Josephinische Mandarine. Bürokratie Und Beamte in Österreich
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Studien zu Politik und Verwaltung Herausgegeben von Christian Brünner · Wolfgang Mantl · Manfried Welan Band 107 Waltraud Heindl Josephinische Mandarine Bürokratie und Beamte in Österreich Band 2: 1848 bis 1914 Böhlau Verlag Wien · Köln · Graz Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF PUB 64-V16 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Coverfotos: © Narbutt-Lieven, 1090 Wien © 2013 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser Druck und Bindung: UAB Balto Print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-205-78950-5 „Und verwaltet wurde dieses Land in einer aufgeklärten, wenig fühlbaren, alle Spitzen vorsichtig beschneidenden Weise von der besten Bürokratie Europas, der man nur einen Fehler nachsagen konnte: sie empfand Genie und geniale Unternehmungssucht an Privatpersonen, die nicht durch hohe Geburt oder einen Staatsauftrag dazu privilegiert waren, als vorlautes Benehmen und Anmaßung. Aber wer ließe sich gerne von Unbefugten dreinreden! Und in Kakanien wurde überdies immer nur ein Genie für einen Lümmel gehalten, aber niemals, wie es anderswo vorkam, schon der Lümmel für ein Genie.“ (Musil, Der Mann ohne Eigenschaften) „Er hat begriffen, daß man, wenn man von einer vergangenen Epoche spricht, ohne auf die Gegenwart Bezug zu nehmen, sie zum Museumsstück reduziert, das von unserem Leben abgelöst und ohne jeden Einfluß darauf bleibt. In Wirklichkeit ist das genaue Gegenteil der Fall.“ (Lampedusa über Stendhal in „Reflexionen eines Bewunderers“) Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................ 11 I. Bürokratie und Beamte – eine Spurensuche Versuch einer Einführung .................... 17 1. Theoretische Überlegungen .................... 17 2. Die zwei Realitäten der Bürokratie ................. 24 3. Definitionen, Details und Daten ................. 26 II. 1848 – ein Wendepunkt für die österreichische Bürokratie? ................ 35 III. Die Bürokratie und das neoabsolutistische Experiment ... 45 1. Diskussionen um die bürokratische Neugestaltung ......... 45 2. Neue Strukturen und Arbeitsfelder. Die Liquidierung der Revolution auf dem Verwaltungsweg ............... 47 3. Beamtenethos und Beamtenideal der neuen Ära .......... 54 4. Ziviler Ungehorsam und staatliche Disziplinierung ........ 60 5. Ausbildung, ökonomische Lage und sozialer Status vor 1867 .... 66 IV. Beamtentum und Verfassungsstaat – ein Neubeginn? .... 85 1. Wandel der politischen Strukturen ................. 85 2. Staatsdiener – Staatsbürger. Neue politische Rechte – neue politische Probleme ........ 87 3. Widersprechende Loyalitäten: zwischen Kaiser und Staat – Nation/en und Partei/en ...................... 90 4. Parteipolitische Konfliktszenen .................. 99 5. Nationale Illustrationen ......................106 6. Traditionelle Karrieremuster gegen politischen Protektionismus ..121 7 Inhaltsverzeichnis 7. Soziale Privilegierung und dienstliche Disziplinierung: Streiflichter zu den ökonomischen und sozialen Verhältnissen 1873–1914 ....131 8. Die ungewohnte Neue: Frauen im Staatsdienst ..........147 9. Macht und Ohnmacht. Direkte und indirekte Einflussnahme ...154 10. Generationenkonflikte um 1900 ..................160 V. Das soziale Umfeld .........................165 1. Beamte und bürgerliche Gesellschaft ................165 2. Der Alltag im bürokratischen Leben oder die kleinen großen Unterschiede ..................168 Soziale Distinktionen: Ausbildung, Karriere und Rekrutierung ....170 Äußere Zeichen – Für und Wider die Beamtenuniform .......177 Umgangsformen im Amt ......................180 Arbeitszeit und Amtsräume .....................184 Amtsroutine, Akten und bürokratische Skurrilitäten .........187 3. Verbindende Gemeinsamkeiten – Amtsstil, Kanzleisprache und die Architektur der Amtsgebäude ...............190 4. Der private Alltag – das symbolische Kapital ............198 Amtsroutine im Privatleben? .....................198 Bürgerlicher Lebensstandard? Die Grundbedürfnisse Essen und Wohnen ..............200 Die Beamtenfamilie: Intimität und Öffentlichkeit ..........209 Die „gut-bürgerliche“ Gesellschaft – Private Netzwerke .......221 Freizeitgestaltung als Netzwerkbildung ................229 VI. Inszenierungen .........................235 1. Literarische Inszenierungen – Fremdbilder .............235 2. Selbstinszenierungen – Selbstzeugnisse ...............244 VII. Josephinismus und Moderne um 1900 ...........253 1. Typisch „josephinische“ Beamteneliten? ..............253 2. „Andersgläubige“, Sozialdemokraten und Künstler – ungewöhnliche josephinische Beamte? ...............260 3. Ein anderer ungewöhnlicher Beamter – Dr. Ludwig Ritter von Janikowski .................267 VIII. Was blieb? – Anstatt eines Schlusswortes ..........277 8 Inhaltsverzeichnis Anhang ..................................285 Bildnachweis ..............................285 Abkürzungsverzeichnis .........................286 I. Die Verwaltung und Organisation des österreichischen Kaiserstaates ....................287 II. Entwicklung der Gehälter der höheren Beamten nach den Gehaltsreformen .....................288 Quellen-und Literaturverzeichnis ...................290 Archivalische Quellen ...........................290 Gedruckte Quellen ............................291 Autobiografische Schriften ........................295 Ausgewählte Roman- und Dramenliteratur ................298 Sekundärliteratur .............................299 Sachregister ................................313 Namenregister ...............................317 Ortsamenregister ..............................321 9 Vorwort „Sie ist am Horizont. … Ich mache zwei Schritte auf sie zu, sie entfernt sich zwei Schritte. Ich gehe zehn Schritte, und der Horizont rückt zehn Schritte von mir ab. Und wenn ich noch so weit gehe, ich werde sie nie erreichen. Wozu taugt die Utopie? Dazu taugt sie, damit wir gehen.“ (Eduardo Galeano, Wandelnde Worte) Ein Buch über Bürokratie und Beamte zu schreiben, hat – so unglaublich es klingen mag – mit Utopie zu tun. Mit der Utopie, dass eine Institution, die ein jeder zu kennen vermeint, auch tatsächlich zu fassen sei. Ich musste mich diesbezüglich einer Enttäuschung stellen. Denn die Tätigkeiten der Bürokratie sind auf der Bühne ihrer Aufgaben, Funktionen und Kompetenzen klar sichtbar. Doch was sich hinter den Kulissen tut, wie die Hintergründe, Verkleidungen und Maskierungen der Entscheidungen in den verschlungenen Netzwerken ver- laufen, bleibt im Geheimen. Eine andere Dimension der Utopie stellt die Suche nach einer vollkommenen Bürokratie dar, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Institution zieht, die lange in die Menschheitsgeschichte zurück- reicht. Es gab und gibt selbstverständliche keine vollkommene Bürokratie. Sie bleibt Utopie! Vor zwanzig Jahren, als mein Buch „Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Be- amte in Österreich 1780 bis 1848“ das Licht der Öffentlichkeit erblickte, schien es, als ob eine bürokratische Tradition am Leben wäre, die seit der späten maria- theresianischen Zeit in der österreichischen Monarchie aufgebaut wurde und die die Geschichte Österreichs prägte, über allen staatlichen Wandel – über Absolutis- mus, konstitutionelle Monarchie, Erste und Zweite Republik hinweg – mit allen Vorteilen und Schattenseiten, die ihr eigen sind! Es war zu vermuten, dass auf diese Tradition weiterhin Verlass wäre. Seit den späten 1990er-Jahren allerdings fand ein fundamentaler Wandel statt, dessen politisches Losungswort „Bürokra- tieabbau“ hieß. Dazu gehörten die zahlenmäßige Reduktion der Beamten, die grundsätzliche (zumindest teilweise) Abschaffung der Pragmatisierung, in deren Folge die Einführung der Beamten „auf Zeit“ in hohen Positionen und der Ersatz der Beamten in den Stabsstellen durch Angestellte und persönliche Berater der 11 Vorwort Minister. Die Maßnahme verfolgte den Zweck, die Arbeitsverhältnisse im Staats- dienst denen der Privatangestellten anzugleichen. Öffentlichkeit und Medien sind traditionell der Bürokratie nicht freundlich gesinnt. Sie klatschten dem Abbau der altgedienten bürokratischen Strukturen Beifall, weil er angebliche Privilegien auf Staatskosten abschaffte. Es wurde kaum überlegt, dass der Prozess der „modernen Entbürokratisierung“ gewissermaßen das Gegenteil, einen Rückfall in vormoderne Zeiten, bedeutete, wo absolute Re- genten „ihre“ Beamten einsetzen, nach frei verhandelten Gagen bezahlen und jederzeit wieder entlassen konnten. Die heiß erkämpfte Einführung der Unkünd- barkeit hatte ursprünglich das Ziel, die Beamten an die Gesetze des Staates (und nicht an die Allmacht des Regenten) zu binden und die Diener des Staates zur freien Meinungsäußerung gegenüber den politischen Instanzen zu verpflichten, ohne dass Sanktionen befürchtet werden mussten. Es war dies ein wegweisen- der Schritt zum europäischen Rechtsstaat mit einem ausgefeilten bürokratischen System inklusive Instanzenzug, das den Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechts- sicherheit vor Übergriffen der Politik verschaffte. Nun verfiel man auf die Idee, dass unsere moderne