Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt. Jahresheft 2013 Naturschutz SachS Im Land Landesamt fürUmweltschutz SACHSE La en-a ndesa mt fü N- r Umwe ANHA 50. Jahrgang·Jahresheft2013 ltsc nhaL hu tz LT ISSN 0940-6638 t Oben: Kiesbank in einem der wenigen noch relativ naturnah erhaltenen Abschnitte der Helme bei Martinsrieth Vitale, blütenreiche Frauenschuh-Gruppe (Cypripedium calceolus) in einem Halbtrockenrasen im FFH-Gebiet „Gewässersystem der Helmeniederung“ (FFH0134LSA). Foto: G. Jarosz. im unteren Unstruttal. Foto: C. Hein. Unten: Quappe (Lota lota) in ihrem natürlichen Lebensraum. Foto: J. Porstendorfer (Aufn. nicht aus der Helme). Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt

50. Jahrgang • 2013 • ISSN 0940-6638

Inhaltsverzeichnis Seite

Aufsätze Studte, B., Leideck, S., Naturnahe Begrünungsmaßnahmen in Offenland- Jünger, G., Hefter, I. & lebensräumen – Aktuelle Situation, Methoden Tischew, S. und Ausblick für Sachsen-Anhalt ...... 3

Meysel, F. Die Orchideenarten des Anhanges II der FFH-Richtlinie in Sachsen-Anhalt Teil 2: Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus L.)...... 12

Pottgiesser, T., Altgewässertypologie – Ein Instrument zur naturnahen Ehlert, T. & Entwicklung potamaler Altgewässer der Jährling, K.-H. in Sachsen-Anhalt ...... 24

Driechciarz, R. & E. Wildlebende Säugetiere auf dem Gelände und in der Umgebung des Zoologischen Gartens Magdeburg – Eine kommentierte Artenliste ...... 39

Helm, H., Positionsbestimmung von Naturschutzbund und Ornithologen- Schönbrodt, M. & verband Sachsen-Anhalt zu Regulierungen an den Beständen Schulze, M. des Kormorans ...... 55

Zuppke, U. & Zur Bedeutung von Fischen und Rundmäulern im Naturschutz und Wüstemann, O. Handlungsempfehlungen zu praxisbezogenen Schutzmaßnahmen...... 66

Informationen Haslbeck, I. Übersicht der im Land Sachsen-Anhalt nach Naturschutzrecht geschützten Gebiete und Objekte ...... 75

Zuppke, U. Das Vorkommen des Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläulings im FFH-Gebiet „Feuchtwiese bei Dobien“ (Landkreis Wittenberg) ...... 78

Mitteilungen Ehrungen Nachruf für Wolfram Weiner (1942–2011)...... 80 Peter Ibe zum 65. Geburtstag ...... 81 Dr. Lutz Reichhoff zum 65. Geburtstag...... 83

Schrifttum ...... 88

Impressum ...... 96

SACHSEN-ANHALT Landesamt für Umweltschutz Geschützte und gefährdete Pflanzen, Tiere und Landschaften des Landes Sachsen-Anhalt

Zu den Abbildungen der 2. und 3. Umschlagseite

Die Helme – Flusslandschaft des Jahres Der Frauenschuh – eine in Sachsen-Anhalt 2012/2013 stark gefährdete floristische Schönheit Mit der Helme erhielt erstmals auch ein Fluss in Sachsen- Im Gegensatz zu vielen einheimischen, eher unscheinbaren Anhalt und Thüringen auf Vorschlag der Naturfreunde Orchideenarten erinnert der Frauenschuh (Cypripedium cal- Deutschlands und des Deutschen Anglerverbandes das Prä- ceolus L.) mit seiner großen Blüte bereits stark an die Pracht dikat „Flusslandschaft des Jahres 2012/2013“ vom Bundesum- tropischer Orchideen und ihrer im Handel angebotenen weltministerium verliehen. vielfältigen Hybriden. Die Attraktivität wird der Art immer Mit der Proklamation einer Flusslandschaft werden besondere wieder zum Verhängnis und hat mit dazu beigetragen, dass landschaftliche Schönheiten sowie bisherige Leistungen im sie heute in weiten Teilen Sachsen-Anhalts ausgestorben ist. Naturschutz gewürdigt. Zielstellung ist es auch, auf die Pro- Dies kommt auch in ihrem Rote Liste-Status (2 – stark ge- bleme unserer Fließgewässer und Landschaften aufmerksam fährdet) zum Ausdruck. In der Altmark, im und sei- zu machen. Damit ist der Titel zugleich Auszeichnung und nen nördlichen Vorländern sind alle Vorkommen bereits seit Verpflichtung. Durch Veranstaltungen, Aktionen und In- längerem erloschen. Aber auch am südlichen Harzrand und formationsmaterial soll die Bevölkerung für die natürlichen in den Muschelkalkgebieten des -Unstrut-Triaslandes und kulturellen Schönheiten einzigartiger Flusslandschaften bestehen nur noch wenige individuenreiche und damit lang- sensibilisiert, über die Bedrohung der Ökosysteme aufgeklärt fristig überlebensfähige Populationen. Im Gegensatz zu den und zur Mitwirkung mobilisiert werden. anhaltenden Rückgängen steht die Fähigkeit der Art, verschie- Die Bewerbung für diesen Titel erfolgte durch den Kreisang- dene Biotoptypen über unterschiedlichen geologischen Aus- lerverein Sangerhausen e. V., der Mitglied im als Naturschutz- gangssubstraten zu besiedeln. So tritt der Frauenschuh außer verband anerkannten Landesanglerverband ist und auf eine in verschiedenen Waldgesellschaften auch in trocken-warmen lange erfolgreiche Naturschutzarbeit zurückblicken kann. Gebüschen und Halbtrockenrasen auf. Die Böden müssen Bereits vor der Wende aktiv engagiert gegen den massiven einen Mindest-Basengehalt aufweisen, aber nicht zwingend Ausbau und die Begradigungen der Helme und ihrer Neben- kalkführend sein. Der Belichtung am Fundort kommt eine flüsse, waren und sind die Angler der Region Sangerhausen wohl ausschlaggebende Bedeutung zu: Eine mäßige Beschat- auch aktive „Beschützer“ von Gewässerlebensräumen mit dem tung verhindert eine zu starke Austrocknung und eine üppige Ziel einer nachhaltigen Nutzung. Nach der Wende wurde die Entwicklung der Konkurrenzvegetation. Bei unzureichendem Naturschutzarbeit forciert. Es gab viele Initiativen zur Ver- Lichtzutritt hingegen nimmt die Blühfähigkeit und somit besserung der Wasserqualität und zur Durchführung von die Möglichkeit einer generativen Vermehrung ab. Aktuelle Renaturierungsprojekten. Untersuchungen in Sachsen-Anhalt belegen, dass auch die Der Umsetzung von Projekten des Landesbetriebes für Hoch- Samenkeimung und somit die Etablierung von Jungpflanzen wasserschutz und Wasserwirtschaft sowie des Unterhaltungs- licht- und wärmeabhängig ist. Dies wird verständlich, wenn verbandes „Helme“ in den letzten 15 Jahren ist es zu verdan- die komplizierte, von Mykorrhizapilzen abhängige Keimungs- ken, dass die Helme in Sachsen-Anhalt wieder ökologisch biologie des Frauenschuhs betrachtet wird. Im Rahmen der re- durchgängig ist und sich die Wasserqualität erheblich verbes- gulären Waldbewirtschaftung, aber auch durch das Zulassen sert hat. In den letzten zwölf Jahren erfolgten außerdem um- einer ungesteuerten Sukzession kann daher den lichtökologi- fangreiche wissenschaftliche Untersuchungen der Fischfauna. schen Ansprüchen von Cypripedium calceolus nicht Rechnung Dabei tauchen seit Jahrzehnten verschollene Fischarten, wie getragen werden. Vielmehr sind gezielte Auflichtungen der die Quappe (siehe Abb.) oder das Bachneunauge, wieder auf. häufig zu dichten Strauchschicht an vielen Fundstellen erfor- Allerdings verschwanden in den letzten Jahren auch Fischarten derlich. Diese Maßnahmen müssen von einer standardisierten bzw. stehen kurz vor dem Zusammenbruch, wie die Äsche und Erfolgskontrolle begleitet werden, um Fehlentwicklungen zu die Barbe, insbesondere durch den Einfluss des Kormorans so- vermeiden. Seit einigen Jahren wird dieses im Rahmen eines wie als Auswirkungen der massiven Begradigung des Flusses vom Land Sachsen-Anhalt und der EU geförderten Manage- in den 1960er Jahren und der damit verbundenen Vernichtung mentprojektes umgesetzt und lässt die Hoffnung zu, dass der von Fischunterständen sowie Laich- bzw. Aufwuchshabitaten. Frauenschuh auch künftigen Generationen erhalten bleibt.

Frank Gabriel Frank Meysel (ehrenamtlicher Geschäftsführer des Kreisanglervereins Sangerhausen)

2 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 3–11 Naturnahe Begrünungsmaßnahmen in Offenlandlebensräumen – Aktuelle Situation, Methoden und Ausblick für Sachsen-Anhalt Beatrice Studte, Sabine Leideck, Gerd Jünger, Ines Hefter & Sabine Tischew

1 Einleitung und aufzuwerten, als auch bei der Neuanlage im Rahmen Hintergrundinformationen von Naturschutz- und Kompensationsmaßnahmen fachlich hohe Standards anzusetzen. Artenreiche Grünlandflächen sind in unserer Kultur- Bislang werden bei der Neuanlage von Grünland inner- landschaft selten geworden. Gründe hierfür sind ins- halb von Infrastrukturmaßnahmen (z. B. im Straßen- besondere Nutzungsaufgabe oder -änderung wie z. B. und Deichbau), bei der Rekultivierung von Abbauge- durch Intensivierung, Unternutzung, Melioration oder bieten und Kompensationsmaßnahmen überwiegend Grünlandumbruch. Im Jahr 2012 gab es in Deutschland Einsaaten mit Regelsaatgutmischungen (RSM nach FLL noch 4,63 Millionen Hektar Dauergrünland, vorläu- 2013) verwendet. Diese enthalten auf landwirtschaft­ fige Ergebnisse zeigen bereits einen Rückgang auf 4,6 liche, gärtnerische oder ingenieurbiologische Ziele ver- Millionen Hektar (Statistisches Bundesamt 2013a, änderte Zuchtsorten heimischer Pflanzenarten gebiets- Tab. 1). fremder Herkünfte und nichtheimische Arten. Nur 25 Prozent dieser Grünlandflächen können als ar- Wesentliche Nachteile dieser konventionellen Methode tenreich eingestuft werden Poschlod( & Schumacher sind: 1998, Schumacher 2005). • Gefahr einer großflächigen Florenverfälschung sowie Die neuen Bundesländer zeichnen sich durch besonders Gefährdung der innerartlichen Vielfalt und der da- geringe Grünlandanteile aus (Nohl 2009). Sachsen- mit verbundenen regionalen Anpassungen der Arten Anhalt weist im bundesweiten Vergleich den geringsten (Bischoff & Müller-Schärer 2005, Westhus & Bestand an Dauergrünland im Verhältnis zur landwirt- Korsch 2005, Frank & John 2007) schaftlich genutzten Gesamtfläche auf (vgl. Tab. 2). Des- • geringe ökologische Wirksamkeit der Maßnahmen halb ist es insbesondere in Sachsen-Anhalt notwendig, (Tischew et al. 2004, Tischew et al. 2010, Bloemer sowohl bestehende Grünlandflächen zu erhalten bzw. et al. 2007)

Tab. 1: Landwirtschaftlich genutzte Fläche nach ausgewählten Hauptnutzungsarten (verändert nach Statisti- sches Bundesamt 2013a, b).

Kulturart Anbaufläche [1.000 ha] 2010 2011 2012 Landwirtschaftlich genutzte Fläche gesamt 16.704,0 16.721,3A 16.667,3A darunter 11.846,7 11.874,1A 11.834,0A Ackerland Dauergrünland 4.654,7 4.644,0A 4.630,8A darunter 4.443,9 4.443,1A 4.432,1A Wiesen und Weiden darunter Ertragsarmes Dauergrünland, aus der Erzeugung genommenes 210,8 200,9A 198,8A Dauergrünland mit Beihilfe-/ Prämienanspruch

A= Fehlerklasse A des einfachen relativen Standardfehlers bis unter ± 2 %.

3 Regionale Einheit Landwirtschaft- darunter lich genutzte Ackerland Dauerkulturen Dauergrünland Fläche [1.000 ha] [1.000 ha] [1.000 ha] [1.000 ha] [%] Deutschland 16.667,3 11.834,0 199,8 4.630,8 27,8 Stadtstaaten 24,9 8,5 2,1 14,1 56,6 Saarland 77,5 36,8 0,4 40,3 52,0 Baden-Württemberg 1.420,7 830,3 50,0 539,8 38,0 Hessen 763,1 478,0 6,2 278,9 36,6 Bayern 3.126,1 2.051,0 13,0 1.061,9 34,0 Rheinland-Pfalz 698,0 400,8 69,1 227,9 32,7 Schleswig-Holstein 990,4 665,6 6,8 317,4 32,1 Nordrhein-Westfalen 1.446,6 1.045,2 13,6 387,1 26,8 Niedersachsen 2.596,4 1.880,3 20,0 696,0 26,8 Thüringen 781,2 611,0 2,8 167,4 21,4 Brandenburg 1.319,6 1.028,8 4,9 285,9 21,7 Sachsen 908,3 719,1 5,0 184,2 20,3 Mecklenburg-Vorpommern 1.343,1 1.078,0 3,2 261,9 19,5 Sachsen-Anhalt 1.171,4 1.000,6 2,7 168,0 14,3

Tab. 2: Landwirtschaftlich genutzte Fläche in Bundesländern und Stadtstaaten nach Kulturarten, absteigend nach Dauergrünlandanteil (verändert nach Statistisches Bundesamt 2013c).

• hoher Nachbesserungs- bzw. Nachpflegeaufwand Hinzu kommt, dass sich eine Recherche von potenziel- und damit verbunden zusätzliche Kosten zur Errei- len Flächen, die durch ihren Artenreichtum für eine chung von Begrünungs- und Maßnahmezielen (Con- direkte Nutzung von Samengemischen geeignet sind, rad 2007, Müller & Kirmer 2009). bislang relativ aufwendig gestaltet und somit auch zu weiteren Unsicherheiten bezüglich der Planung und Alternativen zur konventionellen Begrünung mit RSM Umsetzung von naturnahen Begrünungsmethoden werden seit vielen Jahren wissenschaftlich untersucht führt. Durch die Entwicklung des bundesweit ersten und in der Praxis erfolgreich angewendet (z. B. Wells et Spenderflächenkatasters (siehe Kap. 5) und des län- al. 1986, Pywell et al. 1995, Biewer & Poschlod 1997, derübergreifenden „Informationssystems Naturnahe Manchester et al. 1999, Schwab et al. 2002, Vécrin & Begrünungsmaßnahmen (INB)“ (siehe Kap. 4) wurden Muller 2003, Walker et al. 2004, Kirmer & Tischew in Sachsen-Anhalt wichtige Instrumente geschaffen, 2006, Hölzel et al. 2006, Rasran et al. 2007, Kiehl et welche durch ein Angebot potenziell geeigneter Spen- al. 2010). Im Gegensatz zu RSM werden bei naturnahen derflächen und einen Wissenstransfer die großflächige Begrünungsmaßnahmen an die herrschenden Stand- Verwendung gebietseigener Herkünfte bei der Neuan- ortbedingungen angepasste Arten gebietsheimischer lage und Aufwertung von Lebensräumen vereinfachen. Herkünfte verwendet, so dass Begrünungs- und Maß- Eine Förderung der Anwendung von naturnahen Be- nahmeziele erreicht werden und der Nachbesserungs- grünungsmethoden ist auch vor dem Hintergrund aufwand minimiert wird. veränderter gesetzlicher Regelungen notwendig. Laut Trotz des in den letzten Jahren gewachsenen Interesses BNatSchG bedarf das Ausbringen gebietsfremder an naturnahen Begrünungsmethoden werden in der Arten in der freien Natur nach Paragraph 40 Absatz 4 Praxis diese Methoden leider immer noch zu selten an- der Genehmigung der zuständigen Behörde. Für das gewandt. Das ist überwiegend auf die leichte Verfügbar- Ausbringen von Gehölzen und Saatgut außerhalb ih- keit (Großhandelsmischungen) und den geringen Preis rer Vorkommensgebiete gilt bis zum 1.3.2020 eine von konventionellem Regelsaatgut (u. a. Conrad 2007), Übergangsregelung. Vorzugsweise sollen bereits in der aber auch auf Wissensdefizite und Unsicherheiten im Übergangszeit Gehölze und Saatgut gebietseigener Her- Umgang mit alternativen Methoden zurückzuführen. künfte verwendet werden.

4 „Stehen für eine Ausbringung geeignete Gehölze oder piell genehmigungspflichtig, aber bei Entnahmen zu Saatgut gebietseigener Herkünfte zur Verfügung, so Zwecken der Produktion regionalen Saatgutes wird sind diese zu verwenden, sofern der Verhältnismäßig- ausdrücklich auf die günstigen Auswirkungen auf die keitsgrundsatz dadurch nicht verletzt wird“ (Schuma- Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege hin- cher & Werk 2010). Diese erläutern weiter, dass die gewiesen. Außerdem wurde der Handel mit regionalem Verhältnismäßigkeit in Bezug auf evtl. unangemessen Saatgut auf eine sichere gesetzliche Grundlage gestellt. hohe Kosten des Pflanzenmaterials durch die wirt- Die Erhaltungsmischungsverordnung (ErMiV 2011) schaftlichen Vorteile der naturnahen Begrünungsme- definiert handelbare „Erhaltungsmischungen“ (= Sa- thoden gegenüber der herkömmlichen Variante mit mengemische von Wildpflanzen regionaler Herkunft) RSM i. d. R. gewahrt bleibt. Nach Paragraph 40 Absatz 6 zu Zwecken des Natur- und Landschaftsschutzes und kann die zuständige Behörde anordnen, dass ungeneh- es werden Vorgaben zu Entnahme- und Ausbringungs- migt ausgebrachte Pflanzen entfernt werden, soweit es orten, zur Dokumentation und Etikettierung festgelegt. zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Bio- Durch aktuelle Änderungen des Saatgutverkehrsgeset- topen oder Arten erforderlich ist. Um die Produktion zes (SaatG 2012) ist nun auch geregelt, dass Saatgut von gebietseigenem Wildpflanzensaatgut zu fördern, nur in bestimmten Regionen erzeugt und auch nur dort ist nach Paragraph 39 Absatz 4 die gewerbsmäßige wieder in den Verkehr gebracht werden darf. Entnahme von wildlebenden Pflanzen zwar prinzi-

Tab. 3: Übersicht naturnaher Begrünungsmethoden (Auszug).

Methode Merkmale

Mahdgut • Auftrag von frischem, ggf. gehäckseltem Mahdgut mit hohem Samengehalt • sofortiger Erosionsschutz und Förderung der Keimung (Austrocknungsschutz) • je nach Mahdtechnik Übertragung von Kleinlebewesen • Ausbringung an Erntezeitpunkt gebunden • vergleichsweise hohe Transportkosten

Heumulch • Auftrag von getrocknetem Mahdgut • sofortiger Erosionsschutz, aber Verwehungsgefahr bei windigem Wetter • mehrere Ernten pro Spenderfläche kombinierbar  Erhöhung des Artenspektrums • Gefahr des Verlustes von Samen während der Trocknung • gut lagerfähig (Vorsicht: Samen fallen bei der Lagerung nach unten) • durch Pressen in Ballen günstigere Lagerungs- und Transportkosten

Wiesendrusch, Heudrusch® • Ernte des Saatgutes durch Dreschen von Wiesen oder Heu • geringe Transportkosten beim Direktdrusch auf Wiesen • lagerfähig (nach Trocknung) • mehrere Ernten pro Spenderfläche möglich  Erhöhung des Artenspektrums

Saugmulch • Gewinnung von Diasporen aus dem stehenden Bestand mit Saugern oder von diasporenhalti- gem Mulch in Kombination von Saugern mit Mulchgeräten • höhere Übertragungsraten durch Aufsaugen am Boden liegender Diasporen • Beeinträchtigung von Kleintieren, v. a. kleinen Wirbeltieren und wenig aktiven Insekten (Brauck- mann & Schreiber 2001)

Rechgut • Beerntung der Spenderfläche durch Ausrechen • für lückige, niedrigwüchsige Spenderflächen geeignet • Übertragung von Kryptogamen (Moose und Flechten) • hoher Gewinnungsaufwand

Saatgutvermehrung • Mischungen individuell zusammenstellbar • ggf. Vorlaufzeiten durch Anbau der Wildpflanzen notwendig • auf Zertifizierung der regionalen Herkunft und der regionalen Vermehrung achten

Oberbodenübertrag • Nutzung der Diasporenbank des Bodens sowie Austrieb aus Pflanzenteilen (z. B. Rhizomen) • Ausgangsbestand wird zerstört, deshalb nur streifenförmig anwenden (z. B. Neustart von Sukzes- sion auf Heideflächen) oder bei Verlust des Ausgangsbestandes durch Baumaßnahmen

5 2 Methoden Art ausreichend Saatgut der jeweiligen Herkunftsregion aus der Wildpflanzenvermehrung verfügbar. In diesem Je nach Begrünungsziel, potenziellen Beständen zur Ge- Fall ist zu recherchieren, ob diese Arten mit einer ande- winnung der Diasporen und Standortbedingungen der ren Methode übertragen werden können (siehe Tab. 3). Fläche, auf der die Maßnahmen durchgeführt werden Ist dieses nicht möglich, sollten die folgenden Alterna- sollen, steht eine Vielzahl von Methoden zur Auswahl, tiven in der angegebenen Reihenfolge geprüft werden: die einzeln oder kombiniert angewandt werden können 1. Reduzierung der Artenzahl oder Ersatz nicht verfüg- (siehe Tab. 3 u. Kirmer et al. 2012). barer Arten durch funktional ähnliche Arten (z. B. Neben den in Tabelle 3 genannten existieren noch wei- bezüglich Lebensdauer oder Durchwurzelungstiefe) tere, weniger verbreitete Methoden oder solche, die nur aus der Herkunftsregion begrenzt eingesetzt werden können (siehe auch Kirmer 2. Verwendung von Arten einer benachbarten Her- et al. 2012, Schubert 2009). Zum Beispiel können Heu- kunftsregion blumen aus Heulagern als diasporenhaltiges Material 3. spätere Umsetzung der Maßnahme (ggf. auch Zwi- zur Aussaat verwendet werden. Diese Methode wurde schenbegrünung mit einjährigen und/oder konkur- bereits in der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft renzschwachen Arten), um Produzenten Vorlauf zur angewandt und ist in jüngster Vergangenheit aber leider Anzucht entsprechender Saatgutmengen zu verschaf- in Vergessenheit geraten. Eine weitere Methode ist das fen. Ausbürsten von vegetationsarmen, schlecht mäh- bzw. dreschbaren Beständen. Die Einbringung von Arten durch Anpflanzung von Individuen ist durch den hohen 4 Informationssystem Naturnahe Aufwand bei Anzucht, Transport und Nachpflege (z. B. Begrünungsmaßnahmen (INB) – Wässern) sehr kostenintensiv und daher nur kleinflä- ein Fachinformationssystem chig bzw. für bestimmte, durch andere Methoden nur schwer zu etablierende Arten anwendbar (u. a. Kirmer Um einen Überblick über naturnahe Begrünungsmaß- & Tischew 2006). nahmen zu bieten sowie Grundlagen und Hintergrund- informationen zu vermitteln, wurde das „Informati- onssystem Naturnahe Begrünungsmaßnahmen“ (INB) 3 Planung von naturnahen Begrünungen entwickelt. Auf dem Internetportal unter: www.spenderflaechenkataster.de werden wissenschaft- Bei naturnahen Begrünungsmaßnahmen ist eine liche Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Praxis in gründliche und vorausschauende Planung wesentliche übersichtlicher Form dargestellt (siehe Abb. 1). Voraussetzung, um u. a. ggf. notwendige Vorlaufzeiten Das INB ist als länderübergreifendes Fachinformati- bei der Saatgutvermehrung und damit den Erfolg der onssystem konzipiert und dient potenziellen Nutzern Maßnahme gewährleisten zu können. Dabei sind fol- und Interessierten als Einstieg in die Thematik. Es wird gende Planungsschritte zu beachten: regelmäßig aktualisiert und erweitert. Größter Wert 1. Untersuchung der Standortbedingungen der Maß- wird dabei neben dem Inhalt auf Nutzerfreundlichkeit nahmefläche bei der Anwendung und schnelles Auffinden der ver- 2. Festlegung des Begrünungsziels und Ableitung der fügbaren Informationen gelegt. Zielvegetation Die bildhafte Darstellung und Vermittlung von prakti- 3. Auswahl der Begrünungsmethode, danach ggf.: schen Erfahrungen, z. B. durch die im INB enthaltene • Recherche von Spenderflächen Projektdatenbank, soll Interesse an den neuen Metho- • Anzuchtverträge für Arten den wecken und Vorbehalte abbauen. • Zusammenstellung der Saatgutmischung 4. Umsetzungsplanung (Ernte- und Ausbringungszeit- punkt sowie -technik) 5 Spenderflächenkataster – die 5. Planung der Entwicklungspflege und der Nachnut- Datenbank für Sachsen-Anhalt zung. Prinzipiell sollte bei naturnahen Begrünungsmaßnah- Im Spenderflächenkataster für Sachsen-Anhalt wer- men ausschließlich gebietseigenes Pflanzenmaterial den Flächen verwaltet, die aus naturschutzfachlicher verwendet werden. Momentan ist vor allem bei großflä- und wirtschaftlicher Sicht potenziell für die Gewin- chigeren Maßnahmeumsetzungen noch nicht für jede nung gebietseigenen Pflanzenmaterials (z. B. Mahdgut

6 Abb. 1: Startseite des Informationssystems Naturnahe Begrünungsmaßnahmen (INB) unter www.spenderflaechenkataster.de.

oder Ausgangssaatgut für die Vermehrung) geeignet Die Auswahl der Spenderflächen für das Kataster er- sind. folgt u. a. nach den Kriterien: Artenzusammensetzung Die Nutzung der Datenbank beinhaltet ausdrücklich (Anteil charakteristischer Arten sowie Problemarten), nicht die Genehmigung, auf einer Fläche Saatgut zu Beeinträchtigungen und Wirtschaftlichkeit. sammeln oder die Flächen zu mähen. Entsprechende Alle an der Nutzung des Katasters Interessierten sollten Aktionen sind mit den Flächeneigentümern bzw. -nut- sich persönlich auf der Internetseite anmelden, um die zern und den Naturschutzbehörden abzustimmen und Rechte zu erhalten, die Datenbank ohne Einschränkung von diesen zu genehmigen, möglicherweise sind Er- nutzen zu können. Die Flächenrecherche ist anhand von tragsausfälle auszugleichen. drei auswählbaren Suchfunktionen möglich: Das Spenderflächenkataster enthält aktuell 407 poten- • über die Eingabe von Suchkriterien zielle Spenderflächen für gebietseigenes Saatgut, mitt- • über eine Karte (Landkreise) lerweile in allen Landkreisen Sachsen-Anhalts (siehe • über eine Flächenliste. Abb. 2). Ihre Verteilung spiegelt überwiegend das Vor- kommen von naturschutzfachlich besonders wertvollen Die detaillierten Angaben zu den Spenderflächen (siehe Offenlandlebensräumen in Sachsen-Anhalt wider und Abb. 3) enthalten neben allgemeinen Informationen weniger eine unterschiedliche Intensität der Recherche auch konkrete Hinweise zu Standort/Pflege, Biomasse/ und Kartierung in den Landkreisen. Durch weitere ei- Naturschutz, wirtschaftlichen Aspekten und vorkom- gene Recherchen sowie die Möglichkeit für Nutzer des menden Arten, die nicht registrierten Nutzern aus ar- Katasters über ein Formular neue potenzielle Spender- tenschutzrechtlichen Gründen nur zusammengefasst in flächen zu melden, sollte die Anzahl dennoch konti- einem Übersichtsdatenblatt angezeigt werden können. nuierlich erhöht werden, vor allem in Landkreisen mit Zusätzlich werden in diesem Fall die Flächen in der wenigen Spenderflächen. topografischen Karte nicht punktgenau, sondern nur

7 Abb. 2: Aktuelle Übersicht erho- bener potenzieller Spenderflächen in Sachsen-Anhalt. © OpenStreet- Map-Mitwirkende, CC BY-SA 2.0.

generalisiert dargestellt und es ist auch keine Anzeige der Artenliste möglich. Für Flächen, die seit 2009 erfasst worden sind, liegt eine Fo- todokumentation vor. Über 90 Prozent der Flächen be- finden sich in naturschutzrecht- lich geschützten Gebieten (siehe Tab. 4). In der derzeitigen Projektphase ist neben der Aufnahme weiterer potenzieller Spenderflächen in das Kataster geplant, den aktu- ellen Zustand der bereits erfass- ten Spenderflächen sukzessive in Hinblick auf ihre weitere Eignung als Spenderfläche zu überprüfen und erforderlichenfalls den Da- tenbankeintrag zu korrigieren bzw. anzuregen, dass die Eignung durch entsprechende Maßnahmen wieder hergestellt wird.

Tab. 4: Anzahl der Spenderflächen inner- und außer- 6 Fachtagung „Naturnahe Begrünung für halb naturschutzrechtlich geschützter Gebiete. Sachsen-Anhalt“

Anzahl der Schutzstatus Am 24. April 2013 fand auf Initiative der Mitarbeiter Spenderflächen* des Projektes „Informationssystem naturnahe Begrü- FFH-Gebiet 245 nungsmaßnahmen (INB) und Spenderflächenkataster Europäisches Vogelschutzgebiet 73 Sachsen-Anhalt“ der Hochschule Anhalt in Koopera- Biosphärenreservat 112 tion mit dem Landesamt für Umweltschutz (LAU) die erste Fachtagung zum Thema „Naturnahe Begrünung Naturschutzgebiet 139 für Sachsen-Anhalt“ in Halle statt. Die praxisorientierte Landschaftsschutzgebiet 317 Fachveranstaltung diente dem Ziel, Hintergrundwissen Flächennaturdenkmal 63 zu vermitteln, Umsetzungsprojekte vorzustellen sowie Geschützter Landschaftsbestandteil 3 Erfahrungen auszutauschen. Um die Dringlichkeit der Naturdenkmal 25 Umsetzung von naturnahen Begrünungen vor allem bei öffentlichen Projekten verdeutlichen zu können, wur- Naturpark 246 den in erster Linie Vertreter aus Politik, Behörden, Pla- ohne 25 nungsbüros und Verbänden eingeladen. Ihr zahlreiches * Durch Überlagerung von Schutzgebietskategorien sind Erscheinen, über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts Mehrfachzählungen der Spenderflächen möglich. hinaus, bestätigte das große Interesse.

8 Abb. 3: Flächendetails am Beispiel der potenziellen Spenderfläche „Kienberge“ im Landkreis Wittenberg.

7 Weitere Schritte Saatgutes großflächiger auszubauen und damit die Ver- fügbarkeit zu verbessern. Erst regelmäßigere Auftrags- Spätestens ab 01.03.2020 ist nach Paragraph 40 vergaben werden die ausführenden Unternehmen in BNatSchG die Anwendung gebietseigenen Saatgutes die Lage versetzen, sich entsprechende Spezialtechnik in der freien Natur in Deutschland rechtsverbind- anzuschaffen und damit die Umsetzung effektiver und lich vorgeschrieben. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen kostengünstiger zu gestalten. Sowohl die Gewinnung auch in Sachsen-Anhalt entsprechende Strukturen zur von Samengemischen auf artenreichem Grünland als Anwendung dieser Methoden etabliert sein. Mit dem auch vor allem die Vermehrung von regionalem Wild- INB und dem Spenderflächenkataster wurden erste pflanzensaatgut setzen ein fundiertes Fachwissen vor­ Voraussetzungen geschaffen. Vor allem bei öffentli- aus. Die regional bereits vorhandenen Kompetenzen chen Projekten sollte die regelmäßige und großflächige und Erfahrungen (Fachspezialisten, Saatgutbetriebe, Anwendung von naturnahen Begrünungsmaßnahmen Baumschulen, …) sollten für einen weiteren Ausbau selbstverständlich werden. Nur durch eine sukzessive der Vermehrungsflächen unbedingt genutzt werden. Es Erhöhung der Nachfrage kann Sicherheit für Gewin- werden dringend weitere interessierte Landwirte oder nungs- und Vermehrungsbetriebe geschaffen werden, Landespfleger gesucht, die sich an der Vermehrung von um die Gewinnung und den Anbau gebietseigenen Wildpflanzensaatgut beteiligen wollen.

9 Ein wichtiger Synergieeffekt der Nutzung von arten- Literatur reichem Grünland als Spenderfläche ist die zusätzliche Biewer, H. & P. Poschlod (1997): Regeneration artenreicher In-Wertsetzung dieser Flächen mit ansonsten zumeist Feuchtwiesen im Federseeried. – Karlsruhe (Landesanstalt geringem Futterwert. Durch eine gesteigerte Nachfrage für Umweltschutz Baden-Württemberg). – Veröffentli- nach Samengemischen zur Umsetzung naturnaher chungen Projekt Angewandte Ökologie 24: 346 S. Begrünungsmaßnahmen entstehen für Flächeneigen- Bischoff, A. & H. Müller-Schärer (2005): Biodiversität durch Einsaat ökologischer Ausgleichsflächen – die Bedeu- tümer wirtschaftliche Anreize, die Artenzusammen- tung der Saatgutherkunft. – Hotspot 11: 17 S. setzung potenzieller Spenderflächen durch angepasste Bloemer, S., S. Egeling & U. Schmitz (2007): Deichbe- Pflege zu erhalten bzw. zu verbessern, da hierdurch das grünungsmethoden im Vergleich: Sodenverpflanzung, oft anderweitig nicht verwertbare Material veräußert Heudrusch®-Verfahren und Handelssaatgut im Hinblick werden kann. auf Biodiversität, Natur- und Erosionsschutz. – Natur und Landschaft 82 (6): 276–283. Dieses Konzept dient nicht zuletzt der Erhaltung und Brauckmann, H.-J. & K.-F. Schreiber (2001): Die Brachever- Entwicklung bereits vorhandener artenreicher Lebens- suchsfläche Oberstetten. Eine Bilanz nach über 25 Jahren. räume. Innerhalb von Schutzgebieten kann zudem – Faun. und flor. Mitt. Taubergrund 19: 1–45. durch die Übertragung von samenreichem Mahdgut Conrad, M. (2007): Zielerreichung und Kosten von Maßnah- von artenreichen auf artenarme Grünländer ein wich- men zur Etablierung artenreicher Grünländer – Entwick- lung und Anwendung eines Verfahrens für Effizienzkon­ tiger Beitrag zur Aufwertung von degradierten FFH- trollen. – Technische Universität Berlin. – Diss.: 204 S. Lebensraumtypen geleistet werden (siehe auch Kirmer FLL – Forschungsgesellschaft Landschaftsentwick- et al. 2012, www.offenlandinfo.de). lung Landschaftsbau e. V. (1978/79–2013): Regel-Saat- gut-Mischungen Rasen. – Bonn. Frank, D. & H. John (2007): Bunte Blumenwiesen – Erhöhung 8 Zusammenfassung der Biodiversität oder Verstoß gegen Naturschutzrecht? – Halle. – Mitt. Florist. Kart. Sachsen-Anhalt 12: 31–45. Hölzel, N., S. Bissels, T. W. Donath, K. Handke, M. Har- Durch Nutzungsänderung oder -aufgabe werden arten- nisch & A. Otte (2006): Renaturierung von Stromtalwie- reiche Offenlandlebensräume immer seltener. Zudem sen am hessischen Oberrhein. Ergebnisse eines E+E-Vorha- ist die Neuanlage von Grünland mit konventionellen bens des Bundesamtes für Naturschutz. – Naturschutz und biologische Vielfalt 31: 263 S. Mischungen ungesicherter Herkunft mit zahlreichen Kiehl, K. (2009): Renaturierung von Kalkmagerrasen. – In: Risiken behaftet. Zur Förderung der Entwicklung ar- Zerbe, S. & G. Wiegleb (2009): Renaturierung von Öko- tenreichen Grünlandes wurde in Sachsen-Anhalt das systemen in Mitteleuropa. – Heidelberg (Spektrum akade- erste webbasierte „Informationssystem Naturnahe mischer Verlag): 265–282. Begrünungsmaßnahmen“ (INB) entwickelt. Zusam- Kiehl, K., A. Kirmer, T. Donath, L. Rasran & N. Hölzel (2010): Species introduction in restoration projects – evalu- men mit dem Spenderflächenkataster Sachsen-Anhalt ation of different techniques for the establishment of semi- sollen diese Instrumente helfen, Wissensdefizite und natural grasslands in Central and Northwestern Europe. – Unsicherheiten bei der Verwendung alternativer Be- Basic and Applied Ecology 11: 285–299. grünungsmethoden zu beseitigen, Informationen zur Kirmer, A. & S. Tischew (Hrsg.) (2006): Handbuch naturnahe Umsetzung zu geben und Kontakte zu Praxispartnern Begrünung von Rohböden. – Wiesbaden (Teubner-Verlag): 195 S. zu fördern. Aktuell sind im Spenderflächenkataster 407 Kirmer, A., B. Krautzer, M. Scotton & S. Tischew (2012): potenzielle Spenderflächen enthalten. Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung Damit sind wesentliche Grundlagen zur Umsetzung des von artenreichem Grünland. – Irdning, Österreich (Eigen- Paragraphen 40 Absatz 4 BNatschG geschaffen worden, verlag Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpen- um insbesondere für öffentliche Projekte gebietseigene stein): 221 S. Manchester, S. J., S. McNally, J. R. Treweek, T. H. Sparks Saatgutmischungen zu verwenden und gleichzeitig ei- & J. O. Mountford (1999): The cost and practicality of nen ausreichend großen Markt für die Gewinnung und techniques for the reversion of arable land to lowland wet Vermehrung von gebietsheimischem Saatgut zu entwi- grassland – an experimental study and review. – J. of Envir. ckeln. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit leistete die Manag. 55: 91–109. erste Tagung zum Thema „Naturnahe Begrünung für Müller, N. & A. Kirmer (2009): Verwendung autochthonen Saat- und Pflanzgutes in Thüringen – Fachliche Grundla- Sachsen-Anhalt“ einen wesentlichen Beitrag, um u. a. gen und Empfehlungen zum weiteren Vorgehen. – Land- Vertreter aus Behörden und Planungsbüros gezielt auf schaftspflege und Naturschutz in Thüringen 46 (2): 65–72. die Notwendigkeit der Umsetzung von naturnahen Be- Nohl, W. (2009): Grünland und Landschaftsästhetik – Die grünungen zu informieren. ästhetische Bedeutung von Grünland und Auswirkungen

10 vermehrten Grünlandumbruchs auf das Landschaftsbild. Vécrin, M. P. & S. Muller (2003): Top-soil translocation as – Naturschutz und Landschaftsplanung 41 (12): 357–364. a technique in the recreation of species-rich meadows. – Poschlod, P. & W. Schuhmacher (1998): Rückgang von Appl. Veg. Sci. 6: 271–278. Pflanzen und Pflanzengesellschaften des Grünlandes – Ge- Walker, K. J., P. A. Stevens, D. P. Stevens, J. O. Mountford, fährdungsursachen und Handlungsbedarf. – Schriftenreihe S. J. Manchester & R. F. Pywell (2004): The restoration Vegetationskunde 29: 83–99. and recreation of species rich lowland grassland on land Pywell, R. F., N. R. Webb & P. D. Putwain (1995): A compar- formerly managed for intensive agriculture in the UK. – ison of techniques for restoring heathland on abandoned Biol. Cons. 119: 1–18. farmland. – J. of Appl. Ecol. 32: 400–411. Warthemann, G., A. Bischoff & N. Winter (2009): Rena- Rasran, L., K. Vogt & K. Jensen (2007): Effects of topsoil re- turierung von Brenndolden-Auenwiesen durch Mahdgut- moval, seed transfer with plant material and moderate graz- übertragung in der Elbeaue bei Dessau. – Naturschutz im ing on restoration of riparian fen grasslands. – Appl. Veg. Land Sachsen Anhalt 46 (SH): 49–56. Sci. 10: 451–460. Wells, T. C. E., A. Frost & S. Bell (1986): Wild flower grass- Schaal, R. (2011): Gebietsheimisches Saat- und Pflanzgut und lands from crop-grown seed and hay bales. – Peterborough, gebietsheimische Gehölze beim Straßenbegleitgrün: recht- UK (Nature Conservancy Council). liche Situation. – Seminar der Akademie für Umwelt-und Westhus, W. & H. Korsch (2005): Empfehlungen für die Nut- Naturschutz Baden-Württemberg am 05.07.2011 in Stutt- zung von Grünland-Saatgut gebietseigener Herkünfte – ein gart: 34 S. Beitrag zur Sicherung der biologischen Vielfalt. – Land- Schreiber, K.-F., G. Broll & H.-J. Brauckmann (2000): Me- schaftspflege und Naturschutz in Thüringen 42: 62–69. thoden der Landschaftspflege. Eine Bilanz der Brachever- suche in Baden-Württemberg. – MLR B.-W. 32-2000: 21 S. Schubert, R. (2009): Das grüne Wunder – naturnahe Begrü- nungen mit gebietsheimischen Diasporen. – Pirna (Deut- Gesetze und Verordnungen scher Verband für Landschaftspflege e. V.): 13 S. BNatSchG – Gesetz über Naturschutz und Land- Schumacher, A. & K. Werk (2010): Die Ausbringung gebiets- schaftspflege (Bundesnaturschutzgesetz) vom 29. fremder Pflanzen nach § 40 Abs. 4 BNatSchG. – Natur und Juli 2009. – In: BGBl. I: 2542, zuletzt geänd. durch Artikel 5 Recht 32 (12): 848–853. des Gesetzes vom 06. Februar 2012. – In: BGBl. I: 148. Schumacher, W. 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Teubert (2004): Langfristige ökologische Wirksamkeit von Kompensations- Sabine Leideck maßnahmen im Straßenbau. – Sonderband der Schriften- Gerd Jünger reihe „Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik“ Ines Hefter 887: 261 S. Prof. Dr. Sabine Tischew Tischew, S., A. Baasch, M. K. Conrad & A. Kirmer (2010): Hochschule Anhalt – Anhalt University Evaluating restoration success of frequently implemented compensation measures: results, and demands for control of Applied Sciences · FB 1 procedures. – Restoration Ecology 18: 467–480. Strenzfelder Allee 28 · 06406 Bernburg

11 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 12–23 Die Orchideenarten des Anhanges II der FFH-Richtlinie in Sachsen-Anhalt Teil 2: Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus L.) Frank Meysel

Einleitung

Im zweiten Teil der Vorstellung der Orchideen-Arten des Anhanges II der FFH-Richtlinie soll im Folgenden die Situation des Frauenschuhs (Cypripedium calceolus) in Sachsen-Anhalt analysiert werden. Während das Sumpf-Glanzkraut (vgl. Teil 1, Korschefsky & Meysel 2011) als stenöke Art nur eine sehr enge ökologische Ni- sche zu besiedeln vermag, so weist der Frauenschuh eine wesentlich größere Standort- und Habitatamplitude auf. Dennoch ist die Art in weiten Teilen ‒ zumindest ihres mitteleuropäischen Teilareals ‒ stark gefährdet. Ob diese Orchideenart in unseren Landschaften erhalten und somit den Verpflichtungen, die sich aus der FFH- Richtlinie ergeben, Rechnung getragen werden kann, wird insbesondere von der Vermeidung von Störungen Abb. 1: Frauenschuh (Cypripedium calceolus), Einzel- an den Wuchsorten sowie von der Wirksamkeit geziel- blüte, Laucha, 18.05.2012. Foto: A. Schonert. ter Managementmaßnahmen abhängen. Diese wurden in der Vergangenheit eher sporadisch umgesetzt. Seit dem Jahr 2010 realisiert der Arbeitskreis Heimische Orchideen Sachsen-Anhalt e. V. ein Förderprojekt im auf, darunter 15 Endemiten (Baumann 2005). In Eu- Rahmen der Naturschutz-Richtlinie des Landes Sach- ropa ist die Gattung mit drei Arten anzutreffen, wobei sen-Anhalt, das von der EU kofinanziert wird. Bestand- der Gesprenkelte Frauenschuh (Cypripedium guttatum) teil dieses Projektes ist eine Erfolgskontrolle, deren erste und der Großblütige Frauenschuh (C. macranthon) mit Ergebnisse hier vorgelegt werden können. Grundlage Arealausläufern ihres asiatischen Verbreitungsgebietes für dieses Vorhaben waren landesweite und weitgehend auf Osteuropa beschränkt bleiben und Weißrussland vollständige Erfassungen der Populationen von Cypri- erreichen. pedium calceolus, die im Auftrag des Landesamtes für Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus), auch Gelber Umweltschutz Sachsen-Anhalt in den Jahren 2005, 2009 oder Europäischer Frauenschuh genannt, besiedelt die und 2010 erfolgten. boreale und temperate Zone Europas und Asiens. Die Westgrenze seines Areals verläuft von den südlichen Be- nelux-Staaten etwa entlang der Rhone bis zum Mittel- 1 Überblick über Verbreitung und meer. Im Norden wird das Nordkap erreicht, während Habitatansprüche von Cypripedium sich die Vorkommen im Süden auf die Gebirgslagen calceolus der Alpen, des Dinarischen Gebirges und der Karpaten beschränken. Disjunkte Teilareale bestehen in Osteng- Die Gattung Cypripedium besitzt eine zirkumboreale land, den Pyrenäen und auf dem Balkan. Nach Osten Verbreitung mit einem Schwerpunkt in Südwestchina. erstreckt sich das Verbreitungsgebiet bis zur Halbinsel Hier treten 25 der 45 gegenwärtig bekannten Arten Sachalin.

12 Faktor Wert Bezeichnung Lichtzahl 5 Halbschattenpflanze Kontinentalitätszahl 5 intermediär (schwach subozeanisch bis schwach subkontinental) Feuchtezahl 4 Trocknis- bis Frischezeiger Reaktionszahl 8 Schwachsäure-/Schwachbasen- bis Basen- und Kalkzeiger

Tab. 1: Zeigerwerte für Cypripedium calceolus nach Ellenberg et al. (1992).

Verbreitungsschwerpunkte in Deutschland liegen vor mersleben, Wenze sowie bei Bias bereits seit langem allem am Alpenrand, auf der Bayrischen und Schwä- erloschen. Standörtliche Präferenzen sowie pflanzen- bischen Alb, in der Rhön sowie in den das Thüringer soziologische Einbindungen sind nicht mehr rekons­ Becken umgebenden Kalk-Hügelländern. truierbar. Gleiches trifft auch für den Harz zu. Innerhalb dieses ausgedehnten Areals werden unter- Im Nördlichen und Nordöstlichen Harzvorland hat schiedliche Biotoptypen besiedelt. In Mitteleuropa ein Verbreitungsschwerpunkt bestanden. Es muss werden sowohl mesophile Laub-, Laubmisch- und Na- hier davon ausgegangen werden, dass die meisten der delwälder als auch Kiefern-Forsten, trocken-warme Ge- bewaldeten Höhenzüge unabhängig von der geologi- büsche sowie Halbtrockenrasen besiedelt. Aus Nord- und schen Formation in historischer Zeit von Cypripedium Osteuropa sind z. T. individuenreiche Populationen in calceolus besiedelt waren. Nachweise liegen sowohl von borealen Nadelwäldern, Kalkmooren und auf Feuchtwie- Muschelkalk-Standorten, z. T. mit mächtigen Lößaufla- sen bekannt (Mossberg & Stenberg 2003). Bevorzugt gen (Fallstein, Huy, Hakel, Münchenberg, Heimburg), werden basenreiche Böden über kalkführenden geolo- als auch von Keuper- und Kreidesandstein-Standorten gischen Formationen. Die historische Verbreitung lässt (Hohes Holz, Steinholz bei Quedlinburg) vor. Alle jedoch vermuten, dass keine strenge Bindung an kalk- Populationen siedelten in Wäldern unterschiedlicher haltige Standorte besteht. Hinsichtlich der Feuchte-An- Gesellschaften. Auffällig ist ein offenbar bereits sehr sprüche scheinen in Anbetracht der besiedelten Habitate frühzeitig einsetzender Rückgang nach der weitgehen- nur geringe Präferenzen zu bestehen. Sommertrockene den Ablösung der Nieder- und Mittelwaldwirtschaft in Standorte werden jedoch gemieden. Bezüglich des öko- der Mitte des 19. Jahrhunderts. Gelegentlich wird auch logischen Standortfaktors Licht ist eine weite Amplitude schon zu dieser Zeit der Pflanzendiebstahl beklagt (z. B. zu verzeichnen, sehr starke Beschattung führt zu Vitali- Ebert 1929). Nach 1950 waren nur noch an wenigen tätsrückgängen. Die Zeigerwerte nach Ellenberg et al. Fundorten Einzelindividuen nachweisbar, 1996 erlosch (1992) sind in Tabelle 1 angegeben. das letzte Vorkommen am Münchenberg bei Neinstedt. Die kausalen Zusammenhänge des bereits frühzeitigen Erlöschens der Populationen nördlich des Harzes sind 2 Zur Situation von Cypripedium calceolus nicht mehr zu analysieren. in Sachsen-Anhalt Kritisch stellt sich die Situation im Zechsteingebiet des Südlichen Harzvorlandes dar. Gegenwärtig kann noch 2.1 Historische und aktuelle Verbreitung von drei aktuellen, aber individuenschwachen Fund- Hein & Meysel (2010) haben die historische Entwick- punkten ausgegangen werden. lung der Frauenschuh-Populationen in Sachsen-Anhalt Im südlichen Sachsen-Anhalt war Cypripedium cal- ausführlich dargestellt. Danach wurde Cypripedium ceolus einst weit verbreitet mit dem Schwerpunkt im calceolus bisher in vier der fünf Großlandschaften Sach- Saale-Unstrut-Triasland. Nur hier, mit Ausnahme einer sen-Anhalts (Reichhoff et al. 2001) nachgewiesen. kleinen Population auf dem Hornburger Sattel, beste- In der eigenständigen, vollständig anthropogen über- hen noch rezente Fundorte. Gegenwärtig muss davon formten Braunkohlen-Bergbaufolgelandschaft, die sehr ausgegangen werden, dass mittelfristig überlebensfä- orchideenreiche Teilregionen aufweist, konnte die Art hige Metapopulationen lediglich in einem Waldgebiet im Gegensatz zum benachbarten Sachsen bisher nicht bei Bad Bibra sowie in einem Teilgebiet des Randes der gefunden werden. Querfurter Platte im Bereich der unteren Unstrut exis- In der Altmark sowie im Zerbster Ackerland sind die tieren. Bereits Hermann & Hermann (1970) bezeich- wenigen bekannt gewordenen Vorkommen bei Alt- nen die nur schwach besetzten Vorkommen im Altkreis

13 Abb. 2: Verbreitung von Cypripedium calceolus in Sachsen-Anhalt. Geobasisdaten: Landesamt für Umwelt- schutz Sachsen-Anhalt. Bearbeiter: E. Ließ (aus Arbeitskreis Heimische Orchideen Sachsen-Anhalt 2011).

14 Naumburg als „Verbreitungsausstrahlungen“ aus dem Die Hügelländer im Süden Sachsen-Anhalts zeichnen Forst Bibra und dem Jenenser Raum. Seither sind diese sich durch ein trockenwarmes Klima (Jahresnieder- peripheren Vorkommen im Saaletal bei Naumburg und schlag 500‒600 mm, Jahresmitteltemperatur 7,5‒8,5 °C) Bad Kösen, am Südrand der Finne sowie bei Merten- und einen bereits subkontinentalen Einfluss aus. Lokal- dorf, Freyburg, Burghässler und Steinbach überwiegend standörtlich werden daher südexponierte Lagen sowohl erloschen und zeugen von der fortschreitenden Areal- im Offenland als auch im Wald fast vollständig gemie- erosion. den, was auf gewisse Mindestanforderungen der Art bezüglich des Feuchteregimes bzw. des Mikroklimas 2.2 Standortansprüche und Biotopbindung hinweist. Die aktuellen Vorkommen von Cypripedium calceolus Von den ungefähr 110 gegenwärtig bekannten Einzel- suggerieren durch ihre Lage ausschließlich über kalk- fundorten (Definition „Fundort“: Abstand zwischen führenden geologischen Formationen (Muschelkalk, den Individuen >100 m innerhalb einer Vegetations- muschelkalküberrollter Röt [Oberer Buntsandstein], einheit oder wechselnde Vegetationseinheit unab- Zechstein) sehr spezifische Standortansprüche der Art. hängig von Abstand der Individuen) befinden sich 75 Die historische Verbreitung beweist jedoch ein wesent- Prozent in Wäldern, 14 Prozent in Gebüschformatio- lich größeres Standortspektrum, wobei basenreiche nen trockenwarmer Standorte und 11 Prozent in ver- Böden wohl stets eine Voraussetzung für die Existenz schiedenen Rasen- und Wiesengesellschaften (Hein & der Art sind. Oft sind diese Standorte kolluvial- oder Meysel 2010, s. a. Abb. 3). lößüberlagert, mitunter besiedelt Cypripedium calceolus Ein großer Teil der Wälder mit Frauenschuh-Vorkom- aber auch flachgründige Rendzinen. Als Humusform ist men muss als Bestockung in erster Waldgeneration an- Mull, seltener Moder ausgebildet. gesehen werden. Bis zur Reblaus-Kalamität gegen Ende Der vollständige Verlust aller Vorkommen auf karbo- des 19. Jahrhunderts wurde auf diesen Flächen über- natfreien Standorten ist wohl am ehesten mit dem grö- wiegend Weinanbau betrieben. Terrassierungen, ver- ßeren Pufferungsvermögen der Kalkstandorte gegen- fallende Weinbergmauern und -gebäude zeugen noch über Säureeinträgen aus der Luft und deren möglichen heute davon. Auf eine zwischenzeitliche Streuobst- und Auswirkungen auf die Mykorrhiza erklärbar, bleibt aber Hudewirtschaft folgte Mitte/Ende der ersten Hälfte des letztlich spekulativ. 20. Jahrhunderts eine Auflassung oder Aufforstung,

Abb. 3: Von Cypripedium calceolus besiedelte Vegetationseinheiten in Sachsen-Anhalt.

Birken-Pionierwälder Trockene Eichen-Hainbuchenwälder Nadelholzforste Trockenwarme Gebüsche Seggen-Buchenwald Submediterrane Halbtrockenrasen Subkontinentale Halbtrockenrasen Eichentrockenwälder Waldgersten-Buchenwälder Eichen-Kiefern-Forst Gamander-Blaugras-Trockenrasen Glatthafer-Wiese Pfeifengras-Wiese

0 5 10 15 20 25 30 Anzahl Fundorte

15 Abb. 4: Typischer, nordexponierter Hasel-Niederwald mit Vorkommen von Cypripedium calceolus, Laucha, 05.10.2012. Foto: T. Stenzel.

meist mit Wald-Kiefer (Pinus sylvestris), seltener mit schicht entwickelt, in der häufig die Hasel Corylus( Gemeiner Fichte (Picea abies). avellana) zur absoluten Vorherrschaft gelangt (Abb. 4). Auffallend ist, dass sich ca. 70 Prozent aller Triebe Jahrringzählungen haben für diese Art ein Alter von (Ramets) in Beständen entwickeln, die eine Gehölz- etwa 60 Jahren ergeben. Offenbar kann Cypripedium deckungssumme (Deckung der Strauch- und Baum- calceolus unter diesen Bedingungen noch längere Zeit schichten in Prozent) von über 80 Prozent aufweisen. existieren. Abbildung 5 verdeutlicht jedoch eine abneh- Regelmäßig ist an diesen Fundorten eine vitale Strauch- mende Blührate unter diesen lichtökologischen Bedin-

Abb. 5: Anzahl fertiler, steriler und juveniler Triebe in Abhängigkeit von der Gehölzdeckung der Baum- und Strauchschichten (nach Hein & Meysel 2010).

2000 Anzahl Triebe fertil 1500 (Ramets) steril 1000 juvenil gesamt 500

0 160-199% 120-159% 80-119% 40-79% 0-39% Gehölzdeckung

16 gungen. Darüber hinaus ist der ausgesprochen geringe, 25 mit zunehmender Beschattung weiter sinkende Anteil Anteil juveniler 20 juveniler Individuen erkennbar. Der geringe Anteil der Individuen Jungpflanzen stellt gegenwärtig die größte Gefährdung 15 der sachsen-anhaltischen Frauenschuh-Populationen 10 dar, da Verluste adulter Pflanzen nicht mehr kompen- 5 siert werden können. Dem Lichtgenuss wird auch in der Literatur (z. B. Elend 0 & Gerstberger 1996, Baumann 2005, Landesamt 160–199% 120–159% 80–119% 40–79% 0–39% für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 2006) ein Gehölzdeckung maßgeblicher Einfluss auf die Vitalität von Cypripe- dium calceolus zugemessen. Abb. 6: Prozentualer Anteil juveniler Individuen an der Hein & Meysel (2010) diskutieren die synergistische jeweiligen Gesamtpopulation in Abhängigkeit von der Wirkung ausgewählter Standortparameter (Licht, Gehölzdeckung der Baum- und Strauchschichten (nach Humus/Streu, Feuchtigkeit, Konkurrenz der Boden- Hein & Meysel 2010). vegetation) auf die Vitalität (Blührate, Fruchtansatz, Jungpflanzen) von Cypripedium calceolus. Deutlich wird, dass der Einfluss der Belichtung die Wirkung an- derer Standortfaktoren überlagert. So wäre auf Grund von Beginn an die kritische Kartierung der einheimi- des Feuchtebedarfs für die Keimung (Dietrich in Ar- schen Orchideenarten als Grundlage für künftige Er- beitskreise Heimische Orchideen 2005) nicht zu haltungsmaßnahmen zum Ziel gesetzt (Wišniewski erwarten gewesen, dass trockene Standorte einen sig- 1965). Auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt nifikant höheren Jungpflanzenanteil als mittelfrische haben sich insbesondere W. Böhnert, G. Hecht, E. Herz, und frische Standorte aufweisen. Allerdings weisen die A. Hunstock, A. Keding, H. Schroth, H. J. Stapperfenne trockensten Standorte auch die geringste Gehölzde- und Fam. Tauer um die Erfassung der Frauenschuh- ckung und somit die stärkste Belichtung auf. Vorkommen bemüht. Die dabei entstandenen, z. T. Die Blührate erreicht bei vollschattigen Verhältnissen langjährigen Zählreihen geben Einblick in die Popu- mit 15 bis 30 Prozent nur noch ungefähr die Hälfte lationsentwicklung und weisen auf Handlungsbedarf des Wertes als bei optimaler Belichtung. Eine Ab- hin (Abb. 7 und 8). hängigkeit des Fruchtansatzes je Blütentrieb von der Unmittelbar nach der politischen Wende in der DDR Gehölzdeckung ist nicht erkennbar. Der Kapselansatz gewann die Biotoppflege vor dem Hintergrund eines schwankt unabhängig von der Belichtung zwischen gewachsenen Naturschutz- und Umweltbewusstseins, 0,2 und 0,33 Kapseln je Blütentrieb. Diese Werte ent- sprechen auch denen, die von Elend & Gerstberger (1996) und Baumann (2005) genannt werden. Die Be- Abb. 7: Anzahl blühender Triebe an einem Fundort stäuberbeziehungen sind somit an den Waldfundorten von Cypripedium calceolus mit sporadischer Pflege bei und auch innerhalb eines geschlossenen Waldgebietes Krawinkel. Datenbasis: Fundortdatei des AHO Sach- funktionsfähig. sen-Anhalt. Der deutliche Anstieg des Anteils juveniler Individuen bei steigendem Lichtgenuss auf fast das Siebenfache 1200 Anzahl gegenüber den am stärksten beschatteten Wuchsorten 1000 blühender lässt auf den erheblichen Einfluss der Belichtungsstärke Triebe im Etablierungsprozess der Jungpflanzen schließen 800 (Abb. 6). 600

400 3 Management 200

3.1 Historie 0 Der von N. Wišniewski 1961 in der DDR gegründete 1992 1962 1989 1998 1996 1994 2001 2002 2003 2005 2009 Arbeitskreis Heimische Orchideen hatte sich bereits 2004

17 80

70 Anzahl blühender Triebe 60

50

40

30

20

10

0 1970 1987 1988 1989 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1999 2000 2001 2002 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2011 2012

Abb. 8: Anzahl blühender Triebe an einem Fundort von Cypripedium calceolus mit regelmäßiger Pflege bei Balgstädt. Datenbasis: Fundortdatei des AHO Sachsen-Anhalt.

sich entwickelnder behördlicher Naturschutzstruktu- Wirtschaftlich relevante Baumarten bleiben erhalten. ren und vorhandener personeller Ressourcen einen ho- Die Eingriffsstärke orientiert sich am Gesamtde- hen Stellenwert. Bereits ab etwa dem Jahr 2000 musste ckungsgrad der Gehölzschichten. Dieser wurde fund- eine Reduzierung der Pflegekapazitäten im Zuge kom- ortbezogen von Hein 2009 ermittelt. Als Zielwert für munaler Gebietsreformen und insbesondere der Auflö- die Auflichtung wird ein Gesamtdeckungsgrad von sung der Naturschutzstationen konstatiert werden. Der 60 Prozent (± 20 %) angestrebt. Die Bearbeitung der ehrenamtlichen Betreuung der Vorkommen kam damit Pflegeflächen erfolgt nach Abschluss der Vegetations- wieder eine größere Verantwortung zu. zeit von Cypripedium calceolus Ende September/An- fang Oktober. Als Grundlage für die Erfolgskontrolle 3.2 Das Pflegeprojekt des AHO Sachsen-Anhalt werden vor Realisierung der Auflichtung an allen zu 3.2.1 Methodik bearbeitenden Fundpunkten die Gesamtzahl der Frau- Basierend auf den Ergebnissen der Kartierung und Be- enschuhtriebe (spezifiziert nach fertil, steril, juvenil) wertung der Frauenschuh-Vorkommen einschließlich ermittelt, ein bis drei Dauerbeobachtungsflächen (in ihrer vegetationskundlichen Erfassung durch Hein Abhängigkeit der Abundanz und Verteilung von Cy- 2009 und 2010 im Auftrage des Landesamtes für Um- pripedium calceolus) entsprechend der Methodik von weltschutz Sachsen-Anhalt entwickelte der AHO Sach- Klein (2008) eingerichtet sowie eine Vegetations- sen-Anhalt eine Pflege-Konzeption und setzt seither aufnahme je Dauerbeobachtungsfläche nach Braun- diese im Rahmen der Naturschutz-Richtlinie als För- Blanquet (in Dierssen 1990) erstellt. Die Wiederho- derprojekt um. Da eine Übernahme von Management­ lungsaufnahme der Dauerbeobachtungsflächen erfolgt erfahrungen aus anderen Bundesländern auf Grund jährlich. differierender Standorts- und Biotopverhältnisse zu fal- schen Schlussfolgerungen führen kann, wurden Maß- 3.2.2 Erste Ergebnisse nahmen zur Erfolgskontrolle auf allen Pflegeflächen in Realisiert wurden in den Jahren 2010, 2011 und 2012 das Projekt integriert. Pflegemaßnahmen in 35 Einzelpopulationen auf einer An allen zu bearbeitenden Fundpunkten erfolgt auf Fläche von 3,35 Hektar. Im Zuge der Biotoppflegear- definierten, populationsabhängigen Flächengrößen beiten wurde die Strauchschicht aufgelichtet, so dass (ca. 30 x 30 m) ein motormanueller Pflegeeingriff in eine durchschnittliche Gehölzdeckung von ungefähr die Strauchschicht. Im Regelfall sollen 50 Prozent der 50 Prozent verblieb. Auf den zu pflegenden Flächen er- Strauchschicht entnommen werden. Die abgeschnit- folgte vor Beginn der Arbeiten die Anlage der Dauer- tenen Triebe verbleiben breitwürfig auf den Flächen. beobachtungsflächen, die Vegetationsaufnahmen sowie

18 die Ermittlung der Populationsgröße von Cypripedium calceolus. 250

Die Auswertung der Dauerbeobachtungsflächen (DBF) 202 der im Jahr 2010 aufgelichteten Flächen lässt erste Er- 200 gebnisse anhand der vitalitätsrelevanten Parameter 150 erkennen: 150 1. Die Anzahl der Einzeltriebe erhöhte sich um 71 Pro- 118 zent. 100 2. Die Blührate stieg von 43 auf 51 Prozent. 83 69 3. Der Kapselansatz nahm von 0,31 auf 0,45 Kapseln je 51 50 41 38 fertilem Trieb zu. 28 4. Erstmals wurden juvenile Individuen in nennenswer- 16 0 2 tem Umfang festgestellt. 0 Anzahl Triebe dav. fertil dav. juv. Anzahl Kapseln Der Anteil der Jungpflanzen erreichte mit 20,3 Prozent (41 von insgesamt 202 Trieben) einen erheblichen An- teil, der auf eine künftig nachhaltig gesicherte Populati- Abb. 10: Entwicklung der reproduktionsrelevanten onsstruktur hoffen lässt (Abb. 9). Auf den Pflegeflächen Vitalitätsparameter in den Jahren 2010 (gelb), 2011 der Jahre 2011 und 2012 erfolgte hingegen keine Etab- (orange) und 2012 (grün) auf den im Jahr 2010 aufge- lierung von Jungpflanzen. lichten Flächen. Grundlage: Datenerfassung der Dauer- Somit ist bereits im Jahr 2012, also zwei Vegetations­ beobachtungsflächen 2010‒2012. perioden nach der Auflichtung, eine deutliche Verbes- serung aller reproduktionsrelevanten Vitalitätsparame- ter zu verzeichnen (Abb. 10). 4 Gefährdungsursachen

Abb. 9: Jungpflanze von Cypripedium calceolus auf ei- Neben den oben aufgeführten sukzessionalen Prozes- ner Pflegefläche des Jahres 2010, Laucha, 02.06.2012. sen beschreiben Hein & Meysel (2010) noch eine Reihe Foto: F. Meysel. weiterer Risikofaktoren:

Diebstahl / Fototourismus Die unnötigste Verlustursache und zugleich Ausdruck von weit verbreitetem Egoismus und Verantwortungs- losigkeit in unserer Gesellschaft ist der fortgesetzte Diebstahl von Frauenschuh-Individuen. Grabelöcher sind regelmäßig festzustellen, betroffen sind vor allem reichlich blühende und damit auffällige Vorkommen (Abb. 11). Bisher liegen keine Anhaltspunkte für eine gewerbsmäßige Nutzung der gestohlenen Pflanzen vor. Allerdings sind, wahrscheinlich durch wiederholte Entnahmen (wenn die „Kultivierung“ im eigenen Gar- ten fehlgeschlagen ist), bereits mehrere Vorkommen vollständig ausgelöscht worden (z. B. am Ennsberg bei Laucha). Neben einer verstärkten, jedoch perso- nalintensiven Überwachung im Gelände könnte die Durchsetzung der für den Besitz dieser Art geltenden Vorschriften am ehesten zielführend sein. Cypripe- dium calceolus ist im Anhang A des CITES-Abkom- mens gelistet. Für diese Arten gilt ein grundsätzliches Entnahme-Verbot aus der Natur. Auf Grund von Aus- nahmeregelungen entnommene Exemplare unterliegen

19 Abb. 11: Spuren von Pflanzendiebstahl, Laucha, Abb. 12: Beeinträchtigung des drittletzten Fundortes 03.06.2009. Foto: C. Hein. von Cypripedium calceolus im Südlichen Harzvorland durch Kahlschlag und nachfolgende Bodenbearbeitung (FFH-Gebiet 108), Emseloh, 25.10.2012. Foto: A. Hoch.

dem Vermarktungsverbot. Der Besitz ist demzufolge An den wenigen im Offenland verbliebenen Fundorten nachweispflichtig. muss die Phänologie von Cypripedium calceolus den Vergleichbar hinsichtlich ihrer Auswirkung ist die bei Rahmen für die Bewirtschaftung vorgeben. Zwischen einer so attraktiven Art wenig verwunderliche Frequen- Austrieb und Samenreife, also von Mitte März bis Ende tierung durch Naturfotografen. Sogenannte „Fotogra- September ist eine Beweidung oder Mahd der Vorkom- fenwannen“ sind hierfür Beleg. Neben einer regelmä- men auszuschließen. Darüber hinaus muss bei einer ßigen Missachtung des Wegegebotes in Naturschutzge- Mahd eine Schnitthöhe von zwei Zentimetern über dem bieten (NSG) ist vor allem Schädigung von Jungpflan- Boden eingehalten werden, da sonst die Sprossspitzen, zen als gravierende Beeinträchtigung zu konstatieren. die bereits ab September die Bodenoberfläche durch- brechen (Abb. 13 und 14), in Mitleidenschaft gezogen Bewirtschaftungseinflüsse werden. Einen ebenfalls erheblichen Einfluss können land- und Der Information der Bewirtschafter sowie die Respek- forstwirtschaftliche Maßnahmen auf Frauenschuh- tierung der spezifischen Anforderungen der Art sind Populationen haben. Gefährdungskriterien an Wald- Voraussetzung für die Erhaltung des Frauenschuhs im Fundorten sind hierbei vor allem: Landesmaßstab. • Gravierende und abrupte Änderungen des Lichtre- gimes durch Kahlschlag, Schirmschlag oder Beseiti- Wildverbiss, Schneckenfraß gung der Strauchschicht (Abb. 12) Im Gegensatz zu einer gelegentlich in der Literatur ver- • Befahrung der unmittelbaren Fundorte muteten Verbissgefährdung durch Schalenwild muss • Ablagerung von Reisig oder Kronenholz auf den für Sachsen-Anhalt trotz landesweit deutlich überhöh- Wuchsorten ter Wildbestände eine Beeinträchtigung gegenwärtig • Bodenbearbeitung verneint werden. Im Jahr 2009 wurden lediglich an zwei • Herbizideinsatz und Düngung Fundorten abgefressene Triebe registriert. Auf Grund • Schematische Kulturpflegearbeiten des Fraßbildes sind hier jedoch Schnecken als Verursa- • Anbau oder Förderung von Schattbaumarten, auch cher anzunehmen (Abb. 15). im Umfeld der Vorkommen.

20 Abb. 13: Sprossspitzen von Cypripedium calceolus Abb. 14: Ende März sind die Austriebe von Cypripe-­ durchbrechen bereits ab Oktober die Bodenoberfläche, dium calceolus bereits gut entwickelt, Balgstädt, Laucha, 25.10.2012. Foto: C. Hein. 27.03.1970. Foto: H. J. Stapperfenne.

Abb. 15: Schneckenfraß als Gefährdungsursache von 5 Erhaltungsaussichten von Cypripedium Cypripedium calceolus, Laucha, 22.06.2009. Foto: calceolus für das Bundesland Sachsen- F. Meysel. Anhalt

Cypripedium calceolus ist eine Art mit einer (wahr- scheinlich) langen Entwicklungsdauer, komplizierten Keimungsbiologie und anspruchsvollen Phänologie. Die Standortbedingungen in Sachsen-Anhalt scheinen für diese Art nur noch suboptimal zu sein: Die geringen Niederschlagssummen, möglicherweise in Verbindung mit einer stärkeren subkontinentalen Prägung schlie- ßen ein Vorkommen in südexponierten Lagen offenbar weitgehend aus, während die frischeren Nordlagen ei- ner rascheren Sukzession unterliegen. Die Folge sind pessimale Lichtverhältnisse und Streudecken, die eine stark limitierende Wirkung auf die Etablierung von Jungpflanzen haben. An den meisten Fundorten sind gezielte Management- maßnahmen erforderlich, die in der Regel eine Steue- rung des Lichtregimes beinhalten. An den Offenland- Fundorten ist der Ausbildung einer Streudecke entge- gen zu wirken. Grundsätzlich ist dabei die Phänologie der Art zu berücksichtigen. Gezielte Maßnahmen an Wald-Fundorten können rasch Vitalitätssteigerungen bewirken (Abb. 16 und 17). Das Fehlen monokausaler Wirkmechanismen erschwert gegenwärtig sowohl eine Gefährdungsanalyse als auch ein darauf basierendes

21 Abb. 16: Zustand einer Subpopulation von Cypripedium calceolus vor dem Pflegeeingriff, Laucha, 16.06.2009. Foto: C. Hein.

Management und erfordert dringend eine kritische Literatur Begleitung aller Pflege- und Bewirtschaftungsmaß- Arbeitskreis Heimische Orchideen Sachsen-Anhalt nahmen an Fundorten von Cypripedium calceolus. (2011): Orchideen in Sachsen-Anhalt – Verbreitung, Öko- Eine dauerflächenbasierte Erfolgskontrolle nach Klein logie, Variabilität, Gefährdung, Schutz. ‒ Quedlinburg: (2008) kann bereits mittelfristig Daten liefern, die zum 496 S. weiteren Verständnis der kausalen Zusammenhänge Arbeitskreise Heimische Orchideen (2005): Die Orchide- en Deutschlands. ‒ Uhlstädt-Kirchhasel: 800 S. und somit für die Gewährleistung bzw. Wiederherstel- Baumann, H. (2005): Cypripedium L. Frauenschuh. ‒ In: Ar- lung eines günstigen Erhaltungszustandes von Cypripe- beitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchide- dium calceolus bedeutsam sind. en Deutschlands. ‒ Uhlstädt-Kirchhasel: 279‒281. Alle Bewirtschaftungsmaßnahmen an den noch ver- Dierssen, K. (1990): Einführung in die Pflanzensoziologie bliebenen Fundorten müssen auf die Ansprüche der (Vegetationskunde). ‒ Darmstadt (Wissenschaftliche Buch- gesellschaft): 241 S. Art abgestimmt sein. Dietrich, H. (2005): Die Familie der Orchideen ‒ In: Arbeits- Werden die erlangten Kenntnisse zur Biologie und kreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchideen Ökologie von Cypripedium calceolus in einem gezielten Deutschlands. ‒ Uhlstädt-Kirchhasel: 71‒87. Management umgesetzt, besteht die berechtigte Hoff- Ebert, W. (1929): Die Flora des Kreises Bernburg und der an- nung, dass wir unserer moralischen und gesetzlichen grenzenden Gebiete. ‒ Bernburg (Verlag Gustav Kunze): 392 S. Verpflichtung gerecht werden und diese faszinierende Elend, A. & P. Gerstberger (1996): Zur Populationsökologie Art für unser Bundesland erhalten können. des Frauenschuhs (Cypripedium calceolus L., Orchidaceae). ‒ Hoppea 57: 331‒358.

22 Abb. 17: Zustand der Subpopulation von Cypripedium calceolus nach dem Pflegeeingriff 2010, gleicher Blick- winkel wie Abb. 16, Laucha, 18.05.2012. Foto: A. Schonert.

Ellenberg, H., H. E. Weber, R. Düll, V. Wirth, W. Wer- 1.1.2001), Ein Beitrag zur Fortschreibung des Landschafts- ner & D. Paulissen (1992): Zeigerwerte von Pflanzen in programmes des Landes Sachsen-Anhalts. ‒ Halle . ‒ Lan- Mitteleuropa. ‒ Göttingen. ‒ Scripta Geobotanica 18: 262 S. desamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Hein, C. & F. Meysel (2010): Verbreitung, Ökologie, Gefähr- CD-Rom. dung und Management der Orchideenart Frauenschuh Schnitter, P., C. Eichen, G. Ellwanger, G. Neukirchen & (Cypripedium calceolus L.) in Sachsen-Anhalt. ‒ Berichte E. Schröder (Bearb.) (2006): Empfehlungen für die Erfas- aus den Arbeitskreisen Heimische Orchideen 27 (1): 6‒50. sung und Bewertung von Arten als Basis für das Monito- Herrmann, M. & E. Herrmann (1970): Vorkommen und ring nach Artikel 11 und 17 der FFH-Richtlinie in Deutsch- Verhalten heimischer Orchideen in der thüringischen land. ‒ Halle. ‒ Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Trias­landschaft, begrenzt auf den Kreis Naumburg (Saale). Sachsen-Anhalt SH 2: 370 S. ‒ Mitteilungen des Arbeitskreises „Heimische Orchideen“ Wišniewski, N. (1965): Die bisherige Entwicklung des Arbeits- der DDR 6: 19‒45. kreises und seine weitere Aufgabenstellung. ‒ Mitteilungen Klein, S. (2008): Konzept für das Monitoring von Orchideen des Arbeitskreises „Heimische Orchideen“ der DDR 1: in Sachsen-Anhalt. ‒ Berichte aus den Arbeitskreisen Hei- 2‒13. mische Orchideen 25 (1): 180‒194. Korschefsky, A. & F. Meysel (2011): Die Orchideenarten des Anhanges II der FFH-Richtlinie in Sachsen-Anhalt. Teil 1: Anschrift des Autors Das Sumpfglanzkraut [Liparis loeselii (L.) Rich.). ‒ Natur- schutz im Land Sachsen-Anhalt 48 (1+2): 20‒31. Frank Meysel Mossberg, B. & L. Stenberg (2003): Den nya nordiska Floran. ‒ Stockholm (Wahlström & Widstrand): 928 S. Arbeitskreis Heimische Orchideen Sachsen-Anhalt e. V. Reichhoff, L., H. Kugler, K. Refior & G. Warthemann Gottgau 1 · 06193 Löbejün (2001): Die Landschaftsgliederung Sachsen-Anhalts (Stand E-Mail: [email protected]

23 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 24–38 Altgewässertypologie – Ein Instrument zur naturnahen Entwicklung potamaler Altgewässer der Elbe in Sachsen-Anhalt Tanja Pottgiesser, Thomas Ehlert & Karl-Heinz Jährling

1 Einleitung

Die Auen naturnaher Ströme und großer Flüsse wei- päischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL), nachdem sen eine Vielzahl unterschiedlicher Auengewässer auf. Sanierungen und Renaturierungen von Altgewässern Dazu zählen auch die Altgewässer, d. h. ehemals durch- bisher eher im Rahmen von Naturschutzmaßnahmen flossene Flussabschnitte oder Verzweigungsstrecken, durchgeführt wurden (Reichhoff 2003). Naturnahe die heute vom Fließgewässer abgetrennt sind und oft ei- Altgewässer sind häufig als Lebensraumtyp nach An- nen Standgewässercharakter aufweisen. Ihre natürliche hang I der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) Entstehung verdanken sie der Dynamik der Fließgewäs- gemeldet und unterliegen entsprechenden Erhaltungs- ser z. B. durch Gewässerbettverlagerungen oder Mäan- zielen. Wesentlich ist hierbei, dass bei einer frühzeiti- derdurchbrüche. In Abhängigkeit von ihrer Entfernung gen Zielabstimmung beider Richtlinien erhebliche Syn­ zum Fluss und je nachdem, ob sie noch eine Verbindung ergieeffekte erreicht werden können. zum Fließgewässer haben, nur noch bei Hochwasser Für die Bewertung von Gewässern vor dem Hintergrund überflutet werden oder außerhalb des Einflussbereichs der WRRL anhand der so genannten biologischen Qua- des Stroms liegen, durchlaufen sie verschiedene Ent- litätskomponenten Fische, Makrozoobenthos, Makro- wicklungs- bzw. Sukzessionsstadien, die von frühen phyten und Phytobenthos sowie Phytoplankton und Pionierstadien bis zur völligen Verlandung reichen die Ableitung von Maßnahmen gemäß WRRL werden können. Diese Vielgestaltigkeit ist Grundlage für das naturraum- bzw. typspezifische Referenzbedingungen Vorkommen unterschiedlicher Lebensgemeinschaften zugrunde gelegt. Diese liegen für Altgewässer potama- mit teilweise stark bedrohten und naturschutzfachlich ler Fließgewässer, d. h. die Unterläufe großer Flüsse oder bedeutsamen Pflanzen- und Tierarten und europaweit Ströme, bislang nicht vor. In den bestehenden Referenz- geschützter Lebensräume. Reichhoff (2003) gibt allein bedingungen für Seen oder für Ströme sind Auen und für das Mittelelbegebiet 59 verschiedene Pflanzengesell- Altgewässer nur unzureichend enthalten. Demzufolge schaften an, die an Altgewässer gebunden sind. kann es bei der ökologischen Bewertung, der Defizit- Zwei Drittel der ehemaligen Flussauen sind durch den analyse und der Festlegung von Maßnahmen für den Bau von Deichen vom natürlichen Überflutungsge- komplexen und sehr dynamischen Lebensraum „Alt- schehen der Flüsse abgeschnitten und nur noch zehn gewässer“ zu methodenbedingten Fehleinschätzungen Prozent der verbliebenen Flussauen sind als naturnah und fachlichen Widersprüchen kommen. einzustufen (BMU & BfN 2009). Somit sind auch viele Um diese fachlichen Defizite zu beheben, wurde am Altgewässer durch den Ausbau der Fließgewässer und Beispiel der Mittleren Elbe in Sachsen-Anhalt eine die Nutzung der Auen in ihrer ökologischen Funktion Typologie potamaler Altgewässer entwickelt. Die Be- beeinträchtigt oder gar beseitigt worden. Sie zählen da- schreibung der Referenzbedingungen der ausgewiese- her zu den gefährdeten Lebensräumen in Deutschland. nen Altgewässertypen erfolgte anwendungsorientiert in Die Wiederanbindung oder Sanierung von Altgewäs- Form von Steckbriefen. Für die konkrete Anwendung sern ist regelmäßig Bestandteil von Konzepten zur na- der Altgewässertypologie wurde allen projektrelevan- turnahen Entwicklung von Flüssen. Dabei ist immer ten Altgewässern der jeweilige Typ zugewiesen und in wieder die Frage zu klären, welche konkreten Maß- der Karte der Altgewässertypen dargestellt. Der End- nahmen zielführend sind. Dies gilt in zunehmendem bericht zum Projekt (inkl. der Steckbriefe und Karten) Maße auch für Maßnahmen zur Umsetzung der Euro- ist verfügbar unter: http://www.sachsen-anhalt.de/

24 über 50 Hektar auf und zählen damit zu den Stand- gewässern, die der Berichtspflicht zur Umsetzung der WRRL unterliegen. Neben den Altgewässern, die eine große zusammen- hängende Wasserfläche bilden, weisen einige Altge- wässer mehrere separate Gewässerbereiche auf, die nur bei Hochwasser miteinander verbunden sind. Andere Altgewässer werden heute von kleineren Fließgewäs- sern durchflossen, die aus dem Hinterland in die Elbe einmünden. Abbildung 2 zeigt einige Beispiele von Altgewässern und ihre heutige Anbindungssituation an die Elbe. Sonstige Auengewässer wie periodische und per- manente Kleingewässer, z. B. Auentümpel, kleinere Flutmulden und -rinnen und hinterdeichs gelegene Qualmgewässer sowie mehr oder weniger künstlich entstandene, zumeist tiefere Auengewässer (ehema- lige Kiesgruben, Deichbruchkolke), wurden nicht be- rücksichtigt. Sie sind dennoch aus ökologischer Sicht wichtige aquatische Lebensräume, die aufgrund ihrer charakteristischen Eigenschaften (z. B. Austrocknung bzw. klares und kühles Wasser) spezifische Lebensge- meinschaften beherbergen. Das heutige Vorkommen und Erscheinungsbild der in der Elbeaue anzutreffenden Altgewässer ist häufig auf verschiedene anthropogene Einflüsse, in erster Abb. 1: Betrachtete Altgewässer der Mittleren Elbe in Linie strombauliche Maßnahmen v. a. für die Schiff- Sachsen-Anhalt. fahrt und zum Hochwasserschutz, zurückzuführen. So geht die Entstehung vieler heutiger Altgewässer auf Mäanderdurchstiche und Abtrennung ehemals ak- tiver Nebengerinne zurück. Durch die Ausdeichung index.php?id=39644 im Abschnitt „Typisierung pota- wurden komplette Altarmsysteme, die ehemals mit maler Altgewässer in Sachsen-Anhalt (2012)“. den Flusshauptläufen verbunden waren, von der pri- mär bedeutsamen Wasserstandsdynamik und von den hiervon abhängigen Prozessen, wie der Morpho- und 2 Altgewässer der Elbe in Sachsen-Anhalt Geschiebedynamik, der Grundwasserdynamik, der Standort- und Vegetationsdynamik, dem Ein- und Gegenstand der Bearbeitung waren die Altgewässer Austrag von Nährstoffen sowie dem Organismenaus- der Mittleren Elbe in Sachsen-Anhalt. Bei früheren tausch ausgeschlossen (Jährling 1994). Die permanent Untersuchungen wurden in dem 304 Kilometer langen ausbleibende hydraulische Beeinflussung der auf diese Abschnitt mittels Luftbildinterpretation mehrere tau- Weise abgeschnittenen Gewässer und der bestehende send Stillgewässer mit einer Größe von über 0,25 Hektar landwirtschaftliche Nutzungsdruck im Umfeld führten ermittelt, darunter über 1.500 Altarme und Altwasser bei vielen Gewässern zu einer vorschnellen Alterung. (Weiss & Peters 2001), die in einem Korridor von Na- Bestehende Zustände werden durch Unterhaltungs- tura 2000-Gebieten entlang der Elbe liegen. Aus dieser und Ausbaumaßnahmen erhalten (Abb. 3). Eine aus- Vielzahl von Auengewässern wurden 72 permanente führliche Darstellung der historischen Entwicklung Altgewässer mit einer Größe von vier bis 124 Hektar der Altgewässer an der Elbe ist Jährling (2009) zu ausgewählt, die sich auf einem fünf bis sechs Kilometer entnehmen. breiten Korridor entlang der Elbe erstrecken (Abb. 1). Die meisten Altgewässer haben eine Größe von 10 bis 20 Hektar. Zehn der Altgewässer weisen eine Größe von

25 Wartenburger Streng

Crassensee

Kurzer Wurf

Alte Elbe Klieken

Abb. 2: Auswahl von betrachteten Altgewässern. Die roten und orangen Linien markieren den Verlauf der heu- tigen Deichlinien (Haupt- und Leitdeiche). Fotos: T. Pottgiesser.

26 3 Typologie und Referenzbedingungen gefasst. Die Beschreibung der naturnahen Ausprägung potamaler Altgewässer dieser Gewässertypen wird gemäß WRRL als Referenz- bedingung bezeichnet und beschreibt als höchste Wert- 3.1 Erstellung einer Altgewässertypologie stufe der typspezifischen Bewertung den „sehr guten Naturnahe Fließgewässer und ihre Auen, die als Vor- ökologischen Zustand“. bilder für Renaturierungen dienen können, sind in In neuerer Zeit waren Auengewässer bereits Gegenstand der heutigen Kulturlandschaft vergleichsweise selten. ausführlicher Abhandlungen, die auch Klassifikationen In Naturräumen oder Regionen mit überwiegend an- dieser Gewässer nach unterschiedlichen Kriterien bein- thropogen stark degradierten Gewässern fehlen da- halten (z. B. Lüderitz et al. 2009, DWA 2010). Die Klas- her häufig Hinweise, welche Gewässerstrukturen und sifizierung der Altgewässer von Amoros et al. (1987), Habitate natürlicherweise vorkommen und welche die von Schwevers & Adam (2010) um anthropogen Lebensgemeinschaften sie beherbergen. Um eine Ori- entstandene Gewässer ergänzt und mit deutschen Fach- entierungshilfe bei der ökologischen Verbesserung der begriffen belegt wurde, richtet sich nach der natürlichen Gewässer zu haben, bedient man sich daher in der Was- Morphodynamik und unterteilt die Auengewässer an- serwirtschaft – bereits vor Inkrafttreten der WRRL – hand der Anbindung an den Fluss und des Sukzessions- der Gewässertypologie. stadiums. Da die Vernetzung des Flusses mit den Auen- Die natürliche Vielfalt individueller Gewässer über- gewässern und der Verlandungsgrad wesentliche Fak- schaubar darzustellen, indem man sie nach gemeinsa- toren und für die Ausbildung gewässertypspezifischer men Merkmalen ordnet, wird als Typologie bezeichnet. Lebensgemeinschaften von Bedeutung sind, wurde bei Gewässer, die aufgrund der naturräumlichen Gegeben- der Typisierung der Altgewässer an der Mittleren Elbe heiten ähnliche morphologische, physikalisch-chemi- auf diesen Grundlagen aufgebaut. Ebenso wurden die sche, hydrologische oder biozönotische Merkmale hydromorphologischen Referenzbedingungen der Elbe aufweisen, werden in Klassen bzw. Typen zusammen- nach Fleischhacker & Kern (2005) berücksichtigt.

Abb. 3: Vergleich des Stromverlaufs und der Auengewässer südlich von Tangermünde: historische Karte (Schmettausches Kartenwerk 1767‒1787) (links) und aktuelle topographische Karte (rechts).

27 Daten und Literatur zur aktuellen zur historischen zur aktuellen zur historischen Hydromorphologie Hydromorphologie Besiedlung von Besiedlung von von Altgewässern von Altgewässern Altgewässern Altgewässern Datengrundlagen

Bestimmung biozönotisch relevanter Typologie-Deskriptoren

Aufstellen eines Typologie-Systems Typologie Ausweisung der Altgewässertypen

Beschreibung der Charakterisierung hydromorphologi- der Referenz- schen Referenz- zönosen bedingungen

Beschreibung der Altgewässertypen in Steckbriefen

Zuweisung der Altgewässertypen Referenzbedingungen und Darstellung in Übersichtskarte

Abb. 4: Vorgehensweise zur Typisierung potamaler Altgewässer.

28 Abb. 5: Diagramm zur Be- schreibung von potamalen Alt- gewässertypen an der Mittelelbe in Sachsen-Anhalt. Die Farben symbolisieren, welche Deskrip- toren auf der Habitat-Ebene für die einzelnen Qualitätskompo- nenten besonders bedeutsam sind.

Keine der Quellen ist allerdings so detailliert, dass der Altgewässer beschreiben und zum anderen die re- damit bereits Beschreibungen hydromorphologischer levanten Faktoren, die die Ausbildung der Lebensge- und biozönotischer Referenzbedingungen für die Alt- meinschaften der biologischen Qualitätskomponenten gewässer der Mittleren Elbe vorliegen. Zu diesem Zweck Fische, Makrozoobenthos, aquatische Makrophyten wurden zusätzlich historische und aktuelle Daten zur und Phytoplankton einbeziehen, so dass insgesamt die Hydromorphologie, Wasserbeschaffenheit und Biologie Anforderungen der WRRL nach einer genügend feinen, der Gewässer ausgewertet. Die Entwicklung der Altge- biozönotisch relevanten Differenzierung und Ableitung wässertypologie und die Beschreibung der Altgewäs- von typspezifischen biologischen Referenzbedingungen sertypen umfasst im Wesentlichen die in Abbildung 4 erfüllt werden. dargestellten aufeinander aufbauenden Arbeitsschritte Im Typendiagramm der Altgewässertypologie werden der Daten- und Literatursammlung, der Bestimmung drei Ebenen, die Ökoregion-Ebene, die Gewässer-Ebene der Deskriptoren für das Typologie-System bis hin zur und die Habitat-Ebene unterschieden (Abb. 5). Die Beschreibung der Typen und deren kartographischen Ökoregion-Ebene umfasst die naturräumlichen und Ausweisung. Die genaue Vorgehensweise und die ver- zoogeographisch übergeordneten Deskriptoren Öko- wendeten Datengrundlagen sind Pottgiesser & Eh- region und Fließgewässertyp. Auf der Gewässer-Ebene lert (2012) zu entnehmen. sind v. a. die für die Ableitung einer Altgewässertypo- Der Ableitung von Altgewässertypen der Elbe in logie relevanten Deskriptoren zusammengestellt. Die Sachsen-Anhalt liegt ein Typologiesystem mit zwölf Anbindung der Altgewässer an den Strom, ist hierbei Deskriptoren zu Grunde (s. Abb. 5). Bei der Auswahl ein „Superfaktor“, der eine Reihe der hier als typolo- der Deskriptoren wurde u. a. berücksichtigt, dass diese gisch relevant ausgewiesenen Deskriptoren und bio- zum einen die spezifischen Lebensraumbedingungen zönotisch relevanten Habitatbedingungen beeinflusst,

29 Abb. 6: Typensystem der potamalen Altgewässer in Sachsen-Anhalt.

wie z. B. das dominierende Sohlsubstrat, die Strömung Typ 20.A1: Potamales Altgewässer der sandgeprägten und die Fließgeschwindigkeit. Bei der Zuweisung der Ströme mit permanenter Anbindung Typen wird die Anbindungssituation bei Niedrig- bis Typ 20.A2: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Mittelwasser zugrunde gelegt. Auf der Habitat-Ebene Ströme mit episodischer Anbindung sind, differenziert für die einzelnen biologischen Typ 20.A3: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Qualitätskomponenten (im Typendiagramm mit un- Ströme ohne Anbindung terschiedlichen Blau- und Grüntönen hinterlegt), die Typ 20.A4: Potamales Altgewässer der sandgeprägten besonders besiedlungsrelevanten Deskriptoren aufge- Ströme ohne Anbindung hinterdeichs. führt. Zur Abgrenzung der Altgewässertypen wurden die Ausprägungen bzw. Klassengrenzen der Deskrip- Die Namensgebung, der Code sowie die Farbgebung toren verbal-argumentativ beschrieben (Pottgiesser (gelber Rahmen, z. B. der Steckbriefe oder in Abb. 6) & Ehlert 2012). der Altgewässertypen lehnen sich an die bestehende Die Erstellung einer Gewässertypologie und die Aus- Bezeichnung und Farbgebung der Fließgewässertypen weisung von Typen basiert auf dem potenziell natürli- nach Pottgiesser & Sommerhäuser (2004, 2008; chen Zustand der Gewässer. Auch die vorgestellte Alt- hier Typ 20: Sandgeprägte Ströme) an, um die fachliche gewässertypologie entspricht dieser Herangehensweise, Kopplung des Altgewässertyps an den Fließgewässer- allerdings mit der Einschränkung, dass bestehende typ zu kennzeichnen. Zusätzlich ist die Anbindungs- Hochwasserschutzdeiche berücksichtigt werden. Dies situation als übergeordnetes, typologisch relevantes bedeutet jedoch keine generelle Festschreibung der bin- Kriterium in den Namen aufgenommen worden. nendeichs gelegenen Altgewässer. Im Falle von Deich- In Abbildung 6 ist das Typensystem der Altgewässerty- rückverlegungen oder Deichentfernungen – solche sind pen dargestellt. Typologisch relevante, übergeordnete in Sachsen-Anhalt in vielen Bereichen möglich und in Kriterien sind die Anbindung an den Strom, die Dy- der Hochwasserschutzplanung vorgesehen – sind die namik von Altgewässer und Fließgewässer sowie der zugewiesenen Typen zu prüfen und entsprechend an- Grundwassereinfluss. Diese Kriterien beschreiben in- zupassen. tegrierend die Hydromorphodynamik der Altgewässer als Grundlage für die Besiedlung mit den biologischen 3.2 Ausweisung der Altgewässertypen Qualitätskomponenten. Die Dynamik des Stroms ist Für die potamalen Altgewässer in Sachsen-Anhalt wer- grundsätzlich abhängig vom Talbodengefälle und von den folgende vier Typen (s. Tab. 1) ausgewiesen: der Häufigkeit von Hochwasserereignissen, für das ein-

30 Abb. 7: Auszüge aus der „Karte der Altgewässertypen“.

zelne Altgewässer aber auch von der Entfernung zum Für die spätere Anwendung wurden die 72 Altgewässer Fluss, der Lage zur Fließrichtung und der Höhenlage des an der Mittleren Elbe Sachsen-Anhalts den ausgewiese- Altgewässers im Verhältnis zum Fluss. In Kombination nen Altgewässertypen zugeordnet und kartographisch mit der Anbindung werden dadurch z. B. die vorherr- dargestellt (Abb. 7). Die Tabelle 1 gibt einen Überblick schenden Sohlsubstrate und Strömungsverhältnisse be- über die Anzahl der ausgewiesenen Altgewässertypen. stimmt. Die Anbindung an den Auengrundwasserleiter Vier Altgewässern, die Teils in der rezenten und fossi- wiederum nimmt Einfluss auf die Nährstoffsituation, len Aue liegen, sind für die verschiedenen Gewässerbe- die Kolmation des Sohlsubstrats oder die Temperatur- reiche unterschiedliche Altgewässertypen zugewiesen verhältnisse. worden. Der zeitliche Bezug für eine Zuweisung der Altgewäs- 3.3 Ergebnisse der Altgewässertypologie: Steck- sertypen ist von übergeordneter Bedeutung, da Altge- briefe und Karte der Altgewässertypen wässer natürlicherweise, in Abhängigkeit von der Dy- Die Anwendung einer Typologie wird durch eine an- namik des Flusses, zeitlich wechselnde Anbindungssi- schauliche Beschreibung der ausgewiesenen Typen tuationen aufweisen können. Für die Zuordnung der erleichtert. In Anlehnung an die Beschreibungen der potamalen Altgewässer zu einem der vier ausgewiese- Fließgewässertypen (Pottgiesser & Sommerhäu- nen Altgewässertypen ist ein aktualistischer Ansatz ser 2004, 2008) werden die Referenzbedingungen der gewählt worden. D. h. für die Typzuweisung sind der ausgewiesenen Altgewässertypen in Steckbriefen dar- aktuelle Verlauf der Elbe sowie die heutige Lage und die gestellt. Diese Beschreibungen umfassen morphologi- Anbindungssituation der Gewässer unter Berücksichti- sche, hydrologische und physiko-chemische Charak- gung der aktuellen Hochwasserschutzdeiche zugrunde terisierungen sowie Beschreibungen der biologischen gelegt worden. Betrachtet man die historische Anbin- Qualitätskomponenten, v. a. der funktionalen Gruppen. dung der projektrelevanten Gewässer im Schmettau- Die Beschreibungen geben die idealtypischen Ausprä- schen Kartenwerk (1767–1787), so sind oftmals Unter- gungen wieder und nicht jede Übergangsvariante oder schiede zur aktuellen Anbindungssituation feststellbar. individuelle Ausformungen. Die Steckbriefe (Pott- Eine Vielzahl der heutigen Altgewässer waren ehemals giesser & Ehlert 2012) sind keine Beschreibung des durchflossene Mäanderschlingen des Elbestroms bzw. Ist-Zustands oder damit zu verwechseln. Die konkre- Nebengerinne und Stromspaltungen der Elbe. Der ten Zahlenangaben z. B. zu Fließgeschwindigkeiten bei aktualistische Ansatz der Typzuweisung bedeutet al- Hochwasser sind repräsentative Spannen von Werten, lerdings keine Festschreibung der ausgewiesenen Alt- die im jeweiligen Altgewässertyp auftreten. Diese Zah- gewässertypen. Im Falle von Maßnahmen, z. B. Wie- lenangaben erheben keinen Anspruch auf Absolutheit deranschluss, Deichrückverlegungen oder Deichent- und sind kein Ausschlusskriterium für einen Altgewäs- fernungen, sind die zugewiesenen Altgewässertypen sertyp. Zwischen nah verwandten Gewässertypen gibt zu prüfen und entsprechend anzupassen. Um für die es Überschneidungen und fließende Übergänge. Planung solcher Maßnahmen eine Orientierungshilfe

31 Altgewässertyp Anzahl Typ 20.A1: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Ströme mit permanenter Anbindung 24 Typ 20.A2: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Ströme mit episodischer Anbindung 17 Typ 20.A3: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Ströme ohne Anbindung 15 Typ 20.A4: Potamales Altgewässer der sandgeprägten Ströme ohne Anbindung hinterdeichs 19

Tab. 1: Überblick über die Anzahl der ausgewiesenen Altgewässertypen.

bei der Festlegung von Entwicklungszielen zu geben, ner Zuweisungsrichtlinie des Bundeslandes Sachsen- ist in Pottgiesser & Ehlert (2012) zusätzlich zu den Anhalt zur naturnahen Gewässerentwicklung aus aktualistisch ausgewiesenen Altgewässertypen die his- ELER-Mitteln der EU mit einem Gesamtkostenansatz torische Anbindungssituation gemäß Schmettauschem von 4,3 Millionen Euro finanziert. Eine kleinere, aber Kartenwerk aufgeführt. sehr wichtige Teilmaßnahme des Projektes war der Bau einer Maulprofilbrücke für das in das Altgewässer zu- rückverlegte Elbenebengewässer Ehle. Diese wurde mit 4 Anwendung der Altgewässertypologie Mitteln der LOTTO-TOTO-Stiftung Sachsen-Anhalt in in der Praxis Höhe von 50.000 Euro finanziert. Der Projektträger ist der Ehle-Ihle-Verband als der für dieses Altgewässer Ein zentrales Anwendungsgebiet der Altgewässertypo- zuständige Gewässerunterhaltungsverband. logie ist die Ableitung von gewässermorphologischen Die Zielstellungen der Gesamtmaßnahme (siehe Tab. 2) Entwicklungszielen und Festlegung erforderlicher bestehen in der ökologischen Reaktivierung des Elbe- Maßnahmen für renaturierungsbedürftige Gewässer, altwassers durch gezielte Entschlammungsmaßnahmen wie im Folgenden am Beispiel des Altgewässers „Alte und die Rückverlegung der Ehle in das Altgewässer Elbe Lostau“ verdeutlicht werden soll. „Alte Elbe Lostau“. Als Ergebnisse werden deutliche Die „Alte Elbe Lostau“ liegt nordwestlich der Landes- Verbesserungen der Gewässerdynamik sowohl in der hauptstadt Magdeburg und südlich der Bundesauto- Ehle als auch im Altgewässer, eine erhebliche Verbes- bahn A 2 am rechten Elbeufer in der rezenten Über- serung der Wasserqualität in der „Alten Elbe Lostau“, flutungsaue der Elbe zwischen den Elbekilometern eine verbesserte ökologische Durchgängigkeit über die 332 und 339. Das Altgewässer war Teil des ehemaligen Ehle in das Hinterland, Aufwertungen der Fließgewäs- Elbehauptstroms und entstand mit dem Durchstich serhabitate in der Ehle selbst und eine ökologische Auf- mehrerer Elbemäander nördlich von Magdeburg ab wertung des Gesamtgebietes erwartet. dem Jahre 1740. In dieser Zeit wurde auch die „Alte Die Komplexmaßnahme der Altgewässerrenaturierung Elbe Gerwisch“ abgetrennt, welche als Referenzgewäs- mit Einbeziehung des Nebengewässers stellte sowohl ser für die „Alte Elbe Lostau“ dient (Abb. 8). Eine Fol- für das Fließgewässer Ehle und dessen ökologische gemaßnahme dieser Mäanderdurchstiche an der „Alten Funktionen als auch für die langfristige Erhaltung und Elbe Lostau“ war die Verlegung der aus dem Fläming ökologische Stabilität des Altgewässers aus folgenden zufließenden und in diesen ehemaligen Elbemäander Gründen das ökologische „non plus ultra“ dar: einmündenden Ehle direkt in die Elbe mittels eines Auf Grund einer schnellen Hochwasserabführung war kanalartigen Mündungsabschnittes, des so genann- der vorherige Mündungsverlauf über den Ehlekanal ten Ehlekanals (Abb. 9). Gerade diese, vermeintlich zu geradlinig, tiefen- und breitenhomogen und durch den vernachlässigende Maßnahme sollte in den folgenden Rückstau aus der Elbe über längere Zeiträume ohne Jahrzehnten bis in die Gegenwart hinein erhebliche ökologisch wirksame Fließbewegung. Der Sohl- und negative Auswirkungen auf den ökologischen Zustand Uferbereich ist mit Wasserbausteinen gepflastert; die der „Alten Elbe Lostau“ und auf die Ehle selbst haben. sich akkumulierenden natürlichen Sohlsubstrate sind Die „Alte Elbe Lostau“ wurde – beginnend im Jahre untypisch instabil, durch fehlende permanente Durch- 2012 bis Ende 2013 – mit einem Maßnahmekomplex strömung organisch belastet, häufig anaerob und wer- verschiedener Teilvorhaben zur Umsetzung der WRRL den durch Überstau für strömungsliebende Fließgewäs- ökologisch aufgewertet. Das Projekt wurde, bis auf den serorganismen ökologisch unwirksam (Abb. 10). nachfolgenden Brückenbau, vollständig auf Basis ei-

32 Abb. 8: Alte Elbe Lostau und Alte Elbe Gerwisch in einem bereits von der Elbe abgetrenntem Zustand mit dem noch ursprünglichen Verlauf der Ehle. Quelle: Decker’sche Messtischblätter 1816‒1824.

Die „Alte Elbe Lostau“ war vor Beginn der Maßnahme Beräumung – vollständig verlandet. Fischsterben in- als poly- bis hypertrophes Standgewässer ökologisch folge von Sauerstoffmangel und hohen pH-Werten (bio- verödet (Abb. 11). Damit teilte sie das Schicksal vieler gene Entkalkung nach Phytoplankton-Massenentwick- Altgewässer, die durch übermäßige Nährstoffeinträge lungen) standen im Sommer auf der Tagesordnung. aus der Landwirtschaft zu Algenmassenentwicklungen Demgegenüber stellt sich die ebenfalls von der Elbe neigten und einer rasanten Verschlammung unterlagen, künstlich abgeschnittene, jedoch ununterbrochen die zum Niedergang einer ehemals reichen Pflanzenwelt von der Ehle durchflossene „Alte Elbe Gerwisch“ als führte. Mit Ausnahme anspruchsloser und artenarmer mesotrophes Altgewässer im permanenten Klarwas- Großröhrichte (dominiert von Phragmitis australis) serstadium mit sandig-kiesiger Gewässersohle im fehlten alle typischen Pflanzengemeinschaften, v. a. Stromstrichbereich von Ehle bzw. Elbehochwasser dar, submerse Makrophytenarten. Ausgedehnte Gewässer- welche ganzjährig ausreichend mit Sauerstoff versorgt bereiche befinden sich während der warmen Jahreszeit wird (Abb. 10 und 11). Sowohl faunistisch als auch flo- in einem anaeroben Zustand. Die Gewässersohle wird ristisch sind vielfältige Lebensgemeinschaften vorhan- bzw. wurde aus einer mehreren Dezimeter starken den: eine artenreiche Fischfauna mit auentypischen, Schicht sauerstoffzehrender, organischer Weichsedi- bestandsbedrohten Kleinfischarten, eine anspruchs- mente gebildet; große Teile der Alten Elbe sind – und volle Makrozoobenthosbesiedlung, z. B. mit diversen bleiben auf Grund des Verzichts auf eine vollständige Libellenarten, Großmuscheln und Schwämmen, arten-

33 Abb. 9: Vorgesehene Kernmaßnahmen des Projektes „Renaturierung Alte Elbe Lostau“. Quelle: Luftbild Cardo- GIS des LHW.

reiche Röhrichte in natürlicher Abstufung mit angren- Typendiagramms der Altgewässertypologie jedoch zenden Schwimmpflanzenbeständen aus Teichrosen, grundlegend bestätigt werden. Des Weiteren stellten Froschbiss und Wasserfarn sowie diverse submerse die Aussagen der Altgewässertypologie eine wichtige Makrophytenarten mit Laichkraut- und Tausendblatt- fachlich-inhaltliche Quelle für die Vorbereitung ggf. gesellschaften. erforderlicher Änderungen im Projektablauf dar. Auf In der Praxis wurde die Altgewässertypologie während deren Grundlage wurden vorausschauende Aussagen des ersten Umsetzungszeitraums im Jahre 2012 bei der und Stellungnahmen zum technologischen Ablauf des Komplexmaßnahme „Renaturierung der Alten Elbe Projektes erstellt. Dies betraf z. B. Probleme mit der Lostau“ erfolgreich angewendet, auch wenn im Rah- Befahrbarkeit nach Standsicherheitsproblemen im Un- men der verschiedenen Planungsphasen vor Baubeginn tergrund (Bombentrichterfunde und quellige Bereiche zunächst gedankliche Ansätze zur Verfügung standen, im Untergrund) (Jährling 2012a) sowie ggf. erforderli- da sich die Typologie noch in der Bearbeitungsphase che morphologische Anpassungen des Zielzustandes im befand. Im Nachgang können die inhaltlichen Aussa- Altgewässer durch mögliche Finanz- und Terminpro- gen zur prognostischen Entwicklungserwartung für bleme im abzuarbeitenden Förderzeitraum (Jährling das Altgewässer und die Ehle vor Beginn der Umset- 2012b). zung der Maßnahme mit Hilfe der Deskriptoren des

34 Abb. 10: Der aktuelle Mündungsverlauf der Ehle im Ehlekanal (links) im Vergleich zur strukturell heterogenen Ehle oberhalb der Alten Elbe Gerwisch (rechts). Fotos: K.-H. Jährling.

Tab. 2: Maßnahmen zur Renaturierung der Alten Elbe Lostau.

Teilmaßnahme Anmerkungen 1 Teilentschlammung der Dies erfolgte in einer Größenordnung von 149.000 m³. Das organische Weichsediment wurde Alten Elbe Lostau schadlos aus der rezenten Überflutungsaue verbracht/ entfernt. Auf eine komplette Entschlam- mung des Altgewässers wurde bereits im Vorplanungsstadium aus verschiedenen Gründen wie wirtschaftliche Erwägungen, morphologische Entwicklungsprognosen und ausreichende Eingriffe für die Durchgängigkeit des Fließgewässers verzichtet. 2 Beseitigung einer be- Die betonierte Sohlschwelle wurde durch Gewässernutzer in den 1960er Jahren im Auslaufbereich tonierten Sohlschwelle der Alten Elbe eingebaut. Sie trug in den vergangenen Jahrzehnten in Form einer Sedimentfalle im Auslaufbereich der erheblich zur Verschlammung des Altgewässers bei und würde künftig zu Problemen bezüglich Alten Ehle der ökologischen Durchgängigkeit der Ehle führen. Das Ablaufprofil der Ehle wurde vom Altgewässer bis zur Elbemündung auf einer Länge von 600 Metern zur Wiederherstellung des ehemaligen Ehleverlaufs unterstrom des Altgewässers bei Initiierung von Möglichkeiten eigendynamischer Gewässerentwicklungen und einer Bepflanzung mit standortgerechten Bäumen und Sträuchern – orientiert an den ehemaligen Terrassenkanten und Kiesablagerungen im Stromstrich – vormodelliert. 3 Wiederherstellung der Zur Initiierung einer eigendynamischen Gewässerentwicklung der Ehle wurde Totholz eingebaut ehemaligen Ehlemün- und die Ufer auf einer Länge von 850 Metern mit standortgerechten Gehölzen bepflanzt. dung in den Altmä- ander 4 Neubau eines Brücken- Für den parallel zum Ehlekanal verlaufenden Wirtschaftsweg bzw. touristisch genutzten Elberad- bauwerkes weg wurde im Kreuzungsbereich der verlegten Ehle in die Alte Elbe eine Brücke im Maulprofil errichtet, die aus ökologischer Sicht keine Einschränkung der Durchgängigkeit darstellt. 5 Bau eines festen Sohl- Mit dem Sohlbauwerk wurde ein permanenter Abfluss der Ehle über das Altgewässer auch bei bauwerkes im Zustrom- Niedrig- und Mittelwasserabflüssen sichergestellt. Ein direkter oberstromiger Abfluss über den bereich der Ehle zum Ehlekanal erfolgt nur während ablaufender Elbehochwässer in den ohnehin durch die Elbe rück- Ehlekanal gestauten Ehlekanal bzw. bei höheren Eigenabflüssen der Ehle, deutlich größer Mittelwasser. 6 Selektive Öffnung der Durch das selektive Öffnen der Hakenbuhnenfelder im Ausmündungsbereich des Ehlekanals in Hakenbuhnenfelder die Elbe wurde zum einen die laterale Vernetzung im Nebenrinnensystem verbessert. Zum ande- ren werden durch die Redynamisierung anaerobe Zustände hinter den Leitwerken bei Elbenied- rigwasser verhindert. Diese Teilmaßnahme wurde bereits im Vorfeld aller anderen Maßnahmen durch den Außenbezirk Niegripp des Wasser- und Schifffahrtsamtes Magdeburg umgesetzt. Die Arbeiten zur Redynamisierung der hinter dem Leitwerk liegenden Nebengewässer waren nicht Bestandteil der planfeststellungspflichtigen Gesamtmaßnahmen und wurden im Rahmen der Benehmensregelungen zwischen Land und Bund abgestimmt und in Eigenregie der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung realisiert.

35 Abb. 11: Blaualgenrasen in der hypertrophen Alten Elbe Lostau (links) im Vergleich zur makrophytenreichen, permanent durchströmten Alten Elbe Gerwisch (rechts). Fotos: K.-H. Jährling.

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass sich die schlagene Typologie mit entsprechenden Anpassungen charakteristischen hydraulisch-morphologischen Be- grundsätzlich bundesweit anwendbar. dingungen bzw. zu erwartenden Artengemeinschaften Die Typologie ist als ein „living document“ zu verste- des aktuell für die „Alte Elbe Lostau“ ausgewiesenen hen, die je nach Datenlage weiter fortgeschrieben wer- Typs 20.A2: „Potamales Altgewässer der sandgepräg- den kann. Dies betrifft insbesondere die Steckbriefe, ten Ströme mit episodischer Anbindung“ bzw. einer die nach Vorliegen entsprechender Daten durch diffe- möglichen Typneuzuweisung nach Abschluss der renziertere und quantitative Angaben, z. B. detaillierte Gesamtmaßnahme zum Typ 20.A1: „Potamales Alt- Angaben zu einzelnen biologischen Qualitätskompo- gewässer der sandgeprägten Ströme mit permanenter nenten, physiko-chemischen Parametern, aber auch Anbindung“ einstellen werden. Somit hat das Gesamt- zum Grundwassereinfluss, ergänzt und präzisiert wer- projekt sein angestrebtes Ziel erreicht. Diese Feststel- den können. lung ist zum heutigen Zeitpunkt auch ohne morpholo- Die Beschreibungen der Typen sollen es erleichtern, gische oder biologische Monitoringergebnisse fachlich die notwendigen Sanierungsmaßnahmen besser in das haltbar. Dies begründet sich explizit durch die Ein- komplexe Gesamtsystem Altgewässer einordnen zu beziehung der Ehle in die Komplexrenaturierung in können. Die Erfahrungen der letzten 35 Jahre zeigen, Form der Rückverlegung in das Altgewässer gegen- dass die Zielstellung und die angewandte Technologie über einer alleinigen Altgewässerentschlammung, für die Sanierung der Altgewässer entscheidend für den da eine isolierte Entschlammung kaum nachhaltig langfristigen Erfolg der Maßnahmen sind (Reichhoff ist und sich der ehemalige Zustand des Altgewässers 2003). kurz bis mittelfristig wieder einstellen würde. Dies Im Unterschied zur kartographischen Ausweisung bestätigt sich an der direkt benachbarten „Alten Elbe der Fließgewässer- oder Seen-Typen anhand natur- Gerwisch“, welche gegenüber der „Alten Elbe Lostau“ räumlicher und durch den Menschen weitgehend un- nie vom Ehledurchfluss abgetrennt wurde. veränderliche Kriterien ist für die Zuweisung der Alt- gewässertypen ein aktualistischer Ansatz – aktuelle Anbindungssituation, aktuelle Lage der Hochwasser- 5 Ausblick schutzdeiche – gewählt worden. Dies bedeutet, dass die ausgewiesenen Typen im Falle von Maßnahmen wie Die Typologie ist primär für die potamalen Altgewässer z. B. einer Wiederanbindung von Altgewässern an die der Elbe in Sachsen-Anhalt entwickelt worden. Da die Elbe, Deichrückverlegungen oder Deichentfernungen ausgewählten Deskriptoren unabhängig von Ökoregio- zu prüfen und entsprechend anzupassen sind. nen oder Fließgewässertypen sind und eine grundsätz- Mit der Ausweisung der Altgewässertypen für die liche biozönotische Relevanz besitzen, ist die vorge- Mittlere Elbe in Sachsen-Anhalt ist die Voraussetzung

36 für die Entwicklung von gewässertypspezifischen Be- • die Zuweisung der ausgewählten projektrelevanten wertungssystemen potamaler Altgewässer geschaffen Altgewässer zu den Altgewässertypen in der „Karte worden. Die Entwicklung eines bundesweiten Bewer- der Altgewässertypen“. tungsverfahrens anhand biologischer Qualitätskompo- nenten zur Identifizierung von qualitativen und quanti- Mit der Altgewässertypologie und den steckbrieflichen tativen Defiziten in Anlehnung an die Anforderungen Beschreibungen der Referenzzustände ist es möglich, der WRRL ist daher der nächste Schritt, um auch diese grundlegende Herangehensweisen, Maßnahmeziel- Gewässer zukünftig angemessen bewerten und letzt- stellungen und prognostische Aussagen zur künfti- endlich auch entwickeln zu können. Ein vollständiger gen Entwicklung für zu renaturierende Altgewässer Einsatz der Altgewässertypologie für alle praktischen abzuleiten, welche sowohl den Naturschutz bei der Erfordernisse des Gewässer- und Naturschutzes in den Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie als Gewässersystemen der großen Flussauen ist nämlich auch die Wasserwirtschaft bei der Umsetzung der EG- erst dann möglich, wenn ein entsprechendes, konkret Wasserrahmenrichtlinie unterstützen sollen. Sie dient auf Auengewässer zugeschnittenes Monitoring- und als Entscheidungshilfe für fachlich begründete und Bewertungsverfahren für alle biologischen Qualitäts- damit auch ökologisch effektive und nachhaltige Maß- komponenten erarbeitet worden ist. nahmen. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, da Renaturierungsmaßnahmen von Altgewässern im Regelfall planungs- und genehmigungsaufwändig und 6 Zusammenfassung damit sehr kostenintensiv sind. Darüber hinaus sind hiermit planungsrelevante Werkzeuge geschaffen wor- Altgewässer potamaler Fließgewässer, d. h. ehemalige den, um spezielle Detailmaßnahmen in der laufenden Gewässerabschnitte mäandrierender oder verzweig- Maßnahmedurchführung zu begleiten und ggf. Maß- ter Fließgewässer mit heute unterschiedlichen An- nahmeanpassungen und Änderungen bei örtlichen bindungssituationen an den Strom, sind Bestandteil Problemen und Anpassungen an den zur Verfügung naturnaher Ströme und Flüsse. Die Typisierung von stehenden Finanzrahmen vornehmen zu können und Fließgewässern oder Seen zur Umsetzung der Wasser- diese argumentativ zu untersetzen. rahmenrichtlinie (WRRL) berücksichtigt bislang diese Biotope aber nicht bzw. nur unzureichend. Es fehlen damit für diese Gewässer naturnahe typspezifische Re- ferenzbedingungen z. B. als Grundlage für die Bewer- 7 Literaturverzeichnis tung und Bewirtschaftung. Amoros, C., A. L. Roux & J. L. Reygrobellet (1987): A me- Während Zielstellungen und Grundlagen zur Verbes- thod for applied ecological studies of fluvial hydrosystems. serung von Altgewässern bisher meist subjektiven Her- – Regulated Rivers: Research and Management 1: 17–36. angehensweisen und Maßgaben eines erhaltenden, eher BMU & BfN – Bundesministerium für Umwelt, Natur- konservativen Naturschutzes genügten, steht mit der schutz und Reaktorsicherheit & Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.) (2009): Auenzustandsbericht: Fluss- vorliegenden Typologie ausgewählter potamaler Altge- auen in Deutschland: 35 S. wässer der Mittleren Elbe in Sachsen-Anhalt ein Ins- DWA – Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, trument für eine ökologisch ganzheitliche und damit Abwasser und Abfall (Hrsg.) (2010): Altgewässer – Öko- nachhaltige Maßnahmenableitungen zur Verfügung. logie, Sanierung und Neuanlage. – DWA-Merkblatt 607: Diese Altgewässertypologie umfasst: 83 S. Fleischhacker, T. & K. Kern (2005): Hydromorphologi- • das Typensystem mit den relevanten Deskriptoren, sche Referenzbedingungen für die Elbe von Schmilka bis die in Form von Typendiagrammen graphisch auf- Geesthacht (Strom-km 0,0 bis 585,9). – Bundesanstalt für bereitet worden sind Gewässerkunde (Auftraggeber). – Unveröff. Gutachten: 32 • die Ausweisung von vier Altgewässertypen S. u. Anh. • die Beschreibung der hydromorphologischen und Jährling, K.-H. (1994): Mögliche Deichrückverlegungen im Bereich der Mittelelbe – Vorschläge aus ökologischer Sicht biozönotischen Referenzbedingungen für die biolo- als Beitrag zu einer interdisziplinären Diskussion. – Magde- gischen Qualitätskomponenten Fische, Makrozoo- burg (Staatl. Amt für Umweltschutz Magdeburg). – Unver- benthos, aquatische Makrophyten und Phytoplank- öff. Information: 82 S. ton in Form von Steckbriefen

37 Jährling, K.-H. (2009): Zur Situation auentypischer Gewässer Anschriften der Autoren aus historischer Sicht und Erfahrungen bei der Altarmre- aktivierung an der Elbe. – Naturschutz im Land Sachsen- Tanja Pottgiesser Anhalt 46 (SH): 17–28. Jährling, K.-H. (2012a): Komplexmaßnahme „Renaturierung umweltbüro essen Alte Elbe Lostau“ – Gewässerökologische Stellungnahme Rellinghauser Str. 334f · 45136 Essen zu technologisch bedingten Übertiefen. – Magdeburg (Lan- E-Mail: [email protected] desbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft/ Sachgebiet Ökologie). – Unveröff. Stellungnahme: 20 S. u. Dr. Thomas Ehlert Anh. Jährling, K.-H. (2012b): Komplexmaßnahme „Renaturierung Sandstr. 20 · 53332 Bornheim Alte Elbe Lostau“ – Gewässerökologische Stellungnahme E-Mail: [email protected] zur Beibehaltung der Schlammsollmenge bei Beachtung notwendiger morphologischer Anpassungen. – Magdeburg Karl-Heinz Jährling (Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirt- Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirt- schaft/ Sachgebiet Ökologie). – Unveröff. Stellungnahme: 8 S. schaft Sachsen-Anhalt Lüderitz, V., U. Langheinrich & C. Kunz (Hrsg.) (2009): Otto-von-Guericke-Str. 5 · 39104 Magdeburg Flussaltwässer: Ökologie und Sanierung. – Wiesbaden E-Mail: [email protected] (Vieweg + Teubner): 232 S. Pottgiesser, T. & T. Ehlert (2012): Typisierung potamaler Altgewässer in Sachsen Anhalt. – Projekt im Auftrag des Landesbetriebs für Hochwasserschutz und Wasserwirt- schaft Sachsen-Anhalt. – http://www.sachsen-anhalt.de/ index.php?id=54002. Pottgiesser, T. & M. Sommerhäuser (2004): Fließgewäs- sertypologie Deutschlands: Die Gewässertypen und ihre Steckbriefe als Beitrag zur Umsetzung der EU-Wasserrah- menrichtlinie. – In: Steinberg, C., W. Calmano, R.-D. Wilken & H. Klapper (Hrsg.): Handbuch der Limnologie. – 19. Erg. Lfg. 7/04. VIII–2.1: 1–16 u. Anh. Pottgiesser, T. & M. Sommerhäuser (2008): Aktualisierung der Steckbriefe der bundesdeutschen Fließgewässertypen. (Teil A). – UBA-Projekt (Förderkennzeichen 36015007). – http://www.wasserblick.net. Reichhoff, L. (2003): 25 Jahre Sanierung und Restaurierung von Altgewässern an der Mittleren Elbe. – Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 40 (1): 3–12. Schwevers, U. & B. Adam (2010): Bewertung von Auen an- hand der Fischfauna – Machbarkeitsstudie. – BfN-Skripten 268: 86 S. Weiss, G. & J. Peters (2001): Lebensräume. – In: Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Arten- und Biotopschutzprogramm Sachsen-Anhalt. Landschafts- raum Elbe. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt SH 3: 67–202.

38 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 39–54 Wildlebende Säugetiere auf dem Gelände und in der Umgebung des Zoologischen Gartens Magdeburg – Eine kommentierte Artenliste René & Ellen Driechciarz

Im Gedenken an Dr. Dietrich Heidecke Umgebung nachgewiesen worden sind, vorzustellen. Zugleich soll diese Artenliste auch dazu anregen, die Erfassung der wildlebenden Säuger speziell im Land 1 Einleitung Sachsen-Anhalt im Sinne der Bemühungen von Dr. Dietrich Heidecke weiter voranzutreiben. Parkanlagen, Friedhöfe und andere Grünanlagen, be- sonders innerhalb von Städten, sind bekanntermaßen für die Menschen wichtige, der Erholung dienende 2 Gebietsbeschreibung Oasen. Daneben sind diese Flächen bedeutende Rück- zugsgebiete für viele Tier- und Pflanzenarten. Ornitho- Alle in diesem Beitrag genannten Artnachweise bezie- logisch werden diese Anlagen schon seit Jahrzehnten hen sich ausschließlich auf den Messtischblatt-Qua­ intensiv beobachtet, was auch die Vielzahl von einschlä- dranten (MTBQ) 3835-2, in dem sich der Zoologische gigen Veröffentlichungen zeigt. Es gibt aber auch eine Garten Magdeburg befindet (Abb. 1). Der Untersu- Vielzahl von Arbeiten, die sich mit der Erfassung von chungsraum kann bezüglich seiner Naturausstattung Säugetierarten im urbanen Raum auseinandersetzen als für die Randgebiete der Stadt Magdeburg bezeich- (z. B. Klausnitzer 1989, 1993, Jentzsch 1992, 2004, nende und typische Struktureinheit angesehen werden. Meyer et al. 2003) und seit der politischen Wende hat Während der nordwestliche Teil durch intensiv bewirt- in Ostdeutschland die Stadtökologie zusätzlich an Be- schaftetes Ackerland, zerschnitten von der Autobahn deutung gewonnen. A 2, gekennzeichnet ist, befinden sich im südöstlichen Besonders intensiv wurden hier „auffällige“ Arten, Bereich des Quadranten die nördlichen Stadtteile. darunter auch Neozoen untersucht, die zunehmend Das Hauptuntersuchungsgebiet, der Zoologische Gar- die Kommunen erobern. Zu nennen sind hier etwa der ten, erstreckt sich südlich des Neustädter Sees, der Waschbär (Procyon lotor) (z. B. Michler 2003) und durch Kiesgewinnung entstanden ist und heute zu der Nutria (Myocastor coypus). Letzterer hat sich rasch großen Teilen der Naherholung sowie dem Angel- und an die Futtergaben durch Spaziergänger gewöhnt und Wassersport dient. Nordwestlich des Zoos befindet sich dadurch einen zusätzlichen Vorteil bei der dauerhaf- ein „modernes“ Wohngebiet in Plattenbauweise. Der ten Etablierung entlang der Flussläufe in den Städten Zoo befindet sich im Bereich eines ehemaligen Elbeur- erhalten (Stadt Halle 2010). Steinmarder (Martes stromtals und besitzt eine Fläche von etwa 26 Hektar. foina) machen mitunter durch Schäden an Kraftfahr- Im Westen begrenzt die Schrote, ein etwa zwei Meter zeugen auf sich aufmerksam und Wildschweine (Sus breites, begradigtes und ausgebautes Fließgewässer mit scrofa) dringen in Gärten und Stadtparks vor (z. B. witterungsbedingt wechselnden Wasserständen, das Volksstimme 2013). Weniger offensichtlich, aber Gelände. Die gesamte Ostseite wird von einer Straße dennoch von ökologischem Interesse ist beispielsweise flankiert, an die das Wirtschaftsgelände des Zoos, auch der Einzug des Feldhasen (Lepus europaeus) in Kleingartenanlagen, Einfamilienhäuser mit Grundstü- die Städte. cken und eine Schule anschließen. In südöstlicher Rich- Ziel des Beitrages ist es, eine kommentierte Artenliste tung erstreckt sich der Vogelgesangpark. Dieser Park ist aller wildlebenden Säugetierarten, die auf dem Gelände denkmalgeschützt und endet an einer verkehrsreichen des Zoologischen Gartens Magdeburg und in seiner Straße, auf der eine Straßenbahnlinie verkehrt. Auf ei-

39 Abb. 1: Kartenausschnitt für die Stadt Magdeburg für den Bereich des MTB 3835 im Maßstab 1:100.000. Das Un- tersuchungsgebiet erstreckt sich auf den MTBQ 3835-2, blau umrandet ist das erweiterte Zoogelände. Grundlage: TDK 50, Geobasisdaten-DE/LVermGeo LSA/010312.

nem für Besucher nicht begehbaren Teil des Zoogelän- Abb. 2: Zoologischer Garten Magdeburg im RGB- des befinden sich zwei kleine stark eutrophe, nach Para- Luftbild im Maßstab ca. 1:15.000. Quelle: Landesamt graph 22 des NatSchG LSA geschützte Teiche, die nach für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (2005). dem Zweiten Weltkrieg zur Kiesgewinnung genutzt und später der natürlichen Sukzession überlassen wurden. Der Strukturreichtum des Untersuchungsgebietes lässt eine relativ hohe Artenanzahl an Säugetieren erwarten.

3 Material und Methoden

Die diesem Beitrag zugrunde liegenden Daten stammen in erster Linie aus persönlichen Aufzeichnungen der vergangenen 30 Jahre sowie aus Mitteilungen Dritter. Es sind im Einzelnen Aufzeichnungen zu Verkehrs- opfern, Sichtbeobachtungen, Fallenfängen und nicht weiter definierten Todfunden, die auf dem Zoogelände gemacht wurden, sowie Fundortangaben von „Wildtier- findlingen“, die dem Magdeburger Zoo zur Kenntnis ge-

40 langten. Bei Letzteren handelt es sich um geschwächte, mit 26 von insgesamt 32 Artnachweisen entspricht in verletzte, mutterlos aufgefundene oder aus anderen etwa den Mengenangaben von Mebs & Scherzinger Gründen pflegebedürftige Wildtiere, die dem Zoo von (2000). der Bevölkerung, den Unteren Naturschutzbehörden, insbesondere der Stadt Magdeburg und des Landkrei- ses Börde sowie von der Tierrettung der Feuerwehr der 4 Gesetzlicher Schutz der Arten und Stadt Magdeburg zur Pflege oder zur medizinischen Be- Zuordnung nach Roter Liste Sachsen- treuung übergeben wurden, um sie nach erfolgreicher Anhalt Rekonvaleszenz in die Natur zurück zu führen (§ 45 Abs. 5 BNatSchG). Des Weiteren gelangten 47 Gewölle Innerhalb des Erfassungszeitraumes von 30 Jahren von Waldohreulen (Asio otus) zur Auswertung, die zwi- konnten 43 Säugetierarten für den Bereich des MTBQ schen Anfang des Jahres 2000 und Mitte 2002 im Zoo 3835-2 nachgewiesen werden. 25 dieser Arten, etwa 60 gesammelt wurden (Tab. 2). In allen Gewöllen konnten Prozent, sind in den Roten Listen Sachsen-Anhalt (RL keine Soriciden nachgewiesen werden. Die Nachweise ST) aufgeführt. Die entsprechenden Gefährdungskate- beschränkten sich auf 32 Kleinnager aus vier Gattungen gorien und ihr Schutz nach Bundesnaturschutzgesetz, und fünf Arten. Die hohe Anzahl der Wühlmausarten Bundesartenschutzverordnung, Berner Konvention,

Tab. 1: Übersicht der Säugetierarten im MTBQ 3835-2, die in den Roten Listen Sachsen-Anhalt aufgeführt sind und ihre rechtliche Sicherung.

Artname Gefährdungs- Gesetzliche Sicherungsinstrumente kategorie nach und Konventionen wissenschaftlich deutsch RL ST Erinaceus europaeus (Linnaeus, 1758) Braunbrustigel V §, BA, BK III Talpa europaea (Linnaeus, 1758) Maulwurf V §, BA Crocidura leucodon (Hermann, 1780) Feldspitzmaus V §, BA, BK III Crocidura russula (Hermann, 1780) Hausspitzmaus 3 §, BA, BK III Myotis daubentonii (Kuhl, 1817) Wasserfledermaus 3 §§, FFH IV, BK II, BO Myotis brandtii (Eversmann, 1845) Große Bartfledermaus 2 §§, FFH IV, BK II, BO Myotis mystacinus (Kuhl, 1817) Kleine Bartfledermaus 1 §§, FFH IV, BK II, BO Myotis nattereri (Kuhl, 1817) Fransenfledermaus 2 §§, FFH IV, BK II, BO Nyctalus noctula (Schreber, 1874) Großer Abendsegler 3 §§, FFH IV, BK II, BO Pipistrellus pipistrellus (Schreber, 1774) Zwergfledermaus 2 §§, FFH IV, BK II, BO Pipistrellus nathusii (Keyserling & Blasius, 1839) Rauhhautfledermaus 2 §§, FFH IV, BK II, BO Vespertilio murinus (Linnaeus, 1758) Zweifarbfledermaus R §§, FFH IV, BK II, BO Eptesicus serotinus (Schreber, 1774) Breitflügelfledermaus 2 §§, FFH IV, BK II, BO Plecotus auritus (Linnaeus, 1758) Braunes Langohr 2 §§, FFH IV, BK II, BO Sciurus vulgaris (Linnaeus, 1758) Eichhörnchen V §, BA, BK III Castor fiber ssp. albicus (Matschie, 1907) Elbebiber 2 §§, FFH II/IV, BK III Micromys minutus (Pallas, 1771) Zwergmaus 3 §, BA Apodemus agrarius (Pallas, 1771) Brandmaus V §, BA Mus domesticus (Schwarz & Schwarz, 1943) Westliche Hausmaus D Cricetus cricetus (Linnaeus, 1758) Feldhamster 1 §§, FFH IV, BK II Arvicola terrestris (Linnaeus, 1758) Schermaus V Oryctolagus cuniculus (Linnaeus, 1758) Wildkaninchen V Lepus europaeus (Pallas, 1778) Feldhase 2 BK II Mustela nivalis (Linnaeus, 1766) Mauswiesel V BK III Lutra lutra (Linnaeus, 1758) Fischotter 1 §§, FFH II/IV, BK II Erläuterung zu den Abkürzungen Gefährdungskategorien nach RL ST: 0 – Ausgestorben oder verschollen, R – Extrem seltene Arten mit geographischer Restriktion, 1 – Vom Aussterben bedroht, 2 – Stark gefährdet, 3 – Gefährdet, G – Gefährdung anzunehmen, aber Status unbekannt, D – Daten defizitär, V – Arten der Vorwarnliste Gesetzliche Sicherungsinstrumente und Konventionen: Bundesnaturschutzgesetz: § – besonders geschützt Art nach BNatSchG, §§ – zusätzlich streng geschützte Art; FFH – Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie: FFH II – Art nach Anhang II, FFH IV – Art nach Anhang IV; BA – Bundesartenschutzverord- nung; BK – Berner Konvention: BK II – Streng geschützte Tierart nach Anhang II, BK III – Geschützte Tierart nach Anhang III; BO – Bonner Konvention

41 Bonner Konvention und Fauna-Flora-Habitat-Richtli- zunehmenden Druck ausgesetzt ist. Auch wenn explizit nie sind in Tabelle 1 aufgeführt. keine Untersuchungen zur Populationsdichte durchge- Die Angaben in der Tabelle 1 veranschaulichen den führt wurden, kann eine deutliche Abnahme des Igelbe- hohen Stellenwert von Parkanlagen, Grüninseln oder standes wahrgenommen werden. Mit Sicherheit führten von Friedhöfen als Lebensräume von bedrohten Arten zwei entscheidende Gründe zur deutlichen Abnahme auch innerhalb von Städten. Namentlich sind in der seiner Populationsdichte. Zum einen ist es, wie so häu- Biotoptypenliste für Deutschland unter den Siedlungs- fig, die hohe Straßenverkehrsdichte und zum anderen, biotopen auch Zoologische Gärten, Tierparks und Tier- insbesondere in jüngerer Zeit, die „Überpflege“ von gehege enthalten. Parkanlagen. Auf jeden Fall ist es für den Igel kontra- produktiv, wenn Gebüschzeilen und Strauchpflanzun- gen jeweils im Frühjahr und im Herbst zwecks Garten- 5 Ergebnisteil pflege bis auf den entblößten Boden ausgeräumt werden und somit dem Igel die Grundlage zur Nahrungssuche Insgesamt wurden 43 Arten festgestellt, fünf davon ins- und zur Überwinterung genommen wird. Dass die Art besondere in den Gewöllen der Waldohreule (Tab. 2). durch derartige Maßnahmen jegliche Scheu verlieren kann, demonstrierte ein säugendes Weibchen, das im Ordnung Insectivora – Insektenfresser Juni 1998 ihre Jungen quer über den Besucherweg in Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) einen neuen Unterschlupf brachte. Nachweise: durchgängig in den vergangenen 30 Jahren Als typischer Kulturfolger ist der Igel (Erinaceus eu- Maulwurf (Talpa europaea) ropaeus, Abb. 3) insbesondere in den Randgebieten Nachweise: durchgängig in den vergangenen 30 Jahren von Dörfern und Städten zu finden, wo er bei guten Maulwürfe (Talpa europaea) sind durch ihre charak- Lebensbedingungen die höchsten Populationsdichten teristischen Erdhügel leicht nachzuweisen. Sie sind ty- erreicht. Die Parkanlagen des Magdeburger Zoos so- pische Erscheinungen der offenen Ruderalflächen und wie umgebende Gärten und Freiflächen mit teilweise Wiesen. Jedoch wird besonders in den letzten Jahren hohen Anteilen an Gebüschformationen und unbe- eine starke Abnahme dieser Art verzeichnet. Ursache bauten Ruderalflächen sind ideale Igelbiotope. Aus den dafür ist die Versiegelung von natürlich entwickelten vergangenen 30 Jahren existieren nur wenige konkrete Böden durch Betonieren, Aufschottern oder Bebauung, Aufzeichnungen zu dieser Art, da ihre Anwesenheit als selbst wenn die Anpassung des Maulwurfes mitunter „nicht weiter beachtenswerte“ Normalität betrachtet verblüffen kann. Immer wieder werden von Hauskat- wurde. Dennoch wurden Besonderheiten festgehalten, zen getötete Tiere in der Zeit zwischen April und Juli wie etwa ein sehr ausgezehrtes Tier, das am 22.03.2000 gefunden. gegen 11.00 Uhr im Zoo die Besucherwege querte. Dass Im Zoo stellten die von den Maulwürfen angelegten Igelpopulationen durch den Straßenverkehr stark dezi- Gänge und Haufen in der Vergangenheit, insbesondere miert werden können, zeigen die Aufzeichnungen vom in den Huftieranlagen, potenzielle Gefahrenquellen dar. 28.06.1998 bis 24.08.1998. Während dieser Zeit kamen Brechen Tierarten, wie kleinere Antilopen beim Lau- allein auf einem etwa 900 Meter langen Straßenab- fen in die Gänge ein, kann es zu Knochenbrüchen oder schnitt, der direkt östlich am Zoo verläuft, sieben Tiere anderen schwerwiegenden Verletzungen kommen. Aus zu Tode. Als eine weitere nicht unbedeutende Gefah- diesem Grund wurde für den Lebendfang von Maul- renquelle für diese und andere heimische Säugerarten würfen bis in die 1970er Jahre eine Fangprämie von müssen Tieranlagen aufgrund ihrer speziellen Bauweise 5,00 Mark gezahlt. Die Tiere mussten dann aufgrund angesehen werden. Die den Boden berührenden Gehe- der Naturschutzgesetzgebung der DDR nach der Begut- gebegrenzungen sollten verhindern, dass heimische achtung durch den damaligen Inspektor auf unbebau- Wildtiere in die Anlagen gelangen. So tötete in den tem Gelände wieder frei gelassen werden. Jahren von 2005 bis 2006 ein Amurtiger (Panthera tig- ris altaica) 13 Igel, einen Rotfuchs (Vulpes vulpes) und Waldspitzmaus (Sorex araneus) eine Hauskatze (Felis silvestris catus) sowie ein Schnee- Nachweise: 07.11.1984, 02.10.2011, 01.09.2012 leopard (Uncia uncia) zwei Igel. Ein Eindringen von Diese Art konnte für das Gelände des Zoologischen Gar- Wildtieren in diese Anlagen wurde ab dem Jahr 2006 tens insgesamt nur dreimal nachgewiesen werden. Am durch die zuständigen Pfleger unterbunden. Insgesamt 07.11.1984 gelang der Nachweis durch Schlagfallenfang ist festzustellen, dass die Igelpopulation einem ständig außerhalb von Gebäuden, am 02.10.2011 und 01.09.2012

42 Abb. 3: Braunbrustigel (Erinaceus europaeus). Foto: E. Driechciarz.

durch einen Totfund im Vogelgesangpark und in einer (Hausmausbekämpfung) nachgewiesen wurde. Ab dem kleinen Baugrube. Entgegen der Verhaltensweise ande- Jahr 2002 konnten an gleicher Stelle nur noch Haus- rer Spitzmausarten, insbesondere der Hausspitzmaus spitzmäuse (Crocidura russula) belegt werden. Beide (Crocidura russula), erfolgten keine Nachweise der Arten traten hier offensichtlich als Konkurrenten auf, Waldspitzmaus (Sorex araneus) als Beifang in Schlag- wobei die Feldspitzmaus von der Hausspitzmaus ver- fallen im Rahmen der ständig in Tierhäusern durchge- drängt wurde. führten Hausmausbekämpfung. Dieser Umstand folgt Anfang der 1980er Jahre konnte an einem Spätsommer- aus der Lebensweise der Art, die nur selten innerhalb tag ein bemerkenswerter Beuteerwerb dieser Spitzmaus- von Gebäuden zu finden ist, da bebautes Gebiet deut- art beobachtet werden. Beim Betreten des betonierten lich gemieden wird, auch wenn die Waldspitzmaus als Innenraumes einer Tieranlage (2,5 x 4,0 m) sahen die eine flexible Art bezüglich der Biotopwahl gilt. Die o. g. Autoren eine Feldspitzmaus, die völlig unvermittelt eine Totfunde lassen aber den Schluss zu, dass die Wald- Hausmaus (Mus domesticus) mehrmals ansprang und spitzmaus durchaus noch günstige Biotope, wie dicht in den Hinterschädel und das Genick biss, solange, bis bepflanzte Beete, Gebüschzeilen, verbuschte Ruderal- die Hausmaus kein Lebenszeichen mehr von sich gab. standorte oder größere, teilweise unbewirtschaftete Dann begann die Feldspitzmaus damit, sie zu verzeh- Gärten im Untersuchungsgebiet besiedelt. ren.

Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) Hausspitzmaus (Crocidura russula) Nachweise: 06.05.1999, 20.12.2000, 13.11.2001 Nachweise: 08.02.1996, 03.10.2002, 16.03.2003, Die Feldspitzmaus (Crocidura leucodon) hat mit Sicher- 17.03.2003, 19.03.2003, 03.04.2003, 14.11.2004, heit in den letzten 30 Jahren innerhalb des untersuchten 16.12.2004, 07.03.2005, 22.09.2005, 26.10.2009, MTBQ große Teile ihres Lebensraumes, besonders im 03.08.2011, 24.04.2012, 04.10.2012, 23.05.2013, südwestlichen Teil, infolge Bodenversiegelung durch 25.05.2013 Straßen- und Häuserbau verloren. Interessant er- Da sich die Hausspitzmaus (Crocidura russula) relativ scheint, dass diese Art in den Jahren 2000 und 2001 häufig an und vor allem in Gebäuden aufhält, ist sie im und am Menschenaffenhaus durch Schlagfallenfang mit Sicherheit einer der Nutznießer von Tierhäusern,

43 Gartenlauben, Vorratskellern und Schuppen. Die Häu- Kleine Bartfledermaus (Myotis mystacinus) figkeit dieser Art wird durch die Anzahl der genannten Nachweise: 03.09.1995, 29.09.2009 14 Nachweise, die ebenfalls Beifänge bei der Haus- Beide Tiere gingen als Fundtiere in den Zoo ein. Sie mausbekämpfung, Totfunde oder Katzenbeute waren, wurden innerhalb des Siedlungsrandbereiches im Nor- belegt. Die Art besiedelt zurzeit das gesamte Areal des den der Stadt gefunden. Im direkten Anschluss an den Magdeburger Zoos, insbesondere aber auch die Warm- Siedlungsbereich fließt die Große Sülze, die noch in ei- häuser, wegen der ganzjährig zur Verfügung stehenden nigen Teilen von Gehölzstreifen und Hecken gesäumt Nahrungsressourcen und der besonders guten „Nist- wird und damit als potenzielles Jagdgebiet der Kleinen möglichkeiten“. Bartfledermaus Myotis( mystacinus) gilt. Die Nachweise dieser Art sind Indiz für eine gute Biotopqualität am Ordnung Chiroptera – Fledertiere Stadtrand. Die Kleine sowie die Große Bartfledermaus Wasserfledermaus (Myotis daubentonii) besiedeln häufig die gleichen Biotoptypen, was sich auch Nachweise: 29.04.1994, 30.07.1998, 27.08.2003, für die Stadt Magdeburg bestätigen lässt. 01.09.2006, 11.09.2007, 09.04.2009, 07.06.2010 Winterquartier Nicolaistraße: 25.01.1991 Fransenfledermaus (Myotis nattereri) Die Wasserfledermaus Myotis( daubentonii) gehört zu Nachweise: 07.01.1994, 01.11.1994, 03.03.2001, den Arten, die in Magdeburg und Umgebung relativ 20.01.2003, 23.09.2003, 14.09.2005 häufig auftreten. Insbesondere der hohe Gewässeran- Winterquartier Zoo: jährliche Kontrollen von 1986 bis teil, selbst innerhalb der Stadt, und ein nicht geringer 2012, Besatz durchschnittlich 13 Tiere (min. 3, max. 28) Anteil an Parkanlagen, die teilweise recht alte Baumbe- Winterquartier Barleben/Kindergarten: jährliche Kon- stände aufweisen, ermöglichen dieser Art eine fast flä- trollen von 2007 bis 2012, Besatz durchschnittlich 22 chendeckende Verbreitung. Im Zeitraum von 1994 bis Tiere (min. 4, max. 23) 2010 konnte diese Art sieben Mal im Untersuchungs- Winterquartier Nicolaistraße: jährliche Kontrollen von gebiet nachgewiesen werden. Davon entfallen vier Ein- 1988 bis 1995, Besatz durchschnittlich 9 Tiere (min. 3, zelnachweise auf Pfleglingseingänge in den Zoo. Auf max. 19) dem Gelände des Zoos wurden 1998 ein männliches Die Nachweishäufigkeit der FransenfledermausMyo ( - und drei weibliche Tiere durch Netzfang nachgewiesen tis nattereri) spiegelt die Verbreitung dieser Art für das und am 07.06.2010 gelang der Nachweis einer kleinen gesamte Stadtgebiet Magdeburg und Umgebung wider. Mutterstube in einer Weide, nachdem ein Jungtier auf Die Funde der Fransenfledermaus verteilen sich fast dem Besucherweg gefunden wurde (Driechciarz & gleichmäßig auf das Untersuchungsgebiet und weisen Driechciarz 2012). Bemerkenswert ist auch der Fund somit diese Art neben der Wasserfledermaus als häu- einer Wasserfledermaus am 01.09.2006 im Zoo. Dieses figste Myotis-Art aus. Bei dem Eingang vom 20.01.2003 Tier verstarb in der Nacht zum 02.09.2006 und wurde handelte es sich um zwei männliche und vier weibliche später im Friedrich-Loeffler-Institut positiv auf Tollwut winterschlafende Tiere, die bei Bauarbeiten gefunden getestet. Alle im Zoo Magdeburg verstorbenen oder als wurden (Driechciarz & Driechciarz 2003). Inner- Totfund eingelieferten Tiere werden seit 2002 auf An- halb des Bearbeitungsgebietes sind drei Winterquar- raten von Dr. D. Heidecke einer Tollwutuntersuchung tiere bekannt (s. o.). Auf Anraten von Dr. D. Heidecke dem Friedrich-Loeffler-Institut zugeführt. führten die Autoren die Beringung zwischen 1987 und 1997 im Winterquartier Zoo Magdeburg und zwischen Große Bartfledermaus (Myotis brandtii) 1988 und 1995 im Winterquartier Nicolaistraße durch. Nachweise: 20.02.1999, 04.10.2004, 21.04.2011 In beiden Quartieren wurde später die Winterberin- Die Funde von 1999 und 2004 sind Totfunde auf dem gung aus Artenschutzgründen eingestellt. Von denen Zoogelände. Das 2011 belegte Tier kam als Pflegling in im Zoo markierten Fransenfledermäusen sind zwei den Zoo. Auch bei der Großen Bartfledermaus Myotis( bemerkenswerte Wiederfunde belegt: 1. Beringung brandtii) spielt mit einiger Sicherheit die Biotopbevor- am 05.02.1992 im Zoo Magdeburg – Wiederfund am zugung von kleinen Wasserläufen, besetzt mit einzel- 30.09.1998 bei Weißewarte (Altmark) und 2. Beringung nen Gehölzen und größeren Gehölzbeständen, eine am 07.01.1994 im Zoo Magdeburg – Wiederfund am maßgebliche Rolle bei der Fundhäufigkeit und den 10.01.2003 im Heinrichshorster Forst (Bördekreis). Die Fundorten, die besonders im Norden der Stadt vorhan- Entfernungen zwischen Beringungsort und Wieder- den sind. fundort betrugen 40,3 bzw. 22,5 Kilometer (Driech- ciarz & Driechciarz 2004).

44 Abendsegler (Nyctalus noctula) Nachweise: 01.04.1993, 23.10.1998, 20.11.2003, 21.11.2003, 18.05.2004, 17.11.2006, 18.03.2008, 06.10.2008, 18.03.2010, 22.03.2010, 01.04.2010 Wenn auch der Abendsegler (Nyctalus noctula) ein Nutznießer von ausgedehnten Parkanlagen mit Alt- baumbestand innerhalb großer Städte ist, sollte die oben angegebene Fundhäufigkeit nicht darüber hin- wegtäuschen, dass nur ein Fund außerhalb des Zoo- geländes auf dem MTBQ 3835-2 gelang. Das Tier vom 01.04.1993 hatte sich in eine Wohnung in der Nähe des Zoos verflogen. Bei den anderen Angaben handelt es sich um Nachweise direkt vom Zoogelände, wobei allein vier Nachweise von Tagesflügen stammen Driechci( - arz & Driechciarz 2005) und vier Nachweise offen- sichtlich im Zusammenhang mit „Baumpflegearbeiten“ auf dem Zoogelände stehen (Driechciarz & Driech- ciarz 2012). Zwei Nachweise erfolgten durch Totfunde.

Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) Nachweise: 21.09.1998, 05.11.2003, 05.06.2004, 04.09.2004, 02.06.2012, 14.04.2013 Abb. 4: Mückenfledermäuse Pipistrellus( pygmaeus) Geht man von der allgemeinen Nachweishäufigkeit wurden erstmals 2013 für den MTBQ 3835-2 nachge- dieser Art in Dörfern und Städten aus, so scheint sie wiesen. Foto: E. Driechciarz. im Norden der Stadt Magdeburg deutlich unterreprä- sentiert zu sein. Eine Begründung für diesen Sachver- halt kann nicht gegeben werden. Dennoch spielt mit Sicherheit die geringe Größe einiger Fledermausarten, Linie nicht auf Eingänge in den Zoo, sondern auf Funde wie der Zwergfledermaus Pipistrellus( pipistrellus), eine in Fledermauskästen im Zoo, die regelmäßig während wichtige Rolle bei der Fundhäufigkeit, insbesondere bei des Zuggeschehens im Spätsommer/Herbst kontrolliert einzelnen Winterschläfern und Totfunden. werden. Ein Pflegling aus dem Jahr 2006 und ein Tot- fund aus dem Jahr 2008 stammen ebenfalls vom Zooge- Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus) lände. Nur einmal, am 16.04.2009, gelangte ein Fundtier Nachweis: 17.04.2013 aus der Stadt in den Zoo. Für das Untersuchungsgebiet liegt ein Nachweis vor. Er erfolgte am 17.04.2013 durch ein Männchen und Zweifarbfledermaus (Vespertilio murinus) fünf Weibchen in einem Holzbetonkasten auf dem Nachweise: 04.06.1984, 29.12.1986, 24.09.1988, Zoogelände. Dass dieser Fund kein Zufall ist, zeigen 25.09.1989, 01.11.1989, 17.10.2001, 26.11.2005, zwei Nachweise in benachbarten Messtischblattquad- 26.10.2010, 16.12.2012 ranten. Am 29.06.2006 wurde die Mückenfledermaus Trotz der relativ häufigen Eingänge der Zweifarbfleder- (Pipistrellus pygmaeus, Abb. 4) im MTBQ 3835-4 und maus (Vespertilio murinus, Abb. 5) als Pflegling in den am 04.12.2012 im MTBQ 3836-1 nachgewiesen. Dabei Zoo, zählt sie zu den selten nachgewiesenen Arten in befindet sich der Nachweisort aus dem Jahr 2012 nur Sachsen-Anhalt und auch für das Untersuchungsgebiet. etwa 400 Meter östlich der MTBQ-Grenze 3835-2, im Diese Art wurde bisher nur durch Einzeltiere nachge- Magdeburger Stadtteil Rothensee. wiesen. Von 21 Nachweisen aus der Stadt Magdeburg stammen allein neun vom MTBQ 3835-2. Diese Tiere Rauhhautfledermaus (Pipistrellus nathusii) kamen alle aus dem Wohngebiet nördlich des Zoos. Nachweise: 05.09.2005, 18.04.2006, 07.09.2006, Hier schließt der „Kunstfelsen Hochhaus“ ideal an 20.09.2007, 05.09.2008, 21.10.2008, 16.04.2009 ausgedehnte, offene Wasserflächen anDriechciarz ( Die relative Häufigkeit der Nachweise der Rauhhautfle- & Driechciarz 2007), die als bevorzugte Jagdgebiete dermaus (Pipistrellus nathusii) begründet sich in erster gelten (Safi 2006).

45 Abb. 5: Zweifarbfledermaus Vespertilio( murinus). Foto: Abb. 6: BreitflügelfledermäuseEptesicus ( serotinus) E. Driechciarz. wurden vereinzelt an Zoogebäuden nachgewiesen. Foto: E. Driechciarz.

Breitflügelfledermaus (Eptesicus serotinus) Auch das Braune Langohr (Plecotus auritus) profitiert Nachweise: 02.10.1991, 08.08.1994, 12.04.2000, mit Sicherheit vom reichlichen Angebot an Parkanla- 03.04.2004, 17.08.2005, 23.05.2010, 04.11.2011 gen in der Stadt. Die Gesamtfunddaten ergeben eine Da die BreitflügelfledermausEptesicus ( serotinus, gleichmäßige Verteilung dieser Art für Magdeburg. Abb. 6) eine starke Bindung an Gebäude zeigt, ist ihre Gleiche Verhältnisse werden im Untersuchungsgebiet Fundhäufigkeit hier erwartungsgemäß relativ hoch. deutlich. Typisch für Braune Langohren sind Nachweise Auch bei dieser Art ist die Nachweishäufigkeit für die aus Winterquartieren, in denen sie oft in „Unterzahl“ Stadt Magdeburg wesentlich höher als es die oben an- gemeinsam mit Fransenfledermäusen überwintern. gegebenen Daten für das Untersuchungsgebiet belegen. An dieser Stelle sollen ergänzend vier Nachweise vom Diese Art ist in Magdeburg und Umgebung flächende- Grauen Langohr (Plecotus austriacus) auf anschlie- ckend vorhanden. Allein vier der oben angegebenen ßenden Messtischblattquadranten Erwähnung finden: Nachweise stammen vom Gebiet des Zoologischen 09.10.1993 (3835-4), 29.01.2002 (3836-1), 29.09.2002 Gartens. (3836-1), 01.11.2010 (3835-4). Die Fundorte aus dem Jahr 2002 liegen etwa 250 bis 300 Meter östlich des be- Braunes Langohr (Plecotus auritus) arbeiteten MTBQ. Nachweise: 13.10.1993, 04.04.1995, 07.03.2000, 06.04.2004 Ordnung Rodentia – Nagetiere Winterquartier Barleben/Kindergarten: jährliche Kon- Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) trollen von 2008 bis 2012, durchschnittlicher Besatz 3 Nachweise: 30.04.2009, 24.05.2011, Herbst 2011, Tiere (min. 2, max. 5) 19.05.2012, 03.09.2012, 06.05.2013, 03.06.2013, Winterquartier Nicolaistraße: 01.03.1988, 25.01.1991 05.11.2013, 24.11.2013

46 Elbebiber (Castor fiber albicus) Nachweise: Herbst 2010, 09.06.2011, 11.06.2011, 23.04.2013 Die oben angegebenen Nachweise zum Biber (Castor fiber albicus) stammen aus dem Zoo, wo er seit dem Jahr 2010 sporadisch anwesend ist. Am 09.06.2011 und am 11.06.2011 konnten Neuschnitte an Silberweiden (Salix alba) und an Ölweiden (Elaeagnus angustifolia) festgestellt werden. Eine Nachsuche bestätigte Schnitte aus dem Jahr 2010. Bemerkenswert ist, dass der Biber zu diesem „Zoobesuch“ einen 953 Meter langen Tun- nel nutzte (Driechciarz & Driechciarz 2012). Ein weiterer Nachweis durch Neuschnitte gelang 2013. Der Schwerpunkt der Verbreitung des Elbebibers im Un- tersuchungsgebiet liegt jedoch außerhalb des Zoos, am Abb. 7: Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) konnten 2013 Neustädter See sowie an der Großen Sülze zwischen der wieder häufiger beobachtet werden. Foto: E. Driechci- BAB 2 und der B 189. Diese Ansiedlungen werden seit arz. ihrem Bestehen jährlich von ehrenamtlichen Biberbe- treuern des Arbeitskreises Biberschutz Sachsen-Anhalt erfasst. Den Vorsitz des Arbeitskreises hatte Dr. D. Hei- decke bis zu seinem Tod inne. Das Eichhörnchen (Sciurus vulgaris, Abb. 7) war bis Mitte der 1980er Jahre recht häufig im Park des Zoos Zwergmaus (Micromys minutus) zu beobachten. Mehrmals wurden auch Findlinge auf- Nachweise: 11.11.1984, 12.11.1984, 28.04.1999, gezogen, die zumindest in einem Fall von Aaskrähen 05.10.2012, 03.12.2012, 06.03.2013 (Corvus corone) aus dem Kobel geworfen wurden. Alle Die Nachweise der Zwergmaus (Micromys minutus) fal- aufgezogenen Tiere wurden am Ort wieder ausgewil- len recht spärlich aus. Grund dafür ist mit Sicherheit die dert. Weitere Vorkommen von Eichhörnchen sind im geringe Aktivität bei der Nachsuche. Besonders die aus- Untersuchungsgebiet nicht bekannt. Der Nachweis aus gedehnten Schilfgürtel mit anschließender Ruderalflora dem Jahr 2012 stammt von einem privaten Grundstück, an kleinen Entwässerungsgräben und Teichen bilden im angrenzend an den Vogelgesangpark. Der starke Rück- Norden der Stadt bevorzugte Habitate der Zwergmaus. gang dieser Art auf dem Zoogelände in den letzten 30 Der Nachweis vom 11.11.1984 war ein Totfund. Die vier Jahren ist durch den Umbau des Zoologischen Gartens anderen Belege erfolgten durch Nestfunde in den vor- begründet. Während dieser Zeit musste häufig „Bau­ genannten Biotopen. Mit einer gezielten Nachsuche am freiheit“ geschaffen werden, der einige Exemplare der 05.10.2012 konnten in vier geeigneten Biotopen meh- Baumhasel (Corylus colurna), viele Haselnusssträucher rere Nester gefunden werden, was die oben getroffene (Corylus avellana) sowie auch Eschen (Fraxinus exsel- Aussage zur Verbreitung der Zwergmaus im Untersu- sior) und Stieleichen (Quercus robur) zum Opfer fielen. chungsgebiet durchaus bestätigt. Durch Zufallsfunde Damit wurde die Nahrungsverfügbarkeit für die Eich- von zwei Nestern am 03.12.2012 und am 06.03.2013 hörnchen immer mehr eingeschränkt. Sicher ist auch konnte die Zwergmaus auch direkt auf dem Zoogelände, die starke Zunahme der Aaskrähe für das weitest ge- im ruhigen Randbereich des Wirtschaftsgeländes und hende Verschwinden der Eichhörnchen mitverantwort- auf einer Storchenanlage im Zoo, nachgewiesen werden. lich. Aaskrähen verhalten sich innerhalb ihres Brutge- bietes sehr aggressiv, so verhinderten sie unter anderem Brandmaus (Apodemus agrarius) nachweislich in den letzten Jahren mindestens in zwei Nachweise: 18.12.1966, 28.08.1993, 02.03.2004, Fällen eine Brut des Rotmilans (Milvus milvus) auf dem 20.09.2010, 05.10.2012 Parkgelände des Zoos. Wie viele Eichhörnchen im Park Der Anzahl der oben angegebenen Nachweise kann leben und ob sich diese kleine Population auf Dauer hal- man entnehmen, dass die Anwesenheit von Brandmäu- ten kann, ist zurzeit nicht absehbar, auch wenn sich die sen (Apodemus agrarius, Abb. 8) auf dem Zoogelände Beobachtungen im Jahr 2013 wieder häuften. eher eine Seltenheit ist. Interessant ist jedoch die Tatsa- che, dass die Nachweise aus den Jahren 1993, 2004 und

47 Abb. 8: Die Brandmaus (Apodemus agrarius) ist ein sel- Abb. 9: Waldmäuse (Apodemus sylvaticus) besiedeln im tener Gast im Magdeburger Zoo. Foto: E. Driechciarz. Zoo häufig Vogelvolieren. Foto: E. Driechciarz.

2010 Sichtbeobachtungen in Quittenbüschen (Cydonia Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis) oblonga) im Zoo betreffen. Beifänge von Brandmäusen Nachweise: 22.04.1988, 06.02.1998, 29.06.1998, bei der Hausmausbekämpfung sind nicht erfolgt. Als 03.07.1998, 12.04.2002, 03.04.2004, 27.08.2008, Kuriosum kann der Eingang vom 18.12.1966 als Pfleg- 11.03.2008, 17.03.2008, 10.12.2010, 25.01.2011, ling in den Zoo betrachtet werden. Die auffällige Fär- 03.03.2011, 04.03.2011, 06.03.2011, 13.05.2012, bung des Tieres bestärkte den Finder in der Annahme, 01.09.2012 ein seltenes oder exotisches Tier gefunden zu haben Auf Grund der Größe und der deutlich ausgeprägten (Driechciarz et al. 2003). Die Angabe vom 05.10.2012 rötlichen Färbung adulter Gelbhalsmäuse (Apodemus bezieht sich auf einen gezielten Fallenfang im Norden flavicollis), wurde ihnen als Beifang in Schlagfallen des Untersuchungsgebietes. mehr Beachtung geschenkt als Waldmäusen. Somit fallen die Nachweise wesentlich häufiger aus. Beide Ar- Waldmaus (Apodemus sylvaticus) ten sind Nutznießer der Tierhaltung, besonders dort, Nachweise: 08.03.1994, 26.03.1995, 08.07.1998, wo Körnerfutter in die Außenvolieren gestellt wird. 23.07.1999, 17.04.2008, 10.08.2010, 25.01.2012, Häufig werden sie an den Futternäpfen gesehen. Diese 02.08.2012 Sichtbeobachtungen wurden nicht berücksichtigt, da Die Waldmaus (Apodemus sylvaticus, Abb. 9) zählt zu besonders Jungtiere nicht eindeutig determiniert wer- den Arten, die den Zoo flächendeckend und dauerhaft den können. Auch bei der Gelbhalsmaus geben die hier besiedeln. Diese Art wird regelmäßig Opfer in den ge- angeführten Nachweise aus dem Zoo nicht die tatsäch- gen Hausmäuse aufgestellten Schlagfallen. Tote Tiere, liche Besiedlung des MTBQ wieder. besonders jüngere Exemplare, werden mit Sicherheit häufig übersehen und als Hausmäuse angesprochen, Hausmaus (Mus domesticus) insbesondere dann, wenn Schlagfallen außerhalb von Nachweise: keine Einzelangaben Gebäuden stehen. Auch als Beutetier gelangen den Au- Wie bereits an anderer Stelle bemerkt, wurde und wird toren mehrmals zwischen 2010 und 2011 Nachweise der im Zoo eine ständige Bekämpfung der Hausmäuse (Mus Waldmaus. Während dieser Zeit wagten sich immer domesticus) mit Schlagfallen und Giftködern durchge- wieder Tiere auf die Anlage der Zwergmangusten (He- führt, um Übertragungen von Krankheiten weitgehend logale parvula), was ihnen hier zum Verhängnis wurde. einzudämmen. Bis etwa Anfang der 1980er Jahre wur- Nur einmal konnte diese Art in Gewöllen festgestellt den noch „Fangprämien“ für Mäuse gezahlt. Einmal im werden (Tab. 2). Jahr wurden die Schwänze der getöteten Tiere, die das

48 ganze Jahr über gesammelt wurden, ausgezählt und mit Erdmaus (Microtus agrestis) 0,10 Mark pro Schwanz prämiert. Immerhin kamen da- Nachweise: bisher nur in Eulengewöllen bei Erlöse von 10,00 bis 30,00 Mark pro Mitarbeiter zu- Dass die Erdmaus (Microtus agrestis) bisher nur ein- sammen. Die aus heutiger Sicht sicher sehr interessan- mal durch Gewölluntersuchungen nachgewiesen wurde ten Zahlungslisten wurden leider während oder kurz (Tab. 2), ist mit Sicherheit darauf zurückzuführen, dass nach der Wende für unwichtig erachtet und vernichtet. keine spezielle Nachsuche, insbesondere im Norden Die Gewöllanalyse ergab fünf Nachweise (Tab. 2). und Nordwesten des Untersuchungsgebietes erfolgte.

Wanderratte (Rattus norwegicus) Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) Nachweise: keine Einzelangaben Nachweis: 05.10.2012 Da auch die Wanderratte (Rattus norwegicus), genau wie Die Rötelmaus (Clethrionomys glareolus) gehört zu den die Hausmaus, als Krankheitsüberträger gilt, wird bei Arten, die in der Vergangenheit im Zoo häufig beobach- dieser Art ebenfalls eine ständige Bekämpfung durch- tet wurden. Wie die Hausmaus oder die Wanderratte geführt. Auch sie fiel unter den Passus „Fangprämie“, galt auch sie als sehr häufig und man schenkte ihr keine allerdings wurde jeder Wanderratten-Schwanz hier mit weitere Beachtung. Jedoch ist die Rötelmaus durch den 0,30 Mark prämiert. Wie bei der Hausmaus sind auch Verlust von geeigneten Biotopen, bedingt durch den hier keine Zahlungslisten mehr vorhanden. Umbau des Zoos, hier selten geworden. Die Art dringt kaum in Häuser ein und ist somit auch kein Beifang bei Feldhamster (Cricetus cricetus) der ständigen Mäusebekämpfung. Gleich der Feld- und Nachweise: 1982, 1983 Erdmaus geben einige wenige Gewöllanalysen (Tab. 2) Aus nachvollziehbaren Gründen ist die Nachweis- einen weiterführenden Anhaltspunkt zur Verbreitung häufigkeit beim Feldhamster Cricetus( cricetus) sehr dieser Art im Untersuchungsgebiet. Dabei konnte die gering. Beide oben angegebenen Nachweise stammen Rötelmaus sechsmal nachgewiesen werden. Das oben direkt aus dem Zoo. Das Tier aus dem Jahr 1982 wurde angegebene Funddatum basiert auf einem gezielten Fal- aus dem Nashorngraben geborgen (Driechciarz et al. lenfang im Norden des Untersuchungsgebietes. 2003) und das Tier aus dem Jahr 1983 im Elefantengra- ben beobachtet, wo es regelmäßig in einer Betonritze Schermaus (Arvicola terrestris) verschwand. Dabei dürfte es sich hierbei um die schein- Nachweise: 20.07.2010, 05.10.2012 bar letzten Feldhamster aus der Umgebung zu dieser Auch von der Schermaus (Arvicola terrestris) gibt es Zeit gehandelt haben. Im Jahr 1985 gelangte ein weiterer mehr Beobachtungen als die oben stehenden Nach- Feldhamster aus dem Stadtgebiet in den Zoo, zu dem weise angeben. Diese stammen in der Mehrzahl von leider keine Angaben vorhanden sind, was eine räum- der Schrote, inner- und außerhalb des Zoologischen liche Zuordnung ausschließt (Driechciarz et al. 2003). Gartens. Leider wurden auch bei dieser Art in den letzten Jahrzehnten keine konkreten Aufzeichnungen Feldmaus (Microtus arvalis) gemacht, denn auch sie fiel unter die Rubrik nicht „be- Nachweise: 17.09.2008, 05.10.2012 achtenswert“. Das Datum vom 20.07.2010 wurde fest- Diese zwei Nachweise spiegeln keinesfalls die tatsäch- gehalten, weil ein Tier über mehrere Minuten in der liche Verbreitung der Feldmaus (Microtus arvalis) im Schrote im und unter Wasser schwimmend beobachtet Untersuchungsgebiet wider. Sie stehen für einen Einzel- werden konnte. Die Angabe vom 05.10.2012 basiert wie- fund innerhalb des Zoogeländes 2008 und für Funde bei derum auf einem gezielten Fallenfang im Norden des einer gezielten Nachsuche 2012 im Norden des Unter- Untersuchungsgebietes. suchungsgebietes. Besonnte, unbebaute Freiflächen mit gut verfügbarer Nahrung, die eine Feldmauspopulation Bisamratte (Ondatra zibethicus) tragen könnte, sind in einer Parkanlage wie dem Zoo Nachweise: 03.04.1985, 10.03.1994, Oktober 2010, nicht vorhanden. Eine regelmäßig gemähte Parkwiese 02.11.2011 ist ein denkbar ungünstiger Lebensraum, selbst für Diese Art wurde 1905 in Dobrisch (Böhmen) ausgesetzt Feldmäuse. Völlig anders stellt sich die Situation auf und hat sich seitdem über weite Teile Europas ausgebrei- den Feldern, Wiesen und Gewässerrandstreifen im tet. In Bezug auf das hier vorgestellte Untersuchungsbiet Nordwesten und Norden des MTBQ dar. Bei der Auf- ist davon auszugehen, dass die Bisamratte (Ondatra zi- arbeitung von 47 Gewöllen der Waldohreule konnte die bethicus) in den letzten drei Jahrzehnten durchgängig Feldmaus 19-mal festgestelllt werden (Tab. 2). an der Schrote und auf den mit Schilfgürteln besetzten

49 ein Vorkommen am Neustädter See I bestätigt werden. Ein weiteres Vorkommen im direkten Anschluss an das Untersuchungsgebiet befindet sich am Barleber See II direkt an der BAB 2.

Datum Gewölle Anzahl Microtus arvalis Microtus agrestis Clethrionomys glareolus Mus domesticus Apodemys sylvaticus Feldhase (Lepus europaeus) 23.03.00 5 3 Nachweise: 27.01.1979, 12.04.1998, 22.04.1998, 04.04.00 3 1 1 04.09.1998, 25.05.1999, 07.08.1999, 17.03.2000, 13.04.00 2 1 12.07.2002, 10.03.2004, 11.06.2005, 02.03.2009, 28.04.00 5 5 16.07.2009, 22.07.2009, 03.04.2010, 10.03.2013 01.05.00 3 2 Ohne Zweifel kann der Feldhase (Lepus europaeus, 22.05.00 3 3 Abb. 10) als Charaktertier der Magdeburger Börde, die 13.06.00 5 1 sich bis in den nordwestlichen Teil des Untersuchungs- 07.06.01 4 1 gebietes erstreckt, bezeichnet werden. Umso erstaunli- 08.06.01 1 2 cher ist es, dass genau aus diesem Gebiet die wenigsten 10.06.01 4 1 Aufzeichnungen vorliegen, denn kaum ein Nachweis 04.03.02 1 1 der für diese Arbeit genutzt wurde, bezieht sich auf die 05.03.02 5 1 1 1 2 Äcker und Wiesen nördlich der Stadt. Vielmehr wird 11.04.02 5 3 1 durch die Datenlage die Urbanisierung des Feldhasen 25.05.02 1 1 für die Stadt Magdeburg belegt (Driechciarz 2011). gesamt 47 19 1 6 5 1 Die Nachweise machen deutlich, dass der Feldhase, wenn auch in schwankender Anzahl, fast flächende- Tab. 2: Auswertung von 47 Gewöllen der Waldohreule ckend im Untersuchungsgebiet vertreten ist. (Asio otus) aus dem Zoo Magdeburg. Ordnung Carnivora – Raubtiere Rotfuchs (Vulpes vulpes) Nachweise: durchgängig in den vergangenen 20 Jahren Teichen und Seen im Norden von Magdeburg anwesend Der in den letzten Jahren bemerkenswerte Anstieg war. Bei den Nachweisen vom 10.03.1994 und aus dem der Fuchsdichte auch im Untersuchungsgebiet führte Oktober 2010 handelte es sich um Verkehrsopfer auf dazu, dass diese Art mittlerweile als „alltäglich“ an- den Straßen direkt am Zoo. Der Fund vom 03.04.1985 gesehen wird. Aus diesen Gründen erfolgten zu den erregte damals Aufsehen, denn dieses Tier wurde mit Beobachtungen und auch zu den Verkehrsopfern keine großem Aufwand in einer Kaufhalle im Wohngebiet konkreten Aufzeichnungen. Häufige Sichtbeobachtun- am Neustädter See gefangen (Driechciarz et al. 2003). gen gelingen besonders im Frühjahr und Herbst in der Der Nachweis vom 02.11.2011 stammt ebenfalls aus dem Morgendämmerung auf den Straßen im Norden Mag- Zoo, hier hatte eine Bisamratte die Wasservogelteiche deburgs sowie auf dem Zoogelände. Zeitweise ist die zu ihrem Domizil erwählt, wo sie natürlich vom Futter Fuchsdichte auf dem Zoogelände sehr hoch, was eine profitierte. Sichtbeobachtung von gleichzeitig fünf Tieren bestätigt. Dass der Rotfuchs (Vulpes vulpes) als Nahrungsoppor- Ordnung Lagomorpha – Hasentiere tunist eingestuft wird, beweist er zum Leidwesen der Wildkaninchen (Oryctolagus cuniculus) Mitarbeiter auch im Magdeburger Zoo. Er verschmäht Nachweise: 22.03.1996, 11.04.1998, 21.04.1998, hier weder Fleischreste noch Wildobst. Nachweislich 05.10.2012 erbeutete er zudem Kubaflamingos Phoenicopterus( Die drei ersten Nachweise des Wildkaninchens (Oryc- ruber), Humboldpinguine (Spheniscus humboldti), tolagus cuniculus) erfolgten auf dem Gelände des Zoos Große Maras (Dolichotis patagonum), Zwergmuntjaks zu einer Zeit, als die Art im Untersuchungsgebiet bereits (Muntiacus reevesi), Bennettkängurus (Macropus rufo- selten war. Das Wildkaninchen war bis Mitte der 1980er griseus), Hühnergänse (Cercopsis novaehollandiae) und Jahre eine weit verbreitete Säugerart. Etwa zu diesem selbst die wehrhaften Halsbandtschajas Chauna( cris- Zeitpunkt fiel fast die gesamte Population im Magde- tata), nur um einige Beispiele zu nennen. burger Verbreitungsgebiet der Myxomatose zum Opfer. Durch eine gezielte Nachsuche am 05.10.2012 konnte

50 Abb. 10: Auch auf dem Parkgelände des Magdeburger Abb. 11: Drohender junger Waschbär (Procyon lotor). Zoos wird der Feldhase (Lepus europaeus) regelmäßig Foto: E. Driechciarz. beobachtet. Foto: R. Driechciarz.

Marderhund (Nyctereutes procyonoides) Hermelin (Mustela erminea) Nachweis: 22.09.2008 Nachweise: 02.03.1993, 09.10.1995, 30.11.1999, Diese zu den Neozoen gehörende Art trat bisher nur 09.12.1999, 09.01.2000, 06.02.2000, 09.03.2000, einmal, am 22.09.2008, in Erscheinung. Es handelte 03.04.2000, 18.05.2000, 16.07.2000, 07.12.2002, sich um ein Weibchen, welches nahe des Olvensted- 21.08.2006, 01.10.2006, 17.11.2006, 06.01.2007, ter Krankenhauses in ein abgelassenes Wasserbecken 28.02.2007, 12.03.2007, 31.08.2013 stürzte und von der Magdeburger Tierrettung in den Die Datenlage zum Hermelin (Mustela erminea, Zoo gebracht wurde. Auf Grund der bekannten Aus- Abb. 12) erscheint recht umfangreich, dennoch sind breitungstendenz des Marderhundes (Nyctereutes pro- wesentlich mehr Sichtnachweise vorhanden als oben cyonoides) ist dieser Nachweis im Untersuchungsgebiet angegeben. Es handelt sich aber in vielen Fällen wahr- sicher nicht der letzte. Der exponentielle Anstieg der scheinlich um das gleiche Exemplar. So wurde zum Jagdstrecke, insbesondere in Ostdeutschland, macht Beispiel ein Hermelin bei der täglichen Mäusejagd am hierzu eine deutliche Aussage. So wurden 2007/2008 Futterboden des Zoologischen Gartens fast lückenlos über 33.000 Tiere erfasst. vom 09.12.1999 bis zum 29.12.1999 beobachtet. Bis auf zwei Nachweise wurden alle anderen durch Sichtbeob- Waschbär (Procyon lotor) achtungen erbracht. Das Tier vom 18.05.2000 ist ein Nachweise: 28.10.2011, 04.11.2011 Jungtier, das als Pflegling in den Zoo gebracht wurde. Der Waschbär (Procyon lotor, Abb. 11) zählt ebenfalls Gleichzeitig stellt dieses Tier den einzigen Nachweis zu den Neozoen. Interessanter Weise sind die zwei außerhalb des Zoos dar. Das Hermelin vom 12.03.2007 Nachweise auf gleiche Weise erbracht worden wie beim wurde als Tigerbeute registriert. Am 16.07.2000 konnte Marderhund. Beide Waschbären fielen in einen leeren ein Hermelin beobachtet werden, der eine Amsel (Tur- Pool. Da es sich bei beiden Tieren um Jungtiere handelte dus merula) erbeutet hatte und am 21.08.2006 transpor- und sie in den gleichen Pool stürzten, liegt die Annahme tierte eine Hermelinfähe am frühen Nachmittag ihre nahe, dass es sich um Geschwister handelte, was somit drei Jungen quer über einen der Besucherwege des Zoos. eine Reproduktion im Untersuchungsgebiet vermuten lässt. Die Annahme, dass es sich um Wurfgeschwister handelte, wurde durch das Verhalten der Tiere während der Käfighaltung bestätigt. Sie verhielten sich bei der Zusammenführung sehr vertraut zueinander.

51 Abb. 12: Der Hermelin (Mustela erminea) ist ein stän- Abb. 13: Auf dem Zoogelände erfolgte 2013 der erste diger Mäusejäger im Zoo Magdeburg. Foto: E. Driech- eindeutige Reproduktionsnachweis des Steinmarders ciarz. (Martes foina). Foto: E. Driechciarz.

Mauswiesel (Mustela nivalis) Mink (Neovison vison) Nachweise: 19.04.1996, 22.02.1997, 26.03.1997, Nachweis: 03.12.2007 20.01.1999, 27.03.1999, 05.11.1999, 25.08.2004, Auch für den Neubürger Mink (Mustela vison) lie- 08.08.2007 gen einige Nachweise aus dem nördlichen Teil des Bei allen Nachweisen zum Mauswiesel (Mustela nivalis) Untersuchungsgebietes vor, die aber von den Beob- handelt es sich um Sichtbeobachtungen. Erfreulicher achtern nicht datiert wurden. Bei dem Nachweis vom Weise geriet nie ein Individuum in die für Hausmäuse 03.12.2007 handelte es sich wahrscheinlich um ein und Wanderratten aufgestellten Fallen im Zoo. Die Farmtier, das im Oktober 2007 durch eine „Tierbe- Beobachtungen vom 25.08.2004 und 08.08.2007 stam- freiung“ bei Grabow im Jerichower Land entkommen men aus dem Norden der Stadt, dem Industriegebiet war und im Zoo gefangen wurde, nachdem es in der Rothensee. Alle anderen erfolgten im Zoo, wobei es sich Nacht zuvor einen Kolkraben in einer Voliere tötete häufig um das gleiche Tier gehandelt haben dürfte. So (Driechciarz 2007). Bisher ist das der einzige Nach- konnten die Autoren mehrmals ein Tier beobachten, weis auf dem Zoogelände. das sich durch eine Spalte Zugang zur Voliere der Neun- bindengürteltiere (Dasypus novemcinctus) verschaffte. Steinmarder (Martes foina) Hier war ein Aufstellen von Schlagfallen nicht möglich. Nachweise: 21.05.1994, 26.08.1994, 09.10.1994, Das Tier verschwand gezielt im Bau der Gürteltiere, aus 16.10.1995, 09.08.1998, 06.03.1999, 25.05.1999, dem nach wenigen Sekunden das Quieken einer Maus 20.03.2000, 31.03.2001, 07.12.2002, 21.05.2005, zu vernehmen war. Nach einem weiteren Augenblick 07.08.2012, 25.05.2013 tauchte das Wiesel mit der Beute auf und verschwand Da der Steinmarder (Martes foina, Abb. 13) durch- wieder aus der Voliere. Bei der Beute dürfte es sich um aus als Kulturfolger einzuordnen ist, verwundert die eine Hausmaus (Mus domesticus) gehandelt haben, die Nachweishäufigkeit keinesfalls. Auch die Nachweisar- im damaligen Zeitraum im Zoo hohe Abundanzen er- ten entsprechen einem Tier, das sich in direkter Nähe reichte. Dies ermöglichte sicher das gleichzeitige Vor- zum Menschen aufhält. Die Nachweise betreffen drei kommen beider kleinen Wieselarten auf so kleinem Verkehrsopfer, drei Jungtiere, die als Pfleglinge in den Terrain wie dem Zoogelände, auch wenn beide Arten Zoo kamen und fünf Sichtbeobachtungen, die sich auf in diesem Fall als Nahrungskonkurrenten angesehen dem Untersuchungsgebiet fast gleichmäßig verteilen. werden müssen. Die Beobachtung am 07.08.2012 stammt von einem im Zoo ansässigen Tier. Am 25.05.2013 gelang der Nach- weis von zwei Jungtieren auf dem Dachboden einer

52 ger, Spaziergänger) im Grüngürtel der Nordstadt spre- chen dafür, dass dieses Gebiet von Wildschweinen nur mäßig besiedelt ist. Anders verhält es sich zur Zeit der Feldfruchtreife, besonders vom Mais. Dann sind Einzel- tiere und kleine Rotten durchaus als Nahrungsgast im deckungsreichen „Maisdschungel“ auch im Nordwes- ten des MTBQ nachzuweisen.

Reh (Capreolus capreolus) Nachweise: 27.05.2001, 2010, 23.05.2011, Frühjahr 2012 Im Untersuchungsgebiet, wie auch überall auf den Feldern Mitteldeutschlands, ist in den vergangenen Jahren eine deutliche Zunahme beim Reh (Capreolus capreolus) zu beobachten. Selbst Parkanlagen werden Abb. 14: Katzen (Felis silvestris catus) erbeuten im Zoo ständig oder zeitweise besiedelt. So geben die drei ers- auch Haussperlinge, obwohl sie wie in diesem Fall stän- ten Nachweise über ein weibliches Tier Auskunft, dass dig gut gefüttert werden. Foto: R. Driechciarz. sich über längere Zeit auf dem Zoogelände aufhielt und allmorgendlich auf den Zoowiesen in der Nähe von Ge- büschzeilen ruhig äste. Bei dem Tier aus dem Frühjahr 2012 handelte es sich um einen Spießer, der mehrmals Tierunterkunft, was die Reproduktion von Steinmar- gesehen wurde. Das Hauptvorkommen vom Rehwild dern auf dem Zoogelände bestätigt. befindet sich jedoch auf den Äckern, Wiesen und in den Feldgehölzen im Norden des Untersuchungsgebietes. Fischotter (Lutra lutra) Nachweis: 29.09.2010 Der Nachweis des Fischotters (Lutra lutra) erfolgte an Zusammenfassung einem Forellenhof, der sich am Neustädter See II be- findet. Angler konnten hier zeitweise zwei Tiere über Alle Vorkommen der Säugetierarten auf dem Mess- den Zeitraum von etwa drei Wochen fast täglich in der tischblattquadranten 3835-2 werden kommentiert. Abenddämmerung beobachten. Weiterhin liegen ein- Das Material hierzu stammt aus Aufzeichnungen zu zelne, nicht quantifizierbare Sichtungen von Fischot- Verkehrsopfern, Sichtbeobachtungen, Fallenfängen, tern in Elbenähe nördlich von Magdeburg vor. Todfunden, Gewöllanalysen und Wildtierfindlingen, die in den Zoo gelangten. Es konnten innerhalb von 30 Hauskatze (Felis silvestris catus) Jahren insgesamt 43 Arten nachgewiesen werden. Ein Nachweise: durchgängig in den vergangenen 30 Jahren Großteil der Artnachweise stammt direkt vom Gelände Da es wohl keine Stadt in Deutschland gibt, in der des Zoologischen Gartens in Magdeburg. Hauskatzen (Felis silvestris catus, Abb. 14) nicht zum gewohnten Straßenbild gehören, verwundert es auch nicht, dass gerade der Zoo mit seinem starken Mäuse- Danksagung bestand und der Tatsache, dass hier und dort auch mal gewollt oder ungewollt ein Futterbrocken abfällt, von Dank der Autoren gilt den Naturschutzbehörden des Kostgängern dieser Art regelmäßig frequentiert wird. Bördekreises und der Stadt Magdeburg für die ange- nehme und erfolgreiche Zusammenarbeit. Ein ganz be- Ordnung Ariodactyla – Paarhufer sonderer Dank geht an die Kameraden der Abteilung Wildschwein (Sus scrofa) Tierrettung der Feuerwehr Magdeburg, die bei der Nachweise: sporadisch Bergung und Zulieferung von Wildtieren, obwohl nicht Ganzjährige Nachweise vom Wildschwein (Sus scrofa) im Berufsbild enthalten, hervorragende Arbeit leisten. beschränken sich auf den Norden des Untersuchungs- Nicht zuletzt danken wir Herrn Dr. Thomas Hofmann gebietes. Offene Feldflur, wenig beruhigte Deckung und für sachdienliche Hinweise. die ständige Anwesenheit von Menschen (Angler, Jog-

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54 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 55–65 Positionsbestimmung von Naturschutzbund und Ornithologenverband Sachsen-Anhalt zu Regulierungen an den Beständen des Kormorans Helene Helm, Mark Schönbrodt & Martin Schulze

Einleitung die bisherige Praxis, Kormorane im Zuge von Einzelan- ordnungen zu töten, außer zum Zweck der Abwendung Vor dem Hintergrund der Diskussionen zur Regulie- lokal nachgewiesener fischereiwirtschaftlicher Schäden rung des Kormoranbestandes möchten auch die an- sowie wissenschaftlich belegter Beeinträchtigungen der erkannten Naturschutzverbände Naturschutzbund Bestände seltener bzw. geschützter Fischarten, nicht to- Deutschland (NABU), Landesverband Sachsen-Anhalt leriert werden. Sie steht im deutlichen Widerspruch zu e. V. und Ornithologenverband Sachsen-Anhalt e. V. den aktuellen Urteilen der EU gegen Polen (Rechtssa- (OSA) ihre Position zum Kormoran- bzw. Fischar- che C-192/11, 26.01.2012) und des VG Potsdam (NABU tenschutz darstellen. Anhand von wissenschaftlichen gegen das Land Brandenburg; 5 K 1522/08, 25.08.2011) Fakten soll dem in der Öffentlichkeit weit verbreiteten sowie zur EU-Vogelschutzrichtlinie. Vorurteil, der Kormoran (Phalacrocorax carbo sinensis) Nachfolgend aufgeführte Thesen und Argumente sol- störe im Land Sachsen-Anhalt das ökologische Gleich- len insbesondere die landesweite Bestandssituation des gewicht, entgegengetreten werden. Der Beitrag liefert so Kormorans sowie den angeblichen Dissens von Kor- auch die Argumente für fach- und sachgerechtes admi- moran- und Fischartenschutz beleuchten und ‒ nicht nistratives Handeln. zuletzt ‒ auch die anhand der Erfahrungen anderer Ein von NABU und OSA bereits im Jahr 2012 erarbei- Bundesländer zu erwartenden Auswirkungen einer tetes Positionspapier zum Kormoran wurde von Ebel Bejagung aufzeigen. (2012) teils heftig kritisiert. Folgender Beitrag soll den Lesern der Zeitschrift „Naturschutz im Land Sachsen- Anhalt“ Gelegenheit bieten, sich direkt mit den Fachar- 1 Der Kormoran ist nicht hauptverant- gumenten der beiden Naturschutzverbände OSA und wortlich für den Rückgang der Bestände NABU, welche die Sinnhaftigkeit einer Bestandsregu- gefährdeter Fischarten. lierung des Kormorans durch Abschuss in Frage stellen, auseinanderzusetzen. Die zuletzt von Ebel (2012) aufgeführten Beispiele, wel- Der OSA und der NABU lehnen die pauschale, orts- che den Niedergang der Barben- und Äschenbestände und zeitunabhängige Legitimation des Abschusses an der Helme nahezu ausschließlich mit der Bestands- von Kormoranen ab. Insbesondere sind bestandsre- zunahme des Kormorans begründen, halten einer wis- gulierende Maßnahmen zur Brutzeit (so auch durch senschaftlichen Überprüfung nicht stand. Eine ganz- Entnahme oder Behandlung von Eiern und Jung- heitliche Betrachtung des Wirkungsgefüges, wie sie bei vögeln) sowie Störungen und Vergrämungen in den Ebel (2005) noch anklang, wird in der jüngsten Arbeit Brutkolonien strikt abzulehnen. Stattdessen ist die erst vermisst. vor 25 Jahren erfolgte Rückkehr des Kormorans nach Grundsätzlich ist durch zahlreiche Gutachten und Nah- Mitteldeutschland als Erfolg des Natur- und Umwelt- rungsanalysen die opportunistische Jagdweise des Kor- schutzes und entsprechende Schutzmaßnahmen als ge- morans belegt. Zudem ist bekannt, dass sich Kormo- samtgesellschaftlich notwendiger Beitrag zur Erhaltung rane in naturnahen Gewässern (nicht Teichen) in erster der Biodiversität zu werten, wozu sich auch das Land Linie von Fischarten ernähren, welche weder gefährdet Sachsen-Anhalt bekennt. noch von besonderem fischereiwirtschaftlichen oder Aus Sicht der Autoren kann eine verschärfte Verfolgung angelsportlichen Interesse sind (vgl. auch Dornbusch des Kormorans, sowohl per Verordnung als auch durch & Fischer 2010).

55 In Sachsen-Anhalt wird die unbefriedigende Bestands- Individuen am 10.9.2000 (vgl. Wagner & Scheuer situation der Äschen- und Barbenbestände in der 2003). Interessanterweise wurden die letztgenannten Helme bzw. der Kleinen Helme von Ebel (2012) mit der Maxima im Zuge der Wasservogelzählungen (jährliche schädigenden Einflussnahme des Prädators Kormoran Monatszählungen zwischen September und April; Da- in Zusammenhang gebracht. Die Auseinandersetzung tenbank WVZ Sachsen-Anhalt, Stand Dezember 2012) mit der realen Entwicklung der Rast- und Brutbestände hier zu den Zählterminen seit dem Jahr 2003 nicht mehr des Kormorans im Einzugsbereich der Helme fand bis- erreicht (maximal 340 Ind. am 14.9.2008). Ein weiterer her jedoch nicht statt. Zudem liegen keinerlei wissen- Bestandsanstieg im Zeitraum der beobachteten deut- schaftliche Erhebungen zur Ermittlung der tatsächlich lichen Reduzierung der Fischbestände in der Helme in der Helme Nahrung suchenden Kormorane vor. (nach Ebel 2012 deutliche Rückgänge erst nach 2005) Das räumliche und zeitliche Auftreten des Kormorans ist damit nicht erfolgt. an der Helme ist nach wie vor unbekannt, und auch Im Fall der Flusslandschaft Helme wirkt sich insbeson- bei Ebel (2012) finden sich hierzu keine verlässlichen dere die Errichtung des Helmestausees vor ca. 40 Jah- Hinweise. Vielmehr wird die schädigende Wirkung ren negativ auf die Fischbestände aus, welche zu einer des Kormorans ausschließlich anhand negativer Be- veränderten Dynamik und Wasserqualität der Helme standsentwicklungen verschiedener Fischarten als ge- führte. Auch die Begradigung der Helme, die Durch- geben hingestellt. führung von Unterhaltungsmaßnahmen sowie fehlende Kormorane haben tatsächlich in den letzten beiden Fischunterstände und Uferstrukturen stehen der Erhal- Jahrzehnten auch im mitteldeutschen Raum wieder tung und Entwicklung einer artenreichen Fischfauna zugenommen und dabei – wie in anderen Regionen entgegen. Die Helme befindet sich abschnittsweise Deutschlands – vermutlich frühere Bestandszahlen nach wie vor in einem gemäß Definition der Wasser- wieder erreicht. Durch menschliche Einflüsse werden rahmenrichtlinie schlechten ökologischen Zustand. heute jedoch auch andere Nahrungsquellen und Brut- Entsprechend wäre es ratsam, durch strukturelle Ver- plätze genutzt. Im Zuge der Neuentstehung künstlicher besserungen, wie bspw. das Einbringen von Totholz Seen durch die Flutung von Tagebaurestlöchern haben und eine Mehrung der Ufergehölze (vgl. Gschweng sich örtlich die Ansiedlungsbedingungen für die Art & von Lindeiner 2011), die Lebensbedingungen für verbessert, jedoch kann dies nur als Ersatz für ehemals gefährdete Fischarten zu verbessern und das Risiko intakte Flussauen gelten. Des Weiteren wirken die der Prädation zu vermindern. Ganz unabhängig davon Eutrophierung der Gewässer und der damit verbun- sind die Lebensbedingungen für einen Kieslaicher und dene erhöhte Weißfischanteil fördernd, während an- Kaltwasserfisch wie die Äsche infolge der Verschlam- dere Fischarten in ihren Beständen infolge vielfältiger mung langer Flussabschnitte (vgl. Ebel 2012) und der menschlicher Einflüsse zurückgingen. Im weiten Um- aufgrund der Klimaerwärmung und der Einleitung von feld der Helme sind aktuell jedoch keine Brutansied- stark erwärmtem Stauseewasser gestiegenen Wasser- lungen des Kormorans bekannt. Sowohl erfolgreiche temperaturen in der Helme eher schlecht. Auch andern- Bruten des Graureihers als auch die wenigen Brutver- orts sind Massensterben der Äsche in Hitzesommern suche des Kormorans am Helmestausee werden bereits bekannt geworden (vgl. Nipkow et al. 2011). seit vielen Jahren von Prädatoren (sehr wahrscheinlich Der Kormoran ist nicht in der Lage, einzelne Fischarten Waschbär) vereitelt. Die Nahrungsflächen der aktuell aus einem intakten Ökosystem selektiv zu entnehmen nächstgelegenen Kormoran-Brutkolonien befinden sich oder gar zum Aussterben zu bringen. Vielmehr ist der fernab der Helmeaue (vgl. Verbreitungsbild in Fischer Kormoran Nahrungs-Opportunist (Winkler 2010) & Dornbusch 2012). und fördert in den Gewässern eine naturnahe Fisch- Allerdings können seit vielen Jahren größere Individu- artenzusammensetzung, indem die durch künstlichen enzahlen der Art am Helmestausee festgestellt werden. Besatz oder anderes menschliches Wirken initiierten Besonders in den Monaten August bis Oktober sowie im Überbestände unterschiedlicher Fischarten reduziert Frühjahr (vor dem vollständigen Ablassen des Stausees werden. Insofern kommt dem Kormoran auch eine und nach dem Wiederbespannen) sammeln sich hier bis wichtige Rolle zur Erhaltung einer naturnahen Ichthyo- zu mehrere Hundert Individuen. Dies erfolgt nicht erst fauna zu, was sich nicht zuletzt auch auf Bestände wei- seit jüngster Zeit, sondern kann seit den 1990er Jahren terer wirbelloser FFH-Arten (z. B. Helm-Azurjungfer, beobachtet werden. Größere Ansammlungen waren Grüne Flussjungfer) positiv auswirkt. bspw. 337 Individuen am 2.4.1991, 380 Individuen am Als weiterer Beleg für das Nichtzutreffen der Behaup- 4.10.1998, 460 am 9.10.1999, 203 am 12.3.2000 oder 519 tung, Kormorane würden seltene Arten in ihrem Be-

56 stand gefährden, können erfolgreiche Wiederansied- 2 Der Kormoran gehört zu den nach lungsprogramme von Stör und Lachs angeführt werden. BNatSchG (§ 10 Abs. 2 Nr. 9) sowie Insbesondere an der Elbe konzentrieren sich Brut- und Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG Rastbestände des Kormorans, die hier ganz offensicht- (Artikel 1) besonders geschützten lich keinen negativen Einfluss auf diese Arten haben. europäischen Vogelarten. Auch andere gefährdete Fischarten sind trotz des Ein- flusses des Kormorans in Elbe, Saale und Mulde wie- Ursprünglich war der Kormoran im Anhang I der EU- der ansässig, obwohl sie Jahrzehnte nicht nachgewiesen Vogelschutzrichtlinie gelistet, d. h. für die Art bestand werden konnten. die Pflicht zur Ausweisung besonderer Schutzgebiete. In dem von Anglerverbänden immer wieder benannten Dank der erfolgreichen Bemühungen um seinen Schutz Flusssystem der Helme sind zahlreiche weitere Faktoren und aufgrund der anwachsenden Bestände konnte er für den Niedergang einer wertvollen Fischfauna verant- 1997 aus dem Anhang I gestrichen werden. Die Bundes- wortlich, wie: regierung ist jedoch gemäß Artikel 5 der Vogelschutz- • Verlust flussdynamischer Prozesse richtlinie nach wie vor verpflichtet, Vorschriften zu • ungenügend auf den Schutz der Fische ausgerichtetes erlassen, die insbesondere das absichtliche Töten oder künstliches Wasserregime Fangen der Art verbieten. Der Kormoran ist daher auch • starke Veränderung der Wasserqualität durch zu nicht in den entsprechenden Anhängen der Europäi- schnelles Ablassen des Helmestausees im Spätsom- schen Vogelschutzrichtlinie aufgeführt, die eine Jagd mer/Herbst zulassen würden. • Erhöhung der Wassertemperatur infolge Klima­ Ausnahmeregelungen sind allein zur Abwendung er- erwärmung heblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäl- • Bestandsreduzierung durch Zunahme von Hitze­ dern, Fischereigebieten und Gewässern sowie zum perioden Schutz der Tier- und Pflanzenwelt möglich. Diese Vor­ • ungenügende Wasserqualität (starke Einträge aus der aussetzungen müssen aber für eine Ausnahmerege- Landwirtschaft) lung plausibel nachgewiesen werden. Ein unselektiver, • erhebliche Strukturverluste durch Gewässerausbau/ ganzjähriger, nicht regional begrenzter und fachlich -begradigung und -unterhaltung unbegründeter Abschuss der Art verstößt damit gegen • schlechte Gewässerstruktur in den meisten Ab- nationales und europäisches Naturschutzrecht, wie die schnitten (fehlende Flachwasserbereiche, Kolke, jüngsten Gerichtsurteile belegen. Steilabbrüche, Kiesinseln, Totholz, Ufergehölze, …).

Nicht zuletzt wird von Ebel (2005) auch die angelsport- 3 Weder der Brut- noch der Rastbestand liche Nutzung als Gefährdungsfaktor angeführt. des Kormorans haben sich in Sachsen- Der Abschuss von Kormoranen löst keines der genann- Anhalt in den zurückliegenden Jahren ten Probleme und verschließt letztlich die Augen vor deutlich verändert. den tatsächlich anstehenden Aufgaben, wie die Umset- zung von Fließgewässerprogrammen und der Wasser- In Sachsen-Anhalt ist aktuell von einem stabilen Kor- rahmenrichtlinie. moran-Brutbestand auszugehen. Dies ist allgemein als Dass der Kormoran nicht auf fischereiwirtschaftlich Beleg dafür zu werten, dass die natürliche Kapazitäts- oder angelsportlich genutzte Gewässer angewiesen ist, grenze für die Art im Land Sachsen-Anhalt erreicht ist um in unseren Landschaften zu überleben, beweisen (Abb. 1). Auch im Jahr 2012 lag der Bestand unterhalb nicht zuletzt die Ansiedlungen in der Bergbaufolge- von 1.200 Paaren und erreichte damit nicht das bishe- landschaft (Goitzsche, Geiseltal, Zschornewitz), wo sich rige Maximum aus dem Jahr 2009. die größten Anteile des Gesamtbrutbestandes der Art Die Zahl der Kolonien ist ebenso stabil, nur drei Kolo- in Sachsen-Anhalt konzentrieren. Hier nutzen die Tiere nien beherbergen derzeit mehr als 100 Paare. Sie befin- in erster Linie das natürlich vorhandene Nahrungsan- den sich in der Bergbaufolgelandschaft (Zschornewitz, gebot ohne die Ichthyozönose im Gewässer nachhaltig Geiseltal, Goitzsche), wo vergleichsweise wenige Kon- zu beeinflussen. flikte mit (angel-)fischereilichen Interessen bestehen. Die Bekämpfung des Kormorans innerhalb dieser Brut- gebiete wäre daher kontraproduktiv, da sich die Tiere andernorts ansiedeln würden.

57 Abb. 1: Brutbestandsentwicklung des Kormorans in Sachsen-Anhalt vom ersten jüngeren Brutnachweis im Jahr 1970 bis zum Jahr 2012. Quelle: Staatliche Vogelschutzwarte Steckby (unveröff. Daten).

Auch in anderen Bundesländern werden jüngst stabile gangenen Jahren lokal und regional starke Abnahmen. bis stark sinkende Bestände gemeldet (vgl. LUBW 2011, Die Bejagung der Art soll nach einer Antwort der Bun- Abb. 2). In Mecklenburg-Vorpommern (LUNG 2012) desregierung im Jahr 2006 (Drucksache 16/1017) auf wurde nach stark sinkendem Bestand in den letzten Jah- eine kleine Anfrage im Bundestag vor allem der lokalen ren im Jahr 2011 wieder das Bestandsniveau von Anfang Vergrämung dienen, nicht der Bestandsdezimierung. der 1990er Jahre erreicht. Insofern ist der Abschuss der Tiere, vor allem vor dem Bestandsveränderungen erfolgen beim Kormoran Hintergrund gesamteuropäischer Verhältnisse, nicht durch verschiedene Regulative. Prädatoren, das un- gerechtfertigt. zureichende Nahrungs-/Flächenangebot und erhöhte Der Herbst- und Winterbestand – auch an der Helme Mortalität infolge harter Winter bewirkten in den ver- in Sachsen-Anhalt – rekrutiert sich in erster Linie aus

Abb. 2: Brutbestandsentwicklung des Kormorans in Deutschland. Quelle: Bundesdeutsche Bestandsdatenbank Kormoran, Kiekbusch (unveröff.). Die unterschiedlichen Blautöne geben die Werte der anderen Bundesländer an.

58 7000 2003–04 2004–05 2005–06 2006–07 2007–08 2008–09 2009–10

6000

5000

4000

3000

2000

1000 7 6 6 5 5 4 4 7 3 3 8 8 9 9 7 6 5 4 8 9 7 6 5 4 3 0 8 9 7 6 5 4 8 9 7 6 5 8 0 4 0 9 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 1

v v z v z v z z v z v z v z z z z z z z z k t k t k t k t k t k t k t r r r r r r r o o e o e o e e o e o e o e eb eb eb eb eb eb eb O O O O O O O J an J an J an J an J an J an J an M M M M M M M F F F F F F F N N D N D N D D N D N D N D

Abb. 3: Rastbestandsentwicklung und Phänologie des Kormorans von 2003 bis 2010 in Sachsen-Anhalt. Quelle: Schulze (2010).

Vögeln fremder Herkunft. In normal verlaufenden bis 593 Tagen nach der Beringung erlegt, davon 10 be- Wintern mit Eislage wandert der überwiegende Teil reits im ersten Winter (Quelle: S. Fischer, Vortrag auf der Wintergäste / Durchzügler aus Sachsen-Anhalt WVZ-Tagung LSA 2011 in Steckby, ergänzt). Die Zahl ab (s. Winter 2008/09, 2009/10, 2010/11, Abb. 3). Ma- der Abschüsse entsprach damit in etwa der Zahl der ximale Rastbestände werden vor allem zwischen Sep- Funde, die durch Ablesung farbmarkierter Tiere zu- tember und November durch die aus Norden zuwan- stande kam. Dies kann als Indiz für die bereits heute dernden Kormorane erreicht. In den vergangenen drei wiedereingeführte starke Verfolgung der Art gewertet Wintern lagen die Januar- und Februar-Rastbestände werden. Eine zusätzliche Verfolgung der Art in Sach- meist deutlich unter 2.000 Tieren, was angesichts der sen-Anhalt ist daher nicht zu verantworten. Gewässervielfalt im Land ein verträglicher und letztlich vergleichsweise geringer Bestand ist. 5 Im Winterhalbjahr wird ein starker Zu- zug von Tieren aus dem Baltikum festge- 4 Aktuell wird bereits ein großer Teil stellt (Abb. 5). Der Abschuss dieser Tiere sachsen-anhaltischer Kormorane ist fragwürdig. geschossen oder erliegt anthropogen bedingten Todesursachen (Verölung, Da es sich beim Kormoran um einen Zugvogel und Fang, Fischreusen etc.). eine feuchtgebietsbewohnende Art handelt, genießt dieser laut den Ausführungen der EU-VSchRL (Art. 4) Ein hoher Anteil sachsen-anhaltischer Kormorane wird und der Bonner Konvention (Zugvogelabkommen) ei- bereits heute – ohne massive Bekämpfung im Land nen besonderen Schutz. Die Mitgliedsstaaten der EU selbst – im ersten Lebensjahr Opfer der Bejagung. So verpflichten sich zudem, Zugvogelarten in speziellen werden aus vielen Bundesländern und anderen europä- Schutzgebieten zu schützen. Die Mehrzahl der im Land ischen Ländern größere Zahlen der in Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt vorkommenden Kormorane nutzt die beringten Kormorane als „geschossen“ zurückgemeldet gemeldeten EU SPA, in denen bereits heute Vorkeh- (Abb. 4). rungen zum Schutz der hier überwinternden und brü- Von den zwischen 2008 und 2011 an der Goitzsche tenden Zugvögel getroffen wurden (u. a. Jagdverbote). beringten Jungvögeln wurden 14 im Zeitraum von 70 Einer Aufweichung dieser Bestimmungen und von in

59 Abb. 4: Dismigration und Zugbewegungen sachsen-anhaltischer Kormorane. Quelle: S. Fischer, Unterlagen zu einem Vortrag auf der Wasservogelzähler-Tagung in Steckby 2011 (gelbes Quadrat: Beringungsort in Sachsen-An- halt; roter Punkt: Beobachtungsort eines beringten Kormorans; blaues Kreuz: beringter geschossener Kormoran).

Abb. 5: Herkünfte/Zugbewegungen von in Sachsen-Anhalt auftretenden/brütenden Kormoranen. Quelle: Cop- pack (2011, Ringfundatlas Sachsen-Anhalt, unveröff. Daten).

60 Managementplänen vorgesehenen Anforderungen zum spiel des Freistaates Bayern belegt werden. Anhand der Rastvogelschutz kann nicht zugestimmt werden. Abbildungen 6 und 7 können die Brut- und Rastbe- Die im Herbst und Winter beobachteten Tiere stam- stände den Abschusszahlen gegenübergestellt werden. men u. a. aus Dänemark (7 Ind.), Deutschland (10 Ind.), Die weitestgehend unveränderten Brut- und Rastbe- Estland (5 Ind.), Finnland (6 Ind.), den Niederlanden (2 stände des Kormorans können als sicheres Indiz dafür Ind.), Norwegen (5 Ind.), Polen (3 Ind.), Schweden (13 gewertet werden, dass die Lebensraumkapazitäten er- Ind.), der Schweiz (1 Ind.) und der ehem. UdSSR (3 Ind.). reicht sind und die durch Abschuss geschaffenen „Lü- Jüngste Untersuchungen zur Unterartzugehörigkeit der cken“ jeweils von Nichtbrütern bzw. Zuzüglern gefüllt in Sachsen-Anhalt auftretenden Kormorane ergaben, werden. Dieser gleichbleibend hohe Winterbestand dass ein Teil der Tiere der Nominatform Phalacrocorax erklärt sich mit der großen Beweglichkeit der Art in- carbo carbo angehört (Dornbusch et al. 2012). Dies nerhalb des Überwinterungsgebietes. wurde im Binnenland bisher kaum dokumentiert, zu- Zudem wurde schon vor Jahren erkannt, dass eine Be- mal die Unterarten nur sehr schwer voneinander zu standslimitierung bzw. -dezimierung beim Kormoran trennen sind. Das Auftreten der Nominatform im Bin- nur durch den europaweiten Abschuss von mehr als nenland ist faunistisch äußerst bedeutsam, da die wei- 100.000 Tieren jährlich zu bewerkstelligen wäre. Die tere Entwicklung nicht vorhersehbar ist. Der Abschuss internationale Arbeitsgruppe aus Vertretern der Fische- dieser bei uns seltenen Unterart ist sehr wahrscheinlich, rei und Ornithologen (Artspezialisten) im Rahmen des da die Unterarten im Feld nur schwer zu unterscheiden Projektes REDCAFE kam zu dem Schluss, dass eine sind. derartige Bestandsreduzierung mit einer Vielzahl erns- ter Probleme behaftet, methodisch schwer umsetzbar und ethisch nicht vertretbar ist. Erinnert sei in diesem 6 Das Land Sachsen-Anhalt besitzt im Ver- Zusammenhang an die Tötung von Tausenden Kor- gleich zu vielen Nachbarbundesländern moranen in Mecklenburg-Vorpommern, die zu einem keine großflächigen Teichwirtschaften Aufschrei in der Öffentlichkeit führte. oder zahlreiche Fischereibetriebe. Jüngste Berechnungen und Effizienzkontrollen in Eng- land (Chamberlain et al. 2013) weisen nach, dass durch Im Gegensatz zu den Bundesländern Brandenburg, den winterlichen, regionalen Abschuss der Kormorane Thüringen, Sachsen oder auch Bayern, in denen Kor- der Populationstrend nicht beeinflussbar ist. Der durch morane örtlich Schäden in Teichwirtschaften anrichten die Bejagung gewünschte Effekt (Bestandsminderung können, besteht dieses Problem in Sachsen-Anhalt nur und Senkung der Fischprädationsrate) tritt also nicht in geringem Maße. Dies wurde auch in der Stellung- ein. Die Tötung von Individuen geschieht daher ohne nahme der Landesregierung Sachsen-Anhalts auf eine vernünftigen Grund und ist deshalb abzulehnen. kleine Landtagsanfrage im Jahr 2007 erläutert (Land- tag von Sachsen-Anhalt 2007). Sofern örtlich Probleme in den wenigen Teichwirt- 8 Der vermehrte Abschuss oder die Ver- schaften Sachsen-Anhalts mit dem Kormoran auftreten, grämung der Kormorane bewirkt keinen können auch mit der bisherigen Regelung Einzelfall- besseren Schutz von gefährdeten Fisch- Lösungen (Vergrämungen, Kompensationszahlungen) arten. gefunden werden. Die Ausschöpfung der bereits heute bestehenden Möglichkeiten fand bislang nicht statt. Die Entwicklungen im Freistaat Bayern belegen, dass durch die Unruhe, Vergrämungen und erhöhte Flucht- distanzen, zusätzliche Probleme entstehen. Der Kor- 7 Durch Bejagung des Kormorans werden moran weicht verstärkt auf Gewässer aus, an denen weder Brut- noch Rastbestände der Art er zuvor gar nicht vorkam. Die gleichzeitige Zunahme dezimiert. der Anzahl der genutzten Schlafplätze und Abnahme der Individuenzahl pro Schlafplatz (Größe der Schlaf- In mehreren Bundesländern werden seit vielen Jahren platzgemeinschaften) kann hierfür als Beleg gewertet teils Tausende Kormorane jährlich erlegt. Trotz des werden (Abb. 8). Somit wird das Risiko der Prädation Abschusses von jährlich bis zu 8.000 Kormoranen in gefährdeter Fischarten auch auf andere Fließgewässer einzelnen Bundesländern sind keine Einflüsse auf den und Flussabschnitte übertragen. Brut- oder Rastbestand erkennbar. Dies kann am Bei-

61 700 14

600 12

Brutpaare 500 10

Brutplätze

n e e i n aa r o l p 400 8 o K

r t Bru

e l d

300 6 l za h n za h A n A 200 4

100 2

0 0 1977 1979 1981 1983 1985 1987 1989 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011

Abb. 6: Brutbestandsentwicklung in Bayern. Quelle: Bundesdeutsche Bestandsdatenbank Kormoran, Kiekbusch (unveröff.).

Kormorane weisen durch den Abschuss verstärkt hohe (Sperrung des Umfelds von Schlafplätzen, Verbot des Fluchtdistanzen auf. Dies schränkt die Möglichkeiten Wassersports etc.). des aus Landesmitteln mitfinanzierten Wasservogel- Durch die Vergrämung, den Vergrämungsabschuss und Monitorings ein (durch Vergrämung Fehlzählungen die großen Fluchtdistanzen wird vermehrt fluchtartiges oder Doppelzählungen an den offiziellen Zählterminen Auffliegen der Vögel provoziert. Dadurch verlieren die zwischen September und April), lässt Wasservogelbeob- Vögel zusätzlich Energie, welche durch verstärkte Nah- achtungen an Gewässern generell schwieriger werden rungsaufnahme kompensiert werden muss. und setzt striktere Regeln in Schutzgebieten voraus

Abb. 7: Entwicklung des Kormoranrastbestandes und der Abschusszahlen in Bayern. Quelle: LFU Bayern.

Zahl der Individuen (Winterdurchschnitt) Abschüsse 10000

7500

e a n r rm o

o 5000 K

l za h n A 2500

0

Winterhalbjahr

62 Störungen an Schlafplätzen der Art (Aufscheuchen 10 Die Bejagung oder Vergrämung von oder Beschuss) steigern bei einem einzigen Kormoran Kormoranen ist ethisch und aus Grün- den Energiebedarf um ca. 70 kJ, was wiederum einem den des Schutzes anderer Arten nicht Mehrbedarf von 23 Gramm Fisch je Kormoran und Tag vertretbar. entspricht (Gremillet & Schmid 1993). Kormorane leben in naturnahen Lebensräumen, die von einer Vielzahl weiterer Arten besiedelt werden. Da- 9 Die Vergrämung der Art an größeren runter befinden sich zahlreiche hochgradig gefährdete Flüssen ist praktisch nicht durchführbar. oder streng geschützte Arten. Es ist kaum vorstellbar, dass eine Bejagung des Kormorans – außerhalb von Die effiziente Bejagung oder dauerhafte Vergrämung Teichwirtschaften – ohne die Schädigung oder Beein- des Kormorans an Flüssen ist – anders als an kleineren trächtigung anderer Arten durchgeführt werden kann. Teichen – aus rein praktischen Gründen nicht möglich. Nahe den großen Brutkolonien im Land Sachsen-An- In verschiedenen Aufsätzen in Angel-Zeitschriften der halt befinden sich auch Brutplätze von Flussseeschwal- letzten Jahre wird berichtet, dass Abschussgenehmi- ben, Fisch- und Seeadlern, Kranichen und weiteren sel- gungen an Flüssen das „Kormoranproblem“ nicht lösen tenen Feuchtgebietsarten. Die Störung oder Schädigung können. Ebenso zeigten lokale Vergrämungsaktionen dieser Brutvorkommen ist aus artenschutzrechtlichen (bspw. an der Zschopau im Freistaat Sachsen) keine Gründen nicht zulässig. Wirksamkeit. So werden von den vergrämten Trupps Aus diesem Grund verpflichten die jüngsten Gerichts- sofort benachbarte Flussabschnitte aufgesucht. urteile die Bundesländer und Mitgliedsstaaten der EU, Es muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass die dafür Sorge zu tragen, dass Störungen oder Schädigun- Jagdberechtigten kaum ein größeres Interesse an der gen weiterer Arten unterbunden werden und strenge Bejagung des Kormorans haben werden. Der Abschuss Auflagen für den Fall eines tatsächlich notwendigen von Kormoranen schadet dem Image der Jagdverbände Abschusses oder die Vergrämung des Kormorans gelten. in der Öffentlichkeit und stellt den Jagdpächter vor das Es ist zu bezweifeln, dass diese höchstrichterlich festge- Problem der Entsorgung der Tiere. Zudem ist die Beja- setzten Auflagen in einer für das gesamte Bundesland gung des Kormorans mit Kosten verbunden. geltenden Verordnung einzelfallbezogen geregelt wer- den können.

Abb. 8: Entwicklung von Rastbestand und Schlafplatzzahlen des Kormorans in Bayern. Quelle: LFU Bayern.

200

Zahl der Schlafplätze /

z durchschnittl. Schlafplatzgröße t 150 fp l a l a h e c z t S

o r fp l ä p l a n h

c 100 S

i du e r e d l h I nd i v

a r Z e d

l 50 h a z n A

0 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 8 9 0 1 2 2 3 4 5 6 7 88 / 8 89 / 9 90 / 9 91 / 9 92 / 9 93 / 9 94 / 9 95 / 9 96 / 9 97 / 9 98 / 9 99 / 0 00 / 0 07 / 0 08 / 0 09 / 1 10 / 1 11 / 1 01 / 0 02 / 0 03 / 0 04 / 0 05 / 0 06 / 0

Winterhalbjahr

63 11 Der Kormoran besitzt zahlreiche natürli- Nahrungskette von Aasfressern, auch des Seeadlers, che Feinde, deren Einfluss auf den Brut- gelangt. Bleivergiftung ist eine der wesentlichen To- bestand bedeutend ist. desursachen bei aasfressenden Greifvögeln, weshalb die Verwendung von Bleischrot bei der Kormoranjagd In den vergangenen Jahren nahmen die Bestände der höchst kritisch zu sehen ist. Prädatoren des Kormorans stark zu. Dies betrifft ne- ben Kolkrabe, Aaskrähe und Silbermöwe, die vor allem zu den Eierräubern zählen, auch den Seeadler. Letzte- Fazit rer erbeutet zum Teil systematisch junge Kormorane. In der Nähe der großen Brutkolonien (Zschornewitz, Auf der Grundlage der vorgebrachten Thesen und Ar- Goitzsche, Geiseltal) sind Seeadler als Brutvögel und gumente lehnen OSA und NABU die wissenschaftlich folglich Prädatoren vorhanden. Neben den heimischen nicht begründbare, naturschutzrechtlich und ethisch Brutvögeln, deren Einfluss auf den Kormoran als „nor- fragwürdige gewässerunabhängige und unlimitierte mal“ zu bewerten ist, kommen zunehmend auch Neo- Bejagung und Bestandsregulierung des Kormorans ab. zoen als Nesträuber in Betracht. Vor allem der Mink Stattdessen wird die Sammlung wissenschaftlich fun- und der Waschbär sind hier zu nennen. Beide haben dierter Daten gefordert, durch: durch ihre Aktivitäten bereits die Aufgabe einzelner • die finanzielle Unterstützung für ein landesweites Brutansiedlungen bewirkt (z. B. am Helmestausee, bei Brutplatz- und Schlafplatz-Monitoring sowie die sys- Klein Rosenburg und am Schollener See; vgl. Fischer tematische Erfassung des Reproduktionserfolgs, der & Dornbusch 2011), ein Trend, der auch beim aktu- Mortalität sowie der Zu- und Abwanderung durch ell stark abnehmenden Graureiherbestand erkennbar gezielten Einsatz der wissenschaftlichen Vogelberin- ist. gung Da die künftigen Einflüsse von Waschbär und Mink auf • die Fortsetzung der Nahrungsanalyse bei geschosse- den Brutbestand des Kormorans nicht absehbar sind, nen Tieren und jährliche statistische Auswertung zu wären zusätzliche Verfolgungen des Kormorans aus den geschossenen Tieren (Zeitpunkt, Ort). Sicht der Autoren fahrlässig. Auch im Nachbarbundes- land Brandenburg nahm der Kormoranbrutbestand in Der Schutz von Fischarten muss verbessert werden, jüngster Zeit aufgrund der Einwirkung von Prädatoren jedoch nicht durch den Abschuss von fischfressenden, stark ab und fiel unter die Zielgröße von 2.000 Brut- natürlich vorkommenden Tierarten, sondern durch: paaren. • die fachlich fundierte Ermittlung der Bestände so- Der Einfluss von Prädatoren bewirkt in vielen Fällen wie der Rückgangsursachen gefährdeter Fischarten auch ein Ausweichen von Kormoranen an einen neuen durch ein gesamtheitliches Gutachten, welches ne- Brutstandort. Dies stellt somit keine Neuansiedlung im ben dem Kormoran bspw. auch die Einflüsse des Ge- Zuge einer Bestandsvergrößerung dar, sondern ist be- wässerausbaus und -strukturen, des Klimas und der dingt durch natürliche Vergrämung. Die zur Bestands- Sport-/Berufsfischerei beleuchtet begrenzung in einigen Bundesländern praktizierte und • die Umsetzung der gewässerstrukturellen Maßnah- in Sachsen-Anhalt vorgesehene Auflösung neuer Kolo- men nach der Wasserrahmenrichtlinie und des Fließ- nien durch den Menschen wäre somit nur im genau zu gewässerprogramms des Landes überprüfenden Einzelfall statthaft und im Zweifel zu • die Überprüfung sämtlicher Unterhaltungsmaßnah- unterlassen. men an den Gewässern auf ihre Verträglichkeit be- züglich Fischartenschutz • die Verbesserung der ökologischen Durchgängigkeit 12 Die mögliche Verwendung von Blei­ der Gewässer schrot bei der Bejagung des Kormorans • die weitere Verbesserung der Wasserqualität durch führt zur Anreicherung von Umwelt- Einrichtung von Schonstreifen und Ausschluss der giften und Gefährdung weiterer, auch ackerbaulichen Nutzung von Überschwemmungs- seltener Arten. gebieten • den Verzicht auf Sohlbaggerungen, Gehölzrodungen Sofern Bleischrot bei der Bejagung des Kormorans zum und den Uferverbau an Flüssen, die als Wasserstraße Einsatz kommt, ist zu befürchten, dass angeschossene keinerlei wirtschaftliche Bedeutung haben (bspw. Tiere erst später verenden und das Bleischrot in die Saale)

64 • die Limitierung der zunehmenden Querverbauung Prädation durch Kormorane. – Berichte zum Vogelschutz der Flüsse durch Staustufen und Wasserkraftwerke 47/48: 45‒56. sowie die Umsetzung und Kontrolle von Maßnah- Landtag von Sachsen-Anhalt (2007): Antwort der Landes- regierung auf eine Kleine Anfrage zur schriftlichen Beant- men zur Bewahrung der ökologischen Durchgängig- wortung: „Schäden in der Fischereiwirtschaft des Landes keit und der Passierbarkeit für Fische. Sachsen-Anhalt und an der heimischen Fischfauna durch Kormorane“. – Drucksache 5/703. LUBW – Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Danksagung Naturschutz Baden-Württemberg (Hrsg.) (2011): Der Kormoran (Phalacrocorax carbo) in Baden-Württemberg. – Broschüre: 23 S. Stefan Fischer (LAU Sachsen-Anhalt, Staatliche Vogel- LUNG – Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geo- schutzwarte), Dr. Jan Kieckbusch (LLUR, Staatliche Vo- logie (2012): Kormoranbericht 2012 Mecklenburg-Vor- gelschutzwarte Schleswig-Holstein) und Stefan Kluth pommern. – Unveröff. Arbeitsbericht: 11 S. (LFU Bayern, Staatliche Vogelschutzwarte) möchten Nipkow, M., von Lindeiner, A. & H. Opitz (2011): Der Kor- moran – Vogel des Jahres 2010. Eine Bilanz von NABU und wir für die Bereitstellung von Bestands- und Fachdaten lBV. – Berichte zum Vogelschutz 47/48: 31‒43. zum Kormoran danken. Schulze, M. (2010): Die Wasservogelzählung in Sachsen-An- halt 2009/10. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, SH 1: 73–84. Literatur / Quellen Verwaltungsgericht Potsdam (2011): Urteil des Verwal- tungsgerichts Potsdam vom 25.08.2011 – NABU/Land Coppack, T. (2011): Ringfundatlas Sachsen-Anhalt. – Staatli- Brandenburg (5 K 1522/08). che Vogelschutzwarte Steckby (Auftraggeber). – Unveröff. Winkler, M. (2010): Die Nahrung des Kormorans. – Falke 57: Gutachten. 21‒25. Chamberlain D. E., G. E. Austin, S. E. Newson, A. John- ston & N. H. K. Burton (2013): Licensed control does not reduce local Cormorant Phalacrocorax carbo population Anschriften der Autoren size in winter. – Journal of Ornithology. Dornbusch, G. & S. Fischer (2010): Nahrungsuntersuchun- gen an Kormoranen in Sachsen-Anhalt. − Naturschutz im Helene Helm Land Sachsen-Anhalt 47 (1+2): 16–25. Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt e. V. Dornbusch, M., G. Dornbusch, S. Fischer & J. Müller des Naturschutzbundes Deutschland (2012): Nachweise von Atlantik-Kormoranen Phalacroco- rax [carbo] carbo in Sachsen-Anhalt. – Apus 17: 37–42. Postfach 04 · 06640 Nebra Ebel, G. (2005): Erhaltung der Charakterarten Äsche (Thy- E-Mail: [email protected] mallus thymallus) und Barbe (Barbus barbus) in der Helme (Sachsen-Anhalt). – Unveröff. Gutachten. Mark Schönbrodt Ebel, G. (2012): Zum Einfluss des Kormorans (Phalacroco- Vorsitzender des Ornithologenverbandes rax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern Sachsen-Anhalts. – Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt Sachsen-Anhalt e. V. (OSA) 49 (1+2): 26–39. Fabrikstraße 3 · 06132 Halle (Saale) Europäische Kommission (2012): Urteil des Gerichtshofs E-Mail: [email protected] (Siebte Kammer) vom 26. Januar 2012 – Europäische Kom- mission/ Republik Polen (Rechtssache C-192/11). Martin Schulze Fischer, S. & G. Dornbusch (2011): Bestandssituation ausge- wählter Brutvogelarten in Sachsen-Anhalt – Jahresbericht Naturschutzbeauftragter des Landes Sachsen-Anhalt 2010. – Berichtes des Landesamtes für Umweltschutz Sach- Landesbeauftragter für die Internationale Wasser­ sen-Anhalt, SH 1: 5–36. vogelzählung Fischer, S. & G. Dornbusch (2012): Bestandssituation ausge- Ackerweg 28 · 06130 Halle (Saale) wählter Brutvogelarten in Sachsen-Anhalt – Jahresbericht E-Mail: [email protected] 2011. – Berichtes des Landesamtes für Umweltschutz Sach- sen-Anhalt, SH 1: 5–35. Gremillet, D. & D. Schmid (1993): Zum Nahrungsbedarf des Kormorans Phalacrocorax carbo sinensis. – Ministerium für Natur, Umwelt und Landesentwicklung des Landes Schles- wig-Holstein (Auftraggeber). – Unveröff. Gutachten: 55 S. Gschweng, M. & A. von Lindeiner (2011): Kritische Be- trachtung zum Eintrag von Totholz in Fließgewässer als eine Methode zum Schutz von Fischbeständen vor der

65 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 66–74 Zur Bedeutung von Fischen und Rundmäulern im Naturschutz und Handlungsempfehlungen zu praxisbezogenen Schutzmaßnahmen Uwe Zuppke & Otfried Wüstemann

Im Gegensatz zu den anderen Wirbeltieren spielt sich allgemeinen Ge- und Verboten ist der Fischartenschutz das Leben der Fische ausschließlich im Wasser ab und durch Fangverbote für bestimmte Arten (§ 2), Schon- bleibt den Blicken des Menschen verborgen. Systema- zeiten (§ 3) und Mindestmaße (§ 4) geregelt. Lediglich tische Arterfassungen werden erst seit jüngerer Zeit die Rundmäuler (Petromyzonidae), also alle Neunau- durchgeführt, aber jede Methode der Bestandserfas- genarten, sind in der Bundesartenschutzverordnung sung liefert nur ein unvollkommenes Bild. Daher blieb (BArtSchV) vom 16. Februar 2005 als besonders ge- es auch lange Zeit unbekannt, dass etliche Fischarten schützte Arten ausgewiesen. nur noch in geringen Restbeständen vorkommen, ei- Diese unbefriedigende Konstellation der Schutzregeln nige sogar völlig verschwunden sind. Als diese Situa- scheint auch im Bewusstsein der naturschutzinteres- tion bekannt wurde (Paepke 1981), erregte sie kaum sierten Personen, Verbände und Behörden Niederschlag Aufmerksamkeit. Erst in den 1980er Jahren begannen gefunden zu haben. Denn die Belange des Fischschutzes auch im heutigen Sachsen-Anhalt Fischkundler mit der werden oft nur bei besonders krassen und sichtbaren systematischen Erfassung der Vorkommen von Fischen Beeinträchtigungen, z. B. bei Abwasserhavarien, öffent- und Rundmäulern (Engelke 1988, Wüstemann 1989, lich diskutiert. Sonstige Eingriffe in die Gewässersys- Zuppke 1986). Nach 1990 wurden diese Bemühungen teme, die in den überwiegenden Fällen Auswirkungen dank der Verfügbarkeit effektiverer Fanggeräte inten- auf die Fischfauna haben, bleiben meist unbeachtet. siviert. In deren Ergebnis erschien der erste Verbrei- Diese Einstellung zeigt sich auch in der Diskussion tungsatlas der Fische Sachsen-Anhalts (Kammerad et über die Auswirkungen des sich positiv entwickelnden al. 1997) und wurde nach 15 Jahren aktualisiert (Kam- Kormoranbestandes auf die Fischbestände. Nach dem merad et al. 2012). Als die erste Rote Liste Sachsen- Erscheinen des Beitrages von G. Ebel (2012) in dieser Anhalt für Fische erarbeitet wurde (Zuppke et al. 1992) Zeitschrift über den negativen Einfluss des Kormorans konnte die Gefährdungssituation der einzelnen Fisch- auf gefährdete Fischarten wurden Reaktionen einiger arten nur auf der Grundlage einer äußerst schwachen Naturschützer laut, die Erstaunen, ja sogar Empörung Datenbasis eingeschätzt werden. Bei der Aktualisierung darüber ausdrückten, dass in einer einschlägigen Na- nach zehn Jahren musste die Rote Liste dann durch eine turschutzzeitschrift eine geschützte Vogelart derart stark verbesserte Datengrundlage teilweise revidiert „in Misskredit“ gezogen wird. Die dramatische Be- werden (Kammerad, Wüstemann & Zuppke 2004). standsentwicklung zahlreicher Fischarten, die Ebel Der gesetzliche Schutz von Fischarten findet in den (2012) im Ergebnis seiner Untersuchungen dargelegt Naturschutzgesetzen des Bundes und der Länder keine hat, wird dagegen nicht weiter thematisiert und hin- spezielle, über den allgemeinen Artenschutz, die Ein- genommen. Ähnliche Reaktionen gab es seinerzeit griffsregelung und den Schutz im Rahmen von Natura auch, als auf mögliche Auswirkungen der Stautätigkeit 2000 hinausgehende Berücksichtigung, sondern ist des Bibers auf Bachfischbestände hingewiesen wurde über die Fischereigesetze der Länder geregelt. Rechts- (Zuppke 2004). grundlage in Sachsen-Anhalt ist das Fischereigesetz des Die rasante Entwicklung der Kormoranbestände und Landes Sachsen-Anhalt (FischG LSA) vom 31. August die damit verbundenen Auswirkungen auf die heimi- 1993 (GVBl. LSA 1993, S. 464), zuletzt geändert durch sche Fischfauna, insbesondere an den Fließgewässern, Gesetz vom 18. Januar 2011 (GVBl. LSA 2011, S. 6) mit waren allerdings auch für die meisten im Naturschutz seiner Fischereiordnung vom 11.01.1994, zuletzt geän- engagierten Ichthyofaunisten kaum vorhersehbar. dert durch die Verordnung vom 21.06.2006. Neben den O. Wüstemann konnte noch in den 1990er Jahren keine

66 Abb. 1: Der Einfluss des Kormorans auf gefährdete Fischbestände sollte nicht verharmlost werden, hier Kormoran nach erfolgreicher Jagd auf Barbe in der Weißen Elster. Foto: S. Heidler.

akute Schädigung heimischer Fischbestände diagnos- et al. 1995, Preuss 2002). Er frisst die Fische, die er tizieren, weder bei seinen Untersuchungen zu Schäden ohne erhöhten Aufwand in einem Gewässer erbeuten durch fischfressende Vögel in den Binnenfischereibe- kann. In einem Bach der Forellenregion mit der Bach- trieben im damaligen Bezirk Magdeburg (Wüstemann forelle als Hauptfischart ist also damit zu rechnen, dass 1990) noch bei seinen Untersuchungen zur Nahrung er vorzugsweise Bachforellen fängt, was bei hoher Kor- des Kormorans anhand von Mageninhalten bei Kor- morandichte zur erheblichen Bestandsreduktion der moranen aus dem Helmeeinzugsgebiet bei Kelbra und Art führen kann. Besonders gefährdet sind Fischpopu- anhand von Speiballenuntersuchungen aus einer Kor- lationen mit geringer Bestandsdichte, die anthropogen morankolonie am Schollener See (Wüstemann 2003). bedingt bis auf Restbestände zusammengeschmolzen Er wies allerdings darauf hin, dass der Barben- und sind. Wird ein Gewässer in dem nur noch wenige Ex- Äschenbestand der Helme insgesamt durch anthropo- emplare einer Art vorhanden sind durch Kormorane gene Einflüsse rückläufig ist und schon der Verlust von aufgesucht, können im ungünstigsten Fall schon wenige einzelnen Laichfischen zur Gefährdung des Gesamtbe- Vögel einen Bestand bis an die Existenzgrenze brin- standes dieser Arten führen kann. gen. Bis zu einem gewissen Grad können die Verluste Schon wenige Jahre später wurden die stetig ansteigen- dadurch kompensiert werden, dass die Wachstums-, den Brut- und Überwinterungsbestände des Kormo- Überlebens- und die Fortpflanzungsrate der verblie- rans nachweislich europaweit zum Problem für heimi- benen Fische steigt. Ist allerdings der Prozentsatz der sche Fischarten, wie etwa Barbe und Äsche (Abb. 1). Fischentnahme so hoch, dass er durch den jährlichen Die Bandbreite der dabei wissenschaftlich festgestellten natürlichen Zuwachs nicht mehr kompensiert werden Fischverluste ist enorm und reicht von unter fünf bis kann, ist mit dem Erlöschen der Population zu rech- über 95 Prozent (Kohl 2011). Die Untersuchungen von nen. Zwar macht der Kormoran, wie bereits erwähnt, Wüstemann (2003) bestätigten, dass der Kormoran ‒ nicht Jagd auf spezielle Fischarten, jedoch fängt er wie allgemein aus der Literatur bekannt ‒ an den unter- aufgrund der angewandten Jagdtechnik und zufälliger suchten Gewässern ein Nahrungsgeneralist ist (Mann Faktoren örtlicher oder zeitlicher Art auch bestands-

67 „guten Erhaltungszustand“ einiger in ihrem Bestand rückläufiger Fischarten gefährden. Die völlig unterschiedliche Interpretation objektiver Befunde durch ausgewiesene Fachleute der Vogelkunde oder der Fischkunde zeigt deutlich, dass oftmals die subjektive Herangehensweise, Erwartungshaltung und spezielle, mitunter einseitige naturschutzfachliche Ziel- stellung die Wertung bestimmt. Daher sollten sowohl die Befunde von Dornbusch & Fischer (2010) als auch von Ebel (2012) sorgfältig abgewogen werden und die negativen Auswirkungen der Prädation durch den Kor- moran auf die Fischbestände nicht von vornherein und grundsätzlich ausgeschlossen oder verharmlost werden. Ritzmann (2013) beleuchtet das Kormoranmana- gement in Sachsen-Anhalt aus rechtlicher Sicht und kommt zu dem Schluss, dass die derzeit diskutierte Kor- Abb. 2: Beim Ersatzneubau der Straßenbrücke in moranverordnung bei Einhaltung bestimmter gesetzli- Reinsdorf-Dobien/ Lkr. Wittenberg wurden aus dem cher Vorgaben, durch die flexible Handhabung für den beeinträchtigten Bereich des Krähebaches 161 Bach- Fischartenschutz an gefährdeten Gewässerabschnitten neunaugen geborgen. Foto: U. Zuppke. von Vorteil sein könnte. Es muss allerdings angezweifelt werden, dass das „Kormoranproblem“ nachhaltig durch derartige Kormoranverordnungen oder Abschussge- nehmigungen auf Länderebene zu lösen ist. Im besten gefährdete Fischarten. Solche zusätzlichen Verluste Fall kann man damit die Vögel von besonders gefähr- durch den Kormoran können dann zu nicht kompen- deten Gewässern bzw. Gewässerabschnitten durch den sierbaren Bestandseinbußen führen. Was zusätzlich Vergrämungseffekt fernhalten. Ein Bestandsmanage- dazu beiträgt, dass die Kormorane immer günstigere ment ist so wohl kaum zu erreichen. Ebenfalls illuso- Jagdbedingungen in den Wintermonaten vorfinden, risch ist es, durch gezielte Abwehrmaßnahmen (z. B. ist die Tatsache, dass die Fließgewässer immer später Spanndrähte, Netze, Scheuchen) die Tiere von Gewäs- zufrieren. Insbesondere nach Einleitung von gereinig- sern, die nicht der Fischzucht dienen, fernzuhalten. Es tem Abwasser aus Kläranlagen kann sich das Gewässer muss deshalb eine europaweite Lösung angestrebt wer- erheblich erwärmen und ist dann für die Vögel länger den. Der Kern des Problems ist, dass die Kormorane als Jagdrevier attraktiv. Nachweislich ist dies der Fall an in ihren Hauptbrutgebieten an der Nord- und Ostsee der Holtemme bei Silstedt, wo die geklärten Abwässer bessere Bedingungen zu ihrer Vermehrung vorfinden der Stadt Wernigerode die Holtemme auf einer relativ als je zuvor – aber dann im Winter im Binnenland auf langen Strecke „aufwärmen“. Gewässer treffen, deren Fischbestände auch ohne Kor- In kleinen und mittleren Gewässern sind zahlreiche moranprädation schon stark unter Druck sind (Kohl Fälle wissenschaftlich belegt, wo Kormorane innerhalb 2011). Das hat speziell in den Gewässern der Forellen-, von wenigen Jahren den Fischbestand betroffener Ge- Barben- und Äschenregion schwerwiegende Folgen für wässerabschnitte um sehr hohe Prozentwerte reduziert die Wildfisch-Populationen. haben (z. B. Wagner et al. 2008). Wertneutral und aus ökologischer Sicht betrachtet, ist das Kormoranproblem Auch in der Arbeit der Unteren Naturschutzbehörden lediglich ein Spezialfall der Räuber-Beute-Beziehung im in den Landkreisen spielten die Belange des Fischschut- kontinentalen Maßstab (Kohl 2011). Erst wenn die für zes bisher oftmals nur eine untergeordnete Rolle. Erst die Vögel erreichbaren Fischbestände signifikant we- als in der 1992 verabschiedeten FFH-Richtlinie der niger werden, steigt die Mortalität bei den Kormora- Europäischen Union auch Fischarten benannt wurden, nen und ihre Zahl sinkt, was aber bei den großflächig fokussierte sich das Interesse allmählich zumindest auf agierenden Vögeln auf absehbare Zeit nicht zutreffen diese „FFH-Arten“. Bei der Erarbeitung der Manage- dürfte. Das Problem besteht aus der Sicht des Fischar- mentpläne für die FFH-Gebiete werden die Erhaltungs- tenschutzes im Speziellen und des Naturschutzes im zustände dieser Arten durch vom Landesamt für Um- Allgemeinen darin, dass Kormorane schon jetzt den weltschutz Sachsen-Anhalt beauftragte Planungsbüros

68 erfasst und bei Notwendigkeit Maßnahmen zur Erhal- Im ehemaligen Landkreis Wernigerode hat der behörd- tung bzw. Verbesserung des Zustandes der jeweiligen liche Fischartenschutz schon eine lange Tradition. So Population entwickelt. wurden im Jahr 1985 die ersten Laichschongebiete für Allerdings sollte der Fischschutz nicht nur vor dem nicht kommerziell nutzbare Fischarten ausgewiesen Hintergrund der Natura 2000-Schutzgebietskulisse (Wüstemann 1985). Wenige Jahre später wurde auf beachtet werden. Die Gefährdungen der Fischfauna Initiative des Wildfisch- und Gewässerschutzvereins sind so gleichermaßen vielfältig wie alltäglich, z. B. Wernigerode durch den Kreistag am 05.04.1990 ein bei Baumaßnahmen an und in Gewässern. Hier gibt Kreistagsbeschluss zur „Gewährleistung eines naturna- es positive Beispiele. Aus der Sicht der Autoren erfolgt hen Ausbaus der Fließgewässer“ im Landkreis Werni- seit geraumer Zeit die Prüfung von entsprechenden gerode verabschiedet. Dieser beinhaltete Maßnahmen Beeinträchtigungen beispielgebend in den Unteren zur Erhaltung, Wiederherstellung und Förderung eines Naturschutzbehörden der Landkreise Wittenberg und naturnahen Zustandes der Fließgewässer, in der auch Harz. Aber auch andere Untere Naturschutzbehörden der Fischartenschutz angemessen berücksichtigt wird. und die Obere Naturschutzbehörde berücksichtigen Heute findet der Fischartenschutz im Landkreis Harz den Fischartenschutz bei der Festlegung von Ge- und sowohl bei der Wasser- als auch der Naturschutzbe- Verboten sowie Befreiungen in Schutzgebieten. Aller- hörde bei behördlichen Genehmigungen umfassende dings sind die Aktivitäten immer davon abhängig, ob Berücksichtigung. es in der jeweiligen Region sachkundige Personen gibt, Aus den Erfahrungen können zur Wahrnehmung des die als fachlich kompetente Ansprechpartner zur Verfü- Fischartenschutzes nachfolgende allgemeine Hand- gung stehen. So wurden z. B. von der UNB Wittenberg lungsempfehlungen abgeleitet werden: bei vielen Eingriffsmaßnahmen, die Gewässer berüh- - Für jede Maßnahme, die den Gewässerlebensraum ren, fischkundliche Gutachten gefordert. Dies betrifft betrifft, ist eine Einzelfallentscheidung notwendig. insbesondere die Planung von Brückenbauwerken im Dies betrifft sowohl Bau- und Unterhaltungsmaß- Rahmen von Straßenneubauten/ -sanierungen oder nahmen als auch Befischungen im Rahmen von Be- Hochwasserschutzmaßnahmen. So erfolgten z. B. im standskontrollen oder Hegemaßnahmen. Jahr 2007 bei der Planung einer Brücke über den Land- - Unerlässlich ist die Information über den bestehen- wehrkanal zur Erneuerung der Ortsdurchfahrt Trebitz den Fischbestand. Auskunft geben sachkundige Per- der B 187 Nachweise von Schlammpeitzgern, 2007 bei sonen, die Untere und die Obere Fischereibehörde, der Erneuerung der Straßenbrücke der K 2006 über den die Fischereiberechtigten (Angelvereine, Fischerei- Schweinitzer Fließ bei Buschkuhnsdorf Nachweise von betrieb) oder fischkundliche Gutachten. Bitterlingen, 2008 für die Verlegung der L 126 in Wit- - Je nach vorhandenem Fischbestand kann zum Bei- tenberg über den Faulen Bach an der Antoniusmühle spiel der Zeitraum der Arbeiten im Gewässer so ge- Nachweise von Bachneunaugen, 2008 bei der Verlegung legt werden, dass Laich- und Larvalzeiten ausgespart des Grabens 024 bei Melzwig im Zuge der Deichver- werden. Empfehlungen zur zeitlichen Einordnung legung Nachweise von Schlammpeitzgern und beim von Räumungsarbeiten in Gewässern, sowie Laich- Ersatz-Neubau der Straßenbrücke der L 124 über den und Larvalzeiten im Zusammenhang mit Arbeiten Krähebach in Reinsdorf-Dobien Nachweise von Bach- an Gewässern findet man zum Beispiel in den An- neunaugen (161 Individuen auf 50 Metern Bachstrecke, hängen 7 und 8 der vom Wasserverbandstag e. V. Abb. 2). herausgegebenen Broschüre „Gewässerunterhaltung Die ausführenden Bauunternehmen erhielten von der in Sachsen-Anhalt – Teil A: Rechtlich-fachlicher UNB die Auflage, in den beeinträchtigten Bereichen alle Rahmen“ (Wasserverbandstag e. V. 2012). Fische und Rundmäuler (nicht nur die FFH-Arten) abzu- fangen und umzusetzen. Derartige Maßnahmen lassen Im Rahmen von Bauarbeiten an Gewässern sind z. B. sich nicht nur an kleinen Fließgewässern durchführen. folgende spezielle Maßnahmen/ Verfahrensweisen an- Beim Neubau des Wehres (mit Fischaufstiegsanlage) geraten: an der Schwarzen Elster bei Herzberg im Bundesland - Bei Gewässerquerungen ist als Alternative eine Dü- Brandenburg in den Jahren 2007/2008 wurden aus den kerung zu prüfen, so dass das Gewässer im Wesent- gespundeten Bereichen 2.633 Fische geborgen und in den lichen unbeeinträchtigt bleibt. Fluss zurückgesetzt, darunter mit Rapfen und Bitterlin- - Dämme zum Wasserstau oder zur Wasserumleitung gen „FFH-Arten“ und mit Quappe, Hasel und Aland Ar- sollten grundsätzlich aus Sandsäcken errichtet wer- ten der Roten Liste Brandenburg (Zuppke 2008). den.

69 und arbeitstechnisch auf ein Mindestmaß zu be- schränken und möglichst außerhalb der Fischlaich- zeiten durchzuführen. Die zeitliche Einschränkung sollte konkret auf die im Gewässer vorkommenden Fischarten abgestimmt werden. Die Gewässersohle darf durch die Bauarbeiten nicht mehr als notwendig beeinträchtigt werden. Die ökologische Durchgän- gigkeit des Fließgewässers ist bei längeren Baupha- sen auch während der Bauarbeiten zu gewährleisten. - Falls im Rahmen der Bauarbeiten Teile des Gewäs- sers trockengelegt werden müssen, sind diese vor Beginn der Arbeiten abzufischen. Die Fische sind möglichst in einen anderen Bereich des selben Ge- wässers umzusetzen. Die dafür erforderliche Geneh- Abb. 3: Abfischung des Baubereiches vor Beginn der migung ist rechtzeitig durch den Vorhabensträger Arbeiten. Foto: P. Ritzmann. oder den Bauausführenden bei der Oberen Fische- reibehörde beim Landesverwaltungsamt (LVwA) in Halle zu beantragen. Das Abfischen und Umsetzen von Fischen sollte nur durch kompetente Personen - Arbeiten am Flusssediment bei fließendem Wasser mit ausreichender Artenkenntniss durchgeführt bergen die Gefahr der Sedimentabschwemmung und werden, um zu vermeiden, dass bei derartigen Ab­ sind deshalb ebenfalls aus Gründen des Fischarten- fischungen Kleinfische wie Bachneunaugen, Grop- schutzes nicht zulässig. Sollte eine Wasserhaltung pen oder Schlammpeitzger, aufgrund methodischer im Rahmen von Bauarbeiten notwendig werden, Fehler nicht mitgefangen und umgesetzt werden. hat diese so zu erfolgen, dass das schwebstoffhaltige Wasser aus der Wasserhaltung nicht direkt in das Eine weitere gravierende Gefährdungsursache für viele Gewässer eingeleitet wird. Das Wasser ist über Be- Fischarten ist die im Sinne des Fischschutzes unsach- cken, in dem sich die Schwebstoffe absetzen können gemäße Gewässerunterhaltung. Spezielle Festlegun- oder als Uferfiltrat einzuleiten. Durch die Einhaltung gen wie in der NSG-VO „Ohre-Drömling“, wo bspw. der vorgenannten Vorsichtsmaßnahmen können eine Vertiefung der Gewässersohle und eine stets vor Schäden am Fischbestand verhindert werden. Zum Durchlässen beginnende Sohlmahd (d. h. auch gegen Beispiel kann die Abschwemmung von sediment- haltigem Material durch Anlage von Erddämmen oder das Einleiten sedimenthaltiger Wässer aus der Abb. 4: Beispielgebende Wasserumleitung um den Wasserhaltung im Unterlauf zu Fischsterben (z. B. Baubereich mittels Sandsackstau. So wird die perma- Schädigung der Kiemen) führen bzw. wird das für nente Abschwemmung von Feinsediment während der einige Fischarten und deren Jugendstadien lebens- Bauarbeiten verhindert. Foto: O. Wüstemann. wichtige lückige Bodensediment durch Schwebstoffe versiegelt und ist so als Lebensraum für längere Zeit unbrauchbar. - Bei Betonarbeiten ist darauf zu achten, dass keine Schadstoffe in das Gewässer gelangen. Die Einleitung von betonhaltigen Wässern führte in der Vergangenheit häufig zu Fischsterben, was neben der Veränderung des pH-Wertes, insbesondere auf Zusätze, die die Aushärtung des Betons beschleuni- gen bzw. verlangsamen sollen, zurückzuführen ist. Die dem Beton zugesetzten Mittel sind in der Regel für Fische stark toxisch. - Um Beeinträchtigungen der Gewässerfauna zu mi- nimieren, sind Arbeiten im Gewässerbett zeitlich

70 Abb. 5: Bei der Grabenunterhaltung suchen Präda- Abb. 7: Bei der Entschlammung am Grieboer Bach/ toren, im Bild zwei Weißstörche, an einem frisch be- Lkr. Wittenberg wurden Bachneunaugen aus dem Aus- arbeiteten Feldgraben bei Elster/ Lkr. Wittenberg den hub geborgen. Foto: U. Zuppke. Aushub nach enthaltenen Nahrungstieren ab. Foto: U. Zuppke.

die Arbeitsrichtung) aus Gründen des Fisch- und Mu- bei Elster/ Lkr. Wittenberg bei einer „Nachlese“ hinter schelschutzes getroffen wurden, sind bisher leider noch zwei Weißstörchen auf etwa 50 Meter Gewässerstrecke die Ausnahme. Untersucht man den frischen Aushub im Aushub immer noch 17 Schlammpeitzger (Abb. 6). bei Grabenunterhaltungsmaßnahmen, bevor Prädato- Bei der gegenwärtig angewandten Praxis lässt sich dies ren (Krähen, Möwen, Reiher, Störche, …) ihn abgelesen kaum vermeiden, es sei denn, zwischen den UNB und haben (Abb. 5), stellt man fest, dass zahlreiche Wasser- Unterhaltungsverbänden wurden Pläne für eine diffe- lebewesen (Wasserkäfer und -wanzen, Libellenlarven, renzierte und zeitlich versetzte Bearbeitung der Gewäs- Schnecken und Muscheln) mit auf das Ufer befördert ser festgelegt. In anderen Fällen kann bei rechtzeitiger werden. In vielen Fällen finden sich aber auch Fische in Terminabsprache eine Absuche des Aushubes durch diesem Aushub, z. B. Schmerlen und Bachneunaugen befähigte Personen erfolgen, wie es z. B. in den Jah- aus Bächen oder Schlammpeitzger und Zwergstichlinge ren 2009 und 2010 bei der Entschlammung am Grie- aus Gräben. So fanden sich z. B. an einem Feldgraben boer Bach geschah und dadurch eine größere Anzahl an Bachneunaugen(larven) geborgen werden konnte (Abb. 7). Ähnlich gute Erfolge brachte die mit dem Abb. 6: Oftmals werden mit dem Aushub auch Unterhaltungsverband Großer Graben abgestimmte Schlammpeitzger auf das Ufer befördert. Absuche des bei der Grabenräumung ausgebrachten Foto: U. Zuppke. Aushubs. Bei allen Unterhaltungsmaßnahmen, die unterhalb der Wasserlinie stattfinden (z. B. Grundräumungen, Sohl- krautung, Ufersicherung) sollte im Einzelfall geprüft werden, ob eine Abfischung und Umsetzung der Fische aus Gründen des Fischartenschutzes notwendig ist. Die entsprechende Vorgehensweise wurde bereits bei Maßnahmen im Rahmen von Bauarbeiten in Gewäs- sern beschrieben. Der Zeitpunkt der Unterhaltung ist, sofern keine anderen Gründe vorliegen, ebenfalls an die Laichzeiten der im Gewässer vorkommenden Arten anzupassen. Im Verbandsgebiet des Unterhaltungsver- bandes Ilse/ Holtemme werden bereits vor den Unter-

71 Abb. 8: Grundräumung an einem Graben im Ober- Abb. 9: Arbeiten mit dem Mähkorb an einem Graben harz. Foto: O. Wüstemann. im Großen Bruch – Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen werden auch bei diesen Arbeiten Schlammpeitzger und andere Fische mit erfasst und an Land geworfen. Foto: O. Wüstemann.

haltungsvorhaben, im Rahmen der turnusmäßigen Ge- haltungsarbeiten von September bis Dezember, an Ge- wässerschauen, Abfischmaßnahmen festgelegt (Abb. 8). wässern in denen mit Schlammpeitzgern zu rechnen ist, Der Wildfisch- und Gewässerschutz e. V. Wernige- angestrebt. Die mit dem Aushub ausgeworfenen Fische, rode übernimmt in der Regel in Abstimmung mit Muscheln und andere Kleintiere werden per Hand abge- dem örtlichen Fischereiberechtigten die Abfischung lesen und wieder in den Graben zurückgesetzt. und Umsetzung der Fische. Beispielsweise konnte so Im Jahr 2012 wurde erstmals die ökologische Begleitung 2013 im Sellegraben, in der Ortslage Hasselfelde, vor der Arbeiten durch die Untere Naturschutzbehörde des den Unterhaltungsarbeiten eine erhebliche Anzahl an Landkreises Harz in Absprache mit dem Unterhaltungs- Bachforellen, Schmerlen und Edelkrebsen abgefischt verband Großer Graben organisiert. Da die Schlamm- und umgesetzt werden. Für das Verbandsgebiet des peitzger an einigen Gewässerstrecken nur punktuell Unterhaltungsverbandes Großer Graben wurden 2011 und meist in geringer Zahl vorkommen, ist eine Rettung ‒ auf der Grundlage einer durch den Landkreis Harz in jedes einzelnen Individuums wertvoll für die Erhaltung Auftrag gegebenen und durch ELER-Mittel finanzier- der lokalen Population. Aber nicht nur die fachliche Be- ten Projektstudie ‒ Unterhaltungsempfehlungen für gleitung der Unterhaltungsmaßnahmen, sondern auch Gräben mit Schlammpeitzgerbesatz erarbeitet. Diese der Informationsaustausch zwischen Verantwortli- Empfehlungen sind seitdem Grundlage für die Unter- chen und Mitarbeitern vor Ort sind wichtig und von haltungsarbeiten. Gewässerunterhaltungsmaßnahmen, Bedeutung für den Erfolg. Schlammpeitzger graben sich wie Grundräumung mittels Bagger und die Sohlkrau- in der Regel sofort nachdem sie mit dem Aushub an tung mittels Mähkorb erfolgen je nach Verkrautungs­ Land geworfen werden in den feuchten Schlamm ein grad frühestens ab 1. September bis maximal Novem- und kommen erst später wieder an die Oberfläche. Die ber/ Dezember (Abb. 9). Erfahrungen haben gezeigt, dass deshalb der Einsatz Es wird eine möglichst hohe Varianz der zeitlichen von zwei Personen sinnvoll ist, wobei die erste ständig Pflegeabstände angestrebt. Außerdem verbleibt eine den Bagger begleitet und die zweite mehrfach den Un- mindestens 20 Zentimeter starke Sedimentschicht bei terhaltungsbereich absucht (Ritzmann 2012). Selbst der Grundräumung und Sohlkrautung im Gewässer. die Nachsuche am Folgetag kann bei günstigen Witte- Da eine Elektrobefischung und Umsetzung der Fische rungsverhältnissen noch erfolgreich sein. vor den Unterhaltungsmaßnahmen aufgrund der Länge Sinnvoll erscheint auch die Gestaltung von Ersatz- der Unterhaltungsstrecken nicht realisierbar ist, wird lebensräumen, wie der Bau von gewässerbegleiten- eine durchgängige ökologische Begleitung der Unter- den „Grabentaschen“, die nicht der turnusmäßigen

72 Dies gilt auch für autochthone Edelkrebsbestände, die auf diese Weise vor Besiedlung mit anderen Krebsarten, die Überträger der Krebspest sind, geschützt werden können (Abb. 11). Befischungen im Rahmen von Bestandskontrollen oder Hegemaßnahmen sollten zumindest in Schutzgebieten ausschließlich mit fischschonenden batteriebetriebenen Elektrofischgeräten mit geglättetem Gleichstrom und geringer Restwelligkeit durchgeführt werden. Sich jähr- liche wiederholende „Hegebefischungen“ in Schutzge- bieten können aus Gründen des Fischartenschutzes nur die Ausnahme sein. Die Anwendung der Elektrofischerei in Gewässern mit Edelkrebsbeständen sollte nur von besonders befähig- Abb. 10: Aufgrund einer unsachgemäßen Abfischung ten Personen durchgeführt werden, da die Tiere unter und unterlassener Nachsuche sind mehrere hundert zu starkem Einfluss des elektrischen Feldes durch Auto- Bachneunaugen, Schmerlen und Elritzen im Sediment tomie ihre Scheren abwerfen können (Bohl 1987). Nach verendet – vgl. auch Abb. 6. Foto: O. Wüstemann. Troschel & Wetzlar (1990) sollte in Gewässern mit Krebsbeständen nur eingeschränkt gefischt werden, vorzugsweise im Juli und dann nur mit Gleichstrom. Die Durchführung der Elektrobefischung im Rahmen von jährlichen „Hegebefischungen“ oder Bestandskon- Unterhaltung unterliegen. Bei der Sohlkrautung mit trollen ist in Gewässern mit Edelkrebsbestand aus Ar- Krautschneideboot sollte der Schnitt der Gewässerve- tenschutzgründen nicht zu verantworten. getation in mindestens zehn Zentimetern Abstand zur Gewässersohle erfolgen. Es ist grundsätzlich mit dem Krautschneideboot stromaufwärts zu arbeiten, damit verdriftete Tiere nicht zweimal erfasst werden können. Abb. 11: Brückenrekonstruktion mit „Krebssperre“ Eine nicht auf den ersten Blick zu erkennende Gefähr- am Allerbach im Landkreis Harz. Die Schwelle soll dungsursache für die Gewässerfauna ist die Tatsache, verhindern, dass Amerikanische Flusskrebse aus der dass Oberflächenentwässerungen zu einem großen Rappbode-Vorsperre Trautenstein in den als poten- Teil auch heute noch nicht in der Kläranlage enden, ziellen Edelkrebslebensraum ausgewiesenen Oberlauf sondern in Oberflächengewässern. Das birgt natürlich des Baches eindringen können. Die zum Laichen aus immer die Gefahr, dass Wasserschadstoffe über die der Talsperre in den Oberlauf ziehenden Bachforellen Oberflächenentwässerung bewusst oder unbewusst in können die Schwelle ohne Probleme überwinden. Foto: die Gewässer gelangen und hier zu Fischsterben führen O. Wüstemann. können. Deshalb sollte insbesondere bei der Neuanlage von Gewerbegebieten darauf geachtet werden, dass die Oberflächenentwässerung nicht ungeklärt in die Ge- wässer abgeleitet wird. Auch wenn heute die ökologische Durchgängigkeit im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichlinie gefordert ist, darf dies aus der Sicht des Fischartenschutzes nicht als Dogma angesehen werden. Zum Schutz von genetisch eigenständigen „Lokalrassen“ sollten in berechtigten Ausnahmefällen Wanderhindernisse, zumindest zeit- weise, erhalten werden, um eine Vermischung mit gene- tisch undifferenzierten Besatzfischen zu verhindern. So können zum Beispiel autochthone Bachforellenpopula- tionen in Bachoberläufen vor Vermischung mit gene- tisch undifferenzierten Besatzfischen geschützt werden.

73 Insgesamt wäre es wünschenswert, dass alle Unteren Ritzmann, P. (2012): Begleitung der Unterhaltungsarbeiten am Naturschutz- und Wasserbehörden des Landes trotz der Faulen Graben/ Oberer Beiläufer im LSG „Großes Bruch“. ‒ Vielzahl ihrer Aufgaben auch den Fischschutz in ihre Halberstadt (UNB Harz). ‒ Unveröff. Praktikumsbericht. Ritzmann, P. (2013): Kormoranmanagement in Sachsen- Tätigkeit stärker mit einbeziehen. Zum einen würden Anhalt – Zur Notwendigkeit von Maßnahmen nach § 45 sie bessere Kenntnis über die Bestands- und Gefähr- Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz. – Wernigerode (Hoch- dungssituation der einzelnen Fischarten in ihrem Ge- schule Harz). ‒ Bachelor-Arb.: 65 S. biet erhalten und zum anderen könnten vielerorts die Troschel, H. J. & H. J. Wetzlar (1990): Auswirkungen von negativen Beeinträchtigungen der Fischfauna zumin- elektrischen Fischfanggeräten auf Flusskrebse. ‒ Fischöko- logie Aktuell 2 (1): 9‒10. dest vermindert werden. Wagner, F., W. Schmalz & M. Görner (2008): Zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo) auf den Fischbestand der Ulster (Thüringen). – Artenschutzreport 22: 1–10. Literatur Wasserverbandstag e. V. (Hrsg.) (2012): Gewässerunterhal- tung in Sachsen-Anhalt – Teil A: Rechtlich-fachlicher Rah- Bohl, E. (1987): Probleme und Möglichkeiten des angewand- men. ‒ Hannover. ten Artenschutzes am Beispiel der Flusskrebse. ‒ Fischer & Wüstemann, O. (1985): Schutz der einheimischen Fischfau- Teichwirt 8: 242‒246. na durch die Einrichtung von Laichschonbezirken. – Zeit- Dornbusch, G. & S. Fischer (2010): Nahrungsuntersuchun- schrift der Binnenfischerei der DDR 35: 309‒310. gen an Kormoranen in Sachsen-Anhalt. ‒ Naturschutz im Wüstemann, O. (1989): Biotopschutz für Fische im Kreis Land Sachsen-Anhalt 47 (1+2): 16‒25. Wernigerode ‒ Aus der Arbeit der Fachgruppe Wildfische. Ebel, G. (2012): Zum Einfluss des Kormorans (Phalacroco- ‒ Materialien zur II. Zentralen Tagung des Zentralen Ar- rax carbo sinensis) auf Fischbestände in Fließgewässern beitskreises Ichthyofaunistik der GNU: 66‒69. Sachsen-Anhalts. ‒ Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt Wüstemann, O. (1990): Fischverluste durch Wasservögel und 49 (1+2): 26‒39. Aspekte der Schadensverhütung. – Falke 37: 217‒223. Engelke, D. (1988): Versuch einer qualitativen Bestandserfas- Wüstemann, O. (2003): Zur Nahrung des Kormorans (Pha- sung der Fischfauna im Kreis Haldensleben. ‒ Deutscher lacrocorax carbo) in Sachsen-Anhalt. – Ornithologischer Angelsport der DDR 40 (2): 36‒44. Jahresbericht des Museums Heineanum 21: 39‒45. Kammerad, B., O. Wüstemann & U. Zuppke (2004): Rote Lis- Zuppke, U. (1986): Bemühungen zur Erfassung und zum te der Fische und Rundmäuler (Pisces et Cyclostomata) des Schutz der Süßwasserfischfauna im Bezirk Halle. ‒ Natur- Landes Sachsen-Anhalt, unter Berücksichtigung der Wan- schutzarbeit in den Bezirken Halle und Magdeburg 23 (2): derarten. ‒ Berichte des Landesamtes für Umweltschutz 9‒14. Sachsen-Anhalt 39: 149‒154. Zuppke, U. (2004): Folgen einer Biberbesiedlung für die Fisch- Kammerad, B., J. Scharf, S. Zahn & I. Borkmann (2012): fauna des Fliethbaches/ Dübener Heide. – Naturschutz im Fischarten und Fischgewässer in Sachsen-Anhalt. Teil I: Die Land Sachsen-Anhalt 41 (1): 45‒49. Fischarten. ‒ Ministerium für Landwirtschaft und Zuppke, U. (2008): Ergebnis der Abfischung eines gespundeten Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.). ‒ Magde- Bereiches der Schwarzen Elster am Wehr Herzberg. ‒ Hal- burg: 239 S. le. ‒ Büro Myotis (Auftraggeber). ‒ Unveröff. Bericht: 4 S. Kammerad, B., S. Ellermann, J. Mencke, O. Wüstemann u. 1 Anl. & U. Zuppke (1997): Die Fischfauna von Sachsen-Anhalt. Zuppke, U., O. Wüstemann & J. Mencke (1992): Rote Liste Verbreitungsatlas. ‒ Ministerium für Raumordnung, der Fische und Rundmäuler des Landes Sachsen-Anhalt. Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen- ‒ Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen- Anhalt (Hrsg.). ‒ Magdeburg: 179 S. Anhalt 1: 19‒21. Kohl, F. (2011): Kormorane und Fische, Naturschutz und Fischerei. Fakten und Argumente zu einem lösbaren Pro- blem. ‒ Österreichs Kuratorium für Fischerei und Gewäs- serschutz (Hrsg.). ‒ Wien: 166 S. Anschriften der Autoren Mann, H., T. Zuna-Kratky & G. Lutschinger (1995): Be- standsentwicklung und Nahrungsökologie des Kormorans Dr. Uwe Zuppke (Phalacrocorax carbo) an der Donau östlich von Wien im Heideweg 1a · 06886 Lutherstadt Wittenberg Hinblick auf fischereiliche Auswirkungen. ‒ Österr. Fische- E-Mail: [email protected] rei 48: 43‒53. Paepke, H.-J. (1981): Die gegenwärtige Situation der Süßwas- serfischfauna in der DDR. ‒ Archiv für Naturschutz und Otfried Wüstemann Landschaftsforschung 21 (3): 113‒130. Nationalpark Harz Preuss, D. (2002): Nahrungsökologische Untersuchungen Lindenallee 35 · 38855 Wernigerode zum Einfluss des Kormorans (Phalacrocorax carbo sine- E-Mail: [email protected] nensis) auf die Fischerei im Küstenbereich Vorpommerns. ‒ Naturschutzarb. Meckl.-Vorpomm. 45: 57‒67.

74 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 75–79

Informationen

Übersicht der im Land Sachsen-Anhalt nach 2 Kernzonen/Totalreservate (TR) Naturschutzrecht geschützten Gebiete und Objekte und Informationen zu im Jahr 2012 Im 2012 verordneten NSG „Stollensystem Büchenberg erfolgten Veränderungen bei Elbingerode“ (NSG0392) besteht ein Totalreservat, das ebenfalls in das Naturschutzregister aufgenommen Inge Haslbeck wurde.

Gemäß Paragraph 18 Absatz 1 NatSchG LSA wird im 3 Landschaftsschutzgebiete (LSG) Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU), der Fachbehörde für Naturschutz, das Naturschutzre- Das LSG „Saaletal“ (LSG0034HAL) wurde im Bereich gister für das Land Sachsen-Anhalt geführt. der Stadt Halle überarbeitet und im Oktober 2012 neu Die Fachdaten für die nach Naturschutzrecht geschütz- verordnet. Damit blieb die Anzahl der Landschafts- ten Gebiete und Objekte des Landes Sachsen-Anhalt schutzgebiete Sachsen-Anhalts im Jahr 2012 unverän- werden mit den Naturschutzbehörden jeweils zum dert, die Gesamtflächengröße stieg um 12 Hektar. Jahresende abgeglichen. Die Tabelle 1 gibt eine statistische Übersicht der nach 4 Naturparke (NUP) Naturschutzrecht geschützten Gebiete und Objekte des Landes Sachsen-Anhalt mit Stand 31.12.2012. Zum Ende des Jahres 2012 wurde der Naturpark „Harz/ Sachsen-Anhalt (Mansfelder Land)“ (NUP0008LSA) Änderungen im Bestand der Schutzgebiete nach nach einjähriger Planung verordnet. Der Naturpark Landesrecht im Jahr 2012 umfasst eine Fläche von etwa 25.600 Hektar, liegt im Unterharz und im östlichen Harzvorland und schließt 1 Naturschutzgebiete (NSG) direkt an den seit 2003 bestehenden NUP „Harz/Sach- sen-Anhalt“ (NUP0004LSA) an. Im Dezember 2011 wurde das NSG „Teufelsmauer“ (NSG0064) im Landkreis Harz unter dem gleichen 5 Naturdenkmale (NDF, FND) Code neu verordnet. Das NSG heißt nun „Teufelsmauer und nordöstlich Thale“. Seine Fläche wurde von Im Landkreis Wittenberg wurden 2012 die NDF „Ham- 146 auf 198 Hektar erweitert. Diese Änderung trat im mer-Luch bei Löben“ (NDF0024WB), „Waldmeister- Januar 2012 in Kraft. Die Historie der Unterschutzstel- Buchenwald nördlich von Stackelitz“ (NDF0025WB) lung der „Teufelsmauer“ ist in LAU (2003) nachzulesen. und „Erlenbruchwald zwischen Hundeluft und Brä- Demnach gab es bereits eine Verordnung zur Erhaltung sen“ (NDF0026WB) verordnet. Mit den entsprechen- der „Teufelsmauer“ vom 02.06.1833. den Verordnungen treten gleichzeitig die FND „Gelbes Mit dem Inkrafttreten der Verordnungen zu den NSG Loch Löben“ (FND0019WB), „Umgebung der Kirchen­ „Bielsteinhöhlengebiet bei Rübeland“ (NSG0389) im ruine Schleesen“ (FND0030AZE) und „Nachthainichte“ August 2012 und „Stollensystem Büchenberg bei Elbin- (FND0028AZE) außer Kraft. gerode“ (NSG0392) im Oktober 2012, beide ebenfalls Außerdem ist im Bereich der Stadt Dessau-Roßlau die im Landkreis Harz, hat sich die Anzahl der NSG auf einstweilige Sicherstellung für das NDF „Bläulings- 198 erhöht. wiese Sollnitz“ (NDF0021DE) ausgelaufen.

75 Tab. 1: Statistische Übersicht der im Land Sachsen-Anhalt nach Naturschutzrecht geschützten Gebiete und Objekte (Stand: 31.12.2012).

Geschützte Gebiete und Objekte Anzahl Fläche1 [ha] Landesfläche2 [%] nach internationalem Recht FFH-Gebiete (FFH) 265 179.726 8,77 Europäische Vogelschutzgebiete (SPA) 32 170.611 8,32 Feuchtgebiete internationaler Bedeutung (FIB) 3 15.134 0,74 nach Landesrecht Naturschutzgebiete (NSG) 198 65.964 3,22 Einstweilig sichergestellte Erweiterungen bestehender NSG 0 0 0,00 Einstweilig sichergestellte NSG 0 0 0,00 Nationalparke (NP) 1 8.927 0,44 Kernzonen/Totalreservate (TR) – im NP 14 2.914 0,14 – in 34 bestehenden NSG 65 4.922 0,24 Biosphärenreservate (BR) 3 155.858 7,60 Landschaftsschutzgebiete (LSG) 82 680.454 33,19 Einstweilig sichergestellte Erweiterungen bestehender LSG 0 0 0,00 Einstweilig sichergestellte LSG 2 14.102 0,69 Naturparke (NUP) 7 486.446 23,73 Naturdenkmale – flächenhafte Naturdenkmale (NDF)3 147 474 0,02 – Flächennaturdenkmale (FND)4 698 – – – Einzelobjekte (ND) 1.815 – – Einstweilig sichergestellte Naturdenkmale – NDF3 0 0 0,00 – ND 1 – – Geschützte Landschaftsbestandteile – Geschützte Landschaftsbestandteile (GLB) 65 1.816 0,09 – Baumschutzverordnungen und -satzungen (BA) 368 – – Einstweilig sichergestellte Geschützte Landschaftsbestandteile – GLB 2 3.091 0,15 – BA 0 – – Geschützte Parks (GP)4 201 – – im Verfahren Naturschutzgebiete (NSG) 5 19.157 0,93 Nationalparke (NP) 0 0 0,00 Biosphärenreservate (BR) 0 0 0,00 Landschaftsschutzgebiete (LSG) 4 47.093 2,30 Naturparke (NUP) 0 0 0,00 Naturdenkmale – flächenhafte Naturdenkmale (NDF) 1 2 0,00 – Einzelobjekte (ND) 3 – – Geschützte Landschaftsbestandteile – Geschützte Landschaftsbestandteile (GLB) 7 3.231 0,16 – Baumschutzverordnungen und -satzungen (BA) 0 – –

1 Alle Flächenangaben sind per GIS ermittelt, für einige Schutzgebietskategorien (FND, GP, ND, BA) sind keine Flächenangaben möglich. 2 Landesfläche = 20.500 km² 3 nach dem 1.7.1990 (Inkrafttreten des BNatSchG in den neuen Bundesländern) ausgewiesen 4 vor dem 1.7.1990 unter Schutz gestellt Durch Überlagerungen von Schutzgebietskategorien auf derselben Fläche (FFH, SPA, FIB, NSG, NP, BR, LSG, NUP, NDF, GLB) kann die ge- schützte Gesamtfläche Sachsen-Anhalts nicht durch Addition der Einzelpositionen dieser Tabelle ermittelt werden.

76 6 Geschützte Landschaftsbestandteile (GLB) wicklungsplänen, Gutachten und anderen Arbeiten mit Bezug zu Schutzgebieten vor. Diese Tabelle kann unter Zur Überführung in nationales Recht wurden die folgender Internet-Adresse eingesehen werden: FFH-Gebiete „Kuhschellenstandort bei Recklin- http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Element- gen“ (FFH0260LSA) und „Salzstelle Wormdorf“ bibliothek/Bibliothek_Politik_und_Verwaltung/Bi- (FFH0202LSA) als GLB „Kuhschelle Recklingen“ bliothek_LAU/Naturschutz/Schutzgebiete/Dateien/ (GLB0004SAW) und „Wormsdorfer Salzwiesen“ PEP_mai2013.pdf. (GLB0001BK) verordnet. In diesem Zusammenhang Darüber hinaus sind die Managementpläne (MMP) für wurden die FND „Kuhschelle Recklingen“ (FND die NATURA 2000-Gebiete im Internet unter folgen- 0025SAW) und „Torflöcher“ (FND0057BOE) gelöscht. der Adresse verfügbar: http://www.sachsen-anhalt.de/ Aufgrund der hohen ökologischen Wertigkeit wurden index.php?id=45444. im Jahr 2012 weiterhin die GLB „Kalkschotterhalde Drachenberg“ (GLB0004BK) und „Park Meineweh“ (GLB0046BLK) verordnet. Die einstweilige Sicherstel- Literatur lung des GLB „Pfeiffengraswiese bei Günthersdorf“ (GLB0056SK) von 2011 wurde erst im Jahr 2012 in das LAU – Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Hrsg.) (1997): Die Naturschutzgebiete Sachsen-Anhalts. – Naturschutzregister aufgenommen. Jena (Gustav Fischer Verlag): 543 S. LAU – Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 7 Vertragliche Vereinbarungen (VEN) (Hrsg.) (2003): Die Natur- und Landschaftsschutzgebiete Sachsen-Anhalts. Ergänzungsband: 457 S. Zur nationalen Umsetzung des Schutzgebietssystems Natura 2000 kann entsprechend Paragraph 32 Absatz 4 BNatSchG auf Unterschutzstellung nach Landesrecht Anschrift der Autorin verzichtet werden, wenn vertragliche Vereinbarungen einen gleichwertigen Schutz gewährleisten. Seit 2012 Inge Haslbeck werden diese Vertraglichen Vereinbarungen als eigen- Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt ständige Kategorie im Naturschutzregister geführt. In Fachbereich Naturschutz der Tabelle 1 sind sie nicht dargestellt. Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) E-Mail: [email protected] 8 Hinweise zu Pflege- und Entwicklungsplänen, Managementplänen, Gutachten und anderen Arbeiten mit Bezug zu Schutzgebieten

Das im LAU geführte Archiv wissenschaftlicher Ar- beiten zu Schutzgebieten wird laufend aktualisiert. Es liegt zurzeit eine Liste mit 371 erfassten Pflege- und Ent-

77 Das Vorkommen des Dunklen Wiesenknopf- zeigten, dass sich bereits die Bestände der Feuchtezei- Ameisenbläulings im FFH-Gebiet „Feuchtwiese gerarten Großer Wiesenknopf, Bertram-Schafgarbe, bei Dobien“ (Landkreis Wittenberg) Faden-Binse, Langblättriger Blauweiderich, Aufstei- gende Gelb-Segge, Wiesen-Segge, Wassernabel und Uwe Zuppke Kümmel-Silge stabilisiert haben und die Anzahl der Pflanzenarten im Vergleich zu den Vorjahren ange- Im soeben erschienenen Handbuch der FFH-Gebiete stiegen ist (Kase 2004). Sachsen-Anhalts (Jentzsch & Reichhoff 2013) Obwohl im Jahr 2012 der Große Wiesenknopf (Sangu- wird für das FFH-Gebiet „Feuchtwiese bei Dobien“ isorba officinalis) nur in einer geringen Anzahl von etwa (FFH0250LSA) angegeben, dass keine Kenntnisse zur zehn Stauden blühte, konnten vom Verfasser am 10. Juli Fauna vorliegen. Daher erscheint es angebracht, über 2012, einem sonnigen Tag, an den Blüten dieser Stauden das dortige Vorkommen einer gefährdeten Tagfalterart bis zu fünf Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläulinge zu informieren. Herrn Dr. Hünefeld (UNB Wittenberg) (Maculinea nausithous) festgestellt werden. Sie saßen gebührt Dank für die Überlassung von Informationen stets sehr lange mit zusammengeklappten Flügeln nek- aus unveröffentlichten Berichten der Behörde. tarsaugend auf den Blüten, so dass fast immer nur die Das FFH-Gebiet liegt als grundwasserbeeinflusster graubraunen Flügelunterseiten mit den bogenförmig Grünlandkomplex umgeben von Kiefernforsten in gereihten schwarzen, hell gerandeten Punkten zu se- einer Niederung nordöstlich von Reinsdorf-Dobien hen waren. Es konnten auch mehrere flache Erdnesthü- im Roßlau-Wittenberger Vorfläming und wurde per gel von im Boden lebenden Knotenameisen (Myrmica 11.04.2007 zum Naturdenkmal „Feuchtwiese bei Reins- spec.) gefunden werden, die vermutlich von den myr- dorf-Dobrien“ (NDF0013WB) erklärt (Kreisverwal- mikophilen Bläulingen als Wirtsameisen genutzt wer- tung WB 2007). Diese Wiese hat das Potenzial einer den. Es stellte sich heraus, dass diese Beobachtung eine artenreichen Feuchtwiese, die jedoch teils durch Über- aktuelle Bestätigung der Feststellungen von Ph. Lausch nutzung, teils durch Nutzungsaufgabe total degradiert im Jahr 2010 war, der bereits vom 08.07. bis 10.08. 2010 war. Im Rahmen eines Modellprojektes (Darmer o. J.) mehrfach ein bis vier, maximal sogar 15 Schmetterlinge soll hier durch zielgerichtete Pflegemaßnahmen ein dieser Art dort beobachtet hatte (Lausch 2010), so dass strukturreicher und differenzierter Nasswiesenbestand das Vorkommen eines kleinen, bisher aber stabilen Be- entwickelt werden. Die jährlichen Erfolgskontrollen standes dieses Tagfalters angenommen werden kann.

Abb. 1: Feuchtwiese bei Dobien/Lkr. Wittenberg. Foto: U. Zuppke.

78 Abb. 2: Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling auf Abb. 3: Bodennest der Knotenameise Myrmica spec. der Feuchtwiese Dobien an der Blüte vom Großen Wie- Foto: U. Zuppke. senknopf nektarsaugend. Foto: U. Zuppke.

Von dem in der Roten Liste Sachsen-Anhalt (Schmidt Jentzsch, M. & L. Reichhoff (2013): Handbuch der FFH-Ge- et al. 2004) in der Gefährdungskategorie 1 („Vom Aus- biete Sachsen-Anhalts. – Landesamt für Umweltschutz sterben bedroht“) eingestuften Falter gibt es im Land- Sachsen-Anhalt (Hrsg.). – Halle (Saale): 616 S. Kase, D. (2004): Erfolgskontrollen auf Wiesenflächen bei kreis Wittenberg nur ganz vereinzelte Vorkommen. Dobien und am Küchenholzgraben. – UNB Wittenberg Schmidt (2001a) nennt nur zwei „Flugplätze“ dieser (Auftraggeber). – Unveröff. Bericht. Art im Wittenberger Vorfläming aus den neunziger Landkreisverwaltung WB (2007): Verordnung des Land- Jahren sowie je einen aus dem Elbe-Elster-Tiefland kreises Wittenberg zur Festsetzung des flächenhaften Na- und der Oranienbaumer Heide, erwähnt aber eines turdenkmals „Feuchtwiese bei Reinsdorf-Dobien“. – Das Amtsblatt für den Landkreis Wittenberg vom 28. April mit „deutlich geringeren Individuendichten“ am nörd- 2007. lichen Stadtrand von Wittenberg (Schmidt 2001b). Lausch, Ph. (2010): Bericht über die Beobachtung von Macu- Lausch (2010) nennt noch ein aktuelles Vorkommen linea nausithous am nördlichen Stadtrand der Lutherstadt bei Nudersdorf. Ein ehemaliges im Grützmühlmoor bei Wittenberg. – UNB Wittenberg (Auftraggeber). – Unver- Wittenberg ist wohl erloschen. Der Förder- und Land- öff. Bericht. Schmidt, P. (2001a): Die Großschmetterlinge des Landkreises schaftspflegeverein Biosphärenreservat Mittlere Elbe Wittenberg. – Naturwissenschaftliche Beiträge des Muse- e. V. bearbeitet bis zum Jahr 2014 ein durch ELER- und ums Dessau 13: 4–214. Landesmitteln mit 80.000 Euro gefördertes Projekt mit Schmidt, P. (2001b): 3.1.3. Lepidoptera (Schmetterlinge). – In: dem Ziel, durch geeignete Pflegemaßnahmen an den be- Die Tier- und Pflanzenarten nach Anhang II der Fauna- kannten Vorkommens-Standorten die Bestände dieses Flora-Habitatrichtlinie im Land Sachsen-Anhalt. – Natur- schutz im Land Sachsen-Anhalt 38 (SH): 28–29. bedrohten Schmetterlings zu stabilisieren. Die Feucht- Schmidt, P., Ch. Schönborn, J. Händel, T. Karisch, J. wiese Dobien ist in dieses Projekt integriert und das Kellner & D. Stade (2004): Rote Liste der Schmetterlin- Vorkommen dieses Falters bestätigt worden (Krumm- ge (Lepidoptera) des Landes Sachsen-Anhalt. – Berichte haar mdl. Mitt.). des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39: 388–402. Literatur Anschrift des Autors Darmer, G. (o. J.): Wiesenpflege im Landkreis Wittenberg. Ein Dr. Uwe Zuppke Modellprojekt zur Pflege und Entwicklung von brachgefal- lenen Feuchtwiesen und Trockenrasen. – Faltblatt der Un- Heideweg 1a · 06886 Lutherstadt Wittenberg teren Naturschutzbehörde Wittenberg. E-Mail: [email protected]

79 Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 50. Jahrgang • 2013: 80–87

Mitteilungen

Ehrungen

Nachruf für Wolfram Weiner

(geb. 13. August 1942 ‒ gest. 24. September 2011)

Am 24. September 2011 verstarb für uns alle unerwar- tet Wolfram Weiner im Alter von 69 Jahren in Wolfen. Geboren wurde er am 13.08.1942 in Brandis bei Leipzig. In den Jahren von 1963 bis 1991 war Wolfram eines der aktivsten Mitglieder in der Fachgruppe „Ornithologie und Naturschutz Bitterfeld“ des Kulturbundes. Viele organisatorische und praktische Arbeiten liefen unter seiner Anleitung. Besonders intensiv beschäftigte er sich mit Greifvögeln und Eulen. Er pflegte auch ver- letzte Vögel bis zur Auswilderung. Auf dem Gebiet der Rupfungs- und Gewöllkunde war er ein ausgewiesener Fachmann. Zur Unterstützung der biologischen Schäd- lingsbekämpfung in der damaligen Oberförsterei Bit- terfeld betreute er in den 1960er und 1970er Jahren, zu- sammen mit anderen Fachgruppenmitgliedern, ca. 100 Nistkästen in Kiefernforsten. In Abstimmung mit der Forstverwaltung kartierten Mitglieder der Fachgruppe Landrat Uwe Schulze (links) verabschiedet Wolfram in den Jahren von 1983 bis 1985 im Muldeauenwald Weiner aus dem aktiven Dienst. Foto: K. Schöpke. Forst Salegast, auf einer Fläche von 255 Hektar, alle Spechthöhlen und Greifvogelhorste. Gefunden wurden insgesamt 1.338 Höhlen und 31 Horstbäume. Wolfram war für die Koordinierung und Materialbeschaffung alten Kiefernforstes, ein damaliger Baumfalkenbrut- zuständig. Für die Kennzeichnung der Höhlenbäume platz, ging auf seine Initiative zurück. wurden ca. 200 Kilogramm weiße Farbe verbraucht. Seit 1984 war er Mitglied im Kreisvorstand der „Gesell- Die markierten Bäume sind heute noch nach fast 30 schaft für Natur und Umwelt“ (GNU) in Bitterfeld. Bei Jahren zu erkennen und wurden bisher vom Holzein- der Herausgabe der zwei Bände der Publikation „Die schlag verschont. In einer stillgelegten Kiesgrube in der Vogelwelt des Kreises Bitterfeld“ (Kuhlig & Heinl Mosigkauer Heide, dem späteren FND „Feuchtgebiet 1983/84) arbeitete er mit. Wertvolle Zuarbeit leistete Marke“, wurden 1985 unter seiner Anleitung drei ca. er auch für den „Landschaftspflegeplan des Kreises 300 Quadratmeter große Amphibien-Laichgewässer Bitterfeld“ (1986), herausgegeben vom Rat des Kreises angelegt. Auch die Unterschutzstellung eines 120 Jahre Bitterfeld, Abt. Umweltschutz, Wasserwirtschaft und

80 Erholungswesen. Im Jahr 1987 übernahm er engagiert Peter Ibe zum 65. Geburtstag die wichtige Aufgabe des ehrenamtlichen Kreisnatur- schutzbeauftragten. Unter seiner Anleitung fanden Peter Ibe wurde am 22.01.1948 als zweites von vier Kin- regelmäßig Naturschutzhelferschulungen statt. Die dern in Wolmirstedt geboren. Die Verbindung zur Na- ehrenamtliche Naturschutzarbeit im Kreis lag jetzt in tur ‒ eine der Konstanten seines Lebens ‒ geht zurück seinen Händen. Viele Arbeitseinsätze der Naturschutz- bis in die früheste Kindheit; naturbegeisterte Eltern und helfer koordinierte er, oft ohne die gewünschte Unter- die Mitarbeit in der AG „Junge Naturforscher“, orga- stützung staatlicher Stellen. nisiert und gefördert durch den Klassenlehrer, legten Wolfram Weiner arbeitete als Tischler im ehemaligen bereits in den ersten Schuljahren den Grundstein dafür. Braunkohlenkombinat Bitterfeld. Am 12. Februar 1990 Sein Vater war neben der beruflichen Tätigkeit als Land- wechselte er zum damaligen Rat des Kreises Bitterfeld, wirt begeisterter ehrenamtlicher Ornithologe. Von ihm Abt. Umwelttechnik, Jagdwesen und Naturschutz. In lernte er nicht nur die Kennzeichen der heimischen den folgenden Monaten wirkte er, als ein langjähriger Singvögel, sondern auch Fang und artgerechte Haltung Kenner der Materie, mit am Aufbau der Strukturen der zahlreicher Arten in Gefangenschaft. Wurden verletzte neuen Kreisnaturschutzverwaltung des Landkreises oder flugunfähige Vögel im Ort gefunden, erfuhren die Bitterfeld. Es entstand das Amt für Naturschutz. Dort Pfleglinge bei Familie Ibe Aufnahme und fachmänni- arbeitete er bis zum 1. Oktober 2004. Zu seinem Arbeits- sche Betreuung. Schon damals konnte Peter Ibe auf gebiet gehörte die fachlich-organisatorische Vorberei- erste Erfolge bei der Zucht von schwierig zu züchtenden tung der Ausweisung von Schutzgebieten nach dem Taubenrassen und Zwerghühnern verweisen. Naturschutzgesetz. Mit einer beispielhaften Akribie Naheliegend war, dass Peter nach seinem Schulab- bereitete er z. B. den Flächenkauf von naturschutzrele- schluss eine Ausbildung als Geflügelzüchter begann. vanten Gebieten im ehemaligen Braunkohlen-Tagebau Nach Abschluss der Lehre nahm er eine Tätigkeit am Muldenstein vor. Unter seiner Mitwirkung wurden Institut für Geflügelzucht in Rottenau auf. Gemeinsam die Naturschutzgebiete „Schlauch Burgkemnitz“ und mit Dr. Christoph Kaatz wurde damals in Rottenau der „Tiefkippe Schlaitz“ ausgewiesen. Seine ruhige Art und Grundstein für den Aufbau einer Einrichtung zur Be- sein unschätzbarer Sachverstand machten ihn bei den treuung verletzter Weißstörche gelegt. Diese Station ist Mitarbeitern und den ehrenamtlichen Naturschutzmit- als „Storchenhof“ bis in die Gegenwart erhalten geblie- arbeitern sehr beliebt. Oft holte ich mir bei komplizier- ben. Bei den in großem Umfang durchgeführten Berin- ten Naturschutzfragen Rat und Auskunft bei ihm. Seine gungen von Greifvögeln und Weißstörchen übernahm ehemaligen Weggefährten, besonders die Mitglieder Peter den sportlichen Teil des Kletterns. Auf diese Weise der Fachgruppe „Ornithologie und Naturschutz“ so- profitierte die Wissenschaft vom Training des erfolg- wie die Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde, reichen Leichtathleten, der er in seiner Jugendzeit war. werden noch oft an ihn denken und somit in ständiger, Im Jahre 1966 legte Peter Ibe die Prüfung als Vogelbe- angenehmer Erinnerung behalten. ringer ab. Bereits im Alter von 18 Jahren fand damit sein umfangreiches Wissen über die Artenvielfalt der Manfred Richter heimischen Vogelwelt die öffentliche Anerkennung. Durch die Kontakte zum Ornithologischen Verein Paracelsusstraße 27 · 06766 Bitterfeld-Wolfen Zerbst lernte er Dr. Max Dornbusch kennen. 1962 übernahm Max Dornbusch die in Steckby gegründete Literatur Einrichtung der Akademie der Landwirtschaftswissen- schaften (AdL) der DDR, die 1970 Biologische Station Behrens, H. (Hrsg.) (2006): Lexikon der Naturschutzbeauf- wurde (Müller 2012). tragten. Band 2: Sachsen-Anhalt. – Naturschutzbeauftragte 1971 begann Peter in Dummerstorf bei Rostock ein von A–Z. Fachschulfernstudium mit dem Ausbildungsziel eines Richter, M. (2009): 60 Jahre Fachgruppe Ornithologie und landwirtschaftlich-technischen Assistenten. Peters ak- Naturschutz Bitterfeld-Wolfen. – NABU FG Ornitholo- gie und Naturschutz Bitterfeld-Wolfen (Hrsg.). tive Mitarbeit an Wochenenden und an freien Tagen erleichterte das Ausbringen von Nisthilfen für Störche im Gebiet Kyritz ‒ Gardelegen ‒ Calbe und war genauso unerlässlich bei der Beringung von ca. 500 Störchen im Laufe einiger Jahre. Wer weiß, welche Kondition der

81 integriert, in den 1980er Jahren verlegte man sie nach Buckow. Damals gab es kaum Erfahrungen mit der Ge- fangenschaftshaltung dieser größten flugfähigen Vögel Europas. Zum Großteil ist es Peter Ibe zu verdanken, dass 196 Großtrappen im Zeitraum von 1973 bis 1979 mit der Hand aufgezogen und ausgewildert werden konnten. Leider blieb der erwartete langfristige Erfolg aus, weil die Trappenvögel trotz aufopfernder Pflege in der Sta- tion dem Nutzungsdruck der zunehmend durch Inten- sivierung geprägten Landwirtschaft nicht gewachsen waren. Als dritte Domäne von Peters praktischer Tätigkeit ‒ Vogelhaltung und Ornithologie waren es schon ‒ ent- wickelte sich in engem Kontakt zu seinem Freund und Wegbegleiter Dr. Dietrich Heidecke, den er in der Bio- logischen Station kennenlernte, der Umgang mit dem Elbebiber. Schon 1973 wurden erste Biberfangaktionen notwendig, weil Lebensräumen des Bibers an der Mulde Zerstörung durch den Tagebau Goitzsche drohte. Auf diesem Gebiet, der Beobachtung der Biber in der Natur, dem vertraut werden mit ihrer Biologie und schließlich dem Biberfang, entwickelte Peter Ibe seine ureigene Passion. Dass er mit Fang und Ansiedlung der in vielen Landschaften und Ländern Mitteleuropas ausgerotte- ten Biber Neuland betrat, fand zunehmend Resonanz und Anerkennung in der Öffentlichkeit. Mit umfangreichem Wissen über heimische Tiere und Peter Ibe mit einem der von ihm aufgezogenen Jungbi- praktischer Erfahrung in der Naturschutzarbeit war ber und dem unentbehrlichen Zubehör: seiner Kamera. Peter Ibe prädestiniert, als erster hauptamtlicher Natur- Foto: privat. schutzwart im Bezirk Magdeburg berufen zu werden. Mit Wirkung vom 1. September 1979 beim Forstbetrieb Zerbst angestellt, blieb er seitdem dem Schutz der Natur nunmehr auch hauptamtlich verbunden. Gemeinsam Transport solcher Nisthilfen auf das Dach eines Hauses mit Dr. Uwe Wegener widmete er sich unter anderem erfordert, kann die Anstrengungen ermessen. der Erhaltung und Renaturierung der letzten, noch Ende der 1960er Jahre war der Bestand der Groß- verbliebenen Moore im Bezirk Magdeburg, wobei er trappe, einer nach dem Naturschutzgesetz der DDR Vogelschutz und Beringung nicht vernachlässigte. vom Aussterben bedrohten Art, Besorgnis erregend Aufgeschlossenheit, verbunden mit der Fähigkeit, Na- geschrumpft. Durch das Landwirtschaftsministerium turzusammenhänge mit eigenen, brillanten Bildern zu wurde der Aufbau einer Aufzuchtstation für Groß- erläutern, befähigten Peter, von 1983 bis 1989 als fach- trappen angeregt. In Steckby gab es bereits eine Bio- licher Leiter für das wissenschaftliche Profil des legen- logische Station, im angrenzenden Zerbster Ackerland dären Spezialistenlagers „La Passionaria“ der Jungen lebten Großtrappen und Peter Ibe war als erfahrener Naturforscher in Waren/Müritz Verantwortung zu Ornithologe bekannt und verfügte über das notwen- übernehmen. dige Fachwissen im Umgang mit heiklen Vogelarten. Zu den unerlässlichen Voraussetzungen für Tierfo- Es waren also wesentliche Voraussetzungen vorhanden, tografie gehören neben Geduld und Ausdauer auch Peters Erfahrungen für die Handaufzucht der empfind- Kenntnisse des Verhaltens der abzulichtenden Tierar- lichen Großtrappenküken zu nutzen. Was lag näher, als ten. Diese Eigenschaften besaß Peter Ibe bereits durch diese Station in Steckby anzusiedeln? Die Trappenauf- die Bekanntschaft mit Klaus-Jürgen Hofer, einem der zuchtstation wurde in die Biologische Station Steckby bekanntesten Tierfotografen der DDR. Dadurch erfuh-

82 ren die in ihm vereinten Begabungen sozusagen ihre Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Biosphären- Vollendung. Das Ergebnis waren herausragende Bilder reservates Mittelelbe wünschen einem der dienstältes- im Mittelformat sechs mal sechs Zentimeter. Diesem ten Naturschützer Sachsen-Anhalts, dass die Wünsche Hobby blieb Peter Ibe bis heute verbunden, wovon man für ein abwechslungsreiches Pensionärsleben jenseits sich im Bildarchiv des Biosphärenreservates überzeu- der Berufstätigkeit in Erfüllung gehen. gen kann. Viele davon fanden als Illustrationen in Bü- chern und Zeitschriften Eingang. Michael Unruh Der Beginn seiner Tätigkeit im Aufbaustab des Bio- sphärenreservates, gemeinsam mit Dr. Gerda Bräuer, Biosphärenreservatsverwaltung „Mittelelbe“ setzte mit dem 1. Juli 1991 ein. Hier baute Peter Ibe die PF 1382 · 06813 Dessau bereits gewonnenen Erfahrungen im Biberfang aus und E-Mail: [email protected] lehrte manchem Mitarbeiter der Naturwacht in langen Herbstnächten, dem Biber so zu folgen, dass die Fang- nacht zum Erfolg wurde. Mit Volkmar Zeißler hatte Literatur Peter Ibe bereits weit vor dieser Zeit einen der erfahrenen Müller, J. (2012): Dr. Max Dornbusch zum 80. Geburtstag. Bisamjäger kennengelernt, der Fang und Beobachtung ex – Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt 49 (1+2) : 77‒81. usu beherrschte. Als Angestellte der Wasserwirtschafts- betriebe sorgten Bisamfänger dafür, dass regulierend in den Bestand an Flüssen und vor allem Deichbauten eingegriffen wurde. Volkmar Zeißler gehörte zu denen, Dr. Lutz Reichhoff zum 65. Geburtstag die sich bereit erklärten, bei der notwendigen Erfassung der Biber an Saale, Mulde und Elbe mitzuarbeiten. Diese Am 26. Oktober 2013 vollendete Dr. rer. nat. sc. Lutz Initiative, den Schutz des Bibers auf einer wissenschaft- Reichhoff sein 65. Lebensjahr. Alle die ihn näher ken- lich fundierten Basis zu betreiben, ging von Dietrich nen wissen, dass diese Jahreszahl noch lange nicht sei- Heidecke aus und mündete in den Arbeitskreis zum nen Ruhestand einläuten wird. Wir nehmen dennoch Schutze des Bibers, dessen Aktivitäten und Ergebnisse gern diesen Tag zum Anlass, seine umfangreichen und mit dem Namen Peter Ibe bis heute verbunden sind. vielfältigen Leistungen im beruflichen und ehrenamt- Die zwischen Magdeburg und Schwarzer Elster gefan- lichen Wirken zu würdigen. genen Tiere leben inzwischen in den Niederlanden, in Lutz Reichhoff wurde im Jahr 1948 als Einzelkind in Dänemark und Teilen Deutschlands und begründeten Berlin geboren. Bereits 1950 übersiedelte die Familie nicht zuletzt den international geachteten Stand des aus persönlichen Gründen nach Dessau. Abgesehen von Artenschutzes. den ersten zwei Lebensjahren in Berlin und einigen aus- Peter Ibe hat in den vergangenen 40 Jahren praktischen bildungs- und berufsbedingten Abstechern nach Halle Naturschutz in der ihm eigenen unkonventionellen Art und Potsdam ist Lutz als „Alter Dessauer“ in der har- umgesetzt, wobei sein Wissen und die Umgänglichkeit monisch gestalteten, kulturell wertvollen anhaltischen besonders dem Schutz des Bibers und dessen Akzep- Landschaft fest verwurzelt. In der Stadt am Zusammen- tanz in der Bevölkerung zugute kamen. Dass der Biber fluss von Mulde und Elbe ging er zur Schule und legte weitgehend zum Sympathieträger in der Bevölkerung 1967 das Abitur ab. Sein Naturinteresse wurde seit frü- geworden ist, dürfte nicht zuletzt dem Wirken von Peter hester Jugend sowohl von seinem Onkel Max Bösche, Ibe zu verdanken sein. Schließlich geht auf seine Initi- einem an Natur und Geschichte interessierten Land- ative die am Kapengraben gelegene, in dieser Form in wirt aus Hohenwarsleben in der Börde, als auch durch Deutschland einmalige Biberfreianlage zurück, deren frühe Kontakte mit dem Kulturbund geweckt und ge- zehnjähriges Bestehen 2007 begangen werden konnte. fördert. Bereits mit seinem 13. Lebensjahr besuchte er In den letzten Berufsjahren mehrten sich Anfragen von Vorträge und nahm an Exkursionen der Dessauer Or- Filmteams nach fachlicher Beratung bei den Drehar- nithologen, Botaniker und Mykologen teil. Besonders beiten für Natur- und Tierfilme im Biosphärenreservat. Otto Voigt weckte sein botanisches Interesse. Dies gab In einigen Sequenzen war der inzwischen zum „Biber- schließlich den Ausschlag, sich für ein Biologiestudium vater“ gewordene Nebendarsteller zwischen Bibern, zu entscheiden, obwohl er wegen seiner ausgeprägten Schwarzstörchen und Moorfröschen zu sehen. Diese künstlerischen Neigungen auch über ein Kunststudium Filme machten ihn weit über die Grenzen des Biosphä- nachdachte. Voraussetzung für eine Bewerbung zum renreservates hinaus bekannt. Biologiestudium war damals noch eine zweitägige Auf-

83 Abschluss. Diese Thematik war auch Gegenstand eines Forschungskomplexes im ILN mit der Zielstellung, die Pflege von Naturschutzgebieten in der DDR auf wissen- schaftliche Grundlagen zu stellen. Für Lutz Reichhoff war das die Gelegenheit, seine vegetationskundlichen Kenntnisse insbesondere für die Xerothermrasen zu vertiefen. Nebenbei gehörten auch die Auenwälder der Unteren Mulde und Mittleren Elbe zu seinen Stecken- pferden. Der regionalen Arbeitsgruppe in Halle wurde später ein Forschungsauftrag zu Landschaftselementen in der -Ag rarlandschaft übertragen, in dessen Rahmen Lutz Reich- hoff unter Einbeziehung geographischer Fragestellun- gen im Jahr 1988 zum Thema „‚Analyse, Diagnose und Prognose der Habitatleistung der Lößagrarlandschaft im Süden der DDR“ habilitierte. Dieses Thema verrät, dass sich das ILN als Einrichtung der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (AdL) der DDR nicht nur „klassischen“ Naturschutzthemen widmen durfte. Dennoch gelang es den regionalen Arbeitsgruppen des ILN, die haupt- und ehrenamtlichen Vertreter des Naturschutzes auf hohem fachlichen Niveau anzu- leiten und zu beraten. Die insgesamt fünf regionalen Arbeitsgruppen hatten die territorialen Strukturen aus den 1950er Jahren, die den ostdeutschen Bundesländern nahmeprozedur mit schriftlichen Ausarbeitungen und entsprechen, beibehalten (Reichhoff & Wegener Fachgesprächen. Trotz der jährlich sehr begrenzten An- 2011). Der Anteil dieser Tätigkeiten betrug ungefähr zahl an Studienplätzen überzeugte Lutz Reichhoff und ein Drittel des Arbeitspensums und wurde von allen bekam die begehrte Immatrikulation für den Studien- Seiten außerordentlich geschätzt. Die Dienstleistungen gang Diplombiologie an der Martin-Luther-Universität richteten sich insbesondere an die Naturschutzverwal- Halle-Wittenberg im September 1969, nachdem er seine tungen, die ehrenamtlichen Naturschutzbeauftragten eineinhalbjährige Armeedienstzeit absolviert hatte. Als und -helfer sowie an die im Kulturbund organisierten besonders prägende Persönlichkeiten während seines Natur- und Heimatfreunde. Studiums und des anschließenden Forschungsstudiums Ein Ergebnis seiner frühen ILN-Zeit in der regionalen nennt er in Gesprächen oft die Namen der Professoren Arbeitsgruppe Halle waren Vorschläge zur Auswei- Hermann Meusel, Rudolf Schubert und Ernst-Gerhard sung von Naturschutzgebieten in der Altmark. In der Mahn (Behrends & Hoffmann 2013). So ist es nicht 1980 gegründeten Gesellschaft für Natur und Umwelt verwunderlich, dass sich seine Diplomarbeit „Wasser- (GNU) im Kulturbund wurde er einer der stellvertre- pflanzengesellschaften des Mittelelbegebietes“ im Jahr tenden Vorsitzenden des Bezirksvorstandes Halle und 1973 am Institut für Geobotanik und Ökologie einem ab 1982 auch Vorsitzender des Kreisvorstandes der vegetationskundlichen Thema widmete. Sein For- GNU der Stadt Dessau. Dieses dichte Netz von ehren- schungsstudium beendete er vorzeitig im Herbst 1975 amtlichen Naturschutzhelfern und Freizeitforschern wegen der Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbei- war sehr aktiv und erfolgreich. Es entsprach seinem Tä- ter am Institut für Landschaftsforschung und Natur- tigkeitsdrang, sich sowohl mitwirkend als auch lenkend schutz (ILN) in Halle, dem Standort der Institutszent- einzubringen. Schon hier zeichnet sich ein deutlicher rale, spezieller Facharbeitsgruppen und der regionalen Charakterzug seines gesamten Lebensweges ab, nicht Arbeitsgruppe für die Bezirke Halle und Magdeburg. bei einer Aufgabe zu verharren, sondern immer weitere, Dort brachte er im Jahr 1978 seine an der Universität mitunter auch scheinbar entfernte Themen aufzugreifen begonnene Dissertation „Ökophysiologische und mi- und sinnvoll miteinander zu verknüpfen. kroklimatische Untersuchungen in Trockenrasenge- Zu seinen Aktivitäten in diesem Zeitraum gehörten sellschaften des Leutratals bei Jena“ zum erfolgreichen Initiativen und praktisches Mitwirken an den „Tagen

84 der Landeskultur“ im Raum Dessau, an „Landschaftsta- erster Roter Listen, wurde immer deutlicher, dass der gen“ im Bereich des Biosphärenreservates Mittelelbe, an traditionelle, konservierende Naturschutz insbeson- jährlichen Jugendlagern „Naturschutz und Landeskul- dere angesichts der zunehmenden Intensivierung der tur“, an der Planung und praktischen Umsetzung von Landnutzung an seine Wirkungsgrenzen geriet. Eine Maßnahmen der Parkpflege und Rekonstruktion des angepasste Naturschutzstrategie war vonnöten, die Luisiums anlässlich der Erdmannsdorff-Ehrung 1986, über die Schutzgebiete hinaus als Ziel den flächende- an der Erfassung der Alteichen in der Dessau-Wörlit- ckenden Naturressourcenschutz und als Instrument zer Kulturlandschaft, an der Erarbeitung gemeinsamer eine gestaltende Landschaftsplanung einbezieht. Plakatserien der Bezirksnaturschutzverwaltung mit der Der neue Denkansatz war, die Begrenztheit der natür- GNU und vieles mehr. Manchmal waren das Hauruck- lichen Ressourcen zum Grundkonzept der Strategie zu Aktionen, wie z. B. 1978 im Sinne von: „Wir brauchen machen und den Naturschutz damit dem Nachhaltig- im Bezirk Halle einen Arbeitskreis Heimische Orchi- keitsprinzip zu verpflichten. In diesem Sinne wurden deen im Kulturbund und den musst du (W. Böhnert) schon im Jahr 1982, federführend von Dr. Siegfried jetzt leiten.“ Schlosser, erstmals die pflanzlichen „Genressourcen Als ein wesentliches Bindeglied zwischen Naturschutz- für Forschung und Nutzung“ in einem Beiheft dieser behörden, ehrenamtlichen Naturschutzmitarbeitern Zeitschriftenreihe publiziert. und Fachgruppen im Kulturbund und Informationsfo- Und dieses wissenschaftliche Gedankengut aus dem rum fungierte die im Juli 1964 begründete Zeitschrif- ILN fand Anklang bei den Staatsorganen. Lutz Reich- tenreihe „Naturschutz und naturkundliche Heimat- hoff entwarf den Text der Ersten Durchführungsver- forschung in den Bezirken Halle und Magdeburg“. Die ordnung zum Landeskulturgesetz aus dem Jahre 1970. Geschichte der Naturschutzzeitschrift ist fest mit dem Diese Naturschutzverordnung von 1989 ist aber als Namen Lutz Reichhoff verbunden. Seit 1975 engagierte Folge der politischen Entwicklungen nicht mehr pra- sich Lutz Reichhoff in der Redaktion dieses Periodi- xiswirksam geworden. kums, zunächst gemeinsam mit Dr. Bernd Reuter und Im Forschungsteilkomplex Agrarraumgestaltung des ab 1979 als verantwortlicher Redakteur. Bereits 1980, ILN waren bereits verschiedene landschaftsplanerische mit dem 17. Jahrgang, änderte er unter Einbeziehung des Forschungsansätze entwickelt worden. Als ein erster Grafikers Rainer Sauerzapfe das Erscheinungsbild der wesentlicher Schritt zu einer wirksamen Landschafts- Publikationsreihe und ihren Titel in „Naturschutzarbeit planung, die es praktisch umfänglich und gesetzlich in den Bezirken Halle und Magdeburg“. Dabei konnte verankert in der DDR nicht gab, gilt der Planungsatlas er seine künstlerischen Neigungen zur Gebrauchsgrafik der Stadt-Umland-Region von Berlin-Ost (1989). Es praktisch umsetzen. Verantwortlicher Redakteur blieb war eine der ersten rechnergestützten Landschaftspla- er bis zum 28. Jahrgang und übergab die Herausgeber- nungen auf Rasterbasis mit einer Fülle von Daten und schaft mit dem Doppelheft 1991 an das neu gegründete Themen, die die Inhalte der späteren Landschaftsrah- Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (LAU). menpläne der Landkreise übertrafen. Wissenschaftli- Dort erhielt die Zeitschrift ein neues Layout und wurde cher Leiter dieses anspruchsvollen Forschungsprojektes unter dem Titel „Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt“ war Lutz Reichhoff. weitergeführt. Der Biber, das Wappentier der Mittel­ Daneben beteiligte er sich an der Erarbeitung von elbelandschaft, blieb als Gestaltungselement erhalten. Pflege- und Entwicklungsplänen für Naturschutzge- Immer noch, nunmehr seit 39 Jahren und jetzt als Mit- biete (NSG) und Flächennaturdenkmale (FND), z. B. glied der Schriftleitung, prägt er Inhalt und Form der FND Raumerwiesen, sowie von Landschaftspflegeplä- Naturschutzzeitschrift für Sachsen-Anhalt mit. Dafür nen für Landschaftsschutzgebiete (LSG). Seiner Initia- sei ihm an dieser Stelle ganz besonders gedankt. tive ist es zu verdanken, dass komplexe Landschaftspfle- Im ILN avancierte Dr. Lutz Reichhoff vom wissenschaft- gepläne unter Einbeziehung aller Schutzgebiete (NSG, lichen Mitarbeiter in der regionalen Arbeitsgruppe FND, LSG, …) für gesamte Stadt- bzw. Landkreise auf- Halle, ab 1982 mit Sitz in Dessau, über den Arbeits- gestellt worden sind. Die neuen Landschaftspflegepläne gruppenleiter der regionalen Arbeitsgruppe Potsdam wurden so vereinheitlicht, dass sie baukastenförmig (ab 1986) bis zum Leiter des Forschungsteilkomplexes aneinanderpassten, was insbesondere für die Behand- Agrarraumgestaltung (ab 1988). lung von kreisübergreifenden Schutzgebieten wie LSG Maßgeblich angeregt und gestaltet hat er ein außeror- vorteilhaft war. Solche Pläne gab es im Mittelelbegebiet dentlich wichtiges Thema der Naturschutzforschung. beispielsweise für die Stadt Dessau und die Kreise Roß- In den 1970er Jahren, zeitgleich mit dem Erscheinen lau, Zerbst, Gräfenhainichen und Bitterfeld.

85 Sein Engagement für den Neubau eines Zentralinsti- Fläming sowie für den Zeitzer Forst, in Sachsen der tutes für Naturschutz im Jahr 1989 in Dessau mit dem Landschaftsrahmenplan für die Sächsische Schweiz und Ziel, das Forschungspotenzial des ILN zu bündeln und das Rahmenkonzept für das Biosphärenreservat Ober- zu verstärken, konnte nicht mehr zum Erfolg führen, da lausitzer Heide- und Teichlandschaft. Die Pflege- und sich die Ereignisse Ende 1989 überschlugen. Entwicklungsplanungen für die Naturschutzgroßpro- Ab Januar 1990 übernahm Lutz Reichhoff die Leitung jekte Drömling sowie Mittlere Elbe waren Grundvor- der Wissenschaftsorganisation und die Funktion des aussetzungen für konkrete Projekte und Maßnahmen stellvertretenden Institutsdirektors. Von Februar bis sowie für eine hohe Akzeptanz dieser Vorhaben. Hier Oktober 1990 ging er auf Anforderung von Prof. Mi- verdienen auch fachliche Konzeptionen und die Vor- chael Succow als ILN-Vertreter nach Berlin, zunächst bereitung von Fördermittelanträgen für Life-Projekte ins Umweltministerium und ab Mai ins neue Ministe- besondere Erwähnung. Die Sanierung des Kühnauer rium für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsi- Sees und das Projekt „Renaturierung von Fluss, Altwas- cherheit (MUNER) als Unterabteilungsleiter. Zu seinem ser und Auenwald an der Mittleren Elbe“ bei Klieken Aufgabenspektrum gehörte der Aufbau einer institu- sind abgeschlossen, die Planungen zur Fortsetzung der tionalisierten Landschaftsplanung, die Konversion der Sanierung der Alten Elbe Klieken und des Saarensees Truppenübungsplätze und die Zusammenarbeit des befinden sich in Bearbeitung. ILN mit der Bundesanstalt für Naturschutz und Land- Unter den naturschutzfachlichen und landschaftspla- schaftsökologie. Auch blieb nicht mehr viel Zeit, dass nerischen Grundlagen und Konzeptionen für Sachsen- historisch einmalige Nationalparkprogramm am Ende Anhalt, an denen Lutz Reichhoff mitgewirkt hat, seien der DDR-Ära umzusetzen. Seinem Organisations- und die Karte der Potentiellen natürlichen Vegetation, die Koordinationstalent in dieser zentralen Stellung ist es Überarbeitung der Landschaftsgliederung des Landes mit zu verdanken, dass die regionalen Arbeitsgruppen im Jahr 2000 und die Erarbeitung zahlreicher Land- des ILN und die Aufbaustäbe der betreffenden Groß- schaftsrahmenpläne der Landkreise Mitte der 1990er schutzgebiete die fachlich-inhaltlichen Grundlagen Jahre hervorgehoben. vorbereiten und ihre Vorschläge einbringen konnten. Die im Verlauf vieler Jahre erworbenen historischen Ein noch aus heutiger Sicht beachtliches Ergebnis war und landschaftspflegerischen Kenntnisse des Dessauer die Neuverordnung bzw. deutliche Vergrößerung von Raumes mündeten in den Auftrag zur Aufstellung ei- fünf Nationalparken, sechs Biosphärenreservaten und nes Denkmalrahmenplans für das Gartenreich Dessau- drei Naturparken. Wörlitz, ein Weltkulturerbegebiet. Das ILN überlebte die Wende nicht, es wurde am Die Bandbreite der Projekte lässt erkennen, dass es Lutz 31.12.1991 aufgelöst. Lutz Reichhoff wagte den Gang in Reichhoff noch im unternehmerischen Wettbewerb ge- die berufliche Selbständigkeit und gründete Ende 1990 lang, zwei Dinge, die seine Handschrift tragen, in die das Büro LPR – Landschaftsplanung Dr. Reichhoff. Die Projekte einzubringen: die innige Verbundenheit mit Voraussetzungen seinerseits waren dafür günstig – Aus- den Auenlandschaften Mitteldeutschlands und die bildung als Vegetationskundler, theoretische und prak- Gabe zum strategischen, weitblickenden und großräu- tische Erfahrungen in der Landschaftsplanung, regio- migen Denken. nale Kenntnisse und zahlreiche persönliche Kontakte. Seine außerordentlich produktive Publikationsfreudig- Rückschauend bewertet Lutz Reichhoff in Gesprächen keit verdient es, besonders hervorgehoben zu werden. seine 14-jährige wissenschaftliche Zeit im ILN, die er Eine Auflistung seiner Veröffentlichungen würde den für einen kurzen aber intensiven Lebensabschnitt hält, Rahmen dieses Heftes sprengen. Für die Jahre von 1971 als wesentlich fruchtbarer als die Arbeiten im Planungs- bis 2012 sind mindestens 266 Titel belegt, allein 54 Bei- büro. Nichtsdestotrotz führte er in den vergangenen 23 träge in dieser Zeitschriftenreihe, die mit seinem Na- Jahren sein Naturschutzunternehmen zu beachtlichen men verbunden sind. Seit 2001 erscheint im Eigenverlag Erfolgen. in loser Folge die Zeitschrift „Veröffentlichungen der Landesweit bedeutsame naturschutzfachliche Projekte LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH“. wurden u. a. in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Branden- In dem aus heutiger Sicht bundesweit beispielsgebenden burg bearbeitet. Schwerpunkte waren Planungen für fünfbändigen „Handbuch der Naturschutzgebiete der Großschutzgebiete, meist in Form von Naturschutz-, DDR“, herausgegeben von Prof. Dr. Weinitschke, war er Pflege- und Entwicklungskonzeptionen ‒ in Sachsen- am Band für die Bezirke Magdeburg und Halle (Hent- Anhalt für das Biosphärenreservat Mittelelbe und die schel et al. 1983) einer von vier Autoren und hat am Naturparke Drömling, Harz, Unstrut-Trias-Land und

86 Jentzsch, M. & L. Reichhoff (2013): Handbuch der FFH- Band für die Bezirke Erfurt, Suhl und Gera (Görner Gebiete Sachsen-Anhalts. ‒ Halle. ‒ Landesamt für et al. 1984) mitgearbeitet. Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Hrsg.): 616 S. Diese Erfahrungen und landesweite Kenntnisse prä- LAU ‒ Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt destinierten ihn für die Co-Autorenschaft der Nach- (1997): Die Naturschutzgebiete Sachsen-Anhalts. ‒ Jena/ schlagewerke „Die Naturschutzgebiete Sachsen-An- Stuttgart/Lübeck/Ulm (Gustav Fischer): 543 S. LAU ‒ Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt halts“ (LAU 1997) und „Die Landschaftsschutzgebiete (2000): Die Landschaftsschutzgebiete Sachsen-Anhalts. ‒ Sachsen-Anhalts“ (LAU 2000). Beide Werke setzten Halle: 494 S. Maßstäbe für die neuen Bundesländer. Im Jahr 2003 LAU ‒ Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (2003): komplettierte ein Ergänzungsband die Darstellung der Die Natur- und Landschaftsschutzgebiete Sachsen-Anhalts. Natur- und Landschaftsschutzgebiete Sachsen-Anhalts Ergänzungsband. ‒ Halle: 543 S. Reichhoff, L. & U. Wegener (2011): ILN. Institut für Land- (LAU 2003). Der 65. Geburtstag von Lutz Reichhoff schaftsforschung und Naturschutz Halle. Forschungsge- deckt sich mit dem Erscheinen eines Fortsetzungsban- schichte des ersten deutschen Naturschutzinstituts. – IUGR des dieser Bücherreihe, dem „Handbuch der Fauna- – Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung Flora-Habitat-Gebiete Sachsen-Anhalts“ (Jentzsch & an der Hochschule Neubrandenburg e. V. (Hrsg.) – Fried- Reichhoff 2013). land (Steffen-Verlag): 461 S. Namens seiner Freunde, Kollegen und vieler streitba- rer Naturschützer danken wir Lutz Reichhoff für sein langjähriges berufliches und ehrenamtliches Engage- Dr. Wolfgang Böhnert ment, Natur und Kultur zu erhalten und zu gestalten. Dresdner Str. 77 · 01705 Freital Dank seiner breit gefächerten und zugleich detaillierten E-Mail: [email protected] Kenntnisse als versierter Vegetationskundler und Land- schaftsökologe, aber auch mittels seines kritischen Ur- Robert Schönbrodt teilsvermögens hat er wie eine Solitärteiche so manche Veilchenweg 11 · 06118 Halle Böe überstanden und mit der Verbreitung der Früchte E-Mail: [email protected] seiner Erkenntnisse nie gespart. Wir hoffen auf ein noch langes und erfolgreiches Zusammenwirken mit ihm. Lutz wünschen wir Gesundheit und Freude, viele frohe Stunden im Kreis der Familie, mit seiner Frau Kerstin und den Kindern Holm und Maike, mit Schäferhund und Pferd. Angetrieben von seiner Entdeckerfreude zu anregenden und manchmal auch entspannenden Rei- sen in alle Welt möge ihm immer wieder eine glückliche Heimkehr in sein geliebtes Dessau-Wörlitzer Garten- reich gelingen.

Wolfgang Böhnert & Robert Schönbrodt

Literatur

Behrens, H. & J. Hoffmann (2013): Naturschutzgeschichte(n). Lebenswege zwischen Ostseeküste und Erzgebirge. ‒ Fried­ land (Steffen Verlag): 562 S. Hentschel P., L. Reichhoff, B. Reuter & B. Rossel (1983): Die Naturschutzgebiete der Bezirke Magdeburg und Halle. ‒ In: Weinitschke, H. (Hrsg.): Handbuch der Naturschutz- gebiete der Deutschen Demokratischen Republik. Band 3. ‒ Leipzig/Jena/Berlin (Urania-Verlag): 312 S. u. Karte. Görner, M, R. Haupt, W. Hiekel, E. Niemann & W. Westhus (1984): Die Naturschutzgebiete der Bezirke Erfurt, Suhl und Gera. ‒ In: Weinitschke, H. (Hrsg.): Handbuch der Naturschutzgebiete der Deutschen Demo- kratischen Republik. Band 4. ‒ Leipzig/Jena/Berlin (Urania- Verlag): 344 S. u. Karte.

87 Schrifttum

Nationalparkverwaltung Harz (Hrsg.) (2012): Waldforschung im Nationalpark Harz – Waldfor- schungsfläche Bruchberg: Methodik und Aufnahme 2008/09. – Schriftenreihe aus dem Nationalpark Harz, Bd. 9: 120 S. – Bezug: Nationalparkverwaltung Harz, Lindenallee 35, 38855 Wernigerode oder poststelle@ npharz.sachsen.anhalt.de. – 10,00 € (zzgl. Versand).

Die Erforschung natürlicher Eigendynamik von Öko- systemen gehört zu den wichtigsten Betätigungsfeldern der Nationalparkverwaltung. Im vorliegenden Band wird dieser spannende Prozess der Naturwaldentwick- lung am exemplarischen Beispiel der Waldforschungs- fläche (WFF) Bruchberg, in der Naturdynamikzone des Nationalparks auf niedersächsischer Seite gelegen, dokumentiert. Im Vordergrund stehen Methodik und Ergebnisse der Wiederholungsinventur von 2008/09 und deren Vergleich mit voraus gegangenen Untersu- chungen. Unter Federführung von Ute Springemann ist es den Autoren gelungen, die Ergebnisse jahrzehntelan- ger Feldforschung in übersichtlicher und konzentrierter Form aufzubereiten. Eingangs wird das umfangreiche Aufnahmeverfahren dargestellt, dass durch die Nordwestdeutsche Forstli- che Versuchsanstalt entwickelt wurde und bereits in der verfolgt werden konnte. Dieser glückliche Umstand Erstaufnahme 1997/98 zur Anwendung gelangte. Durch erlaubt Rückschlüsse über die hohe Eigendynamik der detaillierte Beschreibung der Aufnahmeparameter und Waldfläche und den damit einhergehenden Struktur- Verfahrensweisen wird der Leser in die Lage versetzt, wandel. Mitte der 1990er Jahre führten Schadereig- Art und Umfang der Inventur zu würdigen und die nisse zu flächigem Absterben des Altbestandes. Dieser nachfolgenden Ausführungen entsprechend nachzu- Zusammenbruch begünstigte jedoch gleichzeitig die vollziehen. Entwicklung einer artenreichen Gehölzverjüngung, so Im Anschluss folgt eine kurze und prägnante Gebiets- dass eine vitale, dauerhafte Waldentwicklung gewähr- beschreibung mit Angaben zum Naturraum, zu klein- leistet bleibt. Nicht nur das Waldbild hat sich in den standörtlichen Gegebenheiten und zur Waldgeschichte. zurückliegenden Jahrzehnten gewandelt. Veränderte Die vorgestellte Monitoringfläche befindet sich im Habitatstrukturen, hervorgerufen durch kleinflächi- natürlichen Verbreitungsgebiet der Fichte. Die enge gen Wechsel von Zerfall und Regeneration, bereichert Verzahnung von Moor- und Mineralböden führt hier gleichermaßen die biologische Vielfalt. zur Ausbildung unterschiedlicher Fichten-Waldgesell- Dies wird anhand floristischer und faunistischer Un- schaften, die von Hochmooren und Zwergstrauchhei- tersuchungen innerhalb der WFF dokumentiert. Ne- den durchsetzt sind. ben einer kurzen Darstellung der Pflanzengesellschaf- Der Hauptteil widmet sich der Ergebnisdarstellung und ten folgen Ausführungen zu bestimmten Artengrup- -interpretation der Inventur. Die Untersuchungen zur pen der Flora (Gefäßpflanzen, Moose, Flechten, Pilze) Waldstruktur reichen bis in die frühen 1970er Jahre und der Fauna (Gliederfüßer, Weichtiere, Lurche, zurück, so dass die Entwicklung der Baumarten- und Kriechtiere, Vögel, Säugetiere). Deren Untersuchung Wuchsklassenanteile über eine längere Zeitschiene bestätigt generell, dass mit Zunahme kleinräumiger

88 Habitatstrukturen Vorrausetzungen für eine nach- weisbare Bereicherung des Artengefüges geschaffen werden. Von diesem Strukturreichtum profitieren derzeit vor allem die Kryptogamen, insbesondere bestimmte Farn- und Moosarten. Bei den Vögeln zeichnet sich hingegen momentan ein eher negativer Trend ab, u. a. hervorgerufen durch den Dichtschluss bodennaher Vegetation. Obwohl methodische Unter- schiede die Vergleichbarkeit mancher Artengruppen erschweren, bilden gerade die älteren Angaben den soliden Grundstock für einen langfristig angelegten Datenpool. Im Anhang werden die Untersuchungsergebnisse durch Vegetationsaufnahmen und umfassende Artenlisten komplettiert. Hier zeigt sich einmal mehr die frucht- bringende Zusammenarbeit der Nationalparkverwal- tung mit externen Spezialisten, die in hohem Maße Anteil am Gelingen des Projektes haben. So wurden auf der 77 Hektar großen Fläche nicht weniger als 162 Webspinnen- und 295 Käferarten festgestellt! Fazit: Der Band 9 reiht sich in Layout und fachli- cher Qualität nahtlos bei seinen Vorgängern aus der Schriftenreihe des Nationalparks Harz ein. Zahlreiche Graphiken, Tabellen und Fotografien ergänzen und bereichern die fundierten Aussagen, so dass auch das Lesevergnügen nicht zu kurz kommt. Wer schon immer lich positiv entwickelt haben, sind die Zukunftsaussich- wissen wollte „was sich im Wald tut, wenn man nichts ten für den Schreiadler schlecht. Der Bestand ist von tut“, erhält hier erste Antworten. 130 bis 135 Brutpaaren zu Beginn der 1990er Jahre auf 102 Brutpaare im Jahr 2010 gesunken und ohne mas- Volker Hanebutt sive Anstrengungen ist mit einem weiteren Rückgang Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt zu rechnen. Fachbereich Naturschutz Wolfgang Scheller und Peter Wernicke analysieren in Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) ihrem Symposiumsbeitrag die Lebensraumansprüche E-Mail: [email protected] des Schreiadlers und führen zahlreiche Belege für die Rolle intakter Grünländer auf. So zeigte etwa eine Untersuchung, dass im Umfeld durchgängig besetzter Brutplätze 57,8 Hektar Grünland als Nahrungshabitat Kinser, A. & H. Frh. v. Münchhausen (Hrsg.) zur Verfügung stand, während es bei aufgegebenen, (2012): Der Schreiadler im Sturzflug – Erkenntnisse offenbar suboptimalen Brutplätzen nur 35,1 Hektar und Handlungsansätze im Schreiadlerschutz. Ta- waren. Der Erhaltung geeigneter Grünländer kommt gungsband zum 1. Schreiadlersymposium der Deut- deshalb eine entscheidende Bedeutung zu. Wie Ugis schen Wildtier Stiftung am 29. September 2011 an Bergmanis in seinem Beitrag feststellt, halten sich der Universität Potsdam, Griebnitzsee. – Hamburg: Schreiadler in Lettland (das mit einer Fläche von der 116 S. – ISBN 978-3-936802-13-9. – Bezug: E-Mail an Größe Mecklenburg-Vorpommerns 3.500 Brutpaare [email protected]. – 12,00 €. beherbergt) zu 95 Prozent ihrer Jagddauer in einem nur 260 bis 500 Hektar großen Gebiet im Umfeld des Brut- Der Tagungsband zum 1. Schreiadlersymposium ent- platzes auf. Verschlechtert sich in diesem kleinen Kern- hält acht Fachbeiträge, die sich mit dem Schutz der in gebiet das Nahrungsangebot, etwa durch Umwandlung Deutschland stark gefährdeten Art beschäftigen. An- von Grünland in Acker, dann muss mit der Aufgabe ders als etwa bei Fisch- und Seeadler, deren Bestände des Brutplatzes gerechnet werden. Andreas Kinser und sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten erfreu- Kollegen stellen in ihrem Beitrag eine „Defizitanalyse“

89 vor und kommen zu dem Schluss, dass die Nahrungsha- wässerökologie und Fischereibiologie Dr. Ebel, Band bitate in allen von ihnen untersuchten Kontrollflächen 4: 483 S. – ISBN 978-3-00-039686-1. – Bezug: Büro in Mecklenburg-Vorpommern suboptimal sind, insbe- für Gewässerökologie und Fischereibiologie (BGF), sondere hinsichtlich der für die Nahrungsversorgung Saalwerderstraße 10, 06118 Halle (Saale). – 125,00 €. wichtigen Grünlandflächen. Die weiteren Fachbeiträge des Tagungsbandes beschäf- In den letzten zwei Jahrzehnten wurde mit der Fauna- tigen sich mit dem Artenschutzprogramm für den Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG), Schreiadler in Brandenburg (Torsten Langgemach), Te- der Wasserrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/60/EG) lemetrieergebnissen (Bernd-Ulrich Meyburg et al.) und und der EU-Aalverordnung (Verordnung [EG] Nr. dem Schutz der Art auf den Zugwegen (Sandra Balzer). 1100/2007) eine Reihe europäischer Regelungen verab- Über das sogenannte Jungvogelmanagement berichten schiedet, die die Bedeutung der ökologischen Durch- Kai Graszynski und Kollegen. Der Schreiadler legt in gängigkeit von Fließgewässern in den Fokus rückten. In der Regel zwei Eier. Von den beiden geschlüpften Jung- diesem Zusammenhang sind besonders Wanderhinder- vögeln überlebt jedoch sehr selten mehr als ein Vogel, nisse wie Wasserkraftanlagen zu bewerten, die bei der da sich allein der Erstgeborene durchsetzt (Kainismus). flussabwärts gerichteten Migration von Fischen ein zum Durch die Entnahme, Aufzucht und Auswilderung der Teil enormes Gefährdungspotenzial darstellen, welches Zweitgeborenen konnte zwischen 2004 und 2011 der unbedingt minimiert werden sollte. Reproduktionserfolg der betroffenen Paare deutlich Schon im dritten Band seiner Schriftenreihe beschäf- gesteigert werden. tigte sich Dr. Guntram Ebel mit dieser Problematik Die Deutsche Wildtierstiftung entwarf im Jahr 2005 ein und stellte eine wissenschaftliche Arbeit vor, die den Schutzprogramm, das laufend weiterentwickelt wird. damalig europaweiten Kenntnisstand zu turbinenbe- Margit Meergans fasst die Erfordernisse des Schrei- dingten Schädigungen des Aals wiedergab und daraus adlerschutzes in drei Bausteinen zusammen: 1. Siche- ableitend die Entwicklung eines neuen Prognose-Mo- rung der Brutgebiete, 2. Sicherung der Zugwege und 3. dells zum Ergebnis hatte. Zum allgemeinen Schutz un- Jungvogelmanagement. In ihrem Ausblick heißt es: Für serer heimischen Fischfauna vor der Konfrontation mit eine derartige Schutzanstrengung braucht es Partner im Turbinen von Wasserkraftanlagen und den damit ein- Naturschutz sowie in der Land- und Forstwirtschaft, es hergehenden häufig letalen Schädigungen kommt der braucht die Vernetzung nationaler und internationaler Errichtung von Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen Arbeit und es braucht Geld. die wichtigste vorbeugende Rolle zu. Zur Installation Es ist zu wünschen, dass die Umsetzung dieser Maß- solcher Anlagen ist nach dem Fischereigesetz des Lan- nahmen in den deutschen Hauptvorkommensgebie- des Sachsen-Anhalt jeder Wasserkraftanlagenbetreiber ten auch die Zukunftsaussichten des Schreiadlers in verpflichtet. Doch leider fehlt bisher ein ingenieurbio- Sachsen-Anhalt verbessert und die Publikation ihre logischer Standard, auf den bei Planung und Bau dieser Leserschaft in den Kreisen des behördlichen und eh- Bauwerke zurückgegriffen werden könnte. renamtlichen Naturschutzes findet. Die Mitwirkung Mit dem 2013 neu erschienenen Werk soll dieser Mangel Sachsen-Anhalts an den bundesweiten Schutzbemü- des technischen Fischschutzes aufgezeigt und beseitigt hungen wird empfohlen. werden. Auf 483 Seiten werden 785 nationale und in- ternationale Studien zu biologischen und technischen Dr. Kai Gedeon Aspekten des Fischschutzes und Fischabstiegs sehr de- Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt tailliert und anschaulich resümiert, so dass dem Leser Fachbereich Naturschutz ein umfassender Überblick auf das Themengebiet ge- Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) geben wird. Insgesamt präsentiert sich ein äußerst weit E-Mail: [email protected] recherchiertes Fachbuch, welches aus den Ergebnissen der verarbeiteten Studien Zielgrößen für die geome­ trische und hydraulische Bemessung von Rechen- und Bypasssystemen ableitet und Empfehlungen für die Pla- Ebel, G. (2013): Fischschutz und Fischabstieg an Was- nung derartiger Systeme gibt. Die besondere Stärke des serkraftanlagen – Handbuch Rechen- und Bypass- Buches liegt neben dem umfassenden Überblick zum systeme. Ingenieurbiologische Grundlagen, Model- Themengebiet mit weiterführenden Literaturverweisen lierung und Prognose, Bemessung und Gestaltung. auch in der Entwicklung neuer Prognosemodelle und – Halle/Saale. – Mitteilungen aus dem Büro für Ge- Bemessungsmethoden. Die wichtigsten inhaltlichen

90 Band 4 möglichen flussabwärts gerichteten Alternativwander- wegen werden diese kurz vorgestellt und deren wich- tigste hydraulische Grundlagen vermittelt. Jede Fischart, genauer gesagt jedes Altersstadium einer Guntram Ebel Fischart, weist unterschiedlichste Eigenschaften auf, Guntram Ebel unter anderem in Körperform, Schwimmbewegung Fischschutz und Fischabstieg an Wasserkraftanlagen – Handbuch Rechen- und Fischschutz und Fischabstieg Bypasssysteme. Ingenieurbiologische Grundlagen, Modellierung und Prognose, sowie -geschwindigkeit und besonders hinsichtlich ih- Bemessung und Gestaltung. Mitteilungen aus dem Büro für Gewässerökologie an Wasserkraftanlagen und Fischereibiologie, Band 4, 483 S., Halle (Saale). rer Toleranz gegenüber äußeren Einflüssen. Diese und Handbuch Rechen- und Bypasssysteme ISBN: 978-3-00-039686-1 weitere Faktoren führen zu einem sehr heterogenen

Verhalten der Fische im Bereich von mechanischen Um der fortschreitenden Verknappung fossiler Energieträger zu begegnen und klima- schädliche Emissionen zu begrenzen, wird die Erschließung regenerativer Energiequellen Ingenieurbiologische Grundlagen Barrieren und Bypässen. Einen Überblick über diesen weltweit forciert. Das gilt auch für die Wasserkraft, deren Nutzung jedoch meist tiefgreifen- de Veränderungen der Gewässersysteme und ihrer Lebensgemeinschaften zur Folge hat. Modellierung und Prognose Ein bedeutsamer Einfluss faktor ist die Schädigung flussabwärts wandernder Fische durch Bemessung und Gestaltung Sachverhalt und die daraus resultierende Effizienz ins- Turbinen und andere techni sche Einrichtungen. Zur Verminderung wasserkraftbeding- ter Fischschäden finden verschiedene methodische Prinzipien und technische Systeme tallierter Fischschutzanlagen gibt Kapitel fünf. In den Anwendung. Dabei besitzen ingenieurbiolo gisch konzipierte Rechen- und Bypasssysteme ein hohes Potential für einen wirksamen Fischschutz. letzten Kapiteln werden die aus den Recherchen und den Das vorliegende Buch vermittelt einen systemati schen Überblick über die geometrischen und hydraulischen Zielgrößen für die Bemessung von Rechen- und Bypasssystemen neuen Prognosemodellen abgeleiteten Bemessungsziele sowie über die Grundsätze für die Positionierung und Gestaltung derartiger Vorrichtun- gen. Die hierfür erforderlichen Grundlagen und Methoden werden in sepa raten Kapiteln und -methoden für die ingenieurbiologischen Anforde- ausführlich behandelt. Hierbei entwickelt der Autor neue Modellgleichungen, durch deren Anwendung physisch und verhaltensbiologisch bedingte Anforderungen abwandernder Fische an Schutz- und Abstiegssysteme quantitativ beschrieben werden können. Der rungen und Planungen von Rechen- und Bypasssyste- Praxis einsatz ingenieur biologisch konzipierter Rechen- und Bypasssysteme wird durch ausgeführte Pilotanlagen beispielhaft veranschaulicht. men aufgearbeitet. Bestandteil dieser Ausführungen ist

Die dem Buch zugrunde liegende Literaturaufarbeitung umfasst 785 Studien aus dem europäi schen, nordamerikanischen, asiatischen und neuseeländischen Raum und beinhal- auch das Leitrechen-Bypass-System nach Ebel, Gluch tet Informati onen zu 111 Kraftwerken, 97 Gewässern sowie zu 80 Fisch- und Neunaugen- arten. Die Textdarstellungen werden durch 216 Fotos, 70 Zeichnungen, 112 Diagramme, & Kehl (2001). Eine Symbiose von effektivem Fisch- 66 Tabellen und 32 Tafeln illustriert und ergänzt. Die vorliegende Veröffentlichung ist nicht nur als Handbuch für die ingenieurbiologische Planung von Rechen- und Bypasssyste- men nutzbar, sondern auch als Nachschlagewerk, das zur Klärung spezieller Fragestel- schutz und praktisch orientiertem Anlagenbetrieb ist lungen eingesetzt werden kann. Guntram Ebel Fischschutz und Fischabstieg an Wasserkraftanlagen das Hauptanliegen des neu entwickelten Systems, des- Das Buch wendet sich an einen breiten Leserkreis, der Planer, Sachverständige, Gutach- ter, Wasserkraftbetreiber sowie Lehrende und Lernende an Fach- und Hochschulen eben- sen Umsetzung an mehreren bisher installierten Anla- so einschließt wie Vertreter von Fach- und Verwaltungsbehörden sowie Fischerei- und Naturschutz verbänden. Mitteilungen aus dem Büro für Gewässerökologie gen erläutert wird. und Fischereibiologie Der Anhang des Buches enthält Informationen zu Schwimmgeschwindigkeiten und Körperproportionen Befunde werden in einer Zusammenfassung mehrspra- einzelner Fischarten, es wird die Effizienz der betrachte- chig dargestellt. Ein Register mit 780 Begriffen erleich- ten Studien von Rechen-, Louver- und Bypasssystemen tert das Auffinden von Fachwörtern und Artnamen. aufgelistet und die Datengrundlage der verarbeiteten Einleitend beschreibt das Handbuch die Biologie der Regressionsanalysen zusammengefasst. Fischwanderung und gibt somit einen Einblick in die Dem Autor ist es mit diesem Fachbuch, besonders durch Raumnutzungsmuster ausgewählter Fischarten, in die die Vielzahl und Qualität der schematischen Darstel- Wander- bzw. Abdriftbewegungen einzelner Entwick- lungen, Tabellen, Diagramme und Fotos gelungen, den lungsstadien und in die grundlegenden Triebkräfte für komplexen Sachverhalt des technischen Fischschutzes die zeitlich diversen Wanderbewegungen. Ein folgen- und Fischabstiegs an Wasserkraftanlagen wissenschaft- der kurzer Abriss über die Ursachen der Schädigungen lich präzise und zugleich praxisorientiert aufzuarbeiten. abwandernder Fische an Wasserbauwerken richtet das Zum Schutz unserer Fischfauna bei der Wanderung Hauptaugenmerk auf die in europäischen Wasserkraft- zwischen ihren im Jahres- und Lebensverlauf aufge- anlagen am häufigsten genutzten Überdruckturbinen, suchten Habitaten sollten die Forschungen weiter vor- die Kaplan- und die Francis-Turbinen. Aussagefähige angetrieben werden. Eine gesunde Ökologie innerhalb Graphiken und Bilder vermitteln anschaulich den unserer Fließgewässer lässt sich nur erzielen, wenn die technischen Hintergrund der verschiedenen Anlagen- Erreichbarkeit der bevorzugten Lebensräume gewähr- Typen, bevor der aktuelle Stand der bisher veröffent- leistet ist und die Mortalitätsrate unserer Fische durch lichten Prognose-Modelle zur Fischmortalität vor- und anthropogene Einflüsse so gering wie möglich gehalten gegenübergestellt wird. Dem systematischen Aufbau wird. folgend, welcher dem gesamten Buch innewohnt, wer- den anschließend die Prinzipien des Fischschutzes an Andreas Lindig Wasserkraftanlagen erläutert. So wird derzeit mecha- Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt nischen Barrieren, besonders spezifisch gestalteten Fachbereich Naturschutz Rechensystemen, die größte Wirkung zur Vermeidung Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) von Fischschäden beigemessen. Gemeinsam mit den E-Mail: [email protected]

91 Straube, S. (2013): Zur Biologie und Ökologie der Ödlandschrecken Sphingonotus caerulans (L.) und Oedipoda caerulescens (L.) (Caelifera, Acrididae) unter Berücksichtigung verschiedener Bedingungen in einer mitteldeutschen Flusslandschaft. ‒ Aachen (Shaker Verlag): 272 S. u. 79 Abb. ‒ ISBN 978-3-8440- 1811-0. ‒ 49,80 €.

Von den Heuschreckenarten Deutschlands gehören die Blauflüglige Ödlandschrecke Oedipoda( caerulescens) und die Blauflüglige Sandschrecke Sphingonotus( cae- rulans) zu den vergleichsweise gut untersuchten Arten. Die Biologie, Biotopwahl und Habitatansprüche dieser beiden geschützten und regional seltenen Arten schei- nen recht gut bekannt zu sein, so dass der Rezensent mit einer gewissen Neugier, was es dahingehend noch Neues zu berichten gibt, dieses Werk las. Der Autor des vorliegenden Buches hat die reizvolle Gelegenheit ge- nutzt, die Biologie und Ökologie dieser beiden, in der Regel nur noch aus Sekundärhabitaten bekannten Ar- ten in einem naturnahen Lebensraum im Bereich der Mittleren Mulde in Nordwestsachsen zu untersuchen. Dabei flossen in die Arbeit Beobachtungen und Ergeb- nisse aus nahezu zwei Jahrzehnten der Beschäftigung mit den beiden Arten ein, welche ein zumindest für die mitteldeutsche Kulturlandschaft ungewöhnliches Bild einer durch quasi-natürliche Dynamiken bedingten logie der Arten sowie Befunde zum Vorkommen und Metapopulationsstruktur zeichnen. zur Habitatwahl, auch eng verwandter Arten, an ande- Die dabei untersuchten Aspekte zur Biologie und Öko- ren europäischen Fließgewässern Eingang in die Arbeit. logie der Art sind dabei vielfältig. Beide Arten wurden Die Darstellung der hierbei gewonnenen Erkenntnisse im Rahmen einer Rasterkartierung im Untersuchungs- hat zwangsläufig zum Teil eher anekdotischen Charak- gebiet erfasst; ein besonderes Augenmerk wurde zudem ter, wird aber konsequent in den Kontext der systema- auf die Dynamik der Vorkommen im Bereich der un- tisch erhobenen Befunde gestellt. Insgesamt wird das mittelbaren Flusslandschaft der Mulde gelegt. Dabei Bild zweier Arten gezeichnet, welche aufgrund ihrer bot das Extremhochwasser 2002 mit dem folgenden häufigen Syntopie zwar oft in einem Atemzug genannt Jahrhundertsommer 2003 eine interessante, wenn auch werden, aber in verschiedener Weise an dynamische sicher nicht geplante Gelegenheit, die Auswirkungen Landschaften angepasst sind. Die Charakterisierung solcher natürlichen Dynamiken auf die Auslöschung, der Blauflügeligen Ödlandschrecke als weniger mobile, Entstehung und Besiedlung der Populationen der bei- aber gegenüber der Vegetationsstruktur tolerantere Art den Heuschreckenarten darzulegen. Verschiedene und der Blauflügeligen Sandschrecke als hochmobile gängige Feldmethoden wurden angewandt, um Popu- Art mit spezifischen Habitatansprüchen stimmt dabei lationsgrößen und Wanderverhalten zu quantifizieren. weitgehend mit dem etablierten Kenntnisstand überein, Zusätzlich wurden morphologische Daten erhoben und beinhaltet aber im Kontext des untersuchten Systems in Käfigversuchen Mortalitätsraten und biologische De- Flusslandschaft neue Aspekte. tails zur Reproduktion ermittelt. Inwieweit diese unter Unter der Fülle der Informationen leidet zugegebener- diesen experimentellen Bedingungen tatsächlich auf maßen etwas die Übersichtlichkeit des Werkes, welches realistische Bedingungen übertragbar sind – Stichwort im Stile einer Monographie abgefasst und zudem mit Prädatorenausschluss – muss im Detail dahingestellt Unmengen an nicht immer notwendigen Randinforma- bleiben. tionen angefüllt ist. Dies führt auch dazu, dass einige Neben systematischen Aufnahmen und Versuchen fan- durchaus interessante Aspekte, etwa der Zusammen- den Zufallsbeobachtungen zum Verhalten und zur Öko- hang zwischen Elytrenlänge und besiedeltem Habitat,

92 etwas untergehen. Hierzu gibt es im Übrigen in der Einblicke in das System einer dynamischen Flussland- internationalen Literatur, welche vom Autor leider schaft. Es kann daher auch dem an Naturschutzpraxis weitgehend ignoriert wurde, durchaus interessante ver- und Landschaftsplanung interessiertem Leser empfoh- gleichbare Befunde, auch von Oedipoda caerulescens. len werden. Überdies verzichtet der Autor – abgesehen von einigen morphometrischen Daten – meist auf jede Form ex- Dr. habil. Martin Schädler plorativer Statistik. Zusammen mit einer Straffung der Helmholtz-Centre for Environmental Research (UFZ) Inhalte hätte dies eine punktuelle Aufwertung der mit Dept. Community Ecology viel Arbeit und Sachkenntnis erhobenen Erkenntnisse Theodor-Lieser-Str. 4 · 06120 Halle bedeutet. Bei den Vorschlägen zur „weiteren wissen- E-Mail: [email protected] schaftlichen Bearbeitung“ hätte man durchaus neben den unmittelbaren naturschutzfachlich-angewandten Aspekten auch auf den weiteren (und in diesem Zusam- menhang durchaus relevanten!) ökologischen Kontext Hardtke, H.-J., F. Klenke & F. Müller (2013): Flora des eingehen können. So konnten Untersuchungen am Elbhügellandes und angrenzender Gebiete. – Dresden Kiesbankgrashüpfer (Chorthippus pullus) zeigen, dass (Sandstein Verlag): 718 S. – ISBN 978-3-95498-039-0. (halb-)natürliche Flusssysteme einen entscheidenden – 48,00 €. Anteil an der Aufrechterhaltung der genetischen Di- versität der Art haben. Eine Übertragbarkeit solcher Nach dem „Atlas der Farn- und Blütenpflanzen Sach- Ergebnisse auf die Populationen der beiden untersuch- sens“ und der „Flora Sachsens“ liegt nun schon wieder ten Arten für den Bereich der Mittleren Mulde würde die abschließende Veröffentlichung eines grundlegen- die ökologische Bedeutung dieses und ähnlicher Land- den Gemeinschaftswerks vieler, zumeist ehrenamtlich schaftselemente entscheidend unterstreichen. wirkender Botaniker aus Sachsen vor, für dessen Gelin- Es gelingt dem Autor, eine umfassende Einordnung gen offenbar Herr Prof. Hardtke sowohl organisatorisch der Befunde in Schlussfolgerungen für Konsequenzen als auch inhaltlich einen wesentlichen Beitrag geleistet für die Naturschutzpraxis vorzunehmen. Dabei wird hat. der Eignung beider Arten als Leit-, Zeiger- und Zielart besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Besonder- heiten in der Biologie und Ökologie der beiden Arten werden herausgearbeitet und münden in detaillierte Artensteckbriefe und Handlungsempfehlungen. Beson- ders hervorheben möchte der Rezensent die Befunde des Autors, wonach für beide Arten in weiten Teilen des weiteren Untersuchungsgebietes negative Populations- trends zu verzeichnen sind, wovon sich der Bereich der Mittleren Mulde positiv abhebt, freilich immer modu- liert durch die natürliche Landschaftsdynamik. Dies verdeutlicht den vielerorts zu beobachtenden Trend zur intra-arealen Bestandsabnahme in Sekun- därlebensräumen als Folge von Nutzungsaufgabe und Rekultivierung. Es unterstreicht zudem exemplarisch für andere Organismengruppen die Tatsache, dass alle verbleibenden und auch die wiederherzustellenden, durch natürliche Dynamiken geprägte Landschaften in Zukunft ein essenzieller Faktor für die Erhaltung der Arten sein werden. Das breite Spektrum an biologischen und ökologischen Basisinformationen zu den Arten ist eine potenzielle Grundlage für weitere wissenschaftliche Studien. Vor allem aber bietet das Buch eine Fülle von Informationen für alle Orthopterologen, aber auch fachlich relevante

93 Das Bezugsgebiet umfasst die weitere Umgebung von räume erläutert und bei seltenen Arten auch genauer be- Dresden: im Nordosten von Riesa über die Großen- legt. Separat werden die erste dokumentierte Nennung hainer Pflege, die Lausitzer Platte bis an den Rand der jeweiligen Art im Gebiet sowie Gefährdungsgrad des (nicht eingeschlossenen) Elbsandsteingebirges, im und Gefährdungsursachen genannt. Für jede Art ist Süden das Osterzgebirge von Bad Gottleuba entlang ersichtlich, wie viele Datensätze ausgewertet wurden. der Grenze zur Tschechischen Republik bis zur Tal- Da die Arten innerhalb einer Familie alphabetisch sperre Rauschenbach, im Westen das Mittelsächsische sortiert sind, ist das Gattungsregister im Anhang für Lößgebiet einschließlich Freiberg bis vor die Tore von deren Auffinden wichtig. Ein umfangreiches Literatur- Oschatz und Mühlberg (ausschließlich). verzeichnis komplettiert den Anhang. Kurze einleitende Kapitel fassen eine große Informa- Das Werk veranschaulicht eine einzigartige Datenfülle tionsfülle sehr kompakt zusammen. In der Einleitung und sollte als Nachschlagewerk in keiner regionalen erfahren wir, dass über 100 namentlich aufgeführte Bibliothek mit botanischer oder naturkundlicher Aus- Personen über 38 Jahre an diesem Projekt gearbeitet richtung fehlen. Es sollte insbesondere Arbeitsgrund- haben. Eine konzentrierte Zusammenfassung unter- lage für Floristen, Naturschützer sowie Land- und setzt die naturräumlichen Einheiten des Gebietes mit Forstwirte sein, ist aber auch einer breiten Öffentlich- den für diese typischen Vegetationseinheiten charak- keit zu empfehlen, da es nicht nur in die Schönheit der teristischen Arten. Ein kurzer Abriss der floristischen heimischen Natur einführt, sondern auch wichtige kul- Erforschung im Raum Dresden skizziert das Wirken turgeschichtliche Rückschlüsse ermöglicht. von etwa 50 Botanikern seit dem 18. Jahrhundert und fasst die Aktivitäten der Arbeitsgruppe „Floristik des Dr. Dieter Frank Elbhügellandes“ seit 1975 zusammen. Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt In einem ansprechenden Bildteil mit 174 Abbildungen Fachbereich Naturschutz wird in die Vielfalt, Eigenart und Schönheit der cha- Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) rakteristische Lebensräume und Arten des Gebietes E-Mail: [email protected] eingeführt. Diese bunten Seiten dokumentieren nicht nur aktuelle Biotopausstattungen und Nutzungsver- hältnisse, sondern motivieren den Leser auch zur Arbeit mit dem farblosen lexikalischen Hauptteil des – im dop- Deutscher Rat für Landespflege e. V. & Bund pelten Sinne des Wortes – gewichtigen Werkes. Neben Heimat und Umwelt e. V. (2013): Anforderungen häufigeren Arten sind auch Seltenheiten wie Potentilla an den Um- und Ausbau des Höchstspannungsstrom- lindackeri oder Neuankömmlinge wie Eragrostis mul- netzes – aus Sicht von Naturschutz und Kulturland- ticaulis abgebildet. schaftspflege. Ergebnisse eines F+E-Vorhabens vom Im Hauptteil wird auf über 600 Seiten die Verbreitung 1. November bis 30. Juni 2013. – Schriftenreihe des der im Bezugsgebiet nachgewiesenen Arten dokumen- Deutschen Rates für Landespflege, Heft 84: 178 S. tiert. In der Regel werden jeweils drei Arten pro Seite – Bezug: Druckzenter Meckenheim (DCM, Werner- behandelt. Für die meisten Arten werden die Verbrei- von-Siemens-Str. 13, 53340 Meckenheim, E-Mail: tungsinformationen (insgesamt mehr als 1 Mio. Daten- [email protected]. – ISSN: 0930-5165. – sätze) in einer detaillierten Rasterkarte (Raster 1 km x 5,50 € (zzgl. MwSt.). 1 km) zusammenfassend dargestellt. Diese detaillier- ten Rasterangaben unterscheiden drei Zeitebenen, vor Der Deutsche Rat für Landespflege e. V. (DLR) und der 1900, von 1900 bis 1975 und ab 1975. Leider werden im Bund Heimat und Umwelt e. V. (BHU) befassen sich aktuellen Zeitfenster Angaben aus fast vier Jahrzehn- in einer Studie mit dem Um- und Ausbau des Höchst- ten zusammengefasst. Die räumliche Zuordnung der spannungsstromnetzes und geben Empfehlungen zu Vorkommenspunkte in den Karten allein anhand von einer natur- und umweltverträglichen Planung und MTB-Raster, Naturraumgrenzen, Gewässersystem und Gestaltung. Das Ergebnis dieser Studie sowie zahl- angedeuteten Höhenverhältnissen ist für Nutzer ohne reiche dafür verwendete Einzelbeiträge sind im Heft sehr gute Gebietskenntnis sehr aufwändig. Der beglei- 84 der vorliegenden Schriftenreihe veröffentlicht. Die tende Text nennt neben dem wissenschaftlichen auch Aufsätze vermitteln einen tieferen Einblick in die un- deutsche Artnamen und Synonyme, den floristischen terschiedlichen Facetten des geplanten Netzausbaus Status und charakteristische Lebensräume. Die Ver- und werden daher jedem empfohlen, der sich näher breitung und Häufigkeit wird mit Bezug auf die Natur- mit der Thematik beschäftigen muss oder möchte. Wer

94 regionalen Infrastrukturvorhaben, das „überwiegende öffentliche Interesse“ bereits festgeschrieben und der Handlungsspielraum damit begrenzt ist. Leider findet sich in dem ansonsten breit gefächerten Spektrum kein Beitrag aus der für die Genehmigung der Planungen zuständigen Bundesnetzagentur. So wäre es z. B. inter- essant zu wissen, unter welchen Gesichtspunkten und/ oder Zwangspunkten die vier großen Trassenkorridore festgelegt wurden und wie die Genehmigungsbehörde zu einer breiten offensiven Öffentlichkeitsbeteiligung steht, die gemäß der vorgelegten Studie den Um- und Ausbau des Stromnetzes beschleunigen könnte. Neben einer vertiefenden Diskussion rechtlicher, technischer und zukunftsweisender Aspekte werden auch aktuelle Konzepte zur Trassenpflege im Allgemeinen und die Bewältigung der Eingriffsregelung an einem konkreten Beispiel besprochen. Interessant ist auch ein neuer hier vorgestellter methodischer Ansatz für die Landschafts- bildbewertung, der jedoch (noch) nicht umfassend operationalisiert vorliegt. Da wichtige Ergebnisse der Studie auf den enthaltenen Einzelbeiträgen basieren, hätte die Ergebnisdarstellung als Einführungsartikel wesentlich gestrafft werden können, um mehr oder -we niger störende Redundanzen zu vermeiden. Ansonsten bietet das vorliegende Heft einen wertvollen Beitrag zur hochkomplexen Problematik des Stromnetzausbaus pauschale „Rezepte“ im Umgang mit dem Netzausbau und wird zur Lektüre empfohlen. erwartet, wird sicher enttäuscht, da auch hier, wie bei jedem anderen Eingriff in Natur und Landschaft, der Teufel im Detail steckt, weil immer örtliche und re- Jörg Günther gionale Besonderheiten in Verbindung mit den tech- Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt nischen Möglichkeiten zu berücksichtigen sind. Eine Fachbereich Naturschutz wesentliche Einschränkung besteht allerdings darin, Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) dass beim Netzausbau, wie übrigens bei vielen über- E-Mail: [email protected]

95 Impressum

Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt Hinweise für Autoren: ISSN 0940-6638 Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Haftung, insbesondere keine Verpflichtung zur Herausgeber: Veröffentlichung, übernommen. Grundsätzlich werden Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt nur bisher unveröffentlichte Beiträge angenommen. Es Fachbereich Naturschutz wird gebeten, die Manuskripte als Fließtext auf Daten- PF 200841 · 06009 Halle (Saale) träger an die Redaktion einzureichen. Der Umfang des Tel.: (0345) 5704 601 · Fax: (0345) 5704 605 Manuskriptes sollte zehn Seiten (ca. 4.200 Zeichen) E-Mail: [email protected] nicht überschreiten. Grafiken und Abbildungen sollen Internet: http://www.lau-st.de nicht in den Text integriert sein und in Originalformat und -auflösung geliefert werden. Die Bildbreite muss bei Redaktion: einspaltiger Darstellung min. 800 Pixel, bei zweispalti- Steffen Szekely ger Abbildung min. 1.700 Pixel betragen. Bildredaktion: Die Autoren sind für den fachlichen Inhalt ihrer Bei- Stefan Ellermann träge selbst verantwortlich. Die von ihnen vertretenen Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt Ansichten und Meinungen müssen nicht mit denen des Fachbereich Naturschutz Herausgebers übereinstimmen. Reideburger Str. 47 · 06116 Halle (Saale) Eine redaktionelle Überarbeitung wird abgestimmt. Die Beiträge können nicht honoriert werden, es werden Schriftleitung: zehn Exemplare des jeweiligen Heftes zur Verfügung Steffen Szekely (Landesamt für Umweltschutz Sach- gestellt. sen-Anhalt), Dr. Wolfgang Böttcher (Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt Sachsen-Anhalt), Fred Vertrieb: Braumann (Naturparkverwaltung Drömling), Egbert Naturschutz- und andere Behörden und Dienst- Günther (Untere Naturschutzbehörde Landkreis Harz), stellen sowie haupt- und nebenamtliche Natur­ Prof. Dr. Matthias Jentzsch (Landesamt für Umwelt- schutzmitarbeiter(innen) im Land Sachsen-Anhalt schutz Sachsen-Anhalt), Dr. Hans-Ulrich Kison (Nati- erhalten die Zeitschrift kostenlos. Alle kostenlos abge- onalparkverwaltung Harz), Dr. Ulrich Lange (Landes- gebenen Hefte dürfen auch nur kostenlos weitergege- amt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt), Dr. Lutz Reich- ben werden. Käuflicher Bezug gegen eine Schutzgebühr hoff (LPR Landschaftsplanung Dr. Reichhoff GmbH), über Bestellung bei: Robert Schönbrodt (Ministerium für Landwirtschaft NATURA Fachbuchhandlung und Umwelt Sachsen-Anhalt) und Dr. Uwe Thalmann Adolf-Grimme-Ring 12 · 14532 Kleinmachnow (Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt) Tel.: (033203) 22 468

Gestaltung und Satz: Schutzgebühr: 4,– € Satzstudio Borngräber Nachdrucke – auch auszugsweise – sind nur mit aus- Albrechtstraße 10 · 06844 Dessau-Roßlau drücklicher Genehmigung des Herausgebers gestattet. Gedruckt auf Papier mit 50 % Altpapieranteil. Druck: Halberstädter Druckhaus GmbH Titelbild: Artenreicher Steppenrasen mit Frühlings- Osttangente 4 · 38820 Halberstadt adonisröschen im Unstruttal. Foto: S. Ellermann.

Kartendarstellung mit Genehmigung des Landesamtes für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt. Geobasisdaten © GeoBasis-DE | LVermGeo LSA | 010312

96 Oben: Kiesbank in einem der wenigen noch relativ naturnah erhaltenen Abschnitte der Helme bei Martinsrieth Vitale, blütenreiche Frauenschuh-Gruppe (Cypripedium calceolus) in einem Halbtrockenrasen im FFH-Gebiet „Gewässersystem der Helmeniederung“ (FFH0134LSA). Foto: G. Jarosz. im unteren Unstruttal. Foto: C. Hein. Unten: Quappe (Lota lota) in ihrem natürlichen Lebensraum. Foto: J. Porstendorfer (Aufn. nicht aus der Helme). Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt. Jahresheft 2013 Naturschutz SachS Im Land Landesamt fürUmweltschutz SACHSE La en-a ndesa mt fü N- r Umwe ANHA 50. Jahrgang·Jahresheft2013 ltsc nhaL hu tz LT ISSN 0940-6638 t