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2 Obersalzberg 3

OBERSALZBERG Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Dorf Obersalzberg ein beliebter heilklimatischer Erholungsort. Nachdem Hitler als Reichskanzler 1933 hier das Haus „Wachenfeld“ erworben hatte, wurden die alteingesessenen Bewohner von brutal vertrieben. Hitler ließ sein Ferienhaus zum pompösen „“ erwei- tern, andere NS-Größen folgten seinem Beispiel. Systematisch bauten die Nazis das Gelände zum streng abgeschirmten, zweiten Regierungssitz aus. Es enstanden eine SS-Kaserne, das spektakuläre „“ und ein weitläufiges Bunkersystem. Das Kriegsende fand hier jedoch ohne Hitler statt, er sollte im Berliner „Führerbunker“ Selbstmord begehen.

1 Im Laufe des Krieges mussten Arbeiter Gutshof Martin Bormann / die so genannten Gutshofstollen von Golfclub e.V. insgesamt 1,1 Kilometern Länge in den q 1940 p Salzbergstr. 33, Karte B2 angrenzenden Antenberg treiben. Nach Der ehemalige Gutshof des Parteikanzlei- 50 Metern öffnet sich einer der Gänge Chefs und Sekretärs des „Führers“ in eine riesige sieben Meter hohe Halle. Martin Bormann ist heute eines der letz- Dort diente eine ausgebaute Kaverne ten sichtbaren Großbauprojekte der Nazis Bormanns Angestellten und der benach- auf dem Obersalzberg. barten Familie Speer als Luftschutzraum. Gänzlich ausradiert wurden hingegen die In der Nachkriegszeit nutzte die US- Spuren der seit Mitte des 19. Jahrhun- Armee den Gutshof als „Skytop Lodge“, derts gewachsenen Gemeinde Obersalz- ein Sport-Hotel mit Golfplatz und Skilift. berg. Das Dorf stand Hitlers Bauplänen Heute beherbergt das Gebäudeensemble im Weg. Bormann sorgte dafür, dass die mit seinem weitläufigen Grundstück den alteingesessenen Bewohner vertrieben „Golfclub Berchtesgaden e.V.“. und ihre Anwesen zerstört oder niederge- brannt wurden. 2 Die letzten landwirtschaftlichen Betriebe Teehaus mussten Anfang 1937 den Obersalzberg q Roderich Fick, 1937 p Mooslahner- verlassen, wenig später notierte Bormann kopf, Karte B1 Das Teehaus, ein kleiner in seinem Kalender: „Der Führer geneh- Pavillon auf dem Mooslahnerkopf unweit migt die Baupläne des neuen Gutshofes.“ des 3Gutshofes, wurde 1937 errichtet. Die weitläufige Anlage wurde nach Den Mittelpunkt bildete ein fußbodenbe- modernsten Gesichtspunkten geplant und heizter Rundbau, in dem ein großer run- unter großem technischen Aufwand der Tisch für acht Personen stand. Von erbaut. Der Hof umfasste Stallungen für hier bot sich ein Panoramablick über das Kühe und Pferde, eine Schweinemästerei, Berchtesgadener Tal. Während seiner Kühlhäuser für Milch, ein Bienenhaus ausgedehnten Nachmittagsspaziergänge sowie ein dreistöckiges Verwaltungs- kam Hitler oft hierher. gebäude. Ein ausgebildeter Landwirt war Im Gegensatz zum 3Kehlsteinhaus war für die Leitung des Gutes (ein zweites dieses Teehaus ausschließlich für private befand sich in Mecklenburg) verantwort- Zwecke gedacht. Zum Mooslahnerkopf lich, angesichts der immensen Baukosten durften den „Führer“ unter anderem und der kargen Bodenerträge waren dau- Ingenieur Ferdinand Porsche, Mercedes- erhaft Subventionen notwendig. Benz Verkaufsleiter Jakob Werlin, In der Regimepropaganda stellte das Architekt und Staatsbild- Anwesen dennoch einen „Musterhof“ für hauer Josef Thorak begleiten. Im Jahr die beabsichtigte Kolonialisierung der 1952 wurde das Gebäude bis auf einige 12 Hitlers „Berghof“ am Obersalzberg, 1936, im Hintergrund der Hohe Göll (2.523 Meter) besetzten Ostgebiete dar. Überreste abgetragen. PastFinder Ob4 12.05.2005 17:08 Uhr Seite 11

10 Obersalzberg Obersalzberg 11 Die Dokumentation Obersalzberg sturmbannführer Dr. . „Institut für Zeitgeschichte“ konzipierte Im Juni 1943 fand auf dem Exerzierplatz Dauerausstellung eröffnet. Während der Kaserne in Anwesenheit von Hitler der Hauptsaison werden durchschnittlich und Flugzeugkonstrukteur Heinrich Focke mehr als 120.000 Besucher gezählt, eine Präsentation der neuesten Waffen Tendenz steigend. Die Ausstellung befasst für die 3Gebirgsjäger statt. Vorgestellt sich mit der Geschichte des Obersalzbergs wurden ein Lastenhubschrauber vom in Verbindung mit einer Darstellung des Typ Focke-Wulf Fa 223, ein Mercedes- gesamten NS-Terrorregimes. Außerdem Benz UNIMOG mit aufmontierter sind Teile des unterirdischen 3Bunker- Gebirgshaubitze und neue Uniformen. systems zugänglich. Ebenfalls anwesend war Generalmajor Helmuth Stieff. Er gehörte wie Claus 11 Schenk Graf von Stauffenberg zu den Hotel „Zum Türken“, Zentrale des 10 Dokumentation Obersalzberg Mitverschwörern des militärischen Wider- Reichssicherheitsdienstes standes, die sich entschlossen hatten, q 1911 p Hintereck, Karte C2 Hitler zu töten, um den Krieg zu beenden. Die Ursprünge der Gastwirtschaft „Zum Stauffenberg hatte gehofft, dass Stieff Türken“ reichen zurück bis in das Jahr an jenem Tag auf dem Obersalzberg oder 1630. Der Name stammt angeblich von am 7. Juli auf 3Schloss Kleßheim vor seinem damaligen Besitzer, der 1683 Hitler eine Bombe zünden würde. Doch vom Krieg gegen die Türken zurückkehrte bei der Sprengstoffübergabe wollte und fortan nur noch „der Türke“ genannt 10 Ausstellungsflügel der Dokumentation 10 Gemälde des „Berghofes“ in der Dokumentation Stieff plötzlich nichts mehr davon wissen. wurde. 1903 kaufte Karl Schuster das Es sollte einer von dutzenden unaus- Anwesen und eröffnete hier das Hotel geführten Attentatsplänen gegen Hitler „Zum Türken“. Nachdem die Familie bleiben. Schuster von Martin Bormann zum Ver- Während des britischen Bombenangriffs kauf gezwungen worden war, waren hier vom 25. April 1945 wurde die Kaserne ab Mitte 1934 zur Sicherheit des Diktators zerstört. 2002 wurden die Kellerräume ein Zug der „Leibstandarte SS Adolf tiefenenttrümmert und verfüllt. Hitler“ und 30 Mann Leibwache des Reichssicherheitsdienstes (RSD) einquar- 10 tiert. Für den persönlichen Schutz Hitlers Parteikanzlei und Parteigästehaus trug SS-General Johann Rattenhuber die „Hoher Göll“ / Dokumentation Verantwortung. 1944 umfasste der RSD Obersalzberg auf dem Obersalzberg 250 Mann. Ihnen q Alois Degano, 1935 p Salzbergstr. 41, oblag die Überprüfung aller Beschäftigten D Karte B2 April–Okt. Mo–So 9–17, sowie die Überwachung von Post- und 10 Ausstellungsraum in der Dokumentation Obersalzberg Nov.–März Di–So 10–15 Uhr Das Partei- Telefonverkehr. Im Keller, über den Stollen gästehaus „Hoher Göll“ war ursprünglich des 3Bunkersystems gelegen, verfügte Teil der Pension „Moritz“. Zusammen mit der RSD über einige Arrestzellen. dem benachbarten 3Hotel „Platterhof“ Während des britischen Bombenangriffs wurde es 1935 aufwendig renoviert und vom 25. April 1945 wurde das Gebäude vergrößert. Es sollte hochrangigen Staats- stark beschädigt und anschließend gästen als Unterkunft dienen. Hauptsäch- geplündert. 1949 klagte Karl Schusters lich nutzte es jedoch Parteikanzlei-Chef Tochter Therese auf Rückerstattung Martin Bormann als Bürogebäude. ihres Eigentums und konnte als einzige Nach dem Krieg stand das wenig beschä- ehemalige Obersalzberg-Bewohnerin ihr digte Haus leer und verfiel. Unmittelbar früheres Eigentum, den Gasthof, vom nach dem Abzug der US-Truppen be- Freistaat Bayern zurückerwerben. Heute schloss die Bayerische Staatsregierung ist das Hotel „Zum Türken“ wieder ein 1995, ein Dokumentationszentrum auf beliebtes Quartier auf dem Obersalzberg, dem Obersalzberg einzurichten. Am 20. nicht zuletzt aufgrund der Nähe zu den Oktober 1999 wurde die vom Münchner Resten von Hitlers 3„Berghof“. 10 Eingang zum Bunkersystem 11 Hotel „Zum Türken“ mit ehem. SS-Wachpostenhaus PastFinder Ob4 12.05.2005 17:09 Uhr Seite 19

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20 Querschnitt des Obersalzbergs Siedlung „Klaushöhe“ 1.837 Meter: q Roderich Fick, 1941 p Klaushöhe „Kehlsteinhaus“ 1–19, Karte E2 Die Siedlung „Klaushöhe“ diente den Verwaltungsangestellten des Hoher Göll 2.522 m 24 Obersalzbergs sowie den Angehörigen „Kehlsteinhaus“ der SS-Wachen als Unterkunft. Für den Bau der großzügigen Häuser wurden von Bormann trotz der kriegsbedingten 23 Kehlsteinstraße Mangelwirtschaft nur wertvollste Busparkplatz 21 Plan des Bunkersystems 21 Besuchergang durch die Bunkerkavernen Materialien wie Marmor, Stahl, Kupfer, edelste Hölzer und hochwertige 19 Die Kosten des Projekts beliefen sich auf Armaturen geordert. Wie sämtliche Roßfeld-Höhenringstraße 14 Millionen . Bis Kriegsende Projekte auf dem Obersalzberg, q Fritz Todt, Oberste Bauleitung Mün- waren die Arbeiten so weit vorange- erhielten die Gebäude, an denen bis chen 1938 p Roßfeldstraße, Karte E3 schritten, dass nur noch ein unvollendetes zu 4.000 Arbeiter tätig waren, den Im Jahr 1927 wurde mit dem Bau der Teilstück von etwa 800 Metern fehlte, Titel „Führerbauten“. Somit genos- „Deutschen Alpenstraße“ als Verbindung das 1953 fertiggestellt wurde. sen sie höchste Priorität und zwischen Bodensee und Königssee Zur Verteidigung des Berchtesgadener wurden ohne Rücksicht auf die begonnen. Nach Bormanns Planungen Luftraums stellte die SS hier ab 1943 Kosten vorangetrieben. Teile sollte sie rund um den Berchtesgadener zahlreiche Flakstellungen auf. der Siedlung und die dazu- des 3Barackenlagers Antenberg standen Talkessel herumgeführt werden. Heute ist die Roßfeldstraße eine maut- gehörigen unterirdischen bei Luftangriffen nur roh in den Fels Als „Demonstration deutscher Straßen- pflichtige „Bundes-Privatstraße“. Bei Luftschutzstollen sind geschlagene Stollen und Kavernen zur und Ingenieurbaukunst“ wurde die Alpen- gutem Wetter bieten sich sehenswerte bis heute erhalten. Verfügung. traverse, die über den Scheitelrücken des Ausblicke auf den Obersalzberg und die Die Eingänge der Bunker waren durch Roßfelds verlaufen sollte, geplant. benachbarten österreichischen Alpen. Stahltüren gesichert, dahinter waren in ei- ner querverlaufenden Betonmauer Schieß- Roßfeld 1.600 m scharten mit MG-Ständen eingelassen. Gleichzeitig sollte diese Wand Druckwel- 14 len bei Bombendetonationen abhalten. Kindergarten, Ende 1944 befahl Bormann den Bau eines Modellhaus 21 noch sichereren Bunkersystems. Bunkersystem 12 11 Es sollte mindestens 100 Meter tief im 16 18 „Berghof“ „Türken“ 8 men würde, sollten unter größtem Zeit- Berg entstehen. Die neue Festung hätte Göring 10 9 Koksbunker „Platterhof“ 15 Gästehaus SS-Kaserne druck die ersten 130 Meter Bunkerstollen mehrere tausend Personen sowie Verpfle- Bormann samt Kavernen unter dem 3„Berghof“ gung, Waffen und Fahrzeuge aufnehmen 13 fertiggestellt werden. Nach acht Wochen sollen. Nur einige kürzere, unvollendete SS-Wache konnten die unter großen Opfern be- Stollen wurden bis Kriegsende ausgeführt. schleunigten Arbeiten pünktlich beendet werden. Die Räume für Hitler und wurden komplett möbliert. Parkett- 21 30 Meter tief im Fels über eine Länge böden, Holztäfelungen, eine Klimaanlage, Bunkersystem von 4,6 Kilometern, verteilt auf mehrere eingebaute Rundfunkgeräte, Telefonanla- q „SS-Wehrgeologen-Bataillon“, 1945 Etagen, erstreckte. Verantwortlich für den gen sowie gekachelte Küchen- und Toilet- p Obersalzberg, Karte C2 Auf Befehl Vortrieb war das „SS-Wehrgeologen- tenräume waren vorhanden. Hitlers Bun- Bormanns begann im August 1943 Bataillon“. Ihnen zur Seite standen bis zu kersystem umfasste 745 Quadratmeter, die letzte große Baumaßnahme auf dem 6.000 Arbeiter, meist Italiener und bis unter die 3SS-Kaserne und den Obersalzberg. Der aus Nazi-Sicht zu- Tschechen. „Reichsführer SS“ Heinrich 3„Platterhof“ wurde die Anlage vorange- nehmend ungünstige Verlauf des Krieges Himmler sagte: „Es ist für uns SS-Männer trieben. Über einen Verbindungsgang ge- sorgte nun offenbar dafür, dass über eine freudige Ehrenpflicht, dass wir auf langte man zu Bormanns unterirdischem Schutzmaßnahmen für alle möglichen dem Obersalzberg die Luftschutzräume . Hinzu kamen Bunkerstollen unter Angriffsarten nachgedacht wurde. erstellen dürfen.“ dem „Göringhaus“, der 3Siedlung Begonnen wurde ein weitverzweigtes Als bekannt wurde, dass Hitler zu Weih- „Klaus“- und „Buchenhöhe“ sowie am Bunkerlabyrinth, das sich bei Kriegsende nachten 1943 auf den Obersalzberg kom- 3Gutshof. Für die etwa 1.000 Arbeiter 21 Bunkereingang zum Hintereckstollen PastFinder Ob4 12.05.2005 17:10 Uhr Seite 29

28 Die „Alpenfestung“ Die „Alpenfestung“ 29

anschließend als einzige Parteigröße die Zerstörungen persönlich begutachten. Der Bombenziel Obersalzberg 3„Berghof“ hatte schwere Treffer erhal- Die Alliierten nannten das 3„- Kehlstein auf. Der Fliegeralarm kam ten, das 3Hotel „Zum Türken“ und der haus“ „Eagle’s Nest“, es war „Target A“ zu spät, die Nebelmannschaften hatten 3„Platterhof“ waren gering beschädigt. (Ziel A) auf ihrer Liste. Hier vermuteten versagt, und die erste Angriffswelle Die Anwesen von Bormann und Göring sie tief im Inneren des Berges eine Groß- schaltete die Flakstellungen aus. Insge- sowie die SS-Kaserne waren zerstört bunkeranlage als entscheidenden Teil der samt waren über 300 Flugzeuge an dem worden, Speers Häuser hingegen blieben „Alpenfestung“. „Target B“ war Hitlers Angriff beteiligt und legten bei sechs unversehrt. Erste Rast für GI’s auf dem „Berghof“ 3„Berghof“, dieser erhielt die Bezeich- eigenen Verlusten nahezu den gesamten In den letzten Apriltagen 1945 herrschte Am Nachmittag des 4. Mai 1945 er- nung „Wachenfels“ [sic]. Obersalzberg mit 1.800 Tonnen Brand- Chaos und Anarchie im „Führersperr- reichten erste US-Truppenverbände der Fliegeralarm war am Obersalzberg seit und Sprengbomben in Schutt und Asche. gebiet“. Es wurde geplündert, was die 101. Infanteriedivision Berchtesgaden. Anfang 1945 nichts Neues mehr. Die Das unterirdische 3Bunkersystem hatte Bunker und Ruinen hergaben: Lebens- Landrat Theodor Jacob kam ihnen mit feindlichen Flugzeuge hatten das Berch- selbst den 12.000 Pfund Bomben mittel, Zigaretten, Kleider, Möbel, Kunst- einer weißen Fahne entgegen, um den testgadener Land bisher jedoch nur über- der Briten standgehalten. Etwa 3.500 gegenstände. Als Hitler im Berliner „Führer- Ort kampflos zu übergeben. Die ersten flogen. Am 25. April sollte es anders Menschen überlebten in den Stollen, es bunker“ die Meldung von der Zerstörung alliierten Soldaten, die den Obersalzerg kommen. Ohne Vorwarnung tauchten gab nur sechs Tote und einige Verletzte. des Obersalzbergs erhielt, zeigte er keine erreichten, waren zwei französische plötzlich gegen 9 Uhr morgens die ersten Der unter Arrest stehende Göring hatte Reaktion. Er hatte schon weitgehend mit Offiziere. Sie sahen gerade noch eine britischen Lancaster-Bomber über dem in seinem Bunker überlebt und konnte seinem Leben abgeschlossen. Gruppe von SS-Gebirgsjägern verschwin-

Richtung „Kehlsteinhaus“

Siedlung „Klaushöhe“

Wohnhaus Göring Kehlsteinstraße

Wohnhaus Bormann Salzbergstraße Gewächshaus SS-Kaserne Kindergarten „Platterhof“ Hotel „Zum Türken“

„Berghof“ Bunkereingang Parteigästehaus

Bunkernotausgang

SS-Wachhaus Ruinenlandschaft des Obersalzbergs nach dem britischen Bombenangriff, aufgenommen im Mai 1945