Plenarprotokoll 10/59

Deutscher

Stenographischer Bericht

59. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Inhalt:

Begrüßung einer Delegation des Parla eingebrachten Entwurfs eines ... Straf- ments der Republik Irland 4157 C rechtsänderungsgesetzes — § 303 StGB — Drucksache 10/308 — 4213A Glückwünsche zu den Geburtstagen der Abg. Immer (Altenkirchen) und Dr. Ah rens 4157C, D Fortsetzung der ersten Beratung (Aus- schußüberweisung) *) des von der Bundes- Wahl der Abg. Frau Dr. Martiny-Glotz als regierung eingebrachten Entwurfs eines ordentliches Mitglied und des Abg. Duve ... Strafrechtsänderungsgesetzes — § 125 als stellvertretendes Mitglied in Zen Ver- StGB waltungsrat der Filmförderungsanstalt 4157 D — Drucksache 10/901 — 4213 B

Bericht zur Lage der Nation Fortsetzung der ersten Beratung (Aus- Dr. Kohl, Bundeskanzler 4158A schußüberweisung) *) des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Sir. Vogel SPD 4165B Gesetzes zur Änderung des Einführungs- Dr. Waigel CDU/CSU 4172A gesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz Schneider (Berlin) GRÜNE 4178 B Drucksache 10/902 — 4213 B Hoppe FDP 4183A Diepgen, Regierender Bürgermeister des Zweite Beratung und Schlußabstimmung Landes Berlin 4187 C des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zwei- Dr. Diederich (Berlin) SPD 4192 C ten Protokoll vom 21. Juni 1983 zur Ände- Dr. Graf Lambsdorff, Bundesminister rung des Vertrags vom 27. Oktober 1956 BMWi 4195B zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land, der Französischen Republik und dem Dr. Schmude SPD 4198 B Großherzogtum Luxemburg über die Lintner CDU/CSU 4200 C Schiffbarmachung der Mosel Horacek GRÜNE 4202 A — Drucksache 10/736 — 4213 C Frau Terborg SPD 4202 C Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Dr. Hupka CDU/CSU 4204 A schusses für Verkehr - Hiller (Lübeck) SPD 4205 D — Drucksache 10/997 — Büchler (Hof) SPD 4207 C Erste Beratung des von der Bundesregie- Windelen, Bundesminister BMB 4210 D rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Wiener Übereinkommen vom Fortsetzung der ersten Beratung (Aus 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge schußüberweisung) *) des vom Bundesrat — Drucksache 10/1004 — 4213 D

II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Erste Beratung des vom Bundesrat einge- Bericht der Bundesregierung über die Ent- brachten Entwurfs eines Dreißigsten Ge- wicklung der Finanzhilfen des Bundes und setzes zur Änderung des Lastenausgleichs- der Steuervergünstigungen für die Jahre gesetzes 1981 bis 1984 gemäß § 12 des Gesetzes zur — Drucksache 10/1015 — 4213 D Förderung der Stabilität und des Wachs- tums der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 (Neunter Subventionsbericht) Erste Beratung des von der von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- — Drucksachen 10/352, 10/1037 — 4214 D nes Gesetzes über Maklerverträge — Drucksache 10/1014 — 4213 D Fragestunde Erste Beratung des von der von der Bun- — Drucksache 10/1100 vom 9. März 1984 — desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Seefischereigesetzes Politische Mittel gegen grenzüberschrei- — Drucksache 10/1021 — 4214A tende Luftverunreinigungen; Einbau einer Entschwefelungsanlage in das Kraftwerk Erste Beratung des von der von der Bun- Maaszentrale desregierung eingebrachten Entwurfs ei- MdlAnfr 30, 31 09.03.84 Drs 10/1100 nes Gesetzes zu dem Abkommen vom Stahl (Kempen) SPD 22. Mai 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Antw PStSekr Spranger BMI 4145 B, D, gierung der Volksrepublik Polen über den 4146 A, B, C, D zivilen Luftverkehr ZusFr Stahl (Kempen) SPD . 4145D, 4146A, B, C — Drucksache 10/1000 — 4214 A Bemühungen der DKP um eine Zusam- Erste Beratung des von der von der Bun- menarbeit mit Sozialdemokraten desregierung eingebrachten Entwurfs ei- MdlAnfr 39 09.03.84 Drs 10/1100 nes Ersten Gesetzes zur Änderung des Dr. Olderog CDU/CSU Durchführungsgesetzes EG-Richtlinien Funkstörungen Antw PStSekr Spranger BMI 4147 A, C, D — Drucksache 10/1001 — 4214A ZusFr Dr. Olderog CDU/CSU 4147 B ZusFr Lambinus SPD 4147 C Erste Beratung des vom Bundesrat einge- ZusFr Jansen SPD 4147 D brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Städtebauförderungsgesetzes Abschaffung der Personenverkehrskon- — Drucksache 10/1013 — 4214A trollen an den EG-Binnengrenzen Beratung der Sammelübersicht 25 des Pe- MdlAnfr 32 09.03.84 Drs 10/1100 titionsausschusses über Anträge zu Peti- Stiegler SPD tionen Antw PStSekr Spranger BMI 4148A,B — Drucksache 10/1023 — ZusFr Stiegler SPD 4148 B,C

in Verbindung mit Zusammenlegung der START- und INF- Verhandlungen Beratung der Sammelübersicht 26 des Pe- MdlAnfr 18, 19 09.03.84 Drs 10/1100 titionsausschusses über Anträge zu Peti Dr. Scheer SPD tionen Antw StMin Dr. Mertes AA . 4148D, 4149A, B, C, — Drucksache 10/1035 — 4214 B 4150 A, B Beratung der Ubersicht 5 des Rechtsaus- ZusFr Dr. Scheer SPD 4149 A, C, D schusses über die dem Deutschen Bundes- ZusFr Dr. Soell SPD 4150 A tag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Völkerrechtliche Anerkennung von Staa- — Drucksache 10/1032 — 4214 C ten durch die Aufnahme diplomatischer- Beziehungen; Auswirkung auf die deutsche Absetzung des Punktes 16 von der Tages- Frage ordnung 4214 C MdlAnfr 21 09.03.84 Drs 10/1100 Dr. Czaja CDU/CSU Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Antw StMin Dr. Mertes AA 4150C,D Unterrichtung durch die Bundesregierung ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 4150C,D

Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 III

Behandlung von Menschenrechtsverlet- Koordinierung der Forschungsvorhaben zungen gegenüber Deutschen durch eine im Bereich nachwachsende Rohstoff-Ener- deutsch-polnische Regierungskommission gien in der EG MdlAnfr 22 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 59 09.03.84 Drs 10/1100 Dr. Czaja CDU/CSU Eigen CDU/CSU Antw StMin Dr. Mertes AA 4151 A, C, D Antw PStSekr Dr. von Geldern BML 4156 B, C, D ZusFr Dr. Czaja CDU/CSU 4151 B, D ZusFr Eigen CDU/CSU 4156C,D ZusFr Becker (Nienberge) SPD 4151 D Benachteiligung schwerbehinderter Heim- bewohner mit geringem Taschengeld Verlangen der Schweizer Bundesregierung durch die Neuordnung der unentgeltlichen auf Rückführung des sowjetischen Asylbe- Beförderung Schwerbehinderter werbers Waschtschenko aus der Bundesre- MdlAnfr 62 09.03.84 Drs 10/1100 publik Deutschland Frau Dr. Vollmer GRÜNE MdlAnfr 23 09.03.84 Drs 10/1100 Antw PStSekr Franke BMA 4157 A, B, C Dr. Soell SPD ZusFr Frau Dr. Vollmer GRÜNE 4157 B Antw StMin Dr. Mertes AA 4152 A, B, C ZusFr Dr. Soell SPD 4152 B Nächste Sitzung 4215A ZusFr Dr. Sperling SPD 4152 B

Anlage 1 Verkürzung der Sperrfrist für Bauspardar- lehen von 10 auf 7 Jahre Liste der entschuldigten Abgeordneten 4217*A MdlAnfr 47 09.03.84 Drs 10/1100 Dr. Sperling SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF 4152D, 4153A Anlage 2 ZusFr Dr. Sperling SPD 4152D, 4153A Amtliche Mitteilungen 4217* B Abbau bürokratischer Hemmnisse MdlAnfr 55 09.03.84 Drs 10/1100 Dr. Sperling SPD Anlage 3 Antw PStSekr Grüner BMWi 4153 B, C, D Speicherung der Besteller von Schriften der Bundesregierung ZusFr Dr. Sperling SPD 4153C,D MdlAnfr 28 09.03.84 Drs 10/1100 Conradi SPD Verbot der Einfuhr von Schildkrötenpro- dukten zu kommerziellen Zwecken; Art der SchrAntw PStSekr Spranger BMI 4217* D nach dem 1. Januar 1984 eingeführten Pro- dukte MdlAnfr 56, 57 09.03.84 Drs 10/1100 Anlage 4 Stutzer CDU/CSU Verweigerung politischen Asyls für den in Antw PStSekr Dr. von Geldern BML 4154A, B, C, D, Afghanistan gefangenen und über die 4155 A, B, C Schweiz in die Bundesrepublik Deutsch- ZusFr Stutzer CDU/CSU . . . 4154 B, C, 4155A, B land gekommenen sowjetischen Soldaten J. I. Waschtschenko ZusFr Lambinus SPD 4154 C MdlAnfr 29 09.03.84 Drs 10/1100 ZusFr Frau Dr. Bard GRÜNE 4154 D Dr. Soell SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI 4217* D Wettbewerbsverzerrungen durch unter- schiedliche Handhabung von Denaturie- rung und Verfütterung von Magermilch- pulver in den Niederlanden und der Bun- Anlage 5 desrepublik Deutschland Einfluß der DKP auf die Deutsche Frie- MdlAnfr 58 09.03.84 Drs 10/1100 densgesellschaft — Vereinigte Kriegs- Eigen CDU/CSU dienstgegner Antw PStSekr Dr. von Geldern BML 4155C, D, MdlAnfr 35 09.03.84 Drs 10/1100 4156A Dr. Laufs CDU/CSU ZusFr Eigen CDU/CSU 4155D, 4156A SchrAntw PStSekr Spranger BMI 4218* A

IV Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Anlage 6 Anlage 12 Entsendung führender Vertreter der Bindung einer Zuwendung von 500 Millio- KPdSU und der SED zum 7. Parteitag der nen DM an den Salzgitter Konzern an die KPD in Nürnberg Entlassung von 10 000 Mitarbeitern MdlAnfr 36 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 49 09.03.84 Drs 10/1100 Broll CDU/CSU Frau Simonis SPD SchrAntw PStSekr Spranger BMI 4218* C SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4220* D

Anlage 7 Anlage 13 Abschirmung von Ensemblemitgliedern ei- Diskriminierung von Ausländern beim Ab- nes vietnamesischen Musiktheaters in schluß von Kfz-Versicherungen München durch „Kampftruppen der DKP" zur Verhinderung von Asylanträgen; Ent- MdlAnfr 50 09.03.84 Drs 10/1100 sendung eines Vertreters der Konferenz Frau Dr. Martiny-Glotz der Landesschülervertretungen zum 7. Par- SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4221*A teitag der DKP im Januar 1984 MdlAnfr 37, 38 09.03.84 Drs 10/1100 Kalisch CDU/CSU Anlage 14 SchrAntw PStSekr Spranger BMI 4218* D Erhöhung der Schwefeldioxidemissionen aus Kohlekraftwerken durch verstärkte Verfeuerung von Ballastkohle; geplanter Anlage 8 Austausch von 1,7 Millionen Tonnen Bal- lastkohle aus der nationalen Steinkohlen- Anerkennung der Gemeinnützigkeit von reserve gegen Vollwertsteinkohle Kleingartenvereinen MdlAnfr 53, 54 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 42, 43 09.03.84 Drs 10/1100 Dr. Ehmke (Ettlingen) GRÜNE Frau Zutt SPD SchrAntw PStSekr Grüner BMWi 4221* B SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4219* C

Anlage 15 Anlage 9 Auswirkung der Eigenbeteiligung auf die Zahlung der Bußgelder gegen die VEBA- Gesamtausgaben für die Krankenhausbe- Glas AG durch die Verantwortlichen des handlung; Belastung der Volkswirtschaft Unternehmens durch Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte MdlAnfr 44 09.03.84 Drs 10/1100 Erkrankungen 1983 und seit 1958 Dr. Jens SPD MdlAnfr 60, 61 09.03.84 Drs 10/1100 SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4220*A Kirschner SPD SchrAntw PStSekr Franke BMA 4222* A Anlage 10 Schadlose Auflösung von Vermögensbil- Anlage 16 dungs-Sparverträgen durch erwerbsunfä- hige Sparer Wehrdienst- und zivile Manöveropfer seit Beginn der Wiederbewaffnung der Bundes- MdlAnfr 46 09.03.84 Drs 10/1100 republik Deutschland Westphal SPD MdlAnfr 63, 64 09.03.84 Drs 10/1100 SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4220*A Frau Schoppe GRÜNE SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4222* C Anlage 11

Urteil des Europäischen Gerichtshofs über Anlage 17 Einfuhrumsatzsteuer-Freiheit bei uner- laubtem Import von Betäubungsmitteln in Kritik an der Winterausrüstung der Solda- ein EG-Land ten MdlAnfr 48 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 65, 66 09.03.84 Drs 10/1100 Jäger (Wangen) CDU/CSU Sauter (Epfendorf) CDU/CSU SchrAntw PStSekr Dr. Häfele BMF 4220* C SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4222* D

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Anlage 18 (1. 1. 1984) neu eingerichteten Prüfungsaus- schüsse und deren Verteilung auf die Bun- Äußerungen Henry Kissingers über den desländer Vorrang innenpolitischer Probleme bei den europäischen NATO-Partnern MdlAnfr 79, 80 09.03.84 Drs 10/1100 Jaunich SPD MdlAnfr 68 09.03.84 Drs 10/1100 Lowack CDU/CSU SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4225* B SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4223* B Anlage 24

Anlage 19 Verspätete Veröffentlichung der ab 1. Ja- nuar 1984 gültigen KDV-Verordnung im Inanspruchnahme von niederländischen Bundesgesetzblatt und Anzahl der vom Einrichtungen durch die Bundeswehr im Stillstand der Rechtspflege betroffenen Rahmen des NATO-Verteidigungsauftra- Antragsteller ges; Maßnahmen gegen die Rauschgiftein- MdlAnfr 81, 82 09.03.84 Drs 10/1100 fuhr durch in den Niederlanden tätige Bun- Frau Schmidt (Nürnberg) SPD deswehrangehörige SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4225* D MdlAnfr 71, 72 09.03.84 Drs 10/1100 Milz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4223* C Anlage 25 Paritätische Berücksichtigung von Frauen und Männern in der KDV-Verordnung für Anlage 20 die Wahl der Beisitzer; Beschleunigung der Wahl der Ausschüsse für Kriegsdienstver- Verlust von Akten betr. Schadensregulie- weigerung rungen von Manöverschäden bei der WBV VI MdlAnfr 83, 84 09.03.84 Drs 10/1100 Gilges SPD MdlAnfr 73, 74 09.03.84 Drs 10/1100 Vahlberg SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4226*A SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4224*A Anlage 26

Anlage 21 Anteil der 1983 von den Prüfungsausschüs- sen noch bearbeiteten Anträge auf Kriegs- Neuordnungspläne für Kreiswehrersatz- dienstverweigerung ämter, insbesondere das Solinger MdlAnfr 85 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 75, 76 09.03.84 Drs 10/1100 Sielaff SPD Wilz CDU/CSU SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4226* C SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4224* C

Anlage 27 Anlage 22 Einstellung der Arbeit von Prüfungsaus- Zahl der von noch nicht gebildeten Aus- schüssen für Kriegsdienstverweigerer im schüssen für Kriegsdienstverweigerung zu zweiten Halbjahr 1983; Auswirkungen an- bearbeitenden Anträge auf Anerkennung gesichts der Verlängerung des Zivildien- als Kriegsdienstverweigerer; Beschleuni- stes gung der Anerkennungsverfahren für MdlAnfr 86, 87 09.03.84 Drs 10/1100 Kriegsdienstverweigerer während des Frau Dr. Czempiel SPD Wehrdienstes gemäß Urteil des Bundesver- SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4226* C fassungsgerichts vom 26. Mai 1970 MdlAnfr 77, 78 09.03.84 Drs 10/1100 Lambinus SPD Anlage 28 4224* D SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg Zustellung unbearbeiteter Anträge auf Kriegsdienstverweigerung an das Bundes- amt für den Zivildienst Anlage 23 MdlAnfr 88 09.03.84 Drs 10/1100 Zahl der seit Inkrafttreten des Kriegs- Delorme SPD dienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4227*A VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Anlage 29 Anlage 31 Ausschluß engagierter Berufsgruppen von Überwachung und Kontrolle ein- und aus- der Mitwirkung in den Ausschüssen für geführter Weine Kriegsdienstverweigerung MdlAnfr 91, 92 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 89 09.03.84 Drs 10/1100 Schartz (Trier) CDU/CSU Sielaff SPD SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 4228*A BMJFG 4227* B

Anlage 32 Anlage 30 Veröffentlichung der Vorschriften über die Auswirkung der Arbeitseinstellung der Sicherstellung der gesundheitlichen Ver- Prüfungsausschüsse auf die Besetzung von sorgung der Bevölkerung im Katastro- Zivildienststellen phenfall MdlAnfr 90 09.03.84 Drs 10/1100 MdlAnfr 95 09.03.84 Drs 10/1100 Delorme SPD Frau Dr. Vollmer GRÜNE SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki SchrAntw PStSekr Frau Karwatzki BMJFG 4227* C BMJFG 4228* D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4145

59. Sitzung

Bonn, den 15. März 1984

Beginn: 8.00 Uhr

Vizepräsident Frau Renger: Die Sitzung ist eröff- aber nach niederländischem Recht ausländischen net. Bürgern möglich, Einsicht in Genehmigungsunter- lagen zu nehmen und Einwendungen zu erheben. Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Es ist vorgesehen, nähere Informationen über die Tagesordnung auf: Umrüstung des Kraftwerks Buggenum auf der nächsten Sitzung der Deutsch-Niederländischen Fragestunde Raumordnungskommission zu erhalten. Im übrigen — Drucksache 10/1100 — hat der EG-Umweltministerrat am 1. März 1984 die Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- EG-Richtlinie zur Bekämpfung der Luftverunreini- sters des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr gung durch Industrieanlagen verabschiedet. Diese Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Grundsatzrichtlinie sieht u. a. auch eine Verpflich- Verfügung. tung zur Sanierung von Altanlagen vor. Die Frage 28 des Abgeordneten Conradi sowie die Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung Frage 29 des Abgeordneten Dr. Soell werden auf sowie über das Verfahren bei grenzüberschreiten- Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. den Umweltbelastungen sind im übrigen im Ent- Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. wurf einer EG-Richtlinie über die Prüfung der Um- Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten weltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen Stahl auf: und privaten Vorhaben enthalten, die im Juni 1984 im Umweltministerrat mit dem Ziel ihrer Verab- Wird die Bundesregierung dafür eintreten und welche schiedung beraten wird. Chancen sieht sie zur Durchsetzung, daß künftig im näheren Grenzbereich zu Nachbarländern, wie z. B. den Niederlanden, beizustellenden Industrieanlagen, auch Kraftwerken und de- Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Ab- ren Umrüstung, mit Immissionsauswirkungen auf die Um- geordneter. welt, grenzüberschreitende Einsprüche möglich werden, um Anhörungen von Verwaltungen und Bürgern beiderseits der Grenze zu ermöglichen, ehe die Genehmigungen der jeweili- Stahl (Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, habe gen Staatsaufsichtsbehörden zu grenzüberschreitenden Um- ich Sie richtig verstanden, daß Beteiligungsverfah- weltbelastungen führen? ren schon möglich sind, d. h., daß man über die Bitte, Herr Staatssekretär. Grenze Einspruch erheben kann? (Parl. Staatssekretär Spranger: Das ist Spranger, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- richtig!) ster des Innern: Herr Kollege Stahl, Beteiligungs- Deshalb meine Frage: Wird die Bundesregierung rechte für Behörden und Bürger der Bundesrepu- auch mit der niederländischen Regierung einen blik Deutschland, im Genehmigungsverfahren von derartigen gemeinsamen Vertrag auf Gegenseitig- grenznahen ausländischen Projekten mit grenz- keit — wie Sie es vorhin dargestellt haben — aus- überschreitenden Belastungen können sich aus völ- handeln, um Interessen von Gemeinden und Bür- kerrechtlichen Vereinbarungen oder z. B. aus der gern der Bundesrepublik Deutschland bei Investi- Umsetzung von EG-Recht ergeben. Beispiele für tionen von Großanlagen im Grenzbereich mit ei- Empfehlungen, die tatsächliche Beteiligungsmög- nem Mitspracherecht verbindlich darzustellen? lichkeiten einräumen, sind die Empfehlungen der „Kommission Tripartite" vom 15. Oktober 1982, die Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege eine gegenseitige Information von Behörden bei Stahl, das würde erforderlich sein, wenn nicht für neuen Projekten im Grenzgebiet der Schweiz, private Einsprüche bzw. im Bereich der EG schon Frankreich sowie der Länder Baden-Württemberg Regelungen vorhanden wären. Nach der bisherigen und Rheinland-Pfalz vorsehen. Einschätzung der Lage wird insbesondere die In- Zwischen den Niederlanden und der Bundesrepu- kraftsetzung der von mir genannten Richtlinien blik Deutschland bestehen keine derartigen Verein- Beteiligungsmöglichkeiten der Bundesrepublik barungen oder Abreden. Dessen ungeachtet ist es Deutschland vorsehen, die ausreichend sind. 4146 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Vizepräsident Frau Renger: Zweite Zusatzfrage, republik. Scheint es da aus diesem Gesichtspunkt bitte, Herr Kollege Stahl. und aus dem Gesichtspunkt, daß das dortige Kraft- werk ca. 60 m tiefer liegt und die Wälder auf der Stahl (Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, habe bundesrepublikanischen Seite damit gerade auf der ich Sie richtig verstanden, daß Sie jetzt zum Schluß Schornsteinhöhe liegen, nicht zweckmäßig und not- sagten, daß es „ausreichend" ist? wendig, daß doch eine Nachrüstung mit einer Ent- schwefelungsanlage erfolgt? Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, daß hier im Bereich der EG Beteiligungsrechte wie genannt Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege vorgesehen sind und davon auszugehen ist, daß Stahl, ich weise noch einmal darauf hin, daß nach auch das von Ihnen angeschnittene Problem in die- unseren Informationen durch die Umrüstung keine sem Zusammenhang einer Beeinflussung durch die Verschlechterung der Emissionssituation eintreten Bundesrepublik Deutschland zugänglich ist. wird. Und ich weise erneut darauf hin, daß wir bei der nächsten Sitzung der Deutsch-Niederländi- Vizepräsident Frau Renger: Ich rufe die Frage 31 schen Raumordnungskommission noch nähere In- des Herrn Abgeordneten Stahl auf: formationen dazu bekommen. Sollten sich auf Welche Möglichkeiten und Wege sieht die Bundesregie- Grund der Information solche Verschlechterungen rung, die für die Umstellung des Kraftwerkes Maaszentrale dennoch ergeben, wird man zu entscheiden haben. in Buggenum, Niederlande, von 01 auf Importkohle an der niederländischen Grenze bei Niederkrüchten und Brüggen Zweite Zusatzfrage, am Niederrhein gegebene Ausnahmegenehmigung bezüglich Vizepräsident Frau Renger: der Abgabe von Schadstoffimmissionen, die wohl wesentlich Herr Stahl. höher liegen als die in der Großfeuerungsanlagen-Verord- nung der Bundesrepubilk Deutschland, so zu beeinflussen, Stahl (Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, wenn daß eine Abänderung der Genehmigung mit dem Ziel des Einbaus einer Entschwefelungsanlage doch noch erreicht Sie sagen, daß keine Verschlechterung der Bela- werden kann? stung der Luft eintritt, würde das doch, bezogen auf Bitte, Herr Staatssekretär. die Bundesrepublik Deutschland, bedeuten, da wir im S0 2 -Bereich von der zahlenmäßigen Erfassung der Belastung insgesamt auch keine Verschlechte- Spranger, Parl. Staatssekretär: Das niederländi- sche Kraftwerk Buggenum besteht aus drei älteren rungen hinzunehmen haben und wir trotzdem die mittelgroßen Blöcken, von denen nach Kenntnis der Großfeuerungsanlagen-Verordnung erlassen haben, Bundesregierung ein Block von Öl- auf Kohle-Öl- da das Waldsterben sehr massiv auftritt, daß es un- Feuerung und ein zweiter vom Öl-Gas- auf Kohle- ter diesem Gesichtspunkt doch notwendig ist, insge- Öl-Gas-Feuerung umgestellt worden sind. Eine ge- samt die Emissionswerte auch in den Niederlanden plante Umstellung des dritten Blocks von Öl- auf herunterzudrücken. Würden Sie mir da zustim- Kohlefeuerung, die zu der öffentlichen Diskussion men? geführt hat, ist mit der Auflage verbunden, daß der genehmigte Schwefeldioxidausstoß des Kraftwer- Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wie- kes insgesamt nicht überschritten werden darf. Das derholen, daß nach den uns zur Verfügung stehen- heißt: Wenn alle drei Blöcke in Betrieb sind, müssen den Unterlagen — auch im Vergleich zur Großfeu- in den beiden erstgenannten Blöcken entsprechend erungsanlagen-Verordnung der Bundesrepublik schwefelärmere Brennstoffe verfeuert werden. Deutschland — keine Emissionswerte erreicht wer- den, die im jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Maß- Der Einbau einer Rauchgasentschwefelungsan- nahmen zwingend erfordern. Aber ich bin bereit — lage — wie in den Niederlanden bei Kohlekraftwer- das habe ich auch zum Ausdruck gebracht —, das ken sonst üblich — ist nicht vorgesehen, weil dieser Problem bei der nächsten Sitzung dieser Kommis- Block in ungefähr zehn Jahren stillgelegt werden sion ansprechen zu lassen. soll. Nach Auskunft des niederländischen Umweltmi- Vizepräsident Frau Renger: Danke schön. nisteriums, die von der Deutschen Botschaft in Den Der Abgeordnete Stiegler — Frage 32 — ist nicht Haag eingeholt worden ist, wird, insgesamt gese- im Raum. Die Frage wird nicht beantwortet. hen, keine Verschlechterung der Emissionssi- tuation des Kraftwerkes Buggenum eintreten. Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Hinsken. — Er ist leider auch nicht im Raum. Nicht alle wuß- ten, glaube ich, daß die Fragestunde schon um Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Ab- geordneter Stahl. 8 Uhr beginnt. Die Fragen 35, 36, 37 und 38 werden auf Wunsch Stahl (Kempen) (SPD): Herr Staatssekretär, neh- der Fragesteller, der Abgeordneten Dr. Laufs, Broll men Sie doch bitte zur Kenntnis, daß nicht nur bei und Kalisch, schriftlich beantwortet. Die Antworten diesem jetzt zuletzt genehmigten Block des Groß- werden als Anlagen abgedruckt. - kraftwerkes die Diskussion an der Grenze auf der Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten einen und der anderen Seite ausgelöst wurde. Olderog auf: (Zuruf von der CDU/CSU: Frage!) Sind der Bundesregierung im Rahmen der beobachtenden Meine Frage an Sie ist: Unbestritten ist j a wohl, daß Tätigkeit des Verfassungsschutzes Anhaltspunkte für die Annahme bekanntgeworden, daß die DKP ihre Bemühungen, die Niederländer in ihrer Gesetzgebung wesentlich Sozialdemokraten für eine Zusammenarbeit zu gewinnen höhere Werte zulassen als die derzeitige Groß- (vgl. S. 55 unter 2.1.1 des Verfassungsschutzberichtes 1982) feuerungsanlagen-Verordnung hier in der Bundes fortgesetzt und Erfolg damit gehabt hat? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4147

Vizepräsident Frau Renger Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine Reihe von Beispielen. Ich kann hier nur empfehlen, sich Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. der Mühe zu unterziehen, die „UZ" in dem Zusam- Olderog, die DKP sieht in der Zusammenarbeit mit menhang durchzusehen. Aber beispielsweise hat im Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und parteilo- Mai 1983 auch der Bundesvorsitzende der Jungso- sen Arbeitern nach wie vor das „Kernstück" ihrer zialisten, Olaf Scholz, beim Bundeskongreß der Bündnispolitik. Dabei mißt sie dem gemeinsamen VVN/BdA, einer DKP-beeinflußten Organisation, in Handeln von Kommunisten und Sozialdemokraten Hamburg erklärt, es sei an der Zeit, daß die SPD- entscheidende Bedeutung bei. Führung ihren Unvereinbarkeitsbeschluß zur VVN/ BdA aufhebe. Offen für eine Zusammenarbeit mit In den vergangenen Monaten bemühte sich die Kommunisten zeigte sich unlängst DKP verstärkt um Bündnisse mit Sozialdemokra- ten, vorwiegend mit einzelnen SPD-Mitgliedern und (Zuruf des Abg. Lambinus [SPD]) SPD-Gliederungen, bot aber auch der SPD-Führung beispielsweise auch der Juso-Landesvorstand Ba die Zusammenarbeit an. den-Württemberg. Es läßt sich also eine Reihe von „Vorprogrammierte" Anlässe dafür sah die DKP Beispielen bringen, die diese Darlegungen belegen. bei „Ostermärschen für Frieden und Abrüstung", im (Dr. Scheer [SPD]: Nun hören Sie langsam Kampf um Arbeitsplätze, gegen „Sozialabbau" und auf! Verbreitung von Unwahrheiten!) den „Abbau demokratischer Rechte" sowie gegen „Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus". Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- (Hört! Hört! bei der SPD) ge, Herr Dr. Olderog? Als besonderen Erfolg ihrer Bemühungen stellte (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Danke; nein!) die DKP die Zusammenarbeit von Kommunisten — Danke schön. Herr Lambinus, Zusatzfrage. und Sozialdemokraten in der Protestbewegung ge- gen die NATO-Nachrüstung heraus. Das DKP-Zen- tralorgan „Unsere Zeit" (UZ) hob in seiner Ausgabe Lambinus (SPD): Herr Staatssekretär, infolge der vom 10. November 1983 hervor, daß mit der „Hin- frühen Morgenstunde und dessen, was Sie da eben wendung" zur „Friedensbewegung" der „unselige an starkem Tobak losgelassen haben, darf ich Sie Beschluß der SPD", der die Zusammenarbeit zwi- fragen, ob Sie vielleicht von der „UZ" Honorare da- schen Sozialdemokraten und Kommunisten unter- für bekommen, daß Sie hier Reklame für diese Zei- sage, „faktisch außer Kraft gesetzt" sei; solches Zu- tung machen. sammenwirken könne zu einer „größeren Verände- (Beifall des Abg. Sielaff [SPD]) rung der politischen Landschaft" führen. Auch in Betrieben — wie bei der Besetzung von Spranger, Parl. Staatssekretär: Es geht hier nicht Werften in Hamburg und Bremen — haben Sozial- um starken Tobak, sondern es geht um Fakten; und demokraten und Kommunisten nach Einschätzung die habe ich vorgetragen. der DKP erfolgreich zusammengewirkt. Dort sei, (Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch wie die internationale kommunistische Zeitschrift selber nicht! — Dr. Olderog [CDU/CSU]: „Probleme des Friedens und des Sozialismus" im Sehr gut!) Oktober 1983 herausstellte, ohnehin der Unverein- barkeitsbeschluß des SPD-Parteivorstands niemals Zusatzfrage, Herr Ab- voll wirksam geworden. Vizepräsident Frau Renger: geordneter Jansen. Die „Bündnisfähigkeit" der DKP wird von demo- kratischen Kräften, darunter von sozialdemokrati- (SPD): Ist der Bundesregierung bekannt, schen Parteimitgliedern, in einzelnen Fällen aner- Jansen daß der Abgeordnete Dr. Olderog Fragen dieser Art kannt. etwa seit fast genau 27 Jahren stellt? Vereinzelt arbeiten Sozialdemokraten bereits seit (Lachen bei der CDU/CSU) längerer Zeit in kommunistisch beeinflußten Orga- nisationen auch auf höherer Ebene mit, z. B. im „Büro" des „Komitees für Frieden, Abrüstung und Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur sa- Zusammenarbeit", im „Arbeitsausschuß" der Initia- gen: Es sind offensichtlich sehr aktuelle Probleme, tive „Weg mit den Berufsverboten" und in Vorstän- die er anschneidet, weil wir immer neue Fakten zu den DKP-beeinflußter Freundschaftsgesellschaften dem Thema vorlegen können. mit sozialistischen Ländern. (Dr. Olderog [CDU/CSU]: Sehr gut! — Un ruhe bei der SPD) Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Ab- geordneter Dr. Olderog. Vizepräsident Frau Renger: Keine weitere- Zusatz- frage. Dr. Olderog (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Herr Staatssekretär, wegen der frühen Zeit rufe kann die Bundesregierung belegen, daß die DKP ich die Frage des Abgeordneten Stiegler noch mal die von ihr behaupteten Erfolge bei der Bündnispo- auf. Er ist nämlich gerade hereingekommen. Wenn litik mit den Sozialdemokraten und bei der Auflö- Sie so freundlich wären, das noch mal zur Hand zu sung des Unvereinbarkeitsbeschlusses erzielt hat? nehmen. Es ist die Frage 32 des Abgeordneten (Dr. Soell [SPD]: Natürlich!) Stiegler: 4148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Vizepräsident Frau Renger Tritt die Bundesregierung grundsätzlich für die Abschaf- gen. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vor- fung der Kontrollen des Personenverkehrs an den Binnen- schläge der Europäischen Kommission für eine bes- grenzen der Europäischen Gemeinschaft ein, und welche Maßnahmen hat sie zur Verwirklichung dieses Zieles bisher sere Organisation des nach dem Gemeinschafts- ergriffen? recht zulässigen Kontrollrechts z. B. im Güterver- kehr? Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, nach Auffassung der Bundesregierung ist Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Sie ein Europa ohne Binnengrenzen das Ziel der ange- können davon ausgehen, daß die Bundesregierung strebten Integration. Dazu gehört ein Abbau der Vorschlägen, die Ihrer Zielsetzung im Hinblick auf noch vorhandenen Hemmnisse und Formalitäten ein Europa ohne Binnengrenzen entsprechen, aus- im Güter- und Warenverkehr innerhalb der EG, gesprochen positiv gegenübersteht. Voraussetzung aber auch die Freizügigkeit für Reisen der EG-Bür- ist natürlich, daß sich auch alle anderen Staaten ger innerhalb der Gemeinschaft. diesen entsprechenden Vorschlägen mit derselben In der Europäischen Gemeinschaft werden Tendenz anschließen. Grenzkontrollen entbehrlich sein, wenn dies durch eine koordinierte und verstärkte Kontrolle an den Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- EG-Außengrenzen sowie durch eine engere Zusam- ge, Herr Abgeordneter. menarbeit der EG-Mitgliedstaaten in Fragen der in- neren Sicherheit und der Ausländerpolitik ohne Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, treffen Hin- Verlust an Sicherheit für die Mitgliedstaaten und weise zu, wonach der Europapaß längst eingeführt ihre Bürger möglich ist und die Steuern harmoni- sein könnte, wenn die Bundesregierung nicht sozu- siert sind. Deshalb tritt die Bundesregierung dafür sagen auf die maschinenlesbare Karte warten wür- ein, daß als erster Schritt der Grenzübertritt an den de, die diesem Europapaß beigegeben werden soll Binnengrenzen für EG-Bürger erleichtert und be- und von der wir nicht wissen, ob sie überhaupt noch schleunigt wird. kommen soll? Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung folgende Initiativen zur Erleichterung des Grenz- Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Informatio- übertritts an den Binnengrenzen der EG ergriffen: nen treffen nicht zu. Im Gegenteil drängt die Bun- Auf EG-Ebene hat die Bundesregierung Vor- desregierung gerade wegen der Möglichkeiten ei- schläge zur Erprobung konkreter Maßnahmen zur ner dadurch erreichbaren schnelleren Grenzkon- Erleichterung des Grenzübertritts an den Binnen- trolle darauf, daß diese maschinenlesbaren Aus- grenzen der EG unterbreitet. Es ist zu hoffen, daß weise so schnell wie möglich zur Verfügung stehen. sich die übrigen Staaten diesem Vorschlag anschlie- Sie wissen, der Datenschutz, insbesondere das Ur- ßen. teil des Bundesverfassungsgerichts, haben hier neue Probleme aufgeworfen. Außerdem hat sie mehreren EG-Mitgliedstaaten auf bilateraler Ebene Verhandlungen über Verbes- Vizepräsident Frau Renger: Keine weitere Zusatz- serungen im Kleinen Grenzverkehr angeboten. frage. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäfts- Mit der niederländischen Regierung besteht bereich beantwortet. Übereinstimmung, daß Bewohnern von Grenzge- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- meinden in Kürze der Grenzübertritt an Grenz- sters des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der übergangsstellen auch außerhalb der Verkehrsstun- Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Mertes zur den gestattet werden soll. Verfügung. An vier Straßenübergängen wird derzeit ein ver- Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. bessertes Kontrollverfahren erprobt, das Erleichte- Scheer auf: rungen für EG-Angehörige bietet und geeignet ist, die Gefahr von Staubildungen wesentlich zu ver- Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Verteidi- gungsminister der NATO-Euro-Group, daß die Zusammenle- ringern. Der Versuch soll noch im Laufe dieses Jah- gung der START- und INF-Verhandlungen zu befürworten res auf vier weitere Übergänge ausgedehnt wer- ist? den. Herr Staatsminister, bitte. Seit April 1983 wird auf dem Flughafen Frank- furt/Main die gesonderte Abfertigung von EG-Bür- Dr. Mertes, Staatsminister im Auswärtigen Amt: gern im Flugverkehr erprobt. Für den Grenzüber- Herr Kollege Scheer, es trifft nicht zu, daß sich die tritt wird neuerdings auch ein seit höchstens einem in der Euro-Gruppe vertretenen Verteidigungsmi- Jahr ungültig gewordener Reisepaß bzw. Kinder- nister für eine Zusammenlegung der INF- und der ausweis zugelassen, und schließlich wurde das Ver- START-Verhandlungen ausgesprochen hätten. Al- fahren zur Ausstellung eines Reiseausweises als lerdings gehören Fragen der Rüstungskontrolle zu Paßersatz für nicht vorschriftsmäßig ausgewiesene den Themen, mit denen sich diese Minister in der Reisende erleichtert. Euro-Gruppe laufend befassen. In diesem Zusam- menhang ist am 7. Dezember 1983 auch das Für und Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr Wider einer Zusammenlegung der INF- und Abgeordneter Stiegler. START-Verhandlungen erörtert worden.

Stiegler (SPD): Herr Staatssekretär, Sie haben Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr eine Reihe von nationalen Maßnahmen vorgeschla- Abgeordneter Scheer. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4149

Dr. Scheer (SPD): Herr Staatsminister, können Das Bündnis ist bereit, jeden ernsthaften sowjeti- Sie bestätigen, daß im Nachrichtenspiegel der Bun- schen Vorschlag für die Wiederaufnahme der nu- desregierung bereits am 6. Dezember bekanntgege- klearen Rüstungskontrollverhandlungen zu prüfen. ben worden ist, daß sich die Euro-Group der NATO- Nach den Äußerungen des Generalsekretärs der Verteidigungsminister von einer Zusammenlegung Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Kon- der START- und INF-Verhandlungen einen mögli- stantin Tschernenko, gegenüber dem Fraktionsvor- chen Durchbruch für die Wiederaufnahme dann er- sitzenden der SPD bei dessen jüngstem Besuch in folgreicher Verhandlungen erwartet? Moskau ist jedoch nicht zu erwarten, daß die So- wjetunion eine Verschmelzung der INF- und Dr. Mertes, Staatsminister: Ich habe diese Mel- START-Verhandlungen vorschlagen wird. dung nicht gelesen; aber so, wie Sie sie zitieren, ent- spricht sie dem, was ich gesagt habe. Es ist nur von Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Ab- einem möglichen Durchbruch die Rede. Eine solche geordneter Scheer. theoretische Möglichkeit gehört zu den Argumen- ten, die für eine Zusammenlegung der INF- und Dr. Scheer (SPD): Herr Staatsminister, Sie sind START-Verhandlungen sprechen. Aber es gibt eben sicherlich mit mir einer Meinung, daß bei der Frage nach sinnvollen Vorschlägen zunächst einmal die auch andere Möglichkeiten und Argumente, die da- gegen sprechen. eigenen sachlichen Erörterungen im Vordergrund stehen sollten und dann danach gesucht werden sollte, ob vielleicht ein potentieller Verhandlungs- Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatz- partner dafür zu gewinnen ist. frage. Bei den sachlichen Erörterungen frage ich: Wie Dr. Scheer (SPD): Können Sie einmal mitteilen, kommen Sie zu der Feststellung, daß die separaten was die Euro-Group der NATO-Verteidigungsmini- Verhandlungen, wie sie bis zum Abbruch beider ster veranlaßt hat, diesen zunächst lange Monate Verhandlungsrunden stattfanden, erfolgverspre- vorher vor allem von der SPD vertretenen Vor- chender seien, wo doch diese separaten Verhand- schlag zu würdigen, und vielleicht die Argumente lungen offenkundig deshalb nicht erfolgreich wa- nennen, die bei den NATO-Verteidigungsministern ren, weil die Separation selbst ein Verhandlungs- dafür und dagegen gesprochen haben? hindernis darstellte, etwa bei der Einbeziehung der britischen und französischen Waffen?

Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Scheer, Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile Sie wissen, daß die Meldung, von der Sie sprechen, diese Ihre Auffassung nicht. Die Frage nach einer nach dem Nachrüstungsbestätigungsbeschluß des Zusammenlegung von INF und START ist immer Deutschen Bundestages erfolgt ist. Die Vorschläge zu beantworten unter dem Gesichtspunkt der Er- und die Überlegungen zugunsten einer Zusammen- folgschancen der Verhandlungen. Man kann durch- legung sind u. a. auch von der Sozialdemokrati- aus an die Zusammenlegung denken, wenn eine ra- schen Partei Deutschlands gekommen, sie sind tionale Argumentation zu dem Ergebnis führen auch innerhalb der Bundesregierung immer wieder sollte, daß damit eher Verhandlungsergebnisse er- durchdacht worden. Ich kann jetzt nicht im einzel- zielt werden. Aber nach den bisherigen Beratungen nen die Für- und Wider-Argumente wiederholen, so- und Erkenntnissen ist genau dies nicht der Fall. Wir weit sie nicht in der Antwort auf Ihre nächste Frage könnten an die bisherigen Verhandlungsergebnisse ohnehin schon enthalten sind. anknüpfen, wenn wir in getrenten Verhandlungen Vielleicht, Frau Präsidentin, kann ich hier gleich an die Angelegenheit herangehen. Daß INF und die Frage 19 des Herrn Kollegen Scheer bean twor- START innerhalb des Bündnisses, auch innerhalb ten. der einzelnen Regierungen, auch innerhalb der amerikanischen Regierung, in einem umfassende- Vizepräsident Frau Renger: Dann rufe ich die Fra- ren Zusammenhang gesehen werden, ist selbstver- ge 19 des Herrn Abgeordneten Scheer auf: ständlich. Es geht also hier nur darum, ob durch Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit der SPD- eine organisatorische Zusammenlegung der Ver- Bundestagsfraktion- und im Einvernehmen mit der NATO handlungen eher ein Verhandlungserfolg erzielt Euro-Group, bei der amerikanischen Regierung für eine Zu- werden kann. Bisher verneinen das alle Mitglied- sammenlegung der START- und der INF-Verhandlungen staaten des Atlantischen Bündnisses. aktiv einzutreten? Vizepräsident Frau Renger: Zweite Zusatzfrage, Dr. Mertes, Staatsminister: Nach der Auffassung Herr Abgeordneter Scheer. der Bundesregierung geht es um die ausschlagge- bende Frage, welche Struktur der amerikanisch Dr. Scheer (SPD): Herr Staatsminister, könnten sowjetischen Verhandlungen in Genf die besten Sie bestätigen, daß im Bündnis ursprünglich im Ja- Aussichten für erfolgversprechende Verhandlungen nuar 1979 ohnehin nur an eine einzige Verhand-- bietet. Alle Bündnispartner sind mit uns der Über- lungsrunde gedacht war, zumindest an einen ein- zeugung, daß bei Wiederaufnahme separater heitlichen Verhandlungsrahmen, und daß die ge- START- und INF-Verhandlungen die besten Chan- trennten Verhandlungen nur dadurch zustande ka- cen für frühzeitige konkrete Verhandlungsergeb- men, daß die SALT-Gespräche zunächst abgebro- nisse bestehen würden, weil so unmittelbar an den chen waren und es gar keine Chance für die Auf- bisher schon erreichten Verhandlungsstand ange- nahme der . Mittelstreckenraketenverhandlungen knüpft werden könnte. gab, es sei denn, man führte sie getrennt? Ist denn 4150 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Scheer nicht dieser Grund spätestens seit der Wiederauf- Trifft es zu, daß die Aufnahme der diplomatischen Bezie- hungen nach allgemeinem Völkerrecht die Anerkennung des nahme der START-Gespräche gegenstandslos ge- jeweiligen anderen Staates als Völkerrechtssubjekt auch in worden? seinen Grenzen beinhaltet, und kann sich das auch auf die deutsche Frage auswirken? Dr. Mertes, Staatsminister: Nein, auch diese Auf- Bitte sehr, Herr Staatsminister. fassung teile ich nicht. Es kam zu den INF-Verhand- lungen, weil sich durch den Aufbau der Hegemo- Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter, nialwaffe SS 20 eine neue Situation ergeben hatte. die Aufnahme diplomatischer Beziehungen setzt Der damalige Bundeskanzler hat auf die spezifische voraus, daß sich zwei Völkerrechtssubjekte als sol- Natur — politischer und militärischer Art — dieser che anerkennen, d. h. sich gegenseitig bestätigen, Waffe in seiner bekannten Rede 1977 in London Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu hingewiesen. Auf Grund dieser Rede in London sein, um am internationalen Verkehr teilnehmen zu kam es dann zu den bündnisinternen Überlegun- können. gen, die zu den speziellen Verhandlungen über eu- Zu den Rechten, die auf Grund der Anerkennung ropabezogene atomare Mittelstrekenwaffen führ- nicht bestritten werden können, gehört das Recht, ten. Gebietshoheit über Staatsgebiet auszuüben. Hin- Aber ich möchte noch einmal betonen, Herr Kol- sichtlich der Grenzen dieses Staatsgebiets enthält lege Scheer: Man kann — politisch gesprochen, mit die Anerkennung keine Garantie für den künftigen Blick auf die Gesamtanlage — weder START noch rechtlichen oder faktischen Fortbestand der Gren- INF noch andere Foren von Rüstungskontrolle und zen dieser Gebietshoheit — ich betone: keine Ga- Abrüstung politisch voneinander trennen. Es geht rantie für den künftigen rechtlichen oder fakti- hier nur um eine prozedurale Frage, die — ich be- schen Fortbestand der Grenzen dieser Gebietsho- tone das noch einmal — unter dem Gesichtspunkt heit. der Chance der Verhandlungsergebnisse gesehen So beeinflussen Gewinne oder Verluste die fort- werden muß. dauernde Anerkennung und den Fortbestand der diplomatischen Beziehungen zwischen zwei Völker- rechtssubjekten nicht. Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Ab- geordneter Dr. Soell. Vizepräsident Frau Renger: Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja. Dr. Soell (SPD): Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihnen nicht bewußt Dr. Czaja (CDU/CSU): Herr Staatsminister, wenn geblieben ist, daß in der Entscheidung des NATO- ich Sie recht verstehe, schließt die Anerkennung Ministerrats vom Dezember 1979 mit der Formulie- den friedlichen Wandel nicht aus. Darf ich Sie fra- rung, daß die Verhandlungen über die Mittelstrek- gen, ob die von Ihnen betonte Anerkennung der kenwaffen im Rahmen von SALT III erfolgen sol- Gebietshoheit auch Anerkennung der Souveränität len, nach der inneren Logik der damaligen Überle- überall dort bedeutet, wo es sich um eine beste- gungen eben doch der Zusammenhang zwischen hende Grenzlinie nach der gegenwärtigen Lage im beiden Verhandlungen offenkundig war? Zusammenhang mit Okkupation, nicht rechtswirk- samen Annexionen und ähnlichem handelt, wo die Souveränität durch sonstige Maßnahmen interna- Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wie- derholen, was ich eben gesag t habe: es gibt einen tional nicht anerkannt ist. inneren politischen Zusammenhang aller die s er Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Rüstungsprobleme und Rüstungskontrollprobleme. Dr. Mertes, Sie wissen, daß die Rechtswissenschaft unterschei- Aber ich kann Ihnen nicht bestätigen, daß es ir- det zwischen Gebietshoheit und Souveränität. Soll- gendeine Aussage des Atlantischen Bündnisses ten Sie die Oder-Neisse-Gebiete hier im Auge ha- gibt, die den jetzigen Abwägeprozeß in irgendeiner ben, was ich bei Ihnen für möglich halte, so möchte Form inhibiert. Dieser Abwägeprozeß findet statt. ich sagen, daß dieser Unterschied natürlich auch (Abg. Dr. Soell [SPD] meldet sich zu einer hier eine Rolle spielt. weiteren Zusatzfrage) Vizepräsident Frau Renger: Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Vizepräsident Frau Renger: Es gibt nur eine Zu- satzfrage. (CDU/CSU): Ja. (Zurufe von der SPD) Dr. Czaja — Nein, meine Damen und Herren, die zweite Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Dr. Czaja. Frage war aufgerufen. Dazu gibt es nur eine Zusatz- frage. Nur der Fragesteller darf zwei Fragen stel- Dr. Czaja (CDU/CSU): Meine Frage geht dahin, ob len. gegenüber Vertragspartnern und Verbündeten die Bundesrepublik Deutschland solche im Zusammen- Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen zur hang mit der von Ihnen genannten offenen deut- Frage 20 des Abgeordneten Würtz. Der Abgeordnete schen Frage bestehenden Unterschiede und Vorbe- ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwor- halte auch geltend machen wird. tet. Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Dr. Mertes, Staatsminister: Selbstverständlich, Czaja auf: Herr Kollege Czaja. Ich möchte aber auch daran Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4151

Staatsminister Dr. Mertes erinnern, daß die Teilnehmerstaaten der Konferenz Fragen, die dann in einer anderen Kommission er- über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa örtert werden müßten, im Interesse der Menschen sich bereits seit langer Zeit verpflichtet haben, die behandelt werden? territoriale Integrität eines jeden Teilnehmerstaats zu achten. Das ist ebenfalls zu sehen. Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, (Zuruf des Abg. Lambinus [SPD]) Sie kennen den von der Bundesregierung veröffent- Würde das Netz der diplomatischen Beziehungen lichten Antwortbrief, den ich am 14. Dezember 1983 im Interesse der europäischen Zusammenarbeit en- an den früheren Kollegen Dr. gerich- ger geknüpft, so läge darin kein grundsätzlich tet habe. Die Bedeutung des Themas Ihrer Frage, neues Element, so daß sich hieraus auch keine Aus- die Bedeutung der Schutzpflicht habe ich dort her- wirkungen auf die Deutschlandfrage ergäben. In vorgehoben. diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf Art. 4 Sie kennen auch die unsachlichen Reaktionen, des Warschauer Vertrags und auf die Feststellung die daraufhin in der Volksrepublik Polen erfolgt der Schlußakte, wonach diese weder die Rechte und sind. Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten noch die Ich möchte noch einmal sagen, Herr Kollege diesbezüglichen Verträge und Abkommen und Ab- Czaja, daß es hier nicht darum geht, neue prozedu- machungen berührt. rale Rahmen zu schaffen. Es geht vielmehr darum, in der Sache unseren Standpunkt angemessen und Vizepräsident Frau Renger: Dann darf ich die Fra- zweckdienlich zur Geltung zu bringen. Ich darf Sie ge 22 des Herrn Abgeordneten Czaja aufrufen: darauf hinweisen, daß das Thema Aussiedlung ge- Warum ist eine „gemischte deutsch-polnische Regierungs- genüber der Volksrepublik Polen auch in letzter kommission" nicht auch ein „adäquater Rahmen" (Protokoll Zeit mehrfach besprochen worden ist: im Dezember 10/57 S. 4096) zur Behandlung der schwerwiegenden Men- schenrechtsverletzungen gegenüber Deutschen (jahrelange 1983, im Januar 1984, im Februar 1984 von Bundes- Trennung zehntausender deutscher Familien, fehlende Erle- minister Genscher gegenüber dem polnischen Au- digung von weit über 100 000 Ausreiseanträgen, Verhinde- ßenminister bzw. gegenüber dem polnischen Bot- rung der Pflege kultureller Eigenart), oder wird die Bundes- schafter. Ich selbst hatte noch Ende Dezember 1983 regierung eine besondere gemischte Kommission zur Nor- malisierung durch Erfüllung der Menschenrechtsverpflich- Gelegenheit, dem polnischen Botschafter unseren tungen und als Voraussetzung weiterer hoher finanzieller Standpunkt in dieser Frage zu erläutern. Opfer fordern? Vizepräsident Frau Renger: Eine weitere Zusatz- Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter Dr. frage, Herr Dr. Czaja, bitte. Czaja, wie bereits in der Antwort auf Ihre im Bun- destagsprotokoll 10/57 Seite 4096 verzeichnete (CDU/CSU): Herr Staatsminister, ange- Frage festgestellt wurde, handelt es sich bei der Dr. Czaja sichts Ihrer außerordentlich begrüßenswerten wie erwähnten „gemischten deutsch-polnischen Kom- anerkennenswerten Äußerungen zu dieser Frage in mission" um eine Kommission, die sich allein um dem Schreiben an den ehemaligen Kollegen Lenz Wirtschaftsfragen kümmert. Die mit der Ausreise — die dann auch veröffentlicht worden sind — und Familienzusammenführung zusammenhän- frage ich: Wird man dann also versuchen, dem pol- genden Fragen werden von der Bundesregierung in nischen Vertragspartner auch weiterhin klarzuma- Gesprächen mit polnischen Regierungsvertretern chen, daß ohne gegenseitige Demütigung und Ver- mit Geduld und großem Nachdruck anderenorts be- schleierung furchtbarer Grausamkeiten für Gegen- handelt. Das wird auch weiterhin geschehen, ohne wart und Zukunft Erfolge bei den Menschenrechten daß es dafür eines neuen institutionellen Rahmens für Polen und Deutsche, für beide Völker, ein wich- bedürfte. tiger Beitrag zu echter und dauerhafter Entspan- Ich bin davon überzeugt, daß die mit der Ausreise nung und geschichtlichem Ausgleich wären? und Familienzusammenführung verbundenen Fra- gen im Rahmen eines fortschreitenden Versöh- Dr. Mertes, Staatsminister: Ja. nungsprozesses zwischen Deutschen und Polen, an dem allen Fraktionen des Deutschen Bundestages viel liegt, eine allseits befriedigende Regelung fin- Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr den werden. Wir sollten uns daher alle darum be- Abgeordneter Becker (Nienberge). mühen, diesem Prozeß neue Impulse zu geben. Becker (Nienberge) (SPD): Herr Staatsminister, Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr könnten Sie dem Hause noch einmal bestätigen, Abgeordneter Czaja. daß die von den Polen Ende der 70er Jahre gemach- ten Zusagen hinsichtlich der Ausreisemöglichkei- Dr. Czaja (CDU/CSU): Herr Staatsminister, mei- ten deutschstämmiger Polen oder von Aussiedlern nen Sie nicht, daß es auch ein neuer Impuls wäre, in die Bundesrepublik voll eingehalten, ja über viele wenn im Sinne der Schutzpflicht der Bundesregie- Jahre sogar mehr als erfüllt worden sind? rung und im Zusammenhang mit den von Ihnen betonten Normalisierungsbestrebungen in einer ge- Dr. Mertes, Staatsminister: Das bestätige ich gern. mischten Kommission die unzähligen strittigen Ich möchte darauf hinweisen, daß sich die Volksre- Fragen — etwa der starke Rückgang der Aussied- publik Polen — im Unterschied zum Rückgang der lerzahlen und insbesondere die Familientrennung Ausreisemöglichkeiten von Deutschen aus der So- — dazu gehören und ebenso wie wirtschaftliche wjetunion — korrekt verhalten hat. 4152 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Vizepräsident Frau Renger: Keine weiteren Zusatz- Schweiz, in der ja bekanntlich nicht gefoltert wird fragen. — Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeord- — Vorbild für die Behandlung anderer Asylantrag- neten Dr. Soell auf: steller, die zum Teil aus der Bundesrepublik in Län- Wie wird die Bundesregierung die Aufforderung der der abgeschoben werden, in denen gefoltert wird, Schweizer Bundesregierung in Bern beantworten, Wasch- obwohl ihr Verfahren noch läuft? tschenko in die Schweiz zurückzuschicken (vgl. ,,Zeit-Maga- zin" vom 2. März 1984)? Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, Fälle Bitte, Herr Staatsminister. dieser Art werden jeweils nach ihrer Natur und nach den Umständen im Sinne unseres Rechtsstaa- Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter, mit Verbalnote vom 14. Juli 1983 bat die Schweiz, tes behandelt, aber nicht über einen Kamm gescho- daß die Behörden der Bundesrepublik Deutschland ren. die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die bal- dige Rückkehr Waschtschenkos in die Schweiz zu Vizepräsident Frau Renger: Keine weiteren Zusatz- ermöglichen. Das Auswärtige Amt bestätigte der fragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Schweizer Botschaft mit Verbalnote vom 25./30. Au- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- gust 1983, daß sich Waschtschenko in der Bundesre- ministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht publik Deutschland aufhalte. Es teilte zugleich mit, Herr Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung. daß Waschtschenko Asylantrag gestellt habe. Ich rufe die Fragen 40 und 41 auf. — Der Abge- Dieser Asylantrag wurde vom Bundesamt für die ordnete Dr. Rumpf ist nicht im Saal. Die Fragen Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt werden nicht beantwortet. mit der Begründung, Waschtschenko habe bereits Die Fragen 42 und 43 der Abgeordneten Frau Zutt in der Schweiz Schutz vor politischer Verfolgung und 44 des Abgeordneten Dr. Jens werden auf gefunden. Diese ablehnende Entscheidung des Bun- Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. desamtes hat jedoch keine Bestandskraft erlangt, Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. da Waschtschenko gegen den Bescheid Klage erho- ben hat. Über diese wurde noch nicht entschieden. Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Stiegler auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage Eine Entscheidung über das schweizerische Ersu- wird nicht beantwortet. chen, Herrn Waschtschenko in die Schweiz zurück- zuschicken, kann aus zwingenden verfassungs- Die Frage 46 des Abgeordneten Westphal wird rechtlichen Gründen erst nach rechtskräftigem Ab- auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwor- schluß des Asylverfahrens getroffen werden. Die tet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Bundesregierung wird in jedem Fall sicherstellen, Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. daß Waschtschenko nicht gegen seinen Willen in Sperling auf: die Sowjetunion abgeschoben wird. Wann wird die Bundesregierung entsprechend der Ankün- digung von Bundesminister Dr. Schneider einen Gesetzent- Vizepräsident Frau Renger: Zu einer Zusatzfrage wurf vorlegen, der eine Verkürzung der Sperrfrist für Bau- Herr Dr. Soell. spardarlehen von zehn auf sieben Jahre zum Inhalt hat? Bitte sehr, Herr Staatssekretär. Dr. Soell (SPD): Sind der Bundesregierung andere Fälle bekannt, die ähnlich gelagert sind, oder han- Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär beim Bundesmini- delt es sich hier um den ersten und einmaligen ster der Finanzen: Herr Kollege Dr. Sperling, ich Fall? darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Frage, ob die Festlegungsfrist für Bausparverträge im Be- Dr. Mertes, Staatsminister: Ich kann diese Frage auf Anhieb nicht beantworten. Ich werde sie Ihnen reich des Wohnungsbau-Prämiengesetzes wieder aber gern schriftlich beantworten. auf sieben Jahre herabgesetzt werden soll, wird im Zusammenhang mit den Überlegungen geprüft, die Vizepräsident Frau Renger: Zweite Zusatzfrage. Wohnungsbauförderung neu zu regeln. Diese Über- legungen sind noch nicht abgeschlossen. Sie wer- Dr. Soell (SPD): Herr Staatsminister, teilt die Bun- den deshalb Verständnis dafür haben, wenn ich Ih- desregierung die Auffassung der schweizerischen nen heute noch keine näheren Angaben machen Bundesregierung, daß der Juri Waschtschenko kann. schon in der Schweiz ausreichend politisches Asyl erlangt hat? Vizepräsident Frau Renger: Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Sperling. Dr. Mertes, Staatsminister: Ich möchte dem, was ich soeben gesagt habe, wegen der Schwierigkeit (SPD): Herr Staatssekretär, wenn Sie des Falles nichts hinzufügen. Die schweizerische Dr. Sperling keine näheren Angaben machen können, könnten Regierung und auch ihr Urteil in diesen Fällen hat Sie denn dann etwas fernere Angaben machen, die unser Vertrauen. doch so präzise sind, daß man weiß, ob das 1987, Vizepräsident Frau Renger: Zu einer Zusatzfrage, 1988 oder 1989 im Bundesgesetzblatt stehen wird? Herr Abgeordneter Dr. Sperling. Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen, Dr. Sperling (SPD): Ist die Behandlung dieses Fal- glaube ich, in einer Fragestunde schon einmal ge- les — also nicht drängend zur Ausreise in die sagt, daß wir sehr gründlich arbeiten. Aber ich hof- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4153

Parl. Staatssekretär Dr. Häfele fe, daß wir im Laufe dieses Jahres das Ergebnis die- und Verwaltungsvereinfachung eingesetzt, der ser Arbeit mitteilen können. hochrangige Vertreter des Bundes, der Bundeslän- der, der kommunalen Spitzenverbände und der Dr. Sperling (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie Wirtschaft angehören. Der Vorsitzende der Korn- bereit, meine Auffassung entgegenzunehmen, daß mission, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. die Gründlichkeit der Arbeit nicht zu einer ewigen Waffenschmidt, hat in der bereits genannten Kabi- Verzögerung führen darf, wenn es darum geht, für nettssitzung in einem ersten Zwischenbericht fest- Arbeitnehmer der Bauwirtschaft eine Beschäfti- gestellt, daß die Arbeit der Kommission offen und gung zu sichern? ergiebig ist. Die Bundesregierung hat die Kommis- sion aufgefordert und ermutigt, konkrete Entbüro- kratisierungsvorschläge vorzulegen. Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, es geht um solide Arbeit. Die wollen Sie Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr sicher auch. Abgeordneter Sperling. (Dr. Sperling [SPD]: Es geht um das Tern- po!) Dr. Sperling (SPD): Herr Staatssekretär, nun hat der beamtete Kollege in Ihrem Ministerium Ursa- Vizepräsident Frau Renger: Keine weiteren Zusatz- chen für möglich gehalten und genannt, z. B. die fragen. Liebe der Beamten zu selbst geschaffenen Vor- schriften und die Bedenken betroffener Fachver- Die Fragen 48, des Abgeordneten Jäger (Wangen), bände, die, wenn sie so gegeben sind, für die Ab- 49 der Abgeordneten Frau Simonis und 50 der Ab- schaffung jener Vorschriften Hindernisse darstel- geordneten Frau Dr. Martiny-Glotz werden auf len können. Was gedenkt die Bundesregierung nun Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. wirklich zu tun, um diese Ursachen anzugehen? Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Eine Kommission, die bisher zweimal getagt hat, ist Herr Staatssekretär, ich bedanke mich. j a kein Ursachenbeseitigungsinstrument. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- ministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. der Herr Staatssekretär Grüner zur Verfügung. Es ist richtig — ich habe das in meiner Antwort ja auch angedeutet —, daß geschaffene Regelungen Ich rufe die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten einmal eine Begründung hatten und daß sie im Rapp auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Vollzug bei denen, die sie zu verwalten haben, mit Fragen werden nicht beantwortet. ihrer Begründung auch durchaus lebendig sind. Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Deshalb wird bei jeder einzelnen Regelung, die ab- Ehmke (Ettlingen) auf. — Der Abgeordnete war geschafft werden soll, das Für und Wider erörtert. vorhin hier. Er ist nicht mehr im Saal. Es muß Dabei wird dann sichtbar — wir kennen das ja eigentlich vorher angemeldet werden. Die Frage alle —, daß etwa die Meinung, man müsse an diesen wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Regelungen festhalten, bei denen besonders ausge- Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 54 prägt ist, die im beruflichen Vollzug damit zu tun des Abgeordneten Dr. Ehmke (Ettlingen). haben, und daß bei vielen Verbänden im Einzelfall Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. auch die Vorstellung besteht, daß eine Regelung, die Sperling auf: sie in der Vergangenheit selbst einmal gefordert Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Staatssekre- haben, auch bestehenbleiben muß. Es geht darum, tär Dr. Schlecht, daß der Abbau bürokratischer Hemmnisse sich im konkreten Fall — in der Abwägung des Pro durch die Liebe der Beamten zu den selbstgeschaffenen Vor- und Kontra — im übergeordneten Interesse der schriften und durch Bedenken betroffener Fachverbände der Entbürokratisierung auch über solche Bedenken Wirtschaft behindert wird, und welche Konsequenzen zieht hinwegzusetzen, wenn man das mit guten Gründen sie daraus? tun kann. Die Widerstände sollte man dabei nicht Bitte, Herr Staatssekretär. unterschätzen. Darauf hat Herr Schlecht mit seiner von Ihnen zitierten Bemerkung hingewiesen. Grüner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Wie in der Regierungserklärung Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- vom 4. Mai 1983 dargelegt, beobachtet die Bundesre- ge, Herr Sperling. gierung mit Besorgnis das Übermaß an Regelun- gen, die im Ergebnis Wachstum und Beschäftigung Dr. Sperling (SPD): Herr Staatssekretär, wenn Sie behindern. Diese Bürokratisierung ist das Ergebnis also der Meinung Ihres beamteten Kollegen Dr. einer langen Entwicklung, zu der zahlreiche Ursa- Schlecht zustimmen, daß es zwei Ursachenbündel chen beigetragen haben. für die Weiterexistenz vieler Vorschriften gibt: Wie wird in der Weiterbildung der Mitarbeiter der Mini- Die Bundesregierung hat in der Sitzung des Bun- sterien auf dieses Problem eingegangen? deskabinetts vom 22. Februar 1984 einen umfang- reichen Maßnahmenkatalog zur Rechts- und Ver- Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese hier genann- waltungsvereinfachung beschlossen. ten Ursachen sind nur ein Teil des gesamten Ursa- Um eine Entbürokratisierung zu fördern und chenbündels, das dazu beiträgt oder beitragen mögliche partielle Widerstände in Verwaltung und kann, Widerstände auszulösen und die Argumenta- Fachverbänden abzubauen, hat die Bundesregie- tion gegen eine Änderung im Regelwerk stärker in rung die Unabhängige Kommission zur Rechts- den Vordergrund zu rücken. Entscheidend ist, daß 4154 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 Parl. Staatssekretär Grüner wir durch die politische Zielsetzung und die Koordi- langt sein könnten oder die von Schildkröten stam- nation der politischen Zielsetzung Impulse auch in men, die vor dem 1. Januar 1984 innerhalb des EG- den Bereich der Verbände und in den Bereich der Gebietes der Natur entnommen worden sind — wo- mit Entbürokratisierungsfragen befaßten Behörden für nur das französische Überseegebiet Réunion in gegeben haben, um die übergeordnete Zielsetzung Frage käme —, vorhanden sind und auf den deut- der Entbürokratisierung deutlich zu machen und schen Markt gebracht werden sollen. damit und damit zu motivieren, die Entbürokrati- sierung unter übergeordneten Gesichtspunkten zu Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- sehen und bei den eigenen Überlegungen und Vor- ge, bitte schön. lagen eigene staatsbürgerliche Einsicht und den Willen der politischen Leitung der Ministerien stär- Stutzer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, durch ker zu berücksichtigen. mißverständliche Äußerungen entstand der Ein- druck, als ob Schildkrötenprodukte noch aus dem Vizepräsident Frau Renger: Danke sehr, Herr EG-Bereich eingeführt werden könnten. Kann ich Staatssekretär. jetzt nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß kei- Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bun- nerlei Schildkrötenprodukte mehr, also auch nicht desministers für Ernährung, Landwirtschaft und aus dem EG-Bereich, zu kommerziellen Zwecken in Forsten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. die Bundesrepublik eingeführt werden dürfen? von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Davon kön- nen Sie ausgehen. Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf: (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist alles gestutzt!) Wie wurde sichergestellt, daß ab 1. Januar 1984 keinerlei Schildkrötenprodukte zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden, und liegen Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, bitte, der Bundesregierung Erkenntnisse vor, daß nach dem 1. Ja- Herr Abgeordneter Lambinus. nuar 1984 versucht wurde, das Einfuhrverbot zu umgehen? Bitte, Herr Staatssekretär. Lambinus (SPD): Herr Staatssekretär, nachdem auf dem Markt immer noch Schildkrötenprodukte Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär beim Bun- angeboten werden, darf ich Sie fragen: Hat die Bun- desminister für Ernährung, Landwirtschaft und desregierung irgendwelche Vorstellungen darüber, Forsten: Herr Kollege Stutzer, die Bundesregierung wie hoch die Lagerbestände in der Bundesrepublik hat, gestützt auf die EG-Verordnung zum Washing- noch sind und wie lange diese Lagerbestände aus- toner Artenschutzübereinkommen vom 3. Dezem- reichen, um die Nachfrage, die leider offensichtlich ber 1982 und das dazu ergangene Durchführungsge- immer noch vorhanden ist, zu stillen? setz vom 22. Dezember 1983, die Bundesämter für Ernährung und Forstwirtschaft sowie die gewerbli- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kolle- che Wirtschaft und die Zollstellen angewiesen, ge, darüber können wir keine Angaben machen. Es keine Einfuhren von Meeresschildkrötenprodukten würde eine ganz umfangreiche Untersuchung erfor- zu kommerziellen Zwecken mehr zuzulasen. Versu- dern, um festzustellen, was in den Regalen z. B. che, diese Einfuhrvebote zu umgehen, sind bisher auch der Einzelhandelsgeschäfte noch vorhanden nicht bekanntgeworden. ist. Das zu überprüfen, fehlt uns jegliche Rechts- grundlage. Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr (Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das wäre ja Abgeordneter Stutzer. Schnüffelei!)

Stutzer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, sieht Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage. Ihr Haus irgendwelche Kontrollmöglichkeiten da- hin gehend, daß Lagerbestände innerhalb der EG — Frau Dr. Bard (GRÜNE): Kann ich diesen Antwor- ich denke hier insbesondere an Frankreich und Ita- ten entnehmen, daß kein Gramm Schildpatt und lien — nicht ständig durch Neuerwerb ergänzt wer- kein Gramm Fleisch in diesem Jahr hereingekom- den? Muß es nicht erklärtes Ziel der EG sein, das zu men sind? verhindern? (Eigen [CDU/CSU]: Schildkrötenfleisch!) Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das ist das — Ja, Schildkrötenfleisch. Von was reden wir Ziel der EG. Für den innergemeinschaftlichen Wa- sonst? renverkehr ist festzustellen, daß es von dem ge- Wären Sie, wenn sich herausstellte, daß es anders nannten Zeitpunkt an insgesamt verboten ist, Mee- wäre, bereit, diesen Art. 15 aus der EG-Verordnung resschildkröten und -produkte, die nach dem 31. De- dazu zu benutzen, das auch noch zu unterbinden? zember 1983 in einen anderen EG-Staat eingeführt oder nach diesem Zeitpunkt in einem EG-Gebiet Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kolle- der Natur entnommen worden sein sollten, zu kom- gin, die Rechtslage, wie ich sie gerade geschildert merziellen Zwecken in die Bundesrepublik habe, ist eindeutig. Wenn Sie meine Antwort auf die Deutschland zu verbringen. Es gibt auch keine An- nächste Frage des Kollegen Stutzer abwarten, wer- haltspunkte dafür, daß nennenswerte Vorräte, die den Sie auch genaue Angaben über die Einfuhren vor dem 1. Januar 1984 in andere EG-Länder ge- bekommen. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4155

Vizepräsident Frau Renger: Dann machen wir dere war, würde eine besondere Nachprüfung erfor- diese Überleitung. Ich rufe die Frage 57 des Herrn dern. Abgeordneten Stutzer auf: Welche Schildkrötenprodukte wurden nach dem 1. Januar Vizepräsident Frau Renger: Der Abgeordnete wird 1984 in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, und wel- sich freuen, wenn Sie das nachholen. che Konsequenzen sind aus dieser Einfuhr gezogen wor- Danke schön. den? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Gerne.

Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Nach dem Vizepräsident Frau Renger: Ich rufe die Frage 58 1. Januar 1984 wurden lediglich aus den Niederlan- des Herrn Abgeordneten Eigen auf: und zwar in Form den 20,25 kg Schildkrötenfleisch, Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über unter- von Suppe, in die Bundesrepublik Deutschland ver- schiedliche Handhabung von Denaturierung und Verfütte- bracht. Da diese Lieferung illegal war, wurden die rung von Magermilchpulver in den Niederlanden und der zuständigen Landesbehörden gebeten, die Ware zu Bundesrepublik Deutschland, und was gedenkt die Bundes- beschlagnahmen. regierung gegebenenfalls zu unternehmen, um Wettbewerbs- gleichheit herzustellen? (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Bitte schön, Herr Staatssekretär. Eine Zusatzfrage, Herr Vizepräsident Frau Renger: Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- Abgeordneter Stutzer. lege Eigen, die Verbilligung von Magermilchpulver aus Interventionsbeständen zur Verfütterung an Stutzer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist es Schweine und an Geflügel und dessen Einarbeitung richtig, daß der Vorerwerb von Schildkrötenproduk- in Futtermittel sind nach der EWG-Verordnung ten aus Jamaika anerkannt wird, obwohl dort im- Nr. 368/77 EG-einheitlich geregelt. mer noch regelmäßig Karettschildkröten getötet werden, die nicht zur F-2-Generation gehören? Die von Kreisen der deutschen Futtermittelher- steller geäußerte Vermutung, daß die EG-Vorschrif- ten in den Niederlanden verschiedentlich nicht be- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das geht zwar, Herr Kollege, über Ihre Fragen deutlich hin- achtet würden, haben sich nicht bestätigt. Wie in aus, aber ich kann Ihnen dazu sagen, daß wir Vorer- der Bundesrepublik Deutschland finden auch in werb jetzt generell nicht mehr anerkennen. den Niederlanden die vorgeschriebenen Kontrollen, verbunden mit den erforderlichen Untersuchungen, Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- statt. ge. Wettbewerbsverzerrungen sind daher aus diesen Gründen nicht ersichtlich, so daß die Bundesregie- Stutzer (CDU/CSU): In diesem Zusammenhang rung keine Veranlassung sieht, eine Änderung der noch einmal die Frage, Herr Staatssekretär: Wenn Brüsseler Vorschriften zu erwirken. die Cayman-Farm nicht als Zuchtfarm anerkannt wird — wie ich einer früheren Antwort entnehmen Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr konnte —, wie war es dann möglich, daß eine Liefe- Abgeordneter Eigen. rung von 7 t von Produkten dieser Farm zugelassen wurde? Eigen (CDU/CSU): Sind die Meldungen falsch, daß in Holland 350 000 t Magermilchpulver denaturiert Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kol- und verfüttert worden sind, in der Bundesrepublik lege Stutzer, ich kann zu dieser Frage jetzt keine Deutschland aber nicht einmal ein Zehntel dieser präzise Auskunft geben, wenn Sie mir nicht auch Menge, obgleich die Mischfutterindustrie minde- nähere Umstände über den Zeitpunkt mitteilen. stens die gleiche Menge angefordert hat? Seit dem 1. Januar 1984 ist die Rechtslage so wie geschildert. Es hat nur diesen einen Versuch mit Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich kann den 20,25 kg Schilkrötenfleisch gegeben. Das hat diese Meldung weder bestätigen noch als falsch be- zur Beschlagnahme geführt. Über frühere Zeiten zeichnen. Richtig ist, daß sehr unterschiedliche Grö- kann ich jetzt keine Auskunft geben. ßenordnungen in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden in Frage stehen. Vertreter des Bundesernährungsministeriums haben sich in Vizepräsident Frau Renger: Ich glaube, die Fragen gingen nicht über die Anfrage hinaus. Es ist viel- den Niederlanden allerdings von der ordnungsge- leicht aber möglich, daß eine Antwort auf das, was mäßen Durchführung der Maßnahme durch die nie- gefragt worden ist, noch nachgeholt wird, weil Sie derländische Interventionsstelle überzeugt. Die natürlich nicht alles vorliegen haben. Auskunft, die ich eben auf die Frage 58 gegeben habe, beruht also auf einer persönlichen -Inaugen- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Präsi- scheinnahme in den Niederlanden. dentin, die Fragen stehen natürlich in einem sachli- Die im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten chen Zusammenhang. Herr Kollege Stutzer hat hohe Beteiligung niederländischer Unternehmen aber in seinen Fragen die Rechtslage seit dem 1. Ja- an dieser Maßnahme, die Sie mit Ihrer Zusatzfrage nuar 1984 angesprochen. Darüber kann ich Aus- angesprochen haben — in den Niederlanden wur- kunft geben und habe das auch getan. Das, was nun den 1983 57 %, in der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vorher war, als die Rechtslage eine an nur 3 % des in der EG innerhalb dieser Maßnahme 4156 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Parl. Staatssekretär Dr. von Geldern verkauften Magermilchpulvers denaturiert —, ist gliedsländer laufen und von der Kommission auf auf die unterschiedliche Unternehmensstruktur zu- Vorschlag sogenannter Beratender Programmaus- rückzuführen. In den Niederlanden wird die Haupt- schüsse — Mitglieder sind Regierungsvertreter und menge außerhalb der Futtermittelindustrie durch Wissenschaftler aus den Mitgliedsländern — initi- spezialisierte Dienstleistungsunternehmen denatu- iert, koordiniert, überwacht und ausgewertet wer- riert, die das Magermilchpulver auf eigene Rech- den. Diese Projekte beziehen sich primär auf solche nung kaufen und das gesamte mit dieser Maß- Bereiche, wo ein Gemeinschaftsinteresse besteht nahme verbundene kaufmännische und technische und wo auf nationaler Ebene noch Wissenslücken Risiko tragen. Dagegen wird von der deutschen Fut- vorhanden sind. termittelindustrie das mit der Denaturierung ver- Zum anderen werden sogenannte konzertierte bundene Beihilfenrisiko als zu hoch eingeschätzt. Aktionen durchgeführt. Das sind vor allem Sympo- sien, Seminare und Workshops sowie der Austausch Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr von Wissenschaftlern und Informationen mit dem Abgeordneter Eigen. Ziel einer Abstimmung der verschiedenen nationa- len Forschungsaktivitäten. Die Bundesregierung Eigen (CDU/CSU): Könnte man denn — das ist hält insbesondere die konzertierten Aktionen für ein drängendes Problem — von der Regierung sehr wichtig, weil sie dazu beitragen, unnötige Dop- her der Futtermittelindustrie den Rat geben, in pelarbeit zu vermeiden und damit die knappen Deutschland ähnlich wie in Holland zu verfahren? Haushaltsmittel optimal einzusetzen. Die Ergeb- Das würde für beide Seiten — die Futtermittelindu- nisse der Forschungsprojekte wie auch der Sympo- strie und die Bundesregierung selbst — wegen Ab- sien, Seminare und Workshops werden von der nahme der hohen Lagerbestände doch von Vorteil sein. Kommission regelmäßig veröffentlicht.

Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich bin Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Herr gerne dazu bereit, über diese Frage auch mit Ver- Abgeordneter Eigen. tretern der Futtermittelindustrie zu sprechen. Ich habe aber eben auf die unterschiedlichen Struktu- Eigen (CDU/CSU): Können Sie mir schon Ergeb- ren und die Einschätzung der Risiken hingewiesen. nisse dieser kombinierten Forschung in Sachen Gespräche darüber sind auf jeden Fall möglich und Biomasse-Energie darstellen? auch sinnvoll. Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das kann Vizepräsident Frau Renger: Ich rufe die Frage 59 ich zur Zeit nicht, Herr Kollege Eigen. Die Program- des Herrn Abgeordneten Eigen auf: me, die ich eben aufgeführt habe, laufen noch und In welcher Weise sind die Forschungsvorhaben im Bereich reichen weit in die nächsten Jahre hinein, so daß nachwachsender Rohstoff-Energien zwischen den Ländern ich über Ergebnisse hier jetzt nicht berichten der Europäischen Gemeinschaft koordiniert? kann. Bitte schön, Herr Staatssekretär. Vizepräsident Frau Renger: Eine zweite Zusatzfra- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen ge, Herr Abgeordneter Eigen. der Europäischen Gemeinschaft gibt es mehrere Forschungsprogramme, die auf die Nutzung nach- Eigen (CDU/CSU): Wo liegen die Schwerpunkte wachsender Rohstoffe für Energiezwecke abzielen. dieser Forschung, bei uns in der Bundesrepublik Dazu zählen insbesondere erstens das Ende 1983 Deutschland oder in Frankreich? ausgelaufene Forschungs- und Entwicklungspro- gramm auf dem Gebiet der Energie mit dem Teil- programm „Energie aus Biomasse", dessen Fortset- Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: An all die- zung mit dem zur Zeit im Forschungsministerrat sen Forschungsprojekten der Gemeinschaft ist die behandelten Programm über nichtnukleare Energie Bundesrepublik Deutschland in angemessenem Ausmaß beteiligt. angestrebt wird — geplante Mittel für den Bereich Biomasse: 53 Millionen ECU = 119 Millionen DM für die Jahre 1984 bis 1988, so jedenfalls der Kom- Vizepräsident Frau Renger: Danke sehr, Herr missionsvorschlag —; zweitens das für die Jahre Staatssekretär. 1982 bis 1985 beschlossene Forschungs- und Ent- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- wicklungsprogramm auf dem Gebiet der Rohstoffe ministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beant- mit dem Teilprogramm „Holz als erneuerbarer Roh- wortung steht uns der Herr Parlamentarische stoff" — bereitgestellte Mittel für den Teil Holz: 12 Staatssekretär Franke zur Verfügung. Millionen ECU = 27 Millionen DM —; drittens das Die Fragen 60 und 61 werden auf Wunsch des für die Jahre 1984 bis 1988 beschlossene Agrarfor- Fragestellers, des Abgeordneten Kirschner,- schrift- schungsprogramm mit dem Teilprogramm „Energie lich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage in der Landwirtschaft", bereitgestellte Mittel für abgedruckt. den Energieteil: 8,5 Millionen ECU = 19 Millionen DM. Ich rufe Frage 62 der Frau Abgeordneten Dr. Voll- mer auf: In diesen Programmen werden zum einen For- War der Bundesregierung bei der Neuordnung des Rechts schungsvorhaben auf Gemeinschaftsebene durch- der unentgeltlichen Beförderung von Schwerbehinderten be- geführt, die in Forschungseinrichtungen der Mit kannt, wie einschneidend sie damit das Leben von zum Bei- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4157

Vizepräsident Frau Renger spiel schwerbehinderten Heimbewohnern mit geringem Ta- Franke, Parl. Staatssekretär: Diese Frage hängt schengeld einschränkt bzw. belastet, und welche soziale Be- gründung führt sie für diese Maßnahme an? mit der von Ihnen gestellten Frage überhaupt nicht zusammen. Ich kann die Einsparungen nicht quan- Bitte, Herr Staatssekretär. tifizieren. Franke, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung: Durch das Haus- Vizepräsident Frau Renger: Danke sehr, Herr haltsbegleitgesetz 1984 wurde im Bereich der un- Staatssekretär. entgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter u. a. Damit sind wir am Ende der Fragestunde ange- generell eine Eigenbeteiligung von 120 DM pro Jahr langt. Alle übrigen Fragen werden schriftlich beant- festgesetzt. Dieser Regelung liegt der Gedanke zu- wortet, sofern sie nicht zurückgezogen sind. *) Die grunde, daß die Betroffenen auch ohne ihre Behin- Antworten werden als Anlagen abgedruckt. derung auf die Benutzung öffentlicher Verkehrs- Der Herr Bundestagspräsident übernimmt jetzt mittel angewiesen wären und hierfür Beförde- das Präsidium. rungsentgelte zu entrichten hätten. (Vorsitz: Präsident Dr. Barzel) Ausgenommen von dieser Eigenbeteiligung wur- den einmal besonders betroffene Gruppen Schwer- behinderter, nämlich Blinde und Schwerbehinderte, Präsident Dr. Barzel: Meine Damen und Herren, zu die ständig so hilflos sind, daß sie — ich zitiere unserer Freude hat auf der Diplomatentribüne eine wörtlich — „nicht ohne Wartung und Pflege beste- Delegation des Parlaments der Republik Irland hen können"; hier beziehe ich mich auf § 58 Abs. 1 Platz genommen. Ich heiße Sie im Deutschen Bun- Satz 4 Nr. 2 des Schwerbehindertengesetzes in Ver- destag herzlich willkommen. bindung mit § 33b des Einkommensteuergesetzes. (Beifall) Viele der in Heimen lebenden Schwerbehinderten Wir hoffen, daß Sie hier nützliche Gespräche führen dürften zu diesem Personenkreis gehören. werden und angenehme Erinnerungen an den Auf- Zum anderen wurden typische Gruppen einkom- enthalt in unserem Lande haben. mensschwacher Schwerbehinderter von der Eigen- beteiligung ausgenommen, nämlich Schwerbehin- Ich habe des weiteren die Freude, Geburtstags- derte, die Arbeitslosenhilfe oder laufend Leistungen glückwünsche auszusprechen. Am 9. März 1984 der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundes- hatte Herr Abgeordneter Immer (Altenkirchen) Ge- sozialhilfegesetz oder entsprechende Leistungen burtstag. Er wurde 60 Jahre. Ich beglückwünsche ihn herzlich. der Kriegsopferfürsorge beziehen. (Beifall) Der Eigenbeitrag von 120 DM pro Jahr oder 10 DM pro Monat ist auch für die in Heimen woh- Am 13. März wurde der Abgeordnete Dr. Ahrens nen Schwerbehinderten, die nur ein sogenanntes 60 Jahre. Ich beglückwünsche ihn herzlich. Taschengeld von etwa 105 bis 155 DM monatlich (Beifall) erhalten, vertretbar. Ich wiederhole: Eigenbela- Meine Damen und Herren, einige wenige Mittei- stung pro Monat 10 DM. lungen. Für den aus dem Verwaltungsrat der Film- förderungsanstalt ausgeschiedenen Dr. Meinecke Vizepräsident Frau Renger: Eine Zusatzfrage, Frau hat die Fraktion der SPD für den Rest seiner Amts- Abgeordnete Dr. Vollmer. zeit die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz als Nachfolgerin vorgeschlagen. Für die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Herr Staatssekretär, Frau Dr. Martiny-Glotz, bisher stellvertretendes haben Sie eine Vorstellung davon, was für einen Mitglied, schlägt die Fraktion der SPD den Abge- Begriff von „Wende" so Schwerbehinderte Men- ordneten Duve vor. Sind Sie mit beiden Personal- schen, die j a insgesamt einen sehr eingeschränkten vorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Wi- Bereich der Lebensmöglichkeiten haben, bekom- derspruch. Dann ist so beschlossen. Damit sind die men, wenn jetzt ausgerechnet bei ihnen gespart Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz als ordentli- wird, und wie hoch sind die dadurch eingesparten ches Mitglied und der Abgeordnete Duve als stell- Kosten? vertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt berufen. Franke, Parl. Staatssekretär: Die Einschränkun- gen bzw. die Eigenbeteiligung führen im Jahre 1984 Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der beim Bund zu Einsparungen von 118 Millionen DM Tagesordnung auf: und bei den Ländern von 130 Millionen DM. Bericht zur Lage der Nation Vizepräsident Frau Renger: Letzte Zusatzfrage, Entgegen der ursprünglichen Planung sind nach Frau Abgeordnete. einer interfraktionellen Vereinbarung für die De- batte sechs Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu Frau Dr. Vollmer (GRÜNE): Mir ist bekanntgewor- keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. den, daß bei diesen Heimbewohnern u. a. inzwi- Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. schen auch die Kosten für den Friseur gestrichen sind. Ist Ihnen bekannt, welche Einsparungen der *) Zurückgezogen sind die Fragen 67 der Abgeordneten Bund dadurch hat, daß Heimbewohner nicht mehr Frau Nickels, 69 und 70 des Abgeordneten Pauli sowie die Friseurkosten erstattet bekommen? 93 und 94 des Abgeordneten Sauermilch. 4158 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Kohl, Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine rung der totalitären Herrschaft im Innern und der sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen Gewalt nach außen haben wir gelernt, daß Freiheit, heute zur Lage der Nation. Zur Lage der Nation daß Menschenrechte und der Friede, den sie stiften, gehört als erstes die Feststellung, daß die deutsche unsere erste Staatsbestimmung sind. Teilung bittere Wirklichkeit für die Deutschen ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wirklichkeit ist aber auch die Hoffnung, diese Tei- lung zu überwinden. Die Einheit der Nation ist und Unsere Freunde im Westen wissen, daß auf uns bleibt lebendig. Verlaß ist. Aus geschichtlicher Erfahrung und ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) meinsamen Werteverständnis und nicht zuletzt aus wohlverstandenem Eigeninteresse gehören sie und Zwischen den beiden Staaten in Deutschland gibt wir zusammen. Mit den Pariser Verträgen vor es einen intensiven Dialog, gibt es vielfältige Kon- 30 Jahren haben wir unser Bekenntnis zur Bünd- takte und konstruktive Zusammenarbeit auf zahl- nisgemeinschaft des freien Westens auf Dauer fest- reichen Feldern. Seit dem letzten Bericht zur Lage geschrieben. Und genauso haben sich die Drei der Nation im geteilten Deutschland hat sich das Mächte, unsere wichtigsten Bündnispartner, auf Geflecht der Beziehungen weiter verfestigt. Gerade das Ziel der Einheit Deutschlands in Freiheit dauer- in schwierigen Zeiten des Ost-West-Verhältnisses haft verpflichtet. leisten die beiden Staaten einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens, wenn wir alle unsere Die Deutsche Frage bleibt offen: Das gilt politisch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit aktiv nutzen. ebenso wie in rechtlicher Hinsicht. Für die Politik der Bundesregierung bleiben maßgebend und weg- (Beifall des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]) weisend die rechtlichen Grundlagen, die ich in mei- Dieser Stand der innerdeutschen Beziehungen ist ner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 im einzel- das Resultat zielstrebiger und besonnener Politik. nen genannt habe. Die Idee, die Ergebnisse und die Perspektiven die- ser Politik hält der Bericht zur Lage der Nation im Unser Verhältnis zu den Drei Mächten ist von geteilten Deutschland in sechs Punkten fest. existentieller Bedeutung für Berlin. Wer einer Ero- sion unseres Zusammenhalts mit den Westalliier- Erstens. Die Freiheit ist der Kern der Deutschen ten Vorschub leistet, wer auf Distanz ganz beson- Frage. ders 4u den Vereinigten Staaten von Amerika geht, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der handelt verantwortungslos gegenüber den Men- Der nationale Auftrag bleibt gültig und erfüllbar: schen in Berlin. in einem vereinten Europa in freier Selbstbestim- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) mung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Wir haben in Berlin eine Aufgabe für die Sache der Freiheit zu erfüllen. Unsere wichtigste rechtliche und moralische Po- sition bleibt der Anspruch aller Deutschen auf Frei- Berlin ist Symbol für die standfeste Verteidigung heit und Selbstbestimmung. von Demokratie und Menschenrechten durch die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) freien Völker des Westens, und Berlin ist Gradmes- ser für die Beziehungen zwischen Ost und West. Die Einheit der Nation soll und muß sich zu aller- Der Lebensmut und der Freiheitswille der Berliner erst in der Freiheit ihrer Menschen erfüllen. und der entschlossene Schutz durch die Drei Für uns hat die Bewahrung der Freiheit Vorrang Mächte haben Berlin die Freiheit seit 1945 be- vor allen anderen Zielen. Die Bundesrepublik wahrt. Deutschland ist ein freiheitlicher Staat. Die Bin- Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten dung an die freiheitliche Demokratie gehört zu un- Staaten von Amerika wirken in Berlin aus eigenem seren Staatsgrundlagen. Recht. Ihre Präsenz in Berlin erhalten sie beson- (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] ders deshalb aufrecht, weil sie unsere Partner und [GRÜNE]) Freunde in der atlantischen Wertegemeinschaft Die Entscheidung für die Europäische Gemein- sind und weil es auch ihnen darum geht, in Berlin schaft und die Atlantische Allianz ist das Funda- die gemeinsame Freiheit zu verteidigen. ment dieser Politik. Berlin, meine Damen und Herren, ist immer auch Wir wissen, wohin wir gehören; wir wissen, wo der Prüfstand für den Selbstbehauptungswillen des wir stehen: auf der Seite der Freiheit. Westens. Die Lage in und um Berlin muß stabil blei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — ben. Von entscheidender Bedeutung für die Bezie- Lachen bei den GRÜNEN — Fischer hungen zwischen West und Ost ist die strikte Ein- [Frankfurt] [GRÜNE]: Amen!) haltung und volle Anwendung des Viermächte-Ab- kommens über Berlin. Die Festigung und- Weiter- Mit den demokratischen Rechtsstaaten teilen wir entwicklung der Bindungen Berlins an den Bund unsere Grundwerte und unsere politische Kultur, behält den Rang eines nationalen Interesses. eine im Miteinander und Gegeneinander in Jahr- hunderten gewachsenen Gemeinsamkeit. Auch die innerdeutschen Beziehungen müssen einen Beitrag dazu leisten, die Situation von Berlin Weil wir im freien Westen freie Menschen blei- zu erleichtern und zu verbessern. ben wollen, gibt es in dieser Frage für uns auch kei- nen Wankelmut: Aus leidvoller historischer Erfah (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4159

Bundeskanzler Dr. Kohl Das gilt insbesondere für die Gestaltung der Ver- In diesem Jahr gedenkt die Nation besonders des kehrsverbindungen. Wir freuen uns mit der Berli- Grafen Stauffenberg und seiner Freunde sowie all ner Bevölkerung und mit dem Berliner Senat, daß jener Deutschen, die im Widerstand gegen die Ge- es durch unsere gemeinsame Initiative gelungen waltherrschaft am 20. Juni 1944 und danach ihr Le- ist, die S-Bahn den Berlinern zurückzugeben. ben wagten. (Zurufe von den GRÜNEN) (Zuruf des Abg. Schneider [Berlin] [GRÜ NE]) Die Bundesregierung wird fortfahren, die Le- bensfähigkeit der Stadt zu sichern und ihre Anzie- Sie wollten nicht die braune Diktatur durch eine hungs- und Ausstrahlungskraft wirtschaftlich, poli- andere ersetzen. Sie wollten Freiheit der Person tisch und kulturell zu fördern. Berlin muß als und Herrschaft des Rechts. Diese Männer und Standort von Zukunftsindustrien wie als Zentrum Frauen haben Zeugnis für das andere, für das bes- kreativer Forschung attraktiv bleiben. sere Deutschland abgelegt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP und Beifall bei Abgeordneten der Für Berlin sind neue und zukunftssichere Ar- SPD) beitsplätze überlebenswichtig. Darum ging es auch bei der Berliner Wirtschafts-Konferenz, die ich vor Ihre Grundsatztreue, ihr Mut, ihre Tat gehören zum 15 Monaten gemeinsam mit dem Regierenden Bür- besten Teil der deutschen Geschichte. germeister einberufen hatte. Die meisten Zusagen (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und haben inzwischen zu konkreten Initiativen geführt. Abgeordneten der SPD) Auf einer Nachfolge-Konferenz im Juni dieses Jah- res soll Bilanz gezogen und sollen neue Anstöße Das Vermächtnis des deutschen Widerstandes ge- gen Hitler, eines der tragenden Fundamente der gegeben werden. Bundesrepublik Deutschland, hat seinen festen Unübersehbar ist schon heute, daß sich die Berli- Platz im Bewußtsein der Deutschen. ner Wirtschaft insgesamt wieder aufwärtsentwik- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das sieht kelt. Die Investitionen nehmen zu, die gewerblichen man an den Edelweißpiraten!) Unternehmen melden einen Anstieg von Aufträgen und Gütererzeugung. Auch das Bruttosozialprodukt Es läßt sich nicht fehlleiten und erst recht nicht par- in Berlin wächst. Die Stadt blüht wieder auf. Die teilichen Zwecken zuordnen. Stadt hat ihren natürlichen Elan wiedergefunden, Meine Damen und Herren, die Führung der DDR sie vertraut erneut ihrer eigenen Substanz, ihrer ist bemüht, die deutsche Geschichte umzudeuten ganz eigenwilligen Vitalität. und sie sich so anzueignen. Aber niemals, zu kei- In drei Jahren blickt Berlin auf eine 750jährige nem Zeitpunkt, wies die Richtung deutscher Ge- Geschichte zurück. Dieses Jubiläum soll zu einer schichte vorwärts zum sozialistischen Deutschland, Demonstration werden für diese friedliche und wie die SED-Propagandisten heute immer wieder weltoffene Stadt, für ihr freiheitliches Lebensge- behaupten. fühl, für ihre Geschichte, für ihre Tradition. Wir alle (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wollen dazu beitragen, daß diese Feier für Berlin ein großer Erfolg wird, denn Berlin hat eine natio- Die Motive für dieses Tun sind klar: Da die Realität nale Aufgabe. des real existierenden Sozialismus die Menschen nicht anspricht, soll nationale Selbstentdeckung (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und und Einheitsperspektive die verschmähte Ideologie Abgeordneten der SPD) popularisieren. Sie soll die Menschen betören — in Zweitens: Die deutsche Nation ist Wirklichkeit im der DDR, aber nicht nur dort. Bewußtsein der Deutschen. Hinter dem gesamtdeutschen Geschichtsbild der Geprägt durch eine vielhundertjährige gemein- DDR steht die Idee eines sozialistischen Gesamt- same geschichtliche Erfahrung im Herzen Europas, deutschland. Der erkennbare Hinweis auf die fort- begreifen wir Deutsche ganz selbstverständlich die bestehende nationale Einheit und auf künftige Einheit unserer Nation. staatliche Einheit unter sozialistischem Vorzeichen soll das Defizit an Freiheit überspielen. Der geschichtliche, der politische Wandel auf deutschem Boden hat das Bewußtsein nationaler (Dr. Marx [CDU/CSU]: Sehr wahr!) Einheit nicht ausgelöscht. Wir im freien Teil unse- So soll ein nationales Selbstbewußtsein als Legiti- res Vaterlandes stellen uns der ganzen Geschichte, mitätsersatz für ein Gemeinwesen dienstbar ge- mit ihren glanzvollen und mit ihren schrecklichen macht werden, dessen Theorie und Praxis von den und düsteren Kapiteln. Und wir wissen, daß es ge- Deutschen, die dort leben, in freien Wahlen nie an- rade in diesem Jahrhundert die gemeinsame Erfah- genommen wurden und nie angenommen -würden. rung von Hochmut und Schuld, von Elend und Lei- Das Bewußtsein der gemeinsamen Geschichte, den ist, die alle Deutschen aneinander bindet und meine Damen und Herren, ist das eine, die gemein- auch das Bewußtsein ihrer Einheit wachhält. same Last der Teilung unseres Vaterlandes ist das Im vergangenen Jahr jährte sich zum 50. Mal die andere. Auf beidem gründet das besondere Verhält- Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933. nis zwischen den beiden Staaten in Deutschland. Damals begann Deutschlands Weg in die Katastro- Heute ist es ein Teil deutscher Wirklichkeit, den phe. keine deutsche Regierung ignorieren darf. Wir fin- 4160 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundeskanzler Dr. Kohl den uns mit der Teilung nicht ab, wir bleiben unse- dies nicht zu Lasten von Demokratie, Freiheit und ren Landsleuten in der DDR verpflichtet. Menschenrechten gehen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und Wir sind uns der Vielschichtigkeit des innerdeut- Abgeordneten der SPD) schen Verhältnisses bewußt. Dieses Verhältnis ist Wer ja zur Einheit der Nation sagt, muß auf die auch angesichts der politischen Entscheidungen Menschen in der DDR, unsere Landsleute, zugehen, der vergangenen Monate stabil geblieben. Es ist ein muß zu ihnen gehen. Ich werte es als ein erfreuli- Gewinn für beide Seiten, ein Gewinn auch für un- ches Zeichen, daß sich in unserer jungen Genera- sere Verbündeten im Westen, und ich stelle dies mit tion eine immer größere Bereitschaft zeigt, mehr Befriedigung fest. über die Verhältnisse in der DDR zu erfahren, dort Die innerdeutschen Beziehungen haben sich seit die Lebenswirklichkeit und den Alltag unserer meinem letzten Bericht zur Lage der Nation im Landsleute kennenzulernen. Wir dürfen uns in geteilten Deutschland insgesamt positiv entwickelt. Deutschland nicht auseinanderleben, wir müssen Die Bundesregierung hat ihre intensiven Bemühun- aufeinander zugehen, müssen zueinander kommen. gen in humanitären Angelegenheiten beharrlich So darf ich auch heute hier, von diesem Platz aus, fortgesetzt. 1983 hat die DDR eine erhebliche Zahl an die Eltern, an die Lehrer und nicht zuletzt an die politischer Gefangener vorzeitig freigelassen und Schulverwaltungen und Kultusminister der Länder ihnen die Übersiedlung in die Bundesrepublik ge- appellieren, das Ihrige zur Stärkung des nationalen stattet. In bemerkenswertem Umfang konnten wir Bewußtseins beizutragen. auch erreichen, daß getrennte Familien wieder zu- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und sammenfanden. Wir wissen, welchen Belastungen Abgeordneten der SPD) sich Deutsche in der DDR aussetzen, die einen Übersiedlungsantrag stellen. Die Bundesregierung Ich denke hier auch an die Behandlung der Deut- begrüßt die wachsende Zahl der Genehmigungen. schen Frage im Unterricht an unseren Schulen. Die Wir freuen und über jeden, der in die Bundesrepu- junge Generation sollte auch in den Medien, auch in blik Deutschland übersiedeln möchte und von den der wissenschaftlichen Unterrichtung wieder mehr Behörden der DDR die Genehmigung dazu erhält. über das geteilte Deutschland lernen, seine Ge- schichte und Gegenwart und nicht zuletzt, meine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Damen und Herren, auch über die Leistungen der Auch beim Reiseverkehr gibt es teilweise erfreu- Menschen in der DDR, über ihre Sorgen, über ihre liche Fortschritte. Die Zahl der Reisen in die DDR Hoffnungen. hat zuletzt wieder etwas zugenommen. Wir spüren Nicht nur in der Gemeinsamkeit der Geschichte, aber immer noch die negativen Folgen der Erhö- von Sprache, Kunst und Kultur, von Werten und hung der Mindestumtauschsätze im Oktober 1980. Tugenden ist Einheit unverlierbar. Dazu kommen Von einer durchgreifenden Besserung kann leider ungeachtet vielfältiger Behinderungen der unauf- noch keine Rede sein. Allerdings ist zu begrüßen, haltsame Fluß von Informationen und Meinungen, daß die Grenzkontrollen offenkundig korrekter er- die andauernde Verbindung von Menschen über die folgen als früher. Jugendliche im Alter von sechs Trennungslinie hinweg — in Gesprächen und Kon- bis 14 Jahren hat die DDR im September vorigen takten miteinander wie über die Medien. Die Me- Jahres vom Zwangsumtausch wieder befreit. Diese dien sollten bei ihrer Berichterstattung berücksich- Regelung bringt zwar für Familien eine gewisse Er- tigen, daß sie für viele Deutsche in den beiden Staa- leichterung, ist aber nicht mehr als ein erster ten oft die einzige Informationsquelle über das Le- Schritt in die richtige Richtung. Die Senkung der ben der Menschen im jeweils anderen Teil Deutsch- Mindestumtauschsätze bleibt eine wichtige und lands sind. zentrale Forderung der Bundesregierung. Im vergangenen Jahr, meine Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) war es am stärksten die Erinnerung an Martin Lu- Im Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesre- ther, die die Deutschen zusammengeführt und publik Deutschland gibt es leider keine starke Be- überall in Deutschland hoffnungsvolle Zeichen der wegung. Wir begrüßen die Zunahme der Reisege- Begegnung gesetzt hat. Wir alle wissen die Arbeit nehmigungen in dringenden Familienangelegenhei- der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands hoch zu ten. Im vergangenen Jahr wurden über 40 % mehr schätzen. Ich möchte dafür von dieser Stelle aus ein Genehmigungen erteilt als 1982. Aber die Bundesre- herzliches Wort des Dankes sagen. gierung findet sich auch weiterhin nicht damit ab, (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und daß jüngeren Menschen in der DDR Westreisen nur Abgeordneten der SPD) unter sehr engen Voraussetzungen gestattet wer- den. Uns erfüllt mit Sorge, daß wir immer noch zu Gerade die Kirchen leisten viel für die Menschen in viele Klagen über Reiseverweigerungen hören, ge- beiden Teilen Deutschlands. rade auch in menschlichen Härtefällen. Ich appel- Drittens. Es ist unsere Pflicht, die Folgen der Tei- liere an die Regierung der DDR, human zu verfah- lung für die Menschen erträglicher zu machen und ren. weniger gefährlich. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spür- Wir wollen zu praktischen Lösungen kommen, die bare Erleichterungen für Millionen Menschen den Menschen dienen. Auch damit erfüllen wir un- konnten wir beim innerdeutschen Postverkehr er- sere nationale Verpflichtung. Aber natürlich darf reichen. Die Vereinbarung über die neue Postpau- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4161

Bundeskanzler Dr. Kohl schale ist ein gutes Beispiel für ein angemessenes Noch immer bietet diese Grenze ein bedrückendes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Bild, mit dem wir uns nicht abfinden werden. Nach achtjähriger Pause wurden im Herbst 1983 (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — die Verhandlungen über ein Kulturabkommen wie- Zustimmung des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] der aufgenommen. Wir wollen dem kulturellen Aus- [SPD]) tausch neue Impulse geben. Bis zum Abschluß der Ich darf die Gelegenheit nutzen und an dieser schwierigen Gespräche bleibt die Bundesregierung Stelle auch einmal ein Wort des Dankes an die — wie beim Wissenschaftsaustausch — um Einzel- Beamten an dieser Grenze sagen: an die Beamten projekte bemüht. des Bundesgrenzschutzes, der bayerischen Grenz- Die Beziehungen auf dem Gebiet des Sports blei- polizei und des Grenzzolldienstes. ben unbefriedigend. Sie beschränken sich im we- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP so sentlichen auf wenige Begegnungen von Spitzen- wie bei Abgeordneten der SPD) sportlern. Wir werden auch in Zukunft weiter dar- Ihr besonnener Einsatz verdient unsere Anerken- auf dringen, daß möglichst viele Jugendliche und nung. gerade auch Sportler aus grenznahen Bereichen Gelegenheit zum fairen Wettkampf miteinander er- Nirgendwo wird der grausame Charakter der Tei- halten. lung Europas anschaulicher als an dieser Grenze mitten durch Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Von ihr besonders in Mitleidenschaft gezogen In den Rechtshilfeverhandlungen streben wir sind die Menschen im Zonenrandgebiet. Was in der Vereinbarungen an, die wenigstens in Teilberei- Mitte liegt, scheint an den Rand gerückt. Bindun- chen die Verfahren im Interesse der Betroffenen gen vielfältiger, oft verwandtschaftlicher Art wur- erleichtern, vereinheitlichen und beschleunigen. den hier auf unmenschliche Weise zerrissen. Die Bundesregierung hat diese zentralen Regionen wie- Der innerdeutsche Handel, meine Damen und Herren, hat sich über alle Veränderungen der inter- der stärker unterstützt. Auch damit bringen wir den nationalen Lage hinweg für beide Seiten als ein Einheitswillen unseres Volkes zum Ausdruck. Ge- Element der Stetigkeit und Berechenbarkeit erwie- rade die Bürger im Zonenrandgebiet spüren ganz sen. Der DDR bringt er vielfältigen Nutzen, aber unmittelbar, wie wichtig es ist, die schmerzlichsten Nutzen hat auch die Bundesrepublik Deutschland Folgen der Teilung im Zusammenwirken beider und vor allem auch Berlin. Staaten in Deutschland zu mildern. Viertens. Als einen Beitrag zum Frieden in Eu- 1983 wurde eine Zuwachsrate von 8% erreicht. ropa wollen wir die Beziehungen zur DDR vertie- Vor allem mit zusätzlichen Dienstleistungen im Be- fen. reich der Post konnte die DDR die Handelsbilanz weitgehend ausgleichen. Wir stehen zu den abgeschlossenen Verträgen. Wir wollen das Geflecht der Beziehungen weiter Die Bundesregierung ist bereit, die innerdeut- verdichten. schen Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage der bestehenden Abkommen auszubauen und ihre Ich begrüße es — lassen Sie mich dies ausdrück- kontinuierliche Entwicklung zum beiderseitigen lich sagen —, daß auch die Sozialdemokratische Vorteil zu fördern. Neue Impulse verspricht sich die Partei Deutschlands und ihre Fraktion dieser Poli- Bundesregierung von einer Ausweitung der Zusam- tik zustimmen. menarbeit, die den Warenhandel wirksam ergänzen (Lachen und Zurufe von der SPD) kann. Ich denke hier auch an die in Aussicht ge- Das breite Einvernehmen bei der Entschließung nommene Kooperation zwischen dem Volkswagen- des Deutschen Bundestags vom 9. Februar 1984 hat werk und den zuständigen Stellen der DDR. dies zum Ausdruck gebracht. — Ich weiß gar nicht, Mit ihrer Zustimmung zu dem Kredit westdeut- meine Damen und Herren, warum Sie hier jetzt scher Banken über eine Milliarde DM hat die Bun- Unruhe zeigen. Es müßte Sie doch erfreuen, daß desregierung im vergangenen Sommer ein deutli- hier ein Stück Gemeinsamkeit deutlich wird. ches Signal an die DDR-Führung gegeben. Diese (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Entscheidung war zugleich eine Botschaft an die Deutschen in der DDR, und sie ist von ihnen gut Wir wollen das Erreichte bewahren und ausbau- verstanden worden: Wir wahren unsere Sicherheits- en, wir wollen die Chancen des Grundlagenvertrags und Bündnisinteressen, sind aber selbstverständ- und der anderen innerdeutschen Verträge und Ver- lich im Interesse der Menschen zu vernünftiger Zu- einbarungen nutzen. Wir sind bereit, die Beziehun- sammenarbeit im innerdeutschen Verhältnis be- gen zur DDR auf der Basis von Ausgewogenheit, reit. Vertragstreue und Berechenbarkeit und mit- dem Ziel praktischer, für die Menschen unmittelbar Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen nützlicher Ergebnisse weiterzuentwickeln. und Herren! Ein Blick auf die unerträglichen Gren- zen durch Deutschland bestätigt allerdings, daß die Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR innerdeutschen Beziehungen von Normalität nach stehen in einer Verantwortungsgemeinschaft für wie vor weit entfernt sind. den Frieden und die Sicherheit in Europa; beide müssen sich um eine Entschärfung der internatio- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nalen Lage bemühen. Die Bundesrepublik Deutsch- 4162 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundeskanzler Dr. Kohl land und die DDR haben ein gemeinsames Interes- Morgen werden in Wien die MBFR-Verhandlun- se, die internationalen Chancen zur Beherrschung gen über den gegenseitigen und ausgewogenen und Eindämmung von Krisen zu nutzen. Das gilt Truppenabbau in Mitteleuropa wiederaufgenom- für die Bemühungen um ein besseres Ost-West-Ver- men. Wir wollen nicht nur die Fortsetzung dieser hältnis allgemein wie für Rüstungskontrolle und und anderer Verhandlungen über Rüstungskon- Abrüstung im besonderen. trolle und Abrüstung. Wir wollen vor allem auch eine baldige Vereinbarung über ein weltweites Ver- Im letzten September ging in Madrid die KSZE- bot chemischer Waffen. Nachfolgekonferenz mit einem Schlußdokument zu Ende. Aber die Menschen im geteilten Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — erwarten, daß die Vereinbarungen von Madrid auch Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) in ihrem täglichen Leben erfahren werden können. Wir wollen einen generellen Ausbau der Ost-West (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zusammenarbeit. Wir tun im Bündnis alles, um in diese Richtung zu wirken. Wir erwarten, daß die - Seit Januar tagt die Konferenz über vertrauens Regierung der DDR ihren Einfluß geltend macht, und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrü- wo immer sie kann, damit eine Politik für Dialog stung in Europa. Stockholm zeigt, daß das Interesse und Zusammenarbeit in Verantwortung für den an Dialog und Zusammenarbeit stärker ist, als viele Frieden fortgesetzt werden kann. Auch in diesem angenommen und für möglich gehalten haben. Wir Sinne ist Deutschlandpolitik europäische Friedens- sehen in dieser Konferenz ein wichtiges Instru- politik. ment, um die Ost-West-Beziehungen auf eine lang- fristige, stabile Grundlage zu stellen. In meinem In einer Verantwortungsgemeinschaft stehen wir Gespräch mit Generalsekretär Honecker in Moskau Deutschen nicht nur in der Sorge um die Erhaltung hat sich bestätigt, daß die DDR-Führung in diesem des Friedens, sondern auch bei dem Schutz der na- Punkt mit uns übereinstimmt. türlichen Lebensgrundlage unseres Volkes. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir müssen zusam- Wir wollen wirksame Maßnahmen vereinbaren, menarbeiten, wenn wir eine lebenswerte Umwelt die zu mehr Vertrauen zwischen Ost und West füh- bewahren wollen. Belastungen der Umwelt wie ren. Vertrauen ist unverzichtbare Voraussetzung schwefelsaure Rauchgase machen nicht vor Mau- für die von uns angestrebte europäische Friedens- ern, Stacheldraht und Grenzsperren halt. Zuneh- ordnung, in der wir Deutsche unser Selbstbestim- mende Luftverschmutzung und besorgniserregende mungsrecht frei verwirklichen können. Waldschäden fordern beide Staaten in Deutschland Grundbedingungen für den Frieden ist die Be- zu gemeinsamen Anstrengungen heraus. Daneben achtung des Gewaltverbots. Unsere Friedenspolitik müssen Möglichkeiten internationaler Zusammen- war von Anfang an praktizierter Gewaltverzicht. arbeit erschlossen und genutzt werden. Die Bundes- Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß regierung hat deshalb für den Juni die Staaten in wir die Überwindung der deutschen Teilung aus- Ost und West zu einer internationalen Konferenz schließlich mit friedlichen Mitteln anstreben. Ohne über diese Fragen nach München eingeladen. Dort Gewaltverzicht, ohne Achtung der Menschenrechte, wollen wir beraten über die Ursachen und die Mög- ohne Freiheit wird es keine dauerhafte Friedens- lichkeiten zur Verhinderung der Wald- und Gewäs- ordnung in Europa geben. serschäden durch Luftverschmutzung in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Konstruktive und intensive Zusammenarbeit ist Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) vor allem auch im innerdeutschen Verhältnis gebo- ten: bei der Bekämpfung von Waldschäden, bei der Wem es damit wirklich ernst ist, muß Mauer und Rauchgasentschwefelung und bei den wichtigen Stacheldraht abbauen, eine Erziehung zu Haß und Fragen der Sicherheit von Kernanlagen, Strahlen- Feindschaft unterlassen, darf die Inanspruchnahme schutz und Katastrophenschutz. Ich bin zuversicht- von Menschenrechten nicht mit Gewalt bedrohen. lich, daß die bestehenden Kontakte weiter ausge- Zur Mißachtung der Menschenrechte, auch in unse- baut werden können und daß sie am Ende — nach rem Vaterland, können und werden wir nicht Verhandlungen — in konkrete Übereinkommen schweigen. einmünden werden. Zwingend notwendig ist vor al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — lem die Zusammenarbeit beim grenzüberschreiten- Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) den Gewässerschutz. Hier gibt es erste ermuti- gende Vereinbarungen. Kontakte auf Ministerebe- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir ne können dazu beitragen, weitere Felder der Zu- streben in Europa einen Zustand an, in dem durch sammenarbeit beim Umweltschutz zu erschließen. die Beseitigung der Spannungsursachen Interes- Bei alledem geht es um ein gemeinsames, ein ge- senausgleich und Frieden möglich werden. Die samtdeutsches Lebensinteresse. Die Deutschen — Bundesregierung bekennt sich unverändert zu den die Deutschen in Ost und West — können- ihm beiden Elementen des Harmel-Berichts. Militär- jedoch nicht auf sich allein gestellt gerecht werden. ische Sicherheit und eine Politik der Entspannung Unser Volk in der Mitte des Kontinents kann seine sind kein Widerspruch, sondern bedingen und er- Umwelt nur gemeinsam mit den Nachbarn — in gänzen einander. West und Ost — wirksam und dauerhaft schützen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Fünftens. Wir müssen Europa einigen, um auch Zustimmung des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] für Deutschland die Einheit in Freiheit zu vollen- [SPD]) den. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4163 Bundeskanzler Dr. Kohl Als Land in der europäischen Mitte, im Brenn- Meine Damen und Herren, wir sind stolz auf den punkt des europäischen Mächtesystems wurde Beitrag und die Leistung unseres Landes beim Aus- Deutschland immer wieder der Ort, an dem andere bau der Gemeinschaft. Niemand kann und soll Staaten ihre Interessen miteinander austrugen. Es übersehen, daß wir hier auch finanziell viel einge- gab dabei auch Phasen, in denen die Deutschen die bracht haben. Gefahr verdrängten, die in ihrer europäischen Mit- (Zuruf von den GRÜNEN: Wir haben auch tellage begründet ist. Sie haben der Versuchung zu was rausgezogen!) nationalen Sonderwegen nachgegeben und in jenen Tagen auf eine Politik der Hegemonie gesetzt. Wir Aber, meine Damen und Herren, finanzieller Auf- alle wissen, daß damit unser Land gescheitert ist. wand und politischer Ertrag müssen zusammen ge- Unsere Generation hat die Lektion aus dieser histo- sehen werden: rischen Erfahrung gelernt. Kein deutscher Sonder- (Dr. Marx [CDU/CSU]: Richtig!) weg kann unser Land aus der Mitte Europas her- ausführen. Jede sinnvolle Investition in Europa ist immer auch eine Abschlagzahlung für die freiheitliche Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — der Deutschen. Zustimmung des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zur Einigung Europas gibt es keine Alternative Im europäischen Rahmen müssen und wollen wir — schon gar nicht für uns Deutsche. Für Europa unsere Zukunft gestalten und auch als Friedens- steht in diesen Wochen mehr auf dem Spiel als die werk die nationale Frage lösen. Bewältigung einer aktuellen Krise in der Wirt- Wir wissen um die europäische Dimension der schaftsgemeinschaft. Die Gemeinschaft muß sich deutschen Teilung, die wir nur mit Unterstützung endlich politisch einigen, sonst wird Europa ver- durch die Völker, d. h. durch die Nachbarn in Eu- kümmern und dabei auch die Chance verspielen, in ropa überwinden können. Wir sind uns auch be- den großen weltpolitischen Fragen sein Gewicht wußt, welch große Verantwortung gerade unser zur Geltung zu bringen. Europa muß sich politisch Land als Stabilitätsfaktor in der Mitte Europas zu einigen, sonst geht auch die Perspektive der Deut- tragen hat. Niemand soll glauben, die Deutschen schen verloren, ihre Einheit in einer europäischen würden noch einmal ihre europäische Verantwor- Friedensordnung zu verwirklichen. tung mißachten. Von deutschem Boden muß Frie- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den ausgehen. Wir sind immun gegen jede Versu- chung, unsere europäische Bindung abzustreifen, Wir wollen und wir müssen den Weg weitergehen, das gesamteuropäische Gleichgewicht zu ignorie- der in den Römischen Verträgen vorgezeichnet ist. ren und die Überwindung der Teilung isoliert von Es ist unser Ziel, auf den dort geschaffenen Grund- unseren Nachbarn anzustreben. lagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker aufzubauen und die Ge- Diese europäische Bindung hat aber noch eine meinschaft zu einer Politischen Union mit dem Ziel andere Seite: Mit dem Anspruch der Deutschen auf des Baus der Vereinigten Staaten von Europa aus- freie Selbstbestimmung findet das geteilte Europa zubauen. eine Kraft, die auch seiner Erneuerung und seiner Einigung dienen kann. Zugleich wissen alle Euro- Die deutschfranzösische Freundschaft und Zu- päer, daß die Überwindung der Teilung Europas für sammenarbeit, auch in Sicherheitsfragen, wird ih- Deutschland eine Friedensordnung voraussetzt, die rer europäischen Idee folgen. Mit den anderen Part- vom ganzen deutschen Volk in freier Selbstbestim- ner in der Gemeinschaft wollen wir diesen Weg mung angenommen werden muß. Uns ist bewußt, gemeinsam gehen. Wir werden darauf dringen, daß meine Damen und Herren, daß der nationale Ge- noch in diesem Jahr erste Gespräche geführt und danke der Deutschen und die europäische Idee ein- Fortschritte sichtbar werden; wir haben keine Zeit ander bedingen. Für uns sind Europapolitik und zu verlieren. Deutschlandpolitik wie zwei Seiten einer Medaille. Die Politische Union Europas, die wir anstreben, Motor für die Einigung Europas zu sein, dies ist Teil wird auch der westlichen Sicherheit dienen. Sie des nationalen Auftrags, Staatsräson der Bundesre- stärkt das europäische Widerlager der transatlanti- publik Deutschland von Anfang an. Unsere freiheit- schen Brücke. liche politische Kultur braucht den europäischen Sechstens. Die deutsche Nation Horizont gemeinsamer Grundwerte. gehört zum We- sten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unser Standort ist und bleibt in der Allianz für Wir haben die Europäische Gemeinschaft mitge- die Freiheit. Die politische Ordnung der westlichen gründet, und wir gehören ihr unwiderruflich an, Demokratien — persönliche Freiheit, Rechtsstaat,- weil unser demokratisches, weil unser rechtsstaatli- politische Selbstbestimmung — ist es wert, im In- ches Selbstverständnis es so will und weil es unser nern bewahrt und nach außen verteidigt zu wer- Interesse an Sicherheit und politischer Handlungs- den. fähigkeit gebietet. Nur eine dynamische Gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft und ihre Ausstrahlungskraft wird für die Zu- Das heißt für uns ganz selbstverständlich: auch in kunft die Chance der Veränderung in ganz Europa Zukunft freie Wahlen, freie Meinungsäußerung, un offenhalten. abhängige Gewerkschaften, Freizügigkeit und vie- 4164 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundeskanzler Dr. Kohl les mehr. Das schulden wir uns selbst und unseren Das gesamte deutsche Volk wäre ärmer ohne das Bündnispartnern, das sind wir aber auch, meine Erbe jener Gebiete, in denen Deutsche in Nachbar- Damen und Herren, den Menschen in Mittel- und schaft mit mittel- und osteuropäischen Völkern Osteuropa schuldig. durch die Geschichte gegangen sind. Auch deshalb fühlen wir uns in besonderer Weise den Deutschen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die heute noch dort leben, verbunden und zur Obhut Auch sie wollen freie Menschen sein, in Freiheit verpflichtet. leben und über ihr Gemeinwesen und ihren politi- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schen Willen selbst bestimmen können. Und darin liegt ja das eigentliche Problem der deutschen und Wir empfinden besondere Verantwortung und europäischen Teilung: in der Verweigerung von Sympathie für alle Deutschen, die ihre ange- Freiheit und Selbstbestimmung für die Menschen stammte Heimat, oft genug gegen ihren Willen und in Mittel- und Osteuropa. unter unsagbaren Leiden, verlassen haben, um hier, im freien Teil unseres Landes, eine neue Zukunft Der amerikanische Außenminister George Shultz aufzubauen. hat dies bei der Eröffnungssitzung der Stockholmer Konferenz am 17. Januar 1984, also vor wenigen Wo- Gerade im Bilck auf das bittere Schicksal der chen, in Erinnerung gerufen. Seit 1945, so sagte er, Vertriebenen und Flüchtlinge ist der schon 1950 habe eine künstliche Grenze diesen Kontinent Eu- von ihnen erklärte Gewaltverzicht eine Tat, die es ropa grausam gespalten und eine seiner großen Na- verdient, immer wieder vor der Geschichte hervor- tionen — die Deutschen — unbarmherzig geteilt. Er gehoben zu werden. fuhr fort: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die Vereinigten Staaten erkennen die Legitimi- Diese Absage an Rache und Vergeltung, die Bereit- tät dieser künstlich auferlegten Teilung Euro- schaft zur Aussöhnung waren eine Botschaft des pas nicht an. Friedens. (Dr. Dregger [CDU/CSU]: Sehr gut!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Diese Teilung ist der Kern des Sicherheitspro- Ein Werk des Friedens, meine Damen und Her- blems und des Menschenrechtsproblems Euro- ren, sind auch in unseren Tagen die Zeichen der pas — und wir alle wissen das. Die Menschen- Solidarität, die das von Sorgen bedrückte polnische rechte Volk von uns Deutschen, aber auch gerade von den — so Shultz — vertriebenen Deutschen und ihren Nachkommen, erfährt. — Die Vertriebenen und Flüchtlinge verdie- bilden den zentralen Punkt einer jeden Erörte- nen unseren Dank und unsere Anerkennung. rung der europäischen Sicherheit ... Der Ver- such, Europa eine Teilung aufzuerlegen, ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwangsläufig eine Quelle der Instabilität und Und wir betrachten es als eine nationale Aufgabe, der Spannung. ihr kulturelles Erbe zu erhalten und zu pflegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Maßstab unserer Politik in der nationalen Frage Meine Damen und Herren, so trennt die Grenze bleibt die Bewahrung freiheitlicher Lebensform — zwischen Ost und West, was in Freiheit zusammen- und damit auch der Hoffnung jener vielen Europä- gehört. So wie die deutsche Frage im Brennpunkt er, die sie heute noch entbehren. Dafür müssen wir europäischer Geschichte steht, so ist — ich wieder- unsere freiheitliche Ordnung weltoffen vorleben hole es — die Freiheit der Kern der deutschen Fra- und sie beispielhaft ausgestalten. Unsere rechts- ge. Freiheit ist die Bedingung der Einheit. Sie kann staatliche Demokratie muß mit ihrer freien politi- nicht ihr Preis sein. schen Willensbildung, mit Grundrechtsschutz und innerem Frieden für die Freiheit werben. Geistige (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der Vitalität, Meinungsvielfalt und kulturelle Schöpfer- Abg. Frau Renger [SPD]) kraft demonstrieren die Spannung und Stärke un- Ich warne nachdrücklich vor jeder Illusion, als serer offenen Gesellschaft. Mit Erfindungsgabe und könnten unsere Freiheit und unsere Sicherheit ge- Unternehmungsgeist in Forschung und Technik, in gen unseren Wunsch nach Einheit ausgespielt wer- Wissenschaft und Wirtschaft, mit Wettbewerb und den. sozialem Ausgleich beweist unsere freiheitliche Wir denken dabei auch an unsere Nachbarn, vor Wirtschaftsordnung ihre unbestreitbare Anzie- hungskraft. allem auch an das polnische Volk, dem unsere ei- gene Zukunft so wenig gleichgültig sein kann wie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) uns die Zukunft Polens. Meine Damen und Herren, nur wenn wir die per- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sönliche Selbstbestimmung der Bürger ernst neh- men, können wir glaubhaft freie nationale Selbst- Unser Volk hat sein eigenes Erbe und eine Tradi- bestimmung für alle Deutschen und Europäer for- tion — und wir hoffen auf eine Zukunft — zusam- dern. Auch das ist eine Antwort auf die Frage der men mit den Völkern in Mittel- und Osteuropa. Die- ser Tradition muß und wird die Bundesrepublik Teilung Deutschlands und Europas. Deutschland, dieser Tradition müssen wir gerecht Die deutsche Nation war vor dem Nationalstaat werden. da, und sie hat ihn überdauert. Auch nach der bei- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4165

Bundeskanzler Dr. Kohl spiellosen Katastrophe dieses Jahrhunderts geht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der unsere gemeinsame Geschichte weiter. Deutschen Demokratischen Republik positiv ent- Unser Staat, die Bundesrepublik Deutschland hat wickelt haben, daß wichtige Verbesserungen für die sich in der geschichtlichen Verantwortung bewährt: Menschen in beiden Staaten erreicht worden sind. dem nationalen Auftrag gegenüber wie in der Ver- Daß wir zur Gemeinschaft der westlichen Demokra- antwortung für Europa und den Frieden in der Welt. tien gehören, ist für uns selbstverständlich. Als demokratischer Rechts- und Sozialstaat, zu- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) allererst der Würde eines jeden Menschen ver- pflichtet, wurden wir ein geachtetes Mitglied der Natürlich gibt es auch keinen Streit darüber, daß Völkergemeinschaft. Unsere Friedenspolitik hat Freiheit und Selbstbestimmung zentrale Werte un- uns Vertrauen und Ansehen erworben. Darauf kön- serer Ordnung sind. Wir Sozialdemokraten kämp- nen wir mit Stolz zurückblicken. fen seit mehr als 100 Jahren für diese Werte, für Frieden, für Gerechtigkeit und für Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Mit nüchternem Sinn für die Bedingungen der (Beifall bei der SPD) europäischen und globalen Politik nehmen wir un- Wir kämpfen auch gegen Unterdrückung, ganz seren nationalen Auftrag wahr. Wir richten uns we- gleich von welcher Seite diese Unterdrückung aus- der in Wohlstand noch in unserer eigenen Freiheit geht. nur bequem ein. Wir nehmen Willkür nicht als letz- tes Wort hin. In fester Bindung an die freie Welt Sie haben einige der Fakten genannt, die ein gün- und mit der Unterstützung unserer Freunde haben stiges Urteil über deutsch-deutsche Beziehungen wir die Deutsche Frage offengehalten. rechtfertigen. Andere Fakten haben Sie merkwürdi- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da lachen gerweise unerwähnt gelassen, so das Zusammen- ja die Hühner!) treffen des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Richard von Weizsäcker, mit dem Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, so Staatsratsvorsitzenden der DDR, einer Begegnung, sagt es die Präambel unseres Grundgesetzes, in der ganz besondere Bedeutung zukommt und die freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit ich im Namen meiner Fraktion auch bei dieser Ge- Deutschlands zu vollenden. Als gleichberechtigtes legenheit noch einmal ausdrücklich begrüße. Glied in einem vereinten Europa wollen wir dem Frieden der Welt dienen. In diesem Ziel der gemein- (Beifall bei der SPD) samen Freiheit liegt der Auftrag aller Deutschen. Das Geflecht der offiziellen Gespräche und Kon- (Langanhaltender Beifall bei der CDU/ takte zwischen beiden deutschen Staaten ist erfreu- CSU und der FDP) lich dicht geworden. Zu diesem Geflecht gehört auch der Besuch, den eine Delegation meiner Frak- Meine Damen und Herren, tion in der vergangenen Woche der Volkskammer Präsident Dr. Barzel: in Ost-Berlin auf Einladung ihres Präsidenten abge- ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- stattet hat. Solche Gespräche und Begegnungen ordnete Dr. Vogel. sind eine entscheidende Voraussetzung für die wei- tere Verbesserung der Beziehungen. Dr. Vogel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- ehrten Damen und Herren! Die Erklärung, die der (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) Herr Bundeskanzler soeben vorgetragen hat, Es ist mir deshalb unverständlich, warum die (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: ... war sehr Union — anders als der größte Teil der Freien De- gut!) mokraten — noch immer offizielle Kontakte zur Volkskammer ablehnt, enthält aus unserer Sicht eine ganze Reihe kon- struktiver Elemente. (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Scheinparla (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ment!) Diese konstruktiven Elemente zeigen, warum gerade Sie, Herr Bundeskanzler, an dieser (Dr. Marx [CDU/CSU]: ... wie man es Stelle einen letzten Rest einer deutsch-deutschen macht!) Hallstein-Doktrin verteidigen. Ihr Argument, die Volkskammer sei kein Parlament im Sinne unserer daß diese Regierung und diese Koalition auf diesem Verfassung, ist in diesem Zusammenhang doch ge- Gebiet offenbar eine Wende vollzogen hat, eine radezu abwegig. Natürlich ist sie das nicht, aber das Wende zur Deutschlandpolitik, die wir Sozialdemo- gilt doch ebenso für Dutzende von anderen Einrich- kraten grundgelegt haben. tungen dieses Namens, zu denen wir trotzdem offi- (Beifall bei der SPD) zielle Beziehungen und offizielle Kontakte unter- - Ich hoffe, daß Töne, die da und dort an die 50er halten, Jahre erinnern, nur als Beschwichtigung eigener (Beifall bei der SPD) Anhänger gedacht waren, die dieser Wende nicht zu etwa für die der Volksrepublik Ungarn, der der folgen bereit sind. Herr Bundestagspräsident — wir haben das be- Wir stimmen einer ganzen Reihe Ihrer Feststel- grüßt — soeben einen offiziellen Besuch abgestattet lungen, Herr Bundeskanzler, zu. Wir stimmen in hat. Vergleichbar mit unseren politischen Institutio- der Feststellung überein, daß sich die Beziehungen nen sind doch auch andere Einrichtungen der DDR 4166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Vogel nicht. Oder wollen Sie für andere Institutionen daß Herr Zimmermann das Treffen sogar — ich diese Vergleichbarkeit behaupten? zitiere wörtlich — als eine vordergründige, lächerli- Wir meinen, es ist hoch an der Zeit, solche Berüh- che, zynische Verbrüderung mit Honecker diffa- rungsängste endlich aufzugeben, miert hat? Werden Sie eigentlich nicht schamrot, Herr Zimmermann, wenn Sie angesichts der regel- (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) mäßigen Treffen Ihres eigenen Parteivorsitzenden Berührungsängste, die im übrigen auf einen völlig mit Herrn Honecker an diese Äußerung zurückden- unangebrachten Mangel an Selbstvertrauen schlie- ken? ßen lassen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fortschritte waren möglich, weil Sie Ihre destruk- tive Deutschlandpolitik nach den Bundestagswah- Denn mit wachsender gegenseitiger Berührung len über Bord geworfen und unter Täuschung nicht wachsen die Chancen für den friedlichen Wettbe- weniger Ihrer eigenen Wähler unsere Politik über- werb nommen haben, als letzter Herr Strauß, der dann (Dr. Hupka [CDU/CSU]: Mit der Volkskam aber mit dem Übereifer des neu bekehrten in Jah- mer?) ren Versäumtes in Monaten, wenn nicht in Wochen, sozusagen im Flug nachholen will. Ich kritisiere die- der beiderseitigen Gesellschaftsordnungen, und ich sen Wandel nicht. Aber die Frage ist nicht nur sehe nicht, daß wir diesen Wettbewerb der Gesell- erlaubt, die Frage ist notwendig, die Frage, was wir schaftsordnungen von unserer Seite aus zu scheuen mehr und früher für die Menschen in der DDR hät- oder etwa zu fürchten hätten. ten bewirken können und was unserem Volk an (Beifall bei der SPD) vergiftender Polemik, ja, zeitweise an Haß erspart geblieben wäre, wenn Sie Ihren deutschlandpoliti- Wenn von dem dichter gewordenen Geflecht zwi- schen Wandel schon 1974 oder 1975 und nicht erst schen den beiden deutschen Staaten die Rede ist, 1983 vollzogen hätten. muß auch der geplante Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik erwähnt werden. Wir begrü- (Beifall bei der SPD) ßen, daß dieser Besuch näherrückt. Wir erinnern Ich fürchte, Sie haben daraus wenig gelernt. Ich daran, daß die Einladung zu diesem Besuch von fürchte, auf anderen Feldern, so auf dem Felde der Bundeskanzler am Werbellinsee Friedenssicherungspolitik, wiederholt sich das glei- ausgesprochen wurde. Hätte nicht der bayerische che. Die Fortschritte, in deren Beurteilung wir über- Ministerpräsident noch vor seiner höchstpersönli- einstimmen, waren möglich, weil auch in der Füh- chen deutschlandpolitischen Wende den Tod eines rung der DDR verantwortliche Persönlichkeiten bei Transitreisenden zum Mord erklärt, hätte dieser allen Unterschieden und Gegensätzen im übrigen Besuch wahrscheinlich zum beiderseitigen Nutzen noch mehr an Verständigung als an Konfrontation schon lange stattgefunden. und noch mehr an Interessenausgleich als an ge- (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: genseitiger Störung und Beschädigung interessiert Sie sind ein Beckmesser!) sind und weil die erdrückende Mehrheit der Men- schen in der DDR die Verständigung ebenso Ich wiederhole: Im Verhältnis zwischen der Bun- wünscht wie die erdrückende Mehrheit unserer Be- desrepublik und der Deutschen Demokratischen völkerung. Republik sind Fortschritte erzielt worden, Fort- schritte, die wir begrüßen. Es hätte Ihnen, Herr Die Fortschritte waren und sind schließlich mög- Bundeskanzler, allerdings gut angestanden, auch lich, weil Sie es mit einer Opposition zu tun haben, darauf einzugehen, warum diese Fortschritte mög- die diese Politik konstruktiv unterstützt, die die Er- lich waren. Wollen Sie im Ernst behaupten, das höhung der Postpauschale von 80 auf 200 Millionen alles hätte erst mit Ihrem Regierungsantritt begon- DM nicht hämisch kritisiert, wie Sie es getan ha- nen und seinen Anfang genommen? Nein, diese ben, Fortschritte waren möglich, weil unter Bundes- (Beifall bei der SPD) kanzler gegen Ihren erbitterten Wi- sondern dieses Abkommen aus übergeordneten derstand eine neue Ost- und Deutschlandpolitik Gründen akzeptiert, eine Oppositionsfraktion, de- entwickelt worden ist und weil Helmut Schmidt ren Vorsitzender der anderen Seite darlegt, daß diese Politik — wiederum gegen Ihren hartnäcki- seine Fraktion und er in wesentlichen Punkten mit gen Widerstand — fortgeführt und konkretisiert der Deutschlandpolitik der Bundesregierung über- hat. einstimmen. Die gemeinsame deutschlandpolitische (Beifall bei der SPD) Entschließung des Bundestages vom 9. Februar Haben Sie vergessen, Herr Bundeskanzler und 1984, die doch Ihre Wende besiegelt und nicht eine meine Damen und Herren von der Union, daß Sie Wende unserer Politik, - gerade wegen dieser Deutschlandpolitik Willy (Beifall bei der SPD) Brandt als Bundeskanzler einmal stürzen wollten? Haben Sie vergessen, daß Sie Helmut Schmidt noch hat das gleiche zum Ausdruck gebracht. im Dezember 1981 wegen seines Werbellin-Besuchs aufs schärfste kritisiert haben. Herr Bundeskanzler, gibt es zu dieser Entschlie- ßung vom 9. Februar 1984 auch nur ein Gegenstück (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht, das aus Ihrer Oppositionszeit? Allein die Vorstellung, war ein Windei!) Sie hätten als Fraktionsvorsitzender Erich Honek- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4167

Dr. Vogel ker besucht und dabei die Deutschlandpolitik der sondern eher die Schweigsamen, denen es darum damaligen Regierung unterstützt, zeigt den him- geht, Möglichkeiten nicht zu verschütten, sondern melweiten Unterschied. zu bewahren, und die sich deshalb auch nicht in mitunter peinlicher Weise mit angeblichen Erfolgen (Beifall bei der SPD) brüsten und die gerade deshalb — ich sage das mit Wir Sozialdemokraten sind im deutschen Inter- Ernst und Bedacht — legitimiert sind, vor Aktionen esse auf dem Felde der Deutschlandpolitik zur Ge- zu warnen, die die Aussichten der Übersiedlungsbe- meinsamkeit fähig und bereit. Sie waren es als Op- werber gefährden, die auf solche Aktionen verzich- position zu keiner Zeit. Ihnen war die parteipoliti- ten. sche Auseinandersetzung über Jahre hin wichtiger Die Entwicklung der letzten Jahre hat auch die als die Gemeinsamkeit auf diesem Gebiet. vier Elemente dessen gefestigt, was die Substanz (Beifall bei der SPD) der Nation ausmacht, nämlich die Geschichts-, die Darüber, daß diese Politik nur im Bündnis mög- Sprach-, die Kultur- und die Gefühlsgemeinschaft. lich ist, brauchen wir keine Belehrung. Das haben Wir sollten den Begriff der Nation nicht als Kampf- wir mehr als ein Jahrzehnt praktiziert. Ich habe das begriff verwenden, aber in dieser Gemeinschaft, so, bei meinem letzten Besuch in Moskau ebenso deut- wie ich sie soeben umschrieben habe, liegt der reale lich gemacht wie in Washington. Nicht wenige in Kern dessen, was uns die Präambel des Grundge- Washington wissen übrigens sehr wohl, daß es für setzes im Hinblick auf die Einheit der Deutschen unseren Hauptverbündeten, für die Vereinigten hier und heute tatsächlich zu wahren und zu pfle- Staaten, eine Erleichterung und keine zusätzliche gen aufgibt. Erschwerung ihrer Bürde bedeutet, wenn zwischen (Beifall bei der SPD) den beiden deutschen Staaten nicht Konfrontation, Diese Gemeinschaft läßt sich nicht befehlen, sie sondern ein Zustand der Koexistenz und sich ver- läßt sich erst recht nicht verbieten. Sie wächst oder bessernden Beziehungen besteht. vergeht in dem Maße, in dem die Politik die Voraus- Die Ergebnisse dieser Deutschlandpolitik haben setzungen für das eine oder das andere schafft und bisher auch den Belastungen standgehalten, die die Menschen von diesen Voraussetzungen Ge- sich aus dem beschleunigten Rüstungswettlauf und brauch machen. Die Politik der letzten Jahre, un- aus den verschärften Spannungen zwischen den sere Politik, hat diese Voraussetzungen stetig ver- Supermächten und den Bündnissystemen ergeben. bessert. Mehr noch: Sie haben sich in Mitteleuropa als ein Außerdem hat auch in der Bundesrepublik selbst stabilisierendes Element erwiesen. die Frage nach unserer nationalen Identität, nach Die von Helmut Schmidt und Erich Honecker am unserem nationalen Bewußtsein, nach unserem na- Werbellinsee postulierte Verantwortungsgemein - tionalen Selbstverständnis an Bedeutung gewon- schaft der beiden deutschen Staaten ist jedenfalls nen. Zu lange haben wir diese Frage in den Jahr- in Ansätzen wirksam geworden, ein Erbe, zu dem zehnten nach dem Krieg ungeachtet aller Feier- Sie sich heute zu unserer Freude unter Übernahme tagsrhetorik beiseite geschoben. Ersatzweise haben des Begriffs erneut bekannt haben. Das gibt dem wir uns mit unserem Grundgesetz, mehr noch aber von Ihnen bei anderer Gelegenheit gern gebrauch- mit dem wachsenden Bruttosozialprodukt identifi- ten Begriff der Erblast eine ganz neue Bedeutung ziert. Auch glaubten wir geraume Zeit, ein europäi- und eine ganz neue Interpretation. sches Bewußtsein könne an die Stelle des nationa- len Bewußtseins treten. Das ist auch im nachhinein (Beifall bei der SPD) durchaus zu verstehen, aber als Dauerzustand stellt Allerdings dürfen wir uns keinen Täuschungen es uns außerhalb der Normalität der übrigen Völ- hingeben. Die Belastbarkeit des Netzes, das da ker. Auch die beste Verfassung — und wir haben mühsam genug geknüpft wurde, ist begrenzt. Ohne eine hervorragende Verfassung — wird überlastet, einen neuen Dialog unter den Weltmächten, ohne wenn sie leisten soll, was für andere Völker das eine Beendigung des Rüstungswettlaufs, ohne ei- nationale Bewußtsein zu leisten vermag. nen Abbau der internationalen Konfrontation wird es zu Rückschlägen auch in den deutsch-deutschen (Beifall bei der SPD und der FDP) Beziehungen kommen. Die Warnungen in diese Wir müssen deshalb auch auf diesem Gebiet zur Richtung sind nicht nur Propaganda, sie sind ernst Normalität zurückkehren, d. h. wir müssen uns wie- zu nehmen; beschwichtigende Redensarten helfen der verstärkt unserer eigenen Geschichte zuwen- da nicht weiter. den, und zwar ihren Höhepunkten ebenso wie ihren Noch eine ganz andere Art von Belastungen ha- düsteren und bedrückenden Abschnitten. Ein Ver- ben diese Beziehungen in den letzten Wochen zu such der Wiederaufnahme der Geschichte unter bestehen. Das sind die Zufluchtnahmen in unserer Ausklammerung und Löschung dieser bedrücken- Ständigen Vertretung und in verschiedenen Bot- den Kapitel ist zum Scheitern verurteilt. schaften. Ich möchte all denen danken, die zur ver- (Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy nünftigen Lösung der damit verbundenen Probleme [CDU/CSU]: Aber umgekehrt auch!) beigetragen haben und noch beitragen. Wir müssen uns wieder stärker als Gemeinschaft (Beifall bei der SPD und der FDP) und nicht nur als eine zufällige Ansammlung mehr Das sind übrigens nicht die Lauten, nicht die, die oder weniger beziehungslos nebeneinander leben- sich bei solchen Gelegenheiten in Szene setzen, der Individuen begreifen. Und zu dieser Gemein- 4168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Vogel schaft gehören eben in unserer Situation auch die Das alles ist meilenweit von vordergründiger Ge- Menschen im anderen deutschen Staat. Natürlich schäftigkeit entfernt. Es ist ein Ansatz, der unserer leben sie in einem eigenen Staat, den wir seit dem Politik eine weiterreichende Perspektive bietet, Grundlagenvertrag aus guten Gründen in seiner eine Perspektive, die der Diskussion bedarf und zu Staatlichkeit völlig respektieren, und in einer Ge- der beispielsweise — ich erkenne das ausdrücklich sellschaftsordnung, die sich grundlegend von der und dankbar an — auch Richard von Weizsäcker unseren unterscheidet, einer Gesellschaftsordnung, und Bemerkenswertes beigetra- die noch immer nicht auf Mauer und auf Stachel- gen haben. draht verzichtet. (Beifall bei der SPD) Aber gerade das vergangene Jahr mit seinem Lu- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen ther-Jubiläum und den großen kirchlichen Veran- und Herren, es ist wichtig, das Erreichte zu würdi- staltungen in Magdeburg, Wittenberg, aber auch in gen und pfleglich zu behandeln. Es ist wichtig, Worms hat deutlich gemacht, wie lebendig die ge- Rückschläge zu verhindern. Es ist aber auch not- meinsame Geschichte in die Gegenwart hinein- wendig, die Entwicklung weiter voranzubringen, wirkt. Auch das Karl-Marx-Gedenkjahr aus Anlaß immer aufs neue nach den Ausgleichsmöglichkei - seines 100. Todestages hat bei aller Verschiedenheit ten von Interessen zu suchen und dadurch die Hür- und Gegensätzlichkeit der Würdigungen von dieser den und Hindernisse niedriger werden zu lassen, Kraft der gemeinsamen Geschichte etwas spüren die uns noch immer trennen und auf dem Weg zu lassen. einer nachbarschaftlichen Normalisierung behin- (Beifall bei der SPD) dern. Ebenso belebt sich das Gefühl der Gemeinsam- Sie, Herr Bundeskanzler, haben in diesem Zu- keit im kulturellen Bereich. Ich erinnere nur an das sammenhang die Milderung des Grenzregimes, die große Interesse, das die Arbeiten in der DDR behei- weitere Erleichterung des individuellen Reisever- mateter Schriftsteller — ich nenne als Beispiel nur kehrs, insbesondere von Ost nach West, die weitere das Werk Christa Wolfs — mehr und mehr bei uns Korrektur des Mindestumtauschs, die weitere Ver- finden. Und die Gefühlsgemeinschaft ist ebenfalls besserung der Praxis der Familienzusammenfüh- lebendiger, als sie es je zuvor war. In dem Drängen rung, den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehun- nach mehr geschalteten Leitungen bei der Post, in gen, die verstärkte Zusammenarbeit auf dem Ge- dem Drängen nach Verbesserung der Postverhält- biet des Umweltschutzes, aber auch auf dem Gebiet nisse steckt doch diese Gefühlsgemeinschaft, dieses des kulturellen Austausches genannt. Bedürfnis, miteinander im Austausch der Meinun- gen und der Empfindungen zu bleiben. Und jeder Wir stimmen als Opposition diesen Zielsetzungen Besuch und jede Begegnung über die Grenzen hin- zu. Ich habe sie sämtlich gegenüber dem Staatsrats- weg beweisen das. vorsitzenden gestern zur Sprache gebracht, insbe- sondere die Frage der Erleichterung des individuel- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen len Reiseverkehrs. Und ich habe in dem Gespräch und Herren, zu alledem hat sicher auch die Frie- den Eindruck gewonnen, daß Fortschritte auch auf densdiskussion der vergangenen Jahre beigetra- diesen Gebieten in Zukunft keineswegs unmöglich gen. Die von beiden Staatsführungen immer wieder sind. geäußerte Überzeugung, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen, ist eben nicht Das gilt auch für weitere Punkte, die Sie nicht nur Ausdruck einer zufälligen Interessenüberein- erwähnten, etwa für den Abschluß eines längerfri- stimmung — das wäre schon wichtig genug —, son- stigen wirtschaftlichen Rahmenabkommens, für ei- dern sie ist auch Ausdruck einer Lehre aus der nen neuen Anlauf zu einem Rechtshilfeabkommen gemeinsamen Geschichte dieses Jahrhunderts. wenigstens in Zivilsachen oder für die Vereinba- rung geordneter politischer Konsultationen, wie sie (Beifall bei der SPD) ja der Grundlagenvertrag bereits für Fragen der Auch die deutschen Friedensbewegungen, bei de- Rüstungskontrolle vorsieht, ein Vorschlag, der auch nen man sich wechselseitig vor falschen Vereinnah- gewisse Verdichtungen und Häufungen eher und in mungen hüten sollte, haben hier bei aller Unter- angemessener Form zu vermeiden hilfreich wäre. schiedlichkeit eine gemeinsame Wurzel. Wie überall gilt aber auch hier: Wer seine Forde- Gewiß, das alles ist überaus verletzlich und sensi- rungen und Interessen voranbringen will, der muß bel. Aber es ist deutsche Wirklichkeit, der wir uns auch die Forderungen und Interessen der anderen nicht entziehen können, nicht entziehen dürfen und Seite würdigen. Die DDR ist eben nicht nur an wirt- nicht entziehen wollen, eine Wirklichkeit, die wir in schaftlichen Vorteilen und Krediten interessiert. Es die Europäische Gemeinschaft und das atlantische könnte sogar sein, daß sich die Kreditproblematik Bündnis einbringen müssen, eine Wirklichkeit, die heute schon weniger drängend oder jedenfalls an- helfen kann, eingeübte Feindbilder allmählich ver- ders als vor ein oder zwei Jahren darstellt. Wer blassen und verschwinden zu lassen, Fortschritte, wer mehr Durchlässigkeit will, muß (Beifall bei der SPD) sich deshalb auch mit anderen Forderungen und Wünschen der DDR auseinandersetzen. Natürlich und die, wenn wir sie als Element unserer nationa- müssen wir die Grenzen beachten, die uns das len Identität bejahen, auch dazu helfen kann, daß Grundgesetz und unsere eigenen politischen Inter- wir in kritischen Situationen und unter Belastun- essen ziehen; aber innerhalb dieser Grenzen gibt es gen besser standhalten können. durchaus Spielräume, die wir im Interesse der Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4169

Dr. Vogel Durchsetzung unserer eigenen Forderungen nützen sonen der DDR, bei denen die vorherige gegensei- und einsetzen sollten. tige Abstimmung mit denen, die für die Stadt Ver- antwortung in den Verfassungsorganen tragen, eine (Beifall bei der SPD) wesentliche und stets beachtete Voraussetzung ist, Meine Damen und Herren, das Grundgesetz ver- dienen diesem Ziel. Ich glaube, daß diese Kontakte bietet beispielsweise nicht festzustellen, daß die Nachahmung und Förderung finden sollten. Auch Elbe-Grenze zwischen Schnakenburg und Lauen- die herannahende 750-Jahr-Feier Berlins bietet da- burg durchgängig in der Strommitte verläuft, wenn für gute Ansatzpunkte, die es zu nutzen gilt. eine erneute Prüfung des Materials ergibt, daß auch diese Auslegung vertretbar erscheint. Ebenso wichtig sind Anstrengungen zur Erhal- tung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit Berlins. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie geben schon Die Behauptung, Berlin blühe wieder auf, ersetzt wieder Rechtspositionen auf!) diese Anstrengungen nicht, denn der Abbau der Ar- Das Grundgesetz verbietet nicht, mit der Staatlich- beitsplätze vollzieht sich noch immer in einem be- keit der DDR auch ihre Personalhoheit zu respek- sorgniserregenden Tempo. tieren, solange nur niemand daran gehindert wird, Die Konferenz zur Wirtschaftsförderung im De- die fortdauernde deutsche Staatsangehörigkeit zember 1982 hat die von Ihnen, Herr Bundeskanz- dann in Anspruch zu nehmen, wenn er sie in An- ler, geweckten Erwartungen bisher nicht erfüllt. Die spruch nehmen will. Dies ist der Kernpunkt der Bundesunternehmen verhalten sich unter Ihrer Re- Sache. gierungsverantwortung genauso zögerlich wie zu (Beifall bei der SPD) unserer Zeit. Ihrer damaligen Kritik sind bis heute Das Grundgesetz, meine sehr verehrten Damen kaum Taten gefolgt, weniger jedenfalls, als nach und Herren, gebietet auch nicht, daß neben der Zen- den Ankündigungen zu erwarten war. tralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg auf unabsehbare Zeit die Zentrale Er- Natürlich begrüßen wir Fortschritte wie z. B. die fassungsstelle in Salzgitter fortbesteht. Eröffnung des BMW-Motorradwerks. Aber dieses Projekt hat doch mit Ihrer Konferenz nichts zu tun. (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) Die Planung und Inangriffnahme dieses Projektes Ihre Errichtung entsprach der Situation des Jahres hat doch in der Zeit unserer Verantwortung in 1961, war eine Antwort auf die Vorgänge des August Bonn und in Berlin begonnen. 1961. Der große Durchbruch der wirtschaftlichen Ent- (Zurufe von der CDU/CSU) wicklung Berlins zum Besseren läßt noch immer Aber ich vertrete die Auffassung, daß ihr Fortbe- auf sich warten. Sie haben im Dezember 1982 3 200 stand mehr und mehr mit dem erreichten Niveau neue Arbeitsplätze in Berlin versprochen. Wir ha- der deutsch-deutschen Beziehungen in Wider- ben mit unserer Anfrage, die uns demnächst auch spruch gerät. hier im Parlament beschäftigen wird, um konkrete Auskunft darüber gebeten, was aus dieser Zusage (Beifall bei der SPD — Graf Huyn [CDU/ und aus diesen Versprechungen geworden ist. CSU]: Gibt es keine Mauer mehr?) Wir sind auch hier wie in allen Berlin betreffen- Für die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten den Fragen weiterhin zur Zusammenarbeit bereit. sind ohnehin in jedem Fall die Staatsanwaltschaf- Das heißt aber nicht, daß wir über Fehlentscheidun- ten zuständig, und keiner will, daß das Legalitäts- gen und Unterlassungen den Mantel der Nächsten- prinzip nicht auch in dieser Richtung seine Anwen- liebe breiten. Falsch war, daß Sie anläßlich der dung findet. Das aber ist ein völlig anderes Thema. S-Bahn-Übernahme ein Schrumpfkonzept begün- (Beifall bei der SPD) stigt und nicht von vornherein auf der weiteren tat- sächlichen Benutzung des Nord-Süd-Tunnels be- Was ich bisher gesagt habe, gilt auch für Berlin. standen haben. Durch die Stillegung dieses Tunnels Berlin ist keine normale Stadt, trotz der günstigen hat der wichtigste innerstädtische Grenzübergang Auswirkungen des Viermächteabkommens und der am Bahnhof Friedrichstraße zwei direkte Verbin- daran anknüpfenden Vereinbarungen. Berlin ist dungslinien verloren. Dies widerspricht der Politik, eine Stadt ohne eigenes Hinterland, eine Stadt, in den Zugang in den anderen Teil der Stadt und in der man Stadtteilgrenzen auch heute noch nur mit das Umland, wo immer das nur möglich ist, zu einer besonderen Erlaubnis passieren kann, eine erleichtern. Bringen Sie dies möglichst bald in Ord- Stadt, die mehrere hundert Kilometer von dem nung. Unsere Unterstützung auf dem Weg zu die- Raum getrennt ist, zu dem sie wirtschaftlich, recht- sem Ziel sichere ich Ihnen zu. lich, kulturell und mit den alliierten Vorbehalten auch politisch gehört. Eine solche Stadt kann keine (Beifall bei der SPD) Stadt wie jede andere sein. Sie ist vielmehr in einer - Situation, die von ihr, aber auch von uns besondere Außerdem sollten Sie wegen der Offenhaltung von Anstrengungen erfordert, die Absperrungen gegen- Staaken unter Einbeziehung des Westteils des über dem Ostteil der Stadt und der DDR in einem Autobahnringes in das Transitsystem immer von beharrlichen Prozeß durchlässiger zu machen, not- neuem Vorstöße unternehmen. Auch die Beschleu- falls millimeter- und zentimeterweise. Die breiter nigung des Eisenbahntransits zwischen Berlin und werdenden Kontakte meiner Berliner Freunde mit Westdeutschland bleibt, in welcher Form auch im- Ost-Berliner Stellen und mit Institutionen und Per mer, auf der Tagesordnung. 4170 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Vogel Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen nach dem Maß ihrer Möglichkeiten als ihre eigene und Herren, ich sprach vorhin von der nationalen Angelegenheit betrachten und selbst in die Hand Identität der Deutschen und von unserem Gemein - nehmen. schaftsbewußtsein, das nicht an den Grenzen der (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten beiden Staaten halt macht. Berlin ist in beiden Hin- der FDP — Zustimmung des Abg. Lintner sichten ein zentraler Ort. In Berlin vor allem ent- [CDU/CSU)) scheidet sich, ob gemeinsames Erbe nur eine ge- meinsame Last oder ob es auch eine gemeinsame Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen Hoffnung und eine gemeinsame Zukunft bedeuten und Herren, Sie, Herr Bundeskanzler, haben im kann. Zuge Ihrer Erklärung von der Situation in der Euro- päischen Gemeinschaft gesprochen. Ich erkläre (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten dazu für meine Fraktion: Unser Angebot, die Bun- der FDP) desregierung bei der Bemühung um die Rettung Ich möchte diesen Teil meiner Ausführungen mit der Europäischen Gemeinschaft zu unterstützen, einem persönlichen Wort an die Menschen in der gilt unverändert. Sie haben dieses Angebot bisher DDR und auch an die Menschen in unserer Repu- im wesentlichen unbeanwortet gelassen. Das er- blik abschließen. Den Menschen in der DDR höht Ihre Verantwortung. Zusammenarbeit, Herr möchte ich sagen: Wir wollen uns nicht ungebeten Bundeskanzler, von der Sie selbst gern und häufig in ihre Angelegenheiten und in die ihres Staates reden, setzt Information und Diskussion voraus. Als einmischen. Wir wollen insbesondere nicht auf ihre parlamentarische Diskussionsmasse auf Abruf ste- Kosten mit Worten und schneidigen Reden tapfer hen wir nicht zur Verfügung. Das ist nicht der Be- erscheinen. Wir wollen vielmehr immer wieder auf griff der Zusammenarbeit. das hören, was sie uns zu sagen haben, und wir wol- len im Rahmen unserer Möglichkeiten dazu helfen, (Beifall bei der SPD) daß wir gemeinsam einen Beitrag zum Frieden lei- Es besteht zwischen Fragen, die im Bericht zur sten, daß wir uns mehr noch als bisher begegnen Lage der Nation behandelt worden sind, und der können, daß die Hoffnung zunimmt und daß die Sicherung des Friedens ein enger Zusammenhang. Lasten leichter werden. Das setzt aber voraus, daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, beide Staaten weiterhin vernünftig miteinander haben gegen unseren Widerspruch dem Beginn der umgehen und die Verantwortlichen miteinander im Stationierung zugestimmt. Wie wir es vorausgesagt Gespräch bleiben. Die Entwicklung der letzten haben, hat das zu einer Beschleunigung des Rü- zwölf Jahre zeigt: Das ist der richtige Weg. Wir wer- stungswettlaufs geführt. Wollen Sie wirklich be- den ihn — und wo immer möglich, gemeinsam — haupten, meine Damen und Herren, wir hätten jetzt unbeirrt auch in Zukunft fortsetzen. mehr Sicherheit als vor dem 23. November 1983? (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU: Aber weniger Den Menschen in der Bundesrepublik, Mitbürge- auch nicht!) rinnen und Mitbürgern, aber sage ich: Lassen Sie Wollen Sie wirklich behaupten, unsere Sicherheit nicht nur die Politiker am 17. Juni oder bei der Aus- wüchse mit der Zahl der nuklearen Raketen, die sprache über die Lage der Nation von der fortbeste- jetzt in Ost und West stationiert werden? henden Gemeinschaft und dem Zusammengehörig- Unser Ziel war es, diese neue Runde eines absur- keitsgefühl der Deutschen reden. Halten Sie die be- den Wettlaufs und seine Fortsetzung überhaupt stehenden Kontakte zu den Freunden und Ver- wandten in der DDR lebendig, knüpfen Sie neue durch einen Kompromiß zu verhindern, der den Zu- stand von 1977 oder 1978 festgeschrieben hätte. Kontakte, reisen Sie, wo immer möglich, in die DDR. Für die Menschen in der DDR ist es gegen- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der wärtig noch immer die Ausnahme, daß sie Ham- CDU/CSU) burg oder München, den Rhein oder den Schwarz- Sie haben sich dem versagt. Jetzt warten Sie auf ein wald besuchen können. Sie, wir, die Bürger in unse- Wunder, das diesen Wettlauf zum Stehen bringt. rem Staat, können nach Schwerin oder Leipzig, wir Dabei wissen Sie ebensogut wie wir, daß die beiden können in den Spreewald oder nach Güstrow rei- Weltmächte in ihren Antworten auf die Frage, wie sen. Machen Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch. dieser gefährliche Prozeß beendet oder gar umge- Es ist ein anormaler Zustand, daß sich viele von uns kehrt werden soll, weiter denn je voneinander ent- in Spanien oder in Italien, j a selbst in anderen Kon- fernt sind. Die Vereinigten Staaten sagen, die So- tinenten besser auskennen als in der DDR und als wjetunion müßte an den Verhandlungstisch zurück- in Mitteldeutschland. kehren und Zugeständnisse machen, zu denen sie (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten vor Beginn der Stationierung nicht bereit war. Die der CDU/CSU und der FDP) Sowjetunion sagt, die USA müßten zu der Lage zu- Der französische Staatsmann Clemenceau hat rückkehren, die vor dem Herbst 1983 bestand; eher einmal gesagt, der Krieg sei eine zu ernste Sache, seien Verhandlungen nicht möglich. um ihne allein den Generalen zu überlassen. Ich Glauben Sie wirklich, daß die eine Weltmacht sol- meine, das friedliche Neben- und Mit- und Zueinan- che Bedingungen der anderen Weltmacht akzeptie- der der beiden deutschen Staaten und die Bewah- ren wird? Sie haben das vor dem Ende der Genfer rung wichtiger Elemente unserer Gemeinschaft Verhandlungen behauptet, und diese Behauptung sind eine viel zu ernste Sache, um sie allein der war falsch. Was berechtigt eigentlich zu der Annah- Politik zu überlassen. Alle Deutschen sollten sie me, daß dieselbe Behauptung jetzt, in diesem Ab- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4171

Dr. Vogel schnitt der Entwicklung, richtiger ist? Ich habe bei einem Ergebnis, damit sie zu einem Fortschritt füh- den Gesprächen in Washington und in Moskau ren? nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gefunden. Und Generalsekretär Tschernenko hat Ihnen doch (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat der Bun nichts anderes gesagt, als er mir bei den Gesprä- deskanzler doch gesagt. Sie haben wohl chen gesagt hat. nicht zugehört!) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ebenso sollten wir den Gedanken umfassender Wahrscheinlich aber mehr!) Gewaltverzichtsvereinbarungen nicht einfach bei- seite legen, sondern aufgreifen und uns darum be- Deshalb appellieren wir an Sie: Ergreifen Sie die mühen, aus diesen Gedanken etwas Konstruktives Initiative. Es genügt nicht, nur auf Stockholm zu zu entwicklen. Auch hier sind Bewegungen möglich, verweisen und immer wieder ein Gipfeltreffen zu die jedenfalls das Klima günstig beeinflussen. Auch fordern. Es kommt auf konkrete Vorschläge und hier könnte mit dem Wort der Verantwortungsge- konkretes Bemühen an. meinschaft, das doch auch Sie ständig verwenden, (Beifall bei der SPD) ernst gemacht werden. Hier gibt es eine Chance, daß beide deutsche Staaten und jeder in Loyalität Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich glauben, zu seinem Bündnis — wir selbstverständlich in durch Ihr Verhalten in der Nachrüstungsfrage in Loyalität zu unserem Bündnis — für den Frieden in Washington an Gewicht gewonnen zu haben, dann Europa nicht nur zu reden, sondern tatsächlich ak- werfen Sie dieses Gewicht in die Waagschale. Wir tiv zu werden. haben ebenso in Moskau und gestern in Ost-Berlin (Beifall bei der SPD) gedrängt, und das mit der zusätzlichen Legitima- tion derer, die nicht nur der Stationierung immer Ähnliches gilt für den Vorschlag, die Rüstungsko- neuer Raketen auf der anderen Seite, beim Gegen- sten zugunsten einer stärkeren Hilfe für die Dritte über, widersprechen — das tun wir natürlich auch Welt zu senken. Es ist doch unser Vorteil, daß wir mit allem Nachdruck —, sondern der Stationierung von allen Mitgliedern des Bündnisses diese Instru- im eigenen Land ihr Nein entgegengesetzt haben, mente, diese durch die Vertragspolitik geschaffenen weil uns eine bessere Alternative erreichbar er- Möglichkeiten besitzen. Die anderen besitzen sie schien und erreichbar erscheint. doch nicht. Ich fordere auf und biete an, daß wir uns um die Aktivierung des gemeinsam Erreichten (Beifall bei der SPD) auch in dieser Richtung — über die bilateralen Be- Lassen Sie mich mit allem Ernst fragen, Herr ziehungen hinaus — bemühen. Bundeskanzler: Warum muß das, was ich über die (Beifall bei der SPD) Gewichte und die Argumentation gesagt habe, ei- gentlich immer nur zur Konfrontation zwischen uns In der Frage der Mittelstreckenraketen muß ein führen? Warum kann sich das im Interesse unserer neuer Ansatz für neue Verhandlungen gefunden Republik, im Interesse unseres Volkes nicht auch werden, Verhandlungen, die die Raketen kurzer zusammenfügen zu einer Entwicklung, die den Reichweite einschließen und die auf Reduzierung, Frieden sicherer macht und die Dinge nach vorne Abbau und schließlich Beseitigung dieser Raketen bewegt? hinauslaufen. Ein solcher Ansatz — und die Stim- men in dieser Richtung mehren sich — wird aber (Beifall bei der SPD) nur gefunden werden, wenn zugleich ein beidersei- Warum nutzen wir nicht auch gemeinsam die Mög- tiges Innehalten, ein beiderseitiges Moratorium für lichkeiten, die sich aus den Erfolgen der Vertrags- weitere Stationierungen zustande kommt. Wir wis- politik ergeben? Diese Verträge sind als Instru- sen wohl, die Bundesrepublik kann Frieden und mente zur Verbesserung und zur Normalisierung Abrüstung nicht im Alleingang schaffen. Sie bilateraler Beziehungen konzipiert worden. Sie ha- braucht dazu Unterstützung im Bündnis und auch ben sich in einer Zeit zunehmender Spannungen — außerhalb des Bündnisses. Aber um diese Unter- Sie haben das selbst anerkannt — schon jetzt als stützung müssen Sie, muß die Bundesregierung stabilisierende Elemente erwiesen. kämpfen mit dem Mandat des Landes, das stärker betroffen ist als alle anderen, mit dem Mandat der Jetzt können und müssen diese Instrumente auch Republik, die als Bundesrepublik weiß, daß sie nur dazu dienen, Belastungen zu mildern, Schäden zu zusammen mit der anderen deutschen Republik begrenzen, der drohenden Sprachlosigkeit zwi- überleben kann, aber nicht gegen sie, mit dem mo- schen den Beteiligten entgegenzuwirken und Brük- ralischen Mandat aller Deutschen, auch der Deut- ken begehbar zu erhalten, die sonst einzustürzen schen in dieser anderen Republik. Wenn es über- drohen. Es gibt doch neue Ansätze, beispielsweise haupt in einer Frage einen vollständigen Konsens für die Beseitigung und Ächtung chemischer Waf- aller Deutschen gibt, dann gibt es ihn in dieser fen. Frage der Friedenssicherung. - Die DDR unterstützt diese Ansätze. Der War- (Beifall bei der SPD) schauer Pakt ist mit örtlichen Kontrollen und, wie uns ausdrücklich versichert wurde, auch mit Ver- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen dachtskontrollen an Ort und Stelle einverstanden. und Herren! Wir nehmen unsere Verantwortung als Was spricht eigentlich dagegen, daß sich beide deut- Opposition wahr, in der Deutschlandpolitik wie auf sche Staaten darauf verständigen, in ihren Bünd- allen anderen Feldern. Wir nehmen sie auch wahr, nissen diese Ansätze zu unterstüzen, damit sie zu wo es um die moralische Substanz unserer Demo- 4172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 Dr. Vogel kratie und unserer Gemeinschaft geht. Denn ohne Herr Kollege Vogel, Sie haben das Thema Nach- diese moralische Substanz verkümmert nicht nur rüstung und Friedensdebatte in den Gesamtkontext die Demokratie, ohne sie geht auch die Freiheit der Deutschlandpolitik mit einbezogen. Deutsch- zugrunde. Wir deutschen Sozialdemokraten wissen landpolitik ist auch Friedenspolitik, und Friedens- das aus unserer eigenen 120jährigen Geschichte, politik ist auch Deutschlandpolitik. Nur, Sie können und aus diesem Wissen heraus werden wir weiter- natürlich nicht vergessen machen, daß Sie sich hin- hin unseren Beitrag leisten zum Wohlergehen unse- sichtlich der Friedenspolitik und der Nachrüstung res Volkes, im Widerspruch und in der Kritik, wo es elementar von dem entfernen, was der frühere Bun- um des Gemeinwohls willen geboten ist, in der kriti- deskanzler zu diesem Thema konzipiert und be- schen Kooperation, wo die Lage und die Interessen schlossen hat und was Sie im Kabinett damals mit- der Nation es erfordern. Die Deutschen, alle Deut- getragen haben. schen können sich auf uns verlassen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Anhaltender lebhafter Beifall bei der Sie stellen den Mann, der Ihre Wahlerfolge in den SPD) letzten Jahren garantiert hat, in die Ecke der Ge- schichte und möchten sich möglichst schnell von ihm distanzieren und von ihm in seiner politischen Das Wort hat der Abgeord- Präsident Dr. Barzel: Kontinuität nichts mehr wissen. nete Dr. Waigel. Sie, Herr Kollege Vogel, waren im letzten Jahr, als Sie bei Andropow waren — nicht bewußt, aber Dr. Waigel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine jedenfalls von der Strategie der Sowjets her gese- sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege hen —, ein Instrument dafür, uns hier zu schwä- Vogel, am 25. April 1983 haben Sie im Sozialdemo- chen, weil die Sowjets hofften, daß wir — mit der kratischen Pressedienst Friedensbewegung auf der Straße und den Sozial- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: So etwas demokraten im Parlament — unserer Treuever- lesen Sie, Herr Vogel?) pflichtung nicht gerecht würden, um ihrerseits ihr Monopol in Sachen Mittelstreckenraketen aufrecht- folgendes veröffentlicht: zuerhalten und damit die Vorherrschaft in Europa Bundeskanzler Kohl ist aufgefordert, unverzüg- gewinnen zu können. lich klarzustellen, welche Deutschlandpolitik (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) seine Regierung eigentlich verfolgt. Wir, Herr Kollege Vogel, sprechen mit der Legiti- (Dr. Vogel [SPD]: Sehr wahr!) mation der Mehrheit dieses Parlaments und mit der Es geht nicht an, daß der Regierungschef wort- Legitimation der Mehrheit der Bevölkerung. Sie und tatenlos zusieht, wie Franz Josef Strauß waren es gewesen — ich sage es Ihnen von dieser verbal Amok läuft. Dieser zerstört mutwillig Stelle aus nochmals —, der den Wahlkampf am den durch den Grundlagenvertrag unter den 6. März des vergangenen Jahres zu einem Menete- Bundeskanzlern Brandt und Schmidt erreich- kel dafür machen wollte, ob man für oder gegen ten Stand der Beziehungen zwischen den bei- Raketen sei. Wenn man so denkt, wenn man so den deutschen Staaten. Die Wende, die Strauß spricht, wenn man so agitiert, dann muß man auch hier anstrebt, ist nichts anderes als der Rück- ein anderes Ergebnis gegen sich gelten lassen. fall in den kalten Krieg und die rücksichtslose Dann sollten Sie einschwenken auf die Linie, die Gefährdung menschlicher Erleichterungen für die Mehrheit des deutschen Volkes uns an Legiti- Millionen von Bürgern in der DDR und in Ber- mation gegeben hat. lin. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Meine Damen und Herren, es gibt niemand, der Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der sich im letzten Jahr so kräftig und so häufig geirrt Zeit zwischen dem ersten Bericht zur Lage der Na- hat wie Sie, Herr Kollege Vogel. tion, gegeben von Bundeskanzler Kohl vor acht Mo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) naten, und dem heutigen Bericht ist viel geleistet Wenn eine Wende notwendig ist, dann ist es die und viel bewegt worden. Seit der Übernahme der Wende des Urteiles, das Sie vorschnell gebildet ha- Regierungsverantwortung hat die neue Koalition ben, dann ist es die trügerische Hoffnung oder, ich eine erfolgreiche und eine erfolgversprechende will vielleicht sagen, Befürchtung, die sich nicht ein- Deutschlandpolitik gestaltet. gestellt hat und wo sich wieder einmal Ihr politi- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: So sches Urteil nicht bestätigt hat. ist es!) Franz Josef Strauß hat einen Tod an der Grenze Sie hat die Interessen Deutschlands auf allen Ge- gegeißelt. Ich frage mich: Hat das den Menschen bieten wahrgenommen. - genützt, oder hat das den Menschen geschadet? Es Wir mußten im Herbst 1982 Tatsachen zur Kennt- ist an der Grenze danach besser geworden. Es scha- nis nehmen, die mittlerweile geschaffen worden wa- det also nicht, die Dinge beim Namen zu nennen ren. Wir haben uns immer zu dem Satz bekannt: und sie auch drastisch zu formulieren. Pacta sunt servanda. Aber Verträge sind ausle- (Beifall bei der CDU/CSU — Fischer gungsfähig, und Tatbestände können verbessert [Frankfurt] [GRÜNE]: Dann legen Sie ein werden. Diese Bundesregierung hat die unverzicht- mal los!) baren deutschlandpolitischen Grundsätze wieder in Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4173

Dr. Waigel Erinnerung gebracht und ihnen den gebührenden Wir müssen aber auch ganz nüchtern feststellen: Stellenwert zugemessen. Der Bundeskanzler hat in Wichtige Probleme sind noch ungelöst. Zu wenige Moskau die deutsche Haltung unmißverständlich Deutsche haben die Möglichkeit, sich zu besuchen. vertreten, und klare Grundsatzpositionen sind Ba- Weitere Möglichkeiten für die Begegnungen der sis für eine erfolgreiche Politik. Bürger aus Ost und West müssen geschaffen wer- den, im Reiseverkehr, im grenznahen Verkehr, Dazu gehört auch der Kredit von 1 Milliarde DM, beim Jugendaustausch und beim bisher enttäu- den ein westdeutsches Bankenkonsortium der Au- schenden Sportverkehr. Informationsbarrieren ßenhandelsbank der DDR gewährt hat. Dieser Kre- müssen fallen. dit ist finanztechnisch und wirtschaftlich problem- los, ein Bankengeschäft, das durch Garantien abge- Trotz des begonnenen Abbaus der Todesanlagen sichert ist, und für die Garantieerklärung des Bun- an der innerdeutschen Grenze bleibt diese Grenze des gibt es gute Gründe. Der Kredit ist kein Verstoß ein Schandmal der deutschen Geschichte. gegen das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Die DDR hat Zugeständnisse gemacht. Das erken- Auch wenn der Tod nicht mehr aus Schußautoma- nen wir an, ohne uns damit zufrieden geben zu kön- ten kommt, die Grenze bleibt undurchdringlich. nen. Damit helfen CDU/CSU und diese Koalition — Und jeder, der die Freiheit sucht, bleibt potentielles wie bereits in den 50er Jahren — durch ihre Ein- Opfer des Schießbefehls. Alle Vorschläge des deutigkeit in den Grundsatzpositionen den Men- Ostens über eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleu- schen in Mitteldeutschland über das ökonomisch ropa klingen hohl, solange die Grenze in Deutsch- Nützliche hinaus. land das militarisierteste Gelände in Europa ist. Die Bundesregierung betreibt keine Deutschland- Entmilitarisierung der Grenze, damit könnte die politik der Konfrontation, sie will keine Eiszeit. Ein DDR einen wirklichen Schritt zu Abrüstung, Ent- Mann, der maßgeblich dazu beigetragen hat, daß spannung und Friedensgestaltung tun. dies nicht entstanden ist und daß eine praktikable, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vernünftige Deutschlandpolitik betrieben werden Der innerdeutschen Grenze als militärfreier Zone konnte, war der bayerische Ministerpräsident entspräche eine haßfreie Zone. Militarisierung der Franz Josef Strauß. Gesellschaft und Erziehung zum Haß hindern die (Beifall bei der CDU/CSU) deutsche Entspannung. Nicht Waffen allein und für sich sind gefährlich, gefährlich sind aggressiver Trotz der schwierigen Lage zwischen Ost und West Geist und Wille, die hinter Waffen stehen. hat die Bundesrepublik Deutschland wieder (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deutschlandpolitischen Spielraum gewonnen. Das Verhältnis der Regierungen ist entkrampfter ge- Solange die SED Haß gegen uns predigt, fragen wir: worden. Ergebnisse zum Nutzen der Menschen ha- Welcher Frieden ist es, den die DDR propagiert? — ben sich eingestellt. Verhandlungen über konkrete Sie verfolgt ein Ziel, nämlich in den innerdeutschen Abkommen finden statt. Praktische Schritte für den Beziehungen statusrechtlich einen neuen Zustand Umweltschutz in unserem gemeinsamen Vaterland zu schaffen, der weit über den Inhalt des Grundla- wurden eingeleitet. Sie sind auch notwendig. genvertrags hinausgeht. Unsere Haltung dazu steht im Einklang mit den völkerrechtlichen und staats- Es hat sich vieles bewegt, und dieser Prozeß hält rechtlichen Grundlagen unverrückbar fest. Es gibt an. Ein Bruchteil dessen, was in den letzten zwölf, nur eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit, fünfzehn Monaten erreicht wurde, wäre zu Zeiten die zugleich Staatsangehörigkeit der Bundesrepu- der Regierung Schmidt als riesiger politischer Er- blik Deutschland ist. Sie schließt die Anerkennung folg gefeiert worden. einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit aus, auch deren Respektierung, wie dies neuerdings verharm- (Frau Dr. Timm [SPD]: Und Sie hätten es losend genannt wird. Und die Ständigen Vertretun- bekämpft!) gen in Bonn und Ost-Berlin können nicht zu Bot- Wir haben keinen Anlaß, die Leistungen dieser schaften aufgewertet werden, wie es die DDR Bundesregierung zu verstecken, zu verschweigen, wünscht. Die Elbgrenze, Herr Kollege Vogel, kann zu verkleinern. nicht nach den Vorstellugnen der DDR statusrecht- lich neu geregelt werden. Nachteile entstehen da- Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt durch nicht, da der Schiffsverkehr auf der Elbe für weiterhin alle Anstrengungen, wenn sie dem Wohl die Praxis geregelt ist. Es geht darum, festzustellen, der Menschen im geteilten Deutschland dienen, im was damals zwischen den Alliierten vereinbart wor- Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegen, den ist. Und das steht fest. Wenn dies feststeht, die Stellung Berlins und seine Bindungen und Ver- dann kann das auch nicht im nachhinein verändert bindungen zum Westen festigen und sichern — und werden, weil es sonst zum Nachteil für die Vier- hier genießt der neue Regierende Bürgermeister mächteverantwortung überhaupt führen würde.- Ich die volle Unterstützung der Fraktion von CDU und kann nur warnen, an dieses Problem so heranzuge- CSU — hen, wie Sie es eben angedeutet haben. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) und wenn es gelingt, das Zusammengehörigkeitsbe- Wir sind auch nicht bereit, über Umwege unsere wußtsein der Deutschen lebendig zu erhalten und statusrechtlichen Standpunkte aufzugeben. Ich er dies zu stärken. innere nur an den Versuch der DDR, über Ausliefe- 4174 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Waigel rungsvereinbarungen mit Drittstaaten das Recht je- Abgeordnete in keiner Weise und nicht in irgendei- des Deutschen einzuschränken, im Ausland den ner Form diskriminiert werden. Schutz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer (Beifall bei der CDU/CSU) Behörden in Anspruch zu nehmen. Ich befürchte, daß mit isolierten Aktionen wie Wir halten daran fest, daß zwischen der Bundes- dem Besuch einer Fraktionsdelegation der SPD republik Deutschland und der DDR keine völker- beim DDR-Volkskammerpräsidenten der Konsens rechtlichen Beziehungen bestehen können wie zwi- des erwähnten gemeinsamen Beschlusses unserer schen Staaten, die füreinander Ausland sind. So Fraktionen in Frage gestellt wird. Mit dieser Aktion heißt es in der jüngsten Beschlußempfehlung des verläßt die SPD-Fraktion auch die gemeinsame Be- Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen. Diese schlußempfehlung vom 17. November 1981, in der Beschlußempfehlung ist vor fünf Wochen einver- die unverzichtbaren Positionen des Deutschen Bun- nehmlich von der SPD-Fraktion und den Fraktio- destages festgelegt worden waren. Wir müssen mit nen der Koalition angenommen worden. Die Über- den Inhabern der Macht sprechen, ob es uns paßt einstimmung, die sich an jenem Tag über wesentli- oder nicht, aber nicht unbedingt mit Scheinparla- che Grundzüge der Deutschlandpolitik im Parla- mentariern. ment gezeigt hat, gibt zu Hoffnungen Anlaß. Dieser (Beifall bei der CDU/CSU) Konsens muß weiter gepflegt werden. Nirgendwo ist Konsens so notwendig und fruchtbar wie in der Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Deutschlandpolitik. Das sind wir unseren Bürgern Grundgesetz verlangt von uns, die „nationale und schuldig. Dazu sind wir auch den Deutschen gegen- staatliche Einheit" des deutschen Volkes zu wahren, über verpflichtet, die nicht in der Bundesrepublik „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Frei- Deutschland leben. heit Deutschlands zu vollenden", „in einem verein- ten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" und Nutznießer einer Statusänderung wäre allein das dabei für jene mit zu handeln, denen mitzuwirken SED-Regime, das wir damit vollkommen unnötiger jetzt versagt ist. Weise weiter legitimieren würden. Der gesamtdeut- schen Sache allerdings würden wir irreparablen Diese kategorischen Imperative unserer Politik, Schaden zufügen. unserer Deutschlandpolitik, bestehen seit 35 Jah- ren. Es gibt Irrwege auf diesem Felde. Vor Jahren Ich möchte eine gleiche entschiedene Ablehnung einmal hat der Kollege Bahr formuliert: Der Friede zu dem sagen, Herr Kollege Vogel, was Sie zur Zen- rangiert vor der Nation. Doch, meine Damen und tralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltun- Herren, was die Menschen wollen, ist Friede in gen in Salzgitter gesagt haben. Wer die Erfassungs- Freiheit, Friede in Menschenwürde, Friede und Ge- stelle abschafft, schafft nicht das Verbrechen ab, rechtigkeit, Friede und Selbstbestimmung. das an dieser unnatürlichen und unmenschlichen Grenze täglich geschieht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zu dem, was Sie, Herr Kollege Vogel, zur (Beifall bei der CDU/CSU) Nachrüstung gesagt haben, einen rumänischen Historiker zitie- Wenn die SED den Schießbefehl und die anderen ren, und ich empfehle Ihnen die Lektüre des Feuil- menschenfeindlichen Maßnahmen aufhebt, gibt es letons der „Süddeutschen Zeitung" vom 25. Februar nichts mehr zu erfassen, und Salzgitter kann seine 1984, wo ein Bericht über Rumänien gegeben wird. Akten schließen. Ein rumänischer Historiker, ein Universitätsprofes- sor, sagt dort wörtlich folgendes — — Wozu eigentlich soll der Bundestag mit der Volkskammer in Ost-Berlin offizielle und formali- Es ist eigentlich schade, daß ein Dialog mit dem sierte Beziehungen aufnehmen, frage ich mich, fra- Oppositionsführer kaum geführt werden kann, auch gen wir uns alle. Ich glaube, man muß zu diesem nicht von dieser Stelle aus, weil er es nicht für not- Thema, das Sie angesprochen haben, Herr Kollege wendig hält, dem Nachredner, der auf ihn eingeht, Vogel, voranschicken, daß wir mit der DDR beson- auch nur zuzuhören. Aber das ist Ihr gutes Recht; dere Beziehungen haben, im Gegensatz zu vielen ich registriere es nur. anderen Staaten, deren Parlamente nicht frei ge- (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von wählt sind. Das unterscheidet einen Besuch nach der SPD) Ungarn oder in irgendein anderes Land. Wir haben zur DDR besondere Beziehungen. Ich habe Ihnen jedenfalls zugehört, Herr Vogel, weil ich das für selbstverständlich halte, aber Sie Die Volkskammer hat — das wird niemand be- müssen das nicht; Sie haben es vielleicht auch nicht streiten — kein ernsthaftes politisches Mandat. Sie nötig, vielleicht lernen Sie auch nichts mehr hinzu. ist ein Akklamationsorgan. Förmliche Kontakte he- Das mag durchaus sein. ben aber natürlich das Ansehen eines solchen Scheinparlaments, das — das ist besonders gewich- (Beifall bei der CDU/CSU — Weitere- Zu tig — unter Verstoß gegen den Vier-Mächte-Status rufe von der SPD) in Ost-Berlin tagt und dessen Ost-Berliner Mitglie- Dieser Historiker sagt wörtlich: „Die Friedensbe- der unter Verletzung des Viermächteabkommens wegung bei euch läßt mich zum erstenmal seit der direkt gewählt sind, wobei der Vorgang den Namen Wahl bekanntlich nicht verdient. Kuba-Krise um den Frieden bangen." Er sagt wei- ter: „Wenn die Russen von Frieden und Entspan- Wenn man in diesem Zusammenhang spricht, nung sprechen, dann meinen sie etwas völlig ande- dann ist es auch unverzichtbar, daß West-Berliner res als das, was ein Mensch oder ein Lamm darun- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4175

Dr. Waigel ter versteht. Friede ist für sie auch dann, wenn man Meine Damen und Herren, was für uns im Zu- Länder wie die Tschechoslowakei und Afghanistan sammenhang mit Europa so wichtig ist, das ist die besetzt, den Polen zusetzt, uns alle in Schach hält Tatsache: Wir .stehen in Europa nicht allein. Wir und morgen Deutschland und Resteuropa über- haben Freunde, die uns verstehen und die die Ein- rennt." — Im Hinblick auf jene, die eine sowjetische heit Deutschlands für die national selbstverständ- Welthegemonie dem jetzigen Zustand vorziehen, lichste Sache halten. Ich zitiere Simone Veil, die die die Parole „Lieber rot als tot" ausgeben, meint erste Präsidentin des Europaparlaments: dieser Professor: „Rot, das ist tot bei lebendigem Leib, der tägliche Tod ... Was man mit der Freiheit Europäerin sein heißt, die Belange des deut- verliert, weiß nur, wer sie schon verloren hat." schen Volkes genauso zu vertreten wie die des französischen. Meine Damen und Herren, daran sollten wir uns, wenn wir hier manchmal so leichtfertig und leicht- Und sie sagt weiter: sinnig über Freiheit und Frieden reden, wieder er- Neutralismus kann in der deutschen Situation innern. von heute nur Unterwerfung unter die Sowjet- (Beifall bei der CDU/CSU) union bedeuten. Deshalb kämpfe ich in Frank- reich darum, die Deutschen durch eine schnelle Konrad Adenauer hat die deutsche Frage und die europäische Einigung gemeinsam gesehen. Wir ha- Einigung so fest wie möglich an den Westen zu ben die unheilvolle Unsicherheit der deutschen Mit- binden. Erst dann können wir an eine Wieder- vereinigung der Deutschen denken. tellage bewußt mit der Westbindung beantwortet. Es gibt heute keine realistische Alternative zu dem Mit einem einigen Europa können wir auch die Ziel der deutschen Einheit in einem friedlich ver- Menschenrechte, das höchste Gut des freien Euro- einten freien Europa. Der Bundeskanzler hat dar- pa, mit mehr Aussicht auf Erfolg als bisher durch- auf überzeugend hingewiesen. setzen. Menschenrechtspolitik ist damit auch Deutschlandpolitik, weil wir damit den Menschen Eine neutralistische Alternative wäre die Vor- in Deutschland und all jenen auch außerhalb stufe zur Sowjetisierung. Wer dies verkennt, leug- Deutschlands, die sich auf uns verlassen, helfen net die Gefährdung, mit der wir an der Nahtstelle können. Darum ist der erkennbare sowjetische zwischen Freiheit und Unfreiheit leben, er leugnet Wunsch, die gegenwärtige Stockholmer Konferenz auch die wahre Natur des Sowjetkommunismus. Es für vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung war niemand anderer als Carl-Friedrich von Weiz- aus dem Gesamtzusammenhang der Menschen- säcker, der einmal darauf hingewiesen hat, daß die rechte herauszulösen und zu verselbständigen, et- Unfreiheit dem Kommunismus inhärent sei und was, was wir nicht hinnehmen dürfen. Auf dem Ge- daß es insofern keine Konvergenz und keine Annä- biet der Menschenrechte können wir, eingebunden herung zwischen uns und jenem System in irgend- in ein Gesamtkonzept des Westens, überzeugend einer Form geben könne. deutlich machen, worum es uns auch deutschland- Niemand kann und niemand will die deutsche politisch geht. Wir sind Treuhänder der Freiheit Frage mit Waffengewalt lösen. Die Auseinanderset- und der Menschenrechte für Deutschland und da- zung geschieht im geistig-politischen Raum. Sie fin- mit für Europa. det statt im Wettstreit des Geistes, der Gedanken, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Ideen, in der Wissenschaft, im technischen und wirtschaftspolitischen Wettbewerb. Die nationale Schutz- und Sorgepflicht der Bun- desrepublik Deutschland umfaßt auch die Deut- (Vorsitz: Vizepräsident Stücklen) schen in der DDR, umfaßt auch die 1,2 Millionen Die Sowjetunion sucht sich diesem friedlichen Deutschen in den Gebieten östlich von Oder und Wettbewerb mit dem Aufbau einer militärischen Neiße und umfaßt auch die 3 Millionen Menschen Drohkulisse zu entziehen. Moskau meint immer deutscher Volkszugehörigkeit, die in anderen Län- noch, in Europa mit Waffen Politik machen zu kön- dern des Warschauer Paktes leben. Wir, die Deut- nen. Dem, meine Damen und Herren, haben wir im schen, sind wie jedes andere Volk Träger des letzten Jahr widerstanden, und dem müssen wir Rechts auf Selbstbestimmung. Art. 1 der beiden auch künftig widerstehen. Welt-Menschenrechtsverträge sagt: „Alle Völker ha- ben das Recht auf Selbstbestimmung." Neben unse- (Beifall bei der CDU/CSU) rem Festhalten am gesamtdeutschen Staatsbegriff erheben wir den Anspruch für alle Deutschen, frei Wir wissen, daß die europäische Einigung mit al- über ihren politischen Status entscheiden und ihre ler Macht vorangetrieben und ihre Stagnation über- wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung wunden werden muß. Wenn sich das Europa der in Freiheit gestalten zu können. Die Verantwortung Zehn oder Zwölf unfähig zur Einigung erweisen für das deutsche Recht auf Selbstbestimmung liegt sollte, müssen neue Wege beschritten werden. Die in den Händen der vier Hauptsiegermächte, aber deutsch-französische Zusammenarbeit bietet einen auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. konkreten Weg. Die Westeuropäische Union ist bis- Die Viermächteverantwortung für Deutschland als lang ungenutzt geblieben, und ein Europa verschie- Ganzes besteht insoweit fort. dener Geschwindigkeit oder der konzentristischen Kreise bietet durchaus jeder Nation die Möglich- Wir sollten gerade in diesem Jahr die Unterzeich- keit, sich gemäß ihrer eigenen europäischen Identi- nung des Deutschland-Vertrages die vor 30 Jahren tät einzuordnen. erfolgte, als ein zentrales Datum der deutschen 4176 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Waigel Nachkriegsgeschichte herausstellen, darstellen und ben. Theodor Heuss hat 1919 folgendes ausgeru- würdigen, fen: (Beifall bei der CDU/CSU) Was uns heute not tut, ist die Erneuerung des weil er ein unglaublich wichtiges Dokument gerade nationalen Gedankens, der nationalen Würde. für die Verantwortung der drei Westmächte mit Angesichts des nationalistischen Irrweges des Er- dem Ziel der Wiedervereinigung ganz Deutschlands sten Weltkrieges gibt er eine Definition, die auch ist. für uns heute Verpflichtung ist. Heuss sagt weiter: Meine Damen und Herren, wir müssen vor allem Aber der deutsche Nationalgedanke ist nicht an unsere Freunde im freien Europa appellieren, mit Brutalität und Herrscherwille durchsetzt, ihrer Rolle als Schutzmacht für Menschenrecht und sondern findet seine Ziele und Grenzen im Gei- Selbstbestimmungsrecht im ganzen Europa gerecht stigen. Das Volk will leben, schaffen, wachsen zu werden. Wir begrüßen es daher, daß die Bundes- können als nationale Gemeinschaft und ver- regierung, wie im vergangenen Monat in Washing- langt von seiner politischen Führung, daß ihm ton geschehen, einen Anfang gemacht hat, als der dies gesichert bleibe — seine eigenen Werte Minister für innerdeutsche Beziehungen, Windelen, geistiger, religiöser, kultureller Art, in denen den amerikanischen Freunden in einer eindrucks- der Reichtum der nationalen Begabung sich vollen Rede deutsche Grundfragen nahegebracht ausdrückt ... hat. Das ist ein richtiger, hoffnungsvoller Ansatz, Aus dem Seelisch-Geistigen müssen wir die der auch in Europa systematisch weiterentwickelt Kräfte entwickeln. werden muß. Wir kommen damit der Pflicht des Grundgesetzes nach, die nationale und staatliche Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann Einheit des deutschen Volkes zu wahren, d. h. den auch heute, Jahrzehnte später, das, was eine Nation Wiedervereinigungsanspruch nie und nimmer auf- braucht und wovon wir durchsetzt sein müssen — zugeben und ihn nach außen beharrlich zu vertre- ich meine: geläutertes patriotisches Nationalge- ten, wie es das Bundesverfassungsgericht formu- fühl —, nicht besser ausdrücken, als Theodor Heuss liert und von uns gefordert hat. dies im Jahr 1919 getan hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gleichzeitig müssen wir diesen Anspruch im In- neren wachhalten. Zeitablauf und Mentalitätsände- Solches fundamentales Denken ist auch heute wie- rungen dürfen nie ein Grund sein, von diesem Ziel der notwendig. abzuweichen. Wir können dazu noch mehr tun, Unübersehbar ist die Unsicherheit über Deutsch- durch die Selbstdarstellung des Staates, durch die land und die Identität der Deutschen. Viele haben politische Arbeit der Parteien und der Fraktionen, Deutschland nur noch als Diktatur erlebt, als Dikta- durch die Bildungspolitik und durch die öffentli- tur der Rechten von früher und als Diktatur der chen Institutionen, zu denen auch die öffentlich- Linken von heute. In dieser Situation genügt es rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten gehö- nicht, nur auf den Begriff der Nation auszuweichen, ren. Kein Medium ist so wie die letztgenannten in wie es seit Willy Brandt Mode geworden ist. Er sagt: der Lage, zum gemeinsamen Deutschland etwas „Nation ist, wenn man sich wiedersieht." Das ist beizutragen, und nirgendwo besteht auch die Ge- wahr, aber das ist zuwenig. Es geht um das elemen- fahr so stark, daß dies nicht richtig getan wird und tare Bewußtsein der Zusammengehörigkeit. Hierzu von unseren Landsleuten drüben dann mißverstan- gehört die Besinnung auf die gemeinsame Ge- den werden könnte. schichte, und Geschichtsbewußtsein ist das gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) same Gedächtnis einer Gemeinschaft. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist Wir bestehen mit Nachdruck auf der Behandlung vorhin auf das Luther-Jahr Bezug genommen wor- Wenn des Themas „Deutschland" in den Schulen. den. Ich glaube, die Unsicherheit gegenüber unse- ich mir vorstelle, was alles an unseren Schulen be- rer Geschichte hat sich auch daran gezeigt — trotz handelt wird und wie wenig über Deutschland ge- aller großen Gedenktage —, wie die beiden Staaten sprochen wird, dann können wir mit dem, was dort in Deutschland dieses Luther-Jahr begangen ha- passiert, nicht zufrieden sein. ben. In der DDR ist Luther als Reformator für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sozialistische Zwecke entdeckt worden, und bei uns mußte er für einige zum Kronzeugen gegen den Der Deutschlandbegriff unserer Kinder und Ju- NATO-Doppelbeschluß herhalten. Und doch wurden gendlichen darf nicht auf die Bundesrepublik die gemeinsame Erinnerung und die gemeinsame Deutschland verengt werden. Ich stimme dem, was Herausforderung durch einen großen Deutschen le- Sie, Herr Kollege Vogel — auch zu dem, was junge bendig. Für den Christen ist auch seine Kirche ein Menschen heute in Europa kennen oder auch nicht Stück Vaterland. kennen — gesagt haben, ausdrücklich zu. Zur Wahrung unserer Identität bedarf es eines Die jüngeren und jüngsten Generationen kennen gemeinsamen Erfahrungshorizonts in der Gegen- das ganze Deutschland nur noch aus der Geschich- wart. Kulturelle Gemeinsamkeit gibt es vor allem te. Es sei mir erlaubt — die Kollegen von der FDP in der Literatur. Es würde uns Politikern nicht werden mir dies nicht verargen —, Theodor Heuss schlecht anstehen, uns auch verstärkt damit zu be- zu zitieren, einen Mann, dessen Gedenken wir schäftigen, was an gesamtdeutscher Literatur in heuer in, wie ich meine, guter Weise begangen ha- Bewegung ist. Schriftsteller — ob sie uns genehm Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4177

Dr. Waigel sind oder nicht — können noch am besten die Un- Ich möchte noch einmal Reiner Kunze zitieren: terströmungen ausdrücken, die unsere gegenwär- Ich weiß ..., und das gehört zu dem wenigen, tige Identität ausmachen, abseits von aller Abgren- das ich auch heute noch sicher weiß, daß viele zungspropaganda und Identitätsleugnung durch die Menschen in der DDR den Wunsch nach Wie SED. „Mein Land, meine Heimat DDR", so lautete derherstellung eines deutschen Nationalstaates das Motto der Tagung des Schriftstellerverbands hegen, weil sie in seiner Erfüllung die einzige der DDR im Januar dieses Jahres. Der sozialisti- Chance sehen, für sich oder ihre Kinder oder sche Staat verlangte und verlangt von seinen Kindeskinder die menschlichen Grundfreihei Schriftstellern, den Begriff „Deutschland" aus ihren ten zurückzuerlangen: z. B. die Grundfreiheit, Werken zu verbannen. Wir müssen uns daher an nicht Tag für Tag und ihr Leben lang lügen zu jene wenden und jene fragen, die von der SED ihrer müssen, um überleben zu können. Dabei wis Heimat beraubt wurden. Einer von ihnen hat den sen sie ebenso wie ich, daß eine solche Wieder offiziellen Literaturbetrieb der DDR treffend ge- vereinigung weder heute noch morgen möglich kennzeichnet, indem er einen führenden Repräsen- ist und daß nur eine gewaltlose Wiedervereini tanten der SED-Literatur einen „staatlich appro- gung wünschenswert sein kann. bierten Lügner" nannte. Er tat dies bei den Flücht- lingsgesprächen, wie das Treffen hieß, zu dem kürz- „Ich bin in Sorge, Deutschlands Unglück hat sein lich einige frühere DDR-Autoren mit anderen deut- volles Maß noch nicht erreicht." Mit diesem Satz schen Schriftstellern zusammengekommen waren. beschließt Günter Gaus sein Buch „Wo Deutschland Exemplarisch und — wie ich meine — für uns be- liegt". Ich stelle mir allerdings die Frage: Handelt wegend hat Hans-Joachim Schädlich dieses neue Gaus nach der Art jener Propheten, die für das Ein- Lebensgefühl eines ehemaligen DDR-Schriftstel- treffen ihrer Unheilsbotschaft selbst Sorge tragen lers ausgedrückt. Er sagte: und selbst Sorge getragen haben? (Beifall bei der CDU/CSU — Klein [Mün Ich wünsche mir, ein deutscher Autor genannt chen] [CDU/CSU]: Hervorragend!) zu werden — ohne falschen Staatswimpel. Denn 13 Jahre konnten Gaus und seine SPD die Die Bundesrepublik mit ihrem System der Par- Deutschlandpolitik bestimmen. Ich frage mich: Was lamentarischen Demokratie ist für mich kein hat die SPD getan, um die Jugend der Geschichtslo- Exil, sondern ein „Heim" . .. Ich fühle mich sigkeit und der Orientierungslosigkeit zu diesem nicht als Emigrant, ich bin zu Hause. Thema zu entreißen? Noch deutlicher präzisierte Helga Novak, worum es Der Schweizer Autor Adolf Muschg hat gesagt: geht. Wenn sie von Heimatverlust spreche, dann meine sie die Wälder um Berlin, den märkischen Jedem, der von außen kommt, fällt die Gemein- Sand, den sie schmerzlich vermisse, nicht und nie samkeit der Deutschen in Jena und Rostock jedoch das politische System der DDR. wie in Köln und Bremen in die Augen. Sie scheint mir ein Vermächtnis und eine Ver- Es geht mir nicht darum — ich möchte hier nicht pflichtung, die man immer noch einlösen kann. mißverstanden werden —, diesen oder jenen Wenn ich Deutscher wäre, würde ich minde- Schriftsteller für diese oder jene politische Haltung stens von dieser Zuversicht umgetrieben blei- zu vereinnahmen. Schriftsteller sind und bleiben ben. kritische Zeitgenossen, die die gesellschaftliche und Meine Damen und Herren, wir kennen die deut- politische Entwicklung problembewußt begleiten. sche Wirklichkeit, wir zollen aber nicht jedem Zeit- Aber sie stehen, wenn sie sich politisch äußern, auch nicht außerhalb der Kritik. Wer Kritik übt, geist Tribut. Wir opfern die deutsche Einigkeit nicht kurzfristigen Überlegungen. Unsere Hoffnung ist muß sich Gegenkritik gefallen lassen. Nur: Die von Wenn wir auf die mir zitierten Schriftsteller wissen, wovon sie reden. die Freiheit für alle Deutschen. friedliche und freie Einigung unseres Vaterlandes Sie kennen die DDR. Sie sind dort aufgewachsen. hinarbeiten, so bewegen wir uns keinesfalls in ge- Sie artikulieren Gefühle und Gedanken ihrer fährlichen politischen Denkkategorien. Ein geein- Landsleute, denen zu sprechen versagt ist. Wie trau- tes Deutschland wird vielmehr die Pflichten über- rig nimmt sich dagegen die Haltung von Bernt En- nehmen, die uns im freien Teil Deutschlands seit gelmann aus, der in Ost-Berlin erklärte: Jahrzehnten aufgegeben sind, die Freiheit nach in- Wir sollten uns endgültig trennen von allem, nen zu wahren, nach außen zu festigen und darüber was auf Wunsch nach Wiederherstellung des hinaus die Einheit eines freien Europa zu verwirkli- deutschen Nationalstaates hinauslaufen könn- chen — als eines größeren Vaterlandes für alle Eu- te. ropäer. Wegen solcher Sätze trat Reiner Kunze aus dem Meine sehr verehrten Damen und Herren, woher Schriftstellerverband aus, „aus Ekel und Scham", nehmen wir die Hoffnung für einen solchen Glau- wie er sagte. Andere sind Reiner Kunze gefolgt. ben? Der berühmte erste Satz der „Mutmaßungen- Ungeachtet der für den Verband und seinen Vorsit- über Jakob" von Uwe Johnson, vor wenigen Tagen zenden peinlichen und schwerwiegenden Vorwürfe gestorben, im Jahre 1959 lautet: „Aber Jakob ist hat dann der gleiche Engelmann noch ausgerechnet immer quer über die Gleise gegangen." Es ist das Manès Sperber aufgefordert, den Friedenspreis des Gleichnis vom gerechten Mann in einer ungerech- Deutschen Buchhandels wieder zurückzugeben. ten Zeit, vom trotzigen Einzelgänger im heutigen Eine traurige Episode deutscher Politik im letzten Deutschland, wie es Reich-Ranicki in der „FAZ" be- Jahr! schrieben hat. Er wird von einer der Lokomotiven 4178 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Waigel erfaßt, die aus unterschiedlichen Richtungen auf Gerichtsverfahren, Berufsverbote und Arbeitslosig- ihn zurasen. keit erlebt und die Auffassung korrigieren müssen, daß es einen guten und daß einen bösen deutschen Vizepräsident Stücklen: Herr Abgeordneter, ge- deutschen Staat gebe. statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- Heute, im Jahre 1984, ist es immer schwerer zu neten Dr. Schmude? ignorieren, daß sich in Deutschland West und Deutschland Ost nach dreieinhalb Jahrzehnten ei- Dr. Waigel (CDU/CSU): Nein, jetzt nicht. ner getrennten Entwicklung der Wille zur Wieder- Uwe Johnson war im Leben, im Schaffen und in vereinigung erheblich abgeschwächt hat und daß seinem Schicksal ein deutscher, ein gesamtdeut- sich hüben wie drüben so etwas wie neue Identitä- scher Autor. ten ergeben haben. Gegenwärtig scheinen die aktu- ellen Meldungen die Tendenz von einer wachsen- Auch der 1951 in der DDR geborene Ulricht den Auseinanderentwicklung Lügen zu strafen. Der Schacht hat Schweres durchlebt. Das weiß, wer sein Kanzler hat stolz über die zahlreichen Bezugs- Schicksal kennt. In seinen Gedichten aus dem ge- punkte mit der DDR Bericht erstattet. Er hat es teilten Deutschland, „Scherbenspur" überschrieben, aber wohlweislich unterlassen, den Hintergrund zu gelingt es ihm, den Schmerz des geteilten Landes beleuchten, vor dem die Verbesserungen in einem auszudrücken, ihn auszuhalten. Manche verzwei- anderen Licht erscheinen. Es ist nur wenige Mo- feln daran, manche halten es aus. nate her, daß die Regierungskoalition der Aufrü- Aber das Bewußtsein der deutschen Geschichte stung durch eine neue Generation lebensgefährli- ist lebendig, und das deutsche Volk ist geduldiger cher Erstschlagraketen zustimmte und zur Begrün- und beständiger in seinem Denken, als seine Politi- dung intensiv die Bedrohung durch eine erpresseri- ker denken. sche und kriegslüsterne Sowjetstrategie bemühte. Auf die Frage an einen Schriftsteller, der aus der Entgegen allen Erfahrungen der Nachkriegszeit be- DDR in die Bundesrepublik gekommen war, ob dies lebte die Bundesregierung die primitive Politik der nun sein Vaterland sei, antwortete er: „Mein Vater- Stärke, die beim gegenwärtigen Stand der Tötungs- land ist Deutschland." potentiale einen sehr großen Teil der Deutschen in Ich danke Ihnen. der Bundesrepublik und in der DDR das Schaudern lehrte. Die Sowjets würden schon zurückweichen, (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und wenn man nur ordentlich mit dem Knüppel drohe, der FDP) so lautete die Botschaft. Sie war diesmal so falsch wie immer schon, nur daß diese senile Position des Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- Faustrechts uns alle das Leben kosten kann. geordnete Schneider (Berlin). Inzwischen hat die östliche Seite in diesem Poker des Schreckens mit Atomgeschossen nachgezogen, Schneider (Berlin) (GRÜNE): Herr Präsident! die nur zwei Minuten brauchen, um überall auf dem Meine Damen und Herren! Auf den in staatstragen- Gebiet der Bundesrepublik das Leben auszu- dem Ton vorgetragenen Leerlauf des Kanzlers löschen. Sollen wir etwa diese barbarischen Realitä- möchte ich hier nicht direkt eingehen. Es war zu ten vergessen angesichts der Tatsache, daß es im merken, wie schwer es Herrn Kohl gefallen ist, zu Verhältnis der deutschen Staaten zueinander nicht den Uraltformeln ein paar Neuigkeiten und etwas die befürchtete „Eiszeit" gegeben hat, sondern wi- Mitteilenswertes hinzuzufügen. Ich empfand seinen der Erwarten einen geradezu ungestümen deut- Bericht als langweilig und als eine Litanei von schen Frühling? Gehen wir wirklich geregelten Ver- Sprechblasen. Aus dem Munde des Kanzlers klan- hältnissen entgegen, wie sich der alte Kämpe aus gen für mich sogar Begriffe wie Freiheit, Men- Zeiten kalten Krieges aus Bayern vernehmen ließ? schenrechte, Selbstbestimmung und Frieden wenig Entspricht das strahlende Gesicht von Herrn überzeugend. Mischnick, als er zum Händeschütteln auf Herrn Ich spreche hier aus einer anderen Position und Honecker zustürmte, auch den Gefühlen der Men- mit einer anderen Betroffenheit als meine Vorred- schen, die wegen der Rüstungsbeschlüsse dieser ner. Ich bin einer von den Jüngeren in diesem Hau- Politiker Angst um die Zukunft haben? Sprechen se, die die herrschende Deutschlandpolitik weder die Herrschenden auf beiden Seiten plötzlich die mitgeprägt haben noch sie heute mittragen. Ich ge- gleiche Sprache? Oder sind sie gar zu Komplizen höre einer Generation an, die nur die Existenz geworden in dem Bestreben, die Menschen von den zweier deutscher Staaten kennt und keinen erleb- drohenden Gefahren abzulenken? ten Bezug mehr zu einem gemeinsamen deutschen (Straßmeir [CDU/CSU]: Sie gehören wirk Staat hat. lich in den SFB!) (Lintner [CDU/CSU]: Weil Sie nichts dazu gelernt haben!) Bisher entsprach das deutsch-deutsche Verhältnis- der Großwetterlage, die die Supermächte erzeugten. Ich bin in der DDR zur Schule gegangen, habe dann Wenn diese schlecht war, war auch das Verhältnis aber das Land, meine Familie und Freunde verlas- schlecht. Wieso sprechen gerade jetzt, wo die USA sen, weil mir die Totalität der staatlichen Ansprü- und die UdSSR sich wie Hund und Katze gegen- che unerträglich erschien. Ich habe in der Bundes- überstehen und kaum begreifbar große Rüstungs- republik Polizeiknüppel, Hausdurchsuchungen, anstrengungen unternehmen, die Politiker in der (Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn?) BRD und in der DDR von einer Koalition der Ver- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4179

Schneider (Berlin) nunft, von Verantwortungsgemeinschaft und von Dreckschwaden des Kraftwerks Buschhaus treiben Schadensbegrenzung? ebenso zum Nachbarn herüber, wie die Werra die Nitrate aus der DDR in die westliche Elbe leitet. (Zuruf von der CDU/CSU: Davon verstehen Der Großstadtsmog in Berlin wird genauso gemein- Sie nichts!) schaftlich produziert wie die Vergiftung der Wälder Eine Übereinstimmung der Herrschenden in der auf beiden Seiten der Grenze. In allen gesellschaft- BRD lichen Bereichen gibt es eine Vielzahl von offenen (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: In der Bun Fragen, die längst hätten gelöst sein können, wenn schon früher der politische Wille dafür vorhanden desrepublik Deutschland, Herr Schneider!) gewesen wäre. und in der DDR sticht allerdings ins Auge: Sie ha- Der Ansturm zur Leipziger Messe hat gezeigt, ben beide Probleme mit kritischen Menschen, die welches Interesse bei bestimmten Wirtschaftskrei- sich eine Pershing II oder eine SS 20 nicht mehr für besteht. Ihnen, die- eine Friedenstaube vormachen lassen. Das unver- sen für Geschäfte mit der DDR sen Wirtschaftskreisen, käme angesichts zuneh- antwortliche Weiterdrehen an der Rüstungsspirale mender Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt hat in der Bundesrepublik zu massenhaften Wider- eine Frostperiode überhaupt nicht gelegen. Die standsaktionen der Friedensbewegung geführt, de- Bundesregierung hält aber im Osthandel die Ent- ren Argumenten der größte Teil der Bevölkerung wicklung an der politischen Kandare. Zwischen zustimmte. West und Ost ist das angebliche freie Spiel der Wirt- (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Mit schaftskräfte entscheidend eingeengt. Die Art, wie dem von Ihnen kritisierten Faustrecht!) die Gewährung des Milliardenkredits in der Öffent- Diesen Konsensbruch mit der Regierungspolitik er- lichkeit dargestellt wurde, zeigte, wie sehr Geld als lebte die Staatsführung der DDR in ähnlicher Wei- politische Waffe im Ost-West-Verhältnis eingesetzt se, als sie die Aufstellung von SS 21 und SS 22 wird. Ein Kredit ist ja schließlich ein Finanzge- durch Unterschriftensammlungen in Betrieben ab- schäft, und wer Geld verleiht, tut dies gegen ent- segnen lassen wollte. sprechende Zinsen und sichert sich dabei ab. (Beifall bei den GRÜNEN) Im Verhältnis zwischen der DDR und der BRD wird zusätzlich aber noch ein politischer Preis an- Es ist eine traurige Gemeinsamkeit, daß für kriti- gemeldet. Im privaten Bereich würde das einer sche und unbotmäßige Geister hier wie dort in er- möglichen Bankforderung entsprechen, der Kunde ster Linie die Polizei und die Gerichte bemüht wer- solle sich die Haare schneiden oder auch seine per- den. sönliche Lebensführung ändern, bevor er einen Die Bundesrepublik, die Bundesregierung hat das Kredit bekommt. Honecker-Wort von der Schadensbegrenzung gera- (Feilcke [CDU/CSU]: Deswegen kriegen dezu dankbar begrüßt, Sie ja keinen Kredit!) (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: „Leistung und Gegenleistung" heißt die amtliche Schadensbegrenzung wäre es, wenn Sie Formel, die beliebig dehnbar ist. Zur Zeit hält es die aufhören würden!) Bundesregierung für opportun, Schönwetter zu ma- um die Folgen einer Politik zu vertuschen, die Rü- chen, und schickt Herrn Lambsdorff nach Leipzig, stung und Unsicherheit nur vermehrt hat. Der Dis- um z. B. über wirtschaftliche Kooperation beider sens zwischen Bevölkerung und Regierung hätte Staaten sogar in Drittländern zu verhandeln. sich zuspitzen können, wenn die Auffrischung von Aber diese Opportunität zum Geschäftemachen Feindbildern, die zur Begründung des Raketen- entspricht dem Willen, die Hauptwidersprüche zu beschlusses herhalten mußte, auch auf die konkre- verkleistern, ohne sie auch nur annähernd zu besei- ten Beziehungen zur DDR ausgedehnt worden tigen. Es bleibt weiterhin der Widerspruch zwischen wäre. Eine „Eiszeit" hätte den Reiseverkehr, die Hochrüstung und Friedensbeteuerung ebenso wie laufenden Sachverhandlungen und die Begeg- der Widerspruch zwischen dem Alleinvertretungs- nungsmöglichkeiten zwischen den Menschen emp- anspruch, und dem offensichtlichen Scheitern der findlich eingeschränkt und die Gefahren für einen daraus abgeleiteten Politik. ungehinderten Zugang nach Berlin erhöht. Obwohl Geld viele deutsche Wunden lindern Hätte der Kanzler der verbalen Abkehr von der mußte, wird mit einer Strategie der Käuflichkeit Entspannungspolitik auch Taten folgen lassen, langfristig eine nachhaltige Normalisierung der hätte er die schlimmen Ergebnisse kaum glaubhaft deutsch-deutschen Beziehungen nicht zu erreichen der anderen Seite in die Schuhe schieben können, sein. Wenn es das Geld nicht sein kann und ja auch sondern sich am eigenen Anspruch messen lassen erklärtermaßen nicht sein soll — ich habe hier müssen, wenigstens die Folgen der Teilung so er- schon Pfui-Rufe gehört, als ich das unterstellt- ha- träglich wie möglich machen zu wollen. be —: Was trägt dann eigentlich in der deutschland- politischen Philosophie der Bundesregierung? Spannung und Konfrontation sind Gift für die Lösung all der Probleme, die zwischen den beiden Die Bundesregierung beschwört die Einheit der deutschen Staaten diskutiert und angepackt wer- Nation, aber sie mißt diesen Begriff nicht an der den müssen. Auf beiden Seiten hat die hemmungs- politischen Realität. Die Bürger der Bundesrepu- lose Industrialisierung ökologische Zerstörungen blik haben sich in ihrem Staat eingerichtet. Es ist bewirkt, die an der Grenze nicht haltmachen. Die wenig wahrscheinlich, daß sie für die Wiederverei- 4180 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Schneider (Berlin) nigung, die die meisten Bürger der Bundesrepublik ben die vergangenen Bundesregierungen dadurch ja verbal bejahen, irgendein Opfer oder eine An- zu übertünchen versucht, daß sie die Schuld daran strengung aufbringen würden. Die Zweistaatlich- der anderen Seite zuschoben. Dieser Prozeß der Po- keit ist längst zu einer verinnerlichten Größe ge- larisierung und der Produktion von Feindbildern worden. Das drückt sich z. B. darin aus, daß 40% der wurde durch die Willkür und Brutalität sowjeti- jungen Leute zwischen 18 und 24 Jahren die DDR scher Nachkriegspolitik gegenüber den Deutschen heute schlichtweg als Ausland ansehen. in der DDR und den Völkern osteuropäischer Staa- (Feilcke [CDU/CSU]: Finden Sie das gut? ten nachhaltig erleichtert und legitimiert. Das Miß- — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: trauen und die Angst gegenüber den Russen ent- Daran haben Sie mit Ihrer Arbeit vorher sprachen einer realen Nachkriegserfahrung, die al- mitgeholfen!) lerdings über die Jahrzehnte bis heute mit Methode am Leben erhalten wurde. Gerade Herr Waigel hat Hierzulande, in der Bundesrepublik, sprechen die ja mit seiner Rede wieder ein Beispiel dafür gege- meisten Menschen von Deutschland und nicht von ben, wie die alten Kriegsparolen immer wieder der Bundesrepublik, wenn sie diese meinen. Darin neue Urständ erleben können. drückt sich aus, wie wenig sie den anderen deut- schen Staat akzeptieren. Das ist übrigens ein ge- (Beifall bei den GRÜNEN) treues Spiegelbild der Politik der Regierung. Es ist eine bezeichnende Tatsache, daß z. B. die (Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Medien der Bundesrepublik kein Land und keine Wenn man BRD sagt, dann hilft das Regierung so negativ darstellen wie die DDR. Ein auch!) Großteil der Bundesbürger kennt inzwischen Spa- nien, Griechenland oder auch die USA besser als Der Kanzler hat heute wieder deutlich gemacht, Land und Leute zwischen Elbe und Oder. daß sich in bezug auf die deutschlandpolitischen Grundlagen nichts ändern wird und auch nichts än- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ja, woran liegt das dern soll. Der Entschließungsantrag der Parteien denn?) vom Februar 1984 sichert diese Auffassung nach- Und da wird auch keine Schulreform mehr helfen, drücklich ab. Man wird zwar auf Basis des Grundla- wenn jahrelang eine falsche Politik gemacht wor- genvertrages einen Modus vivendi mit der DDR den ist. ausbauen, aber langfristig soll es die deutsche Ein- heit gemäß der Gesellschaftsordnung der Bundes- (Dr. Bötsch [CDU/CSU]: So ein Unsinn!) republik sein. Herr Waigel hat ja nachdrücklich auf Bei der Überprüfung der eigenen Positionen müs- den Deutschlandvertrag hingewiesen, wo das in sen sich die verantwortlichen Politiker fragen las- Art. 7 festgeschrieben wird. sen, ob sie nicht auch selbst durch bewußt über- (Dr. Waigel [CDU/CSU]: Auf der Basis der zeichnete Horrorgemälde zu diesem Bild beigetra- GRÜNEN machen wir es jedenfalls nicht!) gen haben, daß die deutsch-deutschen Verhältnisse schlecht waren und sich nur mühsam entwickel- Eigentlich ist die Bundesrepublik j a nur ein pro- ten. visorischer Staat mit einer provisorischen Haupt- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sehr gut!) stadt und einem von den Siegermächten unter- schriebenen Grundgesetz mit der Bestimmung, sich Der kalte Krieg wurde nicht nur von einer Seite eines Tages auf die DDR auszudehnen. Angesichts geführt, und eine entsprechende Denkweise ist der Tatsachen heute ist es absurd, sich in eine sol- auch heute nicht völlig überholt. Zu dem ideologi- che Konstruktion hineinzudenken. Und doch be- schen Krieg in den Medien hat auch immer gehört, stimmen die Auffassungen, die damals in der Nach- die eigene Seite zu verklären. Also das Bild vom gol- kriegszeit geprägt wurden, immer noch die offizielle denen Westen hatte handfeste Funktionen und hat Deutschlandpolitik. maßgeblich dazu beigetragen, daß so viele Men- schen die DDR verlassen haben, aber auch ent- Nach dem Grundgesetz ist die Bundesregierung täuscht wurden, als sie die Bundesrepublik kennen- zum Streben nach Wiedervereinigung verpflichtet. lernten. Ich gehöre selbst zu diesem Heer der Repu- Gleichzeitig muß sie aber mit der Tatsache fertig blikflüchtigen, die einmal auf die Sprüche von Ade- werden, daß die CDU-Regierung um Konrad Ade- nauer und von Strauß hereingefallen sind nauer mit ihrer Politik der Einbindung der Bundes- republik in die Atlantische Allianz, in die NATO, (Zuruf von der CDU/CSU: Warum sind Sie und in die EG die Möglichkeiten zu einer Wieder- nicht dageblieben?) vereinigung selber unmöglich gemacht und die und die durch die kapitalistische Lebenswirklich- Spaltung bis heute zementiert hat. Die feste Ver- keit der Bundesrepublik zu entschiedenen Gegnern koppelung der Bundesrepublik in den Westblock dieser Politik geworden sind. und die anschließende totale Einverleibung der (Zurufe von der CDU/CSU) DDR in den Osten verschieben alle Wiedervereini- - gungsgedanken auf den Tag, an dem die Blöcke ein- Mit gemischten Gefühlen beobachte ich deswe- mal verschwinden und sich Europa eine Friedens- gen auch die Welle der Ausreisewilligen aus der ordnung geben kann. DDR. Ich bin einmal ins Notaufnahmelager Gießen (Zustimmung bei den GRÜNEN) gefahren und habe mit einigen der Menschen, die aus der DDR gekommen sind, Gespräche geführt. Den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen Ich kann diese Menschen aus eigener Erfahrung dem erklärten Ziel und der praktizierten Politik ha gut verstehen, wenn sie über die Eingeschränktheit Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4181 Schneider (Berlin) des Denkens, der Kritik und der Bewegungsmög- weiligen Blöcken einnehmen. Gerade in der Ökolo- lichkeiten in der DDR Klage führen und es in die- gie und Friedensbewegung ist dieses Umdenken sem Land nicht mehr ausgehalten haben. Endlich vorangetrieben worden und bestimmt immer mehr einmal überall hinreisen zu können, endlich einmal das Bewußtsein der deutschen Gesellschaften hü- laut und uneingeschränkt das sagen zu können, was ben wie drüben. In der Kritik an den sozialen, histo- man will und denkt, ist ein viel verbreiteter rischen und politischen Lügen der Nachkriegszeit Wunsch, den man zu hören bekommt, wenn man wurden neue Gedanken und Ideen formuliert. mit ihnen spricht. Der Wunsch nach unabhängiger Es ist sicher kein Zweifel, daß in Deutschland, Entfaltung und Selbstverwirklichung ist die Trieb- besonders in der Bundesrepublik, eine Bewegung feder für das Aufbegehren und den Protest vieler entstanden ist, die die herrschenden gesellschaftli- Menschen in der DDR, den sie mit der Übersied- chen Überzeugungen von unten her in Frage stellt. lung in die Bundesrepublik dann erfüllt sehen. Aber Gerade in den beiden deutschen Staaten spitzen wird dieses Land ihre Erwartungen erfüllen, wo sich die Gefahren in einer Weise zu, die für immer Geld und Konsum das Klima beherrschen und sie mehr Menschen ins Auge springt. Wenn ein ge- schnell im Heer der Arbeitslosen ihre Hoffnungen meinsames Gefühl die Deutschen in Ost und West begraben könnten? verbindet, dann das Gefühl von der drohenden Ge- Ich habe in Gießen auch Menschen getroffen, die fahr, vor der Vergiftung der Umwelt und einem dro- Herr Zimmermann mit mehr Recht als viele Paki- henden atomaren Vernichtungskrieg. Allen ist klar, stani und Türken als Wirtschaftsflüchtlinge be- daß diese Gefahren nicht durch eine Grenze aufzu- zeichnen könnte. Sie schwärmten von den Schau- halten sind, sei sie auch noch so gut zementiert und fensteranlagen im Westen und wähnten sich im bewacht. Schlaraffenland. Ich will bei der Besinnung auf Gemeinsamkeiten Ich höre schon den warnenden Ton in Strauß der Deutschen keineswegs das vielfache Bezie- Worten, es könnte die Zahl der Ausreisewilligen hungsgeflecht vergessen machen, das sich im Be- weiter ansteigen. Das Schicksal des Zauberlehr- wußtsein der Deutschen herausgebildet hat: aus der lings hat offensichtlich auch die bundesdeutsche gleichen Sprache, den vielfachen verwandtschaftli- Politik ereilt. Es könnte sein, daß bald nach Maß- chen Beziehungen, den großen kulturellen Traditio- nahmen gerufen wird, die Entwicklung aufzuhalten. nen und den durch geschichtliche Erschütterungen Ketzerisch könnte man vielleicht sagen, daß die hervorgerufenen Bindungen. Die Deutschen hier Bundesregierung eines Tages der DDR die Mauer wie dort tragen Dichter, Denker und Musiker abkauft, weil sie zu durchlässig geworden ist. Ele- ebenso in ihrem geistigen Gepäck, wie sie geprägt ganter wäre natürlich die Lösung, die DDR dazu zu wurden durch die übermäßigen Anstrengungen und bringen, daß sie selbst die Schraube der Repression Leiden der schrecklichen Kriege. Aber haben wir wieder anzieht. deshalb auch eine gemeinsame Auffassung von der (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sie haben Bedeutung und dem Rang unserer Geistesgrößen? manch kluges Zeug gesagt, aber das letzte Haben wir eine Auffassung über die zersplitterte, ist Quatsch!) den widersprüchlichen Ideologien gehorchende Ge- Die deutsch-deutsche Wirklichkeit hat derzeit schichte unseres Volkes, aus der ein Grundgefühl viele verwirrende und widersprüchliche Gesichter. der Zusammengehörigkeit entspringt, das zweifels- Es ist schwer, sie richtig zu interpretieren. Sicher frei und unanfechtbar wirkt? Bei Schiller und Goe- ist aber, daß die alten Schemata vom goldenen We- the, bei Bach und Beethoven werden sicher noch sten als dem Reich der Freiheit oder auf der ande- alle sagen: Klar! Aber gilt das auch für Heine und ren Seite vom bösen Osten, der über kurz oder lang Hindemith, für Brecht, Tucholsky oder Heidegger? zuammenbrechen wird, völlig unbrauchbar sind. Marx wurde im vergangenen Jahr gefeiert und Lu- ther besonders. Wurden sie etwa in Ost und West (Abg. Dr. Diederich [Berlin] [SPD] meldet auf die gleiche Weise geehrt? sich zu einer Zwischenfrage) Ich spreche hier die Zerrissenheit und Unklarheit Präsident Dr. Barzel: Herr Abgeordneter, gestatten an, die angstmachende Widersprüchlichkeit, die die Sie eine Zwischenfrage? Deutschen so unberechenbar macht, so grandios und fürchterlich zugleich. Ich erinnere nur an das Wort, das über die Deutschen geprägt worden ist: Schneider (Berlin) (GRÜNE): Nein, ich möchte im Zusammenhang zu Ende kommen. Volk der Dichter und Denker, aber auch Volk der Richter und Henker zu sein. Fast 40 Jahre nach Kriegsende gibt es Anzeichen, daß die Deutschen nicht nur unverkrampfter mit- (Feilcke [CDU/CSU]: Zu welcher Gruppe einander umzugehen beginnen, sondern auch An- gehören Sie denn? — Weitere Zurufe von zeichen für einen Prozeß, die eigene Identität neu der CDU/CSU) zu bestimmen. Die Bewußtlosigkeit, die aus der Ver- Hat z. B. der Luther — um noch einmal- auf ihn drängung des Krieges und der Anstrengung des zurückzukommen —, der die Fürstenmacht stärkte Wiederaufbaus resultierte, weicht der kritischen und deren Kriegsknechte auf die „räuberischen Frage, was den Deutschen eigentlich in den letzten Rotten der Bauern" hetzte, in unserem Bewußtsein Jahrzehnten widerfahren ist. Fragen nach Souverä- mehr Bestand als der Luther, der mit der Kraft des nität und Verwirklichung von Selbstbestimmung Glaubens die emanzipatorischen und schöpferi- werden stärker artikuliert angesichts der Muster- schen Kräfte der Menschen weckte? Gilt Marx für knabenrolle, die die deutschen Staaten in ihren je- alle Deutschen als Herold für eine neue Gerechtig- 4182 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Schneider (Berlin) keit, der den Hoffnungslosen und Unterdrückten Der Westen ist militärisch und technologisch so das geistige Rüstzeug in die Hand gab, um Willkür- überlegen, daß auch einseitige und deutliche Abrü- herrschaft und Unterdrückung siegreich zu be- stungsschritte möglich sind, ohne die Fähigkeit zu kämpfen, oder ist er nur der Ahnherr für das Reich verlieren, sich zu verteidigen. Das gesamte System des Bösen im Osten? Es kann doch wohl nicht aus- der Abschreckungslogik ist absurd und unmensch- reichen, in das schwarz-rot-goldene Tuch der Na- lich. Seinen Gefahren und der immer wahrscheinli- tion mit stolzgeschwellter Brust Namen hineinzu- cher werdenden endgültigen Vernichtung des sticken und damit herumzuschwenken, als gelte es, menschlichen Lebens zu entgehen ist nur durch so- den Gewinn einer Fußballweltmeisterschaft zu fei- fortige Abkehr von der herrschenden Droh- und ern. Machtpolitik möglich. (Beifall bei den GRÜNEN) Gerade nach zwei von Deutschland hervorgerufe- Es gibt natürlich eine Emotion, die nur den Deut- nen Weltkriegen sind deutsche Regierungen in be- schen eignet und die sie von den Angehörigen eines sonderem Maße gefordert, auch eigene Friedensin- anderen Landes unterscheidbar macht, aber es gibt itiativen zu ergreifen. Für die Bundesrepublik be- keine gemeinsame Auffassung von der Nation; je- deutet diese Einsicht, zu der sie die Friedensbewe- der versteht etwas anderes darunter. Wie kann es gung immer entschiedener drängen wird, daß sie auch anders sein, wenn man die Geschichte Revue auch die friedensgefährdenden Konfrontationsstra- passieren läßt: über die wechselnden Epochen des tegien der NATO entschieden zurückweisen müß- Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, te. über die Kleinstaaterei, die kleindeutsche Zwangs- (Beifall bei den GRÜNEN) gründung des eisernen Kanzlers bis zum chauvini- Mit der NATO und ihrer globalen Hinwendung zu stischen Exzeß von Hitlers Großdeutschland? Planungen eines gewinnbaren Atomkrieges ist langfristig keine glaubhafte und damit erfolgreiche Danach kam die Spaltung. Die Deutschen verkro- Politik gegen den Krieg zu machen. chen sich unter die Fittiche der westlichen Sieger- mächte auf der einen Seite und duckten sich unter (Beifall bei den GRÜNEN) dem Machtanspruch der Sowjetunion auf der ande- Wir müssen raus aus der NATO. ren. Geschlagen, gebrochen, desillusioniert klam- merten sie sich an Maloche, Fernsehen und Häus- Deutschlandpolitik kann sich nur als Friedenspo- chen. Es war zuviel, zu überleben und gleichzeitig litik entfalten, zu deren Elementen die Errichtung die Schuld zu tragen. atomwaffenfreier Zonen gehört, die die Gefährlich- keit der direkten Konfrontation mildern könnten. Die Vergangenheit war furchtbar, sie ist nicht be- Ich halte aber auch die völkerrechtliche Anerken- wältigt. Fast 40 Jahre nach der Katastrophe scheint nung der DDR für einen möglichen deutschen Bei- angesichts von Gefahren, die nicht mehr abwend- trag zum Frieden, weil eine endgültige Festlegung bar erscheinen — es sei denn, alle Kräfte der Le- der bestehenden Grenzen alle gefährlichen Illusio- bensbejahung, des Mutes und des Willens würden nen beenden könnte, die eine Revision der beste- mobilisiert —, ein Prozeß in Gang gekommen zu henden Staaten doch noch erreichen möchte. Ich sein. Woher aber soll diese Kraft kommen, wenn habe auch in der Rede von Herrn Waigel wieder Selbstachtung und Einsicht in die Realitäten sowie deutlich Töne gehört, die ohne weiteres in eine Kon- die Lehren der Geschichte fehlen? Wie kann ein frontationspolitik umsetzbar wären. Volk handeln, wenn es sich von fremden Mächten Die Anerkennung der DDR ohne Wenn und Aber abhängig gemacht hat? Wie kann es eine neue Rich- böte die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen bei- tung einschlagen, wenn es nicht weiß, was bisher den deutschen Staaten auf einer wirklich soliden falsch gemacht wurde? Wie kann es souverän und Grundlage auszubauen und damit das Geflecht von selbstbestimmt reagieren, wenn es die eigenen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Men- Wurzeln verkennt und seine Kräfte weder einzu- schen zu verdichten. Heute gibt es noch viele gra- schätzen noch zu gebrauchen versteht? Wie kann es vierende Hindernisse, die die Freizügigkeit ein- den richtigen Weg nehmen, wenn es die umgeben- schränken oder unterbinden. Freizügigkeit, gerade den Tatsachen nicht erkennt? auch von Ost nach West, wird nur auf der Basis der Das Tor zur Zukunft stehe weit offen, hat der anerkannten Gleichberechtigung möglich sein und Kanzler gesagt. Ich empfinde dies als einen lebens- nicht in einem Klima, wo eine Partei die andere gefährlichen Satz, weil diese Zukunft im Gestern mißachtet, über den Tisch zu ziehen versucht oder liegt. Hinter tönenden Worten und Vertrauenslita- bedroht. neien ist Herr Kohl gezwungen, im deutsch-deut- Auch für West-Berlin könnte sich eine solche Po- schen Verhältnis gerade einmal finanzielle Notver- litik nur positiv auswirken. bände anzulegen. Eine Wende, eine wirkliche Ände- rung in der Deutschlandpolitik ist so nicht zu errei- Ich finde, daß die juristische Argumentation in chen. Diese müßte gekennzeichnet sein von konse- dieser Sache, daß das nicht gehe, wenig überzeu- quenter Friedenspolitik, die nicht auf das Anhäufen gend ist, wie überhaupt in der Deutschlandpolitik von immer mehr und immer tödlicheren Massen- oft mit juristischen Argumenten mögliche Wege in vernichtungsmitteln ausgerichtet sein dürfte, son- die Zukunft verbaut werden. So hat Herr Windelen dern auf deren Abschaffung. die GRÜNEN als außerhalb der Verfassung stehend dargestellt, weil sie nach neuen Wegen suchen, die (Beifall bei den GRÜNEN) auch eine Veränderung des Grundgesetzes notwen- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4183

Schneider (Berlin) dig machen würden, das doch immerhin schon lungen über die chemischen Waffen und ihre Äch- 35mal geändert worden ist. tung angeboten; und diese Verhandlungen sind auf- Die GRÜNEN streben eine Politik an — und das genommen. ist unsere Hauptforderung, und dahin geht unsere (Beifall des Abg. Mischnick [FDP]) Richtung —, die die Wiedervereinigung überflüssig Könnten sie zu einem erfolgreichen Abschluß ge- macht und in der die Grenzen ihre trennende Wir- bracht werden, so wäre die Tür aufgeschlossen zur kung verlieren. Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Ra- Danke schön. ketenabrüstung. Es gilt für uns alle, daran zu arbei- (Beifall bei den GRÜNEN) ten, daß wir hinsichtlich dieses Themas zu einem erfolgreichen Ergebnis kommen, jeder an seinem Platz. Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Ab- geordnete Hoppe. Meine Damen und Herren, die Lage der deut- schen Nation ist nach wie vor beschwerlich bis be- drückend. Die tristeste aller Trennungslinien zwi- Hoppe (FDP): Herr Präsident! Meine Damen und schen Ost und West teilt die beiden Staaten in Herren! Mit dem Blick zurück im Zorn sollte die Deutschland. Die Brisanz und die Störanfälligkeit deutschlandpolitische Debatte nicht geführt wer- bleiben an der Nahtstelle der Machtblöcke ange- den. sichts der Spannungen zwischen den Weltmächten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) virulent. Es hätte der neuen „Bastelarbeiten" an der Berliner Mauer nicht bedurft, um dies zu erken- Aber auch die verbiesterte Kritik des Kollegen nen. Schneider möchte ich auf sich beruhen lassen. In welcher Höllennische unserer Gesellschaft leben Unverändert schmerzend ist auch der Kontrast Sie eigentlich?, ist man versucht zu fragen. zwischen der Freiheit hier und den vorenthaltenen demokratischen Bürgerrechten dort. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Auch die Frage der Staatsangehörigkeit — das Nein, die Lage der Nation ist nicht komfortabel. sage ich zum Kollegen Waigel — sollte nicht völlig Ja, sie ist kalkulierbarer geworden. Aber zu Schön- unnötig zu einem Streitpunkt mißraten. Art. 116 des färberei besteht kein Anlaß. Gar von „geregelten Grundgesetzes steht nicht zur Disposition. Wer das Verhältnissen" reden zu wollen, wäre eitle Selbst- beachtet und sich davon leiten läßt, der ist zur prak- täuschung, weltfremd oder naiv. tischen Politik befähigt — auch und gerade mit der Meine Damen und Herren, die nachfolgenden DDR. drei Zitate aus der Debatte über den Entschlie- (Beifall bei der FDP — Zustimmung bei ßungsantrag zum Bericht zur Lage der Nation vom der SPD) 9. Februar dieses Jahres mögen zur aktuellen Ein- stimmung dienen: Meine Kollegen, der Bundeskanzler hat den Be- richt zur Lage der Nation als ein nüchternes Wirk- Solange Deutschland geteilt ist, müssen wir un- lichkeitsbild ausgebreitet, dem die Fraktionen, die sere Hauptanstrengung darauf richten, die Fol- sich auf eine gemeinsame deutschlandpolitische gen der Teilung für die Menschen erträglicher Grundlage verständigt haben, prinzipiell auch zu- zu machen und gleichzeitig die Einheit der Na- stimmen können. Der Kollege Vogel hat das ja auch tion zu wahren. für die Opposition bekundet. Nun hat er in seinem (Beifall bei der FDP und Abgeordneten der Beitrag aus Anlaß des bevorstehenden Besuchs von CDU/CSU) Herrn Honecker in der Bundesrepublik auf die Ein- ladung des Bundeskanzlers Schmidt Bezug genom- Zweitens: men und daran erinnert. Man kann sagen: Wenig- Deutschlandpolitik muß von der Frage ausge- stens in diesem Zusammenhang erinnert sich die hen: Welche Politik nützt unserem bedrängten SPD noch an den Bundeskanzler Helmut Schmidt. Land, dem geteilten Volk, den beiden deutschen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Staaten und Berlin? Was können die Deutschen Zurufe von der SPD) für den Frieden und die Zusammenarbeit in Es ist ja auch ein erfreuliches Ergebnis der Konti- Europa tun? nuität der Politik auf dem Feld der Deutschlandpo- Schließlich: Die Deutschlandpolitik muß litik. daraufhin angelegt sein ..., den Frieden und (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Herr Hoppe, die Freiheit in Europa zu wahren und zu för- Sie lassen auch keinen Kalauer aus!) dern ..., Spannungsursachen zu beseitigen und eine langfristig angelegte Politik des Aus- — Sie sollten sich selber einmal prüfen, wo und wie - Sie kalauern, verehrter Herr Kollege Diederich. gleichs und des Friedens in die Wege zu leiten. Was die Bemerkungen zum Thema Abrüstung Dies waren Ausführungen aus den Reden von nach den Reiseeindrücken des Kollegen Vogel be- Herrn Windelen und der Kollegen Heimann und trifft, so ist doch, so meine ich, begreifbar, daß der Werner. Sie machen deutlich, daß nicht das Thema Kreml Pessimismus verbläst, aber man sollte das der staatlichen Organisation im Vordergrund steht, wirklich nicht unkritisch inhalieren. Meine Damen sondern die Frage nach der inneren Substanz, also und Herren, schließlich hat Moskau neue Verhand nach den Chancen für bessere Nachbarschaft und 4184 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Hoppe vor allem nach den Aussichten, die Achtung der gleich getroffenen Feststellungen immer noch wei- Menschenrechte und der Menschenwürde in allen terhelfen. Dies gilt auch dann, wenn die heutige deutschen Landen garantiert zu sehen, von Aachen Aussprache in einem durchaus veränderten Klima bis Görlitz, von Freiburg bis Rügen. stattfindet; verändert schließlich auch durch jenen Ich finde es auch gut, daß Herr Minister Winde- grundsätzlichen und praktischen Konsens in der len in seiner Washingtoner Rede vor gut einem Mo- Deutschlandpolitik, auf den sich CDU/CSU, SPD und FDP am 9. Februar nat diesen Vorrang der Freiheit so ausdrücklich zubewegt und eingelassen haben. Von einer wundersamen Wandlung zu spre- herausgestellt und das Streben nach dem einheitli- chen Nationalstaat, wie es in früheren Jahren so chen, verbietet sich nur deshalb, weil sich Politik ermüdend und gleichermaßen wirkungslos propa- und Metaphysik so ausgesprochen schlecht vertra- giert wurde, relativiert hat. Auch der Bundeskanz- gen. Dennoch nenne ich es das deutschlandpoliti- ler hat diese Linie hier heute weitergezogen. sche Ereignis des letzten Jahrzehnts im Deutschen Bundestag, das die parteipolitischen Gräben und Meine Damen und Herren, damit gehören wir Fallgruben der Vergangenheit so atemberaubend doch wohl allesamt zu jenen „Geduldigen", von de- schnell zugeschüttet und ein Fundament der Ge- nen Günter Gaus meint, daß „ihnen für lange Zeit meinsamkeit errichtet hat. genug deutsch-deutsche Möglichkeiten blieben", (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) weil sie mit mehr europäischen, deutschen Perspek- tiven ausgestattet sind und nicht auf einen wieder Und ich muß fast so etwas wie eine Dankbarkeits- zu gründenden bismarckschen Einheitsstaat fixiert adresse an das SED-Zentralorgan „Neues Deutsch- bleiben. land" richten, das mit seiner ungerechtfertigten At- tacke gegen dieses gemeinsam erarbeitete und be- An dieser Stelle muß ich deshalb nicht mit Gün- schlossene Dokument für die nötige Aufmerksam- ter Gaus richten, der sich bei seiner literarischen keit sorgte. Ein rechter Trost ist das eigentlich Ortssuche „Wo Deutschland liegt" doch recht ver- nicht. Aber unsere Medien brauchen j a wohl die biestert gibt. politische Sensation, um Ereignisse wahrzunehmen (Sehr wahr! bei der FDP) und zu reflektieren. Es war schon bedeutsam, daß Meine Damen und Herren, gerade weil Bis- die deutschlandpolitische Dissonanz früherer Jahre marcks Reich nicht aktuell ist, reizt eine Erinne- gerade in jenem Augenblick zur Harmonie fand, in rung an ein Lenin-Zitat, das Klaus Mehnert in sei- der sich eine neue deutsch-deutsche Dynamik ent- nem Buch „Die Russen heute" ausgegraben hat und faltet. In der ungewöhnlichen Reisewelle findet sie für uns parat hält: ihren Ausdruck. Die eine bringt jede Woche viele hundert Übersiedler aus der DDR zu uns. Die an- Bismarck handelte historisch fortschrittlich. Er dere trägt — manchmal im Dutzend billiger — jede tat es auf seine eigene, auf Junkerart. Deutsch- Menge Politiker aus Bonn und aus manchen Lan- lands Einheit war eine Notwendigkeit. deshauptstädten nach Ost-Berlin und Leipzig. So Lenin damals. Meine Damen und Herren, die Hausse in der Und heute? Wie reflektiert sich denn die Lage der Familienzusammenführung ist dabei sehr auf- Nation in beiden Staaten in Deutschland? merksam zu registrieren. Die Erfüllung privater Wünsche und Sehnsüchte ist besonders für die Be- Freiheitliche Demokratie auf der einen, kom- troffenen dankbar zu vermerken; viel menschliches munistische Parteidiktatur auf der anderen Leid wird hier aus der Welt geschafft. Aber es sei Seite. Keine Friedenspolitik, keine Annäherung mir doch auch die Anmerkung erlaubt, daß es sich kann diesen Gegensatz der Systeme beseitigen, bei dieser Praxis keineswegs um reine Menschlich- keine darf ihn übersehen. Unsere Politik kann keit handelt, die die DDR verströmt. Eine seltsame sich nicht das Ziel setzen, die kommunistisch Handhabung fragwürdiger kapitalistischer Prakti- regierten Länder zu befreien, auch nicht die ken geht damit nach wie vor einher. Wir bekennen DDR. Das wäre mit einer konsequenten Frie- uns gleichwohl dazu und werden den uns abgefor- denspolitik unvereinbar. Ein Abbau der Kon- derten Beitrag mit parlamentarischer Zustimmung flikte zwischen Staaten setzt voraus, daß jeder leisten. Aber um ein Ruhmesblatt der Ost-Berliner Staat die innere Ordnung des anderen respek- Politik handelt es sich dabei wahrlich nicht, und mit tiert. Ein Wandel der kommunistischen Ord- Trompetensignalen sollten auch wir diesen Teil nung kann nur von innen kommen. nicht immer wieder neu verblasen. Unsere Politik muß die demokratischen Grund- Die geradezu wallfahrtsartigen Politikerreisen in lagen unserer eigenen politischen Ordnung die DDR werden ja in boshaften Kommentaren als ebenso entschlossen gegen alle kommunisti- üppige Mischung aus substantiellen Begegnungen schen Angriffe verteidigen, wie sie sich be- und gehobenen Ausflugsfahrten glossiert. Wie im- müht, ihren sozialen Inhalt stetig zu verbes- mer man diesen Aufbruch zu neuen Ufern- zu wer- sern. ten hat, er signalisiert jedenfalls zweierlei: Diese Zusammenfassung, so hochaktuell sie ist, hat Erstens. Die deutsch-deutsche Agenda weist eine doch schon ihren zeitgeschichtlichen Wert. Sie fin- Vielzahl behandlungs- und verhandlungsbedürfti- det sich nämlich im Grundsatzbeschluß der SPD ger Tagesordnungspunkte aus, von den stets aktuel- vom 14. November 1970. Aber bei der Beschreibung len humanitären Fragen, den gemeinsamen Inter- der notwendigen Konsequenzen für Gegenwart und essen am weiteren Ausbau des innerdeutschen Zukunft können die damals nach einem Systemver Handels, vom Thema Verkehrspolitik bis hin zu ab- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4185 Hoppe gestimmten Umweltschutzinitiativen und dem Be- diese Anregung. Deutsch-deutsche Gipfeltreffen ackern brachliegender Vertragsfelder — wie die im- versprechen mehr Ertrag, wenn sie den Charakter mer noch ausstehenden Abmachungen über wis- des Sensationellen verlieren und möglichst frei von senschaftlichen, technischen und kulturellen Aus- Erwartungsdruck zur Sache kommen können. Nicht tausch. die Zelebrierung deutsch-deutschen Händchenhal- Und zweitens gibt es bei der Erfassung und Ge- tens bringt uns weiter, sondern die offene Ausspra- staltung der deutsch-deutschen Realitäten ganz of- che über kontroverse, ungelöste Fragen, fensichtlich einen Nachholbedarf, der erkennbar (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten groß ist. der CDU/CSU) Von Berührungsängsten jedenfalls kann nicht z. B. über das nach wie vor bestehende Ärgernis der mehr gesprochen werden. Ihre Überwindung war ja Erhöhung des Zwangsumtausches. Mit marginalen schon immer Voraussetzung für besseres Kennen- Korrekturen kann sich die DDR dieses Problem lernen und besserers Miteinander-Umgehen. nicht vom Hals schaffen. Die Erhöhung des Was wir hier im Deutschen Bundestag als unser Zwangsumtauschs in der Polenkrise, von der DDR Thema behandeln und was in den Gesprächen und damals als politische Notbremse gezogen, hat die Kontakten zwischen Repräsentanten der Bundesre- deutsch-deutschen Beziehungen im Kernbereich publik und der DDR erörtert werden muß, ist und getroffen. So etwas können wir nicht auf sich beru- bleibt dabei vor allem die Lage der Menschen im hen lassen. anderen deutschen Staat. Denn — in dankenswer- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ter Direktheit hat Herr Windelen dies vor dem Deutschen Bundestag so formuliert — „glaubwür- Die Belastung muß die DDR vom Tisch schaffen. dig sind wir nur, wenn wir die Wünsche, wenn wir Aber allen Rückschlägen zum Trotz ist es uns in die Interessen der Menschen in der DDR erkennbar den vergangenen Jahren gelungen, den Prozeß der berücksichtigen und danach nicht nur reden, son- Entfremdung, der die Entwicklung des Verhältnis- dern vor allem danach handeln". ses zwischen den beiden deutschen Staaten in den (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) 50er und 60er Jahren gekennzeichnet hat, aufzuhal- ten, j a umzukehren. Heute läßt sich feststellen, daß So wichtig der Austausch von Meinungen und In- der Zusammenhalt der Deutschen seit ihrer Tei- formationen ist — und in der Tat kann es davon gar lung wohl niemals so stark war. Dies ist deshalb nicht genug geben —, es wäre ein absolutes Mißver- von so fundamentaler Bedeutung, weil vom Willen ständnis, wenn sich der Vorgang in der Kontakt- fortdauernder Zusammengehörigkeit der Men- pflege auf Funktionärsebene erschöpfen würde. schen der Bestand jeder Nation lebt. Gerade in (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) jüngster Zeit verstärkt sich ja in der Bevölkerung ein Bewußtsein für das gemeinsame Schicksal der Nein, die Interessen der Menschen in der DDR Deutschen, vor allem für ihre gemeinsame Verant- müssen Dreh- und Angelpunkt bleiben. Ihre Lage wortung zur Sicherung des Friedens. gilt es zu verbessern. Sie müssen von den Gesprä- chen und Verhandlungen profitieren. Sonst ver- Die Geschichte lehrt uns, daß nicht raffinierte po- kümmerte Deutschlandpolitik zum Selbstzweck. litische Strategien große Veränderungen bewirken, sondern tiefgreifende Strömungen eines sich wan- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) delnden Lebensgefühls, das sich an neuen Ereignis- Es geht also nicht um ironisches oder ängstliches sen und Umständen entzünden kann. Abqualifizieren von Politikerreisen, sondern es geht um ein gewisses Ordnen und sinnvolles Zusammen- Man kann es die List der Geschichte nennen; aber es ist jedenfalls bemerkenswert, wie unter der fügen der diversen Aktivitäten. Dazu können gute Gefahr des wachsenden Raketenpotentials in Ost und regelmäßige Kontakte zwischen Mitgliedern und West die Deutschen nicht auseinanderge- des Deutschen Bundestages und der Volkskammer genauso gehören wie solche Treffen auf Regie- drängt, sondern zusammengeführt werden. rungsebene. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU so Das gemeinsame Verlangen nach Bewahrung des wie des Abg. Dr. Diederich [Berlin] [SPD]) Friedens hat während und nach den gescheiterten Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Misch- Genfer Verhandlungen mehr Verbindendes zwi- nick, der auf dem Feld der Deutschlandpolitik Kärr- schen den Deutschen in Ost und West gestiftet, als nerarbeit geleistet hat, die herkömmliche Logik erwarten ließ. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Für die Regierenden sind solche Strömungen und der CDU/CSU) Bewegungen durchaus mit Unbequemlichkeiten verbunden. Wir haben das auch hierzulande- inten- wofür ich Dir, lieber Wolfgang, im Namen von Par- siv erlebt. Aber das hat letztlich weder das Staats- tei und Fraktion Dank sagen möchte, gefüge erschüttert noch unsere Demokratie in (Beifall bei der FDP) Frage stellen können. sprach sich in den letzten Jahren wiederholt für Bei den Mächtigen der DDR wächst dagegen die regelmäßige Begegnungen zwischen dem Bundes- Verlegenheit über das friedensbewegte Element kanzler und dem DDR-Staatsratsvorsitzenden aus. nicht nur junger Leute, eine Verlegenheit, der sie Ich unterstreiche heute für die Fraktion der FDP sich durch Abschieben der unruhigen Geister Herr 4186 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Hoppe werden wollen und die sie in Wahrheit damit nur sein. Aber gesagt hat es am 12. Februar 1984 Erich noch stärker herausstellen. Honecker vor der SED-Bezirksdelegiertenkonfe- „Aber" — so schrieb jedenfalls Jürgen Engert renz in Ost-Berlin. Der Rahmen und die Möglich- kürzlich im „Rheinischen Merkur" — „die DDR- keiten deutsch-deutschen Handels sind darin ziem- Gesellschaft ist auch nicht mehr das, was sie einmal lich realistisch abgesteckt. war, eine, die sich nach Belieben von der Obrigkeit Der Bundesvorstand der Freien Demokratischen ducken läßt. Mit dem Generationswechsel war neue Partei hat in seiner Wiesbadener Erklärung im Qualität verbunden. Angst frißt nicht mehr die Sommer letzten Jahres klargestellt: Deutschland- Seele auf. Gegen die Fuchtel stehen aufrechte Hal- politik ist für uns europäische Friedenspolitik. Wir tungen." Er schreibt weiter: „Die SED mußte einse- wissen, ein Rückfall in den Kalten Krieg würde kei- hen, daß sie mit dem Glaubenssatz ,Das Sein prägt nem Volk mehr schaden als dem deutschen Volk in das Bewußtsein' auf Sand gebaut hat." Und ein letz- West und Ost. Wir wissen aber auch, Fortschritte tes Zitat: „Schadenfreude auf unserer Seite — wir bei Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung sollten uns davor hüten." nützen keinem Volk mehr als dem deutschen. Fül- len wir diesen auf beiden Seiten so abgesteckten (Klein [München] [CDU/CSU]: Sehr rich tig!) Rahmen mit Leben aus! Tönende Worte über Völ- kerversöhnung und Entspannung helfen nicht wei- Ich kann das nur unterstreichen. Aus Gründen der ter. Aber die Gefahr von Konflikten zwischen zwei politischen Vernunft und des mitmenschlichen En- Nachbarn wird sich verringern, je besser sich jeder gagements verbietet sich auf unserer Seite jede auf- von beiden in den anderen, in seine Stimmungen trumpfende Geste. und Motive hineinversetzen kann. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten Eine gemeinsame deutsche Zukunft können wir der CDU/CSU) mit Aussicht auf Erfolg nur in enger, vertrauensvol- Zurückhaltung tut auch not, was unsere Reaktionen ler Abstimmung mit unseren westlichen Partnern auf das stärker gewordene Eigenleben und die gestalten. Das gilt für die Vereinigten Staaten, das Selbstsicherheit der Kirchen in der DDR angeht. gilt ebenso für die Mitglieder der Europäischen Ge- Hier gibt es nämlich nichts zu instrumentalisieren meinschaft. In der Nachkriegszeit wurde das Zu- oder gar politisch zu kanalisieren. Lassen wir es bei sammenwachsen Westeuropas und die Hoffnung der Erkenntnis, daß sich erneut die bewegende auf ein gemeinsames Dach für die beiden deut- Kraft des christlichen Glaubens Bahn bricht! schen Staaten häufig als Widerspruch empfunden. Heute spricht vieles dafür, daß die europäische (Beifall des Abg. Dr. Schmude [SPD]) Dimension das deutsch-deutsche Verhältnis eher Unsere Hoffnungen müssen deshalb darauf ge- begünstigt; ein Grund mehr, dem derzeitigen richtet bleiben, daß jeder Schritt zu ein bißchen Kleinmut und Krämergeist in Europa mit allen mehr Freiheit in der DDR und jede zusätzliche verfügbaren Mitteln zu Leibe zu rücken. „Mit allen Chance zu noch mehr Begegnungen zwischen den verfügbaren Mitteln" möchte ich als Haushaltspoli- Menschen in Deutschland aus verhältnismäßig ge- tiker wörtlich genommen wissen. Wenn nämlich fi- ordneten Verhältnissen erwächst. Es stimmt: nanzielle Wunschträume der EG nur auf Pump be- friedigt werden können, würde dies das europäische Ausgangspunkt für eine konstruktive Politik Fundament, dessen wir so dringend bedürfen, nur können nach wie vor nur die Realitäten sein, löchriger machen. Der europäische Gipfel, der in die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und wenigen Tagen in Brüssel stattfindet, kann nur der Nachkriegsentwicklung auf unserem Kon- dann hoffnungsvolle Perspektiven eröffnen, wenn tinent entstanden sind. Dazu gehören die Exi- der Grundsatz der politischen Solidarität und der stenz zweier unabhängiger deutscher Staaten finanzpolitischen Stabilität dominiert. mit verschiedenen sozialen Ordnungen sowie die Tatsache, daß sie in zwei ebenso verschie- Auch im westlichen Verteidigungsbündnis dürfen denen Bündnissystemen integriert sind. sich keine Interessengegensätze festfressen. Un- sere geographische Lage und die Tatsache der Tei- Und weiter: lung verpflichten uns, als das höchste Ziel der Andere Beziehungen als die der friedlichen NATO stets ihr Streben nach einer Friedensord- Koexistenz kann es nicht geben. Durch die ge- nung in Europa mit geeigneten Sicherheitsgaran- genwärtige Zuspitzung der internationalen tien herauszustellen. Der Bundeskanzler hat heute Lage wird diese Feststellung nur noch erhärtet. in seinem Bericht noch einmal auf den Harmel- Es wird um so deutlicher erkennbar, daß die Bericht der NATO vom Dezember 1967 hingewie- Aufgabe darin besteht, entsprechend dem abge- sen. Auch ich möchte jenen Kernsatz unterstrei- schlossenen Vertragswerk, insbesondere dem chen, der da lautet: „Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Wider- Grundlagenvertrag, nichts unversucht zu las- - sen, solche Schritte in den Beziehungen zwi- spruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar." schen den beiden deutschen Staaten zu tun, die (Beifall bei der FDP) den Interessen der Friedenssicherung, der Ent- Ich meine, die Erfahrungen der letzten Monate spannung und einer gegenseitigen vorteilhaf- und Jahre beweisen, daß wirkliche Entspannung ten Zusammenarbeit dienen. nur dann erreichbar ist, wenn auch die Gegenseite — Meine Damen und Herren, dies könnte eine Zu die Notwendigkeit dazu begreift und wenn ihr das sammenfassung meiner Ausführungen gewesen wirklich in einem ständig währenden Prozeß ver- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4187

Hoppe deutlicht wird. Darum muß Gleichgewicht ein we- Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin): Herr sentlicher Grundsatz der Sicherheitspolitik bleiben. Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundes- Die Bundesregierung würde ihrem Auftrag und ih- kanzler hat in seiner Regierungserklärung am rer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie an die- 4. Mai 1983 erklärt: sem Grundsatz nicht festhielte. Berlin ist eine nationale Aufgabe, deshalb wol- Meine Damen und Herren, die Freien Demokra- len wir die Lebenskraft der Stadt stärken und ten attestieren der Bundesregierung, daß sie auf ihre Anziehungskraft fördern. den drei von mir angesprochenen Ebenen — der Auch in der heutigen Rede hat der Bundeskanzler deutschlandpolitischen, der europa- und der sicher- ein eindeutiges Bekenntnis zur Bedeutung Berlins heitspolitischen — verantwortungsbewußt handelt. abgelegt. Das wird in Berlin dankbar registriert. Sie dient damit dem Frieden, sie dient den Men- schen in beiden deutschen Staaten. Wir in Berlin wissen, daß dieses Bekenntnis nicht auf die Regierung und die Koalitionsfraktionen be- (Beifall bei der FDP) schränkt ist. Es gehört vielmehr zur Substanz der Dies sage ich auch und gerade als Berliner. gemeinsamen Anliegen aller Demokraten. Dafür Berlin hat von einer auf Ausgleich gerichteten Poli- sind wir Berliner über Parteigrenzen hinweg dank- tik in der Vergangenheit entscheidend profitiert; bar. das Viermächteabkommen markiert einen Meilen- Wir brauchen die Solidarität des Bundes und neh- stein. Nur wenn die Fähigkeit zum konstruktiven men sie gern in Anspruch. Aber wir wollen nicht Dialog zwischen Ost und West erhalten bleibt, kön- nur Nehmende, sondern auch Gebende sein. Zur nen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur florieren. Verantwortung des Bundes für Berlin gehören un- Die gesicherten Bindungen Berlins an die Bundes- trennbar die Selbstverantwortung der Berliner für republik gilt es in der Tat weiter auszubauen, und sich selbst und ihre Mitverantwortung für die ihr wichtigstes Element, nämlich die Außenvertre- Dinge der Nation. In diesem Sinne ist Berlin nicht tung Berlins durch die Bundesregierung, gilt es da- nur eine nationale Aufgabe, sondern Berlin hat eine bei sorgsam zu achten und zu bewahren. nationale Aufgabe; denn das geteilte Berlin erinnert (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Menschen aus aller Welt täglich daran, daß die deutsche Frage nach wie vor offen ist. Darauf hin- Meine Damen und Herren, es verwundert daher zuweisen gehört auch zur Debatte über die Lage nicht, daß Berlin selbst seine Aufgabe darin sieht, der Nation. im Dienste der nationalen Einheit Motor zu sein für eine aktive Politik der Friedensförderung im Sinne (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eines menschenwürdigen Lebens in Ost und West. Meine Damen und Herren, zunächst aber eine Dies ist das Gegenteil von einer resignativen Ge- notwendige Vorbemerkung. In Berlin war 1980 und wöhnung an „gesicherte Ausweglosigkeit". Von uns Anfang 1981 eine lange angestaute Krise zum Aus- verlangt das dann aber auch, Berlin in seiner Rolle bruch gekommen. Obwohl Berlin seit den darauf als nationaler und kultureller Mittelpunkt innerlich folgenden Neuwahlen über eine stabile Regierung, zu bejahen und im politischen Alltag danach zu ver- über einen stabilen Senat verfügt und der innere fahren. Frieden der Stadt wiederhergestellt ist, haben die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Krisenerscheinungen von damals das allgemeine Zustimmung des Abg. Dr. Diederich [Ber Bild der Stadt tiefgreifend gekennzeichnet und lin] [SPD]) auch in einem entscheidenden Punkt verzeichnet. Die Krise des Jahres 1981 war nicht die Krise einer Das mag manchmal unbequem und störend sein, Stadt und ihrer Bevölkerung, sondern es war eine legt aber über die Ernsthaftigkeit unseres politi- politische Krise, die begonnen hatte, auf die Struk- schen Willens Zeugnis ab. turen und auf das Selbstbewußtsein der Berliner Deklamationen, Gedenkfeiern und Zauberfor- überzugreifen. Bei ihrer Lösung hat sich aber die meln werden uns die Einheit der Nation nicht be- Fähigkeit der freiheitlichen Demokratie zum Wech- wahren und die Trennung nicht überwinden. Nur sel und zur Erneuerung bewährt. Dies hat den Ber- konsequentes und aufrichtiges Handeln hält die linern wieder Selbstvertrauen gegeben. Mit diesem Hoffnung auf den geschichtlichen Augenblick le- Selbstvertrauen bitten wir als Berliner jedenfalls bendig, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbe- diejenigen, die die Ereignisse in Berlin von außen stimmung seine Einheit wiedererlangen kann. Des- beobachten, um Zuversicht in bezug auf die eigenen halb empfiehlt sich als Handlungsanleitung das Kräfte der Stadt Berlin, um Zuversicht in bezug auf schöne Wort Arthur Koestlers aus „Der Yogi und die Kräfte Berlins; denn diese Stadt ist lebensfähig der Kommissar": und kräftig. In einer Zeit, in der die Fackel des Glaubens (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) erloschen ist, bleibt als einzige Hoffnung das Berlin ist und bleibt lebendig, Berlin- ist und Kerzenlicht der Wahrheit. bleibt das Symbol des Freiheitswillens aller Deut- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU und schen. Das gibt der Stadt Zukunft und den Berli- bei Abgeordneten der SPD) nern Kraft und Selbstbewußtsein. Es kennzeichnet die zentrale Bedeutung Berlins für die Beziehungen der beiden deutschen Staaten, Vizepräsident Stücklen: Das Wort hat der Herr Re- daß es kaum einen innerdeutschen Sachverhalt gierende Bürgermeister von Berlin. ohne einen Bezug zu dieser Stadt gibt. Deshalb ver- 4188 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin) stehen wir es als unsere Aufgabe, von Berlin aus die gemeinsame Geschichte in Deutschland für die unter sorgfältiger Wahrung der statusrechtlichen Deutschen nicht abgeschlossen. Position Berlins, des Viermächtestatus und der Ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bindung Berlins in die Bundesrepublik, einen akti- ven Beitrag zur Deutschlandpolitik zu leisten und In der westlichen Öffentlichkeit weckt die Aktu- dabei vertrauensvoll und eng mit der Bundesregie- alität der Deutschland-Diskussion nicht nur anteil- rung zusammenzuarbeiten. nehmendes Interesse, sondern auch oftmals Be- fürchtungen: Neutralismus, dritter deutscher Weg, Die Berliner werden durch die Mauer täglich an Nationalpazifismus, so und ähnlich lauten die For- die deutsche Wirklichkeit erinnert. Wasser- und meln des Zweifels, ob die Deutschen sich nicht wie- Energieversorgung, der Transit nach Westdeutsch- der einmal am Scheideweg zur Schaukelpolitik land, der Umweltschutz und die Fragen des Reise- wähnen. Die Mehrheiten in der deutschen Bevölke- und Besucherverkehrs zeigen, wie wichtig die Zu- rung und in der deutschen Politik geben sich kei- sammenarbeit mit der DDR und Ost-Berlin bei der nen Illusionen hin. Es gibt in Europa, meine Damen Regelung unserer Lebens- und Alltagsfragen sind. und Herren, keine Niesche für deutsche Sonder- Die hier gesammelten Berliner Erfahrungen wollen wege. wir bei der Formulierung der Deutschlandpolitik durch die Bundesregierung einbringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich darf an dieser Stelle eine Anmerkung zu den Die Gemeinschaft mit den freien Völkern des We- Ausführungen von Herrn Dr. Vogel machen. Für stens steht für uns nicht zur Disposition. Wir wis- uns in Berlin hat sich gezeigt, daß gerade Form und sen, daß die offene deutsche Frage zunächst auch Inhalt der S-Bahn-Vereinbarung beispielhaft dafür eine eurpäische Frage ist, und wir sind uns deshalb sind, wie man beiderseitigen Interessen gerecht darüber im klaren, daß unser Staatsziel, die Über- werden und Fortschritte erzielen kann. Ich darf Sie windung der Trennung unseres Vaterlandes, nur beruhigen: Der Tunnel wird sicherlich spätestens mit und nicht gegen unsere Freunde im Westen am 1. Mai auch benutzt werden. erreicht werden kann. (Zuruf von der SPD: Erfreulich!) (Burgmann [GRÜNE]: Alles Leerformeln!) Der frühere französische Botschafter Henri Insofern war Ihre Kritik in diesem Punkte ein we- Fromment-Meurice hat kürzlich die Lage Deutsch- nig vorschnell. lands anormal genannt. Die Deutschen hat er (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gleichzeitg zur Verteidigung ihres Rechts auf Selbstbestimmung aufgefordert und sie zur Lösung Wenn Berlin nur Gegenstand deutsch-deutscher der deutschen Frage im Verbund mit ihren Freun- Politik wäre, wäre das ein gefährliches Zeichen der den auf der Grundlage der Freiheit aufgefordert. Stagnation und des Auseinanderentwickelns. Der Wir sind ihm für diese Ausführung dankbar; denn eigene Beitrag Berlins verstärkt die Lebendigkeit er hat damit unser Ziel auch zutreffend beschrie- der deutsch-deutschen Beziehungen. Die Rolle Ber- ben. lins in der nationalen und internationalen Politik bleibt Gradmesser der Lage der deutschen Nation Genau das tut auch der Harmel-Bericht aus dem insgesamt; denn Berlins Lage inmitten der DDR Jahre 1967, auf den hier heute schon einmal hinge- verlangt besondere Anstrengungen zur Wahrung wiesen worden ist und in dem die Verbündeten ihr der äußeren Sicherheit und damit der Einbettung in Interesse bekunden, gemeinsam mit den Deutschen die Gemeinschaft der freien Völker. Das gilt vor an der Lösung der deutschen und europäischen allem für die Anwesenheit unserer Freunde und Fragen zu arbeiten. Eine endgültige und stabile Re- Schutzmächte. Das gilt für die Festigkeit und Le- gelung in Europa ist nach diesem Bericht nicht bendigkeit der Bindungen Berlins an den Bund und möglich ohne eine Lösung der Deutschland-Frage, die strikte Einhaltung und volle Anwendung des die den Kern der gegenwärtigen Spannung in Eu- Viermächteabkommens. Ich betone das ausdrück- ropa bildet. „Eine derartige Regelung", so heißt es lich: Am Status von Berlin werden wir niemanden weiter, „muß die unnatürlichen Schranken zwi- rütteln lassen. schen Ost- und Westeuropa beseitigen, die sich in der Teilung Deutschlands am deutlichsten und am (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) grausamsten offenbaren." Wir haben dankbar registriert, daß in der ge- Die Bündnistreue der Deutschen hat ein festes meinsamen Stellungnahme der Bundestagsfraktio- Fundament, und sie beruht nicht auf wandelbaren nen von CDU/CSU, FDP und SPD vom 9. Februar Absichten und Bekenntnissen, sondern auf der Rea- des Jahres diese Grundlagen der Sicherheit ebenso lität unserer Lage und unserer Interessen. betont worden sind wie auch die Notwendigkeit in- tensiver Bemühungen um eine Verbesserung der Wir in Berlin haben eine besonders enge Bezie- Beziehungen zum Umfeld der Stadt. hung und Freundschaft zu unseren drei Schutz- mächten und damit zu wichtigen Partnern im Die deutsch-deutschen Beziehungen haben im Bündnis. Das freie Berlin bildet eine feste und eine letzten Jahr an Gewicht gewonnen. Wir begrüßen verläßliche Klammer des Bündnisses. Denn so wie das; denn das freie Berlin ist ohne den Blick auf die Berlin eine Klammer zwischen den beiden Teilen Einheit der deutschen Nation einfach nicht denk- Deutschlands ist, so ist Berlin auch eine Klammer bar. Und ebenso beweist die Existenz des freien zwischen Europa und den Teilen auf der anderen Berlins auch: Mit der aufgezwungenen Teilung ist Seite des Atlantiks. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4189

Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin) Wir sind wegen der Menschen im anderen Teil werden, an dem der Besucher seine Gegenwart unseres Landes an einer deutsch-deutschen Verant- durch die Betrachtung der Geschichte besser ver- wortungsgemeinschaft interessiert. Wir wissen, daß stehen lernt. Durch die Konzeption dieses Forums unser Handlungsspielraum für besondere Bezie- bringen wir zum Ausdruck, daß das Geschichtsbild hungen mit unserem Gewicht im westlichen Bünd- in einer freien Gesellschaft weder ideologisch in- nis nicht sinkt, sondern steigt. strumentalisiert noch ein für allemal statisch fest- Auf dieser sicheren Bündnisgrundlage bitten wir geschrieben werden darf. die Öffentlichkeit in den westlichen Demokratien Geschichte bleibt lebendig, und sie wirkt zu- um etwas mehr Gelassenheit. Über viele Jahre hin- kunftsbezogen als Erkundung und Erforschung von weg ist eine angebliche Geschichtslosigkeit der Zusammenhängen, die sich jede Gegenwart, jede Bundesrepublik Deutschland im Ausland als das ei- Generation in freier Auseinandersetzung immer gentlich Gefährliche für künftige Entwicklungen in wieder selbst erarbeiten muß. Mit dem Forum für Deutschland dargestellt worden. Nun aber, wo in den Dialog der Gegenwart mit der Geschichte wol- einer breiten Öffentlichkeit und insbesondere in len wir dieser Standortsuche einen Ort lebendiger der Jugend die Frage des deutschen Selbstver- Auseinandersetzung schaffen. Dafür ist Berlin, wo ständnisses aufgeworfen ist und deutsche Ge- deutsche Gegenwart und deutsche Vergangenheit schichte breit diskutiert wird, sollte nicht jeder miß- — wie sonst nirgendwo — in ihren Brüchen und in tönende Diskussionsbeitrag überzeichnet und zum ihren offenen Fragen handgreiflich erlebbar wer- Anlaß für fundamentale Ängste genommen wer- den, ein besonders geeigneter Rahmen. den. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich möchte dem Bundeskanzler an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, daß er dieses Vorhaben In der Diskussion mit jungen Menschen um die zu einem gemeinsamen Anliegen der Bundesregie- deutsche Geschichte wollen wir auf Fragen nicht rung und des Senats von Berlin erklärt hat. mit Vorurteilen antworten. Es ist nicht entschei- dend, ob ein junger Mensch beispielsweise auch (Beifall bei der CDU/CSU) eine Frage nach der Neutralität stellt. Denn wer Wenn ich vom aktiven Beitrag Berlins zur Weiter- sich eine Überzeugung erarbeiten will, muß in sei- entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen nen Gedanken allen Fragestellungen nachgehen spreche, dann denke ich nicht nur an Verträge und dürfen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Politiker, Vereinbarungen. Zwar ist die Liste unserer The- ob die Älteren, ob die Lehrer und die Publizisten menwünsche für Verhandlungen lang; hier in der den jungen Menschen dabei helfen, die richtigen Diskussion sind schon einige genannt worden, und Antworten auf ihre Fragen zu finden. Das ist die ich nenne meinerseits einige Beispiele: vor allen Verantwortung, darauf kommt es an. Dingen die Erleichterungen im Reise- und Besu- (Beifall bei der CDU/CSU) cherverkehr, aber auch Gebietsaustausch, Verbes- Die richtigen Antworten können eben nicht in Neu- serung der Verkehrsverbindungen auf der Straße tralität gefunden werden. Die Geschichte hat ge- wie auch auf der Schiene, Luftreinhaltung. zeigt, daß deutsche Sonderwege stets gefährlich Aber es gibt über die vertraglich geregelten Be- wurden, und zwar gefährlich für alle. reiche hinaus eine lebendige deutsche Wirklichkeit, (Beifall bei der CDU/CSU) auf die ich die Aufmerksamkeit richten will. Es ist dies das gemeinsame Interesse am Frieden, die zu- nehmende Zahl von Reisen junger Menschen aus Vizepräsident Stücklen: Herr Regierender Bürger- der Bundesrepublik in die DDR. Es ist die im Laufe meister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des der Nachkriegszeit kontinuierlich gewachsene Be- Herrn Abgeordneten Burgmann? deutung einer gemeinsamen Öffentlichkeit, die von den elektronischen Medien ermöglicht wird bis hin Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin): Ich dazu, daß in der DDR auch noch verkabelt wird und will lieber fortfahren. westliches Fernsehen dabei ausdrücklich einge- speist werden soll. Dazu gehören auch die von der (Burgmann [GRÜNE]: Sie sagten doch vor geographischen Lage in der Mitte Europas erzwun- hin selbst, Sie wollten, daß junge Men genen gemeinsamen Interessen hinsichtlich der schen Fragen stellen! — Feilcke [CDU/ Umwelt, des Verkehrs, der Wirtschaft. Und es ge- CSU]: Der ist nicht mehr jung, der behaup hört dazu die trotz aller Hindernisse weiterlebende tet nur, jung zu sein! — Dr. Waigel [CDU/ gemeinsame Literatur, die Gemeinsamkeiten der CSU]: Sie werden ohnehin bald von der Ro Geschichte, wie sie in der Rückbesinnung auf Preu- tation erfaßt! — Heiterkeit bei der CDU/ ßen und in der Begehung des Luther-Jahres zum CSU) Ausdruck kamen. — Meine Damen und Herren, das, was manchmal - so ein grüner Kindergarten ist, kenne ich aus Ber- Dabei gehen die Impulse keineswegs immer von lin, das erschüttert mich nicht weiter. uns aus. Sie schienen mir in der Begehung des Luther-Jahres — darauf ist hier auch schon in ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nem anderen Zusammenhang hingewiesen worden Meine Damen und Herren, zur Förderung des — im Erlebnis oft stärker und in der Wirkung tie- Geschichtsbewußtseins gerade der jungen Genera- fergreifend in der DDR. Und unsere Literatur wäre tion werden wir in Berlin den Gropius-Bau bis zum arm ohne die Beiträge von Schriftstellern aus der Jahre 1987 wieder herrichten. Er soll zu einem Ort DDR, und zwar sowohl von denen, die inzwischen

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Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin) zu uns gekommen sind, wie auch von denjenigen, leichterungen verfügt oder Umweltschutzabkom- die ihren Platz in der DDR sehen. men ermöglicht werden. Es ist nicht nur die Geschichte, die Vergangen- Es kann kein Zweifel bestehen: In den letzten heit, mit ihrer Wirkungskraft in die Zukunft, die Jahren ist die DDR zum wichtigsten, verläßlichsten beiden deutschen Staaten gemeinsam ist; es ist die und wirtschaftlich stärksten Verbündeten Moskaus Gemeinsamkeit der gesellschaftlichen Gegenwart. geworden. Das hat auch dazu geführt, daß das Ei- Es sind die „deutschen Sachen", wie es jüngst ein gengewicht der DDR im Warschauer Pakt zuge- Kommentator in einer Tageszeitung schrieb, die nommen hat. Im Rahmen ihrer eindeutigen Bünd- Deutsche und Deutsche verbinden. nissolidarität sucht die DDR nach Wegen, auch ihre eigenen Interessen zu verfolgen und eigene Hand- Die Aufmerksamkeit der Menschen in der DDR lungsspielräume auszuloten. So war es der DDR für uns in der Bundesrepublik ist heute größer denn z. B. möglich, nach dem Beschluß zur Stationierung je. Die SED hat es nicht verstanden, Staat und Sy- amerikanischer Raketen in Westeuropa eine Politik stem der DDR bei ihrer eigenen Bevölkerung zu der sogenannten Schadensbegrenzung zu betreiben legitimieren. Mauer und Menschenrechtsverletzun- und eine deutsch-deutsche Eiszeit, die ja hier pro- gen sind dafür nach wie vor die besten Beweise. gnostiziert worden ist, zu verhindern. Das alles Unter dem Druck der Bevölkerung hat die SED sollte nicht übersehen werden. den Kirchen in der DDR mehr Spielraum zur freien Auf der Grundlage unserer festen Verankerung Betätigung einräumen müssen. Sie konnte sich ei- im westlichen Bündnis und mit der Zielsetzung, den ner Öffnung gegenüber der Geschichte nicht weiter Menschen in der DDR zu Erleichterungen zu ver- verschließen und hat deshalb das Spektrum der helfen, sollten wir neben der Behutsamkeit gegen- Traditionsanlässe zugunsten von Personen und über den Risiken auch Offenheit für die Chancen Vorgängen der deutschen Geschichte ausgeweitet, einer verstärkten deutsch-deutschen Zusammenar- die beide Staaten in gleicher Weise betreffen. Und beit erkennen. die sozialistische Nation wird nicht mehr in bewuß- ter Abkehr von der deutschen Nation definiert. Ich Meine Damen und Herren, damit Berlin seine na- finde, das ist ein wichtiger Fortschritt bei dem ge- tionalen Aufgaben erfüllen kann, muß es in enger meinsamen Anliegen, das hier in diesem Hause Zusammenarbeit mit dem Bund seine wirtschaftli- heute eine Rolle spielt. che und soziale Lebensfähigkeit langfristig sichern. Grundvoraussetzung für die künftige Lebensfähig- Die SED muß sich darum bemühen, den Lebens- keit Berlins ist dabei die Erneuerung seiner indu- standard der DDR-Bürger zu erhöhen und strebt striellen Struktur. Kennzeichen unserer Lage sind deshalb nach enger wirtschaftlicher Kooperation die menschlich nach wie vor bedrückende Arbeits- mit dem Westen. losigkeit und die noch nicht zufriedenstellende Vor- Die aus all dem resultierenden Ansatzpunkte für bereitung auf die wirtschaftlichen Prüfungen der eine Deutschlandpolitik, die den Interessen beider Zukunft. Wir teilen diese Schwäche mit anderen Seiten gerecht werden, müssen erkannt werden, Regionen in Deutschland. nach ihnen muß gehandelt werden. Es wäre aus Es sind heute vor allem die Gründerzentren der meiner Sicht zu begrüßen, wenn angesichts der Un- Industrialisierung in Europa, die sich der Mühe un- sicherheit unserer Zeit auch längerfristige Perspek- terziehen müssen, angegraute Produktionen durch tiven für die Beziehungen zwischen der Bundesre- zukunftssichere Technik und Erzeugnisse zu erset- publik Deutschland und der DDR entwickelt wer- zen: die englischen Industriereviere, die Stahl- und den könnten, damit jede Seite genau weiß, woran Kohleindustrie im wallonischen Teil Belgiens, das sie ist. Das lang- und mittelfristige Interesse der Ruhrgebiet und Berlin. Wenn wir Vergleichsmaß- DDR ist dabei maßgebend von der Abhängigkeit stäbe besäßen, müßten wir sicher auch für Sachsen ihrer Planwirtschaft von langfristigen Vorgaben be- als dem neben dem Ruhrgebiet und Berlin dritten stimmt. Es bietet aber auch für uns Chancen. Die deutschen industriellen Gründerzentrum eine ähn- andere Seite jedenfalls ist an längerfristigen Per- liche Diagnose stellen. spektiven interessiert — und wir auch. Diese Krise wird in beschäftigungspolitischer Warum sollte es nicht möglich sein, mit der DDR Hinsicht dadurch verschärft, daß sie auf hohem eine langfristig angelegte wirtschaftliche Koopera- Produktionsniveau verläuft und vor dem Hinter- zu verabreden und mittelfristig Projekte in An- tion grund eines verschärfte Rationalisierungen erzwin- griff zu nehmen, die ein besonderes wirtschaftli- genden weltweiten Wettbewerbs gemeistert werden ches Interesse der DDR berühren, beispielsweise muß. Unsere wirtschaftspolitischen Beiträge aus die Verbesserung der Verkehrswege von und nach Berlin zur Überwindung dieser Situation sind in Berlin? Dabei, Herr Kollege Vogel, muß man nicht den folgenden Rahmen eingefügt: bewährte Instrumente verlassen, sondern dabei kann und muß man auf dem Berliner Abkommen Berlin leistet seinen ihm möglichen Beitrag zur aus dem Jahre 1951 aufbauen. So können ohne Ge- Belebung der Konjunktur, und zwar vor allem fährdung diese Versuche einer langfristig angeleg- durch einen investiven Staatshaushalt. Arbeitsbe- ten Kooperation im wirtschaftlichen Bereich voran- schaffungsmaßnahmen, Ausbildung und Flexibilität getrieben werden — und das alles, wenn in diesem der Arbeitszeitregelung schaffen flankierend kurz- Gesamtzusammenhang, z. B. mit einem fest verein- fristige Abhilfe. Wir betreiben eine aktive Industrie- barten Stufenplan, die Erhöhung und Ausweitung politik, die auf die Schaffung zukunftssicherer Ar- des Mindestumtausches zurückgenommen, Reiseer- beitsplätze ausgerichtet ist. Zur Ausfüllung dieses Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4191

Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin) Rahmens durch den Berliner Senat möchte ich ei- stärker aufeinander zu beziehen und den Technolo- nige Anmerkungen machen. gietransfer zu erleichtern. Die Konsolidierung des Haushaltes besaß und Es war in der Vergangenheit — gerade in diesem besitzt höchste Priorität, um Handlungsspielraum Zusammenhang muß das gesagt werden — viel zu- zurückzugewinnen, um die Fesseln eines mittelfri- viel von den unbestreitbaren Standortnachteilen stigen Finanzierungsdefizits von über 3 Milliarden Berlins die Rede. Wir in Berlin wollen uns stärker DM abzustreifen. Sämtliche seit 1981 beschlossene auf die Standortvorteile der Stadt besinnen, denn Berliner Haushalte weisen in den investiven Ausga- Berlin hat Standortvorteile, gerade durch die Mög- ben ein überdurchschnittliches Wachstum aus. Das, lichkeiten der Zusammenarbeit von Wirtschaft und meine Damen und Herren, soll und wird auch in Wissenschaft, durch eine leistungsfähige Arbeit- den kommenden Jahren so bleiben. nehmerschaft und durch leistungsfähige Zuliefer- betriebe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich berichte hier über die Lage der Berliner Staatsfinanzen auch im Bewußtsein einer im Ver- Meine Damen und Herren, das wurde vor kurzem gleich zu anderen Ländern gesteigerten Berliner auch sehr deutlich. Am 1. März wurde in Anwesen- Rechenschaftspflicht. Die gesetzliche Verpflichtung heit des Bundeskanzlers in Berlin ein BMW-Mo- zur Bundeshilfe, die Berlin stärker sichert, als das torradwerk eingeweiht. Der Vorsitzende des BMW- System der Dotation und Mischfinanzierung bei an- Vorstandes, Eberhard von Kuenheim, hat dazu er- deren Ländern es vermag, korrespondiert mit der klärt: Verpflichtung zu einem geradezu treuhänderischen Unsere Entscheidung für Berlin hat politische Haushaltsverständnis. Dimension, aber sie ist ganz wesentlich auf wirtschaftliche Erwägungen abgestellt. Diese Unsere vertrauensvollen finanzpolitischen Be- Zuversicht bezieht die Wirtschaftskraft und ziehungen zum Bund gründen wir auf drei Elemen- den Leistungswillen Berlins mit ein. Berlin ist te: erstens die Solidität der Haushaltspolitik in Ber- nicht zuletzt wegen seiner geistigen Infrastruk- lin selbst, zweitens die Verstetigung der Bundeshil- tur ein geeigneter Standort für innovations fe, um berechenbar planen zu können, und drittens orientierte Investitionen. Verläßlichkeit beim Vereinbarten. Das hat zu der Standortentscheidung von BMW Dabei sehen wir Verstetigung und Verläßlichkeit geführt, und wir hoffen, daß weitere Unternehmen in einem fairen, in einem gegenseitigen Bedin- dem Beispiel BMW folgen und daß auch und vor gungsverhältnis. Der Bund muß sich darauf verlas- allem Bundesunternehmen, sen können, daß Berlin nicht etwa aus einer Nach- schlagsmentalität heraus handelt. Die Deckung der (Feilcke [CDU/CSU]: Richtig!) Kosten für unabweisbare neue politische Aufgaben die dies bisher offensichtlich viel zuwenig in ihre muß es zunächst aus eigenen Kräften versuchen. Es Überlegungen mit einbezogen haben, verstärkt die dürfen nicht nachgeschobene alte Wünsche, son- Standortvorteile Berlins erkennen. dern es müssen nachweislich neue Anforderungen sein, wenn Berlin den Wunsch nach Modifikation (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einer bereits festgesetzten Bundeshilfe einbringt. Meine Damen und Herren, ich drücke das einmal Dies wird allerdings um so zuverlässiger gelingen, kurz aus: Berlin rechnet sich. Das ist die Grundlage je stetiger und je berechenbarer für den Senat und für Investitionsentscheidungen, und das müssen das Berliner Abgeordnetenhaus auch die Entwick- vor allen Dingen die Bundesunternehmen als Vor- lung der Bundeshilfe verläuft. bilder begreifen. Das Entscheidende zur Belebung unserer Wirt- Meine Damen und Herren, wir blicken durchaus schaft aber bleibt die Lösung der langfristigen optimistisch auf die bevorstehende Berliner Wirt- Strukturprobleme. Arbeitsplätze mit veralteter schaftskonferenz. Vorhin ist bereits von den beiden Technologie sind auf Dauer nicht zu halten. Jeder- Wirtschaftskonferenzen die Rede gewesen. Ich sage mann weiß eben inzwischen, daß die Verschleppung sehr deutlich: Die erste war, gerade weil sie eine einer Krankheit die schlechteste Therapie ist. Nur Trendwende in der Berliner Wirtschaftsentwick- durch die rechtzeitige Einführung neuer Techniken lung eingeleitet hat, ein wesentlicher Erfolg. Die und neuer Produkte werden Arbeitsplätze im gan- bevorstehende Berliner Wirtschaftskonferenz, die zen sicherer. Gerade unseren Arbeitnehmern sind unter Leitung des Bundeskanzlers durchgeführt wir deshalb auch Erneuerung schuldig. werden wird, wird weitere Impulse für die Moderni- sierung unserer Wirtschaftsstruktur geben. Deswegen betreibt der Berliner Senat eine aktive Industriepolitik, die auf den Zuwachs von Produkti- Wir Berliner danken jedenfalls dem Bundeskanz- vität ausgerichtet ist. Aber, meine Damen und Her- ler für sein entschiedenes Engagement -für Wirt- ren, es sind die Unternehmen selbst, die die Erneue- schaft und Arbeitsplätze in Berlin. rung leisten müssen. Der Staat kann dabei helfen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) — mehr, als er es im vergangenen Jahrzehnt getan hat. Dabei bleibt der Berliner Wirtschaftsraum auf die Herstellung chancengleicher Rahmenbedingungen Die Berliner Wirtschaftspolitik geht von dem angewiesen. Wir brauchen also die Schleuse der Grundgedanken aus, Wirtschaft und Wissenschaft Berlinförderung, um eine Tieflage auszugleichen, 4192 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Regierender Bürgermeister Diepgen (Berlin) die Berlin durch seine besondere Situation aufge- anderen Seite. Wir werden lesen, nachdenken, zwungen worden ist. Aber, meine Damen und Her- wechselseitig lernen und uns gegenseitig befruch- ren, für volle Fahrt voraus sind wir dann selbst ver- ten, so, daß diese 750-Jahr-Feier eine gemeinsame antwortlich. Und das werden wir in Berlin dann nationale Veranstaltung werden kann. auch meistern. Weite Teile Berlins, meine Damen und Herren, (Beifall bei der CDU/CSU) und maßgeblich durch Berlin beide Teile Deutsch- lands sind wie in einem System kommunizierender Meine Damen und Herren, ich danke deshalb der Röhren trotz der Gegensätzlichkeit der Gesell- Bundesregierung und den Fraktionen des Bundes- schaftssysteme, die wir auch nicht verschleiern wol- tages für die großen gemeinsamen Anstrengungen len, gesellschaftlich verbunden geblieben. Zur der Reform des Berlinförderungsgesetzes. Die Not- gleichen Zeit brennen uns dieselben Fragen auf den wendigkeit zu dieser Reform hat in Berlin und in Nägeln. Im Westen wie im Osten werfen junge Men- Bonn ein Zusammenwirken über Parteigrenzen schen dieselben Fragen auf. Nicht alle, aber viele hinweg bewirkt. Sie ist als Gemeinschaftsaufgabe der Nabelschnüre zwischen beiden Teilen Deutsch- verstanden worden. Das hat uns in Berlin sehr ge- lands laufen durch Berlin. Berlin, meine Damen holfen. Erste Zeichen der Besserung durch die Mo- und Herren, ist stolz darauf, ein wesentliches Stück dernisierung unserer Wirtschaft werden auch sicht- der Hoffnung der Deutschen für eine gemeinsame bar. So hat das DIW dem Senat gerade erst am Zukunft tragen zu können. 7. März in einem Gutachten bescheinigt, daß die re- gionalen Maßnahmen und auch die ergänzenden (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und regionalen Maßnahmen greifen und die Entwick- der FDP) lung der Berliner Wirtschaft als positiv einge- schätzt werden kann. Wir sind also auf dem richti- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- gen Weg. ordnete Dr. Diederich (Berlin). (Vorsitz: Vizepräsident Westphal) Dr. Diederich (Berlin) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren, wirtschaftliche und Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bür- soziale Fragen sind dabei eng miteinander ver- germeister, gutem Brauch in diesem Hause ent- knüpft. Die notwendige Konsolidierung der Staats- sprechend möchte ich Ihnen zu Ihrer Jungfernrede finanzen hat dabei dazu geführt, daß im sozialen vor diesem Hause gratulieren. Aber Sie werden es Bereich Prioritäten gesetzt werden mußten, insbe- mir nicht verargen, wenn ich diese Gratulation mit sondere auch von Ihnen, aber auch in allen Län- dem festen Wunsch und Willen verbinde, daß das dern. Gerade wir in Berlin wissen, daß es in unse- die letzte Rede zur Lage der Nation sein möge, die rem Gemeinwesen unverändert Hilfsbedürftige Sie in dieser Eigenschaft gehalten haben. gibt, denen auch in Zeiten geringer werdender öf- fentlicher Mittel ausreichend geholfen werden (Beifall bei der SPD — Zurufe von der muß. CDU/CSU — Feilcke [CDU/CSU]: Ein Ka lauer jagt den anderen! — Werner [CDU/ Ich nenne nur ausschnitthaft einige Fakten, mit CSU]: Das ist schäbig, wie Sie das ma denen wir in Berlin im sozialen Bereich konfron- chen!) tiert sind. In 20% aller Familien mit Kindern ist nur ein Elternteil vorhanden. Im Bundesdurchschnitt Berliner Regierende Bürgermeister haben in die- sind es nur halb soviel. In Berlin beträgt der Anteil ser Debatte zur Lage der Nation oft das Wort ergrif- der Einpersonenhaushalte über 50 %, im Bundes- fen. durchschnitt dagegen nur 31 %. In Berlin schließlich (Zuruf von der CDU/CSU: Und manche gar liegt der Anteil der älteren Mitbürger über 65 Jah- nicht!) ren bei über 20 %, im Bundesdurchschnitt bei 15%. Sehr oft hatten diese Reden eine besondere Bedeu- Wir jedenfalls spüren aus diesen Fakten, die ich tung. Ich denke dabei insbesondere an eine der letz- hier nenne, eine besondere Verantwortung in Ber- ten Reden Richard von Weizsäckers, in der er, noch lin. Sie verpflichtet, die Grenze der Belastbarkeit vor dem Regierungswechsel, ein Bekenntnis zur der schwachen Gruppen in unserer Bevölkerung Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition ab- genau im Auge zu behalten. Für manche ist sie gelegt hat. bereits erreicht. Wir Sozialdemokraten sind befriedigt, daß nicht Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum nur die Bundesregierung, sondern auch der Berli- Schluß eine Bemerkung zur 750-Jahr-Feier machen. ner Senat in Kontinuität an die von uns gelegten In Berlin beginnen wir uns auf die 750-Jahr-Feier Grundlagen anknüpft und auf ihnen aufbaut. Und unserer Stadt im Jahre 1987 zu rüsten, in Berlin ich sage das ganz persönlich: Neidlos erkennen wir (Ost) wie in Berlin (West). Wir wissen, eine gemein- an, daß unter veränderten Umständen und bei ver- same Feier ist bei diesem Jubiläum noch nicht wie- änderter Interessenlage der Beteiligten heute- man- der möglich. Wir haben Kontakte mit den Verant- ches möglich geworden ist, was uns auf Grund der wortlichen in der DDR aufgenommen, um uns gegebenen weltpolitischen Situation noch nicht ge- wechselseitig die Vorbereitungen und die Durch- lingen konnte. führung zu erleichtern. Aber wenn wir auch ge- Doch ich möchte zum eigentlichen Kern der Be- trennt feiern werden, werden wir an unseren Feiern deutung Berlins für die Lage der Nation insgesamt, wechselseitig teilhaben. Unsere Planungen werden für die Zukunft Deutschlands kommen. Berlins Be- veröffentlicht werden ebenso wie die Vorhaben der deutung liegt darin, daß in Berlin die Probleme Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4193

Dr. Diederich (Berlin) Deutschlands sichtbar bleiben und sichtbar ge- Wenn der Schwund privatwirtschaftlicher Ar- macht werden, daß in Berlin und um Berlin aber beitsplätze in Berlin weitergeht wie in den letz- auch die Chancen für künftige Entwicklungen auf- ten Jahren, können wir in außenpolitische Pro- gezeigt werden. bleme schlittern, die niemand seriös kalkulie- ren, vielleicht auch nicht beherrschen kann. Und hier, Herr Kollege Schneider, gestatten Sie Über zwei Jahrzehnte vielfältigster Erfahrun- mir ein Wort. Ich fand es doch höchst verwunder- gen mit dem Instrumentarium der Berlin-För- lich, daß Sie als Berliner Abgeordneter in ihrer derung zwingen zu der Schlußfolgerung, daß 30minütigen Rede nicht ein einziges Wort über die selbst mit viel Geld und hochkarätigen Wirt- Bedeutung Berlins verloren haben, wo Sie doch ge- schaftskonferenzen an der Spree nicht genug rade über den Zusammenhalt und die Zukunft der getan ist. Auch mit einer verstärkten Aufklä- Teile Deutschlands gesprochen haben. rung über die politischen Zusammenhänge (Werner [CDU/CSU]: Sie haben wohl nicht wird man keinen ausreichenden Widerhall im zugehört!) Bewußtsein der Investoren erreichen, daß Ber- — Nun, dann war es aber sehr dürftig, wenn er dazu lin in der Tat der sicherste Ort in Europa ist. etwas gesagt hat; es ist mir jedenfalls nicht aufge- Entscheidend sei, meint Reuter schließlich, „ob wir fallen. alle — Staat, Unternehmungen, Gewerkschaften — Meine Damen und Herren, ich sagte, daß in Ber- in einer großen Konzentration der Kräfte Mittel fin- lin und um Berlin aber auch die Chancen für künf- den, diese nicht mehr nur leise tickende Zeitbombe tige Entwicklungen aufgezeigt werden. Ost-Berlin zu entschärfen". wird, wie wir alle wissen, mehr und mehr als Haupt- Und dies ist die wahre Situation Berlins. Was stadt der DDR in die DDR integriert und nimmt wird denn getan? eine interessante Entwicklung, wie man auch am städtebaulichen Gesicht erkennen kann. Dennoch, (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Was hat noch immer und immer wieder erneut ist das Ge- denn die SPD getan? Sie hat doch einen fälle zwischen West-Berlin und Ost-Berlin für jeder- Scherbenhaufen in Berlin hinterlassen!) mann erkennbar. Da entzieht der niedersächsische Ministerpräsident Wir Sozialdemokraten haben uns über Jahr- um der Einsparung von 240 000 DM im Jahr willen zehnte erfolgreich bemüht, den westlichen Teil der einem nach 1961 von allen Bundesländern gegrün- deutschen Metropole Berlin zum geistigen, zum deten Institut, dem wohlrenommierten Schulbauin- kulturellen, zum wirtschaftlichen und sozialen Zen- stitut, die Lebensgrundlage. trum dieser Republik und ganz Deutschlands zu Da mußten wir vor einiger Zeit um das Überleben machen. Wir haben uns bemüht, sie zu einer Stadt der Zweigstelle des Instituts für Film und Bild in der studierenden Jugend, der Arbeitnehmer, des Wissenschaft und Unterricht kämpfen, weil die Aufbruchs und der Liberalität zu gestalten. Was wir Bundesländer beschlossen hatten, die Berliner heute, nach drei Jahren konservativer Regierung, Zweigstelle zu schließen. vorfinden, ist eine Stadt der sozialen Probleme, der Da schließt der Senat einen Grenzübergang zwi- Illiberalität, der Bevormundung und der wirtschaft- der mit der lichen Schrumpfung. schen West-Berlin und Ost-Berlin, S-Bahn erreichbar ist, ohne Not, weil er es nicht (Lachen und Zurufe bei der CDU/CSU) verstanden hat, der Bundesregierung die deutsch- — Herr Kollege Schulze und Herr Feilcke, wenn Sie landpolitische Bedeutung der Übernahme der S- schreien, dann wiederhole ich: Was wir heute, nach Bahn deutlich zu machen und weil er sich vom drei Jahren konservativer Regierung, vorfinden, ist Bund zwingen läßt, die Kosten für dieses bedeu- eine Stadt der sozialen Probleme, der Illiberalität, tungsvolle Nahverkehrssystem, das einer der weni- der Bevormundung und der wirtschaftlichen gen gesamtdeutschen Restbestände war, aus dem Schrumpfung. Berliner Haushalt und der allgemeinen Berlin-Hilfe zu finanzieren. (Lenzer [CDU/CSU]: Das glauben Sie sel ber nicht! — Werner [CDU/CSU]: Durch die (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Das ist nicht Wiederholung wird es nicht richtiger!) zu fassen, was Sie da sagen!) Die nationale Funktion Berlins kann jedoch nur Und aus den gleichen Gründen stellte er das über- erfüllt werden, wenn eine gesunde wirtschaftliche nommene Verkehrssystem überwiegend ein. Es und soziale Struktur vorliegt. wird jetzt schrittweise wieder in Betrieb genom- men, Herr Regierender Bürgermeister. Warum? Auf (Feilcke [CDU/CSU]: Herr Diederich, hat Grund des nicht nachlassenden öffentlichen Pro- Herr Vogel Ihnen wirklich gesagt, daß Sie tests. nur so Madigmachendes sagen dürfen?) (Dolata [CDU/CSU]: Sie Zauberer!)- Ich beziehe mich auf Edzard Reuter, den engagier- Und da bescheidet sich der Berliner Senat mit der ten Unternehmer und zitiere ihn: Entscheidung des Bundeskanzlers, daß das ge- Und schließlich gibt es für mich neben all den plante Geschichtsmuseum in Berlin, eine wahrhaft Aufgaben, über die immer in der Öffentlichkeit nationale Aufgabe — auch Sie haben das j a ge- mit einem gewissen Kraftaufwand diskutiert sagt —, auf eine Darstellung der Vergangenheit ver- wird, eine Herausforderung, die bisher kaum wiesen wird, weil die Darstellung der Zeitge- jemand von uns in ihrer Brisanz erkannt hat. schichte einer wohldotierten Parallelgründung in 4194 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Diederich (Berlin) nicht mehr provisorischen Hauptstadt Bonn vorbe- Die Wirtschaftskonferenz von 1982, großartig me- halten wird. dienwirksam angelegt, hat gerade einmal so viele Berlin braucht die Hilfe des Bundes und die Soli- Arbeitsplätze in Aussicht gestellt, wie allein bei der darität aller Deutschen. Aber Berlin darf nicht zur AEG im gleichen Jahr verlorengingen. musealen Erinnerung an die Vergangenheit herab- (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Nicht zu fas sinken. sen! So eine Rede vor dem Deutschen Bun (Beifall bei der SPD) destag zu halten schadet der Stadt Berlin! Unglaublich! Unglaublich!) Berlin muß der Hoffnungsträger für die Zukunft Deutschlands werden. Das nebenbei. Nur ein kleiner Teil dieser Verspre- (Beifall bei der SPD — Feilcke [CDU/CSU]: chen wurde verwirklicht. Darum sind Sie so ein Madigmacher!) Es reicht nicht, auf die Selbstheilungskräfte des Wie ist denn die Lage in Berlin wirklich? Die Marktes zu setzen. Es reicht nicht, mit vagen Hoff- Situation ist bedrohlich. Sie ist es nicht, was die nungen und Zukunftsträumen zu vertrösten. Es äußeren Bedingungen betrifft. Dort haben wir muß konkrete gezielte gesellschaftspolitische Akti- heute eine ruhige, konstruktive und kooperative vität unter Führung des Senats mit Stützung der Stimmung. Berliner Sozialdemokraten haben 1983 Bundesregierung in Berlin erfolgen, um diese Stadt zum ersten Mal wieder kommunalpolitische Kon- lebensfähig zu halten. Was geschieht und was ge- takte mit Ost-Berlin aufgenommen und weitgehend schehen ist, ist zu wenig. vertieft. Hans-Jochen Vogel hat in seiner kurzen Amtszeit als Regierender Bürgermeister Zeichen (Feilcke [CDU/CSU]: Mehr Niveau, Herr gesetzt Professor, bitte! Sie sind hier nicht in der Hochschule!) (Lachen bei der CDU/CSU — Feilcke [CDU/CSU]: 167 besetzte Häuser hat er Meine Damen und Herren, wir bedauern auch, hinterlassen!) daß der Herr Regierende Bürgermeister die Inter- mit der Rückgabe der Schloßbrückenfiguren. Sie essenlage Berlins im Bundesrat nicht hinreichend können sie auf der dem Berliner Dom zugewandten zum Ausdruck gebracht hat, als es um die knall- Seite der Schloßbrücke bereits in alter Pracht be- harte Sparpolitik der Bundesregierung ging. Im Ge- wundern. Und das sind Dinge, die bleiben. genteil, er hat die Effekte des Sozialabbaus noch verstärkt. Was er hier dazu gesagt hat, war doch Wir begrüßen hier auch Ihre Initiativen, Herr Re- eine Beschönigung, eine Verschleierung der realen gierender Bürgermeister, in Hinsicht auf die Kon- Situation. Deswegen, Herr Kollege Feilcke, muß takte mit der DDR. Wir halten diesen Konsens für man das hier wohl auch sagen dürfen. eine Selbstverständlichkeit, (Feilcke [CDU/CSU]: Nur wenn es (Feilcke [CDU/CSU]: Ein Diederich zum stimmt!) Rückschritt!) der allerdings in der Vergangenheit oft durch die Gehen Sie hin, hören Sie die Äußerungen unserer Polemik Ihrer Parteifreunde gestört wurde. Bürgermeister in den Problembezirken. Ich erin- nere mich an das, was Erika Hess, unsere Weddin- (Beifall bei der SPD) ger Bürgermeisterin, mir vor wenigen Tagen gesagt Aber ich sage, ich begrüße das. Sie haben gelernt. hat. Sie haben an unsere Grundlagen angeknüpft. (Feilcke [CDU/CSU]: Eine von zwei SPD- Ich sage noch einmal: Bedroht ist Berlin nicht Bürgermeistern! Deswegen ist es auch ein von außen. Berlin ist bedroht von innen in seiner Problembezirk!) Lebensfähigkeit. Sie sprach von der verheerenden und schockieren- (Feilcke [CDU/CSU]: Auch durch Leute wie den Situation, die sich im Sozialbereich darstellt. In Sie!) den Fluren der Sozialämter gibt es unbeschreibli- Lassen Sie mich Stichworte sagen, denn ich habe che Szenen, es herrscht Aggressivität, Frustration, nicht fast 40 Minuten wie der Regierende Bürger- verlorene Hoffnung. Was ist das für ein Senat, der meister. zuläßt, daß wir in Berlin weit über 150 000 Sozialhil- feempfänger haben? Was ist das für eine Politik, die (Hauser [Krefeld] [CDU/CSU]: Das ist auch zuläßt, daß jeder zehnte Jugendliche in der Stadt gut so!) auf das Notnetz Sozialsystem angewiesen ist? Was Die Arbeitslosenzahl in Berlin hat sich seit dem ist das für eine Stadt, wo das Sozialnetz nicht enger Amtsantritt des CDU-Senats mit den Regierenden geknüpft wird, sondern wo immer neue Löcher- in Bürgermeistern von Weizsäcker und Diepgen ver- dieses Netz gerissen werden? doppelt und liegt jetzt bei rund 80 000. (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: Es ist nicht Das industrielle Standbein der Stadt ist brüchig zu fassen! — Feilcke [CDU/CSU]: Wie posi geworden. Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze tiv!) hat sich seit Anfang der 70er Jahre halbiert. Sie hat sich beschleunigt verringert seit ihrer Amtszeit und Meine Damen und Herren, die Sozialpolitik des beträgt heute nur noch 150 000. Bundes bedeutet in einer Stadt mit der Struktur Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4195

Dr. Diederich (Berlin) wie Berlin, daß ein Heer von Menschen neu an den hut des Harry Ristock oder aus der Vorhut des Rand des Existenzminimums gebracht wird. . Das müßte ja wohl noch zu klären sein. (Feilcke [CDU/CSU]: Man muß Ihre Rede (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wirklich einem breiten Publikum zugäng lich machen!) Ganz im Ernst, Herr Kollege Diederich, denjeni- gen, die sich um Berlin politisch Mühe geben — das Meine Damen und Herren, ich will nicht von vie- haben alle Fraktionen und alle Regierungen, die len anderen Punkten sprechen, sondern möchte fol- dieses Haus getragen hat, getan —, wird mit einer gendes zusammenfassend sagen. Der Berliner Se- solchen Rede, wie Sie sie hier gehalten haben, im nat stolpert ohne Konzeption, ohne berlinpolitische Interesse Berlins der schlimmste Bärendienst er- Perspektive in Abenteuer hinein. wiesen, den ich in diesem Hause je gehört habe. (Werner [CDU/CSU]: Sie sprechen von dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vorletzten Senat!) Sie können durchaus in einigen Punkten — das ist Er übernimmt ein einstmals vorbildliches Nahver- Ihr gutes Recht, und vielleicht gibt es durchaus An- kehrssystem von der DDR, nicht um es zu renovie- laß — Kritik an der Arbeit, an den Ergebnissen des ren und weiter zu betreiben — ich bestätige übri- derzeitigen Senats üben. Warum denn nicht? Der gens, daß die Art, wie Sie das gemacht haben, wird auch nicht alles richtig machen. Aber wenn Sie durchaus Anerkennung verdient, Sie haben es per- sich hier herstellen und von einem Bild von Illibera- fekt ausgehandelt —, sondern um es einzustellen lität und Intoleranz, von Bevormundung, von Unter- und in weiten Teilen stillzulegen. Dabei haben Sie, gang, von Mief, von konservativem Ersticken spre- wie ich bereits sagte, auch noch Verbindungen zwi- chen, dann ist dies genau gegen alles das gerichtet, schen Ost und West abgeschnitten. Was ist denn was wir tun wollen, um Arbeitsplätze nach Berlin getan worden, um der Bundesregierung deutlich zu zu bringen, um Investitionen nach Berlin zu brin- machen, daß die S-Bahn deutschlandpolitische Be- gen, um den politischen Ruf dieser Stadt in Ord- deutung hat? Sie, Herr Regierender Bürgermeister, nung zu bringen. Ich fordere Sie auf, einmal ein können dabei nicht auf Ihren Vorgänger verweisen, Gespräch mit dem von Ihrer Partei schmählich be- denn Sie haben diesem, der sich bekanntermaßen handelten Kollegen Stobbe in Berliner Sachen zu wenig um Details gekümmert hat, von der Position führen, damit Sie wissen, wo die Ursachen für die des Fraktionsvorsitzenden der CDU, der größeren Berliner Entwicklung hergekommen sind: von Ih- Regierungspartei aus, Kärrnerarbeit geleistet. nen und von Ihrer Partei, Herr Kollege Diederich. (Feilcke [CDU/CSU]: Es ist unglaublich!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Der Senat ist mit Ihrer Regierungserklärung und auch mit Ihrer Erklärung hier „ein später Nachfol- Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß Sie Herrn ger Potemkins". Dieses Zitat stammt übrigens nicht Reuter hier zutreffend zitiert haben, kann ich nur von mir, sondern aus der altväterlich konservativen sagen, daß der für seine berufliche Qualifikation Tageszeitung „Der Tagesspiegel". Was uns heute in besser gerüstet ist als für die politische Beurteilung Berlin begegnet, ist Nichtstun in der Wirtschaftspo- der Berliner Situation. litik, ist Versagen in der Sozialpolitik, ist Abbau von (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist Liberalität und Toleranz, Verschlechterung der Um- wieder ein echter Lambsdorff!) weltsituation, Perspektivlosigkeit in allen Berei- chen. — Ja, sicher, das ist eine echte und deutliche Ant- wort, Frau Däubler-Gmelin. Wir beide sind uns ja (Feilcke [CDU/CSU]: Und in dieser an Offenheit der Sprache gegenseitig bisher nichts schrecklichen Stadt müssen Sie armer schuldig geblieben. Das werde ich auch heute nicht Kerl leben!) tun. Aus der berühmten Berliner Luft, Herr Feilcke, ist (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nach drei Jahren CDU-Regierung Mief geworden! Wir stellen jedenfalls eines fest — das habe ich in Ich mußte dies hier sagen, es tut mir sehr leid. nunmehr sechs Jahren Arbeit als Vorsitzender der (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Konferenz der Berlin-Beauftragten festgestellt —, CDU/CSU) daß sich das wirtschaftliche und politische Klima Berlins, daß sich das Ansehen der Stadt in der Welt, daß sich die Anziehungskraft der Stadt auf wirt- Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- schaftliche Investitionen, auf neue Technologien minister für Wirtschaft. und damit auf fundierte und qualifizierte Arbeits- plätze durch das Bemühen aller Beteiligten, aller Fraktionen dieses Hauses, durch sehr viel Geld aus Dr. Graf Lambdorff, Bundesminister für Wirtschaft: der Bundesrepublik, in einer Weise verbessert hat, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! daß jedenfalls die Urteile, die der Kollege Diederich- Meine Herren! Ich habe soeben noch einmal in den hier abgegeben hat, ein Zerrbild darstellen und politischen Kalender der Abläufe dieses Jahres ge- nicht der Wirklichkeit entsprechen. sehen: Die Wahlen in Berlin finden am 10. März 1985 statt, und dies war wohl ein etwas verfrühter (Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist ja wohl Auftakt, den Herr Kollege Diederich hier geboten ein Witz!) hat. Ich frage mich nur, als wessen Minenhund — Wenn Sie, Herr Kollege Ehmke, dies als Witz Herr Diederich hier aufgetreten ist: aus der Nach bezeichnen, dann sage ich Ihnen, ich habe in die- 4196 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundesminister Dr. Graf Lambdorff sem Hause schon sehr viel bessere Witze gehört als Ich bin, meine Damen und Herren, ohne Illusio- diesen miserablen, den Herr Diederich vorgetragen nen und ohne Euphorie nach Leipzig gefahren. Ich hat. bin allerdings mit der Erwartung dorthin gereist, daß gute und sich verbessernde wirtschaftliche Be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — ziehungen und Kontakte nach wie vor eine tragfä- Zurufe von der SPD) hige Grundlage auch für die politischen Beziehun- Meine Damen und Herren, ich habe es für not- gen in einer gewiß nicht leichten weltpolitischen wendig gehalten, nach diesen Ausfällen gegen Ber- Großwetterlage zwischen Ost und West darstellen. lin — anders kann ich sie nicht verstehen — einige Diese Auffassung ist während meines Aufenthalts klärende Worte aus der Sicht der Bundesregierung erneut bestätigt worden. dazu zu sagen. Die Gespräche, die ich nach dem Treffen am Wer- bellinsee nun zum zweitenmal mit dem Staatsrats- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — vorsitzenden Honecker und zum sechstenmal mit Zurufe von der SPD) Politbüromitglied Dr. Mittag hatte, werden heute — Ausfälle gegen Berlin, Herr Diederich, damit Sie ganz anders als früher geführt. Aber niemand sollte es klar hören und klar verstehen. diese offene, sachliche, konstruktive Atmosphäre falsch interpretieren. Wir haben unsere unter- (Zurufe von der SPD) schiedlichen Meinungen und politischen Grund- satzanfragen nicht verklebt und verkleistert. Ich Meine Damen und Herren, über die Lage der Na- habe dies in meinem Gespräch Herrn Honecker ge- tion wird heute nicht nur im Deutschen Bundestag genüber ausdrücklich betont. Die DDR-Führung gesprochen. Über die Lage der Nation, über das verfolgt keine Sonderwege im Warschauer-Pakt-Sy- Verhältnis zwischen den beiden Staaten und den stem. Die Bundesrepublik Deutschland steht fest zu Menschen in Ihnen, über gesellschaftliche, wirt- den politischen Prinzipien der NATO. Sie betreibt schaftliche, kulturelle Aspekte ihres Nebeneinan- keine Sonderpolitik in unserem Bündnis. Jeder ders und ihrer Zusammenarbeit kreisen in diesen weiß das vom anderen, und keiner will den anderen Tagen auch zahlreiche Gespräche in der DDR. Mir davon abbringen. erscheint es — nicht nur deswegen übrigens — an- gebracht, Ihnen hier einen kurzen Bericht über Dennoch hat sich meine Überzeugung gefestigt, meinen Besuch auf der Leipziger Messe und über daß auch die Verantwortlichen in Ost-Berlin wie wir daran interessiert sind, zumindest die wirt- meine Gespräche mit den Herren Honecker und schaftlichen Beziehungen zwischen unseren Staa- Mittag sowie anderen Vertretern der DDR-Wirt- schaftspolitik zu geben. ten auszubauen. Herr Honecker hat das deutlich zu erkennen gegeben, und das trifft sich mit unseren Ich darf eine Bemerkung zuvor machen. Es hat in eigenen Überlegungen. Er hat es auch deutlich ge- unseren Zeitungen in den vergangenen Tagen eine macht durch die nach meinen Informationen von Menge von kritischen bis amüsierten Bemerkungen ihm selbst getroffene Entscheidung, das soge- über die vielen politischen Leipzig-Besucher aus nannte VW-Geschäft politisch zu billigen. der Bundesrepublik gegeben, wenn wohl auch nicht Ich darf vielleicht an die Adresse des Fraktions- so sehr über die Visite des Bundeswirtschaftsmini- vorsitzenden der Sozialdemokraten, der vorhin das sters, der ja ein regelmäßiger Leipzig-Besucher ist. Stichwort „Wirtschaftsrahmenabkommen" genannt Überraschend war das wohl für viele, überraschend hat, sagen: Dieses Thema ist von keiner Seite er- auch die Beachtung, die diese Besucher in der DDR wähnt worden. Erfahrungen der letzten Jahre ha- gefunden haben. Ich stimme den daran gestellten ben wohl deutlich gemacht, daß beide Seiten es Fragen auch insoweit zu, als ich mir eine bessere nicht für vordringlich und aktuell halten. Koordination und Abstimmung dieser Reisen hätte vorstellen können. Aber abgesehen davon und abge- Wie hier sieht man in Ost-Berlin, daß die ökono- sehen von den speziellen Schwierigkeiten einer sol- mischen Verbindungen weitergehende, weiterrei- chen Abstimmung will ich doch kein Hehl aus mei- chende Wirkungen haben, die gewiß nicht verabso- ner Meinung machen: Es ist gut und es ist richtig, lutiert werden dürfen, aber daß sie das Zusammen- wenn viele Bürger aus der Bundesrepublik nach leben der Bundesrepublik und der DDR trotz aller Leipzig reisen. Wir haben das immer gesagt. Eben- politischen Gegensätze erträglicher machen. Wie sogut und richtig ist es, wenn viele Politiker das- hier hat man sich dort offensichtlich für einen prag- selbe tun, wenn sie Gespräche führen, Eindrücke matischen Ansatz entschieden, um auf diesem Weg sammeln und vermitteln, wenn sie von uns aus den weiterzukommen. Ich nenne nur die Stichworte deutsch-deutschen Verhältnissen ein Stück Selbst- Umweltschutzvereinbarungen, Kulturabkommen, verständlichkeit hinzufügen. Wenn diese Gespräche Abmachungen über die Zusammenarbeit in Wissen- vernünftig geführt werden, dann werden sie den schaft und Forschung, gegenseitige Ausstellungen. Beziehungen beider deutscher Staaten nützen. Ich Die DDR-Führung hat ein offensichtliches Inter- habe überhaupt keinen Zweifel, daß diese Treffen esse daran, daß zumindest praktische Lösungen ge- der vergangenen Tage alles in allem nützlich gewe- funden werden, wenn beiderseitige Statusüberle- sen sind, möglicherweise nicht nur für die Men- gungen umfassende Abkommen nicht oder noch schen in der DDR und der Bundesrepublik. Sie ha- nicht erlauben. Das entspricht der Auffassung der ben zumindest eindrucksvoll bewiesen, wie stark Bundesregierung, und an uns soll es nicht fehlen, unser Wille zu einem guten und reibungslosen Zu- um zu nutzbringenden Vereinbarungen zu kom- sammenleben der Deutschen in Ost und West ist. men. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4197

Bundesminister Dr. Graf Lambdorff Um aber keinen Irrtum aufkommen zu lassen: konjunkturelle Aufschwung bei uns in der Bundes- Statusfragen sind im Zusammenhang mit berlinpo- republik erleichtert eine solche Entwicklung auch litischen Fragen von allergrößter Bedeutung. Man- bei Bezügen aus der DDR. Unsere Bemühungen um ches Mal habe ich in letzter Zeit den Eindruck mehr Kooperationen zwischen der Bundesrepublik gehabt, der eine oder andere widmet ihnen nicht die und der DDR, um verstärkte Zusammenarbeit auf notwendige Aufmerksamkeit, geht nicht mit der dritten Märkten, um Lizenzproduktion haben sich notwendigen Detailkenntnis an dieses schwierige bereits ausgezahlt. Wir werden sie fortführen, und Geschäft heran. Jeden Zentimeter Boden, den wir wir haben dafür geeignete Gebiete benannt. Sie hier verlieren, verlieren wir auf Dauer. Deswegen werden auch in Ost-Berlin als ein erfolgverspre- sind Statusfragen nicht Kleinkrämerei, nicht proto- chender Ansatz aufgenommen; denn natürlich nüt- kollarischer Firlefanz, sondern wichtige politische zen sie beiden Seiten. Das ist eine pure Selbstver- Grundsätze. ständlichkeit. Einbahnstraßen würden auch im deutsch-deutschen Wirtschaftsverkehr schließlich (Zustimmung des Abg. Wolfgramm [Göttin nur in einer Sackgasse enden. gen] [FDP]) Diese prinzipiell positive Beurteilung der Zukunft Ich habe, meine Damen und Herren, in Leipzig beruht nicht zuletzt darauf, daß gerade im wirt- von der gegenseitigen Verläßlichkeit bei der Be- schaftlichen Bereich, aber dort nicht allein, in den handlung wirtschaftspolitischer Vorhaben gespro- vergangenen vier, fünf Jahren mehr bewegt und chen, die sich in den vergangenen Jahren herausge- erreicht worden ist als die meisten Beobachter — bildet hat und die inzwischen ihre Früchte trägt. und ich schließe mich selbst da durchaus ein — sei- Wir laufen da nicht utopischen Vorstellungen nach, nerzeit erwartet hatten. Das ist noch nicht genug, und wir verkennen nicht die Probleme, die sich im und das ist noch nicht ausreichend. Ich sehe voller alltäglichen Geschäftskontakt zwischen unseren Genugtuung, daß diese Meinung auch von der Füh- Firmen — vor allem den kleinen und mittleren un- rung der DDR geteilt wird. Wir haben das in Leipzig ter ihnen — und ihren Partnern in der DDR erge- mit Herrn Honecker, mit Herrn Mittag, mit dem ben. Die Bundesregierung wird sich alle Mühe ge- Außenhandelsminister Soelle offen diskutiert. ben, diese Schwierigkeiten zu lindern. Aber, was Keine Seite will sich da auf Erfolgen der vergange- wir in den vergangenen Jahren vereinbart haben, nen Jahre ausruhen. Jede Seite will, daß diese An- das haben wir auch gehalten. Selbst die professio- strengungen weitergehen — Anstrengungen, meine nellen Schwarzseher können nicht leugnen, daß Damen und Herren, die in der Bundesrepublik vor sich unser Wirtschaftsaustausch mit der DDR im allem Tausende von kleinen und mittleren Firmen vergangenen Jahr weiter positiv entwickelt hat, daß auf sich nehmen, Anstrengungen, von denen man wir ein Handelsvolumen von über 15 Milliarden nicht viel hört und viel liest, die aber keiner überse- Verrechnungseinheiten erreicht und damit eine Zu- hen sollte, der sich mit dem innerdeutschen Wirt- wachsrate erzielt haben, die höher ist als das schaftsverkehr beschäftigt. Ich habe das bei mei- Wachstum unseres Osthandels insgesamt und deut- nem Messerundgang in Leipzig wieder sehr beein- lich höher als unsere Handelsausweitung mit der druckend gespürt. Die tägliche Kleinarbeit ist oft übrigen Welt. Ich bin nach meinen Gesprächen zu- schwer, ist oft auch enttäuschender als der Aus- versichtlich, daß dieses Niveau 1984 und 1985 nicht tausch von wirtschaftspolitischen Zielvorstellun- nur gehalten, sondern weiter aufgestockt werden gen. Dennoch lohnt sich diese Arbeit, und die Zu- kann, daß sich auch die Struktur dieses Warenaus- kunft des innerdeutschen Handels wird heute eher tausches verbessern läßt. optimistischer betrachtet. Wir haben den hier enga- Die DDR-Führung denkt jetzt über ihren näch- gierten Firmen für ihre Arbeit zu danken; denn sten Fünf-Jahres-Plan ab 1985 nach. Sie beabsich- jedes Geschäft, das sie unter oft schwierigen Bedin- tigt nicht — so hat man mir versichert —, westdeut- gungen zustande bringen, dient nicht nur ihnen sche Lieferungen durch andere westliche Anbieter selbst, sondern dient auch dem Zusammenhalt der und Lieferanten zu ersetzen. Sie sieht natürlich die Bürger in beiden deutschen Staaten. Vorteile des innerdeutschen Handels, und sie wird (Beifall bei der FDP) sie nutzen. Auch deshalb ist die Annahme begrün- det, daß wir künftig auch wieder mehr Maschinen Dies ist im übrigen auch die Gelegenheit, hier und andere Investitionsgüter in die DDR liefern und heute den Mitarbeitern der Treuhandstelle für werden, bei denen es 1983 etwas gehapert hat. Die Industrie und Handel und des DDR-Ministeriums DDR weiß, daß sie da einiges nachzuholen hat. Al- für Außenhandel ein Wort der Anerkennung zu sa- lerdings, wir stehen auch hier in internationaler gen. Unbeachtet von der Öffentlichkeit — und das Konkurrenz. Nicht nur das Auftreten der Japaner muß so sein — haben Sie in Ihren regelmäßigen in Leipzig wirft ein Schlaglicht darauf, welch hefti- Zusammenkünften seit Jahren viele Hindernisse gem Wettbewerb wir uns zu stellen haben. aus dem Weg geräumt, die dieser Austausch notge- drungen mit sich bringt. Aber die natürlichen Vorteile unserer überliefer- - ten und gewachsenen ökonomischen Verbindungen Die Eindrücke aus Leipzig berechtigen gewiß bleiben nicht ohne Einfluß auf den Ausbau des in- nicht zu überschwenglichen Erwartungen; sie nerdeutschen Wirtschaftsverkehrs. Ich habe mit brächten uns keinen Schritt weiter. Aber ich habe Freude gelesen, daß diese grundsätzlich positiven die realistische Zuversicht, daß es auf dem Gebiet, Erwartungen von dem in diesen Fragen niemals für das ich verantwortlich bin, weiter vorangehen unkritischen Deutschen Industrie- und Handelstag wird. Beide Seiten haben dafür inzwischen eine so- nach den ersten Messetagen geteilt werden. Der lide Basis aufgebaut und beide Seiten haben den 4198 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundesminister Dr. Graf Lambdorff politischen Willen, entsprechend zu handeln. Dü- Überraschung gehört, wie er versuchte, die deutland- stere sozialdemokratische Prophezeiungen, die Ko- politische Rolle des CSU-Vorsitzenden ins rechte alition der Mitte werde eine Eiszeit in den deutsch- Licht zu rücken, und wie er von uns verlangte, eine deutschen Beziehungen auslösen, werde einen Wende in unserem Urteil über Herrn Strauß zu voll- Rückfall in den Kalten Krieg betreiben, waren nie ziehen. Meine Antwort ist: Wir sind dazu gerne bereit; mehr als oppositionelles Wunschdenken. Die DDR aber wir kommen gar nicht so schnell mit, wie Herr weiß das inzwischen. Bei uns hat es ohnehin kaum Strauß selbst sich wendet. Ich denke, wenn Sie das einer geglaubt. würdigen wollen, tun Sie es besser in Ihrer eigenen Die Verantwortlichkeit, mit der sich diese Regie- Partei und Fraktion. Dort ist man immer noch nicht rung der Deutschlandpolitik widmet, ihr neue Im- mitgekommen, dort hat man immer noch nicht begrif- pulse gibt, nach zusätzlichen Bezugspunkten sucht, fen, was im letzten Jahr in Herrn Strauß gefahren ist ohne die Unterschiede der Systeme zu vernebeln, und welche Bestandskraft es haben wird. So war denn diese Verantwortlichkeit und Berechenbarkeit sind auch der Beifall, den Herr Waigel von Ihnen zu diesen zugleich ein Stück Friedenspolitik nicht nur zwi- Äußerungen bekam, sehr dürftig und auf wenige Ihrer schen den beiden deutschen Staaten. Daß dies erste Kollegen beschränkt. Früchte auch in humanitären Beziehungen trägt, Das Ganze wird dann noch dadurch ergänzt, daß weiß jedermann in diesem Hause. Wir müssen die- Graf Lambsdorff in diesen Tagen öffentlich die Leip- ses Thema behutsam behandeln. Ich habe in Leip- zig-Pilger kritisiert — er selbst gehört dazu, aber er zig deutlich zu machen versucht, daß wir hier wei- meint, er hätte ein altes Vorrecht darauf — und daß er tere Erwartungen haben, um zu einem besseren Herrn Strauß namentlich erwähnt und angreift we- Miteinander zu kommen. Die Rückführung des gen ungenügender Standfestigkeit in seinen Gesprä- Mindestumtauschs und bessere Reisemöglichkei- chen mit der DDR-Führung. Dies alles, meine ich, gibt ten für Bewohner der DDR stehen unverändert auf Ihnen sicher keinen Anlaß, uns zur Korrektur unseres unserer Wunschliste. Die Wirtschaftspolitik kann Urteils aufzufordern. Es gibt viel Anlaß, Sie selbst zur zu diesem besseren Miteinander ihren — gewiß Klärung Ihrer Position aufzufordern. nicht allein entscheidenden — Teil beitragen. Meine Damen und Herren, in Übereinstimmung Diese Politik hütet sich vor Emotionen. Wer bes- mit der Bundesregierung und mit der Regierungs- sere Beziehungen zur DDR will, braucht eine klare koalition wissen wir sehr zu schätzen, daß bis in die Konzeption, braucht langen Atem, braucht nüch- letzten Tage hinein die deutsch-deutschen Bezie- terne Erkenntnis des Möglichen und des Unmögli- hungen weiterentwickelt, ausgeweitet und verdich- chen, um Schritt für Schritt voranzukommen. Wir tet worden sind. Dankbar vermerken wir, was dabei bemühen uns darum. Die Gespräche gehen weiter, zur Lösung humanitärer Einzelprobleme erreicht mit Dr. Mittag heute in drei Wochen auf der Hanno- werden konnte. Ich beziehe den Bericht, den Graf ver-Messe und dann hier in Bonn. Ich sehe die Be- Lambsdorff uns gegeben hat, darin ein. Wir sehen reitschaft dazu auch auf der anderen Seite. Und das das alles ohne Neid und ohne jedes Bedauern dar- ist für mich wohl der wichtigste Eindruck, den ich über, daß sich die Aufgabe einer kritisierenden Op- in Leipzig gewonnen und in die Arbeit hier in Bonn position im Bereich dieser praktischen Entwicklung mitgenommen habe. nur sehr begrenzt ergibt; ist es doch die Fortsetzung Herzlichen Dank. unserer Politik, die wir erleben, und sie ist doch erst (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) möglich geworden durch die Grundlagen, die wir dafür gegen den erbitterten Widerstand der Unions- parteien gelegt haben. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- ordnete Dr. Schmude. Wie Sie es mit diesen Grundlagen halten, würden wir gerne genauer von Ihnen erfahren. Eine noch so Dr. Schmude (SPD): Herr Präsident! Sehr geehrte aufgeschlossene und vorwärtsdrängende Praxis Damen und Herren! Ich muß mich zunächst mit kann nicht erfolgreich sein, wenn sie vom Sprach- dem rhetorischen Überfall des Bundeswirtschafts- gebrauch aus der Kampfzeit gegen eben diese Pra- ministers auf unseren Kollegen Diederich befassen. xis begleitet und sogar noch mit Sonntagsreden Daß Sie scharf und abfällig zu formulieren verste- garniert wird, wie wir sie vor zehn und mehr Jahren hen, Graf Lambsdorff, dafür bedurfte es keines zu- von Unionspolitikern gehört haben. sätzlichen Beweises. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Herr Waigel hat mit seinem schwammigen Wort Wenn Sie nun noch eine einzige der Tatsachenfest- von der „nationalen Schutzpflicht" für die Bürger stellungen des Kollegen Diederich hier entkräftet der DDR und andere Deutsche ja heute wieder ei- und widerlegt hätten, dann hätte es sogar einen nen Beitrag zu solchen Sonntagsreden geleistet. Anflug von Überzeugungskraft in Ihren Ausführun- Dazu sage ich klar: In solchen Punkten sind- wir von gen gegeben. So war es bloße Schimpferei. einer Gemeinsamkeit ein gutes Stück entfernt. Da (Beifall bei der SPD — Dr. Diederich [Ber- haben Sie noch einen erheblichen Nachholbedarf. lin] [SPD]: So ist er eben! — Weiterer Zuruf (Beifall bei der SPD — Dr. Diederich [Ber von der SPD: Wider besseres Wissen!) lin] [SPD]: Ausgezeichnet! — Zurufe von Eine Vorbemerkung noch zu dem Beitrag, den der CDU/CSU: Das finde ich gar nicht! — heute morgen Herr Waigel hier geleistet hat. Wir Das Maß der Gemeinsamkeit bestimmen haben es bei der Opposition mit Vergnügen und nur Sie!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4199

Dr. Schmude Die sogenannten Geraer Forderungen des SED- Bei der deutschen Staatsangehörigkeit, wie sie Generalsekretärs Honecker, auf die ich jetzt zu das Bundesverfassungsgericht im Grundvertrags- sprechen kommen möchte, bieten Anlaß und Gele- urteil 1973 unter Bezugnahme auf das Grundgesetz genheit, auch bei uns grundsätzliche Positionen zu in ihrer Bedeutung für die Beziehungen beider klären. Falsche Erwartungen wollen wir bei diesem deutschen Staaten erläutert hat, muß es auch recht- Thema von vornherein ausschließen. Deshalb stel- lich bleiben. Zu dem zwischen den beiden deut- len wir Sozialdemokraten klar — das hat unsere schen Staaten Machbaren, auf das wir unsere An- Fraktionsdelegation auch vor wenigen Tagen in strengungen konzentrieren wollen, würden Rechts- Ost-Berlin getan —, daß mit einer Umwandlung der änderungen in diesem Bereich nicht gehören. Ständigen Vertretungen beider Staaten in Bot- Der uns vorgegebene, nicht zur Änderung anste- schaften nicht zu rechnen ist. Beide Staaten sind hende rechtliche Rahmen hindert nicht, daß wir füreinander nicht Ausland. Diese Rechtsauffassung nach Art. 6 des Grundlagenvertrages die DDR als hat die Begriffswahl im Grundlagenvertrag ge- unabhängigen und selbständigen Staat anerken- prägt. Die Gründe dafür bestehen fort. nen, der die Staatsangehörigkeit seiner Bürger, ih- Weil beide Staaten füreinander nicht Ausland ren Verlust und Erwerb durch sein innerstaatliches sind, steht auch bei der Staatsangehörigkeit eine Recht selbst regelt. Aus Art. 6 des Grundlagenver- rechtliche Änderung nicht an. Hier besteht aller- trages folgt nach der zutreffenden Meinung unseres dings die Chance, durch verständige Praxis und früheren Kollegen, des jetzigen Verfassungsrich- Klärung der Begriffe die noch verbliebenen Mei- ters Hans Hugo Klein, sogar die Pflicht der Bundes- nungsverschiedenheiten zwischen beiden deut- republik Deutschland, zu akzeptieren, „daß sich der schen Staaten weitgehend auszuräumen. Dabei Status, die Rechte und Pflichten der Bürger der geht es auch, aber nicht in erster Linie, um eine DDR nach deren Recht bestimmen". Diese Formu- juristische Diskussion. Rechtsvorschriften und lierung beschreibt zutreffend die tatsächliche und Rechtsbegriffe können unwichtig, entbehrlich und rechtliche Haltung der Bundesregierung und aller auf Dauer sogar unhaltbar werden, wenn die anderen Behörden der Bundesrepublik Deutsch- politische Wirklichkeit ihnen nicht mehr ent- land und entspricht auch der Rechtsprechung des spricht. Bundesverwaltungsgerichts. Und was, meine Damen und Herren, geschieht Bei der deutschen Staatsangehörigkeit ist das an- mit dieser Haltung anderes, als daß wir die Staats- ders. Ein Deutscher aus der DDR, der zu uns bürgerschaft der DDR respektieren? Es ist an der kommt und auf Dauer hier leben will, ist für uns Zeit, daß wir in der Bundesrepublik den unnützen kein Fremder, der erst besondere Schranken Streit beenden, der sich nur daraus ergeben hat, überwinden und Verfahren durchlaufen müßte. daß die jetzige Bundesregierung und die Unions- Er ist Deutscher wie wir, und daß er das ist und parteien um eines bestimmten politischen An- auch künftig sein wird, ist von uns politisch ge- scheins willen den Begriff des Respektierens ver- wollt. meiden wollen. Und Herr Waigel hat heute einen (Beifall bei der SPD — Zustimmung des Beitrag dazu geleistet, wie man uneinsichtig an ei- Abg. Werner [CDU/CSU]) ner alten Position festhalten kann. Erneut zeigt sich auch hier Ihre aus früheren Jahren bekannte, völlig Die gemeinsame Zugehörigkeit zu derselben deut- unfruchtbare Neigung, politischen Entscheidungen schen Nation — unabhängig von deren staatlicher und Klarstellungen in Kleinliche und zähe Ausein- Organisation — findet in dieser deutschen Staats- andersetzungen um Rechtsbegriffe auszuweichen. angehörigkeit besonders gewichtigen Ausdruck. An Das ist nicht Politik, das ist nicht einmal konse- dieser Selbstverständlichkeit wollen wir festhalten. quente Anwendung von Rechtsbegriffen. Es ist ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Kampf Wir fühlen uns in der Bundesrepublik in besonde- um bloße Formeln. rem Maße verantwortlich für die Bürger des zu uns gehörenden Teils der Stadt Berlin. Wer die deutsche (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: So ist es!) Staatsangehörigkeit rechtlich aufgliedern und tren- Nimmt man dann noch die DDR-Forderung nach nen wollte, würde sie einer ungewissen Lage aus- voller Respektierung ihrer Staatsbürgerschaft hin- setzen. Die besteht jetzt nicht. Sie sind Deutsche zu, so verspricht das Ganze ein überflüssiger, dafür wie wir. Was denn sonst? Und dabei muß es auch aber dauerhafter Streit zu werden. bleiben. Ich halte dagegen, meine Damen und Herren, daß Das alles ist nicht neu. Wir Sozialdemokraten ha- wir uns zur Respektierung der DDR-Staatsbürger- ben die Unaufgebbarkeit dieser politischen Position schaft nicht erst durchzuringen brauchen. Wir re- wiederholt bekräftigt, soweit ich sehe, in Überein- spektieren sie bereits, und zwar mit dem Abschluß stimmung mit den anderen Parteien. Gerade darauf des Grundlagenvertrages und seither. Sinnvoll ist mag es zurückzuführen sein, daß seitens der DDR nicht der Streit um den Begriff, notwendig ist viel- nicht mehr von einer Anerkennung einer eigenen mehr die Klärung der Grenzfragen, die sich in der DDR-Staatsangehörigkeit mit der Konsequenz Praxis ergeben und die auch bei uns nicht abschlie- rechtlicher Änderungen bei uns gesprochen wird. ßend und zufriedenstellend beantwortet sind. Da Die Forderung solcher Rechtsänderungen, die nicht gibt es viel Klärungsbedarf. Da gibt es auch Bedarf nur das Grundgesetz betreffen, sondern auch die an klarer Sprache. Die vollmundige Betonung — Rechte der Siegermächte berühren würden, wäre in heute morgen durch Herrn Waigel noch einmal —, der Tat unerfüllbar. es gebe nur eine Staatsangehörigkeit, wie wir sie 4200 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Dr. Schmude immer wieder aus dem Unionslager hören, wird der wenig davon gehört, daß die für viele erstaunliche politischen und rechtlichen Lage nicht gerecht. Das und erfreuliche Wende in der Praxis von Einsichten will ich Ihnen erläutern. im Grundsätzlichen begleitet ist. Wir haben den Denn wie steht es mit denen, die Staatsbürger Weg für diese Politik geebnet; wir werden nicht der DDR, aber nicht Deutsche im Sinne unseres darin nachlassen, auf seine Sicherung und auf seine Staatsangehörigkeitsrechts sind, weil wir ihre Ein- Fortsetzung zu drängen. bürgerung dort nicht anerkennen? An ihrem Bei- Vielen Dank. spiel doch zumindest wird die selbständige Bedeu- (Beifall bei der SPD) tung der DDR-Staatsbürgerschaft in besonderem Maße sichtbar. Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- Wir müssen auch anders fragen: Was meint die ordnete Lintner. DDR mit der Forderung einer vollen Respektierung ihrer Staatsbürgerschaft? Sie wird es nicht errei- chen können, daß wir Deutschen im Geltungsbe- Lintner (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- reich unserer Rechtsordnung die deutsche Staats- men und Herren! Herr Kollege Schmude, lassen Sie angehörigkeit und die damit verbundenen Rechte mich zuerst einige Bemerkungen zu dem machen, verweigern. Und weil wir das nicht tun, wird keine was Sie hier angeführt haben. Ich begreife ja durch- auch noch so volle Respektierung zur Bereitschaft aus, daß Sie von dem irritiert sind, was Franz Josef führen, zunächst einmal, entsprechend dem Staats- Strauß in der Deutschlandpolitik an Initiativen ent- angehörigkeitsrecht der DDR, die dortige Entlas- faltet hat. sung aus der Staatsbürgerschaft zu fordern, bevor (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Da ist die hier ein Paß erteilt wird. CSU noch mehr irritiert gewesen als der Übrigens, mit der Einziehung von Pässen solcher Rest der Nation! — Weitere Zurufe von der DDR-Bürger, die vom Angebot der deutschen SPD: Sie sind irritiert gewesen!) Staatsangehörigkeit nicht auf Dauer Gebrauch ma- Ich fürchte allerdings, Sie sind mehr von der Dyna- chen wollen, hat es verschiedentlich Ärger gegeben. mik des ganzen irritiert, und Ihre Phantasie hat frü- Mißgriffe konnten inzwischen erfreulicherweise her nicht ausgereicht, sich vorzustellen, daß es sol- weitgehend abgestellt werden. Die Frage aber, wie che erfolgreichen Instrumente in der Deutschland- lange wir die Bindung eines DDR-Bürgers an sei- politik tatsächlich gibt. nen Staat zu respektieren bereit sind, auch wenn er (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von für unbefristete Zeit hier seinen Wohnsitz genom- der SPD) men hat, ist noch offen. Ihre Klärung kann Ärger- nisse vermeiden helfen. Herr Dr. Schmude, in Ihren Ausführungen war — wie auch in den Ausführungen Ihres Fraktionsvor- Das alles und weiteres, was sich anfügen läßt, sitzenden — ein Stück Wehmut darüber zu spüren, sind Fragen, die sich in der Form öffentlicher Vor- daß Sie es versäumt haben, rechtzeitig, als Sie noch würfe und Zurückweisungen der anderen Seite die Richtlinien zu bestimmen hatten, solche Initiati- nicht beantworten lassen. Ihre befriedigende Klä- ven zu entfalten. rung könnte helfen, einen lästigen Streitpunkt in (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das hätte den Beziehungen beider deutschen Staaten ein für damals ein Geschrei gegeben!) allemal zu erledigen. Die Grundlagen der Beziehun- gen würden durch ein solches Einvernehmen ein — Herr Fischer, was Sie an deutschlandpolitischen gutes Stück stabiler. Bedeutung und Schwierigkeit Erfahrungen haben, kann ich mir einigermaßen des Gegenstandes würden es nach meiner Auffas- vorstellen. sung rechtfertigen und auch notwendig machen, die (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich bin hier Klärung im offenen Gespräch miteinander statt in nur groß geworden, zwar nicht in Bayern, wechselseitigen Monologen zu versuchen. aber in Baden-Württemberg!) Zum Beispiel: ein Gesprächsforum aus Wissen- Ich möchte etwas aufgreifen, Herr Dr. Schmude, schaftlern, fachkundigen Beamten und Politikern was Sie als „schwammiges Wort" in den Ausführun- aus beiden deutschen Staaten könnte uns dabei gen von Herrn Dr. Waigel bezeichnet haben. Wir wertvolle Hilfe leisten. Die Arbeit mag mühsam müssen mit allem Ernst zurückweisen, daß Sie die sein, aber als Preis winkt ein weiteres Stück deut- Erklärung, daß wir den deutschen Landsleuten in scher Gemeinsamkeit, winkt die Ausräumung eines der DDR gegenüber eine nationale Schutzpflicht Streitpunktes, nicht nur zwischen beiden Staaten, empfinden, hier als „schwammiges Wort" bezeich- sondern übrigens auch hier bei uns im Bundestag. nen. Sie wissen mit mir, was Dr. Waigel damit ge- meint hat. Er meinte, daß wir die politische Pflicht Meine Damen und Herren, wir sind dafür, daß die haben, auch über die innerdeutsche Grenze hinweg - praktischen Beziehungen von ihrem heutigen für die Landsleute in der DDR ein Stück grundsätz- Stand aus zielstrebig fortentwickelt werden. Sie liche Sicherheit zu bieten. sind der Maßstab für den Erfolg der Deutschlandpo- litik. Aber wir bestehen auch darauf, daß Sie die (Kuhlwein [SPD]: Jetzt wird es noch Grundlagen dieser Beziehungen klarstellen und schwammiger!) daß Sie nicht neuen Wein in alten Schläuchen zu Wenn wir zu ihnen stehen, meine Damen und Her transportieren versuchen, denn das kann nicht gut- ren, dann hat es eben auch den Zweck, daß wir es gehen. Heute habe ich hier beim Bundeskanzler vermeiden müssen, Resignation in der DDR zu Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4201

Lintner schaffen. Und das wäre mit Sicherheit die Folge, Zeit stattfindende Abstimmung mit den Füßen ein- wenn all das Wirklichkeit würde, was Sie allein auf dämmen will. statusrechtlichem Gebiet in den letzten sieben Ta- gen bereit waren, quasi aus dem Weg zu räumen. (Zustimmung bei der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, einen zweiten Aspekt (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Sie wirken möchte ich hier herausstellen. Es ist oft die Rede sehr aufmunternd!) davon, daß bei unserer Jugend die Forderung nach Wiedervereinigung der Deutschen nicht mehr die Ich muß hier auch einmal auf den Begriff des richtige Resonanz habe. Meine Damen und Herren, Respektierens eingehen, den Sie ja seit einiger Zeit wir dürfen uns da nicht täuschen. Dieser Wille ist ständig wiederholen. Auch dieser Begriff „Respek- auch bei der jungen Generation unverändert und tieren" — etwa der DDR-Staatsangehörigkeit — hat auf breiter Basis vorhanden. Dieser Wille gerät den natürlich eine immanente Zwielichtigkeit. Wenn jungen Leuten vielleicht immer wieder einmal aus wir darauf nicht einsteigen, meine Damen und Her- dem Gesichtsfeld, aber er ist latent vorhanden. Das ren, dann nicht deshalb, weil wir uneinsichtig wä- zeigen Reaktionen immer wieder, z. B. nach Kon- ren, sondern deswegen, weil wir wissen, daß Rechts- takten mit den Landsleuten in der DDR bei Besu- positionen — das gilt im übrigen natürlich z. B. chen und Reisen dorthin. auch für den Berlin-Status — ein Stück Sicherheit bedeuten, und wir sind nicht bereit, diese Sicherheit (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wie beim in dem schwierigen Geschäft der Deutschlandpoli- Eishockeyspiel in der Bundesrepublik vor tik der von der SPD gewünschten Zwielichtigkeit zu einem Jahr!) opfern. Ich halte es deshalb für außerordentlich begrü- (Beifall bei der CDU/CSU) ßenswert, daß der Bundeskanzler und der Bundes- minister für innerdeutsche Beziehungen und damit Im übrigen, Herr Kollege Schmude, ist das ei- natürlich die gesamte Bundesregierung als eine der gentlich nur wieder ein neues Kapitel dieser be- ersten Maßnahmen nach dem Regierungswechsel rühmten Methode, mit dem Osten unter Inkauf- besonderen Wert auf die Förderung solcher Kon- nahme eines einkalkulierten Dissenses zu verhan- takte und solcher Reisemöglichkeiten gelegt hat deln, um zu Scheinfortschritten zu gelangen. Sie und daß sie diese Kontaktmöglichkeiten auch durch wissen, daß Sie mit dieser Methode bisher schon Zuschüsse aktiv fördert. etlichen Schaden angerichtet haben. Wir werden Ih- nen da nicht folgen. Natürlich, meine Damen und Herren, wäre es wichtig, daß dabei noch mehr Jugendliche insbeson- Meine Damen und Herren, weil die Zeit sehr fort- dere aus der DDR in die Bundesrepublik Deutsch- geschritten ist, kann ich vieles von dem, was ich land reisen könnten. Erleichtert werden sollte dies ursprünglich sagen wollte, nicht ausführen. Aber dadurch, daß zwischen der Bundesregierung und ich möchte doch auf eines hinweisen: auf Aufgaben, der Regierung der DDR das vorhandene Abkom- die uns im eigenen Lande bewegen müssen. So er- men des Bundesjugendringes mit der FDJ zu einer freulich es nämlich ist, daß in letzter Zeit z. B. sehr Art innerdeutschem Jugendwerk weiterentwickelt viele Ausreisewillige in die Bundesrepublik wird. Deutschland haben ausreisen dürfen, so muß man doch auch hier im Innern darauf achten — diesen Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt jedenfalls — Aspekt möchte ich hier heute neu einführen —, daß lassen Sie mich das zum Schluß wegen der Kürze die bei uns vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen der Zeit so summarisch zusammenfassen — die ausreichend sind. Sie sind zur Zeit überlastet, und Deutschlandpolitik der Bundesregierung darüber es ist unsere Pflicht, hier etwas zu tun, denn unse- hinaus selbstverständlich auch in allen anderen ren Landsleuten, die jetzt in verstärktem Maße zu praktischen und konkreten Anliegen, die derzeit uns kommen dürfen, müssen wir einen angemesse- zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regie- nen Aufenthalt ermöglichen, und wir müssen ihnen rung verhandelt werden. Ob es sich dabei nun um insbesondere die bestmöglichen Hilfen für eine den besonders wichtigen Bereich des Umweltschut- schnelle Eingliederung in unser Wirtschafts- und zes oder um Fragen des Kulturabkommens oder Gesellschaftssystem bieten. Das gebietet — so des Sportverkehrs handelt, meine Damen und Her- glaube ich in unser aller Namen feststellen zu kön- ren: Überall begleiten wir die Bemühungen der nen — schon die Achtung davor, daß sich diese Bundesregierung konstruktiv und wünschen ihr bei Menschen den vielen persönlichen Risiken, die mit diesen Verhandlungen viel Erfolg. der Stellung eines Ausreiseantrages verbunden (Beifall bei der CDU/CSU) sind, ausgesetzt haben. Die große Zahl dieser Aus- reiseanträge zeigt ja im übrigen unübersehbar das Besonders glücklich wären wir, meine Damen Ausmaß der menschlichen Not, in der sich unsere und Herren, wenn dabei auch unser Bemühen um Landsleute wegen der Unterdrückung in der DDR Gemeinsamkeit in diesem Hause mit der SPD wie- befinden, und es wäre deshalb zu hoffen, daß die der mehr Erfolg hätte, als es nach dieser Debatte DDR-Führung einiges von dem aufgreift, was ihr den Anschein hat, Herr Kollege Büchler. Denn ich auch von seiten der Bundesregierung an Gedanken fürchte, daß Sie von dem so häufig zitierten gemein- mitgegeben worden ist, nämlich daß sie eine gesi- samen Entschließungsantrag, der erst im Februar cherte Möglichkeit von Reisen in die Bundesrepu- dieses Jahres verabschiedet worden ist, in den letz- blik Deutschland schaffen müßte, wenn sie die zur ten Wochen zu sehr abgerückt sind. Deshalb mein 4202 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Lintner Appell an Sie: Kommen Sie zur Gemeinsamkeit zu- Es wird gesagt, eine solche Politik ist auch Frie- rück. denspolitik. Aber der Friede, der innere und der (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Lassen Sie äußere Friede, beruht nicht nur auf dem Ökonomi- sich doch nicht auslachen!) schen und Ökologischen — das wurde schon ange- sprochen —, sondern gerade auch auf dem Frie- Wir sind dazu bereit. denswillen von uns. Daß sich der Friedenswille Ich danke Ihnen. auch auf die Selbstbestimmung oder sogar die (Beifall bei der CDU/CSU) Selbstverwaltung der Menschen in den verschie- denen Regionen richtet, das nehme ich den Teilen dieses Hauses nicht ab. Das Wort hat der Herr Vizepräsident Westphal: Danke schön. Abgeordnete Horacek. (Beifall bei den GRÜNEN — Werner [CDU/ CSU]: Gehen Sie einmal zur UNO! Die Ver Horacek (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Mitbür- einten Nationen können Ihnen darüber ger! Wenn ich mich in dieser Debatte kurz melde, Nachhilfeunterricht geben!) dann aus drei Gründen. (Lintner [CDU/CSU]: Lernen Sie erst ein Vizepräsident Westphal: Das Wort hat Frau Abge- mal Deutsch!) ordnete Terborg. — Ich werde solche revanchistischen Sprüche über- hören müssen. Ich würde gern darauf eingehen, Frau Terborg (SPD): Herr Präsident! Meine sehr aber ich habe wenig Zeit. Sie werden vielleicht in verehrten Damen und Herren! Da reiste mal einer der Zukunft lernen, daß es nicht darauf ankommt, nach Erfurt — das war 1970 —, und damit begann wie man spricht, sondern darauf, was man spricht. etwas, das bis in unsere Tage hinein das Verhältnis der Deutschen zu den Deutschen grundlegend wan- (Beifall bei den GRÜNEN) deln sollte. Der Mann hieß Willy Brandt, sein Be- Ich möchte über drei Punkte sprechen, die mich such löste hierzulande hysterische Schreikrämpfe berühren. Hier wurde sehr viel über Werte, über und unversöhnliche Feindschaften aus. Tugenden und über politische Moral gesagt. Es (Werner [CDU/CSU]: Deshalb beginnen Sie wurde mit Begriffen wie Vaterland gearbeitet, z. B. so melancholisch!) durch Bundeskanzler Kohl. Es ist sehr wichtig für mich festzustellen, daß ein Begriff wie „Vaterland" Sie erinnern sich sicher. Wie schön, daß diese Zei- für mich eine andere Bedeutung haben muß. Ich ten — hoffentlich — unwiderruflich vorbei sind. hoffe, daß er auch für uns in der Zukunft eine Ganz vorbei sind sie nie. andere Bedeutung haben kann, wenn wir uns vor- Als unsere Delegation das Gespräch mit Volks stellen, daß wir eine andere Beziehung zur Heimat kammerabgeordneten führte, gab's einen CSU-Kol- bekommen — eine andere Beziehung aus dem legen, der sofort den Bundestagspräsidenten er- Grund, weil wir uns nicht an einen Nationalstaats- mahnte, nun j a nicht seinerseits eine Volkskam- gedanken klammern. Aus der sehr schwierigen merdelegation einzuladen. Und der Kollege Peter deutschen Geschichte — die nicht erst im 20. Jahr- Lorenz, Ihr deutschlandpolitischer Sprecher, war hundert, sondern schon im 19. Jahrhundert sehr es, der 1982 die erste Vereinbarung zwischen dem schwierig war — wissen wir, daß das, was als Natio- Bundesjugendring und der FDJ mit verhaltenem nalstaat definiert wird, den Menschen nicht immer Argwohn kommentierte. Der Bundesjugendring — zu ihrer Identität verhilft. Denn wenn man über wir wissen es heute — hat vernünftig gehandelt. Grenzen, über die Mauern und über Menschen- 1983 sind 6000 Jugendliche in die DDR gefahren rechte spricht, dann müßte man auch über unsicht- und haben Land und Leute jenseits der Grenze ken- bare Grenzen sprechen. Darüber habe ich sehr we- nenlernen können. In umgekehrter Richtung waren nig gehört, auch von seiten der SPD. Wenn wir über es weniger. Aber immerhin 1 220 junge Menschen die Lage der Nation hier sprechen, müssen wir auch waren Gast bei uns. Aus der Einbahnstraße wurde über die Ausgrenzung, über die unsichtbare Grenze Gegenverkehr. Man kann nur hoffen, daß die DDR hier bei uns sprechen, die es z. B. für die Arbeitslo- aus diesen Treffen und den positiven Erfahrungen sen oder die ausländischen Mitbürger in dieser Ge- eine Reihe von Berührungsängsten abgebaut hat. sellschaft gibt. Ich scheue mich nicht, lobend zu erwähnen, daß Andererseits sehe ich es natürlich als sehr, sehr die Bundesregierung ebenso wie die Regierung schwierig an — ich komme damit nicht ganz zu- Schmidt diese zarten Pflänzlein der Begegnung recht —, daß in Form von Geschäften, und immer sorgfältig pflegen. Sie können dabei unserer Unter- besseren Geschäften der Konzerne eine Ebene an- stützung gewiß sein. Und die Jugendverbände hier gepeilt wird, in der ich auch aus eigener Erfahrung wie drüben sollten die Chancen nutzen, aus kleinen ein Problem sehe. Einerseits dienen diese Ge- Treffen größere und umfassendere Begegnungen- zu schäfte zur Verbesserung der Beziehungen, ande- entwickeln. Im deutsch-deutschen Jugendaus- rerseits werden mit Geld Menschen gekauft. Man tausch, das wissen Sie so gut wie ich, sind aller- kann dann immer darauf hinweisen, daß diese in dings noch viele Verbesserungen vorstellbar. Es der DDR erst einmal eingesperrt werden; dann wer- geht nicht nur um touristische Kontakte, es dürfen den sie herausgekauft. Diese moderne Art von sich die offiziellen Fototermine und Empfänge nicht Menschenhandel ist mir sehr, sehr unheimlich, und häufen, die Altersgruppen der sich Begegnenden hier setzt auch unsere Kritik an. sollten einander ähneln, mehr Betriebsbesichtigun- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4203

Frau Terborg gen müßten ins Programm aufgenommen werden, eher die Mauern aus Vorurteil und Erfahrung nie- weniger Zeit für offizielle, mehr Zeit für persönliche derzureißen vermögen. Bittere Erfahrungen ver- Begegnungen müßte eingeräumt werden. drängen bei den Älteren häufiger neue Erkenntnis- Es wird Sie sicher überraschen, daß die FDJ in se. Die Befangenheit fördert die Begegnung nicht. der DDR und der Bundesjugendring bei uns dies Und auch das stimmt: Das Zusammenwachsen auch so sehen. Das ist ermutigend, daraus sollten beider Deutschlands werden wir vielleicht noch ein- wir lernen. leiten, kaum aber verwirklichen können. Sorgen wir Natürlich — wer will das ignorieren — gibt es dafür, daß sich die Jungen einrichten können in einem hoffentlich gemeinsamen Haus. auch Beobachter im amtlichen Auftrag auf beiden Seiten, die Interessen wahren, die nicht unbedingt Dies kann man nicht aus Büchern lernen. Eine einer unverkrampften Bewegung förderlich sind. Begegnung drüben — ein Besuch hüben — liefern Drüben ist es der Staatssicherheitsdienst, dessen Eindrücke und Informationen, die nicht anders zu Fürsorge irritiert. Hier ist es der MAD, der nach erreichen sind. Die Menschen lernen, menschlich DDR-Reisen die Jugendlichen zu Hause ausfragte aufeinander zuzugehen. Sie lernen, Verständnis für und wissen wollte, was denn da gewesen sei. Die den andern zu entwickeln. Sie begreifen, daß eine Herren gingen so weit, beim Vorstand des Deut- Grenze auch überwunden werden kann. schen Bundesjugendringes ihre gewonnenen Er- In den letzten Jahren hat sich die Weltlage erheb- kenntnisse zu hinterfragen, angeblich nur, weil ih- lich verändert. Das Klima zwischen den Großmäch- nen das Schicksal junger Wehrpflichtiger so sehr ten ist eisiger geworden. Das bürdet den Deutschen am Herzen lag. Der Jugendring war pikiert. Wir eine noch größere Verantwortung vor der Ge- sind es auch. Hier wird zuviel staatsgeschützt. Die schichte auf. Reisen von Bundesministern und so- Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden könnten, gar die des bayerischen Ministerpräsidenten lassen scheinen uns weniger erhellend zu sein als der hoffen, daß diese Verantwortung jetzt quer durch Schaden, der aus solchem Übereifer erwachsen die Parteien begriffen wird. Das ist schon etwas, kann. und das wird auch von der anderen Seite durchaus Ob noch andere Dienste Neugier an den Tag leg- wahrgenommen. ten, wissen wir nicht, wir können es nur vermuten. In der letzten Woche hat der Volkskammerpräsi- Man wird einmal sehr diskret im Hause Zimmer- dent Horst Sindermann vorgeschlagen, kleine Stu- mann nach der Neufassung der Regelung der Amts- diengruppen für Fragen des Umweltschutzes und hilfe des BGS an der innerdeutschen Grenze gegen- des Jugendaustauschs zwischen beiden deutschen über den Nachrichtendiensten nachfragen müssen, Staaten einzurichten. Wir sollten bei solchen Vor- und man wird möglicherweise fündig werden. Aber schlägen aufmerksam zuhören. auch da warnen wir vor staatsschützerischem Über- eifer. Alle Chancen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wahrnehmen, um die vorhan- Das Deutsche Deutsche besuchen, ist unserer fe- denen Spielräume zu erweitern. Lassen Sie uns sten Meinung nach schon allein deshalb unabding- möglichst gemeinsam daran arbeiten, daß der Ju- bar, weil nach den Feststellungen von Meinungsfor- gendaustausch nicht nur eine quantitative Auswei- schungsinstituten die Jugendlichen wenig bis gar tung erfährt, sondern auch qualitativ verbessert nicht über die Verhältnisse in der DDR Bescheid wird, daß der touristische Austausch durch sinn- wissen. Ihnen ist die DDR unbekannter als Italien, volle Programmerweiterungen die echten Begeg- Österreich oder Frankreich. nungen zwischen den Menschen ermöglicht, daß In der Schule, so klagen die jungen Leute, würden immer mehr junge Menschen einander an ihrer Ar- sie nur mangelhaft informiert. Die Medienforscher beits- und an ihrer Bildungsstätte kennenlernen, von Infratest haben in ihrer Untersuchung „Die daß wir aktive Begegnungsstätten schaffen, bei de- DDR und die deutsche Frage" 1983 festgestellt, drei nen sich junge Deutsche in der gemeinsamen Auf- Viertel aller jungen Leute kritisierten, daß die DDR arbeitung unserer Geschichte bewähren können, wenig oder gar nicht im Unterricht behandelt wer- daß wir gemeinsam um Schulbücher ringen, in de- de. Das können wir ändern: Indem wir im Unter- nen die Geschichte so dargestellt wird, wie sie pas- richt auch den zweiten deutschen Teilstaat wieder siert ist, und nicht so, wie man glaubt, daß sie darge- entdecken, und indem wir alles dazu tun, die Begeg- stellt werden müßte, daß wir unsere positiven Er- nungen zwischen den Deutschen zu vervielfachen. fahrungen mit dem Deutsch-Französischen Jugend- werk im Hinblick auf die Bandbreite der Begeg- Jetzt sieht es so aus: Von den 1 500 befragten jun- nungsformen übertragen, daß wir den Meinungs- gen Menschen reiste 1983 jeder Dritte in die DDR. austausch zwischen dem Zentralinstitut für Jugend- Davon wieder taten dies 4 % aus eigenem Antrieb, forschung in Leipzig und der Forschungsstelle für sie fuhren auf eigene Faust und überwanden so die Jugendfragen in Hannover fördern. Barrieren. 63 % der DDR-Besucher reisten mit ih- - ren Eltern, 27 von Hundert kamen mit ihrer Schul- Tun wir das, was ein großer Deutscher, mein Par- klasse nach drüben. Alles in allem war es eine ver- teifreund , einmal als Motiv unse- schwindende Minderheit. res Handelns so formuliert hat: Wir können da noch eine Menge ändern. Also: Der junge Mitbürger, der nur den Zustand der Lassen Sie uns an Verbesserungen des deutsch- Teilung Europas kennt, muß sich auch als Teil deutschen Austauschs arbeiten. Ich bin nämlich der der einen deutschen Nation begreifen lernen, festen Überzeugung, daß junge Menschen sehr viel einer Nation, die sich durch manche ihrer Füh- 4204 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Frau Terborg rer zu wüsten Gängen durch Europa verführen Ostdeutschland jenseits von Oder und Neiße nur ließ, die aber immer auch wieder fähig war, die Vertriebenen Partei ergriffen und das Wort näh- sich ausgleichend und versöhnend einzuordnen men. Wir sollten unser Verhalten gegenüber als friedfertiges Mitglied der Völkerfamilie. Deutschland nicht nach dem Zufall des Geburtsor- Ich danke Ihnen. tes oder Geburtsdatums bestimmen. Wir stehen als deutsches Volk alle gemeinsam mit der Haftungs- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Schnei gemeinschaft für unser Vaterland. der [Berlin] [GRÜNE]) (Beifall bei der CDU/CSU — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Ich nicht, Herr Hup Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka. ka! Ich wehre mich da strikt! Ich befinde mich nicht in einer Haftungsgemeinschaft! Für diesen Unsinn auch noch haften!) Dr. Hupka (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Da- men! Meine Herren! Der Tag der Wahl zum Euro- — Jeder gebärdet sich so dumm, wie er ist. päischen Parlament ist der Tag der deutschen Ein- Es ist auch nicht gut, daß diejenigen, die am heit, der 17. Juni. Dieses zufällige Zusammentreffen schwersten von den Folgen des Zweiten Weltkrie- ist ein Glücksfall. Die Teilung Deutschlands und die ges und der Teilung unseres Vaterlandes betroffen Teilung Europas sind identisch. Wer die Teilung Eu- sind und darum auch am ehesten und wohl auch zu ropas überwinden will, muß zugleich auch die Tei- Recht am lautesten das Unrecht beim Namen nen- lung Deutschlands überwinden. Wir wählen am nen und das Recht einfordern, allzu bereitwillig ins 17. Juni allerdings nur das Parlament des freien Abseits gepfiffen werden. Oder man drückt ihnen, Teils von Europa, also das Teilparlament eines Teil- wie das heute Herr Kollege Schmude wieder getan europa. Unser Ziel ist das freie Europa aller freien hat, den Stempel der Sonntagsredner auf. Nationen, der deutschen genauso wie der Polen, (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Das sind sie Tschechen und Litauer, um nur unsere unmittelba- auch, Herr Hupka!) ren Nachbarn zu nennen. Wir handeln darum, wenn wir am Tag der deutschen Einheit das zweite euro- Das Etikett „Revanchismus" ist allerdings kommu- päische Parlament wählen, in eigener Sache ge- nistischer Herkunft. nauso wie als Anwalt all der vom Kommunismus Wir führen die Auseinandersetzung um ganz unterdrückten Völker in Europa. Deutschland zuerst gar nicht als Deutsche, sondern Die deutsche Frage ist offen — das ist wiederholt als Demokraten. Demokraten können zu Tatbestän- heute hier schon gesagt worden —, noch klarer for- den, die von Diktaturen geschaffen worden sind muliert: Die deutsche Frage muß offengehalten und Unrecht genannt werden müssen, nicht j a sa- werden. gen. Die Teilung Deutschlands ist aber eine von der (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wie ma kommunistischen Diktatur geschaffene Realität chen Sie das denn?) des Unrechts. Selbstverständlich sind wir auch und gerade als Deutsche herausgefordert. Hier wird al- Gemeinsam gehen wir davon aus, daß entsprechend lerdings nicht nur im Ausland, sondern auch hierzu- dem Wort aus dem Urteil des Bundesverfassungs- lande gern eingeworfen, daß wir durch Hitler jeden gerichts vom 31. Juli 1973 „das Deutsche Reich fort Anspruch auf ganz Deutschland verwirkt hätten. existiert". Es ist Deutschland in den Grenzen des Niemand wird und darf die Entfesselung des Zwei- 31. Dezember 1937, bekanntlich ein Datum, das die ten Weltkrieges durch Hitler, übrigens im Zusam- Alliierten gesetzt haben, menspiel mit dem anderen Tyrann Josef Stalin, (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Sieg Heil!) leugnen. Wir, das deutsche Volk, das bei der Entfes- und dies angesichts der größten Niederlage unseres selung des Zweiten Weltkrieges, wie das Diktatoren Volkes. Wir haben dieses Deutschland in allen sei- so handhaben, nach einem Ja oder Nein gar nicht nen Teilen bewußt zu erhalten, gegebenenfalls erst gefragt worden sind, wieder bewußt zu machen. Erst in einem frei ausge- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wer hat ihn handelten Friedensvertrag — so steht es auch im denn gewählt?) Deutschland-Vertrag — kann endgültig über ganz haben den Zweiten Weltkrieg verloren. Durch die- Deutschland entschieden werden. sen Krieg ist die Teilung Deutschlands ausgelöst (Schulze [Berlin] [CDU/CSU]: So ist es!) worden. Daß diese Teilung jedoch bald vier Jahr- In seiner Regierungserklärung am 4. Mai vorigen zehnte dauert, ist bestimmt nicht mehr die alleinige Jahres hat Bundeskanzler Dr. aus gu- Schuld Hitlers, sondern auch die Schuld der So- tem Grund gesagt: wjetunion, die uns zusammen mit ihren Satelliten- staaten das Recht auf Selbstbestimmung verwei- Das Bewußtsein der Einheit Deutschlands und gert. der gemeinsamen ... Kultur und Geschichte - wachzuhalten, ist für uns Aufgabe und Ver- (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Sie sind ein pflichtung. Sie sollen nicht allein denen über- Revisionist!) lassen bleiben, die durch die Teilung unseres So wie das tausendjährige Reich, von Hitler ver- Vaterlandes besonders betroffen sind. kündet, eine unverantwortliche Torheit war, ist der Es stünde schlecht um ganz Deutschland, wenn ewige Hitler, an dem alles und jedes gemessen wird, z. B. für Mitteldeutschland, das sich heute DDR nicht minder eine Torheit. Wir sollten endlich aus nennen lassen muß, nur die Flüchtlinge und für dem Schatten Hitlers heraustreten, wie es zu Recht Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4205

Dr. Hupka unser Fraktionsvorsitzender Dr. der Bundesregierung für die Freigabe aller Doku- wiederholt gefordert hat. mente! Auch das wird gegen den Anspruch auf die Ein- Der Politik ist es aufgetragen, mit dem Recht als heit ganz Deutschlands in Freiheit vorgetragen: Die der Waffe des Ohnmächtigen ausgestattet und mit normative Kraft des Faktischen habe entschieden, einem langen Atem, einen Feldzug der Gewaltlosig- aus Unrecht sei nun Recht geworden. Hier trügt der keit für die Einheit und Freiheit Deutschlands und Schein, denn Unrecht wird auch in vier Jahrzehn- das Recht auf Selbstbestimmung zu führen. Es ist ten entgegen dem Machtanspruch einer kommuni- achtzugeben, daß die Politik nicht das Recht durch stischen Diktatur nicht zum Recht. Außerdem unterlassenes Handeln oder mit einem opportuni- würde es bedeuten, daß Hitlers Annexionen nur stischen Aktionismus aushöhlt. Aber jede Bundes- deswegen Unrecht gewesen sind, weil sie fünf, regierung kann nur tätig sein, wenn sie sich des sechs Jahre gewährt haben. Hätten sie auch nahezu Willens des deutschen Volkes, der Deutschen in vier Jahrzehnte gedauert, wäre das Protektorat Freiheit und in Unfreiheit sicher weiß. Wir sind, Böhmen und Mähren, wäre das Generalgouverne- Gott sei es gedankt, bis zur Stunde ein Volk geblie- ment heute Recht. Nie und nimmer hätte sich ein ben. Die Jahrzehnte seit 1945 haben zwar Deutsch- Tscheche oder Pole mit diesem Unrecht der Anne- land vielfach, d. h. zuerst achtfach, jetzt vierfach tei- xion, hätte sie auch noch so lange gedauert, abge- len können, aber das deutsche Volk zerfällt nicht in funden und ihm zugestimmt. ein sogenanntes BRD- und ein DDR-Volk und die sogenannten Deutschstämmigen jenseits von Oder (Beifall bei der CDU/CSU) und Neiße. Übrigens ließen sich weder die Tschechoslowakei (Zurufe von den GRÜNEN: Österreich! — noch Polen durch die aufgezwungenen Bezeichnun- Namibia! — Deutsche!) gen wie „Protektorat Böhmen und Mähren" oder „Generalgouvernement" auslöschen noch läßt sich Die Deutschen sind ein Volk, ob in der Bundesrepu- jetzt Breslau, Stettin oder Königsberg durch blik Deutschland oder in der Unfreiheit der Teile Wroclaw, Szczecin oder Kaliningrad, lassen sich Deutschlands. Es darf keinen Rückzug aus Schlesien, Pommern oder Ostpreußen ausradieren. Deutschland geben. Mitläufertum gestern gegen- über einer Diktatur im Innern und Gefälligkeit (Schneider [Berlin] [GRÜNE]: Wohin wol heute gegenüber den über Deutschland Macht aus- len Sie denn nun marschieren?) übenden Diktatoren sind in gleicher Weise vom Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer Übel. angestammten Heimat schuf die Voraussetzung Der Bericht zur Lage der Nation im geteilten dessen, was heute ist. Durch Vertreibung kann aber Deutschland — „im gespaltenen Deutschland", wie kein neues Recht geschaffen werden. Jede Vertrei- es im Protokoll des Deutschen Bundestages nachzu- bung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. lesen ist — ist, recht verstanden, ein Bericht, der Wer die Folgen der Vertreibung als ein modernes uns alle in die Pflicht nimmt. Wir sollten es nicht Mittel, politische Lösungen herbeizuführen, akzep- anders halten als der vorhin schon vom Bundes- tiert und anerkennt, ermuntert andere, sich dieses kanzler zitierte amerikanische Außenminister grausamen Mittels zu bedienen. Ohnehin ist heute George Shultz mit seiner Rede am 17. Januar 1984 festzustellen, daß wir in der Welt zur Zeit 15 Millio- in Stockholm: „Die Vereinigten Staaten erkennen nen Vertriebene zählen, und man muß hinzufügen, die Legitimität" — zu deutsch: die Rechtmäßigkeit daß über 90 % dieser Vertriebenen von kommunisti- — „der künstlich Europa auferlegten Teilung nicht schen Gewaltregimen vertrieben worden sind. an." Jedermann weiß, daß die im deutschen Namen Was künstlich, was gewaltsam geschaffen worden geschehenen Verbrechen nicht geleugnet werden ist, verdient nicht nur nicht unsere Zustimmung, dürfen. Aber leider ist nicht in derselben Weise All- sondern ist die tägliche Herausforderung gerade gemeingut, daß auch die im Namen der anderen des deutschen Volks, das unter dieser gewaltsamen Völker uns Deutschen zugefügten Verbrechen beim Teilung Europas am schwersten leidet. Namen genannt werden müssen. Es soll und darf Ich danke Ihnen. nicht aufgerechnet werden, aber jedes Verbrechen ist eine Anklage gegen die Unmenschen unter uns (Beifall bei der CDU/CSU) Menschen und dagegen, daß derartige Verbrechen in unserem angeblich so zivilisierten 20. Jahrhun- dert überhaupt möglich sind. Wir stellen uns all den Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Herr Verbrechen bis 1945 und haben kein Verständnis Abgeordnete Hiller. dafür, daß in Warschau oder Prag, aber auch in Moskau oder Ost-Berlin angegriffen und be- schimpft wird, wer, wie der Bundeskanzler oder Hiller (Lübeck) (SPD): Herr Präsident! Meine- sehr Bundesinnenminister Dr. , verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der eben gehörte Beitrag ist ein Stück Vergangenheitsbewäl- für die Dokumentation aller Verbrechen, auch der den Deutschen zugefügten, eintritt. Schlimm genug, tigung für die CDU/CSU-Fraktion. Ich als Neuling daß eine Dokumentation über derartige Verbrechen in diesem Parlament habe solche Reden natürlich seit 1974 bis zum Amtsantritt dieser Bundesregie- sehr häufig in der Vergangenheit gehört. rung unter Verschluß gehalten wurde und deshalb (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Stehen Sie noch auf nur als Raubdruck verbreitet werden konnte. Dank dem Boden des Grundgesetzes?) 4206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Hiller (Lübeck) Ich denke, daß eine solche Rede keinen Anlaß bietet litiker und Medien haben die schlechte Angewohn- — jedenfalls für mich nicht —, hier in dieser De- heit, die DDR nur als das SED-Regime mit einer batte noch einmal konkret auf diese Formeln einzu- geknechteten grauen Masse darunter zu sehen und gehen. sie entsprechend zu behandeln." (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Sie haben ein (Reddemann [CDU/CSU]: Sie sehen sie anderes Manuskript! — Pfeffermann umgekehrt?) [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch etwas Günter Gaus fuhr fort: „Die weitgehende Be- von der Sache verstehen!) schränkung bei uns auf diese Art von Bewußtseins- „Werden die Deutschen aufeinander schießen?", erzeugung über die DDR schafft ein schiefes Bild so fragte Bertolt Brecht 1951 in einem Brief an von der DDR; denn in der DDR leben Individuen, deutsche Künstler und Schriftsteller. Seine Antwort lebt keine graue Masse." „Wenn sie nicht miteinander sprechen, werden sie aufeinander schießen" soll das Thema meines Bei- Nun sage ich — mit Günter Gaus — nicht, daß die trags zu dieser Debatte sein: das die Konfrontation Zustände in der DDR nicht so wären, als daß man überwindende Gespräch, der den Frieden sichernde sie nicht in grauen Farben darstellen könnte. Aber, Dialog über die deutsch-deutsche Grenze hinweg. ich glaube, wir müssen mehr dazu beitragen, daß unsere Bürger in unserem Land das gesamte Bild (Pfeffermann [CDU/CSU]: Ich habe mir der DDR-Lebenswirklichkeit kennenlernen kön- schon gedacht, daß Blabla leichter ist!) nen, und zwar mit Licht und Schatten. Wir müssen Bei der Frage, wie die deutsch-deutschen Bezie- die Entfremdung, die Verzerrung der Bilder, den hungen der Förderung und Sicherung des Friedens Mangel an faktischer Information überwinden, um in Europa dienstbar gemacht werden können, will unsere gemeinsame Verantwortung für die Frie- ich mich auf den Teilaspekt beschränken, wie die denssicherung in Europa wahrnehmen zu können. Konfrontationslinie zwischen Ost und West, die mit- Deshalb mein Appell an beide deutsche Regierun- ten durch Deutschland verläuft und das Land nicht gen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die nur staatsrechtlich, sondern auch ideologisch schon bestehenden Möglichkeiten deutsch-deut- trennt, durch Begegnungen, Gespräche, gemeinsa- scher Begegnungen besser genützt und ausgebaut mes Erleben von Deutschen (Ost) und Deutschen werden und langfristig jeder Deutsche die Chance (West) überwunden werden kann. hat, das für ihn fremde, andere Deutschland ken- Entspannungspolitik von Mensch zu Mensch nenzulernen. halte ich für die grundlegende Untermauerung der Es hat lange gedauert, bis die Mehrheit der Bun- Entspannungspolitik zwischen Regierungen, und desbürger merkte, daß die Deutschlandpolitik der deshalb halte ich diese Untermauerung für unver- Adenauer-Ara in eine Sackgasse, genauer gesagt: zichtbar. Wenn Deutsche über die deutschen Staats- vor die Mauer geführt hat. grenzen hinweg miteinander reden, Informationen über das jeweilige andere Deutschland austau- (Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist dummes schen, Erfahrungen machen, damit die gegenseitige Gesabbel! — Schwarz [CDU/CSU]: Das ist Kenntnis des kulturellen und gesellschaftlichen Le- dummes Geschwätz!) bens vertieft werden kann, wie es Helmut Schmidt — Die Bewertung der Zwischenrufe, die Sie ma- und Erich Honecker am Werbellinsee gemeinsam chen, überlasse ich der deutschen Öffentlichkeit. formulierten, verliert die Grenze an trennender Wirkung. (Beifall bei der SPD — Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Die Hallstein-Doktrin kennzeichnet hingegen das deutschlandpolitische Instrumentarium der Es kann gar nicht genug daran erinnert werden, CDU/CSU-Regierungen vor 1969. Die Deutschland- welche zeitgeschichtlich bedeutsame Wende die So- politik der Regierung Adenauer blieb natürlich zialdemokraten 1969 Schritt für Schritt, Vertrag für auch nicht ohne Einfluß auf das Bild, das sich Deut- Vertrag, namentlich Willy Brandt und , sche in Ost und West vom jeweiligen anderen deut- mit ihrer Entspannungspolitik und Vertragspolitik schen Staat und seinen Bürgern machten. So wenig, bewirkt haben. Auch damals haben wir solche Re- wie die CDU-geführten Regierungen der 50er und den gehört, wie sie mein Vorredner hier gehalten 60er Jahre bereit waren, zur Kenntnis zu nehmen, hat. Ich bin sicher, daß die Wende von 1969 mit ihrer daß sich hinter Mauer und Stacheldraht ein Staats- geistig-moralisch und politisch wahrhaft erneuern- wesen stabilisierte, so wenig waren viele Menschen den Orientierung vor der Geschichte Bestand ha- bei uns in der Lage, sich ein realistisches Bild — ben wird — im Gegensatz zu der Wende, von der Sie mit Licht und Schatten — vom jeweiligen anderen häufig reden. deutschen Staat und der Lebenssituation seiner (Beifall bei der SPD — Zurufe von der Menschen zu machen. CDU/CSU) - „Zu den schlimmen Sachen, die wir uns täglich Aber wir deutschen Sozialdemokraten müssen antun," — so sagte Günter Gaus am 30. Januar 1981 aufmerksam darüber wachen, daß die derzeitige in der „Zeit" — „gehört, daß in der westdeutschen Bundesregierung mit ihrem Kanzler, der sich gern Bevölkerung Angst vor der DDR erzeugt wird. Dies als Enkel Adenauers begreift, nicht wieder die ist sicherlich für jene in der DDR, die an Abgren- Deutschlandpolitik des „Alten" belebt. zung interessiert sind, die preiswerteste Unterstüt- zung ihrer Ziele, die sie haben können. Manche Po (Zuruf des Abg. Reddemann [CDU/CSU]) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4207 Hiller (Lübeck) Trotz der gemeinsamen Erklärung zur Lage der Funktionäre treffen, sondern auch auf örtlicher Nation im Bundestag mahnen uns einige Fakten Ebene in den grenznahen Bezirken ein Austausch zur Vorsicht. Der Beschluß der Regierungsmehrheit von Kultur und Sport stattfinden kann. des Bundestages, die Stationierung amerikanischer Und der letzte Satz, den ich hier sagen möchte, Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden zuzu- ist, daß wir Sozialdemokraten es natürlich begrü- lassen, hat die deutsch-deutschen Beziehungen ßen, daß im Moment jeden Tag 250 bis 300 Men- doch belastet, auch wenn man das im Moment noch schen, hauptsächlich junge Menschen, in die Bun- nicht wahrhaben will, auch wenn diese Dinge in der desrepublik kommen. Zeitung im Moment noch anders dargestellt wer- den. (Reddemann [CDU/CSU]: Sagten Sie nicht, Sie wollten zum Schluß kommen?) (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das müssen Sie Herrn Schmidt sagen!) — Natürlich. Ich sage nur, daß die Regierung und die Gesellschaft diese Menschen, die mit hohen Er- Ich glaube, daß die Sorge von Bertolt Brecht, Deut- wartungen in unser Land kommen, nicht alleinlas- sche könnten wieder aufeinander schießen, durch sen dürfen und daß es notwendig ist, einmal dar- das Anwachsen der Waffenarsenale in beiden deut- über nachzudenken, wie man mit dieser Frage fer- schen Staaten neue Aktualität gewonnen hat. tig wird. (Zustimmung des Abg. Fischer [Frankfurt] (Beifall bei der SPD) [GRÜNE]) Ich hoffe deshalb um so mehr, daß die ja auch von Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Abge- der Bundesregierung und vom Bundestag einstim- ordnete Büchler (Hof). mig erklärte Bereitschaft zur Fortführung der Ent- (Werner [CDU/CSU]: Das wird ja immer spannungspolitik und die gemeinsame Einsicht in schlimmer!) die Notwendigkeit gutnachbarlicher Beziehungen beider deutscher Staaten durch konkrete Politik Wirklichkeit werden. Büchler (Hof) (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Ich möchte — meine Redezeit geht leider zu Ende verehrten Damen und Herren! Dieser Beitrag hätte — der CDU/CSU wirklich einmal empfehlen, eine hier wirklich nicht geleistet werden dürfen, werter fraktionsinterne Grenzkommission zu bilden, um Herr Kollege Werner. Wir haben heute sowieso schlimme Benachteiligungen in der Debatte erle- zu klären, in welchen Grenzen Deutschland im Un- ben müssen, weil die Regierung zu lange gespro- terricht an den Schulen — davon ist ja gesprochen worden — gezeigt werden soll. chen hat. Deshalb möchte ich meinen Schlußbeitrag für die SPD so verstehen, daß ich einiges zurecht- (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das steht im rücke, was die Vertreter der Regierungskoalition Deutschlandvertrag!) hier gesagt haben, ohne auf die einzelnen Redner — Das weiß ich. — Ich möchte kurz aus einem einzugehen. Sehr gern wäre ich auf Herrn Lintner Interview aus dem Mai 1983 zitieren, in dem Herr eingegangen. Herrn Hupka erspare ich mir, was all- Windelen gesagt hat: „Der Zustand der Grenzen von gemein verständlich ist. Und auch Herr Waigel 1937 war ja alles andere als befriedigend. Wir hat- wäre sicher einer Betrachtung wert gewesen. Aber ten abgetrennte Reichsgebiete, wir hatten freie die Zeit drängt. Städte, wir hatten Korridore, wir hatten Minderhei- (Zuruf von der CDU/CSU: Den Herrn ten außerhalb der Reichsgrenze." Hupka haben Sie wohl nicht im Manu Soll das vereinigte Deutschland noch etwas um- skript?) fassender sein als das von 1937 — Nein, den habe ich doch drin. Den mußte ich sozusagen rausschmeißen — aus dem Manuskript, (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Von 1941 meine ich natürlich. Aber das schadet nichts. oder noch besser 1942!) Die Zeit drängt, meine sehr verehrten Damen oder gilt das, was Helmut Kohl in den „Lutheri und Herren. Ich möchte Sie an den ersten Bericht schen Monatsheften" — Heft 5/1981 — gesagt hat zur Lage der Nation erinnern. Der wurde hier am — das sage ich jetzt zu Herrn Hupka; ich zitiere —: 14. März 1968 abgegeben. Damals hat Helmut „Die verlorene Einheit Deutschlands im Sinne des Schmidt — er war Fraktionsvorsitzender der So- alten Nationalstaates ist nicht mehr herstellbar."? zialdemokraten — gesagt, daß alle Möglichkeiten Was ich hier von Herrn Windelen zitiert habe, mit Geduld und Sachkunde auszuschöpfen sind, um gehört nach meiner Meinung nicht dazu, Vernunft den Menschen im anderen Teil Deutschlands wirt- und Realismus in die Politik einzubringen. schaftlich, politisch und kulturell zu helfen. Das war damals, wie Sie wissen, keine Selbstverständlich- (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das Grundgesetz keit. Viele Kolleginnen und Kollegen können sich lesen!) - sicher noch daran erinnern. Und erst wir Sozialde- Ich meine, die CDU/CSU wäre gut beraten, diese mokraten haben das zum Programm gemacht. Wir Fragen umfassend und schnell zu klären. sind heute mehr denn je zuvor davon überzeugt, Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß wir richtig gehandelt haben. daß die Untermauerung der Deutschlandpolitik Wenn wir alle Möglichkeiten ausschöpfen wollen, wichtig ist, wenn sie durch Begegnungen auf un- um den Menschen zu helfen, dann gehört dazu terer Ebene ergänzt wird, wenn sich nicht nur die auch, daß wir mit den Abgeordneten der Volkskam- 4208 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Büchler (Hof) mer reden. Ich möchte das hier so verkürzt sagen. daß dieser Kanzler mit dieser Ansicht sehr bald Wir haben da keine Schwierigkeiten, wie Sie gese- eine direkte Bauchlandung machen wird. hen und bemerkt haben. Viele in der Union ha- Lassen Sie mich noch einen Satz zu Herrn Ron- ben — — neburger sagen. Er konnte heute nicht reden; das (Abg. Reddemann [CDU/CSU] meldet sich ist bedauerlich. Ich meine, wir haben in der Vergan- zu einer Zwischenfrage) genheit wirklich konstruktiv zusammengearbeitet. Ich bin Ihnen auch dankbar, daß Sie sich so klar für — Herr Reddemann, ich kann jetzt leider Zwischen- Kontakte zur Volkskammer ausgesprochen haben. fragen nicht mehr zulassen. Aber ich komme darauf Das gilt auch für die Bemerkungen des Herrn Bun- zurück. — Ja, bitte schön. destagspräsidenten, die wir heute im Rundfunk ge- (Reddemann [CDU/CSU]: Also Sie haben hört haben. Sie haben zurückhaltend, aber nicht sich für eine Zwischenfrage entschieden?) total ablehnend gesprochen und gesagt, dies müsse man sich überlegen. — Ich will nur Herrn Minister Windelen noch Zeit geben. Das ist unser Problem. Der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Herr Lintner, hat uns (Reddemann [CDU/CSU]: Ich wollte nur eine Lektion erteilen wollen. Ich will wegen der zwischenfragen: Wer sind denn diese Kürze der Zeit nicht darauf eingehen, nur soviel: Volkskammerabgeordneten, sind das die Die Zeit, in der wir jetzt leben, Herr Lintner, ist so, würdigen Damen und Herren, die im ver daß Sie auch Ihre Meinung sehr bald revidieren gangenen Jahr insgesamt 120 Minuten ge müssen. Passen Sie auf, daß Ihnen Strauß nicht tagt haben?) zuvorkommt, daß Sie dann wieder — wie in der Ver- — Herr Reddemann, wir haben in verschiedenen gangenheit — nachreden müssen. Verlautbarungen dargelegt, wo die Arbeit dieser (Dr. Diederich [Berlin] [SPD]: Der rennt Volkskammerabgeordneten liegt, nämlich in der immer hinterher, der Lintner! — Weitere Bewältigung von vielen Petitionen. Der Wert des Zurufe von der SPD) Gesprächs liegt ja darin, daß wir eine neue Ge- Also, ein ziemliches Durcheinander in der Koalition sprächsebene eröffnen, daß wir mit Menschen spre- chen können, die draußen praktisch mit allen Pro- finden wir vor. blemen der DDR-Bürger konfrontiert sind. Darin (Widerspruch bei der CDU/CSU) liegt der eigentliche Wert des Gesprächs mit den Ich möchte die Gegenargumente — ich habe es hier Volkskammerabgeordneten. gesagt — nicht wiederholen. Das Für und Wider ist (Reddemann [CDU/CSU]: Das glaubt Ih von uns abgewogen worden. Wir wollten j a auch nen keiner, vor allem kein Volkskammer gemeinsam reisen; abgeordneter!) (Glos [CDU/CSU]: Reisen bildet!) — Also wir wollen uns darüber hier nicht streiten. wir haben lange Zeit gewartet, ob Sie mitkommen. (Zuruf von der CDU/CSU) Wir wissen alle: Die bayerischen Sozialdemokraten, die MdBs hier, waren die Vorboten, und ich war — Doch, wir müssen uns darüber streiten; das ist dann mit meiner Arbeitsgruppe Ende August 1983 keine Frage. bereits in der Volkskammer, um Sinn und Zweck all Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um dessen zu untersuchen. zu diesen Kontakten zu kommen. Ich erinnere hier (Zuruf des Abg. Reddemann [CDU/CSU]) an- Ausschußabstimmungen, wo auch CSU/CDU Kollegen — ich nenne sie immer bewußt so herum — Nun, Herr Reddemann, auch Sie werden sich — dafür gestimmt haben, mit den Volkskammerab- noch beruhigen; darüber gibt's gar keinen Zweifel. geordneten zu reden. Ich bin dankbar, daß Herr Ich habe auch bei Ihnen schon Meinungsum- Hennig, der Staatssekretär im Innerdeutschen Mi- schwünge erlebt. nisterium, klipp und klar gesagt hat, es habe ja (Reddemann [CDU/CSU]: Das müssen Sie auch in der Vergangenheit Begegnungen gegeben, mir nachweisen, Herr Kollege! — Weitere man solle das völlig undramatisch sehen. Er wendet Zurufe von der CDU/CSU) sich anschließend strikt dagegen, daß die Bundesre- Nun, lassen Sie mich die Frage der Volkskammer gierung dem Parlament Vorschriften macht. verlassen und zu anderen Bereichen der Deutsch- Dann meldet sich Herr Kohl aus dem Kanzler- landpolitik übergehen. Wenn man die Presse nach- amt liest — auch Ihre Pressemeldung aus Leipzig — (Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) und die Rundfunkinterviews überprüft, dann wird man feststellen, daß eine Gesamtkonzeption für — in der „Welt" war es nachzulesen — und lehnt die - eine Deutschlandpolitik bei der Union nicht vor- offiziellen Beziehungen des Deutschen Bundesta- handen ist. Das war in der Vergangenheit so, das ist ges zur Volkskammer entschieden ab. Dazu sage heute so, das ist, so möchte ich fast sagen, schon ein ich in meiner Eigenschaft als Parlamentarier: Er- naturwissenschaftliches Gesetz stens entscheidet darüber der Bundestag, also wir. Der Herr Kanzler sollte Nachhilfe bei seinem (Reddemann [CDU/CSU]: Glauben Sie das Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium ruhig weiter! — Weitere Zurufe von der nehmen. Zweitens prophezeie ich hier ganz offen, CDU/CSU) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4209 Büchler (Hof) Das, was neu hinzukommt, ist, daß die Deutschland- „Vernunft ist die Wahrnehmung des Ganzen", politik von Koalitionsmitgliedern für ihren internen sagt der Philosoph und Physiker Karl Friedrich von Kampf benutzt wird: Strauß gegen Lambsdorff, Weizsäcker, der Bruder des Mannes, der seine mo- Kohl gegen Strauß; ich erinnere an Leipzig. deraten Vorstellungen zur Deutschlandpolitik in seinen eigenen Reihen immer noch nicht durchset- (Widerspruch bei der CDU/CSU) zen kann. Diepgen, das war nun wirklich ein Ab- Das ist eine schlimme Entwicklung, das hat die klatsch heute. Deutschlandpolitik nicht verdient, meine Damen Wir unterstützen diese Bundesregierung voll und und Herren. Dagegen muß man sich wenden. ganz immer, wenn sie sich auf der Grundlage der (Reddemann [CDU/CSU]: Das hat sie nur Verträge bewegt und Sorge dafür trägt, daß Men- verbessert! — Glos [CDU/CSU]: Da schen zusammenkommen, daß Probleme, die in bei- klatscht noch nicht einmal der Herr Ehm den deutschen Staaten vorhanden sind, gelöst wer- ke! Warum klatscht der nicht?) den. Nur teile ich die Euphorie nicht, daß die Deutschlandpolitik auf gutem Wege ist. Es gibt Au- Wir Sozialdemokraten begrüßen intensive Kon- genblickserfolge. Es gibt Erfolge, die zu beachten takte mit allen gesellschaftlichen Gruppen in der sind. Ohne Zweifel! Nehmen wir die Ausreisezah- DDR: mit der Staatsführung natürlich, mit den Ab- len. Das sind schon Erfolge. geordneten der Volkskammer, wie ich gesagt habe, mit den Künstlern, mit den Menschen auf der Stra- Übrigens muß ich einflechten, daß Ihre fast ße, soweit das möglich ist. Es war immer unser Ziel, 20jährige Parole „Leistung nur für Gegenleistung" möglichst viele intensive Kontakte zustande zu bei einem Milliardenkredit oder bald mehreren Mil- bringen. Dies war überhaupt die Grundlage unserer liardenkrediten durchaus auch die Zurücknahme Politik, und das ist die Grundlage unserer Politik, des Mindestumtausches und einige wirkliche, ernst- damit die Teilung nicht vertieft wird. Denn bis zum hafte Abbaumaßnahmen an den Grenzanlagen Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierungs- beinhalten sollte. Das muß man hier einmal ganz verantwortung Mitte der 60er Jahre war das Nor- deutlich sagen. male die zunehmende Auseinanderentwicklung Die Ausreisezahlen sind Erfolge. Sie sprechen zwischen 60 Millionen Deutschen auf der einen und selbst davon. Doch die Bundesregierung tut ent- ca. 17 Millionen Deutschen auf der anderen Seite. schieden zuwenig, um den Menschen eine faire Tatsache war, daß die Kluft zwischen denen da Startchance zu geben. 150 DM oder mehr ist nichts. drüben, wie sehr viele gesagt haben, und uns im Herr Lintner, Sie haben das heute angesprochen, Westen immer größer und tiefer wurde — ob nun ohne ein Konzept zu nennen. Gewissensberuhigend wirtschaftlich, politisch oder kulturell. Die DDR darf das nicht wirken. Wir brauchen ein Konzept wurde immer häufiger auf schnelle Art abgelehnt, für diese Menschen, wenn sie nicht sehr bald in verurteilt und zurückgewiesen. Wir haben einen Armut versinken, wenn sie nicht sehr bald beim Bundeskanzler gehabt, Kiesinger, der konnte die Sozialamt landen wollen. Die Untätigkeit der Regie- DDR, wie Sie wissen, überhaupt nicht ausspre- rung auf diesem Gebiet ist empörend; das sieht chen. Strauß genauso. Früher, unter , wurde dies alles ge- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Dafür hat räuschlos vollzogen. Ich will das an diesem Tag er dreimal „Kina" gesagt! — Zurufe von der ganz besonders sagen. CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr geräusch — Ja, das ist richtig. — Es ist das unbestreitbare los!) historische Verdienst von Sozialdemokraten — das muß festgehalten werden —, dieser Politik der Ent- Sie haben zwar als Opposition immer wieder ver- zweiung ein Konzept entgegengesetzt zu haben, das sucht, Ihr parteipolitisches Süppchen damit zu ko- wie eine vielschichtige Klammer zwischen Ost und chen. Aber Egon Franke hat trotzdem in Ruhe sei- West zum Nutzen von Ost und West wirken sollte ne, den Menschen dienende Politik durchgesetzt. und, wie wir wissen, heute auch so wirkt. Im Nun haben Sie das alles bei den Fluchtversuchen Grunde genommen war das revolutionär; das kann über die Botschaften in die Öffentlichkeit gezogen. man sagen. Sie werden neue Instrumente brauchen, darüber gibt es keinen Zweifel; denn es werden mehr Men- (Zuruf von der CDU/CSU: Für Sie war das schen kommen. Auch das muß uns heute allen klar revolutionär!) sein. Deshalb haben Sie, meine Damen und Herren von Ich habe dazu gesagt, dazu braucht man ein In- der CDU/CSU, auch heute noch — milde formuliert strument, eine Klärungsstelle, um zwischen den — Ihre Schwierigkeit mit dieser Politik, die Sie fort- beiden Staaten neue Wege zu gehen. Es gibt ja auch setzen wollen. Herr Waigel — ich wäre gerne näher Menschen, die wieder zurück wollen. Darüber, wie - darauf eingegangen — hat heute dafür ein deutli- man das macht, muß man mit der DDR reden. Es ches Beispiel gegeben. gibt also eine Menge an Handlungsbedarf, der an- Aber wie es ist: Ihr Kopf sagt j a zu unserer Poli- steht und gemeistert werden will. tik, Ihr ideologisches Herz nein. Mal sind Sie dafür, Die jetzige Situation ist so, daß die Deutschland- mal sind Sie dagegen. Der eine ist so, der andere politik der Union keinen sicheren Boden darstellt. anders. Aber das ist keine vernünftige Politik, wie Sie führt die sozialdemokratisch geprägte Deutsch- wir heute wieder gesehen haben. landpolitik fort, aber dies ohne den nötigen Unter- 4210 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Büchler (Hof) bau. Das macht sie oberflächlich, und auf Dauer, und besonders für die verbalen Kraftakte über die meine ich, wird sie nicht von Erfolg getragen sein. Grenzen von 1937. (Reddemann [CDU/CSU]: Sie hoffen das!) Siebtens. Zur Stabilität gehört die innere Stabili- tät der Staaten in Europa. Wir nehmen mit Befriedi- Wir haben einen langen Diskussionsprozeß hinter gung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung — so uns. Wir haben eine gemeinsame Entschließung zur versprach es Herr Bundesminister Windelen vor Deutschlandpolitik durchgesetzt. Das wäre eine seinen amerikanischen Zuhörern — nicht beabsich- gute Basis und soll eine gute Basis für uns alle blei- tigt, die DDR zu destabilisieren. ben. Es gibt, wie wir wissen, erhebliche Differenzen. Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter — — Das wird auch in Zukunft so sein. Wir wollen die Deutschlandpolitik weiterentwickeln, während Sie noch Mühe haben, zu dieser gemeinsamen Ent- Büchler (Hof) (SPD): Herr Präsident, eine halbe schließung aufzuschließen. Das ist Ihr Problem, das Minute noch. Sie jetzt noch haben. (Reddemann [CDU/CSU]: Sie sind aber da Vizepräsident Westphal: Die hatten Sie schon. von abgerückt!) Bitte kommen Sie zum Schluß. — Wir sind davon nicht abgerückt. Wir entwickeln weiter. Büchler (Hof) (SPD): Von diesen Grundtatsachen ausgehend, müssen die Beziehungen zwischen den (Reddemann [CDU/CSU]: Sie haben in Ih beiden deutschen Staaten auf allen Ebenen weiter- rem Pressedienst doch heftige Absetzbe entwickelt werden. Das ist kein Selbstzweck, son- wegungen gemacht!) dern muß den Interessen und Wünschen der Men- Ich würde sagen: Wir dürfen die Deutschlandpolitik schen in Deutschland und Europa dienen. nicht verwalten, sondern wir müssen sie weiterent- Herzlichen Dank. wickeln. (Beifall bei der SPD) (Reddemann [CDU/CSU]: Das wäre schön!) Vizepräsident Westphal: Das Wort hat der Bundes- Im Augenblick sind nur wir, das kann man objektiv minister für innerdeutsche Beziehungen. sagen, mit weiterführenden Vorschlägen initiativ. Ich schlage Ihnen vor, gemeinsam von folgenden Windelen, Bundesminister für innerdeutsche Be- Grundüberlegungen auszugehen. Ich nenne sie ziehungen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten jetzt — die Zeit läuft ab —: Damen! Meine Herren! Gestatten Sie dem für die Deutschlandpolitik der Bundesregierung verant- Erstens. Es gibt in Deutschland zwei Staaten. Je- wortlichen Minister bitte ein paar abschließende der Staat ist souverän, beide Staaten sind gleichbe- Bemerkungen zu dieser Debatte. Es hätte mich sehr rechtigt mit jedem anderen Staat der Welt. Von die- gereizt, auch auf Ihre, wie Sie es selbst nannten, ser Tatsache muß Deutschlandpolitik ausgehen. Herr Kollege Büchler, „revolutionäre" Politik einzu- Zweitens. In beiden Staaten leben Deutsche. Ihre gehen. Sprache, ihre historischen Wurzeln und Traditionen (Werner [CDU/CSU]: Das war konfus, nicht sind dieselben. Sie fühlen sich als Deutsche. Des- revolutionär!) halb bleiben wir dabei: Es sind zwei unabhängige Ich fühle mich ein wenig an Tucholsky erinnert, der Staaten, aber es ist eine Nation. einmal gesagt hat: Wenn man Sozialdemokrat ist, Drittens. Da sich die Menschen zusammengehö- dann hat man immer das schöne Gefühl, man tue rig fühlen, ist es Aufgabe der Politik, dafür zu sor- etwas für die Revolution, und man sei völlig sicher, gen, daß sie miteinander reden und sich treffen daß sie nicht komme. — können. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Viertens. Die Deutschlandpolitik soll dem Frie- und der FDP — Fischer [Frankfurt] [GRÜ- den in Europa dienen. Sie soll helfen, Spannungen NE]: Jetzt müssen Sie aber auch zitieren, abzubauen, Vertrauen zu schaffen, und deshalb Be- was er über die Konservativen gesagt hat! gegnungen auf allen Ebenen ermöglichen. Das ist eine unerschöpfliche Fundgrube.) Fünftens. Beides, Kontakte ermöglichen und dem — Herr Kollege Fischer, dazu wäre ich gerne bereit, Frieden dienen, ist in Europa nur auf der Grundlage aber ich verzichte in meinem und, in Ihrem Inter- der Stabilität möglich. Dies ist die Lehre, die uns esse darauf, dieses Thema noch weiter zu behan- die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Welt- deln. - krieges erteilt. Ich meine, daß diese Aussprache heute bei aller Sechstens. Zur Stabilität gehört, daß jeder deut- notwendigen Kritik wieder ein hohes Maß an Ge- sche Staat weiß, wohin er gehört: die Bundesrepu- meinsamkeit gezeigt hat, ähnlich wie die Debatte, blik zum Westen, zur NATO, die DDR zum War- die wir Anfang Februar hier geführt haben. schauer Pakt. Neutralisierungsträumereien gefähr- Die mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und den die Stabilität. Das gilt auch für das Gerede von FDP am 9. Februar 1984 verabschiedete Entschlie- der angeblich bevorstehenden Wiedervereinigung ßung des Deutschen Bundestages zur Deutschland- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4211

Bundesminister Windelen politik ist in Ost-Berlin ungnädig aufgenommen nung aber gar nicht mehr vorhanden wäre. Eine worden. solche Politik wäre im übrigen ohnehin zum Schei- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Unerhört!) tern verurteilt; denn sie zielte an dem Grundrecht der Nation — dem Grundrecht auf Selbstbestim- Man sagte, dies sei keine positive Wortmeldung ge- mung — vorbei. wesen, so das „Neue Deutschland", vielmehr seien im Bundestag revanchistische Sprüche geklopft Die Einheit der Nation zu bewahren, meine Da- worden. men und Herren, und die Teilung unseres Landes in freier Selbstbestimmung zu überwinden, das ist (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Wer kann Aufgabe verantwortlicher Deutschlandpolitik. denn sowas behaupten?) Darum halten wir auch an den Rechtstiteln für Besonders moniert worden ist, Herr Fischer, vom ganz Deutschland fest. Sie sind für uns kein bloßer „Neuen Deutschland" unsere Aussage, daß unser Formelkram, sondern wichtige Grundlage unserer Land geteilt ist. „Wessen Land?", so fragte das auf Frieden und Freiheit ausgerichteten Politik. „Neue Deutschland" kritisch. Meine Damen und Herren, wessen Land wohl? Man könnte ironisch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zurückgeben: Zum Beispiel das Geburtsland von Das Recht auf Selbstbestimmung und das Ziel Karl Marx, in dem nach offiziellen Aussagen der der deutschen Einheit in Freiheit gehören zum SED der Sozialismus verwirklicht wird, wobei je- Selbstverständnis unseres Staates und zum Selbst- dermann weiß, daß erstens Karl Marx in Trier ge- verständnis unseres ganzen Volkes. Dieses Ziel ver- boren wurde und zweitens daß es in Trier mit dem steht sich angesichts der komplizierten Lage in Sozialismus nicht besonders weit her ist. Deutschland und in Europa keineswegs von selbst. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Unsere Jugend hat für ihre Zukunft aber einen An- Aber meine Damen und Herren, so spitzfindig spruch darauf, daß wir ihr den Zugang zur Vielfalt wollte ich gar nicht sein. Ich möchte die Sache der Vergangenheit und zur Realität der Gegenwart etwas ernsthafter angehen. erleichtern. Hier liegt übrigens ein Schwerpunkt unserer Öffentlichkeitsarbeit, dem wir vor allem Das deutsche Volk ist, so meine ich, schlichthin durch eine intensive Zusammenarbeit mit den Kul- eine Tatsache, eine Tatsache sowohl der Geschichte tusministern der Länder gerecht zu werden versu- als auch der erkennbaren Gegenwart. Es lohnt gar chen. nicht, darüber zu streiten. Die Sache ist für jeder- mann offensichtlich und gegenwärtig, selbstver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ständlich auch für die Sozialistische Einheitspartei Die Bemühungen um eine breitere und vertiefte Deutschlands, wie sie sich ja unverändert immer Darstellung der deutschen Frage im Unterricht ha- noch nennt. ben im übrigen inzwischen erfreuliche Fortschritte Ebenso klar und ebenso unbestreitbar scheint gemacht. mir, daß das deutsche Volk heute durch eine Grenze Wir haben auch die Zusammenarbeit mit den Or- getrennt ist, die es in zwei grundverschiedene ganisationen der Vertriebenen und Flüchtlinge im Staats- und Gesellschaftsordnungen scheidet. Bereich der Deutschlandpolitik aus dem Rang des An diesen beiden Grundtatsachen kommt nie- Nebensächlichen gehoben und versprechen uns im mand vorbei. Genau das hat der Deutsche Bundes- Sinne der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 tag, Herr Kollege Fischer, fast einstimmig ausge- eine Vertiefung und eine Bereicherung der deutsch- drückt landpolitischen Diskussion. (Zuruf des Abg. Fischer [Frankfurt] [GRÜ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) NE]) Hinsichtlich der Informationsarbeit haben wir — die verfassungtragenden Parteien, Herr Kolle- den Blick über die DDR hinaus ausgeweitet und ge —, als er erklärte: „Unser Land ist geteilt." Das lenken das Interesse auf den Gesamtzusammen- hat mit Revanchismus überhaupt nichts zu tun. hang der deutschen Frage im Rahmen einer euro- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Nein! Gar päischen Friedenspolitik. nichts!) Meine Damen und Herren, schließlich wird man Was hat das denn mit Rache zu tun, Herr Kollege, unschwer feststellen können, daß wir unsere wenn sich die Menschen in beiden Staaten gegen- Deutschlandpolitik nüchtern und unvoreingenom- seitig als Deutsche verstehen, wenn ihr gemeinsa- men artikulieren. mes geschichtliches Schicksal sie zu dem heutigen (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Voreinge Zustand gebracht hat und sie diesen Zustand mit nommen!) Recht als Trennung empfinden? Solange das Be- wußtsein der aufgezwungenen Trennung vor- Ich halte dies für einen entscheidenden- Gewinn. herrscht, gibt es an der Einheit der Nation für uns Die Menschen müssen von der Deutschlandpolitik nichts zu deuteln. nicht nur etwas haben, sondern sie müssen sie vor allem auch verstehen können. Daß hierzu gelegent- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich das Schweigen oder die verschwiegene Behand- Der Vorwurf des Revanchismus wäre nur dann lung von Problemen gehört, die ihrer Natur nach berechtigt, wenn die Politik von Teilung und Ein- unter einer öffentlichen Erörterung leiden würden, heit Deutschlands spräche, das Gefühl der Tren brauche ich nur am Rande zu vermerken. 4212 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Bundesminister Windelen Unsere Politik dient also der Einheit der Nation. Schließlich ist das j a auch die Basis, auf der die bei- Diese Einheit bedarf keiner besonderen Beschwö- den deutschen Regierungen und ihre Vertreter mit- rung. Wenn es sie nicht selbstverständlich gäbe, so einander reden und miteinander verhandeln. könnte sie auch nicht herbeigeredet werden. Es ist Dabei geht es nicht zuletzt um die konkreten Ge- für uns selbstverständlich: Die Deutschen in der genwartsprobleme der Deutschen hüben und drü- DDR — oder wo immer sie leben — sind Deutsche ben. Auch die DDR ist ein Industriestaat. Auch sie wie wir. Die DDR ist ebenso Deutschland, wie es die spürt, noch härter als wir, die Probleme der Um- Bundesrepublik Deutschland ist. So denken wir, so weltverseuchung, der Ressourcenknappheit, des in- sprechen wir, und danach handeln wir auch. Weder dustriellen Strukturwandels in der Arbeitswelt, in beabsichtigen wir deutsche Landsleute für uns zu der Lebenswelt ihrer Bürger. Innerdeutsche Zu- vereinnahmen, noch beabsichtigen wir sie etwa zu sammenarbeit, die solche beiderseitigen Probleme majorisieren. zu bewältigen hilft, ist die Arbeit an der deutschen (Beifall der Abg. Dr. Vogel [SPD] und Voigt Lebenswirklichkeit unserer Tage. Sie ist damit [Frankfurt] [SPD]) gleichzeitig ein Werk des Friedens, praktische Frie- noch hängen wir dem Irrglauben an, das deutsche densarbeit. Sie setzt die Teilung nicht außer Kraft, Problem mit Appellen oder mit Ansprüchen an die aber sie überbrückt sie, und sie mildert sie damit. Welt lösen zu können. Für den Frieden in Europa können wir Deut- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, schen Wichtiges leisten, und das sollten wir auch, der FDP und der SPD) sowohl in unserem Verhältnis untereinander als auch nach außen. Aber, meine Damen und Herren, Wir sehen vielmehr in der tatsächlichen Einheit solange es an der Grenze mitten durch unser Land der Deutschen das tragende und verpflichtende Mo- Mauern, Stacheldraht und Schießbefehl gibt, kann tiv zu einer Politik des friedlichen Nebeneinander man von Normalität, auch von annähernder Nor- und des praktischen Miteinander sowohl in malität nicht reden. Deutschland als auch darüber hinaus in Europa. Ich denke, meine Damen und Herren, es wäre viel ge- (Beifall bei der CDU/CSU) wonnen, wenn sich die SED dazu verstehen könnte, Wo immer wieder Leben, Gesundheit und persönli- auch ihrerseits diesen Gedanken aufzunehmen. An- che Freiheit von Menschen eingesetzt werden müs- sätze dazu sind durchaus vorhanden. Professor von sen, um elementare Menschenrechte zu erlangen, Thaddens glückliche Wortprägung von der Verant- gibt es keine gute Nachbarschaft. Dennoch kann wortungsgemeinschaft der Deutschen — Herr Dr. und muß uns auch das Jahr 1984 auf dem Weg zu Vogel, es muß jedem erlaubt sein, diesen Begriff normalen, zu gutnachbarlichen Beziehungen in aufzunehmen — Deutschland ein Stück weiterbringen. (Dr. Vogel [SPD]: Ich begrüße ihn!) Probleme, die trotz Grundlagenvertrag über ein hat mittlerweile Eingang in den Wortschatz der Jahrzehnt festgefahren waren und unlösbar er- schienen wie z. B. die DDR gefunden. Wir begrüßen das. Es ist für uns Gewalt an der Grenze und der kein Grund, ihn deswegen aus unseren Wortschatz Reiseverkehr in Ost-West-Richtung, sie sind nun in zu streichen. Bewegung geraten. Wir freuen uns darüber. Die DDR hat damit begonnen, die automatischen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, Schußapparate am Grenzzaun abzubauen. Das be- der FDP und der SPD — Dr. Vogel [SPD]: deutet keineswegs Freizügigkeit. Das bedeutet kei- Keine Berührungsangst!) neswegs, daß damit die innerdeutsche Grenze etwa Die gemeinsame Verantwortung der beiden Staa- durchlässiger würde. Aber das Wegräumen dieser ten in Deutschland resultiert aus der gemeinsamen Mordapparate trägt psychologische Barrieren ab Geschichte, deren Folgen wir allesamt als Deutsche und macht die Trennungslinie durch unser Vater- zu tragen haben. Der Gegenstand der gemeinsamen land weniger blutig und weniger grausam, und auch Verantwortung ist einmal das deutsche Volk und das bewerten wir positiv. zum anderen Europa. Das sollte die Lehre sein, die (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei wir Deutschen aus den letzten hundert Jahren deut- Abgeordneten der SPD) scher und europäischer Geschichte zu ziehen ha- Von vergleichsweise ähnlicher psychologischer, ben. aber auch praktischer Bedeutung sind das Ingang- Wenn wir von einer gemeinsamen Verantwor- kommen des Jugendtourismus und die Zunahme tung der beiden Staaten in Deutschland sprechen, der Reisen von DDR-Bürgern in dringenden Fami- so bedeutet das auch folgendes: Jeder erkennt die lienangelegenheiten, damit einhergehend in den reale Verantwortung des anderen an. Die reale Ver- letzten Wochen die gestiegene Zahl der Genehmi- antwortung, meine Damen und Herren, ist aber et- gungen von Ausreisen. Hierher gehört auch, daß was anderes als die demokratische Legitimation. sich die Abfertigung unserer Reisenden an den Hier gibt es keine Übereinstimmung zwischen uns Grenzübergängen im letzten Jahr, im wesentlichen und der Führung der DDR und kann es auch keine zum Besseren, geändert hat. Und schließlich, eine geben. Aber daß die Führung der DDR real Verant- neue Qualität weist auch der Dialog zwischen Poli- wortung für das Wohl und Wehe der Menschen dort tikern beider Staaten in Deutschland auf. trägt, das sollten wir, so meine ich, ruhig und klar Die DDR kennt unsere Wünsche und Erwartun- aussprechen. gen seit langem, auch wenn wir darüber aus wohl- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) verstandenen Gründen nicht jeden Tag in der Of- Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4213

Bundesminister Windelen fentlichkeit reden. Wir haben sie der anderen Seite schuß. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überwei- immer wieder vorgetragen. Wir werden das auch in sungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Zukunft bei jeder sachgerechten Gelegenheit tun. Widerspruch. Es ist so beschlossen. Die Einladung an Herrn Honecker zu einem Be- such in der Bundesrepublik Deutschland wurde Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf: schon — das bestätigen wir ausdrücklich — von Bundeskanzler Schmidt im Dezember 1981 ausge- Zweite Beratung und Schlußabstimmung des sprochen. Aber, meine Damen und Herren, dieser von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Besuch rückt jetzt in Sichtweite. Die Bundesregie- wurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Proto- rung wird ihrerseits alles tun, die Hoffnungen, die koll vom 21. Juni 1983 zur Änderung des Ver- sich hüben und drüben an dieses Ereignis knüpfen, trags vom 27. Oktober 1956 zwischen der zu rechtfertigen. Die Erwartungen der Menschen Bundesrepublik Deutschland, der Französi- sollten beiden Regierungen Aufgabe und Verpflich- schen Republik und dem Großherzogtum Lu- tung sein. xemburg über die Schiffbarmachung der Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, auch Mosel heute wieder, uns bei dieser Arbeit zu helfen. — Drucksache 10/736 — Ich danke Ihnen. Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr (14. Ausschuß) (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD) — Drucksache 10/997 — Berichterstatter: Abgeordneter Pauli Vizepräsident Westphal: Meine Damen und Her- ren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich (Erste Beratung 47. Sitzung) schließe die Aussprache. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? Ich bitte Sie nun noch um Mitarbeit bei einer — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache Reihe anderer Tagesordnungspunkte, die wir abzu- wird ebenfalls nicht gewünscht. wickeln haben. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Über- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 bis 5 auf: schrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustim- men wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die 3. Fortsetzung der ersten Beratung (Ausschuß- Gegenprobe! — überweisung) des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines ... Strafrechtsände- (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Fünf!) rungsgesetzes — § 303 StGB (... StrÄndG) Gibt es Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit — Drucksache 10/308 — Mehrheit angenommen. Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Ich rufe die Punkte 7 bis 13 der Tagesordnung auf: 4. Fortsetzung der ersten Beratung (Ausschuß- überweisung) des von der Bundesregierung 7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Straf- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu rechtsänderungsgesetzes — § 125 StGB dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai (... StrÄndG) 1969 über das Recht der Verträge — Drucksache 10/901 — Drucksache 10/1004 — —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend) Auswärtiger Ausschuß (federführend) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit 5. Fortsetzung der ersten Beratung (Ausschuß- überweisung) des von der Bundesregierung 8. Erste Beratung des vom Bundesrat einge- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur brachten Entwurfs eines Dreißigsten Geset- Änderung des Einführungsgesetzes zum Ge- zes zur Änderung des Lastenausgleichsgeset- richtsverfassungsgesetz zes — — Drucksache 10/902 — — Drucksache 10/1015 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Innenausschuß 9. Erste Beratung des von der Bundesregierung- Die Aussprache über diese Gesetzentwürfe hat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über bereits in der 57. Sitzung am 24. Februar 1984 statt- Maklerverträge gefunden, wie sich manche erinnern werden. Der — Drucksache 10/1014 Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Drucksachen 10/308, 10/901 und 10/902 zu überwei- Rechtsausschuß (federführend) sen zur federführenden Beratung an den Rechts- Ausschuß für Wirtschaft ausschuß und zur Mitberatung an den Innenaus Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau 4214 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Vizepräsident Westphal 10. Erste Beratung des von der Bundesregierung in den Sammelübersichten 25 und 26 enthaltenen eingebrachten Entwurfs eines Seefischerei- Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den gesetzes bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dage- gen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen — Drucksache 10/1021 — Gegenstimmen sind die Sammelübersichten ange- Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: nommen worden. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Dr. Schäuble [CDU/CSU]: Drei Gegenstim men! — Dr. Kunz [Weiden] [CDU/CSU]: 11. Erste Beratung des von der Bundesregierung Warum stimmen die eigentlich dagegen?) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Mai 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf: land und der Regierung der Volksrepublik Beratung der Übersicht 5 des Rechtsaus- Polen über den zivilen Luftverkehr schusses (6. Ausschuß) über die dem Deut- — Drucksache 10/1000 — schen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr (federführend) — Drucksache 10/1032 — Auswärtiger Ausschuß Das Wort dazu wird nicht gewünscht. 12. Erste Beratung des von der Bundesregierung Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsaus- eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- schuß empfiehlt auf Drucksache 10/1032, von einer zes zur Änderung des Durchführungsgeset- Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in zes EG-Richtlinien Funkstörungen den vorgenannten Drucksachen aufgeführten — Drucksache 10/1001 — Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sind Sie hiermit einverstanden? — Es Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlos- Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen (federfüh- sen. rend) Ausschuß für Wirtschaft Einer interfraktionellen Vereinbarung gemäß ist der Punkt 16 der Tagesordnung abgesetzt worden. 13. Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Städtebauförderungsgesetzes Wir kommen zur Beratung des Punkts 17 der Ta- gesordnung, den ich hiermit aufrufe: — Drucksache 10/1013 — Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Beratung der Beschlußempfehlung und des Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Berichts des Haushaltsausschusses (8. Aus- schuß) zu der Unterrichtung durch die Bun- Das Wort wird dazu nicht gewünscht. desregierung Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Ge- Bericht der Bundesregierung über die Ent- setzentwürfe auf den Drucksachen 10/1004, 10/1015, wicklung der Finanzhilfen des Bundes und 10/1014, 10/1021, 10/1000, 10/1001 und 10/1013 an die der Steuervergünstigungen für die Jahre Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des 1981 bis 1984 gemäß § 12 des Gesetzes zur Ältestenrates im einzelnen ersehen Sie aus der Ta- Förderung der Stabilität und des Wachstums gesordnung. Sind Sie mit diesen Überweisungsvor- der Wirtschaft (StWG) vom 8. Juni 1967 schlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Wi- (Neunter Subventionsbericht) derspruch. Es ist so beschlossen. — Drucksachen 10/352, 10/1037 —

Ich rufe die Punkte 14 a und 14 b der Tagesord- Berichterstatter: nung auf: Abgeordnete Glos Dr. Weng a) Beratung der Sammelübersicht 25 des Peti- Frau Simonis tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Kleinert (Marburg) zu Petitionen Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Drucksache 10/1023 — — Das ist nicht der Fall. b) Beratung der Sammelübersicht 26 des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — zu Petitionen Auch das ist nicht der Fall. - — Drucksache 10/1035 — Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschluß- empfehlung des Haushaltsausschusses auf Druck- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Getrennt!) sache 10/1037 zuzustimmen wünscht, den bitte ich Das Wort dazu wird nicht gewünscht. um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Be- (Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Eine kleine schlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die radikale Minderheit!) Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4215

Vizepräsident Westphal

Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußemp- fehlung des Ausschusses ist gegen einige wenige Stimmen angenommen.

Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Ta- gesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 1984, 13 Uhr ein.

Die Sitzung ist geschlossen.

(Schluß der Sitzung: 15.15 Uhr)

Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4217*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Fünftes Gesetz zur Änderung der Pfändungsfreigrenzen Gesetz zu den Zusatzprotokollen vom 1. April 1982 zum Ko- Liste der entschuldigten Abgeordneten operationsabkommen vom 2. April 1980 zwischen der Euro- päischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Sozialistischen Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Föderativen Republik Jugoslawien sowie zum Abkommen vom 2. April 1980 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäi- Dr. Ahrens* 15. 3. schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäi- Antretter** 15. 3. schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Baum 15. 3. Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien anderer- Dr. Blank 15. 3. seits im Anschluß an den Beitritt der Republik Griechenland zu den Europäischen Gemeinschaften Brosi 15. 3. 15. 3. Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom 27. Dezember Ehrbar 1977 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- Dr. Enders** 15. 3. land und dem Ministerrat der Sozialistischen Republik Bir- Engelsberger 15. 3. manische Union Frau Fischer 15. 3. Gansel*** 15. 3. Der Finanzausschuß hat in seiner Sitzung am 22. Februar 1984 Haase (Fürth) 15. 3. im Hinblick auf die Anregung der Finanzminister und Finanzsena- 15. 3. toren der Länder in ihrer Konferenz am 19. Januar 1984 einstim- Dr. Hackel** mig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Beschlußempfehlung Hartmann 15. 3. und Bericht zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung Kittelmann** 15. 3. des Zerlegungsgesetzes - Drucksachen 10/306, 10/705 - zurück- Dr. Köhler (Duisburg) 15. 3. zunehmen, um zur gegebenen Zeit entsprechend der weiteren Ent- Dr. Köhler (Wolfsburg) 15. 3. wicklung neu zu berichten. Dr. Kreile 15. 3. 15. 3. Die in Drucksache 10/133 unter Nummer 8 aufgeführte EG-Vor- Dr.-Ing. Laermann lage Dr. Langner 15. 3. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verwirklichung Dr. h. c. Lorenz 15. 3. des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Matthöfer 15. 3. Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicher- Dr. Müller** 15. 3. heit Müller (Wadern) 15. 3. Offergeld 15. 3. wird als Drucksache 10/1091 verteilt. Dr. Olderog 15. 3. Pfuhl 15. 3. Frau Reetz 15. 3. Dr. Rumpf** 15. 3. Anlage 3 Schröder (Hannover) 15. 3. Antwort Schröder (Lüneburg) 15. 3. Graf Stauffenberg 15. 3. des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage Dr. Stark (Nürtingen) 15. 3. des Abgeordneten Conradi (SPD) (Drucksache Dr. Steger 15. 3. 10/1100 Frage 28): Vahlberg 15. 3. Speichert die Bundesregierung oder das Bundesamt für Voigt (Sonthofen) 15. 3. Verfassungsschutz die Namen von Bürgern, die bei ihr Weiskirch (Olpe) 15. 3. Schriften und Material bestellen? Weiß 15. 3. Frau Dr. Wex 15. 3. Nein, Namen von Bestellern werden nur festge- Frau Dr. Wisniewski 15. 3. halten, soweit diese selbst um Aufnahme in den Wurbs 15. 3. Verteiler des Bundesministers des Innern gebeten haben.

* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union *** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Ver- Anlage 4 sammlung Antwort des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage des Abgeordneten Dr. Soell (SPD) (Drucksache 10/1100 Frage 29): Anlage 2 Sind der Bundesregierung die Gründe bekannt, die dazu führten, daß der Antrag auf politisches Asyl des in Afghani- Amtliche Mitteilungen stan gefangengenommenen und über die Schweiz in die Bun- desrepublik Deutschland geratenen sowjetischen Soldaten Jurij Iwanowitsch Waschtschenko abgelehnt worden ist, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit diesem Asyl- Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 24. Februar 1984 be- begehren stattgegeben wird? schlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Kosten der Nach Auskunft des Bundesamtes für die Aner- Gerichtsvollzieher kennung ausländischer Flüchtlinge ist der Asylan- 4218* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

trag des Herrn Waschtschenko mit der Begründung DKP und ihres Umfeldes innerhalb der Kampagne abgelehnt worden, er habe bereits Schutz vor Ver- gegen die NATO-Nachrüstung laut geworden, eine folgung im Sinne von § 2 Abs. 2 Asylverfahrensge- Ausgrenzung der DKP und anderer verfassungs- setz in der Schweiz gefunden. Nach § 2 Abs. 2 feindlicher Organisationen aus der „Friedensbewe- AsylVfG ist entscheidend, daß sich der Ausländer gung` steht jedoch nicht ernsthaft zur Diskussion. nicht nur vorübergehend im Drittstaat aufhalten kann und nicht zu befürchten ist, daß er in einen Staat abgeschoben wird, in dem ihm politische Ver- folgung droht. Anlage 6 Der Bundesregierung ist eine Einflußnahme auf die Asylentscheidung nicht gestattet. Nach § 4 Antwort Abs. 3 des Asylverfahrensgesetzes entscheiden über des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage Asylanträge Bedienstete des Bundesamtes für die des Abgeordneten Broll (CDU/CSU) (Drucksache Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die inso- 10/1100 Frage 36): weit weisungsgebunden sind. Die Entscheidungen Welche Bedeutung mißt die Bundesregierung der Tatsache unterliegen nur der verwaltungsgerichtlichen Kon- bei, daß die KPdSU mit Grigorij Romanow, Mitglied des trolle. Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU, und einem weiteren ZK-Mitglied und die SED mit Egon Herr Waschtschenko hat gegen den Ablehnungs- Krenz, Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralko- bescheid Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe mitees der SED, und weiteren ZK-Mitgliedern führende Ver- erhoben. Nach einer Auskunft des Bundesamtes für treter zum 7. Parteitag der DKP vom 6. bis 8. Januar 1984 in die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge kann Nürnberg entsandt hat, obwohl die DKP bei einem Wahler- folg von 0,3 v. H. laut der FAZ vom 6. Januar 1984 eher als mit einem Verhandlungstermin bis Juli 1984 ge- „Kümmerling unter den kommunistischen Parteien im We- rechnet werden. sten" auffällt?

Mit der Entsendung führender Vertreter zum Parteitag der DKP haben KPdSU und SED zum Anlage 5 Ausdruck gebracht, wie hoch sie den politischen Antwort Stellenwert dieser Partei veranschlagen. Dieser Stellenwert bemißt sich gerade bei der DKP nicht des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Frage nach ihrem Stimmenanteil bei Bundes- und Land- des Abgeordneten Dr. Laufs (CDU/CSU) (Druck- tagswahlen, sondern nach der Effektivität ihrer in- sache 10/1100 Frage 35): nenpolitischen Wühlarbeit, nach ihrem Einfluß auf Kann nach der Grußadresse, mit der die „Deutsche Frie- die Meinungsbildung nicht extremistischer Kreise densgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner" (DFG- sowie für KPdSU und SED nach ihrer unbedingten VK) der DKP Anfang Januar dieses Jahres deren 7. Parteitag „solidarische Grüße" übermittelt, ihm „eine kämpferische At- Gefolgschaftstreue gegenüber diesen Parteien, als mosphäre" gewünscht und der DKP weiterhin ihre Zusam- deren Agentur und politische Interessenvertretung menarbeit u. a. bei der „Mobilisierung zu den diesjährigen die DKP anzusehen ist. Ostermärschen" und „dem Nationalen Widerstand" angebo- ten hat, und den Erkenntnissen der Bundesregierung noch Der DKP geht es derzeit nicht in erster Linie um die kommunistische Beeinflussung der DFG-VK und deren Wahlerfolge, sondern darum, Probleme und Ängste enge Zusammenarbeit mit den moskautreuen Kommunisten der Bürger in außerparlamentarischen Kampagnen in Zweifel gezogen werden, und wie bewertet die Bundesre- gierung vor diesem Hintergrund die Distanzierungsbe- und Aktionen für ihre Zwecke d. h. für die Zwecke schlüsse der Friedensbewegung gegenüber verfassungs- von SED und KPdSU nutzbar zu machen. Bei ihrem feindlichen Organisationen wie z. B. der DKP? auch nach eigenem Bekunden in den vergangenen Jahren erfolgreichen Bestreben, auf diese Weise zu Die Bundesregierung hat auf die enge Zusam- größerem politischen Einfluß zu gelangen, stehen menarbeit der orthodoxen Kommunisten mit der der DKP ca. 50 überregional tätige von ihr beein- DFG-VK seit Jahren hingewiesen und deren kom- flußte Organisationen zur Verfügung, die sich nach munistische Beeinflussung zuletzt im Verfassungs- außen meist unabhängig und demokratisch geben, schutzbericht 1982 dargelegt. in Wirklichkeit aber über ihre kommunistischen und prokommunistischen Funktionäre erheblich Das Grußschreiben der DFG-VK an den 7. Partei- beeinflußt werden. tag der DKP wie auch dessen Inhalt, der in der Frage zutreffend wiedergegeben ist, wertet die Bun- desregierung als weiteren Beleg für die kommuni- stische Beeinflussung und damit als Bestätigung der in den Verfassungsschutzberichten seit langem Anlage 7 getroffenen Bewertung der DFG-VK. Antwort Die im zweiten Teil der Frage unterstellten Di- des Parl. Staatssekretärs Spranger auf die Fragen stanzierungsbeschlüsse der „Friedensbewegung" des Abgeordneten Kalisch (CDU/CSU) (Drucksache gegenüber verfassungsfeindlichen Organisationen 10/1100 Fragen 37 und 38): wie z. B. der DKP kann die Bundesregierung nicht bestätigen. Zwar ist in jüngster Zeit von einzelnen Trifft es zu, daß nach einer Meldung der FAZ vom 6. März 1984 „Kampftruppen der DKP" die Mitglieder eines vietna- Gruppierungen der „Friedensbewegung` Unmut mesischen Musiktheaters im Februar dieses Jahres in Mün- über die einseitige prosowjetische Ausrichtung der chen hermetisch gegenüber der Außenwelt abschirmten, um Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4219*

Asylanträge von Ensemblemitgliedern zu verhindern, und Wo noch Abneinung gegen eine Zusammenarbeit wenn ja, sind der Bundesregierung Reaktionen der Länder- mit Kommunisten besteht, hat die DKP nach eige- innenminister bekannt? nem Bekunden in den vergangenen Jahren die Er- Ist die Tatsache, daß die Konferenz der Landesschülerver- fahrung bemacht, daß sie durch die Zwischenschal- tretungen, die Mitte Dezember 1983 in Köln einen Kongreß tung achtbar erscheinender Organisationen — mög- unter dem Motto „Schülerpower gegen Raketenbauer" veran- staltete, zum 7. Parteitag der Deutschen Kommunistischen lichst mit prominenten Nichtkommunisten als Aus- Partei (DKP) im Januar dieses Jahrs einen Vertreter ent- hängeschild — überwunden werden kann. Zu die- sandte und in einem Grußschreiben „Herzliche und solidari- sem Zweck stehen der DKP ca. 50 überregional sche Grüße" übermittelte, den Beitrag der DKP zur „Demo- tätige und von ihr beeinflußte Organisationen zur kratischen und Friedensbewegung" hervorhob und die Hoff- nung „auf eine gute und erfolgreiche Zusammenarbeit" mit Verfügung. Fast alle DKP-beeinflußten Organisatio- der DKP äußerte, ein Anzeichen für eine zunehmende erfolg- nen arbeiten in internationalen Dachverbänden, reiche Beeinflussung gesellschaftlicher Gruppen durch die den sog. „Frontorganisationen", die von der interna- DKP, und wie bewertet die Bundesregierung diese Entwick- tionalen Abteilung des Zentralkomitees der KPdSU lung? gesteuert werden. Der Bundesregierung ist es unverständlich, wie Zu Frage 37: sich angesichts der bitteren Erfahrungen aus der Zunächst darf ich darauf hinweisen, daß sich die Vergangenheit Organisationen, die sich als demo- Mitglieder des vietnamesischen Musiktheaters am kratisch verstehen, zu einer Zusammenarbeit mit Abend des 23.2. 1984 — als die der DKP zuzurech- Gruppen bereit finden können, deren erklärtes Ziel nenden Personen vor dem Völkerkundemuseum in die Errichtung eines totalitären Systems ist. München festgestellt worden sind — nicht mehr dort befunden haben. Die für den Abend vorgese- hene Veranstaltung war nämlich kurzfristig abge- sagt worden, die Folkloregruppe war nach Rosen- heim weiter gereist. Trotz der Abreise versammel- Anlage 8 ten sich am Abend des 23. Februar vor dem Völker- kundemuseum ca. 80 Exilvietnamesen und etwa 20 Antwort der DKP zuzurechnende Personen. Zwischen bei- des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Fragen den Gruppen kam es zu Wortgefechten und Hand- der Abgeordneten Frau Zutt (SPD) (Drucksache greiflichkeiten, die von der Polizei unterbunden 10/1100 Fragen 42 und 43): wurden. Aus welchen Gründen wird der von den Kleingartenverei- Das Innenministerium München teilte auf An- nen im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung verfolgte frage mit, daß nach Feststellungen der örtlichen Po- gemeinnützige Zweck nicht allgemein als besonders förde- lizei Abriegelungs- oder Behinderungsmaßnahmen rungswürdig und damit spendenbegünstigt anerkannt? der DKP-Mitglieder vor dem Völkerkundemuseum Ist die Bundesregierung bereit, den Beitrag, den die Klein- in München nicht stattgefunden haben. Die diesbe- gartenvereine etwa durch die Schaffung von Grünflächen, Dauerkleingärten und Kleingartenanlagen für die Land- züglichen Aussagen in dem FAZ-Artikel vom schaftspflege und die nachhaltige Verbesserung des gesam- 6. März 1984 „Sicherheit in München" konnte die ten Lebensraumes und der Lebensqualität leisten, gerade Polizei demnach nicht bestätigen. auch vor dem Hintergrund der fortschreitenden Zerstörung unserer Umwelt allgemein als besonders förderungswürdi- Anhaltspunkte dafür, daß Angehörige der DKP gen gemeinnützigen Zweck anzuerkennen? Mitglieder der vietnamesischen Theatergruppe darin hindern wollten, Asylanträge zu stellen, sind Zu Frage 42: nicht bekannt. Die obersten Finanzbehörden des Bundes und Reaktionen der Länderinnenminister wegen des der Länder haben sich zuletzt im Jahr 1980 mit der Verhaltens von DKP-Mitgliedern sind mir nicht be- Frage befaßt, ob das Kleingartenwesen als beson- kannt. ders förderungswürdiger gemeinnütziger Zweck im Sinne des Spendenrechts anerkannt werden kann. Zu Frage 38: Sie haben diese Frage verneint, nachdem der Deut- sche Bundestag im selben Jahr einen Gesetzesvor- In dem in der Frage zutreffend wiedergegebenen schlag des Bundesrates, die Pflanzen- und Klein- Sachverhalt sieht die Bundesregierung ein Zeichen tierzucht zum gemeinnützigen Zweck zu erklären, weiterer Beeinflussung der Konferenz der Landes- einstimmig abgelehnt hat. schülervertretungen (KdLSV) zur Zusammenarbeit mit Kommunisten, d. h. mit Kräften, die unsere frei- heitliche demokratische Grundordnung durch ein Zu Frage 43: totalitäres System ersetzen wollen. Diese Frage wird im Zusammenhang mit den Be- Orthodoxe, d. h. sowjetisch orientierte Kommuni- ratungen zu dem Gesetzentwurf des Bundesrates sten, insbesondere also die DKP und ihre Nebenor- zur Verbesserung des Gemeinnützigkeitsrechts ganisationen, sehen es als Erfolg ihrer „Aktionsein- wohl erneut auftauchen. Die Bundesregierung hat heits- und Bündnispolitik" an, daß es ihnen gelun- zu diesem Gesetzentwurf noch nicht Stellung ge- gen ist, zunehmend „antikommunistische Vorur- nommen. Ich bitte deshalb um Verständnis, daß ich teile und Vorbehalte" gegenüber einer Zusammen- mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu Ihrer Frage arbeit mit ihnen abzubauen. nicht äußern möchte. 4220* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Anlage 9 Während bei der Feststellung des Grades der Antwort Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Bun- desversorgungsgesetzes auf die Ausübung jeglicher des Par. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage Tätigkeit schlechthin abzustellen ist, sind wegen des Abgeordneten Dr. Jens (SPD) (Drucksache der Voraussetzungen für Erwerbsunfähigkeitsren- 10/1100 Frage 44): ten auch die individuellen Erwerbsmöglichkeiten Werden die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat im erlernten Beruf zu berücksichtigen. Eine Er- der VEBA sicherstellen, daß die Bußgelder des Bundeskar- werbsunfähigkeitsrente könnten deshalb auch Per- tellamtes gegen die VEBA-Glas AG von den Verantwortli- sonen beziehen, deren Erwerbsminderung wesent- chen im Unternehmen und nicht auf Umwegen aus der Un- ternehmenskasse gezahlt werden? lich niedriger als 91 vom Hundert liegt. Es ist also durchaus möglich, daß ein Frührentner zwar im Sinne der Rentengesetze, nicht aber im Sinne des Die von Ihnen angesprochenen Vorgänge fallen Bundesversorgungsgesetzes „erwerbsunfähig" ist. nicht in die Zuständigkeit des Aufsichtsrats der VEBA AG. Die unternehmerische und aktienrechtli- che Verantwortung liegt vielmehr beim Vorstand der VEBA-Glas AG. Dieser unterliegt der Kontrolle Anlage 11 seines Aufsichtsrats. In diesem ist der Bund nicht Antwort vertreten. des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage Die zuständigen Gremien von VEBA-Glas haben des Abgeordneten Jäger (Wangen) (CDU/CSU) die Vorwurfstatbestände von Anfang an anders ge- (Drucksache 10/1100 Frage 48): wertet als das Bundeskartellamt. Ihnen obliegt Treffen nach den Erkenntnissen der Bundesregierung auch die Entscheidung darüber, ob nach den im Pressemeldungen (Schwäbische Zeitung vom 8. März 1984) konkreten Fall gegebenen Umständen ein Betroffe- zu, wonach der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden ner den Ersatz des ihm auferlegten Bußgeldes be- habe, daß bei der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmit- teln in ein Mitgliedsland der EG keine Einfuhrumsatzsteuer anspruchen kann. entstehe, und teilt die Bundesregierung bejahendenfalls die Besorgnis, daß durch dieses Urteil der Schmuggel mit Rauschgiften finanziell erleichtert würde, fände es in der Bundesrepublik Deutschland allgemein Anwendung? Anlage 10 Antwort Der Europäische Gerichtshof hat durch Urteil vom 28. Februar 1984 (Rechtssache 294/82) entschie- des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage den, daß „bei der unerlaubten Einfuhr von Betäu- des Abgeordneten Westphal (SPD) (Drucksache bungsmitteln in die Gemeinschaft, die nicht Gegen- 10/1100 Frage 46): stand des von den zuständigen Stellen streng über- Warum ist es nach dem Gesetz über Vermögensbildung in wachten Vertriebs zur Verwendung für medizini- Arbeitnehmerhand nicht möglich, daß ein erwerbsunfähig sche und wissenschaftliche Zwecke sind, keine Ein- gewordener Sparer seinen Sparvertrag vorzeitig und ohne Nachteil auch dann auflösen kann, wenn er zum Nachweis fuhrumsatzsteuerschuld entsteht". der eingetretenen völligen Erwerbsunfähigkeit seinen Be- Das Urteil wird auch in der Bundesrepublik scheid über den Erhalt einer Erwerbsunfähigkeitsrente an- stelle eines Behindertenausweises vorlegt? Deutschland allgemein angewandt werden müssen, mit der Folge, daß vom Rauschgiftschmuggler keine Einfuhrumsatzsteuer mehr erhoben wird und daß Nach den Vorschriften des Einkommensteuer-, damit eine Bestrafung wegen Hinterziehung dieser Prämien- und Vermögensbildungsrechts kann der Steuer ausscheidet. Sparer vorzeitig über Sparbeiträge steuer- und prä- mienunschädlich sowie ohne Verlust der Arbeitneh- Hervorzuheben ist die Feststellung in den Ur- mer-Sparzulage verfügen, wenn er oder sein Ehe- teilsgründen, daß die Zuständigkeit der Mitglied- gatte nach Vertragsabschluß völlig erwerbsunfähig staaten in keiner Weise berührt werde, „Verstöße geworden ist. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit gegen ihre Betäubungsmittelvorschriften durch an- ist im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes zu gemessene Sanktionen zu verfolgen, und zwar mit verstehen. Danach ist eine Person als erwerbsunfä- allen Rechtsfolgen auch finanzieller Art, die sich hig anzusehen, deren Erwerbsfähigkeit um mehr daraus ergeben können". als 90 vom Hundert gemindert ist. Die gleiche Vor- aussetzung liegt auch der Regelung im Einkom- mensteuerrecht für die Gewährung des Pauschbe- Anlage 12 trags für erwerbsunfähige Körperbehinderte zu- Antwort grunde. Über den Grad der Minderung der Erwerbs- fähigkeit im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage entscheiden mit verbindlicher Wirkung auch wegen der Abgeordneten Frau Simonis (SPD) (Drucksache der steuerlichen und prämienrechtlichen Vergünsti- 10/1100 Frage 49): gungen die Versorgungsämter. Treffen Berichte der Kieler Rundschau vom 9. März 1984 zu, daß die Bundesregierung die Zuwendungen von über 500 Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Millionen DM an den Salzgitter Konzern von der Auflage Bundesversorgungsgesetzes deckt sich nicht mit abhängig macht, ein Entlassungskonzept vorzulegen, bei dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit im Sinne der dem 10 000 Mitarbeiter arbeitslos würden? Rentengesetze, wie sie als Voraussetzung für die Erwerbsunfähigkeitsrenten gegeben sein muß. Nein, diese Berichte treffen nicht zu! Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4221*

Anlage 13 einem Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft an den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages eingeräumt Antwort wurde? des Parl. Staatssekretärs Dr. Häfele auf die Frage der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz (SPD) Zu Frage 53: (Drucksache 10/1100 Frage 50): Ballastkohle fällt auf Grund der geologischen Ge- Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, einer schleichenden, nicht offenen Diskriminierung von Auslän- gebenheiten im deutschen Steinkohlenbergbau dern beim Abschluß von Kraftfahrzeug-Versicherungen ent- zwangsläufig an. Sie kann nur in speziell hierfür gegenzuwirken, insbesondere der Tatsache, daß Ausländern ausgerüsteten Kraftwerken eingesetzt werden. Auf bei der Kraftfahrzeug-Haftpflicht meist nur die gesetzlich Grund der Umweltschutzanforderungen der Groß- vorgeschriebene Mindesthaftpflicht zugestanden wird? feuerungsanlagen-VO werden diese Kraftwerke in- nerhalb bestimmter Übergangsfristen entweder In der Bundesrepublik Deutschland einschließ- nachgerüstet oder stillgelegt und dann ggf. durch lich des Landes Berlin ist die Kraftfahrzeug-Haft- Neubauten mit moderner Umwelttechnik ersetzt pflichtversicherung nach Maßgabe des Pflichtversi- werden müssen. Wieviel Leistung stillgelegt bzw. cherungsgesetzes als Pflichtversicherung mit An- nachgerüstet werden wird, läßt sich noch nicht voll nahmezwang gestaltet. übersehen, da die Betreiber für ihre Entscheidung noch Zeit bis zum 30. Juni 1984 haben. Zugleich wird Dieser Annahmezwang in der Kraftfahrzeug der Bergbau alle Möglichkeiten der Aufbereitungs- Haftpflichtversicherung beschränkt sich jedoch technik ausschöpfen müssen, um die Menge der an- nach einhelliger Meinung in Schrifttum und Recht- fallenden Ballastkohle zu vermindern und der ver- sprechung auf Abschlüsse von Versicherungsver- mutlich künftig deutlich niedrigeren Gesamtkapazi- trägen zu den gesetzlichen Mindestversicherungs- tät von Ballastkohlekraftwerken anzupassen. summen, die sich aus der Anlage zu § 4 Abs. 2 des Pflichtversicherungsgesetzes ergeben. Wenn die Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, daß es des- Versicherer Anträge auf Kraftfahrzeug-Haftpflicht- halb in den nächsten Jahren zu einem wesentlich versicherungen zu höheren als den vom Gesetz vor- höheren Ballastkohleeinsatz kommt. Derzeit geschriebenen Deckungssummen ablehnen, bewe- spricht nichts dafür, daß die Kraftwirtschaft einen gen sie sich im Rahmen der Vertragsfreiheit. zusätzlichen Bedarf an deutscher Kohle über die bereits kontrahierten Mengen des 15-Jahres-Ver- Die Einhaltung des Annahmezwanges durch die trages hinaus haben wird. Wegen der unterschiedli- Versicherungsunternehmen wird vom Bundesauf- chen Anforderungen an die Feuerungstechnik kann sichtsamt für das Versicherungswesen überwacht, Ballastkohle auch nicht beliebig anstelle von Voll- das hierzu für alle Versicherungsunternehmen ver- bindliche Grundsätze aufgestellt hat. wertkohle eingesetzt werden. Soweit im Einzelfall Ballastkohle stärker eingesetzt werden sollte, sind Zu dem von Ihnen gegen die Kfz-Versicherungen den Kraftwerksbetreibern auch in den nächsten erhobenen Vorwurf „einer schleichenden, nicht of- Jahren schon durch die Großfeuerungsanlagen-VO fenen Diskriminierung von Ausländern beim Ab- Grenzen gesetzt. schluß von Kraftfahrtversicherungen" vermag ich ohne genaue Angaben nicht Stellung zu nehmen. Zu Frage 54: Die Bundesregierung geht nicht davon aus, daß es durch den geplanten Ballastkohleaustausch zu einer wesentlichen Erhöhung der Schwefeldioxid- emissionen kommen wird. Wie dargelegt, wird nach der Marktsituation diese Ballastkohlemenge nur Anlage 14 schrittweise und über Jahre hin verteilt in Kraft- Antwort wirtschaft oder Industrie eingesetzt werden und dann auch nur in Ausnahmefällen anstelle von Voll- des Parl. Staatssekretärs Grüner auf die Frage des wertkohle, deren Schwefelgehalt niedriger liegt. Abgeordneten Dr. Ehmke (Ettlingen) (GRÜNE) (Drucksache 10/1100 Fragen 53 und 54): Für den Austausch sprechen vor allem energiepo- Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu un- litische Gründe. Die Zusammensetzung der Natio- ternehmen, um einer Erhöhung der Schwefeldioxidemissio- nalen Steinkohlereserve in Höhe von 10 Millionen t nen aus Kohlekraftwerken entgegenzuwirken, wenn in die- muß der Absatzstruktur und den Bedürfnissen der sen Kraftwerken innerhalb der nächsten drei Jahre ver- verschiedenen Verbrauchergruppen entsprechen. mehrt Ballastkohle verfeuert wird, weil innerhalb der näch- sten zehn Jahre auf Grund der Großfeuerungsanlagen-Ver- Da Ballastkohle im Krisenfall nur in den verblei- ordnung insgesamt rund 10 000 Megawatt an Ballastkohle- benden Ballastkohlekraftwerken eingesetzt- werden kraftwerken stillgelegt werden dürften und dann somit kaum könnte, erhöht der Austausch gegen Vollwertkohle noch Absatzchancen für Ballastkohle vorhanden sein wer- die Einsatzflexibilität der Reserve. Haushaltspoli- den? tisch spielt eine Rolle, daß jetzt ein erheblich über Weshalb unterstützt die Bundesregierung durch den ge- dem Einlieferungswert liegender Verkaufspreis er- planten Austausch von 1,7 Millionen Tonnen Ballastkohle zielt werden kann, während diese Kohle 1988 bei aus der nationalen Steinkohlereserve gegen Vollwertstein- kohle diese Bestrebungen, die kurzfristig eine Erhöhung der vertragsmäßiger Auflösung der Reserve nahezu un- Schwefeldioxidemission mit sich bringen, wie dies auch in verkäuflich sein dürfte. 4222* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Anlage 15 Anlage 16 Antwort Antwort des Parl. Staatssekretärs Franke auf die Fragen des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen der Abgeordneten (DIE GRÜNEN) des Abgeordneten Kirschner (SPD) (Drucksache Frau Schoppe 10/1100 Fragen 60 und 61): (Drucksache 10/1100 Fragen 63 und 64): Wie viele Menschen sind seit Beginn der Wiederbewaff- Welchen kostendämpfenden Effekt bei den Gesamtausga- nung der Bundesrepublik Deutschland Opfer militärischer ben für die Krankenhausbehandlung brachte die zum 1. Ja- Tätigkeiten geworden? nuar 1983 in Kraft getretene Regelung der 5 DM Eigenbetei- Bei wie vielen handelt es sich um Opfer von Manövern, ligung für die ersten 14 Tage bei Krankenhausaufenthalt? und wie viele Zivilpersonen sind Betroffene? Mit welchen finanziellen Kosten und Folgekosten wurde unser Sozialsystem und die Volkswirtschaft insgesamt durch Zu Frage 63: Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen 1983 bela- stet, und wie lauteten die entsprechenden Daten 1958? Die Bundeswehr hat im Zeitraum von 1960 bis Ende 1983, in 23 Jahren also, leider 1 967 Soldaten in Ausübung ihres Dienstes verloren. Diese Zahl um- Zu Frage 60: faßt die bedauerlicherweise große Anzahl von Kfz Unfällen, Flugzeugabstürze, Manöverunfälle wie Die Entlastung der gesetzlichen Krankenversi- auch die im Wachdienst ermordeten Soldaten! cherung durch die Zuzahlung der Versicherten bei Krankenhauspflege (§ 184 Reichsversicherungsord- Zu Frage 64: nung) ist im Entwurf des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 mit 280 Millionen DM für das Jahr 1983 ange- Bei der Auswertung von Unfällen wird eine Ein- nommen worden. Die tatsächlich eingetretene Grö- grenzung auf Manöverunfälle nicht vorgenommen. ßenordnung läßt sich zur Zeit noch nicht absehen, Beginnend mit dem Jahr 1968 wurde die Unfall- da der Bundesregierung bisher keine Angaben über auswertung auf Zivilpersonen erweitert. Bis ein- die Zahl der Zuzahlungsfälle und -tage bei Kran- schließlich 1983 wurden durch Angehörige der Bun- kenhauspflege vorliegen. Sie werden voraussicht- deswehr im Dienst oder durch Wehrmaterial im lich erst im Herbst des Jahres verfügbar sein. oder außer Dienst Unfälle verursacht, bei denen 510 Zivilpersonen getötet wurden. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregie- rung aufgefordert, bis zum 31. Dezember 1984 über die Erfahrungen zu berichten, die aus der Zuzah- lung der Versicherten u. a. während der Kranken- hauspflege vorliegen. Die Bundesregierung wird in Anlage 17 diesem Bericht auch darlegen, in welchem Umfang Antwort die Krankenkassen durch die Zuzahlung der Versi- cherten bei Krankenhauspflege entlastet worden des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen sind. des Abgeordneten Sauter (Epfendorf) (CDU/CSU) (Drucksache 10/1100 Fragen 65 und 66): Wie beurteilt die Bundesregierung die in dem Artikel Zu Frage 61: „Frust durch Frost" in der Zeitschrift „Heer" 2/84 geäußerte Kritik an der Winterausrüstung unserer Soldaten? Die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob haben im Jahre 1958 1,5 Milliarden DM für Leistun- es sich hier um vereinzelte Kritik handelt, oder ob die Solda- ten generell mit ihrer Winterausrüstung unzufrieden sind, gen verausgabt, die durch Arbeitsunfälle und Be- und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, neue rufskrankheiten bedingt waren. 1982 — Daten für Kampfschuhe und Feldparkas zu erproben? 1983 liegen noch nicht vor — belief sich der entspre- chende Aufwand auf 9,7 Milliarden DM. Hinzu kom- Zu Frage 65: men Leistungen der Krankenkassen für arbeits- und arbeitsunfallbedingte Erkrankungen sowie Lei- Wir nehmen jede sachliche Kritik ernst und prü- stungen der Rentenversicherungsträger für arbeits- fen entsprechende Hinweise. und arbeitsunfallbedingte Frühinvalidität, die sich Die Bekleidung unserer Soldaten muß den an sie jedoch an Hand der verfügbaren Statistiken nicht gestellten Forderungen entsprechen und darf aus quantifizieren lassen. Gewichtsgründen einen bestimmten Umfang nicht überschreiten. Allerdings ist zu berücksichtigen, Letzteres gilt in noch stärkerem Maß für die Be- daß verbesserte Bekleidungsstücke nur im Rahmen rechnung der volkswirtschaftlichen Kosten von Ar- - des Ersatzbedarfs beschafft werden können und so- beitsunfällen und arbeitsbedingten Erkrankungen. mit sich viele Beschwerden auf alte Bekleidungs- Der Mangel an relevanten Gesamtdaten und erheb- stücke beziehen. Aus Haushaltsgründen müssen liche methodische Probleme insbesondere bei der diese natürlich aufgetragen werden. Bewertung des Ausmaßes gesundheitsschädigender Einflüsse der Arbeitsbedingungen lassen eine zu- Maßnahmen zur weiteren Verbesserung des Näs- verlässige Quantifizierung der volkswirtschaftli- se- und Kälteschutzes — wie in dem zitierten Arti- chen Kosten und Folgekosten nicht zu. kel angesprochen — sind eingeleitet. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4223*

Zu Frage 66: gen Verteidigungsanstrengungen im Rahmen ihrer Die Bundeswehr verfügt über keine generell ge- jeweiligen Möglichkeiten zu veranlassen. trennte Winter- und Sommerausrüstung, weil eine Die deutschen Verteidigungsleistungen sind be- solche Ausstattung den häufig wechselnden Witte- kannt und anerkannt. Henry Kissinger hat in sei- rungsbedingungen — vor allem in den Übergangs- ner Rede auch nicht die Bundesrepublik Deutsch- zeiten — nicht angepaßt werden kann. Stattdessen land angesprochen. Unsere Verteidigungsanstren- werden je nach Wetterlage mehrere ganzjährig gungen sind im Bewußtsein der Öffentlichkeit dies- tragbare Bekleidungsstücke bei Bedarf übereinan- seits und jenseits des Atlantiks fest verankert. der getragen. Der Soldat ist damit in seiner Ausstat- tung flexibler und hat weniger Bekleidungsstücke Die Tatsache, daß der Bundeskanzler bei seiner mitzuführen. kürzlichen USA-Reise mit Recht darauf verweisen Zu den in Ihrer Frage angesprochenen Beklei- konnte, daß die Bundesrepublik Deutschland ihren dungsstücken — Kampfschuhe und Feldparka — Verpflichtungen aus dem NATO-Doppelbeschluß ist festzustellen: Der Kampfschuh, der in den letz- ohne jeden Abstrich nachgekommen ist und weiter ten Jahren wegen seiner Wasserdurchlässigkeit oft nachkommt, beweist eindeutig, daß Henry Kissin- beanstandet wurde, ist inzwischen derart verbes- ger uns nicht gemeint haben kann. sert worden, daß eine weitere Steigerung des Näs- Auch zukünftig werden wir unseren Beitrag er- seschutzes nicht mehr möglich ist, ohne dafür we- bringen und darüber sachlich und in der gebühren- sentliche Nachteile — Innenfeuchtigkeit und damit den Form berichten. fast automatisch kalte Füße — in Kauf zu nehmen. Durch diesen höheren Nässeschutz ergibt sich gleichzeitig ein besserer Wärmeschutz, der durch zusätzliche Maßnahmen noch gesteigert werden soll. Entsprechende Truppenversuche werden der- zeit durchgeführt. Der Feldparka ist aus Baumwolle hergestellt und Anlage 19 dient hauptsächlich als Schutz gegen Kälte und Wind, erst in zweiter Linie als Schutz gegen Nässe. Antwort Er ist daher mit einer wasserabweisenden Imprä- gnierung versehen. Als besonderer Nässeschutz des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen steht der sogenannte Feldponcho zur Verfügung, des Abgeordneten Milz (CDU/CSU) (Drucksache mit dem inzwischen die gesamte aktive Truppe aus- 10/1100 Fragen 71 und 72): gestattet ist. Wie viele Einrichtungen in den Niederlanden werden von Des weiteren werden zur Zeit verschiedene neue der Bundeswehr im Rahmen des Verteidigungsauftrages der Stoffe für die Kampfbekleidung geprüft und in NATO in Anspruch genommen? Trageversuchen- erprobt. Aus Wirtschaftlichkeits Welche Sicherheitsmaßnahmen bestehen von deutscher und Sparsamkeitsgründen kann jedoch nicht dar- Seite aus gegen die Einfuhr von Rauschgift durch Bedien- auf verzichtet werden, daß früher beschaffte Artikel stete der Bundeswehr, die in den Niederlanden tätig sind? aufgetragen werden müssen.

Zu Frage 71:

Die Bundeswehr nimmt im Rahmen ihres Vertei- Anlage 18 digungsauftrages in den Niederlanden an acht Or- Antwort ten Einrichtungen ständig in Anspruch. Sie werden genutzt von des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage des Abgeordneten Lowack (CDU/CSU) (Drucksache — einem Luftwaffenausbildungsregiment mit un- 10/1100 Frage 68): terstellten Einheiten (darunter eine Feldjäger- Was wird die Bundesregierung unternehmen, um dem in kompanie) in Budel der Rede Henry Kissingers am 13. Januar 1984 im Palais — der Deutschen Delegation beim Hauptquartier d'Egmont anläßlich der Konferenz des Zentrums für strategi- der Alliierten Streitkräfte Mitteleuropa (AF- sche und internationale Studien der George Town Universi- tat Washington geweckten Eindruck zu entgegnen, daß die CENT) mit integriert und national eingesetztem Verbündeten der USA in der NATO, damit auch die Bundes- Personal in Hoensbroek und Brunssum republik Deutschland, „innenpolitischen Anliegen den Vor- — einem NATO-Hauptdepot in Den Helder rang über einen ernsthaften Ausbau der Verteidigung ge- ben"? Darüber hinaus bestehen in den Niederlanden — der Militärattachéstab in Den Haag - Unabhängig von der Tatsache, daß eine stabile — vier Reservelazarettgruppen mit unterstellten und gesunde innenpolitische Lage ein wesentlicher Reservelazaretten als Geräteeinheiten in Ossen- Faktor der Sicherheitspolitik gerade in Staaten mit drecht freiheitlich-demokratischer Grundordnung ist, — der Verbindungsoffizier des I. (Deutschen) zum zielen die gemeinsamen Bemühungen der Bündnis- I. (Niederländischen) Korps in Apeldoorn partner in den entsprechenden Gremien der Allianz — Anteile von AFCENT und der Luftwaffe in stets darauf ab, alle Partnerländer zu gleichmäßi Maastricht 4224* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984

Zusätzlich werden einzelne Dienstgrade gelegent- Die Wehrbereichsverwaltungen sind wie alle lich und vorübergehend zu Ausbildungszwecken in Dienststellen zu eingehender Dienst- und Fachauf- die Niederlande entsandt. sicht angehalten.

Zu Frage 72: Jeder Bundeswehrangehörige, der aus dem Aus- land in die Bundesrepublik Deutschland zurück- Anlage 21 kehrt, ist durch ein Merkblatt des Bundeswehrver- Antwort waltungsamtes darüber belehrt, daß die Einfuhr von Rauschgift verboten ist. des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Wilz (CDU/CSU) (Drucksache Über die im Gesetz zur Neuordnung des Betäu- 10/1100 Fragen 75 und 76): bungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl. I S. 681) enthaltenen allgemein geltenden Vorschriften be- Gibt es für die Kreiswehrersatzämter und insbesondere stehen für die im Ausland stationierten Angehöri- für das Solinger Kreiswehrersatzamt Neuordnungspläne auf Grund eigener Überlegungen der Bundesregierung oder in- gen der Bundeswehr keine zusätzlichen Vorschrif- folge von Empfehlungen des Bundesrechnungshofes? ten. Dem Bundesminister der Verteidigung sind bis- Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß das her auch keine Fälle bekannt geworden, in denen in Kreiswehrersatzamt Solingen entgegen einer bekanntgewor- den Niederlanden stationierte Bundeswehrangehö- denen ÖTV-Verlautbarung und im Gegensatz zu Plänen der rige in die nach diesem Gesetz mit Strafe zu ahn- früheren Bundesregierung in jedem Falle als bewährte und denden Tatbestände verwickelt sind. bürgernahe Bundeswehrdienststelle zu erhalten ist?

Die Bundesregierung beabsichtigt, mit Aus- nahme der 1977 entschiedenen Zusammenlegung Anlage 20 der Kreiswehrersatzämter im Saarland, keine Kreiswehrersatzämter, also auch nicht das Kreis- Antwort wehrersatzamt Solingen, aufzulösen. des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen Die Bundesregierung ist mit Ihnen der Auffas- des Abgeordneten Vahlberg (SPD) (Drucksache 10/ sung, daß das Kreiswehrersatzamt Solingen als be- 1100 Fragen 73 und 74): währte und bürgernahe Bundeswehrdienststelle er- Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, daß in der halten bleiben soll, auch wenn es sich um das klein- Wehrbereichsverwaltung VI (München) 1 135 Akten der ste Amt im Wehrbereich III handelt. Jahrgänge 1977 bis 1982 — Schadensregulierung von Manö- verschäden betreffend — spurlos verschwunden sind, und Die Zusammenlegung der Kreiswehrersatzämter wie hoch ist schätzungsweise die dabei zur Regulierung an- im Saarland, die auf eine Empfehlung des Bundes- stehende Summe? rechnungshofes zurückgeht, kann wegen des hier- Sind der Bundesregierung ähnliche organisatorische und für erforderlichen Neubaues eines Dienstgebäudes personelle Fehlleistungen auch von anderen Wehrbereichs- in Saarbrücken erst etwa im Jahre 1991 verwirk- verwaltungen bekannt, und was gedenkt die Bundesregie- rung insgesamt dagegen zu tun? licht werden.

Zu Frage 73: Es ist zutreffend, daß aus den Jahren 1977-1982 (also aus bestimmten zurückliegenden Jahren) bei Anlage 22 der Wehrbereichsverwaltung VI 1 169 Schadensak- Antwort ten fehlen. Nach den bisherigen Ermittlungen sind die festgestellten Aktenverluste fast ausschließlich des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen auf das Verhalten einer zwischenzeitlich ausge- des Abgeordneten Lambinus (SPD) (Drucksache schiedenen Beamtin des gehobenen Dienstes zu- 10/1100 Fragen 77 und 78): rückzuführen. Die geschätzte Regulierungssumme Wie viele Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstver- beläuft sich derzeit auf ca. 125 000 DM. Ein Regreß- weigerer von Soldaten sind derzeitig anhängig, deren Bear- verfahren gegen die genannte Beamtin ist eingelei- beitung in die Zuständigkeit von Prüfungsausschüssen und -kammern fällt, die noch nicht gebildet worden sind, und wie tet. Noch nicht abgeschlossen ist die Prüfung, inwie- lauten die entsprechenden Zahlen für Wehrpflichtige, die weit auch gegen Vorgesetzte wegen Verletzung ih- schon einberufen sind, ihren Dienst aber noch nicht angetre- rer Aufsichtspflicht Regreßansprüche bestehen und ten haben? dienstaufsichtliche oder disziplinare Maßnahmen Ist es zutreffend, daß das Bundesverfassungsgericht in sei- einzuleiten sind. ner Entscheidung vom 26. Mai 1970 (E 28, 262) ausgeführt hat, daß einem Kriegsdienstverweigerer vor Abschluß seines An- erkennungsverfahrens in Friedenszeiten die Leistung von Zu Frage 74: Wehrdienst für eine kurze Übergangszeit nur zugemutet werden könne, wenn das Anerkennungsverfahren mit mög- Ähnliche vorsätzliche Verhaltensweisen sind lichster Beschleunigung durchgeführt wird, und wie will die nicht bekannt. Es gab einen entfernt vergleichba- Bundesregierung angesichts der teilweisen Funktionsunfä- higkeit der Prüfungsausschüsse und -kammern sicherstellen, ren Fall im Jahr 1971. Schädiger konnten seinerzeit daß diesem Verfassungsgebot für Soldaten, die einen Antrag wegen Beweisschwierigkeiten nicht festgestellt auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt ha- werden. ben, Rechnung getragen wird? Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4225*

Zu Frage 77: — auch ohne die Neuregelung — am 31. Dezember Es werden keine statistischen Nachweise geführt, 1983 abgelaufen. Das anschließend in Kraft getre- aus denen die von Ihnen gewünschten Zahlen er- tene Kriegsdienstverweigerungsgesetz ermächtigte mittelt werden können. den Bundesminister der Verteidigung zum Erlaß ei- ner Rechtsverordnung über die Wahl der Beisitzer Eine Auszählung bei den einzelnen Ausschüssen der neuen Ausschüsse für Kriegsdienstverweige- und Kammern wäre mit einem unverhältnismäßig rung. Diese Verordnung — die Kriegsdienstverwei- großen Zeitbedarf verbunden. Hierdurch würde gerungsverordnung — konnte aus Rechtsgründen auch in großem Umfang Personal gebunden wer- nicht vor dem 1. Januar 1984 in Kraft treten. den, das primär um zügige Bearbeitung der Anträge bemüht ist. Der Bundesminister der Verteidigung hatte im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz Zu Frage 78: die Auffassung vertreten, daß die Wahl der neuen Beisitzer schon vor Inkrafttreten des Kriegsdienst- Das von Ihnen genannte Urteil aus dem Jahre verweigerungsgesetzes hätte durchgeführt werden 1970 betrifft nicht die Zumutbarkeit der vorüberge- können. Die Bundesländer hatten dagegen ganz henden Wehrdienstleistung für Kriegsdienstverwei- überwiegend rechtliche Bedenken geltend gemacht, gerer schlechthin, sondern die Zumutbarkeit des so daß frühzeitige Wahlen nicht stattfinden konn- Dienstes mit der Waffe. Seinerzeit war die Möglich- ten. keit für Kriegsdienstverweigerer, von der unmittel- baren Bedienung der Waffen befreit zu werden, vor- Der Bundesminister der Verteidigung, in dessen übergehend ausgesetzt; sie ist seit 1975 den Kriegs- Geschäftsbereich die Ausschüsse für Kriegsdienst- dienstverweigerern wieder eröffnet. Mit dieser verweigerung eingerichtet sind, war bei dieser Maßgabe ist der Wehrdienst im Frieden einem Sachlage darauf angewiesen, die Bundesländer und kriegsdienstverweigernden Soldaten auch im Falle die kommunalen Spitzenorganisationen auf die Eil- einer nicht sehr kurzen Verfahrensdauer zumut- bedürftigkeit der Beisitzerwahlen wiederholt hinzu- bar. weisen. Seit der Zustimmung des Bundesrates zum Entwurf der Kriegsdienstverweigerungsverord- Im übrigen ist mit einer längeren Verfahrens- nung am 25. November 1983 stehen auch die Wehr- dauer für Soldaten in aller Regel nicht zu rechnen. ersatzbehörden auf allen Ebenen — mit den Innen- Am 9. März dieses Jahres waren bereits 2 / 3 der Aus- ministern und Innensenatoren der Länder, den schüsse und Kammern wieder funktionsfähig. In kreisfreien Städten und den Kreisen — in ständiger rund 4 Wochen dürften sich nahezu alle Gremien Verbindung, um auf eine Beschleunigung des Wahl- konstituiert haben. verfahrens hinzuwirken und die Ergebnisse bald- möglich in Erfahrung zu bringen.

Anlage 23 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen Anlage 24 des Abgeordneten Jaunich (SPD) (Drucksache Antwort 10/1100 Fragen 79 und 80): Trifft die Feststellung des Bundesbeauftragten für den Zi- des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen vildienst (WDR 17. Februar 1984) zu, daß von den zu wählen- der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) (SPD) den 119 Prüfungsausschüssen bis zu diesem Zeitpunkt ganze (Drucksache 10/1100 Fragen 81 und 82): 15 ihre Arbeit aufgenommen haben, und wie verteilen sie sich auf die einzelnen Bundesländer? Wie viele Kriegsdienstverweigerungs-Antragsteller sind vom „Stillstand der Rechtspflege" betroffen, und was ge- Was hat die Bundesregierung getan, um den Übergang auf schieht mit ihnen bis zum Abschluß des Prüfungsverfah- die neue Regelung ab 1. Januar 1984 ohne Arbeitsstillstand rens? der Prüfungsausschüsse sicherzustellen? Warum wurde die Kriegsdienstverweigerungsverordnung erst am 2. Januar 1984 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht, Zu Frage 79: und räumt die Bundesregierung ein, daß die kommunalen Vertretungskörperschaften deshalb nicht in der Lage waren, Bis zum 8. März 1984 hatten 74 von insgesamt 119 die notwendigen Wahlen für die Beisitzer in den Ausschüs- Ausschüssen ihre Tätigkeit aufgenommen. Am sen rechtzeitig durchzuführen? 17. Februar 1984 hatten 15 Ausschüsse für Kriegs- dienstverweigerung bereits Sitzungen durchge- führt. Sie verteilten sich auf die Bundesländer wie Zu Frage 81: folgt: Baden-Württemberg und Bayern je 3, Nieder- Betroffen sind nur die Wehrpflichtigen, die bis sachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und zur Arbeitsaufnahme des zuständigen Ausschusses Schleswig-Holstein je 2, sowie Hessen 1. Weitere ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer be- 14 Ausschüsse hatten zu diesem Zeitpunkt zu ihrer antragen, nachdem sie bereits zum Wehrdienst ein- ersten Sitzung geladen. berufen waren oder eine Vorbenachrichtigung über die bevorstehende Einberufung erhalten haben. Bis Zu Frage 80: zum 8. März 1984 hatten 74 von insgesamt 119 Aus- schüssen ihre Tätigkeit aufgenommen. Die Beisitzer der früheren Prüfungsausschüsse waren 1979 für vier Jahre, beginnend ab 1. Januar Kriegsdienstverweigernde Soldaten können bis 1980, gewählt worden; ihre Amtsperiode war somit zur Entscheidung durch den Ausschuß auf Antrag 4226* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 von der unmittelbaren Bedienung der Waffen be- Anlage 26 freit werden. Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage Zu Frage 82: des Abgeordneten Sielaff (SPD) (Drucksache Die Kriegsdienstverweigerungsverordnung wur- 10/1100 Frage 85): de am 2. Januar 1984 ausgefertigt und am 6. Januar Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Kriegsdienstver- im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Eine frühere weigerungs-Anträge aus dem zweiten Halbjahr 1983, die von Veröffentlichung war nicht möglich, da das die den Prüfungsausschüssen noch in 1983 bearbeitet worden Grundlagen enthaltende Kriegsdienstverweige- sind? rungsgesetz erst am 1. Januar 1984 in Kraft getre- ten ist. Der Auffassung des Bundesministers der Erhebungen über den prozentualen Anteil der Verteidigung, daß die Wahlen der Beisitzer für die KDV-Anträge aus dem zweiten Halbjahr 1983, die Ausschüsse bereits im Jahre 1983 hätten durchge- von den Prüfungsausschüssen noch im Jahr 1983 führt werden können, sind die Bundesländer nicht bearbeitet worden sind, wurden nicht durchgeführt. gefolgt, so daß die kommunalen Vertretungskörper- Dies hätte nur mit zusätzlichem Verwaltungsauf- schaften nicht in der Lage waren, die Beisitzer noch wand geschehen können und hätte erhebliche Ver- vor Inkrafttreten des Kriegsdienstverweigerungs- zögerungen in der Bearbeitung der Anträge selbst gesetzes zu wählen. bedeutet. Bekannt ist aber die Anzahl der eingegangenen Anträge im zweiten Halbjahr 1983 von nämlich 15 160 Antragstellern und die Zahl der in diesem Anlage 25 Zeitraum bearbeiteten Anträge mit — deutlich über Antwort dem Neueingang liegenden — 21 090 Entscheidun- gen. des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Gilges (SPD) (Drucksache 10/1100 Fragen 83 und 84): Anlage 27 Warum sieht die Kriegsdienstverweigerungsverordnung Antwort für die Wahl der Beisitzer die paritätische Berücksichtigung von Frauen und Männern vor, obwohl der Bundesminister des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen der Verteidigung dieser Frage — die auch die Wahl bei den der Abgeordneten Frau Dr. Czempiel (SPD) (Druck- kommunalen Vertretungskörperschaften verzögert — eine geringere Bedeutung zumißt? sache 10/1100 Fragen 86 und 87): Ist es, entgegen der Zusage des Bundesverteidigungsmini- Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Wahl der sters, alle Kriegsdienstverweigerungs-Ausschüsse bis zum Prüfungsausschüsse im Wege einer Eilentscheidung durch Abbau des Staus arbeitsfähig zu erhalten, im zweiten Halb- die Kommunen zu beschleunigen, und was hat sie gegebe- jahr 1983 zur Einstellung der Arbeit von Prüfungsausschüs- nenfalls getan, um auf diese Möglichkeit aufmerksam zu sen u. a. wegen Nichtverlängerung von Zeitverträgen der machen? Ausschußvorsitzenden gekommen? War der Bundesregierung bewußt, daß dadurch nur noch Zu Frage 83: wenige Antragsteller in den „Genuß" des 16monatigen Zivil- dienstes kommen? Nach dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz sind bei der Wahl der Beisitzer die Grundsätze für die Zu Frage 86: Wahl der Jugendschöffen zu berücksichtigen. Dazu gehört die Regelung des Jugendgerichtsgesetzes, Im 2. Halbjahr 1983 wurde der Personalbestand wonach ebenso viele Frauen wie Männer vorge- der gefragten Personengruppe um insgesamt acht schlagen und gewählt werden sollen. Da die Kriegs- Vorsitzende, dies sind lediglich 3,5% der Gesamt- dienstverweigerungsverordnung aus praktischen zahl, vermindert. Von diesen acht wurde aus Lei- Erwägungen für Frauen und Männer keine ge- stungs- bzw. Belastungsgründen von uns gegenüber trennten Beisitzerlisten vorsieht, hat die Parität zwei Vorsitzenden auf eine Weiterbeschäftigung hier geringere Bedeutung als im Jugendschöffen verzichtet. recht, obwohl die Bundesregierung eine paritäti- Drei Vorsitzende sind in diesem Zeitraum aus Al- sche Besetzung begrüßen würde. tersgründen ausgeschieden. Weitere drei Vorsit- zende sind in ein anderes Ressort gewechselt. Zu Frage 84: Die Dienstposten dieser acht Vorsitzenden konn- ten leider nicht nachbesetzt werden, weil aufgrund Der Bundesminister der Verteidigung hat die In- der vom Parlament geforderten Einsparungsaufla- nenminister und die Innensenatoren der Länder so- gen im Personalhaushalt in der allgemeinen Bun- wie die kommunalen Spitzenorganisationen wieder- deswehrverwaltung ein erhebliches Fehl besteht. holt auf die Eilbedürftigkeit der Beisitzerwahlen - hingewiesen. Die Prüfung, ob die in den Kreis- und Gemeindeordnungen der Länder vorgesehenen Zu Frage 87: Dringlichkeitsentscheidungen durch besondere Or- Die Ursache, daß nicht noch mehr Anträge auf gane möglich sind, hat zu einem negativen Ergebnis Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer vor dem geführt. Aus diesem Grunde haben die Länder da- 1. Januar 1984 bearbeitet werden konnten, ist nicht hingehende Dringlichkeitsentscheidungen bisher der nur sehr geringfügig verminderte Personalbe- nicht veranlaßt. stand an Vorsitzenden, sondern die Vorrangigkeit Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4227* der Bearbeitung der Anträge von Soldaten, Einbe- lich zur unentgeltlichen Vertretung des Antragstel- rufenen und solchen Wehrpflichtigen, deren Einbe- lers — d. h. als Beistände — zugelassen. rufung vorangekündigt war. Die übrigen Anträge Während der Beistand dem Antragsteller hilft, werden grundsätzlich in der Reihenfolge des Ein- seine Gewissensgründe gegenüber dem Staat über- gangs bearbeitet, sofern nicht ein dringendes Inter- zeugend geltend zu machen, hat sich ein ehrenamt- esse der Antragsteller an einer bevorzugten Einbe- licher Beisitzer in den Ausschüssen und Kammern rufung besteht, wie z. B. bei Arbeitslosen. Von den für den Staat ein möglichst objektives, interessen- Anträgen, die ab 1. Juli 1983 gestellt worden sind, freies Urteil über das Vorliegen eines Gewissens- war zudem ein Teil nicht bearbeitungsreif, da das grundes im Sinne von Artikel 4 Abs. 3 des Grundge- Musterungsverfahren noch nicht abgeschlossen setzes zu bilden. Bei dieser Verschiedenartigkeit war. der beiden Ämter konnte es nicht befriedigen, daß in der Vergangenheit manche Pfarrer, von Termin zu Termin wechselnd, einmal als ehrenamtlicher Beisitzer Mitglied des Ausschusses oder der Kam- Anlage 28 mer waren und ein anderes Mal diesem Ausschuß Antwort oder dieser Kammer als Beistand eines Antragstel- lers gegenüberstanden. Die Bundesregierung be- des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Frage grüßt es daher, daß dies nach dem neuen Recht des Abgeordneten Delorme (SPD) (Drucksache nicht mehr möglich ist. 10/1100 Frage 88): Ist es zutreffend, daß die Akten mit unbearbeiteten Anträ- gen auf Kriegsdienstverweigerung immer noch nicht alle dem Bundesamt für Zivildienst zugestellt wurden, und wenn ja, worauf ist das zurückzuführen? Anlage 30 Antwort Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstver- des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die weigerer, über die das Bundesamt für den Zivil- Frage des Abgeordneten Delorme (SPD) (Druck- dienst zu entscheiden hat, können nicht in allen sache 10/1100 Frage 90): Fällen sofort an dieses Amt weitergeleitet werden. Ist der Antragsteller noch nicht gemustert, muß Wie wirkt sich die zum Erliegen gekommene Tätigkeit der Prüfungsausschüsse auf die Besetzung von Zivildienststellen nach dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz zu- aus? nächst die Musterung abgewartet werden. Erst wenn der Musterungsbescheid unanfechtbar ge- worden oder ein Rechtsmittelverfahren gegen den Die durch die Neuberufung der ehrenamtlichen Musterungsbescheid rechtskräftig abgeschlossen Beisitzer zu Beginn dieses Jahres eingetretene Un- ist, kann der Antrag an das Bundesamt für den terbrechung der Tätigkeit der Ausschüsse und Zivildienst abgegeben werden. Kammern für Kriegsdienstverweigerung führt in keinem Monat zu einem Rückgang der Zahl der im Dienst befindlichen Zivildienstleistenden. Die Ar- beit der Beschäftigungsstellen im Zivildienst wird Anlage 29 daher nicht beeinträchtigt. Das ist darauf zurückzu- führen, daß der Eingang an Akten von anerkannten Antwort Kriegsdienstverweigerern bei der für die Einberu- des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die fung zuständigen Abteilung des Bundesamtes für Frage des Abgeordneten Sielaff (SPD) (Drucksache den Zivildienst in diesem Jahr in keinem Monat 10/1100 Frage 89): unter dem Aktenzugang in den entsprechenden Mo- naten der letzten Jahre gelegen hat oder liegen War der Bundesregierung bei ihrer „Formulierungshilfe" wird. für den Kriegsdienstverweigerungs-Gesetzentwurf der Ko- alitionsfraktionen bewußt, daß durch die Anlehnung an die So war im Monat Januar 1984 der Aktenzugang Wahl der Jugendschöffen, bestimmte Berufsgruppen, die in von den Kreiswehrersatzämtern mit 2 347 ebenso der Vergangenheit besonders engagiert die Interessen von Kriegsdienstverweigerern vertreten haben — wie beispiels- hoch wie im Januar 1983 mit 2 340. Im Februar 1984 weise Pfarrer — zukünftig von der Mitwirkung in den kamen zu den 1 055 Akten anerkannter Kriegs- Kriegsdienstverweigerungs-Ausschüssen ausgeschlossen dienstverweigerer, die dem Bundesamt für den Zi- würden? vildienst von den Kreiswehrersatzämtern zugingen, bereits 1 787 von dem Bundesamt für den Zivil- Es trifft zu, daß nunmehr für die Berufung der dienst nach dem neuen Recht selbst ausgespro- beiden ehrenamtlichen Beisitzer in den Ausschüs- chene Anerkennungen hinzu. Mit insgesamt 2 842 sen und Kammern für Kriegsdienstverweigerung anerkannten Kriegsdienstverweigerern wurde da- die Vorschriften über die persönlichen Vorausset- mit die Vorjahreszahl von 2 481 nicht unerheblich- zungen für die Berufung zum Amt eines Schöffen übertroffen. Im März 1984 wird sowohl mit einem gelten, nach denen u. a. Geistliche nicht berufen Anstieg der Zugänge von den Kreiswehrersatzäm- werden sollen. Dadurch wird jedoch die herkömmli- tern, bei denen inzwischen ein Teil der neu gebilde- che Unterstützung der Antragsteller vor den Aus- ten Ausschüsse seine Tätigkeit aufgenommen hat, schüssen und Kammern durch Vertreter der Kir- als auch mit einer weiter steigenden Zahl eigener chen in keiner Weise berührt. Vielmehr sind die Anerkennungen durch das Bundesamt für den Zi- Pfarrer wie im früheren Recht weiterhin ausdrück vildienst gerechnet. Die Vorjahreszahl der Akten- 4228* Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 eingänge von 3 481 wird daher mindestens erreicht schriftlichen Stellungnahmen überwiegend gegen werden. eine Verordnung nach § 58 Abs. 4 des Weingesetzes Von April 1984 an werden die Einberufungen sehr ausgesprochen, weil sie ein umfassendes Rege- wahrscheinlich ständig erheblich über denen der lungsbedürfnis verneinen. Auch in einer Bespre- Vergleichsmonate früherer Jahre liegen. Die Bun- chung mit den Bundesländern im Bundesministe- desregierung rechnet damit, daß sich dadurch die rium für Jugend, Familie und Gesundheit am Zahl der im Dienst befindlichen Zivildienstleisten- 14. Dezember 1983 konnte eine mehrheitsfähige Lö- den bis Ende des Jahres auf annähernd 50 000 erhö- sung noch nicht gefunden werden. Der Vorschlag hen wird. des Landes Rheinland-Pfalz, der die Herauslösung der Weinkontrolle aus der Lebensmittelüberwa- chung der Länder und die Schaffung eines bundes- Anlage 31 weiten „Deutschen Weinüberwachungs-Dienstes" Antwort als Selbstverwaltungskörperschaft vorsieht, stößt des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die ebenfalls auf Ablehnung. Er soll auf Antrag des Fragen des Abgeordneten Schartz (Trier) (CDU/ Landes Baden-Württemberg Anfang Mai dieses CSU) (Drucksache 10/1100 Fragen 91 und 92): Jahres in der Sitzung des Ausschusses Lebensmit- telhygiene und Lebensmittelüberwachung der Ar- Kann die Bundesregierung detailliert darlegen, welche Schritte sie unternommen hat und mit welchem Erfolg, um beitsgemeinschaft der Leitenden Medizinalbeam- den Wünschen und Forderungen der Entschließung des ten der Länder (ALU) nochmals diskutiert werden. Deutschen Bundestages, die er anläßlich der Beschlußfas- sung zum Vierten Gesetz zur Änderung des Weingesetzes am Die Bundesregierung wird sich weiterhin um eine 23. Juni 1982 gefaßt hat, im einzelnen nachzukommen? positive Lösung im Sinne der Entschließung des Hat die Bundesregierung hinsichtlich Überwachung und Bundestages bemühen. Kontrolle sowohl der eingeführten Weine aus der EG und Drittstaaten als auch der ausgeführten Weine neue Erkennt- Zu Frage 92: nisse gewonnen, die Einfluß auf die Gesetz- und Verord- nungsgebung haben könnten? Nein. Nach übereinstimmender Auffassung der Bundesregierung und der Bundesländer reichen die Zu Frage 91: geltenden Rechtsvorschriften bei Ausschöpfung ih- Die Zahl der für Weineinfuhren zuständigen Zoll- rer Möglichkeiten für eine wirksame Überwachung dienststellen ist seit der Entschließung des Bundes- aus. tages vom 23. Juni 1982 um 26 % von 307 auf 228 ver- ringert worden. Anlage 32 Im Hinblick auf die Zuständigkeit der Länder für Antwort die Weinüberwachung sind diese mit Schreiben vom 5. November 1982 auf die Entschließung des des Parl. Staatssekretärs Frau Karwatzki auf die Bundestages aufmerksam gemacht worden. Dabei Frage der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer (DIE sind sie insbesondere angeregt worden, die Überwa- GRÜNEN) (Drucksache 10/1100 Frage 95): chungsbehörden oder die amtlichen Untersu- Plant die Bundesregierung im Rahmen der Novellierung chungsstellen zu veranlassen, unter Berücksichti- des Zivilschutzgesetzes einen Erlaß von Vorschriften für die gung ihrer Kontrollbedürfnisse die Zollstellen um Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung der Bevöl- verstärkte Entnahme und Vorstellung von Proben kerung im Katastrophenfall, und ist sie bereit, die vorliegen- zu ersuchen. Dies ist nach den vorliegenden Infor- den Entwürfe der Öffentlichkeit bekanntzumachen? mationen auch geschehen. Das nach Gemeinschaftsrecht vorgeschriebene Für die Bewältigung von Katastrophen im Frie- Begleitdokumentenverfahren wird inzwischen von den sind nach unserer Verfassungsordnung die allen Bundesländern durchgeführt. Gegenwärtig Länder zuständig. wird in Brüssel eine Änderung der Begleitdoku- Die Bundesregierung prüft, ob und gegebenen- menten-Verordnung beraten mit dem Ziele, ihre Re- falls wie der Bereich der gesundheitlichen Versor- gelungen praktikabler und noch wirksamer zu ge- gung der Bevölkerung in einem Verteidigungsfall in stalten. Dabei hat die deutsche Delegation die in den Entwurf eines neuen Zivilschutzgesetzes einbe- der Praxis des Vollzugs gesammelten Erfahrungen zogen werden kann. verwertet. Über den Zeitpunkt des Abschlusses der Prüfung Nach den eingeholten Auskünften sind der Wein- und den künftigen Regelungsinhalt können noch überwachung in Rheinland-Pfalz 10 neue Stellen keine Angaben gemacht werden. Da die Regelun- zugewiesen worden, davon vier Weinkontrolleure gen auf Maßnahmen der Katastrophenhilfe durch und vier Laboranten. In den übrigen Ländern ist Einrichtungen des Gesundheitswesens, die im Ver- keine Personalverstärkung erfolgt, jedoch wird zum antwortungsbereich der Länder liegen, aufbauen Teil die Weinkontrolle durch Zuweisung von Le- muß, bedarf es eines umfangreichen Abstimmungs- bensmittelkontrolleuren unterstützt. verfahrens. Entsprechend der Geschäftsordnung Im Rahmen der vorbereiteten Arbeiten für eine der Bundesministerien wird die Öffentlichkeit zu Verordnung zur Sicherung einer gleichmäßigen gegebener Zeit über einen Gesetzentwurf unter- Überwachung haben sich die Bundesländer in richtet werden.