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Die tödliche Utopie Veröffentlichungen des Instituts für Zeitgeschichte zur Dokumentation Die tödliche Utopie Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich

Herausgegeben von Volker Dahm, Albert A. Feiber, Hartmut Mehringer und Horst Möller Dokumentation Obersalzberg Salzbergstraße 41, 83471 , Deutschland Tel.: +49 (0) 86 52/94 79 60 Fax: +49 (0) 86 52/94 79 69 E-Mail: [email protected] Internet: www.obersalzberg.de Die tödliche Utopie Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich Verlag Dokumentation Obersalzberg im Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin © Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin 2010 Dokumentation Obersalzberg Leonrodstraße 46b, 80636 München, Deutschland Tel.: +49 (0) 89/12 688 0 Fax: +49 (0) 89/12 688 191 E-Mail: [email protected] Internet: www.ifz-muenchen.de 1.Auflage Oktober 1999 5. Auflage (vollständig überarb. und erw. Neuausgabe) April 2008 6. durchgesehene Auflage Februar 2011: 76.-90. Tausend Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Funk - sendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege sowie die Speicherung und Auswertung in Daten verarbei tungs - anlagen bleiben auch bei auszugsweiser Verwertung vorbehalten. Die Rechte von Archiven, Bibliotheken, Museen, Agenturen und Einzel per - so nen an den von ihnen zur Verfügung gestellten Bildvorlagen bleiben unberührt. Werden mit schriftlicher Einwilligung des Instituts für Zeitgeschichte einzelne Vervielfältigungsstücke für gewerbliche Zwecke hergestellt, ist an das Institut für Zeitgeschichte die nach § 54 Abs. 2 Urh.G. zu zahlende Vergütung zu entrichten, über deren Höhe das Institut für Zeitgeschichte Auskunft gibt. Umschlaggestaltung, Layout und Satz: paper-back-gmbh, Degerndorfer Str. 12, 82541 Münsing, Deutschland Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH Heisinger Straße 16, 87437 Kempten, Deutschland Bestelladresse: Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46 b, 80636 München, Deutschland Tel. +49 (0) 89/12 68 80, Fax+49 (0) 89/12 68 81 91 E-Mail: [email protected], Internet: www.obersalzberg.de ISBN 978-3-9814052-0-0 (Broschur) ISBN 978-3-9814052-1-7 (Hardcover) INHALT

Dokumentation Obersalzberg Geleitwort (Georg Fahrenschon, Bayerischer Staatsminister der Finanzen) ...... 11 Vorbemerkung zur Neuausgabe 2008 ...... 13

Einführung Einführung: ...... 16

Volker Dahm: Der Obersalzberg als historischer Ort und als Stätte historisch-politischer Bildung ...... 17 Horst Möller: Warum die Weimarer Republik scheiterte ...... 28

BILDER, TEXTE, DOKUMENTE BILDER, TEXTE, DOKUMENTE ...... 48

(18) L

Anhang Anhang ...... 730 Chronik 1919–1945 ...... 731 Dienstränge von Wehrmacht, Polizei, SA und SS ...... 798

(721) L Abkürzungen ...... 800 Literatur und veröffentlichte Quellen ...... 802 Register: Personenregister ...... 816 Geographisches Register ...... 823 Abbildungsnachweis ...... 829 Herausgeber, Autoren, Mitarbeiter ...... 831 BILDER, TEXTE, DOKUMENTE

BILDER, TEXTE, DOKUMENTE Prolog ...... 49

(18) L

Der Obersalzberg Der Obersalzberg ...... 52 Albert A. Feiber: »Filiale von Berlin«. Der Obersalzberg im Dritten Reich ...... 53 Bildteil: Der Obersalzberg ...... 112 Der Berg ...... 112 Sommerfrische ...... 114 »Mauritia Mayer, Steinhausbäuerin«. Die Anfänge des Tourismus am Obersalzberg ...... 115 Erholung in den Bergen ...... 116 »Auf den liebgewonnenen Obersalzberg zurück«. Dauergäste . . . 117 »Adolf Hitlers Wahlheimat« ...... 118 »Der Wolf ist da!« Hitler kommt zum Obersalzberg ...... 118 »Ich muß ganz Ruhe haben«. Der Obersalzberg als Refugium Hitlers nach der Haftentlassung ...... 120 »Machtergreifung« ...... 122 »Sie wollen den Führer sehen«. Wallfahrtsort Obersalzberg ...... 124 »Kindliche Begeisterung«. Spontane Massenwallfahrten ...... 124 »Es ist der Führer!« Organisierte Massen wallfahrt für Volks- und Parteigenossen ...... 128 »Hohe Gäste auf dem Obersalzberg«. Die Inszenierung des Staatsmannes ...... 130 »Hitler, wie ihn keiner kennt«. Der Obersalzberg in der Propaganda ...... 135 Eine »merkwürdige Leere« hinter den Kulissen ...... 140 Hitlers Diener, Adjutanten und Sekretärinnen ...... 147 »Filiale von Berlin.« Ein zweites Machtzentrum entsteht ...... 150 »Ein einzigartiger Herrensitz auf dem Berge«. Der Umbau von Haus Wachenfeld zum ...... 150 »Ich ziehe heute wehmütigen Herzens fort«. Die Vertreibung der Anwohner ...... 152 NS-Größen am Obersalzberg ...... 156 Ausbau des Berges ...... 158 Die Sicherheit des Führersperrgebiets ...... 170 Durchdringung der Region ...... 172 »Stellvertretende Reichshauptstadt«. Politik am Obersalzberg . . . . . 176 Kriegsende am Obersalzberg ...... 184 Der »Führer« ...... 188 Hans G. Hockerts: Führermythos und Führerkult ...... 189 Bildteil: Der »Führer« ...... 199

Akteure des Regimes ...... 204

Die »deutsche Volksgemeinschaft« ...... 212 Volker Dahm: Die »deutsche Volksgemeinschaft« und ihre Organisationen . . . . . 213 Bildteil: Die »deutsche Volksgemeinschaft« ...... 243 Die »Blutsgemeinschaft« ...... 247 Die Inszenierung der »Volksgemeinschaft« ...... 251 Soziale und politische Gleichschaltung ...... 253 »Hüterin der Volksgemeinschaft«: Die NSDAP ...... 257 Die Organisationen der »Volksgemeinschaft« ...... 259 »Arbeits- und Leistungsgemeinschaft«. Die Deutsche Arbeitsfront ...... 259 »Gemeinschaft mitten im Volk«. Die Reichskulturkammer . . . . 262 »Blut und Boden«. Der Reichsnährstand ...... 265 Hilfsgemeinschaften ...... 267 »Kraft durch Freude«. Stärkung des Arbeitswillens und der Leistungsfähigkeit ...... 267 »Gut und Blut für Volk und Vaterland«. Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt ...... 269 Erziehungsgemeinschaften ...... 272 »Gehorsam bis in den Tod«. Die Hitler-Jugend ...... 273 »Durch eure Schule wird die ganze Nation gehen«. Der Reichsarbeitsdienst ...... 276

Der Terror- und Vernichtungsapparat Der Terror- und Vernichtungsapparat ...... 278 Volker Dahm: Der Terror- und Vernichtungsapparat. Institutionelle Entwicklung, Selbstverständnis, Aktionsfelder ...... 279 Bildteil: Der Terror- und Vernichtungsapparat ...... 322 »Unsere Ehre heißt Treue«. Aufstieg und Selbstverständnis der SS ...... 323 Die Entstehung der Reichspolizei (1933–1936) ...... 329 Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ...... 336 Die Kriminalpolizei (Kripo) ...... 341 Der Sicherheitsdienst des Reichsführers–SS (SD) ...... 344 Wandel des Feindbilds – Erweiterung des Feindspektrums ...... 347 Die Konzentrationslager vor dem Krieg ...... 350 Politische Justiz ...... 360 SS und Polizei im Krieg ...... 368

»Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord »Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord ...... 372 Dieter Pohl: »Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord ...... 373 Bildteil: »Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord ...... 394 Feindbild Rasse ...... 395 Ausgrenzung und Entrechtung der Juden, Sinti und Roma ...... 396 Eugenik, »Rassenhygiene«, »Euthanasie« ...... 402 Sterilisierung, Eheverbote, erbbiologische Erfassung ...... 404 Die »Aktion T4« und der Beginn der Kindereuthanasie ...... 408 Krankenmorde 1941–1945, dezentrale »Euthanasie« und »Aktion Brandt« ...... 414 Die Ausbreitung der Verfolgung in Europa 1939–1941 ...... 417 Der Vernichtungskrieg in der Sowjetunion ...... 419 Die »Endlösung der Judenfrage« in Europa ...... 434 Orte des Terrors und der Vernichtung ...... 453

Widerstand und Emigration Widerstand und Emigration ...... 462 Hartmut Mehringer: Das andere Deutschland. Widerstand und Emigration ...... 463 Bildteil: Widerstand und Emigration ...... 491 »Hitler bedeutet Krieg!« Widerstand und Exil 1933–1939 ...... 491 »Hitler ist ›Finis Germaniae‹!« Widerstand im Krieg ...... 503 Opposition und Widerstehen der Kirchen ...... 515 Katholische Kirche ...... 516 Evangelische Kirche ...... 521

Hitlers Außenpolitik Hitlers Außenpolitik ...... 526 Christoph Studt: Hitlers Außenpolitik ...... 527 Bildteil: Hitlers Außenpolitik ...... 546 »Germanisches Reich deutscher Nation«. Ideologische Grundlagen der Außenpolitik ...... 547 »Kampf gegen Versailles«. Die Zerstörung der Versailler Friedensordnung ...... 549 »Ein Volk – ein Reich – ein Führer«. Territoriale Expansion in der Vorkriegszeit ...... 552 »Die Stimme des Blutes hat gesprochen«. Die Rückgliederung der Saar ...... 552 »Volk will zu Volk«. Der Anschluß Österreichs ...... 553 »Heim ins Reich!« Der Anschluß der sudetendeutschen Gebiete . 554 »Das Recht des Urwalds«. Die Errichtung des ›Reichsprotektorats Böhmen und Mähren‹ ...... 557 Die »Achse Berlin – Rom«. Das nationalsozialistische Bündnissystem vor dem Krieg ...... 559 »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen!« Die Entfesselung des Weltkriegs ...... 562

Der Zweite Weltkrieg Der Zweite Weltkrieg ...... 564 Christian Hartmann: Der Zweite Weltkrieg. Ursachen und Verlauf ...... 565 Bildteil: Der Zweite Weltkrieg ...... 588 Das Ausgreifen der Achsenmächte: Die Blitzkriege ...... 588 Europa unter nationalsozialistischer Herrschaft ...... 606 Die Antwort der Alliierten: Befreiung Europas und Besetzung Deutschlands ...... 621 Der Krieg und seine Folgen ...... 631 Formierung einer neuen Weltordnung ...... 636 Kartografische Darstellung des Zweiten Weltkriegs ...... 638

Die Bunkeranlage am Obersalzberg Die Bunkeranlage am Obersalzberg ...... 654 Der unterirdische Obersalzberg: Luftschutzanlage und Führerhauptquartier ...... 655 Die Bunkeranlage in Daten ...... 659 Luftverteidigung am Obersalzberg ...... 662 Die Bombardierung des Obersalzbergs ...... 663 Neuere Bilder aus den Obersalzberg-Bunkern ...... 664 Ein unterirdisches Reich? Wahnideen im Untergang ...... 668

Der Obersalzberg 1945–2005 Der Obersalzberg 1945–2005 ...... 670 Albert A. Feiber: Der lange Schatten Adolf Hitlers. Der Obersalzberg 1945–2005 . . . 671 Bildteil: Der Obersalzberg 1945–2005 ...... 707 Kriegsende und Neuanfang ...... 708 Eine »Raub- und Siegesorgie großartig-wüsten Stils«. Plünderer in den Ruinen ...... 711 »Rummelplatz der Zeitgeschichte«. Wallfahrer und »Hitler-Merchandising« nach dem Krieg ...... 713 und Berchtesgadener Landesstiftung ...... 718 Auslöschung der Vergangenheit? Die Sprengung der Ruinen . . . . . 721 Vom Platterhof zum »Interconti« Die Amerikaner am Obersalzberg ...... 723 Dokumentation Obersalzberg

Geleitwort

L Dokumentation Obersalzberg. ~ Wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft verantwortungsvoll Institut für Zeitgeschichte, Mün - gestalten. In diesem Sinne will die Dokumentation Obersalzberg die chen – Berlin/Foto: Max Köstler (1) Erinnerung an den unheilvollsten Abschnitt unserer deutschen Geschichte wach halten. Sie soll Aufforderung sein, auf der Basis unse- res Grundgesetzes eine »wehrhafte Demokratie« mitzugestalten, damit im Herzen Europas menschenverachtende Diktaturen nie wieder ent- stehen können. Die Bayerische Staatsregierung hat in diesem Bewusst- sein unmittelbar nach der Rückgabeentscheidung der amerikanischen Streitkräfte die Errichtung einer Dokumentation beschlossen, die unter wissenschaftlicher Leitung die Geschichte des Obersalzbergs aufarbeiten soll. Der Obersalzberg war über Jahrhunderte ein bergbäuerliches Siedlungs- gebiet, im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde er zunehmend als »Ort der Sommerfrische« genutzt. In den Jahren der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mutierte der Obersalzberg zum »Führersperr - gebiet« und wurde zum zweiten Regierungssitz Hitlers ausgebaut. Später nutzten die US-Streitkräfte den Berg als Erholungsgebiet. Der Freistaat Bayern kann seit der Rückgabe 1996 die tatsächliche Verfü - gungs gewalt über den Obersalzberg ausüben. Die wechselvolle Geschichte des Obersalzbergs reicht also weit über die »braune Vergangenheit« hinaus. Dennoch steht die Zeit des National - sozialismus im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Deshalb bildet dieser Zeitabschnitt zu Recht das Kernstück der Dokumentation. Den Besuchern der Ausstellung, insbesondere jüngeren Generationen, die NS-Diktatur und Zweiten Weltkrieg nicht mehr selbst miterlebt haben, soll nachvollziehbar werden, mit welchen »Verführungen« sich das NS-Terrorregime durchsetzen konnte, von welch menschenverachten- der Ideologie das nationalsozialistische Weltbild geprägt war und welche abscheulichen Verbrechen durch die Nationalsozialisten verübt wurden, insbesondere Judenverfolgung und Völkermord. Aber auch dem Widerstand gegen das Naziregime ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Entwicklung der Besucherzahl der Dokumentation Obersalzberg zeigt, wie wichtig es war, am Obersalzberg eine Einrichtung zu schaf- fen, die die Geschichte des Orts und die NS-Diktatur wissenschaftlich aufarbeitet. Ursprünglich für eine Besucherzahl von 30000 bis 40000 pro Jahr konzipiert, verzeichnet die Dokumentation nunmehr jährlich ca. 160000 Besucher. Im Juli 2010 konnte der 1,5 millionste Besucher begrüßt werden. Besonders erfreulich ist, dass das Interesse junger Menschen, die die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg nicht mehr miterlebt haben, stetig gewachsen ist. So haben mittlerweile weit über 5000 Schulklassen die Dokumentation besichtigt.

11 Der Band »Die tödliche Utopie« war ursprünglich nur als Begleitband zur Dokumentation vorgesehen. Diese Aufgabe erfüllt er noch heute, indem er die Inhalte der Ausstellung ergänzt und eine vertiefte Vor- und Nachbereitung ermöglicht. Darüber hinaus entwickelte sich »Die tödliche Utopie« durch stetige Erweiterung zu einem umfassenden Sachbuch über die nationalsozialistische Diktatur, das dem Leser den Zugang zu der schwierigen Materie erleichtert. Der hervorragenden Ar beit des Instituts für Zeitgeschichte ist es zu verdanken, dass der schwierige Spagat zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Verständ lichkeit für den historischen Laien auf beeindruckende Art und Weise gelingt. Wissenschaftlich fundiert, aber stets allgemein ver- ständlich klärt »Die tödliche Utopie« über die verschiedenen Epochen des Obersalzbergs auf, fördert so die politische und historische Bildung breiter Bevölkerungsschichten und gibt Anstöße zur individuellen Verarbeitung. Mit der Errichtung der Dokumentation Obersalzberg hat sich der Freistaat Bayern seiner Verpflichtung gestellt, die Besucher des Obersalzbergs über die Geschichte des Orts und die NS-Diktatur zu informieren. Er wird dieser Verpflichtung auch in Zukunft nachkom- men und die Arbeit der Dokumentation mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten unterstützen. Ich wünsche der Dokumentation Obersalzberg auch weiterhin viel Erfolg!

Georg Fahrenschon Bayerischer Staatsminister der Finanzen

12 Vorbemerkung zur Neuausgabe 2008

Die Dokumentation Obersalzberg wurde am 20. Oktober 1999 eröff- net. Gleichzeitig konnten wir die Erstausgabe des Begleitbandes »Die tödliche Utopie« vorlegen. Inzwischen steht das Buch nicht mehr al - lein, sondern ist Teil einer kleinen Produktfamilie mit CDs und DVDs sowie einem »Didaktischen Handbuch« für Lehrer. Wie die Aus stel - lung, die inzwischen mehr als 1,2 Millionen Besucher verzeichnet, ist auch der Begleitband zu einer uns selbst überraschenden Erfolgsstory geworden. Mit vier Auflagen und 60000 verkauften Exemplaren gehört das Buch zu den erfolgreichsten historisch-politischen Sachbüchern der Nachkriegszeit. Ein Grund hierfür ist sicherlich die reichhaltige Be bilderung, ein anderer der für ein weitgehend vierfarbig gedrucktes Buch dieses Umfangs sehr günstige Verkaufspreis. Vor allem aber scheint uns der Erfolg in der Konzeption des Bandes begründet. »Die tödliche Utopie« ist ein neuartiges Kompendium, das es dem historisch interessierten Laien ermöglicht, sich eine gute Kenntnis des historischen Geschehens anzueignen – und das auf eine anschauliche Weise, die nicht einseitig auf das kognitive Lernen abzielt, sondern das aufnahmefähigere und nachhaltigere Bildge - dächt nis unterstützt. Je nach Vorbildung des Lesers und Intensität sei- nes Interesses sind dabei mehrere Zugänge möglich. Die Aufsätze zu den Hauptthemen repräsentieren einen hohen fachwissenschaftlichen Standard, sind aber verständlich geschrieben. Einen leichteren Zugang bieten die Kurztexte in den jeweiligen Bildteilen. Außerdem kann man sich zu nächst nur die Abbildungen ansehen und die dazu gegebenen Erläu te run gen lesen, um sich dann nach und nach auf die anderen Anfor de rungs ebenen des Buches zu begeben. »Die tödliche Utopie« ist in die Jahre gekommen. Zwar haben wir bei der dritten Auflage 2001 gewisse Erweiterungen vorgenommen und den Text punktuell aktualisiert. Dies ändert aber nichts daran, dass das Buch weitgehend den Forschungsstand von 1998/99 reprä- sentierte – kaum hinnehmbar, wenn man bedenkt, dass die deutsche und internationale Zeitgeschichtsschreibung in der Zwischenzeit un - ge brochen weiterging und dabei nicht nur neue Sichtweisen entwickelt, sondern auch gravierende Forschungsdefizite beseitigt hat. Wir haben uns daher entschlossen, die anstehende 5. Auflage des Bandes umfas- send zu überarbeiten und als Neuausgabe herauszubringen. Dabei mussten wir uns von der lange gepflegten Illusion verab- schieden, die inhaltlich vernetzten Elemente der Dokumentation Obersalzberg, also die Ausstellung selbst, die Audio Guides, »Die tödli- che Utopie«, das »Didaktische Handbuch« und die deutsche und engli- sche Webseite obersalzberg.de auf Dauer synchron halten zu können.

13 Am wenigsten flexibel ist leider die Mutter des Gesamtprojekts, die Ausstellung, weil hier Änderungen nur mit einem enormen zeitlichen, technischen und finanziellen Aufwand vorgenommen werden können. Es war deshalb unvermeidlich, die enge Bindung des Werks an den Entwicklungs stand der Ausstellung aufzugeben. Dadurch wird auch dem Umstand Rech nung getragen, dass »Die tödliche Utopie« inzwi- schen von vielen Käu fern und Lesern als eigenständiges Buch wahrge- nommen wird, das auch ohne Besuch der Ausstellung eine lohnende Lektüre darstellt. War »Die tödliche Utopie« in den bisherigen Auf la- gen ein weitgehend ge treuer Spiegel der Ausstellung, so soll sie künftig eine Art Pilotfunktion für deren Erneuerung haben. Aufgrund dieses Konzepts konnten wir ein vielfach beklagtes Defi zit beseitigen: Mangels einer Ausstellungseinheit über den Nie der gang der Weimarer Republik und den Aufstieg Hitlers, die damals aus Raum - grün den nicht realisiert werden konnte, enthielt auch »Die tödliche Uto- pie« bisher kein solches Kapitel. Die Neuausgabe bringt nun in Form einer knappen Einführung eine Darstellung dieser Entwicklung von Horst Möller. Neu angelegt wurden auch die beiden Kapitel über den Ober salz - berg. Mangels ergiebiger und solider Literatur mussten diese seinerzeit viel knapper gehalten werden, als zunächst geplant war. Weil sich die Forschungssituation seither nur bezüglich der Bunkeranlage verbessert hat, haben wir uns zu eigener Quellenforschung entschlossen, um der Darstellung eine verifizierte Informationsbasis zu geben. Herausge - kom men sind zwei neue, weitgehend auf bisher unbenutzten Quellen basierende Aufsätze von Albert A. Feiber. Ihre relative Länge liegt in der Natur quellengestützter Darstellungen und erscheint auch dadurch gerechtfertigt, dass der Obersalzberg als historischer Ort der bewe - gende Grund des Gesamtprojekts »Dokumentation Obersalzberg« ist und in der Regel auch das Erste, was Besucher und Leser interessiert. Um die Quellengrundlage transparent zu machen, wurde den Auf sät - zen ausnahmsweise eine knappe Übersicht über die benutzten Archi - valien und Periodika beigegeben. Bei den anderen Aufsätzen handelt es sich wei ter hin um Überblicksdarstellungen. Sie alle haben substan- zielle Prä zisierungen und Ergänzungen unterschiedlichen Umfangs erfahren. Auch die Kurztexte in den Bildteilen wurden durchgesehen und, wo nötig, überarbeitet, verschiedentlich auch neu geschrieben. Die Bild - prä sentation konnte durch Heranziehung neuer Fotoprovenienzen, die uns früher nicht zugänglich waren, erheblich erweitert und verbessert werden. Ein Teil der historischen Karten und Organisationsübersich - ten wurde inhaltlich überarbeitet, didaktisch optimiert und mit Erläuterungstexten versehen. Neu hinzugekommen sind zwei Karten zur NS-Euthanasie 1939–1945, die den neuesten Stand der in den letz- ten Jahren sehr intensiven Forschung zu diesem Thema wiedergeben. Neu angelegt wurde der Abschnitt über die Bunker am Obersalzberg.

14 Die Bunkeranlage ist erst in den vergangenen Jahren systematisch er - kun det und vermessen worden, sodass erst jetzt eine fundierte Dar - stellung möglich geworden ist. Die Chronologie der Ereignisse 1919–1945 (Zeittafel) wurde er wei - tert und inhaltlich besser austariert. Selbstverständlich wurde auch das Literaturverzeichnis aktualisiert. Einige durch den Zeitablauf nicht mehr aktuelle Elemente der frü- heren Ausgaben sind entfallen. Dies betrifft das Verzeichnis mit den Mitgliedern des nicht mehr existierenden Fachbeirats, die Auflistung der am Ausstellungsprojekt beteiligten Wissenschaftler und Firmen und das Vorwort von Horst Möller. Den umfangreichen Exponat nach - weis haben wir schon vor längerer Zeit auf unsere Webseite verlagert, sodass er hier zugunsten der sachlich wichtigeren Erweiterungen ge - stri chen werden konnte. Mit Ausnahme der Zitate entspricht die Schreibweise der Texte der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung in der überarbeiteten Form vom 1. August 2006. Sind für ein Wort mehrere Schreibweisen zugelassen, haben wir uns in der Regel an die Empfehlung des Duden- Verlags gehalten. Zur Vermeidung eines umfangreichen Fußnoten ap- pa rats werden auch in dieser Neuausgabe nur wörtliche Zitate nachge- wiesen. Wird in ununterbrochener Folge mehrfach aus der gleichen Quelle zitiert, erfolgt der Nachweis nach dem letzten Zitat. Fehlen bei archivalischen Quellen Blatt- oder Seitenzahlen, so wird nur auf das Faszikel verwiesen, in dem sich die zitierte Quelle befindet. Einem oft geäußerten Wunsch entsprechend, haben wir erstmals einen Teil der Auflage als Hardcover mit Leineneinband herstellen las- sen. Um die Verschleißfestigkeit der broschierten Ausgabe zu erhöhen, wurde der einfache Umschlag der bisherigen Ausgaben durch eine Klappenbroschur ersetzt. Wir hoffen, dass »Die tödliche Utopie« in der neuen Fassung und Gestaltung so viele – oder besser – noch mehr Leser finden wird als bisher.

Im Februar 2008 Die Herausgeber

15 Einführung Volker Dahm Der Obersalzberg als historischer Ort und als Stätte historisch-politischer Bildung

L Der Berghof. ~ Bayerische Staats - Kaum eine deutsche Kulturlandschaft hat ihr Gesicht so oft und so biblio thek/Fotoarchiv Hoffmann, gründlich verändert wie der Obersalzberg bei Berchtesgaden. Bis in München (2) die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts ein bergbäuerlich geprägtes Streudorf, in dem neben Bauern Salzbergleute, Salinenarbeiter und Handwerker lebten, wandelte sich der Ort mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs seit den siebziger Jahren zu einem neuzeitlichen Gebirgsdorf mit bewirtschafteten Wiesen, Bauern häusern, Pensionen, Restaurationsbetrieben und Landhäusern wohlhabender Stadtbürger. Das Jahr 1933 stellte auch in der Entwicklung des Obersalzbergs eine entscheidende Zäsur dar. , der neue Reichskanzler, war erstmals 1923 auf den Obersalzberg gekommen und hatte sich in der Folge immer wieder dorthin zurückgezogen. Bald nach der »Macht er- greifung« am 30.Januar 1933 erwarb er das Haus Wachenfeld, in dem er seit 1928 zusammen mit seiner Halbschwester Angela Raubal zur Miete gewohnt hatte. Innerhalb weniger Jahre veränderte der Berg erneut sein Gesicht – diesmal fast bis zur Unkenntlichkeit. Aus dem bescheidenen Haus Wachenfeld entstand der pompöse Berghof Adolf Hitlers, dessen Bild um die Welt ging und peinlicherweise noch heute auf Souvenirs aus Berchtesgaden Verwendung findet. Im Gefolge des »Führers« siedelten sich auch Hermann Göring, und , Hitlers Stararchitekt, mit eigenen Häusern auf dem Ober salzberg an. Im Laufe weniger Jahre wurde aus dem Ferien do mi - zil der NS-Größen ein zweites Machtzentrum des Deutschen Reiches. Die meisten alten Gebäude wurden umgebaut oder abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die bauliche Umgestaltung des Geländes war noch im Gang, als das Dritte Reich Adolf Hitlers bereits am Ende war. Am 25.April 1945, fünf Tage vor Hitlers Selbstmord und zwei Wochen vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, griffen britische Bomberverbände den Ober - salz berg an und verwandelten ihn in eine Wüste. Die dampfende, leh- mige Masse mit den Ruinen der Häuser, die nach dem Abziehen der Rauchwolken sichtbar wurde, erschien wie ein Symbol für den Untergang des Deutschen Reiches und das von den alliierten Großbombern in Schutt und Asche gelegte Deutschland. Aber auch diese symbolische Metamorphose war nicht von Dauer. 1952 wurden die Ruinen des Berghofs, der Häuser Görings und Bormanns sowie der SS-Kaserne gesprengt, die Freiflächen später neu aufgeforstet. Nichts sollte mehr an das »Führersperrgebiet« und seine Population erin-

17 nern. Damit verschwand aber auch die topographische Eigenart und Der Obersalzberg so die letzte natürliche Erinnerung an das alte Dorf. als historischer Ort Der Obersalzberg ist ein unmittelbar am östlichen Rand Berch tes - ga dens auf 900 bis 1000Meter Höhe ansteigender Vorberg des Kehl - steins, der – 1834Meter hoch – wiederum dem 2523Meter hohen Felsmassiv des Hohen Göll vorgelagert ist. Wer zum erstenmal mit dem Auto von Berchtesgaden zum Obersalzberg hinauffährt, vermag sich kaum vorzustellen, daß er sich mitten durch das ehemalige »Führersperrgebiet« bewegt. Die Bewaldung links und rechts der sich mit starker Steigung nach oben windenden Straße gibt kaum einmal den Blick auf das Gelände frei. Der Erstbesucher ist hier ohne ortskun- digen Begleiter verloren. Dort, wo die Salzbergstraße endet, am Hintereck, befindet sich das Zentrum des heutigen Obersalzberg- Tourismus. Hier beginnt die Kehlsteinstraße, Deutschlands schönste Alpenstraße, die durch zahlreiche aus dem steilen Fels gehauene Tunnels und mit scharfen Kehren hinauf zum Kehlstein führt und immer wieder großartige Ausblicke auf die Berchtesgadener Bergwelt mit dem im Zentrum eröffnet. Am Hintereck befinden sich Restaurants und Souvenirläden, die auf kaufwillige Kunden warten – nicht anders als an anderen touristischen Glanzpunkten in Bayern und anderswo. Neben dem üblichen unspezifischen Souvenirkitsch und einigen seriösen Büchern und Informationsschriften werden dort bis heute auch Andenken mit NS-Motiven und in Hochglanzkarton gebundene Broschüren mit historischen Informationen angeboten, die in fach- licher Hinsicht ganz unzulänglich und politisch-pädagogisch sehr be - denk lich sind. Von einigen allgemeinen Hinweisen mit Alibifunktion abgesehen, beschränken sie sich auf die Geschehnisse und Verhält nis - se auf dem Obersalzberg selbst, stellen dabei das fast nur in Propa gan- da fotos überlieferte Privatleben der NS-Größen und ihrer Entourage (also eine mit Wirkungsabsicht inszenierte Privatsphäre) in den Vor - der grund und blenden auf diese Weise die grässliche Gesamt wirk lich - keit des Dritten Reiches aus; sie liefern so ein einseitiges, geschöntes, trivialisiertes Bild der nationalsozialistischen Diktatur. Zudem im Stile der Sensationspresse aufgemacht, spekulieren sie auf die unkritische, mitunter wohl voyeuristische historische Neugier der Besucher – wie zu hören ist, ein glänzendes Geschäft. Dabei ist es schwer, sich ein klares, zutreffendes Bild von den Interessen und Motiven der Besucher zu machen, die zeitweise in Massen zum Obersalzberg strömen. An Schönwettertagen in der Hochsaison, von Mai bis Oktober, herrscht am Hintereck und am Kehlsteinhaus (ein Geschenk der Partei zum fünfzigsten Geburtstag des »Führers«, das Hitler aber wegen seiner Höhenangst mied) nicht weniger touristischer Betrieb als an anderen bayerischen Sehens wür - digkeiten. Die Menschen kommen aus aller Herren Länder – seit dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums auch aus den Ländern im

18 Volker Dahm Osten, die unter der deutschen Besatzungsmacht besonders zu leiden hatten. Nur eine sehr kleine, aber höchst auffällige Minderheit (beilei- be nicht nur deutscher Nationalität) dürfte zu den so genannten Wallfahrern zu rechnen sein – alte unbelehrbare Menschen, die der Hitlermythos in einen undurchdringlichen Kokon der Führer ver eh - rung eingesponnen hat, alte und junge Rechtsextremisten, die die Probleme der Gegenwart und vielfach die Krise ihrer persönlichen Existenz mit schon 1933 falschen Zielen und Methoden bekämpfen zu können glauben. Sicherlich gibt es auch eine Gruppe, die aus echtem historischen Interesse auf den Obersalzberg kommt, Studenten, Lehrer mit ihren Klassen u. a. Bei der großen Mehrheit aber handelt es sich um Touristen, wie man sie in der Saison überall findet, wo das Land schön ist, Menschen, die ihren Urlaub im Berchtesgadener Land ver- bringen und für die der Obersalzberg ebenso zum Pflicht pro gramm gehört wie die Fahrt über den Königssee nach St. Bar tho lo mä. Ihr historischer Kenntnisstand ist unterschiedlich, in der Mehrzahl der Fälle zweifellos ungenügend und nur bei einer Min der heit zureichend oder gut. Alles in allem ist eine immer von der historischen Authen - tizität des Ortes geweckte, aber strukturell diffuse historische Neugier zu konstatieren, die bisher überwiegend durch die genannten Bro - schü ren befriedigt wurde. Damit ist schon ein Grund dafür angesprochen, warum am Ober - salz berg eine historische Dokumentation, nicht aber eine Gedenk - stätte errichtet wurde, die Überzeugung nämlich, daß eine Gedenk - stätte an dieser Stelle nichts bewirken könnte, ja wohl kaum zur Kenntnis genommen würde. Vielmehr ist es notwendig, die historische Neugier des hier anzutreffenden Massenpublikums aufzugreifen und den Menschen Gelegenheit zu geben, sich durch eine wissenschaftlich fundierte, aber möglichst gemeinverständliche und sowohl kognitive wie auch emotionale Zugänge anbietende Dokumentation über die Geschichte des Ortes und seine Verflechtung mit dem National so zialis - mus zu informieren. Für diese Entscheidung sprachen aber nicht nur die spezifischen Verhältnisse an diesem Ort, sondern auch allgemeine geschichtsdi - dak tische Gesichtspunkte. In der Diskussion über die angemessene museumspädagogische Behandlung des Nationalsozialismus wird seit einiger Zeit zwischen Opferorten und Täterorten unterschieden. Diese komplementären Kategorien sind zwar nicht unproblematisch, weil es zwar einen Täterort ohne Opfer, nicht aber Opferorte ohne Täter geben kann. Aber die Unterscheidung weist doch auf den richtigen Weg. Opfer orte sind durch einen konkreten Opferbezug gekennzeichnet, durch das an den jeweiligen Ort gebundene, teils anonym gebliebene, großenteils aber auch gruppen- und individualbiographisch doku- mentierte Leiden und Sterben von Menschen. An solchen Orten, an denen es auf dem mit dem Blut von Abermillionen unschuldiger Männer, Frauen und Kinder getränkten Boden Europas wahrlich nicht

19 fehlt, soll man Gedenkstätten errichten. Allerdings sollte man sich Der Obersalzberg auch dabei vor Übertreibungen hüten. Nicht jeder Stein einer mög- als historischer Ort lichen Haft- oder Mordstätte, den unsere NS-Archäologie zutage för- dert, rechtfertigt eine Gedenkstätte. Wenn die Nationalsozialisten, für die das »Lager« – nicht nur für ihre Opfer, sondern auch für sich selber – die dominante Lebensform war, allerorts Lager und Haftstätten jeder Größe und Art errichtet haben, dann darf diese Lagerlandschaft nicht im Spiegel einer Gedenkstättenlandschaft wiederauferstehen. Denn dies würde unvermeidlich zu einer unproduktiven, ja kontrapro- duktiven Ritualisierung des Gedenkens, zur Abstumpfung und viel- fach zu einer affektiven Abwehrhaltung in der Bevölkerung führen. Wie uns das – immerhin durch individuelle Leiderfahrung emotional getragene – Friedhofsritual lehrt, kann kein Mensch unentwegt und überall trauern und gedenken. Auch der Mensch nach Auschwitz – und zwar sowohl der Nachfahre des Opfers wie der des Täters – hat das Recht, sich seines Lebens, seiner Familie, seiner Freunde, seiner Arbeit und seiner Freizeit zu erfreuen. Der Täterort eignet sich um so weniger als Ort des Gedenkens und Trauerns, als dieses Trauern und Gedenken, dem der konkret faßbare Leidbezug fehlt, nur eine voluntaristische Aktion mit virtuellem Re su l - tat sein könnte. Täterorte haben eine andere Qualität und daher auch eine andere pädagogische Funktion als Opferorte. Der Opferort spricht unser Gefühl an, erprobt unsere »Fähigkeit zu trauern«, appelliert an die moralische Instanz in uns, fordert kategorisch Pietät und begrenzt auf diese Weise die Möglichkeiten einer kognitiven Ausein an - dersetzung mit der Geschichte. Der Täterort weckt durch die ihm eige- ne historische Authentizität die menschliche Neugier, den Wis - sensdrang und gibt der verstandesmäßigen Annäherung an das historische Ge sche hen weit mehr Freiheit als der Opferort. Mit ande- ren Worten: Während der Opferort seiner Eigenart und Funktion nach in der Nachbarschaft von Kirche, Synagoge, Moschee und Friedhof steht, ist der Täterort als pädagogischer Ort in der Nähe von Schule und Hochschule angesiedelt. Seine Anziehungskraft für Menschen unterschiedlichster Herkunft und unterschiedlichsten Bildungs - niveaus bietet eine zusätzliche Chance breitenwirksamer historisch- politischer Bildung, die im Interesse von Demokratie und Menschen - rechten genutzt werden muß. Der Obersalzberg ist ein reiner Täterort. Dort wurden Verbrechen größten Stils geplant, aber nicht begangen. Niemand wurde dort aus rassischen oder politischen Gründen getötet, gefoltert oder auch nur gefangengehalten. Daraus ergab sich nicht nur die grundlegende Entscheidung gegen eine Gedenkstätte und für eine historische Dokumentation, sondern auch die Perspektive der historischen Betrachtung und die Kontur des Informationsangebots. An diesem Ort war der Blick primär auf die Täter zu richten, aber – aus den schon genannten Gründen – nicht nur auf ihr Leben am Obersalzberg, son-

20 Volker Dahm dern auf ihr ganzes Denken und Tun, auf ihre ideologischen Überzeu- gungen und Obsessionen und die daraus hervorgegangenen politi- schen Ziele – und auf deren Verwirklichung, die im Modus ständiger Eskalation schließlich im Völkermord, in der Verwüstung Europas, in der Teilung der Welt und nicht zuletzt in der Zerstörung des deutschen Nationalstaats mündete. Allerdings konnte eine Gesamtdarstellung des Nationalsozialismus – wenn sie in Form einer Dokumentation oder Ausstellung überhaupt möglich sein sollte – im Rahmen dieses Projekts nicht realisiert wer- den. Es galt daher, sich auf die Regimephase des Nationalsozialismus zu beschränken und sich für bestimmte Bereiche und Aspekte von Herrschaftssystem und Herrschaftspraxis zu entscheiden. Der nahe- liegende Gedanke, Themen zu wählen, die unmittelbare, empirisch verifizierbare Bezüge zum Obersalzberg haben, erwies sich als nicht zielführend, weil die Realität der nationalsozialistischen Diktatur auf diese Weise nicht hinreichend erfasst werden kann. Diese konzeptio- nelle Frage löste sich wiederum durch Besinnung auf die historische Eigenart des Ortes: Der Obersalzberg war nicht nur ein Täterort, son- dern er war – nur mit der Reichshauptstadt und den Feldquartieren Hitlers im Krieg vergleichbar – ein Macht- und Regierungszentrum des Reiches, wo alle politischen Themen besprochen und verhandelt und in vielen Fällen auch entschieden wurden, auch wenn dies im Einzelfall nicht immer nachweisbar ist. Dieser Sachverhalt erlaubte es, die Auswahl der Themen allein unter Gesichtspunkten der histori- schen Bedeutung und pädagogischen Zweckmäßigkeit vorzunehmen. Allerdings wurde angestrebt, allgemeine Sachverhalte wo immer mög- lich mit Beispielen und historischen Materialien aus der Region zu verdeutlichen. Die Dokumentation hat das Ziel, den Besucher wissenschaftlich fundiert über die Ereignisse und Zusammenhänge zu informieren und darüber hinaus Hilfen zum Verständnis des historischen Ge sche - hens zu geben. Da der Rechtsextremismus von heute seine Anzie - hungs kraft, besonders für Jugendliche, vor allem aus der Reaktivie rung ideologischer Fiktionen und politischer Parolen des National so zia - lismus bezieht, steht dabei die Grunderfahrung mit den totalitären Systemen dieses Jahrhunderts im Mittelpunkt: die Erfahrung, dass politische Utopien, die sich im Besitz der historischen Wahrheit glau- ben und eine diesseitige Lösung aller politischen und sozialen Probleme versprechen, nicht zur Befreiung des Menschen führen, son- dern in Zerstörung und Barbarei enden. Der Gegensatz von quasi-reli- giösem Heilsversprechen und realem Inferno ist die jedermann leicht erfahrbare Entsprechung all jener strukturellen Widersprüche, durch die das nationalsozialistische Herrschaftssystem grundlegend charak- terisiert ist. Wie von selbst enthüllt der Obersalzberg einen weiteren Wesenszug des NS-Herrschaftssystems: das Nebeneinander, ja die Verschränkung von biederer Normalität und monströser Abnormität.

21 Die heile Welt auf dem Obersalzberg, »Hitler wie du und ich«, als »gu- Der Obersalzberg ter Nachbar«, Kinder- und Naturfreund – dies waren auf Massen wirk- als historischer Ort sam keit bedachte Inszenierungen, die Abnormität und Krimi nalität des Regimes zu verschleiern halfen und die Menschen ihre persönliche Lebenswirklichkeit wiedererkennen ließen. Die hatte sich trotz Gleich- schaltung der Gesellschaft und Politisierung des Alltags in vieler Hin- sicht nicht verändert. Dass das Leben, wenn man nicht zur Minderheit der Verfolgten gehörte, normal weiterging und dass auch die Staats - füh rung – wie nicht zuletzt die Obersalzberg-Propaganda suggerierte – normal zu sein schien, dies war eine we sent liche Vor aus set zung für die Loyalität, welche die große Mehrheit der Deutschen Hitler über eine weite Strecke entgegenbrachte.

L Pavillon der Dokumentation Ober salzberg, Südansicht, im Hin - ter grund der (Auf nah - me 2007). ~ Institut für Zeitge - schich te, München – Berlin/Foto: Max Köstler (3)

Hierzu trug ein anderes, die nationalsozialistische Herrschaft kenn - zeichnendes Phänomen entscheidend bei: das Ineinandergreifen von Verführung und Gewalt, von Faszination und Zwang als totalitäre Herrschaftstechnik. Während der Terror für nicht angepasste oder als Volksfeinde definierte Minderheiten eine reale, lebensgefährliche Bedrohung darstellte, war er für die große Mehrheit der Bevölkerung eher abstrakter Natur. Die Massen, die Hitler zujubelten und bedin- gungslos folgten, taten dies nicht, weil sie dazu gezwungen wurden. Vielmehr sind sie der Faszination des Nationalsozialismus erlegen, seinen ideologischen Fiktionen und politischen Versprechungen eben- so wie der emotionalen Vergemeinschaftung in Aufmärschen und Mas sen versammlungen und der Flut suggestiver Parolen, Bilder und Rituale, mit der die deutsche Gesellschaft überzogen wurde.

22 Volker Dahm All diese Antinomien erklären das Phänomen des National so zia lis mus nicht erschöpfend, waren aber Bedingung seiner zeitweiligen Erfolgs ge - schich te. Würde nur die pathologisch-kriminelle Seite des National - sozialismus gezeigt – Terror, Verbrechen und Opfer –, könnte nur Verständ nis lo sig keit und Entsetzen bewirkt werden. Ziel historisch- politischer Bildung muß es aber sein, die totalitären Gefährdungen moderner Gesell schaf ten aufzuzeigen und sie dadurch gegen politi- sche Extre mis men jeder Art, alte oder neue, linke oder rechte, zu wappnen. Dieser Leitgedanke bestimmte nicht nur Wahl und Anordnung der Hauptthemen, sondern auch den inhaltlichen Zuschnitt der kleineren Darstellungseinheiten. Sie sind als Informationseinheiten konzipiert, die dadurch wirken sollen, dass sie in einzelnen, aufeinander aufbau- enden Schritten von der Normalität in den Wahnsinn, von der ideolo- gischen Utopie zur realen europäischen Katastrophe, vom »schönen Schein« des Dritten Reiches in seine grässliche Gesamtwirklichkeit und von den Tätern zu den Opfern führen. Am Ende sind nur noch Zer störung, Tod und Leid sichtbar. Teils durch glückliche Zufälle, teils durch Überlegungen, die sich diese Zufälle zunutze machten, wird dieser historische »Lehrpfad« aufs Vortrefflichste durch das Ensemble der verschiedenen Baukörper der Ausstellungsanlage unterstützt. Diese besteht aus einem leichten, lichten Pavillon mit zwei Ebenen, dem in die Dokumentation einbezo- genen Teil der Bunkeranlage und einem langgestreckten Verbindungs - gang, der Pavillon und Bunker verbindet. Der Weg des Besuchers führt von oben nach unten, von der Höhe des Obersalzbergs (Galerie) in die Nie derun gen des Dritten Reichs (Erdgeschoss) und dann in den Ab - grund des Zweiten Weltkriegs (Bunkeranlage), sozusagen vom Him - mel in die Hölle, und dann wieder ans Licht und in die Gegenwart, in eine grandiose Natur und in die Realität einer gewiss nicht idealen, aber rechtsstaatlich und demokratisch verfassten Gesellschaft.

Fortsetzung 2008

Die Einführung zur Erstausgabe von 1999 ist ein Spiegel unserer da - maligen Reflexionen über den historischen Ort Obersalzberg und die Frage, wie dieser sehr spezifische Ort in den bayerischen Bergen für ein Publikum historischer Laien angemessen und fruchtbar dargestellt wer - den kann. Sie zeigt auch den Enthusiasmus, mit dem sich das Pro jekt - team des Instituts für Zeitgeschichte von 1997 bis 1999 dieser schwierigen und nicht risikofreien Aufgabe gewidmet hat. Wenngleich es sicherlich übertrieben oder voreilig wäre, dem Text das Attribut »historisch« bei- zulegen, handelt es sich doch um das zentrale Doku ment zur Ent ste - hungs geschichte der inzwischen aus der deutschen Erinnerungsarbeit

23 nicht mehr wegzudenkenden und international hoch an ge sehenen Der Obersalzberg Dokumentation Obersalzberg. Wir haben uns deshalb entschlossen, als historischer Ort die »Einführung« – abgesehen von der Orthografie – in dieser Neu aus- ga be unverändert abzudrucken, auch wenn der Text einige For mu lierun - gen enthält, denen im Kontext des heute viel unverkrampfteren Umgangs mit NS-Geschichtsorten eine gewisse Patina anhaftet, und außer dem zeitgebundene Bezüge aufweist, die inzwischen überholt sind. Vor allem haben sich die infrastrukturellen Gegebenheiten voll- ständig verändert. Zum Zeitpunkt der Eröffnung, im Oktober 1999, und noch einige Zeit danach, lag die Dokumentation Obersalzberg unterhalb des von den US-Streitkräften aufgegebenen Hotels General Walker, des ehemaligen Platterhofs, und damit auch weitab vom da - ma ligen Zentrum des touristischen Betriebs am Obersalzberg, dem Hin tereck. Im Jahr 2000 wurde der marode gewordene, weder sanier- bare noch verkäufliche Hotelkomplex abgerissen. Im Zusammenhang mit dem Bau des neuen InterContinental Berchtesgaden Resort Hotels auf dem Eckerbichl wurden dann die Abfahrtsstelle der Kehlstein- Busse und die Park plät ze vom Hintereck auf die frei gewordene Fläche verlegt. Diese Maßnahme hat die Dokumentation Obersalzberg ins Zentrum des touristischen Geschehens gerückt und ihr einen signifi- kanten und stabilen Zuwachs an Besuchern gebracht. Zu unseren damaligen Planungsgrundlagen gehörte die eher ge - fühlsmäßige als zahlenmäßig verifizierte und deshalb mit einiger Un - sicherheit behaftete Annahme, dass ein erheblicher Teil der ca. 250000 Menschen, die jährlich über den Obersalzberg zum Kehlsteinhaus hin - auffahren, auch ein großes Bedürfnis hat, »Hitlers« Berg und die verschie denen Plätze und Gebäudereste des ehemaligen »Führersperr - ge biets« einmal mit eigenen Augen zu sehen. Wir wollten die An zie- hungskraft, die der authentische Ort offensichtlich auf eine große Zahl von Menschen ausübt, dazu nutzen, möglichst viele von ihnen, wissen- schaftlich fundiert, aber allgemein verständlich über den Ort und seine Verstrickung in die nationalsozialistische Diktatur aufzuklären. Diese Kalkulation, die u.a. damit rechnete, dass viele Besucher nur mangels einer Alternative zu den pädagogisch bedenklichen Hoch - glanz broschüren mit Minimalinformation griffen, die am Hintereck verkauft wurden, ist aufgegangen. Bereits im ersten vollen Betriebs jahr 2000 kamen mehr als 100000 Besucher in die Dokumentation, womit kaum einer gerechnet hatte. Die Zeit, in der die Dokumentation vornehm - lich am Obersalzberg-Tourismus partizipierte, ist lange vorbei. In zwi - schen kommen viele Menschen wegen der Ausstellung ins Berchtes ga - de ner Land, zu Tagesbesuchen, aber auch um hier Urlaub zu machen. Die Do kumentation ist zu einem wirtschaftlichen Standortfaktor geworden. Obwohl nie einsichtig war, warum dies der Fall sein sollte, ist vor Pro jektbeginn befürchtet worden, die Einrichtung eines Museums wür de den Obersalzberg zum Wallfahrtsort für Hitler-Nostalgiker und Rechtsextremisten machen. Wie nicht anders zu erwarten, haben sich

24 Volker Dahm diese Sorgen als unbegründet erwiesen. Im Gegenteil: Nach Eröffnung der Dokumentation ging die Zahl solcher unerwünschter Besucher merklich zurück. Und soweit sie heute noch kommen, verhalten sie sich stets unauffällig. Erfreulich ist auch, dass der Absatz der erwähnten Hochglanzbroschüren drastisch eingebrochen ist und inzwischen auf stark erniedrigtem Niveau verharrt. »Die tödliche Utopie« hat hier die Oberhand gewonnen, weil sie zum gleichen Preis in jeder Hinsicht einen vielfachen Mehrwert bietet.

Verbindungsgang vom Pavil lon zur Bunkeranlage (Auf nah me 2007). ~ Institut für Zeitge schich te, Mün - chen – Berlin/Foto: Max Köst ler (4) L

In allen Fragen der inhaltlichen Konzeption haben wir uns bei der Planung und Realisierung der Dokumentation an der begrifflichen Anti nomie von Opfer- und Täterort orientiert, die damals als Versuch, NS-Orte typologisch zu unterscheiden, in der ersten Diskussion war. Diese Begrifflichkeit ist nach wie vor nicht ganz unproblematisch, weil es einen »täterfreien« Opferort begrifflich und real nicht gibt und der Begriff des Täterorts auch in dem absolut gegenteiligen Sinne des Mord - platzes missverstanden werden kann. Mangels einer praktika blen Al - ter native hat sich diese Kategorisierung aber inzwischen durchgesetzt. Sie bildete auch die Handlungsanleitung für die im November 2001 im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände eröff- nete Dauerausstellung »Faszination und Gewalt« und an ihr wird sich auch die in der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel ge - plante NS-Dokumentation orientieren. Während der Begriff des Opfer orts unmittelbar verständlich ist, bedarf die Kategorie des Tä ter - orts der Erläuterung. Als Täterorte werden erstens die Orte der »Schreib tischtäter« verstanden, die real nicht unbedingt ganz »opfer- frei« sein müssen, bei denen aber die Zahl der Opfer in keinem Ver - hältnis zu den von diesem Ort aus anderswo bewirkten Opfer zah len steht; ein Täterort dieses Typs ist das Gelände des ehemalige Reichs - sicherheitshauptamts in Berlin mit der Dokumentation ›Topographie

25 des Terrors‹. Zweitens werden als Täterorte Orte verstanden, die für Der Obersalzberg die Nationalsozialisten selbst von herausgehobener Bedeutung waren als historischer Ort und dabei nicht Standort von Institutionen des Verfolgungs- und Ver- nich tungs apparats gewesen sind; den Täterort dieses Typs repräsen- tiert in Reinform der Obersalzberg. Dokumentationen an Täterorten sind eine unverzichtbare pädagogi- sche Ergänzung zu den KZ-Gedenkstätten. Als ehemalige Orte des Quä lens und Mordens sind die KZ-Gedenkstätten immer internationale Friedhöfe, die dem Gedenken an die Opfer dienen und Kon zen tra tion auf diese fordern. Die notwendige Kontextualisierung des Orts findet ihre Grenzen in der nationalsozialistischen Verbrechens ge schich te und ihren ideologischen, politischen, institutionellen und ad mi nistrativen Voraussetzungen. Würde man die pädagogische Ver mittlung aber ge ne- rell auf diese Thematik beschränken, dann könnte kein durchschnittli- cher Mensch von heute und morgen verstehen, warum dieses Regime über eine weite Strecke von der großen Mehr heit der damals lebenden Deutschen getragen und von Vielen sogar mit frenetischer Be geis terung gefeiert wurde. Die Gründe dafür sind vielfältiger Art. U. a. ist hinzuwei- sen auf die Fähigkeit Hitlers, den Menschen in einer verworrenen Welt einfache Werte zu geben, auf die integrative Kraft sozialer Verbesserun - gen, die außenpolitischen Er fol ge und triumphalen Feldzüge bis 1940, die Manipulation der Informa tion, den massiven und professionellen Einsatz der neuen Massen me dien und die meisterhafte Nutzung mas- sensuggestiver Verführungs tech niken. Dies und mehr darzustellen und dabei die Verbrechen nicht aus dem Auge zu verlieren, ist die komple- mentäre Aufgabe von Aus stel lungen an Täterorten. Sie tragen auf diese Weise dazu bei, den Men schen ein vollständiges und durch seine Vollständigkeit überzeugendes Geschichtsbild zu vermitteln. Gelegentlich ist unser Buchtitel »Die tödliche Utopie« als der The - ma tik unangemessen kritisiert worden. Dieser Einwand beruht auf einem sprachlichen Missverständnis und einem historischen Ver - ständ nisproblem. Das deutsche Wort »Utopie« geht zurück auf das von Thomas Morus aus dem griechischen »ou topos« gebildete Kunst wort »Utopia« und bedeutet »Nirgendland«. Gemeint ist da mit ein fiktiona- ler, nicht existierender Ort oder nicht erreichbarer Ideal zu stand gegen- über einem unbefriedigenden Realzustand. Auf eine be stimmte mora- lische Beschaffenheit des Real- und des Ideal zu stands ist das Wort nicht festgelegt, diese ergibt sich vielmehr aus dem historischen oder politischen Kontext, in dem eine Utopie formuliert wird. Inwiefern aber war der Nationalsozialismus, das ist die historische Frage, utopisch? Die Antwort ist einfach: So wie die Zwangsvorstellung der Na tional sozia - lis ten von universalen Todfeinden des deutschen Vol kes nichts mit der Erweiterungsbau der Dokumen ta - Wirklichkeit zu tun hatte, sondern sich auf fiktive Gegner bezog, war tion Obersalzberg mit Seminarräu - ihr Gegenentwurf zur bestehenden Gesellschaft nicht realisierbar, also men (Aufnahme 2007). ~ Institut utopisch. Er zielte auf eine geistig, ideologisch und »rassisch« ho mo gene, für Zeitgeschichte, München – Ber - von einem einheitlichen Willen durchdrungene, widerspruchs- und lin/Foto: Max Köst ler (5) L

26 Volker Dahm konfliktfreie, leistungsorientierte und streng hierarchisch organisierte Gesellschaft. Dabei handelte es sich um ein ganzheitliches Konzept, das einer- seits – um Begriffe von Detlev Peukert zu verwenden – die »Gut ge arte - ten« mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln förderte (»Inklusion«) und andererseits die »Schlechtartigen« aus der Gesellschaft ausschloss (»Exklusion«), um sie langfristig »auszumerzen«. Kurzfristig diente dieses Programm unzweifelhaft dazu, im Hinblick auf den bevorste- henden Eroberungskrieg Leistungsbremsen zu minimieren und ein Maximum an Leistungsressourcen freizusetzen. Es wäre aber zu kurz gegriffen, das Volksgemeinschaftskonzept auf diese instrumentelle Dimension zu reduzieren. Denn der Krieg war nicht das Ziel, sondern seinerseits nur Mittel zu dem Zweck, dem deutschen Volk ein privile- giertes Dasein auf Kosten »minderwertiger« Sklavenvölker zu sichern. Letzten Endes zielte die nationalsozialistische Sozial- und Rassen uto - pie darauf, für die Deutschen das Paradies auf Erden zu verwirklichen. Diesem Versuch einer innerweltlichen Erlösung mussten alle jene, die sich gegen die Utopie stellten oder ihren »rassischen« und sozialen Wer ten nicht entsprachen, in einer Art säkularisiertem Jüngsten Gericht unbegrenzter Gewalt zum Opfer fallen.

München, im März 2008 Volker Dahm

27 Warum die Weimarer Republik Horst Möller scheiterte

Die Weimarer Republik war wie viele andere nach 1918 in Europa ent- standene Demokratien nicht nur, aber auch ein Kind des Weltkriegs. Die Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten verur- sachte den Zusammenbruch des politischen Systems der konstitutio- nellen Monarchie, erschütterte ihr gesellschaftliches Wertesystem und führte zur teilweisen Ablösung der Eliten aus Adel und Militär. Zwar war das Kaiserreich ein Rechtsstaat mit einem (auf Reichsebene) im europäischen Maßstab durchaus fortschrittlichem Wahlrecht. Auch war es im Kriegsherbst 1918, in letzter Stunde, noch zu Reformen des politischen Systems, der Reichsverfassung und der Preußischen Verfas - sung gekommen. Gleichwohl war keine dieser Reformen noch rechtzei- tig realisiert worden, darunter die Beseitigung des Drei klas sen wahl- rechts und die Privilegierung von Adel und Militär im Hege mo nialstaat Preußen. Die parlamentarische Ministerverant wort lich keit war auf Reichsebene erst in letzter Minute am 28.Oktober 1918 ein geführt wor - den. Insofern schien aufgrund zu später Refor men, die kaum noch ins Matthias Erzberger (1875–1921), Bewusstsein der Öffentlichkeit drangen, die am 9.No vem ber 1918 das erster Unterzeich ner des Waffen still - ganze Reich erfassende Revolution der Arbeiter und Soldaten unaus- standsabkommens von Com pièg ne weichlich. (11. November 1918), Juni 1919 – März 1920 Reichs fi nanz mi nis ter, am 26. Au gust 1921 er mor det. ~

Die Dolchstoßlegende Baye rische Staats bi blio thek/Foto - ar chiv Hoffmann, Mün chen (6) L Die Revolution war von Anfang an mit dem falschen Odium belastet, die Kriegsniederlage verursacht oder wenigstens entscheidend zu ihr beigetragen zu haben. Die Heimat sei, so lautete die sogenannte Dolch - stoß legende, dem jenseits der Reichsgrenzen kämpfenden Heer in den Rücken gefallen; das Heer sei nicht an der Front besiegt, sondern in der Heimat verraten worden. Davon konnte tatsächlich keine Rede sein: Viel - mehr musste die Oberste Heeresleitung unter Paul von Hin den burg und Erich Ludendorff am 29.September bzw. am 1.Oktober 1918 eingeste- hen, dass der Krieg verloren war und nur ein schneller Waffen still stand den Einmarsch der Sieger ins Reich verhindern konnte. Den Waf fen - stillstand am 11.November 1918 im Wald von Compiègne unterzeich- neten aber nicht sie, sondern der damalige Staatssekretär und spätere Reichsfinanzminister Matthias Erzberger – ein Politiker der katholischen Zentrumspartei, also ein Repräsentant des zukünftigen politischen Systems. Dies wurde in weiten Teilen der Bevölkerung als symbolisch empfunden, stärkte so die Glaubwürdigkeit der Dolch stoß lüge und er - leichterte es Hindenburg und Ludendorff, sich aus der Verantwortung zu stehlen und in infamer Verdrehung der Wahrheit an der Pro pa -

28 »Filiale von Berlin.« Ein zweites Der Obersalzberg Machtzentrum entsteht

»Ein einzigartiger Herrensitz auf dem Berge«. Der Umbau von Haus Wachenfeld zum Berghof

Im Sommer 1933 wurde Hitler Eigentümer des von ihm seit 1928 gemieteten Hauses Wachenfeld. Im gleichen Jahr ließ er eine Autogarage sowie ein Nebengebäude für das Personal errichten. Haus Wachenfeld im Sommer 1933 Wegen des gesteigerten Raumbedarfs für das ständig anwesende mit der neu erbauten Ga ra ge und Personal – Sekretärinnen, Diener, Führerschutzkommando u. ä. – ent- dem Nebengebäude für das Per so - schloss sich Hitler im Sommer 1935 für die Erweiterung des Hauses nal. Links im Hinter grund der Wachenfeld zu einer repräsentativen Residenz. Beim Bau wurden Gasthof »Zum Türken«. ~ In sti tut weder Kosten noch Mühen gescheut und nur beste Materialien ver- für Zeitgeschichte, München –

wendet, so dass sämtliche Kostenvoranschläge überschritten wurden. Berlin (111) L

Umbau von Haus Wachenfeld L zum Berghof, Dezember 1935 bis Juli 1936. Zeitweise wurden über 150 Arbeiter auf der Baustelle beschäftigt. Der Neubau wurde am 8. Juli 1936 feierlich einge- weiht. ~ Baye rische Staats bi blio - thek/Fotoarchiv Hoff mann, Mün - chen (112)

150 L Der Berghof, links im Hinter - grund das Haus »Zum Türken«. ~ Collection, Berlin (113)

Das 32 qm große versenkbare Pano ramafenster in der Großen Halle mit Blick auf den Unters - berg. Vor dem 6 m langen Eichen - tisch Hitler mit Albert Bormann. ~ Walter Frentz Collection, Berlin (114) L

Die Bauernstube im Haus Wa chen- feld mit Blick auf die Terrasse. Beim Neubau des Berghofes wur - de das Landhäuschen in den Neu - bau integriert. ~ Walter Frentz Collection, Berlin (115) L

151 Beispiel für Hitlers Präsenz im L All tag: Fast in jedem Ort des Rei - ches wurde eine Straße oder ein Platz nach dem »Führer« benannt. ~ In s ti tut für Zeit geschichte, München – Berlin (184)

L SS- und SA-Standarten bei der Königsberger Bernsteinausgabe L Gedenkfeier am 9. November 1936 von »Mein Kampf« (Zweibändige auf dem Münchner Königsplatz. Im Aus gabe in einem Band). Prunk vol le Hintergrund links und rechts der Ausgabe mit schweren Sil ber be - Füh rerbau bzw. der Verwal tungs bau schlä gen und unregelmäßig verleg - der NSDAP, dazwischen die beiden ten Bernsteinplatten, darauf in ho - Ehrentempel für die »Ge fallenen hem Relief der Partei-Hoheits ad ler, der Bewegung«. Die pseudosakra- in den Ecken diamentene Zier nä gel. le Selbstinszenierung des National - Im Innendeckel Herstel ler ver merk: so zia lis mus trat bei dieser Feier »Norddeutsche Bern stein-In dustrie besonders deut lich hervor. ~ Baye - Naujoks, Mann und Ge denk Kö nigs - rische Staatsbiblio thek/Foto ar chiv berg/Pr.« (1941) ~ Auktionshaus Hoffmann, München (185) Hermann Historica, München (186)

201 Akteure des Regimes

Süddeutsche Zeitung vom 1. Ok - L Akteure des Regimes tober 1946. (192)

HEINRICH HIMMLER

7.Oktober 1900 – 23.Mai 1945 – Diplomlandwirt – 1929 Reichsführer SS in der NSDAP – 1933 Kommandeur der Bayerischen Politischen Polizei – 1934 Inspekteur der preußischen Geheimen Staatspolizei und Politischer Polizeikommandeur der Länder – 1936 Chef der Deutschen Polizei – 1939 Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums – 1943 Reichsminister des Innern – 1944 Befehlshaber des Ersatzheeres – 1945 Parteiausschluss und Entlassung aus allen Ämtern durch Hitler – 1945 Selbstmord

Nach Hitler der Hauptverantwortliche für die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, für Vernichtungskrieg und Völkermord. Vereinte die L . ~ Baye ri - Fähigkeit zu Verbrechen größten Stils mit organisatorischer Begabung sche Staatsbibliothek/Fo to archiv und Verschrobenheit. Übernahm zahlreiche Ämter und Funktionen. Hoffmann, München (193) Vergiftete sich im Mai 1945 in einem britischen Gefangenenlager.

JOSEPH GOEBBELS

29.Oktober 1897 – 1.Mai 1945 – Germanist, Publizist, Dr. phil. – 1926 Gauleiter der NSDAP in Berlin – 1930 Reichspropagandaleiter der NSDAP – 1933 Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda – 1933 Präsident der Reichskulturkammer – 1944 Reichsbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz – 1945 Selbstmord

Intellektueller Nationalsozialist, der Hitler bis zuletzt gläubig ergeben war. Glänzender Redner und Propagandatechniker. Verstand es mit rhetorisch-demagogischem Talent, agitatorischen Einfällen und sug- gestiven Inszenierungen, die Massen zu lenken, und war einer der wirksamsten Förderer des Führerkults. Organisierte den Boykott jüdi- scher Geschäfte am 1.April 1933 und den Judenpogrom vom 9.No - L . ~ Bayerische vem ber 1938 (»Reichskristallnacht«). Ließ nach dem Freitod Hitlers Staatsbibliothek/Foto archiv Hoff - seine sechs Kinder vergiften und beging dann mit seiner Frau Magda mann, München (194) Selbstmord.

205 »Rassenkundlicher« Unterricht in einem Schulungslager für Schul - hel fe rinnen in Nürtingen/Würt - temberg (1943). ~ Deut sches Historisches Museum, Berlin/Foto: Liselotte Orgel-Köhne (215) L

Adolf Hitler 1944, nur noch ein menschliches Wrack, vor seinem endgültigen Abschied vom Ober -

salzberg. ~ Walter Frentz Collec - tion, Berlin (216) L

Zu den Vorgängen, die wesentlich unveränderlich sind, durch alle Zeiten hindurch gleichbleiben und sich nur in der Form der ange- wandten Mittel ändern, gehört der Krieg. Die Natur lehrt uns bei jedem Blick in ihr Walten, in ihr Geschehen hinein, daß das Prinzip der Auslese sie beherrscht, daß der Stärkere Sieger bleibt und der Schwächere unterliegt. Sie lehrt uns, daß das, was dem Menschen dabei oft als Grausamkeit erscheint, weil er selbst betroffen ist oder weil er durch seine Erziehung sich von den Gesetzen der Natur ab - gewandt hat, im Grunde doch notwendig ist um eine Höher ent - wicklung der Lebewesen herbeizuführen. … Der Krieg ist also das unabänderliche Gesetz des ganzen Lebens, die Voraussetzung für die natürliche Auslese des Stärkeren und zugleich der Vorgang der Beseitigung des Schwächeren. Das, was Ausschnitte aus der Ansprache dem Menschen dabei als grausam erscheint, ist vom Standpunkt Hitlers vor Generälen und Offi - der Natur aus selbstverständlich weise. Ein Volk, das sich nicht zu zieren am 22. Juni 1944 im Plat - behaupten vermag, muß gehen und ein anderes an seine Stelle tre- ter hof. ~ Text nach: Bundesarchiv, ten. Ein Wesen auf dieser Erde wie der Mensch kann sich nicht dem Berlin, NS 6/777 L Gesetz entziehen, das für alle anderen Wesen auch gültig ist.

»Rassenhygienische« Familienförderung: Ehestandsdarlehen

»Ehestandsdarlehen« waren staatliche Kredite, die zur Förderung von Eheschließungen vergeben wurden, wenn die Brautleute politisch zuverlässig und »erbgesund« waren. Sie dienten nicht nur »erbpflege- rischen« Zielen und der Durchsetzung des NS-Frauenbildes, sondern auch der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Das Darlehen wurde nur vergeben, wenn die Frau bis zum 31. Mai 1933 mindestens sechs

249 Die Politische Polizei: Zuständigkeitsbereiche im März 1934

e e t s N o rds ee O s Königsberg Schleswig- Holstein O s t - zu Cuxhaven Oldenb. p reu ß en (zu Hamburg) Lübeck Pommern Hamburg n Bremer- e haven n ß (zu Bremen) Mecklenburg u Elbe Stettin re Olden- Bremen tp es burg -W e sen Po H a nno v er Bra n d en- k r Schaumb.- a

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e c r P r S a i P Hessen- o v . N ied er- Breslau n Leipzig Köln p Nassau Erfurt e n r s s chles ien o Rhein Thüringen h n c v a Ober- i e n s S schlesien z Frankf. s Birken- feld e (zu Old.) H Pfalz Nürnberg (Bayern) n e B a y e r n Württem- d Stuttgart Donau Preußische Geheime Staatspolizei unter Göring a Hoh (P en berg reu z ß o e l n l

B e ) r n Politische Polizeien der München Länder unter Himmler

Politische Polizei Schaumburg-Lippe (noch autonome Polizeibehörde)

0 100 200 300km

Herstellung: ©

ifz Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin 1999 Bildnachweis: Hermann Göring (1934), Bilderdienst Süddeutscher Verlag,München; Heinrich Himmler (1933), Ullstein Bilderdienst,Berlin 84437 Ramsau

L © Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin 1999. Die Karte zeigt die Vertei lung der territorialen Zu - stän dig kei ten im März 1934. ~ Hersteller: Karto graphie Peckmann, Ramsau. Bild nach weis: Hermann Göring (1934), Bilderdienst Süddeutscher Verlag, München; Heinrich Himm ler, Ullstein Bilder dienst, Berlin (284)

332 Die Struktur der Reichspolizei

Mit Himmlers Ernennung zum ›Reichsführer–SS und Chef der Deut - schen Polizei‹ wurde die – auch nach Aufhebung der Län der als Staaten – noch föderativ organisierte Polizei »verreichlicht«. Die Po li tischen Polizeien wurden zur Geheimen Staatspolizei (Ge sta po), das preu - ßische Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) zur exeku tiv po lizeili chen Reichszentralbehörde. Gestapo und Kri mi nal po lizei (Kripo) wur den zur Sicherheitspolizei (Sipo) zusammengefasst, die verschiedenen Sparten der uniformierten Vollzugspolizei (staatliche Schutz polizei in

Reichsgesetzblatt I 1936, S. 487f. vielen Städten, staatliche Gendarmerie auf dem Land, Ge mein de po li- (285) L zei) und die Verwaltungspolizei zur Ordnungspolizei (Orpo) vereinigt.

333 »Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord

Dieter Pohl »Rassenpolitik«, Judenverfolgung, Völkermord

Rassismus und Antisemitismus

Straßenszene im »Ghetto Litz - L Die Massenverbrechen des »Dritten Reichs« beruhten – bringt man es mannstadt« (Lodz) ~ Jüdi sches auf eine einfache Formel – auf der Vorstellung, Menschen seien unter- Museum Frankfurt am Main (333) schiedlich viel wert. Im Zweiten Weltkrieg wurden diese Ideen in ihrer radikalsten Form umgesetzt – mit der systematischen Ermordung von Männern, Frauen und Kindern. Die Ursprünge dieses Denkens reichen weit zurück. Die längste und schließlich folgenreichste Tradition hatten Vorurteile gegen Juden, die seit dem Mittelalter immer wieder zu gewaltsamem Ausbruch kamen. Bis ins 19. Jahrhundert beruhte der Hass auf die jüdische Minderheit vor allem auf religiösen und wirtschaftlichen Motiven – besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten machte man die Juden zum »Sünden - bock«. Doch nicht nur Juden, sondern auch andere Gruppen waren seit langem Opfer von Vorurteilen. Sinti und Roma, vielfach ohne festen Wohn sitz, wurden als »Zigeuner« gesellschaftlich und kulturell aus - gegrenzt und oftmals vertrieben. Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich das Gesicht der Juden - feind schaft, nun Antisemitismus genannt. Mit dem Aufkommen der politischen Massengesellschaft spielte die antijüdische Propaganda bei manchen Parteien eine erhebliche Rolle. Sie richtete sich nun gegen eine religiöse Minderheit in Deutschland und Österreich, die sich von der Randgruppe im Ghetto zu einer religiösen Gemeinschaft mit gro- ßem gesellschaftlichem Erfolg entwickelt hatte und kulturell weitge- hend an die christliche Bevölkerungsmehrheit assimiliert war. Zugleich hielt seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Wissenschaft, bald auch in der Öffentlichkeit ein allgemeines Rassendenken Einzug, das nicht immer antisemitisch sein musste, aber den Antisemitismus scheinbar objektiv begründete. Neue Fächer wie Eugenik und Rassen - biologie etablierten sich, blieben aber zunächst ein Randphänomen. Die Zeit des Ersten Weltkriegs erscheint als Rückfall in düsterste Zeiten antijüdischer Auswüchse: Im preußischen Heer wurde etwa eine diskriminierende Zählung aller jüdischer Soldaten vorgenommen, Juden wurden von den Antisemiten als »Drückeberger« oder »Kriegs - gewinnler« apostrophiert, obwohl sich ihr Verhalten von dem der Gesellschaftsmehrheit nicht unterschied. Zum offenen Ausbruch kam der Antisemitismus in den Krisenphasen der Revolution von 1918/19 und der Weimarer Republik – dies reichte bis hin zu Ge walt akten rechtsextremer Fanatiker. Als besonders unheilvoll erwies sich der

373 Die Durchführung der »Aktion T4« »Rassenpolitik«, Juden - verfolgung, Völkermord Psychiatrische Gutachter entschieden anhand von Meldebögen, die alle Heil- und Pflegeanstalten im Reich auszufüllen hatten, über Leben und Tod der erfassten Patienten. Entscheidendes Kriterium war jetzt der ökonomische Restnutzen eines Kranken (»Arbeitsfähigkeit«). Dane - ben spielte auch eine Rolle, ob die Krankheit unheilbar war und ob der Patient unruhig war oder störte. Die Tötung erfolgte in sechs Tötungsanstalten, in Hartheim bei Linz, Grafeneck bei Münsingen auf der Schwäbischen Alb, Hadamar bei Limburg, Pirna-Sonnenstein bei Dresden, Bernburg a . d. Saale und Brandenburg a. d. Havel. Der Transport der zur Tötung selektierten Männer, Frauen und Kinder erfolgte mit den roten bzw. grauen Bussen der zu »T4« gehörenden Gemeinnützigen Kranken trans port ge sell - schaft (Gekrat). Die Kranken wurden entweder direkt in die Tötungs - an stalten gebracht oder zuerst in Zwischenanstalten ge sammelt, die den Tötungsanstalten vorgeschaltet waren. Die Angehörigen der Opfer wurden mit gefälschten Todes mit tei lun - gen über die wahren Umstände des Todes getäuscht. Trotzdem ließ sich die Aktion auf Dauer nicht geheim halten.

L »Grauer Bus« der Gemein nüt zi - gen Krankentransportgesellschaft vor der Tötungsanstalt Hadamar. ~ Landeswohlfahrts ver ban des Hes - sen/Archiv, Kassel (362)

Gaskammer der Tötungs an - L stalt Hadamar, in Betrieb von Januar bis Sommer 1941; hier wur- den über 10.000 Menschen ermor- det. ~ Landeswohl fahrts ver ban - des Hessen/Archiv, Kassel (363)

410 Die »linken Zwischengruppen« Widerstand und Emigration

Sozialistische Arbeiterpartei (SAP), Kommunistische Partei/Op po si- tion (KPO), die Gruppe ›Neu Beginnen‹ (NB) und der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK) waren die wichtigsten linken Gruppen zwischen SPD und KPD. Zu ihren führenden Vertretern in Widerstand und Exil gehörten später so bekannte Politiker wie Willy Brandt, Fritz Erler, Waldemar von Knoeringen und Fritz Eberhard.

L Fritz Eberhard (ursprünglich Hel mut von Rauschenplat, 1896– 1982), bis zu seiner Emi gra tion 1937 Leiter der illegalen Or ga - nisation des ISK in Deut sch land, während des Kriegs aktiv bei den Einigungsversuchen des sozialisti- schen Exils in Groß bri tan nien, nach 1945 SPD-Politiker, zuletzt Professor an der Freien Universität Berlin. ~ Gedenk stät te Deutscher Widerstand, Berlin (465)

L Willy Brandt (1913–1992), bis Oktober 1944 (Wiedereintritt in die SPD) führendes Mitglied der SAP, Mitunterzeichner des Volks front - aufrufs in Paris vom 21. De zem ber 1936, 1944 mit seiner Frau Car lo - ta, geb. Thorkildsen, und Tochter Ninja bei der 1. Mai-Feier in Stock - holm. ~ Archiv der so zia len De - mo kratie der Friedrich-Ebert-Stif - tung, Bonn (466)

496 »Ein Volk – ein Reich – ein Führer«. Territoriale Expansion in der Vorkriegszeit

Voraussetzung für die Eroberung von »Lebensraum« waren politische und militärische Stärke, Verbesserung der strategischen Ausgangslage und Gewinnung eines Aufmarschraums vor dem Beginn des Ost kriegs. Bis Herbst 1937 hatte Hitler die außen po li ti sche Bewegungsfreiheit zu rückgewonnen und ging zu expansionistischer Außenpolitik über. Am 5.November 1937 eröffnete er dem Reichs außen minister und den Befehlshabern von Heer, Marine und Luft waffe, er wolle den Raum krieg spätestens 1943 führen. Die Eroberung der Tschechoslowakei und Ös - ter reichs sollte schon 1938 in Angriff genommen werden. In dieser Phase seiner Außenpolitik berief sich Hitler auf die Formel der Pariser L Einzug Adolf Hitlers in Saar - Friedenskonferenzen (1919) vom »Selbstbestimmungsrecht der Völ - brücken am 1. März 1935. ~ Baye - ker«, das die Siegermächte des Ersten Weltkriegs den deutschsprachi- rische Staatsbibliothek/Foto ar chiv gen Gebieten der ehemaligen Donaumonarchie vorenthalten hätten. Hoffmann, München (520)

»Die Stimme des Blutes hat gesprochen«. Die Rückgliederung der Saar

Der erste territoriale Gewinn Hitlers war 1935 das Saargebiet. Der Vertrag von Versailles hatte die Saar unter Völkerbundsverwaltung gestellt und eine Volksabstimmung nach 15Jahren vorgesehen. Sie sollte entscheiden, ob das Saargebiet zu Deutschland zurückkehren, unter Völkerbundverwaltung bleiben oder zu Frankreich kommen solle. Am 13.Januar 1935 entschieden sich 90,08Prozent der Saar län - der für den Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland. Die nationale Idee überwog alle anderen Emotionen, Werte und In te res - sen. Die schlechte Wirt schafts lage des Saargebiets und die deutliche wirtschaftliche Bes se rung in Deutschland trugen zu diesem Ergebnis bei. 5000 NS-Gegner mussten von der Saar fliehen. L Adolf Hitler am 15. Januar 1935 im Postamt Berchtesgaden vor sei - ner Ansprache an das deutsche Volk nach Bekanntgabe des Ab stim - mungsergebnisses an der Saar. ~ Il - lus trierter Beobachter vom 26.1. 1935 (521)

Anschlussjubel in Saar brü cken. L ~ Bayerische Staats bib lio thek/Fo to - archiv Hoff mann, Mün chen (522)

552 »Volk will zu Volk«. Der Anschluss Österreichs

Obwohl die Eroberung der Tschechoslowakei Hitler strategisch wichti- ger war als der »Anschluss« Österreichs, wurde dieser zuerst vollzo- gen. Am 11.Juli 1936 hatte Hitler Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg einen Vertrag aufgezwungen, der den österreichischen National so zia lis ten politische Bewegungsfreiheit sicherte und Öster- reich außen po li tisch zur Unterordnung unter deutsche Führung ver- pflichtete. Den noch kam es in Österreich zwischen Regierung und National sozialisten auch wei ter hin zu Konflikten. Im »Berchtesgadener Abkommen« vom 12.Februar 1938 verlangte Hitler von Schuschnigg die Legalisierung der österreichischen NSDAP und die Aufnahme von National sozialisten in die Regierung. Als Schuschnigg nach Erfüllung dieser Forderungen den drohenden »Anschluss« durch eine kurzfri-

Einmarsch deutscher Truppen in am 12. März 1938. ~ Bild - archiv Preußischer Kultur be sitz, Berlin (523) L

Plakat zur Volksabstimmung über den »Anschluss« Österreichs am

10. April 1938. ~ Bundes ar chiv, Koblenz (524) L

stig angesetzte Volks ab stim mung zu verhindern suchte, schlug Hitler zu: Am 12.März 1938 mar schierten deutsche Truppen in Österreich ein, am 13.März wurde der »Anschluss« an das Deutsche Reich durch Ge setz dekretiert. Das Deut sche Reich nannte sich von da an »Groß - deut sches Reich«. Die europäischen Mächte protestierten gegen die gewaltsame Form des »Anschlusses«, nahmen ihn jedoch hin, da »Volk zu Volk« gekommen war. Die Erfüllung dieses alten deutschen Traums steigerte Hitlers inneres und äußeres Prestige.

553 Kriegsalltag

L Fahrbare Frontbuchhandlung der Organisation Todt. ~ Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin (579)

Truppenbetreuung: Angehö ri - L ge eines KdF-En semb les bei der Vorbereitung auf einen Auftritt. ~ Institut für Zeitge schich te, Mün - chen - Berlin (580)

612 L Vorbereitung eines Stoßtrupps (1943). ~ Institut für Zeitge schich te, München - Berlin (581)

L Abtransport eines Verwundeten nach Beendigung des Stoßtrupps. ~ Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin (582)

613 Neuere Bilder aus den Obersalzberg-Bunkern Die Bunkeranlage

Nur der Gästehaus- und Platterhof-Bunker wurden als Teil der Do ku - men tation Obersalzberg für jedermann begehbar hergerichtet. Alle anderen Teilsysteme sind aus Sicherheitsgründen für Besucher gesperrt.

Ausbruch im Gästehaus-Bun - L ker. Der mit Ziegeln ausgemauer- te Schluss abschnitt ist der Rohbau der Gasschleuse. ~ Institut für Zeit ge schichte, München – Berlin/ Foto: Max Köstler – Um das Sys - tem gassicher zu machen, wurden die Zugänge durch Gas-Schleusen ge führt. Ein relativer Luftüber - druck in der Schleuse sollte ver- hindern, dass beim Betreten und Verlassen der Bunkeranlage Gift - gas eindrang. Neben den Gas- Schleusen wurde in der Regel je ein Sanitäts raum zur Erstversor - gung von Per so nen nach Gift gas - kontakt eingerichtet. (652)

L Graffito mit zwei Lothringer Kreu zen, eingeritzt. Es stammt von fran zösischen Soldaten, die nach der Besetzung Berchtesgadens als ers te in diesem Bunker waren. ~ In sti tut für Zeitgeschichte, Mün - chen – Berlin /Foto: Max Köstler (653)

664 Eingangsbereich des Platter hof- Bunkers, der nicht mehr fertig wur - de. Im Hintergrund der Förderstol - len, über den das ausgebrochene Gestein an die Oberfläche beför- dert wurde. Er sollte zum Notaus - gang ausgebaut werden. Nach Kriegs ende wurde der obere Teil aus Sicherheitsgründen mit Schutt ver- füllt. ~ Institut für Zeitge schich te, München – Berlin/Foto: Max Köstler (654) L

Der Blindschacht

Der Blindschacht verbindet den Gästehaus- und Platterhof-Bunker mit den tiefer gelegenen Bunker systemen. In ca. 20 Meter Tiefe mün det der SS-Stollen ein. Die Ver bindung zum Berghof-Bun ker liegt in einer Tiefe von 35 Me tern. Das unter Drittel wurde nicht mehr mit dem vollen Querschnitt ausgebrochen und ist heute durch einen Schuttpfropfen ver- schlossen. Wäh rend der Bauzeit konnte der Schacht bis zum SS-Stollen über eine provisorische Holztreppe begangen wer den, die inzwischen abgefault ist. Aufgrund des großen Quer schnitts ist anzunehmen, dass der Einbau eines Treppen hau ses und eines Aufzugs geplant war.

LLZugang vom Blindschacht zum SS-Sto llen. ~ Blindschacht im Gästehaus-Bun ker. ~ Spie - Spie gel TV/Institut für Zeit geschichte, Mün - gel TV/Institut für Zeit ge schich te, München – chen – Berlin (655) Berlin (656)

665 Kehlsteinhaus und Berchtesgadener Der Obersalzberg Landesstiftung 1945–2005

Im Sommer 1951 gab die bayerische Staatsregierung das Kehl stein - haus für den allgemeinen Tourismus frei. Zum 1. April 1952 verpachte- te der Freistaat das Haus zum Betrieb einer Berggaststätte an die Sek - tion Berchtesgaden des Deutschen Alpenvereins. Zur Verhin de rung »neofaschistischer Umtriebe« jeglicher Art wurde dem Pächter aufer- legt, in keiner Weise an die Geschichte des Kehlsteinhauses im Dritten Reich zu erinnern. Dazu gehörte das ausdrückliche Verbot, Gegen stän de und Artikel jeglicher Art (z.B. Ansichtskarten, Anden ken) zu vertrei- ben, die sich auf die NS-Vergangenheit des Obersalz bergs bezogen. Im Jahr 1960 übertrug der Freistaat das Nutzungsrecht auf die zu diesem Zweck gegründete Berchtesgadener Landesstiftung. Mit Ablauf des zehnjährigen Pachtvertrages mit dem Alpenverein wurde das Haus 1962 vom Fremdenverkehrsverband Berchtesgaden übernom men. Der Fremdenverkehrsverband, der heute Zweckverband Touris mus region Berchtesgaden-Königssee heißt, ließ das »Eagle’s Nest«, wie das Kehlsteinhaus von den Amerikanern genannt wird, seither durch Unterpächter bewirtschaften. Bis 2005 fuhren über 11,3 Mil lionen Besucher auf den Kehlstein.

L Seit 1953 ist das Kehlstein haus als Ausflugsziel freigegeben. ~ In - sti tut für Zeitgeschichte, München – Berlin (692)

718 Postbus bei der Auffahrt zum Kehlsteinhaus. Im Juni 1951 wur de dem Landkreis Berch tes gaden un - ab hängig von der end gültigen Ent - scheidung über die Verwen dung des Kehlstein hauses das alleinige Nutzungs recht an der Kehlstein - straße übertragen, wo rauf dieser die Straße für 12 000,00 DM in - stand setzte und der Bundespost die Konzession für den Betrieb einer Omnibuslinie übertrug. ~ Institut für Zeitgeschichte, Mün - chen – Berlin (693) L

Bis zur Neugestaltung nach dem Abzug der US-Army im Jahr 1996 befand sich das touristische Zen - trum des Obersalzbergs mit Res - tau rant, Kiosken und der Busab - fahrtsstelle über 50 Jahre lang am Hintereck (Foto Juli 1997). ~ Pri - vat besitz Albert A. Feiber, Mün - chen (694) L

Zur Verbesserung der Infrastruktur errichtete der Landkreis 1953 am Hintereck einen Parkplatz mit der Busabfahrtsstelle zum Kehlstein (Foto Juli 1997). ~ Privatbesitz Albert A. Feiber, München (695) L

719 Anhang

(721) L 19 CHRONIK 1919–1945

1919 05.01. Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in München durch Anton Drexler und Mit glie - der der völkischen Thule-Gesellschaft. Sommer Eintritt des Kreises um den völkischen Dichter Dietrich Eckart in die DAP. 12.09. Beitritt Adolf Hitlers zur DAP. 1919 Erscheinen von Gottfried Feders »Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft des Geldes«; ide- ologische Basis für den linken Flügel der NSDAP.

1920 10.01. Versailler Friedensvertrag in Kraft getreten: Anerkennung der alleinigen deutschen Kriegs - schuld, beträchtliche Gebietsabtretungen, weitgehende Entwaffnung und Rüstungsbegrenzung (»100000-Mann-Heer«), Reparationszahlungen, wirtschaftliche Einschränkungen. Februar Umbenennung der DAP in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). 24.02. Erste Großveranstaltung der NSDAP im Münchner Hofbräuhaus vor 2000 Besuchern; Ver kün - dung des »25-Punkte-Programms«. 13.03.–17.03. Reaktionärer Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin: Flucht der Regierung über Dresden nach Stutt - gart; Zusammenbruch des Putsches nach Generalstreik und Verweigerung der Mitarbeit durch die Beamtenschaft. 17.12. Erwerb des Völkischen Beobachters aus dem Besitz der Thule-Gesellschaft für die NSDAP durch Dietrich Eckart mit finanzieller Mithilfe völkischer Kreise und Angehörigen der Reichswehr (u.a. Franz Ritter von Epp). 1920 Insgesamt 46 öffentliche Veranstaltungen der NSDAP, davon zwei Drittel mit Hitler als Haupt - redner. Ende 1920 Mitgliederstand der NSDAP: rund 2000.

1921 03.02. Massenversammlung der NSDAP im Circus Krone in München vor rund 6000 Zuhörern mit Dietrich Eckart. 29.07. Nach ultimativer Drohung, die Partei zu verlassen, Wahl Hitlers zum Ersten Vorsitzenden mit besonderen Vollmachten; 25-Punkte-Programm für unabänderlich erklärt. 03.08. Gründung der Sturm-Abteilung (SA) als Saalschutz der NSDAP; später Ent wick lung zum Wehr - ver band. 27.08. Ermordung des ehemaligen Reichsfinanzministers Matthias Erzberger durch die rechtsextre- mistische »Organisation Consul«.

1922 29.–31.01. Parteitag der NSDAP in München; Mitgliederstand: rund 6000. 16.04. Vertrag von Rapallo: Wiederaufnahme der 1918 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen mit der Sowjetunion; wechselseitiger Verzicht auf Ersatz von Kriegskosten und -schäden ein- schließlich von Zivil schäden; Verzicht Deutschlands auf Entschädigung für von sowjetischen Verstaatlichungsmaß nah men betroffenen deutschen Eigentums in Russland. 24.06. Ermordung des Reichsaußenministers Walter Rathenau durch die rechtsextremistische »Organisation Consul«. 21.07. »Gesetz zum Schutze der Republik«: schwere Strafen für politische Mord- und Gewalttaten; Rechtsgrundlage für das Verbot extremistischer Organisationen.

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