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Kultur

Oder du willst nicht, dass jemand deine Angst sieht. Zum Beispiel wenn du ein KINO Kind besuchst, das sehr krank ist oder schwere Verbrennungen erlitten hat, dann zeigst du ihm, dass es schon in Ordnung „Ich weine heimlich“ kommt, damit es sich nicht vor deinem Ge- sichtsausdruck erschrickt. Hollywood-Star , 32, über ihre Skepsis gegenüber SPIEGEL: Wann lassen Sie all die angestau- ten Gefühle heraus? Schauspielern in der Politik, ihr Nomadenleben Jolie: Ich weine heimlich. Wirklich, fragen mit und ihren neuen Film „Ein mutiger Weg“ Sie Brad, ich hasse Weinen! Da gibt es

SPIEGEL: Ms Jolie, in Ihrem neuen Film „Ein mutiger Weg“, der Mitte September in die deutschen Kinos kommt, spielen Sie die Ehefrau des US-amerikanischen Jour- nalisten , der 2002 in von islamischen Fundamentalisten entführt und später vor laufender Kamera geköpft wurde. Ihr intimster Leinwandpartner in dem Film ist ein Handy. Wie geht man da- mit als Schauspielerin um? Jolie: Tatsächlich wurde es zu einer kleinen Obsession, weil Mariane Pearl ihr Telefon wirklich nie aus der Hand legte. Also wur- de es am Set auch zu meinem ständigen Begleiter, als wäre es eine Art Verlängerung meines Körpers. Einmal, mitten während der Dreharbeiten, fing dieses Film-Handy plötzlich an zu klingeln. Das war gar nichts Besonderes, jemand hatte sich in der Num- mer geirrt, aber weil Mariane im Film so verzweifelt auf den Anruf ihres Mannes wartet, fuhren alle zusammen. SPIEGEL: Ist das Handy ein geeignetes In- strument, um Emotionen zu übermitteln? Im Film senden Sie jede Nacht eine zärtli- che SMS an den verschollenen Daniel Pearl. Jolie: Mobiltelefone gehören ganz offen- sichtlich zum Zeitgeist, also verbinden Menschen etwas mit ihnen. SPIEGEL: Und Sie selbst? Senden Sie viele SMS-Nachrichten? Jolie: Nein, ich bin zwar ständig auf Reisen, trage mein Handy aber nie mit mir herum. Ich checke abends gelegentlich meine Nach- richten und versende ein paar, das ist alles.

SPIEGEL: Sie sagten einmal, dass Sie nie RETNA / INTER-TOPICS weinen. Mariane Pearl weint jedoch gleich Darstellerin Jolie*: „Tough ist es, diszipliniert zu sein“ zweimal im Film: als sie vom Tod ihres Mannes erfährt und als sie ihr Kind gebärt. der Küche oder sprang irgendwo herum. diese praktische Seite in mir, die mir dau- Sind Tränen für die Situationen reserviert, Als wir die Szene drehten, merkte ich ernd vorhält, dass mit Heulen auch nichts in denen es um Leben und Tod geht? nicht, dass es da draußen auf die Terrasse erreicht wird. Aber als meine Mutter ge- Jolie: Ich habe nicht geweint bei der Geburt kam, und dachte, dass ich es erschreckt storben ist, da habe ich geweint, richtig im Film, ich habe geschrien! Aber im Ernst, hätte mit meinem Weinen. Das Lächeln geweint! ich bin sehr vorsichtig mit meinen Ge- war also eine ganz natürliche Reaktion. SPIEGEL: Hat Ihre Mutterrolle Sie domesti- fühlen, ich lasse sie nicht gern heraus. Wahrscheinlich wirklich etwas, was ich bei ziert? Wenn ich mich über etwas aufrege, dann meinen eigenen Kindern auch tun würde. Jolie: Das würde ich nicht sagen, immerhin hat das für gewöhnlich gute, sehr gute und SPIEGEL: Als Sonderbotschafterin für die spiele ich in meinem nächsten Film eine tiefgehende Gründe. Uno reisen Sie in arme Länder wie Kam- Attentäterin! Aber im Ernst: Ich finde es SPIEGEL: Im Film gibt es eine Szene, in der bodscha, Sierra Leone und Pakistan. Gibt heutzutage mutiger, nach Washington zu Mariane verzweifelt und hoffnungslos im es dort auch Situationen, in denen Sie Ihre gehen, um dort für ein wichtiges Gesetz Garten steht. Als sie merkt, dass hinter ihr Gefühle verbergen müssen? zu kämpfen, als sich tätowieren zu lassen ein Kind die Terrasse betritt, dreht sie sich Jolie: Ja, hauptsächlich wenn ich nicht will, oder wild auf einem Motorrad durch die um und zwingt sich zu lächeln, um es nicht dass jemand merkt, wie leid er mir tut. Gegend zu rasen – oder was immer diese zu erschrecken. Das wirkt sehr authentisch. Weil er sich dann noch schlechter fühlt. Vorstellung von Verwegenheit ist. Dafür Jolie: Das war so nie geplant! Das Kind braucht man keine besondere Kühnheit. wohnte in dem Haus, in dem wir drehten. * Oben rechts: in „Ein mutiger Weg“; unten: mit Lebens- Tough ist es, vier Kinder zu haben. Tough Manchmal kam es heraus und spielte in partner Brad Pitt und ihren Kindern in Chicago. ist es, diszipliniert zu sein.

138 der spiegel 35/2007 SPIEGEL: Sollten sich alle Schauspieler an an irgendein Programm gebunden sein. Ihnen ein Beispiel nehmen und sich poli- Und ich möchte mir auch nicht immer- tisch engagieren? zu Gedanken darüber machen, ob etwas Jolie: Ich habe da so meine Zweifel. Schau- gut ankommt. spielerei und Politik gehen ja manchmal SPIEGEL: Aber das müssen Sie als Schau- eine ganz schlechte Verbindung ein. Viele spielerin doch auch. Leute nehmen mich auch weniger ernst, Jolie: Nein, das muss ich nicht. Es stimmt wenn ich für die Uno tätig bin, weil ich allerdings, dass die Demoskopie in Holly- ein großer Star bin. wood wie in der Politik immer mehr zum SPIEGEL: In vielen westlichen Staaten trau- Fetisch wird. Ein Film kommt bei einer en die Menschen ihren Politikern nicht Testvorführung nicht an, also wird er ein- fach umgeschnitten. Ein Politiker gibt eine Umfrage in Auftrag und engagiert einen Redenschreiber, der ihm genau die Sätze in den Mund legt, von denen er glaubt, dass die Mehrheit sie hören will. Das ist alles Blödsinn. Ich will die Filme sehen, an die die Regisseure selber glauben, und die Sät- ze hören, die die Politiker wirklich meinen. SPIEGEL: Vermissen Sie selbst nicht ein fes- tes Zuhause? Jolie: Für die Kinder wäre es vielleicht ganz schön. Aber auch ich hatte als Kind kein Zuhause. Deswegen hänge ich wahrschein- lich nicht an Häusern, Möbeln oder sons-

2007 PARAMOUNT VANTAGE PARAMOUNT 2007 tigen Gegenständen, die anderen Men- schen ein Gefühl von Geborgenheit geben. Ganz ehrlich, ich mag es, dass wir immer in Bewegung sind. Aber wir werden auf dieser Welt immer eine feste Basis haben. SPIEGEL: Wird Berlin diese Basis sein? Sie sollen dort eine Wohnung gekauft haben. Jolie: Brad und ich mögen die Stadt sehr. Aber ich finde unser Nomadenleben groß- artig. Es ist toll, dass meine Kinder in ein anderes Land kommen und nicht sofort nach den Annehmlichkeiten des Zuhauses suchen. Als wir nach Indien kamen, hat Maddox dort wie selbstverständlich mit den anderen Kindern gespielt, mit Steinen und Stöcken. In Namibia haben meine Kinder sofort mit den Kindern der Buschmänner Kontakt aufgenommen. Egal in welches Land sie später kommen, sie werden keine Angst haben und überall Freunde finden. SPIEGEL: Haben Ihre Kinder Ihre Art, die Welt zu betrachten, verändert?

ALECSEY BOLDESKUL / AIBMEDIA / BULLS PRESS / AIBMEDIA BULLS BOLDESKUL ALECSEY Jolie: Ja, denn für sie ist alles neu, da gibt es keine Selbstverständlichkeiten. Sie erden mehr. Übernehmen nun die Stars die Rol- mich und sind darüber hinaus die lustigsten le als moralische Leitfiguren? Menschen, die ich je getroffen habe. Jolie: Ich hoffe wirklich, dass uns das er- SPIEGEL: Nicht Brad Pitt? spart bleibt! Wir müssen und werden mo- Jolie: (lachend) Da kommt Brad nicht ran. ralische Leitfiguren finden, aber bitte unter SPIEGEL: Reden Sie mit Brad Pitt oft über den Menschen, die ihr Leben in den Dienst Ihre Arbeit? Nehmen Sie Einfluss auf die der Politik gestellt haben. Schauspieler ver- Entscheidungen des anderen? bringen nun mal den Großteil ihrer Zeit Jolie: Nein, wir ermutigen uns, das zu tun, auf Filmsets und vor der Kamera. Viele was wir für richtig halten. Manchmal fin- von uns sind gebildet, aber wer hat schon den wir, dass der andere eine idiotische juristische Kenntnisse, wer hat wirklich ein Fehlentscheidung getroffen hat, aber es Verständnis von internationaler Politik? spielt keine Rolle. Wir reden viel über die Dass wir eine großartige Plattform haben, Kinder, manchmal über Politik. Brad ist reicht als Qualifikation nicht aus. Ich bin da momentan noch viel stärker mit seiner strikt für Vollprofitum. Filmkarriere beschäftigt, als ich es bin, er SPIEGEL: Können Sie sich denn vorstellen, hat ja auch seine eigene Produktionsge- ganz in die Politik zu gehen? sellschaft. Aber wir planen beide, etwas Jolie: Ich bin froh darüber, dass ich keinem weniger zu arbeiten. Lager angehöre, weder den Demokraten Interview: Lars-Olav Beier, noch den Republikanern. Ich möchte nicht Andreas Borcholte

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