Segeln Wie Vor 100 Jahren
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25.08.12 Sonnabend/Sonntag, 25./26. August 2012 HA-VP1 Belichterfreigabe: -- Zeit::: 1 Belichter: Farbe: AD CR Sonnabend/Sonntag, 25./26. August 2012 REISEN& ENTDECKEN Hamburger Abendblatt 1 ...FERIEN . WELLNESS . ABENTEUER . KREUZFAHRT . HOTEL... Kreuzfahrt Eine Expedition ins Eis: Mit der MS „Europa“ geht es nach Spitzbergen Seite 6 Online Reportagen, Nachrichten und Service rund um Urlaub und Erholung Abendblatt.de/reise MEILEN & MEHR Wenn im Pub die Lichter ausgehen MARTIN CYRIS :: Kennen Sie den kürzesten Witz der Welt? Er geht so: „Geht ein Ire am Pub vorbei.“ Pointe verpasst? Kann passieren. Aber einen Besuch in einem Pub sollte man sich auf der grünen Insel nicht entgehen lassen. Die public houses sind Begegnungsstätte, Info- börse, Rednerpult und Konzertbühne in einem. Hier trifft man echte irische Typen: kauzig und melancholisch, aber extrem liebenswert, trinkfest und mitteilungsbedürftig. Sie stehen an den Theken und trinken und reden und trinken und reden. Manchmal sogar gegen die Live-Musik an. Es sei denn, es wird geträllert. Dann ist es mucksmäuschenstill, dem Sänger und seinen zumeist sentimentalen Stro- phen zu Ehren. Und die Pubgänger stehen nicht selten Kopf. Etwa wenn im Fernseher ein Rugby-Match gegen England läuft. Dann stehen sie unter Strom, und das Stout-Bier fließt in Strömen. Manch einer gießt sich Guinness, Murphy’s & Co. solange auf die Lampe, bis das Licht ausgeht. In meinem Lieblingspub in Cork gingen unlängst sogar sämtliche Lich- ter aus: Stromausfall. Die meisten Segeln wie Gäste hatten es erst gar nicht bemerkt und einfach weitergeredet und -ge- trunken. Die alte Zapfanlage braucht schließlich keinen Saft aus der Dose. Still wurde es nur um die Zwei-Mann- Band auf der Bühne. Die Verstärker vor 100 Jahren gaben keinen Mucks mehr von sich. Die Kellnerin war nach nebenan geeilt. Mit einem Karton voll Kerzen unterm Arm kam sie zurück. Eine Ein halbes Jahr lang schmücken traditionelle Zeesenboote erhellende Idee. Im Kerzenlicht rück- ten die Pärchen enger zusammen. Die die Vorpommersche Boddenlandschaft. Ein Törn mit einem Band gab fortan handgemachte Musik der Kähne entführt in die Natur – und in die Vergangenheit zum Besten. Heruntergedimmt auch die Gäste. Im Flüsterton wurde wei- tergeredet, wohl wegen der weihevol- Zur Althäger Fischerregatta versammeln sich jedes Jahr bei Saison-Abschluss zahlreiche der breiten Zeesenboote im Hafen von Althagen. Dann wird für fünf Tage ein Volksfest abgehalten Fotos: M. Katz (3), picture alliance len Stimmung. Kuschelatmosphäre im Pub. Ich genoss mein erstes Candle- MARTINA KATZ keln wie Blüten einen Blumenstrauß, Light-Guinness, als hätte ich wochen- kann man sich gut vorstellen, wie es da- lang kein Bier getrunken. elmut Runge ist ein ent- mals gewesen sein muss, als die Fischer Die Gesprächsthemen gingen spannter Mann. Gelas- hier drifteten. Sieben Regatten im Jahr nicht aus, das dunkle Stout auch nicht. sen steht er auf der verführen zu einer solchen Zeitreise. Dafür langsam, aber sicher die Gläser. „Blondine“, dem dicken Die Althäger Fischerregatta am dritten Die Warmwasserversorgung hing of- Zeesenboot, und hält Wochenende im September ist der Hö- fenbar am Stromnetz. Warmes Spül- seine Nase in den Wind. hepunkt zum Saison-Abschluss. Schon wasser: Fehlanzeige. Als mal wieder HÜber ihm schweben 100 Quadratmeter 1908 gab’s die erste Wettfahrt mit nur einer der Tresenritter wortlos Zeige- rostbraune Segel, wiegen sich in der Bö zehn Zeesenbooten. Damals verfolgten und Mittelfinger in die Luft streckte mal hierhin, mal dorthin. Die Mütze tief die Zuschauer das Geschehen von zwei (zwei Bier, bitte), musste der Wirt ins Gesicht gezogen, lauscht der Mann Dampfern aus. 1994 wurde die Fischer- passen: Sorry, keine Trinkgefäße mehr. mit dem grauen Kinnbart dem Klang regatta erneut ins Leben gerufen. Heute Die EU-Vorschriften zum sauberen des Saaler Boddens und lässt seinen ist sie ein kauziges Volksfest. Zur Preis- Wirtschaften gelten auch in Irland. Blick schweifen. Über die roten und verleihung im Hafen pusten urige See- Doch Not macht erfinderisch: Die schwarzen Fischerhütten, die an Boots- Wie ein umgestülpter Schiffsrumpf Ein Zeesenboot unter vollen braunen Zur Preisverleihung wird ordentlich mannsgesichter in weißen Latzhosen in Kellnerin, eine echte Lichtgestalt, stegen aus dem Wasser ragen. Über die mutet die Kirche in Ahrenshoop an Segeln auf dem Prerow-Strom getrötet – in traditioneller Kleidung gewölbte Tröten. Zwischen Sonnen- erinnerte sich an die Kaffeemaschine. Rostocker Familie, die zufrieden neben schirmen und Zipfelzelten stehen Darin befand sich noch heißes Wasser. ihm auf den Eichenbänken sitzt. Über dann mit voller Wucht gegen die Seite, den Ostseebädern Wustrow und Ah- sackförmige Fangnetze, die Zeesen, an Möchtegern-Matrosen mit hübschen Mit vereinten Kräften, Tassen und die endlose Weite der Seenlandschaft, spritzt überallhin, und die Kinder ha- renshoop. Mancher Tourist biegt hier ausfahrbare Holzstangen und fischten Frauen beim Bier. Im Wasser schwankt Löffeln wurde das kostbare Nass ins an deren geschwungenen Ufern sich ben ihren Spaß. „Dem Zeesenboot nach Althagen ab, bestaunt die Zeesen- damit seitlich treibend den Bodden- der Mastenwald über Namen wie „Nor- Spülbecken befördert – der Bierstrom Hunderte Schilfgürtel neigen und ei- macht das nichts“, sagt der Skipper. Nur boote und genießt die Hafenstille. Dass grund ab. Lautlos. Tagelang. Stint, Aal, discher Löwe“, „Bill“ und „Schmugg- konnte wieder fließen. nem Vorhang gleich das Spiel der Was- die modernen Plastiksegler liegen dann man auf einem dieser geschichtsträch- Zander, Hecht, Barsch. Das ganze Jahr ler“. Überall baumeln Ketten und Net- Irgendwann gingen die Lichter servögel freigeben. Runge ist Skipper kopfüber im Wasser. tigen, traditionellen Fischerkähne mit- über, bis zum Frost. Als Ende der ze, flattern Fahnen im Wind, hängen wieder an. Als hätte jemand den Schal- eines der letzten Zeesenboote auf Die Fahrten starten in den kleinen segeln kann, ist wenig bekannt. 1970er-Jahre das Großreusenfischen in handgenähte Seesäcke, Seemannspul- ter umgelegt, war auch die gemütliche Mecklenburg-Vorpommerns Halbinsel Häfen von Dierhagen, Wustrow, Prerow der DDR staatlich subventioniert wur- lover für Kinder und Windspiele aus Stimmung dahin. Die Gäste murrten, Fischland-Darß-Zingst. oder Zingst. Helmut Runge legt mit der de, starb die gewerbemäßige Zeesenfi- Muscheln. Die Althäger Fischerregatta als wären sie aus einem schönen „Fast jeden Tag warte ich auf Ost- „Blondine“ in Althagen ab, einem Orts- scherei aus. Heute ist das Fischen mit steht für fünf Tage Spaß in Erinnerung Traum geholt worden. Manchmal ist see-Urlauber, die mit unserem traditio- teil des als Künstlerdorf bekannten Ah- Die Bauweise macht die dem Schleppnetz verboten. Urlauber an die traditionellen Seeleute. ein Stromausfall auch ein Glücksfall. nellen Fischerboot segeln wollen“, er- renshoop. Neben dem Hafenweg, der Boote extrem stabil. Schon und Segel-Individualisten sind es jetzt, zählt der 74-Jährige zurück im Hafen von der schmalen Hauptstraße über die Wikinger wussten das. die die Fischerkähne am Leben halten. Vieles auf Fischland-Darß-Zingst von Althagen. „Manchmal kommt kei- Kopfsteinpflaster hinunter zum Wasser Sehen und gesehen werden, so ist erinnert an die alte Fischertradition ner, manchmal geht es fünfmal am Tag führt, gibt es hier nicht viel. Ein paar Helmut Runge, Skipper das heute. „Sehleute“ nennt Runge die Überhaupt erinnert auf Fischland- hinaus auf den Bodden. Ab zehn Uhr Land- und Wohnhäuser, einen Fest- Liebhaber, die sich die breiten Eichen- Darß-Zingst viel an die alte Fischertra- Kreuzfahrthafen wurde morgens, alle zwei Stunden, 90 Minu- platz, drei Keramikwerkstätten, einen boote zulegen. „100 000 Euro kann ein dition. Die Schifferkirche in Ahrens- nicht angelaufen – ten lang.“ Reiterhof, eine Bushaltestelle – ein ver- Exemplar in der Anschaffung kosten, hoop ist ein Prachtstück aus gespende- schlafenes Dörfchen. Im Hafen sitzen Mitte des 19. Jahrhunderts gehör- und das ohne den Komfort moderner tem Holz. Von außen sieht sie aus wie nur wenig Geld zurück Auf dem flachen Boddengewässer männliche Unikate mit langen, grauen ten Zeesenboote zum Erscheinungsbild Boote“, sagt sein Skipper-Kollege Ulli eine asiatische Luxushütte. Auf ihren kommen die Plattbodenschiffe gut klar Bärten, manch einer die Pfeife im der mecklenburgischen und pommer- Seitz. Denn viel Platz zum Aufhalten Gebetsbänken fühlt man sich, als stülpe Der Saaler Bodden ist mit 140 Qua- Mund. Im Wasser schaukeln die Boote, schen Küsten. Zu Hunderten segelten und Schlafen gibt es auf den alten Seg- sich ein Schiffsrumpf darüber. In der :: Wird ein einzelner Hafen nicht an- dratkilometern der größte Teil einer dahinter breitet sich eine sattgrüne sie über die Gewässer, fuhren die soge- lern nicht. Der 58-Jährige mit der See- Prerower Seemannskirche stapeln sich gelaufen, entwertet das nicht den Cha- Kette flacher Wasserflächen, die sich Uferlandschaft aus, wo im Frühjahr und nannte Drift. Dann sah man nichts als mannsmütze ist eigentlich Hausmeis- Spenden gestrandeter Seeleute. Die rakter einer zweiwöchigen Kreuzfahrt. zwischen dem Festland und den einsti- Herbst Tausende Kraniche und Wild- rostbraune Punkte auf den Bodden, die ter, doch wenn die Fahrten der offenen älteste Kirche auf der Halbinsel schmü- Passagiere erhalten deshalb nur einen gen Inseln Fischland, Darß und Zingst gänse auf ihrem Vogelzug durch die Lüf- Farbe entstanden aus Eichenrinde, Öl, Arbeitssegler starten, ist er mit dabei. cken zahlreiche Votivschiffe,