„Es Muss Bluten, Ist Doch Klar“ Für 16 Millionen Euro Entwickeln Drei Deutschtürken Aus Frankfurt Das Computerspiel „Crysis“
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ELECTRONIC ARTS Ballerspiel „Crysis“ (Ausschnitt): Ein Budget größer als für die meisten deutschen Kinofilme COMPUTERSPIELE „Es muss bluten, ist doch klar“ Für 16 Millionen Euro entwickeln drei Deutschtürken aus Frankfurt das Computerspiel „Crysis“. Bill Gates lobt ihre Fähigkeiten, doch in Deutschland bekommen sie Probleme: „Crysis“ ist ein Killer-Game – und solche Spiele will die Regierung verbieten. Von Ansbert Kneip lso, wenn er jetzt tot wäre, sagt Ce- und wenn das dargestellt wird mit einer jemandem, der ihnen die weitere Entwick- vat Yerli, er sitzt auf dem hellgrau- ungeheuer detaillierten, noch nie gesehe- lung finanziert. Sie hatten Erfolg. „Far Cry“ Aen Ledersofa, zurückgelehnt, lässt nen Grafik, wenn seine Spielfiguren durchs verkaufte sich mehr als 2,4 Millionen Mal. die Beine schlaff hängen und legt den Kopf Gelände schleichen und jedes Farnkraut Yerli ist jetzt 28 Jahre alt, vor der Tür nach hinten, um zu zeigen, wie das aus- einzeln erkennbar wird, wenn Yerli jeden parkt sein Mercedes Sportcoupé, man könn- sähe, also nur mal angenommen, er wäre Schattenwurf exakt berechnet, dann, sagt te sagen, er hat es geschafft. Er und seine eine Leiche, und jetzt würde ihm jemand er, kann er von einem Toten auch verlan- Brüder Faruk und Avni sind gleichberech- ins Bein schießen – Yerli feuert mit Dau- gen, dass der sich wie ein echter Toter be- tigte Eigentümer und Geschäftsführer. men und Zeigefinger auf seinen Ober- nimmt. Seine Meinung. Zurzeit arbeitet das Unternehmen an schenkel: „Das muss doch zucken, oder?“ Wie viele junge Türken spricht Yerli sehr dem Nachfolgespiel. „Crysis“ wird es Er bewegt sein Bein, als würde er einen schnell, und wenn er sich aufregt noch ein heißen, Ende des Jahres soll es eigentlich kurzen Pass schlagen. bisschen schneller. Er verschluckt die Sil- fertig sein, wahrscheinlich aber erst An- Einschlagswinkel, Geschossgeschwin- ben, es macht Mühe, ihm zu folgen. fang 2007. Bisher gibt es nur wenige Bilder digkeit, wenn Leichen zucken, ist das rei- Cevat Yerli ist Mitgründer und Chefent- zu sehen, auf Computermessen wie der ne Physik, unappetitlich vielleicht, aber wickler von „Crytek“, einer Firma, die bis- Games Convention Ende August in Leipzig nicht zu ändern. her nur ein einziges Spiel veröffentlicht hat, werden Teile des Spiels vorgestellt werden, Gut, es würde keinen Sinn machen, auf aber das war ein Welterfolg. Das Spiel hieß neugierige Fans werden die Präsentatio- Tote zu ballern, im wirklichen Leben nicht „Far Cry“, Yerli hatte im Jahr 2000 eine nen heimlich am Messestand filmen und und im Spiel nicht, es gäbe auch keine Ex- erste Demo-Version fertiggestellt. Er und sie ins Internet stellen. trapunkte oder so, aber trotzdem: Wenn seine Brüder kratzten die letzten 10000 Das Budget für „Crysis“ liegt bei 16 Mil- Yerli schon ein Computerspiel entwickelt, Mark vom Konto, flogen zur Spielemesse lionen Euro, mehr als die meisten deut- in dem die Leute aufeinander schießen, E3 nach Los Angeles, auf der Suche nach schen Kinofilme bisher gekostet haben. 66 der spiegel 32/2006 ANDREAS VARNHORN Spieleentwickler Yerli-Brüder Avni, Faruk, Cevat: „Man sollte doch die Eltern entscheiden lassen, was die Kinder spielen“ Hightech-Firma gegründet, Arbeitsplätze Eigentlich sinnvoll findet Yerli die Ein- Normalerweise aber spielt es in der Fir- geschaffen, deutscher Marktführer gewor- stufungen, aber in ihrem Versuch, alles ma überhaupt keine Rolle, ob einer Hans den – eigentlich haben die drei Brüder ganz, ganz genau zu regeln, dann auch heißt oder Osman, die 100 Mitarbeiter alles richtig gemacht. Dummerweise nur wieder sehr deutsch. „Man sollte doch die kommen aus 26 Ländern, ihre Umgangs- geht es in „Crysis“ eigentlich darum, dass Eltern entscheiden lassen, was die Kinder sprache ist sowieso Englisch. Es gibt stän- einer den anderen abknallt. Jugendliche spielen“, sagt er. dig Videokonferenzen mit Kollegen in den spielen so etwas gern, Eltern verstehen Die drei Yerli-Brüder sind Türken der USA, es gibt seit neuestem einen kleinen so etwas nicht, und Politiker lehnen so et- zweiten Generation, als Kinder hergezogen Ableger in der Ukraine, in Kiew. was ab. oder hier geboren, längst heimisch gewor- „Crysis“, das Spiel, ist noch gar nicht Jugendschützer werden „Crysis“ begut- den in Deutschland. Wunschbürger, Bei- fertig, doch schon jetzt hat die Grafikdar- achten, sie werden ein Urteil abgeben, dar- spiele einer gelungenen Integration, das stellung viele Preise auf der Spielmesse E3 über, wie gewalttätig das Spiel ist und ob Gegenteil eines Rütli-Schul-Türken, der in Los Angeles erhalten. In den Szenen, man es Jugendlichen in die Hand geben Akzent eher bayerisch als türkisch. Vor 20 die man schon sehen kann, explodieren darf. Das deutsche Jugendschutzgesetz Jahren, als die Brüder noch in Coburg zur Tankwagen, ein Flugzeugträger brennt, zählt zu den strengsten Europas, das kom- Schule gingen, überredeten sie den Vater, Yerli lobt die realistische Umsetzung von plizierteste ist es gewiss. ihnen einen Computer zu kaufen. Das Funken und Flammen. Nicht viele Firmen Jede Spiele-CD, die auf einer Spiele- müsse man in Deutschland, sagten die Söh- kriegen virtuelle Welten so gut hin, und zeitschrift pappt, braucht eine Altersfrei- ne, ohne Computer laufe hier bald gar wenn, dann kommen solche Firmen nicht gabe für Minderjährige, andernfalls darf nichts mehr. Fast einen Monatslohn koste- aus Deutschland. das Heft nicht an den Kiosk. Ohne Kon- te der Rechner, die Familie verstand das als Eigentlich also eine Erfolgsstory. Drei trolle darf keine CD allen zugänglich im Investition in die Zukunft. Türken aus Deutschland erobern den Welt- Laden stehen. Erst prüft ein Gremium der Bis zu diesem Tag hatte der Vater immer markt – und zwar nicht von Silicon Valley Unterhaltungs-Software Selbstkontrolle: nur Dinge gekauft, die sich leicht trans- aus, sondern von einer Fabriketage über ei- Sie vergibt Altersfreigaben, ab 16 zum Bei- portieren ließen, keine Musikanlage also, nem Möbelhaus im Randbezirk von Frank- spiel. Sie kann festlegen, dass nur Erwach- sondern nur ein Kofferradio, zum Beispiel. furt, an der Ausfallstraße nach Hanau. sene das Spiel kaufen dürfen, sie kann Er dachte immer, er würde bald wieder Gleichzeitig ist die Geschichte der Yerlis auch sagen, dass sie überhaupt kein Prädi- nach Hause fahren, also zurück ans und ihres Spiels auch die Geschichte eines kat vergibt. In solchen Fällen kann die Schwarze Meer. Ein Kofferradio hätte er großen Nicht-Begreifens. Yerli will ein gu- Bundesprüfstelle für jugendgefährdende mitnehmen können. Der Computer be- tes Produkt abliefern – nur ist das, was er Medien gerufen werden, und die unter- deutete, dass sein Zuhause und seine Zu- unter „gut“ versteht, etwas völlig anderes sucht, ob das Spiel indiziert werden soll. kunft von nun an in Deutschland lagen. als das, was etwa Jugendschützer meinen. Geprüft wird, wie roh das Spiel ist, ob Avni, der älteste Bruder, besitzt heute „Crysis“ ist ein Ballerspiel. „Ego-Shoo- das Töten einem Zweck dient und wie einen deutschen Pass, die anderen beiden ter“ nennen es die Spieler, „Killerspiel“ realistisch das Blut fließt. Eine zuckende nennen ihn manchmal „Hans“, wenn sie sagen viele Erwachsene. Leiche beispielsweise wäre ein Indiz für ihn ärgern wollen, er ruft die Brüder dann Der Spieler sieht das Geschehen über „ab 18“. „Osman“. den Lauf seiner Waffe. Es gibt keine Per- der spiegel 32/2006 67 spektive von oben, keinen Überblick, der Spieler steckt selbst mittendrin im Getüm- mel. Per Maus und Tastatur kann man feu- ern, nachladen, die Waffe wechseln, das Zielfernrohr aufschrauben oder mit dem Messer töten. Ego-Shooter simulieren nicht den Uno- Sicherheitsrat. Es geht ums Töten, und bei „Crysis“ wird mit der wohl besten Grafik der Welt getötet. Es ist schön und brutal gleichermaßen, und für Yerli ist das über- haupt kein Widerspruch. Grafik ist eine Sekundärtugend. Was Yerli in seiner Firma programmie- ren lässt, finden viele widerwärtig, wenn nicht sogar gefährlich. Ein Spiel, bei dem man seine Gegner abknallt, ist für sie schon im Prinzip verwerflich – und im De- tail pervers. Es gibt Wissenschaftler, die halten Spie- le wie „Crysis“ für ungesund, sie glauben, dass Gewaltspiele einen schlechten Ein- fluss ausüben, dass sie Aggressivität schüren und die Sinne abstumpfen. Der US-Amerikaner Dave Grossman, ehemaliger Militärpsychologe, sagt, man könne sich am PC die natürliche Tötungs- hemmung regelrecht abtrainieren. US- Streitkräfte nutzten das Spiel „Doom“ für das Training ihrer Marines. Und was bei Soldaten funktioniert, sagt Grossman, das wirke auch bei Jugend- lichen. Er nennt Beispiele: Jonesboro Games Convention in Leipzig (2005): Die Kinder sind die Einheimischen, ihre Eltern die und Littleton – hier töteten minderjährige Jungs ihre Kameraden, sie bewegten Er glaubt, dass man es sich so einfach ter dem bereits geltenden Recht gar nicht sich, sagt Grossman, wie in einem Video- nicht machen kann, aber er erlebt, dass es kaufen. spiel. doch geht. Vor ein paar Jahren hat Yerlis Firma sich Robert Steinhäuser, der Amokläufer von Im vergangenen Jahr, als SPD und CDU einmal um bayerische Fördergelder be- Erfurt, besaß das wohl berüchtigtste aller über die Koalition verhandelten, meldete müht, die Aufgabe war, ein Fell möglichst Ballerspiele: „Counterstrike“. Nach Erfurt sich Maria Böhmer, Familienpolitikerin der realistisch nachzubilden. So etwas gilt als wurde Grossman auch in Deutschland sehr CDU. Ein Verbot von Killerspielen müsse besonders knifflig, weil Millionen feiner populär. Seine Thesen boten für das Un- her, forderte