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Friederike Meyer Exklusive Normalität Mountain Resort auf dem Obersalzberg

5 Architekten: 6 Mythos des Bergs. Jahrzehntelang wurde der vom Institut für Zeitgeschichte konzipierte Aus- Kochta Architekten, München verharmlosende Kult um das Privatleben der stellung die Geschichte des Obersalzbergs. Der Mitarbeiter: Verbrecher ignoriert. Dem Treiben sei mit recht- Rundgang, der sich auf die Zeit zwischen 1933 Klinner, Biedermann, Dressel, von zur lichen Mitteln nicht beizukommen, heißt es und ‘45 konzentriert und die Auswirkungen Mühlen, Dirnstorfer, Schweiger, Kritzler, bis heute. der Politik der Nationalsozialisten eindrücklich Endl-Storek Nachdem die US-Armee 1996 bekanntgegeben darstellt, führt auch in einen Teil des Bunker- 4 1 7 Landschaftsarchitekten: hatte, dass sie den Standort auf dem Obersalz- systems. Aufgrund der großen Nachfrage – für Teutsch-Ritz-Rebmann, München berg aufgeben würde, schien die Chance für ei- einige Bildungseinrichtungen gehört ein Be- Tragwerksplanung: nen Neuanfang gekommen. Der Bayerische such des Dokumentationszentrums mittlerwei- Seeberger, Friedl und Partner, Starnberg Landtag beschloss, das Gelände auf der Grund- le zum obligatorischen Ausflugsprogramm – 2 Innenarchitekten: lage eines so genannten Zwei-Säulen-Konzepts soll das Haus demnächst um Seminarräume er- 3 Der Obersalzberg leidet seit Jahren Mahmoudieh design, Berlin; André zu nutzen: Die eine Säule ist das 1999 eröffne- weitertwerden. unter dem Mythos der Nazizeit, der Behncke, München; sporer plus, te Dokumentationszentrum. Es zählte im ver- Mit der zweiten Säule, einem Hotel der Fünf- viele unerwünschte Besucher anzieht Stuttgart gangenen Jahr 136.000 Besucher. In dem zwei- Sterne-Kategorie, will man zur „touristischen und die Willkommenen abschreckt. Bauherr: geschossigen Glaspavillon, der auf den Funda- Normalität“ zurückfinden. Nicht nur Tagesaus- Ein Fünf-Sterne-Hotel soll nun für „tou- ristische Normalität“ sorgen. gewerbegrund GmbH & Co., München mentresten eines weiteren Hitler-Gästehauses, flügler sollen kommen, sondern internationale, dem „Hohen Göll“ entstand, dokumentiert eine zahlungskräftige Gäste. Das würde auch das Lageplan im Maßstab 1 : 10.000

Es sei das „spektakulärste Hotel Deutschlands“, biet“ und zwang die Eigentümer aller Nachbar- erklärt die Pressemitteilung, im „Traumrevier grundstücke zum Verkauf. Es entstanden SS- von und Königsee“ gelegen, biete Kasernen und Privathäuser für seine engsten es 138 komfortable Zimmer und Suiten, einen Vertrauten Hermann Göring, Albert Speer und exklusiven Wellnessbereich, Gastronomie auf Martin Bormann. Heute zeugen von dieser Zeit höchstem Niveau und herausragende Tagungs- nur noch wenige Bauten und Ruinenreste, so- möglichkeiten. Ganz in der Nähe befinde sich wie die Bunkeranlagen, mit denen der Berg auf der höchstgelegene Golfparcour des Landes insgesamt vier Kilometern Länge durchbohrt und vor der Tür warte ein Skilift zur Abfahrt worden ist. in die „Winterwunderwelt“ des Berchtesgade- Nach dem Krieg wurde das Vermögen der NS- ner Lands. Prominenz auf dem Obersalzberg von den Al- 1 Mountain Resort Mit dem „Mountain Resort Berchtesgaden“, das liierten beschlagnahmt und an den Freistaat 2 Dokumentationszentrum in diesen Tagen seine ersten Gäste erwartet, Bayern übertragen. Die US-Armee behielt sich Obersalzberg 3 Bushaltestelle möchte die bayerische Staatsregierung an die allerdings ein Nutzungsrecht als „Armed For- 4 ehemaliger lange Fremdenverkehrstradition im Berchtes- ces Recreation Center“ vor. Soldaten und ihre 5 ehemaliges Haus Göring gadener Land anknüpfen. Die Region gehört zu Familien erholten sich unter anderem im „Ge- 6 ehemaliges Haus Bormann 7 Hotel „Zum Türken“ den schönsten Berglandschaften Deutschlands neral Walker Hotel“, dem wieder aufgebauten und Tourismus gibt es hier schon seit dem En- ehemaligen Hotel Platterhof, in dem Hitler sei- de des 19. Jahrhunderts, als auf dem von Berg- ne Gäste untergebracht hatte. bauern, Salinearbeitern und Handwerkern be- Lediglich das Teehaus auf dem 1800 Meter ho- wohnten Berg erste Fremdenzimmer eingerich- hen Kehlstein – ein Geschenk der NSDAP an tet wurden. In diesem Zusammenhang werden Hitler zu seinem 50. Geburtstag –, das bei den oft die Namen der prominenten Sommerfrisch- Bombenangriffen der Allierten 1945, im Gegen- ler erwähnt: Johannes Brahms und Clara Schu- satz zu vielen anderen Gebäuden, unzerstört mann, Sigmund Freud oder der Klavierfabri- blieb, hatten die Amerikaner 1952 zur allgemei- kant Max Bechstein. nen touristischen Nutzung freigegeben. Auch Arthur Neville Chamberlain und Benito Bis zu 300.000 Besucher kamen jährlich und Mussolini waren da. Adolf Hitler empfing sie wurden mit Bussen die steile Alpenstraße hin- 1938 zu Gesprächen in seinem piefig-pompösen aufgekarrt. Das Geschäft lief gut. Unter den Privathaus auf dem Obersalzberg. Nach seiner Neugierigen waren auch NS-Nostalgiker und Ernennung zum Reichskanzler hatte er sich zu- das Souvenirangebot entsprach deren Nachfra- nächst nur zum „Nachdenken“ hierher zurück- ge: Die in den Kiosken – zum Teil auch heute gezogen und ließ sich hin und wieder von orga- noch – verkauften und vom Verfassungsschutz nisierten Wallfahrer-Gruppen bejubeln. Später inhaltlich überwachten Hochglanzbroschüren erklärte er das Gelände zum „Führersperrge- und idyllischen Postkarten-Motive nährten den

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Niveau in Berchtesgaden heben und exklusive Ferienhotel in den Bergen mit angegliedertem Geschäfte, bessere Restaurants sowie weitere Schwimm- und Massagebereich – verpflichtet. Hotels nach sich ziehen, so lautet die Argumen- Anfang 2000 vergab die Gewerbegrund GmbH tation. die Erarbeitung eines Konzepts an das Münch- Die Sache wird seitdem unternehmerisch ange- ner Büro Kochta Architekten, mit dem sie beim gangen. Der Freistaat übertrug die in seinem Bau eines Wohn- und Bürokomplexes in der Besitz befindlichen einhundert Hektar Land an Münchner Innenstadt zuvor „gute Erfahrung“ die Gewerbegrund GmbH, eine hundertprozen- gemacht hatte. Dass es damals keinen Wettbe- Im „Mountain Resort“ soll es den Gäs- tige Tochter der Bayerischen Landesbank. Die werb gegeben habe, sei wegen des komplexen ten an nichts fehlen. Die Betreiber werben mit dem grandiosen Ausblick, quasi staatlich kontrollierte, aber privatwirt- Baugrundstücks und aus technischen Gründen einem ausgedehnten Spa-Bereich, schaftlich agierende Projektentwicklungsgesell- im Finanzministerium allgemeiner Konsens dem Golfplatz und einem hoteleige- schaft, die zum Beispiel auch das Schlacht- gewesen, erklärt der Gewerbegrund-Sprecher nen Skilift. Die Nähe zu den Ruinen- resten der Nazi-Bauten wird nicht er- hofquartier in Magdeburg und das Innovations- Dieter Krautzig. Das Konzept, das zunächst wähnt. und Gründerzentrum in Garching entwickelt, erarbeitet werden sollte, beinhaltete nicht nur wurde vom Freistaat im Erbbaurechtsvertrag den Bau des Hotels, sondern auch die Neuorga- Kleine Fotos Seite 22 und 25: Koch- ta Architekten, München; alle anderen: zum Bau eines „Moutain Resort-Hotels“ – eine nisation der gesamten Infrastruktur, die An- Wilde & Partner, München heute allgemein übliche Bezeichnung für ein ordnung der Parkplätze und die Verlagerung

der Abfahrtsstelle für die Busse zum Kehlstein. cherheit darüber, welche Geste an diesem Ort Eine Standortanalyse, bei der fünf Grundstücke angebracht ist. Dies zeigt sich zudem an vie- untersucht wurden, ergab, dass die Kuppe des len Details im Inneren, wo die einzelnen Fach- Eckerbichl – am Fuß der baumlosen Anhöhe planer offensichtlich verschiedener Meinung sind noch die Grundmauerreste von Hitlers Ge- waren. Doch wäre man mit einem „großen“ Ar- wächshaus erkennbar – der einzig mögliche chitekten, dem Sieger eines Wettbewerbs, bes- Bauplatz für das Hotel sei: Von dort aus ist die ser gefahren? Wäre nicht auch er an der Bau- Aussicht nach allen Seiten großartig. Der Bau- aufgabe und dem damit verbundenen An- herr erklärt, dass der Obersalzberg mit Berg- spruch, gegen das Gewesene anzubauen, ge- werken durchdrungen sei und man deshalb scheitert? nicht überall habe bauen können. Es gibt Menschen, die die Regenwasserdusch- Im Juli 2001 stellte die Gewerbegrund GmbH köpfe in den Bädern mit den Attrappen in den Dort, wo bis vor fünf Jahren das Ho- den englischen Hotelbetreiber InterContinental Gaskammern von Auschwitz assoziieren und tel Platterhof stand, befindet sich jetzt ein Parkplatz und nebenan die als Management-Partner vor. Der redete nun den im alpinen Bauen traditionellen Sockel aus neue Abfahrtsstelle für die Busse mit, sah den Komplex aus seiner Sicht der Ver- Bruchstein mit Naziarchitektur. Der Spiegel zum Kehlstein. marktbarkeit. Der Konferenzbereich musste fühlt sich beim großen Fenster im Hotelfoyer größer werden. Der Architekt Herbert Kochta „irgendwie an früher erinnert“, an das Pano- änderte seinen Entwurf, der zunächst zwei ramafenster in Hitlers Berghof. Diese Äußerun- sich nach außen öffnende Gebäuderiegel auf ei- gen verdeutlichen, für wie wenig „normal“ der nem Sockel vorsah, zu einer hufeisenförmigen Ort auch heute noch gehalten wird. Mit einem Grundform, die sich „um die Hügelkuppe legt“ Bauwerk – wären die architektonischen Mittel und nach Süden öffnet. „Das Hotelkonzept soll auch noch so sensibel gewählt – lässt sich kei- Zeugnis ablegen für ein modernes, in Europa ne „touristische Normalität errichten“, schon integriertes Deutschland, soll den Gästen Of- gar nicht dann, wenn sich diese „Normalität“ fenheit, Toleranz, Großzügigkeit aber auch Ge- nur wenige werden leisten können. Mit einem borgenheit vermitteln“, steht im Erläuterungs- „Zwei-Säulen-Konzept“, das die Vergangenheit bericht. Jetzt, wo der Bau fertig ist, freut er sich ins Museum verbannt, um Platz zu schaffen über das Lob des Hoteldirektors. für eine vorrangig exklusive Zukunft, lässt sich Der Bau genügt den Ansprüchen einer inter- Geschichte augenscheinlich nicht „bewältigen“. nationalen und an höchsten Komfort gewöhn- ten Klientel, nicht mehr und nicht weniger. Er steht auf dem Berg wie ein Stein gewordener Kompromiss: unentschlossen, unspektakulär und so auch unangreifbar. Das architektonisch gefällige Ergebnis spiegelt aber auch die Unsi-

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