian Bettar« (jTaaniot IV [68 stand, denn er spricht davon, dass »Juden an allen Enden d]) — in den palästinischen Quellen lautet der Name des des Landes« (0i dotavtaxou yfg "IouSatot) Unruhe er- Ortes Bettar, während Betar offenbar die aramäisch abge- regt hätten, wobei die griechische Vokabel für »Land« kürzte Form desselben ist, ähnlich wie Besan für Bet- auch »Erde« bedeuten kann, wonach also Juden von allen Schean — d. h. die Dauer des gesamten Bar-Kochba-Auf- Enden der Erde mitgekämpft hätten, was aber sehr viel stands wird auf die Belagerung von Betar übertragen. weniger wahrscheinlich ist, als dass Juden aus allen Teilen Selbstverständlich sind solche Angaben übertrieben, aber des Landes Israel beteiligt waren. Was Cassius Dio von sie zeigen, welchen Stellenwert der Fall von Betar für die heidnischen Bewohnern des Landes berichtet, die auf sei- Aufständischen hatte. ten Bar-Kochbas gegen die Römer mitgekämpft hätten, In der tannaitischen Literatur findet sich eine Äusserung leuchtet durchaus ein. Man kann sich ohne weiteres vor- zur Belagerung von Betar: »Ein weiterer Fall: sechzig stellen, dass gewisse Elemente aus der heidnischen Bevöl- Männer waren zum Entsatz von Bettar hinabgezogen und kerung des Landes mit den Aufständischen gemeinsame keiner von ihnen kam wieder; als die Sache vor die Ge- Sache machten, zumal solange diese die Oberhand hatten, lehrten kam, erlaubten sie deren Frauen die Wiederheirat« wobei ihre Beweggründe Aussicht auf Gewinn und Beute (TJewamot FV 8). gewesen sein dürften. Im Zusammenhang dieser Halacha geht es um die etwaige Ungleich komplexer ist die Frage nach einer etwaigen Be- Wiederverheiratung von Frauen, deren Männer verschol- teiligung der Samaritaner am Bar-Kochba-Aufstand. In len sind, und sozusagen nebenbei fliesst eine Information gewisser Hinsicht glich das Schicksal der Samaritaner zu über die Belagerung von Betar mit ein. Offenbar versuch- jener Zeit dem der Juden. Es gibt Belege dafür, dass auch ten die Belagerten, die Belagerung zu durchbrechen, ei- über die Samaritaner das Beschneidungsverbot verhängt nen Ausfall auf die römischen Truppen zu unternehmen und dass auf dem Berge Garizim ein heidnischer Tempel oder doch wenigstens eine Verbindung zur Aussenwelt errichtet wurde; aber es ist nicht ldar, ob die Samaritaner herzustellen. Reste der römischen Umwallung sind erhal- daraufhin gegen die Römer rebellierten oder sich am Bar- ten, stellenweise sogar doppelt mit über drei Meter Ab- Kochba-Aufstand beteiligten. Die talmudische Überliefe- stand zwischen den Wällen. Diese solide Bauweise spricht rung schiebt den Samaritanern die Schuld am Fall Betars dafür, dass die Römer durchaus mit Ausbruchsversuchen in die Schuhe. Dort wird von einem Samaritaner berich- der Belagerten rechneten und dies zu unterbinden such- tet, der sich in Betar befunden haben und zwischen Bar- ten. Eine in der Nähe der Quelle von Betar in den Fels ge- Kochba und Rabbi Elasar haModai einen Konflikt herauf-

2241 IM 14 beschworen haben soll. Manche Forscher haben diese 14. Iünfzig ihrer Hauptfestungen und 985 ihrer be- Nachricht für bare Münze genommen und sie als Bestäti- deutenderen Dörfer wurden verwüstet. 580 000 gung dafür gewertet, dass die Samaritaner am Bar-Koch- Mann kamen bei Angriffen und sonstigen Kampf- ba-Aufstand nicht teilgenommen, unter Umständen sogar handlungen ums Leben, und die Zahl der an Hunger, die Römer unterstützt hätten. Andere wiederum haben die Pestilenz oder Feuersnot Gestorbenen liess sich nicht Frage gestellt, wie denn ein Samaritaner ins belagerte Be- feststellen. Infolgedessen ging fast ganz Judäa seiner tar gekommen sei, wenn die Samaritaner insgesamt er- Einwohnerschaft verlustig. Wie dies schon vor dem klärte Gegner des Aufstands gewesen wären. Vermutlich Krieg durch Zeichen vorangekündigt worden war, entbehrt dieser Bericht von samaritanischer Schuld am das Grab König Salomos nämlich, das sie unter den Falle Betars jeglicher historischer Grundlage, was den heiligen Gräbern besonders verehren, stürzte zusam- Aufstand selbst betrifft, und ist nicht mehr als ein Beleg men und sprang von selbst auf, und zahlreiche Wölfe für die schwer erschütterten jüdisch-samaritanischen Be- und Hyänen drangen heulend in ihre Städte. Aller- ziehungen in der Zeit nach dem Aufstand. Dann verlassen dings fielen auch viele Römer in diesem Kriege, da- die Samaritaner teilweise das eigentliche Samarien und her verwendete Hadrian in seinem Schreiben an den greifen nach Süden — Richtung Judäa — und nach Westen Senat nicht die übliche Einleitungsformel — wenn ihr — zur Mittelmeerküste hin — aus. Diese territoriale Aus- und eure Kinder euch wohl befindet, ist es gut, ich breitung trieb einen Keil zwischen Juden und Samarita- und das Heer befinden uns wohl. ner, und die Halacha behandelt sie allmählich wie Hei- 15. . . . Dies war das Ende des jüdischen Krieges. den. Die Gründe für diese Entfremdung sind vielleicht Selbst wenn die bei Cassius Dio angegebenen Zahlen darin zu suchen, dass die Samaritaner mit dem Verlassen übertrieben sein mögen, so ist doch das von ihm entworfe- ihres Stammlandes auch die Praxis der Gebotsbefolgung ne Gesamtbild eine durchaus getreue Schilderung der ver- bis zu einem gewissen Grade aufgaben. Möglicherweise heerenden Folgen des Bar-Kochba-Aufstands. Zweifellos fürchteten einige von den Gelehrten, dass infolge ihrer war die Zahl der Gefallenen und Verwundeten auf beiden stärkeren Repräsentanz im jüdischen Siedlungsraum ihr Seiten sehr gross, zahlreiche Siedlungen wurden dem Erd- Einfluss zunehmen könnte, vielleicht entstand auch eine boden gleichgemacht, und Judäa wurde nahezu völlig ver- Konkurrenz zwischen Juden und Samaritanern auf wirt- wüstet. schaftlichem Gebiet. Wie dem auch sei, es bleibt ungewiss, Die talmudische Literatur schildert die Niederlage in den wie weit man die Verschlechterung der jüdisch-samarita- schwärzesten Farben, die Aussagen sind sogar noch düste- nischen Beziehungen auf das Verhalten der Samaritaner rer als die über den jüdischen Krieg der Jahre 66-70 während des Bar-Kochba-Aufstands zurückführen darf, n. Chr. Ein Beispiel für viele: und sicherlich darf man nicht von diesen Beziehungen aus Und sie (die Römer) richteten unter ihnen (den An- auf das jüdisch-samaritanische Verhältnis zur Zeit des hängern Bar-Kochbas)' ein solches Blutbad an, dass Aufstands rückschliessen wollen. Sehr viel wahrscheinli- die Pferde bis zu den Nüstern im Blut versanken. Der cher ist doch die Annahme, dass es sich bei den Texten, Blutstrom riss Felsbrocken von 40 Sea mit sich und die den Samaritanern verschiedenes vorwerfen wie etwa ergoss sich vier Meilen breit ins Meer, wobei des (Be- eine Denunziation, die den Bar-Kochba-Aufstand ausge- tar) nicht etwa nahe am Meer liegt, sondern vierzig löst hätte, oder den Untergang Betars, um Anachronis- Meilen davon entfernt. Es wurde gesagt: 300 Kinder- men handelt, wodurch die schlechten jüdisch-samaritani- hirne fand man auf einem einzigen Stein . . . Einen schen Beziehungen aus der Zeit nach dem Aufstand in riesigen Weinberg hatte Hadrian der Frevler, 18 auf diesen projiziert werden. 18 Meilen, wie die Entfernung von Tiberias und Sep.- - Höchstwahrscheinlich hat das christliche Element in der phoris, den liess er mit einem Zaun aus Leichnamen Bevölkerung Palästinas nicht am Bar-Kochba-Aufstand von Bettar aufrecht stehend mit ausgebreiteten Ar- teilgenommen. Zwar wurden Christen zu jener Zeit von men umgeben, und er liess sie nicht begraben .. . den Römern sogar noch heftiger verfolgt als Juden, aber (jTaaniot IV [69a]). natürlich konnten die Anhänger des Messias Jesus nicht Diese und andere Schilderungen, in denen die Grausam- an einem Aufstand teilnehmen, an dessen Spitze ein Mes- keit der Römer über jedes Mass gesteigert erscheint, ver- sias stand. Die Kirchenväter berichten, dass Bar-Kochba anschaulichen den Grad der Verzweiflung und die Christen bestraft, ja sogar hingerichtet habe, weil sie sich Schwere der Krise, die durch das Scheitern des Bar-Koch- seinen aufständischen Truppen nicht anschlossen. Bar- ba-Aufstands hervorgerufen waren. Kochba scheint zwar tatsächlich eine Art Zwangsrekrutie- Die literarischen Quellen, jüdische wie nicht-jüdische, er- rung durchgeführt zu haben, aber es ist doch wohl nicht wähnen häufig die grosse Zahl von Kriegsgefangenen, die anzunehmen, dass davon die christliche Bevölkerung des unter den Aufständischen gemacht wurden, Gefangene, Landes insgesamt betroffen war. Wenn diese Äusserungen die von den siegreichen Truppen in die Sklaverei verkauft etwas Authentisches enthalten, dann doch wohl nur das, wurden. Die Anzahl der Verkauften war angeblich so dass er aus häretischen oder juden-christlichen Gruppen, gross, dass der Sklavenpreis im gesamten römischen Reich die sich selbst noch als Juden verstanden, Mitkämpfer gesunken sein soll. Und auf den Sklavenmärkten des Lan- suchte und die negative Reaktion dieser Gruppen bestraf- des Israel selbst soll der Sklavenpreis einer Quelle zufolge te. Bekanntlich entwickelten sich Judentum und Christen- sogar bis auf den Preis der Futterration für ein Pferd ge- tum in der Epoche von Jabne immer weiter auseinander. sunken sein. Diese Aussage bezieht sich auf den »Markt Insofern kann man im Bar-Kochba-Aufstand den Höhe- der Eiche«, das ist der Sklavenmarkt in Mamre (auch Bot- und Endpunkt dieser Entwicklungslinie sehen, wobei sich na oder Bet Ilanim genannt), das sich nördlich von Hebron auch diejenigen jüdischen Gruppen, die bis dahin noch ir- und im Aufstandsgebiet selbst befindet. Andere wurden auf gendeine Beziehung zum Judentum unterhalten hatten, dem Markt von Gaza verkauft und die übrigen wurden von diesem völlig absonderten. zum Verkauf nach Übersee geschickt. Die hohe Zahl der in die Sklaverei Verkauften geht auch aus den Verordnun- gen der Gelehrten von Uscha hervor, wo es um die Auslö- Die Folgen des Aufstands sung von Kriegsgefangenen geht. Der Verkauf von Auf- Cassius Dio schildert die Folgen des Bar-Kochba-Auf- standsgefangenen auf dem Sklavenmarkt hinterliess im Be- stands.folgendermassen : wusstsein des Volks so tiefe Spuren, dass in der frühen

IM 15 I 225 Amoräerzeit, also etwa hundert Jahre später, als eine ge- lässt sich nicht entscheiden, inwiefern das ein Einzelfall wisse Annäherung zwischen Juden und Heiden sich ab- war oder ob er symptomatisch für andere steht. Jedenfalls zeichnete und Juden Zutritt zu heidnischen Märkten, wo veranlassten die Schrecknisse der Religionsverfolgung sich auch heidnische Kultstätten befanden, erhielten — das und des Märtyrertods Elischa ben Abuja, einen der bedeu- Betreten gewisser Märkte, an erster Stelle des »Marktes tenderen Gelehrten, zum Abfall vom Judentum. von Botna« strengstens untersagt wurde (Gen. r. XLVII, Mit voller Schärfe dauerte die Religionsverfolgung nur Ed. Theodor/Albeck S. 477; jAwoda sara I [39d]). solange an, wie Hadrian am Leben war, also bis zum Jah- Auf den Bar-Kochba-Aufstand hin verhängten die Römer re 138 n. Chr. Allerdings hielten einige Folgen des Bar- über die Juden eine Reihe von religiösen Beschränkungen, Kochba-Aufstands auf lange Sicht an. Darunter ist der darunter das Verbot, positive Gebote wie Gebetsriemen, Wiederaufbau Jerusalems als Aelia Capitolina zu nennen, Schaufäden, Türpfostenkapsel, ungesäuertes Brot zu Pes- wobei Juden verboten wurde, dort zu wohnen und sich sach, Lichter zu Chanukka u. a. zu erfüllen. Ebenfalls un- der Stadt auch nur zu nähern. Eine andere Folgeerschei- tersagt waren die Einsetzung (Ordination) von Gelehrten, nung des Bar-Kochba-Aufstands war die schwere wirt- Versammlung in Lehr- und Gebetshäusern, öffentliche schaftliche Krise, teilweise durch die Verwüstung und Versammlungen zwecks Lehren und Lernen der Tora. Entvölkerung, teilweise durch die schwere römische Diese Verbote sollten die religiösen Elemente mit nationa- Steuerbelastung nach dem Aufstand bedingt. Viele von ler Implikation untergraben und die Selbstverwaltung des den Bewohnern des Landes waren diesem Druck nicht ge- jüdischen Volkes ins Wanken bringen. wachsen, und eine starke Emigrationsbewegung setzte Die Reaktion von Volk und Gelehrten auf diese schweren ein. Die Mehrzahl der Emigranten ging nach Babylonien, religiösen Restriktionen war nicht einheitlich. Manche wo eine jüdische Diasporagemeinde bestand, deren Wur- versuchten, die Gebote in veränderter Form und im Ge- zeln in die Zeit der Zerstörung des Ersten Tempels zu- heimen doch weiter zu erfüllen. Andere wiederum über- rückreichten und die ausserhalb der Grenzen des römi- trafen die römischen Verbote in aller Öffentlichkeit und schen Weltreichs lag. Die Anfänge der Entwicklung des waren bereit, für die Erfüllung der göttlichen Gebote den babylonischen Zentrums zum Konkurrenten des palästini- Märtyrertod zu sterben. Rabbi Nathan, einer aus der Ge- schen liegen eindeutig in der Zeit nach dem Bar-Kochba- lehrtengeneration von Uscha, bezeugt: ». . . >denen die Aufstand. Die Gelehrten von Uscha bemühten sich sehr, mich lieben und meine Gebote wahren< (Ex 20, 6 = Dtn die Emigrationsbewegung zu stoppen und erliessen zu 5, 10) — das sind die Israeliten, die im Lande Israel sitzen diesem Zweck eine lange Reihe von Verordnungen. und für die Erfüllung der Gebote ihr Leben dahingeben: Nach dem Bar-Kochba-Aufstand verlagert sich der Weshalb führt man dich hinaus zur Tötung? — Weil ich Schwerpunkt des jüdischen Lebens in Palästina nach Gali- meinen Sohn beschnitten habe. Weshalb führt man dich läa. Inmitten des allgemeinen Drunter und Drüber, des hinaus zur Verbrennung? — Weil ich in der Tora gelesen Populationsverlustes und der Wirtschaftskrise wird Gali- habe. Weshalb führt man dich hinaus zur Kreuzigung? — läa zu dem Gebiet, wo sich das jüdische Gemeinwesen er- Weil ich ungesäuertes Brot gegessen habe. Weshalb wirst holen konnte. Zwar erholte sich auch Judäa allmählich, du gestäupt? — Weil ich den Feststrauss zum Laubhütten- aber nur sehr langsam und teilweise, und die Erneuerung fest genommen habe . . .« (Mechilta deRabbi Jischmael, der Führungsinstitutionen — Fürstenamt und Sanhedrin — Massechta debaChodesch VI, Ed. Horovitz/Rabin, fand in Galiläa statt. S. 227). Der Begriff des Märtyrertods im Judentum Der entscheidende Schritt für die Wiederaufrichtung des stammt aus eben dieser Zeit der Religionsverfolgung. Die jüdischen Gemeinwesens in Galiläa nach dem Bar-Koch- markanteste Gestalt unter den Märtyrern dieser Zeit ist ba-Aufstand bestand in der endgültigen Neueinsetzung zweifellos Rabbi Akiba, der nach längerer Haft in Cäsa- der Führungsinstitutionen in Uscha. Aus den Gründerjah- rea, dem Sitz des Statthalters, hingerichtet wurde, weil er ren des Zentrums in Uscha ist eine einzigartige Überliefe- das Bekenntnis >Höre Israel< gesprochen hatte, was mit rung auf uns gekommen: »Im Ausgang der Verheerung strengstem Verbot belegt war. Historisch-literarischen und Verfolgung versammelten sich unsere Meister in Audruck hat das Phänomen jüdischen Märtyrertums in Uscha, und zwar Abbi Jehuda, Rabbi Nehemia, Rabbi den Überlieferungen von den >Zehn durch die Obrigkeit Meir und Rabbi Jossie, Rabbi Schimon ben Jochai und Getöteten< erfahren, wenn auch nicht alle dort aufgeführ- Rabbi Elieser, der Sohn Rabbi Jossies des Galiläers, und ten' Gelehrten tatsächlich zu den Märtyrern der Religions- Rabbi Elieser ben Jaakob. Da schickten sie zu den Älte- verfolgung im Anschluss an den Bar-Kochba-Aufstand sten von Galiläa und liessen sagen: Wer immer gelernt gehören. Unter den Reaktionen auf die religiösen Restrik- hat, komme und lehre, und wer nicht gelernt hat, komme tionen ist auch der Fall eines Elischa ben Abuja zu nen- und lehre. Da kamen sie zusammen und lernten und ta- nen, der zum >Anderen<, zum Abtrünnigen, wurde. Es ten, was nötig war . . .« (Can. r. II 5).

Gleichnis über das Mitleiden Gottes Rabbi Yehoschua von Siknin sagte: Gleich Zwillingen: Einer hat Kopfweh und der andere spürt es! So sagte der Heilige, gelobt sei er: »Ich bin bei ihm in der Not« (Ps 91, 15) Pesikta deRav Kahana Denn mein Haupt ist voll Tau (Cant 5, 2)

226 I IM 16 III Die Lehre des MaHaRaL zwischen Existenz und Eschatologie" Von Rivka Schatz-Uffenheimer, Edmonton, Professor für jüdische Philosophie und Kabbala an der Hebräischen Universität Jerusalem

Der MaHaRaLl, Rabbi Jehuda Löwe aus Prag (auch als ders zu verstehen als aus der Sorge um die neuen soziolo- »der Hohe Rabbi Löw« bekannt) vertritt in seinem Buch gischen Gegebenheiten der zweiten Hälfte dieses Jahr- Nezach fissrael (Israels Ewigkeit) die These, das jüdische hunderts. Neben Untermauerung der These von der Un- Volk in seiner Zerstreuung sei doch nicht von unmittelba- zerstörbarkeit Israels und Bearbeitung philosophischer rer Vernichtung bedroht, wenn seine soziologische, juri- existentieller Konzeptionen wird auch eine äussere Adres- stische und ökonomische Situation unter den Völkern se erkennbar, deren Behauptungen widerlegt werden sol- auch nach menschlichem Dafürhalten seine Existenz len, und zwar die christliche. Bisweilen erscheint sie aus- ernsthaft in Frage stelle. Bei der Erörterung dieser Frage drücklich in Form eines Dialogs des MaHaRaL mit christ2 werden zwei Dinge deutlich, die eigentlich nur eines sind. lichen Gelehrten, bisweilen auch indirekt und intensiver Zum einen die Tatsache, dass der Ausgangspunkt der unter Bezugnahme auf das politische Argument des Chri- Erörterung die reale Existenz des jüdischen Volkes im stentums, dass die Juden von der weltgeschichtlichen Büh- Exil ist, zum anderen der philosophische Schluss, wonach ne abzutreten hätten und dass die Art und Weise ihrer die blosse Existenz Selbstzweck ist. Mit anderen Worten: Existenz den Beweis für ihr Scheitern erbringe. Der Ma- Die Art des In-der Welt-Seins stellt auch den Zweck die- HaRaL unternimmt ungewöhnliche Anstrengungen, die ses Seins dar. In dieser im Grunde existentialistischen De- These, dass die Art ihrer Existenz ihr Scheitern bezeuge, finition besteht das eigentliche Denken oder, wenn man 'zu widerlegen und entwickelt gerade von da aus die vitale so will, die eigentliche Philosophie, des MaHaRaL aus neue These vom Wesen des Exils. Und eigentlich geht es Prag. in diesen ganzen langen Ausführungen weniger um die Die jüdische Kultur ist durchaus nicht arm an Versuchen, Frage nach der Erlösung als um die Frage nach dem Exil. die Problematik des jüdischen Volkes und seiner Eigenart Das heisst: Aus der Frage nach der Exilsexistenz erwächst in den Griff zu bekommen, seien es Philosophen des Mit- eine Exilsphilosophie. telalters wie Jehuda Halevi, Apokalyptiker der Renaissan- Das Exil wird in der Lehre des MaHaRaL definiert als ein ce wie Isaak Abarbanel oder Mystiker des 16. Jahrhun- unnatürlicher Zustand, als »Heraustreten aus der natürli- derts in Safed, jeder nach seiner theologischen, historioso- chen Ordnung«. Natürlichkeit im Leben der Völker wird phischen und politischen Auffassung; aber bei keinem von nach naturwissenschaftlichen Kriterien bestimmt, wonach ihnen finden wir eine Erörterung der jüdischen Existenz jedes Ding seinen natürlichen Ort hat und jede Abwei- als solcher, des ontischen Status dieser Existenz, woraus chung von dieser Position nicht von Dauer sein kann. sich dann die messianische Eschatologie entwickelt. Noch »Denn nichts besteht auf Dauer, es sei denn die natürli- weniger ist dort eine existentielle Antwort auf das jüdisch- chen Dinge, denn die Natur, die Gott, er sei gelobt, je- christliche Streitgespräch zu finden wie die des MaHa- dem einzelnen Ding verliehen hat, erhält es, bis es fest RaL, eine Antwort, vor der die klassischen theologischen steht auf Dauer . . . und jede Zerstreuung muss wieder Argumente verstummen müssen. eingesammelt werden« (S. 9). Der Terminus »Zerstreu- Im 16. Jahrhundert hat sich die Landkarte der jüdischen ung« (pizur) bezeichnet hier einen unnatürlichen Zustand Zerstreuung über die Länder der Diaspora hin erheblich wie etwa den des jüdischen Volkes im Exil, wo sein natür- verändert. Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien licher und dauernder Ort doch das Land Israel wäre, wo- und Portugal in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts hin es auch wieder eingesammelt werden soll. Aber bevor entstanden zahlreiche jüdische Gemeinden in den Weiten der MaHaRaL aufgrund des Naturgesetzes von der Exi- des osmanischen Reiches im Osten, auf dem Balkan, in stenz der Dinge zur Entscheidung gelangt, stellt er auch Nordafrika, in Italien — sowohl in den freien Republiken die Frage, ob etwa anzunehmen wäre, dass Israels Sünde als auch im Kirchenstaat — in der zweiten Jahrhundert- und Verfehlung, wegen derer es ins Exil geraten sei, auch hälfte dann auch in den Niederlanden. Auch Marranen, diese Gesetzlichkeit beeinträchtigten. Seine Antwort lau- die zum Judentum zurückkehrten, fanden sich von der tet: Nein, die theologische Begründung des Exils kann Zerstreuung bedroht, und offenbar auf diesem Hinter- nicht im Widerspruch stehen zum natürlichen Gesetz der grund erhob sich die Frage nach Erhaltung der Existenz Existenz. Schon diese Aussage verdient unsere Aufmerk- unter Beibehaltung jüdischer Identität sowie die Sorge, samkeit, denn sie enthält eine Entgegnung an die Nicht- dass Zerstreuung gleichbedeutend mit Vernichtung sein Juden, die Israel seine Sünde vorhalten und ihm dadurch könnte. Zwar ist mir in den mir zugänglichen historischen den letzten Hoffnungsschimmer rauben wollen. Aber über Quellen aus dem 16. Jahrhundert dieses Argument nir- diesen verdeckten Disput hinaus entfaltet sich beim Ma- gends ausdrücklich begegnet, aber die Abfassung des Bu- HaRaL bereits zu Beginn seines Buches die gewichtigere ches Nezach Jissrael durch den MaHaRaL ist gar nicht an- These, die uns als Hauptthese für das Verständnis seines Systems noch beschäftigen wird. Seine eigentliche Ant-. * Hebräisch erschienen in der Zeitschrift Kivvunim 8 (1980), wort gibt der MaHaRaL nicht im theologischen Bereich, S. 11-28 sowie in dem hebräischen Sammelband »Messianism Sünde und Verfehlung als Ursache des Exils haben bei and Eschatology«, Zalman Shazar Centre, Jerusalem 1983, ihm relativ niedrigen Stellenwert, oder wie er sich aus- S. 301-322; englische Übersetzung in Immanuel 14 (Frühjahr 1982), S. 86-97 und in Immanuel 15 (Winter 1982/83), S. 62-72; drückt: »Ursache des Exils ist die Sünde, aber die Ursache deutsche Fassung von Dr. Dafna Mach, Jerusalem. der Ursache ist uns verborgen« (S. 11). Auch die Art der MaHaRaL ist die Abkürzung seines hebräischen Titels und Sünde, die das Exil verursachte, erscheint ihm als keine Namens: »Unser Lehrer, Rabbi Löw«. Der MaHaRaL ist einer grundsätzlich ausreichende Ursache, denn die Sünde war der bedeutendsten geistigen Führer der Prager Judenheit im ihnen »zufällig« und nicht »eigentlich«, wie die Unter- 16. Jahrhundert (gest. 1609). Er verfasste zahlreiche Schriften über Halacha und über jüdische Mystik. Bekannt geworden ist er scheidung im mittelalterlich philosophischen Sprachge- besonders durch die ihm zugeschriebene Anfertigung des Golem. brauch lautet. Ihre Sünde bestand in Dingen, die gemessen

/M / 71227 an ihrem Status und wahren Wesen als ausserordentliches, mus, wie etwa an den Höfen von Kotsk und Pschiskha, auserwähltes Volk trivial und unverständlich anmuten. hoch geschätzt wurde. Dieses Buch nimmt das Leiden des Was also ist das Geheimnis des Missverhältnisses zwi- Exils in voller Schwere auf sich, vertieft sich in das Ge- schen ihrer Verfehlung und ihrer Erwählung, zwischen heimnis von dessen Existenz und will dabei die Regenera- der »Zufälligkeit« ihrer Verfehlung und der Ewigkeit ih- tionsfähigkeit des Volkes verbürgen, in Erwiderung auf rer Existenz? In Wirklichkeit steuert der MaHaRaL be- die feindliche Behauptung, mit dem Exil sei alles zu Ende. wundernswert systematisch darauf zu, das Exil nicht als Von der metaphysischen Perspektive, die zu all diesen exi- Strafe für Sünde zu erklären, sondern hauptsächlich die stentiellen Aussagen hinzukommt, soll erst im nächsten Art und Weise der Exilsexistenz als eine Existenz, die von Kapitel die Rede sein; einstweilen wollen wir uns mit der Erwählung zeugt, und er geht sogar so weit, die Eigenart Betrachtung der naturhaften oder »naturosophischen« — der Erwählung als unerschütterliche Notwendigkeit von wenn eine solche Verbindung gestattet ist — Denkweise eschatologischen Ausmassen zu erklären. begnügen, die für den MaHaRaL charakteristisch ist und Von daher besteht in seiner Abhandlung eine philosophi- die seine existentielle Haltung immanent vervollständigt. sche Spannung zwischen den natürlichen Gesetzen der Wie schon oben gesagt, bildet Israels »Zerstreuung« fak- Existenz und dem existentiellen Zustand des Bestehenden. tisch und grundsätzlich Anlass zur Sorge. Der MaHaRaL Grundsätzlich, naturgesetzlich betrachtet ist das jüdische beschwichtigt diese Sorge durch die Behauptung, dass Volk nicht anders als jedes andere, und es kann nicht dem jüdischen Volk auch in seiner Zerstreuung noch ewig unter der Herrschaft anderer Nationen und bei Be- »Kraft zur Einheit und Einsammlung« (Koah ahadut ve- dingungen, die dem Leben von Nationen überhaupt unna- Kibus) geblieben sei, »denn noch hat Israel Kraft zur Ein- türlich sind, leben, daher ist ihm das Ende des Exils auf- heit in seinem Exil und ist nicht völlig zerteilt, und um grund der Lebensgesetze von Nationen überhaupt zuge- dieser Kraft zur Einheit willen, die ihnen geblieben ist, sichert. Aber die Art seines Exilsdaseins ist nicht nur Zei- werden sie sich wieder vereinigen« (S. 10). Demnach ha- chen eines vorübergehenden Abweichens von der üblichen ben die äusseren Umstände die Vollkommenheit des rege- Ordnung, sondern ein Beleg für die Wirkungsprinzipien nerationsfähigen soziologischen Systems nicht beeinträch- der kosmischen Existenz überhaupt, die vorübergehend tigt, oder in seinen Worten: »Israel besitzt noch seine ei- mangelhafte Zustände als Vorbedingung für letztendliche nigende Kraft, nur dass diese nicht aktuell, sondern nur Vollkommenheit zulässt. Anders, nämlich mikrokosmisch, potentiell vorhanden ist« (S. 11). »Denn es gibt eine Kraft, ausgedrückt: »Aus dem Exil lässt sich auf die Erlösung die Israel in seinem Exil zusammenhält, und um dieser ei- schliessen.« Unter drei Punkten kann man den Hauptge- nigenden Kraft willen wird Israel aus dem Exil zurück- dankengang zusammenfassen: 1) das Exil ist kein natürli- kehren.« Dies ist eine grundsätzlich naturalistische Aussa- cher Zustand, daher muss es zu Ende gehen; 2) das Exil ge. ist eine Existenztatsache, die von der notwendigen Erlö- Die Theorie besagt, dass jedes Volk am Ort seiner Le- sung zeugt; 3) das Exil besteht nicht um der Übertretung, benskraft verwurzelt ist und dass gewaltsame Loslösung sondern um der Erlösung willen. Die »mangelhafte« Exi- davon eben diese Lebenskraft beeinträchtigt. Die Tempel- stenz ist ein Beleg für die vollkommene, und dies ist das zerstörung war ein gewaltsamer Eingriff in Israels Lebens- Gesetz des Seins, das seiner unausweichlichen Vollkom- quell, und daraufhin erhebt sich die Frage, ob die Tatsa- menheit entgegenschreitet. Aus dem Gesagten ergibt sich che, dass sie nun keinen eigenen »Ort« mehr haben, die vitale Dialektik für das Verständnis der Lehre des gleichbedeutend ist mit dem Untergang ihrer Existenz; MaHaRaL, wonach das blosse Heraustreten aus der »na- daher fungiert die Theorie vom Vorhandensein einer türlichen Ordnung« als Seinsweise nur ein vorübergehen- »Kraft zur Einheit und Einsammlung« unabhängig von ei- der Zustand ist, der wiederum von einer »Tiefenordnung« nem Ort, eine im Grunde naturhafte Theorie, als Alterna- zeugt, die künftig bestehen wird, und für den MaHaRaL tive zur politischen. »Denn der Ort ist Existenz dessen, gibt es nichts Höheres als die »Ordnung« als solche. Mei- woraufhin es ausgerichtet ist, wie schon der Name sagt, ne bisherigen Ausführungen sind recht allgemein gehal- denn die Vokabel >Ort< (hebr. makom) hängt mit >Exi- ten, um die methodische und logische Schwierigkeit beim stenz< (hebr.: kium) zusammen, und das Verlassen des Verständnis der allgemeinen Tendenz seiner Auffassung Ortes, der seine Existenz ist, bedeutet Verlust dessen, deutlich zu machen, nun soll die sorgfältige Einzeldarstel- woraufhin es ausgerichtet ist« (121). Grundsätzlich ist das lung folgen. Land Israel der »Ort« des jüdischen Volkes geblieben oder wie er sich ausdrückt: »Immer noch ist ihr Land ein Existenz als auserwähltes Volk und Exilsdasein Ort für sie«, aber im Exil ist die vitale Notwendigkeit der Nachdem der MaHaRaL das Exil definiert hat als einen Verwurzelung des Volkes in seinem Land übergegangen Zustand, der gegen zwei natürliche Gesetze, nämlich das auf »die Kraft zur Einheit und zur Einsammlung«, die Gesetz der Einheit und das Gesetz der Souveränität von ihm eigen ist, und nicht auf einen anderen Ort. Hier liegt Völkern, verstösst — aus dem einen erhellt die Unnatür- gewissermassen Seine Naturtheorie vor, wonach es nach lichkeit der jüdischen Zerstreuung, aus dem anderen die der Entwurzelung keine Möglichkeit neuerlicher Anpas- der jüdischen Unterdrücktheit —, geht er an eine ausführli- sung auf derselben lokalen, »Orts«-Grundlage mehr gibt, che Schilderung dieser anormalen Existenz, aber durch sondern nur noch die Möglichkeit existentieller Anpas- deren Tadel gelangt er auch zu deren Lob, und dieses Lob sung durch Verlagerung auf ein neues natürliches Zen- geht so weit, dass das Geheimnis des Exils zu einer Macht trum, mag dieses auch nur vorübergehend sein. »Von da- wird, auf die zu verzichten fast schade wäre. Ich habe den her kann man wissen, dass das Exil, das Stehen der einzi- Eindruck, dass dieses Buch die Bedeutung des Tragens gen Nation nicht an dem ihr zugeordneten Orte, unnatür- des Schandmals des Exils auf emotionale Höhen erhebt lich ist, und wenn es eine Änderung in der realen Ord- wie kein anderes. Man könnte darin die selbstbewusste nung gibt, so ist diese nur vorübergehender Art, und Geste eines Volkes sehen, das das Gefühl seiner Sonder- schliesslich wird es wieder in seine Ordnung zurückkeh- existenz pflegt. Man könnte darin allerdings auch ein be- ren . . . Aber dass sie in einem anderen Land sein und wusstes In-die-Ferne-Schieben naher Erlösungsmöglich- überhaupt nicht mehr an ihren Ort zurückkehren sollten, keiten erblicken. Wie kein anderes lehrt dieses Buch die das ist völlig unmöglich, denn dann wären sie ja ganz und Verinnerlichung des Lebens, und von daher ist es nicht er- gar losgelöst von ihrem Ort, befänden sich in einem ande- staunlich, dass es bei einigen der Grossen des Chassidis- ren Land, und dann läge keine Veränderung der Ordnung

2281 IM 18 mehr vor« (122). Es ist klar, dass schon die Tatsache ihres ist (Näheres zu dieser These im zweiten Kapitel). Ebenso Nicht-verw-urzelt-Seins in einem anderen Land die Ver- darf man das Kommen des Endes nicht durch Gebet ge- bindung zu ihrem wahren und natürlichen Ort aufrechter- waltsam beschleunigen, es nicht berechnen noch seine Ge- hält, und daraus ergibt sich zwangsläufig die positive Ant- heimnisse den Völkern der Welt offenbaren. Israel muss wort auf die Frage nach der Zerstreuung. Zerstreuung als das Verhängnis des Exils bewahren und darf den Schwur Beweis für eine entwurzelte Soziologie ist gleichzeitig Be- nicht aufheben, selbst wenn dies mit so schweren Leiden weis für das Vorhandensein von natürlichen echten Wur- verbunden ist wie zur Zeit der Religionsverfolgung oder zeln bei demjenigen, der im Exil nicht Wurzeln schlägt. wenn das Exil selbst für Israel ein gewisses Mass an »Auf- Wenn die Juden an einen einzigen Ort exiliert worden hebung« bedeutet. Die innere Einheit, sie ist von nun an wären und nicht über die ganze Welt verstreut, hätte man Israels Existenz anstelle seines Ortes, »so schickt es sich meinen können, es gäbe einen Ersatz für das Land Israel. für eine Nation, welche die ganze Welt ist, dass die ganze Der MaHaRaL hätte eine territoriale Konzentrierung von Welt ihr Ort sei« (121). Man muss deutliche Absonderung Juden im Exil gewiss auch nachträglich nicht gebilligt, er in den Lebensformen, in Kleidung und Nahrung üben sagt nämlich: »Sie sind über die ganze Welt zerstreut, und und das Leben im Exil durch Beschäftigung mit Tora auf er hat ihnen kein eigenes Land gegeben, sondern die gan- den Talmudschulen verinnerlichen, auch muss man sich ze Welt ist ihr Ort . . . Aber dass das Exil als solches be- sehr hüten, den Weltvölkern nicht zu ähnlich zu werden, steht, das entspricht nicht der Ordnung, sondern ist eine sonst »werden sie etwa nicht wert erfunden, von ihnen Anordnung Gottes, er sei gelobt, der dies ( = die Zer- ausgesondert zu werden«, wenn die Stunde gekommen streuung) verhängt hat« (122). Mit 'anderen Worten: Das ist. Mit anderen Worten: Man soll sich nicht zu viel mit Exil muss anomaler Zustand, Abweichung von der natür- messianischen Spekulationen abgeben und in der Umwelt lichen Ordnung bleiben und darf nicht zur neuen Ord- nicht zu heimisch werden, vielmehr die Oberherrschaft nung werden, die ein Ersatz für die ursprüngliche unver- der Völker annehmen und Distanz zu ihnen halten. An änderliche Ordnung wäre. dieser Stelle entwickelt sich die Erkenntnis der metaphysi- schen Perspektive der jüdischen Existenz und wird zur Das Geheimnis des Exils Hauptsache. Auf dieser Grundlage wird die Existenz im- »Eine von beiden Möglichkeiten müsste zwangsläufig ein- mer deutlicher, und die Definition des Volkes selbst be- treten«, meint der MaHaRaL, »entweder es kehrt in die steht in seiner Zugehörigkeit zu Gott: »Schliesslich muss Ordnung zurück und das Exil wird aufgehoben, oder es doch eine einzige Nation in der Welt geben, die Gott, (Gott behüte!) die anderen überwältigen es ganz und gelobt sei er, gehört« (61). Diese Aussage ist interessant, gar.« Das bedeutet, dass das Exil keinen eigenständigen nicht so sehr durch die Tatsache des metaphysischen Be- Stellenwert erhält und nicht als eine Lösung zu betrachten wusstseins, das bei R. Jehuda Halevi nicht so viel anders ist; entweder das Exil endet mit dem Kommen der Erlö- ist, sondern durch ihre Verwendung für das Argument, sung, oder das jüdische Volk endet — was Gott verhüten dass diese Tatsache als solche die Beendigung des Exils möge! Ewige Dauer von Israels Exil kommt als Möglich- garantiert, insofern als undenkbar ist, dass ein Volk, das keit überhaupt nicht in Frage, und somit wacht der Zu- den Kern der Welt und den Anbeginn der Weltvölker aus- stand der Zerstreuung mittels der Regenerationsfähigkeit macht, ewiglich im Zustand der Unterjochung durch die sowohl darüber, dass das Exil nicht durch Verschwinden Völker bleiben sollte. Israels Erniedrigung, ihr »Ge- des Volkes endet, als auch darüber, dass das Exil nicht beugtsein bis zum Staube«, wie er sagt, könnte zu der An- durch übermässige Verwurzelung desselben am fremden nahme verleiten, Israel sei in Gottes Augen minderwertig! Ort, eine Art Alternativlösung der Judenfrage, endet. Und eben das ist ja der christliche Vorwurf seit eh und je, Wenn letzteres der Fall wäre, d. h. wenn das Exil für die dass das Exil den Endpunkt von Israels Erwähltheit mar- Juden eine Lösung wäre, dann wäre dies wirklich ein Zei- kiere, wofür der konkrete Zustand seiner Existenz das be- chen dafür, dass Gott sie verlassen hätte, und umgekehrt: ste Beispiel sei. Wäre das Exil keine göttliche Anordnung, so bestünde es Das politische und nationale Scheitern hat schon immer längst nicht mehr! Aus der Logik dieser Sonderexistenz als theologisches Kriterium erster Ordnung gegolten. Die des jüdischen Volkes entwickelt sich allmählich eine Polemik gegenüber dem Christentum führt den nicht-aktivistische Theorie gegenüber dem Verhängnis MaHaRaL in zwei Richtungen: einerseits zu einer Rück- von Exil und Zerstreuung, und die berühmten drei nahme der Forderungen nach Ringen um Erfolg in dieser Schwüre — nicht auf die Mauer (oder: wie eine Mauer) Welt und andererseits zur Vertiefung der Thesen von der hinaufzusteigen, nicht gegen die Völker zu rebellieren, wunderbaren und einzigartigen Beschaffenheit der jüdi- und dass die Völker Israel nicht zu hart unterjochen sol- schen Existenz insgesamt, insbesondere im Exil. Auch die len (bKetubbot 111a) — werden als Leitlinien gedeutet, metaphysische Aussage, welche die Anerkennung des welche die neue Norm für das Überleben im Exil setzen Sonderwesens verlangt, malt dieses Wesen in naturalisti- sollen. Diese drei »Schwüre«, die bereits im Talmud zu schen, häufig sogar kabbalistischen und magischen Far- sechs geworden sind, haben in der Diskussion um die Ein- ben, welche die Existenz bewahren sollen und ebensowe- wanderung ins Land Israel von Anbeginn bis auf unsere nig aufhebbar sind wie die Naturgesetze selbst. Tage Geschichte gemacht. Das ging so weit, dass R. Joelis Nicht Berufung auf Bibelverse oder göttliche Verheissun- Teitelboim, der anti-zionistische Führer der Satmarer gen ist es, was die Gewissheit der Ewigkeit der Existenz Chassidim, sich zur Fundierung einer anti-aktivistischen ausmacht, sondern die Gesetzmässigkeit des Bestandes ei- Halacha auch auf diese Äusserungen des MaHaRaL be- ner verborgenen Wesenheit, welche mit dem ganzen Sein ruft. aufs innigste verknüpft ist. Wenn deren Kraft nicht mit Nun zurück zur Deutung der drei »Schwüre« beim Ma- kabbalistisch magischen Begriffen umschrieben wird, so HaRaL: drei davon sind Warnungen, die Knechtschaft wird sie es durch geometrische und astrologische, was kei- aufzuheben, drei andere warnen davor, das Ende zu ent- nen Unterschied macht in bezug auf die Garantie der hüllen. 1) »dass sie nicht auf die Mauer hinaufsteigen« unerschütterlichen Gewissheit. Jene verborgene Gesetz- deutet er: dass sie die Zerstreuung nicht aufheben; 2) mässigkeit der ewigen Existenz hat ein kabbalistisches »dass sie nicht das Ende enthüllen« — im 'ZVissen um das Äquivalent, nämlich den »Namen«, den über ihnen ausge- Ende steckt bereits etwas von Erlösung, aber die Endzeit rufenen Gottesnamen. Der Name ist die konkrete Formel, lässt sich nicht vorhersehen und -sagen, ehe denn es Zeit welche die immanente Gesetzmässigkeit der jüdischen

IM 191229 Existenz darstellt, und natürlich ist sie unaufhebbar, es sei Völkern, ein besonderes Volk für sich, wie bereits erläu- denn, die Existenz selbst werde aufgehoben, »und daraus tert. Und zweifellos hat das israelische Volk alle übrigen ist dir die Ewigkeit Israels deutlich geworden, denn es Völker zu Gegnern, und die Gegner würden es überwin- kann doch keine Veränderung an ihnen statthaben, da Is- den und auslöschen, solange es im Exil und ihnen unter- rael doch das Hauptstück der Wirklichkeit ist« (62). An worfen ist. Daher hat er seinen Namen mit ihnen ver- dieser Behauptung unübersehbar ist das Moment, dass knüpft, d. h. sie haften an Gott, gelobt sei Er, und da- äussere Umstände dem Grund von Israels Existenz nichts durch übermögen die Völker sie nicht . . . und dies wird anhaben können, mag das Exil so lange dauern, wie es Kette genannt, denn es hängt am Schlüssel und hält ihn, will, Israels Existenz ist von historischen Gegebenheiten damit er nicht verlorengeht . . . Und so hat er seinen Na- überhaupt unabhängig, oder in seinen Worten: »Keiner men mit ihnen verknüpft, auf dass sie nicht unter den Völ- soll sagen, Israel stehe am Rande der Auflösung ob der kern verlorengehen sollten« (63). Schwere des Exils.« Ganz im Gegenteil, meint der Gott, der um die Existenz des Seins besorgt ist, damit es MaHaRaL, wenn die »Schwere des Exils« ihren Bestand kein »roher Holzklotz« ist, sondern ein Palast mit Innen- wirklich zu gefährden vermöchte, bestünden sie schon raum, er ist auch derjenige, der den »Schlüssel« in dieses längst nicht mehr, und bereits zum gegenwärtigen Zeit- Sein wirft und ihn unauflöslich damit verknüpft, nämlich punkt äussern viele ihr Erstaunen, wie Israel sich im Zu- durch seinen Namen im Namen Israels. 2 Dieser Name ist stand tiefster Erniedrigung überhaupt noch halten könne, also nicht nur eine Art Schutzamulett für das konkrete »und es ist wunderbar in den Augen sämtlicher Erdbe- Volk Israel, sondern er garantiert auch die Wahrung von wohner, es sei doch unmöglich, dass diese Nation über- Form und Sinn des Seins. haupt bestehen könne !« Zwar erscheint diese Existenz wie Die Zeichen der Erlösung im Exil eine Existenz am Rande des Abgrunds vor lauter Verfol- gungen und Austreibungen, aber Tatsache ist, dass sie Wenn auch das allgemein soziologische Phänomen des stets gerettet werden durch »Personen, die der Obrigkeit Exils nichts über den wahren Status des jüdischen Volkes nahestehen«, sagt der MaHaRaL, und das ist das Zeichen aussagt, so enthält es doch Hinweise auf Macht und Po- dafür, dass Gott sie nicht verworfen hat. Demnach ist tential, ja sogar Anzeichen der künftigen Erlösung. Ein auch diese aktuelle gefühlsträchtige Formel in den Hän- solches Moment äussert sich, nach der Auffassung des den des MaHaRaL ein Werkzeug der Polemik. MaHaRaL, beim Gebet, das ein Modellfall von Einsamm- Was soll in diesem Zusammenhang »Hauptstück der lung der Zerstreuten und Heraustreten aus der Herrschaft Welt« (yar ba-olam) heissen? In den Augen des der Völker durch Auf-sich-Nehmen des Jochs des Gottes- MaHaRaL trägt Israel das Rätsel der Existenz, ohne Isra- reiches ist. Man könnte sagen: eine Erlösung innerhalb el wäre die Welt stumpf. Er spricht nicht von Stumpfheit des Exils, »und wenn sich das Volk zu Gott, gelobt sei gegenüber der Erkenntnis, sondern gegenüber der Exi- ER, versammelt, beim öffentlichen Gebet, dann ist das ein stenz oder gegenüber dem Sinn, was für ihn dasselbe ist. Heraustreten aus Israels Zerstreuung unter den Völkern, Und so deutet er die Stelle im Jerusalemer Talmud und das gilt wie Auslösung aus der Knechtschaft der Völ- (jTaaniot II 6): »Resch Lakisch sagte im Namen von Rab- ker, wenn sie sich versammeln, um zu Gott, gelobt sei Er, bi Jannai: Der Heilige, gelobt sei ER, hat seinen Namen zu beten, dadurch treten sie aus der Zerstreuung heraus, mit Israel verknüpft. Wem gleicht dies? einem König, der denn solange Israel sich unter den Völkern befindet, einen kleinen Palastschlüssel hatte und sagte: Wenn ich selbst tausend zusammen, so heissen sie unter die Völker den Schlüssel lasse, wie er ist, dann geht er verloren, viel- zerstreut. Jedoch solange sie in der Gemeinde beten und mehr will ich eine Kette daran befestigen, mag er auch sich zu Gott versammeln, dann ist das ein Heraustreten verlorengehen, so habe ich doch die Kette noch an mir. aus dem Reich der Völker und ein Sich-daraus-Erheben So sprach der Heilige, gelobt sei Er: Wenn ich die Israeli- zu Gott, und insofern heisst es, dass er Gott aus der ten lasse, wie sie sind, dann gehen sie unter den Völkern Knechtschaft der Völker auslöst; ausserdem haben sie die verloren, vielmehr will ich meinen grossen Namen mit ih- Möglichkeit der Erhebung und des Aufstiegs aus den Völ- nen verknüpfen, — denn was sonst bedeutet der Vers: kern durch Wohltätigkeit, denn durch Wohltun erhebt 'Wenn das die Kanaanäer und alle Einwohner des Landes sich der Mensch« (64). Demnach hat die Tatsache der hören, umringen sie uns und vertilgen unsere Namen von äusseren Völkerherrschaft über ihr Leben keinerlei Ein- der Erde, und was machst du dann mit deinem grossen fluss auf die Frage nach ihrem wahren Wesen und nach Namen, der mit uns verknüpft ist?< (Jos 7,9) — bis hier das ihrer geistigen Erhebung. Die Tora führt sie aus dem Be- Talmudzitat, und die Deutung lautet folgendermassen: reich der Völker heraus und bringt sie in den Bereich Got- Diese Welt ist ein Königspalast, und Israel ist der Schlüs- tes. Die Tora ist zwar das Medium des Anhaftens an sel dazu. Wenn es kein Israel gäbe, schiene der Palast ver- Gott, aber der MaHaRaL hat wie kein anderer das Volk schlossen, und wenn der Palast verschlossen ist, dann ist Israel selbst zu einem Organismus, zu einer primären Exi- er zu nichts nütze und wird nicht einmal ein Haus ge- stenz, der ersten von Gott ausgegangenen Wirkung, ge- nannt, denn er hat ja keine Öffnung; folglich: wenn es macht, und dieser Aspekt seiner Erstgeburt hat sicherlich kein Israel gibt, dann ist der Palast, nämlich die Welt, zu Gründe, die wiederum mit der jüdisch-christlichen Dis- nichts nütze, sie ist verschlossen und der Name Palast kussion um den Gottessohn zusammenhängen. Der Ma- trifft sozusagen gar nicht auf sie zu, darum wird Israel HaRaL behauptet auf eben dieser theologischen Basis, kleiner Schlüssel genannt, denn sie sind ein kleines Volk dass Israel Gottes ureigentlicher Sohn ist, und so wie der und doch der Schlüssel zum grossen Palast. Und wie be- Bewirker einer ist, kann auch der Bewirkte nur einer sein, reits erläutert, gilt Israel als eine Vorform für die Welt, es gibt keine zwei desselben Status. »Und dies lehrt, dass darum vergleicht er Israel mit einem Schlüssel, denn der hier eine völlige Verknüpfung vorliegt, denn sie gehen Schlüssel schliesst den Palast auf, so dass er offen ist, und hervor aus seiner eigentlichen Wahrheit.« Und »insofern wenn kein Schlüssel da ist, dann ist der Palast verschlos- als sie Söhne Gottes sind, sind sie nicht austauschbar, und sen und gleichsam ein roher Holzklotz, undurchdringlich, dies lässt sich nicht übertragen und austauschen, denn es ohne Hohlraum, und er hat gar nicht die Form eines Pala- gibt keine engere Verbindung als die von Vater und Sohn stes, der ja offen wäre. Und er sprach, wenn er die Israeli- . . . denn der Sohn existiert vom Vater her, ist nicht von ten liesse, wie sie sind, dann gingen sie unter den Völkern 2 Gemeint ist das theophore Element im Namen Isra-El, vgl. Gen verloren, denn Israel ist ein Volk geschieden von allen 32,29.

2301 IM 20 ihm erworben«. Und als »naturgemässe« Entgegnung ans sich als ihre Erben kraft des »neuen Bundes« betrachteten. Christentum, das dem Judentum sein Erstgeburtsrecht In den Augen des MaHaRaL auf der Grundlage seiner streitig machen wollte, greift er weiter aus und erklärt, existentiellen Philosophie ist es überhaupt unmöglich, wieso dies ein unvererbliches Recht ist. Das Verhaftetsein dass ein solcher »neuer Bund« anstelle des alten geschlos- des jüdischen Volkes mit Gott ist keine Privatsache und sen wird, denn nach seiner Definition ist die Tora nichts ist auch keine Sache von Patriarchenverdienst durch Got- anderes als ein System von »Weltordnung«, eine Ordnung teserkenntnis, es ist etwas ganz anderes. Es gehört zu den der Existenz, die Israel und nur Israel angemessen ist, und ursprünglichen Gesetzen der Existenz, oder, wie der der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass die Christen MaHaRaL es nennt, es handelt sich um ein »Anhaften im die Tora ja nicht halten, denn sie ist schon von der ihr we- Allgemeinen«. »Und beim Allgemeinen gibt es keine Ver- senhaften Struktur als Weltordnung her nicht für sie be- änderung.« Dieser Stand des Verhaftetseins oder der Zu- stimmt. Daher musste die Verleihung der Tora an Israel gehörigkeit wird durch die Sünde nicht ausgelöscht, denn auf die Weltschöpfung hin erfolgen, denn sie ist eine Er- die Sünde vermag das »allgemeine« System nicht zu ver- gänzung des Schöpfungswerks. Und so äussert sich der ändern, oder mit seinen Worten: »durch die Sünde be- MaHaRaL: »Man kann nämlich auf gar keinen Fall sa- wirkte Veränderung gehört sich nicht.« gen, dass die Tora um Israels Güte willen verliehen wur- Die Erwählung hört nicht auf, denn sie ist von vornherein de, um sie in dieser Welt zum Guten und zum Leben der an keine Bedingung gebunden, und sie ist auch nicht zukünftigen Welt zu führen, so dass man folgern dürfte, übertragbar auf einen anderen, der sich selbst ebenfalls als nachdem Israel nun gesündigt hat, habe er sie von seinem legitimen Erben der Verheissung an Abraham betrachtet, Antlitz verstossen und ihnen die Tora genommen, die er da diese Verheissung nicht an Abraham, sondern eindeu- ihnen zu ihrem Besten verliehen hatte . . . denn die Tora tig an seinen Samen, nämlich Israel, erging, mit seinen wurde Israel wie ein Joch auferlegt.« Ferner: »Und das ist Worten: »Erwählt wurde nicht Abraham persönlich, son- nicht möglich für ein anderes Volk, wie du siehst an dem dern das jüdische Volk, seine Nachkommen.« Die »allge- Volk, das die Tora zwar anerkennt, aber doch nicht in sie meine Erwählung« verhält sich wie ein Naturgesetz, oder eingedrungen ist sie zu halten — dies beweist nur, dass ihm nach seiner Definition, es handelt sich um »eigentliche Er- die Tora nicht zugehört.« »Von nun an wisse, dass die Er- wählung«, nicht um Erwählung aufgrund von guten Ta- wählung Israels notwendig ist nach der Weltordnung um ten. Im Grunde entzieht der MaHaRaL der Diskussion der Tora willen, denn die Welt kann nicht bestehen ohne mit dem Christentum die theologische Grundlage, indem Tora, und die Tora kann keinem anderen angehören als er die ethische Komponente entfernt, weil jede solche Israel . . . Und geht es denn an zu sagen, dass ein Notwen- Diskussion über 1500 Jahre hin sich als ausweglos erwie- diges zurückgenommen und aufgehoben werden sollte? sen hat, solange sich die Christen zur Untermauerung ih- Wenn dies nämlich vor seiner Umsetzung in die Tat not- rer Ansprüche auf die elende Existenz der Juden in der wendig war, wie sollte es dann nach seiner Umsetzung in Geschichte berufen und solange der Vorwurf der Sünde die Tat aufgehoben werden? Die Ursache für die Erwäh- wie ein Damoklesschwert über ihrem Haupte schwebt, ge- lung Israels ist doch unverändert, und er [Gott] stülpte führt von der Hand dessen, der ihnen den Rang streitig den Berg [Sinai] über sie [die Israeliten], um sie zu verge- macht. Der MaHaRaL unternimmt grosse Anstrengun- waltigen [vgl. bPessachim 88a], und so gilt die Regel, dass gen, zu zeigen, dass der Begriff »ewiger Bund« beweist, der Vergewaltiger die durch Vergewaltigung erworbene dass dieser Bund weder Grenze noch Ende hat, »und Frau ihrer Lebtag nicht entlassen darf« (31) [vgl. Dtn 22, nachdem dies so ist, warum überhaupt sollte der Bund für 29]. ein oder zwei sündhafte Generationen bestehen und für Der MaHaRaL geht also so weit zu behaupten, der Er- die noch ungeborene Nachkommenschaft Abrahams hin- weis für die ausschliessliche Beziehung der Tora auf Israel fällig sein« (69). sei gerade die Tatsache, dass die Israeliten sie gezwunge- Nicht einmal Gottes Wille ist es, der das Gesetz dieses nermassen, nicht freiwillig, auf sich genommen hätten, Bundes bestimmt, vielmehr sind das Gesetz der Existenz nicht aus freiem Willen, sondern, wie er sagt, »nicht von Gottes in Israel, die Einheit im Gesetz dieser Existenz, sich selbst aus, nur unter dem Druck der Notwendigkeit« seine Notwendigkeit und Naturhaftigkeit — »die allgemei- (71). Die exegetische Kühnheit des MaHaRaL, wenn er ne Envählung« — kein ethischer Wert, sondern eine natur- behauptet, im Midrasch stünde, »als die Israeliten kamen, gegebene Tatsache. »Und du sollst wissen: die Ursache um die Tora in Empfang zu nehmen, stülpte er den Berg dafür, dass Gott, gelobt sei Er, sich Israel genommen hat, über sie, um sie zu vergewaltigen«, verblüffte selbst die waren weder Israels Gerechtigkeit noch seine Taten, son- Herausgeber seiner Schriften, denn sie merken an, ein sol- dern die allgemeine Erwählung . . . Daher geht es auch cher Midrasch sei ihnen nicht bekannt. Dabei wussten sie nicht an zu sagen, dass mit dem Aufhören der Ursache, mit Sicherheit, dass der Gedanke, dass Israel von vornher- nämlich Israels Gerechtigkeit, auch die Wirkung, nämlich ein unter Zwang gestanden hätte, im Midrasch gar nicht dass Er es zu seinem Volk gemacht hat, aufhören solle . . . vorkommen konnte. Der MaHaRaL benützt die halachi- Aber in jedem Falle geschah die Erwählung selbst über- sche Verpflichtung, dass der Vergewaltiger sein Opfer haupt um keines Tuns willen« (70). Wie für das Volk Isra- ehelichen muss, als Muster für die immanente Verpflich- el, so gilt dies auch für die Israel verliehene Tora; sie ist tung, die Gott durch die Ausübung von Zwang Israel ge- kein Gesetzeskodex, der Wohlverhalten oder eine wirksa- genüber eingegangen ist. Das ist der ethische Schuldbrief me Moral garantiert, sie wurde auch nicht unter einer eines Existentialisten, bei dem die Ewigkeit der Existenz ethisch fundierten Bedingung verliehen; hier handelt es durch deren Gezwungensein garantiert wird. Das Gesetz sich nicht darum, dass das eine um des anderen willen be- ihres Erwähltseins von Geburt her ist das Gesetz ihrer steht: Israel existiert nicht um des Gesetzes willen, son- Existenz, und »da ihre Wirklichkeit sich zwangsläufig von dern die Tora ist das Gesetz der Existenz.' Auch die Fun- der Bewirkung her ergibt« — wie er sich philosophisch aus- dierung dieser Beziehung zwischen Israel und der Tora ist drückt —, so ist auch ihre Erwählung eine zwangsläufige, zweifellos gegen den Anspruch der Christen gerichtet, die daher kann die Sünde ihre Erwählung gar nicht aufheben, wie sie auch gar keine Möglichkeit haben, nicht zu sein, 3 Vgl. meinen Aufsatz Die juridische Konzeption des MaHaRaL ebenso können sie gar nicht umhin, erwählt zu sein. Die — die Antithese zum Naturgesetz (hebr.), in: Daat 1978/79, S. 147-157; eine englische Übersetzung dieses Artikels wird dem- Existenz ist mit der Erwählung identisch oder mit seinen nächst in der Zeitschrift Jewish Law Annual erscheinen. Worten, philosophisch formuliert: »Das Bewirkte ergibt

IM 211 231 sich zwangsläufig von seiner Bewirkung her, und es ist ker, eine Aussage, die ungeachtet ihrer philosophischen kontingent von sich selbst her.« Allerdings ist hier nicht Formulierung kein geringes romantisches Moment ent- nur seine Existenz das zwangsläufige Produkt seiner Be- hält. »Die auf dem Altar liegengebliebene Asche Isaaks« wirkung, wie die Philosophen glaubten, sondern auch sei- ist das ständige Gedenken Gottes an Israel, und dieses ne Erwählung: »Denn Er, gelobt sei er, ist ein notwendi- Gedenken wird als völlige Vereinigung bis zur Ununter- ger Bewirker gegenüber Israel, und es gibt keinen Bewir- scheidbarkeit gedeutet, »dafür dass er ihm sein Leben da- ker ohne Bewirktes, somit ist Gott, gelobt sei Er, notwen- hingegeben hat, steht er nun ständig vor ihm, aber diese digerweise König über sie, selbst wenn sie nicht wollen, Dinge sind noch Geheimnisse überaus tiefer Weisheit, denn dies geht vom Bewirker und nicht vom Bewirkten und mehr lässt sich darüber nicht sagen« (78). aus; was nämlich vom Bewirkten ausgeht, kann sich än- Die Unmöglichkeit des Untergangs beruht auf dem Ge- dern, denn das Bewirkte unterliegt der Veränderung, da- heimnis der besonderen Existenz, definiert durch »wesen- her ist es kontingent von sich selbst her und zwangsläufig hafte Wahrheit«, nicht wie die übrigen Bestandteile der von seinem Bewirker her« (72). Aus der blossen Tatsache, Wirklichkeit, die ihrer Natur nach verlorengehen können; dass Israel Gottes erstes und notwendiges Bewirktes ist, »aber Israel als wesenhafte Wahrheit hat seine Existenz folgt natürlich auch seine Vollkommenheit, eine Voll- von Gott her, gelobt sei Er, und somit wird ihre Existenz kommenheit, der keine Sünde etwas anhaben kann, »denn erhalten und sie gehen nicht verloren« (78), und dies ist von dieser Nation gilt, dass bereits ihre Erschaffung in ab- »das Volk, das einsam lagert«. soluter Vollkommenheit geschah, so dass keine Sünde an Allmählich spürt man, wie sich eine dialektische These ihr wahrzunehmen ist . . . und dies ist der Anlass dafür, herausbildet, die sich zwischen den Zerfallssituationen des dass Gott, gelobt sei Er, sie erwählt hat, denn es ziemt jüdischen Volkes und der Unmöglichkeit seines völligen sich, dass das Vollkommene dem Vollkommenen un- Zerfallens bewegt. Beides gleichermassen ist ein Erweis trennbar zugeordnet werde, und es ziemt sich nicht, dass für die Erwählung. Eine Zerbrechlichkeit, die doch nicht die Sünde, die doch an Israel etwas Zufälliges ist, Wechsel bricht, dieses »Geeignetsein zu fallen« — das ist es, was und Veränderung ihrer Erwählung herbeiführe, denn er- den MaHaRaL zu der Behauptung führt, dass ihre Nied- wählt sind sie von der Israel wesenhaft innewohnenden rigkeit auch ein Beweis für ihre Erw-ähltheit sei — denn Vollkommenheit her, denn sie sind wesenhaft rein von der Gott liebt ja gerade den Demütigen und Unterdrückten — Sünde«. Ein zufälliges Moment vermag ein wesenhaftes und andererseits ihre innere Stärke, welche ihre Ewigkeit nicht aufzuheben, »und man kann nicht sagen, dass der bezeugt. Denn »Gott, gelobt sei Er, stützt die Gemeinde Zufall ewig andauert« (73). So deutet der MaHaRaL die Israels, dass sie nicht endgültig falle«. Das Ungleichge- Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit dergestalt, wicht zwischen ihrer äusseren und inneren Existenz wird dass Israel das Ebenbild der »Vollkommenheit seiner beschrieben als »Mangel ihrer Erhabenheit und Grösse«, Schöpfung selbst« ist, und dies ist auch die Bedeutung ih- der aber ihre eigentliche Existenz nicht gefährdet: »aber res »Völlig-mit-ihm-Verhaftetseins«, was kein Ethos für dass ein Mangel an ihr Wesen gelange, das ist nicht der sich ist, sondern eine Existenzweise. Der MaHaRaL wen- Fall« (85). Möglicherweise hängt auch diese Aussage mit det den Begriff des Verhaftetseins nicht auf den Einzel- dem kirchlichen Edikt zusammen, wonach man die Juden menschen an, sondern auf das Volk Israel, denn ihm geht zwar unterdrücken, aber nicht völlig vertilgen dürfe, denn es um die Existenz-Mystik des Volkes Israel als einer pri- sie müssten bestehen bleiben als lebendes Zeugnis der mären organischen Einheit, und es braucht fast nicht ge- Schmach für ihre Sünde und den Sieg der Kirche. So sagt zu werden, dass dies innerhalb der jüdisch-christli- könnte etwa jenes eigenartige, über die Juden verhängte chen Auseinandersetzung die entscheidende Frage ist. Der Existenzschicksal beim MaHaRaL zu einer mystischen MaHaRaL will zu dem Schluss gelangen, dass nur eine Apotheose des Existenzgeheimnisses geworden sein. vom freien Willen — sowohl Gottes als auch Israels — un- abhängige Verbindung eine ausreichende Garantie für sei- Der Sinn des Leidens ne Unauflösbarkeit bietet. Wenn nur eine solche Verbin- Die Aufhebung der Angst vor dem Untergang ist noch dung über jeden Disput erhaben ist, so lässt dies darauf keine Antwort auf die Frage nach der Konfrontation mit schliessen, wie tief die Polemik gegangen war. Aber die dem Leiden. Der MaHaRaL sieht im Leiden eine Schran- Aussage ist sicher keine rein polemisch bedingte, ihm war ke vor dem Untergang, denn Leiden läutert Israel und es wirklich um eine gewisse Unwahrscheinlichkeit, um das zehrt ihre Sünde auf, so wie der Erdboden Metalle in sich Wunder der jüdischen Existenz zu tun, ein Wunder, das aufnimmt. Der Staub, das niedrigste der vier Elemente, jedes rationale Argument, das mit Erklärungen wie Treue, hat die grösste Widerstandskraft von allen, »denn Israel Glauben oder Willen arbeitet, weit hinter sich lässt. Nur ist zwar Plagen und Leiden ausgesetzt, aber es geht daran ein geheimnisvolles Gesetz, das so stark ist wie die Exi- nicht nur nicht zugrunde, sondern es existiert erst da- stenz selbst, vermag einerseits das Überleben des jüdi- durch« (85). Leiden schwächen die Existenzkraft nicht, schen Volkes, andererseits dessen Bereitschaft zum Mär- ganz im Gegenteil, sie machen diese eigentlich erst aus. tyrertod zu erklären. Dies ist natürlich eine Abwehr der christlichen Behaup- Das Märtyrertum wird gedeutet als Wirkung der Anzie- tung, dass ihr Leiden für ihre Verwerfung zeuge. Der Ma- hungskraft, die der Bewirker auf das von ihm Bewirkte HaRaL behauptet dagegen: Überfluss an Gutem in dieser ausübt, also nicht etwa durch freien Willen oder rationale Welt würde sie an der Erreichung ihres geistigen Niveaus Entscheidung: »Denn Israel wird überhaupt nicht nach hindern, »und sie blieben auf der Stufe des Materiellen«, seinem eigenen Willen gezogen, sondern nur nach dem wie er sich ausdrückt, und dadurch wäre ihnen der Zu- seines Bewirkers, gelobt sei Er, sie und ihre Seele sind auf gang zum Leben der zukünftigen Welt versperrt, und das Gott, gelobt sei Er, gerichtet, und insofern ginge es gar ist doch der Weg, um dessentwillen sie in dieser Welt nicht an, das 'Hören< dem >Tun< voranzustellen [vgl. Ex existieren müssen, oder mit seinen Worten: »und dazu 24, 7 mit b Schabbat 88a], denn auf ihr Wissen und Wollen müssen sie erhalten werden in dieser Welt«. Das Exil als kommt es ja gar nicht an, vielmehr hängen sie ganz und Gelegenheit zum Aufstieg ist in der Argumentation des gar nicht an ihrem eigenen Wissen und Wollen, und wie MaHaRaL stärker als die These vom Exil als Strafe, und sollte es zugehen, dass diese Verbindung gelöst werde?« dies ist gewiss eine wichtige These für die Auffassung des (76). Die Bereitschaft zum Märtyrertod ist nichts anderes Judentums von seinem eigenen Schicksal sowie eine als die ständige Präsenz des Bewirkten bei seinem Bewir- grundsätzliche Entgegnung ans Christentum.

2321 IM 2 2 Das Exil als eine Dezimierung von Israels Kraft ist gleich- HaRaL lautet folgendermassen: R. Jehuda sagte, Sche- zeitig auch eine Kraft, die Israel aufrechthält, und letzte- muel habe gesagt: Eine einzige Stadt hat das vierte Reich, res ist die Hauptsache. »Die Not erhält sie aufrecht, bis sie einmal in siebzig Jahren bringt man dort einen heilen aufrecht stehenbleiben«, und wenn sie es verdient hätten Menschen und lässt ihn auf einem lahmen reiten, man be- (im Sinne von Strafe), dann würden sie dadurch aufgeho- Ideidet ihn mit dem Adamskostüm, legt ihm den Skalp ben, »und das ist die eigentliche Antwort auf die lange von Rabbi Jischmael auf den Kopf, hängt ihm vier Sus Dauer unseres Exils, dass es Israel nicht ziemt, dass ihnen Feingold um den Hals, bedeckt die Märkte und ruft vor diese Welt ein Wert sei, denn an den Gütern und Genüs- ihm aus: »Die Endzeitberechnungen trogen, der Bruder sen der materiellen Welt haben sie keinen Teil« (87). So- unseres Herrn ist ein Fälscher. Wer es sieht, der sieht's, mit läuft die Sache umgekehrt: Die lange Dauer des Exils und wer es nicht sieht, der wird es nicht sehen; was für ei- ist kein Zeichen dafür, dass Gott sie verlassen habe, wie nen Genuss hat der Betrüger von seinem Betrug und der die Christen meinen, sondern dies ist ein Zeichen dafür, Fälscher von seiner Fälschung, und so endet man: weh dass die Dauer des Exils existenzerhaltende Funktion hat! dem einen, wenn der andere sich erhebt.« Ungeachtet dessen, dass der MaHaRaL einen erbitterten Diese Darstellung eines antijüdischen Karnevals beim Kampf um Israels Existenz und deren Bedeutung führt, MaHaRaL liest sich wie eine Aktualisierung des Talmud- hat er diese Welt — wenn man so sagen darf — als Schau- textes : Vornehme Herren mit einem kostbaren Schmuck- platz der Auseinandersetzung aufgegeben und lässt sich stück um den Hals, das ein Kreuz sein könnte, gehen bei der Beschreibung des Wesens des jüdischen Volkes zu prächtig gekleidet auf den Märkten umher, und was sie immer weiterer Spiritualisierung drängen, wobei diese Be- auf ihren Gesichtern tragen, ist nichts anderes als die schreibung eines makabren Bewusstseins von Entfrem- Maske des weiland Hohenpriesters Rabbi Jischmael, dung und Verkrüppelung, ja von Minderwertigkeit nicht bekanntlich einer der zehn Märtyrer, in dessen schönes ermangelt, worin Elemente eines verhaltenen Hasses mit Gesicht sich die Kaisertochter verliebte, weshalb ihm die inbegriffen sind. Allerdings wird die spirituelle Rechnung Haut abgezogen, einbalsamiert und ausgestopft wurde. immer intensiver, je schlimmer sich die Physiognomie des Die Entwendung der geistigen Schönheit von Israel, um diesseitigen Lebens verzerrt, bis hin zu der Behauptung, sich damit herauszuputzen, und das Reiten auf Jakob, der das Diesseits sei überhaupt nicht für das jüdische Volk be- an der Hüfte hinkt, stehen für das komödiantenhafte Ge- stimmt, und vielleicht sei es ein historischer Fehlgriff ge- baren der christlichen Kultur, und in den Äusserungen des wesen, von vornherein Anspruch darauf zu erheben. MaHaRaL gibt es nur einen Lichtblick: »und dass der »Und nachdem uns nun ldar ist, dass Israel das Nicht-Ma- Reitende den Lahmen nicht völlig übermag, das liegt dar- terielle zugeordnet ist, wie können wir dann sagen, ihr an, dass dessen Vernichtung unmöglich ist« (91), ». . . und Hauptteil sei das Diesseits, so dass Israel die meiste Zeit hier haben wir sehr grosse Dinge erläutert«. Die hier an- über Macht und Grösse verfüge? . . . Daher, wenn du gesprochenen »sehr grossen Dinge« richten sich auf den auch diese Welt iiehst, die Israel nicht zugeordnet ist, so eschatologischen Aspekt dessen, was in dieser Welt wie sollst du dich doch gar nicht darüber wundern, denn diese die Karikatur einer Existenz aussieht, und diesem Thema Welt ist nicht für sie bestimmt, was in mancher Hinsicht wollen wir uns im zweiten Teil unserer Ausführungen zu- gut für sie ist« (87). »Nimm auch keinen Anstoss daran, wenden. wenn sie von der Not verfolgt werden wie die Generation des Martyriums von Heiligen und Makellosen, wenn die Die eschatologischen Dimensionen innerhalb der Natur Macht Samaels ihnen nachstellt, das ist gar nicht erstaun- Was also besagt der Ausdruck »Ewigkeit Israels« noch lich, denn Israel wird in dieser Welt geschlagen und über die Tatsache der Existenz für die Dauer des Exils gepeinigt und verheert, weil ihnen diese Welt nicht hinaus? Der MaHaRaL hat wie kein anderer das Be- angemessen ist und dort Widerstand gegen sie besteht« wusstsein des Existenzgeheimnisses entwickelt, allerdings (89). hat er dies weit über die Idee des historischen und sozia- Diese Welt steht von vornherein im Widerspruch zu ih- len Überlebens, die natürliche Logik von Fortdauer der nen, schon im Mutterleibe waren Jakob und Esau ver- zeitlichen und räumlichen Existenz hinaus getan. Er hat schieden an physischer Beschaffenheit, und Jakobs Gestalt der Existenz als solcher eine eschatologische Dimension war materialiter weniger ausgeprägt, die naturgegebenen verliehen, ja er behauptet sogar, dass sie diese phänome- physischen Unterschiede zwischen den beiden besiegelten nologisch bereits in sich trage. Das Sein als solches, als auch das Schicksal ihrer Existenz. Keiner von beiden war unendliche Kombination von Materie und Form, trägt bereit, auf den Anteil des anderen zu verzichten, und da- nicht nur das einmalige Phänomen der Natur samt ihren her rührt das biblisch so genannte »Gegeneinander-An- ehernen Gesetzen, sondern in diesem Phänomen tritt laufen« (vgl. Gen 25,22). In diesem Kampf muss jeder die auch die »Ordnung der Wirklichkeit« hervor. Und diese ihm zugewiesene Stelle kennen, und natürlich ist es das »Ordnung der Wirldichkeit« ist die Natur in ihrer escha- Exil, das Israel über seine wahre spirituelle Bestimmung tologischen Dimension. In der Dimension der neuen belehrt hat, wobei der MaHaRaL hinzufügt, dass »diese Möglichkeiten entstehen neue und »entwickeltere« Wel- Dinge überaus tief« seien, und die elende Form ihrer Exi- ten, in denen die Materie von ihrem »Materiellen« verliert stenz bezeugt zwar ihr soziales und politisches Elend, und der Form ermöglicht, sich mit ihr auf einer neuen und aber doch auch die letztendliche Ausrichtung ihrer Exi- »höheren« Ebene zu vereinigen. Die Aufhebung des Ma- stenz auf die künftige Welt. Als Illustration des Siegs von teriellen der Materie ist die eschatologische Vision, wel- Esau-Samael in dieser Welt dient die existentielle Schilde- che die gesamte Wirklichkeitsordnung unterhält, und sie rung einer Erzählung aus dem Talmud (bAwoda sara ist es auch, die einen Ausblick auf eine Eschatologie des 11b), wo eine Art römisches Volksfest geschildert wird, in Seins eröffnet. Julius Guttmann schildert in seinem Kapi- dem Esaus Sieg über Jakob und dessen Betrügertum de- tel über Jehuda Halevi das Prinzip der philosophischen monstriert werden soll. Aber die Interpretation des Ma- Emanationslehre, das sein Denken beeinflusste, folgen- HaRaL fordert Schadenersatz für die jüdische Kultur, dermassen: »Die verschiedene Form der Kräfte, die den welche die Christen an sich genommen haben und mit der einzelnen Wesen zuteil werden, ist durch die Disposition sie sich äusserlich aufputzen, während Jakob noch an sei- ihrer Materie bedingt. Wo diese vorhanden ist, verwirk- ner Hüfte hinkt. licht sich auch die ihr gemässe Form. Die formspendende Die talmudische Erzählung in der Wiedergabe des Ma- Wirksamkeit Gottes erfolgt stets, wenn die Materie die

/M 23 1 233 entsprechenden Voraussetzungen aufweist.« 4 Diese Defi- Ursprung der Vielheit und verdränge Gottes Ehre aus die- nition des Problems passt zu der Theorie, auf welche sich ser Welt, was in seinen Augen an Abgötterei grenzt. der MaHaRaL stützt; demnach können wir die Eschato- »Ich habe irgendwelche Leute gefunden, die ihre über- logie des Seins definieren als das Zustandekommen einer kommene Auffassung von der Pluralität der Entwicklung neuen Disposition der Materie sowie das Entfernen von auf Schriftverse stützten; was aber daraus folgt, ist eine Hindernissen, die bis dahin dem Auftreten eines neuen sehr grosse Sünde, denn damit erkennt man dem Hochge- Ordnungssystems im Wege standen. lobten die Erschaffung der Welt ab, indem man sagt, die- Der MaHaRaL sagt, die verschiedenen Ordnungssysteme se Welt sei durch Mittelwesen erschaffen . . . demnach der Natur stünden für verschiedene Ebenen von Erschöp- wird seine Ehre — da sei Gott vor! — aus dieser Welt ver- fung des Potentials bei der Verbindung der Materie mit drängt« (15f.). der Form, was wiederum für die neuen Möglichkeiten der Diese Annahme interessiert uns nicht so sehr um ihrer Natur spricht, die in Zuständen der Materie beschlossen selbst willen, als vielmehr als Grundlage zum Verständnis liegen, wobei diese selbst sich ständig verändert und eine der eschatologischen Dimension des Seins. Wie nämlich »neue Welt« verheisst. Ohne die Schau des »Neuen« be- könnten wir uns vorstellen, dass der Begriff der Vielheit reits in dieser Welt, nämlich im System der Natur, könn- aus der absoluten Einheit, die in sich selbst vollkommen ten wir keinerlei Aussagen über die »neue Welt« zur mes- ist, hervorgeht, wenn nicht so, dass auch ein Einheitsbe- sianischen Zeit wagen, d. h., wir hätten keinen Grund, die griff besteht, der aus der Dynamik der Vielheit hervor- Natur als mit einer eschatologischen Perspektive ausge- geht, oder genauer gesagt: der Einheitsbegriff als ein dia- stattet zu betrachten, woraus wiederum folgt: Die Tatsa- lektischer, ein Begriff, der die Notwendigkeit der Exi- che der Existenz von Leben auf verschiedenen Stufen von stenz von Vielheit zum Zweck seiner Ergänzung aus- Vollkommenheit bezeugt die Offenheit und Vielwertig- drückt. Und so versteht der MaHaRaL das Sein als eine keit der Natur, welche die ihr seit der Weltschöpfung in- Vielheit zur Ergänzung der Einheit, die als primärer Be- newohnenden Potenzen verwirklicht, oder wie er sich griff oder als »erstes Bewirktes« aus der vollkommenen ausdrückt: »da wir diese Sache auch jetzt in der Welt fin- Einheit Gottes hervorgeht. Die Einheit als wirkende Ursa- den — selbst wenn sie sich nicht in dieser selben Art, son- che gleicht nicht der Einheit als erstes und einziges von dem nur in einer anderen Art findet — so heisst das doch Gott Bewirktes, jenes Bewirkte besteht aufgrund seines keine neue Welt«. Demnach ist das »Neue« der Natur im- »Mangels«, nämlich seines Angewiesenseins auf Ergän- manent, selbst wenn wir es nicht in sämtlichen Arten im zung, nicht aufgrund seiner Vollkommenheit. Eben dieser gleichen Masse finden, und vielleicht sind es gerade die Mangel aber ist die logische Notwendigkeit der Eschato- »niedrigeren« Arten, die ihren eschatologischen Kreis be- logie des Seins, denn die Vielheit des Seins erhält dieses reits in dieser Welt rasch schliessen, denn ihre Materie hat nicht nur, sondern ergänzt es auch. Das Sehen der primä- nicht eben diese »Gelegenheit«, sich neuen Formen zu ren Seinsgrundlage als das Element des »Mangels« — das öffnen, um sie zu einer höheren Entwicklung zu bringen. hier »Anbeginn« genannt wird — erklärt die eschatologi- Diese »Arten«, die zu ihrer Vollendung gelangen, schlies- sche Absicht, nämlich die spontane Verwirklichung sämt- sen den Kreis, und vielleicht verschwinden sie sogar vom licher Formen, die in der Materie ihrer Ergänzung harren. Horizont der Natur, wenn diese eine höhere Entwick- »Die Schöpfung besteht nur vom >Anbeginn< her, denn lungsstufe der Materie überhaupt erreicht. Von dem auf durch den Anbeginn findet sich alles, und daher gibt es in Materie und Form gegründeten Seinsprinzip her lässt sich jedem Sein selbst einen Anbeginn. Und diese Deutung ist die eschatologische Welt also nicht als eine »neue Welt« sehr klar, nur ist es unmöglich, sie in ihre Tiefe auszulo- bezeichnen. Denn dieselben Gesetze gelten in jedem Au- ten . . . dies sind wahrhaft echte und wahre Worte, denn genblick der Existenz des Seins, und zwar die Gesetze der die Vielheit kommt um des Anbeginns willen« (18). Schöpfungsordnung. Das Wesen eines Dings wird immer Man kann sagen, dass der »Mangel als Ursache des Seins« in der Überprüfung seiner Form bestimmt, aber es gibt ei- (131) eine Formel ist, mit welcher der MaHaRaL die bei- ne »neue Welt« als Ergebnis der Seinsvorgänge selbst. den Grundelemente umschliessen kann: er erklärt die Dieses Problem wird beim MaHaRaL im Zusammenhang Schöpfung als Herstellung eines Mangelzustands, der sich mit dem Vers Kcal 1,9 (es gibt nichts Neues unter der in der Ersten Ursache, die vollkommen ist, nicht findet, Sonne) behandelt. Der MaHaRaL deutet den talmudi- und er weist auf das eschatologische Element hin, das sei- schen Ausspruch bSchabbat 30b : »Rabban Gamliel lehrte : nen Zweck im Sein findet, das ein Begriff sich entwickeln- dereinst wird eine Frau Tag für Tag gebären . . . da mach- der Existenz ist. Der MaHaRaL fasst dies folgendermas- te jener Schüler ihn lächerlich, indem er zitierte: >Es gibt sen zusammen: »Die Welt muss einen Mangel haben von nichts Neues unter der Sonne.<« Daraufhin bringt Rabban sich selbst her, nicht von ihrer Ursache her« (202). Aus- Gamliel »jenem Schüler« Beispiele aus der Natur, die so führlicher behandelt hatte er diesen Gegenstand offenbar angelegt sind, dass sie Ausnahmen zulassen, verweist ihn in seinem »Buch der Grösse«, aber dieses Werk ist leider etwa auf die Henne, die Tag für Tag ein Ei legt! Nach nicht auf uns gekommen. Meinung des MaHaRaL soll dieses Beispiel darauf hin- Sowohl das Prinzip der Schöpfung als auch das ihrer weisen, dass es in der Natur verschiedenen Rhythmus im Wirksamkeit im System der Gesetzmässigkeit von Materie Leben verschiedener Wesen gibt, wobei aber durchaus da- und Form trägt also dialektisch die eschatologische Ge- mit zu rechnen ist, dass sich dereinst der Rhythmus des setzmässigkeit in sich, d. h. ein Sein, das immer »mangel- menschlichen Gebärens gemäss den neuen Gegebenheiten hafter« wird, ist auch eines, das sich auf seine höhere der Spezies Mensch ändern wird. Nicht nur die philoso- Bestimmung hin entwickelt. Theologisch spricht der phische Grundlage von Gott als dem Ursprung der For- MaHaRaL davon, dass das Sein Gott »entgleitet«, indem men erinnert an die Voraussetzungen Jehuda Halevis, es geschaffen wird — von seiner Mangelhaftigkeit her und sondern auch sein Bestehen darauf, dass sämtliche For- seiner Entwicklung auf eine höhere Stufe der Vollkom- men unmittelbar von Gott ausgehen. Der MaHaRaL ver- menheit hin im System von Materie und Form. Dies ist in ficht diese These sehr energisch und behauptet, wer »Mit- seinen Augen die Bedeutung des Midrasch vom Bestehen telwesen« annehme, verletze den Begriff der Einheit als der Welt über sechs Jahrtausende hin und ihrer Zerstö- rung im siebten. In einem Zyklus von sechstausend Jahren wird die Materie ihrer »Materie« immer weiter entkleidet 4 Julius Guttmann, Die Philosophie des Judentums, München 1933, S. 150. und schreitet immer grösserer Mangelhaftigkeit zu, bis

234 I IM 24 hin zu ihrer Zerstörung, die auch ihre Vollendung ist von sianischen Zeitalter, wird diese Welt göttlich . . . und seiten der neuen Beziehungen ihrer Verbindung mit der ebenso wird am Ende der Weltzeit diese Welt ganz und Form. Mit anderen Worten: Das Sein unterliegt einem gar eine, denn Hauptqualität der Vollkommenheit ist die Prozess von »Veraltung« der Materie, wodurch diese zu Einheit« (172). einer geistigeren Stufe befähigt wird. Die Welt hat einen Die Welt, welche ihre »Jugendlichkeit« einbüsst, und die Zyklus von Sein und Vergehen, in der philosophischen Geschichte, welche sich unter dem Joch der Weltreiche Kategorie benannt von seiten »dessen, worin Gott vom erschöpft, dies sind parallele Zeichen für den Anbeginn Vorhandenen unterschieden ist, nicht worin er dessen Ur- der »neuen Welt« mit ihren spirituellen Gesetzen und sache oder Bewirkung ist«. Durch jenen Aspekt, worin er ihrer spirituellen Vollkommenheit. Somit birgt eben das, sich vom Sein unterscheidet, nämlich der Vollkommen- was als beschädigte und mangelhafte Existenz erscheint, heit, eben daher wird die »Mangelhaftigkeit« des Seins das »Weltalter« in sich. unterhalten und enthüllt sich der wesentliche Status der »Und wenn jemand einwenden könnte, es sei schliesslich Gesetzmässigkeit von Verlust und Sein. ein Mangel unsererseits, dass wir so gar nicht dieser Welt angemessen sind, so gilt dies für Leute mangelnden Ver- Die eschatologischen Dimensionen in der Geschichte standes, wer aber Verstand besitzt gepaart mit Weisheit, Im Grunde will die Theorie von der eschatologischen Di- der sieht nicht nur, was kommen wird, sondern auch sein mension des Seins die existentielle Theorie der Geschichte Erbteil, das ihm Gott der Hochgelobte verliehen hat, ihm erhärten, d. h. Mangel zwecks Vervollständigung, Zerstö- zum Guten alle seine Tage . . . Israel gleicht einem Öl- rung zwecks Erlösung. So wie die Tempelzerstörung ein baum, sie existieren zwar auf die künftige Welt hin, erfah- Verlust zwecks Erlösung war, liess die physische Kraft ren aber doch weder Vernichtung noch Verlust in dieser dieses Seins in dem Zeitraum, der ihm als Epoche des Welt, auch wenn die Welt ihnen nicht gerade angemessen Tempelbestandes bestimmt war, immer mehr nach und ist . . . auf dass sich der Mensch in dieser Welt auf die machte der Herausbildung eines neuen Seins Platz in ei- künftige bereite, darum haben sie Bestand in dieser Welt« ner neuen astronomischen Zeit, die sich zwar nicht auf (99-101). »Diese Welt« ist die natürliche, nach dem bibli- dem Wege der Endzeitberechnung vorhersagen lässt, de- schen Schöpfungsbericht erschaffene . . . »aber die Voll- ren Gewissheit kraft des Gesetzes von Verlust und Sein kommenheit, die in den Tagen des Messias sein soll, wird aber über jeden Zweifel erhaben ist. Die exakte Formel über die Natur hinausreichen«. Mit dem unterschiedli- lautet: »Wenn der Tempel zerstört ist, sollte der Messias chen Lebensrhythmus bei den Weltvölkern und beim jüdi- kommen« oder »mit der Zerstörung trat die Weltwirklich- schen Volk verhält es sich ähnlich wie mit dem Entwick- keit ab und ging über in den Herrschaftsbereich anderer lungstempo von Grashalm und Zeder, ersterer wächst Gestirne«. Nach Auffassung des MaHaRaL hätte Gott rasch und geht rasch zugrunde, dagegen brauchen Bäume sich mit der Tempelzerstörung überhaupt nicht abgege- wie Zeder und Palme lang, bis sie sich entfalten, haben ben, wenn die historische Gesetzmä.ssigkeit keine höhere dann aber Bestand. Wieder beobachten wir, dass der Ma- sie lenkende Ursache hätte. Hier liegt keine im ldassi- HaRaL beim jüdischen Volk eine andere Kategorie zeitli- schen Sinne theologische Frage vor — dem MaHaRaL cher Existenz findet, und dass sie die meiste Zeit im Elend geht es um die Verteidigung der historischen Existenz des sind, »deutet nicht auf einen Mangel ihrer grossen Voll- jüdischen Volkes als Muster der Existenz als solcher. Und kommenheit, welche sie besitzen, denn ihnen angemessen von hier aus wird ohne weiteres verständlich, wie das Exil ist die künftige Welt« (104). Die Tatsache, dass sie ihre als Moment des Mangels und Verlustes das Moment der Vollkommenheit noch nicht verwirklicht haben, bedeutet Erlösung bereits in sich birgt. Dies ist das wahre Geheim- ihr Unterworfensein, denn »was nicht verwirklicht ist, das nis jüdischer Existenz — die Juden repräsentieren die Dia- ist unterworfen« (105). Und die natürliche Ursache, wes- lektik, welche ihre Ewigkeit garantiert, politisch gespro- halb sie noch nicht zur Selbstverwirldichung gelangt sind, chen: Mit dem Sturz des vierten Reiches wird automa- liegt in der Grundvoraussetzung, dass »ihr Sinn und tisch das messianische Reich des jüdischen Volkes erschei- Zweck nicht in ihnen selbst besteht«, vielmehr »Gott der nen, so wie die Frucht aus der Schale hervortritt! Die not- Hochgelobte ist ihr Sinn und Zweck«. Mit anderen Wor- wendige und natürliche Spontaneität lässt die messiani- ten: Ihnen eignet die ewig dauernde Existenz, weil Gott, sche Welt aus der Welt von Gestern hervorvvachsen, und von dem sie bewirkt sind, Sinn und Zweck ihres Daseins das Volk, das die meisten Zeichen eines dieser Welt Ent- ist; sie sind die Erscheinung der Existenz überhaupt, so rückt- und Entfremdetseins aufweist, eben dessen Exi- wie das Bewirkte das Existenzprinzip überhaupt ist. Darin stenz trägt zwar nur ganz leicht angedeutet, aber doch gipfelt zweifellos die Entgegnung des MaHaRaL an dieje- mit unerschütterlicher Gewissheit den Stempel der neuen nigen, welche auf existentieller Grundlage Israels Unter- Welt. Die völlig entwurzelte Physiognomie weicht der gang postulierten. messianischen, so wie das gesamte Sein am Vorabend der »Und somit wird deutlich der Unterschied in der Welt Erlösung unter dem Zeichen der Wirklichkeitsentziehung von seiten des jüdischen Exils, dieses gilt nämlich durch- — wie er sich ausdrückt — stehen wird, das ganze System aus nicht als Mangel im Wesentlichen, sondern nur als der Natur und sogar die künstlichen Dinge werden als Mangel an einem Punkt, an dem eine Hauptabsicht Got- Mangel und Verlust dastehen. Und »aus der Verände- tes des Hochgelobten liegt, so weit, dass dadurch die gan- rung, die sich in der Welt vollzieht, können wir das neue ze Welt sozusagen aufgehoben wird, und zwar weil der höhere Sein erkennen, das werden wird« (167). Das Kri- Hochgelobte gegenüber Israel die wirkende Ursache ist, terium für die messianische Zeit bemisst sich nach der exi- und von daher geziemt es, dass die Verknüpfung des stentiellen Eschatologie des »Weltalters«, »daraus folgt Bewirkten mit der beWirkenden Ursache vollkommen sei« notwendig, dass das Ziel der Zeit vom Weltalter der Voll- (110). kommenheit fähig ist, und dies ist das messianische Zeital- ter am Ende der Zeit . . . und das Ende der Welt besteht Das Kommen des Messias und die neue Welt darin, dass sie bereit ist, göttlich zu werden; wie ein Was die aktuelle Frage betrifft, wann sich die Messianität Mensch auf der Höhe seiner Tage durchaus ungöttlich des jüdischen Volkes enthülle, so antwortet der MaHa- ist, aber gegen Ende seiner Tage entschwinden ihm die RaL darauf politisch: mit dem Sturz des vierten Reiches — Kräfte des Körperhaften, bis er göttlich wird, gilt dies worunter zu seiner Zeit natürlich die gesamte christliche auch für die Welt: am Ende ihrer Tage, nämlich im mes- Welt verstanden wurde — sobald dieses das Gesetz seiner

IM 2 5 1235 Existenz zur Gänze erschöpft habe. Bis dahin schildert wissen, dass sämtliche Äusserungen der Meister über das der MaHaRaL dieses in den Farben von Kraft und Macht Ende nicht so gemeint sind, dass das Ende zu eben jenem und Herrlichkeit und erblickt darin eine politische Macht, Zeitpunkt ganz gewiss eintreten werde, vielmehr hat er welche das osmanische Reich — hier »Persien« genannt — uns enthüllt, welche Zeit bereit und würdig sei, dass zu ihr damals eine um sich greifende Macht, eine Bedrohung des das Ende eintrete, wohingegen bis dahin das Ende über- christlichen Abendlandes, besiegen werde. Allerdings ist haupt nicht eintreten durfte . . . Das Ende ist eins von den das Wissen um die durch die Zerstörung bewirkte »Min- verborgenen Dingen, die nicht klar enthüllt werden kön- derung der Welt« in den Augen des MaHaRaL kein nen« (180). »Das Ende ist die Ihm eigentliche Wahrheit«, Grund für Naherwartung der Endzeit oder auch nur für und »die Erlösung ist wie eine völlig neue Welt« (181). Endzeitberechnungen, denn »das Ende« gehört zu einem Zwar bleibt auch diese »neue Welt« innerhalb der Wirk- natürlichen System zeitlicher Abfolge, die sich nicht be- lichkeitsordnung, aber von ihr lässt sich einzig und altein schleunigen lässt, es ist der Abschluss eines natürlichen vorhersagen, dass sie auf einer anderen, höheren geistigen Vorgangs bis hin zur Erneuerung der Welt, wobei die in- Stufe stehen wird als die bisherige — eine »zur Vollkom- nere höhere verborgene Kraft, nämlich die messianische menheit fähige Welt«, wie der MaHaRaL sie definierte. Welt sich verwirklichen wird »und Israel als geradezu von »Dies alles soll den Vorzug des neuen Seins kundtun, das neuem geboren gelten wird« (108). Ganz ohne menschli- in die Welt kommen soll mit dem Kommen des Erlösers, ches Zutun scheint der Vorgang aber doch nicht denkbar, als ob eine neue Welt entstünde, und du musst dies verste- schliesslich verknüpft die Tradition das Hereinbrechen hen, denn es ist noch etwas sehr Wunderbares . . . Zur der Endzeit mit Israels »Umkehr« — was für eine Bewand- Zeit des Messias wird die Welt einfach sein, und das ist nis hat es also mit dieser »Umkehr«? der Vorzug der messianischen Welt.« »Einfache Welt« Der MaHaRaL nimmt die Diskussion zwischen Rabbi bedeutet hier eine aus einfacher Materie aufgebaute Welt, Elieser und Rabbi Jehoschua im 10. Kapitel des Traktats und entsprechend wird der Messias »völlig aus Geist« Sanhedrin (bSanhedrin 97b) wieder auf, um damit eine ei- sein. gene These zu untermauern. Dort heisst es: Raw sagte: Der Messias — vielleicht eine konkrete Person, obwohl er sämtliche Endtermine sind vorbei, und jetzt kommt es nur ja keinen Vornamen hat und sein Name vom jeweiligen noch auf Umkehr und gute Werke an; Schemuel dagegen Fassungsvermögen abhängig ist, vielleicht Symbol für die sagte: einem Trauernden ist es genug, dass er in seiner neue Zeit — soll gerade in einer Generation kommen, die Trauer stehe; entsprechend die tannaitische Kontroverse: ganz und gar schuldig ist! Eine schuldige Generation steht Rabbi Elieser sagt: wenn Israel Busse tut, wird es erlöst, für die Welt, die immer tiefer in der Mangelhaftigkeit ver- wenn nicht, dann nicht; darauf erwiderte ihm Rabbi Jeho- sinkt, »die niedrigste Generation«, wie er sich ausdrückt, schua: wenn Israel nicht Busse tut, wird es nicht erlöst, »und gerade dann wird ihnen der Messias zuteil, wenn es jedoch der Heilige, gelobt sei Er, setzt einen König über in der Welt überhaupt kein Sein, sondern nur noch Man- es, dessen harte Verordnungen es auf den rechten Weg gel gibt, und dann wird sich das messianische Sein erneu- zurückführen. Der MaHaRaL lehnt die Aussage R. Elie- ern, und Israel ist der Seinsgrund der Welt: »Gemäss dem sers ab, wonach die Busse der einzig entscheidende Fak- mangelhaften Sein wird vollkommenes Sein erneuert« tor sei, und behauptet, es gebe einen sehr viel grundlegen- (167). deren Faktor, welcher die Erlösung aufhalte, nämlich ein Nicht selten gewinnt man in den Schriften des MaHaRaL natürliches System, das Gesetzen unterliegt, die mit der den Eindruck, dass bei ihm »Messias« für das jüdische Busse überhaupt nichts zu tun haben. Wie ist das zu ver- Volk steht und dass mit der »niedrigsten Generation« der stehen? Den Terminus Endtermine (wörtlich die Plural- Abgrund gemeint ist, in den die abendländische Kultur zu form von »Ende«) interpretiert er als eine Auswahl von versinken droht, wobei nur ein einziges Volk auf der Welt potentiell bestehenden Möglichkeiten, von denen jede übrigbleibt, das nach seinem geistigen Stand für die »neue einzelne ein mögliches Ende oder ein »Zeitpunkt der Er- Welt« geeignet ist. Faktisch wird hier sogar betont, dass es lösung« ist, und erst nachdem all diese Endtermine, wel- sich mehr um einen biologischen als um einen kulturellen che diese Bereitschaft in sich tragen, vorüber seien, kom- Niedergang handelt, und es gibt hier mehr als nur einen me das Ende, mit dem die Erlösung notwendig eintreten Hinweis auf die kühne naturhafte Dialektik, wonach aus müsse; da wir aber nicht wüssten, welches Ende das rich- diesem Niedergang nur ein Same gerettet werden wird, tige sei, dürfe die Busse überhaupt an keinen Zeitpunkt der dadurch Bestand hat, dass er in Israels Samen ver- gebunden werden, und das habe R. Elieser gemeint, wenn schlossen liegt und eine neue Pflanzung hervorbringen er davon gesprochen habe, dass »sämtliche Endtermine wird, und dieser Same ist kein anderer als der des Mes- vorbei« seien und dass erst nach Ablauf sämtlicher Endter- sias. mine alles von der Busse abhängig sei. Somit wird deut- Der Gedanke, dass der Messias fremder Herkunft sein lich, dass die Interpretation des MaHaRaL in erster Linie wird, hat in der jüdischen Überlieferung eine lange Vor- darauf gerichtet ist, die Endzeitberechnungen in die Ferne geschichte; in diesem Zusammenhang lehrten schon die zu rücken. Ausserdem aber will er die Erlösung selbst Meister, dass die Eheverbindung nur mit Moabitern, nicht nicht absolut von der Busse abhängig machen. Deshalb aber mit Moabiterinnen verboten sei, um die Geburt des schliesst er sich der Aussage des R. Jehoschua an, dass Königs David zu legitimieren. Hier greift der MaHaRaL Israel gewisslich Busse tun werde, wobei »gewisslich« auf dieses Paradox zurück, um die Notwendigkeit der nicht als Bedingung zu verstehen ist. fremden Abkunft des Messias zu erklären, damit dieser Der MaHaRaL verlagert hier ganz eindeutig den Gegen- die »neue Welt« verkörpern könne. Der Messias ent- stand der tannaitischen Diskussion' von der Frage nach stammt »einer neuen Pflanzung, nicht der ersten«; er der Funktion der Busse auf die Frage nach dem Ende muss eine »neue Frucht« bringen, »einen neuen Samen«, bzw. der Enthaltung von Endzeitberechnungen. Für den »etwas zuvor nicht Dagewesenes«, »und aus ihnen soll der MaHaRaL ist die Erlösung an keinerlei Bedingung ge- Messias geboren werden, denn das ist das neue Sein, und knüpft, sie ist Bestandteil der natürlichen Schöpfungsord- all dies wegen der Erneuerung des neuen Seins« (149). Je- nung, wobei kein Raum für irgendwelche Spekulationen ner von Lot ausgegangene Same muss geläutert werden, bleibt. »Die Enthüllung des Endes steht keinem Menschen bis dass daraus der Messias hervorgeht, wenn er sich dem zu wegen der Erhabenheit des Endes . . . daher vergehe jüdischen Volk angeschlossen haben wird, und das ist je- der Geist der Endzeitberechner, und von daher sollst du ner »Same anderen Ursprungs« (Gen. r 49), dessen Form

236 1 IM 26 getilgt werden muss durch seine Einpflanzung in Israel, (156). Die natürliche Welt wehrt sich gegen das Vorhan- »so wird dem Samen seine Form entzogen und er selbst densein des Messias in ihr, »und das sind die Qualen, die nach Israel verpflanzt, und dann geht die heilige göttliche er durchmacht bis zum Zeitpunkt des Endes, und dies ist Form daraus hervor, nämlich der Messias . . . erforderlich ein tatsächliches Vorhandensein, denn bis in die Zukunft ist eine andere neue Frucht und eine neue Pflanzung, und ist sein Vorhandensein nicht nur potentiell . . . bis in die diese Dinge sind sehr tief, im Hinblick auf den >Samen Zukunft, wenn die neue Welt besteht, wenn die Welt an- anderen Ursprungs<, wie du bei eingehender Vertiefung ders sein wird und keinen Widerstand mehr leisten und verstehen wirst« (151). So wird verständlich, wie der Ma- keine Qualen mehr erleiden wird« (156). Im historischen HaRaL davon ausgehen kann, dass in der messianischen Drama der Vertilgung der alten Welt — ein Abbild des Zeit sämtliche Völkerschaften eine Einheit bilden und kosmischen Dramas — fällt der Messias, Sohn des Josef, dass das Menschengeschlecht insgesamt eigentlich im jü- bis der Davidssohn die Oberhand gewinnt im Kampf um dischen Volk aufgeht durch den »Samen« des Messias. die »Aufhebung der Mangelhaftigkeit dieser Welt«. Der »Der König Messias ist das >Ende des Widerstands< der Messias, Sohn des Josef, hat den Kampf der Übergangs- Weltvölker, da er die Götzendiener aufheben will, daher zeit zu bestehen, wenn das Alte und das Neue noch ne- widersetzen sich die Götzendiener dem Messias mit aller beneinander existieren, bis das Alte völlig abstirbt und ein Kraft« (152). Die erste Phase des Widerstands gegen den neuer Spross ersteht, blühend auf den Trümmern des Al- Messias war unter König David, die zweite während der ten, wie eine reife Frucht, die vom Baume fällt. Natürlich Religionsverfolgung im Anschluss an die Tempelzerstö- ist die Welt, die da immer stärker hervorbricht, die des jü- rung, und die dritte wird in der messianischen Zeit statt- dischen Volkes, und Israel ist der' Messias der Mensch- finden! Das heisst, die Weltvölker kämpfen auf verschie- heit, der »die verborgene innerste Stufe« trägt, ohne dass denen Wegen vergeblich gegen jene Notwendigkeit des seine Stimme zu vernehmen wäre, »wie der Sand, der Erscheinens des Messias, eben der Grund ihrer Furcht, nicht zu hören ist«, und dieser geheime Vorzug, der in vernichtet zu werden. Auch diese These war vielleicht da- den Augen der Heiden Schimpf und Schande ist, bedeutet zu bestimmt, die Umkehrung der These vom Untergang wahre Kraft und Stärke, »und der Same Israels hat eine Israels zu erläutern, und auch sie liegt jenseits von ober- sehr innerliche Kraft vor Gott«, und »in dieser Kraft voll- flächlicher äusserlicher Argumentation in der Tiefe der bringen sie grosse und schreckliche Taten«. existentiellen Dialektik. »Die letzte Schlacht« gegen den Die Erlösung ist vielleicht noch ein ferner Traum, wie in Messias soll »im siebten« stattfinden, an dessen Ausgang jenem Gleichnis vom König, der seinem Sohn ein »fernes der Davidssohn kommt. Die Zeit des siebten Jahrtausends Reich« schenkte — sein Feind betonte vor ihm, wie fern es ist das Zeitalter des Kriegs von Gog und Magog, in dem sei, sein Freund dagegen die grossen daran geknüpften sich die potentiellen Kräfte der messianischen Zeit enthül- Hoffnungen, »denn in Wahrheit ist das Reich, das der len und der »übernatürlichen Welt«, der metaphysischen König der Könige dem Volk Israel geschenkt hat, näm- Welt, die ihre Schatten durch Verringerung der natürli- lich die messianische Welt, ein fernes Reich, aber sein chen Welt und Zerstörung des alten Seins vorauswirft. Freund sagte, es sei nahe« (219). »Daher, in der Woche, in welcher der Davidssohn Der MaHaRaL betont, dass die Erlösung schwer zu ver- kommt, da er dem neuen Sein nahesteht, wird er dem er- stehen sei und dass sie unmöglich erscheine, aber auch die sten Sein Verluste zufügen . . . und dies alles kraft der An- jüdische Geschichte erscheint als ein Rätsel, »und es ist näherung an das neue Sein . . . und im siebten Kriege — schwer zu glauben, was wir bis jetzt im Exil durchge- denn dann beginnt Israels Kraft von der Kraft des neuen macht haben . . . das Recht verlangt es und das Wissen Seins her, das in die Welt kommt, und man weiss doch, fordert es, dass er (der Baum) nicht entwurzelt werde und dass Israels Kraft der götzendienerischen entgegengesetzt dass keine menschliche Hand ihn antaste, ihn von seiner ist, daher Kriege im siebten« (148). Stelle zu rücken, auch soll keine Dürre über ihn kommen, Die Kriege werden interpretiert als Leiden, das der Mes- auch mit einem gelben Hut unter der >Pracht< (den Ge- sias durchzustehen hat durch die Qualen der Welt, die betsriemen am Kopf) und einem fremden schändlichen vom Zeitalter der »Natur« in das des »Geistes« übergeht, Siegel (offenbar dem >gelben Fleck<) unter dem Siegel auf »denn die natürliche Welt widerstrebt dem Göttlichen« dem Herzen (den Gebetsriemen am Arm)«. IV Übersetzung des Talmud Yerushalmi"- Hrsg. von Martin Hengel / Jacob Neusner / Hans P. Rüger / Peter Schäfer Buchbericht von Dr. Michael Krupp, Jerusalem

Der palästinensische Talmud oder, wie er auch genannt ten, es hin- und hergewendet und zu einem immer grösser wird, der Talmud Yerushalmi war immer der Stiefbruder werdenden Ganzen anschwellen lassen. Kanonisch aber des grossen Rivalen, des babylonischen Talmud. Die wurde für die Judenheit in aller Welt der babylonische Weisen Palästinas hatten wie die Weisen Babyloniens das und nicht der in Palästina, vor allem Galiläa gewachsene Fundamentalwerk des rabbinischen Judentums, die Talmud. Mischna (um 200 n. Chr.), studiert, ausgelegt und immer Das hat viele Gründe: Die Judenschaft Palästinas wurde wieder auf die neuen alltäglichen Bedürfnisse zugeschnit- immer mehr durch die erstarkende christlich-byzantini- sche Macht geschwächt, verfolgt und vertrieben bis zur * Alle besprochenen Bände sind übersetzt worden von Gerd A. endlichen Aufhebung des jüdischen Patriarchats, das auch Wewers und in Tübingen bei J. C. Mohr erschienen. Band IV/7: Avoda Zara. Götzendienst. 1980, XII, 192 Seiten. die weltliche Selbstverwaltung des Judentums von Palästi- Band IV/4: Sanhedrin. Gerichtshof. 1981, XIV, 341 Seiten. na gewesen war. Es liegt aber auch an dem trockeneren Band IV/1-3: Bavot. Pforten. 1982, XVII, 533 Seiten. Stil, der meist nur das gesetzliche Material der Überliefe- Band IV/5-6: Makkot. Geisselung. — Shevuot. Schwüre. 1983, rung sammelte, wobei das palästinensische Judentum für XIV,=283 Seiten. Band II/11: Hagiga. Festopfer. 1983, XIV, 119 Seiten. die anderen Stoffe, Bibelauslegung, allgemein erzähleri- Band IV/8: Horayot. Entscheidungen. 1984, XIII, 133 Seiten. sches oder historisches Material, Predigten, Gebete und

IM 271237 erbauliche Geschichten, eine andere Literaturform ver- Der Yerushalmi gilt so als viel schwerer übersetzbar als wandte, die Midraschim, Predigtsammlungen und Bibel- der Babli. Hinzu kommt, dass die einzige existierende auslegungen. Das babylonische Judentum dagegen kannte Handschrift sehr verderbt ist, der Abschreiber klagt schon nur ein einziges Werk, wo alles Unterkunft finden musste, über seine Vorlage, der er, wie er sagt, häufig keinen gesetzliches Material, Erzählungen, Bibelauslegungen, rechten Sinn abgewinnen konnte; so ist es verständlich, aber auch Mathematik, Medizin und Astrologie, um nur dass niemand so schnell bereit war, mit einer Übersetzung einiges zu nennen. Der babylonische Talmud wurde so des ganzen Yerushalmi oder auch nur eines Traktates vor die Nationalenzyklopädie des jüdischen Volkes, was der die gelehrte Öffentlichkeit zu treten. Yerushalmi niemals sein wollte und niemals angestrebt Um so grösser ist das Verdienst der hier zu besprechen- hatte. Hinzu kommt die grössere Kunstfertigkeit der ba- den ersten Bände einer Übersetzung ins Deutsche des bylonischen Gelehrten, mit ihrem Stoff umzugehen, die Yerushalmi anzusetzen. In den dreissiger Jahren hatte der Geschichten sind in der Regel feiner durchgearbeitet, die Rabbiner Charles Horowitz einige Traktate des Yerushal- logische Gedankenführung in einer juristischen Entschei- mi übersetzt, von denen nach dem Krieg, noch zu seinen dung ist aufwendiger, ja spielerischer angelegt, als die Lebzeiten, die Traktate Nedarim (1957) und Sukkah plumpere Deutungsart der Palästinenser es vermocht hät- (1963) erschienen. Posthum erschien 1975 bei Mohr der te. Dies alles liess den palästinensischen Talmud ab dem Traktat Berakhot, überarbeitet und herausgegeben von 10. Jahrhundert immer mehr in den Hintergrund treten, Peter Schäfer und Frowald Hüttenmeister, wobei sie im so sehr, dass die Gefahr, dass er ganz verlorengehen Vorwort vermerkten, dass dieser Band der erste in einer könnte, sehr gross war. Gesamtausgabe sein solle. Trotz aller Beschränkung auf das Wesentliche und trotz Die hier zu besprechenden Bände sind so die Fortsetzung aller Kürze ist auch der Yerushalmi ein Werk, an Umfang des 1975 angefangenen mit veränderter bzw. erweiterter fast dreimal so stark wie die Bibel, d. h. ihn auswendig zu Herausgeberschaft und mit einem neuen Übersetzer. rezitieren, war kaum durch längere Zeit hindurch mög- Die vorliegenden Ausgaben sind mit einer äusserst knapp lich, ihn aber abzuschreiben teuer und langwierig, für ein bemessenen Einleitung versehen, die zuerst die Text- Buch, das nicht so wichtig war und das auch noch einen grundlagen der Übersetzung aufzählt. Übersetzt wird die grösseren Kollegen hatte, im letzten nicht so lohnend. Ausgabe Krotoschin 1865/66, vermutlich weil die photo- Eine einzige ganze vollständige Handschrift hät bis auf mechanischen Nachdrucke dieser Ausgabe im wissen- den heutigen Tag überlebt. Sie liegt heute in Leiden. Und schaftlichen Bereich die benutzte Textausgabe ist (eine sie war es auch, die dem Setzer des Erstdruckes im christ- textkritische Ausgabe des Yerushalmi gibt es bisher nicht). lichen Verlagshause Bombergs in Venedig 1523 vorgele- Die Krotoschinsche Ausgabe geht auf den Erstdruck (Ve- gen hat, eine äusserst spärliche Textbezeugung auch bei nedig 1523) zurück und ist fast seitenidentisch mit ihr. Sie der so verfolgten rabbinischen Literatur. enthält gegenüber der Erstausgabe Druckfehler, behebt Nichtsdestoweniger ist der so stiefmütterlich behandelte aber auch einen Teil der Druckfehler der Erstausgabe. palästinensische Talmud für die Erforschung jüdischer Trotzdem wäre es wissenschaftlich korrekter gewesen, als Gesetzeskunde, jüdischer Geschichte und jüdischen Den- Textgrundlage die Erstausgabe zu benutzen, gerade da sie kens genauso wichtig wie der babylonische Talmud, für fast seitengleich mit der Krotoschinschen Textausgabe ist. die Geschichte und Gedankenwelt des palästinensischen Noch besser wäre es freilich gewesen, auf die Vorlage der Judentums, damit für das Verständnis des Neuen und Erstausgabe, die bereits erwähnte Leidener Handschrift, Alten Testaments oder das frühe Verhältnis von Kirche die einzige existierende Handschrift des gesamten Yeru- und Synagoge sogar noch -wichtiger als der babylonische shalmi, zurückzugehen. Zur besseren Orientierung hätte Talmud, weil er die Entwicklung in den ersten nachchrist- man die Paginierung nach Krotoschin benutzen können, lichen Jahrhunderten in Palästina in ihrer römisch-grie- wie jetzt in der vorliegenden Übersetzung üblich. Der Set- chischen Verstrickung aufzeigt, nicht die des so fernen zer der Erstausgabe ist recht freizügig mit seiner Vorlage und unter ganz anderen Lebensverhältnissen sich bewe- umgegangen, indem er z. B. ganze Partien aus anderen genden Babyloniens. Ein weiterer Vorteil des Yerushalmi Quellen (z. B. Midraschim) an dem Rand der Handschrift gegenüber dem Babli kommt hinzu, da der Yerushalmi vermerkt hat, die dann in den Text des Druckes aufge- von den Juden vernachlässigt wurde, haben auch die Chri- nommen wurden. Dass die Übersetzung die vielen Fehler sten ihm keine allzu grosse Aufmerksamkeit gewidmet, so der Handschrift dann hätte verbessern müssen, wäre in dass der Yerushalmi von den Verstümmelungen der Kauf zu nehmen gewesen, zumal sie zur selben Praxis christlichen Zensur verhältnismässig lange verschont blieb. jetzt auch ständig gezwungen wird. Was für die Textüberlieferung gilt, gilt auch für die Über- Selbstverständlich gehören Erstdruck wie Handschrift setzung. Während der Babli schon verhältnismässig früh beide zu den weiteren Texten, die der Übersetzer für sei- auszugsweise ins Lateinische und später auszugsweise nen Text herangezogen und in der Einleitung aufgeführt oder vollständig in moderne europäische Sprachen über- hat. Dazu kommt die achtbändige rabbinische Ausgabe setzt wurde — in Englisch und Deutsch gibt es seit länge- mit allen Kommentaren. (Es fehlen die wenigen Yeru- rem vollständige, wenn auch nicht immer befriedigende shalmi-Ausgaben zwischen Erstdruck und Krotoschin.) Übersetzungen —, erschien der Yerushalmi lediglich in ei- Vermerkt wird auch die Handschrift Vatican 133, die ner völlig unbefriedigenden und zum grössten Teil unver- aber nur die erste Ordnung enthält und so zu den hier ständlichen französischen Übersetzung (M. Schwab, Le übersetzten Texten nicht vorhanden ist. Herangezogen, Talmud de J8rusalem, 6 Bände, Paris 1878-1889, Nach- und das ist ein grosses Verdienst der Übersetzung, wer- druck 1960). In Deutsch erschienen nur einige Auszüge, den auch alle bisher entdeckten Genizafragmente des Ye- und zwar einige weniger typische, nicht gesetzliche Teile rushalmi, die bekanntlich beträchtlich älter sind als die des Yerushalmi (A. Wünsche, Der Jerusalemische Talmud vorhandenen Handschriften, wenn z. T. auch sehr ver- in seinen haggadischen Bestandteilen. Zürich 1880, und stümmelt. Verglichen werden die Fragmente nach ihren W. Bacher: Die Agada der Palästinensischen Amoräer, Erstveröffentlichungen und nicht nach dem Original, was 3 Bände, Strassburg 1892-1899). Die Vernachlässigung besonders für die Ausgabe von Ginzberg bedauerlich ist, des Yerushalmi bedeutete auch eine Vernachlässigung sei- die z. T. sehr oberflächlich bearbeitet ist. ner Sprache: Das palästinensische Aramäische ist viel we- Da der Handschriftenbefund so spärlich ist, werden auch niger bearbeitet worden als das babylonische Aramäische. die Kommentare herangezogen, die z. B. noch andere

238 IM 2 8 Handschriften einsehen konnten und überhaupt unent- und zur Einordnung in den Gesamtrahmen der rabbini- behrlich sind bei der Erklärung der vielen unklaren Par- schen Literatur zurückgreifen. tien des Yerushalmi. Dann werden die Übersetzungen Im folgenden sollen nur einige Anmerkungen zu den ver- aufgeführt und die den meisten Platz einnehmende schiedenen Traktaten folgen. Sekundärliteratur. Auf knapp zwei Seiten wird die Me- thodik der Übersetzung erläutert. Hebräische Wörter Avoda Zara. Götzendienst werden unglücklicherweise transkribiert, eine Unart, die Der Traktat ist einer der interessantesten der Mischna in neueren Druckerzeugnissen immer mehr um sich greift, überhaupt. Er behandelt nicht, wie man annehmen könn- dazu noch nach der wenig eingebürgerten und schwer zu te, die Gefahren des Götzendienstes, sondern das Ver- lesenden Methode der Frankfurter Judaisten, auf die im hältnis der Juden zu den Fremden. Traktat Avoda Zara lediglich verwiesen wird, die aber ab Damit teilt der Traktat viele Einzelheiten mit über gesell- Traktat Sanhedrin mitgeteilt wird. Zwischen >'Alef< und schaftliches Leben und Handel in Palästina zur Zeit der >'Ajin< unterscheidet dieses System nicht. Mischna und des Talmud, sehr vieles über die Bevölke- Danach beginnt die Übersetzung. Die Mischna ist in einer rung Palästinas zu dieser Zeit, aber auch über die ver- etwas grösseren Type gesetzt, die Gemara in einer kleine- schiedenen heidnischen Kulte in den Städten. Religions- ren, die dort vorkommenden Mischnaanfänge (Pisqaot) geschichtlich, kulturhistorisch und gesellschaftspolitisch oder Mischnazitate sind aber vom Druck her nicht als sol- ist der Traktat »Götzendienst« also höchst interessant, che zu erkennen. Die Übersetzung ist durchweg kurz, dies gilt sowohl für Mischna und Tosefta, natürlich aber aber zum äusseren Verstehen ausreichend in Anmerkun- auch für die beiden Talmudim, und für die Situation Palä- gen erklärt. Falls der Übersetzer die Erklärung eines der stinas besonders für den Talmud Yerushalmi, der hier älteren Kommentatoren übernimmt, ist das angemerkt. zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt. (Aus- Nach einer flüchtigen Lektüre und einem Vergleich mit ser der schlechten französischen Übersetzung gibt es auch dem Urtext ist zu sagen, dass es dem Übersetzer Gerd A. keine in eine andere moderne Sprache.) Wewers, meines Wissens Pfarrer in Deutschland, erstaun- Das Material, das dem deutschen Leser hier zugänglich lich gut gelungen ist, sich in die schwierige Materie der wird, ist immens und kann hier im einzelnen nicht aufge- Sprache und des Inhalts des Yerushalmi einzuarbeiten. führt werden. Zu allen Bestimmungen der Mischna fast Die Übersetzung ist bemüht, sich treu an den Originaltext gibt es einen Kommentar im Yerushalmi. Wie wichtig da- anzulehnen, was ihr auch musterhaft gelingt, wenn sie bei auch die Heranziehung des Materials aus der Kairoer deshalb auch schwerfällig zu lesen ist. Aber diese Schwer- Geniza ist, geht aus vielen Partien hervor, wo nur die Ge- fälligkeit bringt schon die Sprödigkeit der aramäischen niza den korrekten Text oder den Text überhaupt überlie- Texte mit sich. Manchmal hat man den Eindruck, als füge fert. So zum Beispiel über die Einführung der Wandmale- der Übersetzer zu viele erklärende Bemerkungen (in reien in Palästina. In der Diskussion der Mischna 111,3 zu Klammern) in die Übersetzung ein, sie wäre auch mit we- den Abbildungen auf Geräten heisst es 42 d »In den Ta- niger Erklärungen und weniger wiederholten Erklärun- gen von Rabbi Jochanan (um 250 n. Chr.) fing man an, gen verständlich. Einige Erklärungen gehörten um der die Mauern mit Bildern zu bemalen, und er hinderte sie leichteren Lesbarkeit willen auch besser in die Anmerkun- nicht«. Nur ein Genizafragment hat die Fortsetzung »In gen, z. B. die Hinweise auf die Herkunft der vielen grie- den Tagen von Rabbi Abbun (um 320 n. Chr.) fing man chischen Wörter. Es ist lästig, in einem Stück bei einem an, die Mosaiken mit Bildern zu bemalen (wohl besser ständig sich wiederholenden Ausdruck immer wieder in auszuschmücken), und er hinderte sie nicht.« Klammern dahinter zu lesen: (griech. NN). Vieles vom Material des babylonischen Talmud findet Noch ein paar andere Tendenzen der Ausgabe seien er- sich auch im palästinensischen, wenn auch in seiner eige- wähnt, die zumindest zweifelhaft in ihrem Wert für den nen Weise. Einiges findet sich aber nur im Yerushalmi, so Leser sind. Der Übersetzer neigt dazu, zu viele Stellen be- die Auslegung des Streitgespräches zwischen Rabbi sonders aus Tosefta und Babli zu ergänzen, die keinerlei Jishma'el und Rabbi Jehoshuä in der Mischna 11,5, wo der Grundlage in einem Yerushalmi-Text haben. Solche Er- ältere Rabbi Jehoshua' dem jüngeren Rabbi Jishma'el den gänzungen, wenn sie für den Zusammenhang und das Grund für ein bestimmtes rabbanitisches Gebot nicht mit- Verständnis unbedingt erforderlich sind — was keineswegs teilen will, damit es nicht in seiner Autorität hinterfragt immer der Fall ist —, gehören in die Anmerkungen. Häufig werden kann. In einer Rätselfrage geht es um die Ausle- verbessert der Übersetzer seinen Text aufgrund von Paral- gung von Hohes Lied 1,2, um das Verhältnis von mündli- lelen oder anderer Lesarten des Yerushalmi. Bei dem cher und schriftlicher Tora, die Autorität der Tora gegen- schlechten Zustand des Yerushalmi ist solches Vorgehen über der Auslegung der Weisen. Der Talmud Yerushalmi gar nicht zu vermeiden. Beim Text der Mischna ist nach behandelt dieses Problem ausführlich (41c), während der der Prüfung einiger Stellen der Hinweis »Lies mit babylonische Talmud es an dieser Stelle übergeht. Beispie- brnAZ .« aber irreführend, da die Textüberlieferung in le dieser Art lassen sich beliebig vermehren. Babli und Mischna an diesen Stellen durchaus nicht ein- Zum Schluss sei noch etwas zur allzu kurzen Kommentie- heitlich ist und sich der Text des Yerushalmi besonders in rung zweier verwandter Stellen gesagt. An einigen Stellen der Mischna, aber zuweilen auch im Babli in verschiede- im Yerushalmi zum Traktat Avoda Zara kommen Ge- nen Handschriften belegen lässt (vgl. z. B. Avoda Zara schichten vor, die eventuelle Hinweise auf frühe Aus- S. 64 Anmerkung 202). einandersetzungen des Judentums mit dem Christentum Sehr wertvoll sind am Ende eines jeden Bandes die Regi- enthalten. Zwei Geschichten erwähnen Menschen, die ster. Sie enthalten die zitierten Schriftstellen, Mischna- Krankenheilung im Namen des Yeshu-ben-Pandera vor- zitate, Toseftazitate, Yerushalmi-Parallelen und, beson- nehmen oder vornehmen wollen (II 2, 40d, S. 46 und 47 ders wichtig, ein Verzeichnis der vorkommenden der Ausgabe). Die kurze Kommentierung zu diesen Ge- Rabbinernamen. Dies stellt eine grosse Hilfe auch für den schichten ist jeweils: »Eine gelegentlich vermutete Bezie- dar, der vielleicht der deutschen Übersetzung nicht be- hung dieser Tradition zu Jesus von Nazareth liegt nicht darf. Die Hilfsmittel für den Yerushalmi sind noch nicht vor.« Tatsächlich gibt es eine ausführliche wissenschaftli- sehr zahlreich, eine Konkordanz erst in den Anfängen ih- che Diskussion zu diesen Stellen, die auch in Parallelstel- res Erscheinens begriffen; um so dankbarer wird man auf len überliefert sind, wobei die Frage gestellt werden kann, die hier gebotenen Hilfen zur Erschliessung des Textes ob das Jeshu-ben-Pandera hier ursprünglich ist. Dass aber

IM 291 239 nach der letzten Redaktion Yeshu-ben-Pandera Jesu von nutzt hat. Um der Wichtigkeit dieser Handschrift wegen Nazareth meint, steht ausser Frage. Eine sehr interessante sei darüber aus dem Vorwort des Übersetzers zitiert: Frage aber, der der Übersetzer nach seinen von ihm ge- »Die Erforschung der Bavot-Traktate des Yerushalmi hat setzten Voraussetzungen hätte nachgehen müssen, beant- einen erheblichen Anstoss durch die Entdeckung einer wortet er nicht: Wie lautet nämlich der eigentliche Text Handschrift im Escorial (Madrid) gefunden, die fast den des Yerushalmi? Leider gib es zu diesen Stellen und den gesamten Bavot-Text umfasst. Ihren Charakter und ihre Parallelstellen des Yerushalmi keine Genizafragmente. volle Bedeutung wird man erst erkennen, wenn die durch Der einzige handschriftliche Beleg zu diesen Stellen ist den 1980 verstorbenen Entdecker E. S. Rosenthal in Aus- also die Handschrift in Leiden, die aber jedes Mal für den sicht genommene kritische Publikation beendet ist . . . Namen Yeshu-ben-Pandera eine Lücke lässt. In diese Diese Handschrift mit der Signatur IG3 bietet einen kom- Lücke schreibt die Hand des Setzers der Erstausgabe mentierten Text der Bavot von bT [babylonischer Tal- wohl aufgrund der Parallelen im Babli und den Midra- mud] in vier ordentlichen Kolumnen (a, b, c, d) auf Fol. schim den Text Yeshu-ben-Pandera. Die Mitteilung die- 1 - 141. Am oberen Rand und gelegentlich an den Seiten ses Sachverhaltes wäre sicher wichtiger gewesen als die heruntergezogen findet sich (gleichsam wie ein weiterer lapidare, kurze, oben zitierte Bemerkung. Kommentar) der Text des Yerushalmi, der yBQ 3a, 8 bis yBB 16d, 69 mit ldeinen Lücken und mit Zusätzen um- Sanhedrin. Gerichtshof fasst. In Ausnahmefällen (Fol. 35c, d) findet sich der Text Auch dieser Traktat gehört wie der vorhergehende zur auch unter dem Text von bT und wird dann in der Hand- wichtigen vierten Ordnung und behandelt das Institut der schrift selbst mit >Yerushalmi< überschrieben. Die Über- verschiedenen Gerichtshöfe und ihrer Strafen bis zu den schrift >Yerushalmi< findet sich noch an zwei weiteren verschiedenen Todesstrafen. Der Traktat ist die beste Stellen (Fol. 111c, 115c, d). Es handelt sich um eine Mar- Quelle für das komplizierte Gerichtswesen im Judentum in ginalhandschrift von recht guter Schreiberqualität. Ihre den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, das gilt neben immense Bedeutung für die Talmudforschung besteht der Mischa und Tosefta auch besonders für den Jerusale- nicht nur in abweichenden Lesarten von einer ‚Haupt- mer Talmud. Gerade bei dem Aufwerfen der Frage, ob der handschrift<. Vielmehr liegt hier eine Handschrift vor, die oberste Gerichtshof zur Zeit des Prozesses Jesu die Verfü- in Charakter, Lesarten und Traditionsinhalten einen an- gung über die Todesstrafe hatte oder nicht, ist eine der deren Typus als etwa die (für K [Ausgabe Krotoschin] wichtigsten Quellen der Yerushalmi (I 1, 18a und VII 2, weitgehend via Ed. princ. massgebende) HS Leiden zuzu- 24b). »Es wird gelehrt: 40 Jahre bevor das Haus ( = der ordnen ist . . . In der Qualität der Lesarten ist die HS Es- Tempel) zerstört wurde, wurde (den Israeliten die Ge- corial höher einzuschätzen als die Vulgärhandschriften richtsbarkeit über) die Lebensrechtsfälle weggenommen.« aus der Geniza in Kairo.« Vieles genuine Gut, das nur der Yerushalmi enthält, ist Inzwischen ist die Textveröffentlichung der Handschrift von der Gelehrtenwelt, die mit diesem schw-er zugängli- Escorial erschienen'. Ein Vergleich von beiden Ausgaben chen Buch weniger vertraut war, nicht zur Kenntnis ge- bietet sich geradezu an. Die Beobachtung Wewers über nommen. Der Übersetzer vermerkt das hin und wieder in die starke Zusammengehörigkeit von Handschrift Esco- seinen Anmerkungen, so die wichtige Stelle (XI 6, 30b): rial und einem der ältesten Fragmente (Rom 530) findet »Jeder, der das Angesicht seines Lehrers empfängt, ist, als ihre Bestätigung in der Arbeit Rosenthals, der zum selben ob er das Angesicht der Gottesgegenwart empfangen wür- Ergebnis kommt und sogar die Abhängigkeit der Hand- de«, eine Stelle, die in einer neueren deutschen Monogra- schrift Escorial von diesem Fragment nachweist. Ein wei- phie übersehen wurde. Der Umfang der Anmerkungen teres, sehr altes Fragment aus der Kairoer Geniza, ein zum Traktat Sanhedrin hat gegenüber den Anmerkungen Palimpsest, das Kokowzoff-Fragment, mit besonderer zum Traktat Avoda Zara leicht zugenommen, -was für das Nähe zur Handschrift Escorial war Wewers nicht zu- bessere Verständnis des Textes zu begrüssen ist. In den gänglich. Anmerkungen werden auch notgedrungene Umstellungen Eine andere Beobachtung von Wewers scheint besonders des Textes aufgrund von Parallelen begründet. wichtig zu sein, die Nähe der Handschrift Escorial zum Bei der Rekonstruktion des Textes wurde wieder das ge- Yerushalmi-Druck Konstantinopel 1662/1749. Wenn das samte Handschriftenmaterial berücksichtigt, wobei es stimmt,' hätte dieser Druck zusätzlich Handschriften dem Übersetzer gelungen ist, das weit verstreut veröffent- zum Erstdruck zur Verfügung gehabt und wäre somit ein lichte Genizamaterial zu sammeln und auch Fehler in der vom Erstdruck und der Handschrift Leiden unabhängiger Einordnung des Materials einer Veröffentlichung richtig- Textzeuge. Dies wäre eine Entdeckung, die der von Ro- zustellen. senthal fast gleichkäme. In der Ausgabe der Handschrift Escorial findet sich darüber nichts, sie wurde auch nicht Bavot — Pforten zum Vergleich mit herangezogen. Bavot ist wohl in diesem Zusammenhang besser mit »Ab- Die Übersetzung bietet Hunderte von Kostproben der teilungen« zu übersetzen. Gemeint sind die drei Abteilun- Qualität und des Charakters der Handschrift Escorial, die gen Baba Kama, Baba Mezia, Baba Batra, erste, mittlere an diesen Stellen des Yerushalmi erst einen Sinn oder ei- und letzte Abteilung des sehr langen Traktates Neziqin, nen anderen Sinn geben. Allerdings wird bei einem Ver- der ursprünglich einen Traktat bildete und am Anfang der gleich mit der Handschrift Escorial deutlich, dass längst gleichnamigen Ordnung der Mischna steht. Die Bavot be- nicht alle Varianten, Textzufügungen oder Änderungen handeln das gesamte bürgerliche Recht und sind so von der Handschrift Escorial, auch dort, wo sie den Sinn enormer Wichtigkeit. verändern, in die Übersetzung aufgenommen wurden. Der Yerushalmi-Traktat Neziqin fällt nun aus dem Rah- Manchmal verweist der Übersetzer auf die Handschrift men des sonstigen Jerusalemer Talmuds, weil er aus der Escorial, merkt dann aber an, dass er sie nicht lesen kann, Schule von Caesarea und nicht Tiberias stammt wie der häufig aber gibt es keinerlei Hinweis auf einen anderen übrige Jerusalemer Talmud. Das bringt besondere Proble- me mit sich, die unter anderem zu einer besonders grossen 1 E. S. Rosenthal/S. Liebermann: Yerushalmi Neziqin, edited from the Escorial Manuscript. The Israel Academy of Sciences Textverderbtheit geführt haben. Nun ist es das grosse and Humanities, Jerusalem 1983. Eine ausführliche Besprechung Verdienst der Übersetzung, dass sie die neuentdeckte folgt in der nächsten Ausgabe des Freiburger Rundbriefs/Imma- Handschrift Escorial schon vor ihrer Veröffentlichung be- nuel.

240 I IM 30 Text der Handschrift Escorial. Dies mag an der Qualität zung Wewers zur zweiten Ordnung der Mischna, Mo'ed, des Mikrofilms liegen, der Wewers zur Verfügung stand. Festkalender. Hagiga behandelt in diesem Rahmen die be- Auch die in Jerusalem vorhandenen Mikrofilme und Foto- sonderen Gebote der drei Wallfahrtsfeste. Aber schon in grafien sind manchmal sehr schwer lesbar. Immerhin ist der Mischna sind auch andere Themenkreise angespro- der Schatz der mitgeteilten Lesarten aus der Handschrift chen, wie die Vortragseinschränkungen bei verschiedenen Escorial reichlich und ergibt zusammen mit der Textaus- biblischen Abschnitten, wie im Traktat Megilla, und Rein- gabe Escorial die Möglichkeit eines neuen Zugangs zur heitsvorschriften gegenüber den heiligen Abgaben und der Erforschung des Yerushalmi-Traktates Neziqin. Priesterhebe. Im Yerushalmi findet sich zum Thema Vor- tragseinschränkungen sehr interessantes Material, ebenso Makkot — Geisselung umfangreiche Traditionszusammenhänge zu den Komple- Der Traktat Makkot ( = Schläge) bildete die Fortsetzung xen Erschaffung der Welt und die Geheimnisse um den des Traktates Sanhedrin, wie man am Schluss des Trakta- göttlichen Thronwagen (Merkava). tes Makkot noch sehen kann und an der Numerierung der Kapitel in alten Fragmenten. Makkot behandelt die Horayot — Entscheidungen Vergehen, für die die Bibel die Geisselung mit vierzig we- Der Traktat Horayot ist eine Beispielssammlung falscher niger einem Schlägen verordnet. Der Yerushalmi zum Ka- Entscheidungen, die von den verschiedenen Gerichtsgre- pitel III ist verlorengegangen, war vermutlich früher aber mien erlassen wurden. Er beschliesst die vierte Ordnung noch vorhanden, wie ein Genizafragment zeigt. Dieses Neziqin. Die Herausgabe dieses Traktates beschliesst Fragment hat Wewers mit in seine Übersetzung einbezo- denn auch die Übersetzung der gesamten vierten Ord- gen, nicht aber die verschiedenen Rekonstruktionsversu- nung. Am Ende des Bandes finden sich eine Reihe Nach- che zu diesem fehlenden Kapitel, die er aber anführt. träge zu den vorausgegangenen anderen Traktaten der Ordnung. Shevuot — Schwüre Der Traktat Shevuot behandelt die verschiedenen Formen Abschliessend ist zu den bisher veröffentlichten Traktaten der Schwüre. Im Vorwort streift der Verfasser kurz die zu sagen, dass wir es hier mit den ersten ernsthaften Ver- redaktionellen Probleme in der Beziehung und Abhängig- suchen der Übersetzung von Traktaten des palästinensi- keit des Yerushalmi Shevuot zur Tosefta und zum Bavli schen Talmuds zu tun haben, die angesichts der Wichtig- Bavot, ebenso sein Verhältnis zum Traktat Nedarim, Ge- keit dieser Literatur für jede Arbeit mit rabbinischen Tex- lübde, der früher in der Yerushalmi-Übersetzung (über- ten unentbehrlich sind und in jede wissenschaftliche Bi- setzt von Horowitz) erschien, und zum Komplex der Be- bliothek gehören. Es ist zu hoffen, dass die Arbeit an der schwörungstexte der Hekhalot-Literatur. Übersetzung weiterer Traktate so zügig weitergeht, wie sie bisher angelaufen ist. Vielleicht wird es in Zukunft ein- Hagiga — Festopfer mal möglich sein, statt nur der Übersetzung eine zwei- Der Traktat Hagiga ist der erste Traktat in der Überset- sprachige kritische Ausgabe herauszubringen.

V Abraham Goldberg*: Textausgabe zur Mischna Schabbat Aus dem Hebräischen. Bearbeitet, mit Einleitung, Kommentar und Anmerkungen**/**" Buchbericht von Dr. Michael Krupp, Jerusalem**""

Jerusalem 1976. The Jewish Theological Seminary of »Dieser mein Kommentar zum Mischnatraktat Schabbat ist America. 65 und 406 Seiten, 6 Tafeln. meines Wissens der erste wissenschaftliche Kommentar, der als Text zusätzlich zu den Varianten einen Doppeltext an- Die vorliegende Textausgabe Schabbat ist die zweite des bietet, entsprechend den beiden Hauptrezensionen der Mischna. Rezensionen der Mischna sind in besonderem die Verfassers. Gemäss dem Vorwort von Abraham Goldberg palästinische Rezension und die babylonische Rezension. ist sie der Auftakt einer Gesamtausgabe der beiden ersten Die palästinische Rezension hat sich in besonderen Hand- Ordnungen der Mischna. schriften erhalten wie Codex Kaufmann, Codex Parna und Schon im Jahr 1956 war die erste, vielbeachtete Mi- den meisten Genizafragmenten. Die babylonische Rezen- schnaausgabe von Abraham Goldberg erschienen, der sion hat sich besonders im Mischnatext, wie er im babyloni- Traktat Toharot. Eine Besonderheit der hier zu bespre- schen Talmud vorhanden ist, erhalten. Daneben gibt es Tex- chenden Ausgabe Schabbat ist Text- und Apparatgestal- te, die beide Rezensionen enthalten. In den Text des Mai- tung in zwei Kolumnen. Abraham Goldberg schreibt dazu monides sind auf der Basis der palästinischen Rezension ei- im Vorwort: ne Reihe von Sprachwendungen und Zufügungen aus der babylonischen Rezension aufgrund der Diskussion mit dem * Der Verfasser, Abraham Goldberg, ist Professor für Talmud babylonischen Talmud hineingeraten. Auch der Text des an der Hebräischen Universität Jerusalem. Erstdrucks mit dem Kommentar des Maimonides, Neapel ** Englischer Titel: Commentary to the Mishna Shabbat. Criti- 1492, ist im Grundbestand ein palästinischer Text mit der cally edited and provided with introduction, commentary and Hauptmasse der Varianten, die sich auch im Text des Mai- notes. monides finden. Diese Texte, die in der Mitte zwischen pa- *** Vgl. dazu: Der Text der Mischna, bearb. von Dr. Michael lästinischer und babylonischer Rezension stehen, pflegt man Krupp, s. in: FrRu XXXIV/1982, S. 134/IM 21. >sfardischer Text< zu nennen. Der Text der heute üblichen **** Dr. Michael Krupp, geboren 1938, ist protestantischer Mischnaausgaben gründet sich in der Hauptsache auf den Theologe; Zusatzstudium der Judaistik und Islamwissenschaft. Seit 1970 Beauftragter für das interkonfessionelle Gespräch der Text des Erstdrucks. drei monotheistischen Religionen in Jerusalem. Studienleiter des Um es dem Lernenden möglichst leicht zu machen, die Zentrums für Theologiestudenten an der Hebräischen Universi- Textüberlieferung der Mischna zu erkennen, bringe ich auf tät Jerusalem. einer Seite in zwei Kolumnen die beiden Grundtypen der

IM 311 241 Mischnaüberlieferung in ihrer Vollständigkeit. Rechts er- der Mischna von Handschriften des babylonischen Talmuds scheint in Faksimile der Text von Codex Kaufmann, der den sowie Alfasi und Maimonideshandschriften mit hineingera- palästinischen Texttypus besser als jede andere Handschrift ten. Es bestand keinerlei Absicht, das ganze Material der bewahrt hat. Links erscheint der Text des Erstdrucks (in Geniza (obwohl ich fast alles gesehen habe) mitzuteilen, normalem fortlaufenden Druck). Unter dem Kaufmanntext sondern nur das zu verzeichnen, was mir von Wichtigkeit zu erscheinen alle Varianten des palästinischen Textes, ebenso sein scheint entsprechend dem Rahmen, der von Anfang an die Genizafragmente, die in ihrer Mehrzahl auch zu diesem für diese Ausgabe geplant war. Das ist auch die Erklärung Typus gehören. Unter dem Erstdruck erscheinen alle Vari- für die Durchnumerierung der Fragmente. Am Anfang ver- anten des sfardischen (spanischen) und babylonischen Text- zeichneten wir jedes Fragment, meistens entsprechend den typus. Anfängen der Fragmente, danach aber entschlossen wir uns, Der Vorteil für den Lernenden aufgrund dieser Methode ist Genizafragmente auszusondern, die nicht aus reinen Misch- sehr gross. Nicht nur, dass der Leser zwei Haupttypen voll- nahandschriften stammten (allerdings haben wir in diesem ständig ganz nebeneinander lesen kann; er wird auch be- Vorhaben keinen vollen Erfolg erzielt, besonders am An- wahrt vor einer Flut von Varianten, wie sie bei der Mittei- fang des Traktats), und ebenso haben wir kleinere Mischna- lung nur eines Textes die Folge wäre. Die Mitteilung der fragmente ausgesondert, die wir als wertlos ansahen.« Varianten in Kolumnen führt dazu, dass es sich lediglich um leichte Varianten handelt, Schreibvarianten und ähnliches. Die Durchnumerierung der Fragmente geht tatsächlich Ausserdem verringert sich die Anzahl der Varianten da- bis Nr. 105. In der Auflistung der Fragmente zählt der durch. Der Interessierte kann in kürzester Zeit Aufklärung Verfasser aber nur 72 Fragmente, in der späteren Zusam- über den Zustand der Textüberlieferung erhalten. Anfangs menfassung nur 70 (es fehlen dort die Nummern 18 und dachte ich, dass es vielleicht vorzuziehen wäre, jeweils die 60). Im Variantenapparat erscheinen aber mindestens beiden Hauptrepräsentanten als Text zu wählen, neben ei- noch 10 weitere Fragmente, zum Teil über mehrere Seiten nem typischen palästinischen auch einen typischen babyloni- schen Text. Bei der Schwierigkeit allerdings, eine geeignete hinweg, mit denen der Leser nun gar nichts anfangen Handschrift ausfindig zu machen, die den babylonischen kann, weil er keine Ahnung hat, um was für Fragmente es Texttypus in Reinheit wiedergibt, und auch weil ich sah, sich hier handelt (so die Nummern 6, 14, 19, 32, 33, 73, dass dies bedeutet hätte, viel mehr Varianten zu verzeich- 83, 91, 92 und 97). Von den 72 (70) aufgelisteten Frag- nen, wählte ich den Erstdruck (der Mischna), der den sfar- menten sind immerhin 9 Alfasi-Fragmente, 1 Maimoni- dischen Texttypus widerspiegelt. Ich hatte dabei auch im des-Fragment und 14 Fragmente des babylonischen Tal- Auge, den Lernenden den Zugang zu den heutigen Drucken muds, ein Viertel aller Fragmente. Das Maimonides-Frag- zu erleichtern, die ja alle auf dem Erstdruck fussen, wenn sie ment (Nr. 71), mehrere Kapitel lang, ist mit keiner Va- auch im Laufe der Zeit immer mehr, allerdings niemals voll- riante im Apparat vertreten, ebenso ein Alfasi-Fragment ständig, dem babylonischen Texttypus angepasst wurden.« (Nr. 102), das allerdings nur eine Mischna umfasst. Un- Mag die Grundidee, die zwei Grundtexte parallel gegen- verständlich ist auch die Bemerkung zu einem Mischna- überzustellen, löblich sein, die Wahl des Erstdrucks der Fragment (Nr. 7), das sich über mehrere Kapitel erstreckt; Mischna als Haupttext für die babylonische Rezension ist »wir haben die Varianten dieses Fragments nur zum er- misslungen. Der V.drfasser statuiert selbst, dass es sich sten Kapitel vermerkt« ; zumal dieses Fragment besonders hierbei um einen Mischtext handelt. Nach seinen eigenen wertvolle Varianten und altertümliche Formen aufweist Aussagen ist dies ein Text, der »im Grundbes' tand ein pa- wie die Schreibung adan statt adam. lästinischer Text ist«, vom (eklektischen) Text des Mai- Eine weitere Schwäche der Ausgabe im Zusammenhang monides abhängig (wobei der Verfasser niemals zwischen mit der Mitteilung ,der Varianten der Fragmente ist das Handschriften mit arabischem und hebräischem Kom- Fehlen jeglicher Angaben von Lücken innerhalb der Frag- mentar unterscheidet). mente. In der Beschreibung der Fragmente findet sich Da die ganze Textausgabe auf dem Gegenüber der zwei lediglich hin und wieder der generelle Hinweis, dass ge- Rezensionen aufgebaut ist, wäre es wünschenswert gewe- wisse Seiten von Fragmenten gar nicht oder nur schwer sen, wenn der Verfasser genauer die Unterschiede der bei- lesbar seien. Der Leser kann so beim Fehlen eines be- den Rezensionen, im besonderen im Traktat Schabbat, stimmten Fragments im negativen Variantenapparat nie- herausgearbeitet hätte. Auch aus der Besprechung der mals wissen, ob das Fragment mit Codex Kaufmann über- Handschriften und Fragmente — bei den letzteren beson- einstimmt oder aber dieses Wort oder dieser Abschnitt im ders spärlich — werden diese Unterschiede nicht klar. Aus Fragment nicht mehr zu erkennen ist. den immer wiederkehrenden Beispielen des Verfassers Wie alle anderen Genizafragmente, so sind auch die 14 geht hervor, dass er die Hauptunterschiede besonders in Talmudfragmente in der Spalte des palästinischen Textty- äusseren Kennzeichen, in der Schreibung und in einigen pus mitgeteilt. Dies ist eine vergleichbare Verfehlung wie grammatikalischen Besonderheiten sieht. Dies geht auch die Auswahl des falschen Haupttextes für die Spalte der im wesentlichen aus der Tabelle der Hauptunterschiede babylonischen Version. Gerade die Texte, die am reinsten hervor, die der Verfasser am Ende der Einleitung auf die babylonische Texttradition erhalten haben dürften, zwei Seiten bringt. Um solche Unterschiede herauszustel- stehen so auf der falschen Seite. Hinzu kommt, dass die len, hätte die Tabelle genügt, und der ganze Aufwand der für die Erkennung der babylonischen Texttradition beson- doppelten Text- und Apparatmitteilung wäre überflüssig ders wichtigen und wertvollen Pisqaot der Fragmente an- gewesen. Ob aber auch inhaltliche Merkmale vorhanden scheinend überhaupt nicht mitgeteilt werden. Dies ge- sind, wie Auslassungen, Zufügungen, anderer Text oder schieht aber anscheinend auch nicht von den vollständi- andere Formulierungen, die beide Texttypen unterschei- gen oder teils vollständigen Talmudhandschriften Mün- den, lässt sich aus der Textausgabe nicht ablesen. Daran chen 95 und Vatican 127; wohl aber sind die Pisqaot des sind aber noch einige andere Fehler, Ungenauigkeiten Druckes Wilna verzeichnet, was neben der Mitteilung der und Nachlässigkeiten in`der Textgestaltung schuld. Pisqaot des Erstdruckes völlig sinnlos erscheint. Da alle Besonders nachlässig sind die Genizafragmente vom Ver- Genizafragmente durchnumeriert sind und ihnen äusser- fasser behandelt worden. Im Vorwort zur Beschreibung lich nicht anzusehen ist, ob es sich um Mischna-, Tal- der Fragmente stellt der Verfasser fest: mud-, Maimonides- oder Alfasifragmente handelt, ist ein Erkennen der Tradition anhand der Genizafragmente »Die Varianten der Genizafragmente, die unten mitgeteilt schier unmöglich gemacht. werden, stammen fast ausschliesslich von Mischnahand- Viele weiteren Mängel der Textausgabe könnten noch an- schriften. Allerdings sind auch da und dort einige Fragmente gemerkt werden, so der nicht zeilenparallele Abdruck in

2421 IM 3 2 Text und Apparat der Synopse, so der durch die Verklei- wie die Generation diese Lehrmeinung verstanden hat, die nerung und Kontrastierung nicht immer leicht lesbare sie überliefert, also die nächstnachfolgende Generation. Faksimiledruck des Codex Kaufmann oder die Willkür in Erst dann folgen die weiteren Schichten, innerhalb der der Mitteilung oder Nichtmitteilung anderer Vokalisie- Mischna und dann ausserhalb von ihr. Besonders wichtig rungen. Das Verdienst der Ausgabe liegt sicher nicht in ist hier die Tosefta. Der Verfasser kommt zu dem Schluss, der Gestaltung des Textteils, sondern im Kommentarteil dass die Tosefta zum Traktat Schabbat die direkte Fort- des Werkes. setzung in der Lehrbildung der Mischna ist. Die Tosefta Über seine Methode gibt der Verfasser in der Einleitung enthält so zusätzlich zur Mischnatradition noch zwei Rechenschaft, die mit »der Traktat« überschrieben ist. Schichten, so dass Mischna und Tosefta zusammen sechs Der Verfasser legt besonderes Gewicht auf die verschiede- Schichten widerspiegeln. Aus diesem Grunde bringt der nen Entstehungsschichten des Gesamttraktates und jeder Verfasser am Ende eines jeden Kapitels einen ausführli- einzelnen Mischna. Wie für den Grossteil der Mischna- chen Überblick und Vergleich zum Toseftamaterial. Fer- überlieferung sieht der Verfasser auch im Traktat Schab- ner wird in der Kommentierung die spätere Auslegungs- bat vier Schichten der Mischnaüberlieferung: geschichte in den beiden Talmudim und der Zeit danach bis in die gaonäische Zeit hinein berücksichtigt, obwohl —Die Generation von Javne sichtet und ordnet das Mate- das Schwergewicht der Auslegung sich auf die tannaiti- rial aus der Zeit des Endes des zweiten Tempels. sche und amoräische Zeit konzentriert. Besonders in den —Akiba ordnet das Material der Schule von Javne. beiden Talmudim gehen die Auslegungen zur Mischna —Die Schüler Akibas ordnen seine Mischna. durchaus verschiedene Wege. Dies ist auf die verschiede- —Rabbi ordnet das Material der Schüler Akibas. ne Einstellung zur Mischna, verschiedene Ansichten und Eine jede Generation ordnet das Material der vorherge- auf verschiedene Traditionen zurückzuführen, manchmal henden Generation in Treue zur Überlieferung ihrer Vä- beruhen die Unterschiede der Auslegungen aber auch auf ter, ohne in ihre eigene Mischna ihre eigenen Lehrmei- verschiedenem Mischnatext. Während die rabbinische nungen schon reinzubringen. Dies geschieht erst in der klassische Auslegung in der Auslegung am babylonischen Generation danach. Der Kommentar versucht nun, jede Talmud orientiert war, versuchen die modernen Ausleger Mischna ihrer Schicht zuzuordnen. Er versucht auch fest- in Israel und mit ihnen auch der Verfasser die Unterschie- zustellen, wer der Autor auch einer anonym vorgebrach- de aus den verschiedenen Hintergründen zu verstehen, ten Lehrmeinung sein kann. Bei genannten Autoritäten wobei sie der palästinischen Auslegung einen erhöhten geht der Verfasser davon aus, dass die vorgebrachte Lehr- Stellenwert einräumen, da diese Tradition der Mischna meinung vermutlich gerade nicht aus der Schule der ge- geographisch auf jeden Fall näher steht. nannten Autorität stammt, sondern von jemand anderem Der vorliegende Kommentar zum Mischnatraktat Schab- derselben Generation. So wird im Traktat Schabbat z. B. bat ist sicher der ausführlichste und gründlichste moderne Rabbi Jehuda am meisten genannt, die Hauptüberliefe- Kommentar zu einem Mischnatraktat, der die Verflech- rungsmasse stammt aber von Rabbi Meir, dem Schüler tung von Ernstnehmen des Textes aufgrund seiner eige- Rabbi Aqibas. Der Kommentar versucht nun, eine jede nen Voraussetzungen und Verstehen des Textes im Rah- Schicht aus sich selbst zu verstehen, ohne die spätere Aus- men der Auslegungsgeschichte am konsequentesten und legungs- und Wirkungsgeschichte gleich mit zu berück- sorgfältigsten herausgearbeitet hat. Darin liegt das grosse sichtigen. Erst dann versucht der Verfasser zu analysieren, Verdienst dieser Ausgabe.

VI Arnold Goldberg: Me'am Lo'ez Diskurs und Erzählung in der Komposition, Hayye Sara, Kapitel I*

Me'am Lo'ez ist Bibelzitat und heisst »aus dem stammeln- Übersetzung gebracht und älterem Quellenmaterial des den Volke«, gemeint sind die Ägypter, aus deren Mitte exegetischen Judentums, das Kuli verwendet, gegenüber- das Volk Israel herausgeführt wurde. Jakob Kuli, der gestellt. Dabei kommt Goldberg zu dem Schluss, dass Ku- Verfasser eines Monumentalwerks mit diesem Titel, ver- li in einer Abfolge von »Lemmatischem Text«, also einem steht unter dem »stammelnden Volk« allerdings das unge- Text, der sich an die biblische Erzählung anlehnt, und bildete Israel, für das er ein in gemeinverständlicher Form »Exkursivem Text«, durchaus selbständig und souverän und Sprache gehaltenes Kompendium zur Bibel schreiben seine Quellen auswertend, eine Einheit schafft, die ein li- wollte. Kuli lebte in Palästina um das Jahr 1700. Er terarisches Kunstwerk genannt werden kann. schrieb in Ladino, dem Jüdisch-Spanischen, der Volks- Das Buch wurde schon 1981 abgeschlossen —, so fehlt lei- sprache des sefardischen, aus Spanien stammenden Juden- der auch ein Hinweis auf die inzwischen erschienene tums im Mittelmeerraum. kommentierte englische Übersetzung des Werkes. Im Li- Arnold Goldberg nimmt aus diesem Monumentalwerk, teraturverzeichnis finden sich nicht immer die kritischen das etliche hundert, wenn nicht tausend Seiten umfasst Ausgaben der Midraschim. und das nach Kulis Tod noch fortgesetzt wurde, eine Pa- Am Schluss des Buches findet sich das 1. Kapitel der Para- rascha, einen Wochenabschnitt aus der Tora, Hayye Sara, scha im Original, wenn auch in lateinischer Umschrift »das Leben der Sara« heraus und daraus wieder das erste (Ladino wird wie alle jüdischen Sprachen in hebräischen Kapitel des Wochenabschnitts, das Stück, das Genesis 23 Buchstaben geschrieben). Der Vorteil einer solchen Um- behandelt, und untersucht Stil, Komposition und literari- schrift könnte aber sein, dass sie auch den interessierten sche Gestaltung. Romanisten erreicht. Auszüge des Werkes Me'am Lo'ez werden in deutscher Das Buch wurde für den Wissenschaftler geschrieben. Über den engen Rahmen des Judaisten hinaus sollte aber * (Frankfurter Judaistische Studien, Band 6) Frankfurt am Main auch der Literaturwissenschaftler und der Romanist Inter- 1984. VI, 210 Seiten. esse daran finden. Michael Krupp, Jerusalem

IM 33 1243 VII Personenregister IMMANUEL Jahrgang XI/XII" .

Abbun, Rabbi IM 29 Grünwald, Ithamar IM 2 Kahana, deRaw IM 8, 16 Stiegman, E. IM 5 Abrabanel, Isaak IM 17 Guttmann, Julius IM 23, 24 Krupp, Michael IM 27, 31, 33 Abraham (AT) IM 7, 21 Kuli, Jakob IM 33 Teitelbaum, Joel, Rabbiner IM 19 Abrahams, Israel IM 4 Hadrian, röm. Kaiser IM 9, Trajan, Marcus Ulpius IM 10, Adam (AT) IM 7 10, 11, 13, 14, 15, 16 Liebermann, S. IM 30 11, 14 Akiba, Rabbi IM 2, 11, 12, 13, Heinemann, Joseph IM 4 Lucius Quietus IM 10 16, 33 Hengel, Martin IM 27 Urbach, Ephraim E. IM 2, 4, Mach, Dafna IM 2, 9, 17 5, 6 Alfasi, Isaac ben Jacob (»Rif«) Hesekiel s. u. Ezechiel Meir, Rabbi IM 16, 33 IM 32 Hiob (AT) IM 7 Mose ben Maimon (Maimoni- Wewers, Gerd A. IM 27, 29, Alkibiades IM 6 Horowitz, Charles IM 28, 31 des) IM 13, 31, 32 30, 31 Wünsche, August K. IM 28 Hüttenmeister, Frowald Nathan, Rabbi IM 16 IM 28 Bacher, Wilhelm IM 28 Nehemia, Rabbi IM 16 Xiphilinus IM 10 Bar-Kochba IM 9, 11, 12, 13, Isaak (AT) IM 22 Neusner, Jacob IM 8, 27 14, 15 Yehoschua von Siknin, Rabbi Jakob (AT) IM 11, 23 Oppenheimer, Aharon IM 9 IM 16 Cassius Dio IM 10, 11, 13, 14, Jannai, Rabbi IM 20 Petuchowski, Jakob J. IM 4 Zeus IM 10 15 Jehoschua ben Chananja, Rabbi Porton, Gary IM 4 IM 10 Jehoschua, Rabbi IM 26, 29 Raw (Abba bar Aibo), Rabbi David (AT) IM 26, 27 IM 26 Jehuda Halevi IM 17, 19, 23, 24 Resch-Lakisch, Rabbi IM 20 Elasar haModai, Rabbi IM 12, Rosenthal, E. S. IM 30 Jehuda ha-Nassi (Juda »der Rüger, Hans P. IM 27 14 Fürst«), Rabbi IM 8 Elieser, Rabbi IM 16, 26 Bibel, Apokryphen, Jehuda (Juda) Löw ben Bezalel Salomo (AT) IM 15 Pseudepigraphen, Elieser ben Jaakob, Rabbi (der »Hohe Rabbi Löw«, Ma- Sara (AT) IM 33 IM 16 HaRaL) IM 17, 18, 19, 20, Sarason, R. S. IM 4 Neues Testament Elischa ben Abuja IM 16 21, 22, 23, 24, 25, 26, 27 Simon s. u. Simeon Esau (AT) IM 23 Jehuda, Rabbi IM 33 Simeon ben Eleazar, Eva (AT) IM 7 Jeschua ben Gulgola IM 12 Rabbi IM 8 Genesis 1, 26 (IM 6), (7); 25, 22 Simeon ben Gamliel, Rabbi (23); 32, 29 (20) Ezechiel (AT) IM 11 Jischmael, Rabbi IM 2, 16, 23, 29 IM 11, 12, 24 Exodus 20, 6 (IM 16); 24, 7 (22) Simeon ben Jochai, Rabbi Numeri 24, 17 (IM 11), (12) Jochanan, Rabbi IM 29 Fleischer, E. IM 4 IM 11, 16 Deuteronomium 5, 10 (IM 16); Jochanan ben T(h)orta, Rabbi Simson (AT) IM 12 22, 29 (21); 32, 47 (7) IM 12 Sokrates IM 6 Josua 7, 9 (IM 20) Gam(a)liel, Rabban IM 11, 24 Josephus Flavius IM 9 Psalmen 91, 15 (IM 16) Schäfer, Peter IM 27, 28 Hiob 20, 4 (IM 7) Ginzberg, Louis IM 28 Jossie der Galiläer, Rabbi Gog (AT) IM 27 IM 16 Schatz-Uffenheimer, Rivka Kohelet 1, 9 (IM 24); 12, 7 (6) IM 17 Hoheslied 1, 2 (IM 29); 5, 2 Goldberg, Abraham IM 31 Josua (AT) IM 20 Scherira Gaon IM 13 (16) Goldberg, Arnold IM 4, 33 Julius Severus IM 9, 14 Schwab, Moise IM 28 Jeremia 23, 29 (IM 8)

* Die Personennamen in: »St.-Jakobus-Gemeinde. Ein Arbeits- papier« (s. o. S. 5-6) sowie in: »Z. W. Falk/M 1 Dubois OP« (s. o. S. 12-16) sind im Personenregister s. o. S. 205-210 verzeichnet. (Vgl. o. S. 5, Anm.»)

244 I /M 34 sche Leistung, mehr als eine schier unerschöpfliche Fund- Senat der Freien und Hansestadt Hamburg (7. 3. 1983): grube für Theologen und Historiker, mehr als eine, aller- ». . . Herr Oberbürgermeister Dr. von Dohnanyi . . . dankt dings unentbehrliche systematische Grundlage für das Ihnen für Ihren Brief vom 24. 2. 1983 und für die Zusen- christlich-jüdische Gespräch in deutscher Sprache: Dieser dung des >Freiburger Rundbriefs< Jg. 1982. Die vom Ar- Gesamtregisterband ist für jeden, der Augen hat zu sehen beitskreis für christlich-jüdische Begegnung herausgege- und Ohren zu hören, ein Zeichen des Schalom, 'zu ver- bene Publikation macht die Fülle an Themen deutlich, die gleichen mit dem frischen Ölbaumblatt, das die Taube im unter dem Aspekt einer auf Kontinuität angelegten Zu- Schnabel zu Noah in der Arche brachte — trotz allen sammenarbeit zwischen Menschen christlichen und jüdi- menschlichen Unrechts und aller menschlichen Schuld schen Glaubens behandelt werden müssen. Ich wünsche hält Gott den Bund mit seiner Schöpfung aufrecht, lässt er der Aufklärungsarbeit durch den Arbeitskreis vollen Er- die aus dem Unheil Geretteten einen neuen Anfang wa- folg und eine breite, nachhaltige Wirkung auf die Öffent- gen . . . Ihre Arbeit für den >Freiburger Rundbrief< hat lichkeit . . .« dazu ein ermutigendes Fundament gelegt . . . Gott segne Der Ministetpräsident des Landes Nordrhein-Westfiden, Johannes Sie und erhalte Ihr Zeugnis unter uns . . .« Rau, Düsseldorf (10. 3. 1983): Bundespräsident Karl Carstens, Bonn (3. 3. 1983): ». >dankt herzlich für die beigefügte Jahresfolge . . ». . Über Ihren Brief vom 23. Februar 1983, mit dem Sie verfolgt die Thematik mit besonderer Anteilnahme< und mir eine weitere Ausgabe des >Freiburger Rundbriefs< erfreute uns >mit dem kurzen Text seiner Ansprache<« übermittelt haben, habe ich mich sehr gefreut. Der >Rund- (s. o. S. 58). brief< erfüllt eine wichtige Funktion im christlich-jüdi- Der Oberbürgermeister der Stadt Freiburg i. Br., Dr. Rolf Böhme schen Dialog. Ich danke Ihnen, dass Sie sich seit inzwi- (4. 3. 1983): schen 35 Jahren der Aufgabe widmen, diesen Brief her- ». . . Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken auszugeben, Sie dienen damit allen, die an der Pflege des für die mir übermittelte neueste Ausgabe des >Freiburger christlich-jüdischen Verhältnisses interessiert sind . . .« Rundbriefs<. Ich habe die einzelnen Beiträge mit grosser Aufmerksamkeit gelesen. Für Ihren unermüdlichen Ein- Der Präsident des Bundesvelassungsgerichts, Prof.' Dr. Ernst Benda, satz im Interesse der christlich-jüdischen Begegnung Karlsruhe (23. 3. 1983): möchte ich Ihnen herzlich danken. Mit dem >Freiburger ». . Für die freundliche Übersendung der neuesten Aus- Rundbrief< leisten Sie schon seit vielen Jahren einen wirk- gabe des >Freiburger Rundbriefs< danke ich Ihnen sehr. samen Beitrag zur Verständigung zwischen Christen und Diese interessante Publikation verdient es immer wieder, Juden. Ich wünsche Ihnen für diese Arbeit weiterhin viel gelesen und auch verbreitet zu werden.« Erfolg . . .« Staatsministerium Baden-Württemberg, Stuttgart (14. 3. 1983): ». . Ministerpräsident Lothar Späth lässt Ihnen für die neueste Jahresfolge des >Freiburger Rundbriefs< seinen herzlichsten Dank, verbunden mit seinen besten Wün- schen für Ihre weitere Arbeit im Dienste der christlich- jüdischen Begegnung, übermitteln . . .«

Bayerische Staatskanzlei, München (2. 3. 1983): * Wir bedauern lebhaft, dass wir auf Wiedergabe des uns sehr ». . Herr Ministerpräsident Strauss lässt Ihnen für die erfreuenden, reichhaltigen weiteren ministeriellen Echos aus Zusendung der 34. Folge des >Freiburger Rundbriefs< wie- Bund und Lähdern aus Raumgründen verzichten müssen. derum sehr herzlich danken. Er wünscht Ihnen für Ihre >Last not least< dürfen wir uns auch noch an dieser Stelle sehr herzlich für die uns übersandten Schreiben bedanken und damit Arbeit im Dienste der christlich-jüdischen Verständigung auch für die uns geschenkte grosse Ermutigung unserer Arbeit weiterhin Gottes Segen, Gesundheit und Erfolg . . .« (d. Red. d. FrRu).

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Wir senden dieses Heft wiederum sämtlichen Religions- Eine etwa beiliegende Zahlkarte bedeutet keine Verpflich- lehrern an höheren und Mittelschulen und solchen Per- tung: Sie ist nur eine technische Erleichterung für solche, sönlichkeiten zu, bei denen wir ein besonderes Interesse die durch einen Unkostenbeitrag unsere sich immer noch für die behandelten Themen annehmen. ausweitende, spendenbedürftige Arbeit schon unterstützt Allen Mitarbeitern, Helfern, Förderern und Interessenten haben und weiter zu fördern wünschen. sagen wir herzlichen Dank. Bitte beachten Sie den Hilferuf (s. oben Seite 2). Die Herausgeber Standortangabe zum Systematischen Register über den Inhalt Freiburger Rundbrief Jahrgang XXXV/XXXVI

Seite Seite I. Aufsätze und Berichte IV. Rundschau 1. Bibel und Theologie 202 1. Bibel und Theologie 204 2. Katechese 202 2. Katechese 204 3. Jüdische Geschichte und Judentum 202 3. Jüdische Geschichte und Judentum 204 4. Kirche und Synagoge 202 4. Kirche und Synagoge 204 5. Ökumene 203 5. Ökumene 204 6. Christen und Juden 203 6. Christen und Juden 204

7. Deutsche und Juden - Juden und Deutsche 203 7. Deutsche und Juden - Juden und Deutsche 205 8. Verfolgung und Widerstand 203 8. Verfolgung und Widerstand 205 9. Sühne und Wiedergutmachung 203 9. Sühne und Wiedergutmachung 205 10. Staat Israel 203 10. Staat Israel 205 11. Kirche und Christen in Israel - Kirche und Israel 204 11. Kirche und Christen in Israel - Kirche und Israel 205 12. Deutschland und Israel 204 12. Deutschland und Israel 13. Jerusalem und die Hl. Stätten 204 13. Jerusalem und die HI. Stätten 14. Juden und Araber 204 14. Juden und Araber 205 15. Erzählungen und erzählende Berichte 204 15. Erzählungen und erzählende Berichte 205

I.M. Tagungen 204 W./II. Tagungen 205

III. Echo US 2/3 V. Kleine Nachrichten

I./VI. In memoriam VI. In memoriam 205

VII. Aus unserer Arbeit 205 I Altenwohnheim für NS-verfolgte Christen (s. u. IV/11) 205 II »Glaube an die Menschlichkeit« 205 III Der »Freiburger Rundbrief« auf dem 87. Katholikentag 1982 (IV/6, IV/II) 205