Streifzug: Das ThyssenKrupp Quartier Streifzug: Das ThyssenKrupp Quartier

Dauer: ca. 2 Stunden Länge: 3,6 km Ausgangspunkt: Limbecker Platz Haltestelle: Berliner Platz

Limbecker Platz mit dem von Hugo Lederer Einleitung: geschaffenen Friedrich-Alfred--Denkmal Was wäre ohne Krupp? Diese Frage und dem Hotel Essener Hof um 1915 wird oft gestellt. Auf jeden Fall wäre die Ge- schichte und Entwicklung der Stadt deutlich überbaut ist, ein großes Denkmal für Fried- anders verlaufen. Kein anderes Unternehmen rich errichtet, dessen Haupt- hat in vergleichbarer Weise die Stadt Essen figur nun im Park der Villa Hügel zu finden geprägt. Lange Zeit waren Krupp und Essen ist. Vom Limbecker Platz aus führt unser Weg nahezu synonyme Begriffe. Von den bei- quer durch das Einkaufszentrum zum Berliner spiellosen betrieblichen Sozialleistungen der Platz, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg Firma Krupp zeugen heute noch viele sehens- als Teil des erweiterten Innenstadtrings ange- und vor allem bewohnenswerte Siedlungen legt wurde. Die hier beginnende Altendorfer des Werkswohnungsbaues in den Stadtteilen. Straße, ein Teil des Hellwegs, wurde Ende Der Zusammenhang zwischen Wohn- und des 18. Jahrhunderts auf Betreiben Preußens Arbeitsstätte ist hingegen kaum noch nach- ausgebaut, finanziert aus privaten Geldmitteln vollziehbar. Nur noch wenig erinnert an die der letzten Essener Fürstäbtissin Maria Kuni- gewaltige Krupp-Stadt, die vom Limbecker gunde. Der Berliner Platz wurde bis 2010 als Platz und der Bergisch-Märkischen-Bahn Kreisverkehr neu gestaltet. bis an den Rhein-Herne-Kanal reichte. Viele Jahrzehnte erstreckte sich westlich der Esse- Das frühere „Tor zur Fabrik“ (42) am Ber- ner Innenstadt eine riesige Industriebrache, liner Platz ist durch eine Eisenbahnbrücke die in weiten Teilen aus Angst vor Blindgän- der Werksbahn gekennzeichnet. Rundum gern nicht betreten werden durfte. Die verbo- hat sich ein beeindruckendes Gesamten- tene Stadt hat sich in den letzten Jahren als semble Kruppscher Werkshallen erhalten. „Krupp-Gürtel“ zu Essens neuer Seite ge- Der ursprüngliche Charakter der „Krupp- mausert, mit dem Berthold-Beitz-Boulevard, Stadt“, das dichte Geflecht der Ferti- dem Krupp-Park, dem ThyssenKrupp Quar- gungshallen, Hammeranlagen, Schmieden, tier und den restaurierten Baudenkmälern auf Walzwerke, Werkstätten, Fabriken und der Route der Industriekultur. Mit 230 Hektar Lagerplätze ist hier noch spürbar. Längst gilt das Areal als das größte citynahe Stadt- ist neues Leben in die Industriedenkmäler entwicklungsprojekt in Nordrhein-Westfalen. eingezogen: Die 8. Mechanische Werkstatt Unser Streifzug führt zu den historischen diente bis 2020 als Musical-Theater, hinter Zeugnissen des Krupp-Erbes und bietet ein- der Backsteinfassade des ehem. Press- und drucksvolle Beispiele zeitgenössischer Archi- Schmiedewerks verbirgt sich ein modernes tektur und Landschaftsgestaltung. Parkhaus. Die Krupp-Fabrik als Stadt in der Stadt, das Am bzw. in direkter Nähe zum Limbecker zeitweilig größte Industrieunternehmen Euro- Platz lagen das Kruppsche Privathotel Esse- pas, nahm eine Fläche von etwa 500 Hektar ner Hof, das ursprünglich für Besucher der ein. Mehrere öffentliche Straßen durchzogen Krupp-Werke bestimmt war, die 1899 eröff- das Gelände, von denen weitere, kleine Fa- nete werkseigene Bücherei und das Krupp- briktore (Portiers) zu den Arbeitsstätten führ- sche Beamtenkasino. 1907 wurde mitten auf ten. Das „Tor zur Fabrik“ mit den zu ihrem dem Platz, der heute vom Einkaufszentrum Arbeitsplatz eilenden Menschen war ein

73 Streifzug: Das ThyssenKrupp Quartier F H 42 47 44 43 45 46 Tor zur Fabrik Tor ThyssenKrupp Quartier (43) Tiegelgussdenkmal (44) Krupp-Stammhaus (45) (46) Krupp-Park (47) Weststadthalle (42) 74 Streifzug: Das ThyssenKrupp Quartier

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Tor zur Fabrik am Feierabend um 1905 ... … und heute beliebtes Postkartenmotiv. Der „Kruppsche bung Einflüsse des Jugendstils erkennen lässt. Esel“, die Werkssirene zum Schichtwechsel, Das auf der anderen Seite der Altendorfer war bis weit in die Stadt hinein zu hören. Lin- Straße stehende ehem. Press- und Schmie- ker Hand stand ein Denkmal für Alfred Krupp dewerk stammt von 1915-17. Hier arbeitete von 1892, das von den Werksangehörigen die damals größte Schmiedepresse der Welt. gestiftet worden war. Die Bronzeplastik, ge- Die vor dem Gebäude mündende Mittelstraße schaffen von den Bildhauern Alois Mayer und markiert die Grenze des Fabrikgeländes zum Josef Wilhelm Menges, steht heute im Ruhr Segerothviertel, in dem viele Krupp-Arbeiter Museum auf , eine Kopie im Park mit ihren Familien wohnten. der Villa Hügel. Im Unterschied zum Krupp- Begleitet von den hohen Backsteinmauern Denkmal auf dem Marktplatz wurde hier das folgen wir der Altendorfer Straße. Auf der lin- besondere Engagement des Industriemagna- ken Straßenseite hat sich ein weiteres, denk- ten für das Gemeinwohl hervorgehoben. So malgeschütztes Fabrikgebäude, die ehem. gab es am Sockel neben einem Schmied eine Geschossdreherei, erhalten, die noch zu Leb- weibliche Allegorie der „Humanitas“. Das zeiten Alfred ab 1873 errichtet wurde. Denkmal nahm zum Im Gebäude hat das an die Universität Duis- Anlass, in dankbarer Erwiderung den Krupp- burg-Essen angeschlossene Zentrum für Tür- schen Altenhof in Rüttenscheid zu stiften (vgl. keistudien und Integrationsforschung seinen S. 155). Hinter dem Denkmal befand sich der Sitz. 1985 wurde es zur Intensivierung der Kruppsche Bazar, das zentrale Warenhaus der deutsch-türkischen Beziehungen gegründet. Kruppschen Konsumanstalt. Die ringförmige Werksbahn wurde 1861 ein- Das Unternehmen Krupp gerichtet und war an die überregionalen Stre- Die Krupp-Geschichte ist oft beschrieben ckennetze angebunden. Die noch erhaltene und sogar verfilmt worden. Längst haben sich Brücke (heute Fußgängerüberweg) wurde zahllose Legenden um das Familienunterneh- 1872-74 gebaut. Eine moderne Treppenan- men und seinen beispiellosen Aufstieg (und lage dient als Entree für das 1996 eröffnete Niedergang) gebildet. Krupp hat gezielt zur Colosseum Theater (siehe Kulturadressen Entstehung dieser Mythen beigetragen. S. 192). Die 28 m hohe, denkmalgeschützte Schon lange vor der Gründung der Gussstahl- Industriehalle besitzt 1.640 Zuschauerplätze. fabrik waren die Krupps ein bedeutender Fak- Für die Aufführung von Musicals bietet sie tor in Essens Wirtschaftsleben. Helene Amalie einen stimmungsvollen Rahmen. Errichtet Krupp erwarb 1799 die Gutehoffnungshütte wurde das Gebäude 1900-01 als 8. Mechani- bei Sterkrade (heute Oberhausen). Ihr Enkel, sche Werkstatt, in der Objekte für den Loko- , leitete vorübergehend die motiv- und Schiffbau produziert wurden. Bis Eisenhütte, bevor sie 1808 weiter veräußert zur Fertigstellung der 9. Mechanischen Werk- wurde. Nach dem Tode seiner Großmutter statt an der Frohnhauser Straße 1905 war die investierte er das Familienvermögen in die dreischiffige Halle die größte auf dem Krupp- Erzeugung von Gussstahl, den man damals Gelände. Die Stahlkonstruktion ist mit einer als „Tiegelstahl“ bezeichnete. Mit Hilfe eines Ziegelsteinhülle ummauert, deren Formge- eigenen Schmelzverfahrens gelang ihm 1816

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Gruß aus der Kanonenstadt die Erzeugung des heiß begehrten Materials. und ein über 2.000 kg schwerer Stahlblock, Prägestempel für Münzen waren eines der der mit höchstem Aufwand in Essen gefertigt ersten Qualitätserzeugnisse, die dem jungen worden war, erregten 1851 Aufsehen. Zehn Unternehmen Anerkennung verschafften. Vor Jahre später ging der Riesenhammer „Fritz“ dem Limbecker Tor, nahe der heutigen Alten- zum Schmieden gewaltiger Stahlblöcke in dorfer Straße konnte Friedrich Krupp 1818/19 Betrieb und war weltweit der größte seiner einen neuen Schmelzbau errichten. Der wirt- Art. Immer wieder verbesserte Alfred Krupp schaftliche Erfolg blieb gleichwohl aus, das die Herstellungsverfahren und meldete diver- Familienvermögen war bald aufgebraucht. se Patente an. 1871 baute er ein Martinwerk Verarmt und entehrt starb Friedrich Krupp im mit den ersten in Deutschland eingesetz- Alter von nur 39 Jahren. ten Siemens-Martin-Öfen. Im Krieg gegen Unternehmerisches Geschick verhalf seinem Frankreich spielten Krupp-Geschütze eine Sohn Alfred Krupp zum Aufstieg. Neben entscheidende Rolle und wurden auf Paris den Prägestempeln produzierte er Walzen abgefeuert. und Bestecke, schließlich auch Gewehrläufe. Ab 1861 wohnte Alfred Krupp mit seiner Fa- Von 1853 stammt das Patent, das Krupp für milie im so genannten „Gartenhaus“ mitten seine berühmten nahtlosen Eisenbahnreifen auf dem Fabrikgelände, bevor er den Kloster- eintragen lassen durfte. Die drei verschlun- buschhof in Bredeney erwarb und dort 1870 genen Radreifen mit dem Bau der Villa Hügel beginnen ließ wurden später zum (vgl. S. 111). Die Villa sollte vor allem re- Firmenlogo. Längst präsentativen Zwecken dienen und war mit- war Alfred Krupp tels eines Reitweges, den Alfred Krupp oft Stammgast auf den benutzte, an die Fabrik angeschlossen. Nicht großen Gewerbe- ohne Grund zeigt ihn das Denkmal auf dem und Weltausstellun- Markt demonstrativ im Reiteranzug. Als Al- gen, auf denen er u.a. fred Krupp 1887 starb, verfügte die Fabrik stählerne Antriebs- über 20.000 Arbeiter. wellen für Schiffe Sein Sohn Friedrich Alfred Krupp vergrößerte Alfred Krupp (1812- präsentierte. Seine die Betriebsfläche, modernisierte die Anlagen 1887) Gussstahlkanone und expandierte. Übernommen wurden u.a.

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Bergwerke in Lothringen, das Grusonwerk in zeit entflochtene Konzern fusionierte 1992 Magdeburg und die Germaniawerft in Kiel. mit Hoesch und 1999 zur ThyssenKrupp AG, 1890 begann Friedrich Alfred Krupp mit der die noch immer Deutschlands größtes Stahl- Produktion von Panzerplatten, die für Kriegs- und Technologieunternehmen ist. Seit 2010 schiffe benötigt wurden. Sein plötzlicher Tod hat die Konzernzentrale wieder ihren Sitz in den Tagen des -Skandals bot viel in Essen. Bei ihrer Errichtung und den sehr Anlass für Spekulationen. Am 26. November unter Zeitdruck stehenden archäologischen 1902 wurde die Altendorfer Straße am Tor Grabungen wurden zahlreiche Zeugnisse der zur Fabrik zum Schauplatz des gigantischen Fabrikgeschichte zu Tage gefördert. Trauerzuges, angeführt von Kaiser Wilhelm II., der den Sozialdemokraten und ihrer Pres- Wir folgen der Altendorfer Straße und über- sekampagne die Schuld am Tod des Indus- queren die erst nach dem Zweiten Weltkrieg triellen gab. Seine Witwe Margarethe Krupp durch das weitgehend zerstörte bzw. demon- wandelte das Unternehmen in eine Aktienge- tierte Fabrikgelände gezogene Hans-Böckler- sellschaft um. Ihre Tochter Bertha heiratete Straße. 1906 den Diplomaten Gustav von Bohlen und An der Ecke zur ThyssenKrupp Allee steht Halbach. Mit königlicher Erlaubnis durfte der das im Halbbogen angeordnete, 22 m lan- Name Krupp beibehalten werden. ge Tiegelgussdenkmal (43) und bildet den Aus Anlass der Hochzeit stiftete Margarethe Auftakt zum neuen ThyssenKrupp Quar- Krupp die Margarethenhöhe (vgl. S. 127), tier. Gustav Krupp von Bohlen und Hal- die ab 1910 gebaut wurde. Gustav Krupp von bach und seine Frau Bertha gaben das Bohlen und Halbach geleitete höchstpersön- Denkmal 1935 in Auftrag, um an die frühe lich Kaiser Wilhelm II. zum Krupp-Jubiläum Form der Gussstahlproduktion zu erin- 1912 durch das vorbildliche Gemeinwesen. nern. Der Berliner Bildhauer Artur Hoff- Doch die Kleinstadtidylle täuschte: In Essen mann schuf ein breit angelegtes Panorama, liefen längst die Kriegsvorbereitungen auf das uns als Zeuge an den einzelnen Arbeits- Hochtouren. Krupps „Dicke Bertha“ ging als schritten teilnehmen lässt. beliebtes Postkartenmotiv um die Welt. Dabei Sowohl die technische Herausforderung als mangelte es den Kartenmachern oft am guten auch die gewissenhafte Tätigkeit des Krupp- Geschmack, wenn sie den Gruß aus der Ka- Arbeiters zum Wohle des „Betriebsverban- none zauberten oder die von Krupp-Munition des“ werden in der Darstellung verherrlicht. getöteten französischen Soldaten gleich mit Aufgestellt wurde das Tiegelgussdenkmal aufs Bild bannten. „Die Kanonenstadt“ war kriegsbedingt erst 1952 direkt neben dem stolz auf die Produktion der Waffen. Während Turmhaus, dem alten Hauptverwaltungsge- des Ersten Weltkrieges wurde die Belegschaft bäude der Fried. Krupp AG. Nach Plänen von der Fried. Krupp AG mehr als verdoppelt auf Robert Schmohl errichtet, war das markante rund 167.000 Beschäftigte. Gebäude im Jubiläumsjahr 1912 eingeweiht Nach zwei verlorenen Weltkriegen lag die worden. Das Turmhaus wurde 1976 abgeris- Stadt, inzwischen „Waffenschmiede des Rei- sen und selbst ein noch vorhandener Vorgän- ches“ genannt, 1945 in Trümmern. Viele hat- gerbau von 1872 hat die Zeiten nicht überdau- ten ihr Leben verloren, gespenstisch muten die Fotos der Nachkriegszeit mit ihren Häu- ser- und Fabrikruinen an. Was nicht zerstört war, wurde demontiert. Bei den Nürnberger Prozessen musste sich stellvertretend für Gus- tav sein Sohn Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zusammen mit den meisten Krupp- Direktoren auf die Anklagebank setzen. Al- fried wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 43 Schon 1951 war er wieder frei und setzte zwei Jahre später Berthold Beitz als General- Tiegelgussdenkmal (Detail) bevollmächtigten ein. Der in der Nachkriegs-

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Zusammen mit dem ersten Schmelzbau ent- stand ein Aufseherhaus, in das der Fabrikherr als Folge des finanziellen Desasters seiner Unternehmung schließlich selbst einziehen musste. Hier starb er 1826. Seine Witwe The- rese Krupp und der erst 14 Jahre alte Sohn Al- fred übernahmen die Geschäfte. 1848 wurde Alfred Krupp alleiniger Inhaber. Die Fabrik stieg unter seiner Leitung zum größten Pri- vatunternehmen Europas auf. Noch bis 1861 wohnte Alfred Krupp mit seiner Familie im alten Aufseherhaus. Hier bzw. in einem An- bau empfing er die oft prominenten Schau- lustigen, darunter Prinz Wilhelm von Preu- ßen und den späteren Erzherzog Johann von Österreich. Nach dem Bau der Villa Hügel machte Alfred Krupp das bescheidene Fachwerkhaus zum „Stammhaus“ und ließ es instand setzen. Obgleich es dem Unternehmen während der so genannten „Gründerkrise“ gar nicht mal 1976 abgerissen: Krupp-Turmhaus so rosig ging, schrieb er 1873 den folgenden, sehr berühmten und viel zitierten Text unter ert. Er musste noch in jüngster Zeit dem Bau ein Foto des Gebäudes: des ThyssenKrupp Quartiers weichen. „Vor fünfzig Jahren war diese ursprüngliche Arbeiterwohnung die Zuflucht meiner Eltern. Der ThyssenKrupp Allee folgend, errei- Möchte Jedem unserer Arbeiter der Kummer chen wir das Krupp-Stammhaus (44). Al- fern bleiben, den die Gründung der Fabrik fred Krupp machte das bescheidene Fach- über uns verhängte. 25 Jahre lang blieb der werkhaus, in dem er als 14-jähriger nach Erfolg zweifelhaft, der seitdem allmählig die dem Tode seines Vaters 1826 die Geschäfte Entbehrungen, Anstrengungen, Zuversicht übernahm, zum Symbol seines Aufstiegs und Beharrlichkeit der Vergangenheit, end- und Kernstück seiner Firmenphilosophie. lich so wunderbar, belohnt hat. Möge dieses 1944 fiel das Stammhaus den Bomben zum Beispiel Andere in Bedrängniß ermuthigen, Opfer. Die originalgetreue Reproduktion ent- möge es die Achtung vor kleinen Häusern stand zum 150. Firmenjubiläum 1961. Auch und das Mitgefühl für die oft großen Sorgen das Innere mit der ursprünglichen Zimmer- darin vermehren. ‚Der Zweck der Arbeit soll aufteilung einschließlich der Wohnküche und das Gemeinwohl sein, dann bringt Arbeit Se- des Arbeitszimmers mit dem (nachgebauten) gen, dann ist Arbeit Gebet.’ Möge in unserem Schreibtisch von Alfred Krupp ist wieder Verbande Jeder vom Höchsten zum Gerings- hergestellt. Die historischen Möbel, darunter eine Sitzwaage, stammen aus den Jahren 1820 bis 1890.

Das Stammhaus Am 20. November 1811 wurde die Gründung der Gusstahlfabrik durch Friedrich Krupp vollzogen. Als erstes Fabrikgebäude diente die Walkmühle im heutigen Stadtteil Vogel- heim. 1818/19 verlegte Friedrich Krupp den Firmensitz auf ein der Familie gehörendes Infotafel am Stammhaus Grundstück nahe der Altendorfer Straße.

78 Streifzug: Das ThyssenKrupp Quartier ten mit gleicher Überzeugung sein häusliches schließung des neuen ThyssenKrupp Quar- Glück dankbar und bescheiden zu begrün- tiers ist es wieder frei zugänglich. Wie kaum den und zu befestigen streben, dann ist mein ein anderes Gebäude, manifestiert sich in ihm höchster Wunsch erfüllt.“ der Kruppsche Geist, der die Stadt bis in die Das Wunder des Aufstiegs sollte zur Nach- Gegenwart prägt. ahmung, vor allem zur übersteigerten Identi- fikation des Arbeiters mit Krupp anspornen. Das unmittelbar am Stammhaus begin- Gewünscht war die besondere - auch emotio- nende ThyssenKrupp Quartier (45) bildet nale - Bindung an das Unternehmen, das gute das Kern- und Glanzstück des „Krupp- Fachkräfte benötigte. Schon im Jahr zuvor Gürtels“. 2006 fiel die Entscheidung, den hatte Alfred Krupp ein „General-Regulativ“ Firmensitz zurück nach Essen und mitten für die Belegschaft erlassen. Im „Verband“ auf das seit 1818 von Krupp genutzte Ge- sollte nicht gestreikt und politische Enthalt- lände zu verlegen. Schon am 17. Juni 2010, samkeit geübt werden. Ihre unbedingte Treue mitten im Kulturhauptstadtjahr, konnte zum Unternehmen vorausgesetzt, kam die der erste Bauabschnitt für 200 Beschäftigte Stammbelegschaft (man sprach auch von eröffnet werden. Heute arbeiten rund 3.200 den „Kruppianern“) in den Genuss vieler Mitarbeiter in der Konzernzentrale, deren Privilegien: Eine Kranken- und Sterbe-Kasse Gebäude sich um eine zentrale Wasserach- (1858), der Werkswohnungsbau (1861), eine se gruppieren. Konsumanstalt (1868). Dem Gemeinwohl Verschränkte, scheinbar schwebende Winkel dienten bald Kruppsche Krankenhäuser, bilden einen zentralen, 50 m hohen Gebäu- Schulen, Bibliotheken, Schwimmbäder und dewürfel (das Q 1 Gebäude). An allen groß- zahlreiche andere Stiftungen, darunter die zügig im Gelände verteilten Bauten der Kon- berühmte Margarethenhöhe, die der Woh- zernzentrale bestimmen Glas und bewegliche nungsfürsorge für die minderbemittelte Klas- Edelstahllamellen sowie Lochbleche und se diente. Krupp wurde als „alte Wohltäterin“ farbig beschichtete Stahltafeln den optischen gefeiert und verehrt. Eindruck. Für den Werkswohnungsbau favorisierte Alf- red Krupp in Anlehnung an das „Stammhaus“ Rechter Hand des Q 1 Gebäudes kommen wir das Kleinhaus mit Garten. Der von Robert vor auf die neu angelegte Straße Quartiersbo- Schmohl als Leiter des Baubüros ab 1891 gen und wenden uns nach links. geplante Alfredshof in Holsterhausen und Jenseits des Berthold-Beitz-Boulevards vor allem der Altenhof in Rüttenscheid, der erreichen wir den auf fünf künstlich ge- von manchen respektlos „Reklamehof“ ge- schaffenen Hügeln angelegten Krupp-Park nannt wurde, setzten neue Maßstäbe für den (46), der zukünftig eine Fläche von 23 Hek- Bau von Arbeitersiedlungen schlechthin und tar umfassen soll. Diverse Freizeitangebo- dienten als Werbefaktoren für das Unterneh- te und der Krupp-See machen den Park men (vgl. S. 155 ff.). Tatsächlich kam nur ein schon jetzt zu einem Anziehungspunkt für Teil der Arbeiterschaft in den Genuss der heiß alle Generationen. Von den Hügeln aus bie- begehrten Wohnungen, in denen man besser tet sich eine gute Fernsicht über das Thys- und meist preisgünstiger als in den anderen Arbeiterquartieren lebte. Immerhin wohnte 1900 jeder achte Essener Bürger in einem Wohnhaus von Krupp. Das Stammhaus wurde über die Jahre inmit- ten der Tag und Nacht geschäftig lärmenden und stinkenden Fabrik gehegt und gepflegt. Es wurde nach der totalen Zerstörung bis ins Detail rekonstruiert. Jüngst wurde es aufwen- 45 dig restauriert. Unwirklich in seiner Umge- bung, so wirkte es schon 1873 und so wirkt ThyssenKrupp Quartier das Stammhaus noch heute. Erst seit der Er-

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Das Krupp-Verwaltungsgebäude von 1938 an der Altendorfer Straße senKrupp Quartier und die anliegenden Alfred Krupp. Stadtviertel. Das südlich der Altendorfer Straße gelegene Im Norden sind die Reste der Zeche Sälzer- Areal wurde bis in die 1940er Jahre von der Amalie (später Helene-Amalie) sichtbar, die Siedlung Kronenberg eingenommen. Alfred sich ab 1927 komplett im Eigentum der Firma Krupp hatte diese Siedlung für über 8.000 Krupp befand. Westlich breitet sich der Stadt- Menschen in direkter Nachbarschaft zum Fa- teil Altendorf aus, der schon deutlich vor sei- brikgelände um 1872-74 erbauen lassen. Die ner Eingemeindung (1901) durch seine Nähe Straßen der Kolonie waren nach Buchstaben zur Krupp-Fabrik großstädtische Züge ange- und Zahlen benannt. nommen hatte. Hieran erinnert zum Beispiel Wir verlassen den Park und folgen der Alten- der Altendorfer Dom St. Mariä Himmelfahrt, dorfer Straße, vorbei am neuen Finanzamt, ein 1891-92 vom Kölner Diözesanbaumeister wieder in Richtung Innenstadt. Von hier aus ist Franz Schmitz in Ziegelbauweise errichteter das ThyssenKrupp Quartier mit dem zentral neuromanischer Kirchenbau, dessen impo- angeordneten Q1-Gebäude und den vorgela- sante, ca. 60 m hohe Turmfront weithin sicht- gerten Wasserbecken besonders eindrucksvoll bar ist (vgl. S. 151). Bis zu 3.000 Gläubige sichtbar. An der Ecke zur Westendstraße steht fanden hier Platz. Nach Südwesten schließt die bis 1999 genutzte Konzernleitung der Fir- sich der Stadtteil Frohnhausen an, der vor- ma Krupp von 1938, die lange Zeit über eine rangig als Wohnstadtteil der Krupp-Arbeiter Brücke mit dem Turmhaus verbunden war. diente. Wir sehen die schwarzen Kuppeln des Das Gebäude besteht aus drei schlichten ku- Bürohauses West, früher ein Ledigenheim der bischen Baukörpern unterschiedlicher Höhe, Firma Krupp, und den Turm des von Margare- die sich gegenseitig in ihrer Wirkung steigern. the Krupp 1912 gestifteten Friedrichsbades. An einem auffällig bemalten Backsteinbau, Hier gab es neben einem schmiedeeisernen früher ein Speisesaal für die Krupparbeiter, Bassin vor allem Wannen- und Brausebäder, überqueren wir die Hans-Böckler-Straße da viele Wohnungen in Essen-West noch kein und biegen dahinter rechts in die Kurt-Jooss- Badezimmer besaßen. Länger als 20 Minu- Straße ein. Der Tänzer und Choreograph Kurt ten durfte man im Friedrichsbad nicht in die Jooss war bis zu seiner Emigration 1933 Bal- Wanne. Grundstück und Baumaterial für die lettdirektor am Essener Opernhaus und wurde benachbarte Lutherkirche von 1882 stiftete mit seiner Choreographie von „Der Grüne

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Tisch“ berühmt. Bald erreichen wir den Platz Kind ein Instrument“ (siehe Kulturadressen an der Thea-Leymann-Straße. Er bildet das S. 192). Zentrum der Weststadt. Das zuletzt von AEG- Kanis für die Turbinenherstellung genutzte Tipp: Areal wurde auf Grundlage eines städtebau- Die Weststadthalle ist auch der neue zentra- lichen Wettbewerbs von 1994 neu gestaltet. le Kulturort für junge Essenerinnen, Essener und Gäste der Stadt Essen. Von Konzerten Als städtebauliche Dominante dient heu- über Partys bis hin zu Messen, Lesungen und te die Weststadthalle (47) an der Ostseite Theater wird mit Events in verschiedenen des Platzes, seit 2003 Zentrale der Folk- Größen (von zehn bis max. 1050 Personen) wang Musikschule. Das Architekturbüro jedem Geschmack etwas Passendes geboten Kohl & Kohl verlieh dem Gebäude seine (siehe Kulturadressen S. 195). heutige mehrschichtige Gestalt: Auf der An zentraler Stelle stehen in der Weststadthal- äußeren Glashülle sind Notenspuren aus le Experten zu unterschiedlichen Jugendthe- Beethovens letzter Klaviersonate (opus men bereit. Wenn es um Jugendkulturthemen, 111) zu sehen, die in der Gründungszeit der internationale Treffen sowie Jugendaustausch Krupp-Fabrik komponiert wurde. Die da- und Auslandspraktika oder um Mädchenför- hinterliegende, reich durchfensterte Stahl- derung geht, gibt es hier Unterstützung und fachwerkkonstruktion bildete früher die 2. Hilfe. In einem eigenen Jugendmedienzent- Reparaturwerkstatt der Gussstahlfabrik. rum (Frankenstraße 185 in Essen-Stadtwald) Die neue Gebäudehülle ummantelt wie eine können Kinder und Jugendliche ihren Um- funktionale Membran schützend das histo- gang mit der „virtuellen Welt“ erlernen. rische Gebäude und sorgt zugleich für eine Wärme- und Schalldämmung. An der Folk- An der Hallenrückseite gelangen wir auf den wang Musikschule wird schon seit 1974 Mu- Bahndamm der Werksbahn und damit zurück sik aus allen Epochen und Stilen unterrichtet. zum Berliner Platz, der sich von hier aus weit- Mit rund 240 Lehrkräften aus 20 Nationen räumig überblicken lässt. Der neue Kreisver- und 11.800 Schülern ist sie eine der größten kehr mit einem Durchmesser von rund 53 m Musikschulen Deutschlands. Ob im Einzel- ist fast so groß wie sein berühmtes Berliner unterricht oder im Ensemble: Kreativität und Vorbild, der Stern an der Siegessäule. Mit der Spielfreude unter professioneller und enga- an ein Kleid erinnernden, breit geschwun- gierter Anleitung stehen im Vordergrund. genen Fassade des Einkaufszentrums und Kinder, Jugendliche und Erwachsene werden der sich allmählich aufbauenden Kulisse des in fast allen Instrumentalfächern unterrichtet. Universitätsviertels hat dieser Platz ein völlig Hinzu kommen die Angebote Gesang, Tanz neues Erscheinungsbild erhalten. Die Erwei- und Schauspiel sowie die Rock-Pop-Schule, terung der Städte erfolgt heute nicht mehr das rollende Bandstudio „jamtruck“, die „litt- an der Peripherie. Wie schon der Duisburger le piano school“, die Studienvorbereitende Innenhafen, die Hafencitys in Düsseldorf Ausbildung, diverse Schulkooperationspro- und Hamburg oder der Rheinauhafen Köln jekte und das Grundschulprogramm „Jedem gezeigt haben, können in den Kernbereichen unserer Städte Entwicklungspotenziale aus- geschöpft werden, können sich Städte von innen heraus erweitern und erneuern. Dies geschieht in Essen in vorbildlicher Weise. Selbst eingefleischte Essenerinnen und Esse- ner müssen ihre Stadt laufend neu kennen und erleben lernen.

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Colosseum Theater und Weststadthalle

81 Impressum

Wir sagen Danke: Domschatz Essen: S. 13 (Foto: Jens Nober), Alt-Katholische Gemeinde Essen, Evangeli- 15 (o., Foto: Peter Happel, u., Foto: Jens No- sche Kirchengemeinde Essen-Frohnhausen, ber), 16/183 (l.) (Foto: Anne Gold, Aachen), Domschatz Essen, Jüdische Kultus-Gemein- 19 (o., Foto: Nicole Cronauge), 59 (u., Foto: de Essen, Ruhr Museum, Theater und Phil- Jens Nober). harmonie Essen GmbH, Stadtverwaltung Es- sen mit Amt für Geoinformation, Vermessung Evangelische Kirchengemeinde Essen- und Kataster, Alte Synagoge/Haus jüdischer Frohnhausen: S. 195 Kultur, Folkwang Musikschule, Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv, Jugendamt, Folkwang Musikschule/Kulturzentrum Kulturzentrum Schloß Borbeck, Volkshoch- Schloß Borbeck: S. 106. schule, Stadtbibliothek Fotoarchiv Ruhr Museum, Bestand Stadt- sowie bei Carlo Bordihn, Martin Faller, Dr. bildstelle: S. 9 (Schloß Borbeck), 14, 22 Johannes von Geymüller, Anke Hansen, Dr. (r.o.)/173 (o.), 22 (r.u.), 24 (u.), 29. (l.), 32 Detlef Hopp, Jutta Kaiser, Dr. Uri Kaufmann, (l.o.)/174 (m), 38 (l.), 49 (r.), 56 (r.), 63 (o.), Zehra Kaya-Cakir, Dr. Frank Knospe, An- 75 (r.), 76 (u.), 79, 81, 84 (r.), 85 (l.u.)/171 dreas Körner, Dr. Ernst Kurz, Nicole Mause, (u.), 85 (r.u.)/180 (r.), 89 (u.), 94 (o.), 95, 102 Achim Mikuscheit, Sabine Ritzdorf, Andreas (l.), 117 (l.), 118, 162 (o.), 170, 183 (o.). Ruff, Martin Siebold, Elke Toubartz,- Mar tina Strehlen, Susanne Wilde und Dr. Klaus Haus der Essener Geschichte/Stadtarchiv: Wisotzky. S. 38 (r.).

Historischer Verein für Stadt und Stift Essen: S. 161, 162 (u.).

Zum Autor Robert Welzel: Jüdische Kultus-Gemeinde Essen: S. 153 Geboren 1969. Lebt und arbeitet in Essen. (l.u.). Diverse Veröffentlichungen zur Essener- Ar chitekturgeschichte (u.a. Essener Beiträge). Lichtburg Essen: S. 21. Stadt- und architekturgeschichtliche Füh- rungen in Essen (u.a. Kunstring Folkwang, Museum Folkwang Essen: S. 89 (o., Foto: Historischer Verein für Stadt und Stift Essen, Jens Nober), 90 (o.)/190, 90 (u.). Tag des offenen Denkmals). Gemeinde- und Stadtteilgeschichte in Essen-Frohnhausen. Ruhr Museum Essen: 120 (u., Foto: Brigida Gonzáles).

Stadtarchäologie Essen: S. 12 (u.r.), 40 (r.).

Alle übrigen Bilder: Robert Welzel/Samm- Bildnachweis: lung Robert Welzel Essen. (l. = link, r. = rechts, m. = mitte, o. = oben, u. = unten)

Alt-Katholische Gemeinde Essen: S. 27 (u.)/174 (l.). Rechtlicher Hinweis: Amt für Geoinformation, Vermessung und © 2014. Die Rechte der Texte liegen beim Kataster der Stadt Essen: S. 8, 9, 23, 29. Historischen Verein für Stadt und Stift Es- (r.), 30 (r.), 32 (l.u.), 35 (l.o.), 39, 40 (l.), 42, sen e.V. und beim Autor Robert Welzel. Die 45 (o. und m.r.), 50, 51, 54 (o.), 55 (l.), 60 Bilder und Karten sind urheberrechtlich ge- (u.)/187 (r.), 70 (o.)/188 (u.), 72 (u.), 78 (o.), schützt. Alle Rechte der Verbreitung nur mit 82, 84 (l.), 86, 87 (o.r. und u.), 97 (o.), 132 Erlaubnis des Herausgebers. Als Vervielfäl- (o.) sowie die Ausschnitte des Amtlichen tigung gelten z.B. Nachdruck, Fotokopie, Stadtplans von Essen. Mikroverfilmung, Digitalisieren, Scannen, Speicherung auf Datenträger, Film, Funk, Bühne, Horst W.: S. 144 (r.o., Luftbild). Fernsehen und Übersetzung.

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