Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

HEIKO STEUER

Der Handel der Wikingerzeit zwischen Nord- und Westeuropa aufgrund archäologischer Zeugnisse

Originalbeitrag erschienen in: Klaus Düwel (Hrsg.): Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. T. 4 (1987), S. [113] - 197

HEIKO STEUER Der Handel der Wikingerzeit zwischen Nord- und Westeuropa aufgrund archäologischer Zeugnisse

Inhaltsübersicht

Einführung Methodische Ausgangsbasis Die Währungsbasis Silber Handels- und Währungsräume Die Handelsgüter Fässer als Transportbehälter Keramik als Handelsgut und Transportbehälter Mühlsteine als Handelsgut Handel mit Glas und Glasbruch als Rohmaterial Waffenhandel Kontinentaler Metallschmuck im Norden Handel mit Textilien Handel mit dem Rohstoff Speckstein Handel mit dem Rohstoff Eisen Die Versorgung mit Kämmen Produktionszahlen und Fundzahlen Der Handel im Spiegel archäologischer Funde Zur Intensität des Fernhandels zwischen dem Westen und dem Norden

Einführung

Vom späten B. bis zum 11. Jahrhundert, der Zeitspanne, welche im Norden Wikingerzeit genannt wird, hat es einen beträchtlichen Handel zwischen den skan- dinavischen Ländern und dem karolingisch-deutschen Reich sowie bzw. den Britischen Inseln gegeben. Dies ist eine Tatsache, über die heute nicht mehr diskutiert zu werden braucht, auch wenn bei manchen Archäologen, gerade denen, die „Handelsplätze" wie Haithabu oder ausgraben, eine zweifelnde Haltung besteht, weil im ersten Zugriff auf die archäologischen Quellen der Nachweis von Handel nicht unmittelbar gegeben ist l . Aber das Wissen um die Existenz von Han- del sollte dann den Archäologen zwingen, den Weg — oder wie man heute sagt das Modell — zu finden, mit dem auch er den Umfang des Handels zur Wikingerzeit nachweisen kann.

1 K. S c h i e t z e 1, Handwerk und Handel in Haithabu — Probleme der Interpretation. Zeitschr. für Archäologie 13, 1979, 91 ff. 114 Heiko Steuer

Abb. la: Handelsplätze des B. bis 11. Jahrhunderts. 1. Handelsplätze, 2. Karolingerreich, Grenzen um 814.

Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 115

516"w 36 - 56 -^-4 35 ^10 17) _... 9 12 18 27 19 20 23 `i r 26 21 ^ 25 22 24

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Abb. lb: Handelsplätze des 8. bis 11. Jahrhunderts.

1 Dublin 18 Erfurt 35 Stettin / Szczecin 2 York 19 Hallstatt bei Bamberg 36 Menzlin 3 Ipswich 20 Forchheim 37 4 London 21 Regensburg 38 (Mecklenburg) 5 Winchester 22 Lorch 39 Starigard (Oldenburg) 6 Hamwih/Southampton 23 Prag 40 Alt-Lübeck 7 Rouen 24 Mikulcice 41 Haithabu 8 Paris 25 Stare Mesto 42 9 Quentovic 26 Krakau 43 Arhus 10 Domburg 27 Kiew 44 i Skiringssal 11 28 Novgorod 45 Löddeköpinge 12 Köln 29 Staraja Ladoga 46 13 Mainz 30 Grobin 47 Ahus 14 Emden 31 48 Paviken 15 Hamburg 32 Danzig /Gdansk 49 16 Bardowick 33 Kolberg / Kolobrzeg 50 Helgö 17 Magdeburg 34 51 * moderne Ausgrabungen 116 Heiko Steuer

Die Diskussion findet vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung um die The- sen H. Pirennes statte, der einen massiven Niedergang von Handel und allen ande- ren wirtschaftlichen Aktivitäten durch die arabische Übernahme des Mittelmeers für das Merowinger- und frühe Karolingerreich annahm und erst im Laufe der Karolingerzeit eine Wiederbelebung — mit Schwerpunktverlagerung in den Nord- osten des Reichs — erkennen zu können glaubte. Auf die wissenschaftliche Diskus- sion kann hier nicht eingegangen werden 3, es sei nur daran erinnert, daß 1959 noch Ph. Grierson beispielsweise für den Gütertransfer Geschenkwesen, Beute und Tri- bute als entscheidend annahm und dem Handel nur eine erst randliche Bedeutung beimaß4. Daß sich inzwischen das Bild wesentlich gewandelt hat, ist in erster Linie der Archäologie zu verdanken, die im Nord- und Ostseeraum zahlreiche Handels- plätze untersucht und ihre Entstehung und innere Organisation erschlossen hat (Abb.1)5. In Stichworten sei an die schriftliche Überlieferung als Rahmen erinnert. Bei Adam von Bremen heißt es über die mittelschwedische Stadt Birka: „Solent omnes Danorum vel Nortmannorum itemque Sclavorum ac Semborum naves aliique Scithiae populi pro diversis commerciorum necessitatibus sollempniter convenire" (Birka, wo sich regelmäßig alle Schiffe der Dänen, Normannen und ebenso der Slawen und Samlän- der und der Völkerschaften aus der nördlichen Ostsee zu unterschiedlichen Han- delsgeschäften treflen)6. In Rimberts Vita Anskarii heißt es: „Sliaswich ..., ubi ex omni parte conventus fiebat negotiatorum" (Schleswig, wo Händler aus aller Welt zusammenkamen)7. In der Vita Anskarii wird erzählt, wie Leute aus Birka nach Dorestad reisten und umgekehrt, daß Leute aus Dorestad sich in Birka aufhielten. Friesen werden zu

2 H. Pirenne, Mahomet und Karl der Große (Frankfurt a.M. und Hamburg 1963), zuerst: Mahomet et Charlemagne (Paris Brüssel 1937). 3 Zum Stand der Diskussion nach 50 Jahren vgl. D. C 1 au d e, Der Handel im westlichen Mit- telmeer während des Frühmittelalters. Untersuchungen zu Handel und Verkehr in vor- und früh- geschichtlicher Zeit in Mittel- und Nordeuropa. Abh. Akad. Wiss. Göttingen Phil.-Hist. Kl. Dritte Folge Nr. 144 (Göttingen 1985); R. Hodges, Dark Age Economics. The origins of towns and AD 600-1000 (London 1982); R. Hodges / D. Whitehouse, Mohammed, Charle- magne and the Origins of (London 1983); B. Lyon, The historical debate on the end of ancient world and the beginning of the , sowie H. Steuer, Von Theoderich dem Großen zu Karl dem Großen, beides in: Mahomet et Charlemagne. Hommage a Henri Pirenne (Mailand, im Druck). 4 Ph. Grierson, Commerce in the Dark Ages: A Critique of the Evidence. Transactions of the Royal Historical Society, 5th Ser. 9, 1959, 123-140. — D.M. Metcalf, The prosperity of north-western Europe in the eighth and ninth centuries. Economic Hist. Review 20, 1967, 344-357, steht auf der Seite der Vertreter des Modells einer blühenden Wirtschaft. 5 Zuletzt mit Lit.: Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen an Siedlun- gen im deutschen Küstengebiet, Bd. 2: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters, hrsg. von H. Jankuhn, K. Schietzel und H. Reichstein (Weinheim 1984); auch E. Roesdahl, Age (London 1982) 68 f ., 194 ff. 6 Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum I, c. 60. In: R. Buchner (Hrsg.), Quellen des 9. und 11. Jh. zur Geschichte der Hamburgischen Kirche und des Reiches. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 11. Freiherr vom Stein Gedächt- nisausgabe (1961). 7 Rimbert, Vita Anskarii c. 24. In: R. Buchner (wie Anm. 6). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 117

Beginn des 9. Jh. in Birka und in York erwähnt, bevor diese Stadt 876 dänisch orga- nisiert wurde, ähnlich wie vielleicht Haithabu um 900 schwedisch. Erinnert sei an die Fahrten des norwegischen Fellhändlers Ottar und des Nor- mannen Wulfstan, die beide ihre Reisen etwa zwischen 870 und 890 unternahmen und vom englischen König Alfred dem Großen (871-901) an den Hof eingeladen wurden, der ihre Berichte in seine wissenschaftlichen Werke aufnahm. Ottar wohnte in Halogaland, fuhr ins Weiße Meer im Norden und beispielsweise nach Skiringssal/Kaupang am Oslofjord, an den englischen Hof in London und nach Hai- thabu; Wulfstan segelte von Haithabu nach Truso, bis ins Samland8. Dieser schriftlich überlieferte weiträumige und intensive Handel war es, der die Archäologen schon frühzeitig dazu brachte, die Handelsplätze auszugraben und den archäologischen Niederschlag dieses Handels zu erfassen. Markstein war H. Arb- mans Abhandlung aus dem Jahr 1937 9 . Parallel dazu folgten ausgehend von den Untersuchungen in Haithabu H. Jankuhns Forschungen zur Handelsgeschichte mit Arbeiten bis in die Gegenwart10, auf die ich hier im wesentlichen fußen muß, auch wenn gerade in den letzten Jahren durch breite Ausgrabungstätigkeit in Skandina- vien, in den Niederlanden und in England die materielle Basis für die Diskussion von Handelsplätzen, Handelswaren und Handelswegen erheblich erweitert worden ist.

Methodische Ausgangsbasis

Archäologische Quellen beleuchten gleichermaßen wie die schriftlichen Überlie- ferungen nur bruchstückhaft und schlaglichtartig jeweils ganz unterschiedliche Bereiche des ehemaligen Gütertransports vom Kontinent nach Skandinavien und umgekehrt, den wir gemeinhin unter dem Begriff „Handel" zusammenfassen. Die- ser ist nicht etwa eine neue Erscheinung der Wikingerzeit, sondern kann auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken11, die gewissermaßen alle Voraussetzun-

8 R. Hennig, Terrae Incognitae. Eine Zusammenstellung und kritische Bewertung der wichtigsten vorcolumbischen Entdeckungsreisen an Hand der darüber vorliegenden Originalbe- richte, Bd. 2 (2. Aufl. Leiden 1950) 202 ff.; H. J a n k u h n, Haithabu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit (4. Aufl. Neumünster 1963) 166 ff. mit Lit. 9 H. A r b m a n, Schweden und das karolingische Reich (1937). 10 H. J a n k u h n, Handelswaren in Haithabu. In: Untersuchungen zu Handel und Verkehr (wie Anm. 3) 254-260; der s ., Haithabu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit (6. Aufl. 1976); d e r s ., Das Missionsfeld Ansgars. Frühmittelalterliche Studien 1, 1967, 213-221; de r s ., Karl der Große und der Norden. In Karl der Große Bd. 1 (1965) 699-707; der s., Das Abendland und der Norden. In: Das Erste Jahrtausend, Textbd. 2 (1964) 821-847; der s ., Der fränkisch- friesische Handel zur Ostsee im frühen Mittelalter. Vierteljahrsschr. f. Sozial- und Wirtschaftsge- schichte 40, 1953, 193-343; de r s ., Probleme des rheinischen Handels nach Skandinavien im frühen Mittelalter. Rheinische Vierteljahrsbl. 15/16, 1950/51, 495-499; d e r s ., Sechs Karten zum Handel des 10. Jahrhunderts im westlichen Ostseebecken. Arch. Geographica 1, 1950, 8-16; d e r s ., Eine Schwertform aus karolingischer Zeit. Offa 4, 1939, 155-168. 11 Schon während der Römischen Kaiserzeit gelangten beträchtliche Mengen an Gütern in den Norden: H. J. E g g e r s, Der römische Import im freien Germanien. Atlas der Urgeschichte Bd. 1 (1951); K. G o d 1 o w s k i, Der römische Handel in die Germania libera aufgrund der archä- ologischen Quellen. In: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtli- chen Zeit in Mittel- und Nordeuropa Teil I. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. Dritte 118 Heiko Steuer gen geschaffen hat für den Aufschwung des Handels im frühen Mittelalter 12. Ohne Kenntnisse der fremden Länder, der Verkehrswege und der zu erwerbenden Güter, die im Kreise der Fernhändler seit langem gegeben waren, wären Intensität und Umfang des mittel- und nordeuropäischen Handels der Wikingerzeit nicht denkbar. Daß der überregionale Warenaustausch mit Beginn der Wikingerzeit einen erstaun- lichen Zuwachs erlebt hat, ist nur ein zweiter Aspekt, der seine Begründung einer- seits in den sich weiter entwickelnden wirtschaftlichen und sozial-politischen Ver- hältnissen im Norden selbst findet und andererseits in der Verschiebung des wirtschaftlichen und politischen Zentrums des Karolingerreiches nach dem Nord- osten, nach Austrasien — vor dem Hintergrund der Herkunft der Karolinger aus diesem Gebiet, in dem auch ihre eigene größte wirtschaftliche Basis lag — zusam- men mit der Einbeziehung von Friesland und dann auch Sachsen in das Reich13. Damit war zugleich eine Vorverschiebung des Grenzraums nach Nordosten gege- ben. Es wird sich zeigen, daß wie zur römischen Zeit der Limes so in karolingischer Zeit die Reichsgrenze auch eine deutliche Grenze unterschiedlicher Wirtschafts- räume darstellt, an der manch Handelsstrom unterbrochen wird und die manche Güter kaum überschreiten. Die Darstellung des Handels muß eigentlich fünf Faktoren, die erst das Gesamt- bild des Wirtschaftsvorganges „Handel" ausmachen, erläutern: 1. Die Träger des Handels, die Handwerker, die entweder die Rohstoffe gewinnen oder diese weiter- verarbeiten, sowie die Händler, die die Produkte vertreiben, wobei Handwerker und Händler ein und dieselbe Person sein können, und schließlich die Käufer; 2. den Transport des Handelsgutes auf Schiff, Wagen oder Saumtier; vom Transportmittel hängt die Menge des bei einer Handelsfahrt mitzunehmenden Gutes ab; 3. die Güter, Rohstoffe oder Fertigprodukte; 4. die Handelsplätze, Märkte oder Kaufleu- tesiedlungen, die Produktionszentren, Konsumentenzentren und Durchgangsplätze sind, und schließlich die ländlichen Siedlungen als Endpunkte des Handels; und nicht zuletzt 5. die unterschiedlichen Währungsverhältnisse und Zahlungsmodalitä- ten, die u.a. am schärfsten Wirtschaftsräume gegeneinander abgrenzen.

Folge Nr. 143 (Göttingen 1985) 337-366; K. K u n o w, Zum Handel mit römischen Importen in der Germania libera, a.a.O. 430-450; G. E k h o 1 m, Romersk import i Norden jämte biografi 1910-1971. Utgiven till 90-arsdagen (Uppsala 1974); Lotte H e d e a g e r, A quantitative analysis of Roman imports in Europe north of the Limes (0-400 AD) and the question of Roman- Germanic exchange. In: K. K r ist i an sen u. C. P a l u n d a n - M üll e r, New directions in Scan- dinavian archeology (1978) 191-216; Ulla Lund Hansen, International stormagt kontra ran- domrader. Handel i romersk og aeldre germansk jernalder. In: Förtryck av mötesföredrag. 15e nordiska arkeologmötet 1978 (1978) 1-39; zu römischer Terra Sigillata in dänischen Siedlungen Ulla Lund Hansen, Die skandinavischen Terra Sigillata-Funde. Zu ihrer Herkunft, Datierung und Relation zu den übrigen römischen Importen der jüngeren Kaiserzeit. Studien zur Sachsen- forschung 3, 1982, 75-99. — Diese Handelsbeziehungen lassen sich über die Völkerwan- derungs- und Merowingerzeit hin weiter verfolgen: U. N ä s man, Glass and trade in the Late Roman and Migration periods. A study on glasses found in Eketorp-II, Oland Schweden (1984); E. B a k k a, Scandinavian trade relations with the Continent and the in pre-Viking times. Antikvarisk arkiv 40 = Early Medieval Studies 3, 1971, 37-51. 12 F. Schwind, Fern- und Nahhandel der Wikingerzeit nach historischen Quellen mit besonderer Berücksichtigung der Situation von Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 292-304. 13 F. Schwind (wie Anm. 12) 294. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 119

Archäologische Quellen können nur zu einigen dieser Faktoren etwas aussagen und zugleich über die Verbindung zwischen dem karolingischen Westen, auch Eng- land, und dem Norden Handel belegen. 1. Die Kaufleute der Wikingerzeit selbst sind kaum archäologisch greifbar; denn anthropologische Untersuchungen oder Ergebnisse, die von Skandinaviern im Westen oder von Franken, Friesen oder Sachsen im Norden Zeugnis ablegen, gibt es noch nicht. Die reich mit Beigaben ausgestatteten Kammergräber beim Han- delsplatz Birka im Mälarsee, die etwa 10% der Bevölkerung widerspiegeln, werden mit der Gruppe der Händler in Verbindung gebracht, doch über ihre ethnische Zuordnung oder ihre Herkunft ist kaum etwas auszumachen 14; ein bedeutender Anteil fremdartiger Beigaben unter den Waffen — wie Hiebmesser — oder den Tex- tilresten weist nach Rußland und den Vorderen Orient 15. Männer und Frauen über- nehmen östliche oder westliche Trachtelemente, ohne daß damit über ihre Herkunft etwas ausgesagt wird. Wie Anne-Sofie Gräslund erläutert hat, besteht die Mehrheit der Bevölkerung aus Leuten, deren Herkunft Uppland zu sein scheint, und nur wenige der Bestattungen, meist in Kammergräbern, möchte sie Fernhändlern zuschreiben, die von ihren Genossen nach fremder Sitte bestattet worden seien. Die Mehrzahl der Kammergräber nimmt jedoch Frauen auf, die aber kaum ihre Männer auf die Fernhandelsreisen begleitet haben. Den Brauch, Kammergräber anzulegen, kann man heute nicht mehr, wie Gräslund es aber noch tut, aus Westfalen oder Friesland herleiten16. Fremde Kaufleute sind daher bisher höchstens in Einzelfällen nachzuweisen. Die Beigabe von Silberwaagen und Gewichten, früher als Kennzei- chen des Kaufmanns gedeutet, zeichnet nur den am Handelsgeschäft beteiligten aus, den Kaufmann ebenso wie den Käufer. Für den Handelsplatz Haithabu, ge- legen auf der Grenze zwischen dem karolingisch-deutschen Reich und dem Norden, habe ich versucht, anhand der unterschiedlichen Grabsitten die Herkunft und ethni- sche Zugehörigkeit der Bevölkerung zu rekonstruieren, was teilweise gelingt, jedoch wiederum nicht erkennen läßt, wer unter den Bestatteten Kaufmann oder Handwer- ker war17. Leichter lassen sich schon die Endabnehmer des Handels, die Käufer, nachwei- sen, wenn nämlich in einem Bauernhaus der jütischen Halbinsel Mühlsteinreste aus Eifel-Basalt gefunden werden. Diese Reste bezeugen, daß der Mühlstein erworben worden ist, nachdem er aus dem Rheinland über einen Marktplatz in Südskandina- vien in Reichweite der bäuerlichen lokalen Bevölkerung gelangt ist. Auf weitere der- artige Waren als Handelsgüter wird später eingegangen. Bei diesen Waren handelt

14 H. Steuer, Zur ethnischen Gliederung der Bevölkerung von Haithabu anhand der Grä- berfelder. Offa 41, 1984, 189-212; der s., Soziale Gliederung der Bevölkerung von Haithabu nach archäologischen Quellen. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 339-366; der s ., Zur statistischen Auswertung des Gräberfeldes von Birka. Neue Ausgrabungen und Forschungen in Niedersachsen 4, 1969, 212-218; Anne-Sofie Gräslund, Birka IV. The Burial Customs. A study of the graves an Björkö (1980) 79f. 15 Inga H ä g g, Kvinnodräkten i Birka (1974) 106-110, doch dazu vgl. unten S.169 mit Anm. 129 ff.; H. V i e r c k, Die wikingische Frauentracht von Birka. Offa 36, 1980, 119 ff. 16 A.-S. Gr ä s l u n d (wie Anm. 14) 80; H. Steuer, Zur ethnischen Gliederung (wie Anm. 14) 203. 17 H. Steuer, Zur ethnischen Gliederung (wie Anm. 14). 120 Heiko Steuer es sich mit Sicherheit nicht um Geschenke oder Raubgut, was bei kostbaren Klei- dern, Schmuck oder bei anderen exotischen Gegenständen meist nicht auszuschlie- ßen ist und die uns in der Mehrzahl über Grabfunde erreichbar sind. Hierbei zwi- schen Kauf, Raub oder Geschenk, Mitgift oder Beuteanteil zu unterscheiden, fehlen methodische Zugangsmöglichkeiten. Emailscheibenfibeln mit christlichem Kreuz oder einer Heiligenfigur, gefunden in Haithabu, können aus dem Karolingerreich dorthin auch verhandelt worden sein, sind aber eher von Pilgern mitgebracht, von Fremden verloren oder für zu Bekeh- rende bereitgehalten worden. Sie belegen nur eine Verbindung zum Westen, sagen jedoch nichts über deren Charakter18. Der Handwerker, der feuervergoldeten Schmuck im Norden herstellt, bzw. die Funde von Quecksilber in seiner Werkstatt belegen dagegen eindeutig Handelsbe- ziehungen, denn Quecksilber muß aus Italien oder Spanien über den Fernhandel allein für diesen Zweck herangeschafft worden sein 19. Demgegenüber beweist die Platte einer Scheibenfibel, gefunden in Erikstorp in Schweden, gezogen von einem Preßmodel, das in Haithabu gefunden worden ist, noch nicht den Handel mit Schmuck von Haithabu weiter in den Norden20. Ebensowenig gelingt dies über den Vergleich von identisch verzierten Dreilagenkämmen, die in entfernten Plätzen aus- gegraben worden sind. Es scheint dabei nicht um Handel mit Kämmen zu gehen, sondern — wie später noch näher zu erläutern sein wird — wir haben eine besondere Form der Güterverbreitung vor uns, bei der der Handwerker von Ort zu Ort reist und dort jeweils für eine begrenzte Zeit produziert21 . Im Hafen von Haithabu wurde ein Beutel gefunden, in dem mehr als 40 Preßmodel unterschiedlicher Stil- richtung und auch verschiedener Entstehungszeit zusammen aufbewahrt waren22. Ein Handwerker hat seinen Besitz an Modeln, mit denen er reiste und nach Bedarf produzierte, in Haithabu verloren. Die Beziehung zwischen produziertem Schmuckstück und Handwerker sowie Produkt und seinem Vertrieb ist nur mittel- bar zu erschließen. 2. Funde von Schiffswracks und von Wagenresten belegen archäologisch einen beträchtlichen Umfang von möglichem Warentransport. Die See- und Flußschiffe können viele Tonnen an Ladung verfrachten, auch wenn man berücksichtigt, daß

18 H. Vier c k, Funktionale Beobachtungen zu königlichen und bischöflichen Hofkulturen in ihrer Mittlerrolle gegen Norden. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 406 Karte. Diese christlichen Zeichen gelangen nur wenig über die karolingische Reichsgrenze hinaus! 19 H. Drescher, Metallhandwerk des 8.-11. Jh. in Haithabu auf Grund der Werkstattab- falle: In: Das Handwerk in vor- und frühgeschichtlicher Zeit T. II (1983) 174 ff., hier 187 (in Haithabu wurden 278 g gefunden); H. Jankuhn, Handelswaren in Haithabu. In: Handels- plätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 259. 20 H. Jankuhn, Handelswaren in Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 259; M. S t e n b e r g e r, Erikstorpspännet och . Fornvännen 45, 1950, 36ff. 21 Kristina A m b r o s i a n i, Combs, Comb Making and Comb Makers in the Light of Finds from Birka and Ribe (1981). 22 K. Schietzel/O. Crumlin-Pedersen, Havnen i Hedeby. Skalk 1980, No.3, 4-10, Farb.-Abb. S. 8; K. S c h i e t z e 1, Der wikingerzeitliche Siedlungsplatz Haithabu. In: Duisburg und die Wikinger. Begleitheft zur Ausstellung 1983, 62 mit Abb. 4. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 121 bis fast zum Ende der Wikingerzeit das Verhältnis zwischen Zahl der Besatzung und der Nutzlast recht ungünstig war, was auf die benötigte Zahl von Ruderern und zugleich Bewaffneten zurückgeht, während erst die besegelten frühen Koggen einen im Verhältnis zu den älteren Schiffen ungeheuren Zuwachs an Ladekapazität erreichten. Die Spanne reicht von etwa 12t bei der Binnen- und kleinen Küsten- schiffahrt über 10 bis 30t bei den wikingerzeitlichen Lastschiffen bis zu 100 und mehr Tonnen bei den älteren Koggen23. Immerhin belegen die Reste der Wagen, die gefunden worden sind, daß sie von ihrer Konstruktion her für Lasten von 200 bis 1000 kg gebaut wurden 24. Der Warentransport mit Wagen sollte also nicht unterschätzt werden, zumal wenn die Kombination von Land- und Wassertransport durch den Einsatz umladbarer Fässer und Wagenkästen tatsächlich praktiziert wurde. 3. Bei den Handelsgütern sind grundsätzlich zwei Arten zu unterscheiden, Roh- stoffe und Fertigprodukte. Der archäologische Nachweis für einen Handel läßt sich am sichersten über einfache Rohstoffe erbringen, deren Gewinnungsorte lokalisier- bar sind, z.B. Basaltlava aus dem Eifelvorland für Mühlsteine, Speckstein für Gefäße aus Norwegen, Eisen aus Schweden oder Quecksilber aus Südeuropa. Zu dieser Gruppe gehören auch einige Nahrungs- und Genußmittel, die — wenn sie archäologisch nachweisbar sind — in fremder Umgebung, wo sie nicht wachsen können, auffallen: Wein — durch die Traubenkerne nachweisbar — in Skandina- vien, Walnüsse, die nicht im Norden wachsen, Fische aus der salzhaltigeren Nord- see in Hafenplätzen der Ostsee, Pelze und Felle von Tieren, die nur in anderen Gebieten leben können. Luxusgüter wie Edelmetallschmuck, Seidenstoffe oder Brokatgewebe können, auch wenn sie eindeutig fremder ferner Herkunft sind, ebenso gut als Beute oder Geschenke statt als Handelsgüter eingeführt worden sein. Andere Güter wie Salz, Getreide oder Fleisch können aus dem unmittelbaren Umland einer Siedlung oder aber auch über den Fernhandel herangeschafft sein. Nachweismöglichkeiten, die zu einer Entscheidung für eine der Importwege führen, fehlen. Es gilt also im folgenden die Handelsgüter in der geschilderten Reihenfolge zu betrachten und vor allem die Rohstoffe und ähnliche Produkte wie beispielsweise

23 D. E 11 m e r s, Frühmittelalterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Nordeuropa (1972) 255-261; zu den älteren merowingerzeitlichen Verhältnissen D. Claude (wie Anm. 3) 52 ff.; zu den Verhältnissen während der Röm. Kaiserzeit J. K u n o w (wie Anm. 11) 433 und Abb. 2. — Tabellen mit Tonnage-Angaben zu wikingerzeitlichen Schiffen bei D. El 1 m e r s, Frühmittel- alterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Nordeuropa (1972) 256f. und bei J. Herr m a n n (Hrsg.), Wikinger und Slawen (1982) 117 nach E 1 l m e r s mit Ergänzungen. — R. H o d g e s, Dark Age Economics (1982) 94 f mit Fig. 24 zum Verhältnis Ruderer — Nutzlast-Tonnage. 24 H. H a y e n, Der Landtransport: Wagenreste aus Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 251-253; T. C a p e l 1 e, Containerumschlag vor 1000 Jah- ren. Deutsches Schiffahrtsarchiv 7, 1984, 207-212; zu den abnehmbaren Wagenkästen als Grab- beigabe in reichen Frauengräbern: M. M ü l 1 e r - W i 11 e, Das wikingerzeitliche Gräberfeld von Thumby-Bienebek (Kr. Rendsburg-Eckernförde) (1976) 13 ff. und Else R o e s d a h 1, Fyrkat II (1977) 131 f.; zum Verhältnis Wagen-Schiff bei Transportkapazitäten vgl. auch J. K u n o w, Römisches Importgeschirr in der Germania libera bis zu den Markomannenkriegen: Metall- und Glasgefäße. In: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II. Principat Bd. 12/3 (1985) 229-279, hier 255-257. 122 Heiko Steuer keramische Massenware, die sich nicht gerade als Beutegut anbietet, unter der Fra- gestellung „Handel" zwischen Nord- und Westeuropa zu betrachten25. 4. Handel aus und nach dem Norden muß Spuren einerseits in den Handelsplät- zen und andererseits in allen übrigen offenen ländlichen Siedlungen hinterlassen haben. Handelsplätze sind Umschlagsorte für Waren. Deshalb findet man naturge- mäß keine gefüllten Lagerhallen oder Schiffsladungen mit Handelswaren, denn „florierende Stätten des Fernhandels zeichnen sich nämlich oft genug durch geräumte Märkte aus"26. Hat keine Katastrophe stattgefunden, dann findet sich Handelsware in den Häusern der Frühstädte ebenfalls nur in der Rolle des Kon- sums; denn importierte Rohstoffe und Fertigwaren werden am Ort ebenso wie anderswo benötigt und können aber dort aus erster Hand bezogen werden, z.B. rhei- nische Mühlsteine und Drehscheibenkeramik in einem nordischen Handelsplatz. Im Handelsplatz sind dann die Spuren der „Veredelung eingeführter Rohstoffe", also die handwerkliche Produktion zu erwarten. Denn die Plätze sind nicht nur Märkte, sondern ganz entscheidend auch Ansiedlungen von Handwerkern, und die Orte sind vielleicht nur deshalb entstanden, weil der Bedarf nach Veredelungspro- dukten bestand, die nicht mehr in jedem dörflichen Anwesen selbst gewonnen bzw. erzeugt werden konnten. Reicht der Umfang importierter Güter aus, über die Kon- sumenten am Marktort selbst auch das Umland zu versorgen, dann findet sich die- ses Material in Resten auch regelmäßig in offenen bäuerlichen Siedlungen. Die Exi- stenz von frühstädtischen Siedlungen mit Handwerkern und Kaufleuten bezeugt Handel als integralen Bestandteil des Wirtschaftsgefüges, Reste der Handelsgüter einschließlich der Veredelungsprodukte in Siedlungen auf dem flachen Land geben aber erst Aufschluß über den Umfang und die weitreichende Intensität dieses Handels. 5. Während der Wikingerzeit mag Tauschhandel noch eine Rolle gespielt haben, aber in der Regel basierten der Warenumschlag und fast jeder Kaufvorgang auf dem System Ware gegen Geld, wobei Zahlungsmittel gewogenes Silber war, vielleicht teilweise auch schon Münzgeld, da arabische Dirhems und später deutsche oder englische Münzen in Skandinavien ausreichend zur Verfügung standen, zu dem nach und nach auch eine eigene Prägung kam. Fernhandel läßt sich gerade auf dem Weg über importierte fremde Münzen und sogar schon unmittelbar durch die reich- liche Anwesenheit von Silber, das im Norden nicht gewonnen werden konnte, nach- weisen. Die nordischen Länder bilden zusammen mit dem slawischen Osten ein Währungsgebiet, das auf Gewichtsgeldwirtschaft basierte und sich deutlich absetzte

25 Zur Versorgung eines Ortes wie Haithabu mit Lebensmitteln etc. vgl. H. Jankuhn (wie Anm. 20). 26 H. Jankuhn (wie Anm. 20) 255 erwähnt einen am Schleiufer gefundenen unbearbeiteten Specksteinblock: Import von Rohmaterial in Richtung Haithabu aus Norwegen; H. G. R es i, Die Specksteinfunde aus Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 14 (1979) 131 nennt verlorengegangene Schiffsladungen. — Mühlsteine aus dem Basalt von Niedermendig- Mayen nördlich der Eifel wurden als Halbfertigfabrikate in Dorestad und auch Haithabu gefun- den, vgl. H. J a n k u h n (wie Anm. 20) 255, die also erst am Zielort fertig bearbeitet wurden, dazu s.u. S. 142. Das Zitat nach K. Schi e t z e 1, Stand der siedlungsarchäologischen Forschung in Haithabu — Ergebnisse und Probleme. Bericht über die Ausgrabungen in Haithabu 16 (1981) 79. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 123 gegen die westlichen Staaten mit schon länger eingeführter Münzgeldwirtschaft27. Die Währungsverhältnisse lassen zudem erkennen, daß zwischen den Ländern des Nordens und des Westens oft keine ausgeglichene Handelsbilanz bestanden hat, sondern daß ein überschüssiger Zustrom an Silber — neben Handel auch über Tri- but und Beute aufgefüllt — zu einer umfangreichen Hortung führte 28. Ob daraus geschlossen werden kann, daß mehr Handelsgüter vom Norden nach dem Westen strömten und Gegengaben fehlten, kann bisher nicht gesagt werden, zumal die archäologischen Quellen eher das umgekehrte Bild entwerfen lassen. Es ist nicht Aufgabe dieses Beitrages, Händler, Transportwesen und Handels- plätze als Bestandteile des Handelssystems zwischen dem Kontinent und Skandina- vien zu schildern; vielmehr hat das Schwergewicht auf einer Analyse der Verbrei- tung von verhandelten Gütern, Rohstoffen und Fertigprodukten, zu liegen, da auf diesem Wege der Anteil von Handel am Wirtschaftsgefüge zu erfassen ist. Dabei geht es von der Fragestellung her um den Fernhandel zwischen dem karolingisch- deutschen Reich bzw. zwischen England und Skandinavien, und nur indirekt wird Nahmarkthandel zur weiteren Beweisführung der landesweiten Verteilung der Waren vom Marktort aus berücksichtigt.

Die Währungsbasis Silber

Entscheidener Epocheneinschnitt in der Geschichte des Handels ist die Einfüh- rung des Silbers als Währungsmetall, mit dem in den westlichen Reichen erstmals wieder ein geregeltes Währungssystem geschaffen wird, das zugleich auch im nor- malen Kaufgeschäft Metallgeld verwendet, was bei Gold wegen des zu hohen Wer- tes kaum möglich war. Die Geschichte des Münzwesens wird an anderer Stelle in diesem Band besprochen (vgl. G. Hatz, S.86 ff.), so daß hier nur einige Aspekte genannt zu werden brauchen. Im fränkischen Reich erscheinen seit etwa 640/45 die ersten Silbermünzen, schwere Denare, die einen ganz anderen Eindruck machen als die leichten Silber- münzen aus Reihengräberfunden des 6./7. Jh. Die neuen Silberdenare wiegen etwa

27 Ch. Warnke, Die Anfänge des Fernhandels in Polen 900-1025 (1964) zur Unterschei- dung von Münz- und Gewichtsgeldwirtschaft in der Wikingerzeit; H. Steuer, Feinwaagen und Gewichte als Quellen zur Handelsgeschichte des Ostseeraums. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 273 ff. und der s ., Geldgeschäfte und Hoheitsrechte im Ver- gleich zwischen Ostseeländern und islamischer Welt. Zeitschr. für Archäologie 12, 1978, 255 ff. 28 Zur Silberhortung allg. M. S t e n b e r g e r, Die Schatzfunde Gotlands der Wikingerzeit I (1958), II (1947); Birgitta H ä r d h, Wikingerzeitliche Depotfunde aus Südschweden. Probleme und Analysen (1976); L. L u n d s t r ö m, Bitsilver och betalningsringar. Studier i svenska depä- fynd fran vikingatiden. Theses and Papers in North-European Arch. 2 (1973); G. H atz, Handel und Verkehr zwischen dem Deutschen Reich und Schweden in der späten Wikingerzeit. Die deutschen Münzen des 10. und 11. Jh. in Schweden (1974) 143 fl.; den Begriff' In flation im Zusammenhang mit dem Silberüberschuß brachte zuerst N.L. R a s m u s s o n, Vikingatidens skattefynd. Nordisk Tidskrift 33, 56, 1957, 241-251 = An introduction to the Viking-Age hoards. Commentationes de nummis saeculorum IX—XI in Suecia reperties 1 (1961) 1-16. 124 Heiko Steuer so viel wie die goldenen Tremisses der gleichen Zeit, nämlich 1,20 bis 1,40 g, im Gegensatz zu den federleichten Stücken von 0,08 g. Man spürt, daß der Handel nach solidem Silbergeld verlangt. Dem tragen erst die Karolinger Rechnung, die eine einheitliche Prägung mit festem Gewicht und Münzbild schaffen wollen. Pip- pin der Kurze (751-768) legte im Edikt von Vernon-sur-Seine aus dem Jahr 755 fest, daß 264 Denare aus einem Pfund Silber zu schlagen seien, 12 Denare als Präge- kosten für den Münzer und 252 Denare für den Münzherrn, der bald weitere 12 Denare als Schlagschatz einbehielt, so daß 240 Denare für den Handel über- blieben29. Noch blieb das Prägerecht dezentral. Aus Pippins Regierungszeit sind mehr als 36 Münzstätten bekannt. Auch das Gewicht der Denare sank noch bis zur Regierungszeit Karls des Großen ständig, und zahlreiche Edikte waren nötig, damit die Bevölkerung diese Münzen auch annahm. Im Juni 794, nachdem Karl seine Residenz in Aachen bezogen hatte, kam es dann zur grundlegenden Neuordnung des Währungssystems. Endgültig abgeschlossen wurde der Übergang zur reinen Silberwährung mit dem Edictum Pistense Karls des Kahlen aus dem Jahr 864. Im Kapitular von Mantua aus dem Jahr 781 wurde die Annahme alter Münzen verboten, auf der Synode von Frankfurt 794 das neue Münzgesetz noch einmal ver- kündet, worin es heißt, daß an jedem Ort, in jeder „Stadt" und an jedem Handels- platz die neuen Denare von jedermann zu akzeptieren seien. Im Kapitular von 805 wurde schließlich befohlen, daß Prägungen nur in der königlichen Pfalz stattfinden sollten30. Realistisch wird der Übergang von der Gold- zur Silberwährung in den Prägungen der wichtigen karolingischen Handelssiedlung Dorestad faßbar. Die dort geprägten merowingischen Trienten werden nach Eroberung der Stadt durch die Friesen zwar weiter geschlagen, enthalten aber immer weniger Gold und immer mehr Silber, bis sie schließlich fast nur noch aus Silber bestehen3oa. Ungefähr zeitlich parallel haben auch die englischen Reiche den Übergang zur Silberwährung vollzogen und Silbermünzen von etwa 1,2 g Gewicht geprägt, die sog. Sceattas31. Als nächste schlossen sich die Friesen an und schlugen ebenfalls

29 Über die Diskussion zu den Ursachen, die zur Einführung des Silbers als Währungsmetall geführt haben, kann hier nicht gesprochen werden. Allg. E. N au, Epochen der Geldgeschichte (1972) 37-42; K. F. Morrison, and Carolingian Trade: a Critique of the Evi- dence. Speculum 38, 1963, 61-73; D.M. Metcalf, The Prosperity of North-Western Europe in the Eighth and Ninth Centuries. Economic History Review 20, 1967, 344-357; Ph. G r i e r- s o n, Money and Coinage under Charlemagne. In: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben Bd. 1 (1965) 501-536. 3o Capitular von Diedenhofen. E. N au (wie Anm. 29) 41. Ma Die Ausstrahlung des Handels von Dorestad spiegelt sich auch im Verbreitungsbild der dort geprägten Münzen, wie die neuen Kartierungen von P. Berghaus zu Madelinus-Trienten und den karolingischen Münzen veranschaulichen: P. Berghaus, Dorestad IV. Numismati- sches, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 6, Lfg. 1/2 (Berlin 1985) 76-82 mit Abb. 13 und 14. 31 Zu den Sceattas: P. Le Gent i l h o m m e, La circulation des sceattas dans la Gaule merovin- gienne. Revue numismatique 1938 = ders., Mélanges de numismatique merovingienne (1940) 67 fl.; S. E. R i go 1 d, The principal series of English sceattas. The British Numismatical Journal 47, 1977, 21-30; ders. und D. M. Metcalf, A checklist of English finds on sceattas. The Bri- tish Numismatical Journal 47, 1977, 31-52; K. B e n di x en, Sceattas and other finds. In: M. B e n c a r d (Hrsg.), Ribe Excavations 1970-1976 Bd. 1 (1981) 63-101; V. Z e d e l i u s, Neue Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 125

Abb. 2: Vorkommen von Sceattas: 1. Porcupine- Typ, 2. Wodan-Monster- Typ, 3. andere Typen im Randbereich der Sceatta-Verbreitung (nach K. Bendixen, J. Callmer, D. Hill und D.M. Met- calf vgl. Anm. 31 f ). 126 Heiko Steuer

Sceattas. Die ersten Münzen vom Typ Sceatta gehören in die Zeit um 680, um 700 kommen schon Prägungen im niederländisch-friesischen Bereich hinzu, und sie bestimmen bis zum Ende des B. Jh., als die karolingische Münzreform zu greifen begann, das Währungsgefüge. Sie wurden zur ersten internationalen Handelsmünze auf der Basis Silber, die sich auch im ganzen Frankenreich und noch deutlicher in die Länder an der Ostsee verbreitete und damit zum überzeugenden Niederschlag der neuen Fernhandelsstrukturen wurde, was vor allem archäologische Ausgrabun- gen in den Handelsplätzen belegen konnten (Abb. 2). Bemerkenswert ist, daß sich in einer zweiten Phase der Sceatta-Prägungen in den 20er und 40er Jahren des B. Jh. regionale Verbreitungsschwerpunkte verschiedener Prägungen gegeneinander ab- heben, die Wirtschaftsräume und wohl besondere Handelsbeziehungen wider- spiegeln32. Während die ersten insularen Sceattas königliche Prägungen zu sein scheinen, ausgegeben von einigen Königreichen der sog. Heptarchie, lassen sich andere mit englischen Handelszentren wie Hamwih und London verbinden, und die drei auf dem Kontinent entstandenen Typen, die sog. friesischen Runen- Sceattas, die Stachelschwein-Sceattas und die Wodan-Monster-Typen als überregio- nale Geldsorten beschreiben. Während die Stachelschwein-Sceattas über das ganze Gebiet und vor allem im Süden verbreitet sind, also im karolingischen Reich, findet man die Wodan-Monster-Typen im Rheinmündungs-Gebiet sowie nördlich und östlich bis zur Ostsee33, und die friesischen Runen-Sceattas gehören ins Rheinland

Sceattas aus dem Rheinland — Bonn und Xanten. Zeitschr. für Arch. des Mittelalters 8, 1980 (1981) 139-152; E. N au, Ein angelsächsischer Sceatta und das Goldblattkreuz von Ulm- Ermingen. Fundberichte aus Baden-Württemberg 7, 1982, 475-479; W. Op den V e l d e, De in Ned e i 1 i n d voorkomende sceatta's. Munt- en penningkundig nieuws. Numismatisch maand- blad voor Nederland en Belgie. De Beldenaar. Maart/april 1982, No.2, 40-52; mei/juni 1982, No.3, 83-96; D. H i ll, An Atlas of Anglo-Saxon England (1981) 120f. Verbreitungskarten; J. C al 1 m e r, Neufunde von Wodan-Monster-Sceattas aus dem Ostseebereich. Arch. Korrespon- denzbl. 13, 1983, 507-511 (mit Karten); d e r s ., Frisiske sceattas i Östersjöomrädet. Nordisk numismatick0 unions medlemsblad 1984, 62-66; d e r s ., Sceatta problems in the light of the finds from Ahus. Scripta Minora, Lund 1984; Kirsten B e n d i x e n, Skandinaviske fund af sceattas. Hikuin 11, 1985, 33-40 mit der jüngsten Zusammenstellung der nordischen Sceattafunde; dies., Sceattas and Other Coin Finds. In: Ribe Excavations 1970-1976, Bd. 1 (1981) 63-101. 32 J. C a l l m e r (wie Anm. 31) Abb. 3 und S.509. 33 Sceatta-Funde nahe und nördlich der Elbe: Maschen, Kr. Harburg — 1 Ex. Grabfund — (W. W e g e w i t z, Reihengräberfriedhöfe und Funde aus spätsächsischer Zeit im Kr. Harburg (1968) 47, Grab 124). Krinkberg, Kr. Steinburg — 1 Ex. Grabfund — (P. La Baume, Ein münzdatierter Grabfund der Merowingerzeit. Offa 10, 1952, 46-54). Haithabu — Südsiedlung — 1. Ex. Siedungsfund — (G. H atz, Münzfunde aus Haithabu 1962. Offa 21/22. 1965, 74-76). Haithabu — Lesefund — 1 Ex. (unpubliziert, 1971). Föhr — Schatzfund — Münzschatz mit mehreren Sceattas unter etwa 77 Münzen (Bearbeitung durch G. Hatz; K. B e n d i x en, Hikuin 11, 1985, 35). Holmsland Klit, Nähe Ringkobing — mehrere Lesefunde, darunter 1 Ex. Sceatta (Hikuin 11, 1985, 37). Dankirke — Siedlung — zahlreiche (13) Münzen; darunter neben merowingischen auch 8 - tas (Hikuin 11, 1985, 33). Ribe — Siedlung — 32 Ex. Sceattas (Hikuin 11, 1985, 34). Gudme, Fünen — 1 Ex. (Hikuin 11, 1985, 37). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 127 und nach Friesland, aber auch nach Frankreich, besonders nach Aquitanien. Offen ist, welche Handelsorganisationen dahinter stecken und wie das Münzrecht sich mit den vorherrschenden Handelsströmungen verband. Sceattas sind in Westnorwegen, in Südschweden und im Mälargebiet (Helgö) in Handelsplätzen gefunden worden, ebenso in Haithabu und Ribe34 auf der jütischen Halbinsel, womit die Verkehrs- wege der Handelsströme um die Mitte des B. Jahrhunderts markiert sind, die ihre große Bedeutung dann während der Wikingerzeit erhielten. Die entscheidende Rolle der Wodan-Monster-Sceattas im Handel vom Westen zum Norden spiegelt sich überzeugend darin, daß die ersten eigenen Prägungen im Norden, von B. Mal- mer als Gruppe KG 5 bezeichnet35 und nach 825 entstanden, Imitationen dieser Münzen sind36. Um kein einseitiges Bild entstehen zu lassen, sei darauf hingewiesen, daß wahr- scheinlich gegen Ende des B. Jh. auch die ersten arabischen Münzen in Schweden erscheinen. Die Diskussion, ob wesentlich ältere Dirhems eine frühere Ankunft ara- bischer Münzen im Norden belegen oder im jüngeren Münzstock vorhanden waren, ist zwar noch nicht entschieden, doch ist das gleichzeitige Vorkommen von karolingischen und arabischen Silbermünzen in Skandinavien belegt37.

Yngsjö/Ahus, Schonen — Siedlungen — 3 Ex. (Hikuin 11, 1985, 37; vgl. J. Callmer, wie Anm. 31). Helgö — Siedlung — 1 Ex. (Hikuin 11, 1985, 38). Ervik, Selje, Sogn og Fjordane, Norwegen — Einzelfund — 1 Ex. (K. S k a a r e, and Coinage in Viking Age (1976) 41 Nr. 118). Ein neuer Sceatta vom Wodan-Monster-Typ vom „Krinkberg" bei Pöschendorf, Kr. Steinburg: Archäologie in Deutschland Heft 3, 1985, 14 Abb. (gefunden 1984). Die Zahl der Sceattas weist vom Ursprungsgebiet auf dem Weg zum Norden im Fundmaterial natürlich sinkende Tendenz auf: Während in Hamwih z.B. über 60 Stücke in der Siedlung gefun- den wurden (R. Hodges , Trade and Urban Origins in Dark Age England. Berichten ROB 27, 1977, 193 Fig. 3 Diagramm), sind es in Ribe noch 32 Exemplare, im Hortfund auf Föhr etwa 2 Dutzend Stücke, und im Ostseebereich wurden dann nur noch Einzelstücke in den Siedlungs- plätzen ausgegraben. 34 K. Bendixen (wie Anm. 31). 35 B. M a l m e r, Nordiska mynt före är 1000 (1966). 36 G. Hatz, Zur Münzprägung in Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittel- alters (wie Anm. 5) 260-273, bes. 266 Tabelle — Prägungen ab 825; K. Bendixen, Hikuin 11, 1985, 35 ff. — Prägungen um 800. Metcalf gibt zu erwägen, ob die Sceattas vom Wodan-Monster-Typ nicht dänische Ribe- bzw. Haithabu-Prägungen sein könnten: D.M. Met calf, A note on Sceattas as a measure of interna- tional trade, and on the Earliest Danish Coinage. BAR 128 British Series (1984) 159-164; d e r s ., Danmarks aeldste limiter. Nordisk numismatisk unions medlemsblad 1985 (1), 3-10. D. H ill, D.M. Metcalf, Sceattas in England and on the Continent. The Seventh Oxford Sym- posium on Coinage and Monetary History. BAR British Series 128 (1984), darin: W. Op den V e 1 de, W. J. Boone, A. P o 1, A survey of sceatta finds from the Low Countries, 117-145 (Ver- breitungskarten zu den verschiedenen Variationen von Porcupine- und Wodan-Monster-Typen); K. B end i x e n, Finds of sceattas from , 151-157. 37 Ulla Linder W e l i n, The first arrival of Oriental coins in Scandinavia and the inception of the Viking Age in . Fornvännen 69, 1974, 22-29; J. Callmer, Oriental coins and the Beginning of the Viking period. Fornvännen 71, 1976/3-4 (1977) 175-185; U. Linder W e l i n, Reply, a.a.O. 186-190; J. C all m er , Numismatics and Archaeology; some problems of the Viking Period. Fornvännen 75, 1980, 203-211. 128 Heiko Steuer

Mit diesem Zeitpunkt setzt massiver Silberzustrom in die skandinavischen Länder ein, bis in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts vor allem arabische Münzen, dann deutsche und englische Münzen, die in großen Mengen in Hortfunden zutage- gekommen sind. Sie belegen neben den Handelsrichtungen ganz entscheidend auch den Import von Silber — auf gleichem Wege in geringerer Menge auch von Gold — als Rohstoff in den Norden, in Gestalt von Münzen, die jedoch dann dazu dien- ten, Schmuck aller Art herzustellen 38. Analysen haben bestätigt, daß in Schweden gefertigter Schmuck sowie Münzen aus Haithabu und aus Böhmen aus zentralasiati- schen arabischen Münzen hergestellt worden sind 39 . In der Phase nach 960, als ara- bisches Silber nicht mehr in großer Menge zur Verfügung stand, sondern Münz- silber als und über andere Tribute sowie über den Handel aus dem Westen bezogen wurde, müßte sich diese westliche Herkunft auch durch Schmuck- analysen bestätigen lassen. Der währungspolitische Aspekt des Silbers im Rahmen einer Gewichtsgeldwirt- schaft wird in einem anderen Beitrag erörtert werden; in diesem Zusammenhang interessiert hier nur als Teil des überregionalen Handels der Import von Rohstoffen wie Silber und Gold aus dem Orient und dann aus dem Westen. Daß sich vielleicht weitere handelsgeschichtliche Aussagen dem Münzsilber-Einstrom abgewinnen las- sen, ist einer Abhandlung F. Herschends abzulesen, der anhand der gotländischen Silberschätze meint sagen zu können, daß die englischen, irländischen und arabi- schen Münzen in kleinen Raten in den Besitz des letzten Eigentümers gelangten, während die deutschen Münzen auf einmal und in großer Menge eingeführt wor- den seienao

Handels- und Währungsräume

Dem karolingisch-deutschen Reich sowie der britischen Insel als zwei getrennten Wirtschaftsräumen, die — etwa auf gleichem Niveau der Entwicklung — enge Han- delskontakte pflegten, steht im Norden und Osten ebenfalls kein einheitlicher Handels- und Währungsraum gegenüber. Eine Untergliederung basiert nicht etwa auf den unterschiedlichen ethnischen Gruppen, den germanischen Skandinaviern und den Slawen südlich der Ostseeküste, sondern schließt vielmehr diese Räume übergreifend zusammen, die für den Handel unterschiedliche Währungssysteme schufen. Kongruent mit den Währungsräumen laufen auch die unterschiedlichen Handelsströme. Neben den Wirtschaftsräumen mit Münzgeldwirtschaft im Westen gibt es im Norden und Osten den Wirtschaftsraum mit Gewichtsgeldwirtschaft, zu dem das

38 Zum Silberimport aus den arabischen Ländern in den Norden zuletzt, einmal nicht von skandinavischer oder polnischer Seite, also aus dem Bereich der Schatzfunde, sondern aus Ungarn C. B a 1 i n t, Einige Fragen des Dirhem-Verkehrs in Europa. Acta Arch. Hungarica 33, 1981, 105-131. 39 B. A r r h e n i u s, U.S. Linder W e l i n, L. T a p p e r, Arabisk och nordiska vikinga- smycken. Tor 1972-73, 151-160; B ä 1 i n t (wie Anm. 38) 110 Anm. 35. 40 F. H e r s c h e n d, Om vad silvermynt frän Gotlands vikingatid kan vara uttryck för — en ideartikel. Fornvännen 74, 1979, 217-227. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 129

östliche und nördliche Norwegen, Schweden, Finnland, auch das nördliche Ruß- land und die nördlichen, der Ostsee zugewandten Gebiete der Westslawen zählen. Zum gewogenen Silber als Währungsmetall gehören hier genormte Gewichtssätze, die in außerordentlichem Umfang von breiten Schichten der Bevölkerung genutzt wurden. Zwischen dem Gebiet mit Münzgeldwirtschaft und dem Raum mit genormten Gewichtssätzen bilden die Nordsee-Anrainer in Nordengland, Schott- land und Westnorwegen sowie zum größten Teil auch die jütische Halbinsel einen eigenen Währungs- und Wirtschaftsraum, dessen Zahlungswesen zwar ebenfalls auf gewogenem Silber beruht, in dem aber die Normgewichtssätze fehlen und als Gewichte nur vielgestaltige, scheinbar keinen Regeln unterliegende Ausformungen von Bleistücken dienten. Handel und Geldgeschäfte beruhten in diesem Zwischen- bereich einerseits auf westlicher Münzgeldwirtschaft und andererseits auf den östlichen Gebieten angepaßter Gewichtsgeldwirtschaft41. So wurde in diesem Zwi- schenbereich auch zuerst versucht, durch eigene Prägungen eine Münzgeldwirt- schaft einzuführen, in Haithabu um 825 und wieder im ausgehenden 9. Jh., in York unter dem Norwegerkönig Erich Blutaxt (948 und 952/4), wenn auch Norwegen unter Olaf Tryggvason (995-1000) und Dänemark unter König Sven Gabelbart (c. 987-1014) deutlich später folgten, als auch in Polen und dann auch in Schweden Münzprägungen einsetzten42. Ein weiterer wichtiger Handelsraum östlich des karolingisch-deutschen Reiches und südlich der Zone mit den reichen Hacksilberfunden und Normgewichten, also das südliche Polen, Böhmen, Mähren bis Ungarn, mit den großen Handelswegen über Prag nach Osten darf nicht vergessen werden, wenn auch in diesem Beitrag darauf nicht eingegangen zu werden braucht Den östlichen Gewichtsgeld-Wirtschaftsraum markieren die Hortfunde mit importierten arabischen Münzen als Silberrohstoff (Abb. 3), den Wirtschaftsraum zwischen dem westlichen und östlichen bzw. nordöstlichen Gebiet zahlreiche Importe insularen Metallschmucks in Gräbern Nordeuropas43. Eine Analyse der archäologischen Fundverbreitungskarten westlicher Importe im Norden belegt diese verschiedenen Wirtschaftsräume durch zwei Handelsströme, die im Laufe der Zeit unterschiedliche Bedeutung hatten. Der Warentransport vom fränkisch-friesischen Dorestad beispielsweise führte auf westlichen Routen entlang der südlichen Nord- seeküste über Ribe nach Kaupang i Skiringssal und ebenso auch über London, York, Schottland und die Inselgruppen — Orkneys und Shetland — nach den Fjor- den Westnorwegens und dann wieder nach Süden. Der zweite Handelsstrom von

41 H. Steuer, Feinwaagen und Gewichte als Quellen zur Handelsgeschichte des Ostseerau- mes. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 273-292 zu den Wirtschafts- und Währungsräumen, deren Grenzen sich im Laufe der Zeit auch verschoben haben. 42 Zur Münzprägung in Haithabu B. Ma 1 m e r, Nordiska mynt före fr 1000 (1966); G. Hat z, Zur Münzprägung in Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 260-273; zu den Prägungen in York und Norwegen K. S k a a r e (wie Anm. 33) 58f. 43 E. W a m e r s, Insularer Metallschmuck in wikingerzeitlichen Gräbern Nordeuropas. Untersuchungen zur skandinavischen Westexpansion (1985) Karten. 130 Heiko Steuer

Abb. 3: Vorkommen arabischer Münzen.

Dorestad aus führte dann über Haithabu in die Ostsee und hinauf nach Birka. Es gibt also Handelsrouten für den westlichen Raum mit Gewichtsgeldwirtschaft und für den östlichen Bereich mit Gewichtsgeldwirtschaft. Der Handel zwischen West- und Nordeuropa läßt bestimmte Bindungen an diese Wirtschaftsräume im archäologischen Fundmaterial erkennen, auf die im folgenden ausführlicher hingewiesen wird. Handelsgüter werden in einen dieser Wirtschaftsräume vordringlich importiert oder exportiert, auch wenn es Händler und Reisende gibt wie Ottar, der über alle diese Zonen hinweg seine Erkundungsfahrten wagt. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 131

Daß hinter den beschriebenen Wirtschaftsräumen die entstehenden Reichsbildun- gen als Klammer zu vermuten sind, folgt aus der historischen Überlieferung: Aus- griff der Westskandinavier von Norwegen und Dänemark nach den Inseln im Westen, Versuche, Norwegen und Dänemark zu vereinen einerseits, die Ostskandi- navier mit ihrem Ausgriff nach Rußland andererseits sowie die Westslawen südlich der Ostsee; Nordsee und Ostsee sind somit als verbindende Binnenmeere für die Handelsbeziehungen der umliegenden Länder anzusehen und bilden naturgemäß zwei Wirtschaftsräume (Abb. 4 und 5).

Die Handelsgüter

Fsser als Transportbehlter

Einen wenn auch nur indirekten Hinweis auf Massenguthandel haben die Ausgra- bungen in Dorestad und Haithabu erbracht. Die zahlreichen Brunnen dieser Sied- lungen hatten als Einfassung oftmals in die Erde eingesenkte Tonnen. In sekundä- rer Verwendung wurden die bis zu 2,50m hohen und im Durchmesser 0,80 m aufweisenden Fässer verbaut, nachdem sie ihre Aufgabe als Transportbehälter erfüllt hatten. Derartige Fässer dienten nicht nur zum Transport von Wein, son- dern zur trockenen Verladung auch anderer wichtiger Handelsgüter. Auf dem Tep- pich von Bayeux liegt ein derartiges Faß auf einem Wagen, der außerdem noch Helme und Lanzen transportiert und zu dem Krieger andere Waffen wie Schwerter und Kettenhemden herbeitragen. Das Faß könnte also auch zur Aufbewahrung von Waffen gedient haben. Die Fässer sind aus dem Holz der Weißtanne und der Fichte, aber auch aus Eichenholz hergestellt, und auf dem Weg über die Holz- analyse ließen sich die Aufschlüsse zur Handelsgeschichte gewinnen. Weißtanne gab es während der Wikingerzeit nicht im norddeutschen Bereich, sondern die nächsten Vorkommen liegen über 400 km entfernt von Haithabu in Sachsen und bis zu 800 km entfernt im Oberrheingebiet44. Das nächste Fichtenvor- kommen damals war südlich etwa 160 km entfernt und nördlich im südschwedi- schen Gebiet 300 km. Die Tanne macht unter den Holzresten in Haithabu immer- hin 6,2 07o aus, diente überwiegend — in Form der Fässer — sekundär als Brunnen; aber auch andere geböttcherte Gefäße aus Tannenholz ließen sich nachweisen sowie ein Spaten. Wahrscheinlich kamen die Tannenholz-Fässer in Haithabu aus dem Oberrhein- gebiet, sind dort oder in Rheinhessen mit Wein gefüllt und den Rhein abwärts ver- handelt worden. Ob Wein oder andere Waren dann als Frachtgut per Schiff nach Haithabu gelangten, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen.

44 K.-E. B e h r e, Untersuchungen des botanischen Materials der frühmittelalterlichen Sied- lung Haithabu (Ausgrabung 1963-1964). Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 2, 1969, 10 ff. mit Karte Abb. 3; D. Eckstein, Holzanatomische Untersuchungen an Befunden der frühma. Siedlung Haithabu (Ausgrabung 1966-1969). Berichte über die Ausgrabungen in Hai- thabu 11, 1977, 112-119, mit Diagramm zum Holzspektrum Abb. 1 und Karte Abb. 3 zur Ver- breitung der Fichte. 132 Heiko Steuer

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Abb. 4: Vorkommen der nordischen Münzgruppen KG 1-6 (nach B. Maimer) vom späten B. bis zur Mitte des 9. Jahrhunderts, darunter die Imitationen der Wodan-Monster-Sceattas KG 5-6. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 133

Abb. 5: Vorkommen der nordischen Münzgruppen KG 7-9 (nach B. Malmer) aus dem 10. Jahrhundert. Die Funde nordischer Münzen in Schatzfunden des östlichen Gewichtsgeld- Wirtschaftskreises belegen die Ausweitung der Handelsverbindungen. 134 Heiko Steuer

In Dorestad bestanden die Faßbrunnen aus Eichenholz, dessen Herkunft Rhein- hessen, also ein Weinanbaugebiet ist45, gefällt zwischen 685 und 835. Bemerkens- wert ist jedoch noch, daß die Eichenfässer aus dem Mainzer Gebiet im 7. und B. Jh. nach Dorestad gekommen sind, während die Tannenfässer vom Oberrhein in Hait- habu dem 9. und 10. Jh. zuzuweisen sind. Die Kontinuität des Rheinhandels mit Wein zur Küste und darüber hinaus ist somit archäologisch faßbar. Ob Wein oder andere Güter in Fässern über Haithabu weiter hinaus in den Nor- den gelangten, können erst glückliche Fundumstände in den skandinavischen Han- delsplätzen erschließen. Wein ist jedenfalls, wie den schriftlichen Quellen zu ent- nehmen, nicht nur im Rahmen der christlichen Mission bis nach Birka gelangt46. Einige der Eichenholz-Faßbrunnen aus Haithabu können ebenfalls aus dem Mittel- rheingebiet stammen. Holzartenbestimmung und Dendrochronologie haben also indirekt einen entscheidenden Beitrag zur Frage des Handels geleistet; wenn auch noch nicht gesagt werden kann, ob das Fichtenholz, nicht für eine spezielle Verwen- dung geeignet und daher wohl auch in Form von Behältern nach Haithabu gekom- men, aus dem Norden oder vom Kontinent verhandelt worden ist. Im übrigen korrespondiert die Herkunft der Eichen-Fässer zeitlich wie räumlich gut mit der südlichen Verbreitung der friesischen Sceattas.

Keramik als Handelsgut und Transportbehälter

Wein wurde nicht nur in Fässern, sondern auch in Keramikbehältern verhandelt; im Zusammenhang mit dem Weinexport in den Norden wurden daher sog. Pings- dorfer Vorratsgefäße aus dem Hinterland von Köln und sog. Tatinger Kannen, ebenfalls Produkt rheinischer Werkstätten, über die Grenzen hinaus in den Norden verhandelt. Keramik ist eine archäologische Quelle, die — fast unvergänglich — überall den sichersten Anhalt für chronologische und auch wirtschaftliche Fragen geben kann. Aber Keramik wird naturgemäß — wie andere Güter auch — nur dorthin verhan- delt, wo ein Bedarf dafür besteht. So gilt es, den Handel mit Keramik vom Handel mit ihrem Inhalt zu unterscheiden. Rheinische Keramik vom Typ Badorf bis ins fortgeschrittene 9. Jh. und vom Typ Pingsdorf seit der zweiten Hälfte des 9. Jh. wird in großer Menge und sichtlich für den Handel produziert47 . Im Handelsplatz Dore- stad besteht die Masse an Keramik aus Gefäßen vom rheinischen Vorgebirge, sog.

45 D. Eckstein, Dendrochronologisch onderzoek naar ouderdom en herkomst van hout uit waterputten. In: Spiegel Historiael 13, 1978, No.4 = ROB Overdrukken 105, 308-312; D. Eckstein, W.A. van Es, E. H o 11 s t e i n, Beitrag zur Datierung der frühmittelalterlichen Sied- lung Dorestad/Holland. Berichten van de Rijksdient voor het Oudheidkundig Bodemonderzoek 25, 1975, 165-176. 46 H. J a n k u h n, Haithabu. Ein Handelsplatz der Wikingerzeit (4. Aufl. 1963) 194-196; Rimbert, Vita Anskarii (wie Anm. 7). 47 Zur Produktion rheinischer Keramik zuletzt W. Jans sen, Gewerbliche Produktion des Mittelalters als Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. In: Das Handwerk in vor- und frühge- schichtlicher Zeit, Teil II, hrsg. von H. J a n k u h n u.a., Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. Dritte Folge Nr.123 (Göttingen 1983) 317-394, bes. 349-353. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 135

Badorfer Ware48, Töpfe und sog. Reliefbandamphoren, in der Spätzeit auch Pings- dorfer Ware. Der hohe Prozentsatz von mehr als 80% importierter Keramik beweist, daß im krassen Gegensatz zu ländlichen Siedlungen der Handelsplatz auch als Konsumentenzentrum sich mit Importware versorgte. Wieviel über den Hafen- platz weiter verhandelt wurde, ist schwer abzuschätzen. Verbreitungskarten mit Punktsignatur, die vom vereinzelten Scherben bis zu größeren Prozentzahlen alle Fundpunkte gleich werten, geben zum Handel auch keine Auskunft49. Badorfer und Pingsdorfer Keramik machen im Handelsplatz Haithabu jeweils gerade 5 % am Gesamtbestand aus50, während des 9. Jh. gar nur 1 07051 . Die Versorgung mit Töpfen für den Hausgebrauch in diesem Handelsplatz erfolgt durch Ware aus dem Umland und durch eigene Produktion; rheinische Gefäße scheinen jetzt eher durch ihren Inhalt bis nach Haithabu gelangt zu sein. Die Zahlen für Birka in Mittelschweden sind nicht wesentlich anders, während für Kaupang deutlich höhere Prozentwerte genannt werden52, gar bis 70 070 rheinische Keramik. Dies wird jedoch dadurch her- vorgerufen, daß in Norwegen Keramik nicht hergestellt und das benötigte Koch- gefäßmaterial über Speckstein-Produktion beschafft wurde. Die Rolle rheinischer Keramik in Kaupang kann somit nur über die absolute Menge an Gefäßen beurteilt werden. Die Ausgrabungen im Hafengelände von Birka 1970/71 53 haben rund 10 000 Scherben erbracht, von denen 38 Scherben zur Badorfer Keramik und 42 Scherben zu in Haithabu produzierten Waren gehörten. Insgesamt sind das mit einigen anderen Gruppen, z.B. den Tatinger Kannen (s.u. S.136), gerade 0,9 %. Diese Keramik ist vielleicht nur durch die reisenden Kaufleute verbreitet worden, die derartige Gefäße im persönlichen Gepäck hatten. Dafür spricht die aus Hai- thabu stammende Ware, die sich nicht als Handelsgut eignet. Die von G.C. Dunning veröffentlichte Karte zur Verbreitung Pingsdorfer Keramik54 hat das gesamte Spektrum dieser Ware vom 9. bis 13. Jh. zusammenge- faßt und Produktion nicht nur im Rheinland, sondern in Nachfolge beispielsweise

48 W. A. van Es, W. J. H. V e r w e r s, Excavations at Dorestad 1, The Harbour: Hoogstraat I (1980) 5 5 ff , besonders 141 ff.; dies . , De opgraving: de gevonden voorwerpen. In: Dorestad- Spiegel Historiael (wie Anm. 45) 241-246. 49 Verbreitungskarte zur Pingsdorfer Keramik bei W. H ü b e n e r, Die Keramik von Hai- thabu (1959) 130 Karte 6, der Badorfer Gruppe und der Reliefband-Amphoren a.a.O. 115 Karte 4 und 5 (auch Archaeologia Geographia 2, 1951, 110); eine weitere Karte zur Pingsdorfer Kera- mik mit Einbeziehung Englands bei G. C. Dunning, The trade in medieval pottery around the . Rotterdam Papers I (Rotterdam 1968) 36 Fig. 1. W.A. van Es, W.J. H. V e r w e r s, Archeologie in het Kromme-Rijngebied: het ontstaan van een project. Maandblad van Oud-Utrecht 58, 1985, 216-227 bringt eine Karte mit dem Vorkommen karolingischer Drehscheibenkeramik in den Niederlanden. 58 W. Hübener (wie Anm. 49) 173. 51 K. Weidemann, Importkeramik aus Haithabu (Ausgrabung 1963-1964). Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 4, 1970, 46-52. 52 E. K. H o u g e n, Kaupang-keramikken. Univ. Oldsaksamling Arbok 1960/61, 143-151. 53 B. A m b r o s i a n i u.a., Birka. Svarta Jordens Hamnomräde. Arkeologisk Undersökning 1970-1971. Riksantikvarieämbetet Rapport C 1, 1973: B. Ambrosia n i und B. Ar r h e n i u s, Keramik, 115 ff. Zu älteren Funden westeuropäischer Keramik in Schweden H. Ar b m a n, Schweden und das karolingische Reich. Studien zu den Handelsverbindungen des 9. Jh. (1937) 87 ff.; D. Selling, Wikingerzeitliche und frühmittelalterliche Keramik in Schweden (1955). 54 G.C. Dunning (wie Anm. 49) 35. 136 Heiko Steuer auch in Niedersachsen angenommen. Die Fazies der Pingsdorfer Keramik aus dem späten 9. und 10. Jh. müßte herausgenommen werden. Die Zahl der Fundpunkte in England und Dänemark wäre noch geringer. Nun zeigt sich jedoch bei den inten- siven Siedlungsgrabungen auf der jütischen Halbinsel, daß die Anzahl der Fund- punkte mit Pingsdorfer Ware stetig ansteigt. Jede ausgegrabene Siedlung hat auch Reste von Pingsdorfer Weinamphoren gebracht (Abb. 6) 55. Handelt es sich um Luxusgüter für festliche Gelegenheiten in wohlhabenden Kreisen, wie Else Roes- dahl schreibt, weil darin Wein importiert ist oder weil man mit dem exotischen Gefäß imponieren will, oder sind es nur Zufallsspuren der Kaufleute? Dies könnte nur sein, wenn die Fernhändler in die Dörfer kämen; erwerben jedoch die Dorf- bewohner im Handelsplatz derartige Ware, dann würde sie doch eine stärkere Rolle im Handel spielen trotz des geringen Niederschlags im Fundmaterial. Die Widerspiegelung von Handelsverbindungen, ohne daß selbst von einem ent- scheidenden Handelsgut gesprochen werden kann, leistet eine andere Gruppe rhei- nischer Keramik, die sog. Tatinger Kannen. Bruchstücke dieser glänzend schwar- zen, mit Zinnfolie belegten Kannen kommen nämlich im Rheinland selbst auch nicht zahlreicher vor als in entfernten Handelsplätzen 56. Datiert in die Spanne von der Mitte des B. bis ins späte 9. Jh. gehört diese Keramikform in die frühe Wikinger- zeit parallel zur Badorfer Ware. Ein Produktionszentrum ist noch nicht mit Sicher- heit bezeugt, doch sprechen neue Befunde im Gebiet von Mayen dafür, hier eines der Produktionszentren zu suchen57. Reste von Töpferöfen enthielten eine bisher kaum bekannte Keramik, die nahe Verwandtschaft mit der wenig jünger einsetzen- den Tatinger Ware aufweist. Außerdem erscheint diese Keramik schon in Einzel- stücken im Fundstoff der Handelsplätze Hamwih in Südengland, im norwegischen Kaupang, im schwedischen Birka und auch in Dorestad. Vielleicht ist die Tatinger Ware im Zusammenhang mit den Mayener Basaltmühlsteinen (s.u. S. 142) verhan- delt worden. Jedenfalls trifft die frühere Deutung der Tatinger Kannen als Weinge- fäße im Rahmen des christlichen Kultes nicht zu, da sie nicht nur in schwedischen

55 E. Roesdahl, Viking Age Denmark (1982) 125 mit Anm. 103: Fundorte Saedding, Tra- bjerg, Vorbasse; Journal of Danish Arch. 1, 1982, 188: Fundort Andersminde, Ribe a. In der Nachbarschaft von Haithabu gibt es Siedlungen, in denen rheinische Importkeramik völlig fehlt, so z.B. in der Siedlung Kosel, rund 20 km östlich gelegen (Offa 41, 1984, 113 ff.), datiert in die 2. Hälfte des 8. und das 9. Jh., so daß Badorfer Keramik vorliegen könnte. Im Wurtendorf Elisenhof, etwa 50 km westlich von Haithabu an der Nordseeküste gelegen, sind vier Badorfer und eine Pingsdorfer Scherbe gefunden worden, jeweils nach der Schichtenlage aus einem halben Jahrhundert eine Scherbe. Badorfer Keramik erreichte aber auch den Handelsplatz Menzlin, Kr. Anklam: U. S c h o - k n e c h t, Handelsbeziehungen der frühmittelalterlichen Siedlung Menzlin bei Anklam. Zeitschr. f. Arch. 12, 1978, 230 und Abb. 6, aber nur als Einzelstück. Borg, Vestvägoy, Lofoten (Ch. B l i n d h e i m, Internal Trade in Viking Age Norway, in diesem Band S. 758): rhein. Import- Keramik. St. H v a s s, Offa 41, 1984, 101 nennt für 1980 die Zahl von 28 bekannten und gegrabenen wikin- gerzeitlicher Siedlungen, und „diese Zahl vergrößert sich von Jahr zu Jahr". 56 E. Ring, A. W i e c z o r e k, Tatinger Kannen aus Mainz. Arch. Korrespondenzbl. 9, 1979, 355-362. Zu den 30 dort angeführten Fundorten von England bis zum Ladoga See, von Birka bis Mainz: Aggersborg — E. Roesdahl (wie Anm. 55) 125 Anm. 104. 57 M. Red k n a p, Late merovingian black and red burnished wares from Mayen (Rheinland- Pfalz). Arch. Korrespondenzbl. 14, 1984, 403-416. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 137

Abb. 6: Vorkommen von Pingsdorder Ware: 1. Töpferöfen, 2. Einzelfunde in Nord- und West- europa, 3. dichte Fundverbreitung (nach C.G. Dunning mit Ergänzungen für Dänemark). 138 Heiko Steuer

Gräbern als Teil des Trinkgeschirrs im profanen Rahmen genutzt wurden, sondern auch in den rheinischen Städten Köln und Mainz fanden sich die Scherben dieser Gefäße weitab der Kirchen in normaler Siedlungsumgebung (Abb. 7)58. Irgendwo im Niederrheingebiet ist eine Keramikart hergestellt worden, die sog. mit Muschelgrus gemagerte Ware, in Gestalt von Kugeltöpfen, der üblichen Vorrats- und Kochgefäßform in Norddeutschland. Diese Muschelgrusware ist an der ganzen Nordseeküste und in Nordwestdeutschland verhandelt worden und wurde auch noch jenseits der Reichsgrenze in Haithabu und der nächsten Nachbar- schaft abgesetzt, aber mit deutlich weniger Prozentanteil am Gesamtbestand von Keramik als bei Siedlungen weiter im Westen59. Keramikhandel war im 9. und 10. Jh. im karolingisch-deutschen Reich also gebräuchlich: Keramik vom Kölner Vorgebirge wurde in beachtlichen Mengen zum Handelsplatz Dorestad gebracht, Muschelgrusware versorgte die südliche Nordsee- küste mit Gefäßen. Der Umfang mag auf dem Rhein ganze Schiffsladungen aus- gemacht haben. Alle genannten Warenarten erreichten auch die entferntesten Han- delsplätze im Nord- und Ostseebereich, sind jedoch nur in jeweils verschwindender Menge nachzuweisen. Auch Keramik aus Haithabu-Produktion erreichte Birka in Schweden. Doch kann dieser Keramiktransport auf den ausgewiesenen Handelswegen nicht als Handel bezeichnet werden, sondern die Funde markieren eher als Zivilisations- begleiter die Reisewege der Kaufleute (Abb. 8 und 9). Allein rheinische Weingefäße mögen auch als Repräsentationsgut gedient haben. Auch Keramik wird nur verhan- delt, wenn irgendwo ein Bedarf besteht. Die wirtschaftliche Struktur des Karo- lingerreiches sorgte hier für Absatzmärkte für Keramikprodukte. Aber nach Eng- land brauchte eigentlich keine Keramik verhandelt zu werden, weil dort eine eigene Produktion bestand (vgl. aber S. 194). Norddeutschland stellte ebenfalls eigene Keramik her, zugleich eine eigene Grundform, für die heimischen Kochherde ge- eignet. Doch Skandinavien hätte ein guter Abnehmer sein können, da dort nur wenig und teilweise sehr kümmerliche Keramik hergestellt worden ist. Norwegen kannte nur eine zahlenmäßig geringe, wenn auch recht ansehnliche Keramikherstel- lung, die dänischen und schwedischen Sorten waren zwar etwas reichlicher vorhan- den, aber von minderer Qualität. Andere Wege mit Gefäßversorgung wurden

58 Zur christlich-liturgischen Verwendung der Tatinger Kannen W. Winkelmann, Litur- gisches Gefäß der Missionszeit aus Paderborn. Zur Verbreitung und Deutung der Tatinger Kan- nen. In: Paderbornensis Ecclesia. Festschrift Lorenz Kardinal Jäger (1972) 37 ff. Die mit Kreu- zen aus Zinnfolie belegten Kannen können im liturgischen Rahmen genutzt worden sein. Als Teil des Weingeschirrs im Norden D. E l l m e r s, Zum Trinkgeschirr der Wikingerzeit. Offa 21/22, 1964/65, 21 ff., auch M. Müller-Wille, Das Bootkammergrab von Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 8, 1976, 134 Abb. 57. Die Tabelle über Tafelgeschirrkombi- nation im Gräberfeld von Birka zeigt Tatinger Kannen in Zusammenhang mit Trichtergläsern, die ebenfalls aus dem Rheinland importiert worden sind (dazu s.u.S. 147 ff.). 59 H. S teuer, Der Beginn eines Fernhandels mit Keramik in Norddeutschland. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 1, 1973, 21-29, Karte Abb. 5: Der Anteil der Muschelgrusware an der Keramik einer Siedlungsphase macht in Haithabu 1:10, in Elisenhof 1:1,8 und bei Wurten weiter im Westen, der Krummhörn 2:1 aus. — In der zu Haithabu benachbarten Siedlung Kosel fehlt Muschelgruskeramik völlig: Offa 41, 1984, 122, obwohl das statistische Ausgangsmaterial ausreicht und die Siedlung auch im 9. Jh. existiert hat. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 139

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Abb. 7: Vorkommen von Tatinger Ware: 1. vermutetes Herkunftsgebiet, 2. Einzelfunde, 3. zwei bis fünf Funde, 4. mehr als fünf Funde. Korrekturnachtrag: Scherben von Tatinger Kannen in Starigard/Oldenburg. I. Gabriel, Arch. Korrespondenzblatt 16, 1986, Abb. 5 und S. 362.

140 Heiko Steuer

Abb. 8: Vorkommen karolingischer Keramik in England (nach R. Hodges): 1. Töpferöfen in der Rheinzone, 2. Töpferöfen in Frankreich, 3. Fundorte mit rheinischer Keramik, 4. Fundorte mit Keramik aus dem Gebiet des Karolingerreiches, 5. Fundorte mit Keramik aus beiden Regionen. Die Teilung des Handels zwischen dem fränkischen Reich sowie dem Rheinland und England wird sichtbar. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 141

Abb. 9: Vorkommen von Keramik der» Klasse 14" (nach R. Hodges) aus dem Karolingerreich in England und Skandinavien. Die Karten Abb. 7 bis 9 beschreiben die Haupthandelsräume, die im Norden vom Karolingerreich aus erreicht werden, wobei getrennte Handelsströme nach England und vom Rheinland aus nach Skandinavien weisen. 142 Heiko Steuer gewählt. Schweden und auch die dänischen Inseln bezogen und stellten im eigenen Gebiet die sog. Ostseekeramik her; Norwegen stieg auf Gefäße aus dem heimischen Speckstein um. Nur als dünner Schleier legt sich die besonders qualitätvolle rheini- sche Keramik als Import über den nordischen Eigenbedarf und die Selbstversor- gung. Luxusgut oder Begleiter der Kaufleute wurde weiter oben gesagt. Noch rei- chen die Untersuchungen, vor allem auch dörflicher Siedlungen nicht aus, um näheren Einblick in die Struktur dieses Handels zu bekommen, ob er sich etwa als Tröpfelhandel beschreiben ließe: Am Ausgangspunkt verfügt der Kaufmann über ein volles Schiff mit rheinischer Keramik, die nach und nach verkauft wird, und am Endpunkt der Reise in Skandinavien sind nur noch wenige Gefäße zum Verkauf übrig.

Mühlsteine als Handelsgut

Gewichtige Mühlsteine aus Basalt, gebrochen bei Mayen im Eifelvorland, waren während der Wikingerzeit eine begehrte Ware, die deshalb ihren Weg auch über die Grenzen des karolingisch-deutschen Reichs hinausfand. Das Material hat die denkbar besten Eigenschaften für Hand-Getreidemühlen — der Steinabrieb im Mehl ist wesentlich weniger störend als der von Felsgesteinmühlen — und wurde deshalb seit der römischen Zeit abgebaut. Die Lagerstätte ist unverwechselbar und erlaubt daher eine sichere Zuweisung der archäologischen Funde6°. Im Handelsplatz Dorestad fanden sich 700 Fragmente von Mühlsteinen sowie etwa 400 mehr oder weniger verwitterte Fragmente des gleichen Materials; es han- delt sich ausschließlich um Mayener Basalt. Die Mühlsteinreste gehören einerseits zu abgenutzten Exemplaren, die bei 3 cm Dicke zerbrochen sind und also in Dore- stad selbst benutzt wurden, und andererseits zu Halbfertigfabrikaten für den Export, bei denen die zentrale Durchbohrung der Läufersteine noch nicht ausge- führt war61 . Ein Drittel aller Mühlsteinfragmente gehört zu neuen Exemplaren; diese Beobachtung und die Konzentration derartiger Steine im Hafengebiet bele- gen, daß Dorestad Exportplatz für diese Ware gewesen ist. Von Dorestad über Domburg wurden Mühlsteine nach England verhandelt 62. In der Korrespondenz zwischen König Offa und Karl dem Großen werden Steine erwähnt, bei denen es sich um derartige Mühlen gehandelt haben könnte63. Basalt-Mühlsteine wurden die südliche Nordseeküste entlang verhandelt und verkauft, wurden in Hamburg und

6o Zu den Lagerstätten zuletzt H. Kars, Early-Medieval Dorestad, an Archaeo-Petrological Study. Part I: General Introduction. The Tephrite Querns. Berichten van de Rijksdienst voor het Qudheidkundig Bodemonderzoek 30, 1980, 393-422. 61 Zu den Basalt-Mühlsteinen in Dorestad Kars (wie Anm. 60), W. A. van Es/W. J. H. V e r- w er s, Excavations at Dorestad 1 (wie Anm. 48) 163 ff. mit Fig. 115 — Halbfertigfabrikat; J. P a r k h o u s e, The Dorestad Quernstones. Berichten ROB 26, 1976, 181-188. 62 T. P ark h o u s e (wie Anm. 61) Karte; D. Hill (wie Anm. 31) Karte 202. 63 D. W hit e l o c k, English Historical Documents c. 500-1042 (1955) 781; D. Hill (wie Anm. 31) 117; R. Hodges, Dark Age Economics (1982) 124 u. 129. Im Brief Karls des Großen an Offa wird von petrae nigrae gesprochen, eine Diskussion um Mühlsteine auf dieser höchsten Ebene! Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 143

Haithabu gefunden64. Hier sind sie oftmals bis zu 2 cm Dicke abgerieben worden, ehe sie zerbrachen. Die Lebensdauer derartiger Handmühlen betrug etwa fünf bis sieben Jahre, wenn sie täglich benutzt wurden; die Reste wurden auf den Abfall geworfen oder anderweitig verarbeitet. Die Zahl der belegbaren Mühlen übertrifft daher die Zahl der archäologisch nachgewiesenen Häuser beträchtlich. Haithabu war somit ein großes Konsumentenzentrum für derartige Ware aus dem Rheinland; Halbfabrikate im Fundstoff belegen, daß die Mühlsteine erst in Haithabu fertigge- stellt wurden oder aber für den weiteren Handel vorgesehen waren 65 . Die dörflichen Siedlungen auf der jütischen Halbinsel aus der Wikingerzeit haben Fragmente von Basalt-Mühlsteinen erbracht66. Haithabu und Ribe werden für die Versorgung mit diesem begehrten Handelsgut gesorgt haben. Während in Dorestad Mühlsteine aus- schließlich aus Basaltlava bestehen, werden die Siedlungen der jütischen Halbinsel mit Mühlsteinen aus einheimischem Felsgestein, mit Importen aus Norwegen und in unterschiedlich großem Prozentsatz mit rheinischem Material versorgt67. Im Schiffswrack von Graveney, Kent, aus der ersten Hälfte des 10. Jh., 14 m lang und 3m breit, wurden Basaltmühlsteine als Ballast gefunden. Es war nach der dabei gefundenen Keramik ein französisches Schiff, kein friesisches oder angelsächsisches; aber Mühlsteine aus Basalt waren leicht zu erwerben68. Basaltmühlsteine fanden ihren Weg über die Flüsse aber auch in slawisches Gebiet. In Burgwällen in Holstein, aber auch in der Niederlausitz wurden Dreh- mühlen aus rheinischem Basalt ausgegraben 69 . Anders als bei Keramik läßt sich der

64 P. K. Hör mann, A. R i c h t e r, Vergleichende mineralogisch-petrographische Untersu- chungen an Mühlsteinresten aus Haithabu und Bruchsteinproben aus der Eifel. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 18, 1983, 93-108. 65 K. S c h i e t z e 1, Handwerk und Handel in Haithabu — Probleme der Interpretation. Zeit- schrift für Archäologie 13, 1979, 95 meint, die bei der Endverarbeitung zerbrochenen Mühl- steine und alle anderen Reste können nicht ohne weiteres dazu dienen, einen Warenumschlag anzuzeigen. 66 E. R o e s d a h l (wie Anm. 55) 125 mit Anm. 98: Trelleborg, Okholm/Ribe, Arhus, Saed- ding, Trabjerg, Vorbasse, Aggersborg. Nach St. H v a s s, Vorbasse. The development of an sett- lement through the first millenium A. D. Journal of Danish Arch. 2, 1983, 127-136 sind alle Mühlsteinreste aus Mayener Basalt. In der wikingerzeitlichen Siedlung von Kosel, Kr. Rendsburg-Eckernförde, D. Meier u. J. Reichstem, Eine wikingerzeitliche Siedlung westlich von Kosel, Kreis Rendsburg-Eckernförde (LA 117). Offa 41, 1984, 113-168, sind (S.143) 338 Bruchstücke von Mahlplatten aus Mayener Basalt gefunden worden, in 12 der 21 Grubenhäuser. Verbreitungskarte bei M. Müller - W i 11 e, Westeuropäischer Import der Wikingerzeit in Nord- europa. Acta Visbyensia VII (1984) Abb. 12. 67 D. Meier, J. Reichstem n (wie Anm. 66) 143: 4 der 21 Grubenhäuser enthalten einhei- misches Mühlsteinmaterial. — Zum möglichen Export von Mühlsteinen aus Norwegen E. R o e s - d a h l (wie Anm. 55) 125; O. R o n n e s e t h, Das Zentrum der ältesten Mühlsteinindustrie in Nor- wegen. In: Studien zur europäischen Vor- und Frühgeschichte, Festschr. f. H. Jankuhn (1968) 241-252. 68 R. H o d g e s, Dark Age Economics (1982) 98; V. F en w i c k (Ed.), The Graveney Boat. BAR 53 British Series (1978). — Bei Lüttingen, Kr. Moers, wurden 1957 Reste eines Schiffs mit Mayener Basalt-Mühlsteinen und Kugeltöpfen Mayener Art ausgebaggert: D. E l l m e r s, Frühmittelalterliche Handelsschiffahrt in Mittel- und Nordeuropa (1972) 298 Nr. 60b. 69 J. Herrmann (Hrsg.), Die Slawen in Deutschland (1970) 109 f. und Abb. 42: Fundorte Burgwälle von Alt Lübeck, Oldenburg, Hammer, Müssen, Basedow in Holstein, und Gahro, Neuzelle in der Lausitz. Die Versorgung mit Mühlsteinmaterial aus lokalen Steinbrüchen ist par- allel dazu erfaßt. 144 Heiko Steuer

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Abb. 10: Mühlsteine aus Niedermendiger Basaltlava: 1. Steinbruch, 2. zahlreiche Funde, 3. Funde, 4. zweifelhafter Fundzusammenhang, 5. Schiffsladung (nach J. Parkhouse mit Ergän- zungen für Dänemark nach Else Roesdahl; für Jütland jetzt U. Näsman, Vendel period glass from Eketorp II, Oland, Sweden. On glass and trade from the late 6th to the late 8th centuries A. D. Acta Arch. 55, 1984 (1986), 95 mit Fig. 11 (Karte) und Anm. 216: darin die weiteren Fundorte Omgärd, West Jütland, und Wollin). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 145

Abb. 11: Die Herkunftsgebiete der in Dorestad verwendeten Steinmaterialien, 1. Dorestad, 2. Natursteinvorkommen (nach H. Kars). 146 Heiko Steuer

Handel mit Basalt-Mühlsteinen aus dem karolingisch-deutschen Reich über die Grenzen zu den Handelsplätzen Hamwih in England, Ribe und Haithabu auf der jütischen Halbinsel verfolgen, von wo sie im Nahhandel in England, Dänemark und auch im westslawischen Gebiet weiter verteilt wurden. Die Intensität dieses schwer- gewichtigen Handels wird durch die dänischen Siedlungsgrabungen deutlich. Jede großflächige Grabung bringt auch Reste von Basalt-Mühlsteinen (Abb. 10 und 11).

Handel mit Glas und Glasbruch als Rohmaterial

Zentrales Kapitel zur Handelsgeschichte zwischen dem karolingischen Reich und dem Norden war für H. Arbman70 der Transport von Trinkgläsern aus dem fränki- schen Rheinland nach Schweden, wo sie als Grabbeigaben häufig gefunden wurden. Trichterbecher, für die durch Scherbenmaterial und Ofen eine Werkstatt bei Cordel in der Nähe von Trier belegt ist, Becher mit Fadenauflage, ebenfalls aus der Werk- statt in Cordel, und andere Formen wurden von ihm im gesamten Handelsraum zusammengestellt71 . Der Export der Luxusware Glas verlief auf eingefahrenen Han- delswegen kontinuierlich seit der Römischen Kaiserzeit, wie gerade auch die Gra- bungen im Handels- und Handwerkerplatz Helgö belegt haben und ebenso in der befestigten Siedlung Eketorp II auf Öland72. Gegenüber den älteren Phasen des Glashandels hat sich im 9. und 10. Jh. das Typenspektrum stark vereinfacht; es bleiben verschiedene Becherformen, nämlich Tummler, Trichterbecher, Kugelbecher und seltener Schalen. Unter diesen Trink- gefäßen ist auch im Glasbruch der Trichterbecher am sichersten zu identifizieren, und zwar durch die starken Bodenpartien. Während aus dem Norden vollständige Exemplare aus Gräbern erhalten sind (Nordfriesische Inseln, Haithabu- Bootkammergrab, Birka), sind im Exporthafen Dorestad zahlreiche Fragmente gefunden worden (45 karolingische Stücke aus dem Hafenbereich Hoogstraat I)73. Funde aus dem karolingischen Reich selbst sind gering an Zahl: die erwähnte Werk- statt von Cordel, eine Werkstatt auf dem Gelände des ehemaligen Benediktinerstif- tes St. Ulrich und Afra in Augsburg, vielleicht eine Werkstatt in der Umgebung von Charleroi, in Macquenoise, Gläserfragmente in Paderborn74.

70 H. A r b man, Schweden und das karolingische Reich. Studien zu den Handelsverbindun- gen des 9. Jh. (1937) 26-86. 71 Kartierung bei H. J a n k u h n, Karl der Große und der Norden (wie Anm. 10) 704f. mit Fig.1 und 2. 72 Zum Glashandel während der Völkerwanderungszeit U. N ä s m a n (wie Anm. 11), dessen Verbreitungskarten die gleichen überregionalen Handelsbeziehungen auch im Bereich von Metallschmuck und Brakteaten zeigen. Zum Glas aus Helgö Agneta L u n d s t r ö m, Survey of the glass from Helgö. In: Excavations at Helgö VII (1981) 1-38. 73 C. I s in g s, Glass Finds from Dorestad, Hoogstraat I. In: W. A. van Es, W. J. H. V er- wer s, Excavations at Dorestad 1 (wie Anm. 48) 225-237; dies . , Glas. In: Spiegel Historiael 13 (wie Anm.45) 260-262. 74 Kordel: H. A r b m a n (wie Anm. 70) 26-36; Augsburg: G. Pohl, Frühmittelalterliche Glaswerkstatt bei St. Ulrich und Afra in Augsburg. Bayer. Vorgeschichtsbl. 37, 1972, 60 ff.; Charleroi: C. I s in g s, in: Spiegel Historiael (wie Anm. 45) 262; Paderborn: W. Winke l m a n n, Archäologische Zeugnisse zum frühmittelalterlichen Handwerk in Westfalen. 3. Die Glaswerk- statt in der karolingischen Pfalz Paderborn. Frühmittelalterliche Studien 11, 1977, 123-125; Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 147

Trichterbecher sind eine Modeform karolingerzeitlicher Trinkgefäße und werden daher innerhalb des Reichsgebietes weiträumig hergestellt worden sein, dort wo für die Glasgewinnung die nötigen Rohstoffe erreichbar waren. Die Tradition im Rheinland und den Ardennen läßt dort einen Schwerpunkt vermuten, wenn der Forschungsstand nähere Aussagen auch nicht zuläßt. Die Glaswerkstatt in Pader- born, von der Ofenreste nachgewiesen sind, hat Reste von Glasfluß und zahlreiche Glaswürfel, sog. tesserae, erbracht; die Herstellung von Hohlglas ist durch die zahl- reichen Funde von derartigen Gefäßresten im Bereich der Pfalzengrabung aber am Ort noch nicht erwiesen. Durch die Funde von Trichterglas-Resten und von Resten der wenigen anderen Typen, die z.B. in den Birka-Gräbern wiederkehren, ist der Ausgangspunkt für den Glashandel überzeugend belegt. Daß jedoch nicht nur Hohlgläser, sondern vor allem auch Glasbruch und Glas-Mosaiksteinchen verhandelt worden sind, belegt nicht nur der Fund innerhalb des Reichsgebietes in Paderborn, sondern beweisen vor allem die Fundkomplexe in englischen und skandinavischen Handelsplätzen. Sie stammen aus Werkstätten, in denen aus Würfeln und Glasstäbchen Perlen her- gestellt worden sind, während Hohlglasproduktion auch für den Norden nicht belegt ist75. In Haithabu soll 1913 eine Werkstatt mit zahlreichen Glasfragmenten ausgegra- ben worden sein76. Auch nach den neuen Grabungen kann davon ausgegangen wer- den, daß am Ort Glas geschmolzen und Perlen hergestellt worden sind". In Ribe wurden zwei Werkstätten mit insgesamt 1800 Glasfragmenten (480 Perlen, 359 Glasstäbe, 370 Tesserae, 366 Abfallstücke und 230 Gefäßreste) ausgegraben78, datiert in die Jahrzehnte um 800. Eine Versorgung des Hinterlandes wird angenom- men; als Hersteller der Perlen wird ein fahrender Handwerker vermutet, der wäh-

Farbabb. der Glasfunde aus Paderborn bei W. Winkelman n, Am Tische Karls des Großen. Das „Capitulare de Villis" und die Ausgrabungen der Pfalz in Paderborn. Archäologie in Deutschland Heft 3, 1985, 26-31, Abb. S.31; P. Perin, Typologie et chronologie des verreries provenant des sepultures merovingiennes de la region ardennaise. In: IX Congres International du Verre (1971) 11-50 (Macquenoise). — Maria D e k ö w n a, Glasbecher. In: M. Müller Das Bootkammergrab von Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 8-Will e, (1976) 63-66: Trichterbecher im fränkischen Gebiet in der Glashütte von Kordel bei Trier, bei St. Ulrich und Afra in Augsburg, in Paderborn und in Dorestad. Als Importgut in den Handels- plätzen Hamwih, Haithabu, Kaupang, Helgö und Birka sowie an der südlichen Ostseeküste in Menzlin. Auch eine Wurtensiedlung in Friesland Wierum Schoun, Prov. Groningen ist zu nen- nen. Die Grabfunde von den Nordfriesischen Inseln bis Mittelschweden werden in den Anm. 68-72 mit Lit. aufgeführt. M. Deköwna weist darauf hin, daß man nicht einmal genau weiß, ob die Trichterbecherreste aus Kordel Produkte jener Hütte waren oder nur herangeschaf - ter Glasbruch. 75 R. Hodges (wie Anm. 68) 120; E. R o e s d a hl (wie Anm. 55) 102 f.; Agneta Lund r ö m, Bead making in Scandinavia in the . Antikvariskt arkiv 61 (1976);-st J. C a l l m e r, Trade beads and bead trade in Scandinavia ca. 800-1000 AD (1977). 76 H. J a n k u h n, Haithabu, ein Handelsplatz der Wikingerzeit (4. Aufl. 1963) 247f.: Ofen- reste, Scherben, Glasstäbchen, Schmelztropfen, Fragment eines Bechers. 77 K. S chi e t z e 1, Stand der siedlungsarchäologischen Forschung in Haithabu — Ergeb- nisse und Probleme. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 16, 1981, 77. 78 M. B e n c a r d u.a., Wikingerzeitliches Handwerk in Ribe. Acta Archaeologica 49, 1978 (1979) 113-138, zum Glas 124-133; M. Be n c a r d (Ed.), Ribe Excavations 1970-76. Vol. 1 (1981). 148 Heiko Steuer

rend der Handelssaison nach Ribe gekommen ist, die relativ komplizierte, aber auf einfachen Mitteln beruhende Technik über längere Zeit anwandte. Im Handelsplatz Kaupang sind etwa 450 Glasfragmente gefunden worden 79; Perlenherstellung ist belegt. Aus Helgö sind über 1600 Glasfragmente untersucht worden, unter denen mindestens 80 verschiedene Gefäße nachgewiesen werden konnten, weiterhin rund 550 Perlen, aber auch Glasbruch, Schmelztropfen, Stäbchen, aber nur drei Tesserae80. In der Nachfolgesiedlung Birka wurde ebenfalls Glasbruch gefunden, darunter sind auch Trichterbecherreste 81. In der begrenzten Grabungsfläche wurden 700 Glasreste geborgen, darunter Mosaiksteine — doch nur drei Exemplare —, Perlen, Spielsteine, Fragmente von Gefäßen und Glasklumpen, darunter ein Stäbchen. Auch diese Reste sprechen für eine Werkstatt, in der importierter Glasbruch zu Per- len verarbeitet sein könnte. Die Untersuchungen des Handelsplatzes Paviken auf haben beachtlich viele Glasreste gebracht, ungefähr 70 Stücke von Glas- bechern, 42 Mosaiksteine, Glasstäbe, Glastropfen und -splitter von Tiegelwänden, insgesamt mehr als 350 Objekte, die in ihrer Zusammensetzung wiederum auf eine Werkstatt zur Perlenherstellung hinweisen82. Ebenfalls auf Gotland im Kirchspiel Stänga sind in ländlicher Umgebung 62 Tesserae gefunden worden ß3. Reste von Trichterbechern stammen aus York 84 im Westen und Menzlin, Kr. Anklam im Osten (Abb. 12)85. Glasbruch, Mosaiksteine und Stäbchen sind als Rohstoffe in den Norden impor- tiert worden; dort durch zu Bruch gegangenes ebenfalls importiertes Glas ergänzt, diente dieser Rohstoff zur Perlenherstellung. Bisher gibt es keine Hinweise für die Produktion von Glasgefäßen im Norden. Die Herkunft des Rohstoffs markieren einerseits die vollständigen karolingischen Gläser sowie die Bruchstücke von — zumeist — Trichterbechern und andererseits die Mosaiksteine, für die oftmals Pro-

79 Ellen-Karin H o u g e n, Glassmaterialet fra Kaupang. Viking 1969, 119-137; Ch. B l i n d h e i m, R.L. T o l i n e s, Kaupang. Vikingenes handelsplass (1972) 95f. 60 Agneta Lundström (wie Anm. 72) 16 ff. zur Perlenherstellung; dies . (wie Anm. 75). Die Werkstätten von Helgö gehören in die Vendel- und frühe Wikingerzeit. 81 Kristina D a n i e l s s o n, Glas och Halvädelstenar. In: Birka (wie Anm. 53) 54 ff., zum Glas 57-67. 82 P. Lundström, De kommo vida ... Vikingars hamn vid Paviken pa Gotland (1981) 96-100 mit Farbtafel der verschiedenen Glassorten; A. Lundström (wie Anm. 72 und 75). 83 D. Carlsson, Ett vendel-vikingatida verkstadshus pa Gotland. Fornvännen 1976, 86f. 84 J. R a dl e y, Economic Aspects of Anglo-Danish York. Medieval Arch. 15, 1971, 37-57: auch die Herstellung von Perlen ist nachgewiesen. 85 U. Schoknecht (wie Anm.55) 225. — Cynthia Gaskell Brown, A.E.T. Har- per, Excavations on Cathedral Hill, Armagh, 1968. Ulster Journal of Arch. 47, 1984, 109-161 bilden ein Trichterbecherfragment (S.135 Fig. 12/No. 72a) wohl des 8. Jh. ab, neben Resten von Handwerkstätigkeit wie trial pieces, Glasfragmente etc. — Auch besondere Gläser wie die cuppae vztreae auro ornatae (transparentes Glas mit Goldauflage), auf dem Kontinent nachgewiesen in Paderborn und Dorestad, werden in den frühen Handelsplätzen Helgö und Ahus in Schweden gefunden: A. t r öm, Cuppa vitrea auro ornata. Antikvariskt arkiv 40, Early Medieval Stu- dies 3, 1971, 52-68; J. C a l l m e r, Production Site and Market Area. Meddelanden Lund, New Series 4, 1981-1982, 149. Auf der Häuptlingsfarm in Borg, Vestvagey, Lofoten wurden 55 Glasfragmente von 6 bis 7 Gefäßen gefunden, darunter Reticella-Glas und Glas mit Goldfolie wie von Paderborn, Helgö und Ahus bekannt, vgl. Ch. B l i n d h e i m, Internal Trade in Viking Age Norway, in diesem Band S. 758 ff. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 149

Abb. 12: Glasfunde des 8./9. Jahrhunderts: 1. Werkstätten auf dem Kontinent und im Norden, 2. Trichtergläser. 150 Heiko Steuer duktion in Norditalien angenommen wird, zumal dort ebenfalls eine Werkstatt gefunden worden ist, die derartige Steine weiterverarbeitet hat 86. Die Überlieferung besagt auch, daß Karl der Große für Aachen und St. Germigny de Pres Mosaik- steine aus Ravenna habe holen lassen. Mosaiksteine scheinen aber in den ehemali- gen römischen Provinzen aus Ruinen leicht und in größeren Mengen gewonnen worden zu sein86a. Der Handelsweg vom Westen über Dorestad in die skandinavi- schen Länder scheint für Glas jedenfalls eindeutig zu sein; denn in den aus dem slawischen Gebiet bekannten Glaswerkstätten sind Tesserae nicht gefunden wor- den. Außerdem beginnen im polnischen Gebiet beispielsweise die Werkstätten erst im 10. Jh. zu arbeiten87. J. Callmer hat Verbreitung und Herkunft der unterschiedlichen Perlensorten im Norden untersucht88 und dabei Gruppen herausgearbeitet, die im Südosten, etwa in Byzanz hergestellt worden sein müßten, auf dem östlichen Weg Skandinavien erreichten und nur in Stara Ladoga, Birka und in Mittelschweden vorkommen, und andere Gruppen, die aus Italien kommend vorwiegend den westskandinavischen Bereich berührten. Zudem sind von ihm indirekt Perlenwerkstätten im Westen, im Rheinland lokalisiert worden, an der Nordseeküste und in Südskandinavien. Das Bild muß weiter differenziert werden, nachdem bekannt ist, daß in fast allen besser ausgegrabenen Handelsplätzen in der Nord- und Ostseewelt, in York und bis hinauf nach Gotland, in Paviken, Perlen hergestellt worden sind. Glasbruch und Perlen nehmen geringen Raum ein und sind per Schiff in großen Mengen oder als Bei- ladung leicht zu verhandeln; sogar unterwegs zerbrochene Gläser konnten gut ver- kauft werden. Betont sei noch einmal die lange Tradition des Glashandels zwischen dem Westen und dem Norden. Der Anteil der Britischen Inseln am Skandinavienhandel wird gewichtiger, seitdem nachgewiesen werden konnte, daß merowingerzeitliche Rüsselbecher oder Becher vom Kensington-Typ nicht nur im Rheinland, sondern auch in Südengland, wohl in Kent hergestellt worden sind89. Vera Evison geht von

86 A. Lundström (wie Anm.72) 17; W. Hensel, L. Leciejewicz, E. und S. Taba- c z y n s c y, Recherches polono-italiennes sur les origines de Venise. Archeologia Polski 10, 1965, 600-654; J. Callmer, Production Site und Market Area. Meddelanden Lund, New Series 4, 1981-1982, 150; Callmer sieht die wenigen Stücke Tesserae in Kaupang und Birka als mögli- che Amulette an. 86a Theophilus Presbyter Diversarum Artium Schedula: Buch III, c. 12 spricht davon, daß unterschiedliche Glassorten, weiße, schwarze, grüne, gelbe, blaue, rote, purpurfarbene in Mosai- ken innerhalb alter heidnischer Bauwerke gefunden werden. Emailarbeiten sind aus diesen Stei- nen angefertigt worden auf Gold, Silber und Bronze. Weiter heißt es dort auch, daß an diesen Plätzen Glasgefäße gefunden werden, auf deren Suche sich vor allem Franzosen spezialisiert hät- ten, die dann diese Gläser wieder einschmelzen und daraus u. a. Scheiben herstellen. J.G. Haw - t h o r n e, C. S. Smith (Ed.), Theophilus. On Divers Arts (1963 /1979) 59 (10. Jahrhundert). 87 A. Lundström (wie Anm. 72) 22 nennt Glaswerkstätten in Wollin, Stettin, Kruszwica, Breslau, Niemcza, Danzig und Gnesen; weiter Gorodisko /Ukraine, Lubce bei Chernikov, Wols- cena bei Smolensk, Rjazan, Kostrorna und Novgorod, vielleicht auch in Staraja Ladoga in der UdSSR; in Stare Mesto, DolnI Wstonice und Nitra in der CSSR; in Pliska und Preslav in Bulgarien. 88 J. Callmer (wie Anm. 75). 89 V. I. Evison, Some distinctive glass vessels of the postroman period. Journal of Glass Studies 25, 1983, 87-93; dies . , Bichrome glass vessel of the seventh and eighth centuries. Stu- dien zur Sachsenforschung 3, 1982, 7-21 mit Fig. 2 — Verbreitungskarte der Glasgefäße im Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 151 mobilen Glasmachern aus, die — üblicherweise durchaus fest ansässig — für eine kurze Periode des Jahres in fremde Gebiete, aus Gallien oder dem Rheinland nach England, fuhren, um dort zu produzieren.

Waffenhandel

Arbeiten der letzten Jahre haben den intensiven Waffenhandel aus dem karolin- gischen Reich in die nördlichen und südöstlichen Gebiete vielfach belegt, der in der karolingischen Gesetzgebung ausdrücklich -- schließlich unter Todestrafe — unter- sagt war90. Der seit dem B. Jh. blühende Waffenhandel läßt sich einerseits über bestimmte Schwertgriff-Formen nachweisen, die in westlicher Handwerkstradition stehen, und andererseits über Schwertklingen mit der Klingeninschrift ULFBERHT. Während westliche Grifformen die frühe Wikingerzeit charakterisie- ren und dann eigene im Norden hergestellte Griffe die Schwerter zieren, auch wenn importierte Klingen verwendet werden, lassen sich die mit Inschriften versehenen Klingen im Norden und Osten die ganze Wikingerzeit über nachweisen. Dabei wer- den nicht nur alte Klingen immer wieder verwendet, sondern in der Tradition der frühen Ulfberht-Werkstatt arbeitende Betriebe nutzen nur den Namen weiter, um ein Qualitätszeichen anzubringen. H. Arbman und H. Jankuhn haben seinerzeit die schriftlichen und archäologi- schen Quellen zum Waffenhandel zusammengestellt und damit das heute noch gül- tige Bild entworfen. Allein die Zahl der Neufunde sowie die Untersuchungen schon länger in den Museen lagernder Waffen auf Klingeninschriften und Damaszierung hin haben — neben chronologischer Differenzierung — zur größeren Dichte der neuen Kartenbilder geführt91. Neben Schwertklingen sind sicherlich auch Lanzen- bzw. Speerspitzen in den Norden exportiert worden, am ehesten wie bei den Schwertern am damaszierten Stahl zu erkennen, und außerdem u.U. an der äußeren Form der Flügellanzen- spitzen. Waffenhandel läßt sich naturgemäß nur indirekt erschließen, und zwar auch aus der großen Zahl der in fremdem Gebiet gefundenen Stücke, die im übrigen durch Kriegsbeute ebenso Besitzer und Land gewechselt haben können. Immerhin sind

Norden vom 8. bis 10. Jh., Werkstattzentrum Kent S.8; dies . , Anglo-Saxon glass clawbeakers. Archaeologia 107, 1982, 43-76. Dazu auch E. B a k k a, Scandinavian Trade Relations with the Continent and the British Isles in Pre-Viking Times. Early Medieval Studies 3, Antikvariskt arkiv 40, 1971, 37-51. 90 E. G e ß l e r , Die Trutzwaffen der Karolingerzeit vom VIII. bis zum XI. Jahrhundert (1908) 153f.: Waffenausfuhrverbote Karls des Großen. — W. Vogel, Die Normannen und das fränkische Reich bis zur Gründung der Normandie (799-911) (1906) 42: Verkaufsverbot Karls des Kahlen im Edictum Pistense c. 25 von 864 in Bezug auf Brünnen; Lit. allg. zu den Ausfuhr- verboten von Waffen H. J a n k u h n, Ein Ulfberht-Schwert aus der Elbe bei Hamburg. Fest- schrift G. Schwantes (1951) 228 Anm. 93. 91 H. Arbman, Schweden und das karolingische Reich (1937) 214-235, 230 ff. zu der schriftlichen Überlieferung zum Waffenhandel; H. J a n k u h n, Eine Schwertform aus karolin- gischer Zeit. Offa 4, 1939, 155-168; d e r s . , Ein Ulfberht-Schwert aus der Elbe. In: Festschrift für G. Schwantes (1951) 212-229. 152 Heiko Steuer im Gebiet des Exporthandelsplatzes Dorestad acht karolingische Schwerter gefun- den worden92, meist bei Baggerarbeiten. Karolingische Schwerter sind auf dem Kontinent nach dem Verschwinden der Grabbeigabensitte meist auf diese Weise zutage gekommen93. Für Schweden nennt Arbman. einen Fund von fünf Schwert- klingen — bei Skärlöv, Ksp. auf Oland —, die stark korrodiert sind, doch „offenbar sind es Ulfberht-Klingen" 94, ein Lager von Klingen, die eingeführt wor- den sind, um in Schweden mit Griffen versehen zu werden. Die Anzahl der aus dem Karolingerreich stammenden Schwerter 95 hält sich in Grenzen; verbreitet sind sie zudem innerhalb und außerhalb des Reiches über weite Teile Europas und machen unter den Schwertern eines Gebietes insgesamt immer nur einen geringen Anteil aus 96. Deshalb ist zwar die Herkunft aus dem Karolinger-

92 J. Y p e y, Zwaarden. In: Dorestad. Spiegel Historiael (wie Anm. 45) 254-259 mit Dar- stellung der Damaszierung; ders.; A Sword with Damascened Blade from Dorestad, Hoogstraat I. In: W.A. v a n Es/W. J. H. V er w e r s, Excavations at Dorestad 1 (wie Anm. 48) 190-206; ders., Einige wikingerzeitliche Schwerter aus den Niederlanden. Offa 41, 1984, 213-225; ders., Flügellanzen in niederländischen Sammlungen. In: Vor- und Frühgeschichte des unteren Niederrheins. R. Stampfuß zum Gedächtnis, hrsg. G. Krause (1982) 241-267. 93 W. M e n g h i n, Ein karolingisches Prunkschwert aus dem Altrhein bei Mannheim. Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg 1976, 7-13. 94 H. Arbman (wie Anm. 91) 232. Eine Bestätigung, daß es sich um Ulfberht-Klingen han- delt, habe ich nicht finden können. Vgl. M. Müller-Wille, Offa 27, 1970, 82 Anm. 70. 95 Zu den karolingerzeitlichen Schwertern sowie den wikingerzeitlichen Ulfberht- Schwertern sind folgende Arbeiten zu nennen, die auch Verbreitungskarten für den Norden brin- gen: W. M e n g h i n, Neue Inschriftenschwerter aus Süddeutschland und die Chronologie karo- lingischer Spathen auf dem Kontinent. In: K. S p i n d l e r (Hrsg.), Vorzeit zwischen Main und Donau. Erlanger Forschungen Reihe A 26 (1980) 227-272; ders., Das Schwert im Frühen Mittelalter (1983). — M. Müller- Will e, Ein neues ULFBERHT-Schwert aus Hamburg. Ver- breitung, Formenkunde und Herkunft. Offa 27, 1970, 65-91; ders., Zwei wikingerzeitliche Prachtschwerter aus der Umgebung von Haithabu. Offa 29, 1972, 50-108 und Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 6, 1973, 47-89; ders., Das Bootkammergrab von Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 8, 1976, 35-50; ders., Zwei karolingische Schwerter aus Mittelnorwegen. Studien zur Sachsenforschung 3, 1982, 101-154 (mit K. M 61- 1 e n h u s und B. A r r h e n i u s ); ders., Waffen und Bewaffnung: Schwerter aus Haithabu. In: Handelplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 322-332. — H. V i e r c k, Ein westfälisches ,Adelsgrab` des B. Jh. n. Chr. Studien zur Sachsenforschung 2, 1980, 457-488. — Z. V i n s k i, Zu karolingischen Schwertfunden aus Jugoslawien. Jahrb. RGZM 30, 1983, 465-501. — Z. V i n s k i, Abermals zu karolingischen Schwertern in Jugoslawien. Vjesnik Arh. Muz. Zagrebu 3. Ser. 16-17, 1983-1984, 183-210 mit Fundliste karolingischer Schwerter in Jugoslawien S. 209-210 (20 Exemplare) und Fundkarte. E. B a k k a (wie Anm. 89) 48 ff.; J. Y p e y, Een HILTIPREHT- zwaard uit Elst (U.)? Westerheem 31, 1982, 48-52. 96 J . P e t e r s e n, De norske vikingesverd (1919) 6: Zahlenverhältnis zwischen Schwert, Lanze und Axt in Norwegen etwa 1500: 1000: 1200; H. Steuer, Historische Phasen der Bewaffnung nach Aussagen der archäologischen Quellen. Frühmittelalterliche Studien 4, 1970, 348-383: aus Norwegen sind aus der Wikingerzeit über 2000 Schwerter bekannt. Vom Typ Mannheim ist 1 Ex., vom Sondertyp 1 sind 9 Ex., vom Sondertyp 2 2 Ex., vom Typ K etwa 16 Ex., aber Ulfberht-Klingen rund 25 Ex. zu nennen (M. Müller-Wille,Müll Studien zur Sach- senforschung 3, 1982). Die gleiche Anzahl, 26 Ex., weist der Schwert-Typ S mit skandinavischer Griffausführung auf (M. Müller-Wille,Müll Offa 29, 1972, 102f.). Die genannten Schwertformen verteilen sich auf die Zeit vom späten B. bis ins 10. Jh. Ulfberht-Klingen werden über drei Jahr- Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 153

reich zu belegen, aber ob durch die Stücke Waffenhandel nachgewiesen werden kann, entzieht sich wohl der statistischen Überprüfung, zumal manche Waffen erst ein Jahrhundert nach ihrer Herstellung als Grabbeigabe in die Erde gekommen sind97 . Aufschlußreich ist jedoch, daß die verschiedenen karolingischen Waffen ungleichmäßig im Norden verbreitet sind, und daß sie nicht nur nach Nordosten, sondern auch zum Balkan hin über die Grenzen des Reichsgebietes hinaus transpor- tiert wurden (Abb. 13). Von den frühkarolingischen Schwerttypen sind, wie die Verbreitungskarten zei- gen, der sog. Typ Mannheim und der Sondertyp 2 (insgesamt liegen etwa 36 Exem- plare in Mittel- und Nordeuropa vor) vor allem in Ostskandinavien nachgewiesen, während die zeitgleichen Schwerter vom Sondertyp 1 und Biskupija-Medvedicka (insgesamt liegen etwa 26-30 Exemplare in Mittel-, Nord- und Südosteuropa vor) in größerer Anzahl in Norwegen und in Kroatien gefunden worden sind. Die jün- gere Schwertform K (mit insgesamt 40 Exemplaren vertreten) findet sich außerhalb des Karolingerreiches wiederum mehr im Westen, so in Norwegen und außerdem in Irland — wohl von Norwegen dorthin mitgebracht —, und schließlich wieder in Kroatien. Ein derartiger Unterschied in der Verbreitung ungefähr gleichzeitiger westlicher Schwertformen zeichnet sich wie zwischen West- und Ostskandinavien auch im Südosten Mitteleuropas ab: während Schwerter vom Typ K zahlreicher in Kroatien vorkommen, überwiegen im Großmährischen Reich westliche Schwerter vom Typ H98. Daß die Überlieferung von Waffen im schwedischen Bereich geson- dert betrachtet werden müßte, geht einerseits aus der Verbreitung des Schwerttyps S aus dem 10. Jh. hervor, der massiert in Norwegen und darüber hinaus in ganz Ost- europa gefunden wurde und nur in geringer Zahl auch in Mittelschweden (insge- samt liegen fast 80 Exemplare vor), und andererseits aus der Verbreitung der Klin- gen mit der Signatur Ulfberht (insgesamt fast 100 nachgewiesene Stücke liegen vor), die häufig in Norwegen, Finnland, den baltischen Ländern und in Osteuropa gefun- den wurden. Die Herkunft der Schwerter aus dem karolingischen Bereich beweisen neben den typischen Griff-Gestaltungen bei den frühen S 1-Schwertern Einlagen aus Metall- bändern im Tierstil auf Knauf- und Parierstange (Schwert von Steinsvik in Norwe- gen, Schwert aus dem Bootkammergrab von Haithabu, Schwert aus der Maas bei Aalburg), darunter auch anglo-karolingische Ornamentik. Schwerter vom Typ Mannheim tragen auf den Querstangen Rankenmuster oder eine Majuskelinschrift. Schwerter vom Typ K haben ebenfalls Rankenmuster, aber zudem in Majuskeln geschriebene Namen auf der Parierstange wie HILTIPREHT, HARTOLFR u.ä., die ins fränkische Gebiet weisen. Besonders qualitätvolle und ausgewogene Klingen

hunderte verwendet, Schwerter vom Typ S über ein Jahrhundert. — Die doppelte Ausrichtung des karolingischen „Waffenexports" wird besonders deutlich im Vergleich des Schwertes von Blatnica mit einer Parallele aus Norwegen: H. Arbman, Blatnica und Vaage. Pamätky Arch. 53, 1962, 331-338. 97 M. Müller-Wille, Bootkammergrab (wie Anm. 95); der s., Waffen und Bewaffnung (wie Anm. 95) 324f. 98 Z. V i n s k i (wie Anm. 95) 495f.: 4 Schwerter vom Typ II aus Jugoslawien und minde- stens 14 aus der CSSR, 10 Schwerter vom Typ K in Jugoslawien, aber nur 2 in der CSSR. 154 Heiko Steuer

Abb. 13: Vorkommen frühkarolingischer Schwerter: 1. Typ Mannheim, 2. Sondertyp 2, 3. Sondertyp 1 und Typ Mannheim-Speyer, 4. Typ Biskupija-Medvedicka, 5. Typ K, 6. Grenze des karolingischen Reiches (nach M. Müller-Wille und Z. Vinski). Aus dem karo- lingischen Reich sind Schwerter nach allen Richtungen, nach Nordwesten, Norden und Südosten exportiert worden, was vor allem die Schwerter der Zeit um 800 und aus dem frühen 9. Jahrhundert belegen (Typ Biskupija und Typ K). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 155 tragen die Klingeninschriften wie + VLFBERH + T, seltener INGELRII oder ver- ballhornte Schriftzüge wie EEEBRHT, INGEFLRII, NCN und andere Formen, die Schwertfegernamen als Qualitätsmarken zeigen wollen, wenn sie anscheinend auch nicht alle aus den Spezialwerkstätten im Mittelrhein-Maasgebiet kommen. Bei einem Schwert (aus der Nene, Cambridgeshire) steht auf der einen Seite ULFBERHT und auf der anderen INGEFLRII. Auf russischen Schwertern begeg- nen die Namenfragmente NRED ... ,CEROLT, LEUTLRIT, auf einem Schwert aus den Niederlanden der Name ADALFRIID. Die ältesten Ulfberht-Klingen sind mit Griffen der Zeit um 800 ausgestattet (Funde aus Kroatien), die meisten sind in Skandinavien mit Griffen des 10. Jh. versehen, und manche gehören nach den Grif- fen gar ins 11. oder 12. Jh. Wann der Export mit den Ulfberht-Klingen stattgefun- den hat, ob es sich um eine zeitliche begrenzte Aktivität handelte oder wie der Waf- fenhandel sonst organisiert war, ist dem Material vorerst noch nicht zu entnehmen, da Überlieferungsbedingungen (Flußfunde auf dem Kontinent, Grabfunde im Nor- den) und vor allem die Erhaltungszustände sowie die Konservierungsvorhaben zu unterschiedlich sind. Manch Beutewaffe wird in die Hände der Wikinger gefallen sein, die kroatischen Schwerter könnten in die Hand slawischer Krieger gelangt sein, weil sie auf karolingischer Seite an den Feldzügen gegen die Awaren teil- genommen hatten99. Umgekehrt wurden in Frankreich — in Gräbern von Nordleu- ten — skandinavische Schwerter gefunden, die also nicht auf dem Handelsweg hier- hergekommen sinds00. Auch finden sich Schwerter aus England in Norwegen, Schweden (die Funde von Vrängabäck und Dybäck) und Dänemarklos. Ob Damaszierung der Klinge allein schon Hinweis auf fränkisches Handelsgut ist, ist zu bezweifeln. Zwar sind gerade die fränkischen Schwerter von besonders guter Qualität102, aber dasmaszierte Waffen können natürlich auch im Norden her- gestellt worden sein103, beispielsweise in Norwegens04.

99 M. Müller - Will e (wie Anm. 95) Handelsgeschichte, 323 nach Z. V in s k i. 100 M. Müller-Wille, Das Schiffsgrab von der Ile de Groix (Bretagne) — Ein Exkurs zum „Bootkammergrab von Haithabu". Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 12, 1978, 48-84, Karten Abb. 11 und 12 auf S. 72 f., 74: „Von den etwa 70 frühmittelalterlichen Schwert- funden sind ... bei genauerer Prüfung kaum mehr als 10 Exemplare skandinavischer Herkunft; dies besagt allerdings nicht, daß nicht auch die anderen Schwerter kontinentaler oder insularer Machart von Normannen getragen worden sein können." 101 E. R o e s d a h 1, Viking Age Denmark (1982) 136; M. Müller -Wille, Krieger und Rei- ter im Spiegel früh- und hochmittelalterlicher Funde Schleswig-Holsteins. Offa 34, 1977, 40-74, hier 43 (Schwert vom Typ L im Schleswig etc.). — Zu angelsächsischen Schwertern in Skandinavien vgl. auch E. W a m e r s, Insularer Metallschmuck (wie Anm. 106) 50: „Je ein Schwert kommt von More og Romsdal und Oppland, fünf liegen aus Vestfold vor und wieder je eines ist aus Schwedens Uppland und von Island bekannt." 102 Vgl. R. T h o m s e n, Metallografische Untersuchungen einer wikingerzeitlichen Lanzen- spitze aus Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 5, 1971, 58-83, wo er 72 auf die fränkischen damaszierten Qualitätswaffen hinweist. 103 J. Y p e y, Damaszierung. In: Reallexikon der germanischen Altertumskunde Bd. 5 (1982-1984) 191-213, hat Belege für Damaszierung an Waffen nicht nur seit der Spät-Latene- Zeit, sondern auch für ganz Europa. 204 E. R o e s d a h l (wie Anm.101) 136. 156 Heiko Steuer

Insgesamt betrachtet ist jedoch mit einem Waffenhandel mit Schwertern und Lanzen seit der beginnenden Wikingerzeit bis weit ins 10. Jh. hinein zu rechnen, der einerseits intensiv Norwegen, andererseits die Gebiete der östlichen Ostsee und Gotland erreicht und für Schweden sicherlich nur wegen spezieller Überlieferungs- bedingungen lückenhaft erscheint loaa. Vielleicht sind die Schwerter in Fässern über die feuchte Grenze geschmuggelt worden. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Handelsgütern finden sich Waffen nicht in den Handelsplätzen, sondern schon in erster oder — bei hundert Jahre alten Schwertern -- gar zweiter Hand beim „Endverbraucher", wo sie als Grabbeigabe gefunden werden. Die zahlreichen Flußfunde markieren nun nicht etwa Handels- wege auf dem Wasser, sondern hängen mit anderen Bräuchen zusammen, die hier nicht näher besprochen werden könnenlo5. Trotzdem ist es befriedigend, daß durch die Flußfunde aus dem Rhein bei Mann- heim und bei Speyer Ulfberht-Schwerter im Bereich der alten Handelsroute gefun- den worden sind, auf der Weinfässer über Dorestad nach Haithabu verhandelt wur- den (Abb.14)105a.

Kontinentaler Metallschmuck im Norden

Über karolingischen und insularen Metallschmuck im Norden sind jüngst zwei Arbeiten erschienen, die neben der Materialvorlage auch der Frage nach den Ursa- chen des Transports der Gegenstände in den Norden nachgehen lo6. Rund 170 Katalog-Nummern, die manchmal mehr als ein Stück in einem geschlossenen Fund zusammenfassen, verzeichnen insulare Metallschmucksachen im Norden, denen nur gerade 50 Stücke vom Kontinent im Norden gegenüberstehen. Der insulare Import wird noch durch die Auflistung von rund 80 Bronzegefäßen und Eimern,

104a M. Müller-Wille, Ein neues ULFBERHT-Schwert aus Hamburg. Offa 27, 1970, 85: Nach Auskunft von W. H o l m g v i s t tragen zahlreiche Schwertklingen in schwedischen Museen Ulfberht-Inschriften. los Dazu allg. W. T o r b r ü g g e, Vor- und frühgeschichtliche Flußfunde — Zur Ordnung und Bestimmung einer Denkmälergruppe. Ber.RGK 51 / 52, 1970 /71, 1-146. 105a W. M e n g h i n (wie Anm. 95). Zusammenstellung der Schwerter mit damaszierter Klin- geninschrift sowie Parierstangenbeschriftung S.252: Hartolfr (Kilmainham, Irland), Hiltipreht (Ballinderry, Irland und Liepe Kr. Angermünde), Hliter (Gravräk und unbek. Fundort in Frank- reich). Das Schwert von Ballinderry, gefunden in der Siedlung, trägt außer der Parierstangenin- schrift Hiltipreht die Klingeneinlage Ulfberht. Zum Schwert aus dem Kr. Angermünde sollten noch die beiden Flußfunde von Görke und Menzlin im Kr. Anklam genannt werden, um den Waffenexport in die küstennahen slawischen Gebiete zu belegen: U. S c h o k n e c h t (wie Anm. 55) 229 Abb. 7 und B. Die Griffe der Schwerter von Kilmainham, Ballinderry, Giersvik, Gravräk und Liepe sind zudem mit karolingischen Rankenmustern verziert. 106 E. W a m e r s, Insularer Metallschmuck in wikingerzeitlichen Gräbern Nordeuropas. Untersuchungen zur skandinavischen Westexpansion. Offa-Bücher Bd. 56 (1985), darin auch ein Kapitel: Karolingischer Metallschmuck im winkingerzeitlichen Norden, 73 ff.; d e r s . , Ein karo- lingischer Prunkbeschlag aus dem Römisch-Germanischen Museum, Köln. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 9, 1981, 91-128, mit Karte (Abb. 14) der Verbreitung der karolingi- schen Schwertgurtbestandteile mit Pflanzenornamentik aus wikingischen Befunden. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 157

Abb. 14: Vorkommen von Schwertern mit ULFBERHT-Klingen (nach M. Müller-Wille): 1. Schwertfunde, 2. Grenze des karolingischen Reichs.

knapp 20 Trinkhornbeschlägen und 25 Gagatschmuckstücken ergänzt. Nach aus- führlicher Diskussion der Fundverbreitung und der Fundzusammenhänge sowie der Definitionselemente für Handel entscheidet sich E. Wa rners sowohl für die zahl- reichen insularen Metallschmucksachen im Norden als auch für die karolingischen gegen den Import auf dem Handelsweg und für den archäologischen Niederschlag umfangreicher Raubtätigkeit. Ehe dazu Stellung genommen wird, sei kurz das Spek- trum der verzierten Metallgegenstände vorgestellt. 158 Heiko Steuer

Der karolingische Metallschmuck besteht in der älteren Phase — der 2. Hälfte des B. und des 9. Jh. — aus im insularen Tierstil kontinentaler Prägung verzierten Objekten, die überwiegend in der zweiten Hälfte des B. Jh. entstanden sind 107. Die wenigen Exemplare wurden in Haithabu, im dänischen Bereich und in Birka gefun- den. Größer ist die Zahl der Objekte mit karolingischer Pflanzenornamentik, herge- stellt im frühen 9. Jh., die in Skandinavien im 9. und 10. Jh. in Gräber und Hort- funde gelangt sind. Sie haben zudem im Norden zu zahlreichen Nachahmungen geführt. Die Originalimporte — zumeist Bestandteile vom Schwertgehänge, z.B. kleeblattförmige, ovale und rechteckige Beschläge — sind im Norden zu Fibeln und Anhängern umgearbeitet worden. Nachahmungen in perfekter karolingischer Pflan- zenornamentik sind gleich als Fibeln hergestellt worden, wie die mitgegossenen Nadelkonstruktionen beweisen 108. Außerdem wurden sie in die skandinavische Tracht aus drei Fibeln eingereiht. Es wird sich um unmittelbare Abformungen bzw. Abgüsse karolingischer Vorbilder handeln. Ob die häufiger vorkommenden Schmuckstücke mit spiralförmiger Filigran- und Granulationsverzierung, die stili- sierte Pflanzenornamentik bilden, karolingischer Import oder eigene Produktion im Norden sind, ist nicht entschieden109. Die Vorbildwirkung jedoch ist bei vielen Stücken deutlich11°. Die Funde karolingischen Metallschmucks mit Pflanzenornamentik sind massiert in Haithabu und im dänischen Gebiet gefunden worden, locker gestreut an der nor- wegischen Süd- und Westküste, aber auch an der südschwedischen Westküste sowie mit einem Schwerpunkt wieder im Handelsplatz Birka. Nach E. Wamers entspricht die Zunahme der Funde in der zweiten Hälfte des 9. Jh. dem Anstieg der dänischen Raubtätigkeit im Frankenreich. Die in den Norden importierten insularen Zierstücke stammen einerseits aus dem sakralen Bereich — Schreine, Kreuze und ihre Beschläge — und andererseits aus profanem Zusammenhang. Hier sind es vor allem Zaumzeugbeschläge, dann

107 J Y p e y, Fundstücke mit anglo-karolingischer Tierornamentik in niederländischen Sammlungen. Berichten ROB 18, 1968, 175-191; E. W a m e r s (wie Anm. 106) 73 ff.; G. H a s e- 1 o ff, Zum Stand der Forschung über den Tassilokelch. In: Von Severin zu Tassilo. Bayernzeit in Oberösterreich. Ausstellungskatalog Linz (1977) 221-236. los T. C a p e l l e, Kleeblattfibeln und Zierketten. Fornvännen 63, 1968, 1-9; der s . , Die umgearbeiteten importierten Riemenbeschläge der Wikingerkultur. Fornvännen 69, 1974, 70-77; E. W a rn e r s (wie Anm. 106) 1981, 1985. 109 Import: T. C a p e l l e, Der Metallschmuck von Haithabu (1968) 36 fl.; M. Müller- Will e, Bootkammergrab (wie Anm. 95) 97 ff.; E. W a m e r s, 1985 (wie Anm. 106) 77 läßt die Antwort offen. 110 H. Vier c k, Mittel- und westeuropäische Einwirkungen auf die Sachkultur von Hai- thabu/ Schleswig. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 366-422 behandelt diesen Einfluß auf den Schmuck in Skandinavien für die karolingische und ottonische Zeit. M. Müll e r -Wille, Waffen und Bewaffnung. In: Handelplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 322 weist darauf hin, daß ein Schwert wie das von Steinsvik oder das aus der Maas bei Aalburg mit halbplastischer Einlage von Greiftieren auf Knauf und Parier- stange den nordischen „Greiftierstil" beeinflußt haben werden. N. F r a e n k e 1- S c ho o r 1, Caro- lingian with Plant Ornaments. Berichten ROB 28, 1978, 345-397 weist auf die Vor- bildwirkung ornamentierter Handschriften auch im Norden hin; auch Buchbeschläge aus dem karolingischen oder insularen Bereich sind in diesem Zusammenhang zu nennen, z. B. E. W a m er s 1985 (wie Anm. 106) 19. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 159

Trachtbestandteile wie Ringfibeln und Gürtelteile — Schnallen und Riemenzungen —, wovon manches umgearbeitet worden ist, so die Schreinbeschläge zu Gewichten. Eindrucksvoll belegen die von E. Wamers vorgelegten Karten den auf die gesamte norwegische Küste, einschließlich der Fjorde begrenzten insularen Import, der mit wenigen Ausnahmen darüber hinaus massiert nur in den Handelsplätzen Haithabu, Lund und Umgebung sowie Birka vorkommt, hier jedoch erst seit dem 9. Jh., wäh- rend die norwegische Westküste zwischen Bergen und Trondheim auch Funde der Zeit vor und um 800 aufweist (Abb. 15)111. Das gleiche Verbreitungsbild weisen übrigens auch die insularen Bronzegefdße und Eimer auf. Die Einfuhrrichtungen unterscheiden sich deutlich, insularer Import im westlichen Norwegen, karolingischer Import in Dänemark. Beide Importgruppen erreichen in Schweden nur den Handelsplatz Birka in größerem Umfang. Der karolingische Import markiert jedoch neben dem Handelsweg von Haithabu nach Birka auch den Weg an der schwedischen Westküste nach Süd- norwegen. Diese Handelswege sind — wie mehrfach schon erwähnt — nicht neu, sondern führen alte Traditionen fort. Wie eine Karte, von H. Vierck erarbeitet (Abb. 16), ausdrückt, sind schon im 6./7. Jh. alle dem insularen Bereich gegenüberliegenden Küsten dicht mit Metallfunden aus England bestückt112, die Funde erreichen auch das dänische Gebiet, Süd- und Mittelschweden — mit Helgö — sowie Gotland. H. Jankuhn hat in mehreren Karten die Wege vom karolingischen Raum in den Nor- den veranschaulicht (Abb. 17)113. Daß die westlichen und kontinentalen Importströme in den Norden zwei Haupt- handelsrichtungen anzeigen, einmal vom Süden bzw. Westen nach Westnorwegen, das andere Mal vom Süden nach Schweden und zu den anderen Ostseeanrainern,

111 Zum westlichen Import nach Skandinavien vgl. auch die Arbeiten E. B a k k a, Scandina- vian Trade Relations with the Continent and the British Isles in Pre-Viking Times. Early Medie- val Studies 3. Antikvarisk arkiv 40, 1971, 37-51; Charlotte B 1 i n d h e i m, Trade Problems in the Viking Age. Some Reflections on Insular Metalwork Found in Norwegian Graves of the Viking Age. In: Th. Anders s o n u. a., The . Proceedings of the Symposium of the Faculty of Arts of Uppsala Univ. 1977 (1978) 166-176; C.J. S. M a r s t r a n d e r, Et nytt vikinge- tidsfunn fra Romsdal med vesteuropeiske importsaker. Viking 26, 1963, 123-159. 112 H. Vierck,Vier Eine angelsächsische Zierscheide des 7. Jh. n. Chr. aus Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 12, 1978, 94-109, Karte Abb. 7; ders. auch in: Handels- plätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 382 Abb. 178; zu den älteren völkerwande- rungszeitlichen Beziehungen vgl. auch J. Hines, The Scandinavian character of Anglian Eng- land in the pre-Viking period. BAR British Series 124 (1984). 113 H. Jankuhn, Das Abendland und Skandinavien im 8. Jahrhundert. In: Settimane di stu- dio del Centro italiano di studi sull' alto medioevo XX — Spoleto (1973) 535-570; ders., Das Abendland und der Norden. In: Das Erste Jahrtausend Textband II (1964) 821-847. Unter den Importen sind Schlüssel, die im Zusammenhang mit der frühen Mission gesehen werden, vgl. auch B. A l m g r e n, Bronsnycklar och djurornamentik vid övergangen fran Vendeltid till Vikin- gatid (1955); W. Holm qv i s t, Was There a Christian Mission to Sweden before Ansgar? Early Medieval Studies 8. Antikvarisk arkiv 57, 1975, 33-55; vgl. auch P. Schmid, Friesische Grä- berfelder und das Verhältnis ihrer Funde zur Sachkultur im Karolingerreich und in Skandina- vien. In: Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen an Siedlungen im deut- schen Küstengebiet, Bd. 1, Ländliche Siedlungen (1984) 361-377 mit Karte Abb. 134 Verbreitung verzierter Schlüssel. 160 Heiko Steuer

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Abb. 15: Der» Handel" mit Metallschmuck: 1. Insularer Metallschmuck der Wikingerzeit in Skandinavien (nach E. Warners), 2. Karolingischer Metallschmuck in Skandinavien und im östlichen Mitteleuropa (nach E. Warners und T. Capelle), 3. Karolingisches Reich. Die Einflußbereiche" lassen getrennte Wirtschaftsräume in West- und Ostskandinavien erkennen. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 161

Abb. 16: Handelsverbindungen im 6./7. Jahrhundert: Kontinentale Gläser in Skandinavien (nach G. Arwidsson) 1. ein bis zwei Gläser, 2. drei und mehr Gläser; angelsächsische Funde außerhalb Englands (nach H. Vierck) 3. ein bis zwei Funde, 4. drei und mehr Funde, 5. Kopien im Norden viele Funde, 6. Kopien im Norden einzelne Funde, 7. das Herkunftsgebiet. 162 Heiko Steuer

Abb. 17: Verbreitung kontinentaler verzierter Bronzeschlüssel (nach B. Almgren). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 163 ergibt sich auch aus der Verteilung von Metallschmuck, der im Norden selbst herge- stellt worden ist. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, daß die Britischen Inseln — vor allem im 10. und frühen 11. Jh. — durch die westlichen Eroberungen der Wikinger zum Norden hinzugerechnet werden müssen. Handelsplätze wie York oder Dublin sind „westskandinavische" Handelsplätze114. So wie importierter karolingischer Metallschmuck mit Pflanzenornamentik über- wiegend in Westskandinavien verbreitet ist, finden sich die ersten nordischen Nach- ahmungen, Kleeblattfibeln der Typen JP 85 und 87, für die eine Gußform in Hai- thabu gefunden worden ist, ebenfalls nur im Zuge der westlichen Handelsroute zum Norden115. Dagegen haben beispielsweise Scheibenfibeln vom Typ Terslev eine ausgesprochene östliche Verbreitung, auf den dänischen Inseln, entlang der südöst- lichen schwedischen Küste bis nach Gotland und Birka. Diese Fibeln gehören aber schon dem 10. Jh. an116. Auch ihre Nachahmungen, wofür eine Gußform aus Hai- thabu bekannt ist, haben dieselbe Verbreitung (Abb. 18 und 19). Es wird noch dar- auf zurückzukommen sein, daß innerskandinavische Schmuckarten unterschiedliche Verbreitungsräume einnehmen. Unterstützt wird diese Beobachtung auch durch die Verbreitung der karolingisierenden, in Haithabu und in von dort abhängigen Münz- prägestätten entstandenen Münzen, die kaum in Norwegen, dafür häufig in Schwe- den, auf Gotland und darüber hinaus massiv auch im westslawischen Bereich süd- lich der Ostsee gefunden wurden. Dies ist kein von der Fundsituation abhängiges Bild, da Hortfunde durchaus auch in Norwegen vorkommen117. Zur Bewertung des karolingischen Imports an Metallschmuck im Norden ist auch ein Blick auf die entsprechenden Funde südöstlich außerhalb der Reichsgrenzen zu werfen. Karolingische Waffen und Schmuckstücke, vorwiegend wieder Schwert- gurtbeschläge, wurden auch in größerer Anzahl im Gebiet des Großmährischen Reiches und seiner Einflußzonen gefunden118. Auch der südlich anschließende

114 R. A. H a 11 (Ed.), Viking Age York and the north. The council for Britisch Arch. Research Report No. 27 (1978): Anglo-Scandinavian York 876-1069; A n n g r e t S i m m s, Frühe Ent- wicklungsstufen der europäischen Seehandelsstädte auf dem Hintergrund ethnischer Überlage- rungen, dargestellt am Beispiel von Dublin in Irland. In: Lübecker Schriften zur Archäologie und Kulturgeschichte 5, 1981, 113-126. 115 H. Jankuhn, Das Bronzegießerhandwerk in Haithabu. In: La formation et le developpe- ment des metiers au Moyen Age (Ve- XIVe Siecles). Colloque International Budapest 1973 (1977) 27-40, Karte Abb. 3. 116 H. Jankuhn, Sechs Karten zum Handel des 10. Jh. im westlichen Ostseebecken. Arch. Geographica 1, 1950, 8-16, Karte 1; T. C a p e l l e, Der Metallschmuck von Haithabu (1968) Karte 30 und 31. Was für Kleeblattfibeln gilt, läßt sich auch für andere Schmucksachen aus den Kartenbildern ablesen. Schalenspangen der Typen JP 13-15 sind vor allem westlich verbreitet (9. Jh.), auch JP 23 /24. Dreiblättrige Fibeln von Typ JP 97 sind im ganzen Norden nachgewie- sen, vom Typ der Askafibel wiederum nur in Haithabu und Schweden. Schalenspangen vom Typ JP 37,3 aus dem fortgeschrittenen 9. Jh. sind gemeinnordisch, häufiger jedoch in Westskandina- vien, und die Abart 37,3 (Rundelart) kommt nur in Norwegen vor, vgl. T. Cape 11 e, a.a.O. Karte 26 und 27. Die Beispiele ließen sich vermehren. 117 B. M a l m e r, Nordiska mynt före Ar 1000 (1966). 118 T. C a p e l i e, Karolingischer Schmuck in der Tschechoslowakei. Slovenskä Arch. 16, 1968, 229-244, Karte 1 Verbreitung des karoling. Schmucks, Karte 3 Verbreitung der karolingi- schen Schwerter; H. Jankuhn, Der Handel zwischen Großmähren und dem Frankenreich. In: Großmähren — Slawenreich zwischen Byzantinern und Franken (1966) 81-84. 164 Heiko Steuer

Abb. 18: Verbreitung von verschiedenen Typen von Kleeblattfibeln im Norden (nach H. Jankuhn und T. Capelle): 1. JP 85 und 87, 2. JP 90. Ein westlicher und ein östlicher "Wirtschafts- oder Verkehrsraum" werden im 9. Jahrhundert durch die schwerpunktmäßig unterschiedliche Verbreitung umrissen. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 165

Abb. 19: Verbreitung von Kleeblattfibeln und Terslev-Spangen des 10. Jahrhunderts (nach T. Capelle): 1. Kleeblattfibel JP 97, 2. Terslev-Spangen aus Edel- oder Buntmetall, 3. Terslev-Spangen als Imitationen. Die Verbreitung der Schmuckarten läßt auch für das 10. Jahrhundert einen westlichen und einen östlichen Verkehrsraum erkennen, und der östliche ist wiederum zweigeteilt in einen äußeren Bereich im Zuge der internationalen Handelswege und einen inneren Bereich, in dem statt Originale nur einfache Imitationen zu erwerben waren. 166 Heiko Steuer

Ostalpenraum hat westliche Funde erbracht119. Im Zusammenhang mit dem Waf- fenhandel wurde auf die kroatischen Funde aus dem Westen schon eingegangen12o. Abschließend muß auf die Frage, ob der Niederschlag dieser Metallschmuck- sachen Handel oder Beutezüge widerspiegelt, eingegangen werden. Bei den Waffen- und Schwertgurtteilen ist auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß Söldner- wesen für die Verbreitung der Stücke gesorgt hat. E. Wamers zieht als Beweis für Raubgut die Verbreitung wikingerzeitlicher Waagen in Norwegen heran121 . Die Verbreitung der Gräber mit Waagen ist eine andere als die der Gräber mit insularem Metallschmuck. Waagen werden als Abzeichen des Händlers und des Handels ange- sehen, die Herstellung des größten Teils der in Norwegen gefundenen Waagen in England angenommen. Da nun Waagen in Landschaften wie Nordland, Aust-Agder und Ostfold verstärkt nachgewiesen sind, da das zeitliche Verhältnis und die geschlechtsgebundene Zugehörigkeit gegenüber dem Metallschmuck geradezu umgekehrt sei, schließt Wamers, daß die Raubzüge zunehmend von Handelsaktivi- täten abgelöst würden und daß innerhalb Norwegens eine Schwerpunktverlagerung stattgefunden hätte, indem der gesamte Südwesten im 104h. kaum noch im Westen aktiv gewesen sei, der Norden und das Gebiet um um so intensiver. Die Rolle der Geldwaagen kann hier nicht ausführlich diskutiert werden, doch so viel sei dazu bemerkt: Edelmetallwaagen zeichnen nicht nur den Fernhändler aus, sondern wer- den von allen benutzt, die mit Silbergeld kaufen und verkaufen, also auch im loka- len Wirtschaftsgefüge; die Feinwaagen sind nur zu einem verschwindenden Teil in England hergestellt, sondern sind Produkte östlichen Einflusses und erscheinen überhaupt erst am Ende des 9. Jh. im Fundmaterial — die wenigen älteren Exem- plare gehören in einen anderen kulturgeschichtlichen Zusammenhang. Die Grab- beigabe Waage kann demnach zur Entscheidung, ob Metallschmuck als Raubgut oder Handelsware ins Land gekommen ist, nicht beitragen 122. Eher ist ein zweiter Aspekt zu berücksichtigen123. Sognnes weist darauf hin, daß weniger die Bewohner der Küstenzone selbst, die zumeist Fischer gewesen sind, Anteil am Import hatten, sondern vielmehr die in den inneren Arealen an den Fjorden lebenden Großbauern. Während die Fischer durch ihre Tätigkeit kaum einen Überschuß erwirtschaften

119 J. G i e s l e r, Zur Archäologie des Ostalpenraumes vom B. bis 11. Jh. Arch. Korrespon- denzblatt 10, 1980, 85-98, Abb. 6 mit Vorkommen westlicher Schmuckformen und der Grab- beigabe karolingischer Spathen. Auch die im anglo-karolingischen Stil verzierten Riemenzungen, z. T. zu Sporen oder Waffengurten gehörend, die im Südosten gefunden worden sind, gehören in diesen Zusammenhang: Ulrike G i e s 1 e r, Datierung und Herleitung der vogelförmigen Rie- menzungen. Ein Beitrag zur Archäologie der frühen Karolingerzeit. In: Studien zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie II (Werner-Festschrift) (1974) 521-543. Dabei kann der Streit um die Datierung ins späte B. oder in die erste Hälfte des 9. Jh. hier unberücksichtigt bleiben; vgl. J. Werner, Zur Zeitstellung der altkroatischen Grabfunde von Biskupija-Crkvina (Marien- kirche). Schild von Steier 15/16, 1978/79, 227-237. 129 Z. V i n s k i, Novi ranokarolinski nalazi v Jugoslavii (Frühkarolingische Neufunde aus Jugoslawien). Vjesnik Archeoloskog Muzeja u Zagrebu 3. Ser. 10-11, 1977/78; d e r s . (wie Anm. 95). 121 E. Wamers (wie Anm. 106) 1985 Karte 10 und 11, 61 ff. 122 H. Steuer (wie Anm.41). 123 K. Sog n n e s, The relationship between coastal and inland areas in the Viking period of West Norway. Acta Arch. 50, 1979 (1980), 223-233. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 167 konnten, der es ihnen ermöglichte, Waffen und Schmuck fremder Herkunft zu kau- nützten die Bauern an den Fjorden ÜberschußÜberschuß aus der Landwirtschaft und Rohstoffgewinnung — Eisen und Speckstein — zum Erwerb dieser Dinge. Zudem vermittelten sie die Ergebnisse der Jagd im Gebirge — Felle und Pelze — an die Kaufleute. Diese fuhren, da Marktplätze unmittelbar an der Küste anscheinend nicht bestanden, direkt von England über die Shetlands und Orkneys in die Fjorde ein. Die Modelle Handelsgut und Beutegut stehen also fair die Interpretation der importierten Metallschmucksachen nebeneinander. Abschließend sei ein weiteres Modell für die Deutung der Verbreitung von Metallschmuck erläutert, das aufgrund neuer Ausgrabungsergebnisse in Schweden entworfen werden konnte. Es wurde darauf hingewiesen, welche Verbreitung Schmuckstücke, für die eine Gußform aus Haithabu bekannt ist, erfahren haben, die dann als Handelsgebiet interpretiert wurde. Für die vendelzeitliche Schmuck- produktion des Platzes Helgö in Mittelschweden, auf dem einige tausend Bruch- stücke von Gußformen für Metallschmuck gefunden worden sind, konnten Verbrei- tungskarten für den gesamten skandinavischen Raum erstellt werden, die scheinbar die Herkunft spezieller Fibelformen aus Gußformen in Helgö belegten124. Helgö wurde als zentraler Handwerkerplatz — organisiert vom zentralen schwedi- schen Königtum in Mittelschweden — angesehen, der nicht nur für das Konsumen- tengebiet rund um den Mälar mit seiner dichten Besiedlung produzierte, sondern dessen Produkte bis nach Finnland, Nordschweden und Norwegen verhandelt wur- den. Ausgrabungen beispielsweise im nordschwedischen Ort Gene 125 haben nun zahlreiche Gußformreste für Bügelfibeln und andere Gegenstände erbracht, die die gleichen Typen verkörpern wie Funde aus Helgö. Nach gleichem Verfahren wie in Helgö wurden in der Siedlung Gene Schmuckstücke hergestellt, in "domestic casting" für den eigenen Bedarf und vielleicht auch für den Tausch. Schon W. Holmqvist hatte geschrieben, daß Helgö zwar im Brennpunkt der Schmuckpro- duktion in Skandinavien zur Vendelzeit gestanden habe, daß aber von dort aus andere Werkstätten in Västeräs oder im Österbotten angeregt worden seien. Ram- qvist stellt nun die Funde von Gußformen als Reste von "domestic casting" zusammen126, gibt auch ein Beispiel, daß Fibeln zu einer Gußform aus Gene in acht

124 Kristina Lamm, The character and function of the settlement. Excavations at Helgö VIII (1982) 1-6 mit älterer Lit.; W. Holmqvist,Holm Relief Brooches. In: Excavations at Helgö IV. Workshop Part I (1972) 230-255 mit Verbreitungskarten. 125 P. H. R a m q v i s t, Gene. On the origin, function and development of the sedentary Iron Age settlement in Northern Sweden (1983). 126 P. H. R a m qv is t (wie Anm. 125): Gußformreste gibt es auf allen Nordlandsiedlungen (Trogsta; Högom; Gene), in der Nachbarschaft von Helgö (Darsgärde; Bäckby bei Västeras mit 5-6 Liter Gußformen und 2-3 Liter Tiegelresten); Torslunda auf Oland; vier Siedlungen in Rogaland/Südwest-Norwegen; Ullandhaug in Südwest-Norwegen; Augland, Kristiansand, Süd- norwegen; Hofstelle Modvo, Indre Sogn; Greipstad auf Kvaloya, Tromso, Nordnorwegen — manche Gußformen sind nicht aus Ton, sondern aus Speckstein. — Ein gutes Beispiel ist die Gußform für eine Kleeblattspange, gefunden in York — A. MacGregor, Industry and com- merce in Anglo-Scandinavian York. In: R.A. H a 11, Viking Age York and the north (1978) Fig. 24,8 und S.42 —, die allgemein verbreitet in Scandinavien vorkommt. Es könnte sich um eine Form für Askafibeln handeln, die nach T. Cape 1l e, Der Metallschmuck von Haithabu (1968) Karte 15 vor allem in Schweden gefunden worden sind. Nach C a p e l l e S.46 sind alle aus verschiedenen Gußformen, während P. Olsen, Tor 9, 1963, 189 die ihm bekannten von 168 Heiko Steuer

Exemplaren von finnisch Lappland bis Rogaland gefunden worden sind, also eine gewaltige nordische Verbreitung haben. Doch gibt es immer Details an diesen Relieffibeln, die doch nicht im Gußformrest vorgegeben sind. Während nun Ram- qvist neben Helgö zahlreiche weitere Werkstätten annimmt, von denen aus Schmuck verhandelt worden sein soll, möchte ich reisende Handwerker annehmen, die mit einem Satz von Modeln oder auch von in Formlehm abdrückbaren Fibeln, in festem Turnus umherziehen und je nach Bedarf Schmuck produzieren, d.h. nicht die Objekte sind von einem zentralen Platz wie Helgö aus verhandelt worden, son- dern die Musterstücke sind mit den Handwerkern transportiert worden und haben durch deren Tätigkeit in vielen Siedlungen Werkstattreste hinterlassen. Auf die Nachahmung karolingischer Importe im Norden ist schon hingewiesen worden, die auf dem eben geschilderten Weg entstanden und auch verbreitet wor- den sein können; ebenfalls wurde einleitend auf den Fund einer ganzen Model- Kollektion im Hafen von Haithabu eingegangen.

Handel mit Textilien

Der Handel mit Textilien hat in der bisherigen Diskussion um Warenaustausch zwischen Westeuropa und dem Norden eine große Rolle gespielt. Die friesischen Tuche, sog. pallia fresonica wurden als das Handelsgut angesehen. Ob mit pallia fre- sonica nun in Friesland hergestellte Tuche oder aber von Friesen verhandelte Tuche gemeint waren, läßt sich nicht entscheiden. Es ist aber keine Frage, daß im friesi- schen Gebiet Tuche, auch guter Qualität, produziert worden sind. Das haben archä- ologische Ausgrabungsergebnisse belegen können, so durch die Stoff-Funde in der Wurt Hessens. Ermoldus Nigellus spricht in seinem Gedicht von bunten Stoffen, die friesische Kaufleute ins Elsaß brachten und dort gegen Holz, Getreide und Wein verhandelten. Auch sind die Abgaben großer Mengen von Tuchen aus Fries- land an Klöster wie Werden und Fulda überliefert. Schließlich schenkt Karl d. Gr. pallia fresonica dem Harun al Raschid127. Die Quellen sprechen durchaus davon, daß Friesen flandrische und englische Stoffe verhandelt haben. Golddurchwirkte Stoffe, Gold-Brokat sowie Seide im fränkisch-deutschen Gebiet und auch im dänischen York mögen aus der Mittelmeerwelt direkt dorthin verhan- delt worden sein. Diese kostbaren Stoffe können dann auch von Westeuropa in den skandinavischen Norden, beispielsweise nach Birka exportiert worden sein. Aber mehr spricht dafür, daß diese kostbaren Textilien — die immer ein zentrales Han- delsgut waren und noch im hohen Mittelalter zu den wertvollsten Gütern gehörten,

Aska, Birka und Kullbacken für gußformgleich hält; vgl. auch I. J a n s s o n, Economic aspects of fine metallworking in Viking age Scandinavia. In: Economic aspects of the Viking Age, ed. D. M. Wilson, M. L. Caygill. , Occasional Paper No. 30 (1981) 1-19. 127 Allg. zum Handel mit friesischen Tuchen H. Jan k u h n, Haithabu, ein Handelsplatz der Wikingerzeit (4. Aufl. 1963) 188-193. Fulda erhielt z. B. jährlich 855 Mäntel; dazu vgl. auch: St. Lebec q, Marchands et navigateurs Frisons du haut Moyen Age. 1 Essai, 2 Corpus des sour- ces ecrites (1983). Zu den pallia fresonica vgl. D. C 1 au d e, Aspekte des Binnenhandels im Mero- wingerreich auf Grund der Schriftenquellen. In: Untersuchungen zu Handel- und Verkehr der vor- und frühgeschichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa T. III (Göttingen 1985.) Anm. 447. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 169 die vererbt wurden — von Byzanz direkt über den russischen Raum in den Norden gebracht worden und vielleicht gar von dort weiter in den Westen gekommen sind128. Eine wichtige Quellenbasis zum Textilhandel bildeten bisher vor allem die Grab- funde beim Handelsplatz Birka, die 1938 erstmals von Agnes Geijer umfassend auch unter der Fragestellung Handel publiziert worden sind. Nun hat sie erneut 1980 zu ihrer damaligen Arbeit Stellung genommen und die im Laufe der Jahre erschienene Literatur auf dem Hintergrund neuer archäologischer Quellen diskutiert129. Bis auf einige grobe Wollstoffe, die am Ort hergestellt worden sein mögen, ist die Masse — so noch ihre heutige Meinung — der feinen, sehr gleichartig gewebten Stoffe in einem oder wenigen spezialisierten Manufakturzentren herge- stellt worden. Hohe Qualität der Wolle, perfekte Organisation der Spinner und Weber, haben jedenfalls eine gleichbleibende hohe Qualität garantiert. Im Jahr 1938, als sie diese These zuerst formulierte, gab es weder ausreichende Vergleichs- funde, noch genug ,technologische` Untersuchungen des Materials, das nur unter speziellen Erhaltungsbedingungen wie hohe Bodenfeuchtigkeit oder Konservie- rungsmöglichkeiten durch Schmuckmetall auf uns kommen kann. Nur an wenigen anderen Plätzen war neben bzw. anstelle der groben Wollstoffe feines Kammgarnge- webe entdeckt worden, so im Oseberg-Grab in Norwegen, in dem norwegischen Fund von Hyrt, in Östergötland, aber später wurden sie außerdem im Handelsplatz Kaupang entdeckt, in wenigen Grabfunden auch in Haithabu und schließlich schon aus der Vendelzeit in einem Fund von Källby in Schonen und auf dem bekannten Gräberfeld von Valsgärdel3o. Unter dem Eindruck der schriftlichen Überlieferung vermutete A. Geijer in diesen feinen Stoffe die pallia fresonica. Martha Hoffmann lehnte 1964 aufgrund eigener Forschungen diese friesische Herkunft ab, schloß aus, daß in Friesland zu jener Zeit derart perfekte Tuche gewebt worden sein konnten, und meinte, die Kammgarnstoffe aus Birka und Oseberg könnten nur aus dem Orient, aus Syrien importiert sein 131 . Doch könnten durchaus friesische Händler diese Stoffe als pallia fresonica im nordwestlichen Europa verhandelt haben. Schon A. Geijer hatte eine Unterscheidung in ältere und jüngere Formen der Kammgarnstoffe vorgenommen, die älteren gefunden im Oseberggrab und in Birka, die aus Syrien stammen sollten, und die jüngeren, die in Schweden gefunden, aber in England oder Frankreich gewebt worden sein könnten. Ein besonderer Diamant- Köper — Kammgarnstoff wird unter dem Terminus haberget, haubergie in engli-

128 Zum Goldbrokat in der Merowingerzeit E. Crowfoot, S. Chadwick H a wk e s, Early Anglo-Saxon Gold Braids. Medieval Arch.11, 1967, 42-86 mit Karte für Westeuropa. Zum Goldbrokat der Wikingerzeit A. Geij er, Birka III. Die Textilfunde aus den Gräbern (1938); Parallelbefunde in Birka und Haithabu H.-J. H u n d t, Ein eisernes Truhenschloß und Textil- reste aus einem Kammergrab in Haithabu. Jahrb. RGZM 13, 1966, 308 ff. Zur Seide im Norden A. Geij er a.a.O.; chinesische Seide in Birka B. N e r ma n, Der Norden 15, 1938, 385; Seide in York A. MacGregor, Industry and commerce in Anglo-Scandinavian York. In: R. A. Hall, Viking Age York and the north. The Council for British Archaeology. Research Report No. 27 (1978) 37-57, hier 40. 129 A. Geij er, The Textile Finds from Birka. Birka III. Die Textilfunde aus den Gräbern, revised by the autor. Acta Arch. 50, 1979 (1980), 209-222. 130 H. Jankuhn (wie Anm.127) 190f. 131 Martha Hoffmann, The warp-weighted loom (1964). 170 Heiko Steuer schen und französischen Quellen des 12./13. Jh. genannt und ist ebenfalls im archäo- logischen Material Schwedens — Grab von Leksand — gefunden worden132. Bei der Seide, von der in 45 Gräbern Birkas Reste nachgewiesen werden konnten, führte der Handelsweg vom Osten nach Mittelschweden. Im Zuge dieser Handels- verbindungen, die Silber in großem Umfang und auch das ganze Währungssystem von dort hergeführt haben, sind nach A. Geijer auch die in ebenfalls etwa 45 Grä- bern nachgewiesenen Leinenstoffe importiert worden. Inga Hägg hat 1974 die Stoffreste in den Birka-Gräbern erneut und vor allem unter trachtgeschichtlichem Aspekt untersucht133. Sie leitet nicht nur die Stoffe, sondern den Zuschnitt der Kleidung selbst aus dem russischen Raum um Kiew her. Auch beim Goldbrokat ist zu differenzieren: Die Brokate, die in Westeuropa gefunden sind, unterscheiden sich in ihrer Machart eindeutig von denen, die in Birka ausgegraben worden sind. Die westliche Technik der Brokatherstellung hat Theophilus beschrieben als aurum battutum (Goldlahn), das ist dünnes Goldblech in feinste Streifen geschnitten, die dann um Leinen- oder Woll- bzw. Seidenfäden gesponnen wurden. In Birka besteht der Brokat aus solidem feinen Gold- bzw. auch Silberdraht. In Form von Applikationen und Posamenteriearbeiten wurde das Mate- rial im Norden selbst verarbeitet. In Form von Stickerei aber ist die orientalische Herkunft, zumal in Verbindung mit Seide naheliegend. Während A. Geijer früher die in Brettchen-Weberei entstandenen reich gemuster- ten Borten als heimische Produktion ansah, glaubt sie jetzt ebenfalls an einen Import aus Rußland oder Byzanz134. Die Reste kostbarer Stoffe beispielsweise aus dem Kammergrab 5 von Haithabu, darunter Goldbrokat, lassen sich heute dem westlichen Handelsraum zuweisen; wie hier üblich besteht die Goldbrokatborte aus geschnittenen Goldblechstreifen, die um die Textilfäden gewickelt sind, also aus Goldlahn. Dagegen enthält das von den Beigaben her mit Kammergrab 5 vergleich- bare Kammergrab 750 von Birka ebenfalls Goldbrokat, aber nicht als Goldlahn, sondern mit Golddraht als Schuß. Bei diesem Stand der Forschung war ein Handel mit qualitätsvollen Textilien von den westlichen Ländern in den Norden nicht mehr nachweisbar. Die neuesten Untersuchungen haben dieses Bild bestätigt. Anne Stine Ingstad hat 1980 vom Blickwinkel des norwegischen Forschers die Frage nach den pallia fresonica erneut gestellt und neben der Möglichkeit einheimischer Produktion vor allem wieder auf englische Herkunft der feinen Tuche in den reichen norwegischen Gräbern wie Oseberg und Gokstad und in den Marktzentren wie Kaupang und Birka hingewie- sen, weil gerade diese Gräber mit feinen Textilien auch anglo-irischen Metall- schmuck und andere Bronzen von dort enthalten haben 135. Inzwischen hat Lisa

132 Margareta No c k e r t, A Scandinavian Haberget? In: Cloth and Clothing in Medieval Europe. Essays in Memory of E. Carus-Wilson (1981). 133 Inga Hägg, Kvinnodräkten i Birka. Livplaggens rekonstruktion pa grundval av det arke- ologiska materialet. Archaeological Studies Uppsala University, Institute of North European Archaeology 2 (1974). 134 A. Geijer (wie Anm. 129): Diese Meinung wird durch die Funde von Durham in Eng- land und Maeseyck in Belgien bestätigt, exakt datiert 905 /916 bzw. 850, die in ganz anderer Art hergestellte Borten, zusammen mit westlichem Goldbrokat, enthalten haben. 135 Anne Stine Ingstad, „Frisisk klede?" En diskusjon omkring noen fine tekstiler fra yngre jernalder. Viking 43, 1980, 81-95. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 171

Abb. 20: Verbreitung unterschiedlicher Gewebearten bei Textilresten aus archäologischen Funden (nach Lise Bender Jorgensen): 1. Birka-Typ ca. 600-1000, 2. Elisenhof-Typ ca. 400-1000. Die Größe der Signaturen gibt die Fundhäufigkeit an. 172 Heiko Steuer

Bender Jorgensen archäologisches Material in Nordwestdeutschland und Skandina- vien aus einem größeren Zeitraum in großen Stückzahlen gesammelt und analysiert (Abb. 20)136. Das Ergebnis ist die Unterscheidungsmöglichkeit zweier Gewebearten, die sie als Elisenhot-Typ (nach der Wurt Elisenhof in Eiderstedt) und als Birka-Typ bezeichnet, wobei ersterer von etwa 400 bis 1000 nachgewiesen ist und letzterer von etwa 600 bis 1000. Kartierungen belegen das Vorkommen des westlichen Elisenhof- Typs an der südlichen Nordseeküste, in Ostengland sowie den Rhein stromaufwärts bis ins Voralpenland, während der nördliche Birka-Typ rundum an den Küsten Westnorwegens häufig ist, aber auch auf Gotland und in Mittelschweden vorkommt mit über 40 Belegen in Birka. Die Uberlappungen sind gering: nur einige Fund- punkte des Elisenhof-Typs sind in Skandinavien und ebenfalls nur einzelne des Birka-Typs sind in Norddeutschland nachgewiesen. Die 40 Stoffreste aus Birka, frü- her als Friesentuch interpretiert, dann als östlicher Import, werden nun als Nieder- schlag einheimischer und zwar in Norwegen anzusiedelnder Textilproduktion ange- sehen. Ein nach Norden gerichteter Handel mit pallia fresonica hat demnach nicht stattgefunden, während die Grundlage im archäologischen Material für einen derar- tigen Handel im westlichen Mitteleuropa stark gewachsen ist. Dabei gilt es festzu- halten, daß die Stoffe vom Birka-Typ von deutlich höherer Qualität, d.h. Feinheit sind, als die Stoffe vom Elisenhof-Typ, die nun als pallia fresonica angesprochen werden müßten. Dabei waren in früherer Zeit, dem 6./7. Jh. fränkische westliche Stoffe höchster Qualität nicht nur in den Fürstengräbern unter dem Kölner Dom und in gefunden worden, sondern auch in Skandinavien, so auf Born- holm und in Grab 7 von Valsgärde. Eine Änderung im Textilimport nach Schwe- den hat also im B. Jh. stattgefunden. Jetzt beherrscht Stoff vom Birka-Typ den Han- del, der vor allem in den Marktplätzen Kaupang, Haithabu und Birka sowie in den norwegischen Königsgräbern vorkommt, und zwar in drei Qualitäten in Norwegen und nur in den beiden besseren Qualitäten z.B. in Birka.

Handel mit dem Rohstoff Speckstein

Wie bei den Textilien, so findet mit dem skandinavischen Rohstoff Speckstein ein Handel nur innerhalb der großen Wirtschaftsräume statt, und nur manchmal — in den überregional bedeutenden Handelsplätzen — gelangen derartige Güter über die Grenzen hinaus. Speckstein, ein Mineral, das sich im bergfrischen Zustand leicht schneiden läßt, beim Austrocknen dann hart wird, kommt in Europa an zahlreichen Stellen natür- lich vor, ist aber während der Wikingerzeit vor allem in Norwegen und in Südwest- schweden sowie in Schottland und auf den Shetlandinseln als Rohstoff für die Her- stellung von Kochkesseln und Töpfen gewonnen worden. Bruchstücke wurden

136 Lise Bender Jorgensen, Frisisk klaede. Skalk Nr. 4, 1985, 27-30 mit Karten; dies., North European Textile Production and Trade in the 1st Millenium AD. Journal of Danish Arch. 3, 1984, 124-134, Karten. Sie hat 149 dänische, 83 schwedische und 136 norwegische Funde aus wikingerzeitlichen Gräbern untersuchen können, wobei das Birka-Material noch hin- zukommt. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 173 später weiterverarbeitet zu Gußformen oder auch Spinnwirteln137. Die Gefäße, Kessel oder Schalen, wurden im Steinbruch unmittelbar aus der Wand herausge- arbeitet und als Halbfabrikate dann abgeschlagen. In unvollendetem Zustand wur- den die Behälter dann verhandelt. Analysen von Materialproben in skandinavischen Steinbrüchen sowie von Fundstücken in Haithabu haben nachgewiesen, daß die dortigen Reste aus Steinbrüchen in Schweden und Südnorwegen stammen 138. Der Steinbruchbetrieb scheint von Dörfern oder Einzelhöfen aus organisiert worden zu sein, wo dann auch die meisten Halbfertigprodukte endgültige Gestalt bekamen. Es war nicht sinnvoll, überzähliges Rohmaterial auf die Schiffe zu verladen. Wer den Transport zu den Märkten übernommen hatte, die Steinbruchbetreiber selbst oder aber Kaufleute, ist nicht geklärt. Kaupang in Skiringssal wird als Sammelplatz für den weiteren Transport vermutet. Speckstein ist dann intensiv verteilt worden und hat auch die offenen Dörfer in Jütland erreicht. Im Ursprungsgebiet Norwegen reichen die Siedlungsfunde bis weit nach Norden hinauf, im schwedischen Steinbruchgebiet und in der näheren Umgebung wird Speckstein in Siedlungen gefunden. Darüber hinaus ist Speckstein im mittelschwedischen Birka, auf Gotland, in Südschweden, überall auf der jüti- schen Halbinsel, an der südlichen Ostseeküste auf Rügen und an der Odermün- dung, jetzt auch auf , und an der südlichen Nordseeküste sowie in Dore- stad nachgewiesen (Abb. 21). Im mittleren Deutschland liegt Speckstein in Gestalt von Spinnwirteln aus mehreren Siedlungen vor 139. In Dorestad ist Speckstein nur noch durch Gußformen und Essesteine für Blasebalg-Düsenlöcher nachgewiesen14o. Über den Umfang des Exports und den Charakter des Handels sagen die Karten mit Fundpunkten nicht viel aus. Die sekundären Produkte wie Spinnwirtel in Mit- teldeutschland oder Gußformen in Dorestad können Produkte der Handwerker aus

137 H. G. R e s i, Die Specksteinfunde aus Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Hai- thabu 14, 1979, 115 ff. für Skandinavien; A. Macgregor, Industry and commerce in Anglo- Scandinavian York. In: R. A. Hall (Ed.), Viking Age York and the north. The Council for Bri- tish Archaeology. Research Report No. 27 (1978) 37 ff. für die Inseln mit Lit. 138 Björg Elisabeth Al fs en, Olav H. J. Christie, Massenspektrometrische Analysen von Specksteinfunden aus Haithabu und wikingerzeitlichen Specksteinbrüchen in Skandinavien. In: Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 14, 1979, 170-184. 139 Verbreitungskarten mit Fundorten von Speckstein: H. G. Resi (wie Anm. 137) Abb. 133 (Faltkarte) mit Fundorten in ganz Norwegen und Schweden (ein Fundpunkt auf Gotland, 5 in Südschweden /Schonen); Abb. 132 für Dänemark und das nördliche Deutschland; eine ergänzte Karte für Dänemark bei E. R o e s d a h 1, Viking Age Denmark (1982) 89 Fig. 21 mit Liste 2. Die Zahl der Fundplätze nimmt ständig zu: Resi 1979 führt 28 Funde auf, R o e s d a h l 1982 schon 44; weitere Funde z. B. Andersminde, Ribe h. (Journal of Danish Arch. 1, 1982, 188), Melsted, Bornholm — erster Fund auf Bornholm (Journal of Danish Arch. 3, 1984, 235 f.). — J. Herr- mann (Hrsg.), Wikinger und Slawen — Zur Frühgeschichte der Ostseevölker (Berlin 1982) 131 Abb. 147 (Specksteinfunde in den Handelsplätzen Wolin und Ralswiek) mit den Spinnwirtelfun- den im mittleren Deutschland — Karte nach P. Grimm, Der Beitrag der Archäologie für die Erforschung des Mittelalters. In: Probleme des frühen Mittelalters in archäologischer und histo- rischer Sicht (1966) 39 f ., Karte S.67 mit Anm. 143 mit der Nennung der Fundorte in der DDR. Speckstein als typisches Zivilisationsgut der Wikinger von Norwegen bis Dublin, York, Grön- land und gar Neufundland vgl. R. Hodges (wie Anm. 3) 126. 148 H. Kars, J. M. A. R. We y er s, Early-Medieval Dorestad, an Archaeo-Petrological Study. Part III: A Trachyte Mortar, the Soapstone finds, and the Tuyeres. Berichten ROB 32, 1982, 169-182; 5 Stücke, davon drei Essesteine mit Blasebalgmundloch. 174 Heiko Steuer

Abb. 21: Speckstein: 1. natürliches Vorkommen, 2. Funde außerhalb der natürlichen Vorkom- men (randlich kartiert sind Funde aus Grönland und Neufundland) (nach H.G. Resi, ergänzt für Dänemark durch E. Roesdahl, für Mitteldeutschland nach P. Grimm; mit weiteren Ergänzungen). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 175 den primären Zielorten des Specksteinhandels sein, beispielsweise aus Haithabu. Einzelne Funde in den Handelsplätzen an der südlichen Ostseeküste können Abfall- reste sein, die Nordleute in der eigenen Ausrüstung in Gefäßform bei sich hatten und die dann später zerbrochen sind. Die Begrenzung des Specksteinhandels gegen Süden fällt nicht nur mit der politischen Grenze zum karolingisch-deutschen Reich zusammen, sondern auch mit der kulturellen Grenze der Verwendung von Keramik als Kochgefäß: Die Entscheidung der Skandinavier für Specksteintöpfe — bis weit nach Jütland hinein — sorgt für Nachfrage und den Export dorthin. Die gleichartige Erschließung von Specksteinbrüchen auf den westlichen Inseln und in Schottland für Specksteingefäße in York geht darauf zurück, daß die eingewanderten Skandina- vier auch hier die alte Sitte beibehielten. Doch diese Erklärung allein reicht nicht aus, denn die jütländische Bevölkerung verwendete Keramik und Speckstein glei- chermaßen, und die mittelschwedische hatte nur schlechte Keramik, scheint aber trotzdem nicht ausreichend oder merkbar mit Speckstein versorgt worden zu sein. Die Verbreitung von Speckstein beschreibt den westlichen Wirtschaftsraum mit Gewichtsgeldwirtschaft, im östlichen fehlt er weitgehend. Weitergehende Aussagen lassen sich überhaupt nur machen, wenn von den Fund- punkten zur Fundmenge in einer Siedlung weitergegangen wird. Im Steinbruch von Kvikne, Hedmark, Norwegen sollen schätzungsweise 3000-4000 Specksteingefäße gewonnen worden sein, wobei der Ausbeutungszeit- raum mehrere Jahrhunderte, nicht nur die Wikingerzeit, umfaßt. Andere Stein- brüche haben anscheinend ähnliche hohe Abbauzahlen gebracht, andere aber auch deutlich geringere141. Doch insgesamt muß mit beachtlichen Zahlen an abgebauten Gefäßen gerechnet werden, die zum größten Teil aber in Norwegen geblieben sind. Für Haithabu hat G. Resi insgesamt 3428 Fundstücke aus Speckstein, 540 kg Gewicht, bearbeitet, von denen aus der Hauptausgrabungsfläche, die 6 °Io der Grundfläche Haithabus ausmacht, etwa 490 kg stammen. Über verschiedene Schätz- verfahren kommt sie auf 700-1000 Gefäße, die insgesamt nach Haithabu verhan- delt worden sein werden, was rund 6,5 Tonnen an Gewicht ausmacht, eine Masse, die durchaus auf einem Frachtschiff der Wikingerzeit untergebracht werden konnte. Die Specksteinfunde in Haithabu waren für den eigenen Bedarf der Bewohner im Handelsplatz vorgesehen, ein Konsumgut, das über weiteren Handel von Haithabu aus keine Auskunft gibt. Es ist bemerkenswert, daß in der großflächig untersuchten Siedlung bei Kosel anscheinend keinerlei Speckstein gefunden worden ist, obwohl sie nur wenig entfernt von Haithabu liegt142. Anders liegen die Verhältnisse in Jüt- land. Allein aus der hauchdünnen Fundschicht in der wikingerzeitlichen Befesti- gung von Fyrkat sind 9,24 kg Speckstein (172 Scherben) geborgen worden, gegen- über von nur 4,15 kg Keramik (300 Scherben)143. Zusammen mit anderen 141 G. Resi (wie Anm. 137) 121 nach A. S k j ö l s v o l d, Klebersteinindustrien i vikingetiden (1961) und der s . , Et keltertids klebersteinsbrudd fra Kvikne. Viking 33, 1969, 201-238; der s . , Forhistorisk klebersteinindustri i Lesjafjellene. ellene. Universitetets Oldsaksamling Arbok 1972-74 (1976), 83-95. 142 Vgl. oben Anm. 66. 143 E. R o es d a h l (wie Anm. 139) 89: Ein Specksteingefäß von 26-35 cm Durchmesser wiegt 5-6 kg; 123: das größte dänische Gefäß hat einen Durchmesser von 59 cm. — Zur Speck- steinmenge in Fyrkat E. R o e s d a h 1, Fyrkat. Ein jysk vikingeborg II (1977) 20 ff., Plan Fig. 236 auf S. 178. 176 Heiko Steuer

Gegenständen aus Speckstein ergibt das an diesem Platz 15,21 kg. Aus der Siedlung Trabjerg in Nordwestjütland gibt es 3,14 kg Speckstein144. Als Besiedlungsdauer für Fyrkat wird heute die Zeitspanne einer Generation am Ende des 10. Jh. und um 1000 angenommen; der Specksteinimport nach Haithabu ist auf ein Jahrhundert, vom Anfang des 10. bis Anfang des 11. Jh. begrenzt, hat also den Marktort nicht während seiner gesamten Existenz vom späten B. bis Mitte 11. Jh. versorgt. Somit könnte die Menge in Haithabu ausgereicht haben, zumal die feuerfesten Gefäße nicht so leicht zerbrechen wie Keramik, daß in jedem Haushalt ein oder zwei davon vorhanden waren145. Speckstein als Rohstoff hat also im Rahmen des Handels zwischen West- und Nordeuropa keine Rolle gespielt, markiert aber einerseits ein funktionierendes Ver- teilungssystem im Norden selbst, auf dessen Wegen westliche Güter wie Mühl- steine und rheinische Keramik im flachen Land verbreitet worden sind, und kenn- zeichnet andererseits die westlichen und östlichen Handelsplätze an den Südküsten von Nord- und Ostsee als Zielpunkte der Handelsreisen von Nordleuten. Im gleichen Rahmen ist der Handel mit Steinmaterial zur Herstellung von Wetz- steinen zu sehen (Abb. 11). Plätze wie Dorestad oder Kaupang versorgten sich aus dem Hinterland146. Aber innerhalb des nordischen Gebietes wurde qualitätvoller, durch seine farbige Bänderung auch sehr ansehnlicher Stein zur Herstellung von Wetzsteinen, die mit einem Messer als persönliches Ausstattungsstück am Gürtel hingen und somit zur Männer- und Frauentracht gehört haben, verhandelt. Wetz- steine wurden natürlich auch zur Schärfung von Erntegerät, Werkzeug und Waffen benötigt. Dazu diente meist nahebei zu beschaffendes Material, während die erst- genannten Wetzsteine schon gehobenes Gut waren. Wetzstein-Material wurde in Norwegen in den gleichen Gebieten gewonnen, wo auch Speckstein anstand, aber auch in Steinbrüchen im östlichen Schweden. Gebänderte Schiefer-Wetzsteine sind dort als Grabbeigabe häufig, während westlicher Speckstein nicht bis dorthin gelangt ist. Gleichmäßig verbreitet scheint norwegisches Wetzsteinmaterial in däni- schen Siedlungen147. Ein Schiffsfund nicht weit von Kaupang hatte eine Ladung

144 Lise Bender Jorgensen, T. S k o v, Trabjerg. A vikingage settlement in North-West . Acta Arch. 50, 1979 (1980), 119-136: 24 Stücke Speckstein. 145 Zur Datierung des Specksteins in Haithabu: S. M y r v o 11, zu H. G. R e s i, Die Speck- steinfunde aus Haithabu (1979), in: Norwegian Arch. Review 17 (2), 1984, 133-136. 146 Zu Dorestad W. A. van Es, W. J. H. V e r w e r s (wie Anm. 48) 166 f.; zu Kaupang Char- lotte B 1 in d h e i m, Kaupang in Skiringssal. In: H. J a n k u h n u. a., Vor- und Frühformen der europäischen Stadt im Mittelalter, Teil II. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil. -Hist. Kl. Dritte Folge Nr.84 (2. Aufl. 1975) 40 fl., hier 55. 147 E. R o e s d a h l , Viking Age Denmark (1982) 90: ein Herkunftsgebiet scheint die Gegend von Eidsborg, Telemark in Norwegen gewesen zu sein; dies . , Fyrkat (wie Anm. 143) 57 ff. W. A. van Es, W. J. H. V e r w e r s (wie Anm. 49) bringen eine Karte von H. Kars über die Her- kunftsgebiete der Natursteine, die in Dorestad benötigt wurden. Die Ursprungsbiete liegen in Westnorwegen, aber auch im Hinterland von Dorestad sowie bis südlich zur Eifel und nach Innerfrankreich. H. K a r s, Early-Medieval Dorestad, an Archaeo-Petrological Study V: The Whetstones and the Touchstones, VI: Miscellaneous. The Unworked Stones, VIII: Summary of the Petrological Results. Berichten ROB 33, 1983, 1-59, 82-94. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 177

Wetzsteinmaterial an Bord 148. Über Wetzsteinmaterial-Transport in vorwikin- gischer Zeit durch Schweden spricht W. Holmquist149.

Handel mit dem Rohstoff Eisen

Ähnlich wie wir über den internen nordischen Handel mit Speckstein vom Gewinnungsort bis zu den Abnehmern in den Dörfern Bescheid wissen, hat die archäologische Forschung in den letzten Jahren auch einen umfangreichen Handel mit Eisen erkennen können, der jedoch auch nicht über die Grenzen des nordischen Wirtschaftsraumes hinaus beispielsweise in den karolingischen Westen faßbar ist. Eisen als gebräuchlicher Rohstoff für Geräte und Waffen wurde überall gebraucht, seit langem gewonnen und brauchte in der Regel nicht über einen Fernhandel ver- breitet zu werden. Das karolingisch-deutsche Reich konnte sich durch schwerpunkt- mäßige Eisengewinnung selbst versorgen, und ebenso wurde innerhalb Skandina- viens genug Eisen für den eigenen Gebrauch gewonnen. Daß es seit der Vendelzeit innerhalb des Nordens einen Handel mit Eisen über weite Entferungen gegeben hat, haben P. Hallinder und K. Haglund gezeigt 15o. Schwedisches Eisen ist bis zur südlichen Grenze des nordischen Wirtschaftsraumes vertrieben worden (Abb. 22),

148 Charlotte B l i n d h e i m (wie Anm. 146) 55; A. E. Christensen, Klästandskibet. Nico- lay Nr.8, 1970, 21-24; A. E. Christensen und G. L e i r o, Klastadskibet. Vestfoldminne 1976, 5-21: Das Schiff enthielt 50 Stücke ungebrauchten „hone-stone", Wetzsteinmaterial, und ein C-14-Datum liegt vor mit 800±80 AD. 149 W. H o l m q v i s t, Swedish Vikings on Helgö und Birka (1979) 26: über 2500 Reste wur- den in Helgö gefunden. Um die beste Qualität zu haben, wurde Material aus Schonen nach Häl- singland gebracht. S. My r v o l 1, Trade in Telemark and the Earliest Settlement in Skien. Offa 41, 1984, 41-55, zum Wetzsteinhandel 53f.: Material aus dem norwegischen Eidsborg in Fyr- kat, Arhus, Roskilde und auch Haithabu — wo jedoch anderes Material überwiegt —, im engli- chen Thetford und aus dem 11. Jh. und später in weiteren englischen Siedlungen; dazu A. R. Dunlop, Trade between Britain and Norway in Medieval times. Paper submitted for BA Degree, Sheffield Univ. 1980. — Zum Export des Eidsborg-Honestone in die englischen Gebiete des S. E. Ellis, The petrography and provenance of Anglo-Saxon and Medival English honestones, with notes on some other hones. Bull. Brit. Mus. Natur. Hist.: Mineralogy 2 (3) 1969, 133-187; D. Hill, An Atlas of Anglo-Saxon England (1981) 119 Karte Nr. 201; A. Mac- gregor (wie Anm. 128) 39 zum norwegischen Wetzstein-Material in York, neben dem aber auch Material von der Britischen Insel erscheint. H. G. Re s i, J. G. Mitchell, H. Ask v i k, Potassium-argon Ages of Schist Honestone from the Viking Age Sites at Kaupang (Norway), Aggersborg (Denmark), Hedeby (West Germany) and Wolin (), and their archaeological implications. Journal of Arch. Sciences 11, 1984, 171-176: wie beim Speckstein gibt es keine unmittelbare Korrelation zwischen Verbreitung der Produkte und den Steinbrüchen, so daß ein kompliziertes Handelssystem angenommen werden muß. 158 P. H a 11 i n der, Kerstin H a g l u n d, Iron bars in Sweden. In: Excavations at Helgö V :1 (1978) 30-58, Gewinnung des Eisens in Norrland, Export nach Mittelschweden ins Mälargebiet, aber auch nach Gotland, S. 33 Karte Fig. 3 (spadeshaped currency bars); andere Bar- renformen in Südschweden und auf Oland. — Zur Eisengewinnung und zum Eisenhandel in Norwegen vgl. jetzt: I. Martens, Recent investigations of iron production in Viking Age Nor- way. Norwegian Arch. Review 15, 1-2, 1982, 34-44 und dies . , Noen synspunkter pA pro- duksjon og distribusjon av jern i Norge i yngre jernalder. Univ. Oldsaksamlingsg Arbok 1980-81, 97-102, vgl. auch Ch. B l i n d h e i m, Internal Trade in Viking Age Norway, in diesem Band S. 758 ff. 178 Heiko Steuer

Abb. 22: Verbreitung von wikingerzeitlichen Eisenbarren: 1. Barren von Typ Mästermyr (nach M. Müller-Wille), 2. spatenförmige Barren (nach P. Hallinder, K. Haglund und M. Müller-Wille) ein Exemplar, 3. bis 5 Exemplare, 4. bis 10 Exemplare, 5. bis 15 Exemplare, 6. bis 20 und mehr Exemplare. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 179 wie die Analyse eines Barrenhortes, gefunden in Haithabu, erkennen ließ 151, obwohl im Umland von Haithabu genügend Eisen gewonnen und in Haithabu weiter verar- beitet worden ist152 . Das Zusammenspiel von lokaler Eisengewinnung und Handel mit Roheisen, von lokaler Eisenweiterverarbeitung, Verarbeitung durch wandernde Handwerker, die mit ihrer Werkzeugkiste von Ort zu Ort zogen und von Handel mit Fertigprodukten kann heute noch nicht näher beschrieben werden 153. Werk- zeughorte sprechen davon, daß die mobilen Handwerker breit gefächerte Kennt- nisse besaßen, Grob- und Feinschmiede sowie Zimmerleute in einer Person waren, die zudem den Handel mit ihren Produkten selbst in die Hand nahmen154. Eisenexport in Gestalt von Waffen aus dem karolingischen Bereich in den Norden ist belegt, Roheisenimport über Haithabu hinaus weiter zum Kontinent ist bisher nicht nachweisbar.

Die Versorgung mit Kämmen

Zu dem alltäglichen Fundgut, für das Herstellungsspuren in fast allen Marktsied- lungen ausgegraben worden sind, vom Rohmaterial über Halbfertigprodukte bis zu den Fertigwaren, gehören verzierte Kämme aus Geweih. Gleichartig gestaltete und verzierte Exemplare kommen im Nordosten des fränkisch-deutschen Reichs, im Rheinmündungsgebiet und in Friesland ebenso vor wie im Nord- und Ostseeraum. Ob Beinkämme, -nadeln und andere derartige Dinge für den privaten Gebrauch nun über die Grenze hinweg verhandelt worden sind oder nach gleichartiger Mode hier und dort angefertigt wurden, wurde diskutiert, bis heute ein drittes Lösungsmodell vorgeschlagen wird, das auch für die Bewertung anderer überregional verbreiteter Güter zu berücksichtigen ist.

151 M. Müller-Wille, Ein Barrenhort aus Haithabu. Offa 37, 1980, 129-145. — In Hai- thabu wurden 18 Barren zwischen 440 und 1000 g Gewicht gefunden, in der Nachbarschaft von Eketorp enthielt ein Hort 200 Barren, ein anderer bei Skedstad auf Öland sogar 560 Barren. Der- artige Horte reichen zur Herstellung einer großen Zahl von Äxten oder anderen Geräten und lassen damit den Umfang des internen nordischen Handels mit Eisen ahnen. H. J a n k u h n, Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 256 erwähnt Schlackenfunde aus Haithabu, deren Analyse als Ausgangsmaterial schwedisches See-Erz ausweist. 152 K. S c h i e t z e 1, Handwerk und Handel in Haithabu. Probleme der Interpretation. Zeitschr. für Arch. 13, 1979, 95; der s . , Stand der siedlungsarchäologischen Forschung in Hai- thabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 16, 1981, 75 mit Karte 28-29; de r s . , Hai- thabu. In: Ausgrabungen in Deutschland, Teil 3 (1975) 67 ff.; J. P i a s k o w s k i, Metallographi- sche Untersuchungen zur Eisen- und Stahltechnologie in Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 18, 1983, 45-62. 153 M. Müller -Wille, Der Schmied im Spiegel archäologischer Quellen. Zur Aussage von Schmiedegräbern der Wikingerzeit. In: H. J a n k u h n u. a. (Hrsg.), Das Handwerk in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Teil II. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. Dritte Folge Nr.123 (1983) Kapitel: Produktionsstätten, Rohmaterial, 217-226; Lena Thai i n- B e r g m a n, Der wikingerzeitliche Werkzeugkasten von Mästermyr auf Gotland, in: Das Handwerk, a.a.O. 193-215; G. A r w i d s s o n, G. Berg, The Mästermyr Find. A Viking Age Tool Chest from Gotland (1983). 154 Lena T h a l i n -Bergman (wie Anm.153) 215; M. Müller-Wille (wie Anm.153) 260. 180 Heiko Steuer

Kammproduktion in zahlreichen Orten und viele tausend Kammfunde in Grab- und Siedlungszusammenhängen verbinden weite Räume miteinander155. Produktionsabfdlle und Kämme aus einer Siedlung wie Haithabu hatten lange den berechtigten Schluß erlaubt, am Ort hätten Kammacher für die Versorgung der Bevölkerung gearbeitet. Die genaue Analyse des Abfalls und der Halbfertigteile aus dem Fundstoff von Haithabu hat aber erkennen lassen, daß die ältesten Kammfor- men des späten B. und 9. Jh. nicht am Ort hergestellt worden sein können, sondern importiert sein müssen156. Die Entwicklung von Form und Verzierung der Kämme seit 800 sowie ihre weite Verbreitung hatten zu der These geführt, daß diese Ware aus dem friesischen Küstengebiet — als Ausgangsraum auch Dorestad einschließend — auf die englischen Inseln, nach Skandinavien und bis ins ostbaltische Gebiet ver- handelt worden seien157. Nun hat aber eine neue Analyse des gesamten Materials durch Kristina Ambrosiani ein anderes Bild über Herstellung und Verbreitung der Kämme entworfen. Sie kann zeigen, daß der Ausgangspunkt für die Kämme der frühen Wikingerzeit — die sog. A-Kämme — im Norden liegt, in Mittelschweden und in Norwegen; dort haben sie sich aus der lokalen vendelzeitlichen Tradition herausentwickelt und wurden von dort zu den britischen Inseln, ins friesische Gebiet und in den Ostseeraum verbreitet. Ein überzeugender Grund für diese Umkehrung der Ausbreitungsrichtung liegt darin, daß die A-Kämme im benachbar- ten Gebiet zu Friesland, in Südengland nicht vorkommen, sondern eigentlich nur dort, wo wikingerzeitlicher Handel direkten Zugang im Norden selbst hatte. Ein zweiter Grund liegt darin, daß Rengeweih Material für die ältesten Formen ist, das nun in Friesland nicht vorkommt und nur in geringem Prozentsatz auch nach Hai- thabu importiert wurde. Die Kämme der jüngeren Wikingerzeit — die sog. B- Kämme — haben sich demgegenüber von der südlichen, slawischen Ostseeküste nach Mittelschweden, Jütland und von dort nach England ausgebreitet, und der friesische Raum wurde nicht erreicht. Auch die Frage, wie sich die Kammproduk- tion mit derart gleichen Kammformen und -verzierungen ausgebreitet hat, wird durch ein neues Modell erklärt, das überwiegend auf der Schätzung von Gesamtpro- duktionszahlen für einen Marktort beruht 158. In allen Handelsplätzen ist Kamm- macherei nachgewiesen, die Produkte sind daher kaum über den Fernhandel vertrie- ben worden, sondern von den zentralen Marktorten wurden sie ins Umland verteilt. Der Rohstoff, Rengeweih und Abwurfstangen vom Rothirsch in großer Menge, ist zu den Handelsplätzen gebracht worden, gesammelt im Umland oder aus der Ferne mitgebracht. Die Berechnungen für die Jahresproduktion von Kämmen ergaben

155 W.-D. Tempel, Die Dreilagenkämme aus Haithabu. Studien zu den Kämmen der Wikingerzeit im Nordseeküstengebiet und Skandinavien. Diss. Göttingen (1969); der s . , Zum Umfang des Kammachergewerbes in Haithabu. Neue Ausgrabungen und Forschungen in Nie- dersachsen 6, 1970, 218-223; Ingrid Ulbricht, Die Geweihverarbeitung in Haithabu. Die Ausgrabungen in Haithabu 7 (1978); Kristina Ambrosiani, Viking Age Combs, Comb Making and Comb Makers in the Light of Finds from Birka und Ribe. Stockholms Studies in Archaeology 2 (1981) mit Lit.: Werkstattreste sind nachgewiesen in Dublin, York, Southampton, Dorestad, Haithabu, Ribe, Arhus, Birka, Stettin, Wollin, Kotobrzeg, Gdansk, Novgorod, Stara Ladoga. 156 I. Ulbricht (wie Anm.1557) 130. 15' W.-D. Tempel (wie Anm.155). 158 K. Ambrosiani; W.-D. Tempel; I. Ulbricht (alle wie Anm.155). Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 181

Abb. 23: Kartierung möglicher Verbindungen zwischen den Handelsplätzen anhand „reisender" Kammacher (nach K. Ambrosiani): 1. Handelsplätze, 2. Verbreitung der älteren Kämme vom Typ A, 3. Verbreitung der jüngeren Kämme vom Typ B.

Korrektur-Nachtrag zu Anm. 173. Vgl. aber jetzt den Hinweis: Lena T h a l i n -Bergman, Techniques and craftmanship in the Vendel period. In: Vendel Period Studies (Stockholm 1983) 156: "indications of the mining of copper ore in Falun by the 8th century".

Die Zeichnungen dieses Beitrags fertigten Wolfgang Nestler, Institut für Ur-und Frühgeschichte, Freiburg i.Br. (Abb. 1-25) und Frau J. Stöcker, Röm.-Germ. Museum Köln (Abb. 26). 182 Heiko Steuer nach W.-D. Tempel etwa 75 Stück insgesamt, nach Ingrid Ulbricht gar nur 15 Stück für den Handelsplatz Haithabu. (Aus einer Geweihstange ließen sich 4-5 Kämme fertigen, und alle Reste von Stangen lassen hochgerechnet auf insgesamt nur 15 000 während 200 Jahren in Haithabu hergestellte Kämme schließen). Wenn zudem, wie praktische Versuche gezeigt haben, die Herstellung eines Kammes etwa einen Tag in Anspruch nahm, dann konnte von einem Kammacher der Satz von 15 bzw. 75 Kämmen in dem Bruchteil eines Jahres angefertigt werden; eine Gruppe von Kammachern brauchte noch entsprechend weniger Tage. Kammherstellung kann also nicht dazu dienen, den Lebensunterhalt für ein ganzes Jahr, für die gesamte Existenz eines Handwerkers zu schaffen. 75 Tagewerke für Haithabu und 30 für Ribe159 sprechen für Saisonarbeit. Für das Hinterland von Birka werden für die Wikingerzeit etwa 2000 Bauerngehöfte angenommen, was auch bei Berücksich- tigung von Sterblichkeitsraten etc. zu einem Bedarf von 200 bis 300 Kämmen pro Jahr führt, die von 10 bis 15 Kammachern in 14 Tagen produziert werden konnten169. Die ausreichende Versorgung mit Kämmen und die Verbreitung glei- cher Formen kann über das Modell des saisonal arbeitenden, wandernden Kamm- machers erklärt werden, der in einem festen Turnus von Handels- und Marktplatz zu Marktplatz zieht und eine gewisse Zeit dort arbeitet. Nimmt man keine noch unbekannten Zwischenstationen an, so könnte ein Kammacher von Haithabu nach Danzig, von Danzig nach Gotland und weiter nach Birka, von Birka nach Stara Ladoga und wieder zurück ziehen. Andere ziehen von Dorestad nach York, Dublin und wieder zurück, oder von Dorestad nach Haithabu, Ribe, York und wieder zurück (Abb. 23). Entspricht diese Vorstellung der Wirklichkeit, dann war Kamm- macherei ein voller Handwerksberuf, der jedoch mobil ausgeübt werden mußte161. Handel mit Kämmen wäre dann weitgehend auszuschließen. Da Frau Ambrosiani dieses Modell auch auf die Verbreitung von gegossenem Bronzeschmuck ausdehnt, ähnlich wie wir das weiter oben (vgl. S. 167) auch erläutert haben, ist dies für die Beschreibung der Handelsgeschichte zwischen Westen und Norden von zentraler Bedeutung. Dem könnte das zweite Modell gegenübergestellt werden, daß nämlich seßhafte Handwerker eine gewisse Zeit des Jahres Kämme anfertigten, für die Konsumenten am Marktort und im Hinterland, ebenso auch für einen Handel, daß dieselben Handwerker in der übrigen Zeit des Jahres andere Dinge taten, nämlich Bronze gos- sen oder Schmiedearbeiten lieferten. Wie sehr auch dieses Modell berücksichtigt werden muß, zeigt der Verweis auf die Schmiedehorte mit ihrem vielfältigen Werk- zeug für sehr verschiedene Handwerksarten (vgl. S. 179). Das Modell des Wanderhandwerkers und auch das des noch nicht spezialisierten Handwerkers hängen zentral von den Schätzungen des Umfangs der produzierten

159 M. B e n c a r d (wie Anm. 78) 133 f.; K. Ambrosiani, Antler, horn and bone from early Ribe: evidence for comb making in a market place. Reprint from Ribe Excavations, in (wie Anm. 155) 91 ff., auch 46. 160 K. Ambrosiani (wie Anm.155) 49. 161 K. Ambrosiani (wie Anm. 155) passim; dies . , Vikingatida kammar i öst och väst. Fornvännen 77, 1982, 180-183; Olga D a v i d a n, Om hantverkets utveckling i Staraja Ladoga. Fornvännen 77, 1982, 170-179. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 183

Güter ab, die trotz aller Mühe immer noch auf zu vielen Vermutungen basieren. Das kann eine kurze Gegenrechnung zeigen. Handelsplätze wie Haithabu und Birka hatten nicht mehr als 1000 Einwohner, dazu gehörte aber ein Hinterland von viel- leicht 2000 bis 5000 Höfen, also von insgesamt 20 000 bis 50 000 Menschen. Diese gilt es als Konsumenten zu versorgen, z.B. mit Kämmen. 20 000 Erwachsene haben vielleicht alle fünf Jahre einen neuen Kamm erwerben wollen. Das sind immerhin 4000 Kämme pro Jahr, mit deren Herstellung 10 bis 20 Kammacher ganzjährig vollauf beschäftigt wären.

Produktionszahlen und Fundzahlen

Die Bewertung des Handels zwischen dem karolingisch-deutschen Westen und Skandinavien hängt entscheidend von der Menge des produzierten und verhandel- ten Gutes ab, die in den meisten Fällen völlig unbekannt ist. Alle archäologischen Funde und Fundgruppen, die bisher genannt worden sind, bilden nur eine zufällige Menge wieder geborgenen Materials, als Beigaben aus Gräbern oder gar nur Schutt aus Siedlungen; diese Menge ist verschwindend gering und bewegt sich meist nur in Bruchteilen von Promillen des einst Vorhandenen. Doch ist uns verwehrt zu erkennen, ob wir den bekannten Fundniederschlag mit 100, 1000 oder gar noch höheren Zahlen multiplizieren müßten, um der Realität nahezukommen162. Alles vorliegende Handelsgut der Wikingerzeit vom Westen in den Norden und umge- kehrt würde in ein wikingerzeitliches größeres Handelsschiff mit der Tragfähigkeit von 30 Tonnen passen. Einige Zahlenbeispiele seien genannt: Wikingerzeitliche Geldwaagen und Gewichte konnten von mir in der Größenord- nung von 800 bzw. 2500 registriert werden. Aus Marktsiedlungen sind größere Zahlen bekannt; in Haithabu wurden aus einem Schichtenpaket von 100 m 2 über 100 Gewichte, aus 120 m2 in Birka 60 Gewichte und aus 600 m2 in Paviken auf Got- land 40 Gewichte geborgen. Hochgerechnet auf die gesamte besiedelte Fläche der Handelsplätze gelangt man zu Zahlen von mehreren 100 000 Stücken, und das sind allein die Gewichte, die zufällig verloren gingen und nicht wieder aufgehoben wer- den konnten. Aus Haithabu sind 250 Gewichte bekannt, die Zahl ist durchaus mit 1000 multiplizierbar und auch bei der Berücksichtigung der 150 Jahre (von etwa 890 bis in den Anfang des 11. Jh.), während der in Haithabu Gewichte benutzt wur- den, bleiben die Zahlen eindrucksvoll. Von den 1160 Gräbern in Birka enthielten 235 Gewichte, das ist ein Fünftel; von den ausgegrabenen Bestattungen in Haithabu enthielt nicht ein Grab Gewichte163. Ähnliche Schätzungen haben W. Hävernick und G. Hatz zum repräsentativen Charakter der Münzschätze bedacht. Sie kommen auf 2,5% bekannter Münzschätze von der einst vergrabenen Menge. Hatz schätzt daher aus den 60 000 bekannten

162 Zu Schätzungen vom bisher ergrabenen Fundgut zum einst Vorhandenen z. B. H. Steuer, Frühgeschichtliche Sozialstrukturen in Mitteleuropa. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. Dritte Folge Nr.128 (1982) 59-7 3. 163 H. Steuer, Feinwaagen und Gewichte . . . , in: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 41) 287f. 184 Heiko Steuer deutschen Münzen in Schweden auf 2,4 Mill. einst importierte und vergrabene Stücke. Die Gesamtmenge der angelsächsischen Münzen um die Jahrtausendwende wird auf 15 bis 30 Mill. geschätzt. Die Danegeldzahlungen der Jahre 991-1018 sol- len 206 000 Pfund Silber betragen haben, was einer Zahl von 50 Mill. geprägter entsprechen würde. Aus Schweden sind davon rund 22 000, insgesamt 40 000 bekannt, ein Promille164. Im Grabungsareal Coppergate in York ist in einem Haus der einzige bisher bekannte Münzstempel der angelsächsischen Zeit gefunden worden, vorgesehen für St. Peters Pfennige mit Schwert der Jahre 910-919. Bisher ist keine Münze als Abschlag dieses Stempels bekannt geworden, obwohl hunderte von Münzen des Typs vorliegen165. Es sei an die vendelzeitlichen Schmuck-Gußformen aus Helgö oder die wikinger- zeitlichen aus Ribe erinnert. Für eine Reihe der Gußformen zu Relieffibeln aus Helgö sind gleichartige Fibeln irgendwo in Skandinavien gefunden worden, für den größten Teil aber fehlt bisher der Nachweis von Stücken aus oder nach diesen For- men. Dafür gibt es zahlreiche Relieffibeln, für die wiederum noch keine Formen gefunden worden sind. Aus der Bronzegießerwerkstatt des 9. Jh. in Ribe sind 2000 Bruchstücke von Gußformen aus Ton, die nur zu wenigen Typen gehörten, gefun- den worden. 200 Fragmente sind verziert; sie gehören zumeist dem Typ der Schalenspangen vom Typ Berdal an, eine westskandinavische Form. Bisher konnte nur eine Spange aus Myklebostad in Norwegen registriert werden, die in Ribe her- gestellt worden sein kann166. Aus späterer Zeit seien folgende Berechnungen angeführt: J. M. Fritz diskutiert in seinem Werk über Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa die Frage „Ver- lorenes und Erhaltenes". Wenn heute etwa noch 5000 Gegenstände weltlichen und vor allem kirchlichen Charakters erhalten sind, ist zu fragen, wieviel es ursprünglich gegeben hat. Über die Zahl der Städte und der in ihnen tätigen Goldschmiede, 7500 mit Gesellen und Lehrlingen, insgesamt etwa 20 000 Beteiligten schätzt er: „Bei einer Zahl von rund 5000 erhaltenen Objekten besäßen wir also nur von zwei Drit- teln der genannten Meister ein Werk. Stellt man sich vor, daß aus jeder dieser Werkstätten im Laufe ihrer Tätigkeit nur 133 Werke aller Art hervorgegangen wären, also insgesamt eine Million, so hätten wir es bei 5000 erhaltenen Objekten mit einem verbliebenen Bestand von 5 Promille zu tun". Und das bei hochkarätigen Stücken, die immer in relativ guter Hut waren167. In den Pilgerstädten des Mittelalters wurden als Beleg des Besuches Pilgerzeichen an die Leute verkauft, und zwar in großer Anzahl. Nach den Bau- und Verwaltungs- rechnungen der Kirche „Zur schönen Maria" in Regensburg für die Jahre 1519-22 wurden 20 000 silberne und 30 500 bleierne Zeichen abgesetzt; in Einsiedeln wur-

164 G. Hatz, Handel und Verkehr zwischen dem Deutschen Reich und Schweden in der spä- ten Wikingerzeit. Die deutschen Münzen des 10. und 11. Jh. in Schweden (1974) 181 f. 165 The Vikings in England (1981) Nr. YTC 26. 166 Variante I der Relieffibel-Formen aus Helgö macht die größte Gruppe aus; bisher ist kein Gegenstück gefunden worden, vgl. Anm. 124. „Es stimmt nachdenklich, daß ein so reiches Guß- formenmaterial bisher nur in geringem Maße mit den gefundenen Altertümern parallelisiert wer- den kann". M. B e n c a r d (wie Anm. 78) 124. 167 J.M. Fritz, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa (1982) 36. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 185 den 1466 innerhalb von 14 Tagen 130 000 Stücke der Pilgerzeichen abgesetzt; nur einzelne Stücke sind auf uns gekommen168. Pilgerreisen sind zwar keine Handelsrei- sen, haben aber Europa durchqueren lassen; die Pilgerfahrt war ein Massenphäno- men, Pilgerzeichen sind in ungeheuren Massen ausgegeben worden169. Dieser Überblick veranschaulicht, daß für die Beschreibung des Handels, der Handelswaren und des Umfangs des Warentransportes nur eine hauchdünne Quel- lenbasis zur Verfügung steht, die es zu interpretieren gilt. Es leuchtet ein, daß Goldschmiedearbeiten, aber auch Schmuck und Pilgerzeichen ihres Materialwertes wegen weiterverarbeitet worden sind, und daß aus diesem Grund der Fundbestand so gering ist. Sogar Speckstein aus Norwegen wurde im Importgebiet immer weiter verarbeitet, aus den kleinsten Stücken wurden noch Gußformen oder Spinnwirtel hergestellt, wenn das einstige Gefäß zerbrochen war. Nicht anders ging es mit den Mühlstein- bruchstücken aus Mayener Basalt im nordischen Raum. Die geborgenen Fund- stücke aus dänischen Siedlungen bestehen oftmals aus recht kleinen Bruchstücken, die irgendwie noch genutzt worden sind. Auch Glas ist immer wieder als Rohstoff eingeschmolzen worden, um zu Perlen weiterverarbeitet zu werden. Schon eine Handvoll Glasbruch war anscheinend sehr wertvoll, da sich daraus eine Perlenkette herstellen ließ. Aber es bleibt die Frage nach den im Norden importierten Keramikarten aus dem Rheinland. Mit zerbrochenen Tonscherben kann man nichts mehr anfangen; geben die wenigen Scherben, die zudem oftmals von einem Gefäß stammend über ein großes Areal der Siedlung verstreut gefunden worden sind, tatsächlich einen Hin- weis auf die Seltenheit, z.B. der Tatinger Kannen oder der Pingsdorfer Amphoren, darauf, daß sie nur als zusätzliche Beiladung importiert worden sind, oder wo ist der Abfall geblieben170? Setzt man einmal den Faktor des Erhaltenen als 1 070 an und multipliziert dann die nachgewiesenen westlichen Importgüter mit 1000, dann ergeben sich schon für Handel sprechende Zahlen: Die 100 Ulfberht-Schwerter stehen dann für 100 000 importierte Klingen, die 50 Tatinger Kannen für 50 000 importierte Kannen. Die Archäologie muß sich erst noch einen methodischen Zugang erarbeiten, um Größenordnungen verhandelter Waren zu erschließen. Karolingische Drehschei- benkeramik macht in Dorestad mehr als 90% des Gefäßbestandes aus; die neuen Kartierungen von W. A. van Es und W. J. H. Verwers belegen darüber hinaus, daß derartige Drehscheibenkeramik in allen Siedlungen mehr oder weniger häufig vor-

168 Edith Meyer- Wur mb a c h, Kölner „Zeichen" und „Pfennige" zu Ehren der Heiligen Drei Könige. In: 800 Jahre Verehrung der Heiligen Drei Könige in Köln 1164-1964. Kölner Domblatt 23/24, 1964, 205-260. 169 K. K ö s t er, Pilgerzeichen und Pilgermuscheln von mittelalterlichen Santiagostraßen. Ausgrabungen in Schleswig. Berichte und Studien 2 (1983) 15 ff., zu ausgegebenen Mengen 18 ff.: Pilgerzeichenabgüsse auf Kirchenglocken, Mörsern, Taufen sind oft die einzige Quelle für die Kenntnis ganzer Devotionaliengruppen, von denen wir mangels originaler Funde sonst nichts wüßten. Dies scheint auf den ersten Blick erstaunlich bei einem Massenartikel, von dem einst viele Zehntausende, ja Hunderttausende von Stücken existiert haben. 1"o K. Weidemann, Importkeramik aus Haithabu (Ausgrabung 1963-1964). Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 4 (1970) 46-52: in Haithabu weniger als 1% Import- keramik. Vgl. oben S.136. 186 Heiko Steuer kommt. Punktkartierungen helfen kaum noch weiter, wenn nicht zugleich Mengen- statistik betrieben wird. Denn auch alle diese karolingerzeitliche Keramik stammt aus begrenzten Werkstattgebieten und ist im Nah- sowie Fernhandel verbreitet wor- den. Das gleiche trifft denn auch auf die spätkarolingisch-ottonische Pingsdorfer Ware zu. Für das späte Mittelalter sind Schiffsladungen rheinischer Keramik für den Export nach England schriftlich überliefert, die in Größenordnungen von 50 000 Stück liegen. Schiffe und Handelsvolumen hatten sich bis dahin natürlich wesent- lich vergrößert, was somit den Keramikhandel karolingischer Zeit beurteilen läßt171.

Der Handel im Spiegel archologischer Funde

Die Besprechung der verschiedenen archäologisch nachweisbaren Handelsgüter hat die ganze Einseitigkeit erkennen lassen. Nichts wird ausgesagt zum wichtigen Handel mit Nahrungsmitteln, Wachs, Fellen, Pelzen, Salz und Sklaven. An einem einzigen Markttag in Mecklenburg sind nach Helmold von Bosau (1120-1177) rund 700 gefangene Dänen verkauft worden, was in der Silberwährung mehr als 200 kg entsprochen hätte, mehr als alle Silberschätze der Wikingerzeit im westslawi- schen Gebiet umfassen172. Rohstoffe sind es vor allem, die vom Westen in den Norden verhandelt werden, Eisen in Gestalt qualitätvoller Klingen für die Schwerterherstellung (der Norden versieht sie mit eigenen Gefdßen), Buntmetall in Gestalt karolingischen und insu- laren Schmucks (der zum größten Teil weiterverarbeitet worden ist und nur wenige Originalstücke aus der Fremde überließ), Glas in Gestalt vollständiger Gefdße und vor allem von Glasmassen in Form von Scherben und Tesserae (woraus der Norden Perlen herstellt), Basaltlava für Mühlsteine (die im Norden so verwendet werden, höchstens ihre Endfertigung erfahren), Tannenholz (das im Norden als Brunnen verwendet wird). Hinzu kommt Keramik, die wiederum im Zusammenhang mit Weinimport zu sehen ist. Nicht zu unterschätzen ist der Import von Buntmetall in den Norden. Während Silber in Gestalt arabischer Münzen und seit dem 10. Jh. auch deutscher Münzen — in der 2. Hälfte des 10. Jh. setzt der massive Silberbergbau im ottonischen Reich ein — reichlich für die Schmuckproduktion zur Verfügung stand, werden Blei und Zinn aus dem insularen Bereich importiert worden sein, wo der antike Bergbau anscheinend die Jahrhunderte überlebt hatte und Quecksilber aus Spanien. Dagegen ist die Herkunft der Kupferlegierungen, Bronze und Messing, die in allen Han- delsplätzen des Nordens verarbeitet wurden, ein offenes Problem173. Man sollte den

171 K. G ö b e l s, Rheinisches Töpferhandwerk (1971) 223 ff. 172 Helmold von B o s au, Slawenchronik. Freiherr vom Stein — Gedächtnisausgabe. Ausge- wählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters Bd. XIX (1973) 376 f. zum Jahr 1168: Audivi a referentibus, quod Mekelenburg die Jori de captivitate Danorum septingentae numeratae sint animae, omnes venales, si suffecissent emtores / alle verkäuflich, wenn Käufer genug dagewesen wären. -- J. Herrmann, Siedlung, Wirtschaft und gesellschaftliche Verhältnisse der slawischen Stämme zwischen Oder /Neisse und Elbe (1968) 132. 173 J. G r a h a m - C a m p b e ll, Das Leben der Wikinger (1980) 104 sagt einfach nur in Klam- mern: „Die (importierte) Bronze schmolz man in Tontiegeln ... "; J. Herrmann in J. Herr- Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 187

Import von Schmucksachen aus dem Westen und vom Kontinent deshalb weniger als Beutegut ansehen (vgl. S.166), sondern in ihm Rohstoffzufuhr sehen, wobei der größte Teil dann längst weiterverarbeitet worden ist174. Zieht man aus dem Gesagten die Summe, so besteht der Handel vom Westen in den Norden neben Luxusgütern — zu denen heile Gläser gehören — aus Rohstof- fen, die in allen bisher untersuchten skandinavischen Handels- und Marktorten wei- terverarbeitet, erneut veredelt wurden. Der Handel in Gegenrichtung vom Norden in den Süden mit Speckstein, Mate- rial für Wetzsteine, Eisen, Textilien und vielleicht auch Metallschmuck und Käm- men (vgl. aber S. 180 ff.) endet in den Handelsplätzen auf der Grenze zum karolingisch-deutschen Reich — zumindest was die archäologischen Quellen erken- nen lassen —, in Orten wie Dorestad und Haithabu175. Die Veredelung importierter Rohstoffe in allen Handelsplätzen, darüber hinaus aber auch in Anlagen wie den Burgen von Trelleborg-Typ oder auch in offenen Dörfern176 mag teilweise erfolgt sein durch mobile Handwerker, nachweisbar wohl für Kammproduktion und Metallschmuckherstellung; doch bewegen sich diese Handwerker dann auf den eingefahrenen Handelsrouten innerhalb der verschiede- nen nordischen Wirtschaftsräume. Beleg für den durchgebildeten Versorgungsgang vom Fernhandel über den Nahmarkthandel bis zu jedem Dorf sind die aus dem karolingischen Gebiet importierten Basaltmühlsteine und die rheinische Keramik, die in allen untersuchten Siedlungen der jütischen Halbinsel gefunden werden, ebenso wie die norwegischen Handelsgüter Speckstein und Wetzsteinmaterial. Beim mann (Hrsg.), Wikinger und Slawen. Zur Frühgeschichte der Ostseevölker (1982) 129: „Aus welchen Ländern sie kamen (Bronze und Messing), ist bisher unbekannt. Sowohl Westeuropa als auch Osteuropa kommen als Lieferanten in Frage. Zinn war beispielsweise um 965 bereits in Prag auf dem Markt."; H. Drescher, Metallhandwerk des 8.-11. Jh. in Haithabu auf Grund der Werkstattabfälle. In: Das Handwerk in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (wie Anm. 153) 178: „Nach Aussage der Analysen könnte das Metall der Barren mit allem Vorbehalt aus ,Westeuropa` stammen. Welche Barren aber evtl. importiert wurden, ist nicht zu erkennen." Zum Quecksilber in Haithabu bemerkt er: (S. 187) „Wenn die geborgene Menge von 287 g nur für den Bedarf örtlicher Goldschmiede (also nicht für weiterführenden Handel) gedient haben sollte, müßte man die Produktion von zu vergoldender Ware sehr hoch ansetzen." - 174 H. Hinz, s. v. Bronze, Bronzeguß. In: Lexikon des Mittelalters II (1981 ff.) Sp. 714 weist für den Kontinent auf die Rohstoffquelle „römische Ruinen" hin. Vgl. H. Steuer, Die Franken in Köln. Aus der Kölner Stadtgeschichte (1980) 129 ff. Rohstoffe aus Ruinen. Neben Kupferle- gierungen gehört dazu auch Blei. — Der hohe Anteil an Messing im nordischen Material könnte auf diese Quelle hinweisen. — Die im Hafen von Haithabu gefundene Glocke von 51,3 cm Höhe wiegt immerhin etwa 25 kg; weitere Glockenbruchstücke hat H. Drescher im Bronzeabfall der Siedlung nachweisen können. Damit ist eine Rohstoff Quelle für Schmuckbronze belegt. Aus einer Glocke ließe sich eine große Anzahl heimischer Schalenspangen etc. gießen. H. Drescher (wie Anm. 173) 178; d e r s . , Glockenfunde aus Haithabu. Berichte über die Ausgrabungen in Haithabu 19 (1984) 9-62; K. S c h i e t z e 1, Hafenanlagen von Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 188 Abb. 98. J. C a l l m e r, Ofa 41, 1984, 73 weist auf römisches Altmaterial in der Siedlung Helgö hin, nennt Funde aus Paviken und Uhus. 175 Daß in Dorestad nur wenig Speckstein gefunden worden ist, mag auch darauf zurückzu- führen sein, daß dieser Handelsplatz seine Bedeutung im 9. Jh. verliert, ehe der wikingerzeitliche Exportstrom norwegischen Specksteins erst richtig einsetzt. 176 Handwerk in Burgen vom Trelleborg-Typ: E. R o e s da hl, Fyrkat II (wie Anm. 24) 64 ff, 181 Fig. 239; Handwerk im Dorf (Bronzeguß) E. R o e s d a h 1, Viking Age Denmark (1982) 95 f. Vorbasse; vgl. auch oben S. 167. 188 Heiko Steuer

Konsumenten in Dorf, Burg und Handelsplatz muß die Ware angekommen sein. Das läßt sich über die persönlichen Grabbeigaben ebenso nachweisen wie durch Abfallfunde in den Siedlungen. Wie ist der Vertrieb organisiert gewesen (Abb. 24 und 25)? H. Jankuhn hat jüngst Überlegungen zur Infrastruktur des wikingerzeitlichen Seehandels vorgetragen177. Woher bekommt der Kaufmann seine Ware, woher bekommt der Handwerker sei- nen Rohstoff? Ist der Handwerker zugleich Kaufmann, versorgt der Kaufmann den Handwerker und umgekehrt? Zwischen dem karolingisch-deutschen Reich und Skandinavien gibt es wichtige Handelsplätze und Haltestationen auf den Strecken dazwischen. Handelsplätze größerer Bedeutung und auch Raststationen kennen wir im Norden, aus dem karolingischen Bereich sind archäologisch nur Dorestad und das weitgehend zerstörte Domburg auf Walcheren bekannt; andere sind den Schrift- quellen zu entnehmen. Sie liegen auf der Grenze des Reichsgebietes und öffnen die Wege für den Handel vom und zum Norden, mit den Handelsplätzen an der Grenze zu den Slawen auch zum Osten178. Ein Handelsplatz ist dazu da, Waren aus dem Umland zu sammeln; dort kauft sie der Fernhändler. Er verkauft seine von weither mitgebrachten Waren oder Rohstoffe, die wiederum vom Handelsplatz auch im Umland verteilt werden. Dies ist die zentrale Funktion des Handelsplatzes als Markt: In seinem Umland, dem Hinterland müssen sich Handelswaren nachweisen lassen. Das ist für karolingisches Glas in Mittelschweden, dem Hinterland von Birka der Fa11179. Noch überzeugender, da es nicht um Luxusgüter geht, ist die Ver- teilung von Mayener Basaltmühlsteinen und norwegischen Specksteingefäßen0 über die Dörfer der jütländischen Halbinsel, für die Haithabu, Ribe, Arhus und andere Handelsplätze die Verteilerfunktion übernommen haben werden. Man hat das nor- wegische Kaupang als einen Sammelplatz für Specksteingefäße aus dem Hinterland angesehen, von wo aus sie dann weitervertrieben wurden nach Süden. Doch endet die Existenz des bisher ausgegrabenen Siedlungsplatzes Kaupang, bevor der größere Handel mit Speckstein im 10. Jh. einsetzt. Gräber des 10. Jh. in der Landschaft von Kaupang haben als Beigaben zwar derartige Gefäße, doch der Sammelplatz ist noch unbekannt180. Im Süden ist Dorestad Sammelplatz für Waren aus dem Hinterland, für Wein, Keramik, Mühlsteine, sicherlich auch Waffen, und für Gläser. Wie aber verteilt der aus Dorestad in den Norden reisende Kaufmann seine Ware? Kauft er ein großes Sortiment verschiedener Waren oder nur eine Warenart, fährt er mit der ganzen Ladung nach Birka und setzt sie dort ab, oder verkauft er auf dem Wege nach Birka in allen Handels- und Rastplätzen Teile der Ladung und ergänzt diese

17 H. Jankuhn, Beobachtungen und Überlegungen zur „Infrastruktur" des wikingerzeit- lichen Seehandels. Offa 37, 1980, 146-153; der s . , Trade and Settlement in Central and North- ern Europe up to and during the Viking Period. Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland 112, 1982, 18-50. 178 Diedenhofener Capitular (805): Ostgrenze für den Handel — Bardowick, Schezla, Magde- burg, Erfurt, Hallstatt bei Bamberg, Forchheim, Premberg, Regensburg und Lorch an der Enns. In diesen Grenzorten wird der Handel mit den Slawen unter Aufsicht königlicher Amtsträger abgewickelt. Vgl. F. Schwind (wie Anm. 12) 294. 179 Vgl. G. A r w i d s s o n, Vendelstile, Email und Glas (1942); vgl. auch Anm. 70. 180 S. My r v o ll, Norwegian Arch. Review 17 (2), 1984, 136 rechnet zudem mit weiteren Siedlungen, auch jüngeren der Art von Kaupang, z. B. im Ostfold mit dem Schiffsgrab von Tune. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 189

Handel

3 • O Gütertausch Güter gegen Bezahlung

Markt 2 4 Markt

Händler 5

Markt der Händler

Handelsplatz

Lokalmarkt

7

Hierarchie der Märkte

• Produzent —^ Güter q Markt U Händler Konsument d-- Bezahlung 0 Handelsplatz

Abb. 24: Modelle für» Handel" als verschiedene, noch für die Wikingerzeit anzunehmende Formen des Güteraustausches: 1. Gütertausch, Sache gegen Sache zwischen zwei Partnern, 2. Gütertausch auf einem Markt, 3. Güterkauf gegen Bezahlung von einem Partner, 4. Güterkauf auf einem Markt. — Die Formen 1-4 kommen ohne einen Händler aus, ein Profit wird noch nicht angestrebt. — Der Händler lebt vom Profit, der Summe an Geld etc., die er für seine »Bemühungen" über den ausgeglichenen Gut-Geld-Wert hinaus einbehält: 5. Güterkauf erfolgt von einem bzw. durch einen Händler, der zwischen Produzent und Konsument hin- und herwechselt, 6. verschiedenen Händler tauschen ihre Güter auf einem Markt aus, 7. Händler reisen zwischen Lokal- und überregionalen Märkten hin und her und lassen u.U. die Form des reinen Zwischenhändlers entstehen. Eine Hierarchie von Märkten entsteht, und reisende Kaufleute, die bis in die Dörfer kommen, sorgen für Ankauf von Gütern und für Verkauf von mitgebrachten Waren.

190 Heiko Steuer

Fernhandel

Tröpfel - Modell 1

2 Aufsicht über den Handel W Abgaben Abgaben

3

II Händler • A Händler q Lokalmarkt Ware an den CJ W König O A Konsumenten ® Handelsplatz

Abb. 25: Modelle für Fernhandel": 1. das sog. Tröpfelmodell -- ein Händler kauft Ware im Großen ein und beginnt seine Reise damit, der Verkauf setzt beim ersten Markt ein, vermindert den Bestand, wird fortgesetzt beispielsweise an einem großen Grenzhandelsort, dann an Märkten im fremden Wirtschaftsraum, wobei von Station zu Station der Bestand an zu Anfang eingekaufter Ware abnimmt, bis schließlich fern vom Ausgangspunkt der Handelsfahrt nur noch wenig Ware geblieben ist. Dort beispielsweise belädt der Fernhändler sein Schiff mit einer anderen Ware, die auf der Rückreise wiederum verkauft wird, bis er nur noch mit wenigen Stücken im Heimatgebiet eintrifft. Der wikingerzeitliche Handel scheint nach dem archäologischen Fundbild (Keramik, Basalt-Mühlsteine, Speckstein etc.) in dieser Form verlaufen zu sein. Die Aufsicht über den Handel kann in unterschiedlicher Form realisiert werden: 2. der König organisiert und beaufsichtigt unmittelbar einen Handelsplatz, gewissermaßen auf seinem Territorium, 3. der König ist Herr des Handels und bezieht von allen, netzartig angeordneten Handelsplätzen seines Gebietes für allgemeinen Schutz Abgaben. Im ersten Fall hat er unmittelbar Zugriff auf die aus der Fremde importierten Güter und kann zuerst seinen Hof damit versorgen und nur das Übergebliebene weiterverkaufen lassen, im zweiten Fall gewinnt er durch Abgaben Finanzmittel, die ihm erlauben, alle Luxusgüter des Fernhandels zu erwerben. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 191 dann durch örtliche Waren? Tröpfelhandel nennt man diesen Absatz einer Ladung Schritt für Schritt, was auch bedeuten kann, daß am Anfang viel verkauft wird und an der Endstation nur noch wenig von der Ausgangsware ankommt. Rheinische Keramik und Gläser werden dann zuerst an der Nordseeküste verkauft, dann in Haithabu und nur der Rest gelangt bis Birka und wird dann wegen der Seltenheit besonders teuer sein. Doch auf diese Gesetze des Marktes soll hier nicht eingegan- gen werden. In Norwegen und Schweden wird Speckstein für Gefäße in Steinbrüchen gewon- nen; man nimmt an, durch örtliche Gruppen, die in Höfen oder Dörfern leben. Wer die Organisation insgesamt übernimmt bis zum Transport an einen Handelsplatz und den Export nach Dänemark und bis zum karolingischen Dorestad, ist unbe- kannt. Brechen, sammeln, verladen und verhandeln immer dieselben Leute im Familienbetrieb Speckstein, oder wandert die Ware vom Erzeuger über Kaufleute zu den Abnehmern? Lokale oder überregionale Herrschaftsinstanzen können Gewinnung und Vertrieb in der Hand gehabt haben, so wie man dies für Planung und Überwachung der Schmuckproduktion in Helgö durch die mittelschwedische Königsmacht angenommen hatte181. Für Kamm- und Schmuckproduktion wurde der wandernde Handwerker vermu- tet, der dann den Verkauf der von ihm erzeugten Ware selbst in der Hand hat. Der Archäologe kann nur die Verbreitung der Fundgruppen registrieren. Die Frage, über welche Art von Handel die Verteilung zustandegekommen ist, kann er bisher nur durch alternative Modelle beantworten, die kurz skizziert wurden und auf dem Hintergrund der theoretischen Diskussion gesehen werden müssen, die in einem früheren Band 181a abgedruckt worden ist. Die Form der mitteleuropäischen Grundherrschaft hat es in Skandinavien in der Wikingerzeit sicher nicht gegeben, aber als Ergänzung zu den angedeuteten Verteilungsmodellen sollte Güterverbrei- tung im Rahmen der über sog. Streubesitz verfügenden großen Grundherrschaften im Rheinland erläutert werden (Abb. 26). Am Rheinischen Vorgebirge westlich von Köln wird vom 10. bis 13. Jh. Keramik produziert, die sog. Pingsdorfer Ware, die in Form von Kannen und Weinkrügen verbreitet wird. Die Herstellung erfolgt auf Gütern, die überwiegend großen Grundherrn, so den städtischen Kölner Stiften und Klöstern gehören. Die Leute der Stifte transportieren die Pingsdorfer Keramik von Pingsdorf nach Köln und von dort weiter zum Niederrhein nach Dorestad, wo die Stifte ebenfalls Höfe haben. Sie verfügen aber zugleich auch über Höfe im Weinanbaugebiet im Rheingau, lassen von dort Wein — vielleicht in Tannenholz- fässern — zu ihren Höfen im Handelsplatz Köln und im Küstenhandelsplatz Dore- stad bringen. Die Stifte und anderen Grundherrn verfügen aber über ein ganzes Netz von solchen Höfen, die wiederum etwa im Siegerland mit Eisengewinnung

181 W. H o lm q v i s t, Helgö, eine Vorform der Stadt? In: Vor- und Frühformen der europäi- schen Stadt im Mittelalter. T.I. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist. Kl. Dritte Folge Nr. 83 (2. Aufl. 1974) 27; vgl. Anm. 124. 181a B. S t j er n q u i s t, Methodische Überlegungen zum Nachweis von Handel aufgrund archäologischer Quellen. In: Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühge- schichtlichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. T. I: Methodische Grundlagen und Darstellungen zum Handel in vorgeschichtlicher Zeit und in der Antike. Abh. Akad. Wiss. Göttingen, Phil. Hist. Kl. Dritte Folge Nr. 143 (1985) 56-83. 192 Heiko Steuer

1\ Fernhandel

Stadt Köln Abtei Altenberg Stift St. Ursula mit Stadthof und mit den Wirtschafts - Wirtschaftshöfen höfen vor der Stadt

,7,77-1;:4**

\/ Fernhandel

Abb. 26: Verteilungsmodell für die Güterverbreitung im Rahmen der über Streubesitz verfügenden großen Grundherrschaften des Rheinlandes. befaßt sind. Die Verbreitung von Pingsdorfer Keramik mit dichter Streuung im Rheinland und in Westfalen kann im Grunde die sich überlagernden Netze ver- schiedener Grundherrschaften spiegeln, die wiederum alle Anteil am Produktions- zentrum Pingsdorf hatten. Dieses Verbreitungsbild entsteht somit noch nicht durch Handel, sondern nur durch Verteilung innerhalb jeweils einer Grundherrschaft. Doch an den Marktorten Köln und Dorestad wird die Ware „Keramik" auch an den Markt abgegeben; hier können Fernkaufleute sich damit versorgen. Auf der Fahrt nach Handelsplätzen in England oder Schweden verkaufen sie nach und nach die Keramik. Damit wird das Verbreitungsbild auf der Karte vergrößert, doch wird die Zahl der Fundpunkte mit zunehmender Entfernung geringer und die Fund- menge am Ort kleiner. Jede quantifizierende Verbreitungskarte belegt dieses Modell. Doch muß vorerst offen bleiben, in welche Strukturen der Fernhandel vom Kontinent im Norden einmündet, die dann dort für die Verteilung auf dem flachen Land sorgen. Kaufen die Bauern auf den Märkten der Handelsplätze, kommen Händler und Hausierer182 zu ihnen ins Dorf?

182 Zum Hausiererhandel z. B. auf Island H. J a n k u h n (wie Anm. 177) 147; Else Ebel, Kaufmann und Handel auf Island zur Sagazeit. Hansische Geschichtsbl. 95, 1977, 1-26; auch H. Thor 1 äks son, Comments on Ports of Trade in Early Medieval Europe. Norwegian Arch. Review 11 (2), 1978, 112-114. Zum internen nordischen Handel vgl. Chr. Keller,ell Nordisk vikingetid — forsek pa en ekonomisk modell. Universitetets Oldsaksamling Arbok 1972-74 (1975) 99-110. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 193

Ohne Berücksichtigung der gesellschaftlichen Strukturen, die sich zudem nicht nur auf dem Kontinent, sondern auch im Norden ändern, ist auch die Frage nach der Verteilung importierter Waren nicht zu beantworten. Ist der Beginn der Wikin- gerzeit gekennzeichnet durch die Entstehung von Handwerkersiedlungen und Handelsplätzen unter königlicher Regie, so kommen im Laufe der Wikingerzeit, spätestens im ausgehenden 10. und 11. Jh. Organisationsformen ähnlich der konti- nentalen Grundherrschaft hinzu 1ß3. Die Wandlung des jütischen Dorfes Vorbasse um 1000 läßt Großhöfe entstehen, auf denen bis zu zehn oder zwölf Gebäude ste- hen sowie Speicher. Neben dem großen Wohnhaus vom Trelleborg-Typ gibt es reine Stallgebäude mit Platz für über 100 Tiere und Werkstatt-Häuser, von denen eines ausschließlich der Bronzeverarbeitung diente 184. Auf derartigen Höfen konn- ten Abgaben der Umgebung gesammelt, an den Handel abgegeben und aus dem Fernhandel 7 B. die benötigte Bronze als Rohmaterial bezogen worden sein. Noch ist es zu früh, anhand der archäologischen Befunde die Organisation und die Verknüpfung von Fern- und Nahhandel im Norden oder auf dem Kontinent sowie den Britischen Inseln beschreiben zu können. Daher hat es in jüngster Zeit nicht an Versuchen gefehlt, über Modellbildung Handelsstrukturen und frühstädti- sche Entwicklung zu erschließen. Doch allein schon die Versuche, die Handels- plätze der ausgehenden Vendel- und der Wikingerzeit unterschiedlich zu gruppie- ren, geht an den schriftlichen und archäologischen Aussagen vorbei185. Einzelne Faktoren, die genannt werden, haben eine wesentliche Rolle gespielt, so die Lage der Handels- und Marktorte an politischen Grenzen, am Ende von Fernhandelswe- gen und am Beginn von Inland-Routen, so die Funktion der Könige bei Gründung, Schutz, gar Preisfestsetzung und das Monopol der Führungsschicht am Import von Luxuswaren. Nach derartigen Definitionselementen jedoch die Plätze zu gruppie- ren, Dorestad und Haithabu als Warenstapelplätze und Sammelorte von Zwischen- händlern zu deuten, Kaupang, Hamwih, Birka, Helgö, Quentovic und Rouen als königliche Gründungen abzuheben, entspricht nicht der Quellenaussage, da Hai- thabu z.B. nie in einem neutralen Niemandsland lag, sondern immer unter einer königlichen Aufsicht stand, sei es nun der dänische, deutsche und zwischenzeitlich ein schwedischer König. Wichtiger ist jedoch, worauf Torrence in dieser Diskus- sion hinweist, die Erforschung des Handelsnetzes, in dem die genannten Orte Kno- ten bilden, zu denen aber noch kleinere Stationen für die reisenden Kaufleute gehö- ren. Es hat sich zudem gezeigt, daß unser Bild von der Verteilung der

183 A. Christopher s e n, Drengs, , Landmen and Kings. Some Aspects on the Forms of Social Relations in Viking Society during the Transition to Historic Times. Meddelan- den Lund, New Series 4, 1981-82, 115-134. 184 St. H v a s s, Wikingerzeitliche Siedlungen in Vorbasse. Offa 41, 1984, 97-112, hier 110. 185 Eine Auswahl aus der Lit.: K. P o l a n y i, Trade, Markets, and Money in the European Early Middle Ages. Norwegian Arch. Review 11 (2), 1978, 92-96; R. Hodges, Ports of Trade in Early Medieval Europe. Mit Comments durch G. Dalton, R. Torrence, H. T h o r l ä k s- s on . Norwegian Arch. Review 11 (2), 1978, 97-177; R. Hodges, Trade and Urban Origins in Dark Age England: an archaeological critique of the evidence. Berichten ROB 27, 1977, 191-215; J. C a l l m e r, Production Site and Market Area. Some Notes on Fieldwork in Pro- gress. Meddelanden Lund, New Series 4, 1981-82, 135-165. 194 Heiko Steuer

Handelsplätze noch durchaus sehr lückenhaft ist. Als Beispiel sei auf die erst jüngst entdeckte und bisher nur wenig untersuchte Handwerkersiedlung Ahus hingewie- sen, in der wie bei allen Plätzen üblich, Glasverarbeitung und Bronzeguß betrieben wurde, Sceattas die Handelsverbindung zum karolingisch-anglischen Westen belegen186. Bedenkenswert ist auch die Deutung der Handels- und Marktsiedlung Hamwih als Vorgänger von Southampton durch R. Hodges, den Bearbeiter der keramischen Funde, als Wohnplatz fremder Kaufleute. Die 30 Sorten Importkera- mik sieht Hodges als Niederschlag des täglichen Tischgeschirrs der verschiedenen Kaufleutegruppen, durch deren Niederlassung unter königlichem Schutz die Sied- lung erst entstand. Hamwih hätte dann eine ähnliche Struktur wie Kaupang, wo fast ausschließlich ebenfalls fremde Keramik gefunden wurde — wobei auf das Feh- len eigener Keramik hingewiesen wurde (vgl. S. 138), und eine gänzlich andere als Haithabu, wo heimische Keramik den größten Anteil ausmachte. In Hamwih wurde übrigens nur 3% rheinische Keramik, die in Dorestad völlig dominiert, ge- funden187. Die Handelsbeziehungen weisen anhand der Keramik stattdessen nach Nordfrankreich und die anschließenden Gebiete der Niederlande bzw. Belgiens (Abb. 8 und 9). In Hamwih haben sich dann von jenseits des Kanals Händler nieder- gelassen, so wie im Ostseeraum in Menzlin und auch in Ralswiek Kaufleute aus Skandinavien. Mit einem zeitweiligen Niedergang Hamwihs einher geht der Bedeutungsanstieg von Dorestad: die Karolinger wenden ihr Interesse von England mehr nach Skan- dinavien. Die Rolle des Königstums bei Begründung von Handels- und Marktplätzen, als Importeur fremder Erzeugnisse ist zu vermuten. Die Verbreitung rheinischer Mühlsteine über seinen Marktplatz mag dann mit Hilfe von Zoll und Steuern die Einkünfte des Königs erhöht haben, aber Waffen wie Ulfberht-Schwerter wurden sicherlich nicht importiert und dann auf dem freien Markt für jeden erwerbbar in Haithabu oder Birka angeboten, sondern näher liegt, daß der König für seine Gefolgschaft Waffen importierte, ebenso für sich und seine Gefolgschaft — die damit durch Geschenk versorgt wurde — Luxusgüter wie Gläser aus dem fränki- schen Bereich. Unter königlicher Regie wurden Münzen geprägt, in Hamwih Sceat- tas, in Haithabu die sog. Hedeby-Brakteaten. Sicherlich ist Dalton zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß wir kaum mit einem freien Markt-Handel rechnen dürften, der die Moderne weitgehend bestimmt, sondern daß es ein politisch ver- walteter Handel war, nicht nur der Fernhandel, sondern der damit organisch ver- knüpfte Nahmarkthandel.

186 J. C a 11 m e r (wie Anm. 185); ders., Recent Work at Ahus: Problems and Observations. Offa 41, 1984, 63-75. 187 R. Hodges (wie Anm. 185) 1977, 197f.; ders., The Hamwih pottery: the local and imported wares from 30 years' excavations at Middle Saxon Southampton and their European context. Council of British Archaeology, Research Report 37 (1981); ders., Some early medie- val French wares in the British Isles: an archaeological assessment of the early French wine trade with Britain. In: Pottery and early commerce. Caracterization and trade in roman and later cera- mics, ed. D. P.S. Peacock (London 1977) 239-255; ders., Red-painted pottery in north- western Europe: a new light on an old controversy. In: Medieval ceramics 1, 1977, 45-50. Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 195

Zwischen den beiden Modellen ständige Handwerker- und Händlersiedlung einerseits oder saisonal aufgesuchter Marktplatz andererseits kann immer noch nicht entschieden werden. Die Ansiedlung fremder Kaufleute wie in Hamwih kann saisonal begrenzt sein, die Produktion — ob Perlen, Kämme oder Bronzegegen- stände — scheint überwiegend durch mobile Handwerker betrieben zu sein — und landwirtschaftliche Einrichtungen fehlen weitgehend. Haithabu wird aus dem Umland versorgt188. Ahus als Handwerkerplatz weist nicht einmal so alltägliche Dinge wie Webgewichte und Kämme auf189; aber in Dorestad scheint es landwirt- schaftliche Betriebe gegeben zu haben190. Daß es zudem nur saisonal zu Marktzwecken aufgesuchte Plätze gegeben hat, kommt hinzu191.

Zur Intensität des Fernhandels zwischen dem Westen und Norden

Mehr als alle Modelle lassen gegenwärtig die ständig neuen archäologischen Ergebnisse den Fernhandel zwischen dem karolingischen Westen, dem insularen Bereich und Skandinavien bewerten. Das sei abschließend mit einigen Bemerkun- gen erläutert. Handelsplätze wie Birka, Haithabu oder Dorestad haben eine beachtliche Bevöl- kerung, sei sie nun ansässig oder nur saisonal anwesend, wie jedenfalls aus den Grä- berfeldern und der besiedelten Fläche erschlossen werden kann. Für Haithabu läßt sich anhand der Grabmengen eine Einwohnerzahl bis zu 1000 errechnen. Diese Handelsplätze verfügen über eine erhebliche Infrastruktur, die nicht nur großen Arbeitsaufwand fordert, sondern auch über Jahrzehnte sorgfdltiger Betreu- ung bedarf. Genannt seien nur die Schiffsbrücken und Kaianlagen in diesen drei Orten192. Die Zahl der uns bekannten Handwerker- und Handelsplätze wächst stän- dig, auch die Werkplätze beispielsweise für Bronzeguß in dörflichen Siedlungen der

188 K. E. B e h r e, Pflanzliche Nahrung in Haithabu. In: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 208-215; der s . , Ernährung und Umwelt der wikingerzeitlichen Sied- lung Haithabu. Die Ausgrabungen in Haithabu 8 (1983). 189 T. C a l l m e r (wie Anm.185) 153. 198 R. H o d g e s (wie Anm. 185) 1978, 98; nach W.A. v a n Es, Excavations at Dorestad. A pre-preliminary report, 1967-1968. Berichten ROB 19, 1969, 183 ff. 191 H. Jankuhn (wie Anm. 177) 150 f.; Köpingsvik auf Oland: H. Schulze, Vikingatida Kulturlager Solberga, Köpingsvik, Köpinga pa Oland. Riksantikvarieämbetet och Statens Hist. Mus. Rapport 1980, 14; Skuldevig: N.-K. L i e b g o t t, Skuldevig. Skalk 1980, H. 2, 3-8. Vgl. H. Jankuhn, Handelplätze anderer Art. In diesem Band S. 198 f.. 192 W. A. v a n Es, W. J. H V e r w e r s (wie Anm. 48) 22 ff.; K. S c h i e t z e l (wie Anm.1) 94 ff. und in: Handelsplätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 184-191; B. A mb r o- s i a n i u. a., Birka. Svarta Jordens Hamnomrade. Arkeologisk undersökning 1970-1971. Riksan- tikvarieämbetet Rapport C 1, 1973, 7ff. (Steinbrücke); auch in Ralswiek auf Rügen sind mehrere Schiffsanlegebrücken, nebeneinander errichtet, nachgewiesen: J. Herrmann, Ralswiek — See- handelsplatz, Hafen und Kultstätte. Arbeitsstand 1983. Ausgrabungen und Funde 29, 1984, 128-135. — Die von 675-825 bis auf eine Länge von rund 200m zum Rhein hin ausgebauten Bohlenwege bzw. Schiffsbrücken erstrecken sich in Dorestad auf einer Breite von mehr als 500 m. Mit mehreren Dutzend gleichzeitig anlegender Handelsschiffe kann gerechnet werden. In Haithabu sind aus dem 9. /10. Jh. auf einer Breite von 40 m drei Schiffsbrücken freigelegt wor- den, und die Uferzone der umwallten Stadt des 10. Jh. ist mehr als 600 m lang. Auch hier könn- ten Dutzende von Schiffen gleichzeitig anlegen. 196 Heiko Steuer

Wikingerzeit, d.h. damit steigt auch die für uns erkennbare Menge an Rohmaterial, das aus dem karolingischen Westen eingeführt werden mußte. Zugleich wächst auch die Zahl der Siedlungen, in denen Importwaren nachgewie- sen werden können; für Mayener Mühlsteine ist das schließlich jedes Dorf in Jüt- land, das umfangreicher gegraben ist. Das weitgespannte Netz der Handelswege wird deutlicher durch Besetzung mit Fundpunkten, die westliche Waren markieren. Sog. Tatinger Kannen sind nach England, aber auch in die baltischen Regionen gelangt. Die geschilderten Handels- zonen sind nicht exklusiv, sondern vielfach miteinander verflochten. Im Hamwih gibt es, wenn auch selten, rheinische Keramik, französische Keramik, die über Hamwih nach England exportiert worden ist, findet sich in einzelnen Stücken auch in Skandinavien193. Die schriftliche Überlieferung nennt Handelsreisen, bei denen sich — wie bei Ansgars Reise nach Birka — mehrere Handelsschiffe zusammengetan haben; die steigende Zahl der Schiffswracks, die ausgegraben werden, belegt die durchschnittliche Ladefähigkeit von 35-40 Tonnen 194. Nicht nur gelegentlich, son- dern ständig waren Handelsschiffe unterwegs, die beachtliche Warenmengen vom Westen zum Norden und umgekehrt transportiert haben, nicht nur Luxusgüter wie Gläser und in gewissem Sinne Waffen, sondern auch Massengut wie Mühlsteine, Keramik u.ä. und Besonderheiten wie Walnüsse, Buchsbaumholz, Quecksilber und Walroßelfenbein oder auch Nahrungsmittel wie Fische aus dem Nordatlantik195. Marktwesen mit Kauf und Verkauf in erstaunlicher Intensität belegen schließlich im Norden die zahlreichen Funde von Geldwaagen und Gewichten, die nicht nur in der Hand von Kaufleuten waren, sondern jedermann zur Verfügung standen und benutzt wurden. Die Diskussion, wie umfangreich eigentlich der Geldverkehr im karolingischen Westen gewesen ist, ob Geld oft nur Rechnungseinheit war und sonst Tausch stattfand, oder ob Münzgeld jedermann zur Verfügung stand, Abga- ben in Geld geleistet wurden, ist für den nordischen Raum, ebenso wie für das westslawische Gebiet eindeutig zu entscheiden: Geld in Form von Silber als Münze oder Hacksilber war überall vorhanden, und überall gab es Waage und Gewicht. Dies belegen einerseits die Münzfunde in Siedlungen und andererseits die Funde von Gewichten oder auch Teilen von Waagen in Dörfern weit ab von Handels- plätzen196. Man handelte also allgemein, zahlte mit Silbergeld und kaufte Fern- handelsgut aus dem karolingischen Westen.

193 R. H o d g e s (wie Anm. 185) 1977, 204: ein Gefäß der Importgruppe 14 in Birka, zwei in Kaupang. 194 O. C r u m l i n- P e d e r s e n, Der Seetransport: Die Schiffe von Haithabu. In: Handels- plätze des frühen und hohen Mittelalters (wie Anm. 5) 241-250; d e r s . , The Ships of the Vikings. In: The Vikings. Acta Univ. Upsaliensis. Symposia 8, 1978, 271 ff.; de r s . , Fünf Wikingerschiffe aus dem Roskildefjord (1978); d e r s . , Skibe pa havbunden. Vragfund i danske farvande frä perioden 600-1400. In: Handels- & Sefartsmuseet pa Kronborg (Helsingor). Arbok 1981, 28-65. 195 Walnüsse sind in York, im Oseberg-Grab, in Lund und in Haithabu nachgewiesen: K.- E. B e h r e, Ernährung und Umwelt der wikingerzeitlichen Siedlung Haithabu (1983) 50 (Hai- thabu, Lund, Oseberg). 196 Die großen Zahlen an Gewichten, die in Handelsplätzen verloren gingen, wurden S. 183 genannt. Als Beispiel für eine Siedlung sei Kosel, Kr. Rendsburg-Eckernförde genannt, wo Reste einer Waagschale und die zerschnittene Hälfte einer arabischen Münze gefunden worden sind, Offa 41, 1984, 137 ff. Reste einer Waagschale wurden auch in der slawischen Siedlung auf dem Der Handel zwischen Nord- u. Westeuropa aufgrund archäolog. Zeugnisse 197

Es darf nicht vergessen werden, daß dieses gleichmäßige Bild von Handelsbezie- hungen zwischen dem Westen und Norden keinen statischen Zustand anzeigt; viel- mehr machen der Handel und die Handelsplätze sehr komplexe Entwicklungen durch. Der neue Aufschwung des Handels zum Norden mit Begründung neuer Handelsstationen setzt in der Mitte bzw.0 der zweiten Hälfte des B. Jh. ein. Dorestad, Hamwih, Ribe, Haithabu, Kaupang, Ahus, Löddeköpinge und noch Helgö sind zu nennen. Gegen Ende des 9. Jh. verlieren Dorestad, Hamwih, Kaupang, Helgö ihre Bedeutung, die anderen Handelsplätze exisitieren weiter und erleben erst ihre Hochblüte, und neue kommen hinzu. Begrenzte Ausgrabungen und ausstehende Publikationen gestatten es jedoch noch nicht, diese Entwicklungen zu schematisie- ren. Sind sie ein Echo auf interne Veränderungen oder auf Verschiebungen in den Handelsinteressen des Karolingerreiches und der Nachfolgestaaten? Auch die Han- delsgüter bleiben nicht immer die gleichen. Speckstein-Gefäße erreichen Haithabu nur im 10. Jh., Badorfer und Tatinger Keramik wird von Pingsdorfer Ware abge- löst. Auch die Währungssituationen ändern sich. Anfangs erscheinen die Sceattas als Anzeiger der Handelswege in den Funden des Nordens, später überwiegt östli- cher Einfluß. Genormte Geldgewichte treten erst am Ende des 9. Jh. auf; vorher wurden andere Waagen und schlichte Bleigewichte benutzt, ob aber nur für Zwecke des Handwerks oder auch im Geldverkehr, das bleibt noch unklar. Schwenkungen in den Haupthandelsrichtungen wurden mehrfach erwähnt, so der Wechsel von der Richtung Haithabu — Norwegen zur stärker besetzten Richtung Haithabu — Mit- telschweden. Im übrigen darf der Handel zwischen West- und Nordeuropa nicht ohne Berücksichtinl1 n , des Handels zwischen Nord- und Osteuropa gesehen werden (vgl. den Beitrag von I. Jansson, S. 773 ff.). Die Reaktionen der nordischen Kauf- leute werden durch die materiellen Einflüsse aus Osteuropa nicht ohne Folgen für den Westhandel gewesen sein197.

Möhlenkamp bei Bosau gefunden. H. H i n z, Bosau. Untersuchungen einer Siedlungskammer einer Waagschale und die zerschnittene Hälfte einer arabischen Münze gefunden worden sind, Offa 41, 1984, 137 ff. Reste einer Waagschale wurden auch in der slawischen Siedlung auf dem Möhlenkamp bei Bosau gefunden. H. H i n z, Bosau. Untersuchungen einer Siedlungskammer in Ostholstein VI (1983) 187 etc. Die Bedeutung eines Handelsplatzes wie Haithabu für den Handel mit dem unmittelbaren Hinterland wird deutlich sichtbar an der Verbreitung in Hait- habu geschlagener Münzen in Angeln: P. I l i s c h, Der Münzfund von Steinfeld. Hikuin 11, 1985, 145-156. Der Schatzfund von Steinfeld im ländlichen Gebiet unterstreicht die unmittel- bare Beziehung des Fundortes mit dem Fernhandel über den Nahmarkthandel der Handels- plätze. So schon H. J a n k u h n, Ein Münzfund der Wikingerzeit aus Steinfeld, Kr. Schleswig. Offa 11, 1952, 82-100; d e r s . , Offa 37, 1980, 149 und Rhein. Vierteljahrsbl. 15/16, 1950/51, 498 Abb. 2: Die Bevölkerung im Hinterland war durch den Nahmarkthandel kapitalkräftig geworden. Dazu auch Ch. B l i n d h e i m, Commerce and Trade in Viking Age Norway. Exchange of Products or organized Transactions? Norwegian Arch. Review 15, 1982, 8-18. 197 Dazu zusammenfassend als guter Überblick J. Herrmann u. a., Wikinger und Slawen. Zur Frühgeschichte der Ostseevölker (1982). Ebensowenig darf vergessen werden, daß es weit im Westen auch einen intensiven Handel zwischen dem Frankenreich und Irland gegeben hat. Ch. D o h e r t y, Exchange und Trade in Early Medieval Ireland. Journal of the Royal Society of Antiquaries of Ireland 110, 1980, 77: Adamnan von Hy (ca. 625-704) berichtet in seiner Vita des Columban — seines Verwandten —, daß dieser bei seiner Rückkehr aus Frankreich als „Geschenke" 100 Fässer mit Wein, 200 Fässer Weizen und 100 Fässer Bier mitgenommen hat. Material für zahlreiche Brunnenröhren fällt damit ab. S.84: Für das 10./11. Jh. ist Sklaven- handel zwischen Dublin und Chester sowie Bristol erwähnt, der Handel mit Marderfellen nach Chester und Rouen ist bezeugt. Salz wird von England nach Irland importiert.