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BAD ALCHEMY 54 „Aber wie sieht es in Europa aus? Von hier aus rollt weiter dieses imperiale Bündnis, das sich ermächtigt, jedes Land der Erde, das sich seiner Zurichtung für die aktuelle Neu- verteilung der Profite widersetzt, aus dem Himmel herab zu züchtigen und seine ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln. Die propagan- distische Vorarbeit leisten dabei Regierungen und große professionelle PR-Agenturen, die Ideologien verbreiten, mit denen alles verherrlicht wird, was den Menschen darauf reduziert, benutzt zu werden. Trotzdem gilt hier ebenso: ‚Das geht anders’… Die spezielle Sache dürfte sein, dass die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen ‚Rettern’ entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen…“ Alles Klar? Und eigentlich selbstverständlich? Oder absolut verwerflich und – igitt - ter- roristisch? Einigen wir uns auf das, was wir am besten können – kuschen und hoffen, weiterhin nützlich genug zu sein, um weiterhin benutzt zu werden (am besten von einer der großen PR-Agenturen, aber eine der kleineren tut’s auch). Irgendwo muss das Geld… naja, wir wissen ja alle, wie’s ist (und sooo fürchterlich isses ja nicht, Hans Henny). Wir sin’ doch hier nicht in Bagdad oder Cali oder Juárez oder Soweto oder Weicheier wie die Litauer (74 Selbstmorde pro 100 000 Einwohner). WIR sind doch nicht blöd (wobei – 7 Frauen, 20,4 Männer?). DER DISKRETE CHARME DER LEISEN TÖNE Dörner - Brandlmayer - Sachiko M Wenn club W71 drauf steht, ist garantiert etwas Besonderes darin. Erneut bestätigten die Weikersheimer ihren überregionalen Ruf, indem sie am 4.2.2007 das einzige Deutschland- konzert des OTOMO YOSHIHIDE QUARTETs möglich machten, das dem treuen Kreis abenteuerlustiger Zuhörer viel versprach, wenn auch kaum jemand genau wusste, was. Der österreichische Schlagzeuger MARTIN BRANDLMAYR durchgroovt mit Projekten wie Radian und Trapist das weite Feld zwischen „Postrock“ und geschmeidiger Improvisation. AXEL DÖRNER bläst seine Trompete bei Die Enttäuschung, The Electrics oder – wie schon im KULT Niederstetten zu hören - der Territory Band, er kann aber auch ganz anders. SACHI- KO M vertritt als Sinuswellenreiterin konsequent die japanische Spielart von „Geräusch- musik“. Und OTOMO YOSHIHIDE schließlich, der mit Plattenspielern und Gitarre nach Ground Zero nun sein New Jazz Quintet anführt, gilt weltweit als einer der kreativsten und vielseitigsten Köpfe des New Jazz und der elektrifizierten Improvisation. Doch zusammen? Das Quartett hatte sich 2005 speziell für die Donaueschinger Musiktage formiert. Seine Klangkreation ist also gütegesiegelt als Musica Nova und hochprozentiges Betthupferl für SWR2-Radiotrinker in der Stunde vor Mitternacht. Der Gedanke, dieser Musik am besten im Dunkeln zu lauschen, so dass die feinen Geräusche hinter geschlossenen Lidern aufblühen wie Farbtropfen in einem Wasserglas, stellte sich an diesem Abend immer wieder ein. Mit Farbschlieren wie Dörners Slidetrompetenfauchen, das er mit allerhand Dämpfern und auch noch elektronisch moduliert; wie das stechende Fiepen und Brummen, das die zierli- che Sachiko M, auf drei aufeinander gestapelten Stühlen (!) thronend, mit unbewegter Mie- ne ihrem Sampler entlockt; wie das Knistern und Knacken der Tonabnehmer, mit denen Yoshihide hantiert, wobei er keine (!) Schallplatten scratcht, sondern nur mit dem Knacksen und Knurschen der Turntables selber operiert. Dazu tupft und schabt Brandlmayr mit Be- sen und Klöppeln vorsichtig auf seinen Fellen, lässt die Cymbals klacken und sirren, strei- chelt mit dem Geigenbogen feine Vibrationen aus Metallscheiben. Oft verblüffend Ton in Ton mit den elektronischen Frequenzbändern der andern drei. Man muss es gesehen ha- ben, um es zu glauben. 3 Denn natürlich ist man viel zu neugierig, um die Augen zu schließen. Dazu sind die sach- ten Manipulationen auf der W71-Bühne viel zu spannend, der Ohrenkitzel zu eigenartig. Denn was ist das überhaupt, was da so finger-, lippen-, zehenspitz zelebriert wird? Ist da Andacht angesagt oder hintersinniger Humor? Öffnet sich hier ein klingender Zen- garten ähnlich John Cages „Ryoanji“, um da- rin zu tagträumen? Wird da ein Lob der haar- feinen Unterschiede angestimmt, oder der Geräuschvielfalt gehuldigt? Rhythmus und Melodie spielen in dieser transparent geweb- ten dröhnminimalistischen Landschaft die geringste Rolle, sie driften allenfalls mal kurz als Schatten eines Schattens durchs ‚Bild’. Das, anders als die herkömmliche, spöttisch aber plastisch „Plinkplonk“ getaufte Freie Im- provisation, definitiv keinem Jackson Pollock ähnelt. Hier wird nicht vehement gespritzt, vielmehr werden sublime, oft monochrome Tönungen belichtet und abgeschattet. Ver- setzen einen die „Plinkplonker“ gern auf einen Schrottplatz während eines Hagelsturms, so betten einen diese Klanglandschaftsmaler vor das Farbenspiel abendrot beleuchteter Wolkenbänke. Nur sanfter Lufthauch streift die Stirn, hinter der ein Mobile schwerelos balanciert, während der Goldrand am Hori- zont der Imagination die Farbe des Rotweins annimmt, der so manches Glas im W71 füllt. Zwei Sets wurden gespielt, um dazwischen die Gläser wieder nachfüllen und das Faszi- nosum der ersten Halbzeit begackern zu können. Wie Dörner an seiner Trompete öf- ters zu saugen als zu blasen schien, wie er nicht ins Mundstück, sondern direkt ins Mik- rophon pustete, wie er mit dem Dämpfer nur über den Trompetentrichter schabte. Wie Yoshihide Münzen um den Plattentellerrand kreiseln oder wie er die Gitarre ins Spiel brachte, indem er ein Küchenmesser zwi- schen den Saiten schnarren ließ. Wie die Vier jeder Anmutung bierernster Kunstfröm- melei gegensteuerten durch die Selbst- verständlichkeit ihres konzentrierten, acht- samen Spiels. Hier schien er zum Greifen, auch zum Begreifen nah – der Zauber des Simplen, der der entzauberten Welt abhan- den gekommen ist. Das merklich bezauberte W71-Publikum spielte perfekt mit, ließ mal die Türe seufzen oder ein leises Schnarchen hörbar werden, hielt aber hauptsächlich so einverständig die Luft an, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hö- ren können. Auf der Heimfahrt nach Würz- burg gab es zwar vier Meinungen, aber kei- nen, bei dem der diskrete Charme des Ge- hörten nicht an Stellen vorgedrungen wäre, an denen schon lange kein Staub mehr ge- wischt worden war. 4 NORTHERN STARS Am 24.2.2007 war schon wieder eine Sternfahrt in den Weikersheimer club W71 ange- sagt, Anlass dafür – die SURVIVAL UNIT III, den W71- & KULT-Gängern bekannt als 3/10 des Peter Brötzmann Chicago Tentets in Gestalt des Cellisten Fred Lonberg-Holm (*1962), des Drummers Michael Zerang (*1958) und vor allem des Pockettrompeters & Tenorsaxo- phonisten Joe McPhee (*1939). Manche kamen mit dem Vorwissen, dass Lonberg-Holm ähnlich wie Erik Friedlander und Martin Schütz auf tollkühne Weise die Cello-Tradition des furiosen Tom Cora fortsetzt mit einem Spektrum von der Abstraktion eines Guillermo Gre- gorio, den Experimenten seines Light Box Orchestra über Terminal 4 und Pillow bis zum Höllenlärm mit Weasel Walter; dass Zerang, der erst im vergangenen November im Al Mas- lakh Ensemble den W71 mit Brailleschrift bekritzelt hatte, zusammen mit Hamid Drake den Chicago Beat bestimmt und das bevorzugt in Projekten mit Lonberg-Holm; und dass McPhee inzwischen als einer der ‚Black Magic Men’ der transafrikanischen Musik endlich die Bewunderung erntet, die er sich durch seine Einspielungen für HatHUT in den 70ern und für CIMP in seinem späten Frühling, vor allem mit dem Trio X, verdient hat. Andere ver- ließen sich auf die W71-Auslese als Garant des Außerordentlichen und zogen nur ange- sichts der Effektpedale rund um das Cello die Augenbrauen hoch. Doch was bekam man da geboten? JUST MUSIC, nannte es McPhee hinterher. Er könne es auch nicht genauer erklären, nur dass dieses Trio so beisammen sei wie ein Vogel- schwarm, der die abruptesten Richtungsänderungen gemeinsam ausführt. Ich bin hin und her gerissen, was ich erstaunlicher fand. Wie sich tastend aus Geräuschen und Klangfar- ben allmählich Muster bildeten. Wie vor allem McPhee, dem man seine 68 Jahre einfach nicht glauben mag, auch wenn er versichert, dass er in den frühen 60ern 2 Jahre im US- Army Music Corps in der Würzburger Emery Barracks ‚gedient’ hat, daraus melodiöse, im- mer wieder lyrische, bluesige, hymnische Vibes formte. Oder wie die Drei das eine und das andere, Plinkplonk, Groove und Lied, so ineinander verwickelten, dass es ein natürliches Ganzes ergab. Music, just Music. Zerang spielte mit Plastik- und geriffelten Holzstöcken, Schlegeln und Croupierrechen, mit denen er über Felle, Cymbals oder Metalldeckel hinweg oft einfach nur durch wechselnden Druck raffinierte Klangschlieren schabte, quietschte, spitzentänzelte und im Handumdrehen krumme Taktfolgen klopfte, die über die vorderasia- tische Handelsstraßen und den Balkan ihren Weg in den Westen gefunden zu haben schie- nen. Sein umwerfendes Spiel mit Farben und Mantras animierte selbst Grauköpfe im rand- voll besetzten Club zum Headbangen. 5 Dieser orientalische Pol, den Zerang, „a first generation American of Assyrian descent“, mit breitem Gesicht und Pferdeschwanz, adäquat verkörpert, stand in ständiger Spannung mit dem kaukasischen des hageren, bärtigen, wollmützigen Cellisten, der mit Pizzikato- und Arcofinessen die Saiten chromatisch zum Schwingen brachte und blitzschnell den Klang durch Delay, Wah Wah, Rückwärtsloops, Feedback oder Frequenzmodulation